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Mäßigung statt Neuanfang: nach den Präsidentschaftswahlen 2013 Posch, Walter

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Zur Verfügung gestellt in Kooperation mit / provided in cooperation with: Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP)

Empfohlene Zitierung / Suggested Citation: Posch, W. (2013). Mäßigung statt Neuanfang: Iran nach den Präsidentschaftswahlen 2013. (SWP-Aktuell, 39/2013). Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik -SWP- Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit. https://nbn- resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-358001

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Problemstellung

Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut - Aktuell für Internationale Politik und Sicherheit SWP

Mäßigung statt Neuanfang Iran nach den Präsidentschaftswahlen 2013 Walter Posch

Die elften iranischen Präsidentschaftswahlen vom 14. Juni 2013 sind zwar kein Meilen- stein auf dem Weg in Richtung einer Demokratisierung Irans, aber ein wichtiger In- dikator für die politische Mäßigung bei gleichzeitiger Stabilisierung des Regimes. Mitt- lerweile zeichnet sich ab, dass der neue Präsident mit Vertretern des gesamten poli- tischen Spektrums zusammenarbeiten wird. Querschüsse von Seiten politischer Oppo- nenten sind diesmal nicht zu erwarten, da ein Teil der Prinzipalisten integriert und ihr extremistischer Flügel marginalisiert wurde. Auf internationaler Ebene darf man auf eine gemäßigte, konstruktive Außenpolitik hoffen. Der Neuanfang der Beziehungen mit dem Westen muss freilich erst gelingen.

Mit dem klaren Wahlsieg von Hojjatoleslam 11,34 Prozent, Mohsen Rezai mit 10,58, Ali Dr. Hasan Feridon-Ruhani bei den diesjäh- Akbar Velayati mit 6,17 und Mohammad rigen iranischen Präsidentschaftswahlen Gharazi mit 1,22 Prozent. Selbst wenn man setzte sich ein gemäßigter Kandidat durch. alle Stimmen der Prinzipalisten (Qalibaf, Seine Wahl wurde von der Bevölkerung mit Jalili, Velayati, Gharazi) summiert, kom- einem Vertrauensvorschuss quittiert, der men diese nur auf etwas über 35 Prozent. sich auch an den Finanzmärkten nieder- Dabei fällt auf, dass das pragmatische Lager schlug: Kurzzeitig stieg der Wert des Riyal der Prinzipalisten (Qalibaf, Velayati) mit um bis zu 20 Prozent, während der Gold- 22,73 Prozent deutlich mehr Zustimmung preis um etwa denselben Prozentsatz sank. erhalten hat als das der utopischen Revolu- tionsromantiker (Jalili, Gharazi) mit ihren 12,56 Prozent. Wahlergebnis Das Ergebnis der Wahl fiel eindeutig aus und muss als Niederlage der »Prinzipalis- Zeichen der Stabilität ten« bezeichnet werden. Mit 50,71 Prozent Die mit 72 Prozent hohe Wahlbeteiligung lag Ruhani weit vor dem zweitstärksten wird von offiziellen Stellen, vor allem vom Kandidaten, dem Bürgermeister von Revolutionsführer, als plebiszithafter Beleg Teheran Mohammad Baqer Qalibaf, mit für die Legitimität des Regimes interpre- 16,56 Prozent. Es folgten Sa’id Jalili mit tiert, denn wer wählen gehe, erkenne das

Dr. Walter Posch ist stellvertretender Leiter (a.i.) der Forschungsgruppe Naher/ Mittlerer Osten und Afrika SWP-Aktuell 39 Juli 2013

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politische System der Islamischen Republik Das starke regionale Profil einzelner aktiv an. Überraschenderweise sprach Kandidaten erinnert an den ersten Durch- Khamenei dieses Jahr erstmals davon, dass gang der Präsidentschaftswahlen von 2005. »sogar jene Leute dem politischen System Damals stimmten die Heimatregionen aus der Islamischen Republik vertrauen, die es Solidarität für »ihre« Kandidaten bevor in eigentlich ablehnen.« der zweiten Runde die eigentliche Entschei- Für diese Aussage Großayatollah Kha- dung getroffen wurde. Die lokalen Identi- meneis lassen sich gleich mehrere Beweg- täten, in die ethnische und konfessionelle gründe anführen: erstens das Bewusstsein Faktoren immer mehr hineinwirken, spiel- des Regimes, dass die Ereignisse von 2009 ten bei der Präsidentschaftswahl 2009 noch Wunden geschlagen haben, zweitens seine keine Rolle. Die Wahlen 2013 beweisen je- Bereitschaft, den Säkularisten und Demo- doch, dass dieser Aspekt nach wie vor wich- kraten in der Islamischen Republik einen tig ist, obwohl er für den Ausgang der gewissen Platz einzuräumen, und drittens Wahlen nicht entscheidend war. die Gewissheit der Führung, dass sie sicher im Sattel sitzt, da weder die Säkularisten noch die demokratischen Strömungen Dauer des Wahlkampfs glaubhafte politische Alternativen zur Der iranische Wahlkampf dauerte nur Islamischen Republik anbieten. knapp einen Monat. Die kurze Frist sollte nicht nur Geld und Ressourcen schonen, sondern vor allem das Entstehen einer Stimmenverteilung politischen Dynamik verhindern, die es Die Karte, die die Verteilung der Stimmen dem zukünftigen Präsidenten erlaubt hätte, in den einzelnen Landesteilen darstellt eine richtige Partei, also eine stabile orga- (siehe Centre national de la recherche scien- nisatorische Machtbasis in der Bevölkerung, tifique, , Ausgangs- aufzubauen. An diesem Vorhaben scheiter- daten sind die des iranischen Innenminis- te sogar Präsident Khatami (1997–2005), teriums), zeigt im Fall Ruhani eine typische auch wenn es ihm mit der »Front des »Reformistengraphik«: starke Gewinne in 2. Khordad« beinahe gelungen wäre, eine den konfessionellen und ethnischen Rand- Volkspartei zu etablieren. Eine ähnliche gebieten und gute bis sehr gute Ergebnisse Entwicklung ist im Falle Ruhanis nicht zu im Landesinneren. Qalibaf hatte den mei- erwarten. Trotz seines beeindruckenden sten Zuspruch in seiner Heimatregion Wahlsiegs gibt es weder eine Aufbruchs- Khorasan, und in der Hauptstadt Teheran stimmung noch eine funktionierende Koa- und konnte darüber hinaus einige Achtungs- lition der Reformparteien. Diese Kräfte, die erfolge im kurdischen Westen des Landes ursprünglich Khatami unterstützt hatten, verbuchen. In der Region der persisch- waren bei den Wahlen 2009, wo sie sich balutschischen Sprachgrenze konkurrierte für Mir Hossein Musavi einsetzten, letzt- er mit Jalili. Dieser kam nur in Qom und in malig aktiv. Nach den Massenprotesten in einigen Wahlkreisen im Osten näher an jenem Jahr verloren sie den Großteil ihrer Ruhani heran. Rezai wiederum dominierte Kader durch Verhaftungen und im Laufe in seiner ethnisch gemischten Heimat- der Jahre 2010 und 2011 wurden ihre Orga- region im Südwesten des Landes. In einigen nisationen weiter drangsaliert oder gar kleinen ländlichen Wahlkreisen konnte er aufgelöst. bis zu 90 Prozent der Stimmen auf sich ver- Vor diesem Hintergrund sind die jüngs- einen, was freilich nichts an seinem ins- ten Wahlen nur als geringer demokratie- gesamt mäßigen Wahlergebnis änderte. politischer Fortschritt zu werten. Das poli- Der unbekannte Mohammad Gharazi tische System des Landes wird nach wie vor stürzte mit etwas mehr als einem Prozent von relativ intransparenten und informel- vollkommen ab. len Zirkeln bestimmt.

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Die Reduzierung der Wahlkampfphase trage, doch die Kritik ging darüber hinaus hatte aber noch einen anderen Zweck: Es und zielte auf das Gesamtsystem: So fragte sollte so verhindert werden, dass die Kan- Rezai, was es denn nütze, wenn die irani- didaten durch Angriffe auf die Persönlich- schen Raketen Tausende Kilometer weit keiten der Mitbewerber das Ansehen der fliegen können, aber weite Teile der Bevöl- Führungselite der Islamischen Republik in kerung unter der Armutsgrenze leben und den Augen der Bevölkerung zerstören und zu wenig zu essen haben. Ähnlich kritisch damit das System im In- und im Ausland äußerte sich Ruhani, der rhetorisch fragte, diskreditieren. Dieser Punkt war dem Revo- welchen Wert es habe, wenn die Zentri- lutionsführer besonders wichtig. Er unter- fugen brummen, der Wirtschaftsmotor strich ihn bei fast jeder seiner Reden vor insgesamt aber stottert? der Wahl. Alle anderen Kandidaten vermieden es, In den westlichen Medien galt Jalili als einen direkten Zusammenhang zwischen Kandidat des Revolutionsführers. Doch dass der Sanktionspolitik und der Wirtschafts- dem so gewesen ist, lässt sich nicht belegen, lage herzustellen, schon allein, um den jedenfalls nicht anhand von Aussagen Eindruck zu vermeiden, Iran würde auf Khameneis. Dieser betonte immer wieder, äußeren Druck hin klein beigeben. Viel- dass er nicht wisse, wer der nächste Präsi- mehr warteten so gut wie alle Bewerber mit dent wird. Die Arbeit des pragmatischen dem klassischen Argumentationsrepertoire Technokraten Hasan Ruhani kennt und von Regimen auf, die unter internationalen schätzt er jedenfalls seit Jahren. Sanktionen leiden: dass man die Sanktio- nen als Chancen sehen müsse, die eigene Effizienz zu steigern und weniger zu ver- Wahlkampfthemen schwenden, dass sie ein Impuls seien, nicht Der Wahlkampf verlief aufgrund seiner nur auf die Erdölwirtschaft zu setzen, son- Kürze relativ ruhig. Vor allem war er aber dern neue Märkte zu erschließen. (fast) frei von Revolutionsrhetorik. Statt- Wichtigstes Thema war jedoch die poli- dessen bemühten sich die meisten Kandi- tische Deeskalation und die Überwindung daten sogar, die Frustrationen der Bevölke- der Isolation Irans. Der vorherrschende rung über die Wirtschaftslage und die Tenor in dieser Debatte war, dass der kon- Isolation des Landes anzusprechen. frontative Stil Ahmadineschads dem Land Qalibaf und Rezai, also die beiden Aspi- großen Schaden zugefügt habe, den es nun ranten, die aus dem Sicherheitsapparat zu beheben gelte. Daher müsse man die kamen, machten ein potentielles Sicher- Verhandlungen mit den E3+3 erfolgreich zu heitsproblem für Iran zum Wahlkampf- Ende bringen, was implizit auch eine Eini- thema, indem sie den Akzent auf die ethni- gung mit den USA bedeuten würde. sche und religiöse Vielfalt des Landes leg- Nur Sa’id Jalili vertrat eine andere Rich- ten: Qalibaf sprach sich dafür aus, vermehrt tung: Er plädierte dafür, dass Iran seine Sunniten in Führungsfunktionen bei der »Widerstandspolitik« fortsetzt und den Polizei zu berufen, und Rezai setzte sich Kampf gegen die USA und Israel priorisiert. dafür ein, die Sprachen der Volksgruppen Diplomatie und Wirtschaft sollten nun in an den Universitäten zu unterrichten. Beide einen »Widerstandsmodus« schalten. Dabei Kandidaten wollten drohende ethnisch- wurde er in der Öffentlichkeit nicht nur konfessionelle Konflikte durch Anerken- von seinem Berater in strategischen An- nung und Implementierung der Minder- gelegenheiten, Ali Baqeri-Kani, dem Neffen heitenrechte entschärfen. Ayatollah Mahdavi-Kanis, unterstützt, son- Alle Bewerber gingen auf die soziale dern auch von Extremistengruppen wie Misere des Landes ein. Zwar wiesen die Ansar-e Hezbollah. Deren Ansicht nach war meisten Kandidaten darauf hin, dass Jalili der einzig akzeptable Kandidat, da alle Ahmadineschad hierfür die Verantwortung anderen nach einem Kompromiss mit der

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»globalen Arroganz«, also den USA, strebten. Khamenei die Funktionslogik des »halboffe- Damit unterschied sich Jalili ideologisch nen« politischen Systems Irans wie kaum und politisch von den anderen Kandidaten ein anderer versteht und seine Gewichte der Prinzipalisten. dementsprechend verteilt hat. Dadurch er- reichte der Revolutionsführer jenen Eliten- kompromiss, den er bereits 2010 angestrebt Das Einhegen der Prinzipalisten hatte und der eine Schwächung und Re- Die Prinzipalisten haben anscheinend ver- integration der Reformkräfte ins politische sucht, mit Hilfe verschiedener Kandidaten System und ein Einhegen der Extremisten mit unterschiedlichen Schwerpunkten im Lager der Prinzipalisten impliziert. Der getrennt zu marschieren und vereint zu öffentliche Auftritt Khameneis neben schlagen. Doch die Differenzen zwischen Hasan Khomeini am 4. Juni 2013 am Grab der Position Jalilis und jener der anderen des Gründers der Islamischen Republik ist Kandidaten waren so groß, dass es schwer- der symbolträchtigste Ausdruck dieser fällt, von einer einheitlichen Front der Politik. Prinzipalisten überhaupt noch zu sprechen. Doch letzten Endes waren sich die Prinzi- Diese hatten 2005 mit dem Wahlsieg palisten selbst ihr größter Gegner. Denn Ahmadineschads über Rafsanjani ihren obwohl ihre Bewegung nun ein gutes Jahr- Durchbruch erzielt. Doch Ahmadineschad zehnt alt ist und mit Ahmadineschad acht ging bald eigene Wege und zeigte sich ehe- Jahre an der Regierung war, scheiterten sie maligen Freunden und Förderern gegen- mit ihrem Versuch, eine mehrheitstaug- über undankbar. Gleichwohl sollte sein liche politische Botschaft zu formulieren. umstrittener Wahlerfolg 2009 das Fanal für Sie waren nicht einmal in der Lage, ihre die Umgestaltung des gesamten Macht- vorhandenen Organisationsstrukturen zu apparats sein. Die Proteste in jenem Jahr konsolidieren und in die Form einer poli- wollte man zum Anlass nehmen, um alle tischen Partei zu überführen. »Prinzipalis- Pragmatiker und Reformkräfte aus dem mus«, also die Kombination verschiedener politischen Spiel zu werfen. Die Demüti- rechtsorientierter Gruppen, blieb daher im gung Rafsanjanis 2009 und des Enkels Kern ein unausgereiftes Projekt. Sowohl Ayatollah Khomeinis, Hassan Khomeini, im von ihrer Organisationsstruktur als auch Sommer 2010, die Rüpeleien gegen die von ihren Ideen her betrachtet, sind die Großayatollahs in Qom im Winter 2010, Prinzipalisten heute sogar schwächer als und schließlich der Sturm auf die britische die Reformisten, und ihr extremistischer Botschaft im November 2011 waren die Flügel, der jahrelang der Motor der Be- Höhepunkte dieser Politik einer radikalen, wegung war, ist vom System eingehegt aber einflussreichen Minderheit, deren Ziel worden. Damit dürfte der Bruch zwischen es letztendlich war, den Iran in einen auto- den Extremisten und den Pragmatikern ritären Führerstaat umzuwandeln, die letz- innerhalb dieser Strömung besiegelt sein, ten bürgerlichen Freiheiten zu beschneiden so dass man sich fragen muss, ob auf der und in der Außenpolitik einen utopisch- politischen Rechten nicht schon die Zeit islamistischen Konfrontationskurs ein- nach den Prinzipalisten angebrochen ist. zuschlagen.

Das Schweigen der Generäle Das Ende der Prinzipalisten? Zu dieser »Einhegung der Prinzipalisten« Es wäre wohl vermessen, zu glauben, dass gehört noch ein anderer wichtiger Aspekt, das aktuelle Wahlergebnis in allen Details der oft übersehen wurde: 2013 hielten sich von langer Hand durch Khamenei und die Generäle der Revolutionsgarden mit seine Mitarbeiter arrangiert worden wäre. Wahlempfehlungen und Interpretationen Vielmehr ist davon auszugehen, dass der offiziellen Ideologie auffallend zurück

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und betonten ihre politische Neutralität. Noubakht denkbare Kandidaten für Füh- Das war vor den Parlaments- und Präsident- rungspositionen. Letzterer wird sowohl als schaftswahlen 2005, 2008 und 2009 noch Regierungssprecher als auch als Chef des ganz anders. Damals bezogen die Komman- Planungs- und Programmbüros der Regie- danten der Pasdaran, General Rahim-Safavi rung gehandelt. Darüber hinaus gilt Nou- und sein Nachfolger Jafari, offen gegen die bakht wie Mohammad Nehavandian als Reformisten Stellung und ergriffen für die potentieller Wirtschaftsminister. Prinzipalisten Partei. Die Zeit der politisie- Unklar ist die Lage bei den Reformisten, renden Revolutionsgardisten dürfte damit deren Stimmen ausschlaggebend für Ruha- ebenfalls der Vergangenheit angehören. nis Wahl war. Sie leiden nach wie vor dar- Diese werden sich nun endlich an die Sta- unter, dass sie ihre wichtigsten Protagonis- tuten der Revolutionsgarden halten müs- ten verloren haben und in den letzten sen, die ihnen parteipolitische Neutralität Jahren durch den Verlust der Mehrheit im vorschreiben. Parlament kein neues Führungspersonal mehr aufbauen konnten. Dennoch muss Ruhani, vor allem wenn ihm an einer Großkoalitionär Ruhani Wiederwahl gelegen ist, Politiker aus die- Der Wahlerfolg Ruhanis und die deutliche sem Lager einbinden. Dabei kommen Absage des Wählers an den Konfrontations- jedoch keine Personen in Frage, die sich kurs und die Widerstandsrhetorik der radi- 2009 exponiert haben. Geeignet dafür kalen Islamisten, die Jalili unterstützten, wären wohl eher solche, die unter Khatami bedeuten zunächst Mäßigung und mehr noch am Anfang ihrer Karriere standen Realismus in allen Belangen. Zu dieser sowie Parlamentarier aus der Fraktion Linie Mäßigung gehört auf personalpolitischer des Imam, der die meisten Reformpolitiker Ebene eine Rückkehr erfahrener, professio- im Parlament angehören. Daher überrascht neller Technokraten an die Schaltstellen es, dass mit Javad Etta’at ein führendes Mit- der Macht. Keinesfalls handelt es sich um glied der Reformpartei E’temad-e Melli als eine Rückkehr der Reformisten und ihres Wissenschaftsminister genannt wird. Bes- islamischen Demokratisierungsprojekts. sere Chancen für dieses Amt werden dem Da Ruhani keine eigene politische Partei Präsidentschaftskandidaten Mohammad oder Gruppierung repräsentiert, wird seine Reza Aref und Ja’far Toufighi zugeschrie- Regierung eine Art Konzentrationsregierung ben. Ebenfalls dem Reformlager zurechnen sein, bestehend aus einem Teil der Prinzipa- lässt sich der ehemalige Botschafter bei den listen, der modernen Rechten Rafsanjanis VN, , der wie Ruha- und der Reformisten. Ruhani braucht daher nis ehemaliger Mitarbeiter, der Sicherheits- politische Vertraute und Verbündete in experte Mahmud Vaezi, als Außenminister allen Lagern. Unter den Prinzipalisten kom- gehandelt wird. Im Gespräch für den Chef- men vor allem Angehörige des Kreises um posten der iranischen Atomenergiebehörde Hojjatoleslam Nateq-Nuri in Frage, mit sind bereits der jetzige Außenminister Ali denen er früher zusammengearbeitet hat. Akbar Salehi und Gholamreza Aghazadeh. Ins Blickfeld einer solchen Kooperation Beide bringen die nötige Fachkenntnis mit. rücken damit die Abgeordneten Ali Motah- Aghazadeh hatte dieses Amt bis 2009 inne hari, Dr. Ghafuri-Fard und Asadollah Badam- und trat damals aus bisher nicht bekannt- chian, ohne dass freilich zu diesem Zeit- gegebenen Gründen überraschend zurück, punkt Genaueres gesagt werden könnte. Salehi ist Diplomat und Atomphysiker. Als Aus den Kreisen um Rafsanjani, von denen Sekretär des Hohen Nationalen Sicherheits- Ruhani die größte Unterstützung erfahren rats werden ein konservativer Prinzipalist hat, sind vor allem der Erdölexperte und ein Reformist genannt: Ali Akbar Vela- Mohammad Reza Ne’matzadeh und der yati und Kamal Kharrazi. Dieser Name ver- Wirtschaftsfachmann Mohammad Baqer wundert, da Kharrazi in seiner Zeit als

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Außenminister das Atomdossier Ruhani Insgesamt ergibt sich das Bild eines aus- überlassen musste. geglichenen Kabinetts, in dem pragma- Als Justizminister kommen offenbar tische Technokraten dominieren und nam- Mohammad Esmail Shoushtari, der dieses hafte Reformisten auch auf heikle Positio- Amt bereits unter Khatami innehatte, und nen zurückgebracht werden, dem aber der ehemalige Informationsminister Ghor- auch einzelne Personen angehören, die dem banali Dorri-Najafabadi in Betracht. Sollte radikalen Spektrum zuzurechnen sind. tatsächlich Letzterer bestätigt werden, würde dies in der internationalen Öffent- lichkeit einen Aufschrei provozieren, da es Innenpolitik unter ihm als Informationsminister in den Innenpolitisch wird Ruhani in erster Linie 1990er Jahren zu einer grausamen Mord- auf Ausgleich setzen, weniger auf große serie an Intellektuellen gekommen ist. Gesten. Fragen zur möglichen Freilassung Die wichtigen Posten werden der des In- der Reformpolitiker Mir Hossein Musavi nen-, Informations-, und des Verteidigungs- und Mehdi Karrubi beantwortete er zu- ministers sein. Man darf davon ausgehen, nächst vorsichtig mit dem Hinweis, dass dass in Bezug auf diese Ämter am meisten eine solche Entscheidung nicht im Macht- auf Personalwünsche der Prinzipalisten ein- bereich des Präsidenten allein liege, sondern gegangen wird. Wichtige Kader im mittle- mit allen anderen Behörden abgestimmt ren Management wird Ruhani eher aus dem werden müsse. Dieser Prozess, so Ruhani, Kreis um Qalibaf auswählen, auch um zu brauche Zeit. Anders ausgedrückt: Hinter verhindern, dass dieser von seinem Amts- den Kulissen wird nicht darüber diskutiert, sitz als Bürgermeister von Teheran aus ob, sondern nur noch wann und wie die Oppositionspolitik betreibt. Als Verteidi- beiden Symbolfiguren des Jahres 2009 gungsminister sind Amtsinhaber Ahmad freigelassen werden. Vahidi und , der schon unter Die Entwicklung in zwei Bereichen der Khatami diesen Posten innehatte, im Ge- Innenpolitik werden besonders interessant spräch. Als Innenminister werden der Refor- sein, weil sie für die Art, wie die Islamische mist , der unter Republik in der Welt agieren wird, wichtige Khatami Wirtschaftsminister war, aber aus Aufschlüsse geben: die Kulturpolitik und dem Milieu der Nachrichtendienste stammt, das Verhältnis zum Sicherheitsapparat. und der ehemalige Gouverneur von Isfahan In der Kulturpolitik und in den »kleinen und Leiter des Wahlkampfbüros Rafsanja- Freiheiten« (Kleidungsvorschriften, Zensur nis, Eshaq Jehangiri, genannt. Beide werden usw.) sind durchaus Entspannungen und auch als Minister für Industrie, Bergbau Erleichterungen zu erhoffen. Die Erwar- und Wirtschaft gehandelt. Weitere Kandi- tungen der Kulturschaffenden sind jeden- daten für das Innenministerium sind der falls sehr groß: So überreichten iranische ehemalige Informationsminister Ali Yunesi Filmschaffende Ruhani einen offenen Brief, und der auch auf nationaler Ebene bislang in dem sie die gewünschten Eigenschaften unbekannte Bürgermeister von Isfahan, des zukünftigen Kulturministers beschrie- Mortaza Saqaiyannejad, der ebenfalls dem ben. Iranische Journalisten forderten die Prinzipalisten Nateq-Nuri nahestehen soll. Umsetzung der iranischen Verfassung, die Von besonderem Interesse ist das Amt des unter anderem Pressefreiheit vorsieht. Informationsministers, also des Chefs der Im Sicherheitsapparat ist Ruhani, der jahre- iranischen Geheimdienste. Hierfür sind lang dem Hohen Nationalen Sicherheitsrat drei Kleriker im Gespräch: der oben ge- als Generalsekretär diente, ebenfalls kein nannte Ali Yunesi sowie Hasan Taromi und Unbekannter. Dass hier nicht alles zum Hojjatoleslam Shafii. Yunesi und Shafii Besten steht und Machtkämpfe vor allem bringen für dieses Amt bereits die nötige im Informationsministerium toben, ist all- nachrichtendienstliche Erfahrung mit. gemein bekannt. Ruhani wurde unmittel-

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bar nach seiner Wahl daran erinnert. So hin zu unterstützen. Zum einem, weil Iran hieß es zunächst, dass das Informations- in den letzten drei Jahrzehnten viel in die ministerium ihm zu seinem Wahlsieg Sicherheitskooperation mit Damaskus in- gratuliere. Einige Tage später wurde diese vestiert hat. Ein Verlust des syrischen Part- Meldung mit der Bemerkung widerrufen, ners würde einen schweren strategischen das Ministerium könne aufgrund seiner Rückschlag gegenüber dem Westen und politischen Neutralität aus Prinzip keinem Saudi-Arabien bedeuten. Zum anderen miss- Wahlsieger gratulieren. Dass es überhaupt lang der Versuch Teherans, mit der syri- zu widersprüchlichen Aussagen gekommen schen Opposition ins Gespräch zu kommen. ist, weist auf die Tiefe der Spannungen hin. Und schließlich ist auch die Angst vor einer Im Übrigen scheint die unheimliche in- Machtübernahme radikaler Jihadis ein formelle Macht radikaler Splittergruppen ge- Motiv, Assad weiterhin zu unterstützen. brochen zu sein. Diese hatten sich um Allenfalls werden die Bemühungen Irans, Ahmadineschad und später um Jalili ge- Assad zu Reformen und Konzessionen zu schart. Heutzutage sind sie sogar im Aus- bewegen, unter Ruhani zunehmen. Außer- land bekannt und damit ist auch ihre Macht dem wird Teheran darauf insistieren, in gebannt, die in den 1990er Jahren ja groß- jede internationale Verhandlungslösung teils darauf beruhte, dass man anfangs über die Zukunft Syriens als vollwertiger nicht wusste, um wen es sich bei diesen Partner eingebunden zu werden. gewalttätigen Gruppen handelt. Nur einer In diesem Zusammenhang ist das ira- der Anführer von Ansar-e Hezbollah, Hoseyn nisch-saudische Verhältnis genau zu beobach- Allah-Karam, drohte mit Massenprotesten, ten. Die beiden islamischen Führungs- sollte Ruhani zur Rafsanjanischen Libera- mächte konkurrieren am Persischen Golf lisierungspolitik zurückkehren. Der Revo- und darüber hinaus in der gesamten Region lutionsführer brachte seinerseits seinen um Macht und Einfluss. Der Tiefpunkt der Wunsch, dass alle politischen Kräfte Ruhani bilateralen Beziehungen wurde unter unterstützen sollen, deutlich genug zum Ahmadineschad erreicht. Seither sind die Ausdruck, ein Appell, der als Warnung an Saudis dazu übergegangen, die Gefahr die Extremisten verstanden werden kann. eines »schiitischen Halbmondes« an die Das erklärt, warum sogar radikale Gruppen Wand zu malen, einer regionalen Vormacht- Unterstützungserklärungen auf ihren stellung Irans, die es dem Land erlaube, Internetseiten veröffentlichten. Damit hat seinen Einfluss vom Persischen Golf bis an Ruhani, der sich vom radikalen politischen die Levante auszudehnen. Doch schon 2011 Spektrum ohnehin nie hat beeindrucken ließ Außenminister Salehi verlauten, dass lassen, ungleich bessere Voraussetzungen, die Verbesserung des Verhältnisses zu von politischen Extremisten in Ruhe ge- Saudi-Arabien einer seiner Schwerpunkte lassen zu werden als Khatami seinerzeit. sein werde. Unter Ruhani wird die irani- sche Diplomatie vermehrte Anstrengungen in diese Richtung unternehmen. Allerdings Außenpolitik sind die Unterschiede in den Prioritäten auf Die größten Herausforderungen erwarten beiden Seiten des Golfes beträchtlich: Iran den neugewählten Präsidenten jedoch in geht es in erster Linie darum zu verhin- der Außenpolitik. In der Regionalpolitik dern, dass das strategische Patt in Syrien hat die neue Regierung wenig Handlungs- den konfessionellen Gegensatz zwischen spielraum. Schiiten und Sunniten in der Region weiter anfacht. Riyadh wiederum ist hauptsäch- lich am iranischen Nuklearprogramm Syrien interessiert, von dem zu Recht befürchtet Was Syrien betrifft, bleibt Iran keine andere wird, dass es iranische Hegemonialmacht- Möglichkeit, als das Assad-Regime weiter- ansprüche untermauert. Da Teheran in

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dieser Angelegenheit bisher kaum Diskus- nicht nur energisch dafür aus, die Verhand- sionsbedarf mit seinen Nachbarn gesehen lungen mit den E3+3 zügig voranzutreiben, hat, würde eine Gesprächsbereitschaft Irans sondern ging sogar so weit, die Gründung einem Paradigmenwechsel gleichkommen. einer gemeinsamen amerikanisch-irani- schen Handelskammer vorzuschlagen. Dass ausgerechnet in jenen Kreisen, die bislang Nuklearpolitik die USA am meisten verteufelt haben, über Ohne Zweifel wird die Atomfrage das alles Zusammenarbeit mit ihnen laut nach- bestimmende Thema der iranischen Außen- gedacht wird, zeigt den relativen Erfolg der politik bleiben. Auch hier ist Ruhanis Be- Sanktionen. mühen um politische Moderation und Allerdings kann dieser Erfolg nur dann Mäßigung erkennbar. So musste der wich- ausgenützt werden, solange die iranische tigste Vertreter des »Widerstandslagers« Ali Seite überzeugt ist, dass die Sanktionen ein Baqeri-Kani, der in den letzten Jahren die Druckmittel sind und nicht politischer

© Stiftung Wissenschaft und eigentliche Federführung bei den Verhand- Selbstzweck oder gar Mittel zum Regime- Politik, 2013 lungen innehatte, seine Auslandsreisen in wechsel geworden sind. Eine fortgesetzte Alle Rechte vorbehalten europäische Hauptstädte absagen. Das Isolierung würde dem eben überwundenen

Das Aktuell gibt ausschließ- allein ist noch kein Durchbruch; es zeigt »Widerstandsdiskurs« wieder neue Nahrung lich die persönliche Auf- aber, dass Ruhani in diesem Punkt auf den geben und Ruhani kaum eine andere Wahl fassung des Autors wieder Westen zugehen will. Das heißt nicht, dass lassen, als seinerseits mit der entsprechen- SWP Teheran sein Nuklearprogramm aufgeben den »Widerstandsrhetorik« zu reagieren. Stiftung Wissenschaft und Politik wird. Doch hat Ruhani schon früher größere Doch mit Ruhani kehrt nun ein politisch Deutsches Institut für Flexibilität und ein prinzipielles Verständ- gut vernetztes Team an Experten an die Internationale Politik und Sicherheit nis für die Sorgen der internationalen Macht zurück, von dem der Westen poli- Gemeinschaft gezeigt und genießt einen tische Mäßigung erwarten darf. Die Isolation Ludwigkirchplatz 3­4 ausgezeichneten Ruf bei den damaligen der Extremisten innerhalb des Regimes ist 10719 Berlin Telefon +49 30 880 07-0 Verhandlungspartnern. Doch nach mehr eine Chance für beide Seiten, die beinahe Fax +49 30 880 07-100 als einer Dekade Verhandlungen ist das ira- totgefahrenen Atomverhandlungen wieder www.swp-berlin.org [email protected] nische Nuklearprogamm weit fortgeschrit- aufzunehmen und auf konstruktiver Ebene ten, und zum acquis der Konsultationen fortzusetzen. ISSN 1611-6364 gehört mittlerweile ein umfangreiches und Deeskalation, politische Mäßigung und kompliziertes Sanktionssystem. Große Einhegen der eigenen Extremisten sind vertrauensbildende Gesten sind für beide zwar die Grundvoraussetzungen für einen Seiten daher um ein Vielfaches schwieriger Neuanfang, aber keine Erfolgsgarantien. geworden. Beide Seiten tun also gut daran, ihre Erwar- Trotzdem ist die weitverbreitete Auffas- tungen zunächst gering zu halten. Der Neu- sung, wonach es den Iranern nur um Zeit- anfang muss erst gelingen. gewinn gehe und Gespräche, wenn über- haupt, nur vor einer glaubwürdigen militä- rischen Drohkulisse sinnvoll sind, zurück- zuweisen. Zum einen hat Iran bisher solche Drohgebärden kaum ernst genommen. Zum anderen ist auch in Reden des Revolutions- führers der Wunsch nach einer Verhand- lungslösung und damit nach Lockerung oder Abschaffung der Sanktionen erkenn- bar. So sprach sich Habibollah Asgar-Oladi, ein wichtiger fundamentalistischer Ver- treter des Bazars, also der politisch einfluss- reichen traditionellen Händlerschicht,

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