Anton Schindling Humanismus Oder Konfessionsfundamentalismus In
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Anton Schindling Humanismus oder Konfessionsfundamentalismus in Straßburg? Fürstbistum und freie Reichsstadt Das Land links und rechts des Oberrheins, dessen Zentrum seit der Römerzeit die Stadt Straßburg war, bildete seit dem Mittelalter eine Region mit sehr kleinteiliger territorialer Struktur. Im konfessionellen Zeitalter kam zu der territorialen Vielfalt das Nebeneinander der Konfessionen hinzu1. Der Bischof von Straßburg mit sei- nem unzusammenhängenden weltlichen Territorium, das nur einen kleinen Teil der Diözese ausmachte, verblieb letztlich ebenso bei der katholischen Kirche wie die Untertanen des Hauses Osterreich, die an Habsburg orientierten Adelsfami- lien und einige kleinere Reichsstädte2. Die seit 1563 reformierte Kurpfalz ragte von Norden her mit Streubesitz in das Unterelsaß hinein, übte aber vor allem eine starke Machtprojektion auf ihre Nachbarn aus. Lutherisch waren die badischen Markgraftümer, die Grafschaft Hanau-Lichtenberg und die württembergischen Besitzungen Horburg und Reichenweier, der größere Teil des reichsunmittelbaren Adels und ebenfalls einige kleinere Reichsstädte3. Die Markgrafschaft Baden-Ba- 1 Bernard Vogler, Histoire culturelle de l'Alsace. Du Moyen âge à nos jours, les très riches heures d'une région frontière (La bibliothèque alsacienne, Strasbourg 1993); ders., Histoire des chrétiens d'Alsace des origines à nos jours (Paris 1994); ders., Histoire politique de l'Al- sace. De la Révolution à nos jours, un panorama des passions alsaciennes (La bibliothèque al- sacienne, Strasbourg 1995); ders., Michel Hau, Histoire économique de l'Alsace. Croissance, crises, innovations: vingt siècles de développement régional (La bibliothèque alsacienne, Strasbourg 1997); ders. (Hrsg.), Nouvelle Histoire de l'Alsace. Une région au cœur de l'Eu- rope (Histoire des territoires de France et d'Europe, Toulouse 2003). 2 Francis Rapp (Hrsg.), Le diocèse de Strasbourg (Histoire des diocèses de France N.S. 14, Paris 1982). 3 Franz Brendle, Dynastie, Reich und Reformation. Die württembergischen Herzöge Ulrich und Christoph, die Habsburger und Frankreich (Veröffentlichungen der Kommission für ge- schichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg Reihe Β Forschungen Band 141, Stuttgart 1998); ders., Die „Einführung" der Reformation in Mömpelgard, Horburg und Reichenweier zwischen Landesherrn, Theologen und Untertanen, in: Württemberg und Mömpelgard. 600 Jahre Begegnung, hrsg. von Sänke Lorenz und Peter Riickert (Schriften zur südwestdeut- schen Landeskunde 26, Leinfelden-Echterdingen 1999) 145—168; ders., Les enclaves territo- riales et confessionelles du duché de Wurtemberg. Montbéliard, Horbourg et Riquewihr, in: Les enclaves territoriales aux Temps Modernes (XIVe—XVIIIe siècles). Colloque international 150 Anton Schindling den kehrte durch eine frühe Rekatholisierung zur alten Kirche zurück, während in den Reichsstädten Colmar und Hagenau noch späte Stadtreformationen zu bi- konfessionellen Verhältnissen führten4. Das Herz der Region freilich schlug nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht in der großen Bürgerstadt Straßburg5. Auf ihren Straßen kreuzten sich die Ströme von einheimischen und fremden Waren, hier hatten der ritterschaftliche Adel und sogar die badischen Markgrafen feste Sitze, und hier war auch eine singuläre ur- bane Verdichtung der geistigen und religiösen Kräfte gegeben6. Straßburg hatte über Jahrzehnte hinweg als drittes Reformationszentrum neben Wittenberg und Zürich gewirkt7. Nachdem die freie Reichsstadt mit ihren circa 20000 Einwoh- nern sich - den politischen Rahmenbedingungen gehorchend - seit den 1550er Jahren definitiv der lutherischen Richtung des Protestantismus angeschlossen hatte, behielt sie im Kreis der evangelischen Territorien und Städte des Reiches doch eine Kirche mit eigener Prägung und einer Ausstrahlungskraft, die über das Luthertum der Oberrheinregion hinausreichte8. Eine nie ganz vergessene Erinne- rung an die oberdeutsche Theologie der reformatorischen Anfänge mit ihrer mil- den, auf Ausgleich bedachten Tendenz spielte dabei eine unverwechselbare Rolle9. de Besançon 4 et 5 octobre 1999, hrsg. von Paul Delsalle und André Ferrer (Annales littérai- res de l'Université de Franche-Comté 706, Besançon 2000) 419—430; ders., Reformation und konfessionelles Zeitalter, in: Das Eisass. Historische Landschaft im Wandel der Zeiten, hrsg. von Michael Erbe (Stuttgart 2002) 61-84. 4 Kaspar von Greyerz, The late City Reformation in Germany. The case of Colmar 1522— 1628 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 98, Wiesbaden 1980); Georges Livet (Hrsg.), Histoire de Colmar (Pays et villes de France, Toulouse 1983); Volker Press, Baden und badische Kondominate, in: Die Territorien des Reiches im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500—1600, Bd. 5: Der Südwesten, hrsg. von Anton Schindling und Walter Ziegler (Katholisches Leben und Kir- chenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 53, Münster 1993) 124—166; im folgenden zitiert: Schindling, Ziegler, Territorien. 5 Rodolphe Reuss, Histoire de Strasbourg depuis ses origines jusqu'à nos jours (Paris 1922); Georges Livet, Francis Rapp (Hrsg.), Histoire de Strasbourg des origines à nos jours, 4 Bde. (Histoire des villes d'Alsace, Strasbourg 1980-1982), hier: Bde. 2 u. 3; dies. (Hrsg.), Histoire de Strasbourg (Univers de la France et des pays francophones, Toulouse 1987). ΰ Francis Rapp, Réformes et réformation à Strasbourg. Église et société dans le diocèse de Strasbourg (1450—1525) (Collection de l'Institut des Hautes Etudes Alsaciennes / Associa- tion des Publications près les Universités de Strasbourg 23, Paris 1974); ders., Straßburg, Hochstift und Freie Reichsstadt, in: Schindling, Ziegler, Territorien, Bd. 5, 72—95; Anton Schindling, Kirche, Gesellschaft, Politik und Bildung in Straßburg — Aspekte der Reformati- onsgeschichte, in: Spezialforschung und „Gesamtgeschichte" — Beispiele und Methodenfra- gen zur Geschichte der frühen Neuzeit, hrsg. von Grete Klingenstein und Heinrich Lutz (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit 8, Wien 1981) 169-188. 7 Marc Lienhard, Jakob Willer, Straßburg und die Reformation, die hohe Zeit der Freien Reichsstadt (Kehl21982). 8 Jean Lebeau, Jean-Marie Valentin (Hrsg.), L'Alsace au siècle de la Réforme 1482—1621. Textes et Documents. Ouvrage collectif (Nancy 1985). 9 Beate Stierle, Capito als Humanist (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 42, Gütersloh 1974); James M. Kittelson, Wolfgang Capito, from humanist to reformer (Stu- dies in medieval and reformation thought 17, Leiden 1975); Hartwig Keute, Reformation und Geschichte. Kaspar Hedió als Historiograph (Göttinger theologische Arbeiten 19, Göt- Humanismus oder Konfessionsfundamentalismus in Straßburg? 151 Diese oberdeutsche Theologie der Straßburger Reformatoren Bucer, Capito und Hedio war stark vom Humanismus geprägt gewesen10. In der Gründung des großen städtischen Gymnasium Illustre, das 1566 zur Semi-Universität erhoben wurde, hatte die Symbiose von Humanismus und Reformation ihren dauerhaften Ausdruck gefunden. Der Schulleiter Johannes Sturm versuchte diese Synthese zu bewahren - in einer engagierten Pädagogik und humanistischen Antike-Rezep- tion, welche die sich öffnenden konfessionellen Gegensätze überbrücken sollte und dabei auch die Altgläubigen, ja sogar die Jesuiten, mit Wohlwollen einbezog. Bis 1581 leitete Johannes Sturm „seine" Schule in einem irenischen humanisti- schen Geist11. Konfliktlinien und Bruchstellen Die Straßburger städtische Kirche wurde seit den 1550er Jahren zunehmend von einer strikten lutherischen Orthodoxie erfaßt, welche auf die Verdrängung von Sympathisanten der oberdeutschen Tradition und des Reformiertentums zielte12. Johannes Marbach und sein Schüler und Nachfolger Johannes Pappus verkörper- ten als Präsidenten des Kirchenkonvents der Straßburger Pfarrer und Prediger diese lutheranisierende Tendenz13. Der Aufstieg des orthodoxen Luthertums be- ringen 1980); Marijn de Kroon, Studien zu Martin Bucers Obrigkeitsverständnis. Evangeli- sches Ethos und politisches Engagement (Gütersloh 1984); Martin Grescbat, Martin Bucer, ein Reformator und seine Zeit (1491—1551) (München 1990); Thomas Kaufmann, Die Abendmahlstheologie der Straßburger Reformatoren bis 1528 (Beiträge zur historischen Theologie 81, Tübingen 1992). 10 Georges Livet, Francis Rapp (Hrsg.), Strasbourg au cœur religieux du XVIe siècle. Hom- mage à Lucien Febvre: Actes du Colloque International de Strasbourg (25.-29. mai 1975) (Collection Grandes publications / Société Savante d'Alsace et des Régions de l'Est 12, Stras- bourg 1977); Marijn de Kroon, Marc Lienbard (Hrsg.), Horizons européens de la réforme en Alsace / Das Elsaß und die Reformation im Europa des XVI. Jahrhunderts. Mélanges offerts à Jean Rott pour son 65. anniversaire (Collection Grandes publications / Société Savante d'Alsace et des Régions de l'Est 17, Strasbourg 1980); Jean Rott, Investigationes historicae. Eglises et société au XVIe siècle. Gesammelte Aufsätze zur Kirchen- und Sozialgeschichte, 2 Bde., hrsg. von Marijn de Kroon und Marc Lienbard (Strasbourg 1986). 11 Anton Scbindling, Humanistische Hochschule und freie Reichsstadt — Gymnasium und Akademie in Straßburg 1538 bis 1621 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Ge- schichte Mainz 77, Wiesbaden 1977). 12 Jobann Adam, Evangelische Kirchengeschichte der Stadt Strassburg bis zur französischen Revolution (Straßburg 1922); ders., Evangelische Kirchengeschichte der elsässischen Territo- rien bis zur französischen Revolution (Straßburg 1928). 13 Marbach stand