Der Kaffeehaus-Trainer
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ONLINE SPORT ONLINE Teamchef Ribbeck, Kapitän Bierhoff (bei der täglichen Pressekonferenz): „Mach, was du aus Erfahrung weißt“ FUSSBALL-EM Der Kaffeehaus-Trainer Die Diskussion um Lothar Matthäus hat offenbart, welche Prioritäten Teamchef Erich Ribbeck setzt: Seine Entscheidungen dienen in erster Linie nicht der deutschen Nationalmannschaft, sondern dem eigenen Image. cheinbar ziellos kurvte Rundfunks endlich seine Schneidearbeit Nirgends zuvor war diese unselige Wen- der deutsche Teamchef unterbrach, um den ratlosen Coach seinem dung so klar erkennbar wie auf jenem Par- Sdurch die Container- Bestimmungsort zuzuführen. kett, auf dem der deutsche EM-Tross seinen landschaft. In Vaals, einer Bei der Medienarbeit ist Ribbeck der Eiertanz um Lothar Matthäus aufführte. niederländischen Grenzstadt wohl gewissenhafteste Nationaltrainer der Im Rückgriff auf den Altstar erschöpft bei Aachen, haben die öf- Welt. Stets auf Außenwirkung bedacht, galt sich bislang Ribbecks ganzes Konzept. Mit fentlich-rechtlichen Fernseh- er seit seiner Bestallung zum Chef der Na- der permanenten Aufstellung seines Pro- anstalten, nahe dem Quartier tionalelf als idealer Verkäufer der leicht tegés weiß er dessen Freunde von der der Nationalmannschaft, ihre angeschlagenen Ware Fußball. Ribbeck „Bild“-Zeitung hinter sich; zudem funkt Studios und Arbeitsbuden schien für die Medien gemacht, wie sei- Matthäus fußballstrategisch auf Ribbecks aufgebaut – und Erich Ribbeck meinte sich nerzeit der Hustinettenbär von PR-Strate- Wellenlänge. Auf die Frage eines ameri- erinnern zu können, dort einen Interview- gen seiner Firma erfunden. kanischen CNN-Reporters nach der Tak- termin zu haben. „Hier sollte was aufge- Nur muss sich das Wirken des geschul- tik geriet der Wahl-New-Yorker auf dem zeichnet werden“, brummte er also zwei ten Öffentlichkeitsarbeiters Ribbeck, das holländischen Trainingsplatz ins Philoso- Tage vor dem zweiten Spiel seiner Elf bei zeigten die Tage in Vaals in der ersten Tur- phische: „What is the tactic? If you have der Europameisterschaft in das erstbeste nierwoche deutlich, inzwischen irgendwie luck, you can win.“ Büro hinein. verselbständigt haben: Wenn er als Trainer Nur war der Lothar nun, für die meisten Doch niemand fühlte sich zuständig. Entscheidungen trifft, dienen die nicht in Beobachter nicht überraschend, in die Bre- Ribbeck war wohl deutlich zu früh. Und so erster Linie dem Ansehen der Mannschaft, douille gekommen. Zu Turnierbeginn wirk- wartete der Vorarbeiter der DFB-Elf ge- sondern dem eigenen Image. Ribbeck ver- te er nicht mehr ausreichend vital – alt, duldig, bis ein Reporter des Westdeutschen kauft sich selbst. langsam, schwindelig. 92 der spiegel 25/2000 Sport Weil das Gestolper des Dienst- ich jetzt das mache, was ich heute gelesen gerade durch den Kopf geht. Dann sagt er ältesten schon im ersten Grup- habe, dann lese ich morgen, dass ich ein es einfach. Zum Beispiel das: „Ich kann penspiel gegen Rumänien beina- Umfaller bin. mir als Verantwortlicher nicht erlau- he ins Verderben geführt hätte, DFB-Delegationsleiter Gerhard Mayer- ben, subjektiv an die Dinge heranzugehen. zog über dem Mannschaftshotel Vorfelder glaubt die verwinkelten Denk- Ich bin dazu verpflichtet, sie objektiv zu Vaalsbroek das Unheil auf. Ob der vorgänge Ribbecks dechiffriert zu haben: sehen.“ in diesen Tagen gewohnheits- „Er will auch nicht dastehen als jemand, Deshalb gehen auch die Ratschläge, die mäßig übel gelaunte Torwart Oli- der dem Druck der öffentlichen Meinung er von wohlmeinenden Menschen im DFB- ver Kahn eine Systemänderung nachgegeben hätte.“ So war fast zwangs- Lager empfängt, verlässlich ins Leere. We- anmahnte oder der gemeinhin läufig aus der mit großem Trommelwirbel der für den Hinweis eines Spielers („Neh- arglose Mehmet Scholl eilig nach angekündigten Mannschaftssitzung am Mitt- men Sie doch den Nowotny als Libero“) einer Krisensitzung verlangte – woch vergangener Woche zügig die Luft noch eines Angehörigen des deutschen selten hatte es in einem deutschen raus. Es habe „noch nie“ einen Trainer ge- Stabs („Matthäus raus, Ziege raus, Bier- Quartier so früh gekokelt wie jetzt geben, „der so auf seine Medienwirkung hoff raus“) war Ribbeck unmittelbar nach in dem feinen Schloss auf hollän- bedacht“ sei wie Erich Ribbeck, sagt einer dem Auftaktspiel erreichbar. discher Kuhweide. der Abwehrspieler. Dagegen sei mit eigenen Nichts ist dem Teamchef wichtiger, als Auch die Medienschaffenden Forderungen nicht anzukommen. „Die Al- den Eindruck zu hinterlassen, das Copy- fanden verblüffend rasch zu ver- ternative wäre nur eine Revolte gewesen.“ right jeder Idee liege bei ihm. So war das auch bei der kurzfristigen Rückkehr des vom Fan-Volk umschmusten Thomas Häßler. Den hatten, mit großer Mehrheit, die Leser der „Bild“-Zeitung vorgeschla- gen, doch beinahe hätte Kapitän Bierhoff das Comeback noch vereitelt. Als nämlich auch der Stürmer öffentlich die Mitreise des kleinen Flankengebers empfahl, war das Ribbeck zu viel der Hil- festellung. Bierhoff handelte sich für un- gebetenes Soufflieren eine Rüge ein. Vor allem in Zeiten, da sich der 600000- Mark-Trainer des DFB „als Flasche hinge- stellt“ sieht, ist ihm jede Unterstützung suspekt. Sie könnte ihm, wie im Februar der Schwall von Wortmeldungen zur Halb- zeit des Testspiels gegen Holland, ja als Autoritätsverlust ausgelegt werden. Damals beeilte er sich, nachträglich klarzustellen: „Es hieß ja, der Oliver Bierhoff hat für Ruhe gesorgt in der Kabine. Dann sagt der Lothar Matthäus: Ich habe für Ruhe gesorgt. Und ich sage: Ich habe für Ruhe gesorgt.“ Denn von Belang ist für den Populisten durchaus, was am nächsten Morgen ge- schrieben steht. An fast jedem Trainingstag wertet er mit Hilfe der Mannschaft die Zei- tungen aus und erkundigt sich nach dem M. GILLIAR / GES M. GILLIAR Ursprung der gedruckten Spielerzitate. Auswechselspieler Matthäus, Kollegen*: „Lothar, hör auf“ Diese Praxis hat Ribbeck aus seiner Münchner Trainerzeit in den Alltag der lagsübergreifender Einigkeit. „Lothar, hör Das Chaos, das Lothar Matthäus im DFB-Auswahl überführt. Damals, beim FC auf“, bellte der Kölner „Express“, die Spiel gegen Rumänien über seine Elf brach- Bayern, nannte der Spieler Thomas Strunz „FAZ“ schwang sich zum Verteidigungsmi- te, wurde deshalb von Ribbeck in ein die morgendliche Presseschau, in Anleh- nister des deutschen Nationalfußballs em- Mannschaftschaos verkehrt. Jeden Ansatz nung an Werner Höfers TV-Sonntagszir- por: „Matthäus ist ein Sicherheitsrisiko.“ von Kritik an seinem Günstling drehte der kel, den „internationalen Frühschoppen“. Na und? Die Wucht des Widerstands Trainer gegen den, der die Kritik wagt. „Es Solche Public-Relations-Fähigkeiten wa- prallte an Erich Ribbeck ab. Gerade weil er gibt ja Seilschaften“, sagt er dann und lässt ren durchaus gewünscht, als der DFB im so gern in der Zeitung liest, hört er ungern dabei das rechte Augenlid fallen, was so Herbst 1998 den gebürtigen Wuppertaler darauf, was drinsteht. Nicht weil er vom wirkt, als wolle er seinem Publikum ein berief. Vorgänger Berti Vogts hatte lang Geist der Opposition getrieben wäre – er fettes Geheimnis zukniepen. genug Defizite in der Außendarstellung meint vielmehr, die Mechanismen des Me- „Seilschaften“. Dass es tatsächlich Seil- offenbart. dienberufs aus dem Effeff zu kennen. schaften geben könnte in dieser Mann- Klar war damals aber auch: Anders als Deshalb denkt der Teamchef, wann im- schaft, ist zwar schon deshalb Unfug, weil Vogts zeigt der Diplomsportlehrer, den das mer er gezwungen wird, Entscheidungen ihr die Köpfe fehlen, die Seilschaften Spottmaul Max Merkel einst als „Erfinder zu treffen, schon an die Ausgaben des kom- führen könnten. Ribbeck sagt trotzdem der 13-Stunden-Woche“ verhöhnte, nur menden Tages und meint bei sich: Wenn „Seilschaften“, weil es gut klingt. überschaubares spieltaktisches Interesse. Gelegentlich kommt es auch vor, dass So habe keiner aus dem Nationalteam * Im ersten Europameisterschaftsspiel am 12. Juni gegen der Abkömmling einer Pastorenfamilie persönlich etwas gegen ihn, berichtet einer Rumänien (1:1) in Lüttich. bloß meint, es könnte gut klingen, was ihm aus Ribbecks Aufgebot. Gelegentliches Un- der spiegel 25/2000 93 Sport behagen sei mehr als kollektiver „Hilferuf Seine Phantasie verbraucht sich so mitun- nach einem Konzept“ zu deuten. Wer auf ter in Überlegungen, die vermeiden sol- dem Feld wohin zu laufen habe, wisse mit- len, dass er zum Gegenstand öffentlicher unter „so richtig“ keiner, schon gar nicht, Debatten wird. wohin genau der Fluss des Spiels den Ka- Etwas sonderbar wirkte beispielswei- meraden Matthäus spült. Den angejahrten se Ribbecks Performance beim Auftritt Libero soll der Teamchef in der Mann- der Deutschen gegen die spanische Mann- schaftssitzung bündig angewiesen haben: schaft von Real Mallorca. Es war immerhin „Mach, was du aus Erfahrung weißt.“ das drittletzte Testspiel vor dem großen Aus Italien kenne er das alles anders, Turnier und mithin schon eine ernste klagt der Wahl-Mailänder Bierhoff. „Da Angelegenheit. kommt erst das System, Aus Furcht vor einer und dann werden die Blamage wollte Ribbeck Spieler danach ausge- eine Live-Übertragung sucht.“ im ZDF ursprünglich Erich Ribbeck stellt unterbinden. Weil sich hingegen für die Natio- das aber nicht durch- nalmannschaft in diesen setzen ließ, bat er die EM-Tagen dar, was Die- Fernsehschaffenden, ihn ter Kürten für das ZDF mehrfach – gegen jedes ist, wenn er aus einer fei- Trainerethos – am Spiel- nen Amsterdamer Kon- feldrand live zu inter- ditorei heraus spricht: viewen. Das wirkte Der Teamchef tritt wie höchst