Herzlos in Hannover Vor Der Woche Der Bewährung Gab Sich Der Bundeskanzler Hart
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Deutschland SPD Herzlos in Hannover Vor der Woche der Bewährung gab sich der Bundeskanzler hart. Ohne wesentliche Abstriche will er seine Reform-Agenda durchsetzen, die Parteilinke soll mit Placebos beruhigt werden. Doch das kann nur kurzfristig gelingen, denn im Herbst stehen noch härtere Einschnitte an. er in der vorigen Woche das neue Gefährlicher für Schröder sind allerdings Walter Steinmeier gehörte. Scholz trug vor, Deutschland, die Republik der die zwölf Widerborstigen aus der SPD- dass die Medien den Unmut überzeichnen Weisernen Reformer, sehen wollte, Fraktion, die für ein Mitgliedervotum würden. Das Nachrichtenloch um Ostern musste seinen Blick nach Hannover wen- kämpfen und zudem die rot-grüne Mehr- habe die Aufmerksamkeit für die Rebel- den. Vor einem Reihenhaus mit Gärtchen heit im Bundestag gefährden. Sie wollen len stark vergrößert. Er rechne mit einer standen der ehemalige Gewerkschafts- verhindern, dass die Sozialleistungen aus- Beruhigung nach Ende der Osterferien in kanzler Gerhard Schröder, der frühere gedünnt werden (siehe Seite 34). dieser Woche. Gabriels Idee einer eigenen Betonkopf Franz Müntefering sowie der Heftiger wurde Schröder noch nie von Reform-Agenda wurde von den vier Her- Bremser a. D. Olaf Scholz und gaben sich seiner Partei herausgefordert, und diese ren als „befremdlicher Vorgang“ registriert. als unerschrockene Modernisierer. Von der Woche steht er vor entscheidenden Prü- Da mit wirklich großem Widerstand „Agenda 2010“ würden keine wesentlichen fungen auf dem Weg zum Sonderparteitag nicht zu rechnen sei, legten sich Schröder Abstriche gemacht, verkündete der Regie- am 1. Juni. Am Montag muss er den Par- und Scholz bald auf Härte fest. Es gebe rungschef, und seine beiden Helfer guckten teivorstand hinter sich versammeln und in kein Zurück hinter die Linie der Kanzler- ihm reformfreudig zu. Bonn die erste Regionalkonferenz zu den rede vom 14. März. Müntefering warb für Auch wenn es überraschen mag, aber Reformen bestehen. Er muss eine Balance Kompromisse mit der Parteilinken. Ein we- Müntefering und Scholz sind nun die Hoff- finden zwischen rhetorischem Entgegen- sentliches Zugeständnis an ihn: Er wird nungsträger für alle, die sich nach einem kommen und Härte in der Sache. beim Parteitag die wichtige Antragskom- Aufbruch in Deutschland sehnen. Sie sol- Verprellt er die Partei, ist seine Kanzler- mission leiten. len die SPD für den Kanzler auf Reform- schaft gefährdet. Knickt er ein, schwindet Zwischendurch aß man Schlachtplatte, kurs trimmen. Vergangene Woche taten sie die letzte Hoffnung auf eine bessere Positi- dazu gab es Rotwein und Bier. Scholz wur- es mit Eifer – auch im eigenen Interesse. on der Bundesrepublik im internationalen de beauftragt, bis Samstagabend ein Pa- Nicht zuletzt ihre Versäumnisse haben Wettbewerb. Jüngst korrigierte die OECD pier auszuarbeiten, in dem der SPD-Linken Schröder den offenen Widerstand eines die Wachstumsprognose für Deutschland ein paar Placebos zur Beruhigung angebo- größeren Teils der Partei beschert. Seit die auf nur noch 0,3 Prozent in diesem Jahr, ten werden. Es soll Grundlage sein für Kriegshandlungen im Irak beendet sind, viel zu wenig für neue Jobs. Es droht ein Schröders Rede vor dem Parteivorstand. schwindet die Solidarität mit dem Frie- Winter mit fünf Millionen Arbeitslosen. Vor allem bei der umstrittenen Ausbil- denskanzler. Die Basis murrt, und ein paar Vor diesem Hintergrund lässt der Kanz- dungsabgabe für Unternehmen, beim Kün- abgehalfterte Parteigrößen schimpfen, am ler Generalsekretär Scholz und Fraktions- digungsschutz und bei den Investitionen lautesten die ehemaligen Vorsitzenden chef Müntefering um seine Reformen für Kommunen sah das Quartett noch Björn Engholm und Oskar Lafontaine so- kämpfen. Im Esszimmer von Schröders Spielräume, den Parteilinken entgegenzu- wie Niedersachsens abgewählter Minister- Reihenhaus legten sie vorigen Donnerstag kommen, weniger in puncto Kranken- oder präsident Sigmar Gabriel, der sogar eine ei- die Linie für die kommende Woche fest. Arbeitslosengeld. gene Reform-Agenda vorstellen will (siehe Fünf Stunden lang debattierte die Run- Darüber hinaus jedoch schien Schröder Seite 30). de, zu der auch Kanzleramtschef Frank- bis zum Wochenende entschlossen, den Sonntagsfrage „Welche Partei würden Sie wählen, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre?“ 2002 2003 Bundes- tagswahl 45% September 46 46 2002 38,5 40% 38,5 32 35% Quellen: NFO 30 Infratest und 30% Infratest dimap für die ARD 8.– 9. 22.– 23. O N D J F M April SASCHA RHEKER / ATTENZIONE SASCHA MATTHIAS HIEKEL / DPA MATTHIAS Kanzler-Kritiker Peters, Lafontaine: Widerstand gegen die Reformen ist auch ein Heischen um Aufmerksamkeit 24 der spiegel 18/2003 ACTION PRESS Sozialdemokraten Scholz, Schröder, Müntefering (vor dem Haus des Kanzlers in Hannover): Unerschrockene Modernisierer Basta-Kanzler zu geben. Mit konsequenter die Treue. Ihn treiben wohl Sorgen um eine Intensiv feilten die Parteistrategen des- Haltung, so hat er in den vergangenen Mo- Chaotisierung der Partei und die Zukunft halb an einem Drehbuch für den symbo- naten erfahren, lässt sich durchaus erfolg- der Regierung, falls Schröder von den Ge- lisch aufgeladenen Konvent. Eine halbe reich Politik machen. So hat er dem US-Prä- nossen gedemütigt werden sollte. „Wenn Stunde lang will Gerhard Schröder – frei sidenten George W. Bush unter viel Beifall das Mitgliederbegehren durchkäme, wären und ohne Manuskript – seine Agenda er- die Stirn geboten, und auch für seine Ent- wir zwei Jahre lang handlungsunfähig“, läutern. Assistieren sollen ihm Wirt- scheidung, das Bündnis für Arbeit kurzer- sagt er. schaftsminister Clement sowie die Lan- hand aufzulösen, erntete er Zustimmung. Auch Parteimanager Scholz ist nicht ge- desvorsitzenden Schartau (NRW), Kurt Vorige Woche allerdings hielt er sich in rade auf dem Höhepunkt seines Ansehens. Beck (Rheinland-Pfalz) und Heiko Maas der Öffentlichkeit weitgehend zurück und „Jetzt stehen alle in der Verpflichtung, ins- (Saarland). Subtil wurde insbesondere beobachtete von der Toskana aus, wie besondere der Generalsekretär“, tönte der Maas vergangene Woche übermittelt, er Müntefering und Scholz nach Wegen aus Sprecher des Schröder-nahen Seeheimer solle eine „exponierte Rede“ halten. der Krise suchten. Kreises, Reinhold Robbe. Kollegin Susanne Sprich: Denk an deine Karriere. Beide verbrachten Stunden um Stunden Kastner, Vizepräsidentin des Bundestags, Dass die Bonner Versammlung die Er- am Telefon oder in Vis-à-vis-Gesprächen, wurde deutlicher: „Scholz kriegt nichts auf regung dämpfen kann, scheint fraglich. Un- beschworen und besäuselten die Parteilin- die Reihe. Der soll in die Hufe kommen.“ sortiert wie selten zuvor in den letzten vier ke, um Möglichkeiten einer Annäherung Beistand erhielten die Seeheimer aus- Jahren reden die Genossen durcheinander, auszuloten. Müntefering fühlte sich be- gerechnet von der linken hessischen Lan- seitdem ein paar Rebellen kurz vor Ostern sonders in der Pflicht, weil ihm entgangen desvorsitzenden Andrea Ypsilanti: „Scholz das Mitgliederbegehren ausgeheckt haben. war, wie in seiner Fraktion der Zorn ku- hätte dem Bundeskanzler viel mehr ver- Bis zum Wochenende brachten sie es ge- mulierte. Nur eine Menge Kredit in Partei, mitteln müssen, was los ist an der Basis.“ rade mal auf tausend Zuschriften, auch Öffentlichkeit und beim Kanzler bewahrten Die Nervosität in der Partei ist groß, die weil die Unterstützung der Gewerkschaften ihn bisher vor einem Scherbengericht. Vielstimmigkeit auch. Vor der Regional- fehlt. Zwar hatte der Vizechef der IG Me- Gleichzeitig muss er den eigenen Wan- konferenz in Bonn teilte Nordrhein-West- tall, Jürgen Peters, angekündigt, seine Or- del verkraften. Bis zur Kanzlerrede am 14. falens Landeschef Harald Schartau mit, sei- ganisation werde den Aufstand unterstüt- März war er die Galionsfigur der traditio- ne Delegierten würden Schröders Reform- zen. Aber er wurde schriftlich von seinem nellen Sozialdemokratie und hatte gegen paket vorbehaltlos unterstützen. Zugleich Vorsitzenden Klaus Zwickel zur partei- die Reformpläne von Wirtschaftsminister machte im Willy-Brandt-Haus das Gerücht politischen Neutralität ermahnt. Wolfgang Clement gemuckt. Nun aber sagt die Runde, aus dem renitenten Saarland Gleichwohl fachten die Rebellen eine er, „neoliberal“ sei ein Kampfbegriff, mit könnte sich eine große Anzahl zorniger Debatte neu an, die von der Friedensselig- dem auch er wenig anfangen könne. Genossen auf den Weg nach Bonn machen. keit während des Irak-Kriegs verdrängt Obwohl er sich intern immer noch für ei- Tatsächlich hatten die aber Mühe, genug worden war. Die Linke diskutiert dabei nen Kompromiss stark macht, hält Münte- Leute zu finden, um zwei Busse zur Re- auch mit sich selbst. Nicht alle sind für ein fering dem Kanzler öffentlich mehr denn je gionalkonferenz schicken zu können. Mitgliederbegehren. Mit einem elfseitigen der spiegel 18/2003 25 Deutschland Papier, reformbereit zum einen, defensiv zum anderen, griffen Fraktionsvize Ger- not Erler und ein paar Verbündete in die Debatte ein. „Der Kanzler muss Gespräche „Alles war Unsinn“ mit uns führen“, fordert Erler. Da bricht die ewige Verletzung der Lin- Eine schrumpfende und alternde Bevölkerung macht es nötig: Die ken neu auf. Sie fühlen sich den Pragmati- Renten werden um einen „Nachhaltigkeitsfaktor“ gekürzt. kern intellektuell überlegen, stehen aber meist im Abseits, weil Politik vor allem ein or der Bundestagswahl 1998 jetzt sinken, weil zu wenig Kinder ge- Machtspiel ist. Deshalb ist der Widerstand empfahlen sich die Sozialde- boren werden.