Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

WILHELM SCHLINK

Verletzliche Gesichter Bildnisse deutscher Künstler im 19. Jahrhundert

Originalbeitrag erschienen in: Freiburger Universitätsblätter H. 132 (1996), S. 131-151

Wilhelm Schlink

Verletzliche Gesichter

Bildnisse deutscher Künstler im 19. Jahrhundert

Zu neuen Gattungen des Bildnisses hat die Malerei des 19. Jhdts. nicht gefunden. Alle hatte es schon vorher gegeben: das Familienbildnis, das Kinderbildnis, das Künstler- und Künstlerinnen- selbstbildnis, das Herrscherbildnis, das Ehegattenbildnis, das Freundschaftsbildnis, das Amtsträgerbildnis usw. Die Kunst des ausgehenden 18. Jhdts. hatte mit großartigen Leistungen – besonders in England (Gainsborough) und Frankreich (Houdon und David) – um die Anerkennung und den Rang der Portraitkunst gekämpft. Den Künstlern des 19. Jhdts. hingegen war das Portrait zumeist eine Last, – als typische Auftragskunst fragwürdig, allenfalls der sicheren und prompten Bezahlung wegen geschätzt. Das abnehmende Interesse der Künstler am Portrait spiegelt sich in der Kunsttheorie. Noch 1774 hatte Johann Georg Sulzer in seiner Allgemeinen Theorie der Schönen Künste „die Würde und den Rang, der dem Portrait unter den Werken der Mahlerey gebühret“, als „unmittelbar neben der Historie stehend“ bestimmt: „Ein jedes vollkommene Portrait ist ein wichtiges Gemählde, weil es uns eine menschliche Seele von eigenem persönlichem Charakter zu erkennen giebt. Wir sehen in demselben ein Wesen, in welchem Verstand, Neigungen, Gesinnungen, Leidenschaften, gute und schlimme Eigenschaften des Geistes und des Herzens auf eine ihm eigene und besondere Art gemischt sind. Dieses sehen wir sogar im Portrait meistentheils besser, als in der Natur selbst; weil hier nichts beständig, sondern schnell vorübergehend und abwechselnd ist: Zu geschweigen, daß wir selten in der Natur die Gesichter in dem vortheilhaften Lichte sehen, in welches der geschickte Mahler es gestellt hat.“1 Es war diese idealistische, gleichwohl die Individualität achtende Auffassung der physiognomischen Erscheingung des Menschen, die Anton Graff (1736-1813) – den Schwiegersohn Joh. Caspar Lavaters – und Angelika Kauffmann (1741-1807) ihre beseelten und belebten Portraits malen ließ. Um die Mitte des 19. Jhdts. ist von Sulzers emphatischem Lob der Portraitkunst nichts mehr übriggeblieben. Friedrich Theodor Vischer, der Tübinger Philosoph, vermerkt in seiner ‘Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen’, die Portraitmalerei sei ein „zwischen echter, freier Kunst und unfreiem Dienst schwankendes Gebiet“. Nur im Sinne des aufkommenden Denkmalkultes mag er dem Portrait eine höhere Geltung zukommen lassen: „Die Geschichte ersetzt, soweit sie kann, den Mythos, der geschichtliche Held des sagenhaften, die Fülle großer Menschen den Gott, der seinen Geist über sie ausgegossen.“2 Die Galerie der großen, von Gott gesandten Zeigenossen wird zur Aufgabe des kaiserzeitlichen Bildungsbürgertums an die Maler. Franz Lenbach vor allem hat diese Aufgabe erfüllt: im original großen

1 Johann Georg Sulzer, Allgemeine Theorie der Schönen Künste, 2. Auflage, Leipzig 1792-99, Band 3, S. 718ff. 2 Friedrich Theodor Vischer, Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen, 2. Auflage, hrsg. von Robert Vischer, München 1923, Band 4, S. 391 ff. (§ 708) 132

Vierfarbendruck des Seemann-Verlags hingen binnen kurzem Bildnisse von Richard Wagner, Fürst Bismarck, Graf Moltke und Kaiser Wilhelm I in jedem deutschen Herrenzimmer. Lenbach war kein schlechter Portraitist, auch wenn er regelmäßig nach Photographien arbeitete; seine Anleihen bei der Portraitkunst Rembrandts und Frans Hals’ verschafften seinem Bismarck-Portraits eine Aura, die allen Deutschen das Herz höher schlagen ließ. Aber ebenso sicher ist, daß sein Bismarck jede Unmittelbarkeit des Ausdrucks verloren hat; „eine menschliche Seele von eigenem persönlichen Charakter“, wie Sulzer es gefordert hatte, geben Lenbachs Bismarck-Bildnisse nicht zu erkennen, – ebensowenig wie die zahlreichen Schiller- und Goethedenkmäler, die im ausgehenden 19. Jhdt. errichtet wurden. In einem Vortrag des Jahres 1885 sagte Jacob Burckhardt über die Portraitmalerei: „Sie ist ein Zweig der Malerei, der im Absterben begriffen ist. Wir stehen der Portraitmalerei im Grunde schon wie einem historisch abgeschlossenen Ganzen gegenüber.“3 Burckhardt sollte nicht recht behalten. Das Aufkommen der Photographie hatte ihn voreilig zu Kassandrarufen verführt. Die Portraitkunst des 20. Jhdts. – Ernst Ludwig Kirchner, Otto Dix und Arnulf Rainer seien nur stellvertretend für viele genannt – fand zu einer neuen, angriffigen, ätzenden, ja verzweifelten Auseinandersetzung mit dem fremd gewordenen Menschenantlitz, – und sei es das eigene. Aber für die Bildnismalerei des 19. Jhdts. traf Burckhardts Urteil zu. Das Portrait war genauso in den Strudel historistischer Tendenzen und Moden gezogen worden, wie andere Kunstgattungen auch. Für neue Typen des Portraits, – für die Entdeckung neuer physiognomischer Charaktere gab es da keinen Raum. Es ist daher wenig sinnvoll, die Geschichte des Portraits im 19. Jhdt. darzustellen. Es gibt ausgesprochen schöne und eindrückliche Bildnisse von Philipp Otto Runge, von Wilhelm Schadow, von (Marie Freifrau von Bernus im Frankfurter Städel), von Max Liebermann und vielen anderen, und doch sind dies

3 Jacob Burckhardt, Die Anfänge der neueren Portraitmalerei, Vortrag vom 10. März 1885, in; J.B., Vorträge 1844-1887, hrsg. von Emil Dürr, 2. Auflage, Basel 1918, S. 266. 133

vereinzelte Glücksfälle, die uns nie darüber hinwegtäuschen, daß der Maler nur mit Mühe in eine ihm grundsätzlich fremd gewordene Aufgabe sich zu fügen suchte. So will ich denn nur von zwei Künstlern und von zwei Bildnisgruppen sprechen, bei denen ich den Eindruck habe, daß mit ihnen etwas Neues, auf jeden Fall etwas Irritierendes geschaffen worden sei: den Bildniszeichnungen Karl Philipp Fohrs zum ‘Café Greco’ und den Selbstbildnissen Hans von Marées’. * * *

Der 1795 in geborene Karl Philipp Fohr kam 1816 nach Rom, um sich als Landschaftsmaler auszubilden. Zwei Jahre später, am 29. Juni 1818, ertrank er beim Baden im Tiber.4 Wie nahezu alle Deutschrömer war er in ständiger Geldverlegenheit. Um diesem Übel abzuhelfen, faßte er den Entschluß, die deutsche Künstlerkolonie in einem großen Stich wiederzugeben und diesen an Reisende und Kunstfreunde zu verkaufen. Ein eigentümliches Unter- fangen, denn Fohr war dem Fach nach weder Historienmaler noch Genremaler oder Portraitist, sondern – wie gesagt – Landschaftsmaler. Als solcher hatte er mit seinen Neckartallandschaften debutiert, und sein letztes, nicht ganz vollendetes Bild von 1818 war eine ‘italienische Landschaft mit Hirten’ (im Besitz des Prinzen von Hessen). Fohrs erster erhaltener Entwurf (Abb. 1) zeigt die deutschen Künstler in Rom in ihrem Stammlokal, dem Café Greco an der via Condotti nahe der Piazza di Spagna, wo man sich bis zu drei mal am Tag traf. Der Blick ist aus der Tiefe des Cafés gegen den Vorraum und die via Condotti gewählt. Es handelt sich um eine bloße Kompositionsskizze ohne beigefügte Namen der Dargestellten und ohne erkennbare Physiognomien. Den Zeichner intessiert die Verteilung der Gruppen und die Unterbringung der hohen Personenzahl. Aus den Jahreslisten ‘Deutscher Künstler in Rom’, die der Bayerische Bildhauer und Kunstagent Johann Martin

4 Zu Fohr zuletzt: Sigrid Dirkmann, Carl Philipp Fohr (1795-1818), Studien zu den Landschaften, u.a.O. (Monographien zur Bildenden Kunst, hrsg. von Jürg Meyer zur Capellen, Band 1) 1993. Wichtig nach wie vor die ältere Literatur: Das Leben des Malers Karl Fohr, geschrieben von Prof. Ph. Dieffenbach, erstmalig gedruckt 1823, neuherausgegeben von Rudolf Schrey, Frankfurt a.M. 1918; Kuno Graf von Hardenberg und Edmund Schilling, Karl Philipp Fohr; Leben und Werk eines deutschen Malers der Romantik, Freiburg i.B. 1925. 134

von Wagner führte,5 wissen wir, daß sich im Jahre 1817 82 deutsche Künstler in Rom aufhielten; Fohr konnte aber bestenfalls 52 Köpfe in seinem Gruppenbildnis unterbringen. Er skizziert die Figuren unbekleidet; darin waren ihm Raphael und Poussin vorausgegangen. Im Zentrum der Komposition steht der Zeichner selbst – mitsamt dem Hund Grimsel, der mit ihm die Alpen überquert hatte. Aus Detailzeichnungen zur Mittelgruppe wissen wir, daß Fohr sich mit den Lukasbrüdern Overbeck, Cornelius und Rehbenitz unterhält. Der zweite Entwurf aus dem Jahre 1817 stellt die Komposition um. Fohr und die Lukasbrüder stehen nun nicht mehr im Zentrum des Bildes, während die anderen seitlich sitzen, in den Raum hineindrängen oder mit einer bloßen Gruppensilhouette im Hintergrund vorlieb nehmen müssen. Fohr entwickelt die Komposition nun bipolar: links die alteingesessenen Deutschrömer um den Maler bei Konservation und Pfeifenrauchen, rechts die Neudeutschen, die Nazarener, mit ihren Freunden, eher schweigend ins Schachspiel vertieft (Abb. 2). Die Zahl der skizzenmäßig Dargestellten erreicht – wie beim ersten Entwurf – um die fünfzig. Ein paar der Dargestellten müssen namentlich hervorgehoben werden. Ganz links sitzt Ernst Zacharias Platner, seit 1804 als wenig erfolgreicher, unglücklicher Historienmaler in Rom ansässig. 1818 gab er die Malerei auf und trieb geschichtliche und antiquarische Studien, die schließlich 1830 in seiner dreibändigen ‘Beschreibung der Stadt Rom’, einer der meistgelesenen Rombeschreibungen des 19. Jhdts., niedergelegt wurden. Zwischen ihm und Koch, etwas zusammengesunken, der damals 55-jährige bayerische Bildhauer und Kunstagent Konrad Eberhard, seit 1806 in Rom ansässig; zunächst von Canova und Thorvaldsen beeinflußt, trat er zu aller Überraschung 1818 – d.h. ein Jahr nach Fohrs Entwurf – in

5 Manuskript Johann Martin von Wagners in seinen Nachlaß- konvoluten, Martin von Wagner- Museum der Universität Würzburg. 135

den Lukasbund ein und gestaltete hinfort nurmehr christliche Stoffe. Joseph Anton Koch sitzt zurecht im Zentrum der linken Gruppe; als Landschaftsmaler ist er noch heute besser bekannt und höher geschätzt als jeder andere seines Kreises. Seit 1795 in Rom ansässig und seit 1806 mit einer Italienerin aus Olevano verheiratet, galt er als der unbestrittene Mittelpunkt und Senior der deutschen Künstlerkolonie. Ihm vis-à-vis Johann Martin von Rohden, Landschaftsmaler aus Kassel, der als Siebzehnjähriger im Jahre 1795 in Rom angekommen war. Über Koch und von Rohden, mit den ausgeführtesten Gesichtszügen, der Badische Architekt Kaspar Waldmann, ein Weinbrenner- Schüler. Und schließlich die ganze linke Gruppe überragend die hühnenhafte Gestalt des Dichters Friedrich Rückert, des wortreichen Verfertigers vaterländischer Gedichte im Alter von 30 Jahren. Viele der Köpfe sind so weit ausgeführt, daß man annehmen muß, Fohr habe sich bereits genaue Bildniszeichnungen der Betreffenden angefertigt, die in den Kompositionsentwurf eingehen konnten. Tatsächlich bewahrt das Kurpfälzische Museum in Heidelberg eine große Zahl solcher Bildnisstudien. Martin von Rohden ist dort in zwei Zeichnungen überliefert, einmal en face und einmal im Profil (Abb. 3). Ein anderes Studienblatt setzt die Köpfe von Rückert (rechts), Karl Barth (Zeichner und Kupferstecher, links) und dem Architekten Johann Buck auf Lücke (Abb. 4). Für den zweiten Kompositionsentwurf behält Fohr den im Studienblatt gewählten Ansichtswinkel der Köpfe bei; aus den beiden Skizzen von Rohdens wählt er die Profilansicht, damit durch ihn die Gruppe um Koch nach rechts geschlossen sei und das Gespräch um Koch auf diesen zentriert werde. Aus der Dreierstudie wird das verlorene Profil Rückerts etwas geneigt und Architekt Buck in den ‘Graben’ zwischen den vorn Sitzenden und den hinten Stehenden verbannt, aber die gespeicherten Physiognomien als solche bleiben intakt. Das Dreierblatt ist kein Freundschaftsbild, kein romantisches Stammbuchblatt, sondern ein zufällig zusammengekommenes Gefüge beziehungsloser Physiognomien; dabei bleibt es auch bei der Übernahme in den Kompositionsentwurf. Da sie als Einzelne gezeichnet wurden, wirken sie merkwürdig steif, zwischen Freunden ‘eingefroren’, wie auf Lücke gesetzt. 136

Die Personen der rechten Blatthälfte sind nur mit Mühe am Umriß ihrer Physiognomie oder an den flüchtig beigeschriebenen Namen zu erkennen. Die Nazarener Rehbenitz, Overbeck und Johann Philipp Veit sitzen am Tisch. Peter Cornelius steht zwischen Rehbenitz und Overbeck und verfolgt das Geschehen am Schachbrett mit angespannter Anteilnahme. Die enggedrängte Gruppe der Stehenden braucht uns nicht weiter zu interessieren. Fohrs Hund Grimsel steht neben Rehbenitz und legt seinen Kopf auf den Tisch. Fohr selbst hat sich von dieser Gruppe aber distanziert; anders als im ersten Entwurf steht er weder im Zentrum der Komposition noch unter den Lukasbrüdern, – ganz links außen lesen wir über einem schemenhaften Kopf der dritten Reihe: ‘ich’. Für die Köpfe der Nazarener am Tisch besaß Fohr offensichtlich noch keine Bildnisstudien. Sie sollten nach Maßgabe der Bildkomposition, der Gruppierung und Haltung der Personen erst noch geschaffen werden. Sobald die Bildnisstudie gezeichnet war, wurde dies im Kompositionsentwurf durch Parallelschraffen übers Gesicht vermerkt. So entstanden – wohl in ziemlich schneller Folge – die Bildniszeichnungen von Cornelius, Phil. Veit, Overbeck und Rehbenitz: Cornelius, der starkknochige, klarblickende, – der lebenslustigste und erfolgreichste, als Zeichner fraglos auch der beste unter den Nazarenern (Abb.5); Rehbenitz, als Maler ebenso unglücklich wie erfolglos, – gezeichnet im strengen Profil, das seine etwas säuerliche, tropfnäsige Physiognomie besonders unduldsam hervorhebt (Abb.6); und schließlich Overbeck, auch er mit gesenkten Augen, als habe er nur Schweres zu bedenken, mit dem langen Haar der Nazarener, das keiner so schön – Christus und Raphael zugleich verpflichtet – trug, wie er (Abb.7). Diese drei Bildnisstudien sind es vor allem, auf denen Fohr seinen dritten Kompositionsentwurf zum ‘Café Greco’ gründet. Die linke Gruppe um Koch 137

bleibt unverändert; ihre Bildanlage steht bis ins Detail fest und wird aus dem zweiten Entwurf lediglich durchgepaust. Rechts aber ist nun alles Anekdotische getilgt (Abb.8): Grimsel ist aus dem Bild entfernt, und Cornelius, der im früheren Entwurf hinter den Spielern stand, ist nun zwischen Rehbenitz und Overbeck im wahrsten Sinne in die Hocke gegangen. Eisige Stille herrscht am Tisch, als wären die fünf6 durch irgendeine Mitteilung, durch irgendeinen Umstand niedergedrückt. Einzig der stets muntere Philipp Veit scheint einen Zug auf dem Schachbrett vorzubereiten – und damit bei der Sache; aber nicht einmal, wer sein Gegner sei, wird uns deutlich gezeigt,- nach der Figurenanordnung dürfte dies am ehesten Overbeck sein. Fohrs Tod im Juni 1818 ließ das Café Greco-Projekt nicht zu Ende kommen. Über den dritten Entwurf und eine Vielzahl von Bildnisstudien7 kam es nicht hinaus. Aber das Überlieferte genügt, um uns deutlich anzuzeigen, daß Fohrs Bild von der deutschen Künstlerschaft in Rom im Laufe weniger Monate von zunehmender Irritation, von wachsendem Unbehagen geprägt wurde. Nur der erste Entwurf entspricht dem literarisch überlieferten Bild vom geselligen Leben der deutschen Künstler im Café Greco: man unterhält sich, man lärmt auch etwas, man setzt sich in Szene, man macht sich lustig über sich selbst, über die

6 Wieso Fohr den Bildhauer Johann Nepomuk Schaller zwischen Philipp Veit und Overbeck am Tisch plazierte, bleibt uns ein Rätsel. 7 Wieso Fohr den Bildhauer Johann Nepomuk Schaller zwischen Philipp Veit und Overbeck am Tisch plazierte, bleibt uns ein Rätsel. C. Ph. Fohr und das Café Greco. Die Künstlerbildnisse des Heidelberger Romantikers im geschichtlichen Rahmen der berühmten Gaststätte an der Via Condotti zu Rom, Heidelberg 1957; Ulrike Andersson und Annette Frese, Carl Philipp Fohr und seine Künstlerfreunde in Rom, Ausstellungskatalog des Kurpfälzischen Museums der Stadt Heidelberg, 1995. 138

Freunde und über die gemeinsamen Ideale (oder die der anderen),- vor allem aber schätzt man das freundschaftliche Beisammensein, das zwanglose Kommen und Gehen, den Rückhalt in der Landsmannschaft, und nicht zuletzt den Kaffee und die Post aus der Heimat, die grundsätzlich c/o Café Greco adressiert war. Mit dem zweiten Entwurf (Abb.2) beginnt Fohr eigentümlicherweise, an der betriebsamen Geselligkeit und Eintracht der deutschen Künstler im Hinterraum des Café Greco Abstriche zu machen, ja diese regelrecht zu konterkarieren. Daß im Café Greco geraucht wurde, und zwar mitunter so stark, daß man den Ausgang nicht mehr finden konnte und daß Kochs und von Rohdens Landschaftsgemälde an den Wänden von Tabakfirnis völlig verdunkelt waren, ist ebenso sicher bezeugt, wie daß es e i n e n Tisch für Nichtraucher gab. Aufgrund dieser Angaben glaubten die wenigen Kunsthistoriker, die sich mit den Entwürfen zum Café Greco ernstlich beschäftigt haben, die Komposition Fohrs als ein getreues Situationsbild deutschen Künstlerlebens in Rom ansprechen zu dürfen. Ich glaube, das trifft die Sache nicht. Schon dies sollte einen stutzig machen: Overbeck ist so gut wie nie zu den abendlichen Versammlungen im Café Greco erschienen. Dort ging es dem „ernsten, schüchternen, Klostergedanken sich hingebenden, klosterliebenden Kunstbruder“8 zu lärmig und zu burschikos zu, zumal man nie im voraus wissen konnte, wann Koch „mitten im ernsten Gespräch plötzlich wie ein Hahn zu krähen anfing, oder von einem Tisch auf den anderen sprang und rief ‘steigt mit mir über die Berge!’“9, – eine Polonaise, die den Deutschrömern das Heimweh vertreiben sollte. Das römische Tagebuch des bayerischen Zeichners

8 Julius Schnorr von Carolsfeld. Briefe aus Italien, Gotha 1886, S. 78: Brief an Ottilie vom 11. Juni 1818. 9 Johann Friedrich Böhmer’s Leben, Briefe und kleinere Schriften, hrsg. durch Joh. Janssen, 1. Band (Leben 1795- 1863), Freiburg 1868, S. 55. 139

und Malers Wilhelm von Harnier für das Jahr 1817 nennt unter den fast allabendlichen Café Greco- Besuchern die Namen der wichtigsten Künstler, die er dort antraf. Overbeck ist hier nur einmal genannt, aber just an diesem Abend war seines Bleibens nicht lang, denn „Koch führte sich sehr gemein auf... Overbeck schämte sich für ihn und ging fort“10. Nicht minder auffallend ist das Schachspiel auf dem Tisch der Nichtraucher-Nazarener. Zwar ist von Philipp Veit bekannt, daß er „in Rom viel Schach

10 Hartwig Garnerus, Der Zeichner und Maler Wilhelm von Harnier (1800-1838), Phil. Diss. München 1973, S. 375 (von Harnier’s Tagebucheintrag vom 9. März 1816). 140

gespielt, auch ein Schachbrett komponiert“ hat.11 Aber von einem schachspielenden Overbeck berichtet uns kein Brief, keine Lebenserinnerung und kein Tagebuch.12 Er, der auch nach Verlassen des Klosters San Isidoro am ehesten an den klosterbrudrisierenden Idealen festhielt, der jede Stunde zur Bibellektüre, zum Entwurf religiöser Bilder und zum Proselytenmachen Nazarenischer Jünglinge nutzte, – er soll im Café Greco zum Pfeifengestank von Koch und Rohden regelmäßig Schach gespielt haben? Mit unserer Skepsis haben wir noch nicht den Schlüssel zu dem Bild gefunden. Aber soviel wird klar: vieles an Fohrs zweitem (und drittem) Café Greco-Entwurf kann nur metaphorisch gemeint sein. Es handelt sich nicht um eine Situationsschilderung fröhlichen Künstlertreibens im römischen Caféhaus, sondern um ein Sinnbild der künstlerischen Existenz der deutschen Maler, Bildhauer, Architekten, Zeichner, Stecher und Literaten in Rom. Allein schon das Rauchen gibt schwerlich bloß eine angenehme Lizenz des Café Greco wieder. Rauchen bedeutete seit Hogarth’s Radierung ‘Time smoking a picture’ von 1761 (Abb.9) in Malerkreisen zweierlei: einmal die Maler- Binsenweisheit, daß ein altes, im Firnis gebräuntes Bild dem Publikum stets mehr gilt und besser gefällt als ein neues, farbenprächtiges Gemälde; Bilder-Rauchen im Hogarth’schen Sinne ist aber auch eine sarkastische Aufforderung an den Maler, sich aller traditionellen Mittel zu bedienen, um dem

11 Dr. Norbert Suhr (Landesmuseum Mainz), der beste Kenner Philipp Veits, machte mich freundlicherweise auf diesen Passus in den Notizbüchern Ernst Liebers, hrgs. von Hermann Cardauns, Köln 1920, S. 64, aufmerksam. 12 Jens Christian Jensen machte mich nach Fertigstellung des Manuskriptes freundlicherweise auf einen (einzigen) Passus in den Briefen Overbecks aufmerksam, wo von Schachspiel (dem eigenen oder nicht vielmehr dem der anderen?) die Rede ist: ‘Abends treffen sich dann, im berühmten griechi schen Caffeehause, gute deutsche Freunde, da wir geplaudert, auch wohl eine Partie Schach gemacht’ (Brief an die Eltern vom 24. und 29. März 1817; Abschrift im Familienarchiv Overbeck). 141

Publikum den Schock des Neuen zu ersparen, – sofern man denn sein Bild wirklich verkaufen wolle.13 Für die Deutschrömer war Hogarth’s Lehre aktuell, aber sie wurde je nach Gruppenzugehörigkeit unterschiedlich befolgt. Daß die Nazarener als nichtangepaßte, dem offiziellen Kunstbetrieb der Akademien feindlich gegenüberstehende, aber auch den normalen Kunstgeschmack der Italienreisenden geringschätzende Maler keine Aufträge erhielten, daß ihr Programm keine Resonanz und meist nur Spott fand, daß die größere Zahl ihrer Ideen und Entwürfe ungemalt blieben, – all das ist bekannt und oftmals – nicht ohne Rührung und Mitleid – geschildert worden. Ebenso bekannt ist aber auch, daß Joseph Anton Koch und Martin von Rohden mit ihren eher spätklassizistischen als romantischen Landschaften Claude Lorrain’schen Gepräges Erfolg hatten und ein regelmäßiges Einkommen fanden. Links sind die Rückwärtsgewandten versammelt, neben Koch und von Rohden der klassizistische Weinbrennerschüler Waldmann aus Karlsruhe, der Canova- und Thorvaldsen-Verehrer Eberhard und der Historienmaler (mehr schon Historiker als Maler) Platner, die ihre vom Rauch des Chronos geschwängerte Kunst publikumsgerecht unterzubringen suchten. Und die rechte Gruppe? Klaus Lankheit sah die Nazarener dargestellt „in bekenntnishafter Strenge“. „Mit ethischem Anspruch sitzt die Gruppe vor uns“, dargestellt „in einer Abstraktheit der Form die wir sakral nennen müssen“.14 Warum ‘müssen’? – allenfalls ‘möchten’. Sakral nennen möchten wir die Gruppe um den Tisch, weil wir das Anliegen der Nazarener, eine religiös- patriotische Kunst in Deutschland wiederzuerwecken, für ein ethisch hochstehendes halten,

13 Heinrich Klotz, Hogarth’ Time smoking a picture, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 22, 1959, S. 102 ff. Auch eine Zeichnung Füßlis von ca. 1774 (London, British Museum; bei Gerd Schiff, Joh. Heinr. Füßli, Zürich-München , Bd. 2, Abb. 567) zeigt zwei Männer – Füssli selbst und einen unbekannten Künstler – ‘smoking a picture’. 14 Klaus Lankheit, Das Freundschaftsbild der Romantik, (Heidelberger kunstgeschichtliche Abh., N.F. Bd.1), Heidelberg 1952. 142

vielleicht auch, weil uns der unbewegte Ernst der Gesichter an Abendmahl- oder Emmausdarstellungen erinnert (insbesondere an den Kopf Christi in Leonardos Abendmahl zu Mailand). Fohr selbst scheint darüber anders gedacht zu haben. Stand er im ersten Café Greco-Entwurf noch mitten unter den Nazarenern, so hat er sich schließlich von ihnen entfernt. Aus dem aktiven Mitspieler des abendlichen Künstlertreffs ist er zum kritisch-distanzierten Bildregisseur geworden, der seine Figuren bloßstellt. Statt im Gespräch Programme zu schmieden, aus der Bibel oder aus dem Leben Raphaels zu erzählen, seine Jünger im Glauben zu stärken oder ihre Kompositionsentwürfe zu korrigieren, sitzt Overbeck in nachdenklicher Niedergeschlagenheit beim Schach. Hinter der vermeintlich sakralen Szene lauert die Parodie; nicht eine humorvolle, sondern eine bitterernste, gespeist von Erfahrungen, die der leicht aufbrausende Fohr in diesem Zirkel selbst gemacht hatte. Es ist die Erfahrung der fruchtlosen und verbitterten Arbeit an Gemälden, die nie fertig wurden und die niemand haben wollte, die Erfahrung des beständigen Konkurrenzkampfes unter den Künstlern, der täglichen wechselseitigen Sticheleien und Beleidigungen, kurz das Wissen vom Künstlerghetto, das zur Hölle werden konnte. Die Kunstgeschichte des deutschen Bürgertums hat das natürlich anders sehen wollen. Sie folgte dem ‘offiziösen’ Clichée, das Johann David Passavant und Friedrich Schlegel 1819/20 von den Deutschrömern gezeichnet hatten.15 Dort waren sie eine Gruppe solidarischer Künstler, die nur in Liebe und Achtung miteinander verkehrten, die problemlos Not litten und das Letzte miteinander teilten, die alle nur ein gemeinsames Ziel kannten: die in der Heimat so tief gesunkene

15 Ansichten über die bildenden Künste und Darstellung ihres Ganges derselben in Toscana; zur Bestimmung des Gesichts punctes, aus welchem die neudeutsche Malerschule zu betrachten ist, von einem Künstler in Rom (J.D.Passavant), Heidelberg und Speier 1820, S. 73 ff. Friedrich Schlegel, Über die deutsche Kunstausstellung zu Rom im Frühjahr 1819, und über den gegenwärtigen Stand der deutschen Kunst in Rom, in: Friedr. Schlegel, Kritische Ausgabe seiner Werke, Band 4, Paderborn 1959, S. 237 ff. 143

deutsche Kunst wieder groß zu machen. Es genügt ein Blick in die Briefe und Tagebücher deutscher Künstler in Rom, um bald zu merken, daß es sich hierbei um eine bloße Fassade handelte, die das romantische Ideal von der Künstlergemeinschaft zurechtgezimmert hatte. Hinter dieser Fassade aber lauerten Künstlerneid, Einsamkeit, Niedergeschlagenheit, Verzweiflung an der künstlerischen Berufung, Krankheit usw. Schnorr von Carolsfeld berichtete in seinen Briefen mitunter von dem Parteienwesen und den Reibungen, die es selbst unter den Guten gab, und von den Ränken und Verleumdungen, welche die Elenden im dunkeln trieben.16 Oder Baron von Rumohr berichtete 1820 von seiner zweiten Reise nach Rom, daß sich diese Welt seit seinem letzten Hiersein „unglaublich verändert“ habe: „in den Ansichten der Künstler war Theilung eingetreten, aus dieser einige Spannung hervorgegangen“.17 Fohr selbst war nicht der Typ, der sich einer Künstlergemeinschaft selbstlos eingefügt hätte. Schnorr von Carolsfeld urteilte skeptisch über ihn: „Er hat ein ganz ausgezeichnetes Talent, ist aber sonst noch so wenig mit sich einig, daß es noch lange dauern wird, bis man seine Erscheinung in jeder Hinsicht wird erfreulich nennen können“.18 Das ist milde ausgedrückt für das, was vorgefallen war: Fohr hatte sich mit seinem Busenfreund und Zimmernachbarn Ludwig Sigismund Ruhl aus nichtigem Anlaß so zerstritten, daß es trotz aller Schlichtungsversuche von Overbeck und anderer zum Duell kam. Wilhelm von Harnier ist der Einzige, der von diesem unrühmlichen Zwischenfall ausführlich berichtet.19 Sonst verlangte es der deutschrömische Corpsgeist (und die ideale Fassade der Künstlergemeinschaft), daß der Vorfall beschwiegen wurde.

16 Schnorr von Carolsfeld, Briefe (wie Anm. 8), S. 73 (Brief an den Vater vom 10. Juni 1818). 17 C. F. von Rumohr, Drey Reisen nach Italien, Leipzig 1832, S. 197. 18 Schnorr von Carolsfeld, Briefe (wie Anm. 8), S. 53 (Brief vom 10. März 1818). 19 von Harniers Tagebucheinträge vom 22. März 1817 und Folgetage (wie Anm. 10, S. 389 ff.). 144

Das Freundschaftsbild der Nazarener – Friedrich Overbeck und zeichneten sich 1815 wechselseitig in übereinstimmender Haltung (Abb. 10) – folgte natürlich dem Idealbild der Künstlergemeinschaft; die Bildniszeichnung eines Dritten aber (Friedrich Suhrlands Zeichnung der beiden Nazarener von 1815, Abb. 11) konnte die ideale Eintracht schnell zerstören, ja in ihr Gegenteil verkehren. Es sind überwiegend unglückliche, verletzte und verletzliche Künstler, die wir auf Fohrs drittem Café Greco-Entwurf vor uns haben. Fohr verweigert uns die hochgestimmte optimistische Sicht der Deutschrömer, wie sie etwa Franz Ludwig Catel in seinem berühmten Bild (der Neuen Pinakothek zu München) ‘Kronprinz Ludwig von Bayern und seine Begleitung in der spanischen Weinschänke zu Rom’ 1824 aufkommen ließ. Fohr wählte sich mehr als einmal Gesichter zum Heulen – oder wie Gottfried Keller im ‘Grünen Heinrich’ einmal sagte: gramselige Gesichter (Rehbenitz, Vogel und Vogelstein u.a.). Da findet sich nichts von Aufbruchstimmung. von Begeisterung und von Zuversicht, – da ist vielmehr Gestalt geworden, was Overbeck wieder- holt beklagte, daß den Lukasbrüdern „oft von drückender Armut die Flügel gebunden waren“ und daß sie in einem „Gefühl grenzenloser Vereinsamung“ lebten.20 Das und nichts anderes zeigt uns Fohr. Er war kein Lukasbruder und daher auch nicht an Overbecks Forderung gebunden: „Den Charakter richtig auffassen, aber von irdischen Mängeln reinigen, ist der Endzweck eines Bildnisses“.21 Jens Christian Jensen meinte: „Fohrs strenge Auffassung legt Overbeck das Aussehen einer Gouvernante bei“ (vgl. Abb. 8), es seien die anderen Bildniszeichnungen von Schnorr, Olivier und Barth, die „unsere Vorstellung von dem frommen Meister der Nazarener

20 Nach Zitaten aus Tagebüchern Overbecks dargestellt bei Lankheit (wie Anm. 13), S. 92 ff. 21 Overbeck in seinem Tagebuch 1811, zit. bei Ludwig Grote, Joseph Sutter und der Nazarenische Gedanke, München 1972, S. 85 paraphrasierend). 145

ergänzen und vertiefen, und zwar nach der positiven Seite hin“.22 Damit ist das Rezeptionsproblem des Fohr’schen Overbeck-Bildes richtig getroffen; ich meine nur, es verrate dieses nicht nur eine ‘strenge Auffassung’ des Zeichners, sondern eine eminent kritische. Der preußische Gesandte beim heiligen Stuhl, Barthold Georg Niebuhr, schrieb 1816: „Overbeck, dessen Physiognomie sehr für ihn einnimmt, ist stumm und schwermütig. Für Schwermuth ist Rom ein tödlicher Ort, da es gar keine lebendige Gegenwart darin gibt, bei der Wehmuth wohl werden kann.“23 So hat ihn Fohr wiedergegeben, als den melancholischen, verletzlichen Künstler, dem Raphael – sein heimliches und offenes Vorbild – zum Alptraum geworden ist; denn so sehr er ihm nacheiferte, gelang es ihm ebensowenig wie sonst einem Nazarener, das Ideal der himmlischen Madonna im Traum zu schauen – geschweige denn zu malen. Die Haltung des Kopfes, die nazarenische Haartracht, der ernste, gesammelte Ausdruck, – alles wurde zum permanenten Selbstvorwurf für sich und andere. Es ist gewiß kein Zufall, daß der verletzendste und verletzlichste Maler, der in Gottfried Kellers Künstlerroman ‘Der grüne Heinrich’ beschrieben ist, RÖMER heißt.

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Verletzlich sind Künstler zu allen Zeiten gewesen. Das Buch ‘Künstler – Außenseiter der Gesellschaft’ (der englische Urtitel: Born under Saturn) von Margot und

22 Jens Christian Jensen, Zwei Bildniszeichnungen, Overbeck darstellend, von C. Barth, in: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte 16, 1977, S. 137. 23 Niebuhr in einem Brief von 1816, zit. bei Poensgen (wie Anm. 7), S. 43. 146

Rudolf Wittkower ist voll von Beispielen dafür. Aber die Verletzlichkeit des Künstlers scheint lange Zeit kein Thema der Portraitmalerei gewesen zu sein. Noch 1775 hatte Lavater nicht den mindesten Sinn für die Züge von Erregbarkeit und Verletzlichkeit im Bildnis Michelangelos. Dabei war dieser Charakterzug aus den Viten Vasaris und aus Briefen und Sonetten des Künstlers durchaus bekannt. Lavater ließ das Michelangelo-Bildnis, das Vasari der zweiten Auflage seiner Viten (1568) beigegeben hatte, für seine ‘Physiognomischen Fragmente’ umstechen. Ist es Ungeschick des Stechers oder Absicht? – Vasaris Michelangelo-Kopf ist zerfurcht, vom Leben gezeichnet, skeptisch aufmerksam, aber nicht unfreundlich, ja fast scheint er eine Spur zu lächeln; in der Wiedergabe bei Lavater jedoch wird dasselbe Gesicht furchtsam, geradezu angstvoll; das nicht verschattete rückwärtige Auge und der verzeichnete Mund geben ihm einen Anflug von Panik. Von dieser Verwandlung nimmt der Physiognomiker Lavater nicht die geringste Notiz. Er konstatiert vielmehr: „Freylich nur Larve des kraftvollen Mannes – aber doch im Ganzen entscheidender, sich ankündigender Ausdruck von Drang, Fülle, Festigkeit, Mannichfaltigkeit, umfassender Kraft. Fern alle Sanftheit und alle Grazie. Von oben bis unten. Diese hohe, vordringende, gefaltete Stirn; diese gegen die Nase sich wild abneigenden Augenbrauen; diese breitgedrückte Nase; dieser Blick; dieses wildkrauße Barthaar – alles dieses ist harmonischer Ausdruck von anmuthloser, unbiegsamer Vollkraft. Das Auge, wiewohl hart und schlecht gezeichnet, ist voll der durchdringensten Schaukraft. Ganz ergreift’s und umschafft seinen Gegenstand. Das Ganze ist ein Löwengesicht.“24 Zu verstehen ist diese – dem beigeschlossenen Michelangelo-Bildnis so wenig angemessene – Diagnose nur von daher, daß Lavater mit seiner Physiognomik konstante Anlagen und Fähigkeiten, genauer gesagt: Tugenden (notfalls auch

24 Johann Caspar Lavater, Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe (erstmals Leipzig und Winterthur 1775), in dem Nachdruck bei Reclam, Stuttgart 1984, S. 213 ff. 147

Laster) nachzuweisen sucht, nicht aber Gemütszustände. Erst die Romantik erkennt im Seelenzustand des Künstlers das unbewußte, aber über alles entscheidende Regulativ künstlerischer Arbeit. Nun wird Michelangelo mehr und mehr zum unglücklichen, launenhaften und verletzlichen Antipoden des immer freundlichen und glücklichen Raphael stilisiert, auch im Bilde (vgl. Delacroix). Mit ihrer Geschichte ‘Der merkwürdige Tod des zu seiner Zeit weitberühmten Malers Francesco Francia, des ersten aus der Lombardischen Schule’ haben Wackenroder-Tieck 1796 d a s Cliché vom verletzlichen Künstler geprägt, das hinfort galt: ein geringfügiger Anlaß genügt, um das Gemüth des Malers in beständige Verwirrung zu versetzen, seine Seele von Grund auf zu erschüttern. Ferdinand von Rayski’s Kreidezeichnung ‘Selbstmord des Künstlers im Atelier’ (um 1840) setzt das Schicksal des verletzlichen Künstlers ins Bild, und zwar mit allen Konsequenzen. Es ist ein dreifacher Mord, den der degoutierte Maler inszeniert hat, – am Bild, an sich selbst und schließlich an dem maliziösen Spötter der Szene, dem Dichter Friedrich Franz von Maltitz, der das Künstlerschicksal also vorausgesagt hatte (Abb. 12): „Auf dem wahren Künstlergange Lebt’s hienieden sich nicht lange. Trägt in sich des Todes Kern, Wahre Künstler sterben gern.“ Es ist dann bezeichnenderweise das zweite Viertel des 19. Jhdts. das die Künstlerlegenden aufgebracht hat, Michelangelo habe sich im ‘Jüngsten Gericht’ der Sixtinischen Kapelle auf der abgezogenen Haut des Apostels Bartholomäus dargestellt, um seine Verletzbarkeit und Verletztheit aller Welt für immer vor Augen zu halten, oder der pfeilbespickte Sebastian des Isenheimer Altars sei ein Selbstbildnis Grünewalds. Die Verletzlichkeit des Malers ist nun ein Bildthema geworden, das auch private Konflikte einschließen konnte. Seit einigen Jahren wissen wir aus Röntgenuntersuchungen, daß unter Courbets ‘Selbstbildnis als Verwundeter’ von ca. 1853 (Abb. 13) seit 1844 eine Komposition angelegt war, die der Kohle-Entwurfzeich 148

-nung ‘Liebespaar’ ziemlich genau entsprach. Dargestellt ist Courbet mit seiner Lebensgefährtin Virginie Binet, die ihn nach vierzehnjährigem Zusammenleben verließ, um zu heiraten. In der Übermalung tilgte Courbet konsequenterweise Virginie und machte aus dem Liebenden einen Verletzten.25 Verletzte Künstler, verletzliche Gesichter, – wir begegnen ihnen während der ersten drei bis vier Jahrzehnte des 19. Jhdts. immer wieder: in Caspar David Friedrichs Selbstbildniszeichnung von etwa 1802 (Abb. 15) ebenso wie in Goyas Selbstbildnis des Prado von ca. 1815; in Géricaults ‘Maler im Atelier’ von 1818 (Louvre) ebenso wie in der Selbstbildniszeichnung des Kieler Nazareners Rehbenitz von 1817 (Abb. 16), dessen müder, resignierter Kopf in ein klaustrophobes Gitterraster eingeschlossen ist. Mit den Jahren wurde man dies alles wieder leid: den vorwurfsvollen Blick (Abb. 16), die sauertöpfische Miene, den so offenherzig mitgeteilten Selbstvorwurf und die Verletzlichkeit, die mehr und mehr zur bloßen Allure wurde. Christian Lotsch, der Freund Philipp Veits und der Nazarener, machte sich als erster über die schwunglosen Gespensterrunden der kummervollen Deutschrömer lustig (Abb. 17). 26 Das ist nun allerdings eine Karikatur, was Fohrs Café Greco-Entwürfe gewiß nicht sein sollten. Aber die Gegenüberstellung macht deutlich, daß die nazarenische Neigung zur Grübelei, zur Selbstreflexion und zur abwartenden Untätigkeit – all das, was Karl Philipp Fohr in seinen Zeichnungen freimütig aber nicht teilnahmslos offengelegt hatte – zwölf Jahre später zum allgemeinen Gespött geworden war. Ob verletzlich oder nicht, die deutschen Maler des fortgeschrittenen 19. Jhdts. gaben sich wieder selbstbewußt und lässig. Anselm Feuerbach, der verletzlichste unter den späten Deutschrömern (wie wir aus seinen Aufzeichnungen sattsam wissen), hat von all seiner Larmoyanz im Selbstbildnis nichts mitteilen wollen;

25 Ausstellungskatalog Gustave Courbet 1819-1877, Paris (Grand Palais) 1977, No. 35. 26 Norbert Suhr, Christian Lotsch, Philipp Veit und Eduard von Steinle. Zur Künstlerkarikatur des 19. Jhdts., Worms 1985, S. 285. 149

dandyhaft posiert er neben Taft und Seide (Kunsthalle Kiel), als stünde er einem Photographen. Auch Arnold Boecklin verbarg seine notorische Verletzlichkeit hinter einer Fassade großbürgerlicher Tugenden. Ein knappes Jahr nach seinem ersten Schlaganfall stilisierte sich der 66-Jährige im Selbstbildnis von 1893 (Abb. 18) als aufrechter Kraftprotz. Nur das in Umrissen auf der Leinwand skizzierte Selbstbildnis im Profil weist seine Alterszüge auf, die wir aus Photo- graphien der Zeit kennen. Der Maler vor der Staffelei jedoch schwört auf seine Ähnlichkeit mit dem 50-jährigen Bismarck. Gewiß, auch hinter solchen Rollen- und Verkleidungsselbstbildnissen steht meist ein gerüttelt Maß an Verletztheit, aber keiner der Maler will dieses seinem gemalten Conterfei ins Gesicht schreiben.

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Der einzige Maler, der in Deutschland während des ausgehenden 19. Jhdts. der Verletzlichkeit des Künstlers bildlichen Ausdruck zu geben verstand, war Zeit seines Lebens ein Außenseiter. Er war finanziell vollkommen abhängig von einem Mäzen, was er als demütigend empfand; und er war unfähig, auch nur ein Mal ein Bild auf eine Ausstellung zu schicken, denn er war mit seinen künst- lerischen Resultaten nie zufrieden: Hans von Marées. Sein Doppelbildnis der Neuen Pinakothek in München aus dem Jahre 1863 (Abb. 19) zeigt Franz Lenbach (rechts) und den Maler selbst: beide um die 27 Jahre alt, einander freundschaftlich verbunden, beide nach abgeschlossener Ausbildung ohne Aussicht auf selbständige künstlerische Betätigung. 150

Durch sein strahlend-helles Inkarnat springt von Marées, der hintere, dem Betrachter ins Auge. Ein ausgesprochen offenes, rückhaltloses Gesicht, – als stünde von Marées im besten Einvernehmen mit seinem Spiegelbild, dem des Freundes Lenbach und mit dem Betrachter des Gemäldes. Aber dann erkennt man die Sperre, die Schichten des Sich-Versteckens, das Irritierende an der aufdring- lichen Nähe der beiden Maler. Lenbach versteckt sich hinter seiner Brille, von Marées hinter Hut und Schläfe seines Freundes. Der hintere ist hell und deutlich wiedergegeben, der vordere verschattet und unscharf, emotionslos, ohne Ausdruck und Gesicht, – eine Negation des schauenden, seinen Blick fixierenden Malers. Das Sich-Verstecken und das Sich-auffällig- Darstellen bilden in diesem Bild den stärksten Kontrast. Dieser ist sein Thema. Ich wüßte keinen besseren Begriff, um diese Dialektik der künstlerischen Selbstdarstellung zu bezeichen, als die Verletzlichkeit des Malers. Aber Verletzlichkeit bedeutet hier nicht eine latente KünstlerKaterstimmung oder einen allgemeinen Charakter des notorisch menschenscheuen und reizbaren Malers, sondern Bestimmteres: die für Hans von Marées zeitlebens unüberbrückbare Kluft zwischen dem SEHEN des Malers und dem SCHAFFEN des Malers. Ich kenne keine anderen Selbstbildnisse der neuen Malereigeschichte, wo das Quantum des Sehens so augenfällig als die bedrängene Frage des Künstlers verbildlicht worden ist: Abb. 19 zeigt uns zwei Künstler, aber nur ein Auge, Abb. 20 hingegen einen Künstler, aber drei Augen. Wir wissen nicht, was von Marées dazu geführt hat, 1870 in dem Selbstbildnis der Kunsthalle Bremen (Abb. 20) neben seinen leicht deformierten, übersensiblen Kopf ein drittes, blauwässriges, stark rotgliedriges Auge zu setzen, – ein ‘reines Auge’, wie man analog zur Parole von der ‘reinen Malerei’ im Leibl-Kreis sagen könnte. Aber auch in anderer Hinsicht zeigt das in dunklen Farben gehaltene Bild Beschwörendes: das Kreuz an der Ordenskette, eine Auszeichnung, die der erfolglose und unbekannte von Marées nie erhalten hat, und die doppelte, ligierte Signatur MM, eine Bekräftigungsformel der Autorschaft, ähnlich wie dreihundert Jahre früher Tizian mit ‘Titianus fecit fecit’ signiert hatte. Das Bild ist über den Status einer Studie nicht weit hinausgekommen; trotz überproportionaler Sehschärfe (drei Augen), trotz genauem Kalkül, die höchste Auszeichnung zu gewinnen (die Ordenskette), ist das Gemälde einmal mehr ein mißlungenes, vom Maler selbst nicht zuende geführtes Bild. Die Angst vor dem Scheitern steht an seinem Anfang und an seinem Ende, und der, der sich hier im Selbstbildnis darstellte, wußte davon. 151

Bildnachweis: Photoarchiv des Verfassers, Buchvorlagen