DAS RITTERIDEAL IN HARTMANNS IWEIN

MICHAEL S. BATTS

Das Gedicht von Iwein, dem Ritter mit dem Lowen, hat unter Hart- manns Werken immer eine Sonderstellung innegehabt. Bewundert ob seiner Klarheit und Formvollkommenheit wird es andererseits gerade wegen der Nuchternheit der Aussage abgelehnt. Man meint, der Dichter sei altersmude oder am Stoff kaum interessiert und babe nur ein Gegen- stuck zum schaffen wollen; man weist auf sogenannte Mangel in der Darstellung und Bruche in der Handlung hin. Typisch fur these Einstellung ist vielleicht das Urteil de Boors: "Kein anderes Werk [ist] mit so betonter Unbeteiligtheit gedichtet worden... Hartmann [lasst] hier die Frage in ihrer Innerweltlichkeit beruhen, in die sie gehort, nirgends ruhrt er an das Verhaltnis zu Gott und Jenseits."1) Seit dem Erscheinen aber gerade dieses Werkes sind Stimmen laut geworden, die eine radikale Abkehr von einer solchen Haltung und eine intensivere Beschaftigung mit diesem zu Unrecht vernachlassigten Werk fordern.2) Mit diesen Arbeiten sind schon grosse Fortschritte erzielt worden, vor allem durch den Verzicht auf den Vergleich mit der Erecdichtung, aber immer noch wird haufig auf Grund des Erec-Schemas interpretiert, d.h. der Minneroman steht viel zu stark

1) De Boor: 《Literaturgeschichte》, Bd. 2, S. 80-81. Man vergleiche damit Sparnaay: "dass die hofische Zucht dem Dichter im Erec nicht entfernt in dem Masse Herzenssache war wie sparer im Iwein. Dasselbe gilt fur das Verhaltnis zu Gott"! (H. Sparnaay:《Zur Sprache und Literatur des Mittelalters》, Groningen 1961, S. 227) 2) Hauptsachlich: H. Milnes: 《The Play of Opposites in "Iwein"》, in German Life and Letters IXV (1960-61), S. 241-56. H. Sacker: 《An Interpretation of Hartmann's Iwein》, in The Germanic Review XXXIV (1961), S. 5-26. Th. C. van Stockum:

《Hartmann von Ouwes "Iwein". Sein Problem und seine Probleme, Amsterdam 1963. O Kratins: 《Love and Marriage in Three Versions of "The Knight of the Lion, "《 in Comparative Literature, XVI (1964), S. 29-39. H.B. Willson: 《Love and Charity in Hartmann's "Iwein"《, in Modern Language Review LVII (1962), S. 216-227. 90 MichaelS. Batts im Vordergrund, und die eigentliche Iweinhandlung wird auf diese Rah- menhandlung bezogen. Es ist jedoch nur allzu deutlich, dass Hartmann der Gestalt der wenig Interesse entgegenbringt und dass es im Gegensatz zum Erec nicht urn die Bereinigung zwischenmenschlicher Be- ziehungen, sondern um Iweins Erkenntnis seiner selbst und seiner Stellung in der Welt geht. Es geht also urn Grundsatzlicheres als im Erec: um die Uberwindung einer durch die Bruchigkeit der Ordnung hervorgerufenen Selbstentfremdung. Iwein ist sowohl Teil als auch hervorragender Ver- treter dieser Ordnung, und der Zwiespalt in seiner Seele ist symptomatisch fur die Unvollkommenheit der ritterlichen Weltordnung als Ganzes. Im folgenden wird deshalb der Versuch unternommen, die Gestalt des Ritters aus der von den traditionsgebundenen Grundsatzen des Artushofes ab- schweifenden Iweinhandlung heraus zu deuten. Wir gehen von der Kalogreanterzahlung aus, in deren Verlaufe die bekannte Definition der "Aventiure", der Lebensaufgabe des Ritters gege- ben wird. Diese Definition wird von de Boor als geradezu mustergultig- "Was aventiure ist, hat im Eingang seines Iwein … programmatisch ausgesprochen" 3)-, von anderen Kritikern mit Recht als ironisch angesehen. Ohne auf die Frage einzugehen, auf wen sich die Ironie bezieht, darf eins als sicker gelten: die Definition Kalogreants ist eine grundfalsche. Das bezeugt die nun einsetzende Handlung; der Sinn des Rittertums kann nicht darin liegen:

daz ich suochende rite einen man der mit mir strite, der gewafent si als ich. daz priset in, ersleht er mich: gesige aber ich im an, so hat man mich vur einen man und wirde werder danne ich si (531-37).

Iwein ist aber gerade auf these von Kalogreant nicht bestandene Aventiure so erpicht, dass er sich zurn Brunnen aufmacht und Ascalon besiegt. Damit bescheinigt er, dass er dieselbe Auffassung der aventiure teilt, eine Auf- fassung, die ihn dazu verleitet, einen unschuldigen und das eigene Land

3) De Boor: a.a.O. S. 65. Vgl. Milnes: a.a.O. S. 242 Das Ritterideal in Hartmanns Iwein 91

verteidigenden Menschen anzugreifen und erbarmungslos zu toten. Im

Grunde genommen handelt er also trotz des zunachst vorgeschobenen

Gedankens der Wiederherstellung der Ehre seines Neffen und des Hofes

(Kalogreant hat die •eEntehrung•f offenbar nicht weiter ernst genommen, sonst hatte er sie nicht zehn Jahre lang verschwiegen) aus ubermutigem

Tatendrang, aus dem Wunsch, sich hervorzutun. Zwar erwirbt er in der

Folge die Frau des Ermordeten, aber dies entschuldigt sein Vergehen nicht, und nur die Notwendigkeit, den Brunnen zu verteidigen, und die unberechenbare und uberwaltigende Macht der Minne zwingen Laudine, ihm Gehor zu schenken (Hartmann straubt sich merklich gegen die Vor stellungeiner so raschen und krassen Gefuhlswandlung.) Die ubereilte

EheschlieBung erhalt jedoch gleichsam das Plazet der Gesellschaft durch den Besuch des Konigspaares und der Ritterschar in der Burg Laudines,

u nd der fur den Anfang eines Artusromans so typische Zustand des

Scheingluckes ist erreicht.

Mit der Ruckkehr Iweins in die Artuswelt beginnt die eigentliche

Iweinhandlung, und zwar zunachst mit dem Sturz des Helden ins Ungluck.

Wichtig ist hier zu beachten, daB Iwein Laudine nicht aus eigenem Antrieb, sondern hochst widerwillig verlaBt und daB er die ihm auferlegte Frist zwar versaumt, aber nicht, weil er seine Frau vergessen hat. Er ist aus fadenscheinigen Grunden dazu verleitet worden, seine Frau zu verlassen, u nd der Erzahler betont, daB er auch gezwungen wird, die Frist zu uber- schreiten:

man sagt daz min her Gawein in mit guoter handelunge behabte unde betwunge daz er der jarzal vergaz u nd daz gelubede versaz (3052-56).

Er ist sich dieses Vergehens bewuBt, weiB, daB er gegen seine innere

Uberzeugung handelt und benimmt sich schon im voraus, d.h. vor der

Ankunft der Unheilsbotin Lunette, wie ein Entruckter. Da er gegen die eigene Natur handelt, wachst in ihm der innere Zwiespalt, und es heiBt zunachst:

in begreif ein selch riuwe

daz er sin selbes vergaz (3090-1), 92 MichaelS. Batts und dann: er verlossin selbeshulde: wanern mohtedie schulde uf niemenanders gesagen: in het sin selbesswert erslagen (3221-24). Beachtenswertist ferner, daB gerade an diesen Stellen Hartmann nicht etwa die untriuwe, sondern die triuwe Iweins hervorhebt: sin herzewart bevangen mit senlichertriuwe (3088-89), diu versumderiuwe und sin groziutriuwe sinsstaeten muotes (3209-11). Der Ausdruck dieser Selbstentfremdung ist sein Wahnsinn, der auch die- selbstgewollte-AusschlieBung aus der Gesellschaft versinnbildlicht (Konig Artus mochte ihn bezeichnenderweise zuruckholen). Nach der Genesung vom Wahnsinn bleibt er der Gesellschaftfremd, bis er zu sich selbst zuruckgefunden hat. Die erste Tat Iweins nach seiner korperlichen Wiederherstellung, die Befreiung der Grafin, darf als eine Art Dankesbezeugungfur den Samariter dienstaufgefaBt werden, seine zweite Tat, die Befreiung des Lowen, entspringt nur seinem Mitgefuhl fur ein edles Tier, das im Kampf mit dem das Niedrige vertretenden Drachen zu unterliegen droht. Auf die oft diskutierte Bedeutung des Lowen kann hier nicht naher eingegangen werden, doch versinnbildlicht er deutlich genug die staete triuwe und den edlen Charakter Iweins. Wichtiger ist die Feststellung, daB these zwei kurzen, der Haupthandlung vorausgeschicktenEpisoden in gewissem Sinne die Richtung der folgenden Hauptproben festlegen. Bei den ersten zwei folgenden aventiuren ist Iwein namlich personlich verpflichtet, so wie er der Grafin gewissermaBenverpflichtet war; bei den spateren aventiuren handelt er aus reiner Menschlichkeit.Zwischen dem ersten und zweiten Teil liegt als Einschnitt sein zweiter Abschied von Laudine, wobei er, auf personliche Banden verzichtend, sich nur den Ritter mit dem Lowen nennt. Betrachten wir nun der Reihe nach die aventiuren Iweins! Die erste Das Ritterideal in Hartmanns Iwein 93

groBe Bewahrungsprobe ist seine Verteidigung der Lunette. Sie, die fruher ihrer Herrin in Bezug auf Iwein gesagt hatte: nu muezet it min

rihtaere sin (1954), ist nun verurteilt worden; ihre triuwe ist als untriuwe

u nd Verrat ausgelegt worden. Am Artushof konnte sie keinen Verteidiger

finden, denn die einzigen, die in Frage kamen- und Iwein-

waren abwesend, und Iwein ist damit die Moglichkeit gegeben, nicht nur

Lunette sondern auch die Ehre des Hofes und seines Freundes zu verteidi

gen,d.h. seiner Retterin, seinem Freund und seinem Stand triuwe zu sein. Mit dieser Tat will er aber keineswegs an eine Rechtfertigung denken,

obwohl durch seinen Sieg die triuwe Lunettes und damit auch quasi seine

eigene Ehre wiederhergestellt wurden. Ganz im Gegenteil, nachdem er

das falsche Gericht auBer Kraft gesetzt hat, will er uber sich selber als

einen Schuldigen richten. Bei der ersten Begegnung mit Laudine hatte er ihr namlich sein Leben in die Hand gegeben und gesagt:

•cichn mac noch enkan iu gebieten mere wandels noch ere wan rihtet selbe uber mich (2286-89).

Jetzt, da er ihre Huld vcrwirkt hat und es ihr nicht anstunde, ihn zu rich ten,will er sich selber (hin-)richten:

u nd swenne ich iuch erloeset han,

so sol ich mich selben slan

ichn weiz waz ich nu mere tuo wan daz ich it morgen vruo uber mich selben rihte (4227-33).

Bevor er aber Lunette zur Hilfe kommen kann, schiebt sich eine andere aventiure dazwischen, in der es ebenfalls um eine Art Gericht geht, al lerdingsum ein hoses, denn der Vater klagt: wolde er [Harpin] daz rihten uber mich unde lieze den gerich uber min unschuldigen kint (4503-5).

Wiederum hat der Artushof versagt und wiederum darf Iwein seinen Freund Gawain vertreten. Personlich fiuhlt er sich allerdings weniger verpflichtet, und er betont sogar, daB er sich der Sache nur wegen seines 94 MichaelS. Batts Freundes annehme. Er droht, wenn es aussieht, als ob der Riese nicht zur gegebenen Zeit eintreffen wird, fortzugehen, und erst als der Vater ihn anspricht und darauf hinweist: dazgot unserherre im saelde undere baere der barmherzewaere: erbarmeter sich ubersi, dastuende gotes lonbi. (4854-58) kommt er in Gewissensnot. Dass der Riese dann doch rechtzeitigauftritt, scheint den Beweis zu liefern, dass: ...got der guote (der)in uz sinerhuote dannochniht volleclicheenliez (3261-63). Iwein erscheintalso zur rechten Zeit, um Lunette zu verteidigen; diesmal versaumt er den vorgeschriebenenTermin nicht. Es handelt sich dabei um einen regelrechten, wenn auch unritterlich gefuhrten, gerichtlichen 'Zwei- kampf'. Die Unzulassigkeit eines solchen Urteils wird schon hier ange- deutet. Lunette ist falschlichangeklagt worden, aber ihr Verteidiger muss gegen eine starke Ubermacht kampfen. Zwar hat Iwein auch Gott und Recht auf seiner Seite, doch heisst es von Gott in Bezug auf die Gebete der Jungfrauen mit deutlicher Ironie: daz er niemer kunde so manegem suezen munde betlichiu dint versagen (5359-61), und von den Gegnern heisst es:

ouch waren si niuwet zagen die da mit im vahten (5362-63).

Der Kampf bleibt auch bis zum Eingreifen des Lowen unentschieden. Ohne die Hilfe des Lowen hatte Iwein also nicht siegen konnen; mit keinem Wort wird die Moglichkeit erwahnt, dass die im Unrecht stehende Partei eben wegen dieses Unrechtes nicht siegen kann, -es sei denn, man wolle den Lowen als Symbol der gottlichen Fugung verstehen. Diese Einkehr -unerkannt -in der Burg seiner Frau bezeichnet einen Einschnitt im Werdegang Iweins. In den bisher bestandenen aventiuren Das Ritterideal in Hartmanns Iwein 95 verbanden ihn personliche Beziehungen mit den leidenden Menschen: wie er der Grafin seine Genesung verdankte, so verdankte er Lunette seine Rettung; den Kampf gegen den Riesen Harpin nahm er auf, well die Mutter der verschleppten Sohne die Schwester Gawains war. Man kann sagen, daB er damit seinen Verpflichtungen, was die ihm nachst stehendenMenschen anbelangt, Genuge geleistet und die spezifisch- personliche Schuld Laudine gegenuber abgebuBt habe. VerlieB er also fruher die Burg Laudines als ein unfreiwillig an die hofische Konvention

Gebundener, so verlaBt er sie nun als freier Mensch im vollen BewuBtsein seiner und der Welt Unvollkommenheit. Er tragt keinen Namen mehr, sondern stellt sich unpersonlich in den Dienst, nicht der ihm Nahestehenden, sondern der Allgemeinheit. In der Tat hat er noch zwei Proben anderer

Art zu bestehen.

Zunachst handelt es sich nochmals um eine Intervention in einer Sache der Gerechtigkeit und zwar wieder in der Form eines gerichtlichen Zweikam pfes,wobei allerdings Iwein nicht fur sondern-naturlich unbewuBt- gegen Gawain kampfen muB. Aber auch diesmal schiebt sich eine andere aventiure dazwischen, die sein Erscheinen zum Kampftermin verhindern konnte. Die beiden Proben sind insofern ahnlich, als er in keinem der beiden Falle personlich verpflichtet ist; beide Parteien sind ihm unbekannt, desgleichen auch die Gegner. Seine Zusage an die jungere, um ihr Erbe gebrachte, Tochter des Grafen vom Dorn liegt aber auf einer anderen Ebene als seine Zusage an Lunette; dort hatte ihn seine triuwe, hatte ihn die (Dankes-)Schuldigkeit verpflichtet, hier verpflichtet ihn nur die reine

Menschlichkeit, seine nunmehr echt ritterliche Gesinnung. Er nimmt sich der Sache der jungeren Schwester demutig, fast zogernd an und meint:

•cichn habe gnaden niht:

swem mins dienstes not geschiht u nd swer guoter des gert, dern wirt es niemer entwert (6001-4).

Auch die aventiure auf dem SchloB zum Schlimmen Abenteuer steht unter demselben Aspekt: eigentlich will er nicht kampfen, d.h. er sucht keine aventiure, fuhlt sich aber durch den Anblick der leidenden Jungfrauen zum

Kampf verpflichtet. Den versprochenen Lohn schlagt er trotz aller Drohung entschieden und soweit wie moglich, ohne den Gastgeber zu kranken, aus. 96 MichaelS. Batts

Er handelt also in beiden Fallen vollig selbstlos. Die Handlung gipfelt in dem Kampf zwischen Gawain und Iwein, in einem Kampf, der den Gedanken des gerichtlichen Zweikampfes, der gott lichenEntscheidung durch eine Kraftprobe ad absurdum fuhrt, denn hier haben sich die zwei groBten Ritter des Artuskreises zum Kampf ein gefunden.Die altere Schwester vertritt Gawain, der nur unter der einen Bedingung kampft, daB er ungenannt bleibt, vermutlich, weil er die Un gerechtigkeitder ihm anvertrauten Sache einsieht. Iwein seinerseits ver teidigtdie jungere Schwester, muB aber dann gegen seinen besten Freund und sein verehrtes Vorbild kampfen. Hatte der Kampf seinen normalen Verlauf genommen, so hatte er mit dem Tod des einen oder anderen enden mussen, denn der Konig, der offenbar weiB, wo Recht und Unrecht liegen, klammert sich an die Konvention und vermag weder den Kampf von vorn hereinzu unterbinden, noch ihn nach dem ersten ergebnislosen Tag ab brechenzu lassen. Das Absurde dieser Lage liegt darin, daB weder Artus ein Urteil fallen, noch Gawain anscheinend seinen Dienst verweigern kann, und nur die Tatsache, daB Iwein als einziger, Gawain ebenburtiger Gegner seinem Freund entgegentritt, verhindert, daB die ungerechte Sache siege. Erst die gegenseitige (An-)Erkennung und Versicherung des Unterle genseinszwingen den Konig dazu, die altere Schwester durch eine List der Ungerechtigkeit zu uberfuhren. Mit vollen Ehren ist Iwein also wieder in den Artuskreis aufgenommen worden, aber als ein innerlich Gewandelter wagt er nicht, an die Moglichkeit einer Wiedervereinigung mit seiner Frau zu denken. Nur die Sehnsucht treibt ihn zu der Quelle seiner einstigen Freuden zuruck, und eher wie - Verzweiflung mutet es an, wenn er das Unwetter herbeizaubert. Die Tat fuhrt allerdings dann doch zu der ersehnten Versohnung. Dieser SchluBteil ist ofters moniert worden, und wirkt gewiB unbeholfen und konstruiert, wie auch der Anfang des Minneromans, aber das ist eben der Zwang des Stoffes. Hartmann hat sich damit abgefunden und versucht, aus dem ge gebenenMaterial ein moglichst vernunftiges Schema, und fur dieses Schema einen wurdigen Rahmen zu machen, aber dieser bleibt nur ein Rahmen. Am SchiuB legt Iwein denselben Weg zuruck wie am Anfang, aber seine Gesinnung ist eine andere. Auch Laudine, obwohl eine im Vergleich zu Iwein schemenhafte Figur, zeigt sich, nach anfanglicher Entrustung uber Das Ritterideal in Hartmanns Iwein 97

die erlistete Versohung, bereft zuzugeben, daB auch sie sick Iwein gegenuber

verschuldet habe. Am SchiuB also haben wir die Wiederherstellung des

zu Anfang auf unsicherem Boden und daher nicht dauerhaft gebauten

Gluckszustandes.

And ers als bei Erec brach Iweins Welt nicht ganzlich unerwartet zusam

men;er war schon vor der offentlichen Verwunschung uneins mit sich

selbst. Der Wahnsinn ist zugleich bildhafter Ausdruck und Ergebnis der

blitzartigen Einsicht in das •gIrrsinnige•h seines Handelns, und sein Erwachen

ist gleichsam die Wiedergebutrt eines Menschen, dem es vergonnt ist, einen

neuen Weg einzuschlagen, anstatt den getraumten falschen Weg fortzuset

zen.Er verzweifelt zunachst aber und ware diesen Weg vielleicht nicht

gegangen, sondern hatte tatsachlich uber sich selbst den Stab gebrochen, hatte er nicht zufallig erfahren, daB sein Fehler einen anderen Menschen

mit ins Verderben gerissen hatte, einen Menschen, dem er sein Leben ver dankteund den es jetzt galt, aus dem Verderben herauszuhelfen. Als ihm

durch die Begegnung mit Lunette und durch die Harpin-aventiure zum

BewuBtsein kommt, daB uberall in der Welt falsch gerichtet wird, verzichtet

er auf den Selbstmordgedanken.

Auf seinem Weg zur Selbsterkenntnis sieht Iwein uberall das unver

schuldeteLeid, die Herrschaft der nackten Gewalt, er sieht aber auch, daB es Menschen gibt, die bereit sind, sich im Glauben an die Gerechtigkeit zu opfern. Laudine, die allen Grund hat, von Iwein Hilfe zu erwarten,

sagt trotz der Aussichtslosigkeit ihrer Lage, daB er sein Leben ihretwegen nicht riskieren solle, da es im Vergleich zu dem ihrigen wertvoller sei,

d.h. der Ritter als solcher babe eine wichtigere Funktion, eine bedeutendere

Aufgabe zu erfullen. Der Vater der von Harpin verschleppten Sohne ist auch bereft, sich zu opfern, um seine Kinder von dem falschen Gericht zu befreien. Und erst recht die Jungfrau, die sich, ohne Auftrag und ohne den Menschen, dem sie dient, uberhaupt zu kennen, im Dienst der jun gerenSchwester auf den muhsamen Weg macht, Iwein zu suchen, stellt die reine, selbstlose und selbstverstandliche Opferbereitschaft dar. Ahnlich wie Laudine will auch schlieBlich these jungere Schwester, wenn der Kampf zwischen Gawain und Iwein aussichtslos zu werden scheint, lieber auf ihr

Recht verzichten, als daB ihretwegen einer der Kampfenden sterbe.

Ein solcher Verzicht, eine solche Opferbereitschaft aus Grunden der 98 MichaelS. Batts Menschlichkeit darf nicht durch die Banden der Konvention gehemmt wer den;man muB die Form durchbrechen konnen. Auch Iwein war fruher einer solchen unkonventionellen Handlung fahig, als er im Gegensatz zu seinen Freunden die als Botin, aber, wie sie selber zugibt, wohl unstandes- gemaB gekleidet, auftretende Lunette hoflich begruBte. Diese seine Hand lungwurde auch belohnt, indem Lunette ihn spater aus einer lebensgefahr lichenLage rettete. Andererseits halt Iwein zunachst an der konventionellen Auffassung der Aventiure, der unmenschlichen Definition Kalogreants fest und wird dadurch am Tod eines Mitmenschen schuldig. Auch das Versaum nisdes ihm von Laudine vorgeschriebenen Termins bedeutet eher einen Man gelan menschlichem Gefuhl, denn er war sich dessen bewuBt, daB er Lau dinezu einem Zeitpunkt verlieB, als es galt, die besonderen Umstande und nicht das Drangen seiner auf konventionelle Ehre peinlich bedach tenFreunde zu beriucksichtigen, d.h. er hatte sie nicht verlassen sollen. Die MiBachtung der einfachsten Gebote, nicht (oder nicht nur) der Minne, sondern der Menschlichkeit fuhrt die Katastrophe herbei, und Iweins Weg muB ihn zu der Erkenntnis fuhren, daB es nicht darauf ankommt, der Konvention zu gehorchen, sondern diese leere Form menschlich-sinnvoll auszufullen. Die Macht der Konvention ist namlich groB, so groB, daB Artus seine Frau beinahe verliert, denn die Ritter, die die Konigin zuruckholen wollen, werden, obwohl sie eine gerechte Sache verfechten, von dem starkeren Meljakanz besiegt. Die Macht der Konvention ist so groB, daB der Konig es nicht wagt, zugunsten der jungeren, offenbar im Recht stehenden Schwe sterein Urteil zu fallen, sondern zulassen muB, daB der bedeutendste Ritter seines Kreises sich fur die ungerechte Sache einsetzt. AuBerhalb der Gesell schaftgelten diese Bestimmungen aber nicht, sonst hatte Meljakanz nicht die Frau des Konigs verlangen konnen, hatte Iwein nicht gegen drei, spater gegen zwei Gegner kampfen mussen. Das bedeutet, daB die gedankenlose Bewahrung allein der Form zu einer starr konventionellen Auffassung des Ritter- und Aventiurenwesens fuhrt, das deshalb machtlos geworden ist, weil es die anderen miBachten. Hier scheitert sowohl der Artushof im allgemeinen als auch in gewissem Sinne Gawain, denn Gawain wie Iwein sind hervorragende, und das bedeutet in diesem Zusammenhang, kraftigste Vertreter dieser Ordnung, haben aber ihre Kraft falsch gebraucht und ver Das Ritterideal in Hartmanns Iwein 99 schwendet. Gawain wird nicht in dem MaBeschuldig wie Iwein, aber er jagt sozusagen ein Phantom, wahrend leidende Menschenvergebens seine Hilfe suchen.Auf seinem Lauterungsweg sieht Iwein das Leid der Welt, sieht ein, daB es nicht durch die bloBe Innehaltung der Form aus der Welt geschafft werden kann und lernt sich demutig in den Dienst der Schwacherenstellen, und nur in solchemDienst seine Kraft erproben. Mit anderen Worten, er setzt die fur seineprimitive Stufe passende passive Einstellung des Wald menschenin eine dem Rittertum zukommende aktive Lebensauffassung um: swemmins dienstes not geschiht dernwirt es niemerentwert. Die Hartmann vorliegende Fabelwar ein Minneroman, und sein Problem war die Nichtinnehaltung der Minneregeln, die MiBachtung der Form. Hartmann ging es darum, zu zeigen, daB gerade die leere Form, die zur Konvention erstarrte und gedankenlos ausgefuhrte Aventiure, eine Gefahr fur den im Grunde ehrlichen und menschlichdenkenden Ritter darstellt. Die Gewahrung jeder nur formgerecht vorgetragenen Bitte ist sinnlos; ebensowenig sollte man erwarten, daB andere Menschen denselben Sinn fur die Form und fur die Formen der ritterlichen Ordnung besitzen. IIart mannubt bier Kritik an der landlaufigen Vorstellung des Ritterwesens und fordert eine naturliche Menschlichkeit,wie sie eben der Waldmensch auf seiner primitiven Ebene von Natur aus besitzt. Der Iwein ist also keineswegs eine sorglos und mit kuhlem Abstand hingedichtete Artus geschichte,ein Pendant zum Erec. Allerdings ist die Problemstellung weniger deutlich und die Antwort vielschichtig. Zum Teil mag dies an dem Stoff liegen, zum groBeren Teil wohl daran, daB es Hartmann klar geworden war, daB solche Probleme sich nicht eindeutig losen lassen. Deshalb also die noch offenen Fragen, auf die hier nicht eingegangen wer denkonnte (z.B. die problematische Freundschaft zwischen Gawain und Iwein); deshalb wohl auch der unwiderlegbar ironische Grundton des seiner Sache unsicher und um eine endgultige Stellungnahme verlegen gewordenen Erzahlers. Im Grunde genommen fordert Hartmann jedoch eine die leer gewordene Form durchbrechende Menschlichkeit,die der Humanitatslehre Wolframs nahesteht.