Grundwissen der Geschichte des Kōdōkan-Jūdō in Japan

von Wolfgang Dax-Romswinkel

Teil 1: Koryū-Bugei: die klassischen Kriegskünste Japans

JIGORō KANō hat mit seinen Schülern und Mitarbeitern ab 1882 das Kōdōkan-Jūdō entwickelt. Die Wurzeln des Kōdōkan-Jūdō liegen in den klassischen japanischen Kriegskünsten, den so genannten koryū-bugei, die über Jahrhunderte entwickelt und ver- feinert worden waren. Weil Kenntnisse über die koryū-bugei beim Verständnis der Jūdōgeschichte und des Jūdō hilfreich sind, sollen zu Beginn dieser Artikelreihe ihre wichtigsten Eigenheiten, ihr Aufstieg und ihr Niedergang im Kontext der geschicht- lichen Ereignisse skizziert werden. Naturgemäß kann die Darstellung in diesem Rahmen allerdings nur sehr komprimiert und verallgemeinernd sein. Für ein vertiefendes Studium muss daher auf separate Fachliteratur zurückgegriffen werden.

Historischer Kontext Konsequent sicherte das Gerber, Totengräber, Henker z.B. kenjutsu (Schwertkampf), Shōgunat seine Macht ab und oder Prostituierte. kyūjutsu (Bogenschießen), Wie alle anderen Länder der Japan erlebte eine rund 250-jäh- Die Samurai stellten etwa bōjutsu (Kämpfen mit dem Erde hat auch Japan eine von rige relativ friedliche Periode. 5 % der Bevölkerung und Langstock) aber auch Schwim- Kriegen gezeichnete Geschich- Strikte Kontrolle der Ein- und nahmen in der Regel Verwal- men und weitere Disziplinen te. Vor allem im 15. und 16. Ausreise nach Japan und des tungsaufgaben - ähnlich unseren gehörten. Jūjutsu, das alternativ Jahrhundert gab es viele interne Handels mit ausländischen heutigen Beamten - wahr. Die z.B. auch yawara oder tai-jutsu Machtkämpfe zwischen weitge- Mächten führten zu einer Zugehörigkeit zu einem Stand genannt wurde, war eine dieser hend autonomen Territorien, da sehr starken Abschottung des hatte übrigens nicht unbe- Formen. Es bezeichnete in der es keine starke Zentralregierung Inselreiches. Zahlreiche Gesetze dingt etwas mit persönlichem Regel das Kämpfen ohne oder mehr gab. Man nennt einen Teil und die Ständegesellschaft nach Wohlstand zu tun. Es gab z.B. nur mit leichten Waffen gegen dieser Zeit nicht umsonst die konfuzianischer Lehre bestimm- verarmte samurai genauso wie einen unbewaffneten oder einen „Zeit der streitenden Reiche“ ten die Staatsordnung. reiche Händler. bewaffneten Gegner. Jūjutsu (Sengoku-Periode, 1477 bis diente in erster Linie als Ergän- 1573). Die Ständeordnung der Entwicklung und Systema- zung zum Waffenkampf, insbe- In der Schlacht von Seki- Edo-Zeit tisierung der Kampfkünste sondere zum Schwertkampf. gahara konnte IEYASU TOKUGA- durch die ryū-ha Das Spektrum der Tech- WA im Jahr 1600 die militä- Der gesellschaftliche Stand niken ohne Waffen umfasste rische Vorherrschaft in Japan eines Menschen hing nicht Während der Jahrhun- Wurftechniken, Gelenkhebel erkämpfen. Er ließ sich vom von seinen Leistungen oder derte, in denen Kriege geführt aller Art (auch an Genick, Kaiser (jap. tennō) mit allen seiner Ausbildung ab, son- wurden, entwickelten sich Händen, Fingern, Beinen und Machtbefugnissen ausstatten dern praktisch allein von der zahlreiche Formen des Kampfes Füßen), Würgetechniken sowie und 1603 zum shōgun ernen- Herkunft. An der Spitze standen mit und ohne Waffen, aber Schläge, Stöße und Tritte. nen. Die Hauptstadt wurde von das Kaiserhaus, der Tokugawa- erst ab Mitte des 16. Jahrhun- Würfe waren oftmals mit Kyōto nach Edo (dem früheren Clan und die etwa 260 Fürsten derts wurden diese zunehmend Hebeln oder Schlägen/Stößen Namen von Tōkyō) verlegt, (jap. „daimyō“). Es folgte der formalisiert und durch die gekoppelt und hatten nicht weswegen die nachfolgende Kriegerstand, die samurai, ryū-ha strukturiert überliefert. unbedingt das Ziel, den Gegner Periode auch Edo-Zeit (1603 bis denen als einzige erlaubt war Eine ryū ist eine Schule oder in auf den Rücken zu werfen, 1868) genannt wird. Da wäh- Schwerter zu tragen. Geordnet etwas anderer Übersetzung ein denn auf dem Schlachtfeld war rend dieser gesamten Zeit die nach Leistung für die Produk- Stil, ha bezeichnet einen Zweig das Ausschalten des Gegners Tokugawa-Familie den Shōgun tion lebensnotwendiger Güter, oder eine Linie. Die ryū-ha sind wichtiger als ihn kontrolliert zu stellte, nennt man die Zeit auch kamen danach die Bauern, die also die Stile/Schulen und ihre werfen. Eine Besonderheit war das „Tokugawa-Shōgunat“. Handwerker und als niedrigs- Zweige. der Nahkampf in Rüstungen, Der tennō war zwar offiziell ter Stand die Händler. Noch Insgesamt lassen sich das yoroi-kumi-uchi, das z.B. in Staatsoberhaupt, faktisch aber darunter waren Menschen mit 18 Hauptformen der Krieg- der Kitō-ryū gelehrt wurde. nur noch auf repräsentative Berufen, die nach buddhisti- künste unterscheiden, die Aufgaben beschränkt. scher Lehre unrein waren wie bugei-jūhappan, zu denen

Abwehr eines Faust- schlages in der Takenouchi-ryū (aus Daigo T., Wurf- techniken des Kōdōkan Jūdō, S. 30-31)

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Gründung der Schulen das für die Weitergabe der Die Kampfkünste sollten - das „Innere“ - ihrer Kunst Lehre verantwortlich war und neben praktischen Fertigkeiten möglichst geheim zu halten, um Die Umstände, die zur auch den Nachfolger bestimm- des Kämpfens auch mentale nicht im Kampf gegen Vertreter Gründung der einzelnen Schu- te. Die Unverfälschtheit der Fähigkeiten und charakterliche anderer ryū einen Nachteil zu len geführt haben, sind oft mit Lehre legitimierte sich über eine Stärke vermitteln, womit den haben. Legenden verbunden und die ungebrochene Linie („Traditi- koryū-bugei auch ein erheb- Bevor ein Schüler ange- Grenze zwischen Dichtung und onslinie“ oder „Übertragungs- licher erzieherischer Wert nommen und in die Kunst ein- Wahrheit ist vielfach nicht mehr linie“) bis zum Gründer der zukam. geweiht wurde, musste er einen auszumachen. Das Spektrum Schule. Wurde von der Lehre Eid leisten, dass er die Geheim- reicht von Mythen - z.B. einer abgewichen, wurde sie ergänzt Die Stufen der Ausbildung nisse der jeweiligen Schule göttlichen Eingebung auf einer oder mit Lehren anderer ryū und das Lizenzierungssystem nicht nach außen tragen und einsamen Wanderschaft - über vermischt, so bedeutete dies (menkyo) dass er die Kunst nicht ohne das Beobachten eines Weiden- in der Regel den Beginn eines Erlaubnis unterrichten wird. baums im Sturm, der flexibel neuen Zweiges (ha) oder sogar Die Schüler wurden Manche Schüler, die uchi-deshi nachgibt und deshalb nicht die Gründung einer neuen ryū. schrittweise und systematisch oder „inneren Schüler“, lebten knickt, bis hin zum legendär- in verschiedene Lernstufen im Haus des Meisters. Die soto- en chinesischen Einwanderer Kata, densho und kuden: das eingeführt. Die Lerninhalte deshi („äußere Schüler“) kamen namens GEMPIN, der im 17. Curriculum einer ryū waren zu diesem Zweck je nur zum Unterricht ins dōjō. In Jahrhundert chinesische Kampf- nach Schule in Stufen wie z.B. der Praxis bedeutete dies oft, formen nach Japan mitgebracht Das technische Programm Grundlagen (shoden), fortge- aber nicht zwingend, dass nur haben soll. war in den kata der ryū forma- schrittene Techniken (chūden) besonders geeignete Schüler Als eine der ältesten heute lisiert. Sie sicherten eine weit- und „innere“ oder „geheime“ uchi-deshi werden konnten und noch existierenden Schulen, die gehend unverfälschte Überlie- Techniken (okuden) eingeteilt. diese aufgrund der ständi- jūjutsu gelehrt hat und noch tut, ferung der Techniken von einer Darüber hinaus gab es wie oben gen Nähe zum Meister eine wird immer wieder die 1532 Generation zur nächsten. In den erwähnt noch die letzte und intensivere Betreuung erfahren gegründete Takenouchi-ryū kata spiegelte sich das Wesen höchste Stufe, das kuden, die konnten als die soto-deshi. genannt. Wichtige Schulen für der jeweiligen Schule wieder mündlichen Lehren, die über Das Rangsystem und die die Entstehung des Kōdōkan- und sie prägten wesentlich die die okuden hinaus gehende schrittweise Einführung in die Jūdō sind Kitō-ryū und Tenjin- Identität der Schule. Kata waren Erklärungen enthielten. Lehrinhalte einer ryū, die erst shin’yō-ryū, die JIGORō KANō also unter anderem auch zum Analog dem Ausbildungs- am Ende der Ausbildung die jeweils gelernt hat. Weitere Zwecke der Überlieferung ge- stand gab es für Schüler wesentlichen Prinzipien und bekannte Schulen sind z.B. nau festgelegt und ein präzises verschiedene formale Ränge Zusammenhänge erkennen Yōshin-ryū oder Sekiguchi-ryū. Üben war Voraussetzung für in meistens fünf Stufen, das ließen, sorgte dafür, dass nur Die meisten Schulen entstanden den Fortbestand der Lehre über sogenannte menkyo-System loyale Schüler zu wirklichen während der Edo-Zeit durch Generationen. (von jap. menkyo=Lizenz, Er- Experten heranreifen konnten. eine Synthese verschiedener Neben den kata gab es die laubnis). Je nach Rang wurden bereits existierender Schulen. schriftliche und die mündliche die Schüler unterschiedlich tief Der Niedergang des samurai- Insgesamt wurden mehrere hun- Überlieferung. Jede Schule in die Techniken, Prinzipien Standes und der koryū-bugei dert - einige Quellen sprechen hatte Schriftrollen (jap. densho), und Geheimnisse der Schule von bis zu 2.000 - verschiedene in denen z.B. das technische eingeweiht. Die höchste Stufe, Der Niedergang der koryū- Schulen während der Edo-Zeit Programm, wichtige Prinzipien, das menkyo-kaiden, wurde nach bugei wurde eingeleitet, als der gezählt. Verhaltensregeln und die der Übermittlung der kuden amerikanische Commodore Per- Später nannte man die Geschichte der Schule nieder- erreicht. Es war die Bestäti- ry 1853 mit vier Kriegsschiffen bis zum Ende der Edo-Zeit geschrieben war. Da - wie noch gung, dass die Lehre der Schule die Bucht von Tōkyō erreichte entstandenen Stile koryū-bugei zu erläutern sein wird - jede ryū vollständig übertragen worden und dem Shōgunat mehr als oder koryū-bujutsu, also die auf eine weitgehende Geheim- war und berechtigte zur selbst- deutlich vor Augen geführt „alten“ Kriegskünste (von haltung ihres Systems wert ständigen Lehre der Kunst. wurde, wie sehr Japan den west- ko=alt, ryū=Schule/Stil, bugei/ legte, wurden die „geheimen Das menkyo-kaiden wurde lichen Mächten, insbesondere bujutsu=Kriegskunst). Lehren“ nur mündlich weiter- durch eine Urkunde bescheinigt aufgrund der Waffentechnik, gegeben. So hatte jede Schule und war auch mit der Aushändi- unterlegen war. Nachdem Japan Formalisierung der Lehrin- ihre kuden (von ku=Mund, gung einer Abschrift der densho 1854 zur Öffnung seiner Häfen halte und strukturierte Über- den=Überlieferung). Oft wurde verbunden. für den Handel mit den USA lieferung in den densho eine Geheimspra- gezwungen worden war, hat che verwendet, die nur mit Hilfe Sicherung der Vertraulichkeit die Shōgunats-Regierung um Die Lehre einer ryū sollte der kuden entschlüsselt werden der Lehre militärisch zu erstarken und unverfälscht vom Gründer auf konnte, so dass Unbefugte sie letztlich eine Kolonialisierung die nachfolgenden Generationen nicht verstehen konnten. Die ryū-ha versuchten wie zu verhindern 1856 hastig das übertragen werden. Es gab stets oben bereits an einigen Stellen Kōbusho gegründet, eine Mi- nur ein Oberhaupt einer Schule, angedeutet den Wesenskern litärakademie zur Ausbildung

(mit freundlicher Genehmigung des Verlags Dieter Born)

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von Offizieren in moderner und ihre traditionelle Tracht zu der langen Friedensperiode gelten die Strukturen für die Kriegsführung (z.B. Artillerie), tragen. (Anmerkung: Der Film während der Edo-Zeit aufgrund noch aktiven koryū unverändert wo ergänzend auch verschie- „The last Samurai“ greift diese mangelnder Praxis ihre Fähig- fort. dene ryū unterrichtet wurden. Thematik auf, jedoch mit sehr keiten auf dem Schlachtfeld Dort wurde bereits großer Wert großer „künstlerischer Frei- verloren hatten. Diese Aussage Glossar auf freie Übungsformen - Vor- heit“). ist sehr pauschal und schlecht Bō: japanischer Langstock formen des heutigen randori - Die Lehrer der alten überprüfbar. Unbestritten ist, Bōjutsu: Kampftechnik(en) mit gelegt. Derartige Übungsformen Schulen mussten sich andere dass es keine Fortschritte in dem Langstock gab es zwar schon vorher, Beschäftigungen suchen oder der Waffentechnologie gab und Bu: Krieg, kriegerisch, jedoch lag der Schwerpunkt des ihre Schulen für bürgerliche dass einige ryū, wie z.B. Kitō- militärisch Bushi: Krieger Übens in den ryu-ha traditionell Kunden öffnen. Die Reputation ryū, ihr System zunehmend Bugei: Kriegerische Künste, hauptsächlich auf kata. der traditionellen Kriegskünste auch als Erziehungssystem s.a. Bujutsu Das Shōgunat musste war allerdings so nachhaltig verstanden. Bujutsu: Kriegskunst, Kampfkunst allerdings bald erkennen, dass ramponiert und zwar sowohl in Den: Überlieferung, s.a. die traditionellen Kampfkünste ihrem praktisch-kriegerischen (3) Die Begriffe budō und Okuden, Kuden, Densho das japanische Militär nicht als auch ihrem erzieherischen bushidō wurden im Text be- Deshi: Schüler (Soto-deshi = wusst vermieden, da beide Be- äußerer Schüler, Uchi- weiter brachten. Der Unterricht Wert, dass dies nur von äußerst Deshi = innerer Schüler) im jūjutsu und im Bogenschie- mäßigem Erfolg gekrönt war griffe erst nach der Meiji-Res- tauration in den Mainstream der Edo: alter Name von Tōkyō ßen (kyūjutsu) wurde bereits und man durchaus von einem Ryū: Schule, Stil, Strömung, im 1862 wieder eingestellt und Siechtum der ehemals stolzen japanischen Sprache Eingang übertragenen Sinn auch das Kōbusho 1866 schließlich ryū-ha sprechen kann. Daran fanden und dort rückwirkend „kriegerische Tradition“ aufgelöst. änderte auch ein zwischenzeit- romantisierend eine ideologisch Ryū-ha: Schulen einschließlich intendierte Bedeutungszuwei- ihrer Zweige (Ha = Das Ende des Shōgunats licher Popularitäts-Boom nichts, Zweig) wurde dann aber doch nicht als Vertreter verschiedener sung erfahren haben, die sie während der Edo-Zeit so nicht Jūjutsu: zumeist waffenlose durch eine westliche Macht Schulen Schaukampfspektakel Kampftechniken gegen herbei geführt, sondern durch organisierten. Die Bürger in den hatten („invented tradition“) unbewaffnete oder leicht kaisertreue Samurai, die die Ar- Städten nahmen dies lediglich - oder anders ausgedrückt: beide bewaffnete Gegner Begriffe existierten zwar, waren Kenjutsu: jap. Schwertkampf, Vor- mee des Shōguns 1867 schlugen als amüsante Unterhaltung und läufer des heutigen Kendō und Kaiser Meiji daraufhin die als anachronistisches Überbleib- aber mit etwas anderen Inhalten belegt, als später daraus ge- Koryū: alte Schulen (Gründung in politische Macht übernehmen sel einer alten Zeit wahr. der Edo-Zeit oder davor) konnte („Meiji-Restauration“ macht wurde. Kuden: mündliche Überlieferung Kyūjutsu: jap. Bogenschießen, 1868). Kaiser Meiji schaffte Persönliche Anmerkungen des (4) JIGORō KANō hatte sich vor allerdings in der Folge das Stän- Verfassers Vorläufer des heutigen allem ab den 1920er Jahren Kyūdō desystem ab und beschnitt die stark dafür eingesetzt, dass Okuden: Übertragung der „inneren Privilegien der Samurai. Das (1) Die Darstellungen über die ryū-ha können wie einleitend die Koryū erforscht und als Lehre“ einer Ryū endgültige Ende des Samurai- Kulturgüter Japans erhalten Densho: Überlieferungsschriften Standes wurde durch die blutige geschrieben aufgrund der Samurai: Aus den Bushi (Kriegern) Vielzahl der Schulen nur von bleiben. Zu diesem Zweck Niederschlagung der Satsu- wurde die Kobudō-kenkyū-kai, entstandener Stand im ma-Rebellion 1877 besiegelt, allgemeiner Natur sein und Feudalsystem keinen Anspruch auf Allge- eine spezielle Studiengruppe am Shōgun: oberster Befehlshaber, bei der rund 40.000 Samurai Kōdōkan, gegründet. politischer Herrscher gegen die kaiserliche Armee meingültigkeit besitzen, da es durchaus Unterschiede gab. während der Edo-Zeit rebellierten und am Ende nur (5) Einige koryū existieren Taijutsu: andere Bezeichnung für ca. 400 von ihnen überlebten. (2) Es wird in verschiedenen heute noch. Oben wurde bei den Jūjutsu Auslöser war das Verbot für die Schriften immer wieder betont, Darstellungen zwar die Vergan- Tennō: japanischer Kaiser genheitsform gewählt, jedoch Yawara: andere Bezeichnung Samurai, öffentlich Schwerter dass die ryū-ha aufgrund für Jūjutsu

Literatur (Auswahl)

Klassischer DAIGO, TOSHIRō: Wurftechniken des Waffengebrauch Kōdōkan Jūdō, Verlag Dieter Born, in der Tenshin- 2009 hyōhō-sōden- kukami shin-ryū DONN F. DRAEGER: The Martial Arts and Ways of Japan, Volume I: (mit freundlicher Classical Bujutsu, Weatherhill, 1973, Genehmigung des 1996) Verlags Dieter Born) KANō, JIGORō: Kōdōkan Jūdō, Verlag Dieter Born, 2007

NIEHAUS, ANDREAS: Leben und Werk Kanō Jigorōs (1860-1938), Ergon- Verlag, 2003

SKOSS, DIANE (Hrsg.): Koryu Bujut- su: Classical Warrior Traditions of Japan, Koryu-Books 1997

WATSON, BRIAN N.: Jūdō Memoires of Jigoro Kano, Trafford-Verlag, 2008

ZÖLLNER, REINHARD: Geschichte Japans: von 1800 bis zur Gegenwart, Schöningh, 2009

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Grundwissen der Geschichte des Kōdōkan-Jūdō in Japan

von Wolfgang Dax-Romswinkel

Teil 2: JIGORō KANō lernt Jūjutsu

Familiärer Hintergrund und gespielt. Zu seinen weiteren ein dōjō verfügte. Er verwies tete nur noch kata. Das randori- Ausbildung J. KANōS sportlichen Aktivitäten zählten KANō jedoch an H. FUKUDA, Training leiteten zwei fortge- u.a. Rudern, Bergwandern und der wie YAGI ein Meister des schrittene Schüler. Weil KANō JIGORō KANō wurde am 28. Laufen. Tenjin-shin’yō-ryū war. gute Fortschritte machte und Oktober 1860 in Mikage, das Schließlich nahm KANō die beiden mit der Zeit immer heute ein Stadtteil von Kōbe Der Wunsch jūjutsu zu lernen 1877 das Training bei H. FUKU- unregelmäßiger kamen, rutschte ist, geboren. Seine Familie war DA auf, dessen Enkelin KEIKO KANō zunehmend in die Rolle äußerst wohlhabend, besaß In seinen Schilderungen FUKUDA übrigens die weltweit eines Assistenz-Trainers. Dies eine Sake-Brauerei und eine stellt sich KANō als schwäch- erste und einzige Trägerin war für ihn äußerst anstrengend, Reederei, deren Schiffe u.a. den lichen, häufig gehänselten des 9. Dan Jūdō ist und mit da rund 30 Personen mehr Sake transportierten. J. KANōs Jungen dar, der sich wie alle 97 Jahren heute noch aktiv oder weniger regelmäßig zum Vater übernahm verschiedene Kinder in dieser Situation unterrichtet. Außer KANō gab Training buchstäblich auf der Regierungsaufträge, z.B. den wünscht, stärker zu sein als es damals scheinbar nur zwei Matte standen. (Anmerkung des Bau von Befestigungsanlagen, seine „Bullys“. Dieses Klischee andere Schüler, die regelmäßig Verfassers: wenn man die über- und wurde nach der Meiji-Res- taucht im Zusammenhang mit am Training teilnahmen, sowie lieferten Schilderungen KANōs tauration Beamter im Bereich Gründern von Kampfkünsten eine Handvoll weitere, die je- liest, entsteht der Eindruck, dass Verkehr, öffentliche Bauvorha- häufiger auf und eine Verifi- doch nur unregelmäßig im dōjō der randori-Lehrer mit jedem ben und Schiffsbau. zierung ist kaum möglich. Wie erschienen. einzelnen Schüler tatsächlich Der junge JIGORō erhielt dem auch sei: etwa im Alter von H. FUKUDA hatte am randori gemacht hätte.) die beste Ausbildung, die in 13 Jahren versucht er jūjutsu zu Kōbusho (ehemalige Militäraka- der damaligen Zeit in Japan lernen und fragt im Bekannten- demie des Shōgunats) unter- Beginn des Studiums von möglich war. So besuchte er kreis seines Vaters nach, ob es richtet und vermittelte kata und Kitō-ryū unter TSUNETOSHI verschiedene Eliteschulen und ihm jemand beibringen könnte. randori. Aus dieser Zeit stammt IIKUBO hatte zusätzlich noch Privatun- Ein Bediensteter der Familie auch die Geschichte von der terricht. Schon als Kind stand zeigte ihm wohl einige Tricks, „Entdeckung“ des kata-guruma Als M. ISO im Juni 1881 Chinesisch auf dem Stunden- von einer regelmäßigen Instruk- starb, stand KANō erneut ohne durch J. KANō. plan. Als Jugendlicher besuchte tion kann aber keine Rede sein. Am 5. August 1879 nahm Lehrer da. Der Vater eines er in der Schule auch Kurse, Sein Vater war übrigens ge- Freundes aus der Baseballmann- KANō an einer jūjutsu-Vor- die in englischer oder deutscher gen die Aufnahme eines jūjutsu- führung für den damaligen schaft der Universität stellte Sprache abgehalten wurden. Trainings, da diese alte Kunst einen Kontakt zu TSUNETOSHI Präsidenten der USA, ULYSSES Dieser soziale Aufstieg war nur seiner Meinung nach unnütz sei. IIKUBO her, einen Lehrer der S. GRANDT, anlässlich von des- möglich, weil das Ständesystem Das änderte aber nichts an dem sen Japanbesuch teil. Noch im Kitō-ryū, der wie FUKUDA am kurz zuvor abgeschafft worden Wunsch KANōs, es dennoch Kōbusho unterrichte hatte und selben Monat starb H. FUKUDA war, denn J. KANō kam nicht lernen zu wollen. Notgedrungen im Alter von 52 Jahren. Seine dort für randori verantwortlich aus einer Samurai-Familie. machte er sich daher selbststän- war. Bei IIKUBO lernte KANō Frau bat KANō, das dōjō weiter Ab 1875 studierte KANō dig auf die schwierige Suche zu führen, was dieser dann auch kata (=Techniken) der Kitō-ryū Literatur, Politik und Volks- nach einem geeigneten Lehrer. tat. Jedoch fühlte er sich weder und randori. wirtschaft und machte im Jahr Weil er gehört hatte, dass viele kompetent, noch hatte er nach Zu KANōs Erstaunen 1881 einen Abschluss an Japans jūjutsu-Meister gleichzeitig eigener Aussage das Selbstver- bestand ein großer Unterschied damals einziger Universität. Chiropraktiker waren, suchte er trauen, eine eigenständige dōjō- zwischen Tenjin-shin’yō-ryū Danach schrieb er sich noch für gezielt in diesen Kreisen. Böse Leitung zu übernehmen. Über und Kitō-ryū. Ersteres beinhal- weitere Studien in Ästhetik und Zungen behaupteten damals und welchen Zeitraum er dies tat, ist tete viele Hebel, Würgegriffe, Moral ein, die er im Juli 1882 auch später, dass sie tagsüber nicht bekannt, aber lange kann Schläge, Tritte und natürlich beendete. Viele seiner Kom- die Knochen wieder einrenken es nicht gewesen sein, weil er auch Würfe, jedoch war das militonen wurden später - wie würden, die sie am Vorabend schon bald bei einem anderen Spektrum der Wurftechniken J. KANō selbst auch - äußerst ausgerenkt hatten. Lehrer ein tägliches Training der Kitō-ryū - vor allem durch einflussreiche Mitglieder der aufnahm. die vielen sutemi-waza - über- japanischen Gesellschaft und KANōS erster Lehrer HACHINO- aus reichhaltig, so dass KANō bekleideten hohe und höchste SUKE FUKUDA Fortsetzung der Studien bei sie fasziniert studierte. Positionen in Staat und Regie- Die Gründung des Kōdōkan MASATOMO ISO rung. Einer der Chiropraktiker, erfolgte 1882, noch in der Zeit, den KANō aufsuchte, war Während seiner Studien- KANō entschied sich, in der KANō bei IIKUBO lernte. Meister TEINOSUKE YAGI, der jahre betrieb KANō auch weiter Unterricht bei FUKUDAS IIKUBO wurde als Lehrer an allerdings schon lange nicht westliche Sportarten. Er hat früherem Lehrer MASATOMO ISO den Kōdōkan engagiert und z.B. als einer der ersten Japaner mehr unterrichtet hatte und auch zu nehmen. Dieser war schon unterrichtete dort regelmäßig Baseball gelernt und begeistert nicht über genügend Platz für über 60 Jahre alt und unterrich- (vermutlich ca. 3 x pro Woche).

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Ob er daneben noch ein eigenes IIKUBOS durchschaute, was A. Bennett (JIGORō KANō and viele erwarb, wie ihm möglich dōjō betrieb, ist unklar. ihn in die Lage versetzte, die the Kōdōkan, s.u.) findet sich war. Explizit erwähnt Bennett Situation für einen Konter zu auf Seite 3 ein nicht weiter die densho folgender ryūha: Im randori war KANō nutzen. Was genau passierte, referenziertes KANō-Zitat, Yōshin-ryū, Sekiguchi-ryū, Meister IIKUBO, obwohl dieser wird sich wohl nicht mehr wonach eine ganze Reihe von Tsutsumi-hōzan-ryū, Miura- schon über 50 Jahre alt war, feststellen lassen, aber wie dem Meistern verschiedener ryūha ryū, Kyūshin-ryū, Jikishin-ryū, deutlich unterlegen. Eines Ta- auch gewesen sein mag: als unmittelbar auf ihn zugekom- Seigō-ryū, Musō-ryū, Teizen- ges jedoch gelang es KANō nach KANō IIKUBO seine Entdeckung men seien, um ihm ihre Formen ryū, Kiraku-ryū, Fusen-ryū und eigener Erzählung erstmalig, erläuterte, gab ihm dieser Recht des jūjutsu näher zu bringen. Kanjin-ryū. Es ist allerdings IIKUBO zu werfen - und das und meinte, dass es besser Sie betrachteten sich selbst als unklar, ab welchem Zeitpunkt sogar mehrmals hintereinander. sei, künftig kein randori mehr Teil einer Tradition, die nicht KANō diese densho jeweils KANō hatte erkannt, dass der miteinander zu machen. mit ihnen sterben sollte, hatten besessen hat. günstigste Zeitpunkt für einen Einige Zeit später, im jedoch keine Schüler mehr, die Angriff genau dann ist, wenn Oktober 1883 erhielt J. KANō an einer Fortführung der Lehre Kurzportrait Tenjin-shin’yō- das Gleichgewicht des Gegners von IIKUBO das menkyo-kaiden interessiert waren, hofften aber, ryū für einen Moment gestört ist. der Kitō-ryū. IIKUBO unterrich- dass KANō ihr Wissen bewahren Die Schule wurde 1810 Die Berichte unterscheiden sich tete KANō danach noch bis ca. und weitergeben würde. von MATAEMON ISO durch eine aber etwas in den Details. So 1886/87 in kata. Mit der Zeit konnte KANō findet man Schilderungen, nach auf diese Weise Kenntnisse in Synthese von Yōshin-ryū und Shin-no-shintō-ryū begründet. denen KANō erkannt haben soll, Einflüsse anderer ryūha Form von Schriftrollen (densho) dass man den Gegner durch Zug und mündlichen Überlieferun- Tenjin-shin’yō-ryū umfasst nach oder Druck zu einer Reaktion Über die beiden genann- gen (kuden) erlangen, die nor- vorliegenden Informationen 124 veranlassen kann, die sich zu ten Schulen hinaus studierte malerweise „geheim“ gewesen (Haupt-)kata (=Techniken), vor einem Gleichgewichtsbruch KANō auch die Techniken und wären. Außerdem tauchten allem atemi-waza, kansetsu- nutzen lässt. Andere Darstel- Prinzipien anderer ryūha, ohne zunehmend densho in Buchlä- waza, shime-waza und nage- lungen verweisen darauf, dass aber formell Unterricht bei den und bei Antiquitätenhänd- waza, aber auch die traditionelle einem Lehrer zu nehmen. Bei Wiederbelebung (kappō). Die KANō das Timing der Angriffe lern auf, von denen KANō so

Atemi-waza der Tenjin-shin´yo-ryū. Die Aus- gangsposition erinnert an die erste Serie („ido- ri“) der heutigen kime-no-kata und war typisch Tenjin-shin’yō-ryū beinhaltete bereits im We- für die „alten Stile“ (aus: YOSHIDA, CHIHARU / ISO, sentlichen dieselben Technikkategorien wie das MATAUEMON: „Tenjin-shin’yō-ryū - Jūjutsu-gokui- heutige Kōdōkan Jūdō. Die Abbildungen zeigen kyōju-zukai [Tenjin-shin’yō-Schule - Vorlesungen Beispiele von nage-waza, kansetsu-waza, shime- und Erläuterungen in Abbildungen zum innersten waza und atemi-waza (aus: INOGUCHI, MATSUNO- Geheimnis des Jūjutsu]“, erschienen 1893 in dem SUKE: „Jūjutsu-seiri-sho. Shikatsu-jizai - Sekkot- Verlag Shûeidô, Abbildung: Archiv Dieter Born.) su-ryōhō [Werk über Jūjutsu und Physiologie. Entscheidung über Leben und Tod - Chiroprak- tische Heilverfahren]“, erschienen 1896 in dem Verlag Kaishin-shorō, Abbildung: Archiv Dieter Born)

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J. KANō demonstriert mit Y. YAMASHITA (10. Dan) eine für Kitō- ryū typische sutemi-waza (taki-otoshi) aus der ko- shiki-no-kata (aus KANō, JIGORō: Kōdōkan Jūdō)

Darstellung der Technik ko-daore der Kitō-ryū aus dem Jahr 1888. Uke (rechts) wird von Toris linkem Oberarm/Ellenbogen über Toris linken Oberschenkel nach hinten Beispiele für Wurftechniken der Kitō-ryū: T. geworfen (aus: „Kōkoku Bujutsu Daigo (10. Dan) demonstriert eine dem seoi-oto- Eimeiroku“ (wörtl: „Authentische shi verwandte Wurftechnik der koshiki-no-kata Aufzeichnungen über die kriege- (aus DAIGO, TOSHIRō: Wurftechniken des Kōdōkan rischen Künste des Kaiserreiches“) Jūdō) aus dem Jahr 1888, Bildarchiv Verlag Dieter Born)

Schule hat sich bis heute gehal- Persönliche Anmerkungen des er später für das Kōdōkan-Jūdō vielfach zu lesende These, er ten. Das derzeitige Oberhaupt Verfassers übernommen hat. hätte J. KANō angeregt jūjutsu ist TOSHIHIRO KUBOTA, der auch zu trainieren, im Widerspruch (1) Die Kenntnisse über die (4) Es sind mehrere Lesungen Träger des 7. Dan im Jūdō ist. zu KANōs Schilderungen und jūjutsu-Lehrzeit JIGOR AN ō K ōs des Vornamens von Meister ist auch sonst in keiner Weise beruhen weitgehend auf Erzäh- IIKUBO möglich. Bekannt sind Kurzportrait Kitō-ryū belegbar. BÄLZ selbst äußert lungen KANōs selbst, die aus nur die Schriftzeichen, nicht sich ebenfalls nicht dahin- Kitō-ryū ist älter als Ten- späteren Jahren stammen. Diese aber die Aussprache. Man gehend. Man muss heute im jin-shin’yō-ryū und wurde im wurden teils von ihm, teils findet mitunter auch die Lesung Gegenteil davon ausgehen, dass 17. Jahrhundert gegründet. Es von anderen aufgeschrieben KōNEN IIKUBO. KANō bereits jūjutsu betrieben umfasste neben Waffentech- und veröffentlicht. Inwieweit (5) Mit kata-Training ist hat, als BÄLZ erstmalig damit in niken vor allem das Kämpfen hierbei Fakten und Anekdoten Kontakt gekommen ist. in voller Rüstung (yoroi-kumi- vermischt worden sind, ist nicht offensichtlich das Training der formalisierten Techniken der uchi). Bereits Anfang des 18. mit letzter Sicherheit zu sagen. Literatur (Auswahl) Jahrhunderts verwendete Kitō- Tenjin-shin’yō-ryū und der ryū teilweise die Bezeichnung (2) Die doch etwas schwie- Kitō-ryū gemeint. In den kata BENNETT, ALEX: Jigoro Kano and the jūdō anstelle von jūjutsu und rige Suche KANōs nach einem war das Charakteristikum jeder Kodokan - an innovative Response jūjutsu-Lehrer und die überlie- Schule manifestiert. Zur Bedeu- to Modernisation, Kodokan Judo focussierte stark auf erziehe- Institute, 2009 rische Werte. Die Philosophie ferte ablehnende Haltung seines tung von kata in den koryū- Vaters zeigen, wie sehr jūjutsu bugei siehe Teil 1 dieser Reihe. DAIGO, TOSHIRō: Wurftechniken des der Schule gilt als ausgespro- Kōdōkan Jūdō, Verlag Dieter Born, chen esoterisch und ist nur an Bedeutung und auch an Reputation etwa 10 Jahre nach (6) Die kata der Kitō-ryū 2009 schwer zugänglich. Kitō-ryū, wurden später von J. KANō KANō, JIGORō: Kōdōkan Jūdō, Verlag von der es eine Reihe von Zwei- der Meiji-Restauration verloren hatte. unter der Bezeichnung koshiki- Dieter Born, 2007 gen gab, ist im Sande verlaufen, no-kata in das Kōdōkan Jūdō nachdem die letzten Meister NIEHAUS, ANDREAS: Leben und Werk (3) In den koryū-bugei übernommen. Kanō Jigorōs (1860-1938), Ergon- mit menkyo-kaiden spätestens dominierte zwar kata als Verlag, 2003 in den 1980er Jahren gestor- Übungsform, jedoch wurde (7) Prof. Dr. ERWIN BÄLZ, WATSON, BRIAN N.: Jūdō Memoires ben sind. Es gibt wohl noch am Kōbusho verstärkt randori Medizinprofessor an der Kai- serlichen Universität in Tōkyō, of Jigoro Kano, Trafford-Verlag, vereinzelte Aktivitäten z.B. auf praktiziert. Da FUKUDA und hatte zweifelsfrei einen großen 2008 Schauveranstaltungen in Japan, IIKUBO am Kōbusho als Lehrer Anteil an der Revitalisierung jedoch ließ sich die Legitimität tätig waren, hat KANō bereits in der Beteiligten bislang nicht der Frühphase seiner Ausbil- der Kampfkünste während der verifizieren. dung viel randori gemacht, was Meiji-Zeit. Jedoch steht die

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von Wolfgang Dax-Romswinkel

Teil 3: Bescheidene Anfänge - Gründung des Kōdōkan und des Kanō-Juku

Zeitlicher Kontext: JIGORō Die Räumlichkeiten waren Der Kōdōkan hatte in diesen KANōS Einstieg in das Berufs- alles andere als ideal, zumal es ersten beiden Jahren nur sehr leben den Erzählungen nach immer wenige Schüler und Jūdō war wieder Missstimmigkeiten mit fast gänzlich unbekannt. Außer- Nachdem J. KANō 1881 dem Priester des Tempels gab, dem wurde KANō zu dieser Zeit sein Studium der Literatur, da dieser befürchtete, das Ge- als Kampfkunstexperte in der Volksökonomie und Politik an bäude könnte durch das ständi- Öffentlichkeit kaum wahrge- der Tōkyō Universität abge- ge Fallen der Übenden Schaden nommen. Rückblickend sagte schlossen hatte, entschloss er nehmen. Außerdem wird be- er rund 45 Jahre später: „Kaum sich, einen Lehrauftrag für richtet, dass der Trainingslärm jemand wollte eine so gut wie Wirtschaft und Politik an der die Ruhe des buddhistischen unbekannte Kunst bei einem Schule für Adelige, gakushūin, Tempels gestört habe. genauso unbekannten Lehrer anzunehmen. 1885 wurde er lernen.“ Geschäftsführer und 1886 Kon- Das zweite Dōjō im Lagerhaus Um wenigstens mit den rektor der Schule. Trainingszeiten den Bedürfnis- Im Frühjahr 1882 gründete Im Februar 1883 bezog sen der bescheidenen Teilneh- er außerdem eine Sprachschule der Kōdōkan daher ein neues merschar gerecht zu werden, für Englisch, das Kōbunkan, Quartier in Minami-Jinbō-chō, gab es feste Öffnungszeiten des an der junge Japaner bis zur wo KANō ein Lagerhaus anmie- Dōjō, wobei die Schüler jeder- Porträt von Jigorō Kanō um 1882 Schließung 1889 primär in tete und zu einem Dōjō ähnlich zeit kommen konnten. Training englischer Sprache, durch die bescheidener Größe umfunk- war sonntags von 7:00 bis verwendeten Lehrwerke gleich- tionierte. Dieses Dōjō hatte 12:00 Uhr und an allen anderen an. Das als Trainingsraum zeitig aber auch in englischer außerdem den Nachteil, dass Tagen von 15:00 bis 19.00 Uhr. genutzte Zimmer diente gleich- Kultur und Philosophie unter- Säulen im Raum standen, was Zu diesen Zeiten musste er im zeitig als Studier-, Schlaf- und richtet wurden. Dieser Unter- natürlich ein Verletzungsrisiko Prinzip jeweils anwesend sein. Empfangszimmer und hatte eine richt wurde durch angestellte darstellte. Besonders sonntags morgens Fläche von rund 20 qm. Lehrer erteilt. passierte es wohl häufiger, dass Parallel zu diesen beruf- lichen Aufgaben studierte J. KANō noch etwa für ein Jahr lang Moral und Ästhetik an der kaiserlichen Universität. Im Jahr 1882 gründete er den Kōdōkan und kurz darauf das Kanō-juku, ein eng mit dem Kōdōkan verbundenes Internat, das bis 1919 bestand. Aus heutiger Sicht mutet dieses Programm geradezu unheimlich an und es kann mit Sicherheit angenommen wer- den, dass der Tagesablauf nur durch extreme Selbstdisziplin zu bewältigen war.

Gründung des Kōdōkan: das erste Dōjō im Eishijo-Tempel Im Mai 1882 eröffente J. KANō sein eigenes Dōjō und gab ihm den Namen Kōdōkan, was wörtlich „Halle zum Studium des Weges“ bedeutet. Hierzu mietete er Räume im Eishōji-Tempel im Tōkyōter Geburtsstätte des Kōdōkan: Der Eishōji heute. Links neben dem wieder neu errichteten Hauptgebäude befindet Stadtteil Shitaya Kita-Inarichō sich ein noch original erhaltenes Seitentor und links daneben der „Jūdō-Gedenkstein“ (siehe nächste Seite). Foto: Dieter Born

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Ruf geraten, so dass KANō sich Von den ca. 20 Schülern im davon absetzen wollte. Anderer- ersten Jahr haben aber nur neun seits wählte er einen schon vor- diesen Eid auch tatsächlich ge- handenen Begriff, um nicht den leistet. Der erste war TSUNEJIRō Anschein zu erwecken, etwas TOMITA, der dadurch offiziell vollkommen Neues geschaf- als erster Schüler des Kōdōkan fen zu haben. Zu guter Letzt gilt. Die bedeutendsten Schüler wollte KANō bereits mit der der Anfangszeit waren neben Namensgebung den persönlich- ihm SAKUJIRō YOKOYAMA, SHIRō keitsbildenden Anspruch seines SAIGō und YOSHITSUGU YAMA- Systems zum Ausdruck bringen. SHITA, die später als die shi- Die vollständige Bezeich- tennō („vier Himmelskönige“) nung seines Systems lautet des Kōdōkan für die Entwick- übrigens Nihon-den-Kōdōkan- lung des Jūdō von zentraler Jūdō. Bedeutung werden sollten. Die meisten Schüler der Die ersten Schüler und der Anfangszeit brachten übrigens Kōdōkan-Eid Erfahrungen aus anderen Schu- len des Jūjutsu mit. Zur Aufnahme in den Kōdōkan musste in der Gründung des Kanō-juku Tradition der ryūha ein Eid („Kanō-Internat“) geleistet und auf einer Schrift- rolle unterzeichnet werden. Kurz nach Gründung des Die Eidesformel enthielt die Kōdōkan gründete J. KANō ein typischen Elemente der koryū Internat, das nicht nur räumlich („alte Schulen“), z.B. dass man eng mit dem Kōdōkan verbun- keine Geheimnisse der Schule den war. Tägliches Training anderen visuell oder verbal zu- war Pflicht für alle Schüler. gänglich machen und auch das Die Schüler rekrutierten sich Erlernte nicht ohne Erlaubnis teilweise aus Kindern von unterrichten wird. Freunden und Verwandten, es waren jedoch auch andere

„Jūdō-Gedenkstein“ im Innern des Tempelgeländes mit der Aufschrift: „Kōdōkan-Jūdō hasshō no chi“ (wörtlich: „Ort, an dem das Kōdōkan-Jūdō entstanden ist“) Foto: Dieter Born

er schon einmal alleine im Dōjō geben und auf diese Weise auf Schüler wartete. Wenn J. widerstehen, während starre KANō anderweitige Verpflich- Äste anderer Bäume abbrechen. tungen hatte, ließ er sich von Dies hat weder etwas mit sanft Schülern wie z.B. SHIRō SAIGō noch mit kraftlos zu tun. vertreten. Das Training muss in Ausgehend von der Devise Anbetracht dieser Rahmenbe- „das Weiche und Flexible kon- dingungen äußerst individuell trolliert das Harte und Starre“ gewesen sein. (jap.: jū yoku gō o sei suru In der Folge zog der wurde jū zum namensgebenden Kōdōkan noch mehrfach um, Leitgedanken des Jūjutsu. und mit der Zeit, als sich mehr KANō ersetzte das jut- Schüler anmeldeten, wurden su (japanisch für Fertigkeit, auch größere Dōjō bezogen. Technik) durch dō, was soviel wie (Lebens-)Weg, Pfad oder Warum benutzt Kanō den Prinzip bedeutet. Den Begriff Begriff Jūdō? Jūdō gab es allerdings schon vorher, wurde aber nur sehr Jūdō wird häufig mit selten benutzt. Das früheste (be- „sanfter Weg“ übersetzt. Jedoch kannte) Auftreten des Terminus ist diese Begriffswahl mehr Jūdō finden wir zu Beginn des als unglücklich. Jū bedeutet 18. Jahrhunderts in der Kitō-ryū etwa „weich“, „nachgebend“ und in der Jikishin-ryū, die sich oder „flexibel“. Das klassische, aus Kitō-ryū abgespalten hatte. immer wieder aufgeführte Bei- Die Gründe für diese Be- spiel ist das des Weidenbaums, griffswahl waren dreierlei. Zum dessen Äste einem Sturm oder einen waren Jūjutsu und einige Die Trainingsjacke von Jigorō Kanō, die im Museum des Kōdōkan ausge- unter einer Schneelast nach- seiner Vertreter in schlechten stellt ist

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dabei, die sich direkt an KANō alle Schüler unabhängig davon, gehen, das KANō im Jahr 1889 Die shi-tennō („vier Himmels- gewendet hatten. Einige Schüler aus welcher sozialen Schicht erstmals öffentlich vorstellte. könige“) des Kōdōkan stammten aus wohlhabenden sie stammten, gleich behandelt Verhältnissen und bezahlten wurden. (3) Etwa 15 Jahre nach der eine Art Schulgeld, während Meji-Restauration befand sich diejenigen, die aus schwierigen Kurze Zusammenfassung Japan im Spannungsfeld zwi- Verhältnissen kamen, davon schen Tradition und Moderne, befreit waren. Das Kōdōkan-Jūdō ent- was sich auch in KANōs Wirken Als Motivation zur wickelte sich also aus äußerst zu Beginn seiner Laufbahn spie- Gründung des Kanō-juku gab bescheidenen Anfängen. Der gelt. Einerseits gründet er eine Kōdōkan musste mehrfach Sprachschule für Englisch und KANō an, dass er die kritiklose Übernahme alles Westlichen umziehen und die Dōjō waren legt Wert auf eine von Herkunft bedauerte und er dagegen wir- jeweils klein und keinesfalls und Wohlstand unabhängige ken wollte. Außerdem stellte er ideal. Die Schülerzahlen waren Gleichbehandlung aller Schüler, „Verweichlichungstendenzen“ sehr gering und es war ein was in vollkommenem Gegen- fest, die der Herausbildung großes Engagement nötig, um satz zur „alten“ Ständegesell- eines starken Charakters entge- den Betrieb aufrecht zu halten. schaft Japans war. Andererseits genstehen würden. Gemeinsam Leben, Lernen und gründet er das Kanō-juku, um Trainieren war eng miteinan- westliche Tendenzen in Verhal- TSUNEJIRō TOMITA Tagesablauf und Regeln im der verflochten. Ein Teil der ten und Erziehung nicht zu sehr Kanō-juku Schüler lebte im Kōdōkan und dominant werden zu lassen, genoss eine umfassende Erzie- und führt Regeln ein, die er aus Die Regeln am Kanō-juku hung durch KANō. Ein sparta- buddhistischer Tempeltradition waren sehr strikt und das Leben nischer, streng reglementierter übernommen hat. spartanisch. Jeden Morgen und ritualisierter Lebensstil war einer der Schüler für den wurde als wertvoll für die Cha- Literatur (Auswahl) Weckdienst verantwortlich, der rakterbildung betrachtet. BENNETT, ALEX: Jigorō Kanō and the Punkt 4:45 Uhr zu erfolgen hat- Kōdōkan - an innovative Response te. Danach wurden die Räume Persönliche Anmerkungen des to Modernisation, Kōdōkan Jūdō des Hauses gereinigt, der Weg Verfassers Institute, 2009 im Garten gefegt und die Straße DAIGO, TOSHIRō: Wurftechniken des vor dem Kōdōkan von liegen- (1) Auch für diesen Zeitab- Kōdōkan Jūdō, Verlag Dieter Born, gebliebenem Abfall befreit. Die schnitt gilt, dass die Quellen 2009 zu großen Teilen auf späteren Zeiten für das Lernen waren KANō, JIGORō: Kōdōkan Jūdō, Verlag strikt festgelegt, im Anschluss Erzählungen KANōs und ihren Dieter Born, 2007 an das Lernen wurde trainiert. Mitschriften beruhen. Somit ist eine rückwirkend idealisierte NIEHAUS, ANDREAS: Leben und Werk Das Leben war hart. Die Kanō Jigorōs (1860-1938), Ergon- Schüler durften z.B. keine Einfärbung eher wahrscheinlich Verlag, 2003 als ausgeschlossen. SAKUJIRō YOKOYAMA Holzöfen verwenden, keine ei- WATSON, BRIAN N.: Jūdō Memoires genen Lebensmittel kaufen oder (2) Es wäre sicherlich falsch, zu of Jigorō Kanō, Trafford-Verlag, mitbringen, ihre Eltern nicht sagen, dass J. KANō 1882 das 2008 ohne Genehmigung besuchen spätere Kōdōkan-Jūdō schon und das Kanō-juku nur in Grup- „erfunden“ bzw. entwickelt hät- pen oder nur mit einer Ausnah- te. Vielmehr muss man davon megenehmigung verlassen. ausgehen, dass dort in den An- Es wurde viel Wert auf fangsjahren eine Mischung aus Nachtrag zu Teil 2 gemeinsame Aktivitäten gelegt. Tenjin-shin’yō-ryū und Kitō-ryū In der vorigen Ausgabe Besucher wurden gemeinsam gelehrt worden ist. hat sich der Fehlerteufel ein- empfangen und verabschiedet. Erst um 1884 begann KANō geschlichen und da das Heft Das eher karge Essen wurde mit der Entwicklung eigener schon im Druck war, konnte stets gemeinsam eingenommen. kata. Bis dahin wurden kata dieser nicht mehr korrigiert Alle Gemeinschaftsfunkti- der Tenjin-shin’yō-ryū und der werden. Der 18. Präsident der onen wurden von den Schülern Kitō-ryū unterrichtet. Zudem USA hieß Ulysses S. Grant reihum übernommen, so dass war T. IIKUBO - KANōs Lehrer (nicht „Grandt“) und war zur sich jeder in den Dienst der in Kitō-ryū - immer noch am Zeit seines Japanbesuches Gemeinschaft stellen musste. Kōdōkan als Lehrer tätig und 1879 schon nicht mehr im SHIRō SAIGō Diesen ritualisierten Lebensstil unterrichtete dort sowohl kata Amt, das er ein Jahr zuvor ab- hatte KANō vom Tempelle- als auch randori. geben musste, da die Verfas- ben buddhistischer Mönche Man muss daher von einer flie- sung keine dritte Amtsperiode übernommen. KANō legte ßenden Entwicklung zum heute zuließ. besonderen Wert darauf, dass bekannten Kōdōkan-Jūdō aus-

Kōdōkan-Jūdō YOSHITSUGU YAMASHITA

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Teil 4: Ziele des Kōdōkan-Jūdō in den Gründungsjahren

Vorbemerkung matisierung der Techniken, der Ereignisses zu einer der bedeu- Übungs- und Lehrmethoden, tendsten Quellen für historische JIGORō KANō gelang es, mit der Wettkampfregeln usw. be- Betrachtungen macht. Eine na- dem Kōdōkan-Jūdō ein faszi- fassen werden, soll dann immer hezu vollständige Übersetzung nierend stringentes System aus wieder auf diese Ziele Bezug dieses Vortrags befindet sich Zielen, Inhalten und Methoden genommen werden. im Anhang der Dissertation von zu entwickeln und in jahrzehn- KANō sah in Jūdō ein ANDREAS NIEHAUS (s. Literatur- telanger Arbeit zu verfeinern. beträchtliches erzieherisches hinweise). Alle nachfolgenden Die drei ersten Teile dieser Potenzial und setzte es bereits KANō-Zitate sind dieser Über- Artikelserie folgten einem ab 1882 als Erziehungsmittel setzung entnommen. chronologischen Aufbau bis in im Kanō-juku ein (vgl. Teil 3 die Anfangszeit des Kōdōkan. dieser Serie). Nachdem in der Die drei Zieldimensionen des Mit diesem vierten Teil setzt ersten Hälfte der 1880er-Jahre Kōdōkan Jūdō eine neue Struktur ein, in der in Japan eine Diskussion über jeweils Einzelaspekte herausge- die Aufnahme traditioneller Lassen wir gleich zu griffen und in ihrer Entwicklung Kampfkünste in das schulische Beginn JIGORō KANō zu Wort dargestellt werden. Curriculum einsetzte, erhielt kommen: „Das, was ich als Die Grundlage hierfür Jūdō bezeichne, beinhaltet drei J. KANō am 21. Mai 1889 die bilden die ursprünglichen Ziele Ziele: Leibesübung, Kampf und Gelegenheit, vor der Groß- JIGORō KANō im Alter von 28 Jah- des Kōdōkan-Jūdō wie sie 1889 japanischen Gesellschaft für ren, ungefähr zu der Zeit, in der Moral.“ Hiermit verweist KANō von JIGORō KANō der Öffent- er die beschriebenen Ziele des unmissverständlich auf drei Erziehung einen Vortrag mit Kōdōkan-Jūdō vorgestellt hat. lichkeit vorgestellt wurden Demonstration über „Jūdō im Zieldimensionen. Was versteht und auf den folgenden Seiten allgemeinen sowie seinen Wert er jeweils darunter? beschrieben werden. In den für die Erziehung“ zu halten. auf der damaligen Entwick- kommenden Folgen, die sich Bei dieser Gelegenheit lungsstufe ausführlich vor, was mit der Entwicklung und Syste- stellte er das Kōdōkan-Jūdō die Aufzeichnungen dieses

Training im Kōdōkan um die Jahrhundertwende - Das Gemälde von SHŪZAN HISHIDA zeigt J. KANō, der das Training von einer leicht erhöhten Position aus beobachtet (Quelle: Kōdōkan-Jūdō, Verlag Dieter Born).

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Jūdō als Leibesübung „Es bedeutet das Trainieren konkreter: Zeitgeist an und erläutert im von Techniken, mit denen man Folgenden den Beitrag des Jūdō Nützliche Fähigkeiten zu einen Menschen töten, verletzen „Beim Randori im Jūdō trainie- zur Schulung des Intellekts. erwerben ist für KANō ganz oder festhalten kann, oder, ren in den meisten Dōjō sowohl allgemein das oberste Ziel wenn man selbst angegriffen Fortgeschrittene und Anfänger „Beobachtung“: Beim Jūdō übt jeder Erziehung. Da für ihn wird, sich zu verteidigen.“ als auch Gleichrangige mitein- man nicht (nur) für sich allein, vollkommen außer Frage steht, ander. Ganz natürlich nimmt sondern muss auch Andere be- dass jeder Mensch körperliche Den Widerspruch, auf der man so eine anleitende Position obachten, damit man verstehen Fähigkeiten für die Bewältigung einen Seite die Gesundheit ein, eine Position, in der man kann, wie Techniken funktio- des Alltags benötigt, sind Lei- entwickeln zu wollen, auf der angeleitet wird oder eine, in nieren. Beobachten zu können, besübungen für ihn essenzieller anderen Seite jedoch Techniken der man gleichberechtigt ist ist eine Grundvoraussetzung Bestandteil von Erziehung. Im üben zu lassen, die im Extrem- (...) Wer die Pflichten eines für den Fortschritt im Jūdō und Detail fordert er fall sogar eine tödliche Wirkung Lehrers übernimmt, kann bei wird durch Jūdō gefördert. haben können, löst er durch eine verschiedenen Fällen und bei - eine angemessene, harmoni- entsprechende Übungsmethodik unendlich vielen Gelegenheiten „Erinnerung“: Beobachtungen sche Entwicklung der Musku- auf, bei der die „gefährlichen lehren, dass die Menschen sich alleine nützen aber nicht viel, latur, Techniken“ nicht in offenen füreinander bemühen und sich wenn man sich nicht erinnert. - die Gesunderhaltung des Situationen des freien Übens gegenseitig freundlich behan- Das Erinnerungsvermögen Körpers, (Randori), sondern nur in deln müssen.“ ist also eine weitere wichtige - die Entwicklung von Kraft abgesprochenen Situationen Voraussetzung zum Jūdō, das sowie (Kata) trainiert werden. Nähere Auch wenn KANō den somit eine Gedächtnisschulung - die Entwicklung von Gelen- Erläuterungen hierzu werden in Grundsatz jita-kyoei - meist darstellt. kigkeit. den kommenden Artikeln über übersetzt als „Prinzip des ge- genseitigen Helfens und Wohl- „Überprüfung“: Aber was nüt- In späteren Vorträgen die „Kōdōkan-Methoden“ und zen Beobachtung und Erinne- ihre Entwicklung folgen. ergehens“ - erst Jahrzehnte spä- und Schriften betont KANō ter ausformuliert und ins Jūdō rung ohne praktische Umset- häufig, dass eine übermäßi- Jūdō und „Moral“ eingeführt hat, wird durch diese zung? KANō erläutert: „Eine ge Ausbildung bestimmter Erklärung deutlich, dass die Situation muss man reiflich Muskelgruppen bei gleich- KANō erklärt: „Das, was ich entscheidenden Grundgedanken überdenken, das Ergebnis an zeitiger Vernachlässigung als System der Moral bezeich- bereits in der Frühphase des der Wirklichkeit erproben, sie anderer Muskeln unbedingt ne, umschließt (...) drei Punkte: Jūdō am Ende des 19. Jahrhun- nochmals durchdenken und er- verhindert werden muss. Die Die Ausbildung der Moral, die derts klar entwickelt waren. neut erproben. Damit wird eine Begriffe „Funktionstüchtigkeit“, Ausbildung des Verstandes und Gewohnheit ausgebildet, nicht „Balance“ und „Harmonie“ die Theorie des Kampfes, die Ausbildung des Verstandes mit dem gewöhnlichen ober- treffen seine Vorstellungen von auf die verschiedenen Dinge in flächlichen Denken zufrieden einem idealen Körper wohl am der Welt angewendet werden KANō stellt in den Raum, zu sein, sondern gründlich über besten. „Vielseitigkeit“ statt kann (...).“ Der Begriff „Moral“ dass „Menschen, die wir als die Dinge nachzudenken“. „Einseitigkeit“, „Interesse“ statt taucht hier etwas missverständ- tüchtig bezeichnen“, ihren „Eintönigkeit“ sind daher auch lich doppelt auf, nämlich einmal Verstand meistens durch die „Phantasie“: Eine besondere seine wichtigsten Maximen bei als Oberbegriff und einmal als Kampfkünste ausgebildet Bedeutung kommt für KANō der der Übungsgestaltung. Konkretisierung. Als Oberbe- hätten. Auch damit knüpft er - Phantasie zu: „Selbst wenn man Die im Rahmen der Lei- griff wäre vielleicht „geistig- wiederum ohne weitere Erläute- verschiedene Ideen zur Lösung besübungen erlernten Bewe- moralische Entwicklung“ etwas rung oder Begründung - an den eines Problems hat, so kann gungen sollen darüber hinaus glücklicher. auch einen praktischen Nutzen haben. KANō führt als Beispiel Ausbildung von Moral Die Bilder von YOSHITSUGU YAMASHITA (später 10. Dan), entstanden 1904 das Abrollen an, sollte man Zur Mitte der Meiji-Zeit auf einer USA-Reise, geben einen kleinen Einblick in das Jūdō der Jahr- auf einem Wagen sitzen, wenn hundertwende: dieser umstürzt. Ein weiteres (1868 bis 1912), also dem Beispiel ist die Fähigkeit rasch Zeitpunkt des Vortrags im Jahr ausweichen zu können, wenn 1889, begann das nationale ein Gegenstand auf jemanden Selbstbewusstsein Japans deut- herunterfällt, oder Fallen zu lich zu erstarken. Man besann können, wenn man auf einer sich wieder auf eigene Tradi- Leiter fehltritt. tionen und kulturelle Werte, wenngleich diese mitunter idea- Jūdō und „Kampf“ lisiert wurden, wie zum Beispiel der Bushidō. Zu J. KANōs pädagogischen KANō greift diesen Zeitgeist Überzeugungen - ganz im auf und stellt Jūdō in den Sinne des Erwerbs nützlicher Dienst einer Patriotismus-Er- Fähigkeiten - gehörte, dass je- ziehung. Er sagt: „Wollen wir der Mensch über grundlegende der nachfolgenden Generation Fähigkeiten verfügen sollte, lehren, das Japanische an Japan sich und andere im Bedarfsfall wertzuschätzen, dann müssen verteidigen zu können. Aufgabe wir irgendwie den Geist der der Erziehung sei es, diese Kampfkünste in die Köpfe der Fähigkeiten zu vermitteln. Er heutigen Jugend bringen.“ erläutert das „Jūdō-System Was er darunter genau ver- des Kampfes“ mit folgenden steht, führt er zwar nicht weiter Worten: aus, jedoch wird er an einem Beispiel aus dem Training Selbstverteidigung

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man keine gute Lösung finden, und vor allem überzeugendes jeden Preis“, mitunter muss eine Erweiterung der Jūdō wenn die Einfälle nur zögerlich Konzept kognitiver Fähigkeiten man auch abwarten können, -Prinzipien selbst noch weiter ins Herz fließen“. vor, die durch Jūdō-Training dann aber umso entschlossener ausgearbeitet hat. entwickelt werden sollen. handeln (3). Bei all dem darf „Sprache“: KANō ist sich man niemals die Grenzen Persönliche Anmerkungen des darüber bewusst, dass Sprache Die Anwendung der Theorien aus den Augen verlieren (4): Verfassers beim Verständnis von Jūdō des Kampfes im täglichen Grenzen in der Anwendung von besonderer Wichtigkeit Leben von Techniken, bzw. Grenzen (1) In der Wissenschaft ist ist. Nach seiner Überzeugung im allgemeinen Umgang mit allgemein anerkannt, dass verbessert Lehrtätigkeit die KANō war der Überzeugung, anderen Menschen. KANō in seinem erzieherischen Fähigkeit, komplizierte Dinge dass sich die Lektionen, die Den letzten Punkt (5) Denken vor allem von HERBERT verständlich darzustellen. Er man durch das Training des SPENCERS (1820-1903) Werk beschreibt KANō schließlich als kokettiert sogar gegenüber dem Kämpfens lernt, auf Situationen das „Mysterium des Jūdō“: „Im „Education: Intellectual, Moral Publikum und sagt: „Unter außerhalb des Dōjō übertra- Sieg nicht stolz zu sein, in der and Physical“ (Vier Essyas, die Ihnen gibt es sicherlich einige gen lassen und man daraus Niederlage nicht aufzugeben. In bereits 1880 auf japanisch vor- Kritiker, die sagen: Obwohl der für den Alltag Nutzen ziehen der Sicherheit nicht nachlässig lagen) beeinflusst war. Dieses Sprecher selbst ein Meister im kann. Die wichtigsten Lehren zu werden und in der Gefahr wiederum setzt sich intensiv Range eines Shihan des Jūdō des Kampfes sind für ihn (frei nicht die Nerven zu verlieren.“ mit der Pädagogik PESTALOZZIS ist, warum spricht der dann so übersetzt und vom Verfasser (1746-1827) auseinander und schlecht? Diesen möchte ich formuliert): Zusammenfassung erinnert stark an Kopf („intel- entgegenhalten, dass ich eigent- lectual“), Herz („moral“) und (1) Beachte die Beziehung lich noch schlechter spreche, KANō stellt Jūdō 1889 als Hand („physical“). Das Werk zwischen Dir und Deiner Um- aber durch das Jūdō-Training ein umfassendes Erziehungs- SPENCERS ist im Internet frei schon Fortschritte gemacht gebung system vor, das die Bereiche verfügbar. habe.“ (2) Komme Deinem Gegner Leibesübungen, Kampf/Selbst- zuvor verteidigung und geistig-mora- (2) Das öffentliche Interesse „Große Kapazität“: Die kom- (3) Überlege reiflich - handle lische Erziehung als seine drei an den traditionellen Kampf- plexeste kognitive Fähigkeit, entschlossen Säulen nebeneinander stellt. künsten Japans begann etwa 10 die nach KANō durch Jūdō (4) Kenne die Grenzen Jahre nach der Meiji-Restau- Jahrzehnte später, als KANō ausgebildet werden soll, nennt (5) Sei bescheiden im Erfolg - wieder einmal den Unterschied ration (1868) langsam wieder er die „Große Kapazität“. Damit akzeptiere einen Misserfolg mit zwischen Jūjutsu und Jūdō zuzunehmen, nachdem eine ist zum einen gemeint, Neuem Anstand und Würde erklärte, brachte er es prägnant Schwerteinheit der Polizei gegenüber aufgeschlossen zu erfolgreich an der Niederschla- Zu (1) kommt es darauf an, auf den Punkt: „Die Substanz sein (KANō: „wer seine eigene gung aufständischer Samurai sich stets über eigene und des der Erziehung (Anm.: beim Meinung zu stark beschützt, Jūjutsu) war das Lehren der beteiligt war. Das Interesse ging kann keine Fortschritte ma- Gegners Stärken und Schwä- daher naturgemäß vorrangig chen sowie über die besonderen Technik. Im Kōdōkan wurde chen“), zum anderen ist es die die Lehre begründet, dass das von Sicherheitskräften aus. Die Fähigkeit, Dinge von unter- Umstände der Situation Klarheit Polizei von Tōkyō begann zum zu verschaffen und daraus eine Lehren des Weges die Substanz, schiedlichen Standpunkten aus und die Technik die Anwen- Beispiel ab 1879 das japa- betrachten und verschiedene Strategie zu entwickeln - im nische Fechten und ab 1883 das dung des Weges ist“ (NIEHAUS, Theorien zu einer Synthese Kampf wie im täglichen Leben. Jūjutsu wieder zu fördern. Initiative zu ergreifen und das S. 306). bringen zu können, ohne sie zu Seine Überlegungen haben vermengen. Heft des Handelns in die eigene (3) Aus Sicht der Leibeser- Hand zu nehmen, drückt Punkt selbst nach 120 Jahren nichts ziehung fanden Kenjutsu und KANō stellt also im Jahr (2) aus. Das bedeutet jedoch von ihrer Aktualität verloren, Jūjutsu in Prof. ERWIN VON 1889 ein hierarchisch gestuftes nicht „agieren/angreifen um auch wenn er sie später durch BAELZ einen großen Fürspre- cher für die Einführung in den allgemeinen Schuluntericht. Die diesbezügliche Diskussion wird Selbstverteidigung Gegenstand eines separaten mit Atemi-waza Artikels (Arbeitstitel: „Der Weg des Kōdōkan-Jūdō in die Erziehungsinstitutionen“) dieser Reihe sein.

Literatur (Auswahl)

BENNETT, ALEX: Jigorō Kanō and the Kōdōkan - an innovative Response to Modernisation, Kōdōkan Jūdō Institute, 2009

DAIGO, TOSHIRō: Wurftechniken des Kōdōkan Jūdō, Verlag Dieter Born, 2009

KANō, JIGORō: Kōdōkan Jūdō, Verlag Dieter Born, 2007

NIEHAUS, ANDREAS: Leben und Werk Bildquelle: YOSHITSUGU YAMASHITA Photograph Album Kanō Jigorōs (1860-1938), Ergon- (PH 006). Special Collections and University Archives, Verlag, 2003 W.E.B. Du Bois Library, University of Massachusetts WATSON, BRIAN N.: Jūdō Memoires Amherst of Jigorō Kanō, Trafford-Verlag, 2008 De-ashi-barai

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Grundwissen der Geschichte des Kōdōkan-Jūdō in Japan

von Wolfgang Dax-Romswinkel

Teil 5: Die technischen Prinzipien des Kōdōkan-Jūdō im 19. Jahrhundert

Vorbemerkung nach diesen Prinzipien. Seine zahlreiche weitere Variationen In der Literatur finden sich große Stärke war es, komplexe gibt. viele derartig vereinfachte Wer Jūdō betreibt, kommt Gebiete zu strukturieren, zu J. KANō vermied esoterische Erklärungen, die sich mehr an früher oder später mit dem systematisieren und leicht Erklärungen und bemühte Laien oder Anfänger richten Begriff „Prinzip“ oder im Plural verständlich zu formulieren. sich stets um konkrete, leicht als an Fachkundige. Auf diese mit „Prinzipien“ in Berührung. Bevor es KANō aber gelang, verständliche Formulierungen Weise entstand wohl auch der Die Erläuterung der „Jūdō-Prin- Seiryoku-zenyō und Jita-kyōei wie die im Folgenden vom Ver- Leitsatz „Siegen durch Nach- zipien“ ist Teil des Dan-Prü- als umfassende Prinzipien nicht fasser frei wiedergegebene: geben“. fungsprogramms des DJB. Was nur des Jūdō, sondern als Uni- Etwas allgemeiner lautet die bedeutet „Prinzip“ im Kontext versalprinzipien zu formulieren, „Angenommen mein Gegner Standarderklärung für jū-no-ri, der japanischen Kampfkünste musste er viele „Puzzlesteine“ hat eine Stärke von 10 und mei- dass die eigene Kraft/Bewegung genau? mühsam zusammensetzen. Um ne eigene Stärke hat den Wert nicht unmittelbar gegen die diese Entwicklungsgeschichte 7. Wenn er mich mit all seiner Kraft/Bewegung des Geg- Das Verhältnis von Technik Kraft stößt, werde ich umfallen, (waza) und Prinzip (ri) geht es in dieser und in der ners gerichtet, sondern diese nächsten Folge. da seine Kraft um 3 Einheiten stattdessen im Richtungsverlauf Konkret ausgeführte größer ist als meine. Weiche ich weiter- bzw. umgeleitet und Techniken sind als Ereignisse Jū-no-ri aber im Moment seines Angriffs schließlich gegen ihn gewendet zurück, so wird er, da er einen „materiell“, das soll heißen, Das jū gibt dem Jūjutsu und wird. Hierbei kommt es zu einer man kann die wirkenden Kräfte Widerstand erwartet, der aber Addition beider Kräfte/Bewe- dem Jūdō einen Teil seines nicht erfolgen wird, nach vorne und ausgeführten Bewegungen Namens. Jū wird häufig mit gungsimpulse, die als Summe - das „Was“ der Aktion - beob- stolpern und sein Gleichgewicht auf den Gegner wirkt und ihn „sanft“ übersetzt, aber „weich“, für einen Moment verlieren, achten und messen. Prinzipien „nachgiebig“, „flexibel“ oder kontrolliert. Diese Synthese sind dagegen „immateriell“. Sie während ich selbst mein Gleich- der Kräfte/Bewegungsimpulse „anpassungsfähig“ würde gewicht behalte. In diesem Zu- beschreiben das „Warum“, also es besser treffen. In alten nennt man im Japanischen riai. die nicht direkt beobachtbaren stand wird mein Gegner nicht Durch die vielen sich offen- Jūjutsu-Stilen wurde jū oft mit mehr mit seiner ganzen Kraft Ideen und Wirkungszusammen- bildhaften Vergleichen aus der sichtlich an Laien und Anfän- hänge, die erst in der konkreten kämpfen können. Seine Stärke ger richtenden Erläuterungen Natur oder mit esoterisch anmu- ist vielleicht auf 3 gefallen. Ich Ausführung eine Gestalt tenden Beschreibungen, zumeist kommt der mentale Aspekt von bekommen („sich materialisie- dagegen besitze immer noch jū-no-ri in der Jūdō-Literatur mit taoistischem Hintergrund, eine Stärke von 7 und kann ihn ren“) und dadurch schließlich erklärt. deutlich zu kurz. Jū bedeutet in beobachtbar und messbar wer- nun sogar mit nur der Hälfte diesem Kontext stets, auch geis- Es gibt den berühmten Leit- meiner Kraft besiegen.“ (siehe den. Technik und Prinzip sind spruch aus dem chinesischen tig flexibel und anpassungsfähig zwei Seiten derselben Medaille. z.B. in Kōdōkan-Jūdō, Verlag zu bleiben und nicht z.B. starr Klassiker San Lüe: „Das Wei- Dieter Born). Prinzipien sind das Fundament che kontrolliert das Harte“ (jū an einer Strategie festzuhalten. konkreter Technik oder anders yoku go sei suru), von dem es ausgedrückt: Techniken bringen Kuzushi Prinzipien zur praktischen Es ist leicht einsichtig, dass Anwendung. es einfacher ist, jemanden zu Prinzipien, verstanden als werfen, der sein Gleichgewicht immaterielle Basis einer ma- nicht mehr vollständig kontrol- teriellen Welt, verleihen nach lieren kann, als jemanden, der taoistischer Philosophie dem die volle Kontrolle über seinen Universum Ordnung und geben Körper hat. der Welt Struktur (Anmerkung: Bereits in seinem Vortrag das japanische Dō (拢) ent- von 1889 (vgl. Teil 4) erläutert spricht exakt dem chinesischen KANō, dass man einen Gegner Tao/Dao). Diese Denkweise umso leichter werfen kann, je beeinflusste zum Beispiel Kitō- kleiner die Fläche ist, die sein ryū und Jikishin-ryū, also jene Körpergewicht trägt. Wichtig alten Jūjutsu-Stile, die als erste sei es also, den Gegner vor einer die Bezeichnung Jūdō verwen- eigentlichen Wurfaktion durch det haben. geschicktes Manövrieren dazu J. KANō, der vor der zu bringen, sein Gewicht ent- Entwicklung des Kōdōkan- weder auf die Fußballen, auf die Jūdō Kitō-ryū gelernt hatte, Fersen oder auf einen Fuß - und war zeitlebens auf der Suche J. KANŌ erklärt Kuzushi

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auf diesem wiederum ebenfalls (Kuzushi) in Wurfposition. Angriffsaktion, bei der man nur auf einen möglichst kleinen Bei der konkreten Umset- schlicht angreift, bevor der Teil wie z.B. die Außenkante zung des Kuzushi kommt der Gegner dies tut. Hierbei können - zu bringen. optimalen Distanz (jap. Ma-ai) beide Aktionen durchaus Dieses grundsätzliche und der „günstigen Gelegen- zeitlich fast zusammenfallen, Prinzip kann in alle Richtungen heit“ (jap. Debana) eine beson- jedoch kommt Tori mit seinem (vorwärts, rückwärts, seitwärts dere Bedeutung zu. Angriff Ukes Angriff – auch und beliebig dazwischen) wenn es nur ein Wimpernschlag Anwendung finden und führte Shizentai - Prinzip der natür- ist - zuvor. zur Entwicklung des happō- lichen Haltung Idealerweise fallen „Ent- no-kuzushi-Systems: den acht Natürlichkeit in den Be- schluss“ und „Umsetzung“ Richtungen des Gleichgewichts- wegungen ist für KANō eines eines Angriffs zeitlich zusam- brechens. der wesentlichen Prinzipien men („überlege reiflich, handle KANō erkannte, dass es un- des Jūdō und eine wichtige entschlossen“). Mitunter ergibt abhängig von der Richtung drei Voraussetzung für erfolgreiches sich aber eine zeitliche Lücke, verschiedene Methoden gibt, Kämpfen. Hierzu gehören eine wenn eine Abgriffsabsicht das Gleichgewicht des Gegners Standposition und eine Körper- schon getroffen, jedoch die zu stören: haltung, die freies Reagieren Umsetzung in die Angriffs- auf jede denkbare Aktion des bewegung noch nicht erfolgt (1) eine eigene Angriffsaktion ist. Wenn Tori genau in dem Gegners ermöglicht - wobei J. KANŌ in Shizentai von Tori, mit der er Uke zuvor Moment angreift, in dem Uke kommt, man selbst jederzeit sein eigenes Gleichgewicht behalten bereits mental auf Angriff (2) eine Weiterleitung/Weiter- eingestellt ist, aber mit der muss, während man versucht, uns in Richtung der Schwan- führung einer Aktion von Uke, Angriffsbewegung noch nicht das Gleichgewicht des Gegners kungen aus dem Gleichgewicht (3) die Provokation einer Re- begonnen hat, so nennt man zu stören. zu bringen. Wer sich zentriert aktion von Uke durch Tori, die dieses Timing sensen-no-sen. Im Randori der meisten der bewegt und einem Zug oder Tori wiederum im Sinne von Die dritte Form der Angriffs- alten Jūjutsu-Stile wurde vor- Druck zunächst durch korrektes Punkt (2) weiterführen kann. initiative ist go-no-sen, oder die nehmlich in Jigotai gekämpft. Shintai und Tai-sabaki „späte Initiative“. Gemeint ist, Heutzutage wird Kuzushi In dieser Haltung ist der Kör- nachgibt, bevor er die Bewe- dass Uke seine Angriffsbewe- häufig als eine von drei Wurf- perschwerpunkt abgesenkt und gung in eine andere Richtung gung bereits begonnen hat, Tori phasen betrachtet, dem das der Stand mit gebeugten Knien lenkt, ist schwerlich aus dem aber kontert. Tsukuri („Wurfeingang“) und breitbeiniger als in der natür- Gleichgewicht zu bringen. das Kake („Wurfabschluss“) lichen Stellung, dem Shizentai. Zur weiteren Entwicklung der AN Die drei Möglichkeiten der jeweils folgen würden. K ōs Eine Ausnahme stellte jedoch Prinzipien des Kōdōkan-Jūdō ursprüngliches Konzept bestand der TAKENAKA-Zweig von Kitō- kämpferischen Initiative jedoch nur aus zwei Phasen, ryū dar, jener Jūjutsu-Stil, den (Mitsu-no-sen) KANō versuchte schrittwei- nämlich Tsukuri („Wurfvorbe- KANō ab 1881 gelernt hatte. se, Jū-no-ri in seiner Bedeutung Eine der Theorien des reitung“) und Kake. Kuzushi In diesem Stil kämpfe man bzw. Interpretation zu erweitern Kampfes, die im letzten Teil be- betrachtete er als Teil - oder üblicherweise in der natürlichen und daraus ein allumfassendes schrieben wurden, ist „Komme noch prägnanter als Prinzip Stellung (in Kitō-ryū „Hontai“ Prinzip zu generieren. Kuzushi, Deinem Gegner zuvor“ und ver- - des Tsukuri. genannt). Shizentai, Shintai, Tai-sabaki weist auf die zeitliche Abfolge Der gesamte Vorgang der Jigotai ermöglicht zwar ei- - deren Bedeutung für die An- von Aktionen beider Gegner. Wurfvorbereitung - und nicht nen stabilen Stand, aber nicht in wendung von jū offensichtlich „Sen“, manchmal auch als nur der „Eingang“ - wurde von dem Maß schnelle Reaktionen waren - betrachtete er hierfür sen-no-sen bezeichnet, ist eine KANō also als Tsukuri bezeich- wie Shizentai. Ein Kämpfer als Komponenten von Jū-no- net. Das Tsukuri schließt damit jedoch, der stets reaktionsbe- zwei wichtige Funktionen ein: reit ist und den Angriffen des Tori bringt sowohl sich selbst Gegners ausweichen und ihnen J. KANŌ und („Wurfeingang“) als auch Uke dadurch die Wirkung nehmen K. MIFUNE (10. Dan) in per- kann, ist einem schwerfälligen fektem Jigotai Gegner überlegen und wird Möglichkeiten finden, dessen Gleichgewicht zu brechen. Shintai und Tai-sabaki - Prinzipien des Bewegens Shizentai ist eng verknüpft mit dem „richtigen“ Fortbewe- gen auf der Matte, dem Shintai („gehen“) und dem Tai-sabaki („sich drehen“). Der Körper sollte hierbei stets aufrecht ge- halten werden, die Füße in der Nähe der Matte bleiben und der Oberkörper zentriert über der Stützfläche gehalten werden. Pendeln oder wippen des Ober- Gleichgewicht und Schwerpunkt körpers sind unter allen Um- (aus KANŌ, JIGORŌ: Kōdōkan Jūdō, ständen zu vermeiden, weil der Verlag Dieter Born, 2007) Gegner dies nutzen könnte, um

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ri. Hieraus wird auch deutlich, (3) In den eher esoterischen deutliche Hinweise darauf, dass die breite Bevölkerung wand- dass KANō auf der Suche nach Erklärungen einiger von taois- KANō eine Präferenz für Wurf- ten. Das war in einem Land, das einer Hierarchie, vergleichbar tischem Gedankengut beein- techniken hatte. erst nach der MEIJI-Restauration einer Baumstruktur, von Prin- flusster Ryūha wie Kitō-ryū (1868) mit dem flächendecken- zipien war. und Jikishin-ryū werden jū und (6) Die immer klarere Herausar- den Bau von Schulen für die beitung und das fortschreitende Je tiefer J. KANō jedoch sein Gegenstück gō (=Härte, Bevölkerung begann, unerläss- in die Problematik eindrang, Starrheit) als gegensätzliche Verständnis der vorgenannten lich zur massenhaften Verbrei- desto mehr erkannte er, dass die Pole einer absoluten Realität Prinzipien und ihre Vermitt- tung von Ideen. lung war eine der wesentlichen vorstehenden Prinzipien nicht aufgefasst, in der das eine ohne Literatur ausreichen, alle Bereiche und das andere nicht existieren kann Voraussetzungen für die technischen Fortschritte des Aufgabenstellungen des Kämp- (Prinzip von yin und yang, auf BENNETT, ALEX: Jigorō Kanō and the fens restlos abzudecken und zu japanisch in-yō). Kōdōkan-Jūdō in der Meiji-Zeit. Kōdōkan - an innovative Response to Modernisation, Kōdōkan Jūdō erklären. (4) Das Prinzip der „kleinen (7) Jūdō war für KANō auch Institute, 2009 Zu Beginn des Jahres 1923 Fläche“ erklärt J. KANō 1889 ein Mittel der intellektuellen - rund 40 Jahre nach Gründung BRAUN, JULIAN: Der gemeinsame am Beispiel der Kitō-ryū-Kata, Schulung (vgl. Teil 4). Anhand Weg von Schwert und Pinsel, Tübin- des Kōdōkan - hatte J. KANō die die er später als Koshiki-no- der Entwicklung der Prinzipien gen 2006 Lösung dieser Fragen gefunden Kata in das Jūdō einführte. wird deutlich, wie sehr KANō und führte die Prinzipien seiryo- DAIGO, TOSHIRō: Wurftechniken des Diese Kata - so betont KANō - Jūdō als einen Forschungsge- Kōdōkan Jūdō, Verlag Dieter Born, ku-zenyō und jita-kyōei offiziell repräsentiert die grundlegenden genstand betrachtete, sozusagen 2009 ins Kōdōkan-Jūdō ein. Dies Prinzipien der Wurftechniken als Material, um daran den wird Gegenstand der nächsten KANō, JIGORō: Kōdōkan Jūdō, Verlag des Kōdōkan-Jūdō. Intellekt zu schulen. Dieter Born, 2007 Folge dieser Serie sein. (5) Obwohl die beschrie- (8) KANō gehörte zu der Gene- NIEHAUS, ANDREAS: Leben und Werk Persönliche Anmerkungen des benen Prinzipien auch auf den ration japanischer Intellektuel- Kanō Jigorōs (1860-1938), Ergon- Verfassers Atemi-waza und Katame-waza ler, die sich, wie z.B. auch der Verlag, 2003 übertragbar sind, geben KANōs vielleicht bedeutendste Refor- WATSON, BRIAN N.: Jūdō Memoires (1) Der Begriff Dō in Jūdō wird of Jigorō Kanō, Trafford-Verlag, mit dem sino-japanischen Zei- Erläuterungen und die Wahl der mer YUKICHI FUKUZAWA, mit einfachen Formulierungen an 2008 chen 拢 geschrieben. Es ist das von ihm bevorzugten Beispiele Zeichen für das chinesische Tao bzw. Dao. Insofern greift die häufig anzutreffende deutsche Übersetzung mit „Weg“ eigent- lich viel zu kurz. Die Bedeutung von Dō/Dao ist vielmehr auch „Ursprung“, „Prinzip“ oder „Pfad“ und meint, dass wir Menschen im Einklang mit den Prinzipien des Universums leben sollen. (2) Bekannte Erläuterungen zu jū durch Metaphern aus der Na- tur sind zum Beispiel die Äste eines Weidenbaums, die einem Sturm widerstehen, während starre Äste anderer Bäume ab- brechen. Ähnliches lässt sich für Gräser sagen oder für Zweige unter einer Schneelast. Ein sehr anschauliches Beispiel ist das eines empfindlichen Blattes, das dem Sturm „nachgibt“ indem es vom Wind verweht, dabei jedoch nicht zerrissen wird. In die gleiche Richtung verwei- sen Vergleiche mit Wasser, das nicht gegriffen werden kann, stets flexibel bleibt, sich seinen Weg sucht und dabei große Kräfte entfalten kann. Die mentale Seite von jū wird mit Geisteszuständen wie muga-mushin (kein Selbst - kein Gedanke) u.a. in Verbindung gebracht, die als Vorausset- zung für angepasstes Agieren betrachtet werden. Derartige Konzepte finden sich zuhauf in den Koryū-bugei („alte Kriegs- Happō-no-kuzushi: Die acht Richtungen des Gleichgewichtsbrechen (aus KANŌ, JIGORŌ: Kōdōkan Jūdō, Verlag Die- künste“). ter Born, 2007)

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Grundwissen der Geschichte des Kōdōkan-Jūdō in Japan

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Teil 6: Seiryoku-zenyō und Jita-kyōei - Jūdō wird zur umfassenden Philosophie

Zeitgeschichtlicher Kontext Die zunehmende Ausrich- stoffprobleme (insbesondere besser bekannt als das chi- tung im Denken KANōs auf Eisen) u.a.m. erkannt und war nesische Tao (bzw. Dao), im Die zweite Hälfte der MEIJI- die Gesellschaft als Ganzes ist der Überzeugung, dass es einer Namen seines Systems macht Zeit, also etwa von 1890 bis wesentlich vor dem Hintergrund geistigen Erneuerung im Land JIGORō KANō deutlich, dass sein 1912, war von einem erstar- der Herausforderungen zu bedurfte. Im Jūdō sah er hierfür Jūdō nicht ausschließlich auf kenden Nationalismus und von sehen, vor denen Japan damals ein bedeutendes Medium. Fertigkeiten fixiert sein soll, außenpolitischer Aggression stand. KANō hatte Tendenzen sondern auch eine philoso- Japans geprägt. In diese Zeit der Nachlässigkeit, der Ich- JIGORō KANōs lange Suche phische Dimension hat. Dies fielen zum Beispiel der erste Sucht, mangelnder Qualität nach dem umfassenden wird auch durch die Bezeich- chinesisch-japanische Krieg einheimischer Produkte gegenü- Prinzip der gesellschaftlichen nung Kōdōkan (= Ort zum (1894/95), der russisch-japa- ber Importprodukten, Versor- Entwicklung Studium des „Dō“) deutlich. nische Krieg (1904/05) und die gungsprobleme aufgrund von Last not least üben wir alle auch Annexion Koreas (1910), das Bereits durch das Ersetzen Bevölkerungswachstum, Roh- von Jutsu (嫢) durch Dō (拢), in einem Dōjō. bereits seit 1905 japanisches Es ist schwierig, für Dō eine Protektoriat war. angemessene Übersetzung zu Nach dem Tod des MEIJI- finden. Dō steht für Ursprung Tenno (1912) begann mit der und Ende, für Weg und Prinzip Taishō-Zeit eine Phase vorü- und für die Gesetze des Univer- bergehender Liberalisierung in sums. Das Studium des Dō ist Japan. Diese Phase endete je- das Studium der Prinzipien des doch bereits wieder Ende 1926. Universums, es ist der „Weg“, Mit Beginn der Shōwa-Zeit am im Einklang mit ihnen zu leben 25. Dezember 1926 begannen und nichts zu tun, das ihnen die ersten dunklen Wolken widerspricht. des Ultra-Nationalismus am Worin besteht aber dieser Horizont aufzuziehen, die sich Weg? Wie können wir ihn im Gewitter des 2. Weltkriegs greifbar machen? Wie können so fatal entluden. wir uns ihm nähern? Gehen wir JIGORō KANō war über 25 zunächst einigen praktischen Jahre lang bis 1920 Direktor Fragen des Kämpfens nach und der Höheren Lehrerbildungs- schlagen danach eine Brücke anstalt in Tokio und somit für zur gesellschaftlichen Anwen- die Ausbildung von Lehrern dung. verantwortlich. 1909 wurde er das erste asiatische Mitglied im Grenzen von Jū-no-ri internationalen Olympischen Komitee, eine Position, die mit Der junge KANō hatte einer Reihe von längeren Aus- bereits erkannt, dass sich die landsreisen verbunden war. Prinzipien und Theorien des Nach seiner Pensionie- Kämpfens auf das gesell- rung im Jahr 1920 forcierte er schaftliche Leben als Ganzes wieder stärker die inhaltliche anwenden lassen (vgl. Teil 4: und geistige Entwicklung des Die Ziele des Kōdōkan-Jūdō Jūdō. Unter dem Eindruck in den Gründungsjahren), und einer sich wandelnden Welt versuchte, seine Gedanken - der 1. Weltkrieg war gerade zu Jū-no-ri immer weiter zu vorüber - und seiner zahlreichen verfeinern, um so daraus ein internationalen Begegnungen allumfassendes - universelles - Prinzip zu formulieren. Wie hatte KANō noch stärker als zuvor nicht nur die Entwicklung in Teil 5 bereits angedeutet, der japanischen Nation, sondern stieß er dabei auf Grenzen, auch vermehrt die Entwicklung die er nicht mehr aufzulösen internationaler Beziehungen im vermochte. Focus. Ein typisches Beispiel aus Die berühmte Statue KANōs am Eingang des Kōdōkan in Tokio der Praxis des Kämpfens ist

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eine Umklammerung durch den Im Buch „Kōdōkan Jūdō“ (s.u. Gegner. Wenn ein Körperteil Literatur) ist die Nutzung der (z.B. Handgelenk, Oberarm Hebelgesetze, deren Beachtung oder Hals) erst einmal fest manchmal sogar wichtiger sei umgriffen oder umklammert als das Nachgeben, ausdrück- ist, ist es unmöglich, der Kraft lich als Beispiel hierfür erklärt,. des Gegners nachzugeben und Auf eine etwas andere Art daraus noch selbst einen Vorteil formulierte KANō sinngemäß: zu ziehen. Derartige Situationen „Egal, was das Ziel ist, man lassen sich nicht durch „Nach- erreicht es am besten durch den geben“ lösen, die Kraft des effektivsten Einsatz seiner kör- Gegners lässt sich auch nicht perlichen und geistigen Kräfte“. gegen ihn wenden, Jū-no-ri ist Hinter dieser Formulierung als Prinzip hier „überfordert“ steht die fundamentale Erkennt- und greift nicht mehr. nis, dass alles, was Menschen Dasselbe gilt für einen weit- schaffen, auf die eine oder gehend oder sogar vollkommen andere Art „Energie“ - körper- passiven Gegner. Auch er bietet liche wie geistige - erfordert. keine Gelegenheit, seine Kraft KANō erklärt sinngemäß: „Ob gegen ihn zu richten oder seiner man ein Buch einwickelt oder Kraft nachzugeben. eines schreibt, stets wirken JIGORō KANō im Alter von etwa 70 Jahren (Bildarchiv Dieter Born) Geist und Körper zusammen.“ Entwicklung von Seiryoku- Konkrete Handlungen entste- zenyō hen also immer erst durch eine bündeln. zu Seiryoku-zenyō) zur Geltung In beiden vorgenannten möglichst optimale Verbindung Diese gegenseitige Unter- bringen. Wir erwarten von allen körperlicher und geistiger Fällen muss man, so KANōs Er- stützung drückt KANō im Motto Jūdō-Übenden, dass sie ihren kenntnis, eigene Kraft gegen die Aktivität, die mit dem Einsatz Jita-kyōei aus, das holprig, aber Körper gesund halten und kräf- Kraft des Gegners richten. Dies körperlicher und geistiger „En- treffend mit „selbst (ji 呹) und tigen, moralisch aufrecht sind sollte, so KANō, jedoch in einer ergie“ verbunden ist. Für diese andere (ta Ⅵ) gemeinsam (kyō und eine einflussreiche Rolle Weise geschehen, dass man die Dualität wählt KANō den Begriff ␀) gedeihen (ei 㪓)“ übersetzt in der Gesellschaft spielen. Wir eigene Kraft so wirkungsvoll Seiryoku, zusammengesetzt aus werden kann. Das „Gedeihen“ erwarten von Individuen und wie möglich einsetzt, bzw. nur Geist (sei 位) und Kraft (ryoku bezieht sich dabei sowohl auf von Gruppen, sich zu helfen so viel Kraft gebraucht, wie ┪). die materielle als auch auf die und Kompromisse zu schlie- unbedingt nötig ist, um die Diese Energie so sinnvoll spirituelle/kulturelle Entwick- ßen und dadurch eine alles jeweilige Aufgabe zu erfüllen. und effektiv, bzw. mit anderen lung der gesamten Gesellschaft. durchdringende Harmonie zu Worten sparsam und wirtschaft- erzeugen. Bezogen auf die Welt lich, aber auch im moralischen Erweiterung der Ziele des im Großen erwarten wir von Sinn „gut“ einzusetzen, wurde Jūdō allen, nach gemeinsamem Ge- für KANō zum allgemeinen Ideal Kalligraphie Bereits 1918 hatte KANō deihen zu streben (Jita-kyōei), menschlichen Handelns. KANō des Prinzips erläutert, dass Jūdō vereinfacht rassistische Diskriminierung drückt dies durch zenyō aus. Es Seiryoku- als Gebilde mit drei Ebenen zu überwinden und die Früchte bedeutet wörtlich „gut (zen ⠓) zenyō betrachtet werden könne. kultureller Entwicklung zu gebrauchen (yō 䞷)“. Zunächst lernt man, sich und teilen. Die essenziellen Punkte Seiryoku-zenyō bedeutet andere im Bedarfsfall zu hierfür sind: also zusammengesetzt „Geist verteidigen. Danach geht es um (sei 位) und Kraft (ryoku ┪) gut (1) Bestmöglicher Einsatz von die Kräftigung des Körpers und (zen ⠓) gebrauchen (yō 䞷)“. Körper und Geist ist die Basis die Kultivierung des Geistes Die gesamtgesellschaftliche für Selbstperfektionierung. in intellektueller und mora- Relevanz - das „Moralische“ (2) Selbstperfektionierung wird lischer Hinsicht. Mit diesen - liegt für KANō darin, „Gutes“ durch die Unterstützung anderer beiden Ebenen wiederholt und zu tun und gleichzeitig effizient in diesem Prozess komplettiert. betont er noch einmal die Ziele in jeder Beziehung zu handeln, (3) Selbstperfektionierung ist des Kōdōkan-Jūdō, wie er sie denn wer mit seiner Energie die Grundlage für das soziale bereits 1889 vorgestellt hatte haushaltet, kann am Ende Gedeihen der Menschheit.“ (vgl. Teil 4). mehr Gutes für sich und andere (aus SYD HOARE 2007, vom Nun setzt er aber noch leisten als derjenige, der sein Verfasser aus dem Englischen eine Ebene darüber, nämlich Potenzial verschwendet. Hierin übersetzt). die aktive Mitwirkung jedes liegt für KANō ein zentrales Einzelnen bei der Entwicklung 40 Jahre nach Gründung des Axiom für die Entwicklung der einer humanen Gesellschaft Kōdōkan, war die Philosophie Gesellschaft: stets sein „Bestes“ als höchstes Ziel des Kōdōkan- des Kōdōkan-Jūdō voll entwi- für die Allgemeinheit geben. Jūdō. Im Jahr 1922 verkündet J. ckelt. Das praktische Üben im Ergänzung durch Jita-kyōei KANō vor der Kulturvereinigung Dōjō war endgültig zum Mittel des Kōdōkan: der Selbstperfektionierung als Die Wirkung, die der Basis für die Entwicklung der Einzelne entfalten kann, bleibt „Wir erklären hiermit, einen Menschheit geworden. stets begrenzt. Es ist daher er- Beitrag zur Entwicklung der forderlich, dass sich Menschen Humanität in der Welt zu leis- in Gruppen - sei es in kleinem ten, indem wir das Jūdō-Prin- oder großem Maßstab - zu- zip Seiryoku-Saizen-Katsuyō sammenfinden und ihre Kräfte (Anmerkung: später verkürzt

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Kōdōkan-Jūdō wird zur allgemein Leitlinien des alltäg- Religion und Tradition auch mittels eines ideologisch (Gesellschafts-)Philosophie lichen Handelns versteht. Das würden sich von daher nicht als geprägten und verherrlichten Fundament bildeten die „fünf Grundlage für eine allgemeine Bushidō als Erziehungsmit- Der junge JIGORō KANō Theorien des Kampfes“(siehe Moralerziehung eignen. Diese tel zur Opferbereitschaft der hatte bereits erkannt, dass die Teil 4): könne nur auf Basis unwider- Jugend für die Nation, bis hin Lehren des Kampfes auf die legbarer Gesetze der Logik zu den späteren Kamikaze-Flie- Bewältigung von Situationen (1) Beachte die Beziehung erfolgen, denn nur dann würde gern, missbraucht. des täglichen Lebens übertragen zwischen Dir und Deiner Um- eine allgemeine Gültigkeit und angewendet werden kön- gebung anerkannt. nen. Die Suche nach den umfas- (2) Komme Deinem Gegner Und genau diese unwider- Literatur (Auswahl) senden Prinzipien des Kampfes zuvor legbare Logik glaubte er mit BENNETT, ALEX: Jigorō Kanō and the führte ihn zu der Erkenntnis, (3) Überlege reiflich - handle Seiryoku-zenyō und Jita-kyōei dass der Kampf seinerseits entschlossen Kōdōkan - an innovative Response gefunden zu haben. to Modernisation, Kōdōkan Jūdō universellen Gesetzen folgt. (4) Kenne die Grenzen Institute, 2009 Die Essenz des Jūdō - also (5) Sei bescheiden im Erfolg - das „wahre“ 㩣拢 - liegt in der akzeptiere einen Misserfolg mit Persönliche Anmerkungen des DAIGO, TOSHIRō: Wurftechniken des Kōdōkan Jūdō, Verlag Dieter Born, Befolgung der Prinzipien von Anstand und Würde. Verfassers 2009 Seiryoku-zenyō und Jita-kyōei in allen Bereichen des Lebens Seiryoku-zenyō und Jita- (1) Die Anregung zu Seiryo- HOARE, SYD: Key Principles of Jūdō, kyōei kann man durchaus als ku-zenyō kam KANō, wie er 2007, Script einer Vorlesung an der mit dem Ziel der Schaffung Universität Bath einer humanen Welt. deren Weiterentwicklung be- später sagte, schon in seiner Die vormaligen technisch/ trachten. Der Weg selbst besteht Studienzeit, als er sich wun- KANō, JIGORō: Kōdōkan Jūdō, Verlag Dieter Born, 2007 taktischen Prinzipien (Jū-no-ri, danach in einer lebenslangen derte, dass ein Studienkollege Kuzushi, Shizei usw.) wurden Selbstperfektionierung im vor- selbst kürzeste Pausen produk- KANō, JIGORō: Mind Over Muscle: also - ohne ihre technisch/tak- genannten Sinn. tiv nutzte und lernte, anstatt Writings from the Founder of Judo (zusammengestellt von N. MURATA), tische Bedeutung verloren diese Zeit „totzuschlagen“. Dies Verhältnis zwischen Kōdōkan- resultierte letztlich in mehr Kodansha International, Tokio zu haben - zu Prinzipien der Jūdō und Religionen Freizeit für ihn - bei gleich- NIEHAUS, ANDREAS: Leben und Werk gesellschaftlichen Entwicklung Kanō Jigorōs (1860-1938), Ergon- erweitert. Konsequenterweise KANō hat das Kōdōkan-Jūdō zeitig besserer Leistung, da die Gesamtzeit besser genutzt Verlag, 2003 entwickelt KANō ein neues, er- stets unter anderem als Mittel der Moralerziehung verstanden. worden war. WATSON, BRIAN N.: Jūdō Memoires weitertes Verständnis von Jūdō, of Jigorō Kanō, Trafford-Verlag, indem er sinngemäß schreibt: Deshalb und auch aufgrund des (2) „Zen“ (deutsch: „gut“, ge- Dō im Namen, wurde es von 2008 „Jūdō meint nicht mehr die schrieben ⠓) in Seiryoku-zenyō Kampfkunst, sondern die An- Außenstehenden teilweise als darf nicht mit der „Zen“-Leh- wendung von Seiryoku-zenyō eine Art religiöser Lehre aufge- re, z.B. im Zen-Buddhismus und Jita-kyōei in allen Berei- fasst und dargestellt. verwechselt werden. Dieses KANō selbst konstatierte, chen des täglichen Lebens“. schreibt man 䰔. dass Religionen im Sinne von Jūdō und die Entwicklung Moralerziehung ähnliche Ziele (3) KANō verwendete wie oben von Moral verfolgen würden wie das geschrieben ursprünglich den Kalligraphie Oft wird Jita-kyōei als „das Kōdōkan-Jūdō, jedoch eine Leitspruch Seiryoku Saizen des Prinzips moralische Prinzip“ von Jūdō Religion immer nur Autorität Katsuyō, den er später zu Jita-kyōei bezeichnet, jedoch greift diese gegenüber jenen habe, die Seiryoku-zenyō verkürzte. Es Betrachtungsweise deutlich zu dieser Religion angehörten. bedeutet in unmittelbarer Über- kurz. Dasselbe würde für Traditionen setzung: Geist und Kraft (seiry- gelten, deren Überlieferungen oku 位┪) maximal gut (saizen Bereits 1889 hat KANō die Entwicklung von Moral stets nur für diejenigen bindend 㦏⠓) und effektiv gebrauchen als eines der großen Ziele des seien, die in dieser Tradition (katsuyō 㿊䞷). stehen. Kōdōkan-Jūdō vorgestellt, (4) Fraglich ist, ob es überhaupt wobei er unter Moral ganz angemessen ist, von zwei Prin- zipien zu sprechen. Aus Sicht des Verfassers ist es eher ein einziges Prinzip, das durch die beiden Slogans Seiryoku-zenyō und Jita-kyōei ausgedrückt wird.

(5) KANōs Gedanken waren nicht überall willkommen, auch weil sie zunehmend gesellschaftskritisch wur- den. Während KANō mit der Betonung von Jita-kyōei nach internationaler Verständigung und Harmonie durch Jūdō und durch alle Jūdōka strebte, und er deshalb dessen internationale Verbreitung stark forcierte, wurden die Kampfkünste insbe- JIGORō KANō bei der Demonstration eines Uki-goshi (Standbild aus einem sondere von Ultra-Nationalisten Film des Kōdōkan)

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Grundwissen der Geschichte des Kōdōkan-Jūdō in Japan

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Teil 7: Die Kōdōkan-Methoden – Kata

Vorbemerkung gemeint sein. es als Einzelübung oder als der Begriff „schulmäßige Aus- Kata diente darüber hinaus Übungsfolge, vorgegeben wer- führung“ üblich, der bei aller Heutzutage werden meist schon den alten Schulen der den? Hierzu lassen sich mehrere Problematik ausdrückt, dass es Kata, Randori und Shiai Kriegskünste, den Koryū-bugei. Ebenen unterscheiden: sich um eine „Grundform“ - auf (Wettkampf) als Hauptübungs- als Mittel der Überlieferung japanisch „kihon kata“ () formen des Jūdō bezeichnet. ihrer Techniken und Prinzipien - die tradierte und institutionell - handelt. Diese Dreiteilung entspricht (vgl. Teil 1 dieser Serie). In standardisierte Form Eine vom „allgemein nicht der ursprünglichen, denn diesem Sinn hat Kata auch die - die tradierte „de-facto“ Form Üblichen“ abweichende, aber Shiai wurde zunächst als eine Funktion eines Mediums. Da ohne institutionelle Standardi- dennoch über einen längeren besondere Form von Rando- es Kata für unterschiedliche sierung Zeitraum stabile individuelle ri betrachtet, worauf in den Ausbildungsstufen gab, kam - die „private“ Form eines Form, die ein Lehrer unterrich- kommenden Folgen einzugehen zusätzlich noch die Funktion Lehrers tet, entspräche der „privaten ist. Zudem propagierte JIGORō eines Lehrplans hinzu. - die ad-hoc-Form eines Lehrers Form“, während eine vom KANō Vorträge (Kogi) und Lehrer spontan ausgedachte/ent- Dialoge (Mondo) ebenfalls Kata als Methode des Übens Was ist mit diesen Ebenen gemeint? Nur für die erste wickelte Form, die die Schüler als essenzielle Lehrmethoden üben sollen, als „ad-hoc-Form“ des Kōdōkan-Jūdō, so dass es Kata im Sinne einer Ebene ist dies unzweifelhaft Methode bedeutet nicht mehr klar: hierunter fallen z.B. per bezeichnet werden kann. ursprünglich mit Kata, Randori, Was hier für eine einzel- Kogi und Mondo vier (Haupt-) und nicht weniger als das Üben Definition alle „offiziellen“ vorgegebener Aktionen, oder Kōdōkan-Kata. Was mit den ne Form erläutert wurde, gilt Methoden des Kōdōkan-Jūdō selbstverständlich auch analog gab. etwas präziser, das Üben genau anderen Ebenen gemeint ist, vorgegebener Formen von soll an einem einfachen Beispiel für ganze Folgen von Übungen. Kata: Wortbedeutung und Angriff und Verteidigung. Mit erläutert werden. Metaphern zu Kata und Ran- Sprachliches heutiger Terminologie würde Beobachtet man japanische dori: „Vokabeln, Grammatik man dies als „Üben in geschlos- Lehrer, die eine Technik wie und Aufsätze“ Der Begriff Kata, japanisch senen Situationen“ bezeichnen. z.B. ō-soto-gari unterrichten, ,wird meist als Form, Modell, Derartige Methoden des Übens wird man feststellen, dass es bei JIGORō KANō, der in der Standard oder mit ähnlichen sind uns allen von unserer ers- geringen Unterschieden sehr Frühzeit des Kōdōkan parallel Termini übersetzt. Alle drei ten Jūdō-Stunde an vertraut und große Gemeinsamkeiten gibt. eine Sprachenschule betrieb Übersetzungen sind sinngetreu. stellen ohne Zweifel praktisch Dieser „klassisch-japanische“ (vgl. Teil 3), verglich Jūdō Weniger beachtet wird jedoch überall eine Hauptmethode des ō-soto-gari entspricht dem, häufig mit dem Lernen von meist, dass Kata - wie generell Techniktrainings dar. Aller- was weiter oben mit „tradierter Sprache(n). Kata entsprach Substantive in der japanischen dings wird dies selten als Kata de-facto-Form“ gemeint ist. für ihn der Grammatik, in Sprache - je nach Kontext bezeichnet, obwohl es nichts Landesweit wird praktisch der die Regeln einer Sprache entweder im Plural oder im anderes ist. dieselbe Form unterrichtet, aber manifestiert sind. Randori Singular stehen kann. Für den keine Institution hat jemals eine dagegen verglich er mit dem Japaner ist es z.B. vollkommen Kata als Übungsinhalt entsprechende verbindliche Schreiben von Aufsätzen, also normal zu sagen: „Nage-no- Vorgabe gemacht. der freien Anwendung dieser Kata besteht aus 15 Kata“ oder Woher stammen nun die Formen, die uns Übenden, sei Früher war in Deutschland Regeln. Eines ohne das andere, „KANō entwickelte 15 Nage-no- so KANō, sei nicht möglich. Kata“. Konsequent wird daher Grammatik alleine befähige z.B. im Buch „Kōdōkan-Jūdō“ nicht zum Schreiben sinnvoller Nage-no-Kata als „Formen des Texte, genauso wie man ohne Werfens“ übersetzt. Beachtung grammatikalischer Kata: Inhalt, Methode, Medi- Regeln kaum leserliche und ver- um oder Lehrplan? ständliche Aufsätze produzieren könne. Die vielen Techniken Kata wird einerseits als des Jūdō, diese Ergänzung sei eine der Hauptübungsmethoden dem Verfasser gestattet, könnte des Jūdō bezeichnet, auf der man als das Vokabular der anderen Seite begegnet uns „Sprache Jūdō“ bezeichnen. Kata als Übungsinhalt, z.B. in Gestalt von Nage-no-Kata, Kata als Medium der Vermitt- Katame-no-Kata usw. Dies lung von Prinzipien ist kein Widerspruch, sondern Gruppenbild der Jūjutsu-Meister, die 1906 in Kyōto Nage-, Katame- und Hinter einer sinnvollen mit Kata kann je nach Kontext Kime-no-Kata festgelegt haben. In der Mitte sitzend mit Schnauzbart Anwendung von Techniken - sowohl Inhalt als auch Methode JIGORō KANō (Quelle unbekannt)

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vergleichbar mit einem Aufsatz Nach dem Zweiten - verbirgt sich also die Einhal- Weltkrieg wurde schließlich tung von Regeln und Gesetz- eine Arbeitsgruppe eingesetzt, mäßigkeiten. Dies ist mit der um eine „moderne“ Form der Dualität von sichtbarer Technik Selbstverteidigung zu entwi- und nicht-sichtbaren Prinzipien ckeln, die die Kime-no-Kata gemeint, die immer nur in ihrer ergänzen sollte. Sie erhielt den „materialisierten Form“ als Namen Kōdōkan-Goshinjutsu, ausgeführte Technik sinnlich der Suffix „no-Kata“ ist fakul- zugänglich sind (vgl. Teil 5). tativ. Sie wurde nach etwa vier Bei der Entwicklung der Jahren Entwicklungszeit 1956 Kata des Kōdōkan-Jūdō war vorgestellt. KANō darauf bedacht, solche Formen auszuwählen, die nicht Entwicklung der Taisō-no- nur als eigenständige Techniken Kata sinnvoll sind, sondern die ge- Um das Jahr 1887 entstan- eignet sind, übergreifende Prin- den erste Formen von Jū-no- zipien zu erschließen, die nicht Kata und Gojū-no-Kata, deren nur der jeweiligen Technik/ Name später zu Go-no-Kata Form, sondern auch vielen an- verkürzt wurde. Hierbei handelt deren Techniken zugrunde lie- es sich jeweils um Kata, bei gen. Mit heutiger Terminologie denen nicht geworfen, keine würde man also sagen, dass die Kleidung gefasst und auch Prinzipien des Jūdō exempla- keine Genickhebel ausgeführt risch durch die jeweiligen Kata werden. Dadurch kann man erlernt werden sollen. Die von JIGORō KANō demonstriert die fünfte Technik der Jū-no-Kata (Ago-oshi); diese Kata ohne besondere AN K ō entwickelten Kata haben entnommen aus: KANō, JIGORō: Kōdōkan Jūdō, Verlag Dieter Born, 2007 Trainingskleidung unabhängig also - um bei der Sprachmeta- vom Untergrund und praktisch pher zu bleiben - die Funktion ohne Verletzungsgefahr aus- einer „Grammatik-Fibel“ des Entstehungsgeschichte der Kommission der „Dai-Nippon- führen. Dieser für die damalige Jūdō, bei der jede Technik einer Kōdōkan-Kata Butokukai“ (Großjapanischer Zeit vollkommen neue Ansatz Lektion entspricht. Verband der Kampfkünste) für Die Entwicklung der ersten diente u.a. dem Ziel, Jūdō als Die Kata des Kōdōkan-Jūdō Japan standardisiert. Details Kōdōkan-Kata erfolgte um allgemeines Erziehungssystem stellen somit Werkzeuge für hierzu werden in einem späteren 1884/85. Bis dahin wurden im zu etablieren. eine strukturierte Vermittlung Teil dieser Serie folgen. Kōdōkan die Kata der Tenjin- Go-no-Kata wurde später von Jūdō dar - von elementaren shinyō-ryū und der Kitō-ryū Entwicklung der Shobu-no- nicht mehr weiterentwickelt Grundlagen bis hin zu den phi- gelehrt. Diese empfand KANō Kata und verschwand noch vor dem losophischen Aspekten. als zunehmend ergänzungsbe- Zweiten Weltkrieg fast völlig, Kurz nach Beginn der Zuordnung von Kata zu den dürftig, so dass er eigene Kata während Jū-no-Kata auf 15 Entwicklung der Nage- und Zielen des Kōdōkan-Jūdō entwickelte. Zudem began- Techniken erweitert und relativ nen die Mitgliederzahlen am Katame-no-Kata wurde eine viel praktiziert wurde und im- erste, ebenfalls 10 Techniken Das Kōdōkan-Jūdō Kōdōkan zu steigen und KANō mer noch wird. verfolgte seit jeher drei Ziele: konnte nicht mehr alle Schüler umfassende, Selbstverteidi- In den 1920er-Jahren Kampf/Selbstverteidigung, persönlich unterweisen. Mit gungskata entworfen. Auch di- entwickelte KANō schließlich körperliche Ertüchtigung und den Kata gab er seinen älteren ese durchlebte in den folgenden noch die Seiryoku-zenyō-ko- geistig-moralische Vervoll- Schülern Hilsmittel an die Jahren mehrere Erweiterungen kumin-taiiku-no-Kata, die er kommnung (vgl. Teile 5 und Hand, die jüngeren Schüler zu und Modifikationen, bevor gerne als Standard für eine 6). Entsprechend werden diese unterrichten. sie schließlich ebenfalls von nationale Leibeserziehung in Ziele schwerpunktmäßig mit Kata wurde in der Anfangs- der „Dai-Nippon-Butokukai“ Japan etabliert hätte. Sie besteht den verschiedenen Kata ver- zeit des Kōdōkan übrigens nicht unter dem Namen Kime-no- aus den zwei Teilen „Tandoku- folgt (s.a. Anmerkung 4): in separaten Unterrichtsstunden Kata standardisiert wurde. Es renshū“ (Üben ohne Partner) vermittelt und geübt, sondern ist möglich, wenngleich nicht und „Sotai-renshū“ (Üben mit (1) Randori-no-Kata: Vorbe- sicher, dass die „Kime-shi- Partner). Der erste Teil wird vor reitung und Verbesserung des in den Pausen zwischen den Randori. ki“ - eine gut dokumentierte allem durch Atemi-waza gegen Randori, mit dem wiederum Kata, die auch als Teil in die imaginäre Gegner gebildet. Die alle drei Zieldimensionen ver- Entwicklung der Randori-no- Seiryoku-zenyō-kokumin-taiiku- Sotai-renshū bestehen aus der folgt werden Kata no-Kata (s.u.) integriert wurde „Kime-shiki“ und der „Jū-shi- - eine frühe Entwicklungsstufe ki“, einer auf 10 Techniken ver- (2) Shobu-no-Kata: Kata zum Zunächst entwickelte J. der Kime-no-Kata darstellt. kürzten Jū-no-Kata. Neben der Üben von Selbstverteidigung KANō erste Ansätze von Nage- Während des Zweiten Nage-no-Kata ist die Seiryoku- no-Kata und Katame-no-Kata. (3) Taisō-no-Kata: Kata zur Weltkriegs empfand man am zenyō-kokumin-taiiku-no-Kata Diese enthielten zunächst körperlichen Ertüchtigung Kōdōkan die Notwendigkeit die einzige Kata, bei der alle jeweils 10 Kata (=einzelne der Entwicklung einer Selbst- Aktionen sowohl rechts als auch (4) Ri-no-Kata: Kata zum Techniken), jedoch ist nichts verteidigungskata für Frauen, links ausgeführt werden, unter besseren Verständnis grundle- weiter über diese Formen die den Namen Joshi-gos- anderem um eine gleichmäßige gender Prinzipien und Theorien bekannt. In den folgenden hin-ho bekam (Joshi=Frau, Entwicklung des Körpers zu Jahrzehnten wurden beide Kata Goshin=Selbstschutz, erreichen. auf 15 Techniken erweitert Ho=Methode). Diese Kata wird und schließlich im Jahr 1906 heute allerdings so gut wie gar durch eine von KANō geleitete nicht mehr praktiziert.

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Ri-no-Kata hat zwar auch eigene Kata Zusammenfassende Übersicht der Kata des Kōdōkan-Jūdō entwickelt, jedoch wurde keine Über die „echten“ Eigenkre- seiner Kreationen zu einer ationen hinaus übernahm KANō Randori-no-kata Nage-no-Kata „offiziellen“ Kōdōkan-Kata. auch Kata aus Tenjin-shinyō- Katame-no-Kata Seine bekannteste Kata ist die ryū (Itsutsu-no-Kata) und aus Shobu-no-Kata Kime-no-Kata Nage-waza-ura-no-Kata, die Kitō-ryū (Koshiki-no-Kata) in neuerdings Eingang in das Dan- das Kōdōkan-Jūdō. Die hinter Kōdōkan-Goshinjutsu Joshi-goshin-ho* Prüfungsprogramm des DJB diesen beiden Kata jeweils ste- gefunden hat. hende Theorie ist nicht einfach Kime-shiki** zu verstehen, was insbesondere Taisō-no-Kata Jū-no-Kata Diese Kata ist ein Beispiel für die Koshiki-no-Kata gilt. Go-no-Kata* dafür, wie sich eine zunächst Die Techniken beider Kata Seiryoku-zenyō-kokumin-taiiku- „private Form“ durch Weiterga- lassen sich zwar mit den in Teil no-kata* be verfestigt („tradiert“) hat und 5 dargestellten Prinzipien des nun - da sie weltweit erstmalig Kōdōkan-Jūdō erklären, jedoch Ri-no-Kata Itsutsu-no-Kata Prüfungsinhalt bei Dan-Prü- hatten die Vorgängerschulen Koshiki-no-Kata fungen geworden ist - sogar auf des Kōdōkan-Jūdō ihre eigenen (Ju-no-Kata) dem Weg zu einer institutio- Prinzipien und Lehren (streng nellen Standardisierung zu sein genommen waren es nur andere * wird nur noch sehr selten praktiziert scheint. Betrachtungsweisen und Erklä- ** in die Seiryoku-zenyō-kokumin-taiiku-no-kata integriert rungsmodelle), die in diesen beiden Kata codifiziert wurden. Guter Unterricht bringt den bestehende Kata der Tenjin- Literatur (Auswahl) In Japan sind Itsutsu-no-Kata immanenten „Bildungsgehalt“ shinyō-ryū etwas modifiziert hat KOTANI, S. / OZAWA, Y. / HIROSE, und Koshiki-no-Kata den eines Inhalts zur Geltung und und so die Frage, ob er die Kata Y.: Kata of Kōdōkan Jūdō revised, Meistern ab 6. Dan und höher leistet damit einen Beitrag zur „geschaffen“ oder „übernom- Koyano Bussan Kaisha, 1970 vorbehalten. Bildung des Individuums. Ganz men“ hat, zu einer Frage der BENNETT, ALEX: Jigorō Kanō and the Jū-no-Kata kann ebenfalls ähnliche Gedanken verfolgte Interpretation wird. Kōdōkan - an innovative Response zu den Ri-no-Kata gerechnet to Modernisation, Kōdōkan Jūdō KANō bei der Entwicklung der werden, da sie neben der kör- Jūdō-Kata, z.B. durch Auswahl (6) Nage-, Katame- und Kime- Institute, 2009 perlichen Ertüchtigung auch das no-Kata wurden bei der Dai- exemplarischer Techniken, an DAIGO, TOSHIRō: Wurftechniken des Prinzip „Jū-no-Ri“ (vgl. Teil 5) denen übergeordnete Prinzipien Nippon-Butokukai von einem Kōdōkan Jūdō, Verlag Dieter Born, 2009 erschließen soll. studiert werden sollten. Gremium unter Leitung von J. KANō standardisiert. Dabei flos- In dieser Zusammen- KANō, JIGORō: Kōdōkan Jūdō, Verlag Kata-Training in diesem sen auch Anregungen anderer Dieter Born, 2007 stellung wird das Wesen des Sinn geht also weit über das Jūjutsu-Schulen ein, insbeson- NIEHAUS, ANDREAS: Leben und Werk Kōdōkan-Jūdō als ein Sys- Nachmachen von vorgegebenen dere bei Kime-no-Kata. Außer tem von Körperertüchtigung, Kanō Jigorōs (1860-1938), Ergon- Bewegungen hinaus, sondern diesen drei Kata wurden keine Verlag, 2003 Kampf/Selbstverteidigung und strebt nach allgemeinen Er- weiteren der Kōdōkan-Kata OTAKI, TADAO / DRAEGER, DONN F.: geistig-moralisch-intellektueller kenntnissen durch die intensive von einer anderen Organisation Schulung - oder prägnanter: die Jūdō Formal Techniques, Charles E. Auseinandersetzung mit dem standardisiert. Tuttle, 1983 Kultivierung von Körper und Konkreten. Andernfalls bliebe WATSON, BRIAN N.: Jūdō Memoires Geist - deutlich und durch prak- Kata eine „Hülle ohne wirk- (7) KYūZō MIFUNE, 10. Dan tische Übung überliefert. und lange Jahre der höchste of Jigorō Kanō, Trafford-Verlag, lichen Inhalt“. 2008 Die Kata des Kōdōkan-Jūdō Dan-Träger am Kōdōkan, haben somit wie ihre Vorgänger (3) Von allen aufgeführten aus den Koryū-bugei auch eine Kata - außer der sehr seltenen wichtige Funktion als Medium Joshi-goshin-ho - finden sich der Überlieferung. Beschreibungen in „Kōdōkan- Jūdō“, erschienen im Verlag Persönliche Anmerkungen Dieter Born. (1) Kata sind Übungsformen (4) Die Klassifizierung der Kata und Übungsinhalte. KANō hat in den vier Gruppen Rando- zwar Kata bei Festlichkeiten ri-no-kata, Shobu-no-Kata, demonstriert bzw. demonstrie- Taisō-no-Kata und Ri-no-Kata ren lassen, aber ihr eigentlicher ist zwar üblich, aber nicht Sinn ist, neben der Überliefe- „offiziell“ vom Kōdōkan so vor- rung, die Übung und das Lernen genommen worden. - nicht die Demonstration. (5) Die offiziellen Darstellun- (2) In der (deutschen) Bildungs- gen des Kōdōkan zur Herkunft theorie wird klassischerweise der Itsutsu-no-Kata sind etwas zwischen „Bildungsinhalt“ schwammig. Tenjin-shinyō- und einem diesem Inhalt ryū wird dabei nicht erwähnt, immanenten „Bildungsgehalt“ jedoch KANō, der die KATA - je unterschieden. Kernaufgabe nach Publikation - 1887 mal der Didaktik ist die Aufschlüs- geschaffen, mal in das Jūdō selung, was das „Bildungs- eingeführt haben soll. Dem wirksame“ bzw. das für die Gedanken, dass KANō die Kata Bildung Wertvolle an einem Sukui-nage in Nage-no-Kata? Erst im Jahr 1906 wurde Sukui-nage durch geschaffen hätte, kann man nur Kata-guruma ersetzt. Diese Aufnahme zeigt Y. YAMASHITA vermutlich im Inhalt (=einer Thematik) ist. insoweit folgen, als KANō die Jahr 1904 (Quelle: www.library.umass.edu/spcoll/ead/muph006.htm)

12/2010 der budoka 43 Trainingsszene im Kōdōkan zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In dunkler Kleidung erkennen wir links S. YOKOYAMA und rechts K. MIFUNE.

Grundwissen der Geschichte des Kōdōkan-Jūdō in Japan

von Wolfgang Dax-Romswinkel

Teil 8: Die Kōdōkan-Methoden – Randori

Wortbedeutung nokori oder Nokori-ai auf. Der Begriff leitet sich von nokoru ab, was wörtlich übersetzt „übrig bleiben“ heißt. Tori griff bei dieser Übungs- Der Begriff Randori () besteht aus zwei Teilen: ran () und dori form an und Uke versuchte zu verteidigen und Widerstand zu leisten. (). Ran bedeutet Durcheinander, Unordnung oder Chaos. Dori lei- Wenn Tori mit seiner Technik nicht erfolgreich war, konnte Uke sei- tet sich von toru ab und heißt „nehmen“ oder „greifen“. Zusammen- nerseits einen Gegenangriff starten, gegen den Tori natürlich wieder gesetzt bedeutet Randori also so viel wie „ungeordnet“ oder „durch- verteidigen und kontern durfte. Irgendwann blieb im wörtlichen Sinn einander greifen“. „Einer übrig“. Aus dieser Übungsform, die zwischen Kata und Ran- In älteren Schriften findet man auch die Bezeichnung Midare-geiko. dori anzusiedeln ist, entwickelte sich das spätere Randori. Midare ist ein Synonym für ran, also eine andere Lesung des Zei- Eine weitere Zwischenform, die ebenfalls als Kata-nokori oder No- chens . (Anm.: ganz korrekt müsste man allerdings schreiben.) kori-ai bezeichnet wurde, war die Abweichung Ukes von der Reihen- Da geiko (oder alleinstehend keiko) schlicht „üben“ heißt, kommt die folge der Angriffe einer Kata, so dass er Tori mit nicht genau fest- direkte Übersetzung von Midare-geiko als „ungeordnetes Üben“ un- stehenden Situationen konfrontierte, denen Tori jeweils angemessen serer heute gängigen Übersetzung von Randori als „freies Üben“ sehr begegnen musste. Heute werden derartige Trainingsformen oft als nahe. „Auswahlreaktionstraining“ bezeichnet. Dominanz von Kata im Koryū-Jūjutsu und die Ursprünge von Auch wenn Trainingsformen, die sich von festgelegten Kata immer Randori weiter lösten, bereits seit Mitte des 18. Jahrhunderts bekannt waren, In den alten Schulen des Jūjutsu („Koryū-Jūjutsu“) dominierte das so wurde Randori vermutlich erst rund 100 Jahre später am Kōbusho, Üben in Form von Kata, also von vorher genau festgelegten Angrif- der Militärakademie des Shōgunats (vgl. Teil 1 dieser Reihe) populär. fen und entsprechenden Verteidigungen. Ein grundsätzliches Problem Dort wurde sogar eigens der Posten eines Randori-Verantwortlichen beim Kata-Training ist jedoch, dass die Wirksamkeit einer Technik (Randori-Sewakokoroe) geschaffen. mitunter dadurch auf der Strecke bleibt, dass Uke sich allzu bereitwil- Randori in der Jūjutsu-Ausbildung JIGORō KANōs lig fallen lässt oder schon aufgibt, bevor eine Technik wirkt. J. KANōs erster Lehrer, H. FUKUDA von der Tenjin-shinyō-ryū, war Um dem entgegenzuwirken tauchte bereits im 18. Jahrhundert in den zuvor Lehrer am Kōbusho gewesen und sein dritter Lehrer T. IIKUBO Lehrschriften der Kitō-ryū - jenem Jūjutsu-Stil, den JIGORō KANō als (Kitō-ryū) war dort sogar der Leiter für Jūjutsu (Jūjutsu-Sewakoko- zweites gelernt und gemeistert hat - eine Trainingsform namens Kata-

18 der budoka 1-2/2011 roe). Von daher ist es nicht weiter verwunderlich, dass J. KANō von Anfang an neben Kata auch intensiv Randori gelernt hat. Jūdō-His- toriker führen diese Konstellation sogar explizit als Grund dafür an, dass J. KANō die wechselseitige Ergänzung von Kata und Randori als essenziell für ein ausgewogenes Jūdō-Training betrachtet hat.

KANōs Schlüsselerlebnis im Randori mit Meister IIKUBO

Ende der 1920er-Jahre erschien eine Interviewserie mit J. KANō, die unter dem Titel „Mein Leben als Jūdōka“ veröffentlicht wurde. (Anm.: Das Buch „Jūdō-Memoires of JIGORō KANō“ - s. Literatur - ist eine editierte Übersetzung dieser Artikelserie). Darin beschreibt er eine Begebenheit, die er etwa auf die Jahre 1885/86 datierte (also deutlich nach Gründung des Kōdōkan).

Meister IIKUBO war schon über 50 Jahre alt, aber immer noch so vital, dass er J. KANō im Randori regelmäßig werfen konnte. Eines Tages jedoch gelang dies zu beider Verwunderung nicht mehr. Stattdessen konnte KANō umgekehrt seinen Lehrer ein ums andere Mal werfen.

Dies war Folge einer Entdeckung, die KANō kurz zuvor gemacht hat- JIGORō KANō beobachtet von seinem Ehrenplatz aus das Training im te. Durch Zug oder Druck in eine Richtung provozierte er eine Reak- Kōdōkan tion in die entgegengesetzte Richtung, die er dann für einen Gleichge- wichtsbruch ausnutzen konnte. KANō wurde gewahr, dass der ideale Moment des Angriffs der ist, in dem der Gegner für den Bruchteil Randori verboten, z.B.: einer Sekunde sein Gleichgewicht nicht mehr kontrollieren kann. Die- se Art Wurftechniken vorzubereiten wurde zum hervorstechendsten - Handgelenkshebel, Charakteristikum der Kōdōkan-Wurftechniken und des Randori-Stils - Do-jime („Rumpfschere“), des Kōdōkan-Jūdō im Vergleich zu den damaligen Jūjutsu-Stilen. - Ashi-garami („Bein umschlingen“, letzte Technik der Katame-no- Kata), Grundideen des Randori im Kōdōkan-Jūdō - die endgültige Beschränkung von Kansetsu-waza auf das Ellbogen- Ziele des Randori gelenk. Die Ziele des Randori-Trainings unterschieden sich erwartungsge- Die im Randori verbotenen Techniken blieben aber dennoch selbst- mäß nicht von den allgemeinen Zielen des Jūdō-Trainings: verständlich Teile des Jūdō. Nur durften sie eben nicht mehr im Ran- dori angewendet werden. Sie wurden aber weiterhin in Kata geübt, - Leibesertüchtigung, wovon z.B. die zahlreichen Atemi-waza in Kime-no-Kata und der - geistig-moralische Übung, Ashi-garami in Katame-no-Kata zeugen. - Entwicklung einer grundlegenden Fähigkeit, sich und andere im Be- darfsfall verteidigen zu können. Vorrang von Nage-waza Randori als Leibesertüchtigung Für J. KANō hatten stets Nage-waza vorrang vor Katame-waza, was er unter anderem damit begründete, dass beim Ausführen von Wurf- Die Bewegungen beim Randori sind ausgesprochen vielseitig, so dass techniken mehr Muskeln beteiligt seien, als bei den Katame-waza. die gesamte Muskulatur und das Herz-Kreislaufsystem trainiert wird. Aus Sicht der Leibesertüchtigung wies KANō also dem Stand-Ran- Daneben ist Randori koordinativ äußerst anspruchsvoll. Insbesondere dori eine größere Bedeutung zu, als dem Boden-Randori. Allerdings werden Reaktionsfähigkeit, Gleichgewicht, Antizipationsfähigkeit, war zu jener Zeit die Bodenarbeit noch nicht zu ihrer späteren Blüte kinästhetische Differenzierungsfähigkeit und räumliche Orientierung entwickelt. geschult. Wie sah ein Stand-Randori damals eigentlich aus? Ein System der Leibesertüchtigung muss zwingend auch einen gu- ten Schutz vor Verletzungen bieten, so dass das Thema „Sicherheit Außer schriftlichen Überlieferungen existieren auch einige Filmauf- nahmen (z.T. auch bei YouTube) von Randori aus den 1920er- und beim Randori“ ganz oben auf KANōs Prioritätenliste stand. Neben dem obligatorischen Lernen und Trainieren der Fallschule wurden 1930er-Jahren. Beide Partner nahmen zu Beginn einen recht lockeren Techniken aus dem Randori verbannt, die ein hohes Verletzungsri- (!) Griff auf, hatten eine aufrechte Körperhaltung, und versuchten sich siko darstellen, wie zum Beispiel die Atemi-waza (Schlag- und Stoß- gegenseitig erst aus dem Gleichgewicht und dann zu Fall zu bringen. techniken). Nach und nach wurden auch weitere Techniken für das Angriffe des Partners wurden nicht durch Sperren, Losreißen oder andere „Griffarbeit“ verhindert, was eine weniger ermüdende Kör- perhaltung und weniger defensives Verteidigungsverhalten bedeute- te, als wir es im heutigen Randori oft erleben. Dadurch war auf der anderen Seite im Vergleich zu heute eine höhere Angriffsfrequenz möglich. Außerdem gab es mehr gelungene Würfe als heutzutage. Die grundsätzliche Kampfführung war meist so gestaltet, dass beide versuchten, gegenseitig den Partner auszumanövrieren und ihn durch Ziehen oder Drücken zu einer Reaktion zu veranlassen, die dann zu einem Gleichgewichtsbruch genutzt werden kann. Die Verteidigung bestand vorzugsweise in einem Ausweichen oder Blocken mit Bauch/ Hüfte („Hara“) unter Beibehaltung einer aufrechten Körperhaltung. Randori als geistig-moralische Übung Aufmerksamkeit, Beobachtung, Analysieren, Probleme lösen, neues Erproben: Randori stellt neben den körperlichen auch eine Menge Trainingsszene um die Jahrhundertwende. In der Bildmitte ist H. ISO- geistige Anforderungen, setzt aber auch eine bestimmte Haltung ge- GAI, der später (1937) gemeinsam mit H. NAGAOKA der erste lebende Träger des 10. Dan wurde. Man erkennt deutlich, dass damals noch in genüber dem Partner voraus. Bereits in seinem berühmten Vortrag kurzen Hosen und kurzärmligen Jacken trainiert wurde. Die Bedeu- von 1889 (vgl. Folge 4 dieser Reihe) erklärte J. KANō über das Ver- tung der Verlängerung der Hosenbeine und vor allem der Jackenärmel hältnis zweier Randori-Partner zueinander: im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts wird in einem kommenden Artikel über die Entwicklung der Wurftechniken behandelt werden.

der budoka 1-2/2011 19 „Beim Randori im Jūdō trainieren in den meisten Dōjō sowohl Fort- geschrittene und Anfänger als auch Gleichrangige miteinander. Ganz natürlich nimmt man so eine anleitende Position ein, eine Position, in der man angeleitet wird oder eine, in der man gleichberechtigt ist. (...) Wer die Pflichten des Lehrers übernimmt, kann an den verschiedens- ten Fällen und bei unendlich vielen Gelegenheiten lehren, dass die Menschen sich füreinander bemühen und sich freundlich behandeln müssen.“

J. KANōs Vorstellungen von Randori waren also bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Entwicklung des Jūdō davon getragen, dass sich die Übenden gegenseitig im ihrem Übungsprozess unterstützen und helfen sollen. Randori und Selbstverteidigung

KANō selbst beschrieb bereits 1889 das grundlegende Dilemma, dass Techniken, die im „echten Kampf“, also für Selbstverteidigung oder den militärischen Nahkampf, wirksam sind, bei Anwendung im Ran- dori ein nicht hinnehmbares Verletzungsrisiko darstellen. In dieser

Frage musste sich KANō also zwischen dem sicherem Üben einerseits JIGORō KANō beim Randori in der Frauenabteilung des Kōdōkan (um und dem effektiven Üben der „gefährlichen Techniken“ andererseits 1930) entscheiden, was er zugunsten der Sicherheit auch tat.

Dennoch bestand KANō darauf, dass Randori einen großen Anteil an der Entwicklung von Kampffähigkeiten außerhalb des Dōjō leisten ten zu wechselnde, sondern auch die am wenigsten ermüdende. Beide soll. Außerhalb des durch Regeln geschützten Bereiches komme es Partner nehmen dieselbe Stellung ein. darauf an, stets schnell und angepasst reagieren zu können. Dazu müsse man diejenige Körperhaltung einnehmen, die am anpassungs- (2) Wurftechniken haben Vorrang. Werfen ist sowohl aus Sicht der fähigsten und flexibelsten ist - und das ist Shizentai. Nur Shizentai Leibesertüchtigung also auch als mentales Training von größerem und entsprechende Körperbewegungen („Tai-sabaki“) würden ge- Wert, weil es Wahrnehmung und Anpassung an eine größere Band- währleisten, dass man jeder Gefahr angemessen begegnen könne. breite an Situationen erfordert. Bodenarbeit zu lernen, nachdem man Außerdem, so KANō, würde eine aufrechte Körperhaltung davor die Wurftechniken gemeistert hat, versetzt in die Lage, von beidem schützen, von oben in den Nacken geschlagen und von unten gegen zu profitieren. Wer Jūdō über einen Zeitraum von mehreren Jahren das Gesicht getreten zu werden. Aufrechte Haltung im Randori ist studiert, hat ausreichend Zeit beides zu meistern. Wer sich aber auf also kein Selbstzweck aus ästhetischen oder stilistischen Gründen, eines beschränken muss, für den sollten Wurftechniken Priorität ha- sondern folgt unmittelbar aus den Anforderungen der Selbstvertei- ben. Es ist besser, sich auf eine Sache zu konzentrieren, als beides digung. ungenügend zu betreiben und Wurftechniken sollten Vorrang haben. Veränderung des Randori im ersten Viertel des 20. Jahrhun- (3) Denke immer daran, dass Randori ein Training in Angriff und derts - „Desorientierung“ des Randori Verteidigung ist. In einer Kampfkunst ist es essenziell, dass man agi- le und freie Körperbewegungen entwickelt, mit denen man Schläge Mit zunehmender Popularisierung von Wettkämpfen und einem und Tritte kontern kann und eine zweite Natur darin zu entwickeln, gleichzeitigen Mangel an qualifizierten Jūdō-Lehrern entwickelte schnell und angemessen zu reagieren. Ein Jūdō-Kampf muss als sich jedoch bereits vor dem Zweiten Weltkrieg in Japan immer mehr echter Kampf betrachtet werden, und das Ziel ist, diesen unmittelbar ein defensiver Kampfstil mit breitem Stand und vorgeneigtem Ober- zu gewinnen. körper. J. KANō kritisierte die Entwicklung heftig und bezeichnete sie als „Desorientierung“ des Randori. Er bestand darauf, dass das (4) Die Reihenfolge des Lernens sollte erst Tachi-waza und dann Ne- ursprüngliche Randori des Kōdōkan wieder vermehrt vermittelt wer- waza sein, wenn man beides befriedigend lernen will. Wer versucht, den sollte. zuerst Ne-waza zu meistern, wird später Probleme haben, Tachi-waza zu lernen. Fast schon zwangsläufig wurde darüber hinaus mit dem Auftauchen anderer Kampfkünste in den 1920er- und 1930er-Jahren (z.B. G. (aus „Jūdō Kyōhon“ von 1931, übersetzt ins Deutsche vom Verfasser ENNET FUNAKOSHI/Karate, M. UESHIBA/Aikidō) die Frage nach der Eignung aus einer englischen Übersetzung von A. B - s. Literatur) von Jūdō als Kriegskunst („bujutsu toshite no jūdō“) virulent. Jūdō drohte seine führende Stellung im Bereich der Kampfkünste zu ver- Literatur (Auswahl) lieren, was KANō durch vermehrte Anstrengungen - z.B. zahlreiche BENNETT, ALEX: Jigorō Kanō and the Kōdōkan - an innovative Response to Veröffentlichungen zum Thema - zu verhindern versuchte. Modernisation, Kōdōkan Jūdō Institute, 2009

Diskussion um die Integration von Atemi-waza in Randori DAIGO, TOSHIRō: Wurftechniken des Kōdōkan Jūdō, Verlag Dieter Born, 2009 Einer der Kritikpunkte am Jūdō war die Vernachlässigung der Ate- KANō, JIGORō: Kōdōkan Jūdō, Verlag Dieter Born, 2007 mi-waza und damit der Kampfdistanzen jenseits der „Griffdistanz“. NIEHAUS, ANDREAS: Leben und Werk Kanō Jigorōs (1860-1938), Ergon-Verlag, Atemi-waza wurden zwar weiterhin vor allem im Rahmen der Kime- 2003 no-Kata geübt, jedoch nicht im für das Kampftraining effektiveren WATSON, BRIAN N.: Jūdō Memoires of Jigorō Kanō, Trafford-Verlag, 2008 Randori. Daher wurden gegen Ende der 1920er-Jahre Überlegungen angestellt, ob und wie Atemi-waza in das Randori integriert werden könnten. Letztlich wurde dies aber nicht realisiert. Weitere Informationen hierzu folgen in einem kommenden Beitrag zu den Atemi-waza des Kōdōkan-Jūdō.

Anstelle einer Zusammenfassung: J. KANō über die essentiellen Punkte beim Randori (1) Die fundamentale Körperhaltung ist Shizen-hontai („natürliche Grundstellung“) und muss es auch bleiben. Diese grundlegende na- Anmerkung zu den Fotos: Aufgrund der damals verfügbaren Fototechnik türliche Haltung ist nicht nur die anpassungsfähigste und am schnells- muss davon ausgegangen werden, dass alle Aufnahmen gestellt wurden.

20 der budoka 1-2/2011 Grundwissen der Geschichte des Kōdōkan-Jūdō in Japan

von Wolfgang Dax-Romswinkel

Teil 9: Die Kōdōkan-Methoden – Verbale Instruktion und Verbreitung der Lehre durch Schrifttum

Einleitung selbstironische Passage, mit der er dies zu untermauern versucht: Heutzutage werden meist Kata, Randori und Shiai als die drei Me- „Unter Ihnen gibt es sicherlich einige Kritiker, die sagen: „Obwohl thoden des Kōdōkan-Jūdō genannt. Dies entspricht jedoch nicht ganz der Sprecher selbst ein Meister im Range eines Shihan des Jūdō ist, dem Konzept JIGORō KANōs, denn einerseits war der Wettkampf (Shi- warum spricht er dann so ungeschickt?“ Diesen möchte ich entgegen ai) nichts anderes als eine Sonderform des Randori und andererseits halten, dass ich eigentlich noch schlechter spreche, aber durch das war die verbale Instruktion, also die Vermittlung durch Sprache, eine Jūdō-Training schon Fortschritte gemacht habe“ (zitiert aus Niehaus seiner Hauptmethoden. 2003, S. 345). Mündliche und schriftliche Lehre im traditionellen Jūjutsu Kōgi und Mondō: Grundformen verbaler Instruktion (Koryū-Jūjutsu) KANō unterschied zwei grundsätzliche Formen verbaler Instruktion: Wie bereits in der ersten Folge dieser Reihe erläutert, gab es schon in den Vortrag (Kōgi) und das Lehrgespräch (Mondō). den traditionellen Schulen des Jūjutsu Formen systematischer münd- licher Lehre (Kuden) und schriftlicher Überlieferung (Densho). In Vorträge wurden zu KANōs Zeit nicht nur sporadisch innerhalb von den Genuss von Kuden und Densho kamen aber nur die am weites- Übungsstunden gehalten, sondern waren fester Teil des Curriculums ten fortgeschrittenen Schüler, da die Unterweisung in den Kuden und des Kōdōkan. Die Themen der Vorträge waren überaus vielfältig. Sie die Aushändigung der Densho die letzten Schritte auf dem Weg zum waren zum Teil unmittelbar auf das Verstehen von Jūdō-Techniken Meister der Schule waren. Diese Exklusivität der Lehre diente auch bezogen, teilweise wurde aber auch über allgemeine Fragen der Le- der Vertraulichkeit der Geheimnisse der jeweiligen Schule. bensgestaltung referiert. Das Vermitteln der Techniken der Schulen (genauer: der Kata, in de- Hebelgesetze, Gleichgewicht, Physiologie, Anatomie - die physika- nen die Techniken festgelegt waren) erfolgte traditionell weitgehend lischen und biologischen Grundlagen, auf denen die Funktion der ohne verbale Erläuterungen durch Vormachen und „spüren lassen“. Techniken beruht, sollten zum besseren Verständnis der Techniken Dahinter stand auch die Idee, dass sich ein Verständnis in erster Linie „en passant“ mit vermittelt werden. Damit wurde Jūdō nicht nur zu durch praktische Erfahrungen mehr oder weniger von allein ergeben einem Gegenstand theoretischer Betrachtungen, sondern gleichzeitig würde. auch zu einem Anlass für die Vermittlung naturwissenschaftlicher Sachverhalte. KANō war davon überzeugt, dass dieses Vorgehen zu Ein besonders eindrucksvolles Beispiel für diese Methode schildert einem schnelleren Lernfortschritt sowohl in Theorie wie auch in der JIGORō KANō, der einmal seinen Lehrer H. FUKUDA nach einer Tech- Praxis führt. Mit dieser Haltung setzte er sich deutlich von den tradi- nik gefragt hatte, und dieser ihn - trotz mehrfacher Wiederholung tionellen Lehrmethoden des Jūjutsu ab. der Fragen - ohne jegliche Erklärungen daraufhin so lange mit dieser Ein Vortrag ist aber eine „verbale Einbahnstraße“. Aus diesem Technik geworfen hat, bis KANō verstand, wie sie funktioniert (vgl. Anmerkung 1). Grund führte KANō auch das Lehrgespräch (Mondō) als Methode des Kōdōkan-Jūdō ein. Andeutungsweise ist dies schon im oben aufge- JIGORō KANō über Sprache im Jūdō-Unterricht führten Zitat über die Sprache im Jūdō-Untericht enthalten, wo KANō die Notwendigkeit folgerichtigen Sprechens bei Fragen oder Erörte- Bereits in seinem berühmten Vortrag von 1889, bei dem KANō das rungen betont. Kōdōkan-Jūdō umfassend vorstellte, betonte er die Bedeutung der Sprache bei der Vermittlung: Die Lehrer waren daher angehalten, ihren Schülern Fragen zu stellen, um sich zu vergewissern, dass sie das Vermittelte auch wirklich ver- „Als nächstes komme ich zur Sprache. Sie ist bei der Schulung sehr standen hatten. Inwieweit KANō bereits daran dachte, dass der Vor- wichtig. Ob ich nun beim Randori oder bei den Kata allgemeine Me- gang der Verbalisierung von komplexen Sachverhalten allein schon thoden mit Worten erkläre, so werden mich die Zuhörer nicht verste- zu einem besseren Verständnis führen kann, ist nicht bekannt. Ver- hen, wenn ich nicht folgerichtig und leicht verständlich spreche. Es wunderlich wäre es jedoch nicht, da er ein ausgewiesener Experte in ist nicht gut, eine Technik einfach nur Schritt für Schritt in der Praxis pädagogischen Fragen war (vgl. Anmerkung 3). zu zeigen. Mitunter muss man etwas anschreiben oder erklären. Das Verstehen ist ein anderes, wenn ich die Technik nicht nur vorführe, Auf der anderen Seite sollten die Schüler - was einer Revolution in sondern sie währenddessen auch erläutere. Aber deutlich und klar den Kampfkünsten gleichkam - nicht nur Fragen beantworten, son- sprechen zu können, hat sehr viele Vorteile, ob man nun nach Punk- dern auch die Möglichkeit haben, ihren Lehrern Fragen aller Art zu ten fragt, die man nicht versteht, oder diese gegenseitig gründlich stellen, die diese dann zu beantworten hatten. erörtert. Deshalb achtet man beim Jūdōtraining darauf, folgerichtig und einleuchtend zu sprechen“ (zitiert aus Niehaus 2003, S. 345, s.a. Vielfältige Bedeutung der verbalen Instruktion Anmerkung 2). Die Lernenden waren also permanent aufgefordert, sich ihre eigenen Gedanken zu machen und im wahrsten Sinne des Wortes Jūdō zu In dieser Passage bezog sich KANō zunächst nur auf die Effizienz der Vermittlung von Techniken, jedoch war Jūdō für ihn nicht nur eine studieren. Aber nicht nur das Erlernen der Techniken sollte durch körperliche Aktivität, sondern auch ein System geistiger Schulung. In Kōgi und Mondō verbessert werden. Einer der wesentlichen Ziele des seinen diesbezüglichen Erläuterungen zum Wert des Jūdō für die Ent- Kōdōkan lag schließlich von Beginn an in der geistig-moralisch-in- wicklung des Intellekts betonte er im selben Vortrag noch ergänzend, tellektuellen Schulung, deren Bedeutung KANō immer wieder bekräf- dass durch Jūdō die Fähigkeit, sich sprachlich auszudrücken, verbes- tigte. sert würde. Prägnant ist die auf das obige Zitat unmittelbar folgende

26 der budoka 3/2011 KANō war sich darüber bewusst, dass Praxis im Dōjō alleine keinen Verbreitung der Lehre durch Schrifttum Automatismus beinhaltet, diese geistigen Ziele des Jūdō mit den Schülern zu erreichen. Von daher nahmen Verhaltensregeln außer- JIGORō KANō war aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit und seiner halb des Dōjō, Ernährungsgewohnheiten, gute und schlechte Manie- zahlreichen Ehrenämter sehr viel innerhalb Japans und auch im Aus- ren, Umgang mit anderen Menschen usw. einen breiten Raum inner- land unterwegs. Daher war er oft längere Perioden nicht in Tokyō, so halb von Kōgi und Mondō ein. In der heutigen Sprache würde man dass andere seine Lehrverpflichtungen übernehmen mussten. Außer- sagen, dass Kōgi und Mondō die Hauptsäulen der Wertevermittlung dem verbreitete sich Jūdō ab Ende der 1890er Jahre rasch innerhalb durch Jūdō waren. Japans, so dass KANō sich veranlasst sah, seine Lehren in zahlreichen Aufsätzen niederzuschreiben. Der ideale Jūdō-Lehrer JIGORō KANō hat auf diese Weise mehrere Hundert Artikel zu allen Um KANōs Anspruch an das Kōdōkan-Jūdō einzulösen, ein System möglichen Fragen von Jūdō und Erziehung, aber auch über Politik, zu einer umfassenden Persönlichkeitsentwicklung in körperlicher wie Alltag und Gesellschaft hinterlassen. Die Sammlung seiner kom- geistiger Hinsicht zu sein, bedurfte es entsprechend professioneller pletten Schriften umfasst mehrere tausend Seiten und ist auf japa- Jūdō-Lehrer, für deren Aus- und Weiterbildung sich KANō zeitlebens nisch seit einigen Jahren als Sammelband erhältlich. Erstaunlich we- engagierte. In einem berühmten und sehr eindringlichen Zitat mahnte nig findet sich übrigens von ihm über einzelne Techniken oder Kata er an, dass praktische Fähigkeiten alleine keinen idealen Jūdō-Lehrer des Jūdō. Auch hat er nur ein einziges Jūdō-Buch geschrieben – und ausmachen: das erst als ca. 70-Jähriger. „Der ideale Jūdō-Lehrer benötigt folgende Eigenschaften. Er Muss Die Zeitschriften litten immer wieder unter finanziellen Schwierig- Angriffs- und Verteidigungstechniken mit Hingabe trainiert haben. keiten, was KANō aber nicht davon abhalten konnte, bei Problemen Er muss selbstverständlich die waffenlosen Techniken beherrschen, stets neue Anläufe zur Finanzierung zu nehmen. Dies ist auch als aber auch Fertigkeiten mit dem Langstock und dem Schwert besit- Indiz dafür zu sehen, welche Bedeutung KANō der öffentlichen Ver- zen. Weiterhin besitzt er Kenntnisse über die Theorie des Kampfes breitung der theoretischen Aspekte des Jūdō beimaß - was einen wei- und gleichzeitig das Wissen, das er als Leibeserzieher benötigt, sowie teren gravierenden Unterschied zu den traditionellen Jūjutsu-Schulen Fertigkeiten in der Methode der Leibeserziehung. Als Erzieher hat deutlich macht. er fundierte Kenntnisse in der Moralerziehung (...) Überdies besitzt er tiefes Wissen über die Anwendung der Jūdō-Prinzipien im gesell- Ein konkretes Beispiel: Seminare für Hochgraduierte schaftlichen Leben. Ein Mensch, der diese verschiedenen Gebiete KIYOICHI TAKAGI (9. Dan) beschrieb im Jahr 1957 seine Erinnerungen beherrscht, ist ein besonders herausragender Pädagoge“ (zitiert aus an einen Unterricht mit JIGORō KANō. Seine Erinnerungen sollen zum Niehaus 2003, S. 222). Abschluss der Abhandlungen über die Methoden des Kōdōkan-Jūdō In dieser Passage wird sehr deutlich, dass dem Jūdō-Lehrer erzie- aus dem Band 2 der „Wurftechniken des Kōdōkan-Jūdō“ von TOSHIRō herische Aufgaben zukommen, die weit über das engere Vermitteln DAIGO (10. Dan) zitiert werden. von Fertigkeiten des Kämpfens hinaus gehen. Um diesen Aufgaben „Kanō-shihan hat in den ein, zwei Jahren vor seinem Tod häufig in gewachsen zu sein, benötigt er neben praktischem Können auch eine dem Forschungs-Dōjō im dritten Stock Technik-Seminare der Hoch- solide theoretische und methodisch-didaktische Ausbildung, für die graduierten durchgeführt. Wenn der Shihan selbst daran teilgenom- KANō in seiner Eigenschaft als Direktor der Höheren Lehrerbildun- men hat, hatten wir immer Angst davor, dass er sagte »So, irgend- ganstalt in Tokyō sorgte. Dort richtete er zum Beispiel dreijährige jemand erklärt jetzt irgendeine Technik!« aber zugleich waren wir Studiengänge für Jūdō-Lehrer ein, die teilweise auch im Dōjō des dann auch sehr glücklich. Denn dann stellten wir uns vor, wie es war, Kōdōkan durchgeführt wurden. Darüber hinaus setzte sich KANō auch als der Shihan jung war und er die von Kindheit an bei ihm trainie- für eine angemessene Bezahlung der Jūdō-Lehrer ein. renden Tomita und Saigo zusammengerufen und er sich intensiv um sie bemüht und mit ihnen studiert hatte.

JIGORō KANō demonstriert und erläutert eine Technik am Kōdōkan. Man sieht sehr schön, dass seine rechte Hand nicht am Ärmel gegriffen hat, sondern er mit dem Zeigefinger zum wich- tigen „Knackpunkt“ - mutmaß- lich der Gleichgewichtsbruch nach hinten über die Ferse - deu- tet. Der Blick ist zu den Schülern gerichtet. Vielen Schilderungen zu Folge war KANō ein Meister der Verbindung von mündlicher Erklärung und praktischer Demonstration.

Es gibt nur sehr wenige Aufnah- men von JIGORō KANō, die ihn in einem Jūdōgi zeigen. Er selbst bevorzugte im Dōjō traditionelle japanische Kleidung wie sie auf dem Bild zu sehen ist.

der budoka 3/2011 27 Obwohl sich die Zeiten mittlerweile geändert hatten, war aufgrund Persönliche Anmerkungen des langen Lebens des Shihans erneut eine solche Gelegenheit ge- kommen und selbst Leute wie ich und andere konnten daran teilneh- (1) Die Beschreibung der Szene findet sich u.a. in B. WATSONS „Jūdō- men, wodurch wir eine außerordentliche Freude, zugleich aber auch Memoires of JIGORō KANō“ (siehe Literatur) unter der Überschrift eine enorme Verantwortung, die damit verbunden war, spürten. „Pain is a good teacher“. Eines Abends forderte der Shihan mich auf: »Takagi, Du erklärst (2) Im Zitat wurde der vom Übersetzer gewählte Begriff „Form“ jetzt Hiza-guruma!« Da dies meine Spezialtechnik war, bin ich in die durch „Technik“ bzw. „Kata“ ersetzt. Mitte des Dōjō gegangen und habe gesagt ...“ (3) JIGORō KANō war über zwei Jahrzehnte lang Direktor der Höheren Lehrerbildungsanstalt in Tokyō, die für die Ausbildung von Mittel- Im weiteren Verlauf des Textes schildert TAKAGI seine damaligen Er- läuterungen zum Hiza-guruma und vor allem die Korrekturen und schullehrern verantwortlich war. Damit war er ein ausgewiesener Ex- perte in pädagogischen und methodisch-didaktischen Fragen. Hinweise, die er von JIGORō KANō erhielt. An dieser kurzen Passage wird in wunderbarer Weise deutlich, dass (4) Die wichtigsten Zeitschriften, in denen KANō publizierte, waren „Kokushi“, „Jūdō“, „Sakkō “ und „Yūkō-no-Katsudō“. Herausge- KANō seine Rolle als Lehrer nicht automatisch als „Top-down“-Ver- mittler gesehen hat. Er hat in diesem Beispiel erst den Schüler erklä- ber waren jeweils von KANō gegründete Vereinigungen und Gesell- ren lassen und dann eingegriffen und ergänzt - mit heutigem Sprach- schaften, die eng mit dem Kōdōkan verbunden waren. gebrauch „dort abgeholt, wo er war“. (5) Die Beschreibung von Jūdō-Techniken in diesen Magazinen oder Zusammenfassung: Kōdōkan-Methode(n) im Überblick in Büchern erfolgten in erster Linie durch hochgraduierte Meister des Kōdōkan, wie z.B. Y. YAMASHITA, H. NAGAOKA oder H. ISOGAI - dies Die gleichzeitige Vermittlung von Theorie und Praxis für alle Schüler waren die drei ersten Träger des 10. Dan in der Jūdō-Geschichte - und von Anfang an durch einen Mix von Methoden der praktischen Übung anderen. (Kata, Randori) und der verbalen Instruktion (Kōgi, Mondō) ist einer der großen Schritte vom traditionellen Jūjutsu zum Kōdōkan-Jūdō. (6) JIGORō KANōs Vorstellungen vom Jūdō-Unterricht waren sehr Theoretische Kenntnisse sollten nicht mehr nur einem kleinen Kreis idealistisch und man darf nicht den Fehler machen, zu glauben, dass von Meistern vorbehalten und „geheim“ bleiben, sondern allgemein dies alles wie beschrieben umgesetzt wurde. Im Gegenteil: In KANōs zugänglich sein. Schriften finden sich auch reichlich kritische Äußerungen zur (da- mals) aktuellen Situation - was ihn aber nicht davon abgehalten hat, Da Kōdōkan-Jūdō ein System zur körperlichen und geistigen Schu- an seinen Visionen und Idealen festzuhalten. lung sein sollte, musste es darüber hinaus auch Methoden geben, die diesen Anspruch einlösen konnten. Verbale Instruktion war auch aus Literatur (Auswahl) diesem Grund unerlässlich. Dargestellt in einer Matrix wird das Me- thodenkonzept KANōs deutlich: BENNETT, ALEX: Jigorō Kanō and the Kōdōkan - an innovative Response to Modernisation, Kōdōkan Jūdō Institute, 2009 „gebunden“ „frei“ DAIGO, TOSHIRō: Wurftechniken des Kōdōkan Jūdō, Band 1, Verlag Dieter Born, 2009 Praxis Kata Randori DAIGO, TOSHIRō: Wurftechniken des Kōdōkan Jūdō, Band 2, Verlag Dieter Theorie Kōgi (Vortrag) Mondō (Dialog) Born, in Vorbereitung

KANō, JIGORō: Kōdōkan Jūdō, Verlag Dieter Born, 2007 Wichtig: So wie Kata und Randori ein Spektrum von praktischen NIEHAUS, ANDREAS: Leben und Werk Kanō Jigorōs (1860-1938), Ergon-Verlag, Übungsformen charakterisieren, beschreiben Kōgi und Mondō ein 2003 Spektrum von Kommunikationsformen bei der mündlichen Unter- weisung. Sinnvolle Zwischenformen sind jederzeit möglich. WATSON, BRIAN N.: Jūdō Memoires of Jigorō Kanō, Trafford-Verlag, 2008 Ein wesentliches Element des Unterrichts ist nach dem Konzept KANōs die Eigenaktivität der Lernenden, die immer wieder durch den Lehrer angeregt werden soll.

JIGORō KANō 1933 in Berlin: Er gibt deutschen Übenden einige Erläuterungen zum Jūdō (aus KANō, JIGORō: Kōdōkan Jūdō, Verlag Dieter Born, 2007)

28 der budoka 3/2011 Grundwissen der Geschichte des Kōdōkan-Jūdō in Japan

von Wolfgang Dax-Romswinkel

Teil 10: Die Entwicklung der Nage-waza des Kōdōkan-Jūdō

Einleitung - Der günstigste Moment anzugreifen ist der, wenn der Gegner für einen kurzen Moment sein Gleichgewicht nicht vollständig kontrol- Diese und die kommenden zwei Folgen unserer Reihe beschäftigen lieren kann. sich mit der Entwicklung und Systematisierung des technischen Re- - Der Gegner ist umso leichter zu werfen, je kleiner die Fläche ist, auf pertoires des Kōdōkan-Jūdō, namentlich mit den drei großen Tech- der sein Gewicht ruht. nikgruppen Nage-waza (Wurftechniken), Katame-waza (Halte-/ - In unterschiedlichen Stadien der Gewichtsverlagerung beim Gehen - Hebel-/Würgetechniken) und Atemi-waza (Schlag-/Stoß-/Tritttech- also bei Bewegungen des Schwerpunkts des Gegners - ergeben sich niken), die jeweils bereits in den traditionellen Jūjutsu-Stilen (Koryū- Chancen, dessen Gleichgewichtskontrolle zu stören. Jūjutsu) existierten. - Das Gleichgewicht kann am leichtesten in die Richtung gebrochen JIGORō KANō und - was nicht vergessen werden darf - hervorste- werden, in die sich der Gegner selbst bewegt oder in die er zieht oder chende Schüler wie Y. YAMASHITA, H. NAGAOKA u.v.a. - haben die schiebt. Wurftechniken des traditionellen Jūjutsu systematisch untersucht, - Durch Ziehen/Schieben/Drücken des Gegners lassen sich Reakti- verfeinert und daraus die Wurftechniken des Kōdōkan-Jūdō geformt. onen provozieren, die dann zu einem Gleichgewichtsbruch ausge- Viele Techniken wurden von den alten Schulen in modifizierter Form nutzt werden können. übernommen, einige wurden fallen gelassen, andere von Grund auf - Das Gleichgewicht kann auf die beiden zuvor beschriebenen Wei- neu entwickelt. sen in alle Richtungen - er selbst definierte mit dem Happō-no-Kuzu- shi-System acht Richtungen - gebrochen werden. Grundlegende Theorie der Kōdōkan-Wurftechniken - Durch systematische Ausnutzung der Hebelgesetze lässt sich große Kraft mit kleiner Kraft kontrollieren und überwinden. Wie schon in Folge 5 zu den technischen Prinzipien des Kōdōkan- Jūdō ausführlich erläutert, war die Entdeckung und Untersuchung Ausdifferenzierung und Verfeinerung der Wurftechniken des Kuzushi als entscheidender Teil der Wurfvorbereitung (Tsukuri) der wichtigste Meilenstein bei der Verfeinerung der Wurftechniken. Einen kleinen Einblick in die damaligen Prozesse der Technikent- J. KANō hat eine Theorie des Werfens entwickelt, die zusammenfas- wicklung gibt uns JIGORō KANō selbst. Befragt wurde er von Kazuzō send durch folgende Leitsätze charakterisiert werden kann: KUDō (später 9. Dan), der den Inhalt des Gesprächs auch niederge- schrieben und 1930 veröffentlicht hat.

KANō: »Als ich selbst früher Tenjin Shin’yō-ryū und Kitō-ryū gelernt habe, habe ich beim Randori in der Praxis solche Sachen gemacht wie den Partner durch Fegen mit dem Fuß umzuwerfen.«

KUDō: »Sensei, welches war denn dann die erste Fußtechnik (Ashi- waza), die Sie entwickelt haben? War das De-ashi-harai?«

KANō: »De-ashi-harai, Ko-soto-gari und Sasae-tsurikomi-ashi waren zusammen als erstes da.«

KUDō: »Kann man also auch sagen, dass De-ashi-harai die allererste Technik war?«

KANō: »Nein – wenn ich sage, dass De-ashi-harai, Ko-soto-gari und Sasae-tsurikomi-ashi zusammen als erstes da waren, muss ich hierzu wohl noch beträchtliche Erklärungen machen, da es sonst nicht zu verstehen ist. Wie eben schon erzählt, habe ich früher, als ich selbst Tenjin Shin’yō-ryū und Kitō-ryū gelernt habe, in dem Moment, wo sich der Partner nicht mehr in einem stabilen Zustand befand, mit dem Fuß gefegt und ihn so umgeworfen. Auch der Sensei des Dōjō hatte das so gemacht. Aber nach und nach, je länger ich trainierte, habe ich mir den Kopf darüber zerbrochen, ob denn nicht irgendein Prinzip dahinter stecken könne. Dabei habe ich erkannt, dass im Randori dann, wenn man den Partner schiebt oder zieht, in dem Moment, wo sich der Körperschwerpunkt des Partners beginnt von einem Fuß auf den anderen zu verlagern, dadurch, dass man diesen Fuß fegt oder sichelt, der Partner ziemlich einfach umgeworfen wer- den kann. Des Weiteren: wenn man diesen Fuß blockiert und in die entgegen gesetzte Richtung zieht, kann der Partner leicht aus dem Gleichgewicht gebracht und umgeworfen werden. (...) Auf diese Wei- se habe ich De-ashi-harai, Ko-soto-gari und Sasae-tsurikomi-ashi, ohne diese Techniken so wie heute üblich zu unterscheiden, einfach Jūdōgi in der Meiji-Zeit: Trainingsszene um die Jahrhundertwende in entsprechend der jeweiligen Situation abgeändert und angewendet. Kyōto. Man trainierte in Jacken mit kurzen Ärmeln und kurzen Hosen. (aus DAIGO, TOSHIRO: Wurftechniken des Kōdōkan-Jūdō, Band 2, in Schön zu erkennen ist auch die Einheitsgröße der Jacken. (Quelle: Bildar- Vorbereitung) chiv Dieter Born)

28 der budoka 4/2011 Die besagten Wurftechniken, so wie wir sie heute unterscheiden, entstanden demnach durch situationsgerechte Anpassung von rela- tiv einfachen und pragmatischen Wurfideen, die - wie der Hinweis auf den Sensei und die Abbildungen rechts deutlich machen - auch vorher schon bekannt waren. Die Anwendungssituationen wurden analysiert, die Techniken daraufhin verfeinert, und dabei gewonnene Erkenntnisse flossen wieder in die Theoriebildung zurück. So ergab sich eine Wechselwirkung zwischen praktischer Erprobung und der Entwicklung theoretischer Ideen, was KANō übrigens bereits 1889 darstellte. Diesem Prozess maß er sogar explizit einen hohen Wert bei der Ausbildung des Verstandes durch Jūdō bei (vgl. Folge 4: Ziele des Kōdōkan-Jūdō in den Gründungsjahren). Wenn also im Rahmen derartiger Überlegungen und Studien im De- tail ein etwas anderes Wurfprinzip erkannt wurde, führte dies zu ei- ner Ausdifferenzierung von Ursprungstechniken in unterschiedliche „neue“ Techniken, die dann auch einen neuen Namen erhielten. So entwickelten sich z.B. aus einem allgemeinen „Ashi-harai“, eine Bezeichnung, die in älteren Texten häufig auftaucht, die Techniken De-ashi-harai, Okuri-ashi-harai und Harai-tsurikomi-ashi. Die Aus- differenzierung der Hüftwürfe oder der Yoko-sutemi-waza sind wei- tere Beispiele. Ashi-waza „De-ashi-harai, Ko-soto- Erste systematische Einteilung der Wurftechniken gari und Sasae-tsuri-komi- Schon in seinem berühmten und häufiger erwähnten Vortrag von ashi waren zusammen als erstes da“: Diese Aussage 1889 stellte JIGORō KANō eine Einteilung der Wurftechniken vor. KANōS wird nachvoll- „... es gibt so viele Würfe, dass ich nicht alle erklären kann. Nimmt ziehbar, wenn man diese beiden Techniken aus der man der Zweckmäßigkeit halber eine Unterscheidung vor, kann man Tenjin Shin’yō-ryū (veröf- wohl fünf Arten unterscheiden. fentlicht 1896) anschaut. Grundsätzlich waren Bei den Handwürfen setzt man hauptsächlich die Hände ein, bei den Techniken, bei denen Hüftwürfen die Hüfte, bei den Fußwürfen die Füße. Bei den wahren Tori mit seinem linken Rückfallwürfen wirft man, indem man sich direkt nach hinten fallen Fuß Ukes rechten Fuß lässt. Bei den Seitrückfallwürfen wirft man, indem man sich seitlich von außen her angreift, fallen lässt.“ (NIEHAUS 2003, S. 284) bekannt - jedoch wurden nach KANōS Aussage erst Bemerkenswert: Bereits sieben Jahre nach Gründung des Kōdōkan später durch Variation ist die heute noch gültige Einteilung der Wurftechniken in Te-waza, des Angriffszeitpunkts und der Wurfrichtung die Koshi-waza, Ashi-waza, Ma-sutemi-waza und Yoko-sutemi-waza do- heutige Differenzierung kumentiert! der Ashi-waza erarbeitet.

Gokyō-no-waza von 1895 (Bild oben: DAIGO Bd. 1 2009, Bild unten: DAIGO Bd. 2, 2011 i.V.) Bereits in den ersten Jahren des Kōdōkan war das Repertoire an Wurf- techniken im Vergleich zu den meisten traditionellen Jūjutsu-Schulen beachtlich. Die hinter dieser Vielfalt stehende kreative Leistung kann nur als enorm bezeichnet werden. Da auch die Mitgliederzahlen ge- gen Ende des 19. Jahrhunderts stark anstiegen, gab es zunehmend die 4. Stufe (10 Techniken): Uki-otoshi, Uki-waza, Daki-wakare, Kata- Notwendigkeit, über eine systematische Vermittlung der Wurftech- guruma, Hikikomi-gaeshi, Soto-maki-komi, Tsuri-goshi, Utsuri-go- niken nachzudenken. shi, -soto-otoshi, Tawara-gaeshi Als Ergebnis dieser Überlegungen wurden 1895, nur 13 Jahre nach 5. Stufe (11 Techniken): Yoko-guruma, Yoko-wakare, Uchi-maki- Gründung des Kōdōkan, 42 Wurftechniken als „Gokyō-no-waza“ komi, Ko-uchi-gari, Ashi-guruma, Seoi-otoshi, Yoko-gake, Harai- - wörtlich: go=fünf Kyō=(Lehr-)Stufen no-waza=der Techniken tsuri-komi-ashi, Yama-arashi, -soto-guruma, Tsuri-komi-goshi - zusammengestellt. Während die bisherige Einteilung in Te-Waza, Im Gegensatz zur heute gültigen Gokyō-no-waza, die das Ergebnis Ashi-waza usw. der Funktionsweise der Techniken folgte, war der einer Überarbeitung im Jahr 1920 ist (s.u.), ist die Anzahl der Tech- Grundgedanke der Gokyō-no-waza ein methodisch-didaktischer. Die niken in den einzelnen Stufen unterschiedlich und in jeder Gruppe Wurftechniken sollten demnach ungefähr in der Reihenfolge unter- befindet sich mindestens eine Te-, Koshi-, Ashi- und Sutemi-waza. richtet werden, wie sie in der Gokyō-no-waza aufgeführt waren. Nach welchen Gesichtspunkten tatsächlich im Detail vorgegangen Veränderte Jūdōgi beeinflussen die Entwicklung der Nage-waza wurde, ist heute nicht mehr bekannt. Als sicher erscheint jedoch, dass Das Randori in der Frühzeit war offensichtlich noch nicht so kon- die Häufigkeit und Bedeutung der Anwendung im Randori ein we- sequent auf Shizen-hontai und den heute üblichen „Ärmel-Kragen- sentlicher Gesichtspunkt war. Griff“ ausgerichtet. Dies wäre so auch gar nicht möglich gewesen, Die Gokyō-no-waza von 1895 bestand aus folgenden Techniken: denn damals trainierte man noch in kurzen Hosen (siehe Bild links auf der gegenüberliegenden Seite) und vor allem in kurzärmligen Ja- 1. Stufe (7 Techniken): Hiza-guruma, Sasae-tsuri-komi-ashi, Uki-go- cken. Die Verlängerung der Ärmel und der Hosenbeine erfolgte erst shi, Tai-otoshi, -soto-gari, De-ashi-harai, Yoko-otoshi kurz nach der Jahrhundertwende um das Jahr 1907, in erster Linie zur Reduktion von Verletzungen (Hautabschürfungen!). 2. Stufe (7 Techniken): Sumi-gaeshi, -goshi, Ko-soto-gari, Koshi- guruma, Seoi-nage, Tomoe-nage, Tani-otoshi Durch die verlängerten Ärmel veränderte sich auch das Randori. Es ergaben sich mehr Gelegenheiten für Ashi-waza und Koshi-waza. 3. Stufe (7 Techniken): Okuri-ashi-harai, Harai-goshi, Ushiro-goshi, Gleichzeitig trat der Griff in den Gürtel und unter der Achsel auf Ura-nage, Uchi-mata, Obi-otoshi, Hane-goshi das Schulterblatt - ähnlich wie bei Sumi-gaeshi und Uki-waza in der Nage-no-Kata - in den Hintergrund.

der budoka 4/2011 29 Revision der Gokyō-no-waza 1920 Außerdem fällt auf, dass Techniken, bei denen der Gürtel gefasst wird (Obi-otoshi, Hiki-komi-gaeshi) und Techniken, bei denen Ukes Die Entwicklung neuer Techniken und die veränderte Bedeutung vie- Oberkörper umschlungen wird (Daki-wakare, Tawara-gaeshi) her- ler „alter“ Techniken im Randori führten zur Einsetzung einer Ar- ausgenommen wurden. Beides deutet ebenfalls auf den veränderten beitsgruppe um Y. YAMASHITA, H. NAGAOKA, K. MIFUNE u.a., die die Randori-Stil mit konsequentem „Ärmel-Kragen-Griff“ und Shizen- Gokyō-no-waza nach nur 25 Jahren einer Revision unterzogen. hontai hin. Als Ergebnis wurden acht Techniken aus der Gokyō-no-waza heraus- genommen - nicht aber aus dem technischen Repertorie des Kōdōkan Bedeutung der Gokyō-no-waza - und sechs neue Techniken eingeführt. Die „neue“ Gokyō-no-waza Die Wurftechniken sollen gemäß Kōdōkan nach wie vor ungefähr in ist bis heute, also seit über 90 Jahren (!) gültig und besteht aus fol- der Reihenfolge unterrichtet werden, wie sie in der Gokyō-no-waza genden Techniken: aufgeführt sind. Ungefähr heißt aber nicht strikt, wie es oft im Wes- 1. Stufe: De-ashi-harai, Hiza-guruma, Sasae-tsuri-komi-ashi, Uki- ten verstanden wurde, und so gibt auch es keinerlei Anzeichen dafür, goshi, -soto-gari, -goshi, -uchi-gari, Seoi-nage dass in Japan jemals besonders streng nach der Gokyō-no-waza unter- richtet worden wäre (zu dieser Diskussion siehe Anmerkung 5). Auch 2. Stufe: Ko-soto-gari, Ko-uchi-gari, Koshi-guruma, Tsuri-komi-go- ist die Gokyō-no-waza in Japan im Gegensatz zum Westen zu keinem shi, Okuri-ashi-harai, Tai-otoshi, Harai-goshi, Uchi-mata Zeitpunkt Grundlage für Kyu- oder Dan-Prüfungen gewesen. 3. Stufe: Ko-soto-gake, Tsuri-goshi, Yoko-otoshi, Ashi-guruma, Insofern kann man nur festhalten, dass als Folge der Entwicklungen Hane-goshi, Harai-tsuri-komi-ashi, Tomoe-nage, Kata-guruma im Randori die Ashi-waza und Koshi-waza populärer wurden und da- 4. Stufe: Sumi-gaeshi, Tani-otoshi, Hane-maki-komi, Sukui-nage, her vorwiegend in den unteren Stufen der Gokyō zu finden sind, wäh- Utsuri-goshi, -guruma, Soto-maki-komi, Uki-otoshi rend Sutemi-waza ausschließlich in den höheren Stufen vorkommen. Die Te-waza sind relativ gleichmäßig über die Stufen verteilt. 5. Stufe: -soto-guruma, Uki-waza, Yoko-wakare, Yoko-guruma, Ushiro-goshi, Ura-nage, Sumi-otoshi, Yoko-gake Ein weiterer Grund für die vielen Ashi-waza in den drei ersten Stufen dürfte die überragende Bedeutung der Ashi-waza für das Kōdōkan- Es ergaben sich im Einzelnen folgende Veränderungen: Jūdō und deren sehr verfeinerte Differenzierung sein.

1920 herausgenommene Techniken 1920 zugefügte Techniken Nage-waza, die nicht in der Gokyō-no-waza enthalten sind Obi-otoshi -uchi-gari Neben den Wurftechniken, die in der Gokyō-no-waza aufgeführt wa- Daki-wakare Ko-soto-gake ren, gab es immer auch weitere Techniken „außerhalb“ der Gokyō- Hiki-komi-gaeshi Hane-maki-komi no-waza, z.B. die acht im Jahr 1920 herausgenommenen Techniken -soto-otoshi Sukui-nage (jap: Habukareta-waza). Die Namen der weiteren Techniken existier- Tawara-gaeshi -guruma ten zumeist „informell“ und erst im Jahr 1954 wurde eine Kommis- Uchi-maki-komi Sumi-otoshi sion eingesetzt, um offizielle Namen festzulegen. Diese veröffentlich- Seoi-otoshi te im Jahr 1982 eine Liste von 17 neu benannten Techniken (jap. Yama-arashi Shinmeishō-no-waza), die im Jahr 1997 noch um zwei Techniken Vergleicht man die Anordnung der Techniken in den fünf Stufen, ergänzt wurde. stellt man eine Verlagerung der Ashi- und Koshi-waza in die nied- Alles in allem führt der Kōdōkan derzeit 67 festgelegte Namen von rigen Stufen und der Sutemi-waza in die höheren Stufen fest. Dies Wurftechniken (neben zahlreichen „gebräuchlichen“ Spitznamen). korrespondiert mit der gewachsenen Bedeutung der Ashi- und der Koshi-waza durch die verlängerten Jackenärmel. Persönliche Anmerkungen:

Besonders deutlich wird diese Entwicklung am Beispiel der Innen- (1) Für JIGORō KANō waren die Nage-waza gegenüber den Katame- sicheln sichtbar: -uchi-gari wurde als neue Technik gleich in die und den Atemi-waza von besonderer Bedeutung. Dies erklärte er u.a. 1. Stufe aufgenommen und Ko-uchi-gari von der 5. Stufe in die 2. damit, dass bei der Ausführung von Wurftechniken der ganze Körper Stufe nach vorne versetzt. Die relativ späte Popularisierung der In- intensiver beteiligt sei als bei den anderen Techniken, so dass ihnen nensicheln ist übrigens einer der Gründe dafür, warum der Kōdōkan aus Sicht der Leibesertüchtigung ein höherer Wert zugesprochen trotz einer späteren sehr feinen Ausdifferenzierung dieser Techniken, werden könne. Von daher erklärt sich auch, dass die Entwicklung und keine neuen Namen für Varianten mit unterschiedlichen Wurfprin- Systematisierung der Wurftechniken konsequenter und umfassender zipien festgelegt hat. erfolgte als die der übrigen Techniken.

Umklammerungen und Seoi-otoshi (1920 herausge- Greifen des Gürtels: nommen): Spezialtechnik (und persönliche Variante) Bis Anfang des 20. Jahr- von M. NANMA („Nanma- hunderts kam das Umklam- otoshi“), veröffentlicht von mern des Gegners und das I. HAJIME 1909, entnommen Greifen des Gürtels zum aus DAIGO 2009, Bd. 1 Werfen aufgrund der kurz- ärmligen Jacken häufiger vor als später, als die Ärmel verlängert wurden. Die Bilder zeigen Beispiele zu Varianten von Seoi-otoshi, Ushiro-goshi, Obi-otoshi, Tawara-gaeshi und Sumi- gaeshi. Sofern diese in der Gokyō-no-waza von 1895 enthaltenen Techniken 1920 nicht herausgenommen Ushiro-goshi (1920 von der 3. in die 5. Stufe wurden, befinden sie sich versetzt): Diese Technik wurde früher oft aus seitdem durchweg in den einer beidarmigen Umklammerung von hinten höheren Stufen. beschrieben. Das Bild wurde ebenfalls von I HAJIME 1909 veröffentlicht und aus DAIGO 2009, Bd. 1 entnommen.

30 der budoka 4/2011 (2) Die Vorgehensweise bei der Verfeinerung der Nage-waza war für zu rekonstruieren. So lassen sich zwar verschiedene interessante Auf- die Kampfkünste geradezu revolutionär: nicht die Überlieferung der fälligkeiten feststellen, deren Historizität jedoch letztlich nur vermu- Schule wurde zum alleinigen Maßstab der Lehre, sondern auch die Er- ten. Was bleibt ist die gar nicht so überraschende Erkenntnis, dass gebnisse eigener systematischer Untersuchungen nach durchaus wis- die Gokyō-no-waza das zu sein scheint, was der Kōdōkan noch heute senschaftlicher Vorgehensweise. Bemerkenswert dabei ist vor allem, darüber sagt: eine Richtlinie über die ungefähre Reihenfolge der Ver- dass JIGORō KANō seine Schüler immer wieder aufforderte, eigene mittlung der Wurftechniken. Studien anzustellen um Fortschritte zu machen. Dies korrespondiert sehr stark mit dem Ziel der Förderung des Intellekts durch Jūdō. (6) Der Umstand, dass in Japan bereits vor dem zweiten Weltkrieg zahlreiche Technikbezeichnungen „informell“ existierten - darunter (3) Obwohl das Spektrum der Wurftechniken bereits in der Frühzeit auch Bezeichnungen aus alten Jūjutsu-Stilen - führte dazu, dass mit des Kōdōkan ausgesprochen vielfältig war, nahmen die Ashi-waza den ersten japanischen Jūdō- und Jūjutsu-Lehrern (z.B. M. KAWAISHI) eine besondere Rolle ein. Sie waren bei den traditionellen Jūjutsu- auch diese Techniknamen in den Westen gelangten und sich hier ein- Schulen als „Füße des Kōdōkan“ besonders gefürchtet und waren ein bürgerten. Weil der Kōdōkan zwischen 1920 und 1982 keine weiteren Markenzeichen der Kōdōkan-Kämpfer in den damaligen Kämpfen Namen offiziell festgelegt hatte, ergaben sich logischerweise nach der zwischen Vertretern des Kōdōkan und anderer (Jūjutsu-)Schulen. Festlegung der Shinmeishō-no-waza im Jahr 1982 Diskrepanzen zu jahrzehntelang im Westen üblichen Bezeichnungen, was auch heute (4) Die überarbeite Gokyō-no-waza von 1920 wird in Deutschland noch regelmäßig zu Verunsicherungen. oft als „Gokyō-no-kaisetsu“ bezeichnet. Dem liegt ein sprachlicher Fehler zu Grunde. Kaisetsu heißt Erläuterung, Gokyō-no-kaisetsu ist Da die Jūdō-Welt im Zuge der Globalisierung (Internet, fremdspra- damit als „Erläuterung der fünf Stufen“ zu übersetzen. Genau das ist chige Bücher/DVDs, Übersetzungen usw.) international immer mehr der Titel zahlreicher Aufsätze in Japan, in denen die Gokyō-no-waza zusammenwächst, plädiert der Verfasser im Interesse einer allgemei- erläutert wurden. Irgendwann wurde wohl fälschlich der Titel dieser nen Klarheit für eine baldige Übernahme der offiziellen Kōdōkan-Be- Aufsätze mit der Zusammenstellung der Techniken verwechselt und zeichnungen in allen Dokumenten der nationalen und internationalen fortan so verbreitet. Verbände. (5) Die Gründe und die Bedeutung der Reihenfolge der Techniken Literatur (Auswahl) in der Gokyō-no-waza von 1920 ist in Jūdō-Kreisen höchst umstrit- Gerade wenn es um die Geschichte der Nage-waza geht, kommt man an dem ten. Während es Gruppierungen gibt, die hinter der Anordnung der Jahrhundertwerk „Wurftechniken des Kōdōkan-Jūdō“ von TOSHIRō DAIGO, 10 Techniken ein ausgefeiltes methodisches Konzept sehen und auch Dan, nicht vorbei. Was hier nur zusammenfassend angerissen werden konnte, verschiedene Theorien dazu anbieten, gibt es Autoren, die die Zu- findet sich in den Bänden der Trilogie für praktisch jede Technik einzeln in sammenstellung der Gokyō-no-waza im Gegenteil als vollkommen Wort und Bild anschaulich dargestellt. willkürlich ohne jeden methodischen Hintergrund betrachten. BENNETT, ALEX: Jigorō Kanō and the Kōdōkan - an innovative Response to Modernisation, Kōdōkan Jūdō Institute, 2009 Aus Sicht des Verfassers sind beide Extrempositionen nicht haltbar. DAIGO, TOSHIRō: Wurftechniken des Kōdōkan Jūdō, Band 1, Verlag Dieter Zum einen finden sich in der Literatur keinerlei tiefer gehende Be- Born, 2009 gründungen zur Anordnung der Techniken und selbst KANō hielt sich DAIGO, TOSHIRō: Wurftechniken des Kōdōkan Jūdō, Band 2, Verlag Dieter z.B. in seinen Unterrichtsempfehlungen für die Mittelschulen nicht Born, 2011 (in Vorbereitung) an Reihenfolge und Gruppenzuordnung. Dies spricht gegen eine zu- KANō, JIGORō: Kōdōkan Jūdō, Verlag Dieter Born, 2007 grunde liegende (Lehr-)Methode. NIEHAUS, ANDREAS: Leben und Werk Kanō Jigorōs (1860-1938), Ergon-Verlag, Des Weiteren sind solche Meinungen problematisch, die eine Anord- 2003 nung der Techniken nach „Schwierigskeitsgrad“ - sei es der Wurfaus- WATSON, BRIAN N.: Jūdō Memoires of Jigorō Kanō, Trafford-Verlag, 2008 führung selbst oder der Fallübungen von Uke - sehen. Einer ganzen Reihe von einleuchtenden Beispielen stehen stets auch Gegenbei- spiele gegenüber. Andererseits gibt es so viele methodische Aspekte, Sumi-gaeshi (1920 von die man nach eingehender Beschäftigung - wenn auch in Ermange- der 2. in die 4. Stufe lung von historischen Quellen nur spekulativ - aus der Anordnung der versetzt): Die Zeichnung Techniken herauslesen kann, so dass von einer willkürlichen Zusam- aus dem Jahr 1915 zeigt die Ausgangssituation für menstellung kaum die Rede sein kann. Sumi-gaeshi in der Nage- Letztlich begibt man sich aber immer in das Reich der Spekulationen, no-Kata und stammt aus der ältesten bekannten wenn man versucht, ohne verlässliche Quellen - und die gibt es nun Beschreibung dieser einmal nicht - eine Begründung für die damals festgelegte Anordnung Kata überhaupt (von Y. YAMASHITA, H. NAGAOKA, K. MURAKAMI)

Obi-otoshi (1920 herausgenommen): Das Bild zeigt Y. YAMASHITA um 1904 in den USA (Quel- le: Y. YAMASHITA Photograph Album (PH 006). Special Collections and University Archives, W.E.B. Du Bois Library, University of Massachusetts Amherst). Obi-otoshi war eigentlich gänz- lich aus dem Bewusstsein der meisten Jdōkas verschwunden, erfährt aber - da sie eine An- griffstechnik der Nage-waza-ura-no-kata ist und auch zu verbindlich zur Prüfung zum 2. Dan demonstriert werden muss - derzeit wieder etwas mehr Aufmerksamkeit.

Tawara-gaeshi (1920 herausgenommen): Das Bild zeigt ebenfalls Y. YAMASHITA um 1904 in den USA (Quelle: Y. YAMASHITA Photograph Album (PH 006). Special Collections and University Archives, W.E.B. Du Bois Library, University of Massachusetts Amherst). Bei der Beurteilung des Bildes muss man sicher beachten, dass aufgrund der damaligen Foto- technik die Aufnahme im wahrsten Sinne des Wortes ein „Standbild“ ist. Tawara-gaeshi wurde später als Konter gegen Morote-gari, der erst später Eingang in die Wurftechniken des Kōdōkan-Jūdō gefunden hat, wieder populär, verschwand aber wieder weitgehend, nachdem aufgrund der Wettkampfregeln meist der Angreifer die Wertung zugesprochen bekam.

der budoka 4/2011 31 Grundwissen der Geschichte des Kōdōkan-Jūdō in Japan

von Wolfgang Dax-Romswinkel

Teil 11: Die Entwicklung der Katame-waza des Kōdōkan-Jūdō

Einleitung: Katame-waza sind nicht nur Bodentechniken Da im Laufe der Zeit viele Schüler und Lehrer anderer Jūjutsu-Schu- len zum Kōdōkan wechselten, fanden auf diese Weise auch Tech- Neben den Nage-waza und den Atemi-waza sind die Katame-waza niken weiterer Schulen Eingang in das Kōdōkan-Jūdō. (meist mit Griff- bzw. Kontrolltechniken übersetzt) die dritte Tech- nikkategorie des Kōdōkan-Jūdō. Die Katame-waza ihrerseits werden Erläuterungen von JIGORō KANō zu den Katame-waza im Jahr in drei Bereiche unterteilt: 1889 - Osaekomi-waza: (Nieder-)Haltetechniken In dem schon häufiger erwähnten Vortrag von 1889 erläutert JIGORō - Kansetsu-waza: allg. Hebeltechniken, wörtlich „Gelenktechniken“ KANō die Bedeutung von „Katame“. Es - Shime-waza: allg. Würgetechniken (aber Wortstamm von shimeru = zusammenschnüren, d.h. „Würgetechniken“ ist eine bereits ein- „... bedeutet, dem Gegner Schmerzen zuzufügen oder ihn zu töten, schränkende Übersetzung) indem man seine Kehle oder seinen Körper zusammenpresst. Oder es bedeutet, ihm Schmerzen zuzufügen durch das Festhalten oder Zu- Katame-waza werden zumeist mit dem Bodenkampf oder Boden- sammenpressen (...) der Gelenke. Man wendet Techniken an, so dass techniken (Ne-waza) assoziiert. Da aber viele Katame-waza auch im der Gegner nicht aufstehen kann, streckt oder verdreht seine Gelenke Stand angesetzt werden können, was zum Beispiel in der Selbstver- in unnatürlicher Weise und wirft ihn mit Kraft zu Boden“ (NIEHAUS teidigung häufig vorkommt, dürfen sie keinesfalls mit Bodentech- 2003, S. 284). niken gleichgesetzt oder verwechselt werden. Nach diesem allgemeinen Überblick erläuterte KANō die einzelnen Im Stand angesetzte Hebel- und Würgetechniken finden wir vor Bereiche. Die Ausführungen werden im Folgenden in der Reihenfol- allem - aber nicht nur - in Kime-no-kata, Kōdōkan-Goshinjutsu und ge des Vortrags zusammengefasst. Jū-no-Kata jeweils an mehreren Stellen. Shime-waza Tenjin-shin´yō ryū: Quelle der Katame-waza für den jungen JIGORō KANō Die Shime-waza des Kōdōkan sind wie oben in der Übersetzung und in KANōs Zitat schon angedeutet nicht auf das, wie KANō sagt, „Zu- JIGORō KANō hat in seiner Jugend erst das Jūjutsu der Tenjin-shin´yō- sammenpressen der Kehle“ beschränkt sondern beinhalten auch das ryū und danach der Kitō-ryū gelernt (vgl. Folge 2). Während Kitō-ryū Zusammenpressen des Rumpfes mit überkreuzten Beinen (Dō-jime). den Schwerpunkt bei Wurftechniken hatte, verfügte Tenjin-shin´yō- Diese Technik wurde zwar Anfang des 20. Jahrhunderts im Randori/ ryū neben Wurftechniken auch über zahlreiche Katame- und Atemi- Wettkampf aus Sicherheitsgründen verboten, gehört jedoch nach wie waza, die für KANō den Grundstock der jeweiligen Techniken des vor zu den Shime-waza des Kōdōkan (s.u.). Kōdōkan-Jūdō bildeten.

Beispiele für Katame-waza, die im Stand angesetzt werden:

H. NAGAOKA und K. SAMURA (beide später 10. Dan) bei Kiri- oroshi, der letzten Technik der Kime-no-Kata. Bei dieser Ab- wehr eines Schwerthiebes wird in der Endposition sowohl ge- würgt als auch gehebelt (Quelle: Bildarchiv Verlag Dieter Born)

22 der budoka 5/2011 KANō merkte zudem an, dass viele Würgetechniken der traditionellen wird. Aber weil das Training des Aufstehens und das Training des Jūjutsu-Schulen an der Kleidung angesetzt würden. In der Meiji-Zeit Niederhaltens zusammen gehören, wird im System des Kampfes im bürgerte sich aber westliche Kleidung mehr und mehr in Japan ein. Kōdōkan-Jūdō auch ein wenig das Niederhalten geübt“ (NIEHAUS Aus Gründen der praktischen Anwendbarkeit hat KANō nur Wür- 2003, S. 285). getechniken in das System des Kōdōkan-Jūdō übernommen, die an Kleidung mit engem Kragen oder gänzlich ohne Kragen anwendbar An dieser Textstelle fällt auf, dass KANō ganz offensichtlich zu jener sind. Zeit, also 1889, den Haltetechniken keine besonders hohe Bedeutung beimaß. Wahrscheinlich ist es auch kein Zufall, dass er sie in diesem Kansetsu-waza Vortrag als letzten Bereich der Katame-waza vorstellte. Zu den Kansetsu-waza gehören alle Techniken, bei denen Gelenke Bevorzugung der Nage-waza gegenüber den Katame-waza durch in unnatürlicher Weise gestreckt oder verdreht und dem Gegner da- KANō mit Schmerzen zugefügt werden. Die Kansetsu-waza sind keinesfalls auf das Ellbogengelenk beschränkt, wie das heute aus Sicherheits- Welchen Stellenwert hatten die Katame-waza für KANō im Verhältnis gründen in Randori und Wettkampf der Fall ist. Genickhebel, Fin- zu den Nage-waza? Bereits in Folge 8 über die Entwicklung des Ran- gerhebel, Handgelenkhebel und Beinhebel sind weiterhin Techniken dori wurde KANō mit folgenden Worten zitiert: des Kōdōkan-Jūdō, die im Rahmen von Kata (im Sinne des Übens „Wurftechniken haben Vorrang. Werfen ist sowohl aus Sicht der Lei- vorgegebener Techniken in vorgegebenen Situationen) geübt werden. besertüchtigung als auch als mentales Training von größerem Wert, Die „prominentesten“ Beispiele sind sicherlich Ashi-garami in der weil es Wahrnehmung und Anpassung an eine größere Bandbreite Katame-no-Kata und Kote-gaeshi/Kote-hineri in der Kōdōkan-Gos- an Situationen erfordert. Bodenarbeit zu lernen, nachdem man die hinjutsu. Wurftechniken gemeistert hat, versetzt in die Lage, von beidem zu profitieren. Mit Kansetsu-waza, so KANō weiter, könne man den Gegner kraft- voll zu Boden werfen. Gemeint sind damit solche Techniken, bei de- (...) nen im Stand oder im Kniestand z.B. am Ellbogen oder Handgelenk Die Reihenfolge des Lernens sollte erst Tachi-waza und dann Ne- gehebelt und der Gegner aufgrund der Hebelwirkung teilweise sehr waza sein, wenn man beides befriedigend lernen will. Wer versucht, schwungvoll zu Boden gezwungen wird. DAIGO (2009) bezeichnet zuerst Ne-waza zu meistern, wird später Probleme haben, Tachi- diese Techniken als „Nage-waza unter Anwendung von Kansetsu- waza zu lernen.“ waza“. Sie kommen in der Selbstverteidigung häufig vor. (aus „Jūdō Kyohon“ von 1931, übersetzt ins Deutsche vom Verfasser Osaekomi-waza aus einer englischen Übersetzung von A. BENNETT - s. Literatur)

JIGORō KANō erklärt weiter: Diese grundsätzliche Haltung KANōs konnte nicht ohne Auswir- kungen auf die Entwicklung der Katame-waza und damit der Boden- „Darüber hinaus gibt es verschiedene Methoden, den Körper des kampfstärke der Kōdōkan-Kämpfer und des Kōdōkan-Jūdō bleiben. Partners niederzuhalten, aber für den wirklichen Kampf haben sie So erzeugt ein Quellenstudium phasenweise den Eindruck, dass der keinen besonderen Wert. Wichtiger als die Fähigkeit auszubilden, Kōdōkan der Konkurrenz, die mitunter einen größeren Schwerpunkt den Partner niederzuhalten, ist es, Methoden zu trainieren, mit de- auf Katame-waza und Bodenkampf legte, manchmal ein wenig hin- nen man in der Lage ist wieder aufzustehen, wenn man festgehalten terher hinkte und sich genötigt sah, aufzuholen.

Nachteile der Kōdōkan-Kämpfer bei Katame-waza in frühen Kämpfen gegen andere Jūjutsu-Schulen Ein weiteres Beispiel für eine Hebel- Allgemein wird gesagt, dass die Kämpfer des Kōdōkan bei Kämp- technik im Stand demonstrieren Y. fen gegen die Vertreter anderer Schulen aufgrund ihrer überlegenen YAMASHITA, später der erste 10. Dan des Kōdōkan Jūdō, und seine Gat- Wurftechniken - insbesondere der Ashi-waza - so erfolgreich waren. tin FUDE. In der Frühzeit lehrte der Bei den Katame-waza sah die Situation - glaubt man den Überliefe- Kōdōkan mehrere Techniken des rungen - nicht ganz so rosig aus, wie man an folgender Bemerkung Festnehmens und Abführens (jap. KANōs erkennen kann. Renkōho). Das Bild entstand 1904/05 in den USA. „Zu dieser Zeit (Anmerkung: 1886-1889) kamen Schüler anderer (Quelle: www.library.umass.edu/spcoll/ead/ Schulen in den Kōdōkan, um sich zu messen, aber nur wenige hatten muph006.html) ein Niveau, das eine Bedrohung für uns darstellte. Es gab eine Anzahl hervorragender Kämpfer aus anderen Jūjutsu-Schulen bei der Tōkyō Polizei. So gut wie keiner verfügte über effektive Wurftechniken, aber einige waren in der Lage, uns im Bodenkampf stark zu bedrängen. Danach studierten wir diese Techniken intensiv und wurden von ih- nen nicht länger vor Probleme gestellt“ (aus A. BENNETT, 2009 S. 58, übersetzt vom Verfasser).

Schrittweise Beschränkung der Katame-waza in Randori und Wettkampf

Aus Gründen der Verletzungsvorsorge reduzierte KANō für Rando- ri/Wettkampf schrittweise die erlaubten Katame-waza. So wurden wie oben bereits erwähnt Genickhebel, Handgelenkhebel, Fingerhe- bel, Beinhebel und Dō-jime verboten. Außerdem war innerhalb des Kōdōkan bei internen Wettkämpfen die Anwendung jeglicher Kan- setsu-waza für/bei Kämpfern unterhalb des 1. Dan nicht gestattet. Weitere Details hierzu folgen in einem künftigen Artikel über die Entwicklung der Wettkämpfe und der Wettkampfregeln.

Blüte des Bodenkampfes durch das „Kōsen-Jūdō“ - und die Be- schneidung des Bodenkampfes in Wettkampfregeln des Kōdōkan

JIGORō KANō demonstriert Ude-hishigi-waki-gatame bei einem Bei den ab 1914 ausgetragenen Turnieren der höheren Bildungsan- Besuch in Europa (Quelle: Bildarchiv Verlag Dieter Born) stalten (Kōsen) kam es zu einem Schlüsselereignis für die Entwick-

der budoka 5/2011 23 lung des Bodenkampfes und damit auch der Katame-waza. Als im Jahr 1919 die Mannschaft der Sechsten Oberschule die Siegesserie der Vierten Mittelschule durch überlegenen Bodenkampf beendete, stieg das Interesse am Bodenkampf stark an. Die Katame-waza er- fuhren dadurch eine nachhaltige Weiterentwicklung, insbesondere an den beteiligten Bildungseinrichtungen. Außerhalb der Schulen und Universitäten wurde diese Entwicklung jedoch zum Teil heftig kriti- siert, weil ein Trend zur Vernachlässigung der als wertvoller einge- stuften Nage-waza einsetzte. Was war passiert? Einige Kämpfer entwickelten Strategien, sich zu Beginn des Kampfes einfach hinzusetzen, sich auf die Knie fallen zu lassen oder den Gegner in die Bodenlage herunter zu ziehen. Auf diese Weise vermieden sie den Standkampf und somit auch geworfen zu werden - eine Entwicklung, auf die KANō reagieren wollte und musste. Um die Balance im Sinne einer vielfältigen körperlichen Entwicklung - nach KANō etwa zwei Drittel Stand- und ein Drittel Bodenkampf - wieder herzustellen, wurden die Wettkampfregeln des Kōdōkan derart modifiziert, dass ein Kampf grundsätzlich im Stand begonnen wurde und ein Übergang in den Bodenkampf praktisch nur nach einem ei- genen oder gegnerischem nicht oder nicht vollständig erfolgreichen Versuch einer Wurftechnik zulässig war. Allerdings wurden diese Regeln nicht vollständig für die Kōsen-Wettkämpfe übernommen, da die Wettkampfregeln nicht einheitlich waren und im Prinzip jeder Veranstalter seine eigenen Regeln machen konnte. KANōs Überzeu- gungsarbeit blieb hier zumindest teilweise fruchtlos.

Systematisierung der Katame-waza Obwohl die Anzahl der möglichen Techniken enorm ist, gibt es mit insgesamt 29 nur relativ wenige vom Kōdōkan festgelegte Namen für die Katame-waza (gegenüber 67 Wurftechniken). Die derzeit gül- tigen offiziellen Bezeichnungen sind: - Osaekomi-waza (7): Kuzure-kesa-gatame, Kata-gatame, Kami- shihō-gatame, Kuzure-kami-shihō, Yoko-shihō-gatame, Tate-shihō- gatame, Kesa-gatame - Shime-waza (12): Nami-jūji-jime, Gyaku-jūji-jime, Kata-jūji-jime, Hadaka-jime, Okuri-eri-jime, Kata-ha-jime, Dō-jime (*), Sode-guru- ma-jime, Kata-te-jime, Ryō-te-jime, Tsukkomi-jime, Sankaku-jime - Kansetsu-waza (10): Ude-garami, Ude-hishigi-Jūji-gatame, Ude- hishigi-ude-gatame, Ude-hishigi-hiza-gatame, Ude-hishigi-waki-ga- tame, Ashi-garami (*), Ude-hishigi-ashi-gatame, Ude-hishigi-te-ga- tame, Ude-hishigi-sankaku-gatame (*) in Randori/Wettkampf verboten Weitere Unterteilungen nimmt der Kōdōkan offiziell nicht vor. Es gibt auch keine offizielle Systematisierung oder Benennung von Ausgangssituationen, in denen die Techniken angewendet werden können. Ferner fehlt eine Systematisierung nach methodisch-didak- tischen Gesichtspunkten, etwa analog der Gokyō-no-waza für die Wurftechniken. Auch dies spricht DAIGO (2009) zu Folge dafür, dass KANōs Fokus mehr auf den Nage- als auf den Katame-waza lag. Auch wenn es keine weitere Systematisierung oder ein methodisch- didaktisches System seitens des Kōdōkan gab, so wurden die Katame- waza dennoch erforscht und entwickelt. Ein Beispiel hierzu sind die Studien der „Medizinischen Forschungsgruppe“ am Kōdōkan, die in den frühen 1930er-Jahren von KANō eingerichtet wurde und die z.B. die physiologische Wirkungsweise der Hebel- und Würgetechniken wissenschaftlich untersucht hat.

Kappō - ein weiteres (Rand-)Gebiet des Kōdōkan-Jūdō Aus Tenjin-shin´yō-ryū wurden auch Wiederbelebungstechniken Drei Beispiele von Katame-waza der Tenjin-shin´yō-ryū: (jap.: Kappō), z.B. nach Bewusstlosigkeit durch Würgetechniken Je eine im Jūdō wohlbekannte Würgetechnik und ein Armhebel, übernommen. J. KANō betrachtete sie zwar in seinem Vortrag 1889 dazu ein Hebel gegen das Fußgelenk, der auf eine im Jūdō häufig nicht als wirklichen Teil der Techniken des Kōdōkan-Jūdō, sondern vorkommende Art verriegelt wird eher als Zusatz, jedoch wurde ihr praktischer Wert vielerorts ge- (Quelle: Bildarchiv Verlag Dieter Born) schätzt. Die medizinische Forschungsgruppe des Kōdōkan hat diese Verfahren ebenfalls untersucht.

24 der budoka 5/2011 Erscheint am Persönliche Anmerkungen: 25. Mai 2011 (1) Es gibt Berichte über einen Wettkampf um das Jahr 1900, bei dem Kämpfer des Kōdōkan gegen Kämpfer der Fusen-ryū eine ziem- Toshiro Daigo (10. Dan): lich deutliche Niederlage vor allem aufgrund von Katame-waza er- Wurftechniken des litten haben sollen. Eine historisch wirklich verlässliche Quelle für Kodokan Judo diese Berichte ist aber nach Kenntnis des Verfassers noch nicht aufgetaucht. Da jedoch das meiste, das man heute über die Kämpfe Band 2: Ashi-waza zwischen Kōdōkan-Kämpfern und Vertretern anderer Schulen weiß, Hardcover, 256 Seiten, 19 x 26 cm, vom Kōdōkan selbst oder durch Erzählungen beteiligter Kōdōkan- mehr als 700 Fotos und Zeichnungen, 2 Kämpfer überliefert ist, ist eine derartige Informationslücke nicht ISBN 978-3-922006-56-5, 49,80 überraschend. Immerhin bestätigte KANō, dass zumindest zeitweise Bibliophile Kostbarkeit in repräsenta- Kämpfer anderer Stile bei den Katame-waza überlegen waren (s.o). tiver Aufmachung: Solider Hardcover mit hochwertigem (2) J. ODA und Y. KANEMITSU (beide 9. Dan) können wohl als die Überzug, traditioneller Fadenhef- bedeutendsten Vertreter des Kōsen-Jūdō bezeichnet werden. Das tung und farbigem Schutzumschlag Verhältnis beider zu J. KANō war ab den 1920er-Jahren unterkühlt bis eisig. Während ODA als prominenter Kōdōkan-Lehrer, der an der in »Jahrhundertwerk«: das mit Abstand umfassendste Judo-Lehr- Revision der Gokyō-no-waza 1920 beteiligt war, noch heute großes Ewerk, das jemals aus dem Japanischen ins Deutsche übersetzt Ansehen genießt und häufig genannt wird, ist der Name KANEMITSU wurde. Geschrieben von der heute höchsten Autorität des Kodokan: nur wenigen Insidern außerhalb Japans bekannt. Dessen Verhältnis Judo-Legende Toshiro Daigo (10. Dan). zu KANō und dem Kōdōkan war derart belastet, dass er unbestätigten Berichten zufolge die Graduierung zum 9. Dan zunächst ablehnte, sie In insgesamt drei Bänden werden auf rund 750 Seiten mit mehreren Jahre später aber akzeptierte. KANEMITSU war übrigens außerdem der tausend Abbildungen die 67 grundlegenden Wurfprinzipien des Kodo- letzte Menkyo-kaiden in Kitō-ryū. Heute ist die Bedeutung von KANE- kan ausführlich erläutert – zusammen mit hunderten unterschiedlicher MITSU für die Entwicklung des Jūdō jedoch unbestritten. Ausführungen und Variationen. K. HIRATA - ein Schüler ODAS - ist ein weiterer herausragender Spe- Nach Band 1 mit den Wurfgruppen Te-waza und Koshi-waza (erschie- zialist aus der Kōsen-Tradition. Auf YouTube finden sich mehrere nen im Dezember 2009) behandelt der jetzt folgende Band 2 auf insge- Videoclips von und mit ihm. samt 256 Seiten alle offiziellen Techniken der Wurfgruppe Ashi-waza. (3) Zufall oder nicht? Im Jahr 1920 - sechs Jahre nach Beginn der Die vielen praxisnahen Anwendungs-, Kombinations- und Kontermög- Kōsen-Wettkämpfe - stellte KANō gegenüber K. MIFUNE fest, dass lichkeiten machen das Buch zu einer wahren Fundgrube für Wett- die Schüler des Kōdōkan ihre Defizite im Bodenkampf ausgleichen sollten. Man einigte sich darauf, intensiver Katame-no-Kata üben zu kämpfer und andere fortgeschrittene Judoka. Und die ausführlichen lassen. theoretischen und geschichtlichen Erläuterungen machen das Buch darüber hinaus zu dem Standardwerk schlechthin in Bezug auf die (4) Die im DJB übliche Systematisierung der Katame-waza in fünf Bereits erschienen: Klassifizierung und Benennung der Kodo- Halte-, sieben Hebel- und sieben Würgegruppen ist in Deutschland kan Wurftechniken. und nicht in Japan entstanden. In einer „Stoffsammlung“ wurden Techniken zusammengestellt und gruppiert, deren Bezeichnungen im So bekommt man über die reinen Technik- Wesentlichen von M. KAWAISHI nach Europa gebracht wurden. Im Beschreibungen hinaus quasi zusätzlich Großen und Ganzen lässt sich sagen, dass die „Kawaishi-Techniken“ noch ein Buch zur Judo-Geschichte, wie es in Deutschland in die bekannten Gruppen geordnet wurden. Mit der das bislang auf Deutsch so noch nicht Zeit verdrängten teilweise Gruppennamen den Namen einzelner gegeben hat: Mit Informationen über die Techniken, so dass faktisch in derartigen Fällen eine Art Umbenen- Entstehung der einzelnen Wurftechniken, nung stattgefunden und die Benennung der Katame-waza in Deutsch- deren Herleitung aus dem traditionellen land eine partielle Eigendynamik entwickelt hat. , berühmten Meistern und Speziali- Die so entstandenen Bezeichnungen entsprechen naturgemäß nicht sten ihrer Zeit, Original-Zitaten aus alten mehr dem System des Kōdōkan und weichen an einigen Stellen so- Büchern und Quellen, und vielem mehr. gar ganz erheblich davon ab. Prägnantestes Beispiel hierfür ist wohl Ashi-garami. Laut Kōdōkan ist die in der Katame-no-Kata enthaltene Toshiro Daigo (10. Dan): Technik ein Kniehebel, bei dem das gegnerische Bein umschlungen Wurftechniken des Kodokan Judo, Band 1: Te-waza/Koshi-waza wird. Der DJB versteht dagegen unter dieser Bezeichnung einen He- Hardcover, 288 Seiten, 19 x 26 cm, mehr als 750 Fotos und Zeichnungen, bel des gebeugten Arms über das Bein/Knie von Tori - eine Technik, ISBN 978-3-922006-55-8, 2 49,80 – Sofort lieferbar! die der Kōdōkan wiederum als Hiza-gatame bezeichnet. Coupon bitte kopieren oder ausschneiden und einsenden an:

Verlag Dieter Born • Postfach 18 02 30 • 53032 Bonn

Literatur (Auswahl) Fax: (0228) 55925-55 • www.dieter-born.de  BENNETT, ALEX: Jigorō Kanō and the Kōdōkan - an innovative Response to Modernisation, Kōdōkan Jūdō Institute, 2009 DAIGO, TOSHIRō: Wurftechniken des Kōdōkan Jūdō, Band 1, Verlag Dieter Bestellung – zur Lieferung versandkostenfrei: Born, 2009

DAIGO, TOSHIRō: Wurftechniken des Kōdōkan Jūdō, Band 2, Verlag Dieter Anzahl Artikel Einzelpreis Born, 2011 (in Vorbereitung) Daigo: »Wurftechniken«, Band 1 (sofort lieferbar) 2 49,80 KANō, JIGORō: Kōdōkan Jūdō, Verlag Dieter Born, 2007 Daigo: »Wurftechniken«, Band 2 (NEU – ab 25. Mai) 2 49,80 NIEHAUS, ANDREAS: Leben und Werk Kanō Jigorōs (1860-1938), Ergon-Verlag, 2003

OTAKI, TADAO / DRAEGER, DONN F.: Jūdō Formal Techniques, Charles E. Tuttle, 1983 Vereinsname

WATSON, BRIAN N.: Jūdō Memoires of Jigorō Kanō, Trafford-Verlag, 2008 Ansprechpartner (Name, Vorname)

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PLZ, Ort

E-Mail Telefon (freiwillig – für etwaige Rückfragen)

Datum Unterschriftder budoka 5/2011 budoka25 2011/05  Atemi-waza in der Das Bild zeigt die Ausholbewegung für einen Schlag zur linken Seite. (Quelle: Privatarchiv Dieter Born)

Grundwissen der Geschichte des

von Wolfgang Dax-Romswinkel

Teil 12: Die Entwicklung der Atemi-waza des

Glaubt man vielen verbreiteten Kurzdarstellungen der Geschichte des Sich und andere schützen können – eine der drei Säulen des , dann dürfte es diese Folge unserer Reihe eigentlich gar nicht geben. Denn allzu oft ist bedauerlicherweise zu lesen, dass Erinnern wir uns an die Ziele des , wie wir sie in den alle „gefährlichen Tritte und Schläge“ aus dem „Jiu Jitsu“ (zum Begriff s. Anmerkung 1) entfernt und dadurch das geschaffen Folgen 4 und 6 bereits ausführlich erläutert haben: habe. – so der oft vermittelte Eindruck – sei demnach ein - Leibesertüchtigung: Verbesserung der Gesundheit und der technisch reduziertes „Jiu Jitsu“, das mit dem Ziel geschaffen wurde, körperlichen Leistungsfähigkeit; sportliche Wettkämpfe zu ermöglichen. - Kultivierung des Geistes: Ausbildung des Charakters, des Die Atemi-waza des haben wie die Katame-waza ihre Verstandes und der Moral, insbesondere der Verantwortung für die Hauptquelle in den Techniken des und Entwicklung der Gesellschaft; stellen seit Gründung des bis heute neben den Nage- und - Selbstverteidigung: sich und andere im Bedarfsfall schützen den Katame-waza den dritten Bereich der Techniken des können. dar. entfernte sie also mitnichten aus dem „Jiu Besonders prägnant äußert sich Mitte der 1920er-Jahre Jitsu“, um daraus zu formen, sondern erlaubte lediglich die (übersetzt aus , 2009, S. 62. Eine deutsche Übersetzung Anwendung von Atemi-waza nicht im üblichen Randori. Damit nahm er nichts weiter als eine trainingsmethodische Beschränkung auf Kata , Verlag Dieter Born, 2007, S. 136): vor (= „geschlossene“ Situationen, in denen beide Übende genauen Bewegungsanweisungen folgen), nicht jedoch eine Kappung des „Respekt vor dem Leben ist universell. Wenn das eigene Leben technischen Spektrums des . in Gefahr ist, ist es erlaubt, jedes zur Verfügung stehende Mittel anzuwenden, um die Gefahr abzuwenden. Aber auch wenn das eigene Leben nicht in Gefahr ist, gibt die Fähigkeit, eine Gefahr abwehren zu können, Selbstvertrauen. In einer Gesellschaft, in der die Menschen nach Recht und Gesetz leben, können unerwartete Gefahren in Form von Unfällen, durch die Hand von Kriminellen oder

20 der budoka 6/2011 von unerwarteten Seiten wie wilden, streunenden Hunden kommen. Jedes Individuum benötigt deshalb grundlegende Fähigkeiten, sich schützen zu können, und derjenige, der systematisch die Techniken von Angriff und Verteidigung trainiert hat, kann seine eigene Sicherheit gewährleisten. Die Bedeutung von Atemi-waza in diesem Zusammenhang ist offensichtlich.“

Atemi-waza durch

In dem mehrfach erwähnten Vortrag von 1889 erklärt diese Technikgruppe folgendermaßen: „Ich komme nun zu den Tritten und Schlägen (...). Sie werden Techniken schlägt oder drückt man mit seinen Händen, Füßen oder dem Kopf Körperteile des Gegners, die leicht verletzt werden können. So kann man dem Partner Schmerzen zufügen, ihn für eine Weile in Zeichnung und Erläu- terung der Atemi-waza mit der Faust zwischen die Augen, auf die Brust oder etwas unterhalb aus der des Sternums. Ober aber tritt ihm mit den Fußspitzen in die Hoden.“ (aus: , C., ISO, M.: Vorlesungen Angriffsziel der Atemi-waza und Erläuterungen in liche Körperteile“. Das Spektrum der Wirkungen reicht von „Schmer- Abbildungen zu den zen zufügen“ bis „töten“. innersten Geheimnis- sen des , Verlag Vitalpunkte () , 1893)

Kenntnisse über die von stellen gehörten zu den am besten gehüteten Geheimnissen der traditionellen -Schulen. Viele dieser Kenntnisse stammen aus in Praktiken wie Akupunktur, Akupressur oder dem japanischen Shiatsu. In (Verlag Dieter Born, 2007) werden die Vital- punkte folgendermaßen erklärt (S. 138): Gelenke, Verbindungspunkte von Knochen und Muskeln oder von Muskeln mit anderen Muskeln, weiche Teile, die nicht durch Knochen oder Muskeln geschützt sind, oder etwa Stellen, wo lebenswichtige Schlag-, Stoß- oder Tritttechniken selbst wurde auch das Wissen über vermittelten Vitalpunkte.

Systematisierung der Atemi-waza Das beinhaltet ein breites Spektrum unterschiedlicher Atemi-waza. Die Systematisierung und Benennung ist jedoch nicht in gleicher Weise durchstrukturiert wie die der Nage- oder der Katame- waza. Die übliche Einteilung der Atemi-waza folgt nicht den angegriffenen Vitalpunkten, sondern den Körperteilen, mit denen geschlagen, gestoßen oder getreten wird. Im Standardwerk (2007, S. 136) heißt es etwas unverbindlich, dass sich die Techniken folgendermaßen einteilen lassen:

Hand und Arm (Ude-ate) Darstellung der Vitalpunkte aus , Verlag Dieter - Fingerspitzen Born, 2007, S. 138 - Faust Nanamae-ate, Yoko-ate, Kami-ate, Tsuki-age, Shimo-tsuki, Ushiro-tsuki, Ushiro-sumi-tsuki, Tukkake, Yoko- uchi, Ushiro-uchi, Uchi-oroshi - Handkante Kiri-oroshi, Naname-uchi und auch nicht sein will, denn es wird im Buchtext zum Beispiel - Ellbogen Ushiro-ate explizit – wie auch schon von 1889 – darauf hingewiesen, dass auch mit dem Kopf Atemi-waza ausgeführt werden können. Fuß und Bein (ashi-ate) Außerdem gibt es Inkongruenzen bei der Benennung der Atemi-waza - Knie Mae-ate in dieser Aufzählung und den Bezeichnungen innerhalb von Kata, in - Fußballen Naname-geri, Mae-geri, Taka-geri denen sie vorkommen. - Ferse Ushiro-geri, Yoko-geri

der budoka 6/2011 21 Kime-no-Kata – Schlüssel zu den Atemi-waza des Atemi-waza werden, wie schon mehrfach erwähnt, normalerweise in Form von Kata geübt und durch die überliefert. Dort tauchen Sie in unterschiedlichen Kontexten auf: - als Angriffe, gegen die verteidigt wird, - als vorgeschaltete Technik einer nachfolgenden Nage- oder Katame- waza, wird. Die zentrale Kata für Training und Vermittlung der Atemi-waza war (und ist) Kime-no-kata, deren enthaltene Aktionen im Folgenden aufgeschlüsselt werden sollen, um den Stellenwert der Atemi-waza im Gesamtgefüge der Techniken aus historischer Perspektive zu bestimmen und um Hinweise für deren Charakteristik zu bekommen. Atemi-waza als Angriffe von Uke: Hand/Arm: 7 Fuß: 1 Atemi-waza in der Verteidigung von Tori: Es werden insgesamt 13 von 20 Angriffen mit Atemi-waza beant- wortet, was untermauert, dass ihre Rolle durchaus bedeutend ist. Allerdings schließen nur vier von diesen 13 Anwendungen die Aktionen endgültig ab. Insbesondere bei Angriffen mit Waffen wird sofort nach der Atemi-waza in eine Katame-waza – meist ein Hebel des waffenführenden Armes – übergegangen. Atemi-waza Techniken – können es allerdings selbstverständlich sein – sondern mit S. (später 10. Dan) 1933 in London bei der Demon- ihre Anwendung ist meist so eingebettet, dass im Falle einer nicht stration von Ke-age, einer Abwehr eines Fußtritts aus der Kime-no-Kata. fatalen Wirkung sofort eine „sichere“ Abschlusstechnik angesetzt (Quelle: Privatarchiv Dieter Born) werden kann. Die Bewegungen der Atemi-waza müssen also so ausgeführt werden, dass man nachfolgend so schnell und effektiv wie möglich zu anderen Techniken übergehen kann.

Vernachlässigung der Atemi-waza durch Popularisierung des Randori – und Entwicklung der no-Kata Randori und Wettkampf übten schon im frühen 20. Jahrhundert eine ungeheure Faszination auf die Übenden aus, so dass bereits zu dieser Zeit bei den -Schülern eine gewisse Nachlässigkeit beim Üben von Kata ersten Rückgang bei den Atemi-waza, dem entgegenwirken wollte. Aber er sah sich noch mit einem anderen Problem konfrontiert. Obwohl die Anzahl -Übenden kontinuierlich bis auf mehrere Hunderttausend in den 1920er-Jahren gestiegen war, hatte es sich noch nicht zu der Massenbewegung entwickelt, wie es sich gewünscht hatte. Nach seinen Vorstellungen sollten schlicht möglichst alle Japaner lernen und betreiben. Dies war nur konsequent, war doch nach seinen Vorstellungen ein ideales System der Volkserziehung in physischer und geistig-moralischer Hinsicht. H. demonstriert mit K. (beide 10. Dan) eine Messerab- Aus diesen beiden Gründen entwickelte er aus dem breiten technischen wehr der Kime-no-Kata (Quelle: Privatarchiv Dieter Born) Fundus des ab den 1920er-Jahren die taiiku-no-Kata, die „Form der nationalen Leibesübung auf der Wie könnte der Wert des Grundlage des Prinzips des bestmöglichen Einsatzes von Körper und als System der Körperertüch- Geist“. tigung und der Selbstverteidigung überzeugender dargestellt werden Sie besteht aus den zwei Teilen „“ (Üben ohne Part- als auf diesem Bild des jungen K. ner, siehe Abbildung am Anfang des Artikels) und „ “ (links) - später 10. Dan (Üben mit Partner). Der erste Teil wird vor allem durch Atemi-waza (entstanden ca. 1910-1920, gegen imaginäre Gegner gebildet. Die bestehen aus der Quelle unbekannt) „Kime-shiki“ und der „“, einer auf zehn Techniken verkürzten (s. a. Folge 7). stellt somit eine weitere Kata zum Training der Atemi-waza dar.

22 der budoka 6/2011 Atemi-waza in weiteren In Japan ist die Umschrift am weitesten verbreitet. Das „j“ wird dabei nicht wie das deutsche „j“, z.B. in „Jod“ gesprochen, sondern Neben den genannten Kime-no-Kata und wie das englische, z.B. in „Joker“. Der horizontale Strich über dem taiiku-no-Kata (einschließlich der enthaltenen Kime-shiki und shikiAtemi-waza in der und was im Deutschen entweder mit einem Doppelvokal („Beet“, Saat“) in der . Sie sind dort ähnlich als Angriffe, Verteidigungen oder mit einem angehängten Längungs-„h“ („Schuh“) geschrieben und in Kombinationen eingebettet wie in Kime-no-Kata. wird. Das erste „u“ in Jutsu wird dagegen kurz gesprochen, das letzte sogar fast verschluckt. Anstelle des „ts“ in Jutsu würde man im Atemi-waza im Randori? Deutschen eher ein „tz“ schreiben. In den 1880er-Jahren scheint es Randori-Formen gegeben zu haben, Im Internet lassen sich sehr schnell und einfach – z.B. auf Wikipedia in denen auch Atemi-waza angewendet wurden. sagte – Erläuterungen zu Umschriftsystemen für die japanische Sprache 1889: „Für den Kampf, in dem geschlagen und gestoßen wird, ziehen sich die Gegner Handschuhe an, so dass die Methode des Randori- zu folgen. Kampfes kaum Einschränkungen unterliegt“ ( 2003, S. 285). Dem Verfasser sind jedoch keine weiteren Quellen – Beschreibungen, (2) Kime-no-Kata ist in Deutschland kein für alle verbindlicher Inhalt Bilder o.ä. – bekannt, die eine entsprechende spätere Praxis im für Dan-Prüfungen, was dazu geführt hat, dass selbst viele hohe untermauern würde. Dan-Träger nie Kime-no-Kata und somit auch nicht die zentrale Kata für die Atemi-waza des trainiert haben. Auch die Bekannt ist dagegen jedoch, dass in den 1920er-Jahren anderen Kata, die Atemi-waza enthalten, werden – wenn überhaupt – Überlegungen anstellte, Randori-Formen zu entwickeln, in denen frühestens bei Prüfungen zum 4. Dan gezeigt. Atemi-waza eingesetzt werden. Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass es derartige Randori-Formen nicht am gab. Auf Da darüber hinaus auch seit rund vier Jahrzehnten Selbstverteidigung die Frage eines Studenten diesbezüglich antwortete er: kein verbindlicher Inhalt von oder Dan-Prüfungen (mehr) ist, hat dies vielfach dazu geführt, dass der Selbstverteidigungsaspekt – „Ich glaube, dass es nicht ausgeschlossen ist, einen Weg zu und damit eine der drei Säulen des – teilweise sehr weitgehend aus dem Blickfeld geraten ist. einschließen, solange es schrittweise passiert und intensiver Studien folgt“ (übersetzt aus , 2009, S. 62). Jüngste Bestrebungen, diesen Trend wieder umzukehren, sind aus Sicht des Verfassers vorbehaltlos zu unterstützen. Ein derartiges System wurde jedoch von nicht (mehr) entwickelt. Heutzutage gibt es aber durchaus Ansätze in diese Atemi-waza in den Kata des Richtung, allerdings nicht im , sondern in anderen fast immer in Verkettung mit Katame-waza oder Nage- Systemen. waza, jedoch nicht in Verkettung mit anderen Atemi-waza im Stile von Schlag- und/oder Trittkombinationen. Nage-waza unter Anwendung von Atemi-waza (4) In den 1950er-Jahren wurden Kommissionen am Zum Abschluss soll noch auf eine Besonderheit hingewiesen werden, nämlich auf die Möglichkeit, Wurftechniken mit Atemi-waza zu beraten und diese zu beschließen. Es gab Arbeitsgruppen für Nage- koppeln. So kann zum Beispiel in der Vorbereitung einer Wurftechnik und für Katame-waza, nicht jedoch für Atemi-waza, was darauf eine Atemi-waza zum Brechen des Gleichgewichts eingesetzt werden. schließen lässt, dass die Inkonsistenzen der Benennungen nicht als Des Weiteren gibt es auch Techniken, bei denen die Wurfausführung Problem gesehen wurden. durch eine Atemi-waza zustande kommt oder zumindest unterstützt wird. (2009) nennt diese Techniken „Nage-waza unter Literatur (Auswahl) Verwendung von Atemi-waza“. Persönliche Anmerkungen , (1) Die Schreibweise „Jiu Jitsu“ ist im Westen neben anderen Born, 2009 Schreibweisen wie „Ju-Jutsu“, „Ju-Jitsu“ weit verbreitet. Unter- schiedliche Schreibweisen rühren daher, dass die japanische Sprache KAN keine „korrekte“ Schreibung in lateinischer Schrift kennt und von daher versucht wird, das lateinische Alphabet als eine phonetische Bussan Kaisha, 1970 Umschrift (Lautschrift) für japanische Aussprache zu verwenden. Die japanische Schreibweise ist wie die Bedeutung aber stets gleich: 柔術 2003

Im wurde während des 2. Weltkriegs eine spezielle Frauen-Selbstverteidigung ent- wickelt Hier ist das Training einer Abwehr gegen Belästigung durch „Unterhaken“ zu sehen. (Quelle: Privatarchiv Dieter Born)

der budoka 6/2011 23

Teil 13: Entwicklung des Graduierungssystems

- Die Entwicklung des -Systems - - - - - - - - - - Gürtelfarben als Zeichen für Graduierungen - Am Anfang waren die Dan-Grade - - - - - Mudansha () () - - - - - - - Wieviele Dan-Grade gibt es - und welche Graduierung hatte - ? - - - - Kriterien für Graduierungen - - - -

20 Bekanntgabe der Graduierungen und ihre Beurkundung - - - - - - - - - - Regularien und Prüfungsregeln - - - - -

Nachdem die Polizei in Japan ab ca. 1877/1878 wieder verstärkt damit be- verdoppelte die Anzahl der Stufen aus dem traditionellen gann, den Schwertkampf zu betreiben und zu fördern, wurde das tradi- - die Folie zeigt wiederum eine typische, nicht für alle Schulen tionelle Lizenzierungssystem - die Folie zeigt eine typische, d.h. nicht für einheitliche Einteilung - und schuf so das aufwärts zählende Dan-System. alle Schulen einheitliche, Stufenfolge - durch ein abwärts zählendes Später wurde das abwärts zählende und das aufwärts zählende Dan- -System ersetzt. System zum heutigen -System verschmolzen.

21 Y - K K K K - Graduierung, Prestige und Macht - - - - Wer waren die ersten Träger der einzelnen Dan-Grade? -

Portraits aller Träger des 10. Dan

22 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Persönliche Anmerkungen - - -

23 „der budoka“ - Verbandsmagazin des Dachverbandes für Budotechniken Nordrhein-Westfalen e.V. Herausgeber, Verlag, Redaktion, Anzeigen- und Abo- - verwaltung: - - - - - Redaktionsleitung: - Redaktionsschluss: - Druck: Anzeigenpreise: Erscheinungsweise: - Literatur: Lieferbedingungen: Urheberrechtlicher Hinweis: - Schreiben Sie uns per E-Mail an [email protected] Wir werden Ihren Leserbrief nach Möglichkeit veröffentli- - chen, behalten uns aber den Abdruck sowie Kürzungen vor. Leserbriefe geben nicht unbedingt die Meinung der Redak- tion wieder.

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24 Grundwissen der Geschichte des

von Wolfgang Dax-Romswinkel

Teil 14: Entwicklung

- Seine wesentlichen Grundgedanken fasste er im Mai 1900 zusammen keitsbildung (übersetzt aus , S. 103): Es liegt in der Natur des Wettkampfes, dass er einen selektiven Cha- rakter hat, denn im Wettkampf werden stets Sieger und Besiegte er- mittelt. Können Wettkämpfe in ein System passen, in dem die we- sentlichen Ziele Selbstverteidigung, Leibesertüchtigung und geistig- moralische Schulung sind? Kann man auf diesen Feldern sinnvoll konkurrieren? Geht es nicht um die eigene, höchst individuelle Ent- wicklung? Wie also fügen sich Wettkämpfe in ein System der Persön- lichkeitsentwicklung ein? Diese Fragen wurden, das sei gleich zu Beginn bemerkt, auch in der deutschen Sportpädagogik - vor allem im Rahmen der bildungstheo- retischen Fachdidaktik - ab den 1950er- und verstärkt in den 1960er- und 1970er-Jahren diskutiert und Antworten gegeben. Da wir uns jedoch mit der Geschichte des in Japan vor dem 2. Weltkrieg befassen, wollen wir diese Gedanken ausklammern und uns auf beschränken. Wettkämpfe, so , haben einen motivierenden Charakter für das Training. Wettkämpfe schaffen Ziele und geben eine Rück- Bemerkenswert ist an dieser Passage einmal mehr, wie stringent meldung über das bislang erreichte. Aus den Wettkämpfen ergeben den Gedanken der Persönlichkeitsentwicklung und der sich neue Ziele und Aufgaben für das weitere Training. Leibeserziehung in den Mittelpunkt seiner Überlegungen zur Ausge- staltung auch dieses Teilaspekts des stellt. ohne Wettkämpfe war für undenkbar. Jedes Mit- glied des - den Turnieren teilnehmen. Dies war so explizit in den „Erwartungen an die -Mitglieder“ formuliert. Ohne Wettkampfergebnisse Bereits in der Frühphase des gab es verschiedene Formen wurde auch in der Regel niemand durch den graduiert. von Wettkämpfen. Über die dabei verwendeten Regeln sind aller- dings bislang keine schriftlichen Aufzeichnungen gefunden worden, Dennoch ging es nicht vorrangig um die Ergebnisse in Form so dass sich allenfalls aus Schilderungen über Kampfverläufe indi- von Sieg oder Niederlage, sondern um das Testen der eigenen Fähig- rekt auf die damaligen Regeln schließen ließe. Entsprechende wis- keiten und des eigenen Fortschritts. Hierzu mussten natürlich auch senschaftlich fundierte Ergebnisse liegen jedoch (noch?) nicht vor. die Rahmenbedingungen und die Regeln entsprechend ausgerichtet sein, um nicht die Ziele des zu kompromittieren (vgl. In der Frühphase des sind drei verschiedene Arten von hierzu auch Anmerkung 6 ganz unten). Wettkämpfen zu unterscheiden: 1. Wettkämpfe von -Schülern untereinander, wie z.B. die regelmäßig seit Mitte der 1880er-Jahre bis heute (), 2. Wettkämpfe zwischen - Schülern und Schülern anderer - Schulen innerhalb des , z.B. wenn diese den besucht haben oder zu Kämpfen eingeladen wurden, 3. Wettkämpfe anderer Veranstalter, -Schüler gegen Schüler anderer Schulen gekämpft haben. Man kann wohl davon ausgehen, dass in den ersten beiden Fällen Regeln des angewendet wurden, während im dritten Fall der jeweilige Veranstalter die Regeln festgelegt hat. Genaues ist jedoch nicht bekannt.

Butokuden, des zentralen der Dai-Nippon Butokukai

26 der budoka 9/2011 Entwicklung landesweiter Regeln für Randori und Wettkampf durch die Dai-Nippon-Butokukai 1899 Im Jahr 1895 wurde die „Großjapanische Vereinigung der Kampf- künste“ ( handelte es sich um eine halbstaatliche Organisation, die die Kultur Aktivitäten zählte auch ein alljährlich im Mai abgehaltenes Festival der Kampfkünste (), zu dem landesweit Vertreter verschie- dener Schulen eingeladen wurden, um ihre Künste zu demonstrieren und um sich im Wettkampf zu messen. Zur Durchführung benötigte man gemeinsame Regeln für schulüber- greifende Vergleichskämpfe - übrigens ein weiteres Indiz dafür, dass es zu jener Zeit keine einheitlichen Regeln gab. Um diese zu erarbei- ten, wurde eine Kommission unter Leitung berufen, der noch drei weitere -Mitglieder ( , und H. ) angehörten. Die anderen zahlreichen -Schulen waren nur durch insgesamt sieben Vertreter repräsentiert, was die Do- minanz des in dieser Arbeitsgruppe deutlich ausdrückt. Nach ausgiebigen Diskussionen entstanden die „-Regeln für und Wettkampf“, die aus 13 Artikeln bestanden.

Übernahme der Regeln für den übernommen. s ganzes politisches Talent und seine überragende Rethorik wird an seiner Begründung erkennbar (über- setzt aus , S. 104): dass in dieser Szene wenig Bewegung war. Es handelt sich damit offenbar um einen früher durchaus verbreiteten Versuch, den gegnerischen Ippon im Standkampf zu vermeiden, indem man von sich aus in die Bodenlage geht, dies jedoch für und Butokukai verboten, nicht jedoch für die „Ko- sen-“ Die Erarbeitung dieser Regeln stellte den ersten großen politischen Kriterien für die Bewertung von Nage-waza Durchbruch für das gegenüber den anderen - Schulen bei der dar. Endgültig setzte sich dann der Die Kriterien für eine zu bewertende Wurftechnik sind im Wesentli- an die landesweite Spitze des , als sieben Jahre spä- chen noch dieselben wie heute: ter , und von einem Komitee - wieder- - muss auf den Rücken geworfen werden. (Anmerkung: Dies um unter Leitung s und aktiver Beteiligung führender - ist durchaus bemerkenswert, denn in den alten -Stilen kam es Meister - als Standard- für Japan festgelegt wurden (siehe auch nicht darauf an, den Gegner kontrolliert auf den Rücken zu werfen, Teil 7: „Die -Methoden - “). sondern ihn irgendwie zu Boden zu bringen. Durch den Aufprall soll- te er kampfunfähig gemacht werden oder in eine Position geraten, aus Einzelbestimmungen aus den Regeln von 1899 der heraus er kontrolliert und mit einer anderen Technik oder z.B. mit - einem Messer endgültig besiegt werden konnte.) ter Form für den übernommen? - Wenn auf den Rücken geworfen wird, wird die Technik be- wertet, auch wenn nicht klar ist, um welche Technik es sich genau Erlaubte Techniken handelt. - Wenn ein Kämpfer absichtlich zu Boden fällt oder als Folge eines wurden in und Wettkampf verboten. Es verblie- Unfalls (z.B. ausrutscht) wird die Aktion nicht bewertet. Wenn das ben also und . Des Weiteren wurden Hebel Fallen jedoch das Resultat einer Wurftechnik oder Folge einer Ver- gegen Finger, Zehen, Hand- und Fußgelenke verboten. Zulässig wa- teidigung gegen eine andere Technik ist, so wird ein Punkt zuerkannt. ren jedoch zunächst noch Genick- und Kniehebel. In der Version des - Wenn es schafft, sich so abzudrehen, dass er nicht auf den Rü- waren aufgrund der Verletzungsgefahr alle Hebeltechniken cken fällt, wird kein Punkt gegeben. für Kämpfer unter 1. verboten. - Wenn jedoch, nachdem er gefallen ist, weiterrollt oder wieder aufsteht, wird ein Punkt zuerkannt, wenn deutlich ist, dass von Ippon - Nihon der Technik vollständig überwältigt wurde. Um zu gewinnen, musste man zwei Punkte erreichen, der erste Punkt - Wenn sich an festklammert und so verhindert, geworfen zu wurde mit , der zweite mit vom Kampfrichter verkündet. werden, kann der Kampfrichter dennoch einen Punkt geben. Ein Punkt war das vollständige Überwältigen des Gegners mit einer zulässigen Technik. Mehrere nicht ganz vollständig erfolgreiche, aber Kriterien für die Bewertung von Katame-waza dennoch „gültige“ Techniken („“) konnten zu einem Punkt wurden mit einem Punkt bewertet, wenn der Gegner zusammengefasst („“) werden. aufgegeben hat („Abklopfen“ o.ä.) oder der Kampfrichter festgestellt hat, dass die Technik vollständig wirksam ist. Genauere Hinweise sich in den schriftlichen Regeln nicht.

der budoka 9/2011 27 In Folge 11, als wir die Entwicklung der betrachteten, Werden Wettkämpfe öffentlich ausgetragen, dauert es nicht lange, bis war der Vorrang der vor den in der Über- Wettkampfergebnisse auch zu öffentlicher Aufmerksamkeit führen. zeugung s bereits thematisiert. Dies drückte sich auch in den Spätestens ab diesem Moment besteht die Gefahr, dass nicht mehr die Wettkampfregeln aus. Selbstüberprüfung, sondern die Erringung des Sieges um der sozialen Anerkennung willen Leitmotiv für die Wettkämpfenden wird. Das hat Während in den Regeln der lediglich bestimmt war, dass Folgen für die Kampfweise: diese folgt dem Ziel des Siegens inner- die Kämpfer weder den Stand- noch den Bodenkampf durch ihre halb des gegebenen Regelwerks und nicht mehr den Grundgedanken Kampfesführung vermeiden dürfen, sahen die Regeln des der Kunst. vor, dass der Kampfrichter auf ein Verhältnis zwischen Stand- und Bodenkampf von 60-70 zu 30-40 Prozent für -Träger bzw. von Dieser grundlegenden Problematik war das auch in der Wahr- 70-80 zu 20-30 Prozent für -Träger hinwirken soll. nehmung ausgesetzt. Es begann sich zu verändern und von seinem ursprünglichen Zweck zu entfernen. war sich darü- Anpassungen der Regeln bis s Tod 1938 ber bewusst, dass diesem Trend nur durch eine Anpassung der Regeln entgegen gesteuert werden kann, die so gestaltet sein müssen, dass Bis in die heutige Zeit hinein gibt es immer wieder Änderungen der sie die ursprünglichen Grundlagen und Ideen des re- Wettkampfregeln. Diese werden stets mit Entwicklungen bei den Wettkämpfen begründet, denen man gegensteuern müsse. Dies war zu s Lebzeiten nicht anders, auch wenn die Änderungen nicht Das - aus s Sicht - Missverhältnis zwischen Stand- und Boden- kampf haben wir in Folge 11 („Entwicklung der “) aus- Zeit. führlich erläutert. Der Bodenkampf wurde nach seiner Wahrnehmung zu dominant, was die Eignung des für die Selbstverteidigung, Anpassungen zur Reduktion von Verletzungen die Leibesertüchtigung und auch die Fortschritte des Einzelnen be- einträchtigt hat. Infolgedessen wurde 1924 in den -Regeln Ein System der Leibesertüchtigung muss gesundheitsförderliche (1925 von der übernommen) festgelegt, dass der Boden- Rahmenbedingungen und einen Schutz vor Verletzungen bieten. kampf unter zwei Bedingungen aufgenommen werden darf: Nach und nach wurden Techniken aus dem und Wettkampf verbannt, die verletzungsträchtig waren. In den Regeln von 1899 wa- 1. wenn die Hälfte der Kampfzeit im Stand gekämpft, aber keine Wer- ren bereits Hebel an Zehen, Fingern, Hand- und Fußgelenken ver- tung erreicht wurde, boten. Bis 1924 wurden nun auch schrittweise alle Hebeltechniken, 2. als Folge einer nicht geglückten Wurftechnik oder nach einem die nicht auf den Ellenbogen wirken, verboten, wie z.B. Bein- oder Genickhebel. Ebenso wurde das Zusammenpressen des gegnerisches letzte Regelung besteht noch heute. Rumpfes mit den Beinen verboten. kritisierte im Übrigen auch, dass viele Kämpfer eine abge- Auch bei den Wurftechniken gab es Einschränkungen, z.B. durch das beugte Haltung einnehmen würden, um nicht zu verlieren. Dies sei Verbot von oder die Regelung, dass bei ein aus Sicht der Selbstverteidigung sehr ungünstig (vgl. Folge 8, Die Punkt gegeben wird, wenn der Partner auf Schulterhöhe angehoben -Methoden - ). Entsprechende Regeländerungen, wurde, ohne dass dieser abgeworfen werden musste. (Anmerkung: die dies unterbinden würden, wurden aber nicht vorgenommen. Dies Diese Regel wurde 1981 von der IJF abgeschafft und 1985 vom geschah erst in jüngerer Zeit mit der teilweise sehr umstrittenen Be- übernommen.) schränkung der Anwendung von so genannten „Beingreiftechniken“.

Persönliche Anmerkungen

Anfangs war die Kampfdauer nicht festgelegt, so dass die Kämpfe - (1) In dem 1905 erschienenen Buch von und - die zudem bis zwei Punkte ausgetragen wurden - sehr lange dauern konnten. Mit steigenden Teilnehmerzahlen waren Turniere so nicht deutsche Fassung gab, sind auch Wettkampfregeln abgedruckt, die mehr durchführbar. Mehr und mehr wurde auf das Auskämpfen des - zweiten Punktes verzichtet, so dass ein Kampf bereits wie heute mit den sind. beendet war. Außerdem wurde kontinuierlich die Kampfzeit beschränkt. Kurz vor und nach dem 2. Weltkrieg waren bis zu 20 Im Jahr 1928 schrieb in einem Rückblick auf einen Aufenthalt Minuten noch üblich. in Deutschland, bei dem er die Polizeischule in Berlin besuchte ( Heft 7, Nummer 12, 1928, übersetzt von , 2010):

Tenran-shiai Anwesenheit des Kaisers“) im Jahr 1940: links KIMURA gegen ISHIKAWA, rechts MASTUMOTO gegen FUJIWARA

28 der budoka 9/2011 „ BAELZ “ Wie das gesamte Buch selbst, haben diese Regeln - entgegen dem Titel und dem formulierten Anspruch des Buches - nichts mit dem s zu tun. Leider hat ganz offensichtlich Prof. , der ein in Teilen durchaus bemerkenswertes Vor- - kel in Europa, wie z.B. hier in Wien um die Jahrhundertwende so den Eindruck verstärkt, als handele es sich um ein Werk über das . Über Jahrzehnte gab es also in Deutschland aufgrund der Verbreitung des Buches vollkommen falsche Vorstellungen über das In der Folge verbreiteten sich viele Defensivtaktiken, so dass nach ! der Einführung der kleinen Wertungen nach und nach Strafen für Kampfvermeidungsstrategien (Passivität, Scheinangriff, defensiver (2) Die Regeln für -Wettkämpfe waren nicht, wie das heute der Griffkampf, Veränderung der Jacken, die nicht der besseren Haltbar- Fall ist, für ganz Japan einheitlich, was oben am Beispiel der Un- keit, sondern der Erschwernis des gegnerischen Griffs dienen usw.) terscheide zwischen den Regeln der und des festgelegt wurden. Dies brachte wieder neue Strategien hervor, näm- dargestellt wurde. So gab es weitere, von den vorgenannten leicht lich den Gegner so weit in die Defensive zu drängen, dass er wegen abweichende Regeln bei Schulen, Universitäten, Polizei, Armee usw. eines solchen Vergehens bestraft wird, was in einer eigenen Führung resultiert, die man dann mit „geeigneten“ Mitteln verteidigen kann. (3) Die bekanntesten vom abweichenden Regeln waren die Das Ganze wiederholt sich dann oft mit umgekehrten Vorzeichen. der höheren Bildungsanstalten („-Regeln“), in denen der Bo- denkampf begünstigt war. Trotz aller Bemühungen gelang es Langsam - aber leider sicher - wurden in vielen Vereinen in den letz- nicht, die Veranstalter der -Wettkämpfe dazu zu bewegen, die ten Jahrzehnten die Wettkampfregeln anstelle der Grundkonzeption oben dargestellten von und vorgenommenen Än- des zur Leitlinie des -Trainings. Gerade in jüngs- derungen für die Beschränkung des Bodenkampfes zu Gunsten des ter Zeit gab es zahlreiche Versuche, gegenzusteuern, z.B. durch die Standkampfes zu übernehmen. Abschaffung des . Jedoch lässt sich das Grundproblem der Aus- richtung des Trainings an den Wettkampfregeln nicht durch Änderun- (4) Den hohen Prestigewert von Wettkämpfen in der japanischen Vor- gen derselben aus der Welt schaffen. kriegszeit kann man erahnen, wenn man die Berichte über den Mann- schaftskampf im Jahr 1927 zwischen den Präfekturen und Aus einer nüchternen Distanz heraus betrachtet, muss man feststel- in Band 2 der „Wurftechniken des “ von len, dass es eine Art Regelkreis gibt, bei dem versucht wird, die Wett- (Kapitel über ) liest. Die Rede ist von ex- kampfregeln als Stellglied zur Anpassung eines IST-Zustands (=das, tra aufgebauten Tribünen, 15.000 Zuschauern, Schlägerien zwischen was die Wettkämpfer tun) an einen SOLL-Zustand (=das, was die den Anhängern der Mannschaften schon im Vorfeld und einem (ver- Wettkämpfer tun sollten) zu verwenden. Dies hat - wie oben darge- mutlich) anschließenden Verbot der beiden Präfektur-Gouverneure, legt - schon so gemacht und ist sicherlich von Zeit zu Zeit er- derartige Wettkämpfe auszutragen. forderlich. (5) Im Jahr 1930 wurden zum ersten Mal die Alljapanischen Meister- schaften ausgetragen. Es gab vier Alters- aber keine Gewichtsklassen. Grundprinzipien des folgen, diese sicherlich an der - ein oder anderen Stelle modern interpretierend, aber nicht - wie es kurrenzen ausgetragen wurden. Veranstalter war der . in der jüngeren Zeit immer wieder der Fall war - von Vorstellungen getragen sein, wie man glaubt, als mediales Spektakel am besten Jede der acht Regionen, in die das Land geteilt hatte, konnte vermarkten zu können. einen Repräsentanten nominieren. Es gab also nur acht Teilnehmer pro Klasse. Ausgetragen wurde im KO-System. Literatur:

(6) Kleinere Wertungen als - nämlich und - wur- - den 1974 eingeführt, um bei Kämpfen, in denen kein oder

gefallen war, eine objektivere und für alle Beteiligten transpa- : Erwin von Baelz und die körperlichen Übungen, Bittmann- rente Entscheidungsgrundlage zu erhalten. Dies führte zu einer ver- Verlag 2010 änderten Taktik vieler Kämpfenden, da natürlich auch die Kämpfer jederzeit über den Kampfstand informiert waren und viele von ihnen 2009 aus nachvollziehbaren Gründen ihre Taktik darauf ausrichteten, auch kleine Vorsprünge über die mit fünf Minuten ohnehin kurze Kampf- 2011 zeit zu halten. Vorlesung an der Universität Bath, August 2005

2003

der budoka 9/2011 29 Grundwissen der Geschichte des

von Wolfgang Dax-Romswinkel

Teil 15:

- Elite des Landes ihren Nachwuchs auf seine führende Rolle in der ja- wicklung des beleuchtet, jedoch noch nicht seine Ver- wurde haupt- breitung in Japan und darüber hinaus. Um zu verstehen, wie sich das von bescheidenen Anfängen eines 20 Quadratmeter des Kaiserhauses, bei besonderen Leistungen jedoch auch von Bür- mit einer Handvoll Schülern zu einer internationalen gerlichen, besucht. machte in Anbetracht seines jungen Alters - Konrektor der Schule - übrigens genau zu der Zeit als der Thronfolger ter und seine Kontakte zu höchsten Kreisen der japanischen Gesell- und spätere -Kaiser die dortige Grundschule besuchte. schaft vor Augen führen. , der selbst bürgerlicher Herkunft war, verlangte, dass die Schü- selbst ge- ler aufgrund ihres Adelsstandes keine Privilegien in der Schule ha- hen, sondern um die gesellschaftliche Stellung s. ben dürften und forderte von ihnen konsequent gebührenden Respekt Familienbande sich für eine Gleichbehandlung adeliger und nicht-adeliger Schüler ein und setzte sich mit diesen Forderungen auch durch. Beides war Wie schon in Folge 2 erläutert entstammte J. einem sehr vermö- keineswegs selbstverständlich in der damaligen Zeit. - derei. Nach der -Restauration trat er in den Staatsdienst ein und , baute u.a. Befestigungsanlagen für die Regierung. Die Beziehungen - des Vaters öffneten für den jungen eine ganze Reihe von Türen. - Das Wichtigste war aber jedoch die hervorragende Ausbildung, die ten bevorzugte, ein adeliger Schüler bei der Vergabe eines Stipendi- als Jugendlicher genoss. ums für ein Auslandsstudium gegenüber einem zunächst vom Erzie- hungsministerium ausgewählten Bürgerlichen bevorzugt wurde, kam J. heiratete 1891 , die Tochter des angesehe- es zum offenen Bruch zwischen und , in dessen Folge nen Gelehrten , der zuvor japanischer Botschaf- „vorschlug“, selbst auf eine Studienreise nach Europa ter in Korea war, also ebenfalls zur „besseren Gesellschaft“ gehörte. zu gehen. Aus dieser Ehe gingen insgesamt sieben Kinder hervor. verdiente sich J. nicht nur Anerkennung und Res- Beruf und Berufung: Stationen s pekt, sondern konnte auch den Grundstein für zahlreiche persönliche als Pädagoge Beziehungen legen, die in den Folgejahren wichtig für ihn und die Verbreitung des - wurden. Lehrer an der Adelsschule „“

selbst studierte an der damals einzigen Universität Ja- Nicht nur vor dem pans und schloss 1881 in den Fächern Wirtschaft, Literatur und poli- tische Wissenschaften ab (vgl. Folge 2). Danach entschied er sich für eine überlebens- eine Laufbahn als Lehrer bei der , einer Schule, in der die - Diese hier ziert den Eingang der Tsukuba- Universität, der Nachfolgerin der Höheren Lehrer- bildungsanstalt ist die Tsukuba- Universität wis- senschaftlich wie sportlich eine der Universitäten in Japan

Alle Bilder: Archiv Dieter Born

der budoka 10/2011 25 erste Auslandsreise und seine Entwicklung zum Bildungsexperten

Von Oktober 1889 bis Dezember 1890 hielt sich in Europa auf, vornehmlich um europäische Schulsysteme zu studieren und sich mit schon bald wurde ihm der Posten des Direktors der Höheren Leh- - ) angeboten. Für punkt war Lyon, wo seine erste Anlaufstation S. war, ein - wie kurze Zeit übte er diese Tätigkeiten sogar parallel aus, jedoch ver- konnte es anders sein - ehemaliger zichtete er bald auf die Leitung der Schule und widmete sich mehr als studierte er sodann intensiv das dortige Bildungssystem. zwei Jahrzehnte voll und ganz der Lehrerausbildung.

Eine weitere Station führte von Dezember 1889 bis Juli 1890 Zweimal wurde zwar noch in der Folgezeit des Amtes entho- ben, jedoch danach auch immer wieder neu eingesetzt, so dass es beschäftigte sich - letztlich bei diesen beiden Unterbrechungen blieb und er bis 1920 für erziehung und traf dazu mit führenden Köpfen der damaligen Zeit die Ausbildung von Lehrern verantwortlich war. Die beiden Amts- zusammen. Weitere Reisen führten ihn nach Österreich, Russland, enthebungen waren jeweils Folge von direkter Opposition gegen Schweden, Dänemark, Holland und in die Schweiz. zweiten Fall Parteienwirtschaft vorwarf. Nachdem sich in der Fol- nutzte also die Zeit, um in Europa so viel wie möglich über Bildungssysteme zu erfahren, und entwickelte sich so zu einem Bil- stets neu eingesetzt. Positionen im japanischen Bildungswesen bringen sollten. Es fällt schwer, eine Kurzzusammenfassung seiner Verdienste und Errungenschaften in dieser Position zusammenzufassen. Heute gelten Direktor der 5. Mittelschule in Kumamoto auf der Insel vor allem folgende Punkte in Japan als besonders bedeutsam:

Nach seiner Rückkehr nach trat trotz der Abneigung ge- - Schaffung eines liberalen Campus im Gegensatz zu einer militä- an. risch-hierarchischen Organisation, zu werden, lehnte er zunächst ab, da er den Amtsinhaber ver- für Studenten, die diese auch in den Schulen etablieren konnten und drängt hätte. Stattdessen wechselte er wenig später für kurze Zeit als so das Angebot der Schulen wesentlich bereicherten, Regierungsrat ins Erziehungsministerium. Nachdem der Direktor der - Öffnung auch für chinesische Studenten, aber noch im gleichen Jahr verstarb, nahm - Verlängerung der Studiendauer für Lehrerkräfte auf das Niveau der das erneut an ihn gerichtete Angebot an und wurde im August üblichen universitären Ausbildung und dadurch Schaffung der Vor- 1891 Direktor auf . Obwohl er erst kurz zuvor geheiratet hatte, - alleine und nahm sich eine Dienstwohnung. dung in Japan, legte schon damals viel Wert auf gute Lehrer, denn diese waren für ihn der Schlüssel für eine bessere Ausbildung und Erziehung der (vgl. z.B. Homepage der -Universität, der Nachfolgerin der Schüler. So holte er auch den bekannten japanophilen Schriftsteller Höheren Lehrerbildungsanstalt) als Englischlehrer an seine Schule. L. wurde später Professor für englische Literatur an der Universität in .

Abteilungsleiter im Erziehungsministerium

als Abteilungsleiter ins Erziehungsminis- terium nach zurückberufen. Dort befasste er sich zunächst mit der Zusammenstellung, Auswahl und Evaluation von Lehrbüchern, hatte aber eigentlich andere Vorstellungen und Hoffnungen für seine zukünftige Arbeit. Seine tieferen Beweggründe fasste er selbst fol- ( 2003, S. 109 zitiert aus in:

Direktor der 1. Mittelschule in

frei geworden war. Ein Freund und vormaliger Direk- tor der Schule, der als Abteilungsleiter ins Erziehungsministerium gewechselt war, empfahl diesem Zusammenhang, dass diese Schule zu den Pionieren auf dem Gebiet der Leibeserziehung zählte. Während erneut Direktor Erziehungsministeriums.

- schen Spiele 1912 in Stockholm

26 der budoka 10/2011 Als Pädagoge im (Un-)Ruhestand lenkte nun die Entwicklung des japanischen Sports so- Auch nach seiner Pensionierung im Jahr 1920 bekleidet J. als zehn Jahren als Präsident des Sportverbandes zurück, nachdem es Berater des Erziehungsministeriums noch einige Ämter im Feld sei- Differenzen um die von abgelehnte Beteiligung Japans an den „Fernöstlichen Athletischen Spielen“ gab. im Lehramtsprüfungsausschuss und in der Untersuchungskommissi- und die Bewerbung Japans um die Austragung der Olym- zu Fragen der Leibeserziehung und des Sports in Schulen und in der pischen Spiele 1940 -Untersuchungskommission, die sich mit der Verwendung der lateinischen Schrift (=„“) in Japan befasste. , sich um die Austra- gung der Olympischen Spiele 1940 zu bewerben. Der Bürgermeister H. traf sich am 4. Juli 1932 mit J. und bat diesen um als Sportfunktionär: Vater der Unterstützung für die Bewerbung. Es war kein leichtes Unterfangen, olympischen Bewegung und des Sports in Japan da es eine Reihe von Gründen gab, durch die ein Erfolg unwahr- scheinlich schien. Berufung in das Internationale Olympische Komitee (IOC) - fall 1931 und später durch den Austritt aus dem Völkerbund 1933 Baron - die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit abgehalten. Die nächsten das als Favorit galt. Hinzu kamen die erheblichen Reiseaufwendun- drei Spiele waren auf Teilnehmer aus Nordamerika und Europa be- gen für die Teilnehmer nach Japan. reichte dennoch die Bewer- bung schränkt. Da jedoch global dachte, war er bestrebt, auch Länder anderer Kontinente aufzunehmen. Japan lag aufgrund seiner - wirtschaftlichen und politischen Vormachtstellung in Asien als nächs- rück, sodass die Entscheidung zwischen , Rom und Helsinki ter Kandidat nahe, so dass er über den französischen Botschafter in - sche Seite - war hieran wohl nicht beteiligt - mit B. vereinbarte, dass sich Rom zugunsten von zurückziehen und könnte. Japan im Gegenzug eine Bewerbung Roms für die Spiele 1944 un- terstützen sollte. und so wurde dieser, nachdem er sich bereit erklärt hatte, im Jahr 1909 zum ersten asiati- verband vor als Austragungsort der Spiele 1940 gegenüber Helsinki aus- gewählt. Die Entscheidung wurde jedoch später aufgrund der politi- zum Zwecke der Erziehung sein können und sollten. gehörte - innerjapanische Opposition gegen die Austragung der olympischen Spiele. Gründung und Präsident des Japanischen Sportverbandes Japan konnte nunmehr ab 1912 zwar an olympischen Spielen teilneh- zu sichern und darüber hinaus men, jedoch gab es eine Reihe von praktischen Problemen. Es fehlte sogar die Austragung der Winterspiele 1940 nach zu holen. zum Beispiel jegliches System zur Auswahl von Athleten, da es keine Auf der Rückreise nach Japan starb Organisationsstruktur des Sports auf nationaler Ebene gab. Bord des Schiffes „“ an den Folgen einer Lungenent- zündung. Nach einigem Hin und Her lud 1911 führende Persönlichkeiten der Leibeserziehung - vornehmlich aus dem universitären Bereich - Wenige Wochen nach s Tod wurden von japanischer Seite je- zur Gründungsversammlung der „- doch die Spiele 1940 abgesagt, vornehmlich um mehr Ressourcen japanischer Verband für Leibesübungen) ein. wurde auf dieser (Geld, Stahl) für Rüstungszwecke zur Verfügung zu haben. Versammlung kaum überraschend zum ersten Präsidenten gewählt. Die junge Organisation bezog Geschäftsräume in der Höheren Leh- Erst lange nach dem 2. Weltkrieg wurde Japan mit (1964), rerbildungsanstalt und nahm alsbald die Arbeit auf. (1998) Gastgeber für Olympische Spiele.

als Politiker Nach seinem Ausscheiden als Direktor der Höheren Lehrerbildungs- anstalt trat der damalige Premierminister an J. heran wil- ligte nach einigen Überlegungen ein, tat seine Arbeit, beklagte aber, dass die Politik oft wenig zielgerichtet arbeiten würde.

Verglichen mit der Bedeutung, die in den vorgenann- ten Tätigkeiten hatte, erscheint seine Tätigkeit als Abgeordneter im japanischen Parlament eher nebensächlich. selbst bezeichnete sich dabei sogar als „Hinterbänkler“. Dass aber der Premierminister persönlich - chen Stellenwert in der japanischen Gesellschaft hatte.

Siegerehrung bei den Olympischen Spielen 1936 (Berlin) im Weitsprung: Jesse Owens (USA) gewinnt seine vierte Goldmedaille vor dem Leipziger L. Long und dem Japaner N. Tajima. Die Siegerehrung wurde vorgenommen

der budoka 10/2011 27 - Als Direktor der Höheren Lehrerbildungsanstalt in verant- wortete er über mehr als zwei Jahrzehnte die Lehrerausbildung und verschaffte der Leibeserziehung den gebührenden Stellenwert im Rahmen der schulischen Erziehung. Die Ausbildung der Lehrer hob er in seiner Amtszeit durch Angleichung der Studienzeiten an die Universitäten auf akademisches Niveau. - schwierigen Situation als Austragungsort der Olympischen Sommerspiele 1940 und für die Winterspiele desselben Jah- res durch. - Er gründete die nationale Sportorganisation in Japan und leitete de- ren Geschicke über viele Jahre. Damit legte er den Grundstein für die organisierte Entwicklung sowohl des Breiten- als auch des Leis- tungssports.

ausgesprochen dankbar sein, dass er Eröffnung des Parlaments in seiner Dissertation (siehe Literatur) das Leben und Werk , das in seiner Breite in der westlichen Sportwissenschaft kaum hat. Es bleibt nun zu hoffen, dass die Leistungen s auch hierzu- lande in Zukunft angemessen gewürdigt werden. Ohne Zweifel gehört - ten der internationalen Sportgeschichte. Wie viele Persönlichkeiten Literatur:

können auf ein derart umfassendes, vielseitiges und nachhaltiges Le- - benswerk zurückblicken: - Er ist Begründer und Architekt der meistbetriebenen Kampfsportart der Welt, die er selbst wie viele seiner Anhänger stets als umfassen- Verlag, 2003 des Erziehungssystem betrachtet hat. Dabei gehören seine Konzepte zur Einheit von körperlicher und geistig-moralischer Schulung in der Welt der Sportpädagogik nach wie vor zur Spitzenklasse. Verlag, 2000

die letzte Ehre (v.r.n.l.): Mehr- facher Minister und späterer Premierminister K. Hiranuma, Araki, der Vertreter des Sozial- ministers Kido, der ehemalige Kultur-, Finanz-, Innen-, Eisen- bahn- und Transportminister Mitsuchi (ein Absolvent der Höheren Lehrerbildungsanstalt 1897!) und als Vertreter des Nagaoka (10. Dan) und K. Iizuka (9. Dan, später 10. Dan)

28 der budoka 10/2011 Grundwissen der Geschichte des

von Wolfgang Dax-Romswinkel

Teil 16: ERWIN BÄLZ und die Diskussion um die Aufnahme der Kampfkünste in die schulische Erziehung in der ersten Hälfte der Meiji-Zeit

Es war ein langer Weg, bis und ERWIN BÄLZ, dessen Wirken im deutschsprachigen Raum meis- tens historisch nicht ganz korrekt wiedergegeben wird, teilen wir die Edo in das Bildungswesen in ERWIN BÄLZ eingehen. Die nachfolgende - Meiji sein Konzept des erstmals umfassend präsentierte und kurz darauf seine erste große Europareise antrat. - - Niedergang und langsamer Wiederaufstieg der Kampfkünste Kenjutsu Die Konzeption schulischer Erziehung folgt immer gesellschaftspo- eingestellt. litischen Vorstellungen. Vor diesem Hintergrund muss auch die Dis- - hung betrachtet werden. - Erziehung abgesprochen wurde. -

Vor der medizinischen Fakultät der staatlichen Universität sich eine Statue mit der deutschen Inschrift „Dr. Erwin Baelz, Professor der Medizin, 1876-1902“ (Fotos: Archiv Dieter Born)

der budoka 11/2011 27 Anfänge der Leibeserziehung im japanischen Schulwesen Die Untersuchungskommission von 1883/84 zur Eignung der Kampfkünste für die schulische Erziehung - - - - - - und zu diesem Zeitpunkt bereits gelernt hatte. - - - wonnen werden konnte. unterrichtete im Wesentlichen west- und ERWIN BÄLZ, Erste Diskussionen um die Kampfkünste als Teil der Leibeser- ziehung - - T. NI- : „ “

ERWIN BÄLZ mit Familie und Dienerschaft vor seinem Haus in um 1895/96 (Foto: Stadtarchiv Bietigheim- Bissingen / Archiv Dieter Born)

28 der budoka 11/2011 ( - - ERWIN BÄLZ konnte.

ERWIN BÄLZ als Fürsprecher der Kampfkünste als Leibeserzie- hung

ERWIN BÄLZ - - insbesondere des kränklichen Kronprinzen.

In der deutschen ERWIN BÄLZ: - beunruhigt gewesen sei, - - , daraufhin mit dem begann und später daraus das entwickelte. Portrait von ERWIN BÄLZ aus dem Jahr 1893 (Foto: Stadtarchiv Bietigheim-Bissingen / Archiv Dieter Born) - BÄLZ zu - BÄLZ- BÄLZ und auch Zeitungsartikel, die die bei- zugänglich gemacht hat. BÄLZ ERWIN BÄLZ- - - ERWIN BÄLZ eigene Erfahrungen mit den japanischen Kampf- künsten BÄLZ- BÄLZ, der in seiner Jugend in Deutschland gefochten hatte, demnach -

der budoka 11/2011 29 BÄLZ- schießen betrieb. . In einem Zeitungsarti- , war zu lesen (aus Wann und wie sie sich kennenlernten, ist nicht genau bekannt. Am wahrscheinlichsten erscheint dem Autor die gemeinsame Bekannt- schaft mit , der her kannte. Beide trainierten . studierte nicht nur bei E. BÄLZ , der später ein weltbe- - geschrieben, Die ersten in Schulen und Universitäten E. BÄLZ - an der ches Interesse erregte, sondern zusätzlich - wie er auch im Vorwort zu s „ andere Interessenten hatte. (Vorläu- fer der betrie- Der Erstkontakt mit lässt sich dagegen nicht so genau datie- ( ren, da BÄLZ - In der Yomiuri ShinbunBITT- auf die Zeit, in der BÄLZ „ mit ERWIN BÄLZ und Als sicher kann man dennoch annehmen, dass E. BÄLZ keinesfalls angeregt haben kann, zu lernen, da dieser bereits (genauer: unter lernte. BÄLZ (aus “

ERWIN BÄLZ auf einer Exkursion in den japanischen Bergen (Foto: Stadtarchiv Bietigheim- Bissingen / Archiv Dieter Born)

30 der budoka 11/2011 (Anm.: Bei , einer bearbeiteten Übersetzung der - Persönliche Anmerkungen , - nannt. Vermutlich hatte Die ersten bekannten allem, wenn man weiß, dass die heutigen Diskussionen um „Ringen und Kämpfen“ in aller Regel ohne Kenntnis der damaligen Argumen- tation dem . - - Vortrag von 1889 danke Kernidee der Entwicklung des gewesen. und seinen Beitrag zur Erziehung einem prominenten - auch der Verfasser mit der Vorstellung groß geworden, dass ei- len. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits Konrektor der und ERWIN BÄLZ mit als begannen, aus dem er später entwi- BÄLZJiuJitsu“ also daran, diesen Bedenken entgegen- zuwirken. E. BÄLZ berichtet in diesem Rah- - - stellung stichwortartig zusammengefasst: Demonstration an der BÄLZ schreibt:

Nachteile/Bedenken 1883/84 s Konzept des 1889 - - perliche Entwicklung durch ein- - seitige Beanspruchungen formen 2010 und bei Entwicklung spezieller zur unter der trainiert wurde. Dieses Angebot stand der Verletzungsgefahr Betonung des Erlernens der - - stände begonnen hat und ob er der Jahreszahlen, die BÄLZ selbst nicht nennt, auch die Interpretation im , auf - - BÄLZ mit dem - - treiben im Wetteifer usw. Kampfes (z.B. „Überlege reif- wichtig ist, wie zum lich, handle entschlossen“, was er daraus gemacht hat. - nung der Verantwortlichkeit BÄLZ- - , die - Zeitungsartikeln belegbar, dass er selbst zwei traditionelle Kampf- s an, kommt man Durch sein Engagement, sein Vorbild und seine gesellschaftliche des eine Reaktion auf die kritischen Ergebnisse der BÄLZ auf diese Weise zweifellos zu einem wichtigen als Erziehungs- - BÄLZ ein anderes war als Kritik am traditionellen , bzw. dessen nicht festgestellter Eig- -Kreisen hat BÄLZ mit sei- - tet. modernen, die Kritik widerlegenden pädagogischen Rahmen zu gie- Literatur:

ßen. Das war somit als Konzept eines reformierten - - : Verlag 2010 unproblematisch war. -

der budoka 11/2011 31 Grundwissen der Geschichte des

von Wolfgang Dax-Romswinkel

Teil 17: Die Kampfkünste und ihre Aufnahme in den Schulsport ab der zweiten Hälfte der Meiji-Zeit

als Schulsport: Die Aufnahme wurde erstmals 1915 veröffentlicht und zeigt Leibesübungen an der Mittelschule, die der Höheren Lehrerbil- dungsanstalt in angeschlossen war Bild: Privatarchiv Dieter Born

In der letzten Folge haben wir die Diskussion um die Einführung der Der politische Rahmen: Gesellschaftlicher Wandel in der zweiten Kampfkünste in die schulische Erziehung während der ersten Hälfte Hälfte der Meiji-Zeit der Meiji-Zeit (genauer bis 1889) betrachtet. Dabei wurde die Rolle des deutschen Gastprofessors für Medizin an der -Universität, Die Jahre 1889/90 markieren nicht nur wegen s Europareise eine Zäsur in der Entwicklung des . Vor allem in der Prof. ERWIN BÄLZ, ausgiebig gewürdigt. Der Vortrag s vor der Großjapanischen Gesellschaft für Erziehung bildete den Ab- politischen und gesellschaftlichen Entwicklung Japans ergaben sich schluss der letzten Folge. hatte hierbei das als System zur körperlichen und geistig-moralischen Erziehung vorge- das Erziehungssystem hatten. Davon waren natürlich auch die Lei- stellt, das konzeptionell die von einer Untersuchungskommission beserziehung und die Kampfkünste betroffen. des Instituts für Leibeserziehung in den Jahren 1883/84 festgestell- Der mehr oder weniger kritiklosen Übernahme des „Westlichen“ ten Schwächen der alten -Stile für die schulische Erziehung folgte als Gegenbewegung zur Mitte der Meiji-Zeit eine zunehmen- überwunden hatte. Kurz nach dem Vortrag begab sich auf seine de Besinnung auf eigene Traditionen. 1889 erhielt Japan eine neue erste Europareise. Verfassung und 1890 wurde der kaiserliche Erziehungserlass in Kraft gesetzt.

der budoka 12/2011 31 Außenpolitisch reihte sich Japan mit dem chinesisch-japanischen Krieg von 1894/95 und dem darauf folgenden russisch-japanischen usw. verankert waren. Der erfuhr daher insbesondere ab Krieg 1904/05 in den Kreis der imperialistischen Mächte nach dem 1904/05 unter der ideologischen Führung von (1855- damaligen westlichen Vorbild ein. Besonders der Sieg gegen Russ- 1944) eine radikale Umdeutung zu einer Art Staatsmoral, ausgerich- land, einer modernen westlichen Streitmacht, verlieh Japan Anerken- tet auf Kaisertreue und Vaterlandsliebe. nung und neues Selbstbewusstsein, denn eines der wichtigsten Leit- motive japanischer Politik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Propagandistisch geschickt wurden die Erfolge im russisch-japani- war es, sich einen gleichberechtigten Platz neben den Westmächten schen Krieg - aber auch Selbstmorde von Soldaten, um der Kriegs- zu erkämpfen. Dieses Ziel sah man nach dem Sieg über Russland als gefangenschaft zu entgehen - mit dem Geist des verknüpft, erreicht an. der nur dem japanischen Volk zu eigen sei und der dessen moralische Überlegenheit gegenüber den westlichen Völkern ausmache. Die -Ideologie als Grundlage der Meiji-Verfassung und Es entstand das Paradigma von „westlicher Technologie und japani- des Kaiserlichen Erziehungserlasses schem Geist“, das als neue Devise der gesellschaftlichen Entwick- Ein Nationalbewusstsein oder so etwas wie Vaterlandsgefühl oder lung formuliert wurde. So wie man zuvor schon Teile chinesischer Patriotismus existierten in Japan bis in die 1880er-Jahre trotz vie- Kultur integriert hatte, sollten Teile der westlichen Errungenschaften ler kultureller Errungenschaften kaum und mussten beim Aufbau des in die japanische Kultur integriert werden, um diese auf der Basis des Nationalstaats erst neu geschaffen werden. Man brauchte zur Moder- weiterzuentwickeln. Westlichen Philosophien jedoch, insbe- nisierung zwar zahlreiche „Westimporte“ - Wissenschaft, Medizin, sondere dem Individualismus, stand man von Staatsseite vor allem ab Bildungswesen, Militär, Industrie, Verkehr, Finanzwesen etc. - jedoch Mitte der 1930er-Jahre ablehnend gegenüber, da man ihn als gegen das gerichtet betrachtete. etwas, was im Idealfall das Einzigartige des japanischen Volkes bzw. seines Nationalwesens begründet und es von anderen Kulturen ab- Kampfkünste und Moralerziehung hebt. So kam es zu einer Rückbesinnung auf den Gründungsmythos Die Kampfkünste, die übrigens erstmals in der Meiji-Zeit mit dem des japanischen Kaiserreichs, der nach einer Phase kritischer Ausei- Sammelbegriff bezeichnet wurden, boten sich aus naheliegen- nandersetzung zu Beginn der Meiji-Zeit wieder vermehrt als histori- den Gründen in besonderer Weise an, um eine ideologische Brücke zu sches Faktum angesehen wurde. den vormaligen Diesem Mythos zufolge ist der japanische Kaiser () ein „Gott in - zu schlagen und so als Vehikel der Erziehung zu Nationalismus und menschlicher Gestalt“ und ein direkter Nachfahre der Sonnengöttin Militarismus missbraucht zu werden. Der Weg der Kampfkünste in und von den Göttern beauftragt, das Land in deren Sinn den Schulunterricht muss demzufolge auch vor diesem ideologischen zu verwalten. Hieraus leitete sich ein absoluter Herrschaftsanspruch Hintergrund betrachtet werden. des ab, der über der Regierung und außerhalb des Gesetzes Moralische Schulung war von Beginn an eine der Säulen des stand. Göttlichen Ursprungs und auch „göttlich“ geführt zu sein, ist (vgl. Folge 4). Aber wie ist in diesen nach dieser Vorstellung kurz gefasst das Einzigartige des japanischen Kontext einzuordnen? Durchaus dem Zeitgeist folgend sagte Nationalwesens, auf japanisch (von =Land, Nation, bereits in seinem Vortrag von 1889: =Körper), das damit auch eine religiöse Komponente bekam. Dies war für Japan ein völlig neuer Ansatz, da der die Jahrhunderte zuvor während der Militärdiktatur der politisch vollkommen entmachtet gewesen war und samt Hofstaat von der Welt abgeschottet im Kaiserpalast in gelebt hatte. Im Vordergrund der Aufgaben des Erziehungswesens stand folgerich- tig ab 1890 nicht mehr alleine der Wissenserwerb im westlichen Sinn. (aus Die Vermittlung von Vaterlandsliebe und Moral - bis hin zur Bereit- 2003, S. 287) schaft, sein Leben für das Vaterland zu opfern - kamen als weitere Erziehungsziele hinzu. Was er genau mit dem „Geist der Kampfkünste“ meint, führt er nicht - Als Grundlage einer neuen Morallehre mussten die Loyalitätsbezie- kreten Schulung der Moral durch keinerlei Ansätze in Richtung hungen der Untertanen gegenüber bzw. Vaterland und gegen- , oder ähnlichem Gedankengut, was nicht weiter verwundern kann, da der ideologische Wandel erst noch bevorstand. der auf konfuzianischer Lehre basierende an, da in dessen bezeichnet als einen Volksmoralisten, der fest auf dem Boden des Erziehungserlasses stand und daran auch - che Karriere, die ihn in führende Bildungspositionen Japans geführt hat, auch gar nicht denkbar gewesen. Aber folgte er auch der Ideolo- gisierung der Kampfkünste?

Zeitlebens wies auf die Notwenigkeit hin, in der Moralerzie- hung Fortschritte zu machen. Jedoch leitete er die Grundlagen für seine eigene Morallehre - und - im Ge- gensatz zur Kokutai-Ideologie bewusst nicht aus Religion oder (ver- meintlicher) Tradition ab (vgl. Folge 6). Vielmehr sah er die alleinige Basis für eine allgemeine Morallehre in einer unwiderlegbaren Logik und sprach auch vom Glück jedes Einzelnen als dem Ziel der gesell- schaftlichen Entwicklung. Dies konnte freilich nur in der Gemein- schaft erreicht werden, zu deren Entwicklung alle Mitglieder einen Beitrag leisten sollten. Von seinem universalistischen Ansatz her stellte er sich damit in Op- position zum japanischen Ultra-Nationalismus, denn verstand seine Prinzipien keinesfalls auf Japan beschränkt, sondern strebte nach internationaler Verständigung und Überwindung des Rassismus Endkampf der 1. Gesamtjapanischen -Meisterschaften für Mittelschu- (vgl. Folge 6). Bild: Privatarchiv Dieter Born

32 der budoka 12/2011 Entwicklungen ab 1889 Angebote waren. Der Unterricht in militärischer Gymnastik wurde Zurück in das Jahr 1889. Vortrag vor der Großjapanischen Gesellschaft für Erziehung (vgl. Folge 16) war zwar ein inhaltlicher Meilenstein der Entwicklung des , jedoch führte er Funktionalisierung des Sports im Zuge der -Ideologie nicht zu einer baldigen Einführung von in die schulische Er- ziehung. selbst konnte in den Folgejahren auch nicht weiter Nach einer vorübergehend etwas liberaleren Strömung in der - aktiv werden, da er zunächst in Europa weilte und danach für zwei Zeit (1912-1925) kam es in der nachfolgenden -Zeit (ab 1926) Jahre die Mittelschule in auf leitete (vgl. Folge zu einem Erstarken von nationalistischem und militaristischem Ge- 15). Dort richtete er - wie könnte es anders sein - auch ein ein dankengut. Die Leibeserziehung insgesamt wurde in der -Zeit und unterrichtete . vollends in den Dienst der Wehrkraftsteigerung und der moralischen Erziehung im Sinne der herrschenden Ideologie gestellt. In den frühen 1890er-Jahren hatte zwar das eine ge- (2003, S. 73) schreibt dazu: wisse Reputation in Japan, galt aber immer noch als ein -Stil unter vielen. Im Jahr 1896 gab es eine weitere Untersuchung der Kampfkünste auf ihre Tauglichkeit für den Schulsport, jedoch führte auch sie noch nicht zu einem positiven Ergebnis, was den Eingang der Kampfkünste in den Fächerkanon der Schulen betraf. -Clubs an Schulen und Universitäten Wie im angelsächsischen Raum waren an vielen Schulen/Universi- täten Clubs eingerichtet. Die Schüler/Studenten mussten sich einem - hatte viele Jahre lang darauf gedrängt, dass die amtliche Be- ten diese Aktivitäten nicht zum Lehrplan. Immer mehr Schulen und zeichnung von in und von in umgewan- Universitäten nahmen /in das Angebot ihrer Clubs auf. delt wurde, um die moralische Konnotation im Sinne von und Als Leiter der Höheren Lehrerbildungsanstalt (vgl. Folge 15) etablierte J. bereits ein Jahr nach Amtsantritt, also 1894, auch dies nicht mit einer inhaltlichen Weiterentwicklung des ver- dort einen -Club, an dem die Studenten lernen bunden war und es deshalb zu Verwechslungen mit dem „wahren“ und betreiben konnten. Dies hatte nicht nur den Effekt, dass immer kam (s. hierzu auch Anmerkung 2). mehr (künftige) Lehrer mit vertraut wurden, sondern dass sie auch in das Management eines Clubs eingeführt wurden. In- und nerhalb weniger Jahre erhöhte sich die Anzahl an schuleigenen erheblich. Schließlich wurden 1931 und Fächerkanon des Schulunterrichts. Dies geschah in einer Zeit, in der Standardisierung des durch die Dai-Nippon-Butokukai Wehrkraftsteigerung und ideologische Erziehung durch die Kampf- Ende des 19. Jahrhunderts präsentierten sich die Kampfkünste noch sehr stark in unterschiedliche Schulen () zersplittert. Dies stand Nach einer Erhebung vom April 1932 wurde bereits zu diesem Zeit- einer landesweiten Einführung und Vermittlung - nicht nur in Schu- len, sondern auch bei Polizei und Militär - entgegen. 1895 wurde 1938 wuchs die Anzahl auf (geschätzte) über 700 Schulen mit über die schon mehrfach angesprochene (Großja- 200.000 Schülern an. panische Vereinigung der Kampfkünste) gegründet. Sie sollte zwar einerseits die verschiedenen Traditionen bewahren, andererseits aber In Anbetracht des weiteren Verlaufs der japanischen Geschichte, blei- auch gemeinsame Standards entwickeln, um die Kampfkünste syste- ben zwiespältige Gefühle über diese Entwicklung. Einerseits wurde matisch verbreiten zu können. Zu diesem Zweck unterhielt die im 19. Jahrhundert von ein überzeugendes pädagogisches Kon- nicht nur ein Trainingszentrum für künftige Instruktoren in zept des vorgestellt, so dass man von einer positiven , sondern gründete überall im Land Zweigstellen. Entwicklung sprechen könnte, wenn dieses Konzept so umgesetzt worden wäre. Andererseits war die Wehrkraftsteigerung bei gleich- Aufgrund der herausragenden politischen Rolle s, aber auch zeitiger ideologischer Schulung klar erkennbares Motiv bei der Ein- aufgrund der kämpferischen Qualität der -Kämpfer konnte führung von und in den Schulsport. sich das in drei wichtigen Bereichen gegenüber den anderen -Schulen hervorheben: Graduierungssystem (s. Folge 13), (s. Folge 7) und /Wettkampfregeln (s. Folge 14). Das wurde so Schritt für Schritt zum Quasi-Standard für . Damit war eine wichtige Voraussetzung für die landes- weite Verbreitung des geschaffen.

1911: Aufnahme als Wahlfach in den Sportunterricht Nach einigem Hin und Her und einer ganzen Reihe von Aktivitäten - Vorträge, Demonstration, Eingaben usw. - wurden und schließlich im Jahr 1911 als alternative Inhalte der Leibeser- ziehung in den Kanon der Schulfächer aufgenommen. Bei BENNETT (2008, S. 168) lesen wir hierzu (übersetzt aus dem Englischen): Der ideologische Kontext ist unübersehbar. Interessant ist jedoch, dass die sogenannte „militärische Gymnastik“ - im Wesentlichen Mitglieder einer 1934 speziell eingerichteten Kinderabteilung des Marschieren, Exerzieren und andere militärische Übungen - für alle (Anmerkung: Es gab zwar schon lange vorher Kinder am , jedoch wurde 1934 diese hier neu eingerichtet.) Bild: Privatarchiv Dieter Born

der budoka 12/2011 33 ! Diese drei Bilder zeigen deutlich, wie der -Unterricht in Schulen nach S Tod unmittelbar vor und während des Zweiten Weltkriegs aussah bzw. nach Vorstellung der japanischen Regierung aussehen sollte. Sie stammen aus dem amtlichen Buch (auf deutsch: „Volksschulen - Judo-Lehrbuch“), erschienen im Oktober 1941. Das Buch enthält die ab 1939 entwickelten Unter- richtsvorgaben des Kultusministeriums. Die Bilder zeigen zum Solarplexus und zum Kopf (un- ten links), die Abwehr eines Schwertes ( wie in ) (rechts) und Wurftechniken ( und ) (unten rechts). Interessant ist auch die Kleidung der Kinder mit traditionellem Stirn- band. Abbildungen: Privatarchiv Dieter Born

Lehrerausbildung kriegs in vierjährigen Kursen professionelle - und -Lehrer ausgebildet. Zahlreiche -Größen, wie z.B. H. (10. Voraussetzung für eine erfolgreiche Aufnahme der Kampfkünste in Dan) waren dort als Ausbilder tätig. die schulische Erziehung war natürlich die Verfügbarkeit entspre- stellte sich den idealen -Lehrer Auch in wurden entsprechende dreijährige Kurse zum - folgendermaßen vor (aus 2003, S. 222): Lehrer durchgeführt. Beinhaltete der erste Kurs noch und und wurde an der höheren Lehrerbildungsanstalt durchgeführt, fan- den ab 1911 die Ausbildungen am statt und beinhalteten nur noch , das um theoretische Themen wie Physiologie ergänzt wurde. Ergänzend wurden zwischen 1912 und 1922 jährlich dreiwöchige Kurse an der Höheren Lehrerbildungsanstalt durchgeführt, die nicht nur geplant, sondern bei denen er auch unterrichtet hat. Ohne s führende Rolle im japanischen Bildungswesen wäre die- se Entwicklung undenkbar gewesen. Es erscheint ebenso undenkbar, dass sich ohne gezielte Lehrerausbildung derart hätte entwi- ckeln und verbreiten können.

fasst hier noch einmal indirekt zusammen, was das Die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg als ein Erziehungssystem, das weit über die körperliche Dimen- sion hinausgehen soll, ausmacht. Aus naheliegenden Gründen untersagte die amerikanische Besat- zungsmacht nach dem Zweiten Weltkrieg die Ausübung der Kampf- Ab 1906 wurden an der in Instruktoren für künste im Schulunterricht. wurde 1949 und 1952 wieder und ausgebildet. Ein Ausbildungszentrum wurde unter dem zugelassen und werden seitdem intensiv als Wahlfach praktiziert. Ab Namen gegründet und später in - (Fachschule für ) umbenannt. Dort wurden bis Ende des 2. Welt- nen und Schüler.

34 der budoka 12/2011 Persönliche Anmerkungen nische -Dachverband hat zum Beispiel im April 1987 die - Charta und am 10. Oktober 2008 ein Papier zur Philosophie des (1) Die Gründe für ein fehlendes Nationalbewusstsein und fehlende verabschiedet. Darin wird unmissverständlich klar gestellt: gemeinsame Moralvorstellungen lagen unter anderem in einer feh- lenden Staatsreligion und in der Ständegesellschaft. Die einzelnen Stände hatten - trotz einiger Fusionszonen - weitgehend abgegrenz- te Lebensbereiche, in denen sich relativ eigenständige Kulturen der ) usw. entwickelten. Jede dieser Gruppen entwickelte eigene Leitlinien für für die Samurai-Klasse oder den (2) s Morallehre - ausgedrückt durch die Prinzipien und - stand wie oben beschrieben in Opposition zu radikalen -Auffassungen der späten Meiji-Zeit und danach. Ab den 1920er-Jahren versuchte zunehmend auch andere Kampfkünste unter das philosophische Dach des (= und ) zu integrieren. Diese Auseinandersetzung führ- konnte die Ideologisierung und den Missbrauch der Kampf- te er auch auf der Ebene der Begriffe, in dessen Rahmen sein berühm- künste zu seinen Lebzeiten nicht verhindern. Heute kann man aber tes Zitat zu sehen ist, nach dem keine Form des , sondern feststellen, dass sich seine Ideen und Gedanken nach seinem Tod eine Form des sei. schließlich durchgesetzt und zu einer neuen Kultur des geführt haben - mit der -Philosophie als Dach für alle modernen Diszip- Dies führte nicht nur zur damaligen Zeit zu großer Verwirrung da- in rüber, was denn nun eigentlich auf der technisch-inhaltlichen die schulische Erziehung. Ebene sei und welche anderen Künste nun „beinhalten“ würde, denn schließlich sprach z.B. auch davon, und Dies muss nicht immer so bleiben, denn (auch) in Japan gibt es (jap. Stockkampf) in integrieren zu wollen. nach wie vor eine ultra-nationalistische Szene, die der/den alten Ideologie/n nachhängt und die die Kampfkünste gerne wieder vor ih- (3) kämpfte erkennbar mit einer Grundfrage der Sportpädago- ren ideologischen Karren spannen würde. gik, die bis in die heutige Zeit problematisch und wissenschaftlich nicht abschließend geklärt ist. Es ist die Frage nach tatsächlichen er- zieherischen Wirkungen von Aktivitäten, denen ein bestimmter erzie- Literatur: herischer Wert zugeschrieben wird. erzieht zu () - Der religöse Traditionalismus in Neuzeit und Moderne Japans, Köln 1998 ....“ ist bestenfalls Ausdruck eines naiven Optimismus, wenn sich dies nicht auch in konsequentem erzieherischen Handeln des Erzie- - hers zeigt, denn Erziehung kann nach derzeitiger sportpädagogischer Auffassung nur in der Verknüpfung von Aktivitäten mit konkreten pädagogischen Perspektiven wirksam werden. Entscheidend ist also die konkret ausgestaltete Art und Weise des Einsatzes von als Erziehungsmittel. Dessen war sich wohl bewusst, stellt er doch 2008 (im Internet verfügbar) genau diese Problematik in den Mittelpunkt seiner Vorstellungen von einem idealen -Lehrer (s.o.). 2003 (4) Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs kam auch das Ende der Nippon Budokan Stiftung: Die japanischen Kampfkünste, Programmheft der -Demonstration am 13. November 2011 in Düsseldorf -Ideologie. So erklärte der zum Beispiel (auf Druck der Besatzungsmacht), nicht von göttlicher Abstammung zu sein. / erfuhren einen erneuten Bedeutungswandel. Der Japa-

DVD-Neuerscheinung Die Refernten sind Yvonne Bönisch (Wer- fen nach hinten; Sutemi-waza, Uchi-mata; Angriffe gegen die Bank; Angriffe aus der 37. Internationale Rückenlage; Sankaku), Slavko Tekic (Wurf- Judo-Sommerschule techniken aus Ai-yotsu; Wurftechniken aus Kenka-yotsu; Technniken aus Khabarrelli- des DJB Griff, Verteidigung gegen Khabarelli-Griff; Werffen aus einseitigem Griff; Sankaku; Eine Woche lang war der Deutsche Judo- Angriffe aus der Rückenlage; Angriffe ge- Bund (DJB) wieder Gastgeber der inzwi- gen die Bank), Aron Bogoliubov (Grundla- schen 37. Internationalen Sommerschule. gen für Wurftechniken nach vorne, hinten 184 Minuten dieser Fortbildungsmaßnahme und zur Seite; Grundlagen Armhebel), Ralf in der Sportschule Lindow/Mark wurden wie Lippmann (Werfen auf einem Bein; Werfen gewohnt auf zwei DVDs festgehalten. Unter- auf beiden Beinen; Tölzer-Dreher; Angriffe teilt in eine DVD „Wurftechniken“ und eine aus der Bank) und Marco Sielaff (Grundle- DVD „Bodentechniken“ lassen diese beiden gendes Verteidigungsverhalten am Boden: DVDs alle Judokas, die nicht selbst vor Ort „Keine halben Sachen“). waren, das Training bei den hochkarätigen Referenten nun nach erleben. Und die Sport- Bezugsadresse: Klaus Kessler, Digitale Judo- ler, die vor Ort waren, haben ein erstklassiges Lehr medien, Auf dem Plägen 13, 51491 Ove- Medium, um die erlernten Techniken immer rath, Tel.: 0 22 06 / 8 10 49, Fax: 0 22 06 / 86 90 27, E-Mail: [email protected], wieder für das eigene Training in Erinnerung Internet: www.judo-lehrmedien.de zu rufen. 26 Trainingseinheiten sind auf den DVDs festgehalten.

der budoka 12/2011 35 Grundwissen der Geschichte des !P#P$%&'(\#P*+&*(%,%&

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Teil 18: !<#0 bei Polizei und Militär

Japan benötigte nach der Gründung des Nationalstaats 1868 Nah- !"#$%&'&()#)*%,*-./01)0*234*50/0(,7*82%*40)&)*9)0&)*:2,4)3*40)* Sicherheitskräfte neben Schulen und Universitäten zu einer weiteren Säule für die Verbreitung des !<#0. Dass hierbei nicht die ab ca. 1920 entwickelten philosophischen Vorstellungen !"#$%/'()*/s (Seiryoku- %&'(0 und !)*+,-(0&), vgl. Folge 6) im Vordergrund standen, liegt in der Natur der Sache. Für die Sicherheitskräfte waren vor allem die anderen, sehr pragmatischen Aspekte des !<#0 interessanter: körper- liche Fitness und Selbstverteidigung. Letzteres war insbesondere für die Polizei entscheidend. Nebenbei, was in der Bedeutung keinesfalls unterschätzt werden darf, boten Polizei und Militär neben dem Bildungswesen eine wei- tere Möglichkeit, den Lebensunterhalt als !<./*0/,/!<#0-Lehrer zu verdienen.

Erste Ansätze zur Entwicklung eines !<%&'(&-Standards für Polizei und Militär Dieses Bild zeigt, wie sehr Japan militarisiert wurde. Gewehre sind an den !#$%#&$%'&(0*0&+,-.%/%0123 Bilder: Privatarchiv Dieter Born Wie in Teil 1 ausführlich dargestellt wurde, gab es vor der 1&).)- Restauration (1868) in Japan kein einheitliches !<./*0/. Vielmehr war es in zahlreiche, in Konkurrenz zueinander stehende, Schulen der USA unter Commodore PERRY - gegenübersah, wurde in aller Eile zersplittert, deren Leitung oft innerhalb der Familie vererbt wurde. versucht, den militärischen Rückstand gegenüber dem Westen aufzu- Eine Vereinheitlichung des !<./*0/ lag damals weder im Interesse der holen. Eine der Maßnahmen war die Gründung einer Akademie zur 2304/'+*0-Regierung, da hierdurch lokale militärische Machtfakto- 82&;0/423<*=.3*>%[10),)3@*4)#*506/037, wo zunächst auch traditi- ren hätten begründet werden können, noch im ökonomischen Interes- onelle Kampfkünste unterrichtet wurden. se der Schulen selbst. Hierfür wurden auch !<./*0/-Lehrer verschiedener Schulen ange- Nachdem sich Japan im Jahr 1853 zum ersten Mal seit den erfolg- stellt, z.B. ()*/s Lehrer H. /+(+0), M. ISO (beide 8&'.)',03)')(0, losen Angriffen der Mongolen unter (+,-)"'(.)*'(1274 und 1281) :(<) und T. ""(+,$ (5)*0,:(<). Es ist davon auszugehen, dass die Leh- einer militärischen Bedrohung von außen - in diesem Fall der Flotte rer unterschiedlicher Schulen am 506/037 gegenseitig voneinander /),3()3@*4"*40)&)*03*4),*82&;0/423<*4),*>%[10),)*12&"##)3:0,!)3* mussten und auch gemeinsam trainiert haben. Das !<./*0/-Training wurde aber bereits 1862 wieder eingestellt, das 506/037 1866 ge- schlossen (vgl. Folge 1).

!<#0 und !<%&'(& bei der Polizei von )0*+0 Nach einer Phase der Geringschätzung traditioneller Kampfkünste durch die Behörden, begann sich die Polizei von 80-(0 1879 wie- der für diese zu interessieren und Lehrer für 5&'./*0/ und !<./*0/ einzustellen. Ab etwa 1883 wurden Turniere ausgetragen, an denen !<./*0/-Kämpfer verschiedener Schulen gegeneinander antraten. Den erfolgreichen Kämpfern winkte eine Anstellung als !<./*0/- Ausbilder bei der Polizei. Außerdem sollten die Turniere Aufschluss darüber geben, welcher der zahlreichen Stile denn nun der „beste“ sei, was erhebliche ökonomische Bedeutung für die Schulen und ihre Lehrer hatte. Um diese Turniere ranken sich viele Geschichten und Legenden, je- doch ist die historische Quellenlage - zumindest was zeitgenössische Berichte angeht - vergleichsweise dürftig. So sind zum Beispiel die Regeln, nach denen gekämpft wurde, nicht bekannt. Als gesichert kann jedoch gelten, dass 50#0-+'-Kämpfer bei diesen Turnieren er- folgreich abschnitten, denn Y. 1)2)3."4) und S. 1$($1)2) wurden aufgrund ihrer Leistungen bei der Polizei als Instruktoren angestellt. Bei einem dieser Turniere soll es zu einer Art Mannschaftskampf zwischen 50#0-+' und der 87*0/-+,3+,(703)',:(<;gekommen sein, Japanische Marineinfantristen beim Training von !&*,-#0 auf ihrem Schiff. !&*,-#0 war eine der Hauptdisziplinen der unmittelbar kämpfenden bei dem der 50#0-+' überzeugend siegte, der aber zu den problema- Truppen. !<#0 war mehr konzentriert auf die vormilitärische Ausbildung tischsten Kapiteln einer seriösen !<#0-Geschichtsschreibung zählt. 0#&451,6%#7&$0%&8,'906$,#.&:;#&<-[>0%/%#&,#$&+,-&$0%&?0602/@;60>%03 Die Totsuka-Schule stellte bis dahin die Mehrheit der Ausbilder bei

der budoka 1-2/2012 29 der Polizei, die 50#0-+'-Schüler drängten sozusagen auf den Markt. %"HB*=),[/#(*:2,4)*234*<,.%)*-.$2/",0((*),/"3<(*B"(7*D2HB*234*L0/#* Nach Meinung einiger Autoren stand der 50#0-+' im Falle einer dürften einen großen Anteil daran haben, dass mitunter geschichtli- Niederlage vor dem Untergang oder gar einem Verbot. Für diese HB)*L"!()3*234*[!(0.3"/)*J,1B/23<*=),#)3<(*:2,4)37 These wird zwar stets kein Beleg angeführt, jedoch ist im Gegenteil bekannt, dass die 87*0/-+,3+,(703)',:(<;auch nach diesem Turnier Oft ist zu lesen, dass sich das 50#0-+',!<#0 bei den Turnieren der weiter existierte und später in der Dai-Nippon-Butokukai neben dem Polizei von 80-(0 gegenüber „dem !<./*0/“ durchgesetzt und es da- durch verdrängt habe. Diese Darstellungen sind deutlich übertrieben 50#0-+' eine der wichtigsten Schulen war, deren Leiter 5","'4$43+() 1906 bei der Standardisierung der Kata mitgewirkt hat (vgl. Folge 7). und nehmen die spätere Entwicklung an der Dai-Nippon-Butokukai vorweg. Vielmehr hat sich das 50#0-+',!<#0 in diesen Turnieren Die genauen Umstände dieses Ereignisses sind ebenso ungeklärt, wie erst einmal einen gleichberechtigten Platz in der Welt des !<./*0/ das Datum, an dem der Kampf stattgefunden haben soll. Im Rahmen erkämpft, was eine der Voraussetzungen dafür war, dass in den spä- einer groß angelegten Interviewserie, die 1927 unter dem Titel „Mein teren Jahren und Jahrzehnten das 50#0-+',!<#0 bei der Dai-Nippon- Leben als !<#0-+“ veröffentlicht wurde, erzählt !"#$%/'()*/: Butokukai zum führenden !<./*0/-Stil und späterem Standard werden konnte. `=';#&';!+3:&';>??@;/'#;>???A;+B0;#&:;C+D&;#&0;50#0-+';)DD&:; 6&-+''*&:;E/:#&A;-+D;&0;6&);#&';F7';#&:;G7B)%&)6&3:#&;F&:+'0*+B- Entsprechende schulübergreifende Turniere der Polizei von 80-(0 *&*&';8/:')&:&';'+*:B)J3&:E&)0&;#+%/A;#+00;0)J3;#)&;87*0/-+,2J3/B&; hat es allem Anschein nach noch bis ins 20. Jahrhundert gegeben. So /'#;#+0;50#0-+';4&4&'6&:0*+'#&'K;L&);&)'&D;M&**-+DNO;)D;!+3:&; berichtete 3./6/'*)()*$, 10. Dan, in einem 1957 veröffentlichten >???;67*&';07E73B;#)&;87*0/-+,2J3/B&;E)&;+/J3;#+0;50#0-+';F)&:- Aufsatz (aus 0)"#$ 2011, S. 221): %&3'A; O'O%&3'; 5DNO&:; +/OK; Q)&:; 7#&:; O'O; *:+*&'; 4&4&'; 5DNO&:; +'#&:&:;2J3/B&';+'A;+6&:;:/'#;%&3';D+%&';0)J3;D)*;Q&:*:&*&:';#&:; `[&0E&)*&:&';E:&;#+0;8/:')&:;#&0;80-(0*&:;G7B)%&)N:0)#)/D0;)D; 87*0/-+,2J3/B&K;S/O;2&)*&';#&:;87*0/-+,2J3/B&;0*+'#&';#&:;8&J3')-&:; \+3D&';#&0;T+(7),X&0*&0;)D;]-*76&:;>^_^;%/;'&''&'A;6&);#&D;)J3; 8&:/.)D+;8+:0;/'#;#&:;0&3:;-:O*)4&;C)J3)D/:+;2+#+0/-&K;8&:/.)D+; 4&4&';50*+:0;57#+D+A;&)'&';373&';2J3B&:;F7';23+J3)7;8+');+/0; -DNO*&;4&4&';T+D+03)*+;T703)*0/4/A;C)J3)D/:+;4&4&';2+*0;U0-&'; #&:;8&'.)';23)'R(0,2J3/B&A;4&-DNO*;3+6&K;57#+D+;E+:;%/;.&'&:;a&)*; /'#;5+E+);4&4&';5+*+(+D+K;V'4B+/6B)J3&:E&)0&;4+6;&0;6&);#)&0&'; S/06)B#&:;+';#&:;80/-).),G7B)%&)0*+*)7'K;2&)'&;2N&%)+B*&J3')-;E+:;80/- 5DNO&';'/:;%E&);7#&:;#:&);V'&'*0J3)&#&';/'#;+BB&;+'#&:&';5DNO&; :)-7D),4703)A;07E73B;B)'-0;+B0;+/J3;:&J3*0A;/'#;D+';3+**&;6&:&)*0;F7'; )3D;+B0;.&D+'#&D;D)*;6&::+4&'#&';X3)4-&)*&';4&3:*K;=J3;-7''*&; E/:#&';F7D;50#0-+';4&E7''&'KO;(*"5.)+3 2003, S. 78) )';#)&0&D;5+DNO;D)*;VJ3),D+*+;/'#;U)#+:),3+'&,4703);%E&);G/'-*&; Für viele Autoren besteht die Bedeutung des Ereignisses vor allem &:%)&B&';/'#;07;#&';2)&4;&::&)J3&'K;[)&0;E/:#&;#+'';D)*;%/D;S'B+00; darin, dass der 50#0-+'*40)*;),/)<)3B)0(*&)03)&*C'&()#&*23(),*D)- #+O:A;#+00;)J3;)';#+0;G7B)%&)N:0)#)/D;+/O4&'7DD&';E/:#&KO weis gestellt hat, was ihm zum Durchbruch gegenüber den anderen Aus dieser Passage wird noch einmal deutlich, dass die Polizei Ver- Schulen verholfen haben soll. ()*/ selbst teilte diese Einschätzung übrigens nicht, denn er kommentierte das Ergebnis mit den Worten: treter verschiedener Schulen in ihren Reihen als Instruktoren beschäf- tigt hat, die bei Turnieren gegeneinander - und gegen „Bewerber“ „C+*:B)J3;3+**&';#)&;1)*4B)&#&:;#&0;50#0-+';X7:*0J3:)**&;4&D+J3*A; von außen - antraten. Interessant ist auch, dass gemäß der zehn Jahre +6&:;)J3;3**&;')J3*;4&#+J3*A;#+00;0)&;0)J3;07;E&)*;&'*E)J-&B*;3+**&'A; zuvor von der Dai-Nippon-Butokukai für schulübergreifende Wett- /D;07BJ3&;Y:4&6')00&;%/;&:%)&B&'K;1&)'&:;1&)'/'4;'+J3;4&E+''&'; kämpfe festgelegten Regel zwei (volle) Punkte ausgekämpft wurden 0)&;'/:;E&4&';)3:&:;4&)0*)4&';Z&0)''/'4KO;(*"5.)+3 2003, S. 78) (vgl. Folge 14 - Entwicklung der Wettkampfregeln).

Da erstaunlicherweise von diesem speziellen Wettkampf keine zeit- Entwicklung spezieller (!<#0.)Techniken für die Polizei nah verfassten Dokumente bekannt sind, die Aufschluss über Verlauf und Ergebnis geben könnten, gibt es auch die These, dass die Berich- Zur Festnahme und zum Abführen von Kriminellen wurden spezielle te - zumindest in der teilweise verbreiteten Form - eine nachträglich Techniken benötigt. Diese wurden von Polizeiinstruktoren, unter de- „geschönte“ Erinnerung sein könnten. Irritierend ist insbesondere, nen sich auch führende 50#0-+'-Lehrer wie Y7'1)2)3."4) oder K. dass trotz der überragenden Bedeutung, die diesem Ereignis für die 2"/+*5 befanden, entwickelt. Die Techniken wurden unter Bezeich- Entwicklung bzw. dem Fortbestand des 50#0-+',!<#0 später zuge- nungen wie \&'-037b,'7,-+*+c oder 87:)*&b,'7,-+*+c* &'&()#"(0&0),(* sprochen wurde, die früheste schriftliche Erwähnung um 1920 - also 234*<)/)B,(7*C0)*),<31()3*4"#0(*$./01)0&$)10[&HB*4"&*C("34",4()HB- ;),*EF*G"B,)*4"3"HB*I*12*[34)3*0&(7*C.*:0,4*40)&)&*J,)0<30&*"2HB* nikprogramm des 50#0-+'IG<407*82%*40)&),*O,234/"<)*:2,4)*&$- nicht in den frühen geschichtlichen Darstellungen zum !<#0 erwähnt, (),*4"&*B)2()*=),:)34)()*C)/;&(=),()040<23<&&'&()#*4),*P"$"30&HB)3* was darauf hindeutet, dass dieser Wettkampf damals noch nicht so Polizei, das so genannte 8+)37,./*0/, entwickelt. wichtig erschien. Noch heute gibt es an den meisten Polizeistationen in 80-(0;[0.0, in 43+*5$'4$2"4), der Sohn des ersten 50#0-+'-Schülers 43+*5!"%/'4$- denen täglich !<#0 und 5&'#0 als Dienstsport trainiert werden. 2"4), verarbeitete später den Stoff nach Erzählungen seines Vaters in dem 1942 veröffentlichten Roman `2/4+*+;2+'03):0OA der mehr-

A06B'>%#%#&+,'&$%B&A06B&`4,.+2+&4+#'10/0OE&4,.+2+&.%F0##2&B02&'%0#%B&6%.%#$/%#&G+B+H+/+'10&,#$&'516.2&'%0#%#&I%.#%/&:%/#0512%#$3

30 der budoka 1-2/2012 Randori im großen 40%0 der Marine-Akademie. An der Wand auf der Ehrenseite hängen Por- traits von TAKEO HIROSE und TAKEJIR0)*+","

Alle Bilder: Privatarchiv Dieter Born

Das gewaltige 40%0 der Marine-Akademie in 1'0%230. Im Inneren waren 1.000 Tatami ausgelegt, was knapp 2.000 qm entspricht.

Erste Verbindungen zum Militär: die /0#0*0--Zweigstelle in !"#$%/'()*/'verlieh zunächst ."%$35, dann nach Bestätigung des To- 1'0%230 des im Dienst auch 1+)3) posthum den 6. Dan, nachdem beide zu Lebzeiten den 4. Dan inne hatten. Dies war eine extrem hohe Gradu- D0&*QRRS*;)%"34*&0HB*40)*!"0&),/0HB)*5",03)I8!"4)#0)@*"3*4),*>%[- ierung, wenn man bedenkt, dass erst gegen Ende des Jahres 1904 erst- ziere ausgebildet wurden, in 80/-/.)d80-(07*J030<)*4),*>%[10),&"3- mals ein höherer Dan-Grad als der 6. Dan vergeben wurde (7. Dan an wärter, unter ihnen der spätere Kriegsheld 4)(5$'."%$35 (s.u), der Y. 1)2)3."4) und S. 1$($1)2), vgl. Folge 13). 4)(5$'."%$35 wurde ein ausgezeichneter !<#0-+ war, und der spätere Admiral und Mari- später in Japan als Kriegsheld regelrecht verherrlicht. Ihm zu Ehren neminister 4)(53."'4)()%),58 einem entschiedenen Gegner des spä- wurde unter anderem ein Schrein errichtet und ein Schullied kom- ter aufgekommenen japanischen Militarismus, waren Mitglieder des poniert. Sein Opfertod war außerdem Ausgangspunkt der L/03)#0- 50#0-+'. Des Weiteren war ein 50#0-+'-Schüler als Lehrer bei der Diskussion der Jahre 1904/05. Akademie angestellt. Durch die Verlegung der Akademie nach Y*+.)D+ in der Präfektur %&-.'/)#"//E&?0602+/0'2&;$%/&J+>0['2K U):703)D+ sahen sie jedoch keine Möglichkeit mehr, weiter !<#0 Spätestens an dieser Stelle muss J. ()*/s grundsätzliche Haltung ge- zu trainieren. Daher regten sie an, ein [0.0 in Y*+.)D+ einzurichten, genüber Militär und Rüstung geklärt werden, denn auf der einen Seite was dazu führte, dass der 50#0-+'*"#*Q7*C)$()#;),*QRRR*)03)*.%[- gründete er eine 50#0-+'-Zweigstelle in einer Marine-Akademie und zielle Zweigstelle in Y*+.)D+ eröffnete. Als erste Lehrer wurden Y. )B,(*1:)0*>%[10),)*%,*4),)3*C)/;&(.$%),23<*;)0*)03)#*C)/;&(#.,4- 1)2)3."4)'und H. 3)4/ entsanndt. Unter der rasch auf über 140 an- kommando im Krieg posthum mit dem 6. Dan, auf der anderen Seite :"HB&)34)3*CHB/),1"B/*;)%"34)3*&0HB*>%[10),&"3:,(),*;0&*B03*12#* formulierte er die Überwindung des Rassismus und den Aufbau einer späteren Admiral. alles durchdringenden Harmonie zum höchsten Ziel des !<#0 (vgl. Am 3. Mai 1909 wurde die Zweigstelle in Y*+.)D+*.%[10)//*<)&HB/.&- Folge 6). Wo also steht ()*/? sen, jedoch wurde dort bis zur Schließung der Akademie 1945 wei- terhin !<#0*(,"030),(7*J&*0&(*"/&.*!)03*T2%"//@*4"&&*>%[10),)*4),*P"$"30- #"// über die Selbstaufopferung für das Vaterland schen Marine um die Jahrhundertwende !<#0 in vielen Ländern der Einer der zentralen Punkte der Morallehre der späten 1&).)-Zeit war Erde erstmals vorstellten. 40)*O/.,0[10),23<*4),*D),)0(&HB"%(@*&)03*V);)3*%,*4"&*W"(),/"34*12* .$%),37* X0)&* :",* 1)3(,"/),* Y)0/* 4)&* 3)2* 4)[30),()3* L/03)#0 (vgl. Die Kriegshelden TAKEO HIROSE und !"#$%&'/)*+"," Folge 17). ()*/* ;)[34)(* &0HB* 123HB&(* 3.HB* 30HB(* 03* >$$.&0(0.3@* Die japanische Marine unternahm zu Beginn des russisch-japani- schränkt jedoch bereits im Jahr 1901 ein: schen Krieges zwischen Februar und Mai 1904 mehrere Versuche, `Y0;)0*;B76&'0E&:*A;E&'';)D;Y:'0*O+BB;6&07'#&:0;F)&B&;1&'0J3&';6&- die russische Flotte durch Versenken von alten Transportschiffen in :&)*;0)'#A;)3:;e&6&';O:;#&';2*++*;%/;7NO&:'K;27BB*&;&0;#)&;C7*E&'#)4- der Hafenmündung von Lüschun (engl.: Port Arthur) einzuschließen. -&)*;4&6&'A;0&)';e&6&';O:;#&';2*++*;%/;7NO&:'A;D/00;D+';#)&0;73'&; Der oben bereits erwähnte 47'."%$35'war am 27. März Kommandant a4&:';*/'K;S6&:;76;&)'&;07BJ3&;2)*/+*)7';&)'*:&*&';E):#A;)0*;O:+4B)J3K; eines dieser Himmelfahrtkommandos und starb im Kanonenfeuer der 2&B60*;)';&)'&:;5:)&400)*/+*)7';0)'#;'/:;27B#+*&';7#&:;1&'0J3&';)D; russischen Abwehr als er auf der Suche nach einem untergebenen Of- 5:)&404&6)&*;/'D)**&B6+:;F7D;5:)&4;6&*:7OO&'K;Y)';Z:7%*&)B;#&0;Q7B- [10),*:",7 -&0;0*&3*;')J3*;+/O;#&D;2J3+/NB+*%;#&0;5:)&40O&/&:0K;Y)';4:7%&:;8&)B; Am 3. Mai wurde der letzte vergebliche Versuch einer Hafenblockade #&0;Q7B-&0;#)&'*;+B07;#&D;2*++*;')J3*;#+#/:J3A;#+00;&:;)';5:)0&'%&)*&'; durch Versenken eigener Schiffe unternommen, bei dem diesmal T. 0&)';e&6&';O:;#&';2*++*;7NO&:*KO (*"5.)+3 2003, S. 162) 1+)3), ein Ziehkind ()*/s und seiner Ehefrau, ."%$35 ersetzte und In diesem Sinne - als Soldaten im Kriegsgebiet - opferten sich auch dabei ebenfalls ums Leben kam. Beide wurden später als Kriegshel- ."%$35 und 1+)3). Rund 30 Jahre später steht ()*/ der Selbstaufop- 4)3*=),)B,(*234*=.3*4),*5",03)*3"HB(,%[- ferung jedoch kritischer gegenüber, indem er im Jahr 1933 formuliert: ziersrang befördert. `KKK;0)J3;0&B60*;+/O%/4&6&'A;)0*;-&)'&0E&40;4B&)J3%/0&*%&';D)*;2)**B)J3- -&)*KO (*"5.)+3 2003, S. 162)

der budoka 1-2/2012 31 In einer Zeit der immer radikaler fortschreitenden Ideologisierung und Militarisierung Japans macht ()*/* "/&.* )B),* )03)* <)<)3/2[- ge Entwicklung durch, die insbesondere durch seine zunehmenden 82&/"34&"!(0=0(()3*0#*Z"B#)3*4),*./'#$0&HB)3*D):)<23<*<)$,<(* gewesen sein dürfte. *"5.)+3 führt im Übrigen auch die Entwick- lung von 2&):(7-/,%&'(0 und !)*+,-(0&) explizit auf die Erfahrungen ()*/s im zerstörten Europa nach Ende des Ersten Weltkriegs zurück (s.a. Folge 6).

#"// über militärische Rüstung

Nach *"5.)+3 war für ()*/ ein auf gegenseitiger Abschreckung ba- sierendes militärisches Gleichgewicht der wichtigste Garant für einen weltweiten Frieden. *"5.)+3 zitiert ()*/, der 1912 formulierte: `M):;6&['#&';/'0;)';&)'&:;G3+0&;#&:;5:)&40:0*/'4;/'#;#&:;4&4&'- 0&)*)4&'; Y)'0J3J3*&:/'4K; [+0; D/00; +/O3:&'K; 1+'; 07BB*&; D)*; #&:; 5:)&40:0*/'4;+';#&D;G/'-*;+/O3:&'A;E7;&)'&;3)':&)J3&'#&;Q&:*&)- #)4/'4;4&E3:B&)0*&*;)0*A;E7;0)J3;#)&;+-*)F&;5:+O*;#&0;e+'#&0;+/O;#)&; 4+'%&;Z&0&BB0J3+O*;+/06:&)*&*;/'#;#+0;M73B&:4&3&';#&0;Q7B-&0;O:- #&:*K;\0*&*;D+';%/;0&3:;+/OA;-7DD*;&0;%/;&)'&D;S:4E73';%E)0J3&'; #&';C+*)7'&'K;[&03+B6;)0*;&0;#&D;a&)*4&)0*;+'4&D&00&'A;+6%/:0*&'KO (*"5.)+3 2003, S. 163f)

()*/ lehnt hier deutlich das Streben nach militärischer Überlegen- heit als gefährlich für die Beziehungen zu den Nachbarstaaten ab, betont jedoch genauso deutlich die Notwendigkeit einer hinreichen- den Verteidigungsfähigkeit. Zwei Jahre später, kurz nachdem Japan gegen Deutschland in den Ersten Weltkrieg eingetreten ist, bekräf- tigt er diese Haltung, schönt aber gleichzeitig Japans außenpolitische Ambitionen: `Q7';C+*/:;+/0;4)6*;&0;)';!+N+';-&)'&;&gN+'0)F,+44:&00)F&';=#&&'K; M):;B&6&';)';O:&/'#0J3+O*B)J3&D;S/0*+/0J3;/'#;0/J3&';-&)'&';2*:&)*K; S6&:;&)';LB)J-;+/O;#)&;3&/*)4&;\&+B)**;%&)4*A;#+00;+/J3;E):;+'4&4:)O- Portrait des als Kriegshelden verehrten TAKEO HIROSE O&';E&:#&';-''*&'A;0&B60*;E&'';E):;O:)&#B)J3;0)'#K;M/:#&;')J3*;+/J3; #+0;O:)&#B)J3&;L&B4)&';+'4&4:)OO&'h;[&03+B6;#+:O;D+';0)J3;')J3*;0)- J3&:;O3B&'A;+/J3;E&'';D+';0&B60*;O:)&#B)J3;)0*K;1+';E&)%;')J3*A;E+''; /'#;E7;D+';5:)&4;O3:&';D/00KO (*"5.)+3 2003, S. 163) Im Jahr 1906 wurde in 5(0*7 an der Butokukai ein Ausbildungszen- trum für professionelle !<#0- und 5&'./*0/d5&'#0-Lehrer einge- ()*/* 0&(* "/&.* :)4),* "/&* 50/0(",0&(@* 3.HB* "/&* -"10[&(* )0312.,43)3@* richtet. Es hieß zunächst L/./*0/;5(0)';T00&)037, wurde nach zwei sondern eher als jemand, der im Bewusstsein lebt, dass nur eine an- Jahren durch die L/./*0/;Z+--0 ersetzt, die wiederum kurz darauf gemessene militärische Stärke die Sicherung des Friedens und der in in L/#0;2&'D7';Z+--0;(kurz „Busen“, deutsch: „Fachschule für eigenen Interessen gewährleisten könne. L/#0“) umbenannt wurde. Dies folgte bereits dem Trend eines gene- rellen Begriffswandels von „./*0/“ nach „#0“, letztlich um es in den Ausbildung von Instruktoren durch die 402.52667-.8&'7*&*02 Dienst der L/03)#0-Erziehung zu stellen (vgl. Folge 17). Im Jahr 1895 wurde die Dai-Nippon-Butokukai, die unmittelbar der Die vierjährige Ausbildung, die für alle Teilnehmer beide Disziplinen Staatsregierung unterstellte großjapanische Vereinigung der Kampf- gleichermaßen beinhaltete, vergrößerte das Potenzial an gut ausge- künste mit Sitz in 5(0*7, gegründet. In ihr gab es Sektionen für un- bildeten und professionellen Instruktoren für Schulen, Polizei und terschiedliche Bereiche der Kampfkünste, z.B. !<./*0/, 5&'./*0/ Militär erheblich. (Schwertfechten) oder 5(<./*0/ (Bogenschießen). Mitglieder der Butokukai waren die verschiedenen Schulen der Kampfkünste. Die Besonders ab ca. 1930 geriet die Butokukai immer stärker unter ul- Butokukai hatte ein eigenes Traingszentrum in 5(0*7 und später zahl- (,"3"(0.3"/0&(0&HB)3* J03\2&&7* X0)* Z)<0),23<* ;),3"B#* 40)* ";&./2- reiche Zweigstellen im Land. te Kontrolle und eine Mitgliedschaft in der Butokukai war für alle Kampfkünste obligatorisch. Auf diese Weise waren die Kampfkünste, Eine der Aufgaben der Butokukai war die Ausbildung von Instruk- wie andere Lebensbereiche auch, vollkommen gleichgeschaltet und toren für Militär und Polizei. Um diesem Auftrag nachzukommen, dienten vor allem der ideologischen Indoktrination und der militäri- wurde eine Vereinheitlichung der durch die \(<3+ vertretenen Stile schen Stärkung des Volkes. =),&2HB(@*4"*40)*W0)/%"/(*4),*23(),&HB0)4/0HB)3*C'&()#)*%,*)03)*/"3- desweite Schulung der Sicherheitskräfte ungeeignet schien. !"#$%/'()*/ gelang es jedoch durch eine unmittelbare Eingabe beim 8&''0, für den 50#0-+' eine relative Unabhängigkeit zu bewahren. !"#$%/'()*/ erkannte, welche große Chancen eine Vereinigung wie die Butokukai*;0)()3*!"33@*2#*&)03*)0<)3)&*C'&()#*234*&)03)*[4))3* !<#0 ist nicht gleich !<#0 weiter zu verbreiten, und nutzte dies konsequent. Im Wesentlichen waren es fünf Punkte, durch die das !<#0 letztlich die traditionellen Mit der zunehmenden ideologischen Instrumentalisierung der Schulen im Bereich des !<./*0/ verdrängen konnte: Kampfkünste und dem allgemeinen Begriffswandel von !<./*0/ zu !<#0*)3(&("34*1:"3<&/2[<*]3!/",B)0(*4",;),@*:"&*!<#0 eigentlich (1) weitgehende Übernahme der 50#0-+'-Wettkampfregeln durch sei. ()*/ beklagte dies bereits 1930 mit folgenden Worten: die Butokukai (vgl. Folge 14), (2) Übernahme von C+4&,'7,5+*+, Katame-no-Kata und Kime-no- `U**&';#)&;e&/*&;#+0;+B*&;!<./*0/;E&)*&:3)';+B0;!<./*0/;6&%&)J3'&*; Kata als landesweite Standards durch die Butokukai (vgl. Folge 7), /'#;#&';8&:D)'/0;!<#0;6&0J3:'-*;+/O;50#0-+',!<#0A;E:&;#+0;F7BB- (3) Entsendung von 50#0-+'-Lehrern an die Butokukai in 5(0*7 -7DD&';/'N:76B&D+*)0J3K;S6&:;0&)*;E):;)D;50#0-+';#&';S/0#:/J-; (z.B. .)!"25'"3$#)", 10. Dan und viele andere), !<#0;F&:E&'#&'A;6&4+'';D+';+/J3;#)&;+B*&';2*)B&;+B0;!<#0;%/;6&- (4) Übernahme des 5(/,d[+'IC'&()#&*42,HB*40)*Butokukai (vgl. Fol- %&)J3'&'A;07;#+00;&0;B&*%*B)J3;-&)'&;V'*&:0J3&)#/'4;D&3:;4)6*KO;(*"5- ge 14), .)+3 2003, S. 215) (5) Aufnahme von Lehrern traditioneller Schulen in den 50#0-+' un- ter Verleihung von 50#0-+' Dan-Graden.

32 der budoka 1-2/2012 Nun darf aber nicht vergessen werden, dass ()*/ zuvor selbst auf Persönliche Anmerkungen eine allgemeine Verwendung des Begriffs !<#0 gedrängt hatte, so dass er in gewisser Weise in der Rolle des Zauberlehrlings war, der (1) Nachfolger !"#$%/'()*/s als Präsident des 50#0-+' wurde nach die Geister, die er rief, nicht wieder loswurde. dessen Tod 1938 sein Neffe Admiral !"%$'*)*#$, was noch einmal die engen Beziehungen zur Marine unterstreicht. !<#0 bei der kaiserlichen Armee (2) Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden im 50#0-+' Mitglieder Die Aktivitäten der kaiserlichen Armee wurden im Gegensatz zu de- des strategischen Luftwaffenkommandos der USA in mehrwöchigen nen der Marine noch nicht erwähnt - auch weil deren Bedeutung für Kursen in Selbstverteidigung unterrichtet. Als Lehrer hierfür waren die Entwicklung des !<#0 nicht vergleichbar ist. Die Verbindungen legendäre !<#0-+0 wie 2"/+*5 (10. Dan), ($4)*" (später 10. Dan), des 50#0-+' als Organisation zu den anderen Waffengattungen wa- 4$2"(" (8. Dan !<#0 und S)-)#0) und viele andere tätig. Aus dieser ren längst nicht so eng wie die zur Marine, was sich aus der Frühge- Verbindung heraus entstand auch der !<#0-Club der amerikanischen schichte des 50#0-+' erklärt. Jedoch wurde auch bei den Land- und Botschaft in 80-(0, wo später das C)37',!<./*0/ entwickelt wurde Luftstreitkräften !<./*0//!<#0 betrieben. Ausbilder standen nicht zu- und der heute das Hauptquartier der IMAF (International Martial Arts letzt Dank der L/#0;2&'D7';Z+--0 reichlich zur Verfügung. L)4),"(0.3^*0&(7*5)B,*[3%.,#"(0.3)3*B0),12*[34)(*#"3*23(),_*B(($_`` :::730B.3G%[10),)* :2,4)3* I* <"31* 03* )03),* =),#)03(/0HB)3* Samu- 0)"#$8'4$3."%/_*92,%()HB30!)3*4)&*d040!"3*G<40@*D"34*Q@*W),/"<*X0)(),*D.,3@* rai-Tradition - intensiv im Umgang mit traditionellen japanischen 2009 Schwertern geschult. 0)"#$8'4$3."%/_*92,%()HB30!)3*4)&*d040!"3*G<40@*D"34*f@*W),/"<*X0)(),*D.,3@* Zudem kam um 1925 2$%".5"'+53.",)'nach 80-(0. Er hatte wie zuvor 2011 !"#$%/'()*/'aus verschiedenen !<./*0/IC(0/)3*&)03*)0<)3)&*C'&()#* ()*/8'!"#$%/_*d040!"3*G<40@*W),/"<*X0)(),*D.,3@*fFFS geformt, das er später S)-)#0*3"33()7*C)03*C'&()#*%"34*03&;)&.34),)* ($4)*"8' 37' ;' $6)<)8'17';' ."%$358'17_* d"("* .%* d040!"3* G<40* ,)=0&)4@* d.'"3.* beim Militär reges Interesse, so dass +53.",)'einige Lehraufträge bei Bussan Kaisha, 1970 der kaiserlichen Armee erhielt. *)()2+%)8'1$($_*D2&B040*M*X0&!2,&7*X0)*83"/'&)*4),*X0&!,)$"31*1:0&HB)3* [4)"/*234*Z)"/0((*0#*D2&B040IX0&!2,&*"2&*4)#*G"B,*QgFh@*X0&&),("(0.3*90)3* 2008 (im Internet verfügbar)

*"5.)+38')*0%5)3_*V);)3*234*9),!*d"30*G0<.,0&*iQRjFIQgER^@*J,<.3IW),/"<@* 2003

<)43$*8',%")*'*7_*G<40*5)#.0,)&*.%*G0<.,0*d"30@*Y,"%%.,4IW),/"<@*fFFR

%&-.'/)#"// bei einem Besuch der Marine-Akademie. In der vorderen Reihe (sitzend) der 1. von links: 0&1$&20&)/"-".#" (Aufnahmedatum unbekannt, vermutlich nach 1930). Bilder: Privatarchiv Dieter Born

der budoka 1-2/2012 33 Grundwissen der Geschichte des !P#P$%&'(\#P*+&*(%,%&

von Wolfgang Dax-Romswinkel

Teil 19: Die ersten Frauen im !0#0$%&'(<#0

Es war ein langer Weg, bis es zur Selbstverständlichkeit geworden Die Genesung der KINKO YASUDA war, dass Frauen und Männer gleichermaßen und gleichberechtigt !<#0 betreiben. Im Jahr 1992 - immerhin 28 Jahre nach den Män- !"#$%/ '()/ begann um und kurz nach der Jahrhundertwende, über nern - war !<#0 für Frauen bei den Olympischen Spielen in Barcelona spezielle Trainingsmethoden für Frauen nachzudenken. Ein Beispiel erstmals im regulären Programm, nachdem vier Jahre zuvor in Seoul hierfür ist seine Arbeit mit KINKO YASUDA (Anmerkung: für den Vor- bereits Demonstrationswettkämpfe ausgetragen wurden. Bei großen /01%/"[/#%/"'$,-"$/"#%&".$(%&0(9&"09,-"0/#%&%":/70*%/!"6;<;"`Nori- internationalen Wettkämpfen gibt es mittlerweile stets Frauen- und ko“), einer jungen Frau, die er um 1904 bei sich zu Hause aufgenom- Männerkonkurrenzen und in Japan wurde jüngst die Prüfungsord- men hatte. nung für Frauen und Männer angeglichen. K. YASUDA")0&"%$/%">&/>+$,-%"@&09!"#$%"$/"$-&%1".%*%/"A$%+"#9&,-- So deutlich, wie Japan im Frauenbereich die internationale Wett- gemacht haben musste und darunter gesundheitlich - physisch und kampfszene derzeit dominiert, fällt es schwer zu glauben, dass sich psychisch - schwer litt, bis hin zu Suicid-Gedanken. Sie trainierte gerade Japan bei der Einführung von Frauenwettkämpfen ausgespro- nicht mit den anderen Frauen, sondern wurde exklusiv von '()/ be- chen schwer getan hat und die Japanerinnen in der Anfangszeit der treut. internationalen Meisterschaften vor allem den Europäerinnen meist Behutsam vermittelte '()/ ihr erste Schritte im !<#0, beginnend mit den Vortritt auf das Siegertreppchen lassen mussten. einfachen Grundbewegungen und - YASUDAs Schilderungen zufolge - In dieser Folge wollen wir den Weg der Frauen im %0#0&'(-!<#0 in auch !<-no-Kata bzw. 20-no-Kata (Anmerkung: sie spricht in ihren Japan etwa bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs nachzeichnen und :946%$,-/9/7%/"#0A3/!"#0''"'$%"%&'("20(0"9/#"#0//"@0++',-9+%"+%&/(%B" diese Reihenfolge lässt aus der Perspektive des Jahres 1904 kaum ei- dabei auch MASAKO NORITOMI!"#$%"%&'(%")%$*+$,-%".%-&%&$/"01"23#3- nen anderen Schluss zu, vor allem auch, weil '()/ diese beiden Kata kan, und KEIKO FUKUDA, die höchstgraduierte Frau in der Geschichte des !<#0, vorstellen.

Frauen in den traditionellen Kampfkünsten (!*+,<-bugei) Vor der Meiji-Restauration, also in der Zeit bis 1868, war es durchaus üblich, dass Frauen und Töchter von Samurai Kampfkünste mit und ohne Waffen lernten, um bei Bedarf Haus und Hof, aber auch sich selbst verteidigen zu können. Einige Frauen wurden sogar als kämp- fende Kriegerinnen berühmt. Die Hauptwaffe dieser Frauen war das Naginata, eine Art „Schwertlanze“ mit einer am Ende eines langen Schaftes montierten Klinge ähnlich der eines japanischen Schwertes. Auch nach der Meiji-Restauration gab es weiterhin Frauen, die insbe- sondere !<)*+,* in verschiedenen Schulen betrieben haben.

Die ersten Frauen lernen !0#0$%&-(<#0

Im Jahr 1893 musste sich !"#$%/ '()/ erstmals mit der Frage be- fassen, ob und wie Frauen %0#0&'(-!<#0 lernen sollten. Eine Frau namens ASHIYA SUEKO hatte *+,)-!"%/ TOMITA!" #%/" 34[6$%++" %&'(%/" Schüler des %0#0&'(, um !<#0-Unterricht gebeten. Nachdem '()/ 7&/%'" .$,-(" 70*!" 9/(%&&$,-(%(%" TOMITA sie und nachfolgend einige andere in einem speziell dafür eingerichteten kleinen -0)0 in '()/s Garten. Auch an anderen Orten nahmen in den Folgejahren einzelne Frauen das Training auf, so zum Beispiel im %0#0&'(--0)0 in %0)./'01., wo manchmal '()/ selbst, in der Regel jedoch ARIYA und .(+,!"%/ HONDA unterrichteten. Als bedeutendste Schülerin dieser Zeit kann wohl HISAKO MIYAGAWA gelten, die spätere Direktorin einer Mädchen- schule. Die Nachfrage nach !<#0 kam also zunächst aus den Reihen der so genannten gesellschaftlichen Elite. Weitere Frauen, die zu dieser Zeit !<#0-Unterweisungen erhielten, waren z.B. die Ehefrauen '()/s und seiner hervorstechenden Schü- ler wie Y. YAMASHITA. Vieles blieb also im privaten Bereich der Fa- milien.

Darstellung einer Kriegerin -`/&&%'0123456%O8 aus dem Jahr 1848. Das Werk des Künstlers UTAGAWA KUNIYOSHI zeigt die Ehefrau eines der 47 Ro' &4& mit einem 9%24&%:%;<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<

der budoka 3/2012 23 !"#$%/ '()/ beaufsichtigt das Training im (*564'=1 Foto: Privatarchiv Dieter Born

Y. YAMASHITA (später 10. >%&) mit seiner Frau FUDE um 1904 (Quelle: Y. YAMASHITA Photograph Album (PH 006). Special Coll- ections and University Archives, University 34"O0''0,-9'%(('":1-%&'(".$*&0&$%';P

vor dem Hintergrund entwickelt hatte, dass auch schwächliche Per- weniger '()/ selbst anzulasten, als den medizinischen Fachleuten in sonen sie üben könnten, um ihren Körper zu kräftigen). Nachdem sie seinem Umfeld. Möglicherweise muss man aber auch ihnen zu Gute wieder zu Kräften gekommen war, durfte sie auch wieder normal es- halten, dass die Berichte über den körperlichen Zustand der Frauen, sen, was darauf schließen lässt, dass sie in der ersten Zeit eine strenge vor allem aus den gehobenen gesellschaftlichen Kreisen Japans, ein Diät halten musste, bzw. möglicherweise auch an Essstörungen litt. Besorgnis erregendes Bild zeichneten, und dass Zurückhaltung bei der Trainingsintensität möglicherweise vielfach medizinisch geboten Was und wie wurde in der Pionierzeit trainiert? war.

Die erfolgreiche Arbeit mit K. YASUDA bestärkte '()/ darin, dass Seminare für Lehrerinnen !<#0 auch für Frauen einen wichtigen Beitrag zur körperlichen Er- tüchtigung darstellen und im speziellen Fall sogar medizinische Be- Wie das Beispiel von HISAKO MIYAGAWA zeigt, bestand bei Frauen handlung ergänzen könne, was ihn dazu ermutigte, den eingeschlage- aus dem gehobenen Bildungsbereich Interesse am !<#0. Nachdem nen Weg weiterzugehen. '()/ bereits bei der Einführung des !<#0 als Schulsport für Jungen erfolgreich gewesen war, konnte der nächste Schritt eigentlich nur Im Vordergrund stand für '()/ dabei die Ausrichtung von !<#0 als sein, !<#0 auch für Mädchen in das Bildungswesen einzuführen. .%$*%'%&6$%-9/7;"C&")0&"#0A3/"*%&6%97(!"$/"%$/%&"231*$/0($3/"A3/" Vorreiterin war auch hierbei H. MIYAGAWA, die bereits 1913 an der speziellem Kata-Training und angepasstem Randori ein Programm von ihr geleiteten Mädchen-Schule ein -0)0 einrichtete, in dem !<#0 gefunden zu haben, das den Bedürfnissen der Frauen in besonderer trainiert wurde. Weise gerecht würde. Ferner wurden ab 1916 eine Reihe von Vorträgen und Einführungen Wettkämpfe für Frauen lehnte er ab, um die Frauen vor körperlicher abgehalten, die sich an die Verantwortlichen für die Mädchenschulen *%&+0'(9/7"69"',-(6%/;":9,-"#&4(%/"'$%">%$/%/"7%'9/#-%$(+$,-%/" richteten. '()/"'%+*'("(&0("#3&("0+'".%-&%/#%&"094;"E1"F0-&"GHIJ"40/#" Schaden nehmen, der ihre spätere Rolle als Mutter beeinträchtigen ',-+$%%+$,-"#0'"%&'(%"6)%$),-$7%"M%1$/0&"'N%6$%++"4&".%-&%/#%"0/" könnte. Um hier keine Fehler zu machen, holte er entsprechenden Mädchenmittelschulen statt. Rat bei der medizinischen Forschungsabteilung des %0#0&'( ein. Die Fehleinschätzung über die generelle Belastbarkeit von Frauen ist also

Immer wieder (<'&*'!%:%? Frauen in Alltags- kleidung bei einer Demonstration vor auslän- dischen Gästen Fotos: Privatarchiv Dieter Born

!"#$%/ '()/ und ein weiterer Lehrer unterrich- ten junge Frauen in (<'&*'!%:% im Jahr 1926. Auffällig: Die Frauen tragen keine (<#024

24 der budoka 3/2012 Die Frauenabteilung im !0#0$%& ((*564-bu) Krankheit und Verletzungen führen kann. Der Grund, warum Frauen nicht erlaubt wurde, an Wettkämpfen teilzunehmen, war, dass sie ex- Am 1. November 1923 wurde ARIYA HONDA"34[6$%++"691"Q-%4(&0$- zessiv trainieren würden und versessen darauf würden, zu gewinnen. ner der Frauen im Kaiunzaka--0)0"*%'(%++(;"R$%"34[6$%++%"S&/#9/7" Das würde sie dem Risiko von Krankheit aussetzen oder im schlimms- der Frauenabteilung des %0#0&'( datiert vom 9. November 1926. Ab ten Fall könnte ein Unfall weitreichende Konsequenzen haben. Diese M%N(%1*%&"GHTG")9&#%/"#0//"34[6$%++%"O$(7+$%#%&+$'(%/"7%4-&(; Dinge bereiteten große Sorge.“ Mit dem -0)0-Neubau 1933 im Stadtteil 3*.#04',1. wurde ein sepa- Einer der Haupttrainingsinhalte war also die kurz zuvor entwickelte rates -0)0 für Frauen eingerichtet und TAKASHI UZAWA als Hauptleh- Seiryoku-6:(>0-kokumin-taiiko-no-Kata. Der erste Teil besteht aus rer für die zunächst rund 15 Schülerinnen bestellt. Er fasste '()/+ Einzelübungen mit vielfältigen Atemi-waza. Danach schließen sich Vorgaben für das Training der Frauen prägnant zusammen, weshalb die !<-shiki (auf 10 Techniken verkürzte !<-no-Kata) und Kime-shiki, seine Schilderungen hier zitiert werden sollen (übersetzt aus BENNETT eine der Kime-no-Kata verwandte Form mit ebenfalls 10 Techniken, 2009, S. 134f): an (vgl. Folge 7). Da sowohl !<-shiki als auch Kime-shiki keine Wurf- `2'(67'889:/:.(7.,+7!<#07:.(:7%;/4.('+.;(7'*,7<:.4:,:=6.:1*(97*(#7 techniken enthalten, kann die vollständige Seiryoku-6:(>0-kokumin- Bujutsu (Kampftechnik), das aus Randori und Kata besteht. Was soll- taiiku-no-Kata ohne Kenntnisse der Fallschule als Basisübung für das te zuerst geübt werden? Die Antwort ist Kata - auch für den männ- weitere !<#0 gelernt werden. Die Einführung von Fallschule, Wurf- lichen Nachwuchs. Grundschulkinder und solche der unteren Jahr- techniken und Randori kann so nach hinten verschoben werden. gänge der Mittelschule müssen sorgfältig unterrichtet werden, weil Das Frauen--0)0 befand sich nebenbei bemerkt in unmittelbarer sie in einer wichtigen Phase ihrer Entwicklung sind. Es ist besser, mit Nähe von J. '()/s Büro im %0#0&'(. Es wird darüber berichtet, Kata anzufangen als mit Randori, um eine gleichmäßige körperliche #0''"%&"#0'"U&0$/$/7"'%-&"34("*%3*0,-(%(%"9/#"09,-"#$%".%-&%&"4&"#0'" Entwicklung zu erreichen. Sie können dann mit Randori beginnen, Frauen--0)0 besonders sorgfältig auswählte. nachdem sie gelernt haben, sicher zu fallen und sich abzurollen. Sie werden dazu angehalten, sich im Zaum zu halten, und lernen, wie MASAKO NORITOMI und die ersten weiblichen @<#%&56% Verletzungen vermieden werden. Die erste Dan-Graduierung für eine Frau durch den %0#0&'( geht Das war unsere Richtschnur für das Training von Jungen in der Schu- auf das Jahr 1933 zurück, als KANEKO OZAKI der 1. Dan verliehen le, aber ein ähnliches Vorgehen war auch für die Mädchen und Frau- wurde, nachdem Sie bereits ein Jahr zuvor von der Butokukai zum 1. en ratsam. Die körperliche Belastbarkeit, die physiologische Konsti- Dan graduiert worden war. Im Jahr darauf folgten noch zwei weitere tution und die Psyche von Frauen unterscheidet sich im Vergleich zu Verleihungen des 1. Dan an AYAKO AKUTAGAWA und YASUKO MORIO- Männern. Da erwartet wurde, dass junge Frauen Mütter wurden, war KA. Gleichzeitig übersprang MASAKO NORITOMI den 1. Dan und wurde Training von Seiryoku-zenyo-kokumin-taiiku-no-Kata zur Verbesse- somit erste Frau mit 2. Dan. Sie entwickelte sich in den Folgejah- rung der physischen Kraft und Belastbarkeit als Voraussetzung für ren zur führenden Schülerin, wurde ab 1941 mit damals 5. Dan erste Ukemi und Randori erforderlich. Ich drängte unsere Schülerinnen, )%$*+$,-%" .%-&%&$/" #%&" @&09%/0*(%$+9/7" 9/#" '($%7" #0/0,-" /3,-" *$'" vernünftig zu trainieren und sich nicht zu überanstrengen, da dies zu zum 8. Dan auf.

MASAKO NORITOMI war also die führende Frau unter den frühen Mit- gliedern des Joshi-bu 9/#"*+$%*"%'"*$'"0/"$-&".%*%/'%/#%;":+'"2$/#" hatte sie bereits mehrere Jahre %><,1.(?=><7!<)*+,*"9/(%&"$-&%1".%-- rer HAJIME MACHIDA gelernt, bevor sie sich mit 18 Jahren am %0#0&'( einschrieb.

Entwicklung der Frauenselbstverteidigung (*564-A*564&60 Während des Zweiten Weltkriegs und der dadurch bedingten Ab- wesenheit vieler Männer, verspürte man am %0#0&'( die Notwen- digkeit, eine speziell an die Bedürfnisse von Frauen angepasste Selbstverteidigung zu kreieren. Viele der renommiertesten %0#0&'(- Experten wie z.B. '/;1/ MIFUNE, ARIYA HONDA und andere erhielten den Auftrag, entsprechende Techniken zu entwickeln und zusammen- zustellen. Die Angriffe waren in der Tat auf die besondere Situation von Frauen ausgerichtet und reichten von Belästigung durch Unterhaken bis zum Handtaschenraub. Eine Beschreibung wurde erstmals 1943 veröffent- licht. Heute wird die Joshi-2;,1.(10 kaum mehr unterrichtet - eigentlich schade, denn auch sie ist ein Stück Kulturgeschichte des !<#0.

KEIKO FUKUDA: weltweite Ikone des (*564-(<#0

KEIKO FUKUDA (*12. April 1913) ist die Enkelin von J. '()/s erstem !<)*+,*V.%-&%&"HACHINOSUKE FUKUDA, den sie allerdings nie getroffen hat, da dieser lange vor ihrer Geburt verstorben war. Der Kontakt zwischen '()/ und der FUKUDA-Familie war nach dem Tod H. FU- KUDAs abgerissen, jedoch zur 50-Jahr-Feier des %0#0&'( 1934 wie- der zustande gekommen. In der Folge besuchte '()/ das Haus der FUKUDAs, wo er KEIKO kennenlernte. '()/ ermutigte sie hierbei, das !<#0-Training in der neuen Frauenabteilung aufzunehmen, was sie dann auch tat. Es wurde ein lebenslanger Weg des Trainings und der Verbreitung des !<#0 für Frauen.

Berühmt ist KEIKO FUKUDA auch für ihre Vorführung der !

der budoka 3/2012 25 Im Jahr 1967 siedelte K. FUKUDA nach San Francisco über, wo sie ein -0)0 für Frauen leitet. Noch heute, mit fast 99 Jahren, folgt sie regel- mäßig dem Training und unterweist zahlreiche Schülerinnen. Mit dem 9. Dan %0#0&'( - zwei US-amerikanische Verbände haben ihr jüngst sogar den 10. Dan verliehen - ist K. FUKUDA die höchst- graduierte Frau in der Geschichte des !<#0@ die letzte Zeitzeugin der ersten Jahre der Frauenabteilung des %0#0&'( und wohl auch eine der letzten Personen mit direkten Erinnerungen an den vor 74 Jahren verstorbenen !"#$%/ '()/. Für den März diesen Jahres ist die Urauf- 4-&9/7"%$/%&"R3>91%/(0($3/"*%&"$-&".%*%/"7%N+0/(;

In ihrem berühmten Buch „Born for the Mat“ schildert K. FUKUDA ein Erlebnis, das die Situation einer jungen Frau, die gerade mit dem F<#0"*%73//%/"-0((%!"01"%0#0&'( Mitte der 1930er-Jahre prägnant und anrührend widerspiegelt: „A017+='+7#:/7%0#0&'(7:.(7!'1=@7('01#:/7#',7-0)07.(73*.#04',1.7 gebaut wurde, bei. Damals gab es noch keine speziellen Klassen für Mondo (=Lehrgespräche, vgl. Folge 9). Aber bald danach hatte ich MASAKO NORITOMI und ihr Lehrer des !,<564&'+,<<(

Kagami biraki (Feier zur Wiedereröff- nung des >0E0 nach Neujahr) in der Frauenabteilung. Offenbar feierten die Frauen separat vom Rest des !0#0$%&. In der Mitte: !"#$%/ '()/

Alle Fotos: Privat- archiv Dieter Born

MASAKI NORITOMI -B$38 und AYUKO AKUTAGAWA -C*+48 bei !4D3'&*'!%:%

!"#$%/ '()/ bei der Übergabe einer >%&-Urkunde in der Anfangszeit der Frauenabteilung

Frauen beim Training der (*564'A*564&60 (Verteidigung gegen Belästigung durch Unterhaken)

26 der budoka 3/2012 Kurze Zusammenfassung Die Anfänge des Frauentrainings am %0#0&'("&%\%>($%&%/"/3,-"%$/- IMPRESSUM mal deutlich die Grundgedanken, die !"#$%/ '()/ bei der Entwick- „der budoka“ - Verbandsmagazin des Dachverbandes für lung von !<#0 verfolgt hat. Es ging darum, ein System der körperli- Budotechniken Nordrhein-Westfalen e.V. chen und geistigen Ertüchtigung zu schaffen, das auch seinen Wert für die Selbstverteidigung haben sollte. Gesundheit - die Vermeidung 40. Jahrgang 2012 von Verletzung und die Stärkung des Organismus - waren Hauptziele Herausgeber, Verlag, Redaktion, Anzeigen- und Abo- des Trainings. Dies zeigt sich, wie auch in anderen Bereichen des verwaltung: !<#0, vor allem in den Inhalten und in den Methoden, die am Joshi- Dachverband für Budotechniken Nordrhein-Westfalen e.V. bu praktiziert wurden. Postfach 10 15 06 47015 Duisburg Persönliche Anmerkungen: Friedrich-Alfred-Str. 25 (1) Fälschlicherweise haftet der !<-no-Kata und der Kime-shiki noch 47055 Duisburg heute an, eine „Frauenkata“ zu sein. Dem muss heftig widersprochen Telefon: 02 03 / 73 81 - 6 26 werden, denn beide Kata existierten schon, bevor überhaupt die erste Telefax: 02 03 / 73 81 - 6 24 Frau zum %0#0&'(-!<#0 fand. E-Mail: [email protected] www.budo-nrw.de Richtig ist vielmehr, dass diese beiden Kata aus den vorgenannten Gründen besonders gut in das (Anfänger-)Training der Frauen im Jo- Redaktionsleitung: Erik Gruhn (verantwortlich) shi-bu passten, da sie keine Fallübungen beinhalten, Prinzipien von E-Mail: [email protected] Angriff und Verteidigung schulen und gleichzeitig eine hervorragen- Redaktionsschluss: der 1. des Vormonats #%"C$7/9/7"4&"#$%".%$*%'%&6$%-9/7"*%'$(6%/"V"0*%&"/0(&+$,-"/$,-(" nur für Frauen! ISSN 0948-4124 Aufgrund der besonderen Bedeutung dieser Kata im Joshi-bu ist es Druck: allerdings kein Wunder, dass unter den Frauen nach dem 2. Weltkrieg SET POINT Schiff & Kamp GmbH eine besondere Expertise herangereift ist und die „großen Damen“des Moerser Str. 70 %0#0&'( (z.B.: K. FUKUDA, K. UMEZU, S. AKIYAMA) heute als Exper- YZYZ["201NV.$/(43&( tinnen für !;&*?6:(>0?&;&*/.(?+'..&*?(;?%'+' (ein- schl. Kime-shiki) und natürlich für !;,1.?2;,1.(10 eine teilweise Anzeigenpreise: Preisliste Nr. 5 vom 1.5.2011 größere Reputation haben als ihre männlichen Kollegen mit höherer Erscheinungsweise: monatlich, 10 x im Jahr Graduierung. Genau diese Kata sind auch in K. FUKUDAs Buch „Born for the Mat“ beschrieben. Mit Namen gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Für unverlangt eingesandte (2) Vor dem 2. Weltkrieg erhielten die jungen Frauen im Joshi-bu Manuskripte, Fotos und Datenträger wird keine Haftung übernom- auch Unterricht in Etikette, allgemeinen Benimmregeln für junge men. Frauen und auch im Reinhalten des -0)0. Hierfür gab es sogar eine 'N%6$%++%".%-&%&$/; Lieferbedingungen: Jahresabonnement 28,00 € (3) Die Tatsache, dass M. NORITOMI vor ihrem Eintritt in den %0#0&'( Bei Bankeinzug ermäßigt sich der Preis für das Jahresabonnement !<)*+,* gelernt hatte, ist ein weiterer Beleg dafür, dass andere Schu- auf 24,00 €. Bezugsgebühren werden jeweils für das Kalenderjahr len durchaus Training für Mädchen und Frauen angeboten haben. Da- erhoben. rüber hinaus erschienen auch einige Bücher über Frauenselbstvertei- digung, bevor die Frauen-Abteilung des %0#0&'( eingerichtet wurde. Einzelheftpreis: 3,50 € (zzgl. Versandkosten) (4) In jüngerer Zeit sind Veröffentlichungen aufgetaucht, in denen Bei Bestellungen mehrerer Exemplare Konditionen auf Anfrage. die Unterschiede des !<#0 der Frauen und der Männer (z.B. bei Wett- kämpfen und Graduierungen) unter dem Aspekt der Diskriminierung Die Kündigung des Abos ist mit einer Frist von sechs betrachtet werden. Eine seriöse Auseinandersetzung mit dieser Frage Wochen zum Ende des Kalenderjahres möglich. würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, da sie an der sozialen Urheberrechtlicher Hinweis: M(%++9/7"#%&"@&09"9/#"#%&"^3++%"#%&".%$*%'%&6$%-9/7"#%&"O#,-%/" Das Magazin, alle enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind ur- von der Meiji-Zeit bis zum Zweiten Weltkrieg ansetzen müsste. Nur heberrechtlich geschützt. Jede Verwendung, die nicht ausdrücklich vor diesem kulturellen Hintergrund lassen sich Genderaspekte inner- vom Urhebergesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustim- halb der Geschichte des %0#0&'(?!<#0 neutral bewerten und die Fra- mung des Verlages. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, ge beantworten, ob J. '()/ und der %0#0&'( ihrer Zeit voraus waren, *%&'%(69/7%/!"O$>&3A%&[+19/7%/!"#$%"C$/'N%$,-%&9/7"9/#" oder ob eher das Gegenteil der Fall war. Verarbeitung in Datensystemen. Literatur (Auswahl)

BENNETT, ALEX: F$73&0"20/0"0/#"(-%"20#0>0/"V"0/"$//3A0($A%"^%'N3/'%"(3"O3-

#%&/$'0($3/!"20#0>0/"F<#0"E/'($(9(%!"I__H DE CRÉE, CARL/JONES, LYR C;`"20#0>0/"F<#0)'"E/09'N$,$39'"b$/(-"20(0`"U-%" Neue Vereine F3'-$"73'-$/-0"V"OM%+4VR%4%/'%"O%(-3#'"43&"d31%/P!":&,-$A%'"34"<9#3!"f3+9- me 7, Issue 3, 2011 in den Fachverbänden FUKUDA KEIKO: Born for the Mat - A Kodokan Kata Textbook for Women, 1973 FUKUDA KEIKO`"F0/"U%g(*33>!"b3&(-":(+0/($,"<33>'!"I__Y Nordrhein-Westfälischer Judo-Verband e.V. '()/23!"#$%/`"20#0>0/"F<#0!"f%&+07"R$%(%&"<3&/!"I__Z Neuaufnahme: KOTANI, S./OZAWA, Y./HIROSE, Y;`"20(0"34"20#0>0/"F<#0"&%A$'%#!"23h0/3"<9''0/" Kaisha, 1970 6003018 (Kreis Coesfeld) MIARKA, B./BASTOS MARQUES, J./FRANCHINI, E.: Reinterpreting the History of TSG Dülmen, Rüdiger Schilling, Peerkamp 7, 48249 Dülmen d31%/)'"F9#3"$/"F0N0/!"$/`"U-%"$/(%&/0($3/0+"F39&/0+"34"(-%"i$'(3&h"34"MN3&(!" Mai 2011 Karateverband Nordrhein-Westfalen e.V. NIEHAUS, ANDREAS`".%*%/"9/#"d%&>"20/0"F$73&0'"jGkJ_VGHTkP!"C&73/Vf%&+07!" 2003 Neuaufnahme: SVINTH, JOSEPH R.: U-%"CA3+9($3/"34"d31%/')'"F9#3!"GH__VGHY[!"E/l3`"F39&/0+" Kampfkunst-Center JuDjuSu-Jitsu Karate e.V. of alternative Perspectives, Feb. 2001 Birgit Reimers, Windmühlenweg 57, 41068 Mönchengladbach WATSON, BRIAN N;`"F<#0"O%13$&%'"34"F$73&0"20/0!"U&0443&#Vf%&+07!"I__k

der budoka 3/2012 27 Empfang in Seattle 1932 im Rahmen einer Reise zu den Olympischen Spielen in Los Angeles: in der Mitte: J. KAN/ Foto: Privatarchiv Dieter Born

Grundwissen der Geschichte des !P#P$%&'(\#P*+&*(%,%&

von Wolfgang Dax-Romswinkel

Teil 20: Der Weg des !0#0$%&'(<#0 in den Westen

In den zurückliegenden 19 Folgen wurde die Entwicklung des Während J. '()/s Zeit als Schulleiter in !+,%,-.- auf der Insel !0#0$%&'(<#0*in Japan unter verschiedenen thematischen Schwer- !/<01< (vgl. Folge 15) stellte er den Schriftsteller und späteren Pro- punkten beleuchtet. In diesem 20. Teil soll nun der Weg des !0#0$%&' fessor LAFCADIO HEARN als Englischlehrer an. Dieser veröffentlichte (<#0*in den Westen - von den ersten ausländischen Schülern bis zu in seinem 1895 erschienen Werk „Out of the East“, das 1910 unter (<#0 als olympischer Disziplin - in einem kurzen Überblick skizziert dem Titel „!/<01< - Träume und Studien aus dem neuen Japan“ auch werden. in deutscher Übersetzung erschien, eine Beschreibung des (<#0- Trainings in der Schule. In der folgenden Passage spiegelt sich die Die ersten westlichen Schüler des !0#0$%& ungeheure Faszination wider, die (<#0 auf ihn ausgeübt hat (Anmer- kung: Auch wenn HEARN die Bezeichnung (<'23.0+*verwendet, han- Wie !"#$%$&'()/&im Rückblick auf die ersten Jahre des !0#0$%& be- delt es sich dennoch um (<#0): richtete, begannen bereits um die Jahre 1885/86, also nur kurze Zeit nach Gründung des !0#0$%&, die beiden ersten westlichen Schüler `5%0* ,36* %786* 780-͜* 78,86$8&0986.* 860:183&.;* 30.;* #%00* #86* (<#0 zu lernen. Es waren die amerikanischen Gebrüder EASTLAKE. <830.86*#80*(<'23.0+*&38,%=0*%+>*083&8*83?8&8*!6%>.*7%+.;*2%;*#%00*86* Der Ältere war ein etwa 100 kg schwerer Englischlehrer, der Jüngere 08=70.*3&*#86*?6%.8&*B8#6&?&30*$%+,*#%D-&*E876%+:1*,%:1.F*5%0* !"#$#"%&'$()#*$+,$-.0'"($(!1)2'!.$3#(!+'!44'!.$!"#!.$5)#6!4+[.8)9$ 98.*86*%=0-*%&G*H3&>%:1*#38*!6%>.*083&80*E8?&860F*I38*!6%>.*#80* Später kamen noch einige weitere Herren - vornehmlich Amerika- J83P* 30.* #%0* 83&K3?8* <3..8=;* #+6:1* #%0* #38086* J83&#* 7869=.3?.* ner und Briten - hinzu. '()/ vermerkte über sie, dass sie generell 986#8&*,+00FO zwar einen deutlich kräftigeren Oberkörper hätten als die Japaner, NFFFO jedoch eine „schwächere Hüfte“. Leistungsmäßig konnten sie mit den `58=:180*%78&#=:18*E8136&*1..8*#38*08=.0%,8*P8168*%+073=#8&* japanischen !0#0$%&-Schülern wohl nicht mithalten, wenngleich - so $&&8&;*#86*E89%=.*&38,%=0*E89%=.*8&.?8?8&K+08.K8&;*0-V&*#38* '()/ - auch einige sehr ernsthaft geübt hätten. !6%>.*#80*Q&?683>860*7=-%*K+*#363?3868&*+&#*>6*03:1*08=70.*&+.K7%6* K+*,%:18&;*#8&*J83&#*#+6:1*083&8*83?8&8*!6%>.*K+*J%==*K+*763&?8&;* Die Kunde vom geheimnisvollen (<*+,-+ gelangt in den Westen 31&*83&K3?*#+6:1*083&8*83?8&8*Q&0.68&?+&?*K+*D86&3:1.8&R*S3:186=3:1* 96#8*&38,%=0*83&*H+6-T86*%+>*#3808&*E8#%&$8&*?8$-,,8&*083&FO Bei seinem berühmten Vortrag von 1889 vor der Großjapanischen Gesellschaft für Erziehung waren nicht nur pädagogisches Fachpu- Die Kunde vom geheimnisvollen (<'23.0+*(oder in anderer Schreib- blikum und der japanische Erziehungsminister ENOMOTO TAKEAKI an- weise (3+'23.0+) im Westen nahm teilweise skurrile Formen an. So wesend, sondern auch der italienische Gesandte in Japan. Dies zeigt, schrieb der Schriftsteller MAX DAUTHENDAY im Jahr 1906 aus !/0.- dass das !0#0$%&'(<#0*bereits recht früh in seiner Entwicklungsge- an seine Frau: schichte westlichen Ausländern vorgestellt wurde.

der budoka 4/2012 19 `U8+.8*0-==*3:1*(3+'23.0+*0818&;*#%0*03&#*#38*7861,.8&;*?8183,&30' D-==8&* V3&?$,T>86;*#38* ,3.* 83&8,* J3&?86* 83&8&* <%&&* ..8&O* (aus NIEHAUS 2003, S. 83).

"#$%&%'()*/'stellt (<#0 der wissenschaftlichen Fachwelt vor

!"#$%$&'()/&selbst bemühte sich bereits um die Jahrhundertwende (<#0 in akademischen Kreisen vorzustellen. Als Direktor der Höhe- ren Lehrerbildungsanstalt in W0$/0 verfügte er über die entsprechen- 6!#$:)#4!9$;,$!8<[#($!.$=>??$@.,0!++,.$GEORGE TRUMBELL LADD von der Yale-Universität, der als Gastprofessor an der kaiserlichen Universität W0$/0 lehrte, im !0#0$%&. Im Jahr 1901 erläuterte er Professor HUGHES von der Cambridge-Universität die Grundlagen des (<#0. Einige Jahre später, am 22. März 1919, besuchte ihn der bedeutende Pädagoge JOHN DEWEY. Hierüber schrieb DEWEY in einem Brief an seine Frau (aus dem Englischen übersetzt vom Verfasser aus NIEHAUS 2003, S. 173): `I86*X6->800-6*NQ&,FY*?8,83&.*30.*(F*!%&0O*&%1,*#38*%=.8&*X6%$.3' $8&;*0.+#386.8*038;*%6783.8.8*#38*,8:1%&30:18&*X63&K3T38&*186%+0*+&#* Y. YAMASHITA (obere Reihe in der Mitte), mit seinem japanischen Assi- 8&.93:$8=.8*83&8*93008&0:1%>.=3:1*%+>83&%V*%+>7%+8*J-=?8*D-&* stenten und seiner Frau FUDE YAMASHITA; vor ihnen sitzend: Die Schüle- W63:$0F*Q==80*786+1.*%+>*?6+&#=8?8&*E808.K8&*#86*<8:1%&3$;*#8,* rinnen, die sie 1903 als Privatlehrer unterrichteten. S.+#3+,*#80*E=83:1?893:1.0*#80*,8&0:1=3:18&*!6T860;*#8&*Q6.8&;* #38080*K+*0.68&*7K9F*#86*58308;*083&*83?8&80*K+*861%=.8&;*0-938*%+0* <8.1-#8&;*%+0*83&86*E893:1.0D86=%?86+&?*#80*X%6.&860*83&8&*Z-6.83=* YOSHITSUGU YAMASHITA in Amerika K+*K3818&FO Auf Einladung des US-amerikanischen Geschäftsmanns SAM Dem Wissenschaftler DEWEY gelingt mit dieser Beschreibung eine be- HILL kam YOSHITSUGU YAMASHITA, der später der erste 10. I%& des merkenswert klare Analyse der Funktionsweise von Wurftechniken. !0#0$%&'(<#0* wurde, im September 1903 in die USA. Er lehrte Auch er zeigt sich fasziniert vom (<#0 - aber eben nicht als mysteri- dort (<#0 und stellte sein Können in Schaukämpfen gegen Ringer öse und geheimnisvolle Kunst, sondern beeindruckt von der Klarheit und Boxer unter Beweis, um dem Verdacht entgegenzuwirken, die der zugrunde liegenden naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten gelehrten Techniken seien nicht wirksam. Im Frühjahr 1904 unter- und dem didaktischen System, das '()/ entwickelt hatte. richtete er sogar für einige Monate den amerikanischen Präsidenten THEODORE ROOSEVELT. 1905 bekam YAMASHITA einen Lehrauftrag an Marinesoldaten bringen (<#0 in ferne Länder der Marine-Akademie der USA. Nach zwei Semestern, im Sommer 1906, kehrte er wieder nach Japan zurück, nachdem der Lehrauftrag Gegen Ende des 19. Jahrhunderts forcierte Japan den Aufbau seiner nicht verlängert wurde. Marine. Mit der Verfügbarkeit von großen Kriegsschiffen, begann die japanische Marine auch die Weltmeere zu befahren und internationale Ausländisches Interesse an (<*+,-+.(<#0/nach dem russsisch-ja- Kontakte zu knüpfen bzw. zu vertiefen. Im Rahmen derartiger Ge- panischen Krieg legenheiten fanden teilweise auch (<#0[(+'(+.0+-Vorführungen statt. Als eine der ersten gilt die Demonstration von +(',!"%/&-.(/(&0123& Nach dem japanischen Sieg gegen Russland 1905, stieg im Westen in Melbourne, bei der (<#0 erstmals in Australien vorgestellt wurde. das Interesse an Japan sprunghaft an. Irgendwie konnte man sich nicht so ganz vorstellen, wie das Land, das noch wenige Jahrzehnte In Deutschland bekannt und oft als Beginn des deutschen (<#0[ zuvor knapp der Kolonialisierung entgangen war, es schaffen konnte, (<2+.0+*genannt ist der Besuch zweier japanischer Kreuzer in Kiel eine moderne westliche Macht militärisch zu schlagen. im Jahr 1907. Im Nachgang einer Vorführung vor Augen KAISER WIL- HELM II. wurde in der Tat der Japaner (#"+(%/&$)$ als Lehrer für Ausländische Mächte fragten von daher in Japan nach, ob man nicht (<2+.0+ an der Militärturnanstalt Lichterfelde angestellt. (<2+.0+'[(<#0-Instruktoren zur Verfügung stellen könnte. Einer die- ser Instruktoren war K. SASAKI, ein Lehrer an der höheren Lehrer- bildungsanstalt in W0$/0, den '()/ auf Nachfrage aus Ungarn im Jahre 1906 dorthin schickte, um (<#0 zu lehren. K. SASAKI verfasste 1907 in Ungarn ein (<#0-Buch, das später in mehrere Sprachen - u.a. auch ins Deutsche - übersetzt wurde. Im Gegensatz zu anderen im Westen erschienenen Büchern dieser Zeit ist bei SASAKIs Werk auf- grund der verwendeten Technikbezeichnungen unzweifelhaft, dass er !0#0$%&'(<#0*darstellte. Sein Enkel /4/!"&)(#(5"-( berichtete, dass ein deutscher Prinz, nachdem er das Buch gelesen hatte, SASAKI für eine Weile als (<#0-Lehrer nach Berlin einlud, wo er den Prinzen unterrichtet habe.

Japanische Auswanderer machen (<#0 und (<*+,-+ bekannt Eine weitere wichtige Personengruppe, die (<#0 und (<2+.0+ im Wes- ten bekannt machte, waren japanische Auswanderer. Nach der Aufgabe der Abschottungspolitik und der Notwendigkeit gegenüber dem Westen aufholen zu müssen, schickte Japan fähige junge Männer zum Studium in den Westen. Bei der Rückkehr berich- teten viele von den zahlreichen Möglichkeiten und Verlockungen, die ein Leben im Westen bieten würden. Da Japan in einer sehr schwie- rigen Phase war, suchten bereits um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert viele junge Japaner ihr Heil im Westen und wanderten aus. Ihr Ausbildungsstand war allerdings meist ausgesprochen nied- ."(A$6)$6)+$B)<)#"+%&!$C"462#(++D+'!8$!.+'$#,%&$"8$3201)2$1![#64"%&$ war und die gut ausgebildeten Männer in Japan in der Regel rasch in Immer wieder gut bei Vorführungen: Frau wirft Mann und ruft faszinierte Schlüsselpositionen unterkamen. Blicke hervor. Vorführung in den USA

20 der budoka 4/2012 TSUNEJIR0 TOMITA"#$%&#'([*+%,,# erste Schüler des !0#0$%&, unterrichtet im Heights-Club in New York

Alle Fotos: Privatarchiv Dieter Born

-<$0/0'&(2&345#6+7#-8#KAN/ in einen New Yorker/10*0

Unter den japanischen Auswanderern waren auch einige, die in der Nach einigen Stationen in Amerika und Europa landete er schließlich Heimat (<2+.0+ verschiedener Stilrichtungen gelernt hatten. Für sie in Brasilien, einem der Haupteinwanderungsländer für Japaner, wo bot sich die Gelegenheit, als (<2+.0+-Lehrer und/oder als Preiskämp- er sich dauerhaft niederließ. Er betreute später japanische Einwan- fer in Varietés ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Hierbei wurden derer und unterrichtete auch (<#0. Aus seiner Schule ging die GRA- sie und (<2+.0+ natürlich entsprechend vermarktet, was einer seriösen CIE-Familie hervor, die später ihren eigenen Stil, das „Brasilianische Darstellung in der Öffentlichkeit nicht immer förderlich war. Hinzu Jiu-Jitsu“ entwickelt hat, das sich heute international wachsender Be- kamen die Berichte von in Japan lebenden Ausländern, die ohnehin liebtheit erfreut. meist mehr von Faszination als von Sachkenntnis gekennzeichnet E).!#9$;,$!#'+')#6$"#$6!.$00!#'4"%&-!"'$0)+'$*E)#(+42[($!"#$G!..- ()*/ wirbt im Ausland für (<#0 bild des (<2+.0+[(<#0. Nach '()/s Aufnahme in das internationale olympische Komitee Zwei der frühesten japanischen Auswanderer, die in Europa (<2+.0+ (IOC) im Jahr 1909 (vgl. Folge 15) war er verstärkt auf Reisen, die unterrichteten, waren SADAKAZU UENISHI und der später bedeutsame ihn mehrfach vor allem nach Europa und Nordamerika führten. Bei YUKIO TANI, die schon um 1900 im Londoner Stadtteil Soho an der diesen Gelegenheiten versuchte er, so viel und oft es möglich war, (<2+.0+'S:1+=8 von EDWARD BARTON-WRIGHT, der sein System „Bar- Kontakt zu japanischen Landsleuten und auch zu örtlichen (<2+.0+'[ titsu“ nannte, unterrichteten und gleichzeitig als Preiskämpfer von (<#0'I020*aufzunehmen. Teilweise hatten auch Ausländer, die in Ja- BARTON-WRIGHT vermarktet wurden. pan (<#0 gelernt hatten, begonnen, im Westen zu unterrichten. '()/ versuchte natürlich auch diese Lehrer zu treffen und war teilweise - Quer durch Europa und durch die USA reiste KATSUKUMA HIGASHI, der wie aus einem Bericht über einen Besuch in Italien 1928 hervorgeht von dem Journalisten und Schriftsteller H. IRVING HANCOCK beglei- - überrascht von der großen Schar der Übenden. tet wurde und mit diesem das unsägliche „The Complete !%&0*(3+' (3.0+*N(<#0O“ geschrieben hat, das im Westen als Standardlehrbuch '()/ verschaffte sich so einen Überblick über die internationale Ver- für (<#0 und (3+'(2+.0+*diente und von dem '()/ schrieb, dass der breitung des (<2+.0+[(<#0*und entwickelte ein Netz von Kontakten. Inhalt aus lauter ihm unbekannten Dingen bestünde (vgl. Folge 14). Bei diesen Besuchen nutze er jede sich bietende Gelegenheit, Vorträ- ge über (<#0 zu halten und (<#0 zu demonstrieren. Meist war er in Neben diesen Auswanderern, die oft noch sehr jugendlichen Al- Begleitung einiger hochrangiger !0#0$%&-Schüler wie zum Bespiel ters waren und sich teilweise mit mehr oder weniger unbekanntem S. KOTANI (später 10. I%&) oder '6&'.7/ (später 9. I%&), so dass auch (<2+.0+[(<#0-Hintergrund in Europa verdingten, gab es auch einige die praktische Seite ausführlich dargestellt werden konnte. „echte“ !0#0$%&-Schüler, die aus Japan auswanderten. Der bekann- '!+'!$2#6$E,&4$)2%&$H"#\2++.!"%&+'!$J,#$"&#!#$E).$M. MAEDA, der unter dem Künstlernamen „Conde Koma“ ebenfalls zunächst als Preiskämpfer umher reiste.

Eines der ersten (<#0- Lehrbücher in einer westlichen Sprache war `1*+#2O von K. SASAKI, erschienen 1907 in Budapest. Hier werden die verschie- denen Arten des Stehens erklärt. Das Buch ist unter „http://mek.oszk. hu/03100/03192/“ frei verfügbar.

der budoka 4/2012 21 ()*/ holt KOIZUMI und TANI zum !0#0$%&'(<#0

Bereits in Japan war es KANOs Ziel gewesen, das !0#0$%&'(<#0 als Standard zu etablieren und die verschiedenen (<2+.0+-Stile zu assi- milieren. Bei den zahlreichen Treffen im Ausland versuchte er wie in der Heimat (<2+.0+-Lehrer zum Wechsel zum !0#0$%&'(<#0 zu bewegen. Ein Meilenstein für die Entwicklung des (<#0 in Europa war der Ein- tritt des oben bereits erwähnten YUKIO TANI und von in den !0#0$%&. GUNJI KOIZUMI war eine der zentralen Figuren bei der Verbreitung des (<#0 in Europa. Er hatte verschiedene (<2+.0+-Stile - unter anderem wie '()/ auch W8&23&'013&/0'6/< - gelernt und war nach einigen Stationen in Asien um 1906 nach Großbritannien ge- kommen. Im Folgejahr verließ er die Insel jedoch wieder, versuchte sein Glück in Amerika, kehrte aber nach einigen Jahren wieder nach Europa zurück. 1918 hat er schließlich den „London B+#-$9%3“ ge- gründet, eine Schule für (<2+.0+ und !8&2+.0+, an der er neben YUKIO TANI unterrichtete.

1920 schlossen sich TANI und KOIZUMI auf Zureden '()/s dem SUMIYUKI KOTANI und MASAMI TAKASAKI in Wien !0#0$%& an und wurden mit dem 2. I%& graduiert. In der Folge wur- Alle Fotos: Privatarchiv Dieter Born de der B+#-$9%3 das Zentrum zur Verbreitung des !0#0$%&'(<#0 in Europa - sozusagen die Dependance des !0#0$%& in Europa.

Die ersten (<#0-Sommerschulen in Frankfurt den Weg gebracht worden. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs nahm (<#0 eine rege Entwicklung. In Deutschland hatte ERICH RAHN ab 1906 große Anstrengungen un- ternommen, (3+'(3.0+*zu verbreiten. So fand es nicht nur Eingang in die Polizei- und Militärausbildung, sondern es wurde auch mit Hilfe (<#0-Pioniere in Frankreich von Büchern und sogar Fernkursen an den Mann bzw. die Frau ge- Als Vater des französischen (<#0 wird meistens M. KAWAISHI ge- bracht. RAHN selbst gibt an, (3+'(3.0+*von dem oben erwähnten KATSU- nannt. Dieser kam nach Stationen in den USA und England 1935 KUMA HIGAHSI gelernt zu haben. Es kann sich dabei aber - zumindest nach Frankreich und war eine entscheidende Figur beim Aufbau des vor Eröffnung seiner Schule - nur um einen recht kurzen Zeitraum französischen (<#0. gehandelt haben. Jedoch war er nicht der erste (<#0$%, der (<#0 nach Frankreich brach- Im Jahr 1922 gründete ALFRED RHODE, ein Schüler RAHNs, nach sei- te. Stellvertretend sollen hier HIKO´ICHI AIDA und vor allem KEISHICHI ner Übersiedlung von Berlin nach Frankfurt am Main mit einigen "/4"#.%/& genannt werden, die in den 1920er-Jahren in Frankreich Mitstreitern den 1. Deutschen Jiu Jitsu Club. Man betrieb dort das tätig waren. Letzterer brachte (<#0 auch nach Rumänien und nach allgemein in Deutschland verbreitete (3+'(3.0+, da !0#0$%&'(<#0* Ägypten. praktisch unbekannt war. Auf dieses stießen die Frankfurter erst 1929 bei einem Freundschafts- Die Faszination einer kaum verstandenen Philosophie kampf gegen den B+#-$9%3 London im Frankfurter Palmengarten. Schon die frühen Berichte über (<2+.0+ und (<#0 bezeugten, dass Die Deutschen waren so fasziniert, dass man künftig in Frankfurt die- philosophische Elemente und Moralerziehung wichtige Säulen der ses neuartige (<#0 betreiben wollte. Der Kontakt mit den Engländern Lehre seien. Berichte über Meditation, Rituale, Atemtechnik, \8&- wurde in den Folgejahren weiter ausgebaut. Buddhismus, B+013#0 usw. verliehen dem (<#0 eine exotische Note, die zusammen mit der kämpferischen Wirksamkeit die Gesamtfaszi- ALFRED RHODE organisierte schließlich 1932 die erste (<#0- Sommerschule in Frankfurt, zu der alle in Europa verfügbaren japa- nation des (<#0 ausmachte. nischen Lehrer, an ihrer Spitze Y. TANI und G. KOIZUMI eingeladen J. '()/ gelang es in seinem Heimatland schon kaum, die Philoso- wurden. Diese Sommerschule gilt vielen als Geburtsstunde des (<#0 phie des !0#0$%&'(<#0 zu etablieren und es vor ideologischer Inan- in Deutschland. spruchnahme zu bewahren (vgl. Folgen 17 und 18). Im Westen wur- Die Tradition der Sommerschulen in Frankfurt wurde bis 1939 fort- den demgegenüber verschiedene Elemente wie die oben aufgeführten gesetzt und war der wichtigste Meilenstein bei der Verbreitung des zu einem teilweise bizarren Philosophie-Mix verschmolzen. Dies tat (<#0 vor dem Zweiten Weltkrieg im deutschsprachigen Raum. jedoch der Faszination für die Übenden keinen Abbruch. So manche Merkwürdigkeiten in Veröffentlichungen über (<#0 sind leider bis Gründung der EJU und die ersten Europameisterschaften auf den heutigen Tag diesem Problem geschuldet. Im Rahmen der ersten Sommerschule 1932 in Frankfurt/Main kam (<#0 und die Olympische Spiele 1940 es auch zur Gründung der Europäischen Judo-Union (EJU). Diese wurde vom B+#-$9%3 London aus geleitet. 1934 fanden in Dresden Ein wichtiger Meilenstein für die internationale Verbreitung des die ersten (<#0-Europameisterschaften statt, bei denen Deutschland !0#0$%&'(<#0*waren nach dem Zweiten Weltkrieg die Olympischen - allerdings bei schwacher internationaler Beteiligung - überragend Spiele 1964 in W0$/0. Aber bereits 24 Jahre zuvor hätte es nach den abschnitt. Planungen des IOC (<#0 bei Olympia geben sollen. !"#$%$&'()/&hatte den Auftrag bekommen, die Bewerbung W0$/00 ()*/ in Berlin und München für die Ausrichtung der Spiele 1940 erfolgreich zu gestalten und diese nach Japan zu holen. Dies war unter anderem aufgrund der geopoli- 1933 hielt sich '()/ längere Zeit in Europa auf und leitete u.a. Lehr- gänge in Berlin (11. bis 22. Juli) und München (11. bis 18. Septem- tischen Lage ausgesprochen schwierig. Am Ende war '()/ jedoch ber). In Verhandlungen mit Reichssportführer Tschammer van Osten erfolgreich und W0$/0 war als Austragungsort ausgewählt. erreichte '()/, dass fortan in Deutschland die Bezeichnung (<#0 Im Rahmen dieser Spiele war „B<#0“ - bestehend aus (<#0, !8� anstelle von (3+'(3.0+ verwendet wurde. und !/<#0 - als Demonstrationswettkämpfe vorgesehen. Durch die Das !0#0$%&'(<#0 war also in Deutschland Anfang der 1930er Jah- kriegsbedingte Absage der Olympischen Spiele durch die japanische Seite wenige Wochen nach '()/s Tod 1938, kam es jedoch nicht re mit Hilfe der zum (<#0 „konvertierten“ Lehrer KOIZUMI und TANI mehr dazu. und mit massiver persönlicher Unterstützung durch !"#$%$&'()/ auf

22 der budoka 4/2012 Zusammenfassung war. Auf der anderen Seite wurde per amtlicher Verfügung der Be- griff (3+'(3.0+ durch (<#0 ersetzt - so als ob diese Bezeichnungen sy- Die internationale Verbreitung von (<#0*war eine Herzensangelegen- nonym verwendet werden könnten und sie den gleichen Gegenstand heit !"#$%$&'()/s vom Beginn seiner Laufbahn an. Mit zunehmen- beschreiben würden. den internationalen Kontakten im Rahmen seiner Tätigkeit beim IOC verstärkte er seine Aktivitäten nochmals. (4) Die Geschichtsschreibung des deutschen (<#0 unterschlägt mitun- ter, dass !6&'()/&auch schon früher in Deutschland gewesen war, und '()/ schickte !0#0$%&-Schüler ins Ausland, holte im Ausland tätige somit die Frankfurter Gruppe nicht die ersten Deutschen waren, die (<2+.0+-Lehrer unter das Dach des !0#0$%& und wurde nicht müde, mit dem !0#0$%&'(<#0 in Berührung gekommen sind. '()/ selbst (<#0 in Vorträgen und Demonstrationen vorzustellen. Er förderte zu- berichtet von Besuchen 1912 und 1928, wo er jeweils ein oder mehre- sätzlich den Zusammenschluss in Verbänden und stärkte die Vernet- re I020 besucht habe. Während dem Verfasser über den Besuch 1912 zung der (<#0-Treibenden weltweit. keine gesicherten Erkenntnisse vorliegen, kann als sicher gelten, dass Die Menschen im Westen zeigten sich aus verschiedenen Gründen er 1928 in Begleitung von AIDA und '.7/ (beide damals 5. I%&) die fasziniert vom (<#0, das sich nach einer kriegsbedingten Unterbre- Polizeischule in Berlin besuchte und dort Kämpfe gegen deutsche Po- chung rasend schnell weltweit ausbreitete. lizisten durchgeführt wurden. Die deutsche Seite sei so beeindruckt gewesen, dass man nach Unterricht nachgefragt habe, was '()/ zu- Persönliche Anmerkungen gesichert habe. '.7/ hat übrigens zu dieser Zeit für zwei Jahre als Austauschstudent in Berlin gelebt und einen umfangreichen Bericht (1) Als Datum für den Besuch der japanischen Kreuzer in Kiel wird über das deutsche (3+'(3.0+ verfasst. oft das Jahr 1906 genannt. Dies ist jedoch nicht korrekt. Der Besuch fand im Jahr 1907 statt - ein Jahr nachdem ERICH RAHN seine (3+' (5) Die Haltung !"#$%$&'()/s zur Aufnahme von (<#0 als olympi- (3.0+ Schule in Berlin eröffnet hatte. Von daher besteht auch zwischen sche Disziplin wird verschiedentlich kontrovers diskutiert. Teilweise diesem Ereignis und der Eröffnung der Schule RAHNs kein Zusam- "+'$6"!$3#+"%&'$J,.*2[#6!#A$6)++$'()/ olympischen Wettbewerben menhang. im (<#0 ablehnend gegenüber stand. Dies wird unter anderem mit zurückhaltenden Äußerungen '()/s gegenüber KOIZUMI begründet, (2) Die Schreibweise „(3+* (3.0+“ ist im Westen neben anderen in denen er auf das Konzept von (<#0 als Erziehungssystem verweist. Schreibweisen wie „(+'(+.0+“, „(+'(3.0+“ weit verbreitet. Die unter- Niehaus kommt jedoch nach umfangreichen Forschungsarbeiten zum schiedlichen Schreibweisen rühren daher, dass die japanische Spra- Schluss, dass '()/ (<#0 als olympische Disziplin etablieren wollte. che keine „korrekte“ Schreibung in lateinischer Schrift kennt und von daher versucht wird, das lateinische Alphabet als eine phonetische (6) Die Tradition der Sommerschulen wird in Deutschland bis auf den Umschrift (Lautschrift) für japanische Aussprache zu verwenden. Die heutigen Tag fortgesetzt. Derartige Schulen gab es nach dem Krieg japanische Schreibweise ist wie die Bedeutung aber stets gleich: 柔術 nicht nur in Deutschland. Bekannt sind vor allem auch die Sommer- schulen in Holland, die von dem bekannten (<#0-Pionier und Boden- In Japan ist die Umschrift (<2+.0+ am weitesten verbreitet. Das „j“ spezialisten „Opa“ SCHUTTE organisiert wurden. (<#0-Enthusiasten wird dabei nicht wie das deutsche „j“, z.B. in „Jod“ gesprochen, son- kamen aus ganz Europa für eine Woche zusammen und trainierten dern wie das englische, z.B. in „Joker“. Der horizontale Strich über gemeinsam bei den besten verfügbaren Lehrern. Nebenbei entstan- 6!8$!.+'!#$`_VO=?`>aA$H.(,#OY!.4)(A$ fe (3+'(3.0+*(unabhängig von der verwendeten Umschrift) und (<#0. 2003 Auf der einen Seite wurde durch die oben stehenden Ausführungen SVINTH, JOSEPH R.: Professor Yamashita goes to Washington, Journal of Comba- deutlich, dass bis 1929 einerseits bemerkenswert viel (3+'(3.0+* be- tive Sports 2000, http://ejmas.com/jcs/jcsart_svinth1_1000.htm trieben wurde, dieses jedoch vom !0#0$%&'(<#0* sehr verschieden WATSON, BRIAN N9W$Q<60$T!8,".!+$,0$Q"(,.0$:)#0A$X.)00,.6OY!.4)(A$UVV>

Links: ()*/ bei einer Kata-Demonstration mit M. TAKASAKI 1933 in Berlin; mitte: ()*/ mit S. KOTANI (später 10. 1%&) bei einer Vorführung 1933 in London; rechts: ()*/ unterrichtet Berliner Polizisten 1933, links im Bild: S. KOTANI. Auffällig: ()*/#$%6'497&+%&7#23[5#9%+4%#;+%<,+4597%=24+>#4$5'62-75 links und er trägt so gut wie immer bei derartigen Anlässen normale westliche Kleidung.

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