HANS-GEORG STEPHAN

BINNENSTRUKTUR UND ÖFFENTLICHE RÄUME IN DER MITTELALTERLICHEN STADTWÜSTUNG NIENOVER – NEUE ERKENNTNISSE ZUM MITTELALTERLICHEN STRAßENBAU IM WESERBERGLAND

Vor der Burg Nienover, dem Kristallisationskern zwei Drittel des ehemaligen Stadtareals waren einer Grafschaft neuen Typs seit spätsalischer Zeit, ursprünglich Ackerland und konnten mit Feldbege- wurde um 1190–1200 auf ehemaligem Ackerland hungen intensiv prospektiert werden (König 2005/ planmäßig eine neue Marktsiedlung bzw. Stadt an- 2009; Küntzel 2005a; im Druck; Stephan 2001; gelegt. Diese entstand mutmaßlich auf Initiative der 2002; 2010). Dennoch bleiben auf diese Weise ge- Burgherren im Kontext der Residenzverlegung der wonnene Daten lückenhaft. Gezielte weitere Grabun- Grafen von Dassel. Für den Aufbau einer Landes- gen wären zur Klärung etlicher Kernfragen der Bin- herrschaft war für diese damals in der Region be- nenstruktur und Siedlungsentwicklung unbedingt deutenden Magnaten Nienover aufgrund der Nähe nötig gewesen. Sie sind aus schwerwiegenden zur Weser und zum Reinhardswald mit den zu- äußeren Gründen in absehbarer Zeit kaum mehr gehörigen Dasseler Besitz- und Herrschaftsgebieten durchführbar. günstiger gelegen als Dassel am Nordrande des Sol- Wie bei den meisten verödeten mittelalterlichen ling (Günther 1989; Kruppa 2002; Streich 1996). Die Städten sind die Eingrenzung der Stadtfläche und die Stadtinnenfläche, etwa 8 ha einschließlich der Burg, Klärung der Infrastruktur nur mit archäologischen war recht großzügig ausgelegt. Sie entsprach mut- Methoden möglich. Stadtpläne bzw. Karten, die maßlich den Bedürfnissen und Erwartungen der Aufschlüsse über die Binnenstruktur der Stadt ver- Herrschaft für ihre wirtschaftlichen Entwicklung- mitteln, sind nicht bekannt. Auch über Tage erhal- sprojekte für den engeren Einflußbereich. tene eindeutig interpretierbare Relikte gibt es kaum. Zu diesen gehörte die Erschließung von neuen Die wenigen Spuren der mittelalterlichen Stadt, die landwirtschaftlichen Flächen einschließlich des sich im Geländerelief konserviert haben, waren erst planmäßigen Ausbaus und der Neugründung von nach Vorliegen archäologischer Befunde einiger- Dörfern insbesondere in bis dahin nur extensiv ge- maßen plausibel interpretierbar. Somit blieben nutzten Gebieten in den Bergregionen von Solling Geländebegehungen, Befliegungen, Erdbohrungen, und Reinhardswald wie auch die vermehrte Nutzung geoelektrische und geomagnetische Prospektionen, des Waldes und seiner Bodenschätze (Abb. 1). Die vor allem aber Ausgrabungen und deren Auswertung völlig in Vergessenheit geratene Siedlung Nienover als einzige Mittel zur Klärung der vielen offenen wurde erst 1993 neu entdeckt und im Rahmen von Fragen. Dieses höchst aufwendige und mühsame Prospektionen und Forschungsgrabungen in den Jah- Unterfangen besitzt den Vorteil, dass völlig ren 1993 bis 2007 auf Initiative des Verfassers in unabhängig von neuzeitlich überlieferten Planstruk- größeren Teilen erforscht. Freigelegt wurden bislang turen letztlich ungewissen Alters, die seit Genera- etwa 15% der Gesamtfläche, ein auch im eu- tionen für die Rückschreibung von überlieferten ropäischen Vergleich respektabler Teil der Stadt. Fast Stadtstrukturen weit hinein ins Mittelalter oder gar

89 HANS-GEORG STEPHAN

Abb. 1. Die historische Kulturlandschaft im Weserbergland zwischen und Höxter (geringfügig ergänzter Ausschnitt aus der Umlandkarte des Blattes Höxter und Corvey im Westfälischen Städteatlas, nach Koch u. a. 2006) darüber hinaus in Frühgeschichte und Antike genutzt höheren Ebene zu einem Mosaik zusammengefügt werden, nahezu ausschließlich mittelalterliche Be- werden, das gesicherte und auch hypothetische funde zu dokumentieren sind. Diese müssen dann Rückschlüsse auf die Gestalt der mittelalterlichen allerdings ebenfalls interpretiert und auf einer Stadt ermöglicht.

90 BINNENSTRUKTUR [...] IN DER MITTELALTERLICHEN STADTWÜSTUNG NIENOVER

DIE STADTBEFESTIGUNG Den äußeren Rahmen der voll entwickelten hoch- gung bestand im Westen aus einem etwa 10 m brei- und spätmittelalterlichen Stadt steckt in aller Regel ten Wall und 9 m breiten sowie 2,5 m tiefen Gra- die Stadtbefestigung ab, von deren Größe und Ver- ben, davor lag allem Anschein nach ein zunächst lauf die Binnenstruktur in einem erheblichen Maße nicht eindeutig erkennbarer weiterer, deutlich abhängig ist. Karten und Inventare ab 1584 führen schwächerer Wall (nur als Freifläche erhalten) und westlich vor dem Schloss Nienover die Flurbezeich- ein weniger ausgeprägter Graben (Abb. 1–3). Der nungen „Auf der Stadt” und „Stadtgraben” auf, wo- Höhenunterschied zwischen Grabensohle und Wall- nach sich mit dem Geländerelief und den archäo- krone betrug etwa 10 m, gemessen von der mittel- logischen Prospektionen in Analogie zu anderen alterlichen Geländeoberfläche waren es ca. 7 bis 8 m. Orten der Verlauf der Stadtbefestigung in groben Unklar ist in den meisten Bereichen bedingt durch Zügen hypothetisch eingrenzen lässt. Der Chronist die mangelhafte Erhaltung der obertägigen Befun- Johannes Letzner (1596) sah noch eindrucksvolle de trotz mehrfacher Nachgrabungen, wo an bzw. auf Befestigungswerke. Heute sind kaum mehr (nur stel- dem Wall eine Palisade oder Planke stand bzw. wel- lenweise im Südwesten und Westen, auch im Osten) che anderweitigen Verstärkungen der Wall stellen- ohne weiteres als solche erkennbare Befestigungsre- weise erhielt. Im Nordwesten fanden sich an eini- ste erhalten. Nach unseren Untersuchungen in Ko- gen Stellen Spuren von Pfosten von etwa 30 cm operation mit der physischen Geographie/Bodenkun- Stärke. Ohne eine zusätzliche Wand als Sicherheit- de war das Gelände vor der Anlage der Stadt Nie- svorkehrung von einigen Metern Höhe dürfte der nover um 1190 Ackerland (Bork u. a. 1997). innen wahrscheinlich nur etwa 1 bis 2,5 m hohe Wall Die allem Anschein nach im Verlauf der Grün- kaum hinreichend Schutz geboten haben. Die Höhen- dungsaktivitäten frühzeitig angelegte Stadtbefesti- differenz zwischen Vorgelände und Plankenoberkan-

Abb. 2. Übersichtsplan zum Schloss und zur Stadtwüstung Nienover mit der Landwehr (nach Küntzel 2004) Ausschnitt aus der Deutschen Grundkarte, Maßstab 1: 5.000. Im Osten das Schloss, im Tal Gebäude des ehemaligen unteren Vorwerkes, der barockzeitliche Schafstall, die Mühle sowie das Gestüt am Nordosthang. Im westlichen Vorgelände des Schlosses auf dem Plateau, weitgehend etwa im Verlauf der 200 m-Höhenlinie, die ungefähre Außenbegrenzung der Stadtbefestigung

91 HANS-GEORG STEPHAN

Abb. 3. Schematischer Übersichtsplan zu den Grabungen in der Stadtwüstung Nienover (nach Ralf Mahytka) te dürfte allerdings mindestens etwa 10 bis 11 m be- ten geblieben ist, könnte außen mit Aushubmaterial tragen haben. Obgleich die Befestigungsanlagen noch ein wenige Meter breiter niedriger dritter Vor- etwa an der ausgegrabenen Stelle nahe am Westtor wall vorgelagert gewesen sein, auf dem eine Palisa- von der Feindseite her ein recht imposantes Bild de oder Hecke zusätzlichen Schutz geboten haben geboten haben müssen bleibt evident, dass die Stadt mag. nicht primär eine Festung war. Die Holz-Erde-Kon- Unklar bleibt in vieler Hinsicht, in wie weit das struktion der Ortsbefestigung war ein Schutzwall für Areal unmittelbar an der Innenseite der Stadtbefe- die Einwohner und eine Rechtsgrenze sowie eine stigung als öffentliche Fläche frei gehalten wurde, Vorfeldsicherung für die landesherrliche Burg. Zum ob ein Rundweg den unmittelbaren Zugang im Ge- Ausbau einer Mauerbefestigung kam es offenbar fahrenfalle sicherte, oder ob das Gelände komplett nicht, auch Türme sind nicht belegt. parzelliert war und die Privatgrundstücke der Ein- Grabungen im Nordwesten der Stadt ergaben, wohner bis an die Befestigung reichten. Trotz guter dass in diesem besonders gefährdeten Bereich mit Befunderhaltung fehlen z. B. im Süden jegliche Be- überhöhtem Vorgelände ein mächtiger doppelter Wall funde, die als Relikte eines Weges zu deuten sind. und Graben vorhanden waren. Der innere Wall von Im Gegenteil ist für die Wallseite der südlichen wie etwa 10 bis 11 m Breite mit davor gelagertem etwa auch der nördlichen Parallelstraße zur Ost-West- 9 m breitem Graben entsprach in den Dimensionen Hauptstraße der Stadt an mehreren Stellen eine Be- denen im Westen. Der äußere Graben war etwa 6,5 bauung belegt. Somit ist es wahrscheinlicher, dass m breit, dazwischen ist ein etwa 8 bis 9 m breiter die Grundstücke und damit die Hausbewohner di- Wall anzunehmen, der infolge von jahrhunderte- lan- rekten Zugang zur Befestigung hatten – und ger Pflugtätigkeit und Bodenerosion nur noch als möglicherweise für den Wach- und Verteidigungsfall Freifläche zwischen den Gräben erkennbar ist. individuell Verantwortung trugen. Allerdings ist die Ähnlich wie in der Stadtwüstung Landsberg bei archäologische Befunddichte am Standrand stellen- Wolfhagen im Landkreis Kassel (vor 1231), wo die weise gering, so dass größere Freiflächen zumindest Befestigung unter Wald bis heute vorzüglich erhal- möglich sind.

92 BINNENSTRUKTUR [...] IN DER MITTELALTERLICHEN STADTWÜSTUNG NIENOVER

Abb. 4. Ausschnitt aus der Sollingkarte des Johannes Krabbe von 1603 mit dem näheren Umfeld der Stadtwüstung Nienover, nach Süden orientiert (nach Krabbe 2005)

LANDWEHR – AUßENBEFESTIGUNG

Zusätzlich war die Stadt Nienover höchst wahr- weise setzte sich in diesen Bereichen die Landwehr scheinlich durch eine Landwehr geschützt, die Tho- mindestens als Hecke und Graben fort. Die dortigen mas Küntzel (2004) näher analysiert hat. Sie ist erst- Bachläufe waren wohl schon im Mittelalter aufge- mals auf der Sollingkarte von 1603 festgehalten, war staut, um ein bis zwei oder auch mehr Mühlen (Mah- damals aber höchst wahrscheinlich bereits nicht len von Getreide, vielleicht auch Walkemühlen, mehr in Pflege (Abb. 5). Demnach ist ein gerader Ölmühlen und Schleifkotten für die Metallverarbe- Abschnitt etwa 250 m nördlich bis 500 m nordwe- itung) zu betreiben. Der Damm der mutmaßlich stlich der Stadtbefestigung rekonstruierbar, der den ältesten, vielleicht in die Zeit um 1100–1150 zurück- stark überhöhten Bereich des Schinkelberges und des reichenden „Amtsmühle” (Burgmühle) östlich des Abraham gegenüber dem Sporn abriegelt, auf dem Schlosses ist ca. 150 m lang, der zugehörige Teich im Mittelalter Burg und Stadt lagen (Abb. 2). Von aber inzwischen verlandet (Abb. 2, 4). Ein weiterer dieser Vorfeldsicherung ist allerdings heute nur noch Damm am Carolinenteich südwestlich des Schlos- sehr wenig fassbar geblieben. In Wiese, Acker und ses ist heute durchbrochen. Er ist an der Basis 15 unter der Bundesstraße 241 ist die Anlage heute bis 15,5 m, an der Krone 2,5 bis 3 m breit und 2,7 völlig überprägt und nicht mehr erkennbar. Lediglich bis 3 m hoch. Diese beiden Dämme sperrten die Fern- in einem kleinen Gehölz im Nordwesten hat sich ein verkehrswege von Helmarshausen / Herstelle / Lau- etwa 100 m langer Abschnitt einigermaßen gut erhal- enförde nach Uslar / Göttingen / Nörten-Hardenberg ten, der eine infolge der Hanglage stark erodierte / / Duderstadt und zwangen sie durch die etwa 8 m breite Wall-Graben-Anlage noch schwach ehemalige Stadt, später führten sie an dieser nördlich erkennen lässt. vorbei. Im Westen, Osten und Süden schützten ehemals Das durch die „Landwehr” geschützte Areal sumpfige Täler die Siedlung Nienover. Möglicher- umfasst etwa 30 ha, wovon 10 ha auf die Stadt und

93 HANS-GEORG STEPHAN

Burg entfallen mit ihren (inneren) Festungswerken. Die Stadtmark als Ganzes dürfte erheblich größer gewesen sein. Es ist sehr plausibel, dass sich in Nie- nover ein seltenes Beispiel ehemals vielleicht wei- ter verbreiteter kleinräumiger Vorbefestigungen mit- telalterlicher Städte erhalten hat. Die Landwehr mag bereits nach der ersten gewaltsamen Zerstörung der Stadt um 1220 oder spätestens, nach den wenigen bekannten Analogien und den historischen Ver- hältnissen vor Ort vielleicht am ehesten um 1250, aber höchst wahrscheinlich vor der endgültigen Verödung Nienovers um 1270 errichtet worden sein. Danach bestand kaum noch ein hinreichender Be- darf und auch die Arbeitsleistung dürfte schwer zu erbringen gewesen sein.

Abb. 5. Luftbild von Nienover DIE STADT IM ARCHÄOLOGISCHEN BEFUND UND DIE SIEDLUNGSFLÄCHE IM ALLGEMEINEN VERGLEICH

Im Vergleich zu den Stadtwüstungen Corvey und Verdichtung von Keramik, verziegeltem Lehm, Neustadt Helmarshausen fällt die nahezu flächen- Holzkohle, Steine usw. zu beobachten. deckende Verteilung der Keramik und weiterer Sie- In den Grabungsflächen traten in größeren Be- dlungsanzeiger in Nienover auf (Stephan 1997; 2002; reichen, insbesondere an den Stellen der anzuneh- 2010a). Inwieweit in Nienover aus den engmaschi- menden Haupthäuser und der Hauptstraße, unter dem gen Oberflächenfunden und -befunden direkt auf Pflughorizont sogleich Löß oder die späteiszeitlichen eine flächenhafte bzw. dichte Besiedlung zu Fließerden zutage. Nur unter dem Stadtwall hatte schließen ist, konnte für weite Teile der Stadt beson- sich der früh- bis hochmittelalterliche Ackerboden ders im Zentrum und im Westen inzwischen einiger- erhalten. Die Befunde in Nienover entsprechen im maßen befriedigend geklärt werden. In anderen Te- Großen und Ganzen hinsichtlich der Erhaltung der ilen der Stadt bedarf es aber noch der näheren Unter- anthropogenen Befunde dem, was bei Freiland- suchung durch hinreichend große Grabungsflächen fundplätzen üblicherweise zu erwarten steht. Nach in verschiedenen Bereichen der Stadt, insbesondere diesen Feststellungen ist davon auszugehen, dass im Osten und im Norden. Die mittelalterlichen mittelalterliche Siedlungsanzeiger an der Ackerober- Geländeoberflächen sind im Grabungsbereich im fläche nicht nur bebaute Areale, sondern auch Hof- Stadtzentrum überwiegend nicht erhalten, sondern flächen, Straßen, Gärten usw. anzeigen können. In nur an wenigen durch Grabungen erschlossenen Stel- Abwägung aller erkennbaren Umstände sind die Sie- len in den Randbereichen im Süden und Südwesten. dlungsrelikte im Oberflächen- und im Grabungsbe- Darüber hinaus riss der Pflug zahlreiche in den an- fund von Nienover in den Zentralbereichen als ver- stehenden Boden reichende anthropogene Bodene- gleichsweise dicht zu bezeichnen. ingriffe an. An derartigen Stellen war im Acker eine

94 BINNENSTRUKTUR [...] IN DER MITTELALTERLICHEN STADTWÜSTUNG NIENOVER

STRAßEN IN DER STADT

Es erwies sich als außerordentlich schwierig, die das Stadtgebiet queren. Im Luftbild zeichnet sich ehemaligen Straßen von Nienover zu erfassen. Die unter günstigen Bedingungen eine leicht gebogene, historischen Pläne haben keine Strukturen dokumen- grob Ost-West orientierte Linie durch die Stadt ab, tiert, die (abgesehen von Relikten der Außenbe- die hypothetisch als Hauptstraße angesprochen we- festigung) den mittelalterlichen Stadtplan über- rden konnte (Abb. 5). Noch deutlicher bildet sich liefern. Auf einigen älteren Karten und Plänen, so diese in den geoelektrischen und geomagnetischen auf der Sollingkarte von 1603, sind lediglich ein oder Messungen ab (Abb. 6). Wesentlich schwieriger ge- zwei damals benutzte Wege grob eingezeichnet, die staltete sich allerdings bedingt durch Erosion und

Abb. 6. Geoelektrik- und Magnetikmessungen in der Stadtwüstung Nienover

95 HANS-GEORG STEPHAN geologische Beschaffenheit des Untergrundes der verlaufs das mutmaßliche Südtor der Stadt gelegen archäologische Nachweis der konkreten Straßen- haben. Alternativ ist es etwas weiter östlich zu su- verläufe und ihrer Beschaffenheit. chen. Dabei gehen wir von einer Stadt mit vier To- In der Grabungsfläche im Stadtzentrum doku- ren aus – wofür die Wegeführung im Umfeld spricht. mentieren zwei etwa 1,2 bis 1,4 m breite Fahrgelei- Allerdings ist es alternativ vorstellbar, dass die Stadt se mit 20 bis 50 cm breiten in die Fließerde einge- nur drei Tore besaß, neben West- und Osttor nur ein fahrenen Radspuren von großen Frachtwagen die Nordtor. Ein Keller der Zeit um 1200 mit nach Osten Hauptverkehrsachse West-Ost, mutmaßlich mit ei- ausgerichtetem Eingang unmittelbar an der heutigen nem dazu schräg verlaufenden jüngeren Abzweig zur Zufahrt zum Schloss könnte einen zweiten Arm der Burg oder Stadtkirche (Abb. 7). In dieser Aus- Nord-Süd-Straße wenig östlich von dem gut fassba- prägung gehören die Wegespuren wohl ins späte ren Verlauf anzeigen. Dieses wäre dann ein starkes Mittelalter. Sie verlaufen jedoch offensichtlich etwa Indiz für die Lage des Marktes in Nienover, denn in der Mitte der hochmittelalterlichen Hauptstraße derartig eng zusammen liegende Straßen bzw. der Stadt. In dem Gelände nach Westen hin war die Häuserzeilen ohne größeren Hinterhof treten im Straße als zunächst schwache, im stärker geneigten Mittelalter fast ausschließlich als Zeilen der Markt- Areal in Richtung auf das Westtor sodann als kräftig bebauung auf. Die Lage im Stadtzentrum und unweit ausgeprägte Hohlwegbildung im Wesentlichen allem der Burg würde damit korrespondieren. Der heuti- Anschein nach aus der Zeit seit der Verödung der ge Fahrweg zum Schloss läge in diesem Falle recht Stadt zu verfolgen. Die mittelalterliche Straßen- genau auf der Trasse der zweiten Nord-Süd-Straße. oberfläche war dort tiefgründig zerstört. Gegenüber Bedauerlicher Weise waren die geplanten Untersu- dem Schloss konnte die Hauptstraße ebenfalls als chungen im fraglichen Bereich nicht mehr realisier- (sekundärer?) etwa 7 m breiter und am Ansatz des bar. Hanges ca. 80 cm tiefer Hohlweg erfasst werden. Wesentlich klarer ist die Achse der südlichen Auch von der im leichten Bogen auf das Westtor Parallelstraße zur Ost-West-Hauptachse der Stadt zustrebenden nördlichen Parallelstraße zur Haupt- festzulegen, von der etliche und, z. T. recht gut erhal- straße haben wir nur geringfügige Spuren im hän- tene Fahrbahnstrecken gefunden wurden. Besonders gigen Gelände unweit des Tores sowie mutmaßlich gut fassbar war ein auf etwa 15 m Länge freigeleg- letzte Reste der Pflasterung bzw. Schotterung der ter Befund unweit des Westtores. In einer ebenen Straßendecke in der Nähe der Kreuzung mit der Geländepartie hatte sich eine gut 0,5 m starke Bo- Nord-Südstraße aufgefunden. Diese lagen im unte- denakkumulation abgelagert, so dass der Pflug den ren Bereich der Pflugschicht und waren deshalb be- Befund dort nicht schädigte, während die Hang au- reits stark zerpflügt bzw. bestenfalls noch in gerin- fwärts gelegenen Straßenabschnitte durch Bodene- gen Resten als Befund erhalten. Die intensive Ver- rosion und Pflügen deutlich gestört und teilweise kehrsnutzung der etwa 3 bis 4 m breiten, wahrschein- komplett beseitigt waren. Es zeichnete sich eine auf lich stark beanspruchten Fahrbahndecke dokumen- den Löß gelegte 3,8 m breite besteinte Fahrbahn ab. tieren ungewöhnlich zahlreiche Hufeisenbruch- Diese bestand aus einer, partienweise auch zwei oder stücke. Es ist allerdings anzumerken, dass im mut- gar drei Lagen ungleich großer, mindestens aber maßlichen Bereich dieser Straße nur im Stadtzen- faustgroßer und oft auch wesentlich größerer, z. T. trum größere Flächen freigelegt werden konnten. sogar hochkant verlegter Buntsandsteine in unre- Von der bzw. den beiden Zweigen der Nord- gelmäßiger Anordnung. Dazwischen lagen größere Südstraße in Nienover fanden wir weitgehend kei- Eisenschlacken. Insbesondere letztere dürften zu ne eindeutig ansprechbaren Spuren. Abgesehen viel- Ausbesserungen gehören. Knochen, die häufig als leicht von einigen verfüllten Schlaglöchern zeich- Relikte der Resteverwertung, als Fraß von Hunden nete sie sich im Wesentlichen nur als befundleere und Schweinen auf Straßen vorkommen, und viel- Fläche ab. Sie muss m. E. zwischen den Kellern IV leicht auch der provisorischen Festigung in strapa- und V auf die Ost-West Magistrale gestoßen sein. zierten Bereichen dienten, fanden sich nicht. Dies Deshalb mag die Pflasterung/Schotterung neben den erklärt sich zwanglos daraus, dass Knochen infolge kleinen Kellern Va und b den zentralen Fahrbahn- des sauren Bodens in Nienover fast nie erhalten sind. bereich darstellen. Die Straße könnte maximal etwa Grundsätzlich ist zu erwägen, ob die Straßen- 9 m breit gewesen sein und dürfte zwischen den decke ursprünglich erheblich glatter und eben- Kellern III und VI ihre Fortsetzung gefunden haben. mäßiger war und das heutige unregelmäßige Erschei- Etwa an der Stelle eines leichten Knicks im Hang nungsbild erst das Ergebnis jahrzehntelanger inten- könnte in der angenommenen Achse dieses Straßen- siver Nutzung im Mittelalter, der dadurch beding-

96 BINNENSTRUKTUR [...] IN DER MITTELALTERLICHEN STADTWÜSTUNG NIENOVER

Abb. 7. Stadtwüstung Nienover, Übersichtsplan zu den wichtigsten Befunden der Grabungen 1996 bis 2001 im zentralen Bereich (Graphik: S. König, T. Küntzel)

97 HANS-GEORG STEPHAN ten Entstehung von Straßenschäden und von vielfa- 1930 und Mitteilung Dr. Peter Ilisch, Münster). Nach chen Ausbesserungen ist. Immerhin wurde die Straße diesen Befunden ist davon auszugehen, dass die während der Bestehenszeit der Stadt mindestens 50 Straße bei oder kurz nach der Anlage der Stadt um bis 80 Jahre lang intensiv genutzt und vielleicht auch 1200 bereits befestigt wurde. Anhaltpunkte für Er- noch in späterer Zeit befahren. Eine grundlegende neuerungen der Fahrbahndecke fehlen auch hier. Erneuerung der Straßendecke unterblieb aber offen- Typisch für den Ablauf der Siedlungsgeschichte bar. Mutmaßlich ist dies ein wichtiges Indiz für die Nienovers ist offenbar generell, dass diese erste au- stark nachlassende Wirtschaftskraft (und Bevölke- fwendige Infrastrukturmaßnahme allem Anschein rung der Stadt) seit etwa 1220 (s. u.). Ich spreche nach die einzige blieb. Die Straße wurde in allen deshalb, und zudem wegen der erheblichen Größe untersuchten Teilbereichen lediglich geflickt, neue etlicher Steine, ganz bewusst nicht von einer Schot- Fahrbahndecken hat man im Laufe des 13. Jahrhun- terung (die aus reinem Schottermaterial ziemlich derts allem Anschein nach nicht mehr angelegt. Die- regellos hätte eingebracht worden sein müssen), son- se Feststellung ist höchst bemerkenswert, denn da- dern von einem Pflaster. mit liegt ein ausgesprochen früher Nachweis für eine Auf eine intensive und lange Nutzung deuten großflächig und systematisch mit erheblichem Au- zudem die Funde aus der Straßendecke und der zu- fwand und Voraussicht befestigte Straße in einer kle- gehörigen Schmutzschicht hin. Sie gehören über- inen mittelalterlichen Stadt vor. Es handelte sich wiegend in die Frühzeit der Stadt um 1200–1230, nicht um eine unabdingbar notwendige Baumaß- nur zu einem geringeren Teil in das zweite Drittel nahme etwa in einem Feuchtbereich. Dabei war dies des 13. Jahrhunderts. Neben Keramik fanden sich keine Hauptstraße, sondern lediglich eine wichtige auffallend häufig verkehrstypische Funde wie Bruch- Nebenstraße, die der Durchleitung des Hauptver- stücke von Hufeisen. In der Straßenmitte waren kehrs diente und wahrscheinlich mit einem Abzweig Fahrspuren von großen Frachtwagen (Spurweite ca. zur Burg führte. 1,2 bis 1,4 m) tief eingegraben, diese zeigen also eine Auch für die nördliche Parallelachse zur Haupt- lange und intensive Nutzung für den Verkehr an. Die straße, auf der burgfernen Seite der Stadt, gibt es im gepflasterte Fahrbahnbreite von ca. 3,8 m entspricht Zentralbereich unweit der Einmündung der Nord- etwa der Forderung für die Breite einer Königsstraße Süd-Straße gute Anhaltspunkte für eine etwa 4 m (Fernverkehrsweg, 1 Rute, wenn diese 12 Fuß hat- breite Pflasterung, die allerdings durch Pflügen te) des um 1225 niedergeschriebenen Sachsenspie- extrem stark gestört und bis auf minimale Reste kom- gels (wichtigster mittelalterlicher norddeutscher plett beseitigt war. Die zerpflügten Steine waren in Rechtskodex). Die Straße selbst war, wie Freiflächen unregelmäßiger, offensichtlich vollständig aus der zu beiden Seiten nahe legen dürften, gewiss erhe- Originallage gerissener, Anordnung noch an der blich breiter. Nach Befund und Analogien betrug die Sohle der Pflugschicht zu erahnen, aber im unmit- Straßenbreite im aufgedeckten Bereich im Süd- telbar darunter anstehenden Löß leider nicht mehr westen ursprünglich etwa 8 bis 12 m. zu greifen bzw. zu dokumentieren. Man wird dem- Die südliche Achse des Ost-West ausgerichteten nach jedenfalls davon ausgehen dürfen, daß diese Dreistraßensystems von Nienover konnte mit Unter- dritte Hauptstraße ebenfalls gepflastert war. Mög- brechungen über eine Strecke von etwa 100 m ver- licherweise war dort die Fahrbahn wie bei der folgt werden. Während sie im westlichen Hangbe- Brückenstraße in der Stadtwüstung Corvey in der reich nur noch in letzten Resten als etwa 2 m schma- ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts etwa 4 bis 4,5 m ler Schotterstreifen –wohl einer Unterfütterung, oder breit, so dass zwei sich begegnende Wagen passie- einem fast völlig zerfahrenen letzten Rest, erfasst ren konnten (Stephan 2000, S. 462–463, 471). Die wurde, gelang im ebenen zentral gelegenen Areal der weitere Nutzung der Wegeverbindung – verbunden Stadt die Erfassung einer etwa 3,5 m breiten klein- mit einer Hohlwegbildung wegen mangelnder teiligen Schotterung. Aus dem Pflasterrest und dem Straßenpflegemaßnahmen nach der Verödung der darauf liegenden Schichtpaket konnten zahlreiche Stadt – hat im Laufe des Spätmittelalters und in der kleinteilig fragmentierte (durch Begehen und Fah- frühen Neuzeit offenbar infolge der stärkeren Han- ren extrem zerkleinerte) Keramikfragmente der Zeit glage des Areals zu starker Bodenerosion und zur um 1200 bis 1270, auffallend viele Hufeisenteile, völligen Zerstörung des auszunehmenden Pflasters zwei Armbrustbolzen und das Bruchstück eines geführt. Kölner Pfennigs der Zeit kurz nach 1200 oder eines Anhand von negativen Befunden im Straßen- Paderborner Denars der Bischöfe Bernhard II. oder bereich und der Bebauungsspuren zu beiden Seiten Simon (1223–1277) geborgen werden (Hävernick ist für die Ost-West-Hauptstraße im Westteil der

98 BINNENSTRUKTUR [...] IN DER MITTELALTERLICHEN STADTWÜSTUNG NIENOVER

Stadt Nienover von einer Breite von etwa 10 bis 12 decke wenig geeignet, wohl aber für lediglich gele- m auszugehen. Dies entspricht gut den Verhältnissen gentlich mit schweren Fahrzeugen befahrene privat in anderen mittelalterlichen Städten. Begleitende genutzte Zufahrten, als Arbeitsbereiche und Abstell- Straßengräben, wie in Corvey für den Zeitraum um flächen für Wagen. Derartige längliche Pflasterun- 1100 bis um 1200 bei fast allen Straßen üblich, so- gen von z. T. beachtlicher Ausdehnung und in meh- wie in Einbeck um 1230/1240 belegt, fehlen in Nie- reren Metern Breite treten vereinzelt dort auf, wo nover leider (Heege 2002, S. 114–115; Stephan 2000, neben den Häusern genügend Raum und vermutlich S. 226, 462–463, 471–473). Möglicherweise ist dies wirtschaftlicher Bedarf, etwa für Fuhrwerke oder bedingt durch den Nässe stauenden Untergrund in handwerkliche Nutzungen bestand – so einmal in der Nienover und die hohe Feuchtigkeit im Solling. Nähe des Westtores an der südlichen Nebenstraße Gräben zur Entwässerung wurden hingegen vor al- und im Zentrum der Stadt auf einigen Grundstücken lem im hängigen Gelände im Südwesten der Stadt an der Hauptstraße. auf Hausgrundstücken gefunden. Die zweifelsfreie Abgrenzung derartiger Befun- Mit Steinen befestigte Zufahrten oder Arbeit- de auf Privatgrundstücken von Gassenpflastern für sflächen neben den Häusern wirken in Nienover teil- kurze Querstraßen ist allerdings nicht immer mög- weise regelmäßiger und durch einzelne ausgespro- lich. Eine befundleere Fläche südlich der Wegeab- chen große Steinplatten auf den ersten Blick deutlich zweigung im zentralen Grabungsareal könnte auf aufwendiger, massiver und solider als die erhalte- eine platzartige Erweiterung hindeuten. Ein Platz mit nen Straßenoberflächen (Abb. 8–9). Dies kann und Markt, Kirche, eventuell Kaufhaus/Rathaus ist an- wird m. E. auf die weitaus weniger starke mechani- gesichts der Topographie etwa in der Stadtmitte auf sche Beanspruchung derartiger Flächenversiege- der höchsten Geländeerhebung vor der Burg in Ana- lungen zurückzuführen sein. Große waagrecht ver- logie zu anderen Städten dieser Zeit geradezu zu er- legte Platten sind für eine stark befahrene Straßen- warten.

GRUNDSTÜCKE, BAUBLÖCKE, KELLER UND HÄUSER Die Bebauung in der Stadt ist anhand von fast 30 Holzkellern und anderen Indizien wie Pfosten und Kellern, darunter Steinfundamenten aus dem regio- Brunnen ansatzweise zu erfassen. In Nienover wur- naltypischen in der Nähe anstehenden und nur grob den bislang 14 Steinkeller und etwa 13 bis 16 Holz- zugehauenen rötlichen Buntsandstein, sowie von bzw. Erdkeller, vereinzelt wohl mit einer Steinwand

Abb. 8. Pflaster der südlichen Parallelstraße zur Ost-West-Straße in der Nähe des Westtores. Rest der Schotterung/ Unterfütterung der südlichen Parallelstraße zur Ost-West-Straße im ansteigenden Hangbereich südlich des Stadtzentrums

99 HANS-GEORG STEPHAN

Abb. 9. Stadtwüstung Nienover, Rekonstruktion der Stadtbefestigung im Südwesten (nach Bork u. a. 1997 ), 2,5-fach überhöht und Schnitt durch die Stadtbefestigung im Norden (nach Küntzel 2005)

100 BINNENSTRUKTUR [...] IN DER MITTELALTERLICHEN STADTWÜSTUNG NIENOVER ausgegraben. Die Steinkeller liegen fast durchweg in den Ecken auf. Als Baumaterial verwendete man an den beiden die Stadt querenden Hauptstraßen (soweit Reste erhalten waren) Eiche. Die weitaus (Küntzel 2005). überwiegende Anzahl der etwa 13 bis 16 Holzkel- Die eher als Halbkeller anzusprechenden z. T. nur ler bzw. Erdkeller war klein bis allenfalls mittelgroß. noch 20 bis 50 cm, meist etwa 60 bis 90 cm tiefen, Nur vereinzelt ist eine Nutzung bis 1240/1250 nach- und maximal 1,1 m tief unter der etwa 30 cm star- weisbar, zumeist wurden sie bereits um 1200–1220 ken Pflugschicht erhaltenen Räume gehören im Re- aufgegeben. In keinem Falle hat man nachweislich gelfall offenbar direkt zu den Haupthäusern in Holz- Holzkeller bis 1270 genutzt. Sie gehören somit ein- bzw. Fachwerkbauweise. Sie befanden sich in Nie- deutig in die älteren Besiedlungsphasen der Stadt. nover üblicherweise am hinteren Ende des Hauses. Die Einwohner haben sie seit dem zweiten Drittel Bedingt durch das weitgehende Fehlen der mittelal- des 13. Jahrhunderts nicht mehr neu gebaut. terlichen Geländeoberfläche, Bodenerosion und Nur in einem Falle (Keller III) ließ sich in Nie- Pflugtätigkeit ist die ursprüngliche Tiefe der Keller nover eine Abfolge von Holz- (vor 1220) und Stein- nur grob abzuschätzen. Darüber errichtete man wahr- keller (um 1220–1270) eindeutig nachweisen, wie scheinlich, wie an erhaltenen frühneuzeitlichen und das in der Stadtwüstung Corvey mehrfach, in der spätmittelalterlichen Beispielen im Weserbergland zu Regel nach der Zerstörung um 1180/1200, der Fall ersehen ist, eine vor Feuchtigkeit und Kälte war. Teilweise ist dies wohl dadurch zu erklären, dass schützende Kammer. zahlreiche Grundstücke nach dem ersten Stadtbrand Leider ist in der Regel das hölzerne Haupthaus nicht mehr überbaut wurden. Vereinzelt können durch zugeordnete Befunde als bauliche Struktur große Steinkeller ältere Holzkeller völlig zerstört nicht oder nur schwach erkennbar (Abb. 7). Die haben, allerdings gibt es dafür in Nienover keine Häuser zeichnen sich zumeist als weitgehend be- Nachweise. Dagegen spricht zudem die Beobach- fundfreie Flächen in unmittelbarer Straßennähe ab. tung, dass in der Stadtwüstung Corvey, aber z. B. Oft werden sie begleitet von Gruben im rückwärtig auch in Freyenstein in Nordwestbrandenburg, ältere anschließenden Bereich, manchmal von Pflasterun- Holzkeller neben den sie oft überschneidenden oder gen an der Traufseite (Hofeinfahrt?). Geradezu re- benachbarten Steinkellern der Zeit um 1200 bzw. um gelhaft flankieren Brunnen in wiederkehrender Lage 1250 in der Regel partiell oder komplett erhalten vorn oder seltener hinten die Häuser. Die Brunnen blieben. lagen wohl fast durchweg auf den Grundstücken, Wahrscheinlich gehören etliche der Steinkeller in nicht im öffentlichen Straßenbereich – einige können die Frühzeit der Stadt Nienover, was aber bedingt sehr wohl nachbarschaftlich genutzt worden sein. durch die Befundlage (fortlaufende Nutzung, Repa- Die Keller befinden sich allem Anschein nach zu- ratur und Reinigung) nur vereinzelt abzusichern ist. meist am hinteren Ende der Gebäude. Manchmal fin- Andere Steinkeller wurden etwas später, z. B. nach den sich Öfen, Herdstellen bzw. Aschegruben, ein- dem ersten Stadtbrand um 1220, oder spätestens nach zelne Pfosten oder Pfostenreihen. Von großer Bedeu- einem zweiten Brand um 1240, errichtet (möglicher- tung für die Hausforschung ist die Feststellung, dass weise im Gefolge der Northeimer Fehde zwischen das Grundschema der Fachwerkhäuser mit Kammer- den Grafen von Dassel als Klostervögten einerseits fach, das bis ins 18. und 19. Jahrhundert hinein in und dem Benediktinerdoppelkloster Northeim und Niederdeutschland verbreitet war, nicht nur in der Zeit Herzog Otto dem Kind von Braunschweig-Lüneburg um 1200 in der relativ kleinen Stadt Nienover vor- andererseits). Danach dürften bis 1270 allenfalls kam, sondern bereits damals in weiten Kreisen der noch vereinzelte Keller neu erbaut worden sein – Bevölkerung dieses Burgmarktes üblich war. Die nachweisbar ist dies in keinem Falle. Die Keller sind Umbrüche im Hausbau und Wohnen sind somit nicht in der Regel nur grob mit den Funden aus den zu- allein an den vor allem in größeren Städten erhalte- meist wenig ausgeprägten Nutzungsschichten, vor- nen romanischen und gotischen Steinwerken oder nehmlich anhand der Materialien aus der Verfüllung Kemenaten erkennbar, sondern in noch viel größerem datierbar. Streng genommen zeigen diese zumeist nur Umfang an den archäologisch und bauhistorisch er- eine wahrscheinliche Nutzungsdauer, und vor allem fassten Kellern aus Holz und Stein. den Zeitraum der Zerstörung und Verödung der Alle konstruktiv erfassten gängigen Holzkeller Hausgrundstücke an. Generell sind in Nienover waren einräumig und wurden wahrscheinlich über- städtische Neubauten aus der Zeit nach etwa 1270 wiegend beim ersten Stadtbrand um 1220 zerstört. archäologisch nicht belegt. Sie wiesen eine Konstruktion aus Bohlenwänden und Die Steinkeller in Nienover fanden sich aus- nicht allzu kräftigen Ständern bzw. kantigen Pfosten schließlich in zentraler Lage, wahrscheinlich waren

101 HANS-GEORG STEPHAN sie zunächst an Häuser relativ wohlhabender Ein- als 50 qm deutlich häufiger vor und mittlere, vor al- wohner gebunden (Abb. 7). Kein Grundriss gleicht lem aber kleine Keller sind bisher relativ seltener genau dem anderen, die Wände sind in der Regel nachgewiesen. etwas unterschiedlich lang und sie differieren auch Typisch sowohl für Holz- wie auch Steinkeller in der Stärke ein wenig. Vielfach sind die Mauern in Nienover ist die Lage des Einganges an einer ohne erkennbare Ursache auffallend unterschiedlich Langseite unmittelbar anschließend an die Wand der stark, nicht nur an den verschiedenen Seiten, son- anschließenden Schmalseite. Die Eingänge sind fast dern sogar innerhalb einer Wand. Allerdings dürfte immer zur Straße hin orientiert. An der Südseite der die Außenschale der Mauern regelmäßiger aufge- Hauptstraße bevorzugte man die Nordostecke, an der führt gewesen sein als die gegen das Erdreich ge- Nordseite hingegen die Südostecke. Somit liegen die setzten Partien. Zugänge der Keller sich bemerkenswerter Weise in Dennoch unterliegt es keinem Zweifel, dass die etwa gegenüber – vermutlich in der Regel in der Größe der Keller (und letztlich zweifellos der Häu- Flucht zum straßenseitigen Haupteingang des im ser!) anhand gewisser Vorgaben wie der vorgesehe- archäologischen Befund in der Regel kaum fassba- nen Nutzung, den finanziellen Möglichkeiten und ren Fachwerkhauses. Der große Eingang, das „De- dem sozialen Anspruch oder Rang der Bauherren elentor”, lag demnach wahrscheinlich in vielen nach einem groben Schema festgelegt wurden – und Fällen mittig in der Giebelfront. Auf der Ostseite der keineswegs völlig beliebig waren. Zusammenfassend Nord-Süd-Straße befinden sich die Eingänge bevo- können in Nienover m. E. grob drei bis vier gängige rzugt an der Nordwestecke und auf der Westseite Größenklassen sowohl bei den Stein- als auch bei wiederum gegenüber an der Nordostecke. Daraus den Holzkellern unterschieden werden: Nur mit ei- lässt sich eine regelhafte Anordnung der Haupthäuser nem Beispiel ist ein sehr großer Keller vertreten (ca. ableiten. 55 qm). Häufiger sind große Keller mit etwa 18 bis Hinsichtlich der Vorderhäuser ergeben sich in den 25 qm Innenraum (überwiegend in Steinbauweise), meisten Fällen recht gute Anhaltspunkte für die Di- mittlere Keller in der weniger gut definierbaren Ka- mensionen: etwa 8 bis 12 m Breite bzw. 12 bis 14 tegorie zwischen etwa 8 und 14 qm und kleine Kel- m, aber auch 15 m und bis zu 23 m Tiefe, und für ler von nur etwa 3,5 bis 7,5 qm Nutzfläche die vorherrschende Ständerbauweise (Abb. 7, 10). (überwiegend in Holzbauweise). Die Übergänge er- Die rückwärtige Hauswand der größeren Bauten scheinen somit insbesondere in den unteren Kate- wird demnach mindestens 16 bis 18 m von der Straße gorien teilweise fließend. In Nienover dominieren entfernt gewesen sein. Angesichts dieser Ausmaße kleine und mittelgroße Keller. In größeren Städten müssen in Nienover, wie im Weserbergland und in kommen auch Keller von über 25 qm bzw. mit mehr Westfalen auch später noch üblich, mit der Schmal-

Abb. 10a. Schematisierte, idealisierte Ideenskizze zur Rekonstruktion eines Abschnittes der Ost-West-Hauptstraße der Stadt Nienover in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts (Graphik T. Küntzel)

102 BINNENSTRUKTUR [...] IN DER MITTELALTERLICHEN STADTWÜSTUNG NIENOVER

Abb. 10b. Schematisierte, idealisierte Ideenskizze zur Rekonstruktion eines Hauses an der Ost-West-Hauptstraße der Stadt Nienover in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts (Graphik T. Küntzel) seite zur Straße orientierte Häuser, also giebel- Lage war die sonnige Südseite. Die gegenüber lie- ständige Haupthäuser üblich gewesen sein. Der Ein- genden Keller auf der Nordseite der Straße sind stets gang dürfte in der Regel an der Straße gelegen ha- kleiner. Dies ist im regenreichen Solling gut nach- ben. Aber auch zusätzliche seitliche Eingänge könn- vollziehbar, zudem ist die Südseite auch die zur Burg ten vorhanden gewesen sein, z. B. an den gepflaster- hin orientierte Seite gewesen. Auf dem Plateau, im ten Zonen. Zum Teil waren die Häuser mutmaßlich Zentralbereich der Siedlung, liegen große Steinkel- einschiffig, d. h. es waren keine störenden Ständer ler, die bis zur endgültigen Zerstörung der Stadt um in der Verkehrsfläche vorhanden und allein die 1270 in Nutzung waren. Richtung Westen, zum Tor Außenwände hatten tragende Funktion. Zudem gab hin, nehmen die Kellergrößen auf beiden Straßen- es wahrscheinlich zwei- und dreischiffige Hal- seiten kontinuierlich ab. Zudem wechselt die Bau- lenhäuser. In einem Falle liegt die Annahme einer weise und die Nutzungsdauer wird stadtauswärts fast Kübbung (niedriger Seitenflügel) nahe, wie sie in regelhaft kürzer – und dies trotz der doch zweifel- Einbeck für Bauten der zweiten Hälfte des 13. Jahr- los immer noch sehr günstigen Lage an der Haupt- hunderts nachgewiesen wurde (Teuber 2009). Hin- straße! Auf der Nordseite der Hauptstraße liegen nur zu kommt noch eine rückwärtige Bebauung mit Ne- zwei ausgegrabene große Keller und ein mittelgroßer bengebäuden wie Werkstätten, Ställen und Scheu- Keller in Steinbauweise. Nach einem Paar kleiner nen usw., die häufiger in Postenbauweise errichtet Steinkeller, die nacheinander in Nutzung waren, und wurden, aber sehr selten rekonstruierbar sind. die man bereits um 1220 und 1240 verfüllte, folgen Ein Hauptergebnis der Grabungen in Nienover ist nur noch kleine Holzkeller, die sämtlich bereits um bei aller Lückenhaftigkeit der Befunde die Erkennt- 1200 bzw. 1220 und wenig später aufgegeben wur- nis, dass die Grundprinzipien des Fachwerkbaus den. Die zugehörigen Häuser und Parzellen fielen offenbar um 1200 bereits weitgehend ausgebildet also trotz ihrer Lage an der Hauptstraße auffallend oder doch zumindest in der Entwicklung begriffen früh wüst. waren, und selbst bei gewöhnlichen Häusern in klei- Auf der Südseite der Hauptstraße ist die Situa- neren Städten Norddeutschlands dieses Wissen und tion etwas komplizierter. Auf die drei großen bis sehr die zur Umsetzung erforderlichen technischen und großen Steinkeller im Zentrum folgen mehrere finanziellen Mittel verfügbar waren und häufig an- Grundstücke mit mittelgroßen bzw. relativ kleinen gewendet wurden. Steinkellern bzw. Erdkellern, die jedoch stets größer Anhand der Größen der Keller lässt sich in Nie- sind als auf der Nordseite, und die zudem bis etwa nover vor allem für die dominierende Ost-West- 1240/1250 genutzt wurden. Unweit des Westtores Hauptstraße der Stadt eine geradezu idealtypische und des Zusammentreffens der drei Ost-West- Sozialtopographie rekonstruieren. Die bevorzugte Straßen gibt es wiederum einen stattlichen Steinkel-

103 HANS-GEORG STEPHAN ler, der in seinen Dimensionen mit 18 qm deutlich dert hinein bewohnt gewesen sein, um die Funk- über der Obergrenze der gängigen mittelgroßen bzw. tionsfähigkeit der Verteidigung von Burg und Stadt an der Untergrenze der großen Keller liegt. in gewissem Umfang zu gewährleisten – und die Auch an der in einem großen Teilabschnitt aus- Einkünfte der Burgmannen zu sichern. In Analogie gegrabenen Nord-Süd-Straße liegt der mit Abstand zu anderen Städten der Region ist am ehesten mit größte Keller auf der günstigeren Westseite. Die etwa drei bis sechs Burgmannenhöfen zu rechnen. Keller auf der Ostseite zeigen eine fortschreitende Im 13. Jahrhundert ist eine Burgmannenfamilie von Abnahme der Dimensionen vom Zentrum in Rich- Nienover – möglicherweise mit mehreren Zweigen tung auf das Nordtor bzw. die Stadtbefestigung. Auf – als Inhaber des Burggrafenamtes belegt (Kruppa der Rückseite der Goldschmiede- bzw. Gießer- 2002). werkstatt lag vielleicht ein besonders stattliches, Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das ge- später leider komplett abgeräumtes Gebäude auf ei- radezu regelhafte Vorkommen von Kellern an der nem mutmaßlich großen Grundstück – es könnte eine Hauptstraße, und deren größenmäßige und durch das Sonderstellung besessen haben, z. B. als Burgman- Baumaterial bedingte Differenzierung ein schwer ins nenhof. Die Nutzungsdauer der Parzellen ist an die- Gewicht fallendes archäologisches Indiz für die star- ser Straße allerdings weniger idealtypisch. Der ke soziale bzw. wirtschaftliche Gliederung in der größte ausgegrabene Keller wurde bereits um 1220 Siedlung sind und damit für die Identifizierung Nie- zerstört und danach nicht mehr erneuert. Das östliche novers als Markt bzw. Stadt mit archäologischen Grundstück am Tor hat man hingegen bis zur letz- bzw. bauforscherlichen Kriterien. Dies gilt bereits ten großen Stadtzerstörung genutzt. und sogar ganz besonders für die Zeit um 1200– Soweit sich hinreichende Anhaltspunkte dazu 1220. Ein starkes Argument für den Charakter Nie- fanden, hat es den Anschein, dass der Bereich der novers als wirtschaftlicher Zentralort, als Markt bzw. Hauptstraße gegenüber der Burg bis zum Osttor wohl Stadt, ist weiterhin die rasche Verödung nach den weitgehend bis etwa 1270 bebaut war, was für de- Zerstörungen, denn eine agrarische Siedlung wäre ren Bedeutung noch in der Spätzeit der Stadt spricht. wohl kaum derart störanfällig gewesen, dass binnen Hingegen waren selbst die großen Nebenstraßen kurzer Zeit der Abzug der Bewohner erfolgte. Ein allem Anschein nach bereits seit der ersten Stadt- Dorf hätte man aufgrund fortbestehender wirtschaft- zerstörung um 1220 bzw. wenig später weitgehend licher Funktionen und des überschaubaren Arbeits- verödet. An der südlichen Parallelstraße zur Ost- und Materialaufwandes für die Wiedererrichtung der West-Hauptstraße sind lediglich Bauten aus der Zeit Haus- und Hofstätten innerhalb relativ kurzer Zeit um 1200, ein Holzkeller sowie zwei Pfostenbauten komplett oder weitgehend neu erbaut. Dies gilt ganz und ein Steinkeller nachgewiesen – letzterer liegt im besonders für das von Siedlungs- und Landesausbau Zentrum nahe dem mutmaßlichen Südtor. Allerdings geprägte 13. Jahrhundert, aber auch zumindest noch ist es wahrscheinlich, dass die anzunehmenden Burg- bis ins frühe 14. Jahrhundert hinein, oder sogar noch mannenhöfe mit ihrem Zubehör an Buden bzw. areae im 15. Jahrhundert, wie die benachbarten Dorf- wie üblich überwiegend in der Nähe der Befestigung wüstungen Winnefeld und Smedersen manifestieren lagen. Und zumindest diese dürften bis 1270 oder (Kühlhorn 1994–1996; Stephan 2007; 2010; Streich sie könnten sogar vereinzelt noch bis ins 14. Jahrhun- 1996; 1997).

DIE FRAGEN UM MARKT, KAUF- BZW. RATHAUS UND KIRCHE

Konkrete Anhaltspunkte für einen größeren handen waren. Eine könnte nördlich vor der Burg Marktplatz wurden nicht gefunden. Es spricht sehr gelegen haben, in deren Vorfeld trotz einiger Son- viel dafür, dass man die etwa 500 m lange, durch dierungen keine Keller des 13. Jahrhunderts gefun- die Mitte der Stadt ziehende Ost-West-Achse als eine den wurden – allerdings waren die untersuchten Art Marktstraße anzusehen hat. In vielen älteren Flächen in diesem Bereich nicht allzu groß. Eine Städten im deutschen Altsiedelland, und so auch im andere Freifläche deutet sich möglicherweise durch Weserbergland, ist eine derartige Konstellation an- Unregelmäßigkeiten in der ansonsten sehr regel- zutreffen. Selbst die kreuzende, möglicherweise dop- mäßig wirkenden Bebauungsstruktur südlich der pelte Nord-Süd-Straßenachse könnte in diesem Sinne Ost-West-Hauptstraße im Stadtzentrum auf der als straßenartiger Marktbereich zu interpretieren sein. höchsten Stelle des Stadtplateaus an. Die Flucht der Dies schließt nicht aus, dass in Ergänzung dazu ein ununterbrochenen Linie der Keller wird dort in oder zwei größere platzartige Erweiterungen vor- auffälliger Weise unterbrochen.

104 BINNENSTRUKTUR [...] IN DER MITTELALTERLICHEN STADTWÜSTUNG NIENOVER

Ein in Größe und Bauweise mit von der Straße len Waren bzw. Edelmetall pflegten, steht somit abgewandten Treppen ganz ungewöhnlicher Keller, außer Frage. der mit etwa 55 qm mehr als die doppelte Innen- Zudem böte sich in Analogie zu anderen Resi- fläche der üblichen großen Keller aufweist und im denzstädten in geringer Entfernung von diesem Bau Zentrum der Stadt an der mutmaßlich wichtigsten oder von dem im 14. Jahrhundert ausgebrochenen Straßenkreuzung liegt, lädt zu Überlegungen hinsicht- Bauwerk nördlich der Gießerei, eine optimale Lage lich seiner Zweckbestimmung ein. Das zugehörige für die allerdings bisher nicht lokalisierte Stadtkir- über der Erde nach den vorliegenden Anhaltspunk- che oder – nach derzeitiger Lage der Erkenntnis – ten wahrscheinlich weitgehend in Fachwerkbauweise eher der Marktkapelle von Nienover an. Es bleibt errichtete Gebäude muss recht geräumig gewesen das merkwürdige Phänomen zu konstatieren, dass es sein. Es könnte besondere Funktionen erfüllt haben, trotz intensiver Suche seit den ersten Prospektionen möglicherweise als Hof des Vertreters des Stadther- im Jahre 1993 nicht gelang die Kirche zu lokalisie- ren, des Schultheißen, des Stadtrichters oder als ren, die im Januar 1231 als Pfarre bezeugt ist, und Kaufhaus bzw. Rathaus. Dafür mag zudem sprechen, deren letzter belegter Pfarrer erst um 1327 den Ort dass die Ausrichtung der auffälligerweise als Trep- verließ. Die Lage auf dem ehemaligen Acker, der pen ausgebildeten Zugänge völlig aus dem üblichen etwas mehr als die westliche Hälfte der Stadt um- Rahmen fällt, und das grob zu erschließende fasst, ist nach unseren Untersuchungen in jedem Grundstück nicht nur extrem groß war, sondern im Falle auszuschließen. Süden zur Stadtbefestigung mit dem mutmaßlichen Der Topographie zufolge kann die Stadtkirche Südtor und nach Südosten zur Burg hin eine fast eigentlich nur südlich der Ost-West-Hauptstraße zu völlig befundleere Fläche anschließt. Leider war suchen sein. Sie sollte über einen Friedhof und bedingt durch die moderne Nutzung die Erweiterung Kirchplatz verfügt haben, der nicht allzu klein war. der Grabungen nach Osten hin nicht in hinreichen- Oft liegen Markt, Burg und Kirche eng beisammen. dem Umfang möglich um eine zweifelsfreie Klärung Insofern kommt insbesondere der Bereich zwischen herbei zu führen. dem Burgtor und dem heutigen Forsthaus infrage, Fachwerkrathäuser wurden noch im Spätmittel- der nicht allzu weit entfernt ist von dem genannten alter in benachbarten kleinen Städten wie Uslar, auffallend großen mittelalterlichen Steinkeller nahe Trendelburg oder Zierenberg errichtet, und selbst der Kreuzung der Hauptstraßen. In diesem Bereich größere und mittlere Städte in Hessen wie Kassel, konnten wir nur wenige relativ kleine Sondagen Frankenberg, Alsfeld oder Marburg oder Einbeck, durchführen. Diese ergaben keinerlei Anhaltspunk- Goslar bzw. Wernigerode am Harz besaßen gotische te für Kirche und Friedhof. Allerdings bestehen auf- Rathäuser mit steinernem Erdgeschoß und Fachwerk- grund des sauren Bodens kaum Erhaltungschancen oberbau. Insbesondere wenn man lediglich eine Te- für Knochen ohne Vorhandensein starker Kalk- oder ilunterkellerung annimmt, könnte man den Bau in Mörtelüberdeckung. Deshalb bleiben nur noch klei- Nienover möglicherweise als Sitz des Schultheißen nere Bereiche für eine typische Lage offen, etwa im bzw. Prototyp eines frühen kleinstädtischen Rat- oder Bereich der historischen Scheune unmittelbar west- Kaufhauses im Weserbergland rekonstruieren. In lich der Burg, wo die Kirche auf der idealisierten Gelnhausen gelang die Rekonstruktion einer derar- Rekonstruktion der Stadt Nienover denn auch ein- tigen Abfolge im historischen Rathaus, das zunächst getragen ist (Abb. 11). in spätromanischer Zeit als Stadtsitz des Schult- Zu erwägen ist weiterhin, ob in der neu angeleg- heißen als Vertreter des Königs diente und ähnliche ten Stadt Nienover lediglich eine Marktkirche mit relativ bescheidene Dimensionen besaß, aber bau- dem Status einer Filialkapelle vorhanden war, während lich anspruchsvoller in Massivbauweise ausgeführt die eigentliche Pfarrkirche mit Begräbnisrecht in einer war. Auf dem Grundstück gegenüber war in Nieno- möglichen älteren Siedlung zu Füßen der Burg lag – ver ein Goldschmied ansässig, der auch als Wechsler wo bemerkenswerter Weise eine „alte Kapelle” noch und Münzer tätig gewesen sein kann, wie dies im im 17. Jahrhundert erwähnt ist (Abb. 11). Dafür 12./13. Jahrhundert oft der Fall war. Auch in dem könnte sprechen, dass die Besiedlung innerhalb der Doppelkeller selbst fand sich eine Feinwaage, die Stadt nach unseren Forschungen bereits um 1220 im Zeitalter der regionalen Silberpfennige ein wich- erheblich schrumpfte. Dagegen wäre ins Feld zu tiges Messgerät zum Abwägen von Geld war, und führen, dass das zugehörige Nachbardorf Winnefeld auf einem Grundstück etwas weiter im Westen kam etwa zur gleichen Zeit oder bereits ein bis zwei Ge- ein Feingewicht zutage. Die Präsenz von wohlhaben- nerationen früher eine ausgesprochen aufwendig den Einwohnern, die häufigen Umgang mit wertvol- ausgeführte, komplett eingewölbte stattliche Kirche

105 HANS-GEORG STEPHAN

Abb. 11. Schematische Darstellung der mittelalterlichen Hauptverkehrs- und Handelswege im Gebiet zwischen Hameln und Bodenfelde (geringfügig ergänzt nach König u. a. 2003) von etwa 30 m Länge erhielt (die bei der Rekonstruk- sein. Infrage kommen insbesondere die Klöster und tion für Nienover Pate stand). Es ist wenig wahr- Stifte Lippoldsberg (Benediktiner) und Fredelsloh scheinlich, dass man sich in Nienover mit einem klei- (Augustinerdoppelkoster), aber auch Amelungsborn neren Gotteshaus begnügte. In Analogie zu anderen (Zisterzienser), Helmarshausen (Benediktiner), Hil- Städten ist vielmehr vom Bau einer größeren drei- wartshausen (Augustinerinnen) und Hofgeismar schiffigen romanischen Basilika auszugehen – ob (Kanoniker). diese allerdings vollendet wurde, das sei anheim Eine irgendwie geartete platzartige Verbindung gestellt. Zur Gründung eines Klosters oder Stiftes der breiten Hauptstraßen der Stadt mit dem mut- kam es in Nienover nicht – wie bei den meisten maßlichen Kirchplatz ist anzunehmen – und mögli- Städten dieser Größenordnung. Es können in Anbe- che Indizien dafür mit nur schwachen bzw. fehlen- tracht der zentralen Bedeutung für die Grafschaften den Bebauungsspuren liegen vor. Ähnliches gilt für der Dasseler aber durchaus Höfe des einen oder an- den angrenzenden Bereich vor dem Burgtor. Die deren nahe gelegenen und eng mit den Grafen ver- exakte Eingrenzung dieser wichtigen Elemente der bundenen geistlichen Instituts vorhanden gewesen Stadt ist derzeit jedoch offen. Ein großer rechtecki-

106 BINNENSTRUKTUR [...] IN DER MITTELALTERLICHEN STADTWÜSTUNG NIENOVER ger Markt um bzw. neben Kirche und Rathaus – wie bei Bedarf genutzten Hauptstraßen zu rechnen wie in Göttingen und Hannoversch Münden, und ur- etwa in Höxter. Derartige Schemata sind für die sprünglich auch in Holzminden – war mutmaßlich älteren Gründungsstädte im deutschen Altsiedelland nicht vorhanden. Eher ist mit einer etwas unre- charakteristisch, nicht zuletzt gerade bei Dreistraßen- gelmäßigen platzartigen Erweiterung der als Märkte anlagen wie in Lippstadt, Lemgo und Blomberg.

ABSCHLIEßENDE BETRACHTUNGEN

Mit Nienover wird eine typische kleinere Stadt Atlas von Hessen; Haase 1965; Kleinau 1967–1968; der Jahrzehnte um 1200 im Herzen des Deutschen Stoob 1966; 1970). Zu den bemerkenswertesten Ele- bzw. Heiligen Römischen Reiches konkret und weit- menten der archäologisch fassbaren Binnenstruktur gehend ungestört für die Nachwelt in einigen Grund- im öffentlichen Raum gehören die Reste der offen- zügen greifbar. Besonders wichtig und ungewöhnlich bar in der Frühzeit mit erheblichem Aufwand und ist dabei, dass es zu keinen größeren strukturellen guter Sachkenntnis mutmaßlich von Fachkräften an- Ausbauphasen der ursprünglichen Anlage kam. Im gelegten Straßen. Diesem Phänomen soll ab- Gegenteil schrumpfte die Stadt ziemlich rasch nach schließend noch an drei aufschlussreichen Beispie- zwei Bränden um 1210/1220 und vielleicht um 1240 len aus dem Weserbergland und dem Leinebergland und verödete völlig, als vielerorts sich die urbane nachgegangen werden, um eine angemessene Bewer- Bebauung gerade erst erheblich verdichtete und tung erstellen zu können. Neustädte entstanden (Dörries 1929; Geschichtlicher

CORVEY, HÖXTER, TOM RODEN

Die von Nienover aus nächstgelegenen größeren überwiegend kleineren Steinen im 12. Jahrhundert, Städte waren in der Zeit der Markt- oder Stadt- insbesondere in der Zeit ab etwa 1150, keine Selte- gründung um 1200 Höxter und Corvey. Dorthin hat- nheit waren, und auch bei Nebenstraßen vorkamen. ten die Grafen von Dassel stets enge Verbindungen, Einen der wenigen großflächig aufgedeckten insbesondere als Lehnsleute der Reichsabtei Corvey Befunde bildet eine in Teilabschnitten auf etwa 100 sowie vielleicht des Stiftes Niggenkerken und För- m Länge aufgedeckte in der Zeit um 1100 in einem derer der Propstei tom Roden, und sie dürften sich neu strukturierten profanen Siedlungsbereich plan- dort bereits um 1200 öfter aufgehalten haben, wie mäßig angelegte Nord-Süd-Straße unmittelbar vor im späteren 13. Jahrhundert mehrfach bezeugt. Der dem Westtor des in Art einer Domburg befestigten letzte Graf der ludolfinischen Linie verbrachte in Corveyer Klosterbezirks (Stephan 2000, S. 226). Höxter seinen Lebensabend, starb dort um 1290, und Teilweise war die Straßendecke erodiert bzw. durch wurde im Minoritenkloster in Höxter bestattet Beackerung zerstört, und lediglich die beidseitig (König u. a. 2003; Kruppa 2002). begleitenden Gräben und die Straße nur noch als Es ist demnach davon auszugehen, dass die dort- befundleere Fläche greifbar. In dem relativ gut erhal- igen Verhältnisse den Grafen und ihren Gefolgsleu- tenen Südabschnitt vor dem Klostertor und der ten bestens bekannt waren. Straßen und sonstige Einmündung in eine flache Senke verschmälerte die städtische Infrastrukturen können sogar mit als Vor- Straße einschließlich der Gräben sich von etwa 12 bild für die neu angelegte Stadt im Solling gedient auf ca. 6 m. Falls wie bei der Bruggestrate (s. u.) haben. In Höxter und Corvey sind gepflasterte noch Seitenpartien neben den Gräben dazu gehörten Straßen und Plätze vereinzelt seit der Karolingerze- könnte die Straße insgesamt auch etwa 10 bis 16 m it, vermehrt seit dem 12. Jahrhundert nachweisbar breit gewesen sein. Dies ist jedoch wenig wahrschein- (Stephan 1973, besonders p. 20 ff.). Die besten lich. Die in der Mitte verlaufende geschotterte und Straßenbefunde aus der vornehmlich infrage kom- zum Zwecke des Abflusses von Wasser leicht ge- menden Zeit des 12. und 13. Jahrhunderts wurden wölbte Fahrbahn oder Fahrbahnunterfütterung nahm in Corvey und am Kloster tom Roden beobachtet, nur etwa die Hälfte der Fläche zwischen den Gräben während in Höxter die alten Straßenoberflächen zu- ein. Dies spricht dafür, dass beidseitig ein unbefe- meist durch neuzeitliche Bodeneingriffe stark gestört stigter „Sommerweg” oder Trampelpfad bestand, der oder sogar völlig zerstört waren (König u. a. 2003; bei trockenem Wetter und Untergrund mutmaßlich Stephan 2000). Es bleibt festzuhalten, dass geschot- besser begehbar oder befahrbar war als die befestigte, terte bzw. mit unregelmäßigen Befestigungen aus aber etwas unebene Fahrbahn in der Mitte – und dass

107 HANS-GEORG STEPHAN

Abb. 12. Der Grabungsbereich mit Siedlungsrelikten und der Straßenführung mit Pflasterresten und Straßengräben der Zeit um 1100–1200 im Siedlungsbereich der Stadtwüstung vor dem Westtor des Corveyer Klosterbezirks (nach Stephan 2000)

108 BINNENSTRUKTUR [...] IN DER MITTELALTERLICHEN STADTWÜSTUNG NIENOVER

Abb. 13. Der zur Weserbrücke führende Hellweg im Corveyer Weserbogen mit Straßenpflastern der Stauferzeit (nach Stephan 2000) es wahrscheinlich keine Seitenstreifen außerhalb der bar hinreichend wasserdurchlässige Basis bildete. Gräben gab. Allerdings fanden sich keine Fahr- oder Vermutlich hatte man zuvor für die gesamte Straße Trittspuren – mutmaßlich infolge von Bodenerosion. den humosen Oberboden gezielt abgegraben, um Die mittige Fahrbahn bestand aus einem ca. 20 bis eine ebene und tragfeste Straßenfläche zu erhalten. 30 cm dicken, kompakten Paket aus kleineren und Etwas regelmäßiger und größer wirkt im Ver- mittleren, vereinzelt auch größeren Buntsandsteinen, gleich zu dieser Straße aus spätsalischer Zeit die an sie verjüngte sich von etwa 6 auf 3 m. Es liegt nahe, mehreren Stellen freigelegte ältere Pflasterung der dass dies durch die Einmündung auf eine Brücke Ost-West-Hauptstraße der Stadt Corvey im Weser- über die Grube (den schon im 9. Jahrhundert ange- bogen aus der frühen Stauferzeit (Stephan 2000, S. legten Frischwasserkanal zum Kloster) bedingt war. 256–257). Die Straßenbreite variiert etwas zwischen Die Besteinung der Fahrbahn war auf den anstehen- 12 und 15 m. Sie ist damit noch etwas breiter als den lehmig-sandigen Untergrund verlegt oder eher die Straße vor dem Klostertor. Grundsätzlich zeigt geschüttet worden, der eine recht stabile und offen- sie eine ähnliche Bauweise wie die ältere Straße. Sie

109 HANS-GEORG STEPHAN konnte nicht flächig untersucht werden, da wir die den Graben ganz oder teilweise. Mit der Anhebung darüber liegende kunstvolle Pflasterung nicht zer- der Fahrbahn um 60 bis 70 cm wohl im frühen 13. störten wollten. So ist lediglich die Aussage statthaft, Jahrhundert wurde der Graben etwa auf die Hälfte dass die besteinte Fahrbahn ca. 4,2 bis 4,3 m breit verkleinert und partiell abgedeckt. Die nunmehr war. Sie bestand aus einer zu den Seiten hin leicht sorgfältiger befestigten Randstreifen verbreiterte abfallenden Lage von kleinen und mittleren Bunt- man auf ungefähr 3 m, so dass auch dort eine be- sandsteinplatten ungleichmäßiger Form und aus gro- queme Passage für Fußgänger, Reiter und Karren ben Kieseln. Insbesondere in der Mitte verwendete möglich war. Wenig später gab man den Graben man häufiger etwas größere Steine und stellenwei- völlig auf, es verblieb allenfalls eine kleine Gosse. se brachte man eine zweite Steinlage zur Ausbesse- Vermutlich war dies bedingt durch statische Proble- rung oder Stabilisierung auf. Die Straße lag auf dem me bei der Nutzung der neuen schweren Straßen- wasserdurchlässigen, und trotzdem hinreichend sta- pflasterung. bilen natürlich anstehenden sandigen nur leicht hu- In einer zweiten Ausbauphase der Brückenstraße mosen Lehm der Weseraue, unter dem in größerer in der Zeit um 1200 bis 1220 brachte man auf der Tiefe Sande und Kiese folgen, so dass mutmaßlich älteren Pflasterung eine 30 bis 40 cm starke, nur keine gravierenden statischen und Abflussprobleme leicht humose, weitgehend fundsterile lehmige Sand- zu befürchten waren. Den humosen Oberboden hat- schicht als Bettung für ein neues Straßenpflaster auf. te man hingegen wahrscheinlich flächig entfernt. Das Die zur Mitte hin gewölbte Straßendecke bestand aus Pflaster zeigte nur geringe Spuren von Verunreini- außerordentlich sorgfältig und dicht nunmehr hoch- gungen. Es wurde wahrscheinlich regelmäßig gerei- kant nebeneinander gestellten Buntsandsteinplatten. nigt, denn es fanden sich nur wenige Funde und eine Die Steinformate bewegen sich in der Regel zwi- dünne Schmutzschicht. schen 30 und 45 cm Länge, 15 und 23 cm Höhe und Begünstigt wurde die Sauberhaltung der Straße 4 bis 10 cm Breite. Daneben kommen seltener klei- durch die leicht gewölbte Fahrbahn und die auf bei- nere Platten und größere blockförmige Quaderstei- den Seiten unmittelbar daneben angelegten Straßen- ne vor. Die plattigen Randsteine sind zumeist etwa gräben. Die Gräben waren am Ansatz der Pflaste- 40–60 cm lang, 30 cm hoch und 10 bis 13 cm breit. rung noch ganz flach. Aber die obere Grabenbreite Der Arbeits- und Finanzaufwand, der für diese betrug bis zu 2,3 m auf der Südseite und sogar 3,3 ungefähr 1100 m lange Straßenpflasterung der neu- m auf der Nordseite in dem flächig untersuchten en Hauptstraße der Stadt betrieben werden musste Areal in der Nähe der Weser. Vielleicht liegt dies war gewiss enorm. Er beweist die starke Wirtschafts- daran, dass dort der Abfluss in den Stadtgraben bzw. kraft der Stadt, und vielleicht auch noch der aller- Fluss nicht mehr allzu weit entfernt war, und für die dings wirtschaftlich und politisch zunehmend labi- infolge des Zuflusses aus weiten Teilen der Stadt len, und seit dem zweiten Viertel des 13. Jahrhun- erheblichen Wassermengen nahe dem Stadttor ein derts erheblich an Bedeutung verlierenden gefürs- größeres Fassungsvermögen notwendig war. Die tie- teten Reichsabtei in der fraglichen Zeit. feren, als Abflussgräben im engeren Sinne ansprech- Die aufwendige Pflasterung war 4,2 bis 4,3 m baren Bereiche besaßen allerdings nur etwa 1,4 bis breit und besteht aus zwei gleich breiten Fahrbah- 1,8 m Weite und bei annähernd muldenförmigem nen von etwa 1,9 bis 2 m Breite. Zur Stabilisierung Querschnitt ca. 60–70 cm Tiefe. Der sanfte Ansatz sind seitlich, in der Straßenmitte und zusätzlich in der Gräben war statisch sinnvoll, um ein Absacken Abständen von 1 bis 2 m in beiden Fahrbahnen Kan- der Straßenränder zu verhindern. An anderen Stel- tensteine eingefügt, die etwa 4 bis 10 cm hochragen. len erreichten die Gräben in der Regel lediglich etwa Dadurch entstehen Felder von etwa 2 mal 2,1 m und 1,2 bis 1,6 m Breite. Pfostenspuren gehören entwe- 0,9 mal 2 m Größe. Derartige Felder fanden sich al- der zu Stützkonstruktionen der Straße (wie sie in lein im Ostabschnitt der Straße, mutmaßlich nicht Adelebsen belegt sind) oder zu Brücken von Häusern allzu weit entfernt vom Wesertor und der Weser- über die Gräben. brücke. Es könnte sich um Stopper handeln. Einer Neben den Straßengräben folgte beidseitig eine der wenigen einigermaßen vergleichbaren euro- Zone mit partieller Oberflächenbefestigung durch päischen Straßenbefunde liegt vom Stralsunder Ha- große flache Sandsteinplatten, kleine Sandsteine und fen vor (Jöns, Lüth 2005). Er gehört in die zweite Knochen von etwa 1,2 m bis 3 m Breite. Dieser Hälfte des 13. Jahrhunderts, ist aber weniger aufwen- Randstreifen war für die Benutzung durch schwere dig ausgeführt. Trotz der weiten Entfernung ist der Fahrzeuge ungeeignet und zeigte auch keine starken Befund im Rahmen der frühen hansischen Handels- Fahrspuren. In seiner größten Breite versiegelte er verbindungen keineswegs völlig überraschend, denn

110 BINNENSTRUKTUR [...] IN DER MITTELALTERLICHEN STADTWÜSTUNG NIENOVER

Westfalen und Niedersachsen waren stark im Ost- Königsstraße (Westfälischer Hellweg) zu erwarten, seehandel engagiert. Die Bauweise der Straße dürfte aus, damit zwei sich entgegen kommende Fahrzeu- kaum im Ostseeraum heimisch gewesen sein. Sie ist ge passieren konnten. So schrieb es etwa der Sach- mutmaßlich im norddeutschen Binnenland entwic- senspiegel, das berühmte Rechtsbuch des Eicke von kelt und in die neuen Handelszentren gebracht wor- Repgow aus der Zeit um 1225/1230 vor (Czyppull, den. Die starken Abnutzungsspuren und Fahrgelei- Küntzel 2005; Denecke 1969; Schwinges 2007). se in Corvey von etwa 1,2 bis 1,4 m Spurweite in Diese über einen Zeitraum von etwa 90 bis 120 Jah- der Straßenmitte zeigen, dass große Frachtwagen ren von etwa 1140/1170 bis 1265 intensiv genutzte dort in einiger Frequenz verkehrten, und dass man Hauptstraße der Stadt Corvey in der Stauferzeit kam nach Möglichkeit auf dem Scheitel der gewölbten mit zwei Pflasterungen aus. Spätere Erneuerungen Straße fuhr, um das Fahrzeug nicht in Schieflage zu nach der weitgehenden Verödung der Stadt erfolg- bringen und so ein Umkippen zu verhindern. ten nicht, obgleich die Straße nach einzelnen Kera- An sich reichte die Fahrbahnbreite, wie für eine mikfunden zu urteilen wahrscheinlich gelegentlich Hauptverkehrsstraße, in diesem Falle einen Absch- noch bis ins 14./15. Jahrhundert genutzt wurde. nitt einer wichtigen mittelalterlichen Geleits- und

EINBECK UND ADELEBSEN

Dass wir es nicht mit einem isolierten Phänomen bestehenden Orten, weniger eindrucksvoll als in zu tun haben zeigen Beobachtungen in Einbeck, wo Nienover, Einbeck oder Corvey. Ungestörte Berei- der nördliche Zweig der von Höxter kommenden che finden sich eher ausnahmsweise an der Sohle Hellwegtrasse das Ilme- bzw. Leinetal erreichte, und heutiger Straßen (Heege 2002; Teuber 2009). In Ein- in Adelebsen, das eine Rast von Nienover entfernt beck trafen sich die Nord-Süd verlaufende bedeu- am südlichen Hellwegzweig bzw. von Herstelle und tende Fernstraße durch das Leinetal, die in der Neu- Beverungen kommenden Fernstraßen in Richtung auf das Leinetal (Göttingen bzw. Nörten-Harden- berg) liegt. Einbeck war im 11. Jahrhundert zeitweise der wichtigste Herrschaftssitz der 1106 ausgestorbenen Einbeck-Katlenburg-Stader Grafen, eine der führen- den sächsischen Adelssippen. Wohl in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts entstand vor dem Stift ein befestigter Marktort, vielleicht auf Initiative Heinrichs des Löwen, als dieser nach der Konsoli- dierung in den Gebieten um Braunschweig und Lüneburg seine Besitzpositionen im Leinebergland, so in Göttingen um 1175 ausbaute – entgegen anders lautenden Mutmaßungen, so meine ich mit Nach- druck, allerdings wohl kaum früher (Stephan 2010). Die Grafschaft im Sülberggau, zu dem Einbeck gehörte, Besitzungen im Stadtgebiet und möglicher- weise auch in der Stadt selbst lagen jedoch im 12. und 13. Jahrhundert in den Händen der in unmittel- barer Nähe ansässigen Grafen von Dassel und Nie- nover (Kruppa 2002). Somit werden die Dasseler die Verhältnisse in Einbeck bestens gekannt haben. Ein- beck entwickelte sich im 13. Jahrhundert zu einer der mittleren bzw. größeren Städte in der Region und war seither einer der Hauptorte der welfischen Herzöge im südlichen Niedersachsen und zeitweise Nebenresidenz der Grubenhagener Herzöge. Die für unsere Fragestellung relevanten älteren Abb. 14. Straßenpflaster der Zeit um 1300 Straßenbefunde in Einbeck sind, wie in den meisten am Rosenthal in Einbeck

111 HANS-GEORG STEPHAN stadt randlich neben der Altstadt verlief, mit einer sind im Befund etwa 1,0 bis 1,6 m breit und 0,7 bis wichtigen europäischen Ost-West-Achse (Seeger 0,9 m tief. Ihre Entfernung zu den Baufluchten der 1926). Genau von diesen beiden Hauptstraßen sind Häuser des späten Mittelalters und der frühen Neu- archäologische Befunde aus dem 13. Jh. nachweis- zeit beträgt 3 bis 4 m. Daraus ergibt sich eine Ge- bar. Eine unregelmäßige Wegebefestigung aus Ei- samtbreite der Straßen von etwa 15 bis 18 m. chenbohlen, einigen in den Straßenmatsch hinein- Überwiegend kleinere Aufschlüsse zeigen sowohl geworfenen Steinen und etwas Keramik, zu der ein für die älteste Befestigung des Marktplatzes (wohl dendrochronologisches Datum von 1207 vorliegt, spätes 12. oder 13. Jahrhundert) als auch für kleinere wurde außen vor dem Tiedexer Tor dokumentiert Nebenstraßen wie die Maschenstraße an der Grenze (Heege 2002, S. 114). Ebenfalls im Bereich der von Alt- und Neustadt in der zweiten Hälfte des 13. späteren Neustadt lagen am späteren Altendorfer und Jahrhunderts Schotterungen oder unregelmäßige am Benser Tor muldenförmige, etwa 80 cm tiefe kleinteilige Pflaster (Heege 2002, S. 115). Die älteste hohlwegartige Straßenverläufe des frühen 13. Jahr- relativ aufwendige Pflasterung mit Randsteinen ent- hunderts. Sie werden überlagert von Straßen, die stand am Rosenthal um 1300 (Abb. 14). Weder die- zwischen begleitenden Gräben am Altendorfer Tor se, noch die Pflasterung der hannoverschen Chaus- etwa 7,5 und am Benser Tor etwa 9 m breite Fahr- see von 1772/1776 in der wichtigen innerstädtischen bahnen besitzen, die nur mit Knüppelholzlagen recht Altendorfer Straße, der traditionellen Hauptachse des unzureichend befestigt waren. Die Wagenspuren sind Durchgangsverkehrs durch das Leinetal, erreichten die 1,2 m weit. Die nur um 1230/1240 in der frühesten Qualität der Straßenbeläge der ersten Hälfte des 13. Nutzungsphase der Straße offen liegenden Gräben Jahrhunderts in Adelebsen und Corvey.

ADELEBSEN

Die in Südniedersachsen altansässigen (Edel-) Abzweig führte auf den dort sanft ansteigenden Hang Herren von Wibbecke (zuletzt 1229 als Herkunftsna- mit der Kirche, der Vorburg und der Hauptburg. Der me genannt), wichtige Gefolgsleute der Welfen, ver- im 13. Jahrhundert noch „villa” genannte Ort wird legten um 1230 ihren Sitz ins nahe gelegene Adel- erst 1394 als Weichbild und 1436 als „Flecken” ebsen, wo sie ihre neue Namen gebende Burg (zu- (Markt) bezeichnet, obwohl Schultheiß und Bürger erst belegt als Herkunftsname in einer Urkunde des 1360 belegt sind (Alphei 1990, S. 30). Den Jahrmarkt Grafen Adolf II. von Dassel-Nienover, die Thetmar hielt man der Überlieferung nach ursprünglich nicht von Adelevessen im Jahre 1233 bezeugt) und etwa in der räumlich eng begrenzten Stadt ab, sondern auf gleichzeitig oder wenig später einen Markt errich- freiem Felde an der Kapelle bzw. Ortsstelle der teten (Abb. 15–16; Schröder 1987). Alles spricht für Wüstung Reinhardshagen an der Königsstraße etwa eine gezielte und innerhalb von wenigen Jahren 2 km westlich in Richtung Uslar-Nienover (Mund- umgesetzte großzügige Planung und Umsetzung des henke 1941, S. 56). ehrgeizigen und aufwendigen Vorhabens der Errich- Eine größere wirtschaftliche Bedeutung des Ortes tung einer neuen standesgemäßen Residenz und ei- ist für keinen Zeitraum erkennbar. Der Merianstich nes Burgfleckens. Unklar bleibt, ob die Edelherren von 1654 zeigt nicht einmal ansatzweise eine soli- in diesen Jahren der welfischen Schwächeperiode de Befestigung des Fleckens (Abb. 15). Dennoch eine eigene Herrschaftsbildung versuchten, oder ob waren offenbar im Mittelalter aufwendige Maßnah- der Anstoß und erfolgreiche Ausbau der neuen Re- men erfolgt, um den Platz als Zentralort der lokalen sidenz als Bollwerk ihrer Gefolgsleute seitens der Herren und als Lokalmarkt und Etappenstation an Welfen gegen die Grafen von Dassel anzusehen ist. Fernwegen zu etablieren. Nach einer Urkunde von Auch eine Gemengelage der Interessen ist sehr wohl 1436 war mindestens die ungeschützte Nord- und vorstellbar. Südseite des Fleckens künstlich befestigt. Vom Hohl- Leider ist die mittelalterliche Überlieferung für wegstor im Nordwesten verlief ein doppelter Gra- die Siedlung Adelebsen schlecht. Der Ort hatte ne- ben mit zwei Zäunen bis zum Niederen Steintor, das ben der Burg und dem Gut im Jahre 1490 und auch Richtung Osten (Göttingen) lag (Abb. 16; Alphei noch in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts etwa 1990, S. 31–32). Demnach wird es ein Oberes Ste- 51 bis 60 Haushalte (Alphei 1990, S. 62–64). Er intor gegeben haben, das aber auch Hagentor genannt bestand aus wenig mehr als einer beidseitig bebau- wurde. Somit war an den am stärksten gefährdeten ten breiten Straße zu Füßen der Burg. Am späteren Stellen eine Befestigung aus einer doppelten Wall- Rathaus verbreiterte sich die Straße platzartig, ein Graben-Plankenbefestigung vorhanden, die Haupt-

112 BINNENSTRUKTUR [...] IN DER MITTELALTERLICHEN STADTWÜSTUNG NIENOVER

Abb. 15. Burg und Flecken Adelebsen in Matthäus Merians Topographia Germaniae, um 1654 tore hat man spätestens im 15. Jahrhundert sogar in Geradezu erstaunlich, und ganz gewiss so völlig Stein ausgeführt. Die maximale räumliche Ausdeh- unerwartet, sind die bei Straßenbaumaßnahmen, le- nung betrug etwa 400 mal 150 bis 200 m. Im We- ider nur in Profilaufschlüssen, beobachteten Befun- sten bildete die mächtige Burg ein Bollwerk auch de zum mittelalterlichen Straßenbau der Frühzeit des zum Schutze des Fleckens. Die Südseite des Burg- planmäßig neu angelegten Ortes mit dem Namen fleckens war durch die Aue natürlich geschützt, die einer älteren (frühmittelalterlichen), noch nicht si- im Spätmittelalter zu einem riesigen Teich aufgestaut cher lokalisierten Siedlung in der Nähe. Eine mas- war, also ein nur schwer überwindbares Hindernis sive hölzerne Rahmenkonstruktion, die dendrochro- darstellte. nologisch 1237/1238 datiert ist, diente der Stabili-

Abb. 16. Plan des Fleckens Adelebsen (nach Schröder in Alphei 1990)

113 HANS-GEORG STEPHAN

Abb. 17. Straßenbefunde von 1237/1238 und hölzerne Wasserleitung von 1266 in Adelebsen, Landkreis Göttingen (nach Schröder 1987) sierung der teilweise auf feuchtem Untergrund an- te des Pflasters mit etwa 6,3 bis 6,8 m ermittelt wer- gelegten Straße, der Leitlinie des damit indirekt den, wobei zu berücksichtigen ist, dass der Kataster- archäologisch wohl bereits nachweisbaren neuen plan dort bereits eine platzartige Verbreiterung, den Marktes an der Burg und des hierher umgeleiteten Markt, zeigt. Fernweges. Ähnlich wie in Corvey besteht das Pfla- Es ist durchaus wahrscheinlich, dass die Lange ster aus hochkant gestellten, in diesem Falle über- Straße annähernd im gesamten Ortsbereich von wiegend sogar noch größeren und zumeist block- Adelebsen gepflastert war, also auf schätzungsweise förmigen, seltener plattigen Buntsandsteinen. Soweit etwa 400 Länge – eine höchst beachtliche und kosten- erkennbar ist die Struktur des Pflasters allerdings intensive Maßnahme, die für den Wohlstand von Orts- weniger regelmäßig als in Corvey (Abb. 17). Die herren und Einwohnern im 13. Jahrhundert spricht. Kantensteine des Pflasters am Straßenrand sind be- Neben der Straße ist stellenweise eine Wasserleitung sonders sorgfältig bearbeitet und großformatig (z. B. aus annähernd quadratischen Eichenbohlen von ca. 58 mal 38 mal 43 cm). Die Straßendecke steigt zur 30 cm Kantenlänge mit etwa 10 cm breiter Laufrin- Mitte hin leicht an. An einer Stelle konnte die Brei- ne dokumentiert, die mit Bohlen abgedeckt war. Die

114 BINNENSTRUKTUR [...] IN DER MITTELALTERLICHEN STADTWÜSTUNG NIENOVER

1266 datierte Leitung besaß Abzweige zu den Pri- Nachdruck gegen die ihnen nicht botmäßigen Gra- vatgrundstücken. Eine ähnlich aufwendige neue In- fen im mittleren und südlichen Niedersachsen vor- frastruktur von Straßen und Wasserzuführungen legte gingen, zu denen die Dasseler gehörten. Den neuen man in Adelebsen erst im späten 19. Jahrhundert Herren ergebene, an sich weniger bedeutende An- wieder an. Zeitlich gehören die aufwendigen Aus- gehörige des alt eingesessenen Adels, wie die Ede- baumaßnahmen in Adelebsen genau in die Zeit als lherren von Plesse oder die von Adelebsen, konn- die Welfen ihre Schwächeperiode überwanden (Er- ten sich auf die Dauer besser behaupten als die hebung von Herzog Otto dem Kind in den Reichs- mächtigeren Grafen und Herren, was auch ihren fürstenstand 1235) und ab etwa 1254 zunehmend mit Märkten und Städten zugute kam.

AUSBLICK Abschließend sei noch angemerkt, dass vor 30 bis das spätere 18. und 19. Jahrhundert. Unser bei 40 Jahren die frühen Straßenbefunde des 9./10. Jahr- nüchterner Betrachtung von wenigen isolierten und hunderts in Höxter noch ziemlich isoliert in Mittel- durchaus diskussionswürdigen Schriftquellen ausge- europa dastanden. Inzwischen mehren sich in vie- hendes stereotypes Bild von den Schmutz starren- len Orten Deutschlands und Europas positive Auf- den, grundlosen, schlammigen und stinkenden, schlüsse zum mittelalterlichen Straßenbau, insbeson- gänzlich oder weitgehend unbefestigten mittelalter- dere in Städten. Aber selbst in ländlichen Siedlun- lichen Straßen ist somit vielleicht nicht immer völlig gen fehlt es keineswegs an geschotterten Straßen. In falsch, aber doch ganz erheblich zu modifizieren und die Zeit um 1000 reicht etwa ein schmaler geschot- partiell zu revidieren. Insbesondere das 13. Jahrhun- terter Weg in der Dorfsiedlung Gutingi (Göttingen) dert sah in Mitteleuropa nach den mühsam gewon- zurück (Arndt, Ströbl 2005), und auch aus Süd- nenen Ergebnissen der Mittelalterarchäologie vor deutschland liegen zunehmend Befunde vor. Ver- allem in den Städten großartige Leistungen im mehrt gibt es nicht nur in Magdeburg, sondern bei- Straßenbau, auch im östlichen Mitteleuropa. Die spielsweise auch in der Dorfwüstung Marsleben bei spätromanischen und frühen gotischen Dome und Quedlinburg oder in der Wüstung Balhorn (Pader- Klöster, Burgen, Kirchen und Häuser waren somit born, hier die Trasse des Hellweges) eindrucksvolle selbst in kleinen Märkten und Städten, mitunter auch geschotterte Straßentrassen aus der Zeit um 1150 bis in Dörfern, in eine erstaunlich hoch stehende Infra- 1250 (Dresely, Meller 2006). struktur des öffentlichen Raumes eingebunden – von Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass fe- der wir noch vor wenigen Jahrzehnten, vor Beginn ste Straßenbeläge im Untersuchungsgebiet bereits im der Etablierung der Mittelalterarchäologie – nichts 8./9. Jahrhundert belegt sind, und vor allem im 13. oder nur wenig ahnten. Dieser Durchbruch neuer Jahrhundert eine weite Verbreitung fanden. Damals Erkenntnis ist das Ergebnis jahrzehntelanger archäo- war der Standard des Straßenbaus mancherorts be- logischer Feldarbeit, gewonnen aus zahlreichen im sonders hoch entwickelt. Ähnliche Straßenbau- Einzelnen oft äußerst unspktakulären und geradezu leistungen vollbrachte in der weiteren Region erst unscheinbaren Befunden.

DANKSAGUNG Mein Dank gilt allen, die unsere Arbeit in Nie- Die Aufarbeitung der Befunde und Funde im Rah- nover während meiner Tätigkeit am Seminar für Ur- men der inzwischen weitgehend abgeschlossenen und Frühgeschichte der Georg-August Universität in Dissertationsprojekte von Sonja König, Thomas Göttingen wie auch späterhin an der Martin-Luther Küntzel und Ralf Mahytka förderte dankenswerter- Universität in Halle ermöglicht und unterstützt ha- weise das Niedersächsische Ministerium für Wissen- ben. An erster Stelle ist neben der Deutschen For- schaft und Kunst. Für ihre außerordentlich konstruk- schungsgemeinschaft (Förderung 2000 bis 2007) die tive Kooperation und mannigfaltige Hilfen sind wir LEADER+ Region Weserbergland-Solling und die Prof. Dr. Hans-Rudolf Bork, Mitarbeitern und Stu- Bundesanstalt, jetzt Bundesagentur für Arbeit mit denten des Instituts für Geographie und Geoökologie den Agenturen Göttingen, Uslar und Holzminden zu der Universität Potsdam bzw. nunmehr des Zentrums nennen. Weitere Hilfen verdanken wir unter ande- Ökologie der Universität Kiel sehr verbunden. Wei- rem dem Landkreis Northeim, der Stadt Uslar, den terhin war die Unterstützung des Natur-Kulturhisto- Sparkassen Göttingen und Northeim, der Volksbank rischen Dreiländerbundes Weserbergland unter der Solling sowie der Stiftung der Universität Göttingen. höchst engagierten Leitung von Jürgen Koch seit

115 HANS-GEORG STEPHAN

2005 eine unverzichtbare Grundlage unserer Arbeit zahlreiche tschechische und polnische Studenten im Gelände. An den Grabungen in Nienover nahmen, bzw. junge Absolventen, insbesondere vom z. T. in verantwortlicher Position als Schnittleiter, Archäologischen Institut der Universität Breslau, teil.

LITERATUR

Alphei C. Kleinau H. 1990 Geschichte Adelebsens und Lödingsens. Göttingen. 1967–1968 Geschichtliches Ortsverzeichnis des Landes Braun- Arndt B., Ströbl A. schweig. Veröffentlichungen der Historischen Kom- 2005 Gutingi – Vom Dorf zur Stadt: neueste Ergebnisse mission Niedersachsens t. 30,1–3. Hildesheim. der stadtarchäologischen Arbeit, Göttingen. Koch M., König A., Stephan H.-G. Bork H.-R., van Dorsten P., Erber A., Korbmacher R. 2006 Höxter und Corvey. In: W. Ehbrecht (Hrsg.), 1997 Wirkungen des Menschen auf die Landschaftsent- Westfälischer Städteatlas, Lieferung IX, Blatt 4. wicklung an der Stadtwüstung Nienover im Solling. Münster. Göttinger Jahrbuch 45, 1997, 230–235. König A., Rabe H., Streich G. Czypull B., Küntzel T. 2003 Höxter. Geschichte einer westfälischen Stadt t 1. 2005 Durch Land und Zeit. Bilder und Texte zum Wan- Höxter und Corvey im Früh- und Hochmittelalter, del des Landschaftsbildes seit der Eiszeit am Bei- Hannover. spiel von: Rammelsberg und Goslar, Seeburger See, König S. Wesertal bei Corvey – Bilder und Texte aus 2005/2009 Die Stadtwüstung Nienover im Solling. Auswertung Südniedersachsen, Holzminden. der archäologischen Funde der Ausgrabungen Denecke D. 1996–2001, Diss. phil. (Göttingen 2005) – Druck: 1969 Methodische Untersuchungen zur historisch-geo- Die Stadtwüstung Nienover im Solling. Studien zur graphischen Wegeforschung im Raum zwischen Sachkultureiner hochmittelalterlichen Gründungs- Solling und Harz. Ein Beitrag zur Rekonstruktion stadt im südlichen Niedersachsen. Materialhefte zur der mittelalterlichen Kulturlandschaft. Göttinger Ur- und Frühgeschichte Niedersachsens t. 39. Rah- Geographische Abhandlungen t. 54. Göttingen. den / Westfalen 2009. Dörries H. Krabbe J. 1929 Entstehung und Formenbildung der niedersäch- 2005 Karte des Sollings von 1603, herausgegeben und sischen Stadt. Stuttgart. eingeleitet von H.-M. Arnholt, K. Casemir, U. Oha- Dresely V., Meller H. inski. Veröffentlichungen der historischen Kommis- 2006 Archäologie XXL: Archäologie an der B 6n im sion für Niedersachsen und Bremen t. 225. Hanno- Landkreis Quedlinburg. Archäologie in Sachsen- ver. Anhalt, Sonderband 4, Halle 2006. Kruppa N. Geschichtlicher Atlas von Hessen 2002 Die Grafen von Dassel (1097–1337/38). Veröffent- 1960 ff. Hessisches Landesamt für Geschichtliche Lande- lichungen des Instituts für Historische Landesfor- skunde (Hrsg.), Geschichtlicher Atlas von Hessen, schung der Universität Göttingen t. 42. Bielefeld. begründet von E. E. Stengl, bearbeitet von F. Uhl- Kühlhorn E. horn (Marburg 1960 ff.). 1994–1996 Die mittelalterlichen Wüstungen in Südnieder- Günther K. sachsen. Veröffentlichungen des Instituts für histo- 1989 Territorialgeschichte der Landschaft zwischen Die- rische Landesforschung der Universität Göttingen mel und Oberweser vom 12. bis zum 16. Jahrhun- t. 34,1–3. Bielefeld. dert, Diss. phil. Marburg 1959, Schriftenreihe des Küntzel T. Arbeitskreises für Heimatgeschichte t. 9. Neudruck 2004 Zwischen Landgrenze und äußerer Befestigung. Immenhausen 1989. Städtische Landwehren des Mittelalters im süd- Haase C. lichen Niedersachsen. Göttinger Jahrbuch 52, 1965 Die Entstehung der westfälischen Städte. Veröffent- Göttingen 2004, 31–62. lichungen des Provinzialinstituts für Westfälische 2005 Keller des 13. Jahrhunderts in der Stadtwüstung Landes- und Volkskunde t. 1,11. 2. berichtigte Au- Nienover. In: Forum Urbes medii aevi t. 2. Brno, flage Münster. S. 184–201. Hävernick W. 2005a Die Stadtwüstung Nienover im Solling. Auswertung 1930 Der Kölner Pfennig im 12. und 13. Jahrhundert. der Befunde zu Stadttopographie, Hausbau und Periode der regionalen Pfennigmünze. Vierteljahres- Stadtbefestigung der Grabungen 1996–2001, phil. schrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Bei- Diss. Göttingen. heft 18 Stuttgart. im Druck Die Stadtwüstung Nienover im Solling. Auswertung Heege A. der Befunde zur Stadttopographie, Hausbau und 2002 Einbeck im Mittelalter, Studien zur Einbecker Ge- Stadtbefestigung im 13. Jahrhundert. Materialhe- schichte t. 17. Oldenburg/Oldenburg. fte zur Ur- und Frühgeschichte Niedersachsens t. Jöns H., Lüth. F. (Hrsg.) 40. Rahden / Westfalen 2010. 2005 Archäologie unter dem Straßenpflaster. Stadt- archäologie in Vorpommern, Landes- ausstellung Rostock.

116 BINNENSTRUKTUR [...] IN DER MITTELALTERLICHEN STADTWÜSTUNG NIENOVER

Letzner J. 2007 Fächerübergreifende Untersuchungen an der mit- 1596 Dasselische und Einbeckische Chronica. Das ist: telalterlichen Dorfwüstung Winnefeld im Solling. Historische Beschreibung der Uhralten Graffen und Beiträge zur Erforschung der Kulturlandschafts- Herrn zu Dassel [...] Deßgleichen auch des Sollin- entwicklung und des ländlichen Kirchenbaus im We- ger waldes und [...] der beyden Stedte, Dassel, und serbergland. Nachrichten aus Niedersachsens Urge- Einbeck, der fürnembsten Clöster [...]. Erfurt. schichte 76, Stuttgart 2007, 199–205. Mundhenke H. 2010 Der Solling im Mittelalter. Archäologie, Geschich- 1941 Das Patrimonialgericht Adelebsen. Ein Beitrag zur te und Landschaftsentwicklung am Solling. For- historischen Geographie des Fürstentums Göttin- schungen zur Siedlungs- und Kulturlandschaftsen- gen. Veröffentlichungen der Historischen Kommis- twicklung an Oberweser und Leine und zur Ge- sion für Niedersachsen und Bremen t. 2,18. schichte der Grafen von Dassel und Nienover, in Göttingen. Druckvorbereitung für 2010. Schröder E. 2010a Zur Siedlungsentwicklung von Helmarshausen im 1987 Ein mittelalterliches Straßenpflaster in Adelebsen. Mittelalter. Ottonischer Königs- und Adelshof, Göttinger Jahrbuch t. 33, S. 61–70. Reichskloster, Markt, Altstadt und Stadtwüstung Alt- Schwinges R. C. (Hrsg.) Köln. Archäologie und Geschichte. Offa (im 2007 Straßen- und Verkehrswesen im hohen und späten Druck). Mittelalter. Vorträge und Forschungen t. 66, Ost- Stoob H. fildern. 1966 Vom Städtewesen im oberen Weserlande. In: H. Sto- Seeger H.-J. ob (Hrsg.), Kunst und Kultur im Weserraum 800– 1926 Westfalens Handel und Gewerbe vom 9. bis zum 1600, t. 1. Beiträge zur Geschichte und Kunst. Beginn des 14. Jahrhunderts mit besonderer Münster, S. 203–213. Berücksichtigung der kleinen Städte und des plat- 1970 Doppelstädte, Gründungsfamilien und Stadtwüstun- ten Landes Münster, Berlin. gen im engrischen Westfalen. In: H. Stoob (Hrsg.), Stephan H.-G. Kunst und Kultur im Weserraum 800–1600, t. 3. 1973 Archäologische Beiträge zur Frühgeschichte der Ostwestfälisch-weserländische Forschungen zur Stadt Höxter. Münstersche Beiträge zur Ur- und geschichtlichen Landeskunde. Münster, S. 113–148. Frühgeschichte t. 3. Münster. Streich G. 1997 Stadtwüstungen in Mitteleuropa. Ein erster Über- 1996 Historisch-Landeskundliche Exkursionskarte von blick. In: G. De Boe, F. Verhaeghe (Hrsg.) Urba- Niedersachsen 1 : 50.000, Blatt Höxter. Veröffent- nism in Medieval Europe. Papers on the „Medie- lichungen des Instituts für Historische Landesfor- val Europe Brugge 1997” Conference t. 1. Brügge, schung der Universität Göttingen t. 2,13. Bielefeld. S. 329–360. 1997 Historisch-Landeskundliche Exkursionskarte von 2000 Studien zur Siedlungsentwicklung und -struktur von Niedersachsen 1 : 50.000, Blatt Holzminden. Ver- Stadt und Kloster Corvey (800–1670). Eine Zusam- öffentlichungen des Instituts für Historische Lan- menschau auf der Grundlage der archäologischen desforschung der Universität Göttingen t. 2,15. Bie- und historischen Quellen. Göttinger Schriften zur lefeld. Ur- und Frühgeschichte t. 26, 1–3. Neumünster. Teuber 2001 Nienover. Burg und Stadtwüstung im Solling (Süd- 2009 S. Teuber, Einbeck – Petersilienwasser. Befunde und niedersachsen). In: J. Piekalski, H.-G. Stephan, Bebauungsstrukturen des 13. bis 20. Jahrhunderts. K. Wachowski (Hrsg.), Neue Forschungen zur Materialhefte zur Ur- und Frühgeschichte Nieder- Archäologie des Mittelalters in Schlesien und Nie- sachsens 41, Rahden/Westfalen 2009. dersachsen. Monographie archeologiczne t. 8. Wro- cław, S. 11–70. 2002 Die Stadtwüstungen Corvey und Nienover. Archäo- logische Monumente der Stadt-, Landes- und Reichsgeschichte im Weserbergland. In: H. Steuer, G. Biegel (Hrsg.), Stadtarchäologie in Norddeu- tschland westlich der Elbe. Zeitschrift für Archäo- Prof. Dr. Hans-Georg Stephan logie des Mittelalters, Beiheft 14. Bonn, S. 237–259. Institut für Kunstgeschichte und Archäologien Europas Professur für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg Halle (Saale)

117