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Forschung aktuell Eine Brücke über die Senckenberganlage Adorno und die Universität

Weltkrieg, als in den philosophischen Die Philosophische Fakultät pro- Disziplinen, in Psychologie und So- movierte den Kandidaten wenige ziologie, eine intellektuelle Avant- Tage nach Abgabe der Dissertation garde sich zusammenfand.« /1/ und urteilte über den Verlauf der Prüfung kurz und bündig: »vorzüg- Promotion in Rekordzeit – lich«. Adorno bemerkte zu dem »Zeitmangel und Examens- Promotionsverfahren: »Cornelius zwang« hat meine Arbeit anstandslos und Mit einer Doktorarbeit beim Neu- ohne die Änderung eines Wortes zu kantianer Hans Cornelius schloss verlangen angenommen und der Adorno sein Studium in Frankfurt Korreferent Schumann hat sich sei- ab. Innerhalb weniger Wochen fer- nem Referat angeschlossen.« /3/ tigte er seine Dissertation an. Ador- Nach der Erlangung des höchsten no schreibt über diese Zeit an seinen akademischen Grades setzte Adorno Freund Leo Löwenthal:»Mein lieber für zwei Jahre seine philosophi- Leo! Verzeih mir, dass ich Dir heut schen und musikalischen Studien in erst schreibe und auch diesmal nur Wien fort. Er studierte bei Alban kurz; es ist nicht die Unfähigkeit zum Berg Komposition und Eduard Schreiben – wäre ich frei genug, Dir Steuermann Klavier. Zugleich war zu schreiben, was ich Dir zu schrei- er als Schriftleiter der Wiener Mu- ben habe – sondern bloß purer Zeit- sikzeitschrift »Anbruch« tätig.

Theodor Wiesen- heodor W. Adorno zählte zu den grund, hoch be- Tbedeutendsten Gelehrten der gabter Sohn aus Bundesrepublik. Er ist einer der dem Frankfurter Gründer der »Frankfurter Schule«. Bürgertum, kam an der jungen Uni- Sein wissenschaftlicher Werdegang versität seiner ist eng mit der Universität Frankfurt Heimatstadt mit verknüpft: Adorno studierte, pro- der intellektuellen movierte und habilitierte sich in Avantgarde in Frankfurt. Anfang der 1950er Jahre Kontakt, die sein kehrte er nach seiner Emigration an späteres Denken das wiedereröffnete Institut für So- entscheidend prä- gen sollte. zialforschung zurück und erhielt an der Johann Wolfgang Goethe-Uni- versität die Professur für Philoso- phie und Soziologie. Adornos Einfluss erstreckte sich von der Musik- bis zur Gesellschafts- kritik. Zusammen mit Max Horkhei- mer schrieb er den wichtigsten Text der Kritischen Theorie, die »Dialek- Als Theodor W. Adorno aus der Emigration nach Frankfurt zurückkam und eine Pro- tik der Aufklärung« (1944, Druck fessur an seiner alten Universität übernahm, die ihn 1933 vertrieben hatte, wurden Amsterdam 1947). Das Buch gilt als seine Vorlesungen zu Massen-Ereignissen. »Adornit« zu sein, gehörte zum intellektu- eines der klassischen Werke der Phi- ellen guten Ton. losophie des 20. Jahrhunderts. Am 18. April 1921 immatrikulier- mangel und Examenszwang, der Mit der Habilitation hatte es te sich der gebürtige Frankfurter mich jetzt noch stillegt. Ich will Dir Adorno nicht so eilig wie mit seiner Theodor Ludwig Wiesengrund an die äußeren Daten des Halbjahres Promotion. Seinen ersten Habilitati- der Universität Frankfurt am Main. berichten. Die zweite Aprilhälfte war onsversuch brach er ab, weil seine Er wählte ein Studium an der Philo- ich in Ammerbach, in einem Trubel Zulassungsschrift »Der Begriff des sophischen Fakultät und besuchte von Menschen und arbeitete Hus- Unbewußten in der transzendenta- Veranstaltungen in Philosophie, Mu- serl. Mitte Mai [1924] disponierte len Seelenlehre« /4/ von seinem aka- sikwissenschaft, Psychologie und So- ich meine Dissertation und trug am demischen Lehrer Cornelius abge- ziologie. »Sein Studium«, so erin- 26. den Gedankengang Cornelius lehnt wurde. Hans Cornelius hatte nerte sich , »fiel in vor, der die Arbeit annahm. Am sich am 8. Januar 1928 gegenüber die gute Zeit der Frankfurter Univer- 6. Juni war die Arbeit fertig, am 11. der Fakultät negativ über Adornos sität nach der Niederlage im Ersten diktiert, am 14. abgegeben.« /2/ Habilitationsschrift geäußert: »Ich

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Theodor Wiesengrund immatrikulierte Die Eingangshalle des alten Instituts für Sozialforschung, vom Erdgeschoß bis zum sich am 18. April 1921 an der Univer- ersten Obergeschoss durchgehend. In dem Institut waren auch Räume der Wirt- sität Frankfurt für das Fach Philosophie. schafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät untergebracht. Das Gebäude spiegel- te im Inneren die sachliche Zweckmäßigkeit wider, die an seiner Außenfassade zum Ausdruck kommt.

Das alte Institut für Sozialforschung von der Bockenheimer Landstraße aus gese- hen. Den Anstoß zur Gründung des Insti- tuts gab 1922 Kurt Albert Gerlach, Pro- fessor der Staatswissenschaften an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftli- chen Fakultät. Das Institut konnte am 22.Juni 1924 eröffnet werden. Der Ar- chitekt des Gebäudes war Franz Röckle (1879 – 1953), der auch die Westend- synagoge in den Jahren 1908 bis 1910 bauen ließ.

muss also beantragen, dass Herrn auf. Am 6. Februar 1931 tagte die dort den ersten massiven antisemiti- Wiesengrund der Rat erteilt werde, Habilitationskommission, bestehend schen Attacken ausgesetzt war, we- sein Gesuch zurückzuziehen, da sei- aus Paul Tillich, Franz Schultz, Max gen seiner »nichtarischen Abstam- ne Arbeit in der vorliegenden Form Horkheimer und Karl Reinhardt. mung« die Lehrbefugnis von den wenigstens den zu stellenden An- Zehn Tage später fiel der Beschluss, Nationalsozialisten entzogen. Er forderungen nicht entspricht.« /5/ Adorno zur Habilitation zuzulas- verließ Deutschland und ging nach sen/6/. Nach seinem Probevortrag Oxford, wo er seine wissenschaftli- Der zweite Anlauf für über »Kants Kritik der rationalen che Arbeit am Marton College fort- die Habilitation Psychologie« und anschließendem setzte. Ende der 1930er Jahre wech- Dreieinhalb Jahre später unternahm Kolloquium erteilte ihm die Philo- selte Adorno mit seiner Frau dann Adorno einen zweiten Anlauf, sich sophische Fakultät die venia legendi nach Amerika. Er arbeitete an dem in Frankfurt zu habilitieren. Seine für das Fach Philosophie /7/. von Frankfurt nach New York ver- Schrift »Kierkegaard. Konstruktion Im September 1933 wurde Ador- legten Institut für Sozialforschung des Ästhetischen« (Druck: Tübingen no, der katholisch getauft, aber im und als musikalischer Direktor des 1933) nahmen die Professoren der Gymnasium am protestantischen Princeton Radio Research Projekts. Philosophischen Fakultät positiv Religionsunterricht teilnahm und In Amerika wurde die Zusammen-

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unseren Studenten zu entfalten, unbekümmert um das statistische Ausmaß seiner Möglichkeiten«, wie Horkheimer es formulierte /10/. Be- reits im Wintersemester 1949/50 lehrte Adorno wieder an der Jo- hann Wolfgang Goethe-Universität. Über ein Drittel arbeit und Freundschaft mit Max genüber der Universität Frank- Er vertrat die Professur für Sozial- der Dozenten der Horkheimer, den er aus Frankfurt furt /8/ . philosophie, nach der Rückkehr Universität wurde kannte, enger. Nach dem Ende des Dritten Horkheimers aus dem Exil über- aufgrund des Ge- Reichs, im März 1947, fasste die nahm Adorno zunächst kommissa- setzes zur Wieder- Aus Theodor Wiesengrund Philosophische Fakultät den Be- risch die Philosophie-Professur, bis herstellung des wurde Theodore Adorno Berufsbeamten- schluss, Horkheimer und Adorno er schließlich 1953 zum Professor tums vom 7. April Theodor Wiesengrund erwarb die nach Frankfurt zurückzuholen und für Philosophie und Soziologie er- 1933 von den Na- amerikanische Staatsangehörigkeit damit zu rehabilitieren/9/. Der De- nannt wurde. tionalsozialisten und änderte seinen Namen in Ador- kan der Philosophischen Fakultät, Gemeinsam mit Horkheimer die Lehrbefugnis no um: »Sehr verehrtes gnädiges Otto Vossler, unterbreitete Adorno kümmerte sich Adorno um die Wie- entzogen. Auszug Fräulein, unter Bestätigung unseres dann das Angebot der Universität, dereröffnung des Instituts für Sozial- aus dem Personal- Telephonats möchte ich Ihnen mit- in seine Geburtsstadt zurückzukom- forschung in Frankfurt. Da das alte verzeichnis der Universität Frank- teilen, dass ich bei meiner amerika- men. Adorno beriet sich mit Hork- Gebäude des Instituts im Krieg zer- furt, Wintersemes- nischen Naturalisation im Jahre heimer. Beide fassten den Ent- stört worden war, begannen im No- ter 1933/34, mit 1943 meinen Namen in Adorno schluss, nach Deutschland zu reim- vember 1950 die Bauarbeiten zu ei- handschriftlichen (den Mädchennamen meiner Mut- migrieren, um an der Erziehung ei- nem Neubau in der Senckenbergan- Vermerken des ter) geändert habe und bitte, mich ner neuen Generation mitzuwirken lage 26. Nach einer Bauzeit von nur Universitätssekre- in amtlichen Dokumenten lediglich und »entgegen dem Zug der ver- einem Jahr konnte das neue Ge- tariats: »Lehrbe- als Adorno zu führen«, kommen- walteten Welt, wie Adorno sie tauf- bäude des Instituts für Sozialfor- fugnis entzogen«. tierte er seine Namensänderung ge- te, den autonomen Gedanken in schung bezogen werden. Straßenüberquerung Adorno nahm 1943 die amerikanische »Studenten, unmittelbar Staatsbürgerschaft mit dem Tod bedroht...« an. Aus Theodor Im Frankfurter Universitätsarchiv Wiesengrund wur- hat sich ein Vorgang erhalten, der de Theodore Adorno. Nach sei- dokumentiert, dass Adorno um das ner Rückkehr aus Wohl seiner Studenten besorgt war. Amerika an das Am 12. Mai 1958 schrieb er an den wiedergegründete Rektor der Universität: »Der Ver- Frankfurter Institut kehr auf der Senckenberganlage für Sozialfor- macht es den zahlreichen Angehöri- schung machte er gen der Universität, die gezwungen die »Naturalisa- tion« wieder rück- sind, diese überbelastete Straße zu gängig. Den Na- überqueren, gerade in nächster men Adorno führte Universitätsnähe […] außerordent- er aber weiterhin. lich schwer. Oftmals überqueren sie die Senckenbergstraße im Lauf- »Barba non facit schritt […] Dieser Zustand ist be- philosophum.« Ein denklich. Wenn ein Student, wie es Bart macht zwar doch schließlich sein Recht sein noch lange keinen sollte, in Gedanken über die Straße Philosophen, aber selbst mit dieser geht, ist er der unmittelbarsten Le- /11/ Verkleidung zu Fa- bensgefahr ausgesetzt.« Der Poli- sching hätte Ador- zeipräsident schaltete sich ein und no einen vorderen versprach Hilfe: Er ließ einen Rang im »Adorno- Fußgängerweg auf der Straße mar- Ähnlichkeitswett- kieren. Allerdings bewährte sich bewerb« belegt. dieser »Zebrastreifen« aus Sicht Zumindest die beiden Studentin- Adornos nicht. Er forderte deshalb, nen neben ihm eine Brücke von der Universität scheinen davon hinüber zum Institut für Sozialfor- fest überzeugt. schung zu bauen. Am 29. Novem- ber 1961 wandte er sich nochmals an die Universitätsleitung: »Studen- ten, die, was doch wohl legitim wä- re, in Gedanken sind, werden dafür unmittelbar mit dem Tod bedroht.

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[…] Helfen könnte nur entweder Adorno verhandelt eine Brücke für Fußgänger über die im Juni 1969, nur Senckenberganlage oder eine Um- zwei Monate vor leitung des gesamten Verkehrs.« /12/ seinem Tod, mit Studenten, ob er In einem Leserbrief an die F.A.Z. seine nach machte Adorno am 18. Juli 1962 Störungen wo- sein Anliegen auch einer breiteren chenlang ausge- Öffentlichkeit bekannt. Allerdings setzte Vorlesung baute die Stadt Frankfurt weder die »Einführung in Brücke, noch leitete sie den Verkehr dialektisches Den- um. Der Polizeipräsident ließ aber ken« wiederauf- nehmen kann – al- eine Ampelanlage installieren, die lerdings auch an heute noch Studierenden das siche- diesem Tag ohne re Überqueren der Senckenbergan- Erfolg. lage ermöglicht. Die Kunst war für Adorno auf- grund ihrer Autonomie in der Lage, ferisch aus den Talaren der Professo- tuation. Ob er allerdings schließlich Der Autor Kritik an gesellschaftlicher Herr- ren zu treiben. Adorno, dessen Wer- an den Folgen eines »Busen-Atten- Dr. Michael schaft zu üben. Diese Kritik erfolge ke von den Mitgliedern der Studen- tats« zweier Studentinnen in seiner Maaser, Historiker, ohne Anwendung von Gewalt. Eine tenbewegung eifrig gelesen wurden, Vorlesung starb, wie der Schriftstel- leitet das Univer- solche Position stand im Gegensatz ging auf Distanz zu der Generation ler Robert Gernhardt in seinem sitätsarchiv der Johann Wolfgang zur Bereitschaft vieler Studenten in 1968. Seine Vorlesungen und Semi- gleichnamigen Gedicht nahe legt, Goethe-Universität. den späten 1960er Jahren, den nare wurden gestört, Adorno litt gilt als nicht erwiesen. ◆ »Muff von tausend Jahren« kämp- persönlich sehr unter der neuen Si-

Anmerkungen /1/ Max Horkhei- Mitmachen wollte /5/ Vgl. Univer- /7/ Vgl. Univer- sitätsarchiv Frank- /10/ Horkheimer, mer, Jenseits der ich nie. Ein auto- sitätsarchiv Frank- sitätsarchiv Frank- furt, Abteilung 14, Jenseits (wie An- Fachwissenschaft. biographisches Ge- furt, Abteilung 4, furt, Protokollbuch Nr. 20, Blatt 19. merkung 1). Adorno zum Ge- spräch mit Helmut Nr. 2. der Philosophi- burtstag. Frankfur- Dubiel. Frankfurt schen Fakultät II, /9/ Vgl. Univer- /11/ Vgl. Univer- ter Rundschau vom 1980, S. 247. /6/ Vgl. Univer- S.129, Sitzung vom sitätsarchiv Frank- sitätsarchiv Frank- 11. September 1963. sitätsarchiv Frank- 23. Februar 1931. furt, Protokollbuch furt, 630 – 50 alt, /3/ Ebenda, S. 249. furt, Protokollbuch der Philosophi- Blatt 86. /2/ Brief von Ador- der Philosophi- /8/ Brief von Ador- schen Fakultät III, no an Leo Löwen- /4/ Adorno, Gesam- schen Fakultät II, S. no an das Kuratori- S. 146, Sitzung /12/ Ebenda, thal,16. Juli 1924, melte Schriften I, 128, Sitzung vom umssekretariat, vom 21. März Blatt 66. in: Leo Löwenthal, S. 79–322. 16. Februar 1931. 28.3.1950, Univer- 1947.

Theodor W. Adorno in Frankfurt – Ausstellung der Stadt- und Universitätsbibliothek

Die Ausstellung der Stadt- und Universi- und Partner für diese Ausstellung im Ador- der Universität bis zum Entzug der Lehrer- tätsbibliothek zum 100. Geburtstag Theo- no-Archiv, im Universitätsarchiv der Jo- laubnis aufgrund der nationalsozialisti- dor W. Adornos konzentriert sich auf hann Wolfgang Goethe-Universität, im In- schen Rassengesetze 1933. In diese Zeit Adornos Beziehungen zu seiner Geburts- stitut für Stadtgeschichte, im Historischen fällt auch seine erste Mitarbeit im Institut stadt, die neben einem seinen musikali- Museum der Stadt, in der Hochschule für für Sozialforschung. schen Studien dienenden Aufenthalt in Musik und bei vielen Privatpersonen. Die Nach der Zerschlagung des Dritten Rei- Wien und der durch die Nationalsoziali- Ausstellung unternimmt den Versuch, die ches setzte er seine Kräfte voll ein, um den sten erzwungenen Emigration nach Eng- Leihgaben zu einer sinnvollen Schau zu- Wiederaufbau des Instituts für Sozialfor- land und Amerika Zentrum seiner Biogra- sammenzuführen und so die Verflechtung schung voranzutreiben, gleichzeitig eta- fie und seines wissenschaftlichen Wirkens einer Biografie mit der Stadt zu zeigen. blierte er sich wieder im wissenschaftli- war. Vom 4. September bis zum 13. Okto- In die Stadt und ihrer näheren Umge- chen Leben an der Universität und in der ber (Ende der Buchmesse) ist diese Aus- bung erlebte Adorno seine geborgene und Stadt. Den turbulenten Nebenerscheinun- stellung im Bibliotheksbereich der B-Ebe- glückliche Kindheit, im Kaiser Wilhelm- gen der Studentenbewegung stand er zum ne der U-Bahnstation Bockenheimer War- Gymnasium konnte der begabte Schüler Teil ratlos gegenüber. Freundschaft und te zu sehen. vorzeitig die Abiturprüfungen ablegen, da- kollegiale Verbundenheit verknüpfte seine Ein großer Schatz an Quellen, Doku- nach studierte er an der Universität Frank- Biografie mit dem Kreis von Wissenschaft- menten, Erinnerungsstücken und Berich- furt und wurde mit einer Arbeit bei Hans lern, die dem Institut für Sozialforschung, ten ist heute in verschiedenen Frankfurter Cornelius promoviert. Daneben nahm er zunächst in Frankfurt, dann in Genf, da- Einrichtungen verstreut. Das Archivzen- Kompositionsunterricht bei Bernhard Se- rauf in New York und schließlich wieder trum der Stadt- und Universitätsbibliothek kles am Dr. Hoch’schen Konservatorium. in Frankfurt verbunden waren. mit den Nachlässen Max Horkheimers, An mehreren Zeitschriften arbeitete er als Jochen Stollberg ist Leiter des Archivzentrums der Friedrich Pollocks, Leo Löwenthals, Her- Musikkritiker. Nachdem er sich 1931 habi- Stadt- und Universitätsbibliothek und hat diese bert Marcuses und anderer fand Freunde litiert hatte, wirkte er als Privatdozent an Ausstellung organisiert.

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Vergangenes wird Gegenwart Blick in die Arbeit des Theodor W. Adorno Archivs in Frankfurt am Main

Privates Ambiente im Theodor W. Adorno Archiv: Adornos Flügel und einen Teil seiner Privatbibliothek aus der Frankfurter Woh- nung im Kettenhofweg 123 überantwortete Gretel Adorno nach dem Tod ihres Mannes der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur.

m Jahr 1985 wurde das Theodor ganz dem Werk ihres Mannes zu stellte. In zahlreichen Arbeitsgän- IW. Adorno Archiv von der Ham- widmen. Als seine Sekretärin, Lek- gen wurden diese Typoskripte korri- burger Stiftung zur Förderung von torin und kritische Gesprächspart- giert und immer wieder überarbei- Wissenschaft und Kultur, die Inha- nerin war sie unmittelbar am Ent- tet, bis schließlich eine endgültige berin der urheberrechtlichen Nut- stehungsprozess der Adorno’schen Druckvorlage entstand. zungsrechte und Eigentümerin der Schriften beteiligt. Auch Aufsätze aus Nachlässe von Theodor W. Adorno Zahlreiche Dokumente aus dem und ist, in Ador- Nachlass zeigen Spuren einer für der Schulzeit nos Geburtsstadt Frankfurt am Main Adorno sehr spezifischen Arbeits- Adornos Nachlass umfasst zirka gegründet. Vor ihrem Tod, sie starb weise: Seine Einfälle, Überlegungen 70 000 Blatt Manuskripte und Typo- am 16. Juli 1993, hatte Gretel Ador- oder Beobachtungen hielt Adorno skripte sowie 45 erhaltene philoso- no den gesamten Nachlass ihres in Notizheften fest, in denen er von phische Notizhefte. Acht weitere Mannes, den sie als Alleinerbin be- 1938 bis 1969 seine philosophischen Hefte enthalten frühe Reisetage- saß, der Hamburger Stiftung über- Gedanken und Notizen für projek- bücher und Aufsätze aus seiner geben. Die Witwe wusste, welche tierte Arbeiten zu Papier brachte; Schulzeit. Zum Bestand gehören Schätze sie in die Obhut der Stiftung gelegentlich finden sich in den Hef- ferner Drucke, handschriftlich kor- gab, es war auch ein großer Teil ih- ten auch Eintragungen von Gretel rigierte Druckfahnen und Umbruch- res Lebenswerks. Denn schließlich Adornos Hand. Seine Texte hat exemplare, die in Sammelbänden hatte die promovierte Chemikerin, Adorno, auf diese stichwortartigen und Zeitschriften erschienenen Auf- die Adorno 1922 kennenlernte und Formulierungen sich stützend, sei- sätze Adornos sowie eine Samm- 1937 heiratete, auf ihre eigene be- ner Frau diktiert, die dann eine ma- lung seiner in Zeitungen erschienen rufliche Karriere verzichtet, um sich schinenschriftliche Textfassung er- Artikel. Darüber hinaus befinden

52 Forschung Frankfurt 3–4/2003 Forschung aktuell sich im Adorno Archiv ein Teil sei- Die nüchterne Seite des Archivs: In Spe- ner Bibliothek mit zirka 2000 Bän- zialschränken lagern bestens sortiert die den, seine Noten- und Schallplat- Schätze des Adorno Archivs: Dazu tensammlung und sein Flügel. gehören zirka 70 000 Blatt Manuskripte und Typoskripte sowie 45 erhaltene phi- Die Archivierung der Werkmanu- losophische Notizhefte. Acht weitere skripte, das heißt der von Adorno Hefte enthalten frühe Reisetagebücher vollendeten Schriften und Kompo- und Aufsätze aus seiner Schulzeit. Auf- sitionen einschließlich sämtlicher bewahrt werden außerdem Drucke, Vorstufen, wurde in den vergange- handschriftlich korrigierte Druckfahnen nen Jahren abgeschlossen und steht und Umbruchexemplare, die in Sammel- somit der wissenschaftlichen For- bänden und Zeitschriften veröffentlich- ten Aufsätze Adornos sowie eine Samm- schung zur Verfügung. In naher Zu- lung seiner in Zeitungen erschienenen kunft wird auch die Archivierung Artikel. der zirka 50 000 Briefe beendet werden. Das Theodor W. Adorno Archiv beherbergt auch eine umfangreiche Fotosammlung und eine audiovisu- elle Sammlung mit Bild- und Ton- trägern. Das Archiv ist bemüht, er- haltene Tonaufnahmen von Vorträ- te schließe ich ab. Natürlich sollen dern Stücke vor den Kopf stoßen, gen, Gesprächen und Diskussionen, meine Bücher bei Ihnen bleiben. und deshalb nehme ich es kaum die Adorno vor allem nach seiner Nur die Scripten liefern Sie bitte aus; an.« /1/ Gretel Adorno begann dann Rückkehr nach Frankfurt gehalten diese, der Einfachheit halber, bitte nach ihrer Rückkehr aus den USA, oder an denen er teilgenommen hat, vollzählig. Es sei denn, daß Sie zu- im Institut für Sozialforschung das vollständig zu sammeln. Von den fällig auf irgendein Stück besondern literarische Vermächtnis Benjamins akademischen Vorlesungen, die in Wert legten. Aber das würde die an- aufzuarbeiten. der Regel mit dem Tonband aufge- zeichnet wurden, ist leider nur die So redigierte Ador- im Sommersemester 1968 gehaltene no Texte, die seine »Einleitung in die Soziologie« als Sekretärin Elfriede Bandaufnahme überliefert. Von den Olbrich oder seine Frau Gretel zu- meisten Vorlesungen haben sich je- nächst stenogra- doch weitgehend die Transkriptio- fierten und dann nen der Tonbänder und Adornos abtippten: Dieses Stichwort-Vorlagen erhalten. Typoskript der »Ästhetischen Wie Benjamins Manuskripte Theorie« zeigt in die Hände Gretel Adornos Auszüge über das kamen Natur- und Kunst- schöne. Zum Nachlass Adornos gehörte auch jener Teil des literarischen Nachlas- ses von Walter Benjamin, den er selbst während seiner Emigration Adorno und seiner Frau zur vorläu- figen Aufbewahrung anvertraut hatte. Für Benjamin war insbeson- dere Gretel Adorno eine wichtige Bezugsperson. Sie war nicht nur ei- ne intellektuelle Partnerin, sondern auch seine seelische Stütze. Darüber hinaus half sie Benjamin mit regel- mäßigen Geldanweisungen über die finanzielle Not der ersten Exilmona- te hinweg und kümmerte sich um Benjamins Archiv, das er in seiner Berliner Wohnung hinterlassen hat- te. Von Benjamin erstellte Übersich- ten mit Ordnungskriterien zu seiner Sammlung von Dokumenten und Büchern belegen, wie sehr ihm die sichere Aufbewahrung seines Ar- chivs am Herzen lag. In einem Brief an Gretel Adorno vom 10.Juni 1933 schreibt er: »Liebe Felizitas, für heu-

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Dieser Teil des Benjamin-Nach- Der Kulturphilosoph Walter Benjamin lasses, der mit zahlreichen Manu- (1892-1940) war sehr eng mit dem Ehe- skripten und Drucken vereinigt wur- paar Adorno befreundet und vertraute ih- de, die Walter Benjamin Theodor W. nen während seiner Emigration einen Teil seiner literarischen Schriften zur und Gretel Adorno geschenkt hatte, vorläufigen Aufbewahrung an, auch die- bildete den Grundstock für das heu- se übergab Gretel Adorno Mitte der tige Walter Benjamin Archiv. 1997 1980er Jahre an die Hamburger Stif- gelang es der Hamburger Stiftung, tung. Für Benjamin war Gretel Adorno, wesentliche Nachlassteile von Wal- die er »Felizitas« nannte (so hieß die ter Benjamin aus der Bibliothèque weibliche Hauptperson in dem Schau- Nationale in Paris und Manuskripte, spiel »Ein Mantel, ein Hut, ein Hand- schuh« von Wilhelm Speyer, an dem die nach dem Zweiten Weltkrieg Benjamin mitgearbeitet hatte), intellek- zunächst nach Moskau gebracht tuelle Partnerin, aber auch seine seeli- worden waren, nach der Wieder- sche Stütze. vereinigung aus der Berliner Aka- demie der Künste in das Theodor W. Adorno Archiv nach Frankfurt am Main zurückzuführen, so dass der Nachlass von Walter Benjamin nun weitgehend geschlossen im Frank- wish National and University Li- konnte ein großer Teil dieser Archi- furter Adorno Archiv aufbewahrt brary Jerusalem. valien erstmals in einer Ausstellung, und betreut wird. Ein kleiner Teil Der Frankfurter Nachlass von die das Theodor W. Adorno Archiv befindet sich noch im Institut für Walter Benjamin umfasst zirka 3000 in Verbindung mit dem Deutschen neuere deutsche Literatur der Ju- Blatt Manuskripte und zirka 2000 Literaturarchiv in Marbach am stus-Liebig-Universität Gießen und Blatt Typoskripte, hinzu kommen Neckar ausrichtete, gezeigt werden. in der Sammlung Scholem der Je- Drucke und Dokumente. 1990 Zu den Beständen des Theodor W.

Gretel Adorno und Walter Benjamin tauschten sich sehr inten- siv über ihre persönliche Situation aus. Sie nannte ihn »Det- lef« nach seinem Pseudonym »Detlef Holz«. In diesem Brief vom 12.Oktober 1933 beschreibt Gretel Adorno ihren seeli- schen Zustand: »Du fragst so lieb, wie es mir geht. Und offen könnte ich Dir nur antworten jämmerlich, in einem großen Kä- fig, ohne die leiseste Hoffnung jemals entweichen zu können. Die Isolierung, unter deren Druck mein Leben auch früher ge- standen hat, allerdings damals mehr wie in der Adrienne Me- surat, während die Familie als belastender Faktor schon längst für mich überwunden ist, wird von Tag zu Tag unerträglicher, mit keinem Menschen kann ich ein vernünftiges Wort spre- chen, im Geschäft alles sehr nett, aber doch finster kleinbür- gerlich und immer nur Handschuhe....« Benjamin notiert auf diesem Brief Stichworte für sein Antwortschreiben an Gretel, unter anderem auch Notizen über seine Berliner Bibliothek: »Pappkartons, Anweisungen wegen Bücher: schicken ..., Be- handlung der Bibliothek..., Bibliothek reinigen...«

Anmerkung /1/ Walter Benjamin: Gesammelte Briefe, Bd. IV, herausgegeben von Christoph Gödde und Henri Lonitz, Frankfurt am Main 1998, Seite 233. Informationen zur Ausstellung im Internet unter: www.strauhof.ch, www.historischesmuseum.frankfurt.de

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Adorno Archivs gehört auch die Bi- dem In- und Ausland nach Frank- teiligt sich an diesen Festivitäten bliothek von Leo Löwenthal, die vo- furt kommen, leider nur wenige Ar- unter anderem mit einer umfassen- rübergehend in einem Depot der beitsplätze angeboten werden. Ar- den Ausstellung zu Leben und Frankfurter Stadt- und Universitäts- chive werden oft als verstaubte Auf- Werk Adornos. Erstmals seit Beste- bibliothek magaziniert wird. In der bewahrungsorte für chaotische Hin- hen des Archivs wird eine Vielzahl Bibliothek des Archivs wird auch terlassenschaften von Schriftstellern von bislang unpublizierten Text- die in Buchform erscheinende Se- bezeichnet – nach dem Motto: Ein zeugnissen, unbekannten Fotogra- kundärliteratur zu Adorno und Grab hat der Mensch. Aber der fien und Dokumenten einer interes- Benjamin gesammelt. Dichter hat ein zweites: das Archiv. sierten Öffentlichkeit präsentiert. Die seit Bestehen des Theodor W. Von den frühen Zeugnissen aus Im Mittelpunkt Adorno Archivs stetig steigende Be- Adornos Kindheit, über seine Do- der Archivarbeit nutzerfrequenz macht deutlich, wie kumente aus den Studien- und In erster Linie widmet sich das nachhaltig das wissenschaftliche In- Exiljahren bis hin zur Rückkehr aus Theodor W. Adorno Archiv der Auf- teresse an den Werken Adornos der Emigration sowie seiner Arbeit gabe, die Nachlässe von Adorno und Benjamins ist. Handschriften am Institut für Sozialforschung und und Benjamin zu erfassen, zu ver- lassen Vergangenes als Gegenwart der Frankfurter Universität fächert wahren und zu erschließen sowie erscheinen. Durch die Archivierung sich etwas von der Vielschichtigkeit die Bestände konservatorisch und der Nachlässe werden erstmals dieses bedeutenden Philosophen, restauratorisch zu betreuen. Das Ar- Quellen zugänglich gemacht, die ei- Soziologen, Musiktheoretikers und chiv macht die Quellen durch Publi- ne wesentliche Grundlage für die Komponisten auf. Die Ausstellung kationen, Vermittlungen, Präsenta- Erforschung der Werke sind oder wurde gemeinsam mit dem Präsidial- tionen der Archivalien in Ausstel- überhaupt erst eine biografische departement der Stadt Zürich kon- lungen nutzbar und fördert Auf- Spurensuche ermöglichen. Die be- zipiert und ist am 3.September im führungen der Adorno’schen Kom- reits inventarisierten und archivier- Museum Strauhof in Zürich eröff- positionen. Darüber hinaus ist die ten Materialien werden in mehre- net worden, wo sie bis zum 9. No- Hamburger Stiftung zur Förderung ren Bestandskatalogen und Find- vember zu sehen sein wird. Ansch- von Wissenschaft und Kultur be- müht, durch Ankäufe die Samm- lungen des Archivs zu ergänzen. Neben der archivarischen Betreu- ung der beiden Nachlässe hat das Archiv wichtige Editionen erarbei- tet. Zum Abschluss gebracht wur- den die »Gesammelten Schriften« Adornos und die Gesamtausgabe der Schriften Benjamins sowie eine sechsbändige Ausgabe der Briefe von Walter Benjamin. Im Zentrum der editorischen Arbeit des Archivs steht die Herausgabe der »Nachge- lassenen Schriften« Adornos, die sich in die Abteilungen der »Frag- ment gebliebenen Schriften«, »Phi- losophischen Notizen«, »Poetischen Versuche«, »Vorlesungen, Improvi- sierte Vorträge« sowie »Gespräche, Diskussionen und Interviews« glie- dert. Darüber hinaus wird Adornos Briefwechsel vom Archiv kontinu- ierlich herausgegeben. Nach ihrer Rückkehr aus Amerika lebte das Ehepaar Adorno im Frankfurter Westend. Vom Kettenhofweg Die Bestände des Theodor W. 123 aus konnte Adorno bequem zu Fuss zum Institut für Sozialforschung und zur Universität laufen. Die- Adorno Archivs stehen den Besu- ses Bild entstand 1967 im Wohnzimmer der Adornos. chern für wissenschaftliche, literari- sche und publizistische Arbeiten büchern nachgewiesen. Für die vor- ließend wird die Ausstellung vom und Studien zur Verfügung. Durch bereitende Orientierung stehen die- 19. November bis 14. Februar 2004 die beengten Raumverhältnisse se Hilfsmittel den Archivbenutzern im Historischen Museum Frankfurt können den Benutzern, die aus zur Verfügung. am Main gezeigt. Parallel zur Ausstellung erscheint Aktivitäten im Adorno-Jahr: im neben den lau- Die Autorin Ausstellung im November fenden Archiveditionen eine von Dr. Gabriele Ewenz, Literatur- und Thea- Im Jubiläumsjahr wird in zahlrei- den Mitarbeitern des Archivs bear- terwissenschaftlerin, leitet seit 2001 das Theodor W. Adorno Archiv. Zuvor war chen Veranstaltungen, Vorträgen, beitete Bildmonographie über sie wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Symposien und Lesungen dem Theodor W. Adorno. (Siehe Buch- der Hamburger Stiftung zur Förderung 100.Geburtstag Adornos gedacht. tipps Neuerscheinungen im Ador- von Wissenschaft und Kultur. Das Theodor W. Adorno Archiv be- no-Jahr, Seite 98). ◆

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