Grundwissen der Geschichte des Kōdōkan-Jūdō in

von Wolfgang Dax-Romswinkel

Teil 1: Koryū-Bugei: die klassischen Kriegskünste

JIGORō KANō hat mit seinen Schülern und Mitarbeitern ab 1882 das Kōdōkan-Jūdō entwickelt. Die Wurzeln des Kōdōkan-Jūdō liegen in den klassischen japanischen Kriegskünsten, den so genannten koryū-bugei, die über Jahrhunderte entwickelt und ver- feinert worden waren. Weil Kenntnisse über die koryū-bugei beim Verständnis der Jūdōgeschichte und des Jūdō hilfreich sind, sollen zu Beginn dieser Artikelreihe ihre wichtigsten Eigenheiten, ihr Aufstieg und ihr Niedergang im Kontext der geschicht- lichen Ereignisse skizziert werden. Naturgemäß kann die Darstellung in diesem Rahmen allerdings nur sehr komprimiert und verallgemeinernd sein. Für ein vertiefendes Studium muss daher auf separate Fachliteratur zurückgegriffen werden.

Historischer Kontext Konsequent sicherte das Gerber, Totengräber, Henker z.B. (Schwertkampf), Shōgunat seine Macht ab und oder Prostituierte. kyūjutsu (Bogenschießen), Wie alle anderen Länder der Japan erlebte eine rund 250-jäh- Die Samurai stellten etwa bōjutsu (Kämpfen mit dem Erde hat auch Japan eine von rige relativ friedliche Periode. 5 % der Bevölkerung und Langstock) aber auch Schwim- Kriegen gezeichnete Geschich- Strikte Kontrolle der Ein- und nahmen in der Regel Verwal- men und weitere Disziplinen te. Vor allem im 15. und 16. Ausreise nach Japan und des tungsaufgaben - ähnlich unseren gehörten. Jūjutsu, das alternativ Jahrhundert gab es viele interne Handels mit ausländischen heutigen Beamten - wahr. Die z.B. auch yawara oder tai-jutsu Machtkämpfe zwischen weitge- Mächten führten zu einer Zugehörigkeit zu einem Stand genannt wurde, war eine dieser hend autonomen Territorien, da sehr starken Abschottung des hatte übrigens nicht unbe- Formen. Es bezeichnete in der es keine starke Zentralregierung Inselreiches. Zahlreiche Gesetze dingt etwas mit persönlichem Regel das Kämpfen ohne oder mehr gab. Man nennt einen Teil und die Ständegesellschaft nach Wohlstand zu tun. Es gab z.B. nur mit leichten Waffen gegen dieser Zeit nicht umsonst die konfuzianischer Lehre bestimm- verarmte samurai genauso wie einen unbewaffneten oder einen „Zeit der streitenden Reiche“ ten die Staatsordnung. reiche Händler. bewaffneten Gegner. Jūjutsu (Sengoku-Periode, 1477 bis diente in erster Linie als Ergän- 1573). Die Ständeordnung der Entwicklung und Systema- zung zum Waffenkampf, insbe- In der Schlacht von Seki- Edo-Zeit tisierung der Kampfkünste sondere zum Schwertkampf. gahara konnte IEYASU TOKUGA- durch die ryū-ha Das Spektrum der Tech- WA im Jahr 1600 die militä- Der gesellschaftliche Stand niken ohne Waffen umfasste rische Vorherrschaft in Japan eines Menschen hing nicht Während der Jahrhun- Wurftechniken, Gelenkhebel erkämpfen. Er ließ sich vom von seinen Leistungen oder derte, in denen Kriege geführt aller Art (auch an Genick, Kaiser (jap. tennō) mit allen seiner Ausbildung ab, son- wurden, entwickelten sich Händen, Fingern, Beinen und Machtbefugnissen ausstatten dern praktisch allein von der zahlreiche Formen des Kampfes Füßen), Würgetechniken sowie und 1603 zum shōgun ernen- Herkunft. An der Spitze standen mit und ohne Waffen, aber Schläge, Stöße und Tritte. nen. Die Hauptstadt wurde von das Kaiserhaus, der Tokugawa- erst ab Mitte des 16. Jahrhun- Würfe waren oftmals mit Kyōto nach Edo (dem früheren Clan und die etwa 260 Fürsten derts wurden diese zunehmend Hebeln oder Schlägen/Stößen Namen von Tōkyō) verlegt, (jap. „daimyō“). Es folgte der formalisiert und durch die gekoppelt und hatten nicht weswegen die nachfolgende Kriegerstand, die samurai, ryū-ha strukturiert überliefert. unbedingt das Ziel, den Gegner Periode auch Edo-Zeit (1603 bis denen als einzige erlaubt war Eine ryū ist eine Schule oder in auf den Rücken zu werfen, 1868) genannt wird. Da wäh- Schwerter zu tragen. Geordnet etwas anderer Übersetzung ein denn auf dem Schlachtfeld war rend dieser gesamten Zeit die nach Leistung für die Produk- Stil, ha bezeichnet einen Zweig das Ausschalten des Gegners Tokugawa-Familie den Shōgun tion lebensnotwendiger Güter, oder eine Linie. Die ryū-ha sind wichtiger als ihn kontrolliert zu stellte, nennt man die Zeit auch kamen danach die Bauern, die also die Stile/Schulen und ihre werfen. Eine Besonderheit war das „Tokugawa-Shōgunat“. Handwerker und als niedrigs- Zweige. der Nahkampf in Rüstungen, Der tennō war zwar offiziell ter Stand die Händler. Noch Insgesamt lassen sich das yoroi-kumi-uchi, das z.B. in Staatsoberhaupt, faktisch aber darunter waren Menschen mit 18 Hauptformen der Krieg- der Kitō-ryū gelehrt wurde. nur noch auf repräsentative Berufen, die nach buddhisti- künste unterscheiden, die Aufgaben beschränkt. scher Lehre unrein waren wie bugei-jūhappan, zu denen

Abwehr eines Faust- schlages in der Takenouchi-ryū (aus Daigo T., Wurf- techniken des Kōdōkan Jūdō, S. 30-31)

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Gründung der Schulen das für die Weitergabe der Die Kampfkünste sollten - das „Innere“ - ihrer Kunst Lehre verantwortlich war und neben praktischen Fertigkeiten möglichst geheim zu halten, um Die Umstände, die zur auch den Nachfolger bestimm- des Kämpfens auch mentale nicht im Kampf gegen Vertreter Gründung der einzelnen Schu- te. Die Unverfälschtheit der Fähigkeiten und charakterliche anderer ryū einen Nachteil zu len geführt haben, sind oft mit Lehre legitimierte sich über eine Stärke vermitteln, womit den haben. Legenden verbunden und die ungebrochene Linie („Traditi- koryū-bugei auch ein erheb- Bevor ein Schüler ange- Grenze zwischen Dichtung und onslinie“ oder „Übertragungs- licher erzieherischer Wert nommen und in die Kunst ein- Wahrheit ist vielfach nicht mehr linie“) bis zum Gründer der zukam. geweiht wurde, musste er einen auszumachen. Das Spektrum Schule. Wurde von der Lehre Eid leisten, dass er die Geheim- reicht von Mythen - z.B. einer abgewichen, wurde sie ergänzt Die Stufen der Ausbildung nisse der jeweiligen Schule göttlichen Eingebung auf einer oder mit Lehren anderer ryū und das Lizenzierungssystem nicht nach außen tragen und einsamen Wanderschaft - über vermischt, so bedeutete dies (menkyo) dass er die Kunst nicht ohne das Beobachten eines Weiden- in der Regel den Beginn eines Erlaubnis unterrichten wird. baums im Sturm, der flexibel neuen Zweiges (ha) oder sogar Die Schüler wurden Manche Schüler, die uchi-deshi nachgibt und deshalb nicht die Gründung einer neuen ryū. schrittweise und systematisch oder „inneren Schüler“, lebten knickt, bis hin zum legendär- in verschiedene Lernstufen im Haus des Meisters. Die soto- en chinesischen Einwanderer , densho und kuden: das eingeführt. Die Lerninhalte deshi („äußere Schüler“) kamen namens GEMPIN, der im 17. Curriculum einer ryū waren zu diesem Zweck je nur zum Unterricht ins dōjō. In Jahrhundert chinesische Kampf- nach Schule in Stufen wie z.B. der Praxis bedeutete dies oft, formen nach Japan mitgebracht Das technische Programm Grundlagen (shoden), fortge- aber nicht zwingend, dass nur haben soll. war in den kata der ryū forma- schrittene Techniken (chūden) besonders geeignete Schüler Als eine der ältesten heute lisiert. Sie sicherten eine weit- und „innere“ oder „geheime“ uchi-deshi werden konnten und noch existierenden Schulen, die gehend unverfälschte Überlie- Techniken (okuden) eingeteilt. diese aufgrund der ständi- jūjutsu gelehrt hat und noch tut, ferung der Techniken von einer Darüber hinaus gab es wie oben gen Nähe zum Meister eine wird immer wieder die 1532 Generation zur nächsten. In den erwähnt noch die letzte und intensivere Betreuung erfahren gegründete Takenouchi-ryū kata spiegelte sich das Wesen höchste Stufe, das kuden, die konnten als die soto-deshi. genannt. Wichtige Schulen für der jeweiligen Schule wieder mündlichen Lehren, die über Das Rangsystem und die die Entstehung des Kōdōkan- und sie prägten wesentlich die die okuden hinaus gehende schrittweise Einführung in die Jūdō sind Kitō-ryū und Tenjin- Identität der Schule. Kata waren Erklärungen enthielten. Lehrinhalte einer ryū, die erst shin’yō-ryū, die JIGORō KANō also unter anderem auch zum Analog dem Ausbildungs- am Ende der Ausbildung die jeweils gelernt hat. Weitere Zwecke der Überlieferung ge- stand gab es für Schüler wesentlichen Prinzipien und bekannte Schulen sind z.B. nau festgelegt und ein präzises verschiedene formale Ränge Zusammenhänge erkennen Yōshin-ryū oder Sekiguchi-ryū. Üben war Voraussetzung für in meistens fünf Stufen, das ließen, sorgte dafür, dass nur Die meisten Schulen entstanden den Fortbestand der Lehre über sogenannte menkyo-System loyale Schüler zu wirklichen während der Edo-Zeit durch Generationen. (von jap. menkyo=Lizenz, Er- Experten heranreifen konnten. eine Synthese verschiedener Neben den kata gab es die laubnis). Je nach Rang wurden bereits existierender Schulen. schriftliche und die mündliche die Schüler unterschiedlich tief Der Niedergang des samurai- Insgesamt wurden mehrere hun- Überlieferung. Jede Schule in die Techniken, Prinzipien Standes und der koryū-bugei dert - einige Quellen sprechen hatte Schriftrollen (jap. densho), und Geheimnisse der Schule von bis zu 2.000 - verschiedene in denen z.B. das technische eingeweiht. Die höchste Stufe, Der Niedergang der koryū- Schulen während der Edo-Zeit Programm, wichtige Prinzipien, das menkyo-kaiden, wurde nach bugei wurde eingeleitet, als der gezählt. Verhaltensregeln und die der Übermittlung der kuden amerikanische Commodore Per- Später nannte man die Geschichte der Schule nieder- erreicht. Es war die Bestäti- ry 1853 mit vier Kriegsschiffen bis zum Ende der Edo-Zeit geschrieben war. Da - wie noch gung, dass die Lehre der Schule die Bucht von Tōkyō erreichte entstandenen Stile koryū-bugei zu erläutern sein wird - jede ryū vollständig übertragen worden und dem Shōgunat mehr als oder koryū-bujutsu, also die auf eine weitgehende Geheim- war und berechtigte zur selbst- deutlich vor Augen geführt „alten“ Kriegskünste (von haltung ihres Systems wert ständigen Lehre der Kunst. wurde, wie sehr Japan den west- ko=alt, ryū=Schule/Stil, bugei/ legte, wurden die „geheimen Das menkyo-kaiden wurde lichen Mächten, insbesondere bujutsu=Kriegskunst). Lehren“ nur mündlich weiter- durch eine Urkunde bescheinigt aufgrund der Waffentechnik, gegeben. So hatte jede Schule und war auch mit der Aushändi- unterlegen war. Nachdem Japan Formalisierung der Lehrin- ihre kuden (von ku=Mund, gung einer Abschrift der densho 1854 zur Öffnung seiner Häfen halte und strukturierte Über- den=Überlieferung). Oft wurde verbunden. für den Handel mit den USA lieferung in den densho eine Geheimspra- gezwungen worden war, hat che verwendet, die nur mit Hilfe Sicherung der Vertraulichkeit die Shōgunats-Regierung um Die Lehre einer ryū sollte der kuden entschlüsselt werden der Lehre militärisch zu erstarken und unverfälscht vom Gründer auf konnte, so dass Unbefugte sie letztlich eine Kolonialisierung die nachfolgenden Generationen nicht verstehen konnten. Die ryū-ha versuchten wie zu verhindern 1856 hastig das übertragen werden. Es gab stets oben bereits an einigen Stellen Kōbusho gegründet, eine Mi- nur ein Oberhaupt einer Schule, angedeutet den Wesenskern litärakademie zur Ausbildung

(mit freundlicher Genehmigung des Verlags Dieter Born)

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von Offizieren in moderner und ihre traditionelle Tracht zu der langen Friedensperiode gelten die Strukturen für die Kriegsführung (z.B. Artillerie), tragen. (Anmerkung: Der Film während der Edo-Zeit aufgrund noch aktiven koryū unverändert wo ergänzend auch verschie- „The last Samurai“ greift diese mangelnder Praxis ihre Fähig- fort. dene ryū unterrichtet wurden. Thematik auf, jedoch mit sehr keiten auf dem Schlachtfeld Dort wurde bereits großer Wert großer „künstlerischer Frei- verloren hatten. Diese Aussage Glossar auf freie Übungsformen - Vor- heit“). ist sehr pauschal und schlecht Bō: japanischer Langstock formen des heutigen - Die Lehrer der alten überprüfbar. Unbestritten ist, Bōjutsu: Kampftechnik(en) mit gelegt. Derartige Übungsformen Schulen mussten sich andere dass es keine Fortschritte in dem Langstock gab es zwar schon vorher, Beschäftigungen suchen oder der Waffentechnologie gab und Bu: Krieg, kriegerisch, jedoch lag der Schwerpunkt des ihre Schulen für bürgerliche dass einige ryū, wie z.B. Kitō- militärisch Bushi: Krieger Übens in den ryu-ha traditionell Kunden öffnen. Die Reputation ryū, ihr System zunehmend Bugei: Kriegerische Künste, hauptsächlich auf kata. der traditionellen Kriegskünste auch als Erziehungssystem s.a. Bujutsu Das Shōgunat musste war allerdings so nachhaltig verstanden. Bujutsu: Kriegskunst, Kampfkunst allerdings bald erkennen, dass ramponiert und zwar sowohl in Den: Überlieferung, s.a. die traditionellen Kampfkünste ihrem praktisch-kriegerischen (3) Die Begriffe budō und Okuden, Kuden, Densho das japanische Militär nicht als auch ihrem erzieherischen bushidō wurden im Text be- Deshi: Schüler (Soto-deshi = wusst vermieden, da beide Be- äußerer Schüler, Uchi- weiter brachten. Der Unterricht Wert, dass dies nur von äußerst Deshi = innerer Schüler) im jūjutsu und im Bogenschie- mäßigem Erfolg gekrönt war griffe erst nach der -Res- tauration in den Mainstream der Edo: alter Name von Tōkyō ßen (kyūjutsu) wurde bereits und man durchaus von einem Ryū: Schule, Stil, Strömung, im 1862 wieder eingestellt und Siechtum der ehemals stolzen japanischen Sprache Eingang übertragenen Sinn auch das Kōbusho 1866 schließlich ryū-ha sprechen kann. Daran fanden und dort rückwirkend „kriegerische Tradition“ aufgelöst. änderte auch ein zwischenzeit- romantisierend eine ideologisch Ryū-ha: Schulen einschließlich intendierte Bedeutungszuwei- ihrer Zweige (Ha = Das Ende des Shōgunats licher Popularitäts-Boom nichts, Zweig) wurde dann aber doch nicht als Vertreter verschiedener sung erfahren haben, die sie während der Edo-Zeit so nicht Jūjutsu: zumeist waffenlose durch eine westliche Macht Schulen Schaukampfspektakel Kampftechniken gegen herbei geführt, sondern durch organisierten. Die Bürger in den hatten („invented tradition“) unbewaffnete oder leicht kaisertreue Samurai, die die Ar- Städten nahmen dies lediglich - oder anders ausgedrückt: beide bewaffnete Gegner Begriffe existierten zwar, waren Kenjutsu: jap. Schwertkampf, Vor- mee des Shōguns 1867 schlugen als amüsante Unterhaltung und läufer des heutigen Kendō und Kaiser Meiji daraufhin die als anachronistisches Überbleib- aber mit etwas anderen Inhalten belegt, als später daraus ge- Koryū: alte Schulen (Gründung in politische Macht übernehmen sel einer alten Zeit wahr. der Edo-Zeit oder davor) konnte („Meiji-Restauration“ macht wurde. Kuden: mündliche Überlieferung Kyūjutsu: jap. Bogenschießen, 1868). Kaiser Meiji schaffte Persönliche Anmerkungen des (4) JIGORō KANō hatte sich vor allerdings in der Folge das Stän- Verfassers Vorläufer des heutigen allem ab den 1920er Jahren Kyūdō desystem ab und beschnitt die stark dafür eingesetzt, dass Okuden: Übertragung der „inneren Privilegien der Samurai. Das (1) Die Darstellungen über die ryū-ha können wie einleitend die Koryū erforscht und als Lehre“ einer Ryū endgültige Ende des Samurai- Kulturgüter Japans erhalten Densho: Überlieferungsschriften Standes wurde durch die blutige geschrieben aufgrund der Samurai: Aus den Bushi (Kriegern) Vielzahl der Schulen nur von bleiben. Zu diesem Zweck Niederschlagung der Satsu- wurde die -kenkyū-kai, entstandener Stand im ma-Rebellion 1877 besiegelt, allgemeiner Natur sein und Feudalsystem keinen Anspruch auf Allge- eine spezielle Studiengruppe am Shōgun: oberster Befehlshaber, bei der rund 40.000 Samurai Kōdōkan, gegründet. politischer Herrscher gegen die kaiserliche Armee meingültigkeit besitzen, da es durchaus Unterschiede gab. während der Edo-Zeit rebellierten und am Ende nur (5) Einige koryū existieren Taijutsu: andere Bezeichnung für ca. 400 von ihnen überlebten. (2) Es wird in verschiedenen heute noch. Oben wurde bei den Jūjutsu Auslöser war das Verbot für die Schriften immer wieder betont, Darstellungen zwar die Vergan- Tennō: japanischer Kaiser genheitsform gewählt, jedoch Yawara: andere Bezeichnung Samurai, öffentlich Schwerter dass die ryū-ha aufgrund für Jūjutsu

Literatur (Auswahl)

Klassischer DAIGO, TOSHIRō: Wurftechniken des Waffengebrauch Kōdōkan Jūdō, Verlag Dieter Born, in der Tenshin- 2009 hyōhō-sōden- kukami shin-ryū DONN F. DRAEGER: The and Ways of Japan, Volume I: (mit freundlicher Classical Bujutsu, Weatherhill, 1973, Genehmigung des 1996) Verlags Dieter Born) KANō, JIGORō: Kōdōkan Jūdō, Verlag Dieter Born, 2007

NIEHAUS, ANDREAS: Leben und Werk Kanō Jigorōs (1860-1938), Ergon- Verlag, 2003

SKOSS, DIANE (Hrsg.): Koryu Bujut- su: Classical Warrior Traditions of Japan, Koryu-Books 1997

WATSON, BRIAN N.: Jūdō Memoires of Jigoro Kano, Trafford-Verlag, 2008

ZÖLLNER, REINHARD: Geschichte Japans: von 1800 bis zur Gegenwart, Schöningh, 2009

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Grundwissen der Geschichte des Kōdōkan-Jūdō in Japan

von Wolfgang Dax-Romswinkel

Teil 2: JIGORō KANō lernt Jūjutsu

Familiärer Hintergrund und gespielt. Zu seinen weiteren ein dōjō verfügte. Er verwies tete nur noch kata. Das randori- Ausbildung J. KANōS sportlichen Aktivitäten zählten KANō jedoch an H. FUKUDA, Training leiteten zwei fortge- u.a. Rudern, Bergwandern und der wie YAGI ein Meister des schrittene Schüler. Weil KANō JIGORō KANō wurde am 28. Laufen. Tenjin-shin’yō-ryū war. gute Fortschritte machte und Oktober 1860 in Mikage, das Schließlich nahm KANō die beiden mit der Zeit immer heute ein Stadtteil von Kōbe Der Wunsch jūjutsu zu lernen 1877 das Training bei H. FUKU- unregelmäßiger kamen, rutschte ist, geboren. Seine Familie war DA auf, dessen Enkelin KEIKO KANō zunehmend in die Rolle äußerst wohlhabend, besaß In seinen Schilderungen FUKUDA übrigens die weltweit eines Assistenz-Trainers. Dies eine Sake-Brauerei und eine stellt sich KANō als schwäch- erste und einzige Trägerin war für ihn äußerst anstrengend, Reederei, deren Schiffe u.a. den lichen, häufig gehänselten des 9. Jūdō ist und mit da rund 30 Personen mehr Sake transportierten. J. KANōs Jungen dar, der sich wie alle 97 Jahren heute noch aktiv oder weniger regelmäßig zum Vater übernahm verschiedene Kinder in dieser Situation unterrichtet. Außer KANō gab Training buchstäblich auf der Regierungsaufträge, z.B. den wünscht, stärker zu sein als es damals scheinbar nur zwei Matte standen. (Anmerkung des Bau von Befestigungsanlagen, seine „Bullys“. Dieses Klischee andere Schüler, die regelmäßig Verfassers: wenn man die über- und wurde nach der Meiji-Res- taucht im Zusammenhang mit am Training teilnahmen, sowie lieferten Schilderungen KANōs tauration Beamter im Bereich Gründern von Kampfkünsten eine Handvoll weitere, die je- liest, entsteht der Eindruck, dass Verkehr, öffentliche Bauvorha- häufiger auf und eine Verifi- doch nur unregelmäßig im dōjō der randori-Lehrer mit jedem ben und Schiffsbau. zierung ist kaum möglich. Wie erschienen. einzelnen Schüler tatsächlich Der junge JIGORō erhielt dem auch sei: etwa im Alter von H. FUKUDA hatte am randori gemacht hätte.) die beste Ausbildung, die in 13 Jahren versucht er jūjutsu zu Kōbusho (ehemalige Militäraka- der damaligen Zeit in Japan lernen und fragt im Bekannten- demie des Shōgunats) unter- Beginn des Studiums von möglich war. So besuchte er kreis seines Vaters nach, ob es richtet und vermittelte kata und Kitō-ryū unter TSUNETOSHI verschiedene Eliteschulen und ihm jemand beibringen könnte. randori. Aus dieser Zeit stammt IIKUBO hatte zusätzlich noch Privatun- Ein Bediensteter der Familie auch die Geschichte von der terricht. Schon als Kind stand zeigte ihm wohl einige Tricks, „Entdeckung“ des kata-guruma Als M. ISO im Juni 1881 Chinesisch auf dem Stunden- von einer regelmäßigen Instruk- starb, stand KANō erneut ohne durch J. KANō. plan. Als Jugendlicher besuchte tion kann aber keine Rede sein. Am 5. August 1879 nahm Lehrer da. Der Vater eines er in der Schule auch Kurse, Sein Vater war übrigens ge- Freundes aus der Baseballmann- KANō an einer jūjutsu-Vor- die in englischer oder deutscher gen die Aufnahme eines jūjutsu- führung für den damaligen schaft der Universität stellte Sprache abgehalten wurden. Trainings, da diese alte Kunst einen Kontakt zu TSUNETOSHI Präsidenten der USA, ULYSSES Dieser soziale Aufstieg war nur seiner Meinung nach unnütz sei. IIKUBO her, einen Lehrer der S. GRANDT, anlässlich von des- möglich, weil das Ständesystem Das änderte aber nichts an dem sen Japanbesuch teil. Noch im Kitō-ryū, der wie FUKUDA am kurz zuvor abgeschafft worden Wunsch KANōs, es dennoch Kōbusho unterrichte hatte und selben Monat starb H. FUKUDA war, denn J. KANō kam nicht lernen zu wollen. Notgedrungen im Alter von 52 Jahren. Seine dort für randori verantwortlich aus einer Samurai-Familie. machte er sich daher selbststän- war. Bei IIKUBO lernte KANō Frau bat KANō, das dōjō weiter Ab 1875 studierte KANō dig auf die schwierige Suche zu führen, was dieser dann auch kata (=Techniken) der Kitō-ryū Literatur, Politik und Volks- nach einem geeigneten Lehrer. tat. Jedoch fühlte er sich weder und randori. wirtschaft und machte im Jahr Weil er gehört hatte, dass viele kompetent, noch hatte er nach Zu KANōs Erstaunen 1881 einen Abschluss an Japans jūjutsu-Meister gleichzeitig eigener Aussage das Selbstver- bestand ein großer Unterschied damals einziger Universität. Chiropraktiker waren, suchte er trauen, eine eigenständige dōjō- zwischen Tenjin-shin’yō-ryū Danach schrieb er sich noch für gezielt in diesen Kreisen. Böse Leitung zu übernehmen. Über und Kitō-ryū. Ersteres beinhal- weitere Studien in Ästhetik und Zungen behaupteten damals und welchen Zeitraum er dies tat, ist tete viele Hebel, Würgegriffe, Moral ein, die er im Juli 1882 auch später, dass sie tagsüber nicht bekannt, aber lange kann Schläge, Tritte und natürlich beendete. Viele seiner Kom- die Knochen wieder einrenken es nicht gewesen sein, weil er auch Würfe, jedoch war das militonen wurden später - wie würden, die sie am Vorabend schon bald bei einem anderen Spektrum der Wurftechniken J. KANō selbst auch - äußerst ausgerenkt hatten. Lehrer ein tägliches Training der Kitō-ryū - vor allem durch einflussreiche Mitglieder der aufnahm. die vielen sutemi-waza - über- japanischen Gesellschaft und KANōS erster Lehrer HACHINO- aus reichhaltig, so dass KANō bekleideten hohe und höchste SUKE FUKUDA Fortsetzung der Studien bei sie fasziniert studierte. Positionen in Staat und Regie- Die Gründung des Kōdōkan MASATOMO ISO rung. Einer der Chiropraktiker, erfolgte 1882, noch in der Zeit, den KANō aufsuchte, war Während seiner Studien- KANō entschied sich, in der KANō bei IIKUBO lernte. Meister TEINOSUKE YAGI, der jahre betrieb KANō auch weiter Unterricht bei FUKUDAS IIKUBO wurde als Lehrer an allerdings schon lange nicht westliche Sportarten. Er hat früherem Lehrer MASATOMO ISO den Kōdōkan engagiert und z.B. als einer der ersten Japaner mehr unterrichtet hatte und auch zu nehmen. Dieser war schon unterrichtete dort regelmäßig Baseball gelernt und begeistert nicht über genügend Platz für über 60 Jahre alt und unterrich- (vermutlich ca. 3 x pro Woche).

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Ob er daneben noch ein eigenes IIKUBOS durchschaute, was A. Bennett (JIGORō KANō and viele erwarb, wie ihm möglich dōjō betrieb, ist unklar. ihn in die Lage versetzte, die the Kōdōkan, s.u.) findet sich war. Explizit erwähnt Bennett Situation für einen Konter zu auf Seite 3 ein nicht weiter die densho folgender ryūha: Im randori war KANō nutzen. Was genau passierte, referenziertes KANō-Zitat, Yōshin-ryū, Sekiguchi-ryū, Meister IIKUBO, obwohl dieser wird sich wohl nicht mehr wonach eine ganze Reihe von Tsutsumi-hōzan-ryū, Miura- schon über 50 Jahre alt war, feststellen lassen, aber wie dem Meistern verschiedener ryūha ryū, Kyūshin-ryū, Jikishin-ryū, deutlich unterlegen. Eines Ta- auch gewesen sein mag: als unmittelbar auf ihn zugekom- Seigō-ryū, Musō-ryū, Teizen- ges jedoch gelang es KANō nach KANō IIKUBO seine Entdeckung men seien, um ihm ihre Formen ryū, Kiraku-ryū, Fusen-ryū und eigener Erzählung erstmalig, erläuterte, gab ihm dieser Recht des jūjutsu näher zu bringen. Kanjin-ryū. Es ist allerdings IIKUBO zu werfen - und das und meinte, dass es besser Sie betrachteten sich selbst als unklar, ab welchem Zeitpunkt sogar mehrmals hintereinander. sei, künftig kein randori mehr Teil einer Tradition, die nicht KANō diese densho jeweils KANō hatte erkannt, dass der miteinander zu machen. mit ihnen sterben sollte, hatten besessen hat. günstigste Zeitpunkt für einen Einige Zeit später, im jedoch keine Schüler mehr, die Angriff genau dann ist, wenn Oktober 1883 erhielt J. KANō an einer Fortführung der Lehre Kurzportrait Tenjin-shin’yō- das Gleichgewicht des Gegners von IIKUBO das menkyo-kaiden interessiert waren, hofften aber, ryū für einen Moment gestört ist. der Kitō-ryū. IIKUBO unterrich- dass KANō ihr Wissen bewahren Die Schule wurde 1810 Die Berichte unterscheiden sich tete KANō danach noch bis ca. und weitergeben würde. von MATAEMON ISO durch eine aber etwas in den Details. So 1886/87 in kata. Mit der Zeit konnte KANō findet man Schilderungen, nach auf diese Weise Kenntnisse in Synthese von Yōshin-ryū und Shin-no-shintō-ryū begründet. denen KANō erkannt haben soll, Einflüsse anderer ryūha Form von Schriftrollen (densho) dass man den Gegner durch Zug und mündlichen Überlieferun- Tenjin-shin’yō-ryū umfasst nach oder Druck zu einer Reaktion Über die beiden genann- gen (kuden) erlangen, die nor- vorliegenden Informationen 124 veranlassen kann, die sich zu ten Schulen hinaus studierte malerweise „geheim“ gewesen (Haupt-)kata (=Techniken), vor einem Gleichgewichtsbruch KANō auch die Techniken und wären. Außerdem tauchten allem atemi-waza, kansetsu- nutzen lässt. Andere Darstel- Prinzipien anderer ryūha, ohne zunehmend densho in Buchlä- waza, shime-waza und nage- lungen verweisen darauf, dass aber formell Unterricht bei den und bei Antiquitätenhänd- waza, aber auch die traditionelle einem Lehrer zu nehmen. Bei Wiederbelebung (kappō). Die KANō das Timing der Angriffe lern auf, von denen KANō so

Atemi-waza der Tenjin-shin´yo-ryū. Die Aus- gangsposition erinnert an die erste Serie („ido- ri“) der heutigen kime-no-kata und war typisch Tenjin-shin’yō-ryū beinhaltete bereits im We- für die „alten Stile“ (aus: YOSHIDA, CHIHARU / ISO, sentlichen dieselben Technikkategorien wie das MATAUEMON: „Tenjin-shin’yō-ryū - Jūjutsu-gokui- heutige Kōdōkan Jūdō. Die Abbildungen zeigen kyōju-zukai [Tenjin-shin’yō-Schule - Vorlesungen Beispiele von nage-waza, kansetsu-waza, shime- und Erläuterungen in Abbildungen zum innersten waza und atemi-waza (aus: INOGUCHI, MATSUNO- Geheimnis des Jūjutsu]“, erschienen 1893 in dem SUKE: „Jūjutsu-seiri-sho. Shikatsu-jizai - Sekkot- Verlag Shûeidô, Abbildung: Archiv Dieter Born.) su-ryōhō [Werk über Jūjutsu und Physiologie. Entscheidung über Leben und Tod - Chiroprak- tische Heilverfahren]“, erschienen 1896 in dem Verlag Kaishin-shorō, Abbildung: Archiv Dieter Born)

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J. KANō demonstriert mit Y. YAMASHITA (10. Dan) eine für Kitō- ryū typische sutemi-waza (taki-otoshi) aus der ko- shiki-no-kata (aus KANō, JIGORō: Kōdōkan Jūdō)

Darstellung der Technik ko-daore der Kitō-ryū aus dem Jahr 1888. (rechts) wird von Toris linkem Oberarm/Ellenbogen über Toris linken Oberschenkel nach hinten Beispiele für Wurftechniken der Kitō-ryū: T. geworfen (aus: „Kōkoku Bujutsu Daigo (10. Dan) demonstriert eine dem seoi-oto- Eimeiroku“ (wörtl: „Authentische shi verwandte Wurftechnik der koshiki-no-kata Aufzeichnungen über die kriege- (aus DAIGO, TOSHIRō: Wurftechniken des Kōdōkan rischen Künste des Kaiserreiches“) Jūdō) aus dem Jahr 1888, Bildarchiv Verlag Dieter Born)

Schule hat sich bis heute gehal- Persönliche Anmerkungen des er später für das Kōdōkan-Jūdō vielfach zu lesende These, er ten. Das derzeitige Oberhaupt Verfassers übernommen hat. hätte J. KANō angeregt jūjutsu ist TOSHIHIRO KUBOTA, der auch zu trainieren, im Widerspruch (1) Die Kenntnisse über die (4) Es sind mehrere Lesungen Träger des 7. Dan im Jūdō ist. zu KANōs Schilderungen und jūjutsu-Lehrzeit JIGOR AN ō K ōs des Vornamens von Meister ist auch sonst in keiner Weise beruhen weitgehend auf Erzäh- IIKUBO möglich. Bekannt sind Kurzportrait Kitō-ryū belegbar. BÄLZ selbst äußert lungen KANōs selbst, die aus nur die Schriftzeichen, nicht sich ebenfalls nicht dahin- Kitō-ryū ist älter als Ten- späteren Jahren stammen. Diese aber die Aussprache. Man gehend. Man muss heute im jin-shin’yō-ryū und wurde im wurden teils von ihm, teils findet mitunter auch die Lesung Gegenteil davon ausgehen, dass 17. Jahrhundert gegründet. Es von anderen aufgeschrieben KōNEN IIKUBO. KANō bereits jūjutsu betrieben umfasste neben Waffentech- und veröffentlicht. Inwieweit (5) Mit kata-Training ist hat, als BÄLZ erstmalig damit in niken vor allem das Kämpfen hierbei Fakten und Anekdoten Kontakt gekommen ist. in voller Rüstung (yoroi-kumi- vermischt worden sind, ist nicht offensichtlich das Training der formalisierten Techniken der uchi). Bereits Anfang des 18. mit letzter Sicherheit zu sagen. Literatur (Auswahl) Jahrhunderts verwendete Kitō- Tenjin-shin’yō-ryū und der ryū teilweise die Bezeichnung (2) Die doch etwas schwie- Kitō-ryū gemeint. In den kata BENNETT, ALEX: Jigoro Kano and the jūdō anstelle von jūjutsu und rige Suche KANōs nach einem war das Charakteristikum jeder Kodokan - an innovative Response jūjutsu-Lehrer und die überlie- Schule manifestiert. Zur Bedeu- to Modernisation, Kodokan Judo focussierte stark auf erziehe- Institute, 2009 rische Werte. Die Philosophie ferte ablehnende Haltung seines tung von kata in den koryū- Vaters zeigen, wie sehr jūjutsu bugei siehe Teil 1 dieser Reihe. DAIGO, TOSHIRō: Wurftechniken des der Schule gilt als ausgespro- Kōdōkan Jūdō, Verlag Dieter Born, chen esoterisch und ist nur an Bedeutung und auch an Reputation etwa 10 Jahre nach (6) Die kata der Kitō-ryū 2009 schwer zugänglich. Kitō-ryū, wurden später von J. KANō KANō, JIGORō: Kōdōkan Jūdō, Verlag von der es eine Reihe von Zwei- der Meiji-Restauration verloren hatte. unter der Bezeichnung koshiki- Dieter Born, 2007 gen gab, ist im Sande verlaufen, no-kata in das Kōdōkan Jūdō nachdem die letzten Meister NIEHAUS, ANDREAS: Leben und Werk (3) In den koryū-bugei übernommen. Kanō Jigorōs (1860-1938), Ergon- mit menkyo-kaiden spätestens dominierte zwar kata als Verlag, 2003 in den 1980er Jahren gestor- Übungsform, jedoch wurde (7) Prof. Dr. ERWIN BÄLZ, WATSON, BRIAN N.: Jūdō Memoires ben sind. Es gibt wohl noch am Kōbusho verstärkt randori Medizinprofessor an der Kai- serlichen Universität in Tōkyō, of Jigoro Kano, Trafford-Verlag, vereinzelte Aktivitäten z.B. auf praktiziert. Da FUKUDA und hatte zweifelsfrei einen großen 2008 Schauveranstaltungen in Japan, IIKUBO am Kōbusho als Lehrer Anteil an der Revitalisierung jedoch ließ sich die Legitimität tätig waren, hat KANō bereits in der Beteiligten bislang nicht der Frühphase seiner Ausbil- der Kampfkünste während der verifizieren. dung viel randori gemacht, was Meiji-Zeit. Jedoch steht die

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von Wolfgang Dax-Romswinkel

Teil 3: Bescheidene Anfänge - Gründung des Kōdōkan und des Kanō-Juku

Zeitlicher Kontext: JIGORō Die Räumlichkeiten waren Der Kōdōkan hatte in diesen KANōS Einstieg in das Berufs- alles andere als ideal, zumal es ersten beiden Jahren nur sehr leben den Erzählungen nach immer wenige Schüler und Jūdō war wieder Missstimmigkeiten mit fast gänzlich unbekannt. Außer- Nachdem J. KANō 1881 dem Priester des Tempels gab, dem wurde KANō zu dieser Zeit sein Studium der Literatur, da dieser befürchtete, das Ge- als Kampfkunstexperte in der Volksökonomie und Politik an bäude könnte durch das ständi- Öffentlichkeit kaum wahrge- der Tōkyō Universität abge- ge Fallen der Übenden Schaden nommen. Rückblickend sagte schlossen hatte, entschloss er nehmen. Außerdem wird be- er rund 45 Jahre später: „Kaum sich, einen Lehrauftrag für richtet, dass der Trainingslärm jemand wollte eine so gut wie Wirtschaft und Politik an der die Ruhe des buddhistischen unbekannte Kunst bei einem Schule für Adelige, gakushūin, Tempels gestört habe. genauso unbekannten Lehrer anzunehmen. 1885 wurde er lernen.“ Geschäftsführer und 1886 Kon- Das zweite Dōjō im Lagerhaus Um wenigstens mit den rektor der Schule. Trainingszeiten den Bedürfnis- Im Frühjahr 1882 gründete Im Februar 1883 bezog sen der bescheidenen Teilneh- er außerdem eine Sprachschule der Kōdōkan daher ein neues merschar gerecht zu werden, für Englisch, das Kōbunkan, Quartier in Minami-Jinbō-chō, gab es feste Öffnungszeiten des an der junge Japaner bis zur wo KANō ein Lagerhaus anmie- Dōjō, wobei die Schüler jeder- Porträt von Jigorō Kanō um 1882 Schließung 1889 primär in tete und zu einem Dōjō ähnlich zeit kommen konnten. Training englischer Sprache, durch die bescheidener Größe umfunk- war sonntags von 7:00 bis verwendeten Lehrwerke gleich- tionierte. Dieses Dōjō hatte 12:00 Uhr und an allen anderen an. Das als Trainingsraum zeitig aber auch in englischer außerdem den Nachteil, dass Tagen von 15:00 bis 19.00 Uhr. genutzte Zimmer diente gleich- Kultur und Philosophie unter- Säulen im Raum standen, was Zu diesen Zeiten musste er im zeitig als Studier-, Schlaf- und richtet wurden. Dieser Unter- natürlich ein Verletzungsrisiko Prinzip jeweils anwesend sein. Empfangszimmer und hatte eine richt wurde durch angestellte darstellte. Besonders sonntags morgens Fläche von rund 20 qm. Lehrer erteilt. passierte es wohl häufiger, dass Parallel zu diesen beruf- lichen Aufgaben studierte J. KANō noch etwa für ein Jahr lang Moral und Ästhetik an der kaiserlichen Universität. Im Jahr 1882 gründete er den Kōdōkan und kurz darauf das Kanō-juku, ein eng mit dem Kōdōkan verbundenes Internat, das bis 1919 bestand. Aus heutiger Sicht mutet dieses Programm geradezu unheimlich an und es kann mit Sicherheit angenommen wer- den, dass der Tagesablauf nur durch extreme Selbstdisziplin zu bewältigen war.

Gründung des Kōdōkan: das erste Dōjō im Eishijo-Tempel Im Mai 1882 eröffente J. KANō sein eigenes Dōjō und gab ihm den Namen Kōdōkan, was wörtlich „Halle zum Studium des Weges“ bedeutet. Hierzu mietete er Räume im Eishōji-Tempel im Tōkyōter Geburtsstätte des Kōdōkan: Der Eishōji heute. Links neben dem wieder neu errichteten Hauptgebäude befindet Stadtteil Shitaya Kita-Inarichō sich ein noch original erhaltenes Seitentor und links daneben der „Jūdō-Gedenkstein“ (siehe nächste Seite). Foto: Dieter Born

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Ruf geraten, so dass KANō sich Von den ca. 20 Schülern im davon absetzen wollte. Anderer- ersten Jahr haben aber nur neun seits wählte er einen schon vor- diesen Eid auch tatsächlich ge- handenen Begriff, um nicht den leistet. Der erste war TSUNEJIRō Anschein zu erwecken, etwas TOMITA, der dadurch offiziell vollkommen Neues geschaf- als erster Schüler des Kōdōkan fen zu haben. Zu guter Letzt gilt. Die bedeutendsten Schüler wollte KANō bereits mit der der Anfangszeit waren neben Namensgebung den persönlich- ihm SAKUJIRō YOKOYAMA, SHIRō keitsbildenden Anspruch seines SAIGō und YOSHITSUGU YAMA- Systems zum Ausdruck bringen. SHITA, die später als die shi- Die vollständige Bezeich- tennō („vier Himmelskönige“) nung seines Systems lautet des Kōdōkan für die Entwick- übrigens Nihon-den-Kōdōkan- lung des Jūdō von zentraler Jūdō. Bedeutung werden sollten. Die meisten Schüler der Die ersten Schüler und der Anfangszeit brachten übrigens Kōdōkan-Eid Erfahrungen aus anderen Schu- len des Jūjutsu mit. Zur Aufnahme in den Kōdōkan musste in der Gründung des Kanō-juku Tradition der ryūha ein Eid („Kanō-Internat“) geleistet und auf einer Schrift- rolle unterzeichnet werden. Kurz nach Gründung des Die Eidesformel enthielt die Kōdōkan gründete J. KANō ein typischen Elemente der koryū Internat, das nicht nur räumlich („alte Schulen“), z.B. dass man eng mit dem Kōdōkan verbun- keine Geheimnisse der Schule den war. Tägliches Training anderen visuell oder verbal zu- war Pflicht für alle Schüler. gänglich machen und auch das Die Schüler rekrutierten sich Erlernte nicht ohne Erlaubnis teilweise aus Kindern von unterrichten wird. Freunden und Verwandten, es waren jedoch auch andere

„Jūdō-Gedenkstein“ im Innern des Tempelgeländes mit der Aufschrift: „Kōdōkan-Jūdō hasshō no chi“ (wörtlich: „Ort, an dem das Kōdōkan-Jūdō entstanden ist“) Foto: Dieter Born

er schon einmal alleine im Dōjō geben und auf diese Weise auf Schüler wartete. Wenn J. widerstehen, während starre KANō anderweitige Verpflich- Äste anderer Bäume abbrechen. tungen hatte, ließ er sich von Dies hat weder etwas mit sanft Schülern wie z.B. SHIRō SAIGō noch mit kraftlos zu tun. vertreten. Das Training muss in Ausgehend von der Devise Anbetracht dieser Rahmenbe- „das Weiche und Flexible kon- dingungen äußerst individuell trolliert das Harte und Starre“ gewesen sein. (jap.: jū yoku gō o sei suru In der Folge zog der wurde jū zum namensgebenden Kōdōkan noch mehrfach um, Leitgedanken des Jūjutsu. und mit der Zeit, als sich mehr KANō ersetzte das jut- Schüler anmeldeten, wurden su (japanisch für Fertigkeit, auch größere Dōjō bezogen. Technik) durch dō, was soviel wie (Lebens-)Weg, Pfad oder Warum benutzt Kanō den Prinzip bedeutet. Den Begriff Begriff Jūdō? Jūdō gab es allerdings schon vorher, wurde aber nur sehr Jūdō wird häufig mit selten benutzt. Das früheste (be- „sanfter Weg“ übersetzt. Jedoch kannte) Auftreten des Terminus ist diese Begriffswahl mehr Jūdō finden wir zu Beginn des als unglücklich. Jū bedeutet 18. Jahrhunderts in der Kitō-ryū etwa „weich“, „nachgebend“ und in der Jikishin-ryū, die sich oder „flexibel“. Das klassische, aus Kitō-ryū abgespalten hatte. immer wieder aufgeführte Bei- Die Gründe für diese Be- spiel ist das des Weidenbaums, griffswahl waren dreierlei. Zum dessen Äste einem Sturm oder einen waren Jūjutsu und einige unter einer Schneelast nach- Die Trainingsjacke von Jigorō Kanō, die im Museum des Kōdōkan ausge- seiner Vertreter in schlechten stellt ist

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dabei, die sich direkt an KANō alle Schüler unabhängig davon, gehen, das KANō im Jahr 1889 Die shi-tennō („vier Himmels- gewendet hatten. Einige Schüler aus welcher sozialen Schicht erstmals öffentlich vorstellte. könige“) des Kōdōkan stammten aus wohlhabenden sie stammten, gleich behandelt Verhältnissen und bezahlten wurden. (3) Etwa 15 Jahre nach der eine Art Schulgeld, während Meji-Restauration befand sich diejenigen, die aus schwierigen Kurze Zusammenfassung Japan im Spannungsfeld zwi- Verhältnissen kamen, davon schen Tradition und Moderne, befreit waren. Das Kōdōkan-Jūdō ent- was sich auch in KANōs Wirken Als Motivation zur wickelte sich also aus äußerst zu Beginn seiner Laufbahn spie- Gründung des Kanō-juku gab bescheidenen Anfängen. Der gelt. Einerseits gründet er eine Kōdōkan musste mehrfach Sprachschule für Englisch und KANō an, dass er die kritiklose Übernahme alles Westlichen umziehen und die Dōjō waren legt Wert auf eine von Herkunft bedauerte und er dagegen wir- jeweils klein und keinesfalls und Wohlstand unabhängige ken wollte. Außerdem stellte er ideal. Die Schülerzahlen waren Gleichbehandlung aller Schüler, „Verweichlichungstendenzen“ sehr gering und es war ein was in vollkommenem Gegen- fest, die der Herausbildung großes Engagement nötig, um satz zur „alten“ Ständegesell- eines starken Charakters entge- den Betrieb aufrecht zu halten. schaft Japans war. Andererseits genstehen würden. Gemeinsam Leben, Lernen und gründet er das Kanō-juku, um Trainieren war eng miteinan- westliche Tendenzen in Verhal- TSUNEJIRō TOMITA Tagesablauf und Regeln im der verflochten. Ein Teil der ten und Erziehung nicht zu sehr Kanō-juku Schüler lebte im Kōdōkan und dominant werden zu lassen, genoss eine umfassende Erzie- und führt Regeln ein, die er aus Die Regeln am Kanō-juku hung durch KANō. Ein sparta- buddhistischer Tempeltradition waren sehr strikt und das Leben nischer, streng reglementierter übernommen hat. spartanisch. Jeden Morgen und ritualisierter Lebensstil war einer der Schüler für den wurde als wertvoll für die Cha- Literatur (Auswahl)

Weckdienst verantwortlich, der rakterbildung betrachtet. BENNETT, ALEX: Jigorō Kanō and the Punkt 4:45 Uhr zu erfolgen hat- Kōdōkan - an innovative Response te. Danach wurden die Räume Persönliche Anmerkungen des to Modernisation, Kōdōkan Jūdō des Hauses gereinigt, der Weg Verfassers Institute, 2009 im Garten gefegt und die Straße (1) Auch für diesen Zeitab- DAIGO, TOSHIRō: Wurftechniken des vor dem Kōdōkan von liegen- Kōdōkan Jūdō, Verlag Dieter Born, gebliebenem Abfall befreit. Die schnitt gilt, dass die Quellen 2009 zu großen Teilen auf späteren Zeiten für das Lernen waren KANō, JIGORō: Kōdōkan Jūdō, Verlag strikt festgelegt, im Anschluss Erzählungen KANōs und ihren Dieter Born, 2007 an das Lernen wurde trainiert. Mitschriften beruhen. Somit ist eine rückwirkend idealisierte NIEHAUS, ANDREAS: Leben und Werk Das Leben war hart. Die Kanō Jigorōs (1860-1938), Ergon- Schüler durften z.B. keine Einfärbung eher wahrscheinlich Verlag, 2003 als ausgeschlossen. SAKUJIRō YOKOYAMA Holzöfen verwenden, keine ei- WATSON, BRIAN N.: Jūdō Memoires genen Lebensmittel kaufen oder (2) Es wäre sicherlich falsch, zu of Jigorō Kanō, Trafford-Verlag, mitbringen, ihre Eltern nicht sagen, dass J. KANō 1882 das 2008 ohne Genehmigung besuchen spätere Kōdōkan-Jūdō schon und das Kanō-juku nur in Grup- „erfunden“ bzw. entwickelt hät- pen oder nur mit einer Ausnah- te. Vielmehr muss man davon megenehmigung verlassen. ausgehen, dass dort in den An- Es wurde viel Wert auf fangsjahren eine Mischung aus Nachtrag zu Teil 2 gemeinsame Aktivitäten gelegt. Tenjin-shin’yō-ryū und Kitō-ryū In der vorigen Ausgabe Besucher wurden gemeinsam gelehrt worden ist. hat sich der Fehlerteufel ein- empfangen und verabschiedet. Erst um 1884 begann KANō geschlichen und da das Heft Das eher karge Essen wurde mit der Entwicklung eigener schon im Druck war, konnte stets gemeinsam eingenommen. kata. Bis dahin wurden kata dieser nicht mehr korrigiert Alle Gemeinschaftsfunkti- der Tenjin-shin’yō-ryū und der werden. Der 18. Präsident der onen wurden von den Schülern Kitō-ryū unterrichtet. Zudem USA hieß Ulysses S. Grant reihum übernommen, so dass war T. IIKUBO - KANōs Lehrer (nicht „Grandt“) und war zur sich jeder in den Dienst der in Kitō-ryū - immer noch am Zeit seines Japanbesuches Gemeinschaft stellen musste. Kōdōkan als Lehrer tätig und 1879 schon nicht mehr im SHIRō SAIGō Diesen ritualisierten Lebensstil unterrichtete dort sowohl kata Amt, das er ein Jahr zuvor ab- hatte KANō vom Tempelle- als auch randori. geben musste, da die Verfas- ben buddhistischer Mönche Man muss daher von einer flie- sung keine dritte Amtsperiode übernommen. KANō legte ßenden Entwicklung zum heute zuließ. besonderen Wert darauf, dass bekannten Kōdōkan-Jūdō aus- Kōdōkan-Jūdō YOSHITSUGU YAMASHITA

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Teil 4: Ziele des Kōdōkan-Jūdō in den Gründungsjahren

Vorbemerkung matisierung der Techniken, der Ereignisses zu einer der bedeu- Übungs- und Lehrmethoden, tendsten Quellen für historische JIGORō KANō gelang es, mit der Wettkampfregeln usw. be- Betrachtungen macht. Eine na- dem Kōdōkan-Jūdō ein faszi- fassen werden, soll dann immer hezu vollständige Übersetzung nierend stringentes System aus wieder auf diese Ziele Bezug dieses Vortrags befindet sich Zielen, Inhalten und Methoden genommen werden. im Anhang der Dissertation von zu entwickeln und in jahrzehn- KANō sah in Jūdō ein ANDREAS NIEHAUS (s. Literatur- telanger Arbeit zu verfeinern. beträchtliches erzieherisches hinweise). Alle nachfolgenden Die drei ersten Teile dieser Potenzial und setzte es bereits KANō-Zitate sind dieser Über- Artikelserie folgten einem ab 1882 als Erziehungsmittel setzung entnommen. chronologischen Aufbau bis in im Kanō-juku ein (vgl. Teil 3 die Anfangszeit des Kōdōkan. dieser Serie). Nachdem in der Die drei Zieldimensionen des Mit diesem vierten Teil setzt ersten Hälfte der 1880er-Jahre Kōdōkan Jūdō eine neue Struktur ein, in der in Japan eine Diskussion über jeweils Einzelaspekte herausge- die Aufnahme traditioneller Lassen wir gleich zu griffen und in ihrer Entwicklung Kampfkünste in das schulische Beginn JIGORō KANō zu Wort dargestellt werden. Curriculum einsetzte, erhielt kommen: „Das, was ich als Die Grundlage hierfür Jūdō bezeichne, beinhaltet drei J. KANō am 21. Mai 1889 die bilden die ursprünglichen Ziele Ziele: Leibesübung, Kampf und Gelegenheit, vor der Groß- JIGORō KANō im Alter von 28 Jah- des Kōdōkan-Jūdō wie sie 1889 japanischen Gesellschaft für ren, ungefähr zu der Zeit, in der Moral.“ Hiermit verweist KANō von JIGORō KANō der Öffent- er die beschriebenen Ziele des unmissverständlich auf drei Erziehung einen Vortrag mit Kōdōkan-Jūdō vorgestellt hat. lichkeit vorgestellt wurden Demonstration über „Jūdō im Zieldimensionen. Was versteht und auf den folgenden Seiten allgemeinen sowie seinen Wert er jeweils darunter? beschrieben werden. In den für die Erziehung“ zu halten. auf der damaligen Entwick- kommenden Folgen, die sich Bei dieser Gelegenheit lungsstufe ausführlich vor, was mit der Entwicklung und Syste- stellte er das Kōdōkan-Jūdō die Aufzeichnungen dieses

Training im Kōdōkan um die Jahrhundertwende - Das Gemälde von SHŪZAN HISHIDA zeigt J. KANō, der das Training von einer leicht erhöhten Position aus beobachtet (Quelle: Kōdōkan-Jūdō, Verlag Dieter Born).

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Jūdō als Leibesübung „Es bedeutet das Trainieren konkreter: Zeitgeist an und erläutert im von Techniken, mit denen man Folgenden den Beitrag des Jūdō Nützliche Fähigkeiten zu einen Menschen töten, verletzen „Beim Randori im Jūdō trainie- zur Schulung des Intellekts. erwerben ist für KANō ganz oder festhalten kann, oder, ren in den meisten Dōjō sowohl allgemein das oberste Ziel wenn man selbst angegriffen Fortgeschrittene und Anfänger „Beobachtung“: Beim Jūdō übt jeder Erziehung. Da für ihn wird, sich zu verteidigen.“ als auch Gleichrangige mitein- man nicht (nur) für sich allein, vollkommen außer Frage steht, ander. Ganz natürlich nimmt sondern muss auch Andere be- dass jeder Mensch körperliche Den Widerspruch, auf der man so eine anleitende Position obachten, damit man verstehen Fähigkeiten für die Bewältigung einen Seite die Gesundheit ein, eine Position, in der man kann, wie Techniken funktio- des Alltags benötigt, sind Lei- entwickeln zu wollen, auf der angeleitet wird oder eine, in nieren. Beobachten zu können, besübungen für ihn essenzieller anderen Seite jedoch Techniken der man gleichberechtigt ist ist eine Grundvoraussetzung Bestandteil von Erziehung. Im üben zu lassen, die im Extrem- (...) Wer die Pflichten eines für den Fortschritt im Jūdō und Detail fordert er fall sogar eine tödliche Wirkung Lehrers übernimmt, kann bei wird durch Jūdō gefördert. haben können, löst er durch eine verschiedenen Fällen und bei - eine angemessene, harmoni- entsprechende Übungsmethodik unendlich vielen Gelegenheiten „Erinnerung“: Beobachtungen sche Entwicklung der Musku- auf, bei der die „gefährlichen lehren, dass die Menschen sich alleine nützen aber nicht viel, latur, Techniken“ nicht in offenen füreinander bemühen und sich wenn man sich nicht erinnert. - die Gesunderhaltung des Situationen des freien Übens gegenseitig freundlich behan- Das Erinnerungsvermögen Körpers, (Randori), sondern nur in deln müssen.“ ist also eine weitere wichtige - die Entwicklung von Kraft abgesprochenen Situationen Voraussetzung zum Jūdō, das sowie (Kata) trainiert werden. Nähere Auch wenn KANō den somit eine Gedächtnisschulung - die Entwicklung von Gelen- Erläuterungen hierzu werden in Grundsatz jita-kyoei - meist darstellt. kigkeit. den kommenden Artikeln über übersetzt als „Prinzip des ge- genseitigen Helfens und Wohl- „Überprüfung“: Aber was nüt- In späteren Vorträgen die „Kōdōkan-Methoden“ und Beobachtung und Erinne- ihre Entwicklung folgen. ergehens“ - erst Jahrzehnte spä- und Schriften betont KANō ter ausformuliert und ins Jūdō rung ohne praktische Umset- häufig, dass eine übermäßi- Jūdō und „Moral“ eingeführt hat, wird durch diese zung? KANō erläutert: „Eine ge Ausbildung bestimmter Erklärung deutlich, dass die Situation muss man reiflich Muskelgruppen bei gleich- KANō erklärt: „Das, was ich entscheidenden Grundgedanken überdenken, das Ergebnis an zeitiger Vernachlässigung als System der Moral bezeich- bereits in der Frühphase des der Wirklichkeit erproben, sie anderer Muskeln unbedingt ne, umschließt (...) drei Punkte: Jūdō am Ende des 19. Jahrhun- nochmals durchdenken und er- verhindert werden muss. Die Die Ausbildung der Moral, die derts klar entwickelt waren. neut erproben. Damit wird eine Begriffe „Funktionstüchtigkeit“, Ausbildung des Verstandes und Gewohnheit ausgebildet, nicht „Balance“ und „Harmonie“ die Theorie des Kampfes, die Ausbildung des Verstandes mit dem gewöhnlichen ober- treffen seine Vorstellungen von auf die verschiedenen Dinge in flächlichen Denken zufrieden einem idealen Körper wohl am der Welt angewendet werden KANō stellt in den Raum, zu sein, sondern gründlich über besten. „Vielseitigkeit“ statt kann (...).“ Der Begriff „Moral“ dass „Menschen, die wir als die Dinge nachzudenken“. „Einseitigkeit“, „Interesse“ statt taucht hier etwas missverständ- tüchtig bezeichnen“, ihren „Eintönigkeit“ sind daher auch lich doppelt auf, nämlich einmal Verstand meistens durch die „Phantasie“: Eine besondere seine wichtigsten Maximen bei als Oberbegriff und einmal als Kampfkünste ausgebildet Bedeutung kommt für KANō der der Übungsgestaltung. Konkretisierung. Als Oberbe- hätten. Auch damit knüpft er - Phantasie zu: „Selbst wenn man Die im Rahmen der Lei- griff wäre vielleicht „geistig- wiederum ohne weitere Erläute- verschiedene Ideen zur Lösung besübungen erlernten Bewe- moralische Entwicklung“ etwas rung oder Begründung - an den eines Problems hat, so kann gungen sollen darüber hinaus glücklicher. auch einen praktischen Nutzen haben. KANō führt als Beispiel Ausbildung von Moral Die Bilder von YOSHITSUGU YAMASHITA (später 10. Dan), entstanden 1904 das Abrollen an, sollte man Zur Mitte der Meiji-Zeit auf einer USA-Reise, geben einen kleinen Einblick in das Jūdō der Jahr- auf einem Wagen sitzen, wenn hundertwende: dieser umstürzt. Ein weiteres (1868 bis 1912), also dem Beispiel ist die Fähigkeit rasch Zeitpunkt des Vortrags im Jahr ausweichen zu können, wenn 1889, begann das nationale ein Gegenstand auf jemanden Selbstbewusstsein Japans deut- herunterfällt, oder Fallen zu lich zu erstarken. Man besann können, wenn man auf einer sich wieder auf eigene Tradi- Leiter fehltritt. tionen und kulturelle Werte, wenngleich diese mitunter idea- Jūdō und „Kampf“ lisiert wurden, wie zum Beispiel der Bushidō. Zu J. KANōs pädagogischen KANō greift diesen Zeitgeist Überzeugungen - ganz im auf und stellt Jūdō in den Sinne des Erwerbs nützlicher Dienst einer Patriotismus-Er- Fähigkeiten - gehörte, dass je- ziehung. Er sagt: „Wollen wir der Mensch über grundlegende der nachfolgenden Generation Fähigkeiten verfügen sollte, lehren, das Japanische an Japan sich und andere im Bedarfsfall wertzuschätzen, dann müssen verteidigen zu können. Aufgabe wir irgendwie den Geist der der Erziehung sei es, diese Kampfkünste in die Köpfe der Fähigkeiten zu vermitteln. Er heutigen Jugend bringen.“ erläutert das „Jūdō-System Was er darunter genau ver- des Kampfes“ mit folgenden steht, führt er zwar nicht weiter Worten: aus, jedoch wird er an einem Beispiel aus dem Training Selbstverteidigung

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man keine gute Lösung finden, und vor allem überzeugendes jeden Preis“, mitunter muss eine Erweiterung der Jūdō wenn die Einfälle nur zögerlich Konzept kognitiver Fähigkeiten man auch abwarten können, -Prinzipien selbst noch weiter ins Herz fließen“. vor, die durch Jūdō-Training dann aber umso entschlossener ausgearbeitet hat. entwickelt werden sollen. handeln (3). Bei all dem darf „Sprache“: KANō ist sich man niemals die Grenzen Persönliche Anmerkungen des darüber bewusst, dass Sprache Die Anwendung der Theorien aus den Augen verlieren (4): Verfassers beim Verständnis von Jūdō des Kampfes im täglichen Grenzen in der Anwendung von besonderer Wichtigkeit Leben von Techniken, bzw. Grenzen (1) In der Wissenschaft ist ist. Nach seiner Überzeugung im allgemeinen Umgang mit allgemein anerkannt, dass verbessert Lehrtätigkeit die KANō war der Überzeugung, anderen Menschen. KANō in seinem erzieherischen Fähigkeit, komplizierte Dinge dass sich die Lektionen, die Den letzten Punkt (5) Denken vor allem von HERBERT verständlich darzustellen. Er man durch das Training des SPENCERS (1820-1903) Werk beschreibt KANō schließlich als kokettiert sogar gegenüber dem Kämpfens lernt, auf Situationen das „Mysterium des Jūdō“: „Im „Education: Intellectual, Moral Publikum und sagt: „Unter außerhalb des Dōjō übertra- Sieg nicht stolz zu sein, in der and Physical“ (Vier Essyas, die Ihnen gibt es sicherlich einige gen lassen und man daraus Niederlage nicht aufzugeben. In bereits 1880 auf japanisch vor- Kritiker, die sagen: Obwohl der für den Alltag Nutzen ziehen der Sicherheit nicht nachlässig lagen) beeinflusst war. Dieses Sprecher selbst ein Meister im kann. Die wichtigsten Lehren zu werden und in der Gefahr wiederum setzt sich intensiv Range eines Shihan des Jūdō des Kampfes sind für ihn (frei nicht die Nerven zu verlieren.“ mit der Pädagogik PESTALOZZIS ist, warum spricht der dann so übersetzt und vom Verfasser (1746-1827) auseinander und schlecht? Diesen möchte ich formuliert): Zusammenfassung erinnert stark an Kopf („intel- entgegenhalten, dass ich eigent- lectual“), Herz („moral“) und (1) Beachte die Beziehung lich noch schlechter spreche, KANō stellt Jūdō 1889 als Hand („physical“). Das Werk zwischen Dir und Deiner Um- aber durch das Jūdō-Training ein umfassendes Erziehungs- SPENCERS ist im Internet frei schon Fortschritte gemacht gebung system vor, das die Bereiche verfügbar. habe.“ (2) Komme Deinem Gegner Leibesübungen, Kampf/Selbst- zuvor verteidigung und geistig-mora- (2) Das öffentliche Interesse „Große Kapazität“: Die kom- (3) Überlege reiflich - handle lische Erziehung als seine drei an den traditionellen Kampf- plexeste kognitive Fähigkeit, entschlossen Säulen nebeneinander stellt. künsten Japans begann etwa 10 die nach KANō durch Jūdō (4) Kenne die Grenzen Jahre nach der Meiji-Restau- Jahrzehnte später, als KANō ausgebildet werden soll, nennt (5) Sei bescheiden im Erfolg - wieder einmal den Unterschied ration (1868) langsam wieder er die „Große Kapazität“. Damit akzeptiere einen Misserfolg mit zwischen Jūjutsu und Jūdō zuzunehmen, nachdem eine ist zum einen gemeint, Neuem Anstand und Würde erklärte, brachte er es prägnant Schwerteinheit der Polizei gegenüber aufgeschlossen zu erfolgreich an der Niederschla- Zu (1) kommt es darauf an, auf den Punkt: „Die Substanz sein (KANō: „wer seine eigene gung aufständischer Samurai sich stets über eigene und des der Erziehung (Anm.: beim Meinung zu stark beschützt, Jūjutsu) war das Lehren der beteiligt war. Das Interesse ging kann keine Fortschritte ma- Gegners Stärken und Schwä- daher naturgemäß vorrangig chen sowie über die besonderen Technik. Im Kōdōkan wurde chen“), zum anderen ist es die die Lehre begründet, dass das von Sicherheitskräften aus. Die Fähigkeit, Dinge von unter- Umstände der Situation Klarheit Polizei von Tōkyō begann zum zu verschaffen und daraus eine Lehren des Weges die Substanz, schiedlichen Standpunkten aus und die Technik die Anwen- Beispiel ab 1879 das japa- betrachten und verschiedene Strategie zu entwickeln - im nische Fechten und ab 1883 das dung des Weges ist“ (NIEHAUS, Theorien zu einer Synthese Kampf wie im täglichen Leben. Jūjutsu wieder zu fördern. Initiative zu ergreifen und das S. 306). bringen zu können, ohne sie zu Seine Überlegungen haben vermengen. Heft des Handelns in die eigene (3) Aus Sicht der Leibeser- Hand zu nehmen, drückt Punkt selbst nach 120 Jahren nichts ziehung fanden Kenjutsu und KANō stellt also im Jahr (2) aus. Das bedeutet jedoch von ihrer Aktualität verloren, Jūjutsu in Prof. ERWIN VON 1889 ein hierarchisch gestuftes nicht „agieren/angreifen um auch wenn er sie später durch BAELZ einen großen Fürspre- cher für die Einführung in den allgemeinen Schuluntericht. Die diesbezügliche Diskussion wird Selbstverteidigung Gegenstand eines separaten mit Atemi-waza Artikels (Arbeitstitel: „Der Weg des Kōdōkan-Jūdō in die Erziehungsinstitutionen“) dieser Reihe sein.

Literatur (Auswahl)

BENNETT, ALEX: Jigorō Kanō and the Kōdōkan - an innovative Response to Modernisation, Kōdōkan Jūdō Institute, 2009

DAIGO, TOSHIRō: Wurftechniken des Kōdōkan Jūdō, Verlag Dieter Born, 2009

KANō, JIGORō: Kōdōkan Jūdō, Verlag Dieter Born, 2007

NIEHAUS, ANDREAS: Leben und Werk Bildquelle: YOSHITSUGU YAMASHITA Photograph Album Kanō Jigorōs (1860-1938), Ergon- (PH 006). Special Collections and University Archives, Verlag, 2003 W.E.B. Du Bois Library, University of Massachusetts WATSON, BRIAN N.: Jūdō Memoires Amherst of Jigorō Kanō, Trafford-Verlag, 2008 De-ashi-barai

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Grundwissen der Geschichte des Kōdōkan-Jūdō in Japan

von Wolfgang Dax-Romswinkel

Teil 5: Die technischen Prinzipien des Kōdōkan-Jūdō im 19. Jahrhundert

Vorbemerkung nach diesen Prinzipien. Seine zahlreiche weitere Variationen In der Literatur finden sich große Stärke war es, komplexe gibt. viele derartig vereinfachte Wer Jūdō betreibt, kommt Gebiete zu strukturieren, zu J. KANō vermied esoterische Erklärungen, die sich mehr an früher oder später mit dem systematisieren und leicht Erklärungen und bemühte Laien oder Anfänger richten Begriff „Prinzip“ oder im Plural verständlich zu formulieren. sich stets um konkrete, leicht als an Fachkundige. Auf diese mit „Prinzipien“ in Berührung. Bevor es KANō aber gelang, verständliche Formulierungen Weise entstand wohl auch der Die Erläuterung der „Jūdō-Prin- Seiryoku-zenyō und Jita-kyōei wie die im Folgenden vom Ver- Leitsatz „Siegen durch Nach- zipien“ ist Teil des Dan-Prü- als umfassende Prinzipien nicht fasser frei wiedergegebene: geben“. fungsprogramms des DJB. Was nur des Jūdō, sondern als Uni- Etwas allgemeiner lautet die bedeutet „Prinzip“ im Kontext versalprinzipien zu formulieren, „Angenommen mein Gegner Standarderklärung für jū-no-ri, der japanischen Kampfkünste musste er viele „Puzzlesteine“ hat eine Stärke von 10 und mei- dass die eigene Kraft/Bewegung genau? mühsam zusammensetzen. Um ne eigene Stärke hat den Wert nicht unmittelbar gegen die diese Entwicklungsgeschichte 7. Wenn er mich mit all seiner Kraft/Bewegung des Geg- Das Verhältnis von Technik Kraft stößt, werde ich umfallen, (waza) und Prinzip (ri) geht es in dieser und in der ners gerichtet, sondern diese nächsten Folge. da seine Kraft um 3 Einheiten stattdessen im Richtungsverlauf Konkret ausgeführte größer ist als meine. Weiche ich weiter- bzw. umgeleitet und Techniken sind als Ereignisse Jū-no-ri aber im Moment seines Angriffs schließlich gegen ihn gewendet zurück, so wird er, da er einen „materiell“, das soll heißen, Das jū gibt dem Jūjutsu und wird. Hierbei kommt es zu einer man kann die wirkenden Kräfte Widerstand erwartet, der aber Addition beider Kräfte/Bewe- dem Jūdō einen Teil seines nicht erfolgen wird, nach vorne und ausgeführten Bewegungen Namens. Jū wird häufig mit gungsimpulse, die als Summe - das „Was“ der Aktion - beob- stolpern und sein Gleichgewicht auf den Gegner wirkt und ihn „sanft“ übersetzt, aber „weich“, für einen Moment verlieren, achten und messen. Prinzipien „nachgiebig“, „flexibel“ oder kontrolliert. Diese Synthese sind dagegen „immateriell“. Sie während ich selbst mein Gleich- der Kräfte/Bewegungsimpulse „anpassungsfähig“ würde gewicht behalte. In diesem Zu- beschreiben das „Warum“, also es besser treffen. In alten nennt man im Japanischen riai. die nicht direkt beobachtbaren stand wird mein Gegner nicht Durch die vielen sich offen- Jūjutsu-Stilen wurde jū oft mit mehr mit seiner ganzen Kraft Ideen und Wirkungszusammen- bildhaften Vergleichen aus der sichtlich an Laien und Anfän- hänge, die erst in der konkreten kämpfen können. Seine Stärke ger richtenden Erläuterungen Natur oder mit esoterisch anmu- ist vielleicht auf 3 gefallen. Ich Ausführung eine Gestalt tenden Beschreibungen, zumeist kommt der mentale Aspekt von bekommen („sich materialisie- dagegen besitze immer noch jū-no-ri in der Jūdō-Literatur mit taoistischem Hintergrund, eine Stärke von 7 und kann ihn ren“) und dadurch schließlich erklärt. deutlich zu kurz. Jū bedeutet in beobachtbar und messbar wer- nun sogar mit nur der Hälfte diesem Kontext stets, auch geis- Es gibt den berühmten Leit- meiner Kraft besiegen.“ (siehe den. Technik und Prinzip sind spruch aus dem chinesischen tig flexibel und anpassungsfähig zwei Seiten derselben Medaille. z.B. in Kōdōkan-Jūdō, Verlag zu bleiben und nicht z.B. starr Klassiker San Lüe: „Das Wei- Dieter Born). Prinzipien sind das Fundament che kontrolliert das Harte“ (jū an einer Strategie festzuhalten. konkreter Technik oder anders yoku go sei suru), von dem es ausgedrückt: Techniken bringen Prinzipien zur praktischen Es ist leicht einsichtig, dass Anwendung. es einfacher ist, jemanden zu Prinzipien, verstanden als werfen, der sein Gleichgewicht immaterielle Basis einer ma- nicht mehr vollständig kontrol- teriellen Welt, verleihen nach lieren kann, als jemanden, der taoistischer Philosophie dem die volle Kontrolle über seinen Universum Ordnung und geben Körper hat. der Welt Struktur (Anmerkung: Bereits in seinem Vortrag das japanische Dō (拢) ent- von 1889 (vgl. Teil 4) erläutert spricht exakt dem chinesischen KANō, dass man einen Gegner Tao/Dao). Diese Denkweise umso leichter werfen kann, je beeinflusste zum Beispiel Kitō- kleiner die Fläche ist, die sein ryū und Jikishin-ryū, also jene Körpergewicht trägt. Wichtig alten Jūjutsu-Stile, die als erste sei es also, den Gegner vor einer die Bezeichnung Jūdō verwen- eigentlichen Wurfaktion durch det haben. geschicktes Manövrieren dazu J. KANō, der vor der zu bringen, sein Gewicht ent- Entwicklung des Kōdōkan- weder auf die Fußballen, auf die Jūdō Kitō-ryū gelernt hatte, Fersen oder auf einen Fuß - und war zeitlebens auf der Suche J. KANŌ erklärt Kuzushi

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auf diesem wiederum ebenfalls (Kuzushi) in Wurfposition. Angriffsaktion, bei der man nur auf einen möglichst kleinen Bei der konkreten Umset- schlicht angreift, bevor der Teil wie z.B. die Außenkante zung des Kuzushi kommt der Gegner dies tut. Hierbei können - zu bringen. optimalen Distanz (jap. Ma-ai) beide Aktionen durchaus Dieses grundsätzliche und der „günstigen Gelegen- zeitlich fast zusammenfallen, Prinzip kann in alle Richtungen heit“ (jap. Debana) eine beson- jedoch kommt Tori mit seinem (vorwärts, rückwärts, seitwärts dere Bedeutung zu. Angriff Ukes Angriff – auch und beliebig dazwischen) wenn es nur ein Wimpernschlag Anwendung finden und führte Shizentai - Prinzip der natür- ist - zuvor. zur Entwicklung des happō- lichen Haltung Idealerweise fallen „Ent- no-kuzushi-Systems: den acht Natürlichkeit in den Be- schluss“ und „Umsetzung“ Richtungen des Gleichgewichts- wegungen ist für KANō eines eines Angriffs zeitlich zusam- brechens. der wesentlichen Prinzipien men („überlege reiflich, handle KANō erkannte, dass es un- des Jūdō und eine wichtige entschlossen“). Mitunter ergibt abhängig von der Richtung drei Voraussetzung für erfolgreiches sich aber eine zeitliche Lücke, verschiedene Methoden gibt, Kämpfen. Hierzu gehören eine wenn eine Abgriffsabsicht das Gleichgewicht des Gegners Standposition und eine Körper- schon getroffen, jedoch die zu stören: haltung, die freies Reagieren Umsetzung in die Angriffs- auf jede denkbare Aktion des bewegung noch nicht erfolgt (1) eine eigene Angriffsaktion ist. Wenn Tori genau in dem Gegners ermöglicht - wobei J. KANŌ in Shizentai von Tori, mit der er Uke zuvor Moment angreift, in dem Uke kommt, man selbst jederzeit sein eigenes Gleichgewicht behalten bereits mental auf Angriff (2) eine Weiterleitung/Weiter- eingestellt ist, aber mit der muss, während man versucht, uns in Richtung der Schwan- führung einer Aktion von Uke, Angriffsbewegung noch nicht das Gleichgewicht des Gegners kungen aus dem Gleichgewicht (3) die Provokation einer Re- begonnen hat, so nennt man zu stören. zu bringen. Wer sich zentriert aktion von Uke durch Tori, die dieses Timing sensen-no-sen. Im Randori der meisten der bewegt und einem Zug oder Tori wiederum im Sinne von Die dritte Form der Angriffs- alten Jūjutsu-Stile wurde vor- Druck zunächst durch korrektes Punkt (2) weiterführen kann. initiative ist go-no-sen, oder die nehmlich in Jigotai gekämpft. Shintai und Tai-sabaki „späte Initiative“. Gemeint ist, Heutzutage wird Kuzushi In dieser Haltung ist der Kör- nachgibt, bevor er die Bewe- dass Uke seine Angriffsbewe- häufig als eine von drei Wurf- perschwerpunkt abgesenkt und gung in eine andere Richtung gung bereits begonnen hat, Tori phasen betrachtet, dem das der Stand mit gebeugten Knien lenkt, ist schwerlich aus dem aber kontert. Tsukuri („Wurfeingang“) und breitbeiniger als in der natür- Gleichgewicht zu bringen. das Kake („Wurfabschluss“) lichen Stellung, dem Shizentai. Zur weiteren Entwicklung der AN Die drei Möglichkeiten der jeweils folgen würden. K ōs Eine Ausnahme stellte jedoch Prinzipien des Kōdōkan-Jūdō ursprüngliches Konzept bestand der TAKENAKA-Zweig von Kitō- kämpferischen Initiative jedoch nur aus zwei Phasen, ryū dar, jener Jūjutsu-Stil, den (Mitsu-no-sen) KANō versuchte schrittwei- nämlich Tsukuri („Wurfvorbe- KANō ab 1881 gelernt hatte. se, Jū-no-ri in seiner Bedeutung Eine der Theorien des reitung“) und Kake. Kuzushi In diesem Stil kämpfe man bzw. Interpretation zu erweitern Kampfes, die im letzten Teil be- betrachtete er als Teil - oder üblicherweise in der natürlichen und daraus ein allumfassendes schrieben wurden, ist „Komme noch prägnanter als Prinzip Stellung (in Kitō-ryū „Hontai“ Prinzip zu generieren. Kuzushi, Deinem Gegner zuvor“ und ver- - des Tsukuri. genannt). Shizentai, Shintai, Tai-sabaki weist auf die zeitliche Abfolge Der gesamte Vorgang der Jigotai ermöglicht zwar ei- - deren Bedeutung für die An- von Aktionen beider Gegner. Wurfvorbereitung - und nicht nen stabilen Stand, aber nicht in wendung von jū offensichtlich „Sen“, manchmal auch als nur der „Eingang“ - wurde von dem Maß schnelle Reaktionen waren - betrachtete er hierfür sen-no-sen bezeichnet, ist eine KANō also als Tsukuri bezeich- wie Shizentai. Ein Kämpfer als Komponenten von Jū-no- net. Das Tsukuri schließt damit jedoch, der stets reaktionsbe- zwei wichtige Funktionen ein: reit ist und den Angriffen des Tori bringt sowohl sich selbst Gegners ausweichen und ihnen J. KANŌ und („Wurfeingang“) als auch Uke dadurch die Wirkung nehmen K. MIFUNE (10. Dan) in per- kann, ist einem schwerfälligen fektem Jigotai Gegner überlegen und wird Möglichkeiten finden, dessen Gleichgewicht zu brechen. Shintai und Tai-sabaki - Prinzipien des Bewegens Shizentai ist eng verknüpft mit dem „richtigen“ Fortbewe- gen auf der Matte, dem Shintai („gehen“) und dem Tai-sabaki („sich drehen“). Der Körper sollte hierbei stets aufrecht ge- halten werden, die Füße in der Nähe der Matte bleiben und der Oberkörper zentriert über der Stützfläche gehalten werden. Pendeln oder wippen des Ober- Gleichgewicht und Schwerpunkt körpers sind unter allen Um- (aus KANŌ, JIGORŌ: Kōdōkan Jūdō, ständen zu vermeiden, weil der Verlag Dieter Born, 2007) Gegner dies nutzen könnte, um

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ri. Hieraus wird auch deutlich, (3) In den eher esoterischen deutliche Hinweise darauf, dass die breite Bevölkerung wand- dass KANō auf der Suche nach Erklärungen einiger von taois- KANō eine Präferenz für Wurf- ten. Das war in einem Land, das einer Hierarchie, vergleichbar tischem Gedankengut beein- techniken hatte. erst nach der MEIJI-Restauration einer Baumstruktur, von Prin- flusster Ryūha wie Kitō-ryū (1868) mit dem flächendecken- zipien war. und Jikishin-ryū werden jū und (6) Die immer klarere Herausar- den Bau von Schulen für die beitung und das fortschreitende Je tiefer J. KANō jedoch sein Gegenstück gō (=Härte, Bevölkerung begann, unerläss- in die Problematik eindrang, Starrheit) als gegensätzliche Verständnis der vorgenannten lich zur massenhaften Verbrei- desto mehr erkannte er, dass die Pole einer absoluten Realität Prinzipien und ihre Vermitt- tung von Ideen. vorstehenden Prinzipien nicht aufgefasst, in der das eine ohne lung war eine der wesentlichen Literatur ausreichen, alle Bereiche und das andere nicht existieren kann Voraussetzungen für die technischen Fortschritte des Aufgabenstellungen des Kämp- (Prinzip von yin und yang, auf BENNETT, ALEX: Jigorō Kanō and the fens restlos abzudecken und zu japanisch in-yō). Kōdōkan-Jūdō in der Meiji-Zeit. Kōdōkan - an innovative Response erklären. to Modernisation, Kōdōkan Jūdō (4) Das Prinzip der „kleinen (7) Jūdō war für KANō auch Institute, 2009 Zu Beginn des Jahres 1923 Fläche“ erklärt J. KANō 1889 ein Mittel der intellektuellen - rund 40 Jahre nach Gründung BRAUN, JULIAN: Der gemeinsame am Beispiel der Kitō-ryū-Kata, Schulung (vgl. Teil 4). Anhand Weg von Schwert und Pinsel, Tübin- des Kōdōkan - hatte J. KANō die die er später als Koshiki-no- der Entwicklung der Prinzipien gen 2006 Lösung dieser Fragen gefunden Kata in das Jūdō einführte. wird deutlich, wie sehr KANō und führte die Prinzipien seiryo- DAIGO, TOSHIRō: Wurftechniken des Diese Kata - so betont KANō - Jūdō als einen Forschungsge- Kōdōkan Jūdō, Verlag Dieter Born, ku-zenyō und jita-kyōei offiziell repräsentiert die grundlegenden genstand betrachtete, sozusagen 2009 ins Kōdōkan-Jūdō ein. Dies Prinzipien der Wurftechniken als Material, um daran den wird Gegenstand der nächsten KANō, JIGORō: Kōdōkan Jūdō, Verlag des Kōdōkan-Jūdō. Intellekt zu schulen. Dieter Born, 2007 Folge dieser Serie sein. (5) Obwohl die beschrie- (8) KANō gehörte zu der Gene- NIEHAUS, ANDREAS: Leben und Werk Persönliche Anmerkungen des benen Prinzipien auch auf den ration japanischer Intellektuel- Kanō Jigorōs (1860-1938), Ergon- Verfassers Atemi-waza und Katame-waza ler, die sich, wie z.B. auch der Verlag, 2003 (1) Der Begriff Dō in Jūdō wird übertragbar sind, geben KANōs vielleicht bedeutendste Refor- WATSON, BRIAN N.: Jūdō Memoires of Jigorō Kanō, Trafford-Verlag, mit dem sino-japanischen Zei- Erläuterungen und die Wahl der mer YUKICHI FUKUZAWA, mit einfachen Formulierungen an 2008 chen 拢 geschrieben. Es ist das von ihm bevorzugten Beispiele Zeichen für das chinesische Tao bzw. Dao. Insofern greift die häufig anzutreffende deutsche Übersetzung mit „Weg“ eigent- lich viel zu kurz. Die Bedeutung von Dō/Dao ist vielmehr auch „Ursprung“, „Prinzip“ oder „Pfad“ und meint, dass wir Menschen im Einklang mit den Prinzipien des Universums leben sollen. (2) Bekannte Erläuterungen zu jū durch Metaphern aus der Na- tur sind zum Beispiel die Äste eines Weidenbaums, die einem Sturm widerstehen, während starre Äste anderer Bäume ab- brechen. Ähnliches lässt sich für Gräser sagen oder für Zweige unter einer Schneelast. Ein sehr anschauliches Beispiel ist das eines empfindlichen Blattes, das dem Sturm „nachgibt“ indem es vom Wind verweht, dabei jedoch nicht zerrissen wird. In die gleiche Richtung verwei- sen Vergleiche mit Wasser, das nicht gegriffen werden kann, stets flexibel bleibt, sich seinen Weg sucht und dabei große Kräfte entfalten kann. Die mentale Seite von jū wird mit Geisteszuständen wie muga- (kein Selbst - kein Gedanke) u.a. in Verbindung gebracht, die als Vorausset- zung für angepasstes Agieren betrachtet werden. Derartige Konzepte finden sich zuhauf in den Koryū-bugei („alte Kriegs- Happō-no-kuzushi: Die acht Richtungen des Gleichgewichtsbrechen (aus KANŌ, JIGORŌ: Kōdōkan Jūdō, Verlag Die- künste“). ter Born, 2007)

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Grundwissen der Geschichte des Kōdōkan-Jūdō in Japan

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Teil 6: Seiryoku-zenyō und Jita-kyōei - Jūdō wird zur umfassenden Philosophie

Zeitgeschichtlicher Kontext Die zunehmende Ausrich- stoffprobleme (insbesondere besser bekannt als das chi- tung im Denken KANōs auf Eisen) u.a.m. erkannt und war nesische Tao (bzw. Dao), im Die zweite Hälfte der MEIJI- die Gesellschaft als Ganzes ist der Überzeugung, dass es einer Namen seines Systems macht Zeit, also etwa von 1890 bis wesentlich vor dem Hintergrund geistigen Erneuerung im Land JIGORō KANō deutlich, dass sein 1912, war von einem erstar- der Herausforderungen zu bedurfte. Im Jūdō sah er hierfür Jūdō nicht ausschließlich auf kenden Nationalismus und von sehen, vor denen Japan damals ein bedeutendes Medium. Fertigkeiten fixiert sein soll, außenpolitischer Aggression stand. KANō hatte Tendenzen sondern auch eine philoso- Japans geprägt. In diese Zeit der Nachlässigkeit, der Ich- JIGORō KANōs lange Suche phische Dimension hat. Dies fielen zum Beispiel der erste Sucht, mangelnder Qualität nach dem umfassenden wird auch durch die Bezeich- chinesisch-japanische Krieg einheimischer Produkte gegenü- Prinzip der gesellschaftlichen nung Kōdōkan (= Ort zum (1894/95), der russisch-japa- ber Importprodukten, Versor- Entwicklung Studium des „Dō“) deutlich. nische Krieg (1904/05) und die gungsprobleme aufgrund von Last not least üben wir alle auch Annexion Koreas (1910), das Bereits durch das Ersetzen Bevölkerungswachstum, Roh- von Jutsu (嫢) durch Dō (拢), in einem Dōjō. bereits seit 1905 japanisches Es ist schwierig, für Dō eine Protektoriat war. angemessene Übersetzung zu Nach dem Tod des MEIJI- finden. Dō steht für Ursprung Tenno (1912) begann mit der und Ende, für Weg und Prinzip Taishō-Zeit eine Phase vorü- und für die Gesetze des Univer- bergehender Liberalisierung in sums. Das Studium des Dō ist Japan. Diese Phase endete je- das Studium der Prinzipien des doch bereits wieder Ende 1926. Universums, es ist der „Weg“, Mit Beginn der Shōwa-Zeit am im Einklang mit ihnen zu leben 25. Dezember 1926 begannen und nichts zu tun, das ihnen die ersten dunklen Wolken widerspricht. des Ultra-Nationalismus am Worin besteht aber dieser Horizont aufzuziehen, die sich Weg? Wie können wir ihn im Gewitter des 2. Weltkriegs greifbar machen? Wie können so fatal entluden. wir uns ihm nähern? Gehen wir JIGORō KANō war über 25 zunächst einigen praktischen Jahre lang bis 1920 Direktor Fragen des Kämpfens nach und der Höheren Lehrerbildungs- schlagen danach eine Brücke anstalt in Tokio und somit für zur gesellschaftlichen Anwen- die Ausbildung von Lehrern dung. verantwortlich. 1909 wurde er das erste asiatische Mitglied im Grenzen von Jū-no-ri internationalen Olympischen Komitee, eine Position, die mit Der junge KANō hatte einer Reihe von längeren Aus- bereits erkannt, dass sich die landsreisen verbunden war. Prinzipien und Theorien des Nach seiner Pensionie- Kämpfens auf das gesell- rung im Jahr 1920 forcierte er schaftliche Leben als Ganzes wieder stärker die inhaltliche anwenden lassen (vgl. Teil 4: und geistige Entwicklung des Die Ziele des Kōdōkan-Jūdō Jūdō. Unter dem Eindruck in den Gründungsjahren), und einer sich wandelnden Welt versuchte, seine Gedanken - der 1. Weltkrieg war gerade zu Jū-no-ri immer weiter zu vorüber - und seiner zahlreichen verfeinern, um so daraus ein internationalen Begegnungen allumfassendes - universelles - Prinzip zu formulieren. Wie hatte KANō noch stärker als zuvor nicht nur die Entwicklung in Teil 5 bereits angedeutet, der japanischen Nation, sondern stieß er dabei auf Grenzen, auch vermehrt die Entwicklung die er nicht mehr aufzulösen internationaler Beziehungen im vermochte. Focus. Ein typisches Beispiel aus Die berühmte Statue KANōs am Eingang des Kōdōkan in Tokio der Praxis des Kämpfens ist

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eine Umklammerung durch den Im Buch „Kōdōkan Jūdō“ (s.u. Gegner. Wenn ein Körperteil Literatur) ist die Nutzung der (z.B. Handgelenk, Oberarm Hebelgesetze, deren Beachtung oder Hals) erst einmal fest manchmal sogar wichtiger sei umgriffen oder umklammert als das Nachgeben, ausdrück- ist, ist es unmöglich, der Kraft lich als Beispiel hierfür erklärt,. des Gegners nachzugeben und Auf eine etwas andere Art daraus noch selbst einen Vorteil formulierte KANō sinngemäß: zu ziehen. Derartige Situationen „Egal, was das Ziel ist, man lassen sich nicht durch „Nach- erreicht es am besten durch den geben“ lösen, die Kraft des effektivsten Einsatz seiner kör- Gegners lässt sich auch nicht perlichen und geistigen Kräfte“. gegen ihn wenden, Jū-no-ri ist Hinter dieser Formulierung als Prinzip hier „überfordert“ steht die fundamentale Erkennt- und greift nicht mehr. nis, dass alles, was Menschen Dasselbe gilt für einen weit- schaffen, auf die eine oder gehend oder sogar vollkommen andere Art „Energie“ - körper- passiven Gegner. Auch er bietet liche wie geistige - erfordert. keine Gelegenheit, seine Kraft KANō erklärt sinngemäß: „Ob gegen ihn zu richten oder seiner man ein Buch einwickelt oder Kraft nachzugeben. eines schreibt, stets wirken JIGORō KANō im Alter von etwa 70 Jahren (Bildarchiv Dieter Born) Geist und Körper zusammen.“ Entwicklung von Seiryoku- Konkrete Handlungen entste- zenyō hen also immer erst durch eine bündeln. zu Seiryoku-zenyō) zur Geltung In beiden vorgenannten möglichst optimale Verbindung Diese gegenseitige Unter- bringen. Wir erwarten von allen körperlicher und geistiger Fällen muss man, so KANōs Er- stützung drückt KANō im Motto Jūdō-Übenden, dass sie ihren kenntnis, eigene Kraft gegen die Aktivität, die mit dem Einsatz Jita-kyōei aus, das holprig, aber Körper gesund halten und kräf- Kraft des Gegners richten. Dies körperlicher und geistiger „En- treffend mit „selbst (ji 呹) und tigen, moralisch aufrecht sind sollte, so KANō, jedoch in einer ergie“ verbunden ist. Für diese andere (ta Ⅵ) gemeinsam (kyō und eine einflussreiche Rolle Weise geschehen, dass man die Dualität wählt KANō den Begriff ␀) gedeihen (ei 㪓)“ übersetzt in der Gesellschaft spielen. Wir eigene Kraft so wirkungsvoll Seiryoku, zusammengesetzt aus werden kann. Das „Gedeihen“ erwarten von Individuen und wie möglich einsetzt, bzw. nur Geist (sei 位) und Kraft (ryoku bezieht sich dabei sowohl auf von Gruppen, sich zu helfen so viel Kraft gebraucht, wie ┪). die materielle als auch auf die und Kompromisse zu schlie- unbedingt nötig ist, um die Diese Energie so sinnvoll spirituelle/kulturelle Entwick- ßen und dadurch eine alles jeweilige Aufgabe zu erfüllen. und effektiv, bzw. mit anderen lung der gesamten Gesellschaft. durchdringende Harmonie zu Worten sparsam und wirtschaft- erzeugen. Bezogen auf die Welt lich, aber auch im moralischen Erweiterung der Ziele des im Großen erwarten wir von Sinn „gut“ einzusetzen, wurde Jūdō allen, nach gemeinsamem Ge- für KANō zum allgemeinen Ideal Kalligraphie Bereits 1918 hatte KANō deihen zu streben (Jita-kyōei), menschlichen Handelns. KANō des Prinzips erläutert, dass Jūdō vereinfacht rassistische Diskriminierung drückt dies durch zenyō aus. Es Seiryoku- als Gebilde mit drei Ebenen zu überwinden und die Früchte bedeutet wörtlich „gut (zen ) zenyō ⠓ betrachtet werden könne. kultureller Entwicklung zu gebrauchen (yō )“. 䞷 Zunächst lernt man, sich und teilen. Die essenziellen Punkte Seiryoku-zenyō bedeutet andere im Bedarfsfall zu hierfür sind: also zusammengesetzt „Geist verteidigen. Danach geht es um (sei ) und Kraft (ryoku ) gut (1) Bestmöglicher Einsatz von 位 ┪ die Kräftigung des Körpers und (zen ) gebrauchen (yō )“. Körper und Geist ist die Basis ⠓ 䞷 die Kultivierung des Geistes Die gesamtgesellschaftliche für Selbstperfektionierung. in intellektueller und mora- Relevanz - das „Moralische“ (2) Selbstperfektionierung wird lischer Hinsicht. Mit diesen - liegt für KANō darin, „Gutes“ durch die Unterstützung anderer beiden Ebenen wiederholt und zu tun und gleichzeitig effizient in diesem Prozess komplettiert. betont er noch einmal die Ziele in jeder Beziehung zu handeln, (3) Selbstperfektionierung ist des Kōdōkan-Jūdō, wie er sie denn wer mit seiner Energie die Grundlage für das soziale bereits 1889 vorgestellt hatte haushaltet, kann am Ende Gedeihen der Menschheit.“ (vgl. Teil 4). mehr Gutes für sich und andere (aus SYD HOARE 2007, vom Nun setzt er aber noch leisten als derjenige, der sein Verfasser aus dem Englischen eine Ebene darüber, nämlich Potenzial verschwendet. Hierin übersetzt). die aktive Mitwirkung jedes liegt für KANō ein zentrales Einzelnen bei der Entwicklung 40 Jahre nach Gründung des Axiom für die Entwicklung der einer humanen Gesellschaft Kōdōkan, war die Philosophie Gesellschaft: stets sein „Bestes“ als höchstes Ziel des Kōdōkan- des Kōdōkan-Jūdō voll entwi- für die Allgemeinheit geben. Jūdō. Im Jahr 1922 verkündet J. ckelt. Das praktische Üben im Ergänzung durch Jita-kyōei KANō vor der Kulturvereinigung Dōjō war endgültig zum Mittel des Kōdōkan: der Selbstperfektionierung als Die Wirkung, die der Basis für die Entwicklung der Einzelne entfalten kann, bleibt „Wir erklären hiermit, einen Menschheit geworden. stets begrenzt. Es ist daher er- Beitrag zur Entwicklung der forderlich, dass sich Menschen Humanität in der Welt zu leis- in Gruppen - sei es in kleinem ten, indem wir das Jūdō-Prin- oder großem Maßstab - zu- zip Seiryoku-Saizen-Katsuyō sammenfinden und ihre Kräfte (Anmerkung: später verkürzt

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Kōdōkan-Jūdō wird zur allgemein Leitlinien des alltäg- Religion und Tradition auch mittels eines ideologisch (Gesellschafts-)Philosophie lichen Handelns versteht. Das würden sich von daher nicht als geprägten und verherrlichten Fundament bildeten die „fünf Grundlage für eine allgemeine Bushidō als Erziehungsmit- Der junge JIGORō KANō Theorien des Kampfes“(siehe Moralerziehung eignen. Diese tel zur Opferbereitschaft der hatte bereits erkannt, dass die Teil 4): könne nur auf Basis unwider- Jugend für die Nation, bis hin Lehren des Kampfes auf die legbarer Gesetze der Logik zu den späteren Kamikaze-Flie- Bewältigung von Situationen (1) Beachte die Beziehung erfolgen, denn nur dann würde gern, missbraucht. des täglichen Lebens übertragen zwischen Dir und Deiner Um- eine allgemeine Gültigkeit und angewendet werden kön- gebung anerkannt. nen. Die Suche nach den umfas- (2) Komme Deinem Gegner Und genau diese unwider- Literatur (Auswahl) senden Prinzipien des Kampfes zuvor legbare Logik glaubte er mit BENNETT, ALEX: Jigorō Kanō and the führte ihn zu der Erkenntnis, (3) Überlege reiflich - handle Seiryoku-zenyō und Jita-kyōei dass der Kampf seinerseits entschlossen Kōdōkan - an innovative Response gefunden zu haben. to Modernisation, Kōdōkan Jūdō universellen Gesetzen folgt. (4) Kenne die Grenzen Institute, 2009 Die Essenz des Jūdō - also (5) Sei bescheiden im Erfolg - das „wahre“ 㩣拢 - liegt in der akzeptiere einen Misserfolg mit Persönliche Anmerkungen des DAIGO, TOSHIRō: Wurftechniken des Kōdōkan Jūdō, Verlag Dieter Born, Befolgung der Prinzipien von Anstand und Würde. Verfassers 2009 Seiryoku-zenyō und Jita-kyōei in allen Bereichen des Lebens Seiryoku-zenyō und Jita- (1) Die Anregung zu Seiryo- HOARE, SYD: Key Principles of Jūdō, kyōei kann man durchaus als ku-zenyō kam KANō, wie er 2007, Script einer Vorlesung an der mit dem Ziel der Schaffung Universität Bath einer humanen Welt. deren Weiterentwicklung be- später sagte, schon in seiner Die vormaligen technisch/ trachten. Der Weg selbst besteht Studienzeit, als er sich wun- KANō, JIGORō: Kōdōkan Jūdō, Verlag Dieter Born, 2007 taktischen Prinzipien (Jū-no-ri, danach in einer lebenslangen derte, dass ein Studienkollege Kuzushi, Shizei usw.) wurden Selbstperfektionierung im vor- selbst kürzeste Pausen produk- KANō, JIGORō: Mind Over Muscle: also - ohne ihre technisch/tak- genannten Sinn. tiv nutzte und lernte, anstatt Writings from the Founder of Judo (zusammengestellt von N. MURATA), tische Bedeutung verloren diese Zeit „totzuschlagen“. Dies Verhältnis zwischen Kōdōkan- resultierte letztlich in mehr Kodansha International, Tokio zu haben - zu Prinzipien der Jūdō und Religionen gesellschaftlichen Entwicklung Freizeit für ihn - bei gleich- NIEHAUS, ANDREAS: Leben und Werk Kanō Jigorōs (1860-1938), Ergon- erweitert. Konsequenterweise KANō hat das Kōdōkan-Jūdō zeitig besserer Leistung, da die Gesamtzeit besser genutzt Verlag, 2003 entwickelt KANō ein neues, er- stets unter anderem als Mittel der Moralerziehung verstanden. worden war. WATSON, BRIAN N.: Jūdō Memoires weitertes Verständnis von Jūdō, of Jigorō Kanō, Trafford-Verlag, indem er sinngemäß schreibt: Deshalb und auch aufgrund des (2) „Zen“ (deutsch: „gut“, ge- Dō im Namen, wurde es von 2008 „Jūdō meint nicht mehr die schrieben ⠓) in Seiryoku-zenyō Kampfkunst, sondern die An- Außenstehenden teilweise als darf nicht mit der „Zen“-Leh- wendung von Seiryoku-zenyō eine Art religiöser Lehre aufge- re, z.B. im Zen-Buddhismus und Jita-kyōei in allen Berei- fasst und dargestellt. verwechselt werden. Dieses KANō selbst konstatierte, chen des täglichen Lebens“. schreibt man 䰔. dass Religionen im Sinne von Jūdō und die Entwicklung Moralerziehung ähnliche Ziele (3) KANō verwendete wie oben von Moral verfolgen würden wie das geschrieben ursprünglich den Kalligraphie Oft wird Jita-kyōei als „das Kōdōkan-Jūdō, jedoch eine Leitspruch Seiryoku Saizen des Prinzips moralische Prinzip“ von Jūdō Religion immer nur Autorität Katsuyō, den er später zu Jita-kyōei bezeichnet, jedoch greift diese gegenüber jenen habe, die Seiryoku-zenyō verkürzte. Es Betrachtungsweise deutlich zu dieser Religion angehörten. bedeutet in unmittelbarer Über- kurz. Dasselbe würde für Traditionen setzung: Geist und Kraft (seiry- gelten, deren Überlieferungen oku 位┪) maximal gut (saizen Bereits 1889 hat KANō die Entwicklung von Moral stets nur für diejenigen bindend 㦏⠓) und effektiv gebrauchen als eines der großen Ziele des seien, die in dieser Tradition (katsuyō 㿊䞷). stehen. Kōdōkan-Jūdō vorgestellt, (4) Fraglich ist, ob es überhaupt wobei er unter Moral ganz angemessen ist, von zwei Prin- zipien zu sprechen. Aus Sicht des Verfassers ist es eher ein einziges Prinzip, das durch die beiden Slogans Seiryoku-zenyō und Jita-kyōei ausgedrückt wird.

(5) KANōs Gedanken waren nicht überall willkommen, auch weil sie zunehmend gesellschaftskritisch wur- den. Während KANō mit der Betonung von Jita-kyōei nach internationaler Verständigung und Harmonie durch Jūdō und durch alle Jūdōka strebte, und er deshalb dessen internationale Verbreitung stark forcierte, wurden die Kampfkünste insbe- JIGORō KANō bei der Demonstration eines Uki-goshi (Standbild aus einem sondere von Ultra-Nationalisten Film des Kōdōkan)

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Grundwissen der Geschichte des Kōdōkan-Jūdō in Japan

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Teil 7: Die Kōdōkan-Methoden – Kata

Vorbemerkung gemeint sein. es als Einzelübung oder als der Begriff „schulmäßige Aus- Kata diente darüber hinaus Übungsfolge, vorgegeben wer- führung“ üblich, der bei aller Heutzutage werden meist schon den alten Schulen der den? Hierzu lassen sich mehrere Problematik ausdrückt, dass es Kata, Randori und Shiai Kriegskünste, den Koryū-bugei. Ebenen unterscheiden: sich um eine „Grundform“ - auf (Wettkampf) als Hauptübungs- als Mittel der Überlieferung japanisch „ kata“ (⪉㦻ㇱ) formen des Jūdō bezeichnet. ihrer Techniken und Prinzipien - die tradierte und institutionell - handelt. Diese Dreiteilung entspricht (vgl. Teil 1 dieser Serie). In standardisierte Form Eine vom „allgemein nicht der ursprünglichen, denn diesem Sinn hat Kata auch die - die tradierte „de-facto“ Form Üblichen“ abweichende, aber Shiai wurde zunächst als eine Funktion eines Mediums. Da ohne institutionelle Standardi- dennoch über einen längeren besondere Form von Rando- es Kata für unterschiedliche sierung Zeitraum stabile individuelle ri betrachtet, worauf in den Ausbildungsstufen gab, kam - die „private“ Form eines Form, die ein Lehrer unterrich- kommenden Folgen einzugehen zusätzlich noch die Funktion Lehrers tet, entspräche der „privaten ist. Zudem propagierte JIGORō eines Lehrplans hinzu. - die ad-hoc-Form eines Lehrers Form“, während eine vom KANō Vorträge (Kogi) und Lehrer spontan ausgedachte/ent- Dialoge (Mondo) ebenfalls Kata als Methode des Übens Was ist mit diesen Ebenen gemeint? Nur für die erste wickelte Form, die die Schüler als essenzielle Lehrmethoden üben sollen, als „ad-hoc-Form“ des Kōdōkan-Jūdō, so dass es Kata im Sinne einer Ebene ist dies unzweifelhaft Methode bedeutet nicht mehr klar: hierunter fallen z.B. per bezeichnet werden kann. ursprünglich mit Kata, Randori, Was hier für eine einzel- Kogi und Mondo vier (Haupt-) und nicht weniger als das Üben Definition alle „offiziellen“ vorgegebener Aktionen, oder Kōdōkan-Kata. Was mit den ne Form erläutert wurde, gilt Methoden des Kōdōkan-Jūdō selbstverständlich auch analog gab. etwas präziser, das Üben genau anderen Ebenen gemeint ist, vorgegebener Formen von soll an einem einfachen Beispiel für ganze Folgen von Übungen. Kata: Wortbedeutung und Angriff und Verteidigung. Mit erläutert werden. Metaphern zu Kata und Ran- Sprachliches heutiger Terminologie würde Beobachtet man japanische dori: „Vokabeln, Grammatik man dies als „Üben in geschlos- Lehrer, die eine Technik wie und Aufsätze“ Der Begriff Kata, japanisch senen Situationen“ bezeichnen. z.B. ō-soto-gari unterrichten, ㇱ,wird meist als Form, Modell, Derartige Methoden des Übens wird man feststellen, dass es bei JIGORō KANō, der in der Standard oder mit ähnlichen sind uns allen von unserer ers- geringen Unterschieden sehr Frühzeit des Kōdōkan parallel Termini übersetzt. Alle drei ten Jūdō-Stunde an vertraut und große Gemeinsamkeiten gibt. eine Sprachenschule betrieb Übersetzungen sind sinngetreu. stellen ohne Zweifel praktisch Dieser „klassisch-japanische“ (vgl. Teil 3), verglich Jūdō Weniger beachtet wird jedoch überall eine Hauptmethode des ō-soto-gari entspricht dem, häufig mit dem Lernen von meist, dass Kata - wie generell Techniktrainings dar. Aller- was weiter oben mit „tradierter Sprache(n). Kata entsprach Substantive in der japanischen dings wird dies selten als Kata de-facto-Form“ gemeint ist. für ihn der Grammatik, in Sprache - je nach Kontext bezeichnet, obwohl es nichts Landesweit wird praktisch der die Regeln einer Sprache entweder im Plural oder im anderes ist. dieselbe Form unterrichtet, aber manifestiert sind. Randori Singular stehen kann. Für den keine Institution hat jemals eine dagegen verglich er mit dem Japaner ist es z.B. vollkommen Kata als Übungsinhalt entsprechende verbindliche Schreiben von Aufsätzen, also normal zu sagen: „Nage-no- Vorgabe gemacht. der freien Anwendung dieser Kata besteht aus 15 Kata“ oder Woher stammen nun die Formen, die uns Übenden, sei Früher war in Deutschland Regeln. Eines ohne das andere, „KANō entwickelte 15 Nage-no- so KANō, sei nicht möglich. Kata“. Konsequent wird daher Grammatik alleine befähige z.B. im Buch „Kōdōkan-Jūdō“ nicht zum Schreiben sinnvoller Nage-no-Kata als „Formen des Texte, genauso wie man ohne Werfens“ übersetzt. Beachtung grammatikalischer Kata: Inhalt, Methode, Medi- Regeln kaum leserliche und ver- um oder Lehrplan? ständliche Aufsätze produzieren könne. Die vielen Techniken Kata wird einerseits als des Jūdō, diese Ergänzung sei eine der Hauptübungsmethoden dem Verfasser gestattet, könnte des Jūdō bezeichnet, auf der man als das Vokabular der anderen Seite begegnet uns „Sprache Jūdō“ bezeichnen. Kata als Übungsinhalt, z.B. in Gestalt von Nage-no-Kata, Kata als Medium der Vermitt- Katame-no-Kata usw. Dies lung von Prinzipien ist kein Widerspruch, sondern Gruppenbild der Jūjutsu-Meister, die 1906 in Kyōto Nage-, Katame- und Hinter einer sinnvollen mit Kata kann je nach Kontext Kime-no-Kata festgelegt haben. In der Mitte sitzend mit Schnauzbart Anwendung von Techniken - sowohl Inhalt als auch Methode JIGORō KANō (Quelle unbekannt)

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vergleichbar mit einem Aufsatz Nach dem Zweiten - verbirgt sich also die Einhal- Weltkrieg wurde schließlich tung von Regeln und Gesetz- eine Arbeitsgruppe eingesetzt, mäßigkeiten. Dies ist mit der um eine „moderne“ Form der Dualität von sichtbarer Technik Selbstverteidigung zu entwi- und nicht-sichtbaren Prinzipien ckeln, die die Kime-no-Kata gemeint, die immer nur in ihrer ergänzen sollte. Sie erhielt den „materialisierten Form“ als Namen Kōdōkan-Goshinjutsu, ausgeführte Technik sinnlich der Suffix „no-Kata“ ist fakul- zugänglich sind (vgl. Teil 5). tativ. Sie wurde nach etwa vier Bei der Entwicklung der Jahren Entwicklungszeit 1956 Kata des Kōdōkan-Jūdō war vorgestellt. KANō darauf bedacht, solche Formen auszuwählen, die nicht Entwicklung der Taisō-no- nur als eigenständige Techniken Kata sinnvoll sind, sondern die ge- Um das Jahr 1887 entstan- eignet sind, übergreifende Prin- den erste Formen von Jū-no- zipien zu erschließen, die nicht Kata und Gojū-no-Kata, deren nur der jeweiligen Technik/ Name später zu Go-no-Kata Form, sondern auch vielen an- verkürzt wurde. Hierbei handelt deren Techniken zugrunde lie- es sich jeweils um Kata, bei gen. Mit heutiger Terminologie denen nicht geworfen, keine würde man also sagen, dass die Kleidung gefasst und auch Prinzipien des Jūdō exempla- keine Genickhebel ausgeführt risch durch die jeweiligen Kata werden. Dadurch kann man erlernt werden sollen. Die von JIGORō KANō demonstriert die fünfte Technik der Jū-no-Kata (Ago-oshi); diese Kata ohne besondere AN K ō entwickelten Kata haben entnommen aus: KANō, JIGORō: Kōdōkan Jūdō, Verlag Dieter Born, 2007 Trainingskleidung unabhängig also - um bei der Sprachmeta- vom Untergrund und praktisch pher zu bleiben - die Funktion ohne Verletzungsgefahr aus- einer „Grammatik-Fibel“ des Entstehungsgeschichte der Kommission der „Dai-Nippon- führen. Dieser für die damalige Jūdō, bei der jede Technik einer Kōdōkan-Kata Butokukai“ (Großjapanischer Zeit vollkommen neue Ansatz Lektion entspricht. Verband der Kampfkünste) für Die Entwicklung der ersten diente u.a. dem Ziel, Jūdō als Die Kata des Kōdōkan-Jūdō Japan standardisiert. Details Kōdōkan-Kata erfolgte um allgemeines Erziehungssystem stellen somit Werkzeuge für hierzu werden in einem späteren 1884/85. Bis dahin wurden im zu etablieren. eine strukturierte Vermittlung Teil dieser Serie folgen. Kōdōkan die Kata der Tenjin- Go-no-Kata wurde später von Jūdō dar - von elementaren shinyō-ryū und der Kitō-ryū Entwicklung der Shobu-no- nicht mehr weiterentwickelt Grundlagen bis hin zu den phi- gelehrt. Diese empfand KANō Kata und verschwand noch vor dem losophischen Aspekten. als zunehmend ergänzungsbe- Zweiten Weltkrieg fast völlig, Kurz nach Beginn der Zuordnung von Kata zu den dürftig, so dass er eigene Kata während Jū-no-Kata auf 15 Entwicklung der Nage- und Zielen des Kōdōkan-Jūdō entwickelte. Zudem began- Techniken erweitert und relativ nen die Mitgliederzahlen am Katame-no-Kata wurde eine viel praktiziert wurde und im- erste, ebenfalls 10 Techniken Das Kōdōkan-Jūdō Kōdōkan zu steigen und KANō mer noch wird. verfolgte seit jeher drei Ziele: konnte nicht mehr alle Schüler umfassende, Selbstverteidi- In den 1920er-Jahren Kampf/Selbstverteidigung, persönlich unterweisen. Mit gungskata entworfen. Auch di- entwickelte KANō schließlich körperliche Ertüchtigung und den Kata gab er seinen älteren ese durchlebte in den folgenden noch die Seiryoku-zenyō-ko- geistig-moralische Vervoll- Schülern Hilsmittel an die Jahren mehrere Erweiterungen kumin-taiiku-no-Kata, die er kommnung (vgl. Teile 5 und Hand, die jüngeren Schüler zu und Modifikationen, bevor gerne als Standard für eine 6). Entsprechend werden diese unterrichten. sie schließlich ebenfalls von nationale Leibeserziehung in Ziele schwerpunktmäßig mit Kata wurde in der Anfangs- der „Dai-Nippon-Butokukai“ Japan etabliert hätte. Sie besteht den verschiedenen Kata ver- zeit des Kōdōkan übrigens nicht unter dem Namen Kime-no- aus den zwei Teilen „Tandoku- folgt (s.a. Anmerkung 4): in separaten Unterrichtsstunden Kata standardisiert wurde. Es renshū“ (Üben ohne Partner) vermittelt und geübt, sondern ist möglich, wenngleich nicht und „Sotai-renshū“ (Üben mit (1) Randori-no-Kata: Vorbe- sicher, dass die „Kime-shi- Partner). Der erste Teil wird vor reitung und Verbesserung des in den Pausen zwischen den Randori. ki“ - eine gut dokumentierte allem durch Atemi-waza gegen Randori, mit dem wiederum Kata, die auch als Teil in die imaginäre Gegner gebildet. Die alle drei Zieldimensionen ver- Entwicklung der Randori-no- Seiryoku-zenyō-kokumin-taiiku- Sotai-renshū bestehen aus der folgt werden Kata no-Kata (s.u.) integriert wurde „Kime-shiki“ und der „Jū-shi- - eine frühe Entwicklungsstufe ki“, einer auf 10 Techniken ver- (2) Shobu-no-Kata: Kata zum Zunächst entwickelte J. der Kime-no-Kata darstellt. kürzten Jū-no-Kata. Neben der Üben von Selbstverteidigung KANō erste Ansätze von Nage- Während des Zweiten Nage-no-Kata ist die Seiryoku- no-Kata und Katame-no-Kata. (3) Taisō-no-Kata: Kata zur Weltkriegs empfand man am zenyō-kokumin-taiiku-no-Kata Diese enthielten zunächst körperlichen Ertüchtigung Kōdōkan die Notwendigkeit die einzige Kata, bei der alle jeweils 10 Kata (=einzelne der Entwicklung einer Selbst- Aktionen sowohl rechts als auch (4) Ri-no-Kata: Kata zum Techniken), jedoch ist nichts verteidigungskata für Frauen, links ausgeführt werden, unter besseren Verständnis grundle- weiter über diese Formen die den Namen Joshi-gos- anderem um eine gleichmäßige gender Prinzipien und Theorien bekannt. In den folgenden hin-ho bekam (Joshi=Frau, Entwicklung des Körpers zu Jahrzehnten wurden beide Kata Goshin=Selbstschutz, erreichen. auf 15 Techniken erweitert Ho=Methode). Diese Kata wird und schließlich im Jahr 1906 heute allerdings so gut wie gar durch eine von KANō geleitete nicht mehr praktiziert.

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Ri-no-Kata hat zwar auch eigene Kata Zusammenfassende Übersicht der Kata des Kōdōkan-Jūdō entwickelt, jedoch wurde keine Über die „echten“ Eigenkre- seiner Kreationen zu einer ationen hinaus übernahm KANō Randori-no-kata Nage-no-Kata „offiziellen“ Kōdōkan-Kata. auch Kata aus Tenjin-shinyō- Katame-no-Kata Seine bekannteste Kata ist die ryū (Itsutsu-no-Kata) und aus Shobu-no-Kata Kime-no-Kata Nage-waza-ura-no-Kata, die Kitō-ryū (Koshiki-no-Kata) in neuerdings Eingang in das Dan- das Kōdōkan-Jūdō. Die hinter Kōdōkan-Goshinjutsu Joshi-goshin-ho* Prüfungsprogramm des DJB diesen beiden Kata jeweils ste- gefunden hat. hende Theorie ist nicht einfach Kime-shiki** zu verstehen, was insbesondere Taisō-no-Kata Jū-no-Kata Diese Kata ist ein Beispiel für die Koshiki-no-Kata gilt. Go-no-Kata* dafür, wie sich eine zunächst Die Techniken beider Kata Seiryoku-zenyō-kokumin-taiiku- „private Form“ durch Weiterga- lassen sich zwar mit den in Teil no-kata* be verfestigt („tradiert“) hat und 5 dargestellten Prinzipien des nun - da sie weltweit erstmalig Kōdōkan-Jūdō erklären, jedoch Ri-no-Kata Itsutsu-no-Kata Prüfungsinhalt bei Dan-Prü- hatten die Vorgängerschulen Koshiki-no-Kata fungen geworden ist - sogar auf des Kōdōkan-Jūdō ihre eigenen (Ju-no-Kata) dem Weg zu einer institutio- Prinzipien und Lehren (streng nellen Standardisierung zu sein genommen waren es nur andere * wird nur noch sehr selten praktiziert scheint. Betrachtungsweisen und Erklä- ** in die Seiryoku-zenyō-kokumin-taiiku-no-kata integriert rungsmodelle), die in diesen beiden Kata codifiziert wurden. Guter Unterricht bringt den bestehende Kata der Tenjin- Literatur (Auswahl) In Japan sind Itsutsu-no-Kata immanenten „Bildungsgehalt“ shinyō-ryū etwas modifiziert hat KOTANI, S. / OZAWA, Y. / HIROSE, und Koshiki-no-Kata den eines Inhalts zur Geltung und und so die Frage, ob er die Kata Y.: Kata of Kōdōkan Jūdō revised, Meistern ab 6. Dan und höher leistet damit einen Beitrag zur „geschaffen“ oder „übernom- Koyano Bussan Kaisha, 1970 vorbehalten. Bildung des Individuums. Ganz men“ hat, zu einer Frage der BENNETT, ALEX: Jigorō Kanō and the Jū-no-Kata kann ebenfalls ähnliche Gedanken verfolgte Interpretation wird. Kōdōkan - an innovative Response zu den Ri-no-Kata gerechnet to Modernisation, Kōdōkan Jūdō KANō bei der Entwicklung der werden, da sie neben der kör- Jūdō-Kata, z.B. durch Auswahl (6) Nage-, Katame- und Kime- Institute, 2009 perlichen Ertüchtigung auch das no-Kata wurden bei der Dai- exemplarischer Techniken, an DAIGO, TOSHIRō: Wurftechniken des Prinzip „Jū-no-Ri“ (vgl. Teil 5) denen übergeordnete Prinzipien Nippon-Butokukai von einem Kōdōkan Jūdō, Verlag Dieter Born, 2009 erschließen soll. studiert werden sollten. Gremium unter Leitung von J. KANō standardisiert. Dabei flos- In dieser Zusammen- KANō, JIGORō: Kōdōkan Jūdō, Verlag Kata-Training in diesem sen auch Anregungen anderer Dieter Born, 2007 stellung wird das Wesen des Sinn geht also weit über das Jūjutsu-Schulen ein, insbeson- NIEHAUS, ANDREAS: Leben und Werk Kōdōkan-Jūdō als ein Sys- Nachmachen von vorgegebenen dere bei Kime-no-Kata. Außer tem von Körperertüchtigung, Kanō Jigorōs (1860-1938), Ergon- Bewegungen hinaus, sondern diesen drei Kata wurden keine Verlag, 2003 Kampf/Selbstverteidigung und strebt nach allgemeinen Er- weiteren der Kōdōkan-Kata OTAKI, TADAO / DRAEGER, DONN F.: geistig-moralisch-intellektueller kenntnissen durch die intensive von einer anderen Organisation Schulung - oder prägnanter: die Jūdō Formal Techniques, Charles E. Auseinandersetzung mit dem standardisiert. Tuttle, 1983 Kultivierung von Körper und Konkreten. Andernfalls bliebe WATSON, BRIAN N.: Jūdō Memoires Geist - deutlich und durch prak- Kata eine „Hülle ohne wirk- (7) KYūZō MIFUNE, 10. Dan tische Übung überliefert. und lange Jahre der höchste of Jigorō Kanō, Trafford-Verlag, lichen Inhalt“. 2008 Die Kata des Kōdōkan-Jūdō Dan-Träger am Kōdōkan, haben somit wie ihre Vorgänger (3) Von allen aufgeführten aus den Koryū-bugei auch eine Kata - außer der sehr seltenen wichtige Funktion als Medium Joshi-goshin-ho - finden sich der Überlieferung. Beschreibungen in „Kōdōkan- Jūdō“, erschienen im Verlag Persönliche Anmerkungen Dieter Born. (1) Kata sind Übungsformen (4) Die Klassifizierung der Kata und Übungsinhalte. KANō hat in den vier Gruppen Rando- zwar Kata bei Festlichkeiten ri-no-kata, Shobu-no-Kata, demonstriert bzw. demonstrie- Taisō-no-Kata und Ri-no-Kata ren lassen, aber ihr eigentlicher ist zwar üblich, aber nicht Sinn ist, neben der Überliefe- „offiziell“ vom Kōdōkan so vor- rung, die Übung und das Lernen genommen worden. - nicht die Demonstration. (5) Die offiziellen Darstellun- (2) In der (deutschen) Bildungs- gen des Kōdōkan zur Herkunft theorie wird klassischerweise der Itsutsu-no-Kata sind etwas zwischen „Bildungsinhalt“ schwammig. Tenjin-shinyō- und einem diesem Inhalt ryū wird dabei nicht erwähnt, immanenten „Bildungsgehalt“ jedoch KANō, der die KATA - je unterschieden. Kernaufgabe nach Publikation - 1887 mal der Didaktik ist die Aufschlüs- geschaffen, mal in das Jūdō selung, was das „Bildungs- eingeführt haben soll. Dem wirksame“ bzw. das für die Gedanken, dass KANō die Kata Bildung Wertvolle an einem Sukui-nage in Nage-no-Kata? Erst im Jahr 1906 wurde Sukui-nage durch geschaffen hätte, kann man nur Kata-guruma ersetzt. Diese Aufnahme zeigt Y. YAMASHITA vermutlich im Inhalt (=einer Thematik) ist. insoweit folgen, als KANō die Jahr 1904 (Quelle: www.library.umass.edu/spcoll/ead/muph006.htm)

12/2010 der budoka 43 Trainingsszene im Kōdōkan zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In dunkler Kleidung erkennen wir links S. YOKOYAMA und rechts K. MIFUNE.

Grundwissen der Geschichte des Kōdōkan-Jūdō in Japan

von Wolfgang Dax-Romswinkel

Teil 8: Die Kōdōkan-Methoden – Randori

Wortbedeutung nokori oder Nokori-ai auf. Der Begriff leitet sich von nokoru ab, was wörtlich übersetzt „übrig bleiben“ heißt. Tori griff bei dieser Übungs- Der Begriff Randori (℀♥) besteht aus zwei Teilen: ran (℀) und dori form an und Uke versuchte zu verteidigen und Widerstand zu leisten. (♥). Ran bedeutet Durcheinander, Unordnung oder Chaos. Dori lei- Wenn Tori mit seiner Technik nicht erfolgreich war, konnte Uke sei- tet sich von toru ab und heißt „nehmen“ oder „greifen“. Zusammen- nerseits einen Gegenangriff starten, gegen den Tori natürlich wieder gesetzt bedeutet Randori also so viel wie „ungeordnet“ oder „durch- verteidigen und kontern durfte. Irgendwann blieb im wörtlichen Sinn einander greifen“. „Einer übrig“. Aus dieser Übungsform, die zwischen Kata und Ran- In älteren Schriften findet man auch die Bezeichnung Midare-geiko. dori anzusiedeln ist, entwickelte sich das spätere Randori. Midare ist ein Synonym für ran, also eine andere Lesung des Zei- Eine weitere Zwischenform, die ebenfalls als Kata-nokori oder No- chens ℀. (Anm.: ganz korrekt müsste man allerdings ℀ቯ schreiben.) kori-ai bezeichnet wurde, war die Abweichung Ukes von der Reihen- Da geiko (oder alleinstehend keiko) schlicht „üben“ heißt, kommt die folge der Angriffe einer Kata, so dass er Tori mit nicht genau fest- direkte Übersetzung von Midare-geiko als „ungeordnetes Üben“ un- stehenden Situationen konfrontierte, denen Tori jeweils angemessen serer heute gängigen Übersetzung von Randori als „freies Üben“ sehr begegnen musste. Heute werden derartige Trainingsformen oft als nahe. „Auswahlreaktionstraining“ bezeichnet. Dominanz von Kata im Koryū-Jūjutsu und die Ursprünge von Auch wenn Trainingsformen, die sich von festgelegten Kata immer Randori weiter lösten, bereits seit Mitte des 18. Jahrhunderts bekannt waren, In den alten Schulen des Jūjutsu („Koryū-Jūjutsu“) dominierte das so wurde Randori vermutlich erst rund 100 Jahre später am Kōbusho, Üben in Form von Kata, also von vorher genau festgelegten Angrif- der Militärakademie des Shōgunats (vgl. Teil 1 dieser Reihe) populär. fen und entsprechenden Verteidigungen. Ein grundsätzliches Problem Dort wurde sogar eigens der Posten eines Randori-Verantwortlichen beim Kata-Training ist jedoch, dass die Wirksamkeit einer Technik (Randori-Sewakokoroe) geschaffen. mitunter dadurch auf der Strecke bleibt, dass Uke sich allzu bereitwil- Randori in der Jūjutsu-Ausbildung JIGORō KANōs lig fallen lässt oder schon aufgibt, bevor eine Technik wirkt. J. KANōs erster Lehrer, H. FUKUDA von der Tenjin-shinyō-ryū, war Um dem entgegenzuwirken tauchte bereits im 18. Jahrhundert in den zuvor Lehrer am Kōbusho gewesen und sein dritter Lehrer T. IIKUBO Lehrschriften der Kitō-ryū - jenem Jūjutsu-Stil, den JIGORō KANō als (Kitō-ryū) war dort sogar der Leiter für Jūjutsu (Jūjutsu-Sewakoko- zweites gelernt und gemeistert hat - eine Trainingsform namens Kata-

18 der budoka 1-2/2011 roe). Von daher ist es nicht weiter verwunderlich, dass J. KANō von Anfang an neben Kata auch intensiv Randori gelernt hat. Jūdō-His- toriker führen diese Konstellation sogar explizit als Grund dafür an, dass J. KANō die wechselseitige Ergänzung von Kata und Randori als essenziell für ein ausgewogenes Jūdō-Training betrachtet hat.

KANōs Schlüsselerlebnis im Randori mit Meister IIKUBO

Ende der 1920er-Jahre erschien eine Interviewserie mit J. KANō, die unter dem Titel „Mein Leben als Jūdōka“ veröffentlicht wurde. (Anm.: Das Buch „Jūdō-Memoires of JIGORō KANō“ - s. Literatur - ist eine editierte Übersetzung dieser Artikelserie). Darin beschreibt er eine Begebenheit, die er etwa auf die Jahre 1885/86 datierte (also deutlich nach Gründung des Kōdōkan).

Meister IIKUBO war schon über 50 Jahre alt, aber immer noch so vital, dass er J. KANō im Randori regelmäßig werfen konnte. Eines Tages jedoch gelang dies zu beider Verwunderung nicht mehr. Stattdessen konnte KANō umgekehrt seinen Lehrer ein ums andere Mal werfen.

Dies war Folge einer Entdeckung, die KANō kurz zuvor gemacht hat- JIGORō KANō beobachtet von seinem Ehrenplatz aus das Training im te. Durch Zug oder Druck in eine Richtung provozierte er eine Reak- Kōdōkan tion in die entgegengesetzte Richtung, die er dann für einen Gleichge- wichtsbruch ausnutzen konnte. KANō wurde gewahr, dass der ideale Moment des Angriffs der ist, in dem der Gegner für den Bruchteil Randori verboten, z.B.: einer Sekunde sein Gleichgewicht nicht mehr kontrollieren kann. Die- se Art Wurftechniken vorzubereiten wurde zum hervorstechendsten - Handgelenkshebel, Charakteristikum der Kōdōkan-Wurftechniken und des Randori-Stils - Do-jime („Rumpfschere“), des Kōdōkan-Jūdō im Vergleich zu den damaligen Jūjutsu-Stilen. - Ashi-garami („Bein umschlingen“, letzte Technik der Katame-no- Kata), Grundideen des Randori im Kōdōkan-Jūdō - die endgültige Beschränkung von Kansetsu-waza auf das Ellbogen- Ziele des Randori gelenk. Die Ziele des Randori-Trainings unterschieden sich erwartungsge- Die im Randori verbotenen Techniken blieben aber dennoch selbst- mäß nicht von den allgemeinen Zielen des Jūdō-Trainings: verständlich Teile des Jūdō. Nur durften sie eben nicht mehr im Ran- dori angewendet werden. Sie wurden aber weiterhin in Kata geübt, - Leibesertüchtigung, wovon z.B. die zahlreichen Atemi-waza in Kime-no-Kata und der - geistig-moralische Übung, Ashi-garami in Katame-no-Kata zeugen. - Entwicklung einer grundlegenden Fähigkeit, sich und andere im Be- darfsfall verteidigen zu können. Vorrang von Nage-waza Randori als Leibesertüchtigung Für J. KANō hatten stets Nage-waza vorrang vor Katame-waza, was er unter anderem damit begründete, dass beim Ausführen von Wurf- Die Bewegungen beim Randori sind ausgesprochen vielseitig, so dass techniken mehr Muskeln beteiligt seien, als bei den Katame-waza. die gesamte Muskulatur und das Herz-Kreislaufsystem trainiert wird. Aus Sicht der Leibesertüchtigung wies KANō also dem Stand-Ran- Daneben ist Randori koordinativ äußerst anspruchsvoll. Insbesondere dori eine größere Bedeutung zu, als dem Boden-Randori. Allerdings werden Reaktionsfähigkeit, Gleichgewicht, Antizipationsfähigkeit, war zu jener Zeit die Bodenarbeit noch nicht zu ihrer späteren Blüte kinästhetische Differenzierungsfähigkeit und räumliche Orientierung entwickelt. geschult. Wie sah ein Stand-Randori damals eigentlich aus? Ein System der Leibesertüchtigung muss zwingend auch einen gu- ten Schutz vor Verletzungen bieten, so dass das Thema „Sicherheit Außer schriftlichen Überlieferungen existieren auch einige Filmauf- nahmen (z.T. auch bei YouTube) von Randori aus den 1920er- und beim Randori“ ganz oben auf KANōs Prioritätenliste stand. Neben dem obligatorischen Lernen und Trainieren der Fallschule wurden 1930er-Jahren. Beide Partner nahmen zu Beginn einen recht lockeren Techniken aus dem Randori verbannt, die ein hohes Verletzungsri- (!) Griff auf, hatten eine aufrechte Körperhaltung, und versuchten sich siko darstellen, wie zum Beispiel die Atemi-waza (Schlag- und Stoß- gegenseitig erst aus dem Gleichgewicht und dann zu Fall zu bringen. techniken). Nach und nach wurden auch weitere Techniken für das Angriffe des Partners wurden nicht durch Sperren, Losreißen oder andere „Griffarbeit“ verhindert, was eine weniger ermüdende Kör- perhaltung und weniger defensives Verteidigungsverhalten bedeute- te, als wir es im heutigen Randori oft erleben. Dadurch war auf der anderen Seite im Vergleich zu heute eine höhere Angriffsfrequenz möglich. Außerdem gab es mehr gelungene Würfe als heutzutage. Die grundsätzliche Kampfführung war meist so gestaltet, dass beide versuchten, gegenseitig den Partner auszumanövrieren und ihn durch Ziehen oder Drücken zu einer Reaktion zu veranlassen, die dann zu einem Gleichgewichtsbruch genutzt werden kann. Die Verteidigung bestand vorzugsweise in einem Ausweichen oder Blocken mit Bauch/ Hüfte („Hara“) unter Beibehaltung einer aufrechten Körperhaltung. Randori als geistig-moralische Übung Aufmerksamkeit, Beobachtung, Analysieren, Probleme lösen, neues Erproben: Randori stellt neben den körperlichen auch eine Menge Trainingsszene um die Jahrhundertwende. In der Bildmitte ist H. ISO- geistige Anforderungen, setzt aber auch eine bestimmte Haltung ge- GAI, der später (1937) gemeinsam mit H. NAGAOKA der erste lebende Träger des 10. Dan wurde. Man erkennt deutlich, dass damals noch in genüber dem Partner voraus. Bereits in seinem berühmten Vortrag kurzen Hosen und kurzärmligen Jacken trainiert wurde. Die Bedeu- von 1889 (vgl. Folge 4 dieser Reihe) erklärte J. KANō über das Ver- tung der Verlängerung der Hosenbeine und vor allem der Jackenärmel hältnis zweier Randori-Partner zueinander: im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts wird in einem kommenden Artikel über die Entwicklung der Wurftechniken behandelt werden.

der budoka 1-2/2011 19 „Beim Randori im Jūdō trainieren in den meisten Dōjō sowohl Fort- geschrittene und Anfänger als auch Gleichrangige miteinander. Ganz natürlich nimmt man so eine anleitende Position ein, eine Position, in der man angeleitet wird oder eine, in der man gleichberechtigt ist. (...) Wer die Pflichten des Lehrers übernimmt, kann an den verschiedens- ten Fällen und bei unendlich vielen Gelegenheiten lehren, dass die Menschen sich füreinander bemühen und sich freundlich behandeln müssen.“

J. KANōs Vorstellungen von Randori waren also bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Entwicklung des Jūdō davon getragen, dass sich die Übenden gegenseitig im ihrem Übungsprozess unterstützen und helfen sollen. Randori und Selbstverteidigung

KANō selbst beschrieb bereits 1889 das grundlegende Dilemma, dass Techniken, die im „echten Kampf“, also für Selbstverteidigung oder den militärischen Nahkampf, wirksam sind, bei Anwendung im Ran- dori ein nicht hinnehmbares Verletzungsrisiko darstellen. In dieser

Frage musste sich KANō also zwischen dem sicherem Üben einerseits JIGORō KANō beim Randori in der Frauenabteilung des Kōdōkan (um und dem effektiven Üben der „gefährlichen Techniken“ andererseits 1930) entscheiden, was er zugunsten der Sicherheit auch tat.

Dennoch bestand KANō darauf, dass Randori einen großen Anteil an der Entwicklung von Kampffähigkeiten außerhalb des Dōjō leisten ten zu wechselnde, sondern auch die am wenigsten ermüdende. Beide soll. Außerhalb des durch Regeln geschützten Bereiches komme es Partner nehmen dieselbe Stellung ein. darauf an, stets schnell und angepasst reagieren zu können. Dazu müsse man diejenige Körperhaltung einnehmen, die am anpassungs- (2) Wurftechniken haben Vorrang. Werfen ist sowohl aus Sicht der fähigsten und flexibelsten ist - und das ist Shizentai. Nur Shizentai Leibesertüchtigung also auch als mentales Training von größerem und entsprechende Körperbewegungen („Tai-sabaki“) würden ge- Wert, weil es Wahrnehmung und Anpassung an eine größere Band- währleisten, dass man jeder Gefahr angemessen begegnen könne. breite an Situationen erfordert. Bodenarbeit zu lernen, nachdem man Außerdem, so KANō, würde eine aufrechte Körperhaltung davor die Wurftechniken gemeistert hat, versetzt in die Lage, von beidem schützen, von oben in den Nacken geschlagen und von unten gegen zu profitieren. Wer Jūdō über einen Zeitraum von mehreren Jahren das Gesicht getreten zu werden. Aufrechte Haltung im Randori ist studiert, hat ausreichend Zeit beides zu meistern. Wer sich aber auf also kein Selbstzweck aus ästhetischen oder stilistischen Gründen, eines beschränken muss, für den sollten Wurftechniken Priorität ha- sondern folgt unmittelbar aus den Anforderungen der Selbstvertei- ben. Es ist besser, sich auf eine Sache zu konzentrieren, als beides digung. ungenügend zu betreiben und Wurftechniken sollten Vorrang haben. Veränderung des Randori im ersten Viertel des 20. Jahrhun- (3) Denke immer daran, dass Randori ein Training in Angriff und derts - „Desorientierung“ des Randori Verteidigung ist. In einer Kampfkunst ist es essenziell, dass man agi- le und freie Körperbewegungen entwickelt, mit denen man Schläge Mit zunehmender Popularisierung von Wettkämpfen und einem und Tritte kontern kann und eine zweite Natur darin zu entwickeln, gleichzeitigen Mangel an qualifizierten Jūdō-Lehrern entwickelte schnell und angemessen zu reagieren. Ein Jūdō-Kampf muss als sich jedoch bereits vor dem Zweiten Weltkrieg in Japan immer mehr echter Kampf betrachtet werden, und das Ziel ist, diesen unmittelbar ein defensiver Kampfstil mit breitem Stand und vorgeneigtem Ober- zu gewinnen. körper. J. KANō kritisierte die Entwicklung heftig und bezeichnete sie als „Desorientierung“ des Randori. Er bestand darauf, dass das (4) Die Reihenfolge des Lernens sollte erst Tachi-waza und dann Ne- ursprüngliche Randori des Kōdōkan wieder vermehrt vermittelt wer- waza sein, wenn man beides befriedigend lernen will. Wer versucht, den sollte. zuerst Ne-waza zu meistern, wird später Probleme haben, Tachi-waza zu lernen. Fast schon zwangsläufig wurde darüber hinaus mit dem Auftauchen anderer Kampfkünste in den 1920er- und 1930er-Jahren (z.B. G. (aus „Jūdō Kyōhon“ von 1931, übersetzt ins Deutsche vom Verfasser ENNET FUNAKOSHI/, M. UESHIBA/Aikidō) die Frage nach der Eignung aus einer englischen Übersetzung von A. B - s. Literatur) von Jūdō als Kriegskunst („bujutsu toshite no jūdō“) virulent. Jūdō drohte seine führende Stellung im Bereich der Kampfkünste zu ver- Literatur (Auswahl) lieren, was KANō durch vermehrte Anstrengungen - z.B. zahlreiche BENNETT, ALEX: Jigorō Kanō and the Kōdōkan - an innovative Response to Veröffentlichungen zum Thema - zu verhindern versuchte. Modernisation, Kōdōkan Jūdō Institute, 2009

Diskussion um die Integration von Atemi-waza in Randori DAIGO, TOSHIRō: Wurftechniken des Kōdōkan Jūdō, Verlag Dieter Born, 2009 Einer der Kritikpunkte am Jūdō war die Vernachlässigung der Ate- KANō, JIGORō: Kōdōkan Jūdō, Verlag Dieter Born, 2007 mi-waza und damit der Kampfdistanzen jenseits der „Griffdistanz“. NIEHAUS, ANDREAS: Leben und Werk Kanō Jigorōs (1860-1938), Ergon-Verlag, Atemi-waza wurden zwar weiterhin vor allem im Rahmen der Kime- 2003 no-Kata geübt, jedoch nicht im für das Kampftraining effektiveren WATSON, BRIAN N.: Jūdō Memoires of Jigorō Kanō, Trafford-Verlag, 2008 Randori. Daher wurden gegen Ende der 1920er-Jahre Überlegungen angestellt, ob und wie Atemi-waza in das Randori integriert werden könnten. Letztlich wurde dies aber nicht realisiert. Weitere Informationen hierzu folgen in einem kommenden Beitrag zu den Atemi-waza des Kōdōkan-Jūdō.

Anstelle einer Zusammenfassung: J. KANō über die essentiellen Punkte beim Randori (1) Die fundamentale Körperhaltung ist Shizen-hontai („natürliche Grundstellung“) und muss es auch bleiben. Diese grundlegende na- Anmerkung zu den Fotos: Aufgrund der damals verfügbaren Fototechnik türliche Haltung ist nicht nur die anpassungsfähigste und am schnells- muss davon ausgegangen werden, dass alle Aufnahmen gestellt wurden.

20 der budoka 1-2/2011 Grundwissen der Geschichte des Kōdōkan-Jūdō in Japan

von Wolfgang Dax-Romswinkel

Teil 9: Die Kōdōkan-Methoden – Verbale Instruktion und Verbreitung der Lehre durch Schrifttum

Einleitung selbstironische Passage, mit der er dies zu untermauern versucht: Heutzutage werden meist Kata, Randori und Shiai als die drei Me- „Unter Ihnen gibt es sicherlich einige Kritiker, die sagen: „Obwohl thoden des Kōdōkan-Jūdō genannt. Dies entspricht jedoch nicht ganz der Sprecher selbst ein Meister im Range eines Shihan des Jūdō ist, dem Konzept JIGORō KANōs, denn einerseits war der Wettkampf (Shi- warum spricht er dann so ungeschickt?“ Diesen möchte ich entgegen ai) nichts anderes als eine Sonderform des Randori und andererseits halten, dass ich eigentlich noch schlechter spreche, aber durch das war die verbale Instruktion, also die Vermittlung durch Sprache, eine Jūdō-Training schon Fortschritte gemacht habe“ (zitiert aus Niehaus seiner Hauptmethoden. 2003, S. 345). Mündliche und schriftliche Lehre im traditionellen Jūjutsu Kōgi und Mondō: Grundformen verbaler Instruktion (Koryū-Jūjutsu) KANō unterschied zwei grundsätzliche Formen verbaler Instruktion: Wie bereits in der ersten Folge dieser Reihe erläutert, gab es schon in den Vortrag (Kōgi) und das Lehrgespräch (Mondō). den traditionellen Schulen des Jūjutsu Formen systematischer münd- licher Lehre (Kuden) und schriftlicher Überlieferung (Densho). In Vorträge wurden zu KANōs Zeit nicht nur sporadisch innerhalb von den Genuss von Kuden und Densho kamen aber nur die am weites- Übungsstunden gehalten, sondern waren fester Teil des Curriculums ten fortgeschrittenen Schüler, da die Unterweisung in den Kuden und des Kōdōkan. Die Themen der Vorträge waren überaus vielfältig. Sie die Aushändigung der Densho die letzten Schritte auf dem Weg zum waren zum Teil unmittelbar auf das Verstehen von Jūdō-Techniken Meister der Schule waren. Diese Exklusivität der Lehre diente auch bezogen, teilweise wurde aber auch über allgemeine Fragen der Le- der Vertraulichkeit der Geheimnisse der jeweiligen Schule. bensgestaltung referiert. Das Vermitteln der Techniken der Schulen (genauer: der Kata, in de- Hebelgesetze, Gleichgewicht, Physiologie, Anatomie - die physika- nen die Techniken festgelegt waren) erfolgte traditionell weitgehend lischen und biologischen Grundlagen, auf denen die Funktion der ohne verbale Erläuterungen durch Vormachen und „spüren lassen“. Techniken beruht, sollten zum besseren Verständnis der Techniken Dahinter stand auch die Idee, dass sich ein Verständnis in erster Linie „en passant“ mit vermittelt werden. Damit wurde Jūdō nicht nur zu durch praktische Erfahrungen mehr oder weniger von allein ergeben einem Gegenstand theoretischer Betrachtungen, sondern gleichzeitig würde. auch zu einem Anlass für die Vermittlung naturwissenschaftlicher Sachverhalte. KANō war davon überzeugt, dass dieses Vorgehen zu Ein besonders eindrucksvolles Beispiel für diese Methode schildert einem schnelleren Lernfortschritt sowohl in Theorie wie auch in der JIGORō KANō, der einmal seinen Lehrer H. FUKUDA nach einer Tech- Praxis führt. Mit dieser Haltung setzte er sich deutlich von den tradi- nik gefragt hatte, und dieser ihn - trotz mehrfacher Wiederholung tionellen Lehrmethoden des Jūjutsu ab. der Fragen - ohne jegliche Erklärungen daraufhin so lange mit dieser Ein Vortrag ist aber eine „verbale Einbahnstraße“. Aus diesem Technik geworfen hat, bis KANō verstand, wie sie funktioniert (vgl. Anmerkung 1). Grund führte KANō auch das Lehrgespräch (Mondō) als Methode des Kōdōkan-Jūdō ein. Andeutungsweise ist dies schon im oben aufge- JIGORō KANō über Sprache im Jūdō-Unterricht führten Zitat über die Sprache im Jūdō-Untericht enthalten, wo KANō die Notwendigkeit folgerichtigen Sprechens bei Fragen oder Erörte- Bereits in seinem berühmten Vortrag von 1889, bei dem KANō das rungen betont. Kōdōkan-Jūdō umfassend vorstellte, betonte er die Bedeutung der Sprache bei der Vermittlung: Die Lehrer waren daher angehalten, ihren Schülern Fragen zu stellen, um sich zu vergewissern, dass sie das Vermittelte auch wirklich ver- „Als nächstes komme ich zur Sprache. Sie ist bei der Schulung sehr standen hatten. Inwieweit KANō bereits daran dachte, dass der Vor- wichtig. Ob ich nun beim Randori oder bei den Kata allgemeine Me- gang der Verbalisierung von komplexen Sachverhalten allein schon thoden mit Worten erkläre, so werden mich die Zuhörer nicht verste- zu einem besseren Verständnis führen kann, ist nicht bekannt. Ver- hen, wenn ich nicht folgerichtig und leicht verständlich spreche. Es wunderlich wäre es jedoch nicht, da er ein ausgewiesener Experte in ist nicht gut, eine Technik einfach nur Schritt für Schritt in der Praxis pädagogischen Fragen war (vgl. Anmerkung 3). zu zeigen. Mitunter muss man etwas anschreiben oder erklären. Das Verstehen ist ein anderes, wenn ich die Technik nicht nur vorführe, Auf der anderen Seite sollten die Schüler - was einer Revolution in sondern sie währenddessen auch erläutere. Aber deutlich und klar den Kampfkünsten gleichkam - nicht nur Fragen beantworten, son- sprechen zu können, hat sehr viele Vorteile, ob man nun nach Punk- dern auch die Möglichkeit haben, ihren Lehrern Fragen aller Art zu ten fragt, die man nicht versteht, oder diese gegenseitig gründlich stellen, die diese dann zu beantworten hatten. erörtert. Deshalb achtet man beim Jūdōtraining darauf, folgerichtig und einleuchtend zu sprechen“ (zitiert aus Niehaus 2003, S. 345, s.a. Vielfältige Bedeutung der verbalen Instruktion Anmerkung 2). Die Lernenden waren also permanent aufgefordert, sich ihre eigenen Gedanken zu machen und im wahrsten Sinne des Wortes Jūdō zu In dieser Passage bezog sich KANō zunächst nur auf die Effizienz der Vermittlung von Techniken, jedoch war Jūdō für ihn nicht nur eine studieren. Aber nicht nur das Erlernen der Techniken sollte durch körperliche Aktivität, sondern auch ein System geistiger Schulung. In Kōgi und Mondō verbessert werden. Einer der wesentlichen Ziele des seinen diesbezüglichen Erläuterungen zum Wert des Jūdō für die Ent- Kōdōkan lag schließlich von Beginn an in der geistig-moralisch-in- wicklung des Intellekts betonte er im selben Vortrag noch ergänzend, tellektuellen Schulung, deren Bedeutung KANō immer wieder bekräf- dass durch Jūdō die Fähigkeit, sich sprachlich auszudrücken, verbes- tigte. sert würde. Prägnant ist die auf das obige Zitat unmittelbar folgende

26 der budoka 3/2011 KANō war sich darüber bewusst, dass Praxis im Dōjō alleine keinen Verbreitung der Lehre durch Schrifttum Automatismus beinhaltet, diese geistigen Ziele des Jūdō mit den Schülern zu erreichen. Von daher nahmen Verhaltensregeln außer- JIGORō KANō war aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit und seiner halb des Dōjō, Ernährungsgewohnheiten, gute und schlechte Manie- zahlreichen Ehrenämter sehr viel innerhalb Japans und auch im Aus- ren, Umgang mit anderen Menschen usw. einen breiten Raum inner- land unterwegs. Daher war er oft längere Perioden nicht in Tokyō, so halb von Kōgi und Mondō ein. In der heutigen Sprache würde man dass andere seine Lehrverpflichtungen übernehmen mussten. Außer- sagen, dass Kōgi und Mondō die Hauptsäulen der Wertevermittlung dem verbreitete sich Jūdō ab Ende der 1890er Jahre rasch innerhalb durch Jūdō waren. Japans, so dass KANō sich veranlasst sah, seine Lehren in zahlreichen Aufsätzen niederzuschreiben. Der ideale Jūdō-Lehrer JIGORō KANō hat auf diese Weise mehrere Hundert Artikel zu allen Um KANōs Anspruch an das Kōdōkan-Jūdō einzulösen, ein System möglichen Fragen von Jūdō und Erziehung, aber auch über Politik, zu einer umfassenden Persönlichkeitsentwicklung in körperlicher wie Alltag und Gesellschaft hinterlassen. Die Sammlung seiner kom- geistiger Hinsicht zu sein, bedurfte es entsprechend professioneller pletten Schriften umfasst mehrere tausend Seiten und ist auf japa- Jūdō-Lehrer, für deren Aus- und Weiterbildung sich KANō zeitlebens nisch seit einigen Jahren als Sammelband erhältlich. Erstaunlich we- engagierte. In einem berühmten und sehr eindringlichen Zitat mahnte nig findet sich übrigens von ihm über einzelne Techniken oder Kata er an, dass praktische Fähigkeiten alleine keinen idealen Jūdō-Lehrer des Jūdō. Auch hat er nur ein einziges Jūdō-Buch geschrieben – und ausmachen: das erst als ca. 70-Jähriger. „Der ideale Jūdō-Lehrer benötigt folgende Eigenschaften. Er Muss Die Zeitschriften litten immer wieder unter finanziellen Schwierig- Angriffs- und Verteidigungstechniken mit Hingabe trainiert haben. keiten, was KANō aber nicht davon abhalten konnte, bei Problemen Er muss selbstverständlich die waffenlosen Techniken beherrschen, stets neue Anläufe zur Finanzierung zu nehmen. Dies ist auch als aber auch Fertigkeiten mit dem Langstock und dem Schwert besit- Indiz dafür zu sehen, welche Bedeutung KANō der öffentlichen Ver- zen. Weiterhin besitzt er Kenntnisse über die Theorie des Kampfes breitung der theoretischen Aspekte des Jūdō beimaß - was einen wei- und gleichzeitig das Wissen, das er als Leibeserzieher benötigt, sowie teren gravierenden Unterschied zu den traditionellen Jūjutsu-Schulen Fertigkeiten in der Methode der Leibeserziehung. Als Erzieher hat deutlich macht. er fundierte Kenntnisse in der Moralerziehung (...) Überdies besitzt er tiefes Wissen über die Anwendung der Jūdō-Prinzipien im gesell- Ein konkretes Beispiel: Seminare für Hochgraduierte schaftlichen Leben. Ein Mensch, der diese verschiedenen Gebiete KIYOICHI TAKAGI (9. Dan) beschrieb im Jahr 1957 seine Erinnerungen beherrscht, ist ein besonders herausragender Pädagoge“ (zitiert aus an einen Unterricht mit JIGORō KANō. Seine Erinnerungen sollen zum Niehaus 2003, S. 222). Abschluss der Abhandlungen über die Methoden des Kōdōkan-Jūdō In dieser Passage wird sehr deutlich, dass dem Jūdō-Lehrer erzie- aus dem Band 2 der „Wurftechniken des Kōdōkan-Jūdō“ von TOSHIRō herische Aufgaben zukommen, die weit über das engere Vermitteln DAIGO (10. Dan) zitiert werden. von Fertigkeiten des Kämpfens hinaus gehen. Um diesen Aufgaben „Kanō-shihan hat in den ein, zwei Jahren vor seinem Tod häufig in gewachsen zu sein, benötigt er neben praktischem Können auch eine dem Forschungs-Dōjō im dritten Stock Technik-Seminare der Hoch- solide theoretische und methodisch-didaktische Ausbildung, für die graduierten durchgeführt. Wenn der Shihan selbst daran teilgenom- KANō in seiner Eigenschaft als Direktor der Höheren Lehrerbildun- men hat, hatten wir immer Angst davor, dass er sagte »So, irgend- ganstalt in Tokyō sorgte. Dort richtete er zum Beispiel dreijährige jemand erklärt jetzt irgendeine Technik!« aber zugleich waren wir Studiengänge für Jūdō-Lehrer ein, die teilweise auch im Dōjō des dann auch sehr glücklich. Denn dann stellten wir uns vor, wie es war, Kōdōkan durchgeführt wurden. Darüber hinaus setzte sich KANō auch als der Shihan jung war und er die von Kindheit an bei ihm trainie- für eine angemessene Bezahlung der Jūdō-Lehrer ein. renden Tomita und Saigo zusammengerufen und er sich intensiv um sie bemüht und mit ihnen studiert hatte.

JIGORō KANō demonstriert und erläutert eine Technik am Kōdōkan. Man sieht sehr schön, dass seine rechte Hand nicht am Ärmel gegriffen hat, sondern er mit dem Zeigefinger zum wich- tigen „Knackpunkt“ - mutmaß- lich der Gleichgewichtsbruch nach hinten über die Ferse - deu- tet. Der Blick ist zu den Schülern gerichtet. Vielen Schilderungen zu Folge war KANō ein Meister der Verbindung von mündlicher Erklärung und praktischer Demonstration.

Es gibt nur sehr wenige Aufnah- men von JIGORō KANō, die ihn in einem Jūdōgi zeigen. Er selbst bevorzugte im Dōjō traditionelle japanische Kleidung wie sie auf dem Bild zu sehen ist.

der budoka 3/2011 27 Obwohl sich die Zeiten mittlerweile geändert hatten, war aufgrund Persönliche Anmerkungen des langen Lebens des Shihans erneut eine solche Gelegenheit ge- kommen und selbst Leute wie ich und andere konnten daran teilneh- (1) Die Beschreibung der Szene findet sich u.a. in B. WATSONS „Jūdō- men, wodurch wir eine außerordentliche Freude, zugleich aber auch Memoires of JIGORō KANō“ (siehe Literatur) unter der Überschrift eine enorme Verantwortung, die damit verbunden war, spürten. „Pain is a good teacher“. Eines Abends forderte der Shihan mich auf: »Takagi, Du erklärst (2) Im Zitat wurde der vom Übersetzer gewählte Begriff „Form“ jetzt Hiza-guruma!« Da dies meine Spezialtechnik war, bin ich in die durch „Technik“ bzw. „Kata“ ersetzt. Mitte des Dōjō gegangen und habe gesagt ...“ (3) JIGORō KANō war über zwei Jahrzehnte lang Direktor der Höheren Lehrerbildungsanstalt in Tokyō, die für die Ausbildung von Mittel- Im weiteren Verlauf des Textes schildert TAKAGI seine damaligen Er- läuterungen zum Hiza-guruma und vor allem die Korrekturen und schullehrern verantwortlich war. Damit war er ein ausgewiesener Ex- perte in pädagogischen und methodisch-didaktischen Fragen. Hinweise, die er von JIGORō KANō erhielt. An dieser kurzen Passage wird in wunderbarer Weise deutlich, dass (4) Die wichtigsten Zeitschriften, in denen KANō publizierte, waren „Kokushi“, „Jūdō“, „Sakkō “ und „Yūkō-no-Katsudō“. Herausge- KANō seine Rolle als Lehrer nicht automatisch als „Top-down“-Ver- mittler gesehen hat. Er hat in diesem Beispiel erst den Schüler erklä- ber waren jeweils von KANō gegründete Vereinigungen und Gesell- ren lassen und dann eingegriffen und ergänzt - mit heutigem Sprach- schaften, die eng mit dem Kōdōkan verbunden waren. gebrauch „dort abgeholt, wo er war“. (5) Die Beschreibung von Jūdō-Techniken in diesen Magazinen oder Zusammenfassung: Kōdōkan-Methode(n) im Überblick in Büchern erfolgten in erster Linie durch hochgraduierte Meister des Kōdōkan, wie z.B. Y. YAMASHITA, H. NAGAOKA oder H. ISOGAI - dies Die gleichzeitige Vermittlung von Theorie und Praxis für alle Schüler waren die drei ersten Träger des 10. Dan in der Jūdō-Geschichte - und von Anfang an durch einen Mix von Methoden der praktischen Übung anderen. (Kata, Randori) und der verbalen Instruktion (Kōgi, Mondō) ist einer der großen Schritte vom traditionellen Jūjutsu zum Kōdōkan-Jūdō. (6) JIGORō KANōs Vorstellungen vom Jūdō-Unterricht waren sehr Theoretische Kenntnisse sollten nicht mehr nur einem kleinen Kreis idealistisch und man darf nicht den Fehler machen, zu glauben, dass von Meistern vorbehalten und „geheim“ bleiben, sondern allgemein dies alles wie beschrieben umgesetzt wurde. Im Gegenteil: In KANōs zugänglich sein. Schriften finden sich auch reichlich kritische Äußerungen zur (da- mals) aktuellen Situation - was ihn aber nicht davon abgehalten hat, Da Kōdōkan-Jūdō ein System zur körperlichen und geistigen Schu- an seinen Visionen und Idealen festzuhalten. lung sein sollte, musste es darüber hinaus auch Methoden geben, die diesen Anspruch einlösen konnten. Verbale Instruktion war auch aus Literatur (Auswahl) diesem Grund unerlässlich. Dargestellt in einer Matrix wird das Me- thodenkonzept KANōs deutlich: BENNETT, ALEX: Jigorō Kanō and the Kōdōkan - an innovative Response to Modernisation, Kōdōkan Jūdō Institute, 2009 „gebunden“ „frei“ DAIGO, TOSHIRō: Wurftechniken des Kōdōkan Jūdō, Band 1, Verlag Dieter Born, 2009 Praxis Kata Randori DAIGO, TOSHIRō: Wurftechniken des Kōdōkan Jūdō, Band 2, Verlag Dieter Theorie Kōgi (Vortrag) Mondō (Dialog) Born, in Vorbereitung

KANō, JIGORō: Kōdōkan Jūdō, Verlag Dieter Born, 2007 Wichtig: So wie Kata und Randori ein Spektrum von praktischen NIEHAUS, ANDREAS: Leben und Werk Kanō Jigorōs (1860-1938), Ergon-Verlag, Übungsformen charakterisieren, beschreiben Kōgi und Mondō ein 2003 Spektrum von Kommunikationsformen bei der mündlichen Unter- weisung. Sinnvolle Zwischenformen sind jederzeit möglich. WATSON, BRIAN N.: Jūdō Memoires of Jigorō Kanō, Trafford-Verlag, 2008 Ein wesentliches Element des Unterrichts ist nach dem Konzept KANōs die Eigenaktivität der Lernenden, die immer wieder durch den Lehrer angeregt werden soll.

JIGORō KANō 1933 in Berlin: Er gibt deutschen Übenden einige Erläuterungen zum Jūdō (aus KANō, JIGORō: Kōdōkan Jūdō, Verlag Dieter Born, 2007)

28 der budoka 3/2011 Grundwissen der Geschichte des Kōdōkan-Jūdō in Japan

von Wolfgang Dax-Romswinkel

Teil 10: Die Entwicklung der Nage-waza des Kōdōkan-Jūdō

Einleitung - Der günstigste Moment anzugreifen ist der, wenn der Gegner für einen kurzen Moment sein Gleichgewicht nicht vollständig kontrol- Diese und die kommenden zwei Folgen unserer Reihe beschäftigen lieren kann. sich mit der Entwicklung und Systematisierung des technischen Re- - Der Gegner ist umso leichter zu werfen, je kleiner die Fläche ist, auf pertoires des Kōdōkan-Jūdō, namentlich mit den drei großen Tech- der sein Gewicht ruht. nikgruppen Nage-waza (Wurftechniken), Katame-waza (Halte-/ - In unterschiedlichen Stadien der Gewichtsverlagerung beim Gehen - Hebel-/Würgetechniken) und Atemi-waza (Schlag-/Stoß-/Tritttech- also bei Bewegungen des Schwerpunkts des Gegners - ergeben sich niken), die jeweils bereits in den traditionellen Jūjutsu-Stilen (Koryū- Chancen, dessen Gleichgewichtskontrolle zu stören. Jūjutsu) existierten. - Das Gleichgewicht kann am leichtesten in die Richtung gebrochen JIGORō KANō und - was nicht vergessen werden darf - hervorste- werden, in die sich der Gegner selbst bewegt oder in die er zieht oder chende Schüler wie Y. YAMASHITA, H. NAGAOKA u.v.a. - haben die schiebt. Wurftechniken des traditionellen Jūjutsu systematisch untersucht, - Durch Ziehen/Schieben/Drücken des Gegners lassen sich Reakti- verfeinert und daraus die Wurftechniken des Kōdōkan-Jūdō geformt. onen provozieren, die dann zu einem Gleichgewichtsbruch ausge- Viele Techniken wurden von den alten Schulen in modifizierter Form nutzt werden können. übernommen, einige wurden fallen gelassen, andere von Grund auf - Das Gleichgewicht kann auf die beiden zuvor beschriebenen Wei- neu entwickelt. sen in alle Richtungen - er selbst definierte mit dem Happō-no-Kuzu- shi-System acht Richtungen - gebrochen werden. Grundlegende Theorie der Kōdōkan-Wurftechniken - Durch systematische Ausnutzung der Hebelgesetze lässt sich große Kraft mit kleiner Kraft kontrollieren und überwinden. Wie schon in Folge 5 zu den technischen Prinzipien des Kōdōkan- Jūdō ausführlich erläutert, war die Entdeckung und Untersuchung Ausdifferenzierung und Verfeinerung der Wurftechniken des Kuzushi als entscheidender Teil der Wurfvorbereitung (Tsukuri) der wichtigste Meilenstein bei der Verfeinerung der Wurftechniken. Einen kleinen Einblick in die damaligen Prozesse der Technikent- J. KANō hat eine Theorie des Werfens entwickelt, die zusammenfas- wicklung gibt uns JIGORō KANō selbst. Befragt wurde er von Kazuzō send durch folgende Leitsätze charakterisiert werden kann: KUDō (später 9. Dan), der den Inhalt des Gesprächs auch niederge- schrieben und 1930 veröffentlicht hat.

KANō: »Als ich selbst früher Tenjin Shin’yō-ryū und Kitō-ryū gelernt habe, habe ich beim Randori in der Praxis solche Sachen gemacht wie den Partner durch Fegen mit dem Fuß umzuwerfen.«

KUDō: »Sensei, welches war denn dann die erste Fußtechnik (Ashi- waza), die Sie entwickelt haben? War das De-ashi-harai?«

KANō: »De-ashi-harai, Ko-soto-gari und Sasae-tsurikomi-ashi waren zusammen als erstes da.«

KUDō: »Kann man also auch sagen, dass De-ashi-harai die allererste Technik war?«

KANō: »Nein – wenn ich sage, dass De-ashi-harai, Ko-soto-gari und Sasae-tsurikomi-ashi zusammen als erstes da waren, muss ich hierzu wohl noch beträchtliche Erklärungen machen, da es sonst nicht zu verstehen ist. Wie eben schon erzählt, habe ich früher, als ich selbst Tenjin Shin’yō-ryū und Kitō-ryū gelernt habe, in dem Moment, wo sich der Partner nicht mehr in einem stabilen Zustand befand, mit dem Fuß gefegt und ihn so umgeworfen. Auch der Sensei des Dōjō hatte das so gemacht. Aber nach und nach, je länger ich trainierte, habe ich mir den Kopf darüber zerbrochen, ob denn nicht irgendein Prinzip dahinter stecken könne. Dabei habe ich erkannt, dass im Randori dann, wenn man den Partner schiebt oder zieht, in dem Moment, wo sich der Körperschwerpunkt des Partners beginnt von einem Fuß auf den anderen zu verlagern, dadurch, dass man diesen Fuß fegt oder sichelt, der Partner ziemlich einfach umgeworfen wer- den kann. Des Weiteren: wenn man diesen Fuß blockiert und in die entgegen gesetzte Richtung zieht, kann der Partner leicht aus dem Gleichgewicht gebracht und umgeworfen werden. (...) Auf diese Wei- se habe ich De-ashi-harai, Ko-soto-gari und Sasae-tsurikomi-ashi, ohne diese Techniken so wie heute üblich zu unterscheiden, einfach Jūdōgi in der Meiji-Zeit: Trainingsszene um die Jahrhundertwende in entsprechend der jeweiligen Situation abgeändert und angewendet. Kyōto. Man trainierte in Jacken mit kurzen Ärmeln und kurzen Hosen. (aus DAIGO, TOSHIRO: Wurftechniken des Kōdōkan-Jūdō, Band 2, in Schön zu erkennen ist auch die Einheitsgröße der Jacken. (Quelle: Bildar- Vorbereitung) chiv Dieter Born)

28 der budoka 4/2011 Die besagten Wurftechniken, so wie wir sie heute unterscheiden, entstanden demnach durch situationsgerechte Anpassung von rela- tiv einfachen und pragmatischen Wurfideen, die - wie der Hinweis auf den Sensei und die Abbildungen rechts deutlich machen - auch vorher schon bekannt waren. Die Anwendungssituationen wurden analysiert, die Techniken daraufhin verfeinert, und dabei gewonnene Erkenntnisse flossen wieder in die Theoriebildung zurück. So ergab sich eine Wechselwirkung zwischen praktischer Erprobung und der Entwicklung theoretischer Ideen, was KANō übrigens bereits 1889 darstellte. Diesem Prozess maß er sogar explizit einen hohen Wert bei der Ausbildung des Verstandes durch Jūdō bei (vgl. Folge 4: Ziele des Kōdōkan-Jūdō in den Gründungsjahren). Wenn also im Rahmen derartiger Überlegungen und Studien im De- tail ein etwas anderes Wurfprinzip erkannt wurde, führte dies zu ei- ner Ausdifferenzierung von Ursprungstechniken in unterschiedliche „neue“ Techniken, die dann auch einen neuen Namen erhielten. So entwickelten sich z.B. aus einem allgemeinen „Ashi-harai“, eine Bezeichnung, die in älteren Texten häufig auftaucht, die Techniken De-ashi-harai, Okuri-ashi-harai und Harai-tsurikomi-ashi. Die Aus- differenzierung der Hüftwürfe oder der Yoko-sutemi-waza sind wei- tere Beispiele. Ashi-waza „De-ashi-harai, Ko-soto- Erste systematische Einteilung der Wurftechniken gari und Sasae-tsuri-komi- Schon in seinem berühmten und häufiger erwähnten Vortrag von ashi waren zusammen als erstes da“: Diese Aussage 1889 stellte JIGORō KANō eine Einteilung der Wurftechniken vor. KANōS wird nachvoll- „... es gibt so viele Würfe, dass ich nicht alle erklären kann. Nimmt ziehbar, wenn man diese beiden Techniken aus der man der Zweckmäßigkeit halber eine Unterscheidung vor, kann man Tenjin Shin’yō-ryū (veröf- wohl fünf Arten unterscheiden. fentlicht 1896) anschaut. Grundsätzlich waren Bei den Handwürfen setzt man hauptsächlich die Hände ein, bei den Techniken, bei denen Hüftwürfen die Hüfte, bei den Fußwürfen die Füße. Bei den wahren Tori mit seinem linken Rückfallwürfen wirft man, indem man sich direkt nach hinten fallen Fuß Ukes rechten Fuß lässt. Bei den Seitrückfallwürfen wirft man, indem man sich seitlich von außen her angreift, fallen lässt.“ (NIEHAUS 2003, S. 284) bekannt - jedoch wurden nach KANōS Aussage erst Bemerkenswert: Bereits sieben Jahre nach Gründung des Kōdōkan später durch Variation ist die heute noch gültige Einteilung der Wurftechniken in Te-waza, des Angriffszeitpunkts und der Wurfrichtung die Koshi-waza, Ashi-waza, Ma-sutemi-waza und Yoko-sutemi-waza do- heutige Differenzierung kumentiert! der Ashi-waza erarbeitet.

Gokyō-no-waza von 1895 (Bild oben: DAIGO Bd. 1 2009, Bild unten: DAIGO Bd. 2, 2011 i.V.) Bereits in den ersten Jahren des Kōdōkan war das Repertoire an Wurf- techniken im Vergleich zu den meisten traditionellen Jūjutsu-Schulen beachtlich. Die hinter dieser Vielfalt stehende kreative Leistung kann nur als enorm bezeichnet werden. Da auch die Mitgliederzahlen ge- gen Ende des 19. Jahrhunderts stark anstiegen, gab es zunehmend die 4. Stufe (10 Techniken): Uki-otoshi, Uki-waza, Daki-wakare, Kata- Notwendigkeit, über eine systematische Vermittlung der Wurftech- guruma, Hikikomi-gaeshi, Soto-maki-komi, Tsuri-goshi, Utsuri-go- niken nachzudenken. shi, Ō-soto-otoshi, Tawara-gaeshi Als Ergebnis dieser Überlegungen wurden 1895, nur 13 Jahre nach 5. Stufe (11 Techniken): Yoko-guruma, Yoko-wakare, Uchi-maki- Gründung des Kōdōkan, 42 Wurftechniken als „Gokyō-no-waza“ komi, Ko-uchi-gari, Ashi-guruma, Seoi-otoshi, Yoko-gake, Harai- - wörtlich: go=fünf Kyō=(Lehr-)Stufen no-waza=der Techniken tsuri-komi-ashi, Yama-arashi, Ō-soto-guruma, Tsuri-komi-goshi - zusammengestellt. Während die bisherige Einteilung in Te-Waza, Im Gegensatz zur heute gültigen Gokyō-no-waza, die das Ergebnis Ashi-waza usw. der Funktionsweise der Techniken folgte, war der einer Überarbeitung im Jahr 1920 ist (s.u.), ist die Anzahl der Tech- Grundgedanke der Gokyō-no-waza ein methodisch-didaktischer. Die niken in den einzelnen Stufen unterschiedlich und in jeder Gruppe Wurftechniken sollten demnach ungefähr in der Reihenfolge unter- befindet sich mindestens eine Te-, Koshi-, Ashi- und Sutemi-waza. richtet werden, wie sie in der Gokyō-no-waza aufgeführt waren. Nach welchen Gesichtspunkten tatsächlich im Detail vorgegangen Veränderte Jūdōgi beeinflussen die Entwicklung der Nage-waza wurde, ist heute nicht mehr bekannt. Als sicher erscheint jedoch, dass Das Randori in der Frühzeit war offensichtlich noch nicht so kon- die Häufigkeit und Bedeutung der Anwendung im Randori ein we- sequent auf Shizen-hontai und den heute üblichen „Ärmel-Kragen- sentlicher Gesichtspunkt war. Griff“ ausgerichtet. Dies wäre so auch gar nicht möglich gewesen, Die Gokyō-no-waza von 1895 bestand aus folgenden Techniken: denn damals trainierte man noch in kurzen Hosen (siehe Bild links auf der gegenüberliegenden Seite) und vor allem in kurzärmligen Ja- 1. Stufe (7 Techniken): Hiza-guruma, Sasae-tsuri-komi-ashi, Uki-go- cken. Die Verlängerung der Ärmel und der Hosenbeine erfolgte erst shi, Tai-otoshi, Ō-soto-gari, De-ashi-harai, Yoko-otoshi kurz nach der Jahrhundertwende um das Jahr 1907, in erster Linie zur Reduktion von Verletzungen (Hautabschürfungen!). 2. Stufe (7 Techniken): Sumi-gaeshi, Ō-goshi, Ko-soto-gari, Koshi- guruma, Seoi-nage, Tomoe-nage, Tani-otoshi Durch die verlängerten Ärmel veränderte sich auch das Randori. Es ergaben sich mehr Gelegenheiten für Ashi-waza und Koshi-waza. 3. Stufe (7 Techniken): Okuri-ashi-harai, Harai-goshi, Ushiro-goshi, Gleichzeitig trat der Griff in den Gürtel und unter der Achsel auf Ura-nage, Uchi-mata, Obi-otoshi, Hane-goshi das Schulterblatt - ähnlich wie bei Sumi-gaeshi und Uki-waza in der Nage-no-Kata - in den Hintergrund.

der budoka 4/2011 29 Revision der Gokyō-no-waza 1920 Außerdem fällt auf, dass Techniken, bei denen der Gürtel gefasst wird (Obi-otoshi, Hiki-komi-gaeshi) und Techniken, bei denen Ukes Die Entwicklung neuer Techniken und die veränderte Bedeutung vie- Oberkörper umschlungen wird (Daki-wakare, Tawara-gaeshi) her- ler „alter“ Techniken im Randori führten zur Einsetzung einer Ar- ausgenommen wurden. Beides deutet ebenfalls auf den veränderten beitsgruppe um Y. YAMASHITA, H. NAGAOKA, K. MIFUNE u.a., die die Randori-Stil mit konsequentem „Ärmel-Kragen-Griff“ und Shizen- Gokyō-no-waza nach nur 25 Jahren einer Revision unterzogen. hontai hin. Als Ergebnis wurden acht Techniken aus der Gokyō-no-waza heraus- genommen - nicht aber aus dem technischen Repertorie des Kōdōkan Bedeutung der Gokyō-no-waza - und sechs neue Techniken eingeführt. Die „neue“ Gokyō-no-waza Die Wurftechniken sollen gemäß Kōdōkan nach wie vor ungefähr in ist bis heute, also seit über 90 Jahren (!) gültig und besteht aus fol- der Reihenfolge unterrichtet werden, wie sie in der Gokyō-no-waza genden Techniken: aufgeführt sind. Ungefähr heißt aber nicht strikt, wie es oft im Wes- 1. Stufe: De-ashi-harai, Hiza-guruma, Sasae-tsuri-komi-ashi, Uki- ten verstanden wurde, und so gibt auch es keinerlei Anzeichen dafür, goshi, Ō-soto-gari, Ō-goshi, Ō-uchi-gari, Seoi-nage dass in Japan jemals besonders streng nach der Gokyō-no-waza unter- richtet worden wäre (zu dieser Diskussion siehe Anmerkung 5). Auch 2. Stufe: Ko-soto-gari, Ko-uchi-gari, Koshi-guruma, Tsuri-komi-go- ist die Gokyō-no-waza in Japan im Gegensatz zum Westen zu keinem shi, Okuri-ashi-harai, Tai-otoshi, Harai-goshi, Uchi-mata Zeitpunkt Grundlage für Kyu- oder Dan-Prüfungen gewesen. 3. Stufe: Ko-soto-gake, Tsuri-goshi, Yoko-otoshi, Ashi-guruma, Insofern kann man nur festhalten, dass als Folge der Entwicklungen Hane-goshi, Harai-tsuri-komi-ashi, Tomoe-nage, Kata-guruma im Randori die Ashi-waza und Koshi-waza populärer wurden und da- 4. Stufe: Sumi-gaeshi, Tani-otoshi, Hane-maki-komi, Sukui-nage, her vorwiegend in den unteren Stufen der Gokyō zu finden sind, wäh- Utsuri-goshi, Ō-guruma, Soto-maki-komi, Uki-otoshi rend Sutemi-waza ausschließlich in den höheren Stufen vorkommen. Die Te-waza sind relativ gleichmäßig über die Stufen verteilt. 5. Stufe: Ō-soto-guruma, Uki-waza, Yoko-wakare, Yoko-guruma, Ushiro-goshi, Ura-nage, Sumi-otoshi, Yoko-gake Ein weiterer Grund für die vielen Ashi-waza in den drei ersten Stufen dürfte die überragende Bedeutung der Ashi-waza für das Kōdōkan- Es ergaben sich im Einzelnen folgende Veränderungen: Jūdō und deren sehr verfeinerte Differenzierung sein.

1920 herausgenommene Techniken 1920 zugefügte Techniken Nage-waza, die nicht in der Gokyō-no-waza enthalten sind Obi-otoshi Ō-uchi-gari Neben den Wurftechniken, die in der Gokyō-no-waza aufgeführt wa- Daki-wakare Ko-soto-gake ren, gab es immer auch weitere Techniken „außerhalb“ der Gokyō- Hiki-komi-gaeshi Hane-maki-komi no-waza, z.B. die acht im Jahr 1920 herausgenommenen Techniken Ō-soto-otoshi Sukui-nage (jap: Habukareta-waza). Die Namen der weiteren Techniken existier- Tawara-gaeshi Ō-guruma ten zumeist „informell“ und erst im Jahr 1954 wurde eine Kommis- Uchi-maki-komi Sumi-otoshi sion eingesetzt, um offizielle Namen festzulegen. Diese veröffentlich- Seoi-otoshi te im Jahr 1982 eine Liste von 17 neu benannten Techniken (jap. Yama-arashi Shinmeishō-no-waza), die im Jahr 1997 noch um zwei Techniken Vergleicht man die Anordnung der Techniken in den fünf Stufen, ergänzt wurde. stellt man eine Verlagerung der Ashi- und Koshi-waza in die nied- Alles in allem führt der Kōdōkan derzeit 67 festgelegte Namen von rigen Stufen und der Sutemi-waza in die höheren Stufen fest. Dies Wurftechniken (neben zahlreichen „gebräuchlichen“ Spitznamen). korrespondiert mit der gewachsenen Bedeutung der Ashi- und der Koshi-waza durch die verlängerten Jackenärmel. Persönliche Anmerkungen:

Besonders deutlich wird diese Entwicklung am Beispiel der Innen- (1) Für JIGORō KANō waren die Nage-waza gegenüber den Katame- sicheln sichtbar: Ō-uchi-gari wurde als neue Technik gleich in die und den Atemi-waza von besonderer Bedeutung. Dies erklärte er u.a. 1. Stufe aufgenommen und Ko-uchi-gari von der 5. Stufe in die 2. damit, dass bei der Ausführung von Wurftechniken der ganze Körper Stufe nach vorne versetzt. Die relativ späte Popularisierung der In- intensiver beteiligt sei als bei den anderen Techniken, so dass ihnen nensicheln ist übrigens einer der Gründe dafür, warum der Kōdōkan aus Sicht der Leibesertüchtigung ein höherer Wert zugesprochen trotz einer späteren sehr feinen Ausdifferenzierung dieser Techniken, werden könne. Von daher erklärt sich auch, dass die Entwicklung und keine neuen Namen für Varianten mit unterschiedlichen Wurfprin- Systematisierung der Wurftechniken konsequenter und umfassender zipien festgelegt hat. erfolgte als die der übrigen Techniken.

Umklammerungen und Seoi-otoshi (1920 herausge- Greifen des Gürtels: nommen): Spezialtechnik (und persönliche Variante) Bis Anfang des 20. Jahr- von M. NANMA („Nanma- hunderts kam das Umklam- otoshi“), veröffentlicht von mern des Gegners und das I. HAJIME 1909, entnommen Greifen des Gürtels zum aus DAIGO 2009, Bd. 1 Werfen aufgrund der kurz- ärmligen Jacken häufiger vor als später, als die Ärmel verlängert wurden. Die Bilder zeigen Beispiele zu Varianten von Seoi-otoshi, Ushiro-goshi, Obi-otoshi, Tawara-gaeshi und Sumi- gaeshi. Sofern diese in der Gokyō-no-waza von 1895 enthaltenen Techniken 1920 nicht herausgenommen Ushiro-goshi (1920 von der 3. in die 5. Stufe wurden, befinden sie sich versetzt): Diese Technik wurde früher oft aus seitdem durchweg in den einer beidarmigen Umklammerung von hinten höheren Stufen. beschrieben. Das Bild wurde ebenfalls von I HAJIME 1909 veröffentlicht und aus DAIGO 2009, Bd. 1 entnommen.

30 der budoka 4/2011 (2) Die Vorgehensweise bei der Verfeinerung der Nage-waza war für zu rekonstruieren. So lassen sich zwar verschiedene interessante Auf- die Kampfkünste geradezu revolutionär: nicht die Überlieferung der fälligkeiten feststellen, deren Historizität jedoch letztlich nur vermu- Schule wurde zum alleinigen Maßstab der Lehre, sondern auch die Er- ten. Was bleibt ist die gar nicht so überraschende Erkenntnis, dass gebnisse eigener systematischer Untersuchungen nach durchaus wis- die Gokyō-no-waza das zu sein scheint, was der Kōdōkan noch heute senschaftlicher Vorgehensweise. Bemerkenswert dabei ist vor allem, darüber sagt: eine Richtlinie über die ungefähre Reihenfolge der Ver- dass JIGORō KANō seine Schüler immer wieder aufforderte, eigene mittlung der Wurftechniken. Studien anzustellen um Fortschritte zu machen. Dies korrespondiert sehr stark mit dem Ziel der Förderung des Intellekts durch Jūdō. (6) Der Umstand, dass in Japan bereits vor dem zweiten Weltkrieg zahlreiche Technikbezeichnungen „informell“ existierten - darunter (3) Obwohl das Spektrum der Wurftechniken bereits in der Frühzeit auch Bezeichnungen aus alten Jūjutsu-Stilen - führte dazu, dass mit des Kōdōkan ausgesprochen vielfältig war, nahmen die Ashi-waza den ersten japanischen Jūdō- und Jūjutsu-Lehrern (z.B. M. KAWAISHI) eine besondere Rolle ein. Sie waren bei den traditionellen Jūjutsu- auch diese Techniknamen in den Westen gelangten und sich hier ein- Schulen als „Füße des Kōdōkan“ besonders gefürchtet und waren ein bürgerten. Weil der Kōdōkan zwischen 1920 und 1982 keine weiteren Markenzeichen der Kōdōkan-Kämpfer in den damaligen Kämpfen Namen offiziell festgelegt hatte, ergaben sich logischerweise nach der zwischen Vertretern des Kōdōkan und anderer (Jūjutsu-)Schulen. Festlegung der Shinmeishō-no-waza im Jahr 1982 Diskrepanzen zu jahrzehntelang im Westen üblichen Bezeichnungen, was auch heute (4) Die überarbeite Gokyō-no-waza von 1920 wird in Deutschland noch regelmäßig zu Verunsicherungen. oft als „Gokyō-no-kaisetsu“ bezeichnet. Dem liegt ein sprachlicher Fehler zu Grunde. Kaisetsu heißt Erläuterung, Gokyō-no-kaisetsu ist Da die Jūdō-Welt im Zuge der Globalisierung (Internet, fremdspra- damit als „Erläuterung der fünf Stufen“ zu übersetzen. Genau das ist chige Bücher/DVDs, Übersetzungen usw.) international immer mehr der Titel zahlreicher Aufsätze in Japan, in denen die Gokyō-no-waza zusammenwächst, plädiert der Verfasser im Interesse einer allgemei- erläutert wurden. Irgendwann wurde wohl fälschlich der Titel dieser nen Klarheit für eine baldige Übernahme der offiziellen Kōdōkan-Be- Aufsätze mit der Zusammenstellung der Techniken verwechselt und zeichnungen in allen Dokumenten der nationalen und internationalen fortan so verbreitet. Verbände. (5) Die Gründe und die Bedeutung der Reihenfolge der Techniken Literatur (Auswahl) in der Gokyō-no-waza von 1920 ist in Jūdō-Kreisen höchst umstrit- Gerade wenn es um die Geschichte der Nage-waza geht, kommt man an dem ten. Während es Gruppierungen gibt, die hinter der Anordnung der Jahrhundertwerk „Wurftechniken des Kōdōkan-Jūdō“ von TOSHIRō DAIGO, 10 Techniken ein ausgefeiltes methodisches Konzept sehen und auch Dan, nicht vorbei. Was hier nur zusammenfassend angerissen werden konnte, verschiedene Theorien dazu anbieten, gibt es Autoren, die die Zu- findet sich in den Bänden der Trilogie für praktisch jede Technik einzeln in sammenstellung der Gokyō-no-waza im Gegenteil als vollkommen Wort und Bild anschaulich dargestellt. willkürlich ohne jeden methodischen Hintergrund betrachten. BENNETT, ALEX: Jigorō Kanō and the Kōdōkan - an innovative Response to Modernisation, Kōdōkan Jūdō Institute, 2009 Aus Sicht des Verfassers sind beide Extrempositionen nicht haltbar. DAIGO, TOSHIRō: Wurftechniken des Kōdōkan Jūdō, Band 1, Verlag Dieter Zum einen finden sich in der Literatur keinerlei tiefer gehende Be- Born, 2009 gründungen zur Anordnung der Techniken und selbst KANō hielt sich DAIGO, TOSHIRō: Wurftechniken des Kōdōkan Jūdō, Band 2, Verlag Dieter z.B. in seinen Unterrichtsempfehlungen für die Mittelschulen nicht Born, 2011 (in Vorbereitung) an Reihenfolge und Gruppenzuordnung. Dies spricht gegen eine zu- KANō, JIGORō: Kōdōkan Jūdō, Verlag Dieter Born, 2007 grunde liegende (Lehr-)Methode. NIEHAUS, ANDREAS: Leben und Werk Kanō Jigorōs (1860-1938), Ergon-Verlag, Des Weiteren sind solche Meinungen problematisch, die eine Anord- 2003 nung der Techniken nach „Schwierigskeitsgrad“ - sei es der Wurfaus- WATSON, BRIAN N.: Jūdō Memoires of Jigorō Kanō, Trafford-Verlag, 2008 führung selbst oder der Fallübungen von Uke - sehen. Einer ganzen Reihe von einleuchtenden Beispielen stehen stets auch Gegenbei- spiele gegenüber. Andererseits gibt es so viele methodische Aspekte, Sumi-gaeshi (1920 von die man nach eingehender Beschäftigung - wenn auch in Ermange- der 2. in die 4. Stufe lung von historischen Quellen nur spekulativ - aus der Anordnung der versetzt): Die Zeichnung Techniken herauslesen kann, so dass von einer willkürlichen Zusam- aus dem Jahr 1915 zeigt die Ausgangssituation für menstellung kaum die Rede sein kann. Sumi-gaeshi in der Nage- Letztlich begibt man sich aber immer in das Reich der Spekulationen, no-Kata und stammt aus der ältesten bekannten wenn man versucht, ohne verlässliche Quellen - und die gibt es nun Beschreibung dieser einmal nicht - eine Begründung für die damals festgelegte Anordnung Kata überhaupt (von Y. YAMASHITA, H. NAGAOKA, K. MURAKAMI)

W Obi-otoshi (1920 herausgenommen): Das Bild zeigt Y. YAMASHITA um 1904 in den USA (Quel- le: Y. YAMASHITA Photograph Album (PH 006). Special Collections and University Archives, W.E.B. Du Bois Library, University of Massachusetts Amherst). Obi-otoshi war eigentlich gänz- lich aus dem Bewusstsein der meisten Jūdōkas verschwunden, erfährt aber - da sie eine An- griffstechnik der Nage-waza-ura-no-kata ist und auch zu verbindlich zur Prüfung zum 2. Dan demonstriert werden muss - derzeit wieder etwas mehr Aufmerksamkeit.

Tawara-gaeshi (1920 herausgenommen): Das Bild zeigt ebenfalls Y. YAMASHITA um 1904 in den USA (Quelle: Y. YAMASHITA Photograph Album (PH 006). Special Collections and University Archives, W.E.B. Du Bois Library, University of Massachusetts Amherst). Bei der Beurteilung des Bildes muss man sicher beachten, dass aufgrund der damaligen Foto- technik die Aufnahme im wahrsten Sinne des Wortes ein „Standbild“ ist. Tawara-gaeshi wurde später als Konter gegen Morote-gari, der erst später Eingang in die Wurftechniken des Kōdōkan-Jūdō gefunden hat, wieder populär, verschwand aber wieder weitgehend, nachdem aufgrund der Wettkampfregeln meist der Angreifer die Wertung zugesprochen bekam. X

der budoka 4/2011 31 Grundwissen der Geschichte des Kōdōkan-Jūdō in Japan

von Wolfgang Dax-Romswinkel

Teil 11: Die Entwicklung der Katame-waza des Kōdōkan-Jūdō

Einleitung: Katame-waza sind nicht nur Bodentechniken Da im Laufe der Zeit viele Schüler und Lehrer anderer Jūjutsu-Schu- len zum Kōdōkan wechselten, fanden auf diese Weise auch Tech- Neben den Nage-waza und den Atemi-waza sind die Katame-waza niken weiterer Schulen Eingang in das Kōdōkan-Jūdō. (meist mit Griff- bzw. Kontrolltechniken übersetzt) die dritte Tech- nikkategorie des Kōdōkan-Jūdō. Die Katame-waza ihrerseits werden Erläuterungen von JIGORō KANō zu den Katame-waza im Jahr in drei Bereiche unterteilt: 1889 - Osaekomi-waza: (Nieder-)Haltetechniken In dem schon häufiger erwähnten Vortrag von 1889 erläutert JIGORō - Kansetsu-waza: allg. Hebeltechniken, wörtlich „Gelenktechniken“ KANō die Bedeutung von „Katame“. Es - Shime-waza: allg. Würgetechniken (aber Wortstamm von shimeru = zusammenschnüren, d.h. „Würgetechniken“ ist eine bereits ein- „... bedeutet, dem Gegner Schmerzen zuzufügen oder ihn zu töten, schränkende Übersetzung) indem man seine Kehle oder seinen Körper zusammenpresst. Oder es bedeutet, ihm Schmerzen zuzufügen durch das Festhalten oder Zu- Katame-waza werden zumeist mit dem Bodenkampf oder Boden- sammenpressen (...) der Gelenke. Man wendet Techniken an, so dass techniken (Ne-waza) assoziiert. Da aber viele Katame-waza auch im der Gegner nicht aufstehen kann, streckt oder verdreht seine Gelenke Stand angesetzt werden können, was zum Beispiel in der Selbstver- in unnatürlicher Weise und wirft ihn mit Kraft zu Boden“ (NIEHAUS teidigung häufig vorkommt, dürfen sie keinesfalls mit Bodentech- 2003, S. 284). niken gleichgesetzt oder verwechselt werden. Nach diesem allgemeinen Überblick erläuterte KANō die einzelnen Im Stand angesetzte Hebel- und Würgetechniken finden wir vor Bereiche. Die Ausführungen werden im Folgenden in der Reihenfol- allem - aber nicht nur - in Kime-no-kata, Kōdōkan-Goshinjutsu und ge des Vortrags zusammengefasst. Jū-no-Kata jeweils an mehreren Stellen. Shime-waza Tenjin-shin´yō ryū: Quelle der Katame-waza für den jungen JIGORō KANō Die Shime-waza des Kōdōkan sind wie oben in der Übersetzung und in KANōs Zitat schon angedeutet nicht auf das, wie KANō sagt, „Zu- JIGORō KANō hat in seiner Jugend erst das Jūjutsu der Tenjin-shin´yō- sammenpressen der Kehle“ beschränkt sondern beinhalten auch das ryū und danach der Kitō-ryū gelernt (vgl. Folge 2). Während Kitō-ryū Zusammenpressen des Rumpfes mit überkreuzten Beinen (Dō-jime). den Schwerpunkt bei Wurftechniken hatte, verfügte Tenjin-shin´yō- Diese Technik wurde zwar Anfang des 20. Jahrhunderts im Randori/ ryū neben Wurftechniken auch über zahlreiche Katame- und Atemi- Wettkampf aus Sicherheitsgründen verboten, gehört jedoch nach wie waza, die für KANō den Grundstock der jeweiligen Techniken des vor zu den Shime-waza des Kōdōkan (s.u.). Kōdōkan-Jūdō bildeten.

Beispiele für Katame-waza, die im Stand angesetzt werden:

H. NAGAOKA und K. SAMURA (beide später 10. Dan) bei Kiri- oroshi, der letzten Technik der Kime-no-Kata. Bei dieser Ab- wehr eines Schwerthiebes wird in der Endposition sowohl ge- würgt als auch gehebelt (Quelle: Bildarchiv Verlag Dieter Born)

22 der budoka 5/2011 KANō merkte zudem an, dass viele Würgetechniken der traditionellen wird. Aber weil das Training des Aufstehens und das Training des Jūjutsu-Schulen an der Kleidung angesetzt würden. In der Meiji-Zeit Niederhaltens zusammen gehören, wird im System des Kampfes im bürgerte sich aber westliche Kleidung mehr und mehr in Japan ein. Kōdōkan-Jūdō auch ein wenig das Niederhalten geübt“ (NIEHAUS Aus Gründen der praktischen Anwendbarkeit hat KANō nur Wür- 2003, S. 285). getechniken in das System des Kōdōkan-Jūdō übernommen, die an Kleidung mit engem Kragen oder gänzlich ohne Kragen anwendbar An dieser Textstelle fällt auf, dass KANō ganz offensichtlich zu jener sind. Zeit, also 1889, den Haltetechniken keine besonders hohe Bedeutung beimaß. Wahrscheinlich ist es auch kein Zufall, dass er sie in diesem Kansetsu-waza Vortrag als letzten Bereich der Katame-waza vorstellte. Zu den Kansetsu-waza gehören alle Techniken, bei denen Gelenke Bevorzugung der Nage-waza gegenüber den Katame-waza durch in unnatürlicher Weise gestreckt oder verdreht und dem Gegner da- KANō mit Schmerzen zugefügt werden. Die Kansetsu-waza sind keinesfalls auf das Ellbogengelenk beschränkt, wie das heute aus Sicherheits- Welchen Stellenwert hatten die Katame-waza für KANō im Verhältnis gründen in Randori und Wettkampf der Fall ist. Genickhebel, Fin- zu den Nage-waza? Bereits in Folge 8 über die Entwicklung des Ran- gerhebel, Handgelenkhebel und Beinhebel sind weiterhin Techniken dori wurde KANō mit folgenden Worten zitiert: des Kōdōkan-Jūdō, die im Rahmen von Kata (im Sinne des Übens „Wurftechniken haben Vorrang. Werfen ist sowohl aus Sicht der Lei- vorgegebener Techniken in vorgegebenen Situationen) geübt werden. besertüchtigung als auch als mentales Training von größerem Wert, Die „prominentesten“ Beispiele sind sicherlich Ashi-garami in der weil es Wahrnehmung und Anpassung an eine größere Bandbreite Katame-no-Kata und Kote-gaeshi/Kote-hineri in der Kōdōkan-Gos- an Situationen erfordert. Bodenarbeit zu lernen, nachdem man die hinjutsu. Wurftechniken gemeistert hat, versetzt in die Lage, von beidem zu profitieren. Mit Kansetsu-waza, so KANō weiter, könne man den Gegner kraft- voll zu Boden werfen. Gemeint sind damit solche Techniken, bei de- (...) nen im Stand oder im Kniestand z.B. am Ellbogen oder Handgelenk Die Reihenfolge des Lernens sollte erst Tachi-waza und dann Ne- gehebelt und der Gegner aufgrund der Hebelwirkung teilweise sehr waza sein, wenn man beides befriedigend lernen will. Wer versucht, schwungvoll zu Boden gezwungen wird. DAIGO (2009) bezeichnet zuerst Ne-waza zu meistern, wird später Probleme haben, Tachi- diese Techniken als „Nage-waza unter Anwendung von Kansetsu- waza zu lernen.“ waza“. Sie kommen in der Selbstverteidigung häufig vor. (aus „Jūdō Kyohon“ von 1931, übersetzt ins Deutsche vom Verfasser Osaekomi-waza aus einer englischen Übersetzung von A. BENNETT - s. Literatur)

JIGORō KANō erklärt weiter: Diese grundsätzliche Haltung KANōs konnte nicht ohne Auswir- kungen auf die Entwicklung der Katame-waza und damit der Boden- „Darüber hinaus gibt es verschiedene Methoden, den Körper des kampfstärke der Kōdōkan-Kämpfer und des Kōdōkan-Jūdō bleiben. Partners niederzuhalten, aber für den wirklichen Kampf haben sie So erzeugt ein Quellenstudium phasenweise den Eindruck, dass der keinen besonderen Wert. Wichtiger als die Fähigkeit auszubilden, Kōdōkan der Konkurrenz, die mitunter einen größeren Schwerpunkt den Partner niederzuhalten, ist es, Methoden zu trainieren, mit de- auf Katame-waza und Bodenkampf legte, manchmal ein wenig hin- nen man in der Lage ist wieder aufzustehen, wenn man festgehalten terher hinkte und sich genötigt sah, aufzuholen.

Nachteile der Kōdōkan-Kämpfer bei Katame-waza in frühen Kämpfen gegen andere Jūjutsu-Schulen Ein weiteres Beispiel für eine Hebel- Allgemein wird gesagt, dass die Kämpfer des Kōdōkan bei Kämp- technik im Stand demonstrieren Y. fen gegen die Vertreter anderer Schulen aufgrund ihrer überlegenen YAMASHITA, später der erste 10. Dan des Kōdōkan Jūdō, und seine Gat- Wurftechniken - insbesondere der Ashi-waza - so erfolgreich waren. tin FUDE. In der Frühzeit lehrte der Bei den Katame-waza sah die Situation - glaubt man den Überliefe- Kōdōkan mehrere Techniken des rungen - nicht ganz so rosig aus, wie man an folgender Bemerkung Festnehmens und Abführens (jap. KANōs erkennen kann. Renkōho). Das Bild entstand 1904/05 in den USA. „Zu dieser Zeit (Anmerkung: 1886-1889) kamen Schüler anderer (Quelle: www.library.umass.edu/spcoll/ead/ Schulen in den Kōdōkan, um sich zu messen, aber nur wenige hatten muph006.html) ein Niveau, das eine Bedrohung für uns darstellte. Es gab eine Anzahl hervorragender Kämpfer aus anderen Jūjutsu-Schulen bei der Tōkyō Polizei. So gut wie keiner verfügte über effektive Wurftechniken, aber einige waren in der Lage, uns im Bodenkampf stark zu bedrängen. Danach studierten wir diese Techniken intensiv und wurden von ih- nen nicht länger vor Probleme gestellt“ (aus A. BENNETT, 2009 S. 58, übersetzt vom Verfasser).

Schrittweise Beschränkung der Katame-waza in Randori und Wettkampf

Aus Gründen der Verletzungsvorsorge reduzierte KANō für Rando- ri/Wettkampf schrittweise die erlaubten Katame-waza. So wurden wie oben bereits erwähnt Genickhebel, Handgelenkhebel, Fingerhe- bel, Beinhebel und Dō-jime verboten. Außerdem war innerhalb des Kōdōkan bei internen Wettkämpfen die Anwendung jeglicher Kan- setsu-waza für/bei Kämpfern unterhalb des 1. Dan nicht gestattet. Weitere Details hierzu folgen in einem künftigen Artikel über die Entwicklung der Wettkämpfe und der Wettkampfregeln.

Blüte des Bodenkampfes durch das „Kōsen-Jūdō“ - und die Be- schneidung des Bodenkampfes in Wettkampfregeln des Kōdōkan

JIGORō KANō demonstriert Ude-hishigi-waki-gatame bei einem Bei den ab 1914 ausgetragenen Turnieren der höheren Bildungsan- Besuch in Europa (Quelle: Bildarchiv Verlag Dieter Born) stalten (Kōsen) kam es zu einem Schlüsselereignis für die Entwick-

der budoka 5/2011 23 lung des Bodenkampfes und damit auch der Katame-waza. Als im Jahr 1919 die Mannschaft der Sechsten Oberschule die Siegesserie der Vierten Mittelschule durch überlegenen Bodenkampf beendete, stieg das Interesse am Bodenkampf stark an. Die Katame-waza er- fuhren dadurch eine nachhaltige Weiterentwicklung, insbesondere an den beteiligten Bildungseinrichtungen. Außerhalb der Schulen und Universitäten wurde diese Entwicklung jedoch zum Teil heftig kriti- siert, weil ein Trend zur Vernachlässigung der als wertvoller einge- stuften Nage-waza einsetzte. Was war passiert? Einige Kämpfer entwickelten Strategien, sich zu Beginn des Kampfes einfach hinzusetzen, sich auf die Knie fallen zu lassen oder den Gegner in die Bodenlage herunter zu ziehen. Auf diese Weise vermieden sie den Standkampf und somit auch geworfen zu werden - eine Entwicklung, auf die KANō reagieren wollte und musste. Um die Balance im Sinne einer vielfältigen körperlichen Entwicklung - nach KANō etwa zwei Drittel Stand- und ein Drittel Bodenkampf - wieder herzustellen, wurden die Wettkampfregeln des Kōdōkan derart modifiziert, dass ein Kampf grundsätzlich im Stand begonnen wurde und ein Übergang in den Bodenkampf praktisch nur nach einem ei- genen oder gegnerischem nicht oder nicht vollständig erfolgreichen Versuch einer Wurftechnik zulässig war. Allerdings wurden diese Regeln nicht vollständig für die Kōsen-Wettkämpfe übernommen, da die Wettkampfregeln nicht einheitlich waren und im Prinzip jeder Veranstalter seine eigenen Regeln machen konnte. KANōs Überzeu- gungsarbeit blieb hier zumindest teilweise fruchtlos.

Systematisierung der Katame-waza Obwohl die Anzahl der möglichen Techniken enorm ist, gibt es mit insgesamt 29 nur relativ wenige vom Kōdōkan festgelegte Namen für die Katame-waza (gegenüber 67 Wurftechniken). Die derzeit gül- tigen offiziellen Bezeichnungen sind: - Osaekomi-waza (7): Kuzure-kesa-gatame, Kata-gatame, Kami- shihō-gatame, Kuzure-kami-shihō, Yoko-shihō-gatame, Tate-shihō- gatame, Kesa-gatame - Shime-waza (12): Nami-jūji-jime, Gyaku-jūji-jime, Kata-jūji-jime, Hadaka-jime, Okuri-eri-jime, Kata-ha-jime, Dō-jime (*), Sode-guru- ma-jime, Kata-te-jime, Ryō-te-jime, Tsukkomi-jime, Sankaku-jime - Kansetsu-waza (10): Ude-garami, Ude-hishigi-Jūji-gatame, Ude- hishigi-ude-gatame, Ude-hishigi-hiza-gatame, Ude-hishigi-waki-ga- tame, Ashi-garami (*), Ude-hishigi-ashi-gatame, Ude-hishigi-te-ga- tame, Ude-hishigi-sankaku-gatame (*) in Randori/Wettkampf verboten Weitere Unterteilungen nimmt der Kōdōkan offiziell nicht vor. Es gibt auch keine offizielle Systematisierung oder Benennung von Ausgangssituationen, in denen die Techniken angewendet werden können. Ferner fehlt eine Systematisierung nach methodisch-didak- tischen Gesichtspunkten, etwa analog der Gokyō-no-waza für die Wurftechniken. Auch dies spricht DAIGO (2009) zu Folge dafür, dass KANōs Fokus mehr auf den Nage- als auf den Katame-waza lag. Auch wenn es keine weitere Systematisierung oder ein methodisch- didaktisches System seitens des Kōdōkan gab, so wurden die Katame- waza dennoch erforscht und entwickelt. Ein Beispiel hierzu sind die Studien der „Medizinischen Forschungsgruppe“ am Kōdōkan, die in den frühen 1930er-Jahren von KANō eingerichtet wurde und die z.B. die physiologische Wirkungsweise der Hebel- und Würgetechniken wissenschaftlich untersucht hat.

Kappō - ein weiteres (Rand-)Gebiet des Kōdōkan-Jūdō Aus Tenjin-shin´yō-ryū wurden auch Wiederbelebungstechniken Drei Beispiele von Katame-waza der Tenjin-shin´yō-ryū: (jap.: Kappō), z.B. nach Bewusstlosigkeit durch Würgetechniken Je eine im Jūdō wohlbekannte Würgetechnik und ein Armhebel, übernommen. J. KANō betrachtete sie zwar in seinem Vortrag 1889 dazu ein Hebel gegen das Fußgelenk, der auf eine im Jūdō häufig nicht als wirklichen Teil der Techniken des Kōdōkan-Jūdō, sondern vorkommende Art verriegelt wird eher als Zusatz, jedoch wurde ihr praktischer Wert vielerorts ge- (Quelle: Bildarchiv Verlag Dieter Born) schätzt. Die medizinische Forschungsgruppe des Kōdōkan hat diese Verfahren ebenfalls untersucht.

24 der budoka 5/2011 Erscheint am Persönliche Anmerkungen: 25. Mai 2011 (1) Es gibt Berichte über einen Wettkampf um das Jahr 1900, bei dem Kämpfer des Kōdōkan gegen Kämpfer der Fusen-ryū eine ziem- Toshiro Daigo (10. Dan): lich deutliche Niederlage vor allem aufgrund von Katame-waza er- Wurftechniken des litten haben sollen. Eine historisch wirklich verlässliche Quelle für Kodokan Judo diese Berichte ist aber nach Kenntnis des Verfassers noch nicht Band 2: Ashi-waza aufgetaucht. Da jedoch das meiste, das man heute über die Kämpfe zwischen Kōdōkan-Kämpfern und Vertretern anderer Schulen weiß, Hardcover, 256 Seiten, 19 x 26 cm, vom Kōdōkan selbst oder durch Erzählungen beteiligter Kōdōkan- mehr als 700 Fotos und Zeichnungen, 2 Kämpfer überliefert ist, ist eine derartige Informationslücke nicht ISBN 978-3-922006-56-5, 49,80 überraschend. Immerhin bestätigte KANō, dass zumindest zeitweise Bibliophile Kostbarkeit in repräsenta- Kämpfer anderer Stile bei den Katame-waza überlegen waren (s.o). tiver Aufmachung: Solider Hardcover mit hochwertigem (2) J. ODA und Y. KANEMITSU (beide 9. Dan) können wohl als die Überzug, traditioneller Fadenhef- bedeutendsten Vertreter des Kōsen-Jūdō bezeichnet werden. Das tung und farbigem Schutzumschlag Verhältnis beider zu J. KANō war ab den 1920er-Jahren unterkühlt bis eisig. Während ODA als prominenter Kōdōkan-Lehrer, der an der in »Jahrhundertwerk«: das mit Abstand umfassendste Judo-Lehr- Revision der Gokyō-no-waza 1920 beteiligt war, noch heute großes Ewerk, das jemals aus dem Japanischen ins Deutsche übersetzt Ansehen genießt und häufig genannt wird, ist der Name KANEMITSU wurde. Geschrieben von der heute höchsten Autorität des Kodokan: nur wenigen Insidern außerhalb Japans bekannt. Dessen Verhältnis Judo-Legende Toshiro Daigo (10. Dan). zu KANō und dem Kōdōkan war derart belastet, dass er unbestätigten Berichten zufolge die Graduierung zum 9. Dan zunächst ablehnte, sie In insgesamt drei Bänden werden auf rund 750 Seiten mit mehreren Jahre später aber akzeptierte. KANEMITSU war übrigens außerdem der tausend Abbildungen die 67 grundlegenden Wurfprinzipien des Kodo- letzte Menkyo-kaiden in Kitō-ryū. Heute ist die Bedeutung von KANE- kan ausführlich erläutert – zusammen mit hunderten unterschiedlicher MITSU für die Entwicklung des Jūdō jedoch unbestritten. Ausführungen und Variationen. K. HIRATA - ein Schüler ODAS - ist ein weiterer herausragender Spe- Nach Band 1 mit den Wurfgruppen Te-waza und Koshi-waza (erschie- zialist aus der Kōsen-Tradition. Auf YouTube finden sich mehrere nen im Dezember 2009) behandelt der jetzt folgende Band 2 auf insge- Videoclips von und mit ihm. samt 256 Seiten alle offiziellen Techniken der Wurfgruppe Ashi-waza. (3) Zufall oder nicht? Im Jahr 1920 - sechs Jahre nach Beginn der Die vielen praxisnahen Anwendungs-, Kombinations- und Kontermög- Kōsen-Wettkämpfe - stellte KANō gegenüber K. MIFUNE fest, dass lichkeiten machen das Buch zu einer wahren Fundgrube für Wett- die Schüler des Kōdōkan ihre Defizite im Bodenkampf ausgleichen kämpfer und andere fortgeschrittene Judoka. Und die ausführlichen sollten. Man einigte sich darauf, intensiver Katame-no-Kata üben zu lassen. theoretischen und geschichtlichen Erläuterungen machen das Buch darüber hinaus zu dem Standardwerk schlechthin in Bezug auf die (4) Die im DJB übliche Systematisierung der Katame-waza in fünf Bereits erschienen: Klassifizierung und Benennung der Kodo- Halte-, sieben Hebel- und sieben Würgegruppen ist in Deutschland kan Wurftechniken. und nicht in Japan entstanden. In einer „Stoffsammlung“ wurden Techniken zusammengestellt und gruppiert, deren Bezeichnungen im So bekommt man über die reinen Technik- Wesentlichen von M. KAWAISHI nach Europa gebracht wurden. Im Beschreibungen hinaus quasi zusätzlich Großen und Ganzen lässt sich sagen, dass die „Kawaishi-Techniken“ noch ein Buch zur Judo-Geschichte, wie es in Deutschland in die bekannten Gruppen geordnet wurden. Mit der das bislang auf Deutsch so noch nicht Zeit verdrängten teilweise Gruppennamen den Namen einzelner gegeben hat: Mit Informationen über die Techniken, so dass faktisch in derartigen Fällen eine Art Umbenen- Entstehung der einzelnen Wurftechniken, nung stattgefunden und die Benennung der Katame-waza in Deutsch- deren Herleitung aus dem traditionellen land eine partielle Eigendynamik entwickelt hat. , berühmten Meistern und Speziali- Die so entstandenen Bezeichnungen entsprechen naturgemäß nicht sten ihrer Zeit, Original-Zitaten aus alten mehr dem System des Kōdōkan und weichen an einigen Stellen so- Büchern und Quellen, und vielem mehr. gar ganz erheblich davon ab. Prägnantestes Beispiel hierfür ist wohl Ashi-garami. Laut Kōdōkan ist die in der Katame-no-Kata enthaltene Toshiro Daigo (10. Dan): Technik ein Kniehebel, bei dem das gegnerische Bein umschlungen Wurftechniken des Kodokan Judo, Band 1: Te-waza/Koshi-waza wird. Der DJB versteht dagegen unter dieser Bezeichnung einen He- Hardcover, 288 Seiten, 19 x 26 cm, mehr als 750 Fotos und Zeichnungen, bel des gebeugten Arms über das Bein/Knie von Tori - eine Technik, ISBN 978-3-922006-55-8, 2 49,80 – Sofort lieferbar! die der Kōdōkan wiederum als Hiza-gatame bezeichnet. Coupon bitte kopieren oder ausschneiden und einsenden an:

Verlag Dieter Born • Postfach 18 02 30 • 53032 Bonn

Literatur (Auswahl) Fax: (0228) 55925-55 • www.dieter-born.de  BENNETT, ALEX: Jigorō Kanō and the Kōdōkan - an innovative Response to Modernisation, Kōdōkan Jūdō Institute, 2009 DAIGO, TOSHIRō: Wurftechniken des Kōdōkan Jūdō, Band 1, Verlag Dieter Bestellung – zur Lieferung versandkostenfrei: Born, 2009

DAIGO, TOSHIRō: Wurftechniken des Kōdōkan Jūdō, Band 2, Verlag Dieter Anzahl Artikel Einzelpreis Born, 2011 (in Vorbereitung) Daigo: »Wurftechniken«, Band 1 (sofort lieferbar) 2 49,80 KANō, JIGORō: Kōdōkan Jūdō, Verlag Dieter Born, 2007 Daigo: »Wurftechniken«, Band 2 (NEU – ab 25. Mai) 2 49,80 NIEHAUS, ANDREAS: Leben und Werk Kanō Jigorōs (1860-1938), Ergon-Verlag, 2003

OTAKI, TADAO / DRAEGER, DONN F.: Jūdō Formal Techniques, Charles E. Tuttle, 1983 Vereinsname

ATSON RIAN W , B N.: Jūdō Memoires of Jigorō Kanō, Trafford-Verlag, 2008 Ansprechpartner (Name, Vorname)

Straße

PLZ, Ort

E-Mail Telefon (freiwillig – für etwaige Rückfragen)

Datum Unterschriftder budoka 5/2011 budoka25 2011/05  Atemi-waza in der 6HLU\RNX]HQ\ǀNRNXPLQWDLLNXQR.DWDDas Bild zeigt die Ausholbewegung für einen Schlag zur linken Seite. (Quelle: Privatarchiv Dieter Born)

Grundwissen der Geschichte des .żGżNDQ-ƈGżLQ-DSDQ

von Wolfgang Dax-Romswinkel

Teil 12: Die Entwicklung der Atemi-waza des .ǀGǀNDQ-njGǀ

Glaubt man vielen verbreiteten Kurzdarstellungen der Geschichte des Sich und andere schützen können – eine der drei Säulen des -njGǀ, dann dürfte es diese Folge unserer Reihe eigentlich gar nicht .ǀGǀNDQ-njGǀ geben. Denn allzu oft ist bedauerlicherweise zu lesen, dass -,*25ƿ Erinnern wir uns an die Ziele des .ǀGǀNDQ-njGǀ, wie wir sie in den .$1ƿ alle „gefährlichen Tritte und Schläge“ aus dem „Jiu Jitsu“ (zum Begriff s. Anmerkung 1) entfernt und dadurch das -njGǀ geschaffen Folgen 4 und 6 bereits ausführlich erläutert haben: habe. -njGǀ – so der oft vermittelte Eindruck – sei demnach ein - Leibesertüchtigung: Verbesserung der Gesundheit und der technisch reduziertes „Jiu Jitsu“, das mit dem Ziel geschaffen wurde, körperlichen Leistungsfähigkeit; sportliche Wettkämpfe zu ermöglichen. - Kultivierung des Geistes: Ausbildung des Charakters, des Die Atemi-waza des .ǀGǀNDQ-njGǀ haben wie die Katame-waza ihre Verstandes und der Moral, insbesondere der Verantwortung für die Hauptquelle in den Techniken des 7HQMLQVKLQ\ǀU\nj-njMXWVX und Entwicklung der Gesellschaft; stellen seit Gründung des .ǀGǀNDQ bis heute neben den Nage- und - Selbstverteidigung: sich und andere im Bedarfsfall schützen den Katame-waza den dritten Bereich der Techniken des .ǀGǀNDQ können. -njGǀ dar. -,*25ƿ .$1ƿ entfernte sie also mitnichten aus dem „Jiu Besonders prägnant äußert sich -,*25ƿ.$1ƿ Mitte der 1920er-Jahre Jitsu“, um daraus -njGǀ zu formen, sondern erlaubte lediglich die (übersetzt aus $%(11(77, 2009, S. 62. Eine deutsche Übersetzung Anwendung von Atemi-waza nicht im üblichen Randori. Damit nahm RIIHQVLFKWOLFK GHUVHOEHQ MDSDQLVFKHQ 4XHOOH ¿QGHW VLFK DXFK LQ er nichts weiter als eine trainingsmethodische Beschränkung auf Kata Ä.ǀGǀNDQ-njGǀ³, Verlag Dieter Born, 2007, S. 136): vor (= „geschlossene“ Situationen, in denen beide Übende genauen Bewegungsanweisungen folgen), nicht jedoch eine Kappung des „Respekt vor dem Leben ist universell. Wenn das eigene Leben technischen Spektrums des .ǀGǀNDQ-njGǀ. in Gefahr ist, ist es erlaubt, jedes zur Verfügung stehende Mittel anzuwenden, um die Gefahr abzuwenden. Aber auch wenn das eigene Leben nicht in Gefahr ist, gibt die Fähigkeit, eine Gefahr abwehren zu können, Selbstvertrauen. In einer Gesellschaft, in der die Menschen nach Recht und Gesetz leben, können unerwartete Gefahren in Form von Unfällen, durch die Hand von Kriminellen oder

20 der budoka 6/2011 von unerwarteten Seiten wie wilden, streunenden Hunden kommen. Jedes Individuum benötigt deshalb grundlegende Fähigkeiten, sich schützen zu können, und derjenige, der systematisch die Techniken von Angriff und Verteidigung trainiert hat, kann seine eigene Sicherheit gewährleisten. Die Bedeutung von Atemi-waza in diesem Zusammenhang ist offensichtlich.“

'H¿QLWLRQGHUAtemi-waza durch -,*25ƿ.$1ƿ"

In dem mehrfach erwähnten Vortrag von 1889 erklärt -.$1ƿ diese Technikgruppe folgendermaßen: „Ich komme nun zu den Tritten und Schlägen (...). Sie werden LP WUDGLWLRQHOOHQ -njMXWVX DXFK DOV $WHPL EH]HLFKQHW 0LW GLHVHQ Techniken schlägt oder drückt man mit seinen Händen, Füßen oder dem Kopf Körperteile des Gegners, die leicht verletzt werden können. So kann man dem Partner Schmerzen zufügen, ihn für eine Weile in 2KQPDFKWIDOOHQODVVHQRGHUVRJDUW|WHQ$PKlX¿JVWHQVFKOlJWPDQ Zeichnung und Erläu- terung der Atemi-waza mit der Faust zwischen die Augen, auf die Brust oder etwas unterhalb aus der 7HQMLQVKLQ\ǀ des Sternums. Ober aber tritt ihm mit den Fußspitzen in die Hoden.“ U\nj (aus: <26+,'$, C., ISO, M.: Vorlesungen Angriffsziel der Atemi-wazaVLQGGHPQDFKLQHUVWHU/LQLHÄHPS¿QG und Erläuterungen in liche Körperteile“. Das Spektrum der Wirkungen reicht von „Schmer- Abbildungen zu den zen zufügen“ bis „töten“. innersten Geheimnis- sen des -njMXWVX, Verlag Vitalpunkte (.\njVKR) 6KnjHLGǀ, 1893)

Kenntnisse über die von .$1ƿ HUZlKQWHQ HPS¿QGOLFKHQ .|USHU stellen gehörten zu den am besten gehüteten Geheimnissen der traditionellen -njMXWVX-Schulen. Viele dieser Kenntnisse stammen aus GHUWUDGLWLRQHOOHQFKLQHVLVFKHQ0HGL]LQXQG¿QGHQLKUH$QZHQGXQJ in Praktiken wie Akupunktur, Akupressur oder dem japanischen Shiatsu. In Ä.ǀGǀNDQ-njGǀ³ (Verlag Dieter Born, 2007) werden die Vital- punkte folgendermaßen erklärt (S. 138): Ä'HU PHQVFKOLFKH .|USHU KDW ]DKOUHLFKH HPS¿QGOLFKH 6WHOOHQ Gelenke, Verbindungspunkte von Knochen und Muskeln oder von Muskeln mit anderen Muskeln, weiche Teile, die nicht durch Knochen oder Muskeln geschützt sind, oder etwa Stellen, wo lebenswichtige 2UJDQH UHODWLY QDKH DQ GHU .|USHUREHUÀlFKH VLQG *HQDX ZLH GLH Schlag-, Stoß- oder Tritttechniken selbst wurde auch das Wissen über GLH GDPLW YHUZXQGEDUVWHQ .|USHUVWHOOHQ DXV GHU 7HQMLQ VKLQ\ǀ 6FKXOHLQV-njGǀEHUQRPPHQ³ 'LH QHEHQVWHKHQGH *UD¿N ]HLJW GLH LP .ǀGǀNDQ-njGǀ vermittelten Vitalpunkte.

Systematisierung der Atemi-waza Das .ǀGǀNDQ-njGǀ beinhaltet ein breites Spektrum unterschiedlicher Atemi-waza. Die Systematisierung und Benennung ist jedoch nicht in gleicher Weise durchstrukturiert wie die der Nage- oder der Katame- waza. Die übliche Einteilung der Atemi-waza folgt nicht den angegriffenen Vitalpunkten, sondern den Körperteilen, mit denen geschlagen, gestoßen oder getreten wird. Im Standardwerk Ä.ǀGǀNDQ -njGǀ³ (2007, S. 136) heißt es etwas unverbindlich, dass sich die Techniken folgendermaßen einteilen lassen:

Hand und Arm (Ude-ate) Darstellung der Vitalpunkte .\njVKR aus Ä.ǀGǀNDQ-njGǀ³, Verlag Dieter - Fingerspitzen 7VXNLGDVKL5\ǀJDQWVXNL Born, 2007, S. 138 - Faust Nanamae-ate, Yoko-ate, Kami-ate, Tsuki-age, Shimo-tsuki, Ushiro-tsuki, Ushiro-sumi-tsuki, Tukkake, Yoko- uchi, Ushiro-uchi, Uchi-oroshi :LFKWLJLVWDQ]XPHUNHQGDVVGLHVH$XÀLVWXQJQLFKWYROOVWlQGLJLVW - Handkante Kiri-oroshi, Naname-uchi und auch nicht sein will, denn es wird im Buchtext zum Beispiel - Ellbogen Ushiro-ate explizit – wie auch schon von -,*25ƿ .$1ƿ 1889 – darauf hingewiesen, dass auch mit dem Kopf Atemi-waza ausgeführt werden können. Fuß und Bein (ashi-ate) Außerdem gibt es Inkongruenzen bei der Benennung der Atemi-waza - Knie Mae-ate in dieser Aufzählung und den Bezeichnungen innerhalb von Kata, in - Fußballen Naname-geri, Mae-geri, Taka-geri denen sie vorkommen. - Ferse Ushiro-geri, Yoko-geri

der budoka 6/2011 21 Kime-no-Kata – Schlüssel zu den Atemi-waza des .ǀGǀNDQ-njGǀ Atemi-waza werden, wie schon mehrfach erwähnt, normalerweise in Form von Kata geübt und durch die .ǀGǀNDQ.DWD überliefert. Dort tauchen Sie in unterschiedlichen Kontexten auf: - als Angriffe, gegen die verteidigt wird, - als vorgeschaltete Technik einer nachfolgenden Nage- oder Katame- waza,  DOV ¿QDOH 7HFKQLN PLW GHU GHU$QJUHLIHU NDPSIXQIlKLJ JHPDFKW wird. Die zentrale Kata für Training und Vermittlung der Atemi-waza war (und ist) Kime-no-kata, deren enthaltene Aktionen im Folgenden aufgeschlüsselt werden sollen, um den Stellenwert der Atemi-waza im Gesamtgefüge der Techniken aus historischer Perspektive zu bestimmen und um Hinweise für deren Charakteristik zu bekommen. Atemi-waza als Angriffe von Uke: %Hand/Arm: 7 %Fuß: 1 Atemi-waza in der Verteidigung von Tori: %+DQG$UP GDYRQ¿QDOH7HFKQLN %)X‰ GDYRQ¿QDOH7HFKQLN Es werden insgesamt 13 von 20 Angriffen mit Atemi-waza beant- wortet, was untermauert, dass ihre Rolle durchaus bedeutend ist. Allerdings schließen nur vier von diesen 13 Anwendungen die Aktionen endgültig ab. Insbesondere bei Angriffen mit Waffen wird sofort nach der Atemi-waza in eine Katame-waza – meist ein Hebel des waffenführenden Armes – übergegangen. Atemi-waza HUIOOHQ DOVR ZHQLJHU GLH )XQNWLRQ YRQ Ä¿QDOHQ³ Techniken – können es allerdings selbstverständlich sein – sondern -,*25ƿ .$1ƿmit S. .27$1, (später 10. Dan) 1933 in London bei der Demon- ihre Anwendung ist meist so eingebettet, dass im Falle einer nicht stration von Ke-age, einer Abwehr eines Fußtritts aus der Kime-no-Kata. fatalen Wirkung sofort eine „sichere“ Abschlusstechnik angesetzt (Quelle: Privatarchiv Dieter Born) werden kann. Die Bewegungen der Atemi-waza müssen also so ausgeführt werden, dass man nachfolgend so schnell und effektiv wie möglich zu anderen Techniken übergehen kann.

Vernachlässigung der Atemi-waza durch Popularisierung des Randori – und Entwicklung der 6HLU\RNX]HQ\ǀNRNXPLQWDLLNX no-Kata Randori und Wettkampf übten schon im frühen 20. Jahrhundert eine ungeheure Faszination auf die Übenden aus, so dass bereits zu dieser Zeit bei den .ǀGǀNDQ-Schülern eine gewisse Nachlässigkeit beim Üben von KataDXIWUDW+LHUGXUFKNDPHV]ZDQJVOlX¿JDXFK]XHLQHP ersten Rückgang bei den Atemi-waza, dem .$1ƿ entgegenwirken wollte. Aber er sah sich noch mit einem anderen Problem konfrontiert. Obwohl die Anzahl -njGǀ-Übenden kontinuierlich bis auf mehrere Hunderttausend in den 1920er-Jahren gestiegen war, hatte es sich noch nicht zu der Massenbewegung entwickelt, wie es sich -,*25ƿ .$1ƿ gewünscht hatte. Nach seinen Vorstellungen sollten schlicht möglichst alle Japaner -njGǀ lernen und betreiben. Dies war nur konsequent, war -njGǀ doch nach seinen Vorstellungen ein ideales System der Volkserziehung in physischer und geistig-moralischer Hinsicht. H. 1$*$2.$ demonstriert mit K. 6$085$ (beide 10. Dan) eine Messerab- Aus diesen beiden Gründen entwickelte er aus dem breiten technischen wehr der Kime-no-Kata (Quelle: Privatarchiv Dieter Born) Fundus des -njGǀ ab den 1920er-Jahren die 6HLU\RNX]HQ\ǀNRNXPLQ taiiku-no-Kata, die „Form der nationalen Leibesübung auf der Wie könnte der Wert des .ǀGǀNDQ Grundlage des Prinzips des bestmöglichen Einsatzes von Körper und -njGǀ als System der Körperertüch- Geist“. tigung und der Selbstverteidigung überzeugender dargestellt werden Sie besteht aus den zwei Teilen „7DQGRNXUHQVKnj“ (Üben ohne Part- als auf diesem Bild des jungen K. ner, siehe Abbildung am Anfang des Artikels) und „6RWDLUHQVKnj “ 0,)81( (links) - später 10. Dan (Üben mit Partner). Der erste Teil wird vor allem durch Atemi-waza (entstanden ca. 1910-1920, gegen imaginäre Gegner gebildet. Die 6RWDLUHQVKnj bestehen aus der Quelle unbekannt) „Kime-shiki“ und der „-njVKLNL“, einer auf zehn Techniken verkürzten -njQR.DWD (s. a. Folge 7). 6HLU\RNX]HQ\ǀNRNXPLQWDLLNXQR.DWD stellt somit eine weitere Kata zum Training der Atemi-waza dar.

22 der budoka 6/2011 Atemi-waza in weiteren .ǀGǀNDQ.DWD In Japan ist die Umschrift -njMXWVX am weitesten verbreitet. Das „j“ wird dabei nicht wie das deutsche „j“, z.B. in „Jod“ gesprochen, sondern Neben den genannten Kime-no-Kata und 6HLU\RNX]HQ\ǀNRNXPLQ wie das englische, z.B. in „Joker“. Der horizontale Strich über dem taiiku-no-Kata (einschließlich der enthaltenen Kime-shiki und -nj HUVWHQÄnj³]HLJWDQGDVVGLHVHVÄnj³ODQJJH]RJHQDXVJHVSURFKHQZLUG shiki ¿QGHQZLUQRFKAtemi-waza in der .ǀGǀNDQJRVKLQMXWVX und was im Deutschen entweder mit einem Doppelvokal („Beet“, Saat“) in der -njQR.DWD. Sie sind dort ähnlich als Angriffe, Verteidigungen oder mit einem angehängten Längungs-„h“ („Schuh“) geschrieben und in Kombinationen eingebettet wie in Kime-no-Kata. wird. Das erste „u“ in Jutsu wird dagegen kurz gesprochen, das letzte sogar fast verschluckt. Anstelle des „ts“ in Jutsu würde man im Atemi-waza im Randori? Deutschen eher ein „tz“ schreiben. In den 1880er-Jahren scheint es Randori-Formen gegeben zu haben, Im Internet lassen sich sehr schnell und einfach – z.B. auf Wikipedia in denen auch Atemi-waza angewendet wurden. -,*25ƿ.$1ƿ sagte – Erläuterungen zu Umschriftsystemen für die japanische Sprache 1889: „Für den Kampf, in dem geschlagen und gestoßen wird, ziehen ¿QGHQ,QGLHVHU$UWLNHOUHLKHZLUGYHUVXFKWGHU+HSEXUQ8PVFKULIW sich die Gegner Handschuhe an, so dass die Methode des Randori- zu folgen. Kampfes kaum Einschränkungen unterliegt“ (1,(+$86 2003, S. 285). Dem Verfasser sind jedoch keine weiteren Quellen – Beschreibungen, (2) Kime-no-Kata ist in Deutschland kein für alle verbindlicher Inhalt Bilder o.ä. – bekannt, die eine entsprechende spätere Praxis im für Dan-Prüfungen, was dazu geführt hat, dass selbst viele hohe .ǀGǀNDQ-njGǀ untermauern würde. Dan-Träger nie Kime-no-Kata und somit auch nicht die zentrale Kata für die Atemi-waza des .ǀGǀNDQ-njGǀ trainiert haben. Auch die Bekannt ist dagegen jedoch, dass -,*25ƿ.$1ƿ in den 1920er-Jahren anderen Kata, die Atemi-waza enthalten, werden – wenn überhaupt – Überlegungen anstellte, Randori-Formen zu entwickeln, in denen frühestens bei Prüfungen zum 4. Dan gezeigt. Atemi-waza eingesetzt werden. Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass es derartige Randori-Formen nicht am .ǀGǀNDQ gab. Auf Da darüber hinaus auch seit rund vier Jahrzehnten Selbstverteidigung die Frage eines Studenten diesbezüglich antwortete er: kein verbindlicher Inhalt von .\nj oder Dan-Prüfungen (mehr) ist, hat dies vielfach dazu geführt, dass der Selbstverteidigungsaspekt – „Ich glaube, dass es nicht ausgeschlossen ist, einen Weg zu und damit eine der drei Säulen des .ǀGǀNDQ-njGǀ – teilweise sehr ¿QGHQ 5DQGRUL XQG :HWWNlPSIH GXUFK]XIKUHQ GLH $WHPLZD]D weitgehend aus dem Blickfeld geraten ist. einschließen, solange es schrittweise passiert und intensiver Studien folgt“ (übersetzt aus $%(11(77, 2009, S. 62). Jüngste Bestrebungen, diesen Trend wieder umzukehren, sind aus Sicht des Verfassers vorbehaltlos zu unterstützen. Ein derartiges System wurde jedoch von .$1ƿ nicht (mehr) entwickelt. Heutzutage gibt es aber durchaus Ansätze in diese   (UVWDXQOLFKHUZHLVH ¿QGHQ VLFK Atemi-waza in den Kata des Richtung, allerdings nicht im .ǀGǀNDQ-njGǀ, sondern in anderen .ǀGǀNDQ fast immer in Verkettung mit Katame-waza oder Nage- Systemen. waza, jedoch nicht in Verkettung mit anderen Atemi-waza im Stile von Schlag- und/oder Trittkombinationen. Nage-waza unter Anwendung von Atemi-waza (4) In den 1950er-Jahren wurden Kommissionen am .ǀGǀNDQ Zum Abschluss soll noch auf eine Besonderheit hingewiesen werden, HLQJHVHW]WXPEHUGLHRI¿]LHOOHQ%H]HLFKQXQJHQYRQ7HFKQLNHQ]X nämlich auf die Möglichkeit, Wurftechniken mit Atemi-waza zu beraten und diese zu beschließen. Es gab Arbeitsgruppen für Nage- koppeln. So kann zum Beispiel in der Vorbereitung einer Wurftechnik und für Katame-waza, nicht jedoch für Atemi-waza, was darauf eine Atemi-waza zum Brechen des Gleichgewichts eingesetzt werden. schließen lässt, dass die Inkonsistenzen der Benennungen nicht als Des Weiteren gibt es auch Techniken, bei denen die Wurfausführung Problem gesehen wurden. durch eine Atemi-waza zustande kommt oder zumindest unterstützt wird. 7 '$,*2 (2009) nennt diese Techniken „Nage-waza unter Literatur (Auswahl) Verwendung von Atemi-waza“. %(11(77$/(;-LJRUǀ.DQǀDQGWKH.ǀGǀNDQDQLQQRYDWLYH5HVSRQVHWR Persönliche Anmerkungen 0RGHUQLVDWLRQ.ǀGǀNDQ-njGǀ,QVWLWXWH '$,*2, 726+,5ǀ:XUIWHFKQLNHQGHV.ǀGǀNDQ-njGǀ%DQG9HUODJ'LHWHU (1) Die Schreibweise „Jiu Jitsu“ ist im Westen neben anderen Born, 2009 Schreibweisen wie „Ju-Jutsu“, „Ju-Jitsu“ weit verbreitet. Unter- schiedliche Schreibweisen rühren daher, dass die japanische Sprache KANǀ-,*25ǀ.ǀGǀNDQ-njGǀ9HUODJ'LHWHU%RUQ keine „korrekte“ Schreibung in lateinischer Schrift kennt und von .27$1, 6  2=$:$<+,526(< .DWD RI .ǀGǀNDQ -njGǀ UHYLVHG .R\DQR daher versucht wird, das lateinische Alphabet als eine phonetische Bussan Kaisha, 1970 Umschrift (Lautschrift) für japanische Aussprache zu verwenden. Die 1,(+$86$1'5($6/HEHQXQG:HUN.DQǀ-LJRUǀV  (UJRQ9HUODJ japanische Schreibweise ist wie die Bedeutung aber stets gleich: 柔術 2003

Im .ǀGǀNDQ wurde während des 2. Weltkriegs eine spezielle Frauen-Selbstverteidigung ent- wickelt Ä-RVKL-njGǀ*RVKLQKR³  Hier ist das Training einer Abwehr gegen Belästigung durch „Unterhaken“ *\DNXXGHGRUL zu sehen. (Quelle: Privatarchiv Dieter Born)

der budoka 6/2011 23 *UXQGZLVVHQGHU*HVFKLFKWHGHV .żGżNDQ-ƈGżLQ-DSDQ

YRQ:ROIJDQJ'D[5RPVZLQNHO

Teil 13: Entwicklung des Graduierungssystems

'LH(QWZLFNOXQJGHV*UDGXLHUXQJVV\VWHPVLVWHLQHZHLWHUH,QQRYDWL- Die Entwicklung des .\nj-Systems RQ-,*25ƿ.$1ƿ6GLHVLFKDOVDX‰HURUGHQWOLFKKLOIUHLFKEHLGHU9HU- EUHLWXQJGHV.ǀGǀNDQ-njGǀHUZLHVHQKDW 'LH0XGDQVKDZDUHQ]XQlFKVWLQGUHL*UXSSHQXQWHUWHLOW1DFKHLQ DQGHUGXUFKOLHIHQGLH6FKOHUGLH5lQJHKHLRWVXXQGNǀ0LWGHU %HUHLWVLQGHQ6FKXOHQGHUWUDGLWLRQHOOHQ.ULHJVNQVWH .RU\njEXJHL  ]XQHKPHQGHQ$Q]DKOYRQ.LQGHUQZXUGHQGLHGUHL5lQJHGHU0X JDEHVHLQ6\VWHPGHU$QHUNHQQXQJXQG/L]HQ]LHUXQJLQPHLVWIQI GDQVKDYHUGRSSHOWXPKlX¿JHUH(UIROJVHUOHEQLVVH]XHUP|JOLFKHQ 6WXIHQ YJO)ROJH .$1ƿHUNDQQWHGHQSV\FKRORJLVFKHQ$QUHL] (VHQWVWDQGHQGLH.\nj*UDGH YRQ.\nj ড 5DQJ.ODVVH GLHUFN- GHULQGLHVHP6\VWHPODJHPSIDQGMHGRFKGLH=HLWUlXPHYRQWHLOZHL- ZlUWVJH]lKOWZXUGHQYRP0X.\nj $QIlQJHURKQH.\njVSlWHU VHPHKUHUHQ-DKUHQGLHGHU(LQ]HOQHDXIMHGHU6WXIHYHUZHLOHQPXVV- .\nj EHUGHQ.\nj.\njXVZELV.\nj(LQGHUDUWLJHV.\nj- WHDOV]XODQJXPGDV6\VWHPDXFKWDWVlFKOLFKDOV0RWLYDWLRQVPLWWHO 6\VWHPJDEHVDEEHUHLWVLP.HQGǀ VD$QPHUNXQJ  QXW]HQ]XN|QQHQ 6FKOLH‰OLFKJDEHVVSlWHVWHQVDEGHP-DKUQRFKHLQH8QWHUVFKHL- 'LH JUXQGVlW]OLFKH ,GHH HLQHV JHVWXIWHQ *UDWL¿NDWLRQVV\VWHPV JULII GXQJGHU*UDGXLHUXQJHQYRQ.LQGHUQXQWHU-DKUHQ 6KǀQHQJXPL  .$1ƿGDKHUDXIDOVHUGDV*UDGXLHUXQJVV\VWHPGHV.ǀGǀNDQHUGDFK- XQG(UZDFKVHQHQEHU-DKUHQ 6HLQHQJXPL  WHYHUGRSSHOWHDEHUGLH$Q]DKOGHU6WXIHQRGHUDQGHUVDXVJHGUFNW HU YHUULQJHUWH GLH =HLWHQ ]ZLVFKHQ GHQ *UDGXLHUXQJHQ  XP GHQ ,QWHUHVVDQWLVWGDVVGHUJHVDPWH%HUHLFKGHU.\nj*UDGHNDXPUHJOH- 6FKOHUQHLQHUHDOLVWLVFKHXQGEHUVFKDXEDUH3HUVSHNWLYHIULKU$XI- PHQWLHUWZXUGH'LH9HUJDEHYRQ.\nj*UDGHQZDUHLQH$QJHOHJHQ- VWHLJHQ]XELHWHQ$X‰HUGHPZXUGHQPLWGHU=HLWPHKURGHUZHQLJHU KHLWGHUHLQ]HOQHQ'ǀMǀXQGLVWHVLQ-DSDQELVKHXWH QDFKYROO]LHKEDUH .ULWHULHQ JHVFKDIIHQ QDFK GHQHQ *UDGXLHUXQJHQ YRUJHQRPPHQZXUGHQVRGDVVGDV6\VWHPIU6FKOHUWUDQVSDUHQWHU Gürtelfarben als Zeichen für Graduierungen ZDUDOVGLH9RUOlXIHUDXVGHP.RU\nj-njMXWVX (UVWHWZDGUHLELVYLHU-DKUHQDFKGHU(WDEOLHUXQJGHV*UDGXLHUXQJV- V\VWHPV DOVR FD  EHJDQQHQ GLH 'DQ7UlJHU GHV .ǀGǀNDQ Am Anfang waren die Dan-Grade VFKZDU]H*UWHODOV=HLFKHQIULKUH*UDGXLHUXQJ]XWUDJHQ)DUE- V\PEROHDOV5DQJXQWHUVFKHLGXQJJDEHVEHUHLWVLQHLQLJHQWUDGLWLRQHO- %HUHLWV NXU] QDFK *UQGXQJ GHV .ǀGǀNDQ QDKP .$1ƿ HLQH 8Q- WHUVFKHLGXQJ LQ 1LFKW *UDGXLHUWH 0XGDQVKD  XQG *UDGXLHUWH OHQ6FKXOHQ .RU\nj MHGRFKZDUHQGLHVFKZDU]HQ*UWHOHLQ6SH]L¿- <njGDQVKD YRU'LH%HJULIIVEHGHXWXQJVFKOVVHOWVLFKIROJHQGHUPD- NXPGHV.ǀGǀNDQ ‰HQDXI )DUELJH *UWHO ]XU 8QWHUVFKHLGXQJ GHU .\nj*UDGH ZXUGHQ VSlWHU VFKULWWZHLVHHLQJHIKUW,P-DKUJDOW]%IROJHQGH(LQWHLOXQJ ‰Z|UWOLFKÄZDVVHUEODX³ VSlWHUHEHQIDOOVZHL KHOOEODXQIlQJHU$ - (ڗޘnjGDQVKD (Њ> (ڗޘMudansha (೸ PX ೸  OHHURKQHQLFKW \nj Њ  YRUKDQGHQVHLQ - .\njELV.\njZHL‰ YRUKDQGHQVHLQ GDQ ޘ  6WXIH7UHSSH*UDG - .\njELV.\nj.LQGHUYLROHWW(UZDFKVHQHEUDXQ  ZXUGH VFKOLH‰OLFK DXFK HLQ )DUEV\VWHP EHL GHQ 3HUVRQ $P  0lU]  ڗ 6WXIH7UHSSH*UDG VKD  ޘ GDQ HQ PLW'DQ³ 'DQ*UDGHQHLQJHIKUW 3HUVRQ ಩Ä3HUVRQ  ڗ VKD ಩Ä3HUVRQ HQ RKQH'DQ³ - ELV'DQVFKZDU] 'LH*UDGXLHUXQJHQGHU<njGDQVKDDOVRGHU'DQ7UlJHUZXUGHQGHU - ELV'DQDOWHUQLHUHQGURWZHL‰ (LQIDFKKHLWKDOEHUGXUFKQXPPHULHUW'DQ'DQ'DQXVZ'LH - 'DQURW ZHLWHUH8QWHUWHLOXQJGHU0XGDQVKDLQ.\nj*UDGHZXUGHHUVWVSlWHU (UVWLP-DQXDUZXUGHDXFKGHP'DQHLQURWHU*UWHO]XJH- YRUJHQRPPHQ RUGQHW Wieviele Dan-Grade gibt es - und welche Graduierung hatte )UDXHQIUGLHHLQLJH6RQGHUUHJHOXQJHQJHOWHQKDEHQHLQHQVFKPD- -,*25ƿ.$1ƿ? OHQZHL‰HQ/lQJVVWUHLIHQLQLKUHP*UWHOXQGWUDJHQEHUHLWVDEGHP 'DQHLQHQURWHQ*UWHO 'DV'DQ6\VWHPZDUGHP*HGDQNHQIROJHQGGDVV:LVVHQXQG.|Q- QHQVWHWVZDFKVHQN|QQHQJUXQGVlW]OLFKQLFKWQDFKREHQEHJUHQ]W 5RWZHL‰HXQGURWH*UWHOJHOWHQLQ-DSDQYRUZLHJHQGDOV]HUHPR- 6RPHUNWH.$1ƿLQHLQHP$UWLNHOGHU=HLWVFKULIWÄ6DNNR³DQ QLHOOH*UWHOGLHVWHWVEHLIHLHUOLFKHQ$QOlVVHQDEHUQLFKWRGHUQXU GDVVHU]ZDU]HKQ'DQ*UDGHIHVWJHOHJWKDEHHVDEHUDXFKGXUFK- VHOWHQLPDOOWlJOLFKHQ7UDLQLQJJHWUDJHQZHUGHQ,QGHU3UD[LVJLEW DXVP|JOLFKVHLK|KHUH*UDGH]XHUUHLFKHQ6SlWHU XQG  HVDEHULQGLYLGXHOOH8QWHUVFKLHGH VFKXIHUDOOHUGLQJV)DNWHQLQGHPHUDOVK|FKVWHQ*UDGGHQ'DQ YHUOLHKHQ KDW VLHKH XQWHQ  XQG K|KHUH 'DQ*UDGH QLFKW PHKU HU- Kriterien für Graduierungen ZlKQWZXUGHQ6RPLWEOLHEXQGEOHLEWHVLQGHU3UD[LVEHL]HKQ'DQ- *UDGHQLP.ǀGǀNDQ-njGǀ VLHKHKLHU]XDXFK$QPHUNXQJ  :RIUVROOWHQQXQJDQ]DOOJHPHLQ*UDGXLHUXQJHQ]XHUNDQQWZHU- GHQ":LHVLQG)RUWVFKULWWHLQHLQHP6\VWHP]XEHPHVVHQGDVQHEHQ .$1ƿVHOEVWKDWWHEULJHQVNHLQHQ'DQ*UDGZHUVROOWHLQVHLQHP WHFKQLVFKHQXQGNlPSIHULVFKHQ)HUWLJNHLWHQDXFK*HVXQGKHLWVI|UGH- )DOOHDXFKEHUHLQH*UDGXLHUXQJHQWVFKHLGHQ" UXQJ&KDUDNWHUVFKXOXQJXQGVR]LDOH9HUDQWZRUWXQJDOVZHVHQWOLFKH =LHOHEHWRQW" .RQVHTXHQWHUZHLVHÀRVVHQ XQGÀLH‰HQELV]XPKHXWLJHQ7DJ GDKHU QHEHQGHQSUDNWLVFKHQ)HUWLJNHLWHQDXFKFKDUDNWHUOLFKHXQGVR]LDOH (LJHQVFKDIWHQLQGLH]XEHUFNVLFKWLJHQGHQ.ULWHULHQIU*UDGXLHUXQ-

20 GHUEXGRND JHQHLQ,QGHQJHGUXFNWHQ5HJHOQIU.\njXQG'DQ*UDGHGHV Bekanntgabe der Graduierungen und ihre Beurkundung .ǀGǀNDQKHL‰WHVGD]XLQ$UWLNHO EHUVHW]WDXV$%(11(77 6  -,*25ƿ.$1ƿZDUGHU$QVLFKWGDVVGLH%HXUNXQGXQJHLQHUQHXHQ*UD- GXLHUXQJ XQG HLQH HQWVSUHFKHQGH |IIHQWOLFKH:UGLJXQJ 6WRO] XQG Ä'LH(QWVFKHLGXQJEHUHLQH*UDGXLHUXQJEDVLHUWDXIGHP&KDUDN GDPLW0RWLYDWLRQGHUHUIROJUHLFKHQ.DQGLGDWHQDQUHJHQZUGH'LH WHUGHV.DQGLGDWHQVHLQHQ)HUWLJNHLWHQLQ.DWDXQG5DQGRUL:LVVHQ HUVWHQ*UDGXLHUXQJVXUNXQGHQZXUGHQEHUHLWVJHGUXFNWELVGD- EHU -njGǀ 7HLOQDKPHDP -njGǀ7UDLQLQJ (UJHEQLVVH LP -njGǀ XVZ KLQZDUHQVLHKDQGVFKULIWOLFKDEJHIDVVW,PVHOEHQ-DKUIDQGDXFKGLH 'LH%HXUWHLOXQJGHU.DQGLGDWHQJHVFKLHKWDXIGHU%DVLVGHUIROJHQ HUVWHJUR‰H9HUOHLKXQJV]HUHPRQLHLP5DKPHQGHU(U|IIQXQJVIHLHU- GHQ.ULWHULHQ OLFKNHLWHQIUGDV'ǀMǀLQ6KLPRWRPL]DNDFKǀPLW]X(KUHQGHQ VWDWW,QWHUHVVDQWLVWGHU7H[WGHU8UNXQGHQ D ZHQQHLQ.DQGLGDWFKDUDNWHUOLFKH0lQJHODXIZHLVWZLUGHUQLFKW JUDGXLHUWDXFKZHQQHUDQGHUH%HGLQJXQJHQHUIOOW XQG'DQ E EHL.DQGLGDWHQGLHHLQHQJXWHQ&KDUDNWHUEHVLW]HQÀHL‰LJWUDL Ä'HU+DOWHUGLHVHV=HUWL¿NDWVKDWJUR‰H$QVWUHQJXQJHQLP6WXGLXP QLHUHQGLHGDVGXUFK-njGǀ*HOHUQWHLPWlJOLFKHQ/HEHQDQZHQGHQ YRQ1LKRQGHQ.ǀGǀNDQ-njGǀXQWHUQRPPHQXQGDXVUHLFKHQGH)RUW XQGGXUFK-njGǀ)RUWVFKULWWHJHPDFKWKDEHQN|QQHQKLHUGXUFKELV VFKULWWHJHPDFKWXPPLWGHP  'DQDXVJH]HLFKQHW]XZHUGHQ ]XHLQHPJHZLVVHQ*UDGHWHFKQLVFKH'H¿]LWHDXVJHJOLFKHQZHUGHQ (U ZLUG VHLQ 7UDLQLQJ IRUWVHW]HQ XP VHLQH )HUWLJNHLWHQ ]X YHUEHV F GLH%HZHUWXQJGHU-njGǀ7HFKQLNHQEHUFNVLFKWLJWEHVRQGHUV+DO VHUQ³ WXQJ%DODQFHXQG6LFKHUKHLWEHLGHU$XVIKUXQJ XQG'DQ G ,Q%H]XJDXIGDV:LVVHQEHU-njGǀPVVHQ.DQGLGDWHQIUGHQ 'DQRGHUK|KHUHLQVLFKHUHV9HUVWlQGQLVGHU7KHRULHGHU-njGǀ ÄhEHU HLQHQ =HLWUDXP YRQ PHKUHUHQ -DKUHQ KDW GHU +DOWHU GLHVHV 7HFKQLNHQQDFKZHLVHQXQGGHPRQVWULHUHQZHOFKH%HGHXWXQJGLHVLQ =HUWL¿NDWV JUR‰H $QVWUHQJXQJHQ EHLP 6WXGLXP YRQ 1LKRQGHQ LKUHP-njGǀKDW³ .ǀGǀNDQ-njGǀXQWHUQRPPHQJUR‰HWHFKQLVFKH)lKLJNHLWHQJH]HLJW XQGZLUGKLHUIUPLWGHP  'DQDXVJH]HLFKQHW(UZLUGZHLWHU 7HFKQLVFKH)HUWLJNHLWHQXQG.DPSIVWlUNHVLQGDOVREHLZHLWHPQLFKW VWXGLHUHQXPHLQ/HKUHU]XZHUGHQ³ GLHHLQ]LJHQ.ULWHULHQIUGLH9HUJDEHHLQHU*UDGXLHUXQJZDVLQ$Q- EHWUDFKWGHV$QVSUXFKVGHV.ǀGǀNDQ-njGǀHLQXPIDVVHQGHV6\VWHP 'DQ ]XU3HUV|QOLFKNHLWVELOGXQJ]XVHLQQXUNRQVHTXHQWLVWVLFKMHGRFK ÄhEHU HLQHQ =HLWUDXP YRQ PHKUHUHQ -DKUHQ KDW GHU +DOWHU GLHVHV QDWXUJHPl‰HLQHUREMHNWLYHQ%HXUWHLOXQJQRFKPHKUHQW]LHKWDOVGLH =HUWL¿NDWV JUR‰H $QVWUHQJXQJHQ EHLP 6WXGLXP YRQ 1LKRQGHQ hEHUSUIXQJSUDNWLVFKHU)HUWLJNHLWHQ .ǀGǀNDQ-njGǀXQWHUQRPPHQHLQH0HLVWHUVFKDIWLQGHU7HFKQLNGH 'LH/HLVWXQJHQLQ5DQGRULZXUGHQ XQGZHUGHQLPPHUQRFK GXUFK PRQVWULHUWXQGZLUGKLHUIUPLWGHP'DQDXVJH]HLFKQHW(UPXVV GLH (UJHEQLVVH EHL GHQ UHJHOPl‰LJ VWDWW¿QGHQGHQ *UDGXLHUXQJVWXU- ZHLWHUVWXGLHUHQXPHLQHFKWHU0HLVWHU]XZHUGHQ³ QLHUHQ 7VXNXQDPLVKLDLXQG.RKDNXVKLDL EHXUWHLOW8PJUDGXLHUW $XVGHQ)RUPXOLHUXQJHQZLUGHUVLFKWOLFKGDVVHLQ'DQ*UDGNHLQHV- ]X ZHUGHQ PXVV HLQ .DQGLGDW  ELV HLQVFKOLH‰OLFK ]XP  'DQ   ZHJV DOV Ä0HLVWHUJUDG³ ]X YHUVWHKHQ LVW ZLH HV LP :HVWHQ KlX¿J HLQHEHVWLPPWH$Q]DKODQ*HJQHUQLP:HWWNDPSIEHVLHJHQXQGVR YHUVWDQGHQZLUG'HU'DQPDUNLHUWYLHOPHKUGHQ(LQVWLHJLQHLQ GLH3XQNWHIUGLHQlFKVWH*UDGXLHUXQJVDPPHOQ'LH$Q]DKOGHUQ|- HUQVWKDIWHV -njGǀ6WXGLXP QDFKGHP PDQ GHQ$QIlQJHUVWDWXV EHU- WLJHQ3XQNWHUHGX]LHUWVLFKPLWGHU'DXHUGHU9RUEHUHLWXQJV]HLW(LQH ZXQGHQKDW 6RQGHUIRUP LVW GLH GLUHNWH*UDGXLHUXQJ ]XP QlFKVW K|KHUHQ *UDG ZHQQQDFKHLQDQGHUVHFKV*HJQHUXQGPLQGHVWHQVIQIGDYRQPLW,S $XIIlOOLJ LVW IHUQHU GDVV DOOH %HXUNXQGXQJVWH[WH PLW GHU $XIIRU- SRQEHVLHJWZXUGHQ GHUXQJVFKOLH‰HQZHLWHU]XVWXGLHUHQ'LHVEHWRQWQRFKHLQPDOGLH )XQNWLRQGHU*UDGXLHUXQJHQEHU$QHUNHQQXQJGHU$QVWUHQJXQJHQ 'HU %HUHLFK .DWD ZLUG EHL K|KHUHQ 'DQ*UDGHQ GXUFK |IIHQWOLFKH DXFKGLHVHZHUGHQLQGHQ7H[WHQMHZHLOVOREHQGHUZlKQW]XIRUWJH- 9RUIKUXQJHQ QDFKJHZLHVHQ )U KRKH 'DQ*UDGH HUIROJHQ GLHVH VHW]WHQ%HPKXQJHQ]XPRWLYLHUHQ DXIHQWVSUHFKHQGKRFKUDQJLJHQ9HUDQVWDOWXQJHQ6RPXVVWH]%GHU PHKUPDOLJH:HOWPHLVWHUXQG2O\PSLDVLHJHU<$68+,52<$0$6+,7$IU Regularien und Prüfungsregeln GLH*UDGXLHUXQJ]XP'DQGLH.RVKLNLQR.DWDYRUUXQG =XVFKDXHUQLP5DKPHQSURJUDPPGHU$OOMDSDQLVFKHQ0HLVWHUVFKDI- ,Q GHU$QIDQJV]HLW GHV .ǀGǀNDQ HQWVFKLHG -,*25ƿ.$1ƿ QRFK SHU- WHQGHPRQVWULHUHQ,QGLHVHP-DKUWUDIHVLQJOHLFKHU:HLVH+,726+, V|QOLFK EHU MHGH *UDGXLHUXQJ 0LW ]XQHKPHQGHU 9HUEUHLWXQJZDU 6$,7ƿHEHQIDOOVHKHPDOLJHU:HOWPHLVWHUXQG2O\PSLDVLHJHU GLHVDEHUQLFKWPHKUP|JOLFK1DFKXQGQDFKZXUGHQ*UHPLHQHLQJH- VHW]WGLHEHU5HJXODULHQIRUPDOHUXQGLQKDOWOLFKHU$UWEHVFKORVVHQ (LQZLHLQ'HXWVFKODQGGHWDLOOLHUWIHVWJHOHJWHVWHFKQLVFKHV3URJUDPP 9RUVFKOlJH]X*UDGXLHUXQJHQVLFKWHWHQXQG(QWVFKHLGXQJHQGDUEHU GHVVHQ%HKHUUVFKXQJGXUFKHLQH.RPPLVVLRQDEJHSUIWZLUGJLEWHV WUDIHQ'LH'DUVWHOOXQJGHU5HJXODULHQLP(LQ]HOQHQZUGHMHGRFK LQGHQMDSDQLVFKHQ3UIXQJVULFKWOLQLHQQLFKWZHGHUIUKHUQRFKKHX- GHQ5DKPHQGLHVHV$XIVDW]HVVSUHQJHQ'LHZLFKWLJVWHQ0HLOHQVWHL- WHÄ7HFKQLN³ZLUGLP5DKPHQGHU.DWDJHSUIW QHZDUHQ

Nachdem die Polizei in Japan ab ca. 1877/1878 wieder verstärkt damit be- -,*25ƿ.$1ƿ verdoppelte die Anzahl der Stufen aus dem traditionellen gann, den Schwertkampf zu betreiben und zu fördern, wurde das tradi- -njMXWVX - die Folie zeigt wiederum eine typische, nicht für alle Schulen tionelle Lizenzierungssystem - die Folie zeigt eine typische, d.h. nicht für einheitliche Einteilung - und schuf so das aufwärts zählende Dan-System. alle Schulen einheitliche, Stufenfolge - durch ein abwärts zählendes .\nj Später wurde das abwärts zählende .\nj und das aufwärts zählende Dan- -System ersetzt. System zum heutigen .\nj'DQ-System verschmolzen.

GHUEXGRND 21 -૖ᕎ௉۲ Ä5HޘحڗޘYnjGDQVKDVKǀթ GDQ Њ VXLVHQNLVRNX *UDG 1DPH 9HUOLHKHQDP JHOQ IU GLH (PSIHKOXQJ ]XU (UK|KXQJ GHU 'DQ*UDGXLHUXQJ YRQ 'DQ7UlJHUQ³ 'DQ 6$,*ƿ6+,5ƿ $XJXVW ᒥཤᏈ༶沢௉۲ Ä3UIXQJVUHJHOQ 720,7$7681(-,5ƿ Kǀթ Gǀթ NDQVKLNHQNLVRNX ড௉۲ թޘ թ թ թ GHVKǀGǀNDQ³VRZLH'DQ.\njNLVRNX Ä'DQ.\nj5HJHOQ 'DQ 6$,*ƿ6+,5ƿ 1RYHPEHU թ GHV.ǀGǀNDQ³ 720,7$7681(-,5ƿ ཋޘحᒥཤᏈ Kǀթ Gǀթ NDQ6Kǀթ GDQVKLNDNXQLNDQVXUXQDLNL थ቎栱ሼቮ␔௉ Ä5HJXODULHQIUGLH4XDOL¿NDWLRQ]XP(UKDOWHLQHV 'DQ <$0$6+,7$<26+,768*8 6HSWHPEHU K|KHUHQKǀթ Gǀթ NDQ'DQ*UDGHV³ 'DQ1RYHPEHU 'DQ-XQL .OHLQHUH 0RGL¿NDWLRQHQ HUIROJWHQ QRFK  XQG HWZDV ZHLWHUUHL- FKHQGH LP -DKU  DOV GLH *UDGXLHUXQJVUHJHOQ IU 0lQQHU XQG 'DQ 6$,*ƿ6+,5ƿ $XJXVW EHUVSUDQJ )UDXHQ]XP7HLODQJHJOLFKHQZXUGHQ GHQ'DQ 'DQ 720,7$7681(-,5ƿ )HEUXDU Graduierung, Prestige und Macht 'DQ <$0$6+,7$<26+,768*8 -DQXDU 'DV*UDGXLHUXQJVV\VWHPZXUGHNRQVHTXHQWDOV0LWWHOGHUH[WULQVL- <2.2<$0$6$.8-,5ƿ VFKHQ0RWLYDWLRQHQWZLFNHOW,QVEHVRQGHUHGLH|IIHQWOLFKH%HNDQQW- 'DQ <$0$6+,7$<26+,768*8 1RYHPEHU PDFKXQJ GHU *UDGXLHUXQJ XQG GLH ELV KHXWH EOLFKH 1HQQXQJ GHU <2.2<$0$6$.8-,5ƿ *UDGXLHUXQJEHL|IIHQWOLFKHQ$QOlVVHQVRUJWHQGDIUGDVVLQHLQHP 'DQ*UDGHLQKRKHU3UHVWLJHZHUWJHVHKHQZXUGHXQGZLUG 'DQ <2.2<$0$6$.8-,5ƿ 6HSWHPEHU +LQ]XNDPQRFKGDVVLQGHQÄ(UZDUWXQJHQDQGLH.ǀGǀNDQ6FKOHU³ 'DQ <$0$6+,7$<26+,768*8 $SULO IRUPXOLHUWZDUGDVVVLFKGLHZHLWHUIRUWJHVFKULWWHQHQ6FKOHUXPGLH 1$*$2.$+,'(,&+, ZHQLJHUZHLW)RUWJHVFKULWWHQHQEHPKHQXQGXPJHNHKUWGLHÄ-XQL- ,62*$,+$-,0( RUV³GHQ5DWVFKOlJHQGHUÄ6HQLRUV³IROJHQVROOWHQ 'DQ <$0$6+,7$<26+,768*8 2NWREHU SRVWKXP DOOH 1$*$2.$+,'(,&+, 'H]HPEHU 'DV.\nj'DQ6\VWHPEHVWLPPWHDXIGLHVH:HLVHDOVRZHVHQWOLFKGLH ,62*$,+$-,0( 'H]HPEHU +LHUDUFKLH LQQHUKDOE GHV 'ǀMǀ 'LHV IKUWH QDWUOLFK ]ZDQJVOlX¿J 0,)81(.<Nj=ƿ 0DL GD]XGDVVGHQMHQLJHQGLHEHU*UDGXLHUXQJHQHQWVFKHLGHQHLQEH- ,=8.$.81,6$%85ƿ $SULO VRQGHUHV0DFKWPLWWHODQGLH+DQGJHJHEHQZXUGHGHQQVLHYHUJDEHQ 6$085$.$,&+,5ƿ $SULO GLH5lQJHLQGHUVR]LDOHQ2UGQXQJGHV-njGǀ 7$%$7$6+ƿ7$5ƿ $SULO 2.$1ƿ.ƿ7$5ƿ -XQL SRVWKXP Wer waren die ersten Träger der einzelnen Dan-Grade? 6+ƿ5,.,0$7687$5ƿ 2NWREHU SRVWKXP 'LHIROJHQGHhEHUVLFKW]HLJWGLHHUVWHQ*UDGXLHUWHQIUMHGHQ'DQ- 1$.$1ƿ6+ƿ=ƿ 'H]HPEHU SRVWKXP *UDGXQGGLHYROOVWlQGLJH/LVWHDOOHU7UlJHUGHV'DQ.ǀGǀNDQ .85,+$5$7$0,2 2NWREHU SRVWKXP ELVKHXWH .27$1,680,<8., $SULO '$,*2726+,5ƿ -DQXDU $%(,&+,5ƿ -DQXDU 26$:$<26+,0, -DQXDU

Portraits aller ELVKHULJHQ Träger des 10. Dan .żGżNDQ <$0$6+,7$<26+,768*8 1$*$2.$+,'(,&+, ,62*$,+$-,0(

0,)81(.<Nj=ƿ ,=8.$.81,6$%85ƿ 6$085$.$,&+,5ƿ 7$%$7$6+ƿ7$5ƿ

22 GHUEXGRND $QGLHVHU$XIVWHOOXQJVLQGPHKUHUH3XQNWHDXIIlOOLJ   'DV .\nj'DQ6\VWHP LVW HLQ ]ZHLVFKQHLGLJHV 6FKZHUW (LQHU- VHLWVNDQQHVGLH)XQNWLRQHQGLH.$1ƿLKP]XJHGDFKWKDWGXUFKDXV - ,QGHU$QIDQJV]HLWZDUHQGLH=HLWHQ]ZLVFKHQGHQ'DQ*UDGXLH- HUIOOHQDQGHUHUVHLWV|IIQHWHVDXFK1HLG0LVVJXQVW(LWHONHLWXQG UXQJHQMHGHQIDOOVEHLGHQKHUDXVUDJHQGHQ6FKOHUQDXVJHVSURFKHQ 0DFKWEHGUIQLVVHQ 7U XQG 7RU  (LJHQVFKDIWHQ GLH GHQ VR]LDOHQ NXU] =LHOHQYRQ-njGǀ JHQDX HQWJHJHQODXIHQ'LH *UHQ]H ]ZLVFKHQ GHP - (VGDXHUWH-DKUHYRQGHUHUVWPDOLJHQ9HUOHLKXQJHLQHV'DQ -njGǀGLHQOLFKHQÄSROLWLVFKHQ³9HUOHLKXQJHQGLHVHZDUHQWHLOZHLVH ELV]XU9HUOHLKXQJHLQHV'DQDEHUQXUIQI-DKUHELVGHUVRDXV- ZLFKWLJ]XU9HUEUHLWXQJGHV-njGǀXQGGHU.RUUXPSLHUXQJGHV6\V- JH]HLFKQHWH<< $0$6+,7$SRVWKXPPLWGHP'DQJHHKUWZXUGH WHPVZDUXQGLVWQLFKWLPPHUWUHQQVFKDUI - $XIUHODWLYYLHOH9HUOHLKXQJHQHLQHV'DQ]ZLVFKHQXQG IROJWHIUHLQHQ=HLWUDXPYRQ-DKUHQEHUKDXSWNHLQH9HUOHL-  'HU9HUVXFKGHU6FKDIIXQJÄKDUWHU³.ULWHULHQLP*UDGXLHUXQJV- KXQJHLQHV'DQ ZHVHQEHGLQJWHLQHQ7UHQG]XHLQHUIRUWVFKUHLWHQGHQ)RUPDOLVLHUXQJ - 'LHQlFKVWHQYLHU9HUOHLKXQJHQHLQHV'DQHUIROJWHQDXVQDKPV- XQG5HJXOLHUXQJ+LHUEHLEHVWHKWQDWXUJHPl‰GLH*HIDKUGXUFKIRU- ORVSRVWKXP PDOH %HVFKUlQNXQJHQ &KDQFHQ ]XU +RQRULHUXQJ GHV LQGLYLGXHOOHQ - (UVWZLHGHUZXUGHHLQHPOHEHQGHQ-njGǀNDGHU'DQYHU- )RUWVFKULWWV ]X YHUVSLHOHQ 'DV *UDGXLHUXQJVZHVHQ NDQQ  ZLH GDV OLHKHQHUVWPDOVQDFK-DKUHQ JHVDPWH-njGǀDEHUQLFKWDXIGLH%HWRQXQJGHU9HUDQWZRUWOLFKNHLW - (VGDXHUWHZHLWHUH-DKUHELVGHU'DQHUQHXWYHUOLHKHQZXU- YRQhEXQJVOHLWHUQXQG7UDLQHUQYHU]LFKWHQGLHDXFKLQGHU/DJHVHLQ GH GDQQ DEHU HUVWPDOV LQ GHU *HVFKLFKWH JOHLFK DQ GUHL 3HUVRQHQ PVVHQ ÄSlGDJRJLVFKH³ *UDGXLHUXQJHQ YRU]XQHKPHQ 'LHVH 9HU- JOHLFK]HLWLJ DQWZRUWXQJDOV:HVHQVEHVWDQGWHLOGHV.ǀGǀNDQ-njGǀJLOWHVQDFK hEHU]HXJXQJGHV9HUIDVVHUV]XVWlUNHQ 'LH*UQGHKLHUIUOLHJHQXQWHUDQGHUHPGDULQGDVVVRZRKO.0,)8- 1(  DOVDXFK6.27$1,  DOV]XGLHVHU=HLWHLQ]LJHOHEHQGH  'LH9HUZHQGXQJGHULQ(XURSDEOLFKHQ*UWHOIDUEHQIU.\nj- 7UlJHUGHV'DQYHUVWRUEHQVLQGRKQHGLH9HUOHLKXQJGLHVHV*UD- *UDGH ZHL‰JHOERUDQJHJUQEODXEUDXQ HQWVWDPPWQLFKWGHP GHVDQHLQHQ1DFKIROJHUEHWULHEHQ]XKDEHQ .ǀGǀNDQ)DUELJH*UWHOXQJHIlKULQGHUKHXWHEOLFKHQ5HLKXQJ  XP .\nj*UDGH DQ]X]HLJHQ WDXFKWHQ LP -njGǀ HUVWPDOV HWZD XP DP%XGRNZDLLQ/RQGRQDXI Persönliche Anmerkungen   9HUVFKLHGHQWOLFK LVW ]X OHVHQ GDVV HV ]Z|OI 'DQ*UDGH LP   ,P -DKU  ZXUGH GLH 'DL1LKRQ%XWRNXNDL '1%.  GLH .ǀGǀNDQ-njGǀJlEH7HLOZHLVHZHUGHQVRJDU*UWHOIDUEHQ ZHL‰ XQG Ä*UR‰MDSDQLVFKH9HUHLQLJXQJGHU.ULHJVNQVWH³JHJUQGHWLQGHUHV EHVFKDIIHQKHLW GRSSHOWH %UHLWH  XQG SKLORVRSKLVFKH (UNOlUXQJHQ 6HNWLRQHQIU-njMXWVX.HQMXWVX .HQGǀ XVZJDE'LH'1%.HWDE- YRQGHU$UWDQJHERWHQZLHÄGHU.UHLVVFKOLH‰WVLFKXQGGHUZDKUH OLHUWHHLQLP*UR‰HQXQG*DQ]HQHLQKHLWOLFKHV*UDGXLHUXQJVV\VWHP 0HLVWHUZLUGZLHGHU]XP6FKOHU³ÄGHU'DQUHSUlVHQWLHUWGHQ IUGLHXQWHUVFKLHGOLFKHQ.DPSINQVWH'DLP.HQMXWVXEHUHLWVGDV *HLVWGHV-njGǀ³RGHUÄZHL‰LVWGLH)DUEHGHV/HEHQV $QIDQJ XQG .\nj6\VWHP LP .ǀGǀNDQ-njGǀ GDV 'DQ6\VWHP YRUKDQGHQ ZDU GHV(QGHV 7RG ³,QGHQRI¿]LHOOHQ5HJXODULHQGHV.ǀGǀNDQ¿QGHW ZXUGH]XU9HUHLQKHLWOLFKXQJDOV.RPSURPLVVHLQNRPELQLHUWHV6\V- VLFKMHGRFKQLFKWVGHUJOHLFKHQ WHPDXV.\njXQG'DQ*UDGHQIUEHLGHHQWZLFNHOWGDVLQlKQOLFKHU )RUPDXFKLQDQGHUH.DPSINQVWH .\XGǀ$LNLGǀ.DUDWHXD EHU-  'LH$Q]DKOGHU9HUOHLKXQJHQYRQ'DQ*UDGHQELVHLQVFKOLH‰OLFK QRPPHQZXUGH 'DQIUDX‰HUJHZ|KQOLFKH9HUGLHQVWHLVWLQ-DSDQIUHLQH3HUVRQ DXIPD[LPDOHLQPDOEHVFKUlQNW

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GHUEXGRND 23  'DV*UDGXLHUXQJVZHVHQLQ'HXWVFKODQGKDWLQGHQYHUJDQJHQHQ UXQG-DKUHQHLQHHLJHQVWlQGLJH(QWZLFNOXQJJHQRPPHQGLHGXUFK ,035(6680 HLQHQ VWHWLJ JHZDFKVHQHQ 8PIDQJ GHU %HVWLPPXQJHQ 3UIXQJV 9HUIDKUHQV(KUHQRUGQXQJVRZLHXPIDQJUHLFKHU.RPPHQWLHUXQJHQ  „der budoka“ - Verbandsmagazin des Dachverbandes für JHNHQQ]HLFKQHWLVW Budotechniken Nordrhein-Westfalen e.V. (LQLJHGHUGHXWVFKHQ(QWZLFNOXQJHQVLQGLP5DKPHQGHURULJLQDOHQ -DKUJDQJ ,GHHQGHV.ǀGǀNDQ-njGǀMHGRFKGXUFKDXVNULWLVFK]XVHKHQ Herausgeber, Verlag, Redaktion, Anzeigen- und Abo- 6RLVWHV]%IU-DSDQHUXQGHQNEDUGDVV'DQ7UlJHUNHLQH)HUWLJ- verwaltung: NHLWHQLP5DQGRULZHGHUDXIGHQ3UIXQJHQVHOEVWQRFKLQGHQ=X- 'DFKYHUEDQGIU%XGRWHFKQLNHQ1RUGUKHLQ:HVWIDOHQH9 ODVVXQJVEHGLQJXQJHQQDFKZHLVHQPVVHQ$XFKZLUGGDVSlGDJRJL- 3RVWIDFK VFKH,QVWUXPHQWÄLQGLYLGXHOOH$QHUNHQQXQJ³VWXPSIJHPDFKWZHQQ 'XLVEXUJ SDXVFKDOJOWLJH0LQGHVWDOWHUXQG9RUEHUHLWXQJV]HLWHQGLH0|JOLFK- )ULHGULFK$OIUHG6WU NHLWHQGHU*UDGXLHUXQJMQJHUHUXQGRGHUEHVRQGHUVÀHL‰LJHU.DQ- 'XLVEXUJ GLGDWHQEHVFKUlQNHQXQGJOHLFK]HLWLJDOOH3UÀLQJHYRP.LQGELV 7HOHIRQ ]XPlOWHUHQ(UZDFKVHQHQGDVVHOEH3URJUDPPGHPRQVWULHUHQPV- 7HOHID[ VHQGDVOHGLJOLFKJHULQJH:DKOP|JOLFKNHLWHQVRZLH$QSDVVXQJHQIU (0DLOLQIR#EXGRQUZGH 0HQVFKHQPLW%HKLQGHUXQJHQ]XOlVVW ZZZEXGRQUZGH 'HU VFKZDU]H *UWHO ZXUGH LP :HVWHQ HQWJHJHQ GHU %HGHXWXQJ Redaktionsleitung: (ULN*UXKQ YHUDQWZRUWOLFK  LQ -DSDQ PLW GHU$XUD GHV Ä0HLVWHUV³ YHUEXQGHQ XQG JOHLFK]HLWLJ (0DLO*UXKQ#EXGRQUZGH LQ 'HXWVFKODQG GXUFK GLH (LQIKUXQJ YRQ PLWWOHUZHLOH QHXQ .\nj- Redaktionsschluss: GHUGHV9RUPRQDWV *UDGHQIUGHQ$QIlQJHULQZHLWH)HUQHJHUFNW:lKUHQGLQ-DSDQ GHU'DQQDFKFD-DKUHQEHUHLWVLP$OWHUYRQ-DKUHQHU- ,661 ZRUEHQZHUGHQNDQQLVWGLHVLQ'HXWVFKODQGIUKHVWHQVQDFKFD Druck: -DKUHQP|JOLFK$XIGHUDQGHUHQ6HLWHVWHOOHQVLFKYLHOH7UlJHUGHV 6(732,176FKLII .DPS*PE+  RGHU  'DQ IUHL QDFK GHP 0RWWR ÄVFKZDU] LVW VFKZDU]³ NHLQHU 0RHUVHU6WU ZHLWHUHQ3UIXQJPHKUZDVQLFKWVDQGHUHVDXVGUFNWDOVGDVVGDV .DPS/LQWIRUW 6\PEROGLHVFKZDU]H*UWHOIDUEHVFKHLQEDUZLFKWLJHULVWDOVGLH *UDGXLHUXQJVHOEVW Anzeigenpreise: 3UHLVOLVWH1UYRP $OOHUGLQJVJLEWHVDXFKHLQHQSRVLWLYHQ7UHQGQlPOLFKGDVV7UlJHU Erscheinungsweise: PRQDWOLFK[LP-DKU GHV'DQLP$OOWDJ]XQHKPHQGGHQQRUPDOHQVFKZDU]HQXQGQLFKW 0LW1DPHQJHNHQQ]HLFKQHWH%HLWUlJHJHEHQQLFKWXQEHGLQJW PHKU GHQURWZHL‰HQ*UWHOEHYRU]XJHQXQGVRDXIGDV7UDJHQGHV GLH0HLQXQJGHU5HGDNWLRQZLHGHU)UXQYHUODQJWHLQJHVDQGWH 6\PEROVLKUHU*UDGXLHUXQJYHU]LFKWHQ 0DQXVNULSWH)RWRVXQG'DWHQWUlJHUZLUGNHLQH+DIWXQJEHUQRP- PHQ Literatur: Lieferbedingungen: %(11(77$/(;-LJRUǀ.DQǀDQGWKH.ǀGǀNDQDQLQQRYDWLYH5HVSRQVHWR -DKUHVDERQQHPHQW¼ 0RGHUQLVDWLRQ.ǀGǀNDQ-njGǀ,QVWLWXWH %HL%DQNHLQ]XJHUPl‰LJWVLFKGHU3UHLVIUGDV-DKUHVDERQQHPHQW DXI¼%H]XJVJHEKUHQZHUGHQMHZHLOVIUGDV.DOHQGHUMDKU %251 ',(7(5 'LH (QWZLFNOXQJ GHV *UDGXLHUXQJVV\VWHPV LQ -DSDQ 9RUWUDJ EHLP'-%'DQ7UlJHU7UHIIHQDP2NWREHU HUKREHQ 1,(+$86$1'5($6/HEHQXQG:HUN.DQǀ-LJRUǀV  (UJRQ9HUODJ (LQ]HOKHIWSUHLV¼ ]]JO9HUVDQGNRVWHQ  %HL%HVWHOOXQJHQPHKUHUHU([HPSODUH.RQGLWLRQHQDXI$QIUDJH 'LH.QGLJXQJGHV$ERVLVWPLWHLQHU)ULVWYRQVHFKV :RFKHQ]XP(QGHGHV.DOHQGHUMDKUHVP|JOLFK ,KUH0HLQXQJLVWXQVZLFKWLJ Urheberrechtlicher Hinweis: 'DV0DJD]LQDOOHHQWKDOWHQHQ%HLWUlJHXQG$EELOGXQJHQVLQGXU- Schreiben Sie uns per E-Mail an [email protected] KHEHUUHFKWOLFKJHVFKW]W-HGH9HUZHQGXQJGLHQLFKWDXVGUFNOLFK Wir werden Ihren Leserbrief nach Möglichkeit veröffentli- YRP8UKHEHUJHVHW]]XJHODVVHQLVWEHGDUIGHUYRUKHULJHQ=XVWLP- chen, behalten uns aber den Abdruck sowie Kürzungen vor. PXQJGHV9HUODJHV'LHVJLOWLQVEHVRQGHUHIU9HUYLHOIlOWLJXQJHQ Leserbriefe geben nicht unbedingt die Meinung der Redak- hEHUVHW]XQJHQ0LNURYHU¿OPXQJHQGLH(LQVSHLFKHUXQJXQG tion wieder. 9HUDUEHLWXQJLQ'DWHQV\VWHPHQ

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24 GHUEXGRND Grundwissen der Geschichte des .żGżNDQ-ƈGżLQ-DSDQ

von Wolfgang Dax-Romswinkel

Teil 14: Entwicklung GHU:HWWNDPSIUHJHOQGHV.ǀGǀNDQ-njGǀ

6WHOOHQZHUWYRQ:HWWNlPSIHQLQHLQHP6\VWHPGHU3HUV|QOLFK- Seine wesentlichen Grundgedanken fasste er im Mai 1900 zusammen keitsbildung (übersetzt aus $%(11(77, S. 103): Es liegt in der Natur des Wettkampfes, dass er einen selektiven Cha- Ä*UXQGVlW]OLFKVROOWHQ:HWWNDPSIUHJHOQQLFKWEHUWULHEHQGHWDLOOLHUW rakter hat, denn im Wettkampf werden stets Sieger und Besiegte er- DXVIRUPXOLHUW VHLQ XP QRFK 6SLHOUlXPH IU HLQH )DOO]X)DOO(QW mittelt. Können Wettkämpfe in ein System passen, in dem die we- VFKHLGXQJ]XODVVHQ,QHLQHPUHDOHQ.DPSIVLQG6LHJXQG1LHGHUODJH sentlichen Ziele Selbstverteidigung, Leibesertüchtigung und geistig- GXUFK W|WHQ RGHU JHW|WHW ZHUGHQ EHVWLPPW 5DQGRUL LP -njGǀ VROOWH moralische Schulung sind? Kann man auf diesen Feldern sinnvoll DXFKDOVV\PEROLVFKHU.DPSIDXI/HEHQXQG7RGJHIKUWZHUGHQ:HLO konkurrieren? Geht es nicht um die eigene, höchst individuelle Ent- HVDEHUNHLQW|GOLFKHU.DPSILP:RUWVLQQLVWPXVVPDQYLHO:HUWDXI wicklung? Wie also fügen sich Wettkämpfe in ein System der Persön- GLH9HUPHLGXQJYRQ9HUOHW]XQJHQOHJHQ lichkeitsentwicklung ein? (LQHVGHU=LHOHGHV-njGǀLVWGLH/HLEHVHUWFKWLJXQJ'DVKHL‰WGDVV Diese Fragen wurden, das sei gleich zu Beginn bemerkt, auch in der GLH .DPSIULFKWHU GLH$XIJDEH KDEHQ GLH :HWWNlPSIHU]XU$QZHQ deutschen Sportpädagogik - vor allem im Rahmen der bildungstheo- GXQJYRQYLHOHQYHUVFKLHGHQHQ7HFKQLNHQ]XHUPXWLJHQXPDOOH7HLOH retischen Fachdidaktik - ab den 1950er- und verstärkt in den 1960er- GHV.|USHUV]XHQWZLFNHOQ und 1970er-Jahren diskutiert und Antworten gegeben. Da wir uns jedoch mit der Geschichte des .ǀGǀNDQ-njGǀ in Japan vor dem 2. 'DUEHUKLQDXV:HLOGLHJHLVWLJH(QWZLFNOXQJXQGGLH6HOEVWGLV]LS Weltkrieg befassen, wollen wir diese Gedanken ausklammern und OLQZHLWHUH=LHOHGHV-njGǀVLQGVROOWHQGLH.DPSIULFKWHUGDV(UJHE QLVDXIJUXQGGHUJHLVWLJHQ+DOWXQJGHU:HWWNlPSIHUEHXUWHLOHQXQG uns auf .$1ƿ6 .ǀGǀNDQ-njGǀ beschränken. JOHLFK]HLWLJLKUHWHFKQLVFKHQ)HUWLJNHLWHQEHREDFKWHQ³ Wettkämpfe, so -,*25ƿ.$1ƿ, haben einen motivierenden Charakter für das Training. Wettkämpfe schaffen Ziele und geben eine Rück- Bemerkenswert ist an dieser Passage einmal mehr, wie stringent meldung über das bislang erreichte. Aus den Wettkämpfen ergeben -,*25ƿ.$1ƿ den Gedanken der Persönlichkeitsentwicklung und der sich neue Ziele und Aufgaben für das weitere Training. Leibeserziehung in den Mittelpunkt seiner Überlegungen zur Ausge- staltung auch dieses Teilaspekts des .ǀGǀNDQ-njGǀ stellt. -njGǀ ohne Wettkämpfe war für -,*25ƿ.$1ƿ undenkbar. Jedes Mit- glied des .ǀGǀNDQVROOWHVRRIWHVJHKWDQGHQUHJHOPl‰LJVWDWW¿QGHQ- :HWWNlPSIHLPDXVJHKHQGHQ-DKUKXQGHUW den Turnieren teilnehmen. Dies war so explizit in den „Erwartungen an die .ǀGǀNDQ-Mitglieder“ formuliert. Ohne Wettkampfergebnisse Bereits in der Frühphase des .ǀGǀNDQ gab es verschiedene Formen wurde auch in der Regel niemand durch den .ǀGǀNDQ graduiert. von Wettkämpfen. Über die dabei verwendeten Regeln sind aller- dings bislang keine schriftlichen Aufzeichnungen gefunden worden, Dennoch ging es .$1ƿ nicht vorrangig um die Ergebnisse in Form so dass sich allenfalls aus Schilderungen über Kampfverläufe indi- von Sieg oder Niederlage, sondern um das Testen der eigenen Fähig- rekt auf die damaligen Regeln schließen ließe. Entsprechende wis- keiten und des eigenen Fortschritts. Hierzu mussten natürlich auch senschaftlich fundierte Ergebnisse liegen jedoch (noch?) nicht vor. die Rahmenbedingungen und die Regeln entsprechend ausgerichtet sein, um nicht die Ziele des .ǀGǀNDQ-njGǀ zu kompromittieren (vgl. In der Frühphase des .ǀGǀNDQ sind drei verschiedene Arten von hierzu auch Anmerkung 6 ganz unten). Wettkämpfen zu unterscheiden: 1. Wettkämpfe von .ǀGǀNDQ-Schülern untereinander, wie z.B. die regelmäßig seit Mitte der 1880er-Jahre bis heute VWDWW¿QGHQGHQ Ä5RW:HL‰7XUQLHUH³ (.RKDNX6KLDL), 2. Wettkämpfe zwischen .ǀGǀNDQ- Schülern und Schülern anderer -njMnjWVX- Schulen innerhalb des .ǀGǀNDQ, z.B. wenn diese den .ǀGǀNDQ besucht haben oder zu Kämpfen eingeladen wurden, 3. Wettkämpfe anderer Veranstalter, ]% GLH 3ROL]HL YRQ 7ǀN\ǀ EHL GHQHQ .ǀGǀNDQ-Schüler gegen Schüler anderer Schulen gekämpft haben. Man kann wohl davon ausgehen, dass in den ersten beiden Fällen Regeln des .ǀGǀNDQ angewendet wurden, während im dritten Fall der jeweilige Veranstalter die Regeln festgelegt hat. Genaues ist jedoch nicht bekannt.

'LH$WPRVSKlUH YRQ :HWWNlPSIHQ LQ GHU Butokuden, des zentralen 'ǀMǀ der Dai-Nippon ButokukaiLQ.\ǀWROlVVWVLFKDOOHQIDOOVHUDKQHQ

26 der budoka 9/2011 Entwicklung landesweiter Regeln für Randori und Wettkampf durch die Dai-Nippon-Butokukai 1899 Im Jahr 1895 wurde die „Großjapanische Vereinigung der Kampf- künste“ ('DL1LSSRQ%XWRNXNDL PLW6LW]LQ.\ǀWRJHJUQGHW%HLLKU handelte es sich um eine halbstaatliche Organisation, die die Kultur GHUMDSDQLVFKHQ.DPSINQVWHSÀHJHQXQGYHUEUHLWHQVROOWH=XGHQ Aktivitäten zählte auch ein alljährlich im Mai abgehaltenes Festival der Kampfkünste (%XWRNX6DL), zu dem landesweit Vertreter verschie- dener Schulen eingeladen wurden, um ihre Künste zu demonstrieren und um sich im Wettkampf zu messen. Zur Durchführung benötigte man gemeinsame Regeln für schulüber- greifende Vergleichskämpfe - übrigens ein weiteres Indiz dafür, dass es zu jener Zeit keine einheitlichen Regeln gab. Um diese zu erarbei- ten, wurde eine Kommission unter Leitung -,*25ƿ.$1ƿ6 berufen, der noch drei weitere .ǀGǀNDQ-Mitglieder (< < $0$6+,7$, 6<2.2<$0$ und H. ,62*$,) angehörten. Die anderen zahlreichen -njMnjWVX-Schulen waren nur durch insgesamt sieben Vertreter repräsentiert, was die Do- minanz des .ǀGǀNDQ in dieser Arbeitsgruppe deutlich ausdrückt. Nach ausgiebigen Diskussionen entstanden die „%XWRNXNDL-Regeln für 5DQGRUL und Wettkampf“, die aus 13 Artikeln bestanden.

Übernahme der Regeln für den .ǀGǀNDQ ,Q OHLFKW PRGL¿]LHUWHU )RUP ZXUGHQ GLHVH 5HJHOQ VSlWHU IU GHQ .ǀGǀNDQ übernommen. .$1ƿs ganzes politisches Talent und seine überragende Rethorik wird an seiner Begründung erkennbar (über- setzt aus $%(11(77, S. 104): Ä,FKJODXEHZLUVROOWHQGLHVH5HJHOQDXIJUXQGGHVVLJQL¿NDQWHQ%HL WUDJVXQVHUHU0LWJOLHGHUEHLLKUHU)RUPXOLHUXQJDXFKLP.ǀGǀNDQ YHUZHQGHQ-njMnjWVXXQG.ǀGǀNDQ-njGǀVLQGYRQ1DWXUDXVYHUVFKLH 'LHQLFKWDXIGHU0DWWHDEJHVHW]WH+DQGGHV.lPSIHUVLP.QLHVWDQGXQG GLHGDPDOLJHQRFKQLFKWVHKUDXVJHUHLIWH)RWRWHFKQLNOlVVWGDUDXIVFKOLH‰HQ GHQDEHU-njMnjWVXhEHQGHEHJLQQHQLKUH'HQNZHLVH]XlQGHUQXQG dass in dieser Szene wenig Bewegung war. Es handelt sich damit offenbar lKQOLFKH,GHHQ]XHQWZLFNHOQZLHZLUZDVGDV$XVKDQGHOQGHU5H um einen früher durchaus verbreiteten Versuch, den gegnerischen Ippon im JHOQUHODWLYHLQIDFKPDFKWH(VZDUQ|WLJGLH0HLQXQJYHUVFKLHGHQHU Standkampf zu vermeiden, indem man von sich aus in die Bodenlage geht, -njMnjWVX0HLVWHUHLQ]XEH]LHKHQZHLOHVGLH$EVLFKWZDU5HJHOQIUGLH XPGRUWZHLWHU]XNlPSIHQ'XUFKGLH5HJHOlQGHUXQJHQZXUGH %XWRNXNDLXQGQLFKWIUGHQ.ǀGǀNDQ]XHUDUEHLWHQ'HQQRFKN|QQHQ dies jedoch für .ǀGǀNDQ und Butokukai verboten, nicht jedoch für die „Ko- GLH5HJHOQEHUHLWVLQLKUHU MHW]LJHQ)RUP YRP .ǀGǀNDQYHUZHQGHW sen-“:HWWNlPSIHEHLGHQHQGLHVH7DNWLNZHLWHUKLQHUODXEWZDU ZHUGHQ,FKGHQNHHVLVWGHQQRFKNOXJHLQLJH$QSDVVXQJHQYRU]X QHKPHQ³ Die Erarbeitung dieser Regeln stellte den ersten großen politischen Kriterien für die Bewertung von Nage-waza Durchbruch für das .ǀGǀNDQ-njGǀ gegenüber den anderen -njMnjWVX- Schulen bei der %XWRNXNDL dar. Endgültig setzte sich dann der Die Kriterien für eine zu bewertende Wurftechnik sind im Wesentli- .ǀGǀNDQ an die landesweite Spitze des -njMnjWVX, als sieben Jahre spä- chen noch dieselben wie heute: ter 1DJH, .DWDPH und .LPHQRNDWD von einem Komitee - wieder- - 8NH muss auf den Rücken geworfen werden. (Anmerkung: Dies um unter Leitung .$1ƿs und aktiver Beteiligung führender .ǀGǀNDQ- ist durchaus bemerkenswert, denn in den alten -njMnjWVX-Stilen kam es Meister - als Standard-.DWD für Japan festgelegt wurden (siehe auch nicht darauf an, den Gegner kontrolliert auf den Rücken zu werfen, Teil 7: „Die .ǀGǀNDQ-Methoden - .DWD“). sondern ihn irgendwie zu Boden zu bringen. Durch den Aufprall soll- te er kampfunfähig gemacht werden oder in eine Position geraten, aus Einzelbestimmungen aus den Regeln von 1899 der heraus er kontrolliert und mit einer anderen Technik oder z.B. mit :DVZXUGHQXQDOVRNRQNUHWIHVWJHOHJWXQGZDVZXUGHLQPRGL¿]LHU- einem Messer endgültig besiegt werden konnte.) ter Form für den .ǀGǀNDQ übernommen? - Wenn 8NH auf den Rücken geworfen wird, wird die Technik be- wertet, auch wenn nicht klar ist, um welche Technik es sich genau Erlaubte Techniken handelt. - Wenn ein Kämpfer absichtlich zu Boden fällt oder als Folge eines $WHPLZD]D wurden in 5DQGRULund Wettkampf verboten. Es verblie- Unfalls (z.B. ausrutscht) wird die Aktion nicht bewertet. Wenn das ben also 1DJHZD]D und .DWDPHZD]D. Des Weiteren wurden Hebel Fallen jedoch das Resultat einer Wurftechnik oder Folge einer Ver- gegen Finger, Zehen, Hand- und Fußgelenke verboten. Zulässig wa- teidigung gegen eine andere Technik ist, so wird ein Punkt zuerkannt. ren jedoch zunächst noch Genick- und Kniehebel. In der Version des - Wenn 8NH es schafft, sich so abzudrehen, dass er nicht auf den Rü- .ǀGǀNDQ waren aufgrund der Verletzungsgefahr alle Hebeltechniken cken fällt, wird kein Punkt gegeben. für Kämpfer unter 1. 'DQ verboten. - Wenn 8NH jedoch, nachdem er gefallen ist, weiterrollt oder wieder aufsteht, wird ein Punkt zuerkannt, wenn deutlich ist, dass 8NH von Ippon - Nihon der Technik vollständig überwältigt wurde. Um zu gewinnen, musste man zwei Punkte erreichen, der erste Punkt - Wenn sich 8NH an 7RUL festklammert und so verhindert, geworfen zu wurde mit ,SSRQ, der zweite mit 1LKRQ vom Kampfrichter verkündet. werden, kann der Kampfrichter dennoch einen Punkt geben. Ein Punkt war das vollständige Überwältigen des Gegners mit einer zulässigen Technik. Mehrere nicht ganz vollständig erfolgreiche, aber Kriterien für die Bewertung von Katame-waza dennoch „gültige“ Techniken („:D]DDUL“) konnten zu einem Punkt .DWDPHZD]D wurden mit einem Punkt bewertet, wenn der Gegner zusammengefasst („:D]DDULDZDVHWH,SSRQ“) werden. aufgegeben hat („Abklopfen“ o.ä.) oder der Kampfrichter festgestellt hat, dass die Technik vollständig wirksam ist. Genauere Hinweise ]%EHUGLH'DXHUGLHHLQ+DOWHJULIIJHKDOWHQZHUGHQPXVVWH¿QGHQ sich in den schriftlichen Regeln nicht.

der budoka 9/2011 27 9HUKlOWQLV6WDQG]X%RGHQNDPSI $QSDVVXQJHQ]XU%HHLQÀXVVXQJGHU.DPSIZHLVH In Folge 11, als wir die Entwicklung der .DWDPHZD]D betrachteten, Werden Wettkämpfe öffentlich ausgetragen, dauert es nicht lange, bis war der Vorrang der 1DJHZD]D vor den .DWDPHZD]D in der Über- Wettkampfergebnisse auch zu öffentlicher Aufmerksamkeit führen. zeugung .$1ƿs bereits thematisiert. Dies drückte sich auch in den Spätestens ab diesem Moment besteht die Gefahr, dass nicht mehr die Wettkampfregeln aus. Selbstüberprüfung, sondern die Erringung des Sieges um der sozialen Anerkennung willen Leitmotiv für die Wettkämpfenden wird. Das hat Während in den Regeln der %XWRNXNDL lediglich bestimmt war, dass Folgen für die Kampfweise: diese folgt dem Ziel des Siegens inner- die Kämpfer weder den Stand- noch den Bodenkampf durch ihre halb des gegebenen Regelwerks und nicht mehr den Grundgedanken Kampfesführung vermeiden dürfen, sahen die Regeln des .ǀGǀNDQ der Kunst. vor, dass der Kampfrichter auf ein Verhältnis zwischen Stand- und Bodenkampf von 60-70 zu 30-40 Prozent für 'DQ-Träger bzw. von Dieser grundlegenden Problematik war das -njGǀ auch in der Wahr- 70-80 zu 20-30 Prozent für .\X-Träger hinwirken soll. nehmung -,*25ƿ.$1ƿ6 ausgesetzt. Es begann sich zu verändern und von seinem ursprünglichen Zweck zu entfernen. .$1ƿ war sich darü- Anpassungen der Regeln bis .$1ƿs Tod 1938 ber bewusst, dass diesem Trend nur durch eine Anpassung der Regeln entgegen gesteuert werden kann, die so gestaltet sein müssen, dass Bis in die heutige Zeit hinein gibt es immer wieder Änderungen der sie die ursprünglichen Grundlagen und Ideen des .ǀGǀNDQ-njGǀ re- Wettkampfregeln. Diese werden stets mit Entwicklungen bei den ÀHNWLHUHQ Wettkämpfen begründet, denen man gegensteuern müsse. Dies war zu .$1ƿs Lebzeiten nicht anders, auch wenn die Änderungen nicht Das - aus .$1ƿs Sicht - Missverhältnis zwischen Stand- und Boden- PLWGHUVHOEHQ+lX¿JNHLWYRUJHQRPPHQZXUGHQZLHLQGHUMQJVWHQ kampf haben wir in Folge 11 („Entwicklung der .DWDPHZD]D“) aus- Zeit. führlich erläutert. Der Bodenkampf wurde nach seiner Wahrnehmung zu dominant, was die Eignung des -njGǀ für die Selbstverteidigung, Anpassungen zur Reduktion von Verletzungen die Leibesertüchtigung und auch die Fortschritte des Einzelnen be- einträchtigt hat. Infolgedessen wurde 1924 in den .ǀGǀNDQ-Regeln Ein System der Leibesertüchtigung muss gesundheitsförderliche (1925 von der %XWRNXNDL übernommen) festgelegt, dass der Boden- Rahmenbedingungen und einen Schutz vor Verletzungen bieten. kampf unter zwei Bedingungen aufgenommen werden darf: Nach und nach wurden Techniken aus dem 5DQGRUL und Wettkampf verbannt, die verletzungsträchtig waren. In den Regeln von 1899 wa- 1. wenn die Hälfte der Kampfzeit im Stand gekämpft, aber keine Wer- ren bereits Hebel an Zehen, Fingern, Hand- und Fußgelenken ver- tung erreicht wurde, boten. Bis 1924 wurden nun auch schrittweise alle Hebeltechniken, 2. als Folge einer nicht geglückten Wurftechnik oder nach einem die nicht auf den Ellenbogen wirken, verboten, wie z.B. Bein- oder EHVRQGHUVJHVFKLFNWHQÀVVLJHQhEHUJDQJLQGLH%RGHQODJH'LHVH Genickhebel. Ebenso wurde das Zusammenpressen des gegnerisches letzte Regelung besteht noch heute. Rumpfes mit den Beinen 'ǀVKLPH verboten. .$1ƿ kritisierte im Übrigen auch, dass viele Kämpfer eine abge- Auch bei den Wurftechniken gab es Einschränkungen, z.B. durch das beugte Haltung einnehmen würden, um nicht zu verlieren. Dies sei Verbot von .DZD]XJDNH oder die Regelung, dass bei 'DNLDJH ein aus Sicht der Selbstverteidigung sehr ungünstig (vgl. Folge 8, Die Punkt gegeben wird, wenn der Partner auf Schulterhöhe angehoben .ǀGǀNDQ-Methoden - 5DQGRUL). Entsprechende Regeländerungen, wurde, ohne dass dieser abgeworfen werden musste. (Anmerkung: die dies unterbinden würden, wurden aber nicht vorgenommen. Dies Diese Regel wurde 1981 von der IJF abgeschafft und 1985 vom geschah erst in jüngerer Zeit mit der teilweise sehr umstrittenen Be- .ǀGǀNDQ übernommen.) schränkung der Anwendung von so genannten „Beingreiftechniken“.

$QSDVVXQJHQ]XU%HZlOWLJXQJVWHLJHQGHU7HLOQHKPHU]DKOHQ Persönliche Anmerkungen

Anfangs war die Kampfdauer nicht festgelegt, so dass die Kämpfe - (1) In dem 1905 erschienenen Buch von ,59,1*+$1&2&. und .$768- die zudem bis zwei Punkte ausgetragen wurden - sehr lange dauern .80$+,*$6+,Ä7KHFRPSOHWH.DQǀ-LX-LWVX³YRQGHPHVDXFKHLQH konnten. Mit steigenden Teilnehmerzahlen waren Turniere so nicht deutsche Fassung gab, sind auch Wettkampfregeln abgedruckt, die mehr durchführbar. Mehr und mehr wurde auf das Auskämpfen des WHLOZHLVHLP,QWHUQHWDOVÄ2ULJLQDO.ǀGǀNDQ7XUQLHU5HJHOQ³]X¿Q- zweiten Punktes verzichtet, so dass ein Kampf bereits wie heute mit den sind. ,SSRQ beendet war. Außerdem wurde kontinuierlich die Kampfzeit beschränkt. Kurz vor und nach dem 2. Weltkrieg waren bis zu 20 Im Jahr 1928 schrieb .$1ƿ in einem Rückblick auf einen Aufenthalt Minuten noch üblich. in Deutschland, bei dem er die Polizeischule in Berlin besuchte (6DN NR Heft 7, Nummer 12, 1928, übersetzt von %,770$11, 2010):

3HUIHNWHU5DKPHQ)LQDONlPSIHEHLPTenran-shiai Ä:HWWNlPSIHLQ Anwesenheit des Kaisers“) im Jahr 1940: links KIMURA gegen ISHIKAWA, rechts MASTUMOTO gegen FUJIWARA

28 der budoka 9/2011 „$OVLFKGLHVH6FKXOHEHVXFKWHKROWHGHU6FKXOOHLWHUXQYHUKRIIWHLQ ]LHPOLFKGLFNHVXQGPLW,OOXVWUDWLRQHQYHUVHKHQHV%XFKPLWGHP7LWHO Ã.DQǀ-LX-LWVXµKHUDXV]HLJWHHVPLUXQGVDJWHGDVVPDQDQVHLQHU 6FKXOHPLWGLHVHP%XFKDOV*UXQGODJHGDV-njMnjWVXHUIRUVFKHQZUGH 6FKOlJWPDQGDV%XFKDXIHQWKlOWHVDXIGHU7LWHOVHLWHHLQH$EELOGXQJ YRQPLUXQGGLH(LQOHLWXQJVWDPPWJDUYRQ'UBAELZ'RFKVHLQ,Q KDOWEHVWHKWDXVODXWHU'LQJHQGLHPLUXQEHNDQQWVLQGXQGLFKEUDX FKHZRKOQLFKW]XHUZlKQHQGDVVHVVLFKGDEHLQLFKWXPPHLQHZDKUH /HKUHKDQGHOWXQGHVGDKHUXQ]XOlVVLJLVW'HVKDOEVSUDFKLFKGDQQ EHJLQQHQGPLWGHPJHVFKLFKWOLFKHQ:HUGHJDQJGHV-njGǀLP*UR‰HQ XQG*DQ]HQEHUGLH7KHRULHGHU7HFKQLNHQXQGGHU3ULQ]LSLHQXQG GDQQEHUGLH$QZHQGXQJYRQ-njGǀ3ULQ]LSLHQDXIGLHYHUVFKLHGHQHQ %HUHLFKHGHU*HVHOOVFKDIW0LUNDPHVVRYRUDOVKlWWHQVLH>GLH/HK UHUXQG6FKOHUGHU3ROL]HLVFKXOH@]XPHUVWHQ0DOYHUVWDQGHQZDV GDV.ǀGǀNDQ-njGǀHLJHQWOLFKLVW,FKELQGHU0HLQXQJGDVVHVY|OOLJ XQP|JOLFKLVWGXUFKGLHVHV%XFKGHQ6LQQGHV-njGǀULFKWLJ]XYHUVWH KHQ0LW]LHPOLFKHU6LFKHUKHLWKDWGLHVHV%XFKMHPDQGJHVFKULHEHQ GHUGDV.ǀGǀNDQ-njGǀQLHHUOHUQWH“ Wie das gesamte Buch selbst, haben diese Regeln - entgegen dem Titel und dem formulierten Anspruch des Buches - nichts mit dem .ǀGǀNDQ-njGǀ -,*25ƿ.$1ƿs zu tun. Leider hat ganz offensichtlich Prof. (5:,1%$(/=, der ein in Teilen durchaus bemerkenswertes Vor- ,QY|OOLJHP.RQWUDVW]XGHQ:HWWNlPSIHQLQ-DSDQVWDQGHQ6FKDXVSHNWD- ZRUW]XUGHXWVFKHQ$XÀDJHJHVFKULHEHQKDWGLHVQLFKWEHPHUNWXQG kel in Europa, wie z.B. hier in Wien um die Jahrhundertwende so den Eindruck verstärkt, als handele es sich um ein Werk über das .ǀGǀNDQ-njGǀ. Über Jahrzehnte gab es also in Deutschland aufgrund der Verbreitung des Buches vollkommen falsche Vorstellungen über das .ǀGǀNDQ In der Folge verbreiteten sich viele Defensivtaktiken, so dass nach -njGǀ! der Einführung der kleinen Wertungen nach und nach Strafen für Kampfvermeidungsstrategien (Passivität, Scheinangriff, defensiver (2) Die Regeln für -njGǀ-Wettkämpfe waren nicht, wie das heute der Griffkampf, Veränderung der Jacken, die nicht der besseren Haltbar- Fall ist, für ganz Japan einheitlich, was oben am Beispiel der Un- keit, sondern der Erschwernis des gegnerischen Griffs dienen usw.) terscheide zwischen den Regeln der %XWRNXNDL und des .ǀGǀNDQ festgelegt wurden. Dies brachte wieder neue Strategien hervor, näm- dargestellt wurde. So gab es weitere, von den vorgenannten leicht lich den Gegner so weit in die Defensive zu drängen, dass er wegen abweichende Regeln bei Schulen, Universitäten, Polizei, Armee usw. eines solchen Vergehens bestraft wird, was in einer eigenen Führung resultiert, die man dann mit „geeigneten“ Mitteln verteidigen kann. (3) Die bekanntesten vom .ǀGǀNDQ abweichenden Regeln waren die Das Ganze wiederholt sich dann oft mit umgekehrten Vorzeichen. der höheren Bildungsanstalten („.RVHQ-Regeln“), in denen der Bo- denkampf begünstigt war. Trotz aller Bemühungen gelang es .$1ƿ Langsam - aber leider sicher - wurden in vielen Vereinen in den letz- nicht, die Veranstalter der .RVHQ-Wettkämpfe dazu zu bewegen, die ten Jahrzehnten die Wettkampfregeln anstelle der Grundkonzeption oben dargestellten von .ǀGǀNDQ und %XWRNXNDL vorgenommenen Än- des .ǀGǀNDQ-njGǀ zur Leitlinie des -njGǀ-Trainings. Gerade in jüngs- derungen für die Beschränkung des Bodenkampfes zu Gunsten des ter Zeit gab es zahlreiche Versuche, gegenzusteuern, z.B. durch die Standkampfes zu übernehmen. Abschaffung des .RND. Jedoch lässt sich das Grundproblem der Aus- richtung des Trainings an den Wettkampfregeln nicht durch Änderun- (4) Den hohen Prestigewert von Wettkämpfen in der japanischen Vor- gen derselben aus der Welt schaffen. kriegszeit kann man erahnen, wenn man die Berichte über den Mann- schaftskampf im Jahr 1927 zwischen den Präfekturen )XNXRND und Aus einer nüchternen Distanz heraus betrachtet, muss man feststel- .XPDPRWR in Band 2 der „Wurftechniken des .ǀGǀNDQ-njGǀ“ von len, dass es eine Art Regelkreis gibt, bei dem versucht wird, die Wett- 7 '$,*2 (Kapitel über 7VXEDPHJDHVKL) liest. Die Rede ist von ex- kampfregeln als Stellglied zur Anpassung eines IST-Zustands (=das, tra aufgebauten Tribünen, 15.000 Zuschauern, Schlägerien zwischen was die Wettkämpfer tun) an einen SOLL-Zustand (=das, was die den Anhängern der Mannschaften schon im Vorfeld und einem (ver- Wettkämpfer tun sollten) zu verwenden. Dies hat - wie oben darge- mutlich) anschließenden Verbot der beiden Präfektur-Gouverneure, legt - schon .$1ƿ so gemacht und ist sicherlich von Zeit zu Zeit er- derartige Wettkämpfe auszutragen. forderlich. (5) Im Jahr 1930 wurden zum ersten Mal die Alljapanischen Meister- -HGRFKPXVVGLH'H¿QLWLRQGHV62//=XVWDQGVLQHUVWHU/LQLHGHQ schaften ausgetragen. Es gab vier Alters- aber keine Gewichtsklassen. Grundprinzipien des .ǀGǀNDQ-njGǀ folgen, diese sicherlich an der $X‰HUGHPZXUGHLQ$PDWHXUHXQG3UR¿VXQWHUWHLOWVRGDVVDFKW.RQ- ein oder anderen Stelle modern interpretierend, aber nicht - wie es kurrenzen ausgetragen wurden. Veranstalter war der .ǀGǀNDQ. in der jüngeren Zeit immer wieder der Fall war - von Vorstellungen getragen sein, wie man glaubt, -njGǀ als mediales Spektakel am besten Jede der acht Regionen, in die .$1ƿ das Land geteilt hatte, konnte vermarkten zu können. einen Repräsentanten nominieren. Es gab also nur acht Teilnehmer pro Klasse. Ausgetragen wurde im KO-System. Literatur:

(6) Kleinere Wertungen als :D]DDUL - nämlich .RND und

,SSRQ gefallen war, eine objektivere und für alle Beteiligten transpa- %,770$11+(,.2: Erwin von Baelz und die körperlichen Übungen, Bittmann- rente Entscheidungsgrundlage zu erhalten. Dies führte zu einer ver- Verlag 2010 änderten Taktik vieler Kämpfenden, da natürlich auch die Kämpfer '$,*2726+,5ƿ:XUIWHFKQLNHQGHV.ǀGǀNDQ-njGǀ%DQG9HUODJ'LHWHU%RUQ jederzeit über den Kampfstand informiert waren und viele von ihnen 2009 aus nachvollziehbaren Gründen ihre Taktik darauf ausrichteten, auch '$,*2726+,5ƿ:XUIWHFKQLNHQGHV.ǀGǀNDQ-njGǀ%DQG9HUODJ'LHWHU%RUQ kleine Vorsprünge über die mit fünf Minuten ohnehin kurze Kampf- 2011 zeit zu halten. +2$5(6<''HYHORSPHQWRI-njGǀ&RPSHWLWLRQ5XOHV$XI]HLFKQXQJHQHLQHU Vorlesung an der Universität Bath, August 2005

1,(+$86$1'5($6/HEHQXQG:HUN.DQǀ-LJRUǀV  (UJRQ9HUODJ 2003

der budoka 9/2011 29 Grundwissen der Geschichte des .żGżNDQ-ƈGżLQ-DSDQ

von Wolfgang Dax-Romswinkel

Teil 15: 'LHJHVHOOVFKDIWOLFKH6WHOOXQJ-LJRUǀ.DQǀV

,QGHQYHUJDQJHQHQ)ROJHQKDEHQZLUGLH(QWVWHKXQJXQG(QW- Elite des Landes ihren Nachwuchs auf seine führende Rolle in der ja- wicklung des .ǀGǀNDQ-njGǀ beleuchtet, jedoch noch nicht seine Ver- SDQLVFKHQ*HVHOOVFKDIWYRUEHUHLWHQOLH‰'LH*DNXVKnjLQ wurde haupt- breitung in Japan und darüber hinaus. Um zu verstehen, wie sich das VlFKOLFKYRQ0LWJOLHGHUQGHUUXQG$GHOVIDPLOLHQHLQVFKOLH‰OLFK .ǀGǀNDQ-njGǀ von bescheidenen Anfängen eines 20 Quadratmeter des Kaiserhauses, bei besonderen Leistungen jedoch auch von Bür- JUR‰HQ'ǀMǀV mit einer Handvoll Schülern zu einer internationalen gerlichen, besucht. .$1ƿ machte in Anbetracht seines jungen Alters 0DVVHQEHZHJXQJHQWZLFNHOQNRQQWHPXVVPDQVLFK-,*25ƿ.$1ƿ6 HLQHlX‰HUVWVWHLOH.DUULHUHZXUGHHU*HVFKlIWVIKUHUXQG JHVHOOVFKDIWOLFKH3RVLWLRQVHLQHEHUXÀLFKH6WHOOXQJVHLQH(KUHQlP- Konrektor der Schule - übrigens genau zu der Zeit als der Thronfolger ter und seine Kontakte zu höchsten Kreisen der japanischen Gesell- und spätere 7DLVKǀ-Kaiser die dortige Grundschule besuchte. schaft vor Augen führen. .$1ƿ, der selbst bürgerlicher Herkunft war, verlangte, dass die Schü- ,QGLHVHP7HLOVROOHVGDKHUDXVQDKPVZHLVHQLFKWXP-njGǀ selbst ge- ler aufgrund ihres Adelsstandes keine Privilegien in der Schule ha- hen, sondern um die gesellschaftliche Stellung -,*25ƿ.$1ƿs. ben dürften und forderte von ihnen konsequent gebührenden Respekt DXFK JHJHQEHU GHQ EUJHUOLFKHQ /HKUNUlIWHQ$X‰HUGHP VHW]WH HU Familienbande sich für eine Gleichbehandlung adeliger und nicht-adeliger Schüler ein und setzte sich mit diesen Forderungen auch durch. Beides war Wie schon in Folge 2 erläutert entstammte J. .$1ƿ einem sehr vermö- keineswegs selbstverständlich in der damaligen Zeit. JHQGHQ(OWHUQKDXV6HLQ9DWHUEHVD‰HLQH6DNHEUDXHUHLXQGHLQH5HH- derei. Nach der 0HLML-Restauration trat er in den Staatsdienst ein und $OVLP-DKUQDFK,QWHUYHQWLRQGHVQHXHQ6FKXOOHLWHUV0,85$, baute u.a. Befestigungsanlagen für die Regierung. Die Beziehungen HLQHPHKHPDOLJHQ$UPHH2I¿]LHUGHUHLQHPLOLWlULVFKRULHQWLHUWH(U- des Vaters öffneten für den jungen .$1ƿ eine ganze Reihe von Türen. ]LHKXQJHLQVFKOLH‰OLFKHLQHU7UHQQXQJGHUJHVHOOVFKDIWOLFKHQ6FKLFK- Das Wichtigste war aber jedoch die hervorragende Ausbildung, die ten bevorzugte, ein adeliger Schüler bei der Vergabe eines Stipendi- .$1ƿ als Jugendlicher genoss. ums für ein Auslandsstudium gegenüber einem zunächst vom Erzie- hungsministerium ausgewählten Bürgerlichen bevorzugt wurde, kam J. .$1ƿ heiratete 1891 680$.27$.(=2(, die Tochter des angesehe- es zum offenen Bruch zwischen .$1ƿ und 0,85$, in dessen Folge nen Gelehrten 6+,1,&+,5ƿ7$.(=2(, der zuvor japanischer Botschaf- 0,85$ .$1ƿ „vorschlug“, selbst auf eine Studienreise nach Europa ter in Korea war, also ebenfalls zur „besseren Gesellschaft“ gehörte. zu gehen. Aus dieser Ehe gingen insgesamt sieben Kinder hervor. $XFKZHQQHVDP(QGH]XP(NODWNDP,QGHQVLHEHQ-DKUHQDQGHU *DNXVKnjLQ verdiente sich J. .$1ƿ nicht nur Anerkennung und Res- Beruf und Berufung: Stationen -,*25ƿ.$1ƿs pekt, sondern konnte auch den Grundstein für zahlreiche persönliche als Pädagoge Beziehungen legen, die in den Folgejahren wichtig für ihn und die Verbreitung des .ǀGǀNDQ--njGǀ wurden. Lehrer an der Adelsschule „*DNXVKnjLQ“

-,*25ƿ.$1ƿ selbst studierte an der damals einzigen Universität Ja- Nicht nur vor dem pans und schloss 1881 in den Fächern Wirtschaft, Literatur und poli- .ǀGǀNDQVWHKW tische Wissenschaften ab (vgl. Folge 2). Danach entschied er sich für eine überlebens- eine Laufbahn als Lehrer bei der *DNXVKnjLQ, einer Schule, in der die JUR‰H%URQ]HVWD- WXHYRQ-.DQǀ Diese hier ziert den Eingang der Tsukuba- Universität, der Nachfolgerin der Höheren Lehrer- bildungsanstalt LQ7RN\ǀ+HXWH ist die Tsukuba- Universität wis- senschaftlich wie sportlich eine der IKUHQGHQ-njGǀ Universitäten in Japan

Alle Bilder: 'DV*HElXGHGHU*DNXVKnjLQ]XU=HLWDOV-.DQǀGRUWWlWLJZDU Archiv Dieter Born

der budoka 10/2011 25 -,*25ƿ .$1ƿ6 erste Auslandsreise und seine Entwicklung zum 6HLQH%HVWLPPXQJJHIXQGHQ.DQǀZLUG'LUHNWRUGHU+|KHUHQ Bildungsexperten /HKUHUELOGXQJVDQVWDOWLQ7RN\ǀ

Von Oktober 1889 bis Dezember 1890 hielt sich .$1ƿ in Europa auf, 'RFKDXFKGLHVH3RVLWLRQEHNOHLGHWH.DQǀQXUVHKUNXU]H=HLWGHQQ vornehmlich um europäische Schulsysteme zu studieren und sich mit schon bald wurde ihm der Posten des Direktors der Höheren Leh- %LOGXQJVH[SHUWHQ YHUVFKLHGHQHU /lQGHU DXV]XWDXVFKHQ $XVJDQJV- UHUELOGXQJVDQVWDOWLQ7RN\ǀ Ä7RN\ǀ6KLKDQ*DNNǀ³) angeboten. Für punkt war Lyon, wo seine erste Anlaufstation S. 62*$ war, ein - wie kurze Zeit übte er diese Tätigkeiten sogar parallel aus, jedoch ver- konnte es anders sein - ehemaliger *DNXVKnjLQ6FKOHU,Q)UDQNUHLFK zichtete er bald auf die Leitung der Schule und widmete sich mehr als studierte er sodann intensiv das dortige Bildungssystem. zwei Jahrzehnte voll und ganz der Lehrerausbildung.

Eine weitere Station führte .$1ƿ von Dezember 1889 bis Juli 1890 Zweimal wurde .$1ƿ zwar noch in der Folgezeit des Amtes entho- QDFK%HUOLQZRHULP6WDGWWHLO7HJHOHLQ=LPPHUPLHWHWH,Q%HUOLQ ben, jedoch danach auch immer wieder neu eingesetzt, so dass es beschäftigte sich .$1ƿKDXSWVlFKOLFKPLWGHUGHXWVFKHQ0LWWHOVFKXO- letztlich bei diesen beiden Unterbrechungen blieb und er bis 1920 für erziehung und traf dazu mit führenden Köpfen der damaligen Zeit die Ausbildung von Lehrern verantwortlich war. Die beiden Amts- zusammen. Weitere Reisen führten ihn nach Österreich, Russland, enthebungen waren jeweils Folge von direkter Opposition gegen Schweden, Dänemark, Holland und in die Schweiz. ]ZHL9L]HPLQLVWHUGHQHQHULPHUVWHQ)DOOFKDUDNWHUOLFKH0lQJHOLP zweiten Fall Parteienwirtschaft vorwarf. Nachdem sich in der Fol- .$1ƿ nutzte also die Zeit, um in Europa so viel wie möglich über JHMHZHLOVGLH0DFKWYHUKlOWQLVVHZLHGHUJHGUHKWKDWWHQZXUGH.$1ƿ Bildungssysteme zu erfahren, und entwickelte sich so zu einem Bil- stets neu eingesetzt. GXQJVH[SHUWHQGHVVHQ:LVVHQXQG(UIDKUXQJLKQVSlWHULQIKUHQGH Positionen im japanischen Bildungswesen bringen sollten. Es fällt schwer, eine Kurzzusammenfassung seiner Verdienste und Errungenschaften in dieser Position zusammenzufassen. Heute gelten Direktor der 5. Mittelschule in Kumamoto auf der Insel .\njVKnj vor allem folgende Punkte in Japan als besonders bedeutsam:

Nach seiner Rückkehr nach 7RN\ǀ trat .$1ƿ trotz der Abneigung ge- - Schaffung eines liberalen Campus im Gegensatz zu einer militä- JHQEHU0LXUD]XQlFKVWZLHGHUVHLQHQ'LHQVWDQGHU*DNXVKnjLQ an. risch-hierarchischen Organisation, (LQ$QJHERW'LUHNWRUGHU0LWWHOVFKXOHLQ.XPDPRWRDXIGHU,QVHO (LQULFKWXQJYRQDX‰HUFXUULFXODUHQ$NWLYLWlWHQLQ)RUPYRQÄ&OXEV³ .\njVKnj zu werden, lehnte er zunächst ab, da er den Amtsinhaber ver- für Studenten, die diese auch in den Schulen etablieren konnten und drängt hätte. Stattdessen wechselte er wenig später für kurze Zeit als so das Angebot der Schulen wesentlich bereicherten, Regierungsrat ins Erziehungsministerium. Nachdem der Direktor der - Öffnung auch für chinesische Studenten, 0LWWHOVFKXOHLQ.XPDPRWR aber noch im gleichen Jahr verstarb, nahm - Verlängerung der Studiendauer für Lehrerkräfte auf das Niveau der .$1ƿ das erneut an ihn gerichtete Angebot an und wurde im August üblichen universitären Ausbildung und dadurch Schaffung der Vor- 1891 Direktor auf .\njVKnj. Obwohl er erst kurz zuvor geheiratet hatte, DXVVHW]XQJHQ IU HLQH TXDOL¿]LHUWH YROODNDGHPLVFKH /HKUHUDXVELO- YHUOLH‰HU7RN\ǀ alleine und nahm sich eine Dienstwohnung. dung in Japan, 9HUEHVVHUXQJGHUVFKXOLVFKHQ$XVELOGXQJIU0lGFKHQ .$1ƿ legte schon damals viel Wert auf gute Lehrer, denn diese waren für ihn der Schlüssel für eine bessere Ausbildung und Erziehung der (vgl. z.B. Homepage der 7VXNXED-Universität, der Nachfolgerin der Schüler. So holte er auch den bekannten japanophilen Schriftsteller Höheren Lehrerbildungsanstalt) /$)&$',2 +($51 als Englischlehrer an seine Schule. L. +($51 wurde später Professor für englische Literatur an der Universität in 7RN\ǀ. 6HLQH:HUNHSUlJWHQPD‰JHEOLFKGDV%LOG-DSDQVLP:HVWHQ

Abteilungsleiter im Erziehungsministerium

,P-DKUZXUGH.$1ƿ als Abteilungsleiter ins Erziehungsminis- terium nach 7RN\ǀ zurückberufen. Dort befasste er sich zunächst mit der Zusammenstellung, Auswahl und Evaluation von Lehrbüchern, hatte aber eigentlich andere Vorstellungen und Hoffnungen für seine zukünftige Arbeit. Seine tieferen Beweggründe fasste er selbst fol- JHQGHUPD‰HQ]XVDPPHQ Ä,FKZROOWHZHJHQGHU/HKUEFKHUPHLQH6WHOOHDQGHU+|KHUHQ0LW WHOVFKXOHQLFKWDXIJHEHQ'HQQRFKLQQHUKDOEGHV(U]LHKXQJVPLQLV WHULXPVZXUGHHLQH5HIRUPGHV(U]LHKXQJVV\VWHPVGLVNXWLHUWDQGHU DXFKLFKWHLOQHKPHQVROOWH:lKUHQGPHLQHV$XIHQWKDOWVLQ(XURSD KDWWHLFKPLFKPLWGHQGRUWLJHQ(U]LHKXQJVV\VWHPHQEHVFKlIWLJWXQG ZQVFKWHPLUIUGDV(U]LHKXQJVPLQLVWHULXPXQVHUHV/DQGHVHLQLJH 5HIRUPHQ'XUFKGLH$UEHLWLP0LQLVWHULXPKRIIWHLFKLQGLHVHU+LQ VLFKW(LQÀXVVDXVEHQ]XN|QQHQ'DKHUHQWVFKORVVLFKPLFKLQV0L QLVWHULXP]XUFN]XJHKHQ³(1,(+$86 2003, S. 109 zitiert aus .$1ƿ in: 6DNNR+HIW1U

Direktor der 1. Mittelschule in 7RN\ǀ

.$1ƿEOLHEMHGRFKQXUZHQLJH0RQDWHLQGLHVHUQHXHQ)XQNWLRQGD PLWWOHUZHLOHGHU3RVWHQGHV'LUHNWRUVGHU+|KHUHQ0LWWHOVFKXOHLQ 7RN\ǀ frei geworden war. Ein Freund .$1ƿ6 und vormaliger Direk- tor der Schule, der als Abteilungsleiter ins Erziehungsministerium gewechselt war, empfahl .$1ƿIUGLH1DFKIROJH,QWHUHVVDQWLVWLQ diesem Zusammenhang, dass diese Schule zu den Pionieren auf dem Gebiet der Leibeserziehung zählte. Während .$1ƿ erneut Direktor HLQHU0LWWHOVFKXOHZXUGHEOLHEHUQRFKYRUEHUJHKHQG%HUDWHUGHV Erziehungsministeriums.

-.DQǀDOV'HOHJDWLRQVOHLWHU-DSDQVEHLGHU(U|IIQXQJVIHLHUGHU2O\PSL- schen Spiele 1912 in Stockholm

26 der budoka 10/2011 Als Pädagoge im (Un-)Ruhestand -,*25ƿ .$1ƿ lenkte nun die Entwicklung des japanischen Sports so- ZRKOQDWLRQDOZLHDXFKLQWHUQDWLRQDO,P-DKUWUDWHUQDFKUXQG Auch nach seiner Pensionierung im Jahr 1920 bekleidet J. .$1ƿ als zehn Jahren als Präsident des Sportverbandes zurück, nachdem es Berater des Erziehungsministeriums noch einige Ämter im Feld sei- Differenzen um die von .$1ƿ abgelehnte Beteiligung Japans an den QHUIUKHUHQ$XIJDEHQ6RZDUHUQRFKDX‰HURUGHQWOLFKHV0LWJOLHG „Fernöstlichen Athletischen Spielen“ gab. im Lehramtsprüfungsausschuss und in der Untersuchungskommissi- RQ]X)UDJHQGHU6FKXOK\JLHQH0LWJOLHGLQPHKUHUHQ$XVVFKVVHQ .$1ƿ und die Bewerbung Japans um die Austragung der Olym- zu Fragen der Leibeserziehung und des Sports in Schulen und in der pischen Spiele 1940 5RPDML-Untersuchungskommission, die sich mit der Verwendung der lateinischen Schrift (=„5RPDML“) in Japan befasste. ,P-DKUEHVFKORVVGHU6WDGWUDWYRQ7RN\ǀ, sich um die Austra- gung der Olympischen Spiele 1940 zu bewerben. Der Bürgermeister H. 1$*$7$ traf sich am 4. Juli 1932 mit J. .$1ƿ und bat diesen um -,*25ƿ .$1ƿ als Sportfunktionär: Vater der Unterstützung für die Bewerbung. Es war kein leichtes Unterfangen, olympischen Bewegung und des Sports in Japan da es eine Reihe von Gründen gab, durch die ein Erfolg unwahr- scheinlich schien. Berufung in das Internationale Olympische Komitee (IOC) 'LHDX‰HQSROLWLVFKH6LWXDWLRQZDUGXUFKGHQ0DQGVFKXUHL=ZLVFKHQ- fall 1931 und später durch den Austritt aus dem Völkerbund 1933 Baron 3,(5('(&28%(57$,1JUQGHWHGDV,QWHUQDWLRQDOH2O\P- SLVFKH.RPLWHH ,2& XQGVFKRQ]ZHL-DKUHVSlWHUZXUGHQLQ$WKHQ VWDUNEHODVWHW(VJDEIHUQHUQHXQ0LWEHZHUEHUXQWHUDQGHUHP5RP die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit abgehalten. Die nächsten das als Favorit galt. Hinzu kamen die erheblichen Reiseaufwendun- drei Spiele waren auf Teilnehmer aus Nordamerika und Europa be- gen für die Teilnehmer nach Japan. .$1ƿ reichte dennoch die Bewer- bung 7RN\ǀVEHLP,2&0LWJOLHGHUWUHIIHQLQ/RV$QJHOHVHLQ schränkt. Da &28%(57$,1 jedoch global dachte, war er bestrebt, auch Länder anderer Kontinente aufzunehmen. Japan lag aufgrund seiner ,QGHU)ROJH]HLW]RJHLQH5HLKHYRQ%HZHUEHUQLKUH.DQGLGDWXU]X- wirtschaftlichen und politischen Vormachtstellung in Asien als nächs- rück, sodass die Entscheidung zwischen 7RN\ǀ, Rom und Helsinki ter Kandidat nahe, so dass er über den französischen Botschafter in IDOOHQPXVVWH'HU:HJIU7RN\ǀZXUGHIUHLQDFKGHPGLHMDSDQL- -DSDQ EHLP GRUWLJHQ $X‰HQPLQLVWHULXP YRUVWHOOLJ ZXUGH XQG VLFK sche Seite - .$1ƿ war hieran wohl nicht beteiligt - mit B. 08662/,1, QDFKHLQHUJHHLJQHWHQ3HUVRQHUNXQGLJWHGLH-DSDQLP,2&YHUWUHWHQ vereinbarte, dass sich Rom zugunsten von 7RN\ǀ zurückziehen und könnte. Japan im Gegenzug eine Bewerbung Roms für die Spiele 1944 un- terstützen sollte. 'DV$X‰HQPLQLVWHULXPYHUZLHVDXI-,*25ƿ .$1ƿ und so wurde dieser, nachdem er sich bereit erklärt hatte, im Jahr 1909 zum ersten asiati- 7URW]GHUJUR‰HQ6FKZLHULJNHLWHQZXUGHOHW]WHQ(QGHVLQ%HUOLQ VFKHQ0LWJOLHGLQV,2&EHUXIHQ0LW&28%(57,1 verband .$1ƿ vor 7RN\ǀ als Austragungsort der Spiele 1940 gegenüber Helsinki aus- DOOHPGLHhEHU]HXJXQJGDVV6SRUWXQGVSRUWOLFKHU:HWWNDPSI0LWWHO gewählt. Die Entscheidung wurde jedoch später aufgrund der politi- zum Zwecke der Erziehung sein können und sollten. .$1ƿ gehörte VFKHQ9HUlQGHUXQJHQYRUQHKPOLFKGLH0LOLWDULVLHUXQJ-DSDQVXQG GHP,2&ELV]XVHLQHP7RGDOVR-DKUHODQJDQ,QGLHVHU GHU.ULHJVDXVEUXFKPLW&KLQDZLHGHULQ)UDJHJHVWHOOW$X‰HU- =HLWHUZDUEHUVLFKJUR‰H9HUGLHQVWHXPGLHZHOWZHLWH9HUEUHLWXQJ GHPJDEHVPLWWOHUZHLOHHLQHYRUDOOHPYRQ0LOLWlUNUHLVHQJHWUDJHQH GHURO\PSLVFKHQ,GHHQ innerjapanische Opposition gegen die Austragung der olympischen Spiele. Gründung und Präsident des Japanischen Sportverbandes -,*25ƿ .$1ƿJHODQJHVDOOHUGLQJVDXIHLQHU6LW]XQJGHV,2&LQ.DLUR Japan konnte nunmehr ab 1912 zwar an olympischen Spielen teilneh- LP0lU]GLH6SLHOHIU7RN\ǀ zu sichern und darüber hinaus men, jedoch gab es eine Reihe von praktischen Problemen. Es fehlte sogar die Austragung der Winterspiele 1940 nach 6DSSRUR zu holen. zum Beispiel jegliches System zur Auswahl von Athleten, da es keine Auf der Rückreise nach Japan starb -,*25ƿ .$1ƿDP0DLDQ Organisationsstruktur des Sports auf nationaler Ebene gab. Bord des Schiffes „+LNDZDPDUX“ an den Folgen einer Lungenent- zündung. Nach einigem Hin und Her lud .$1ƿ 1911 führende Persönlichkeiten der Leibeserziehung - vornehmlich aus dem universitären Bereich - Wenige Wochen nach .$1ƿs Tod wurden von japanischer Seite je- zur Gründungsversammlung der „'DL1LKRQ7DLLNX.\ǀNDL³ *UR‰- doch die Spiele 1940 abgesagt, vornehmlich um mehr Ressourcen japanischer Verband für Leibesübungen) ein. .$1ƿ wurde auf dieser (Geld, Stahl) für Rüstungszwecke zur Verfügung zu haben. Versammlung kaum überraschend zum ersten Präsidenten gewählt. Die junge Organisation bezog Geschäftsräume in der Höheren Leh- Erst lange nach dem 2. Weltkrieg wurde Japan mit 7RN\ǀ (1964), 6DS rerbildungsanstalt und nahm alsbald die Arbeit auf. SRUR  XQG1DJDQR (1998) Gastgeber für Olympische Spiele.

-,*25ƿ .$1ƿ als Politiker Nach seinem Ausscheiden als Direktor der Höheren Lehrerbildungs- anstalt trat der damalige Premierminister 7$.$+$6+, an J. .$1ƿ heran XQG IUDJWH QDFK RE HU QLFKW ,QWHUHVVH DQ HLQHP 3DUODPHQWVPDQGDW KlWWHGDGRUW]XZHQLJ%LOGXQJVH[SHUWHQYHUWUHWHQVHLHQ.$1ƿ wil- ligte nach einigen Überlegungen ein, tat seine Arbeit, beklagte aber, dass die Politik oft wenig zielgerichtet arbeiten würde.

Verglichen mit der Bedeutung, die -,*25ƿ .$1ƿ in den vorgenann- ten Tätigkeiten hatte, erscheint seine Tätigkeit als Abgeordneter im japanischen Parlament eher nebensächlich. .$1ƿ selbst bezeichnete sich dabei sogar als „Hinterbänkler“. Dass aber der Premierminister persönlich .$1ƿGLH0LWJOLHGVFKDIWLP3DUODPHQWDQWUXJ]HLJWZHO- chen Stellenwert -,*25ƿ .$1ƿ in der japanischen Gesellschaft hatte.

Siegerehrung bei den Olympischen Spielen 1936 (Berlin) im Weitsprung: Jesse Owens (USA) gewinnt seine vierte Goldmedaille vor dem Leipziger L. Long und dem Japaner N. Tajima. Die Siegerehrung wurde vorgenommen YRQ-.DQǀ LP%LOG]ZLVFKHQ2ZHQVXQG7DMLPD

der budoka 10/2011 27 - Als Direktor der Höheren Lehrerbildungsanstalt in 7RN\ǀ verant- wortete er über mehr als zwei Jahrzehnte die Lehrerausbildung und verschaffte der Leibeserziehung den gebührenden Stellenwert im Rahmen der schulischen Erziehung. Die Ausbildung der Lehrer hob er in seiner Amtszeit durch Angleichung der Studienzeiten an die Universitäten auf akademisches Niveau. $OVHUVWHU$VLDWEHUKDXSWDUEHLWHWHHU-DKUHIUGLH,QWHUQDWLRQD- OLVLHUXQJGHURO\PSLVFKHQ,GHHXQGVHW]WHVFKOLH‰OLFKLQHLQHUH[WUHP schwierigen Situation 7RN\ǀ als Austragungsort der Olympischen Sommerspiele 1940 und 6DSSRUR für die Winterspiele desselben Jah- res durch. - Er gründete die nationale Sportorganisation in Japan und leitete de- ren Geschicke über viele Jahre. Damit legte er den Grundstein für die organisierte Entwicklung sowohl des Breiten- als auch des Leis- tungssports.

-LJRUǀ.DQǀPDFKWVLFKDXIGHQ:HJYRP.ǀGǀNDQ]XUIHLHUOLFKHQ 0DQ PXVV$1'5($6 1,(+$86 ausgesprochen dankbar sein, dass er Eröffnung des Parlaments in seiner Dissertation (siehe Literatur) das Leben und Werk -,*25ƿ .$1ƿ6, das in seiner Breite in der westlichen Sportwissenschaft kaum EHNDQQWLVWHLQHP3XEOLNXPDX‰HUKDOE-DSDQV]XJlQJOLFKJHPDFKW =XVDPPHQIDVVXQJ3HUV|QOLFKH$QPHUNXQJHQ hat. Es bleibt nun zu hoffen, dass die Leistungen .$1ƿs auch hierzu- lande in Zukunft angemessen gewürdigt werden. Ohne Zweifel gehört -,*25ƿ .$1ƿ]XGHQJDQ]JUR‰HQ3HUV|QOLFKNHL- ten der internationalen Sportgeschichte. Wie viele Persönlichkeiten Literatur:

können auf ein derart umfassendes, vielseitiges und nachhaltiges Le- %(11(77$/(;-LJRUǀ.DQǀDQGWKH.ǀGǀNDQDQLQQRYDWLYH5HVSRQVHWR0R- benswerk zurückblicken: GHUQLVDWLRQ.ǀGǀNDQ-njGǀ,QVWLWXWH - Er ist Begründer und Architekt der meistbetriebenen Kampfsportart 1,(+$86 $1'5($6 /HEHQ XQG :HUN .DQǀ -LJRUǀV   (UJRQ der Welt, die er selbst wie viele seiner Anhänger stets als umfassen- Verlag, 2003 des Erziehungssystem betrachtet hat. Dabei gehören seine Konzepte :$7621%5,$11-XGR0HPRLUHVRI-LJRUǀ.DQǀ7UDIIRUG9HUODJ zur Einheit von körperlicher und geistig-moralischer Schulung in der :$7621%5,$117KH)DWKHURI-XGR$%LRJUDSK\RI-LJRUǀ.DQǀ.RGDQVKD Welt der Sportpädagogik nach wie vor zur Spitzenklasse. Verlag, 2000

9LHO3URPLQHQ]JLEW-LJRUǀ.DQǀ die letzte Ehre (v.r.n.l.): Mehr- facher Minister und späterer Premierminister K. Hiranuma, $X‰HQPLQLVWHU+LURWD*HQHUDO Araki, der Vertreter des Sozial- ministers Kido, der ehemalige Kultur-, Finanz-, Innen-, Eisen- bahn- und Transportminister Mitsuchi (ein Absolvent der Höheren Lehrerbildungsanstalt 1897!) und als Vertreter des .ǀGǀNDQ+,VRJDL 'DQ + Nagaoka (10. Dan) und K. Iizuka (9. Dan, später 10. Dan)

0HQVFKHQNRQGROLHUHQ.DQǀEHL GHUVKLQWRLVWLVFKHQ7UDXHUIHLHULPJUR‰HQ 'ǀMǀGHV.ǀGǀNDQDP0DL

28 der budoka 10/2011 Grundwissen der Geschichte des .żGżNDQ-ƈGżLQ-DSDQ

von Wolfgang Dax-Romswinkel

Teil 16: ERWIN BÄLZ und die Diskussion um die Aufnahme der Kampfkünste in die schulische Erziehung in der ersten Hälfte der Meiji-Zeit

Es war ein langer Weg, bis -njGǀ und .HQGǀDOV3ÀLFKWEXQJHQ JDEDEHUDXFK*HZLQQHUXQWHUGHQ6DPXUDLGHQQYRUDOOHPIUGLH LQGHQ8QWHUULFKWDQ0LWWHOVFKXOHQLQ-DSDQDXIJHQRPPHQZXUGHQ *HELOGHWHQDXVGHQQLHGULJHUHQ6WlQGHQHUJDEHQVLFKELVGDKLQQLFKW $XIJUXQG GHU XPIDQJUHLFKHQ 7KHPDWLN XQG GHU %HWHLOLJXQJ YRQ IUP|JOLFKJHKDOWHQH$XIVWLHJVFKDQFHQGDDXFKGHUQHXH6WDDWHLQH 3URIERWIN BÄLZ, dessen Wirken im deutschsprachigen Raum meis- HIIHNWLYH9HUZDOWXQJGLH+DXSWDXIJDEHGHU6DPXUDLZlKUHQGGHU tens historisch nicht ganz korrekt wiedergegeben wird, teilen wir die )ULHGHQVSHULRGHGHUEdo=HLWEHQ|WLJWH $XVIKUXQJHQ]XP:HJGHV.ǀGǀNDQ-njGǀ in das Bildungswesen in ]ZHL7HLOHXQGN|QQHQGDGXUFKHWZDVDXVIKUOLFKHUDXIGLH5ROOHYRQ 1DFK XQG QDFK YHUORU GHU 6DPXUDLVWDQG DOOH 3ULYLOHJLHQ ZLH ]XP %HLVSLHO GDV 7UDJHQ YRQ 6FKZHUWHUQ LQ GHU gIIHQWOLFKNHLW   ERWIN BÄLZ eingehen. Die nachfolgende 6DWVXPD5HEHOOLRQXQ]XIULHGHQHU6DPXUDLZXUGH 'LHVHUHUVWH7HLOEHVFKUHLEWGLH'LVNXVVLRQLQGHUHUVWHQ+lOIWHGHU YRQNDLVHUOLFKHQ7UXSSHQLQGHUHQ5HLKHQQDWUOLFKDXFKYLH- Meiji=HLWXPJHQDX]XVHLQELV]XP-DKUGDV-DKULQGHP OHHKHPDOLJH6DPXUDLNlPSIWHQEOXWLJQLHGHUJHVFKODJHQXQGIKUWH -,*25ƿ.$1ƿ sein Konzept des .ǀGǀNDQ-njGǀ erstmals umfassend ]XPHQGJOWLJHQ(QGHGHV6DPXUDLVWDQGHV'DEHLHUZLHVVLFKHLQH präsentierte und kurz darauf seine erste große Europareise antrat. 6FKZHUWHLQKHLW GHU 3ROL]HL DOV QW]OLFK VR GDVV GLH 6LFKHUKHLWVEH- K|UGHQODQJVDPEHJDQQHQVLFKZLHGHUIUGLHWUDGLWLRQHOOHQ.DPSI- Niedergang und langsamer Wiederaufstieg der Kampfkünste NQVWH]XLQWHUHVVLHUHQ6RZXUGHQDEYRQGHU7ǀN\ǀ3ROL]HL ,QVWUXNWRUHQIUKenjutsu 6FKZHUWNDPSI VSlWHUDXFKIU-njMXWVX Die Konzeption schulischer Erziehung folgt immer gesellschaftspo- eingestellt. litischen Vorstellungen. Vor diesem Hintergrund muss auch die Dis- NXVVLRQ]XU(LQJOLHGHUXQJGHU.DPSINQVWHLQGLHVFKXOLVFKH(U]LH- hung betrachtet werden. 1DFKUXQG-DKUHQZHLWJHKHQGHU$EVFKRWWXQJZXUGH-DSDQ HUVWPDOVPLWZHVWOLFKHU0LOLWlUWHFKQLNNRQIURQWLHUWXQGPXVVWHVHLQH 8QWHUOHJHQKHLWDQHUNHQQHQ'HU6DPXUDLVWDQGXQGGLH.DPSINQVWH GLHELVGDKLQLQGHQ$XJHQGHU-DSDQHUGLH8QDEKlQJLJNHLW-DSDQV JDUDQWLHUW KDWWHQ YHUORUHQ LKU GLHVEH]JOLFKHV $QVHKHQ ZDV GD]X IKUWHGDVVGHQ.DPSINQVWHQVRZRKOGHUSUDNWLVFKH1XW]HQXQPLW- WHOEDUIUPLOLWlULVFKH=ZHFNHDOVDXFKGHUPLWWHOEDUH:HUWIUGLH Erziehung abgesprochen wurde. $OV.RQVHTXHQ]ZXUGHXQWHUDQGHUHPHLQH$UPHHQDFKZHVWOLFKHP 9RUELOGDXIJHEDXWXQGGLHDOOJHPHLQH:HKUSÀLFKWHLQJHIKUW 'LH 6DPXUDL YHUORUHQ GDGXUFK HQGJOWLJ LKUH %HGHXWXQJ DOV .ULH- JHUVWDQG XQG YLHOH PXVVWHQ VLFK EUJHUOLFKH %HUXIH VXFKHQ VRIHUQ VLHQLFKWDOV2I¿]LHUHLQGHU$UPHHXQWHUNDPHQ'LHPHLVWHQDEHU QLFKWDOOH6DPXUDLDUUDQJLHUWHQVLFKPLWGHQQHXHQ9HUKlOWQLVVHQ(V

Vor der medizinischen Fakultät der staatlichen Universität 7ǀN\ǀEH¿QGHW sich eine Statue mit der deutschen Inschrift „Dr. Erwin Baelz, Professor der Medizin, 1876-1902“ (Fotos: Archiv Dieter Born)

der budoka 11/2011 27 Anfänge der Leibeserziehung im japanischen Schulwesen Die Untersuchungskommission von 1883/84 zur Eignung der Kampfkünste für die schulische Erziehung $EZXUGHGDV|IIHQWOLFKH6FKXOZHVHQV\VWHPDWLVFKDXIJHEDXW DEHUQXUVFKOHSSHQGYRQGHU%HY|ONHUXQJDQJHQRPPHQ$XFKZXU- =ZHL 0RQDWH ]XYRU KDWWH GDV (U]LHKXQJVPLQLVWHULXP GDV ,QVWLWXW GHQGLHEHQ|WLJWHQ6FKXOHQQXUODQJVDPJHJUQGHW9LHOHIUKHUH6D- IU/HLEHVHU]LHKXQJGDPLWEHDXIWUDJW8QWHUVXFKXQJHQ]X9RUXQG PXUDLZXUGHQDXIJUXQGLKUHUYHUJOHLFKVZHLVHK|KHUHQ%LOGXQJ/HK- 1DFKWHLOHQ GHU$XIQDKPH YHUVFKLHGHQHU .DPSINQVWH LQ GLH VFKX- UHUKDWWHQMHGRFKNHLQHUOHLSlGDJRJLVFKH$XVELOGXQJ OLVFKH /HLEHVHU]LHKXQJ GXUFK]XIKUHQ 8QWHUVXFKW ZXUGHQ PHKUH- UH 6FKZHUWNDPSI XQG PHKUHUH -njMXWVX6WLOH XQWHU DQGHUHP DXFK )U-DSDQZDUHVQHX/HLEHVHU]LHKXQJDOV7HLOGHUVFKXOLVFKHQ(U]LH- 7HQMLQVKLQ\ǀU\nj und .LWǀU\nj DOVR MHQH -njMXWVX6WLOH GLH -,*25ƿ KXQJ]XYHUVWHKHQVRGDVVGHUHQ1RWZHQGLJNHLWQXUODQJVDPLQGDV .$1ƿ zu diesem Zeitpunkt bereits gelernt hatte. DOOJHPHLQH%HZXVVWVHLQWUDW(LQ0HLOHQVWHLQZDUGLH*UQGXQJGHV ,QVWLWXWVIU/HLEHVHU]LHKXQJLQ7ǀN\ǀ  IUGDVGHU$PHULNDQHU 8P GLH PHGL]LQLVFKHQ $XVZLUNXQJHQ EHXUWHLOHQ ]X N|QQHQ ZXU- *(25*($'$0/(/$1'IUGUHL-DKUH ELV DOV/HKUHUJH- GHQGHU MDSDQLVFKH 'HNDQGHUPHGL]LQLVFKHQ)DNXOWlWGHU7ǀN\ǀ- wonnen werden konnte. /(/$1' unterrichtete im Wesentlichen west- 8QLYHUVLWlWXQGGLHEHLGHQGRUWOHKUHQGHQGHXWVFKHQ*DVWSURIHVVRUHQ OLFKH*\PQDVWLN7XUQHQ -8/,866&5,%$ und ERWIN BÄLZ,KLQ]XJH]RJHQ,QZHOFKHP8PIDQJ GLH GUHL 0HGL]LQHU LQ GLH 6WXGLHQ HLQEH]RJHQ ZDUHQ LVW DOOHUGLQJV Erste Diskussionen um die Kampfkünste als Teil der Leibeser- QLFKWYROOVWlQGLJNODU ziehung 'DV(UJHEQLVGHU8QWHUVXFKXQJHQGLIIHUHQ]LHUWOHLGHUQLFKWZLHREHQ 0LW%HJLQQGHUHU-DKUHVHW]HHLQHNRQWURYHUVH'LVNXVVLRQEHU QRFK HLQGULQJOLFK JHIRUGHUW QDFK GHQ XQWHUVXFKWHQ 6WLOHQ VRQGHUQ GLH$XIQDKPH GHU .DPSINQVWH LQ GLH VFKXOLVFKH /HLEHVHU]LHKXQJ VWHOOWHWZDVXQGLIIHUHQ]LHUWIQI9RUXQGQHXQ1DFKWHLOHGHU.DPSI- HLQ'LH$UJXPHQWHGHU%HIUZRUWHUXQG*HJQHUZDUHQYLHOVFKLFKWLJ NQVWHDOVVFKXOLVFKHhEXQJHQIHVW ,P=HQWUXPEHLGHQ*HJQHUQVWDQG]XP%HLVSLHOGDV$UJXPHQWGHU 9HUOHW]XQJVJHIDKUZlKUHQGHLQLJH%HIUZRUWHUXDPLOLWlULVFKH$V- 9RUWHLOHGHUEHLGHQ.DPSINQVWH SHNWHLQV)HOGIKUWHQ 6LHXQWHUVWW]HQGLH(QWZLFNOXQJGHV.|USHUV 6LHELOGHQGLH)lKLJNHLWDXVPLWGHUHVP|JOLFKLVWEHUODQJH=HLW %HLGHU9HUOHLKXQJGHU$EVFKOXVV]HUWL¿NDWHDQGLH$EVROYHQWHQGHV KLQZHJN|USHUOLFKHU%HZHJXQJQDFK]XJHKHQ ,QVWLWXWVIU/HLEHVHU]LHKXQJDP-XOLVDJWH'LUHNWRUT. NI- 6LHEHOHEHQGHQ*HLVWXQGI|UGHUQGLH/HEHQVOXVW 6+,085$: 6LHZLUNHQHLQHUVFKZDFKHQXQGWUlJHQ(UVFKHLQXQJHQWJHJHQXQG NXOWLYLHUHQHLQHQVWDUNHQXQGNUlIWLJHQ.|USHUEDX „6LHDOOHVLQGDXI*HKHL‰GHV*RXYHUQHXUV,KUHUMHZHLOLJHQ3UlIHNWXU 6LHELOGHQGLH*UXQGODJHQGHU6HOEVWYHUWHLGLJXQJDXVIUGHQ)DOO E]Z6WDGWSUlIHNWXU>DQGLHVHV,QVWLWXWHQWVDQGWZRUGHQ@XQGKDEHQ YRQXQHUZDUWHWHU*HIDKU MHW]W,KUH3ÀLFKWHUIOOW9RQKHXWHDQZHUGHQGLH*RXYHUQHXUHGHP $QVHKHQ,KUHU3HUVRQQRFKPHKU*HZLFKWEHLPHVVHQ:HLOGHPVRLVW 1DFKWHLOHRGHU6FKZLHULJNHLWHQ ZHUGHQ6LHVLFKDOOHQLFKW,KUHU0HLQXQJVlX‰HUXQJEH]JOLFKHLQHU 1LFKWVHOWHQYHUOlXIWGLH(QWZLFNOXQJGHV.|USHUVXQJOHLFKPl‰LJ $XIQDKPHYRQNHQMXWVXXQGMnjMXWVXXVZ>DOV)DFKIUGLH/HLEHVHU 'LHSUDNWLVFKH$XVEXQJNDQQELV]XHLQHPJHZLVVHQ*UDGHJH ]LHKXQJ@HQW]LHKHQN|QQHQ'HVKDOEP|FKWHLFK6LHELWWHQEHL,KUHU IlKUOLFKVHLQ (QWVFKHLGXQJGDUEHUGLHMHZHLOLJH.XQVWDXIGHUHQ(U]LHKXQJVWKH (VLVWVFKZLHULJGHQDQJHPHVVHQHQ*UDGDQN|USHUOLFKHU%HZH RULH XQG 'XUFKIKUEDUNHLWVRZLH DXI GLHYHUVFKLHGHQHQJHJHEHQHQ JXQJ]X¿QGHQXQGHVNDQQOHLFKWSDVVLHUHQGDVVVRZRKOGLH6WDUNHQ >JHVHOOVFKDIWOLFKHQ@8PVWlQGHKLQ]XEHGHQNHQXQGGDUDXIDXIEDX DOVDXFKGLH6FKZDFKHQ]XZHLWJHKHQ HQG HLQ 8UWHLO ]X IlOOHQ$XI NHLQHQ )DOO GUIHQ 6LH GLH MHZHLOLJHQ /HLFKWZLUGGHU*HLVWHUUHJWXQGHVNDQQYRUNRPPHQGDVVHLQH .DPSINXQVWVFKXOHQ QXU REHUÀlFKOLFK EHWUDFKWHQ :HQQ 6LH GLHVH ZLOGHXQGURKH*HVLQQXQJDXVJHSUlJWZLUG QLFKWVRUJIlOWLJDXILKUH=LHOVHW]XQJXQG%HVFKDIIHQKHLWLKUH)RUPHQ 'HUNlPSIHULVFKH:LOOHZLUGHUK|KWXQGHVSDVVLHUWOHLFKWGDVV XQG:HWWNlPSIHXVZKLQXQWHUVXFKHQXQGXQEHUOHJWDOOHP|JOLFKHQ PDQQXUYHUVXFKW]XJHZLQQHQ DOV )DFK IU GLH /HLEHVHU]LHKXQJ YHUZHQGEDU HLQVWXIHQ EHIUFKWH  'D VLH :HWWNlPSIHQlKQHOQ NRPPW HV OHLFKWYRUGDVV PDQ HUVW LFKGDVV6LH,KUH(QWVFKHLGXQJ]XOHLFKWIHUWLJWUHIIHQ“ UHFKWHLQHQ:LOOHQDXVELOGHWGHUQDFKHLQHPXQODXWHUHQ6LHJVWUHEW .DQSǀ1U6]LWQDFK%,770$11 %HLGHUhEXQJPXVVMHGHU(LQ]HOQHEHDXIVLFKWLJWZHUGHQXQGHVLVW VFKZHUDOOH6FKOHUHLQHU.ODVVHDXIHLQPDO]XXQWHUULFKWHQ

ERWIN BÄLZ mit Familie und Dienerschaft vor seinem Haus in 7ǀN\ǀ um 1895/96 (Foto: Stadtarchiv Bietigheim- Bissingen / Archiv Dieter Born)

28 der budoka 11/2011 'HU8QWHUULFKWVRUWPXVVYRQGHU)OlFKHKHUVHKUJUR‰DXVIDOOHQ %HLGHU$XVEXQJGHVMnjMXWVXZLUG]ZDUQXUGLH7UDLQLQJVNOHLGXQJ EHQ|WLJWDEHUEHLPNHQMXWVXZHUGHQGDUEHUKLQDXVDXFKQRFK7UDL QLQJVJHJHQVWlQGHYHUZHQGHWXQG HV LVW IU 6FKOHUNHLQHHLQIDFKH $XIJDEHGLHVH.OHLGXQJXQG*HJHQVWlQGHVDXEHU]XKDOWHQ (%,770$11YJODXFK1,(+$866 ,QGHU6FKOXVVEHXUWHLOXQJNRPPWHVGDKHUQLFKW]XHLQHUSRVLWLYHQ (PSIHKOXQJ MHGRFK ZLUG GDUDXI YHUZLHVHQ GDVV PRGL¿]LHUWH )RU- PHQGXUFKDXVIUGLH$XIQDKPHLQGLHVFKXOLVFKH/HLEHVHU]LHKXQJ JHHLJQHW VHLQ N|QQWHQ :LH QDFKIROJHQG ]X ]HLJHQ VHLQ ZLUG HQW- VSULFKWGDV(QGHUJHEQLVQLFKWGHUSHUV|QOLFKHQ0HLQXQJYRQERWIN BÄLZGHUVLFKRIIHQEDU QRFK QLFKWDXVUHLFKHQG*HK|UYHUVFKDIIHQ konnte.

ERWIN BÄLZ als Fürsprecher der Kampfkünste als Leibeserzie- hung

ERWIN BÄLZZXUGHDP-DQXDULQ%LHWLJKHLPJHERUHQXQG ZDUYRQDQQDKH]X-DKUHODQJDOV0HGL]LQSURIHVVRULQ-D- SDQWlWLJ+HXWHJLOWHUDOVHLQHUGHUEHGHXWHQGVWHQ0LWEHJUQGHUGHU PRGHUQHQ 0HGL]LQ LQ -DSDQ 'DQHEHQ ZDU HU HLQ EHGHXWHQGHU$Q- WKURSRORJH (WKQRORJH XQG /HLEDU]W GHV MDSDQLVFKHQ .DLVHUKDXVHV insbesondere des kränklichen Kronprinzen.

In der deutschen -njGǀ/LWHUDWXULVWKlX¿J]XOHVHQGDVVERWIN BÄLZ: - EHUGHQN|USHUOLFKHQ=XVWDQGGHUMDSDQLVFKHQ6WXGHQWHQlX‰HUVW beunruhigt gewesen sei, - HUGHQ6WXGHQWHQ-njMXWVXDOVN|USHUOLFKHhEXQJHPSIRKOHQKDEH - HLQHU GLHVHU 6WXGHQWHQ QlPOLFK-,*25ƿ.$1ƿ, daraufhin mit dem 6WXGLXP GHV -njMXWVX begann und später daraus das .ƿ'ƿ.$1-Nj'ƿ entwickelte. :DVVWLPPWDQGLHVHU*HVFKLFKWHXQGZDVVWLPPWQLFKW" Portrait von ERWIN BÄLZ aus dem Jahr 1893 (Foto: Stadtarchiv Bietigheim-Bissingen / Archiv Dieter Born) 1RUPDOHUZHLVHZHUGHQGLHYRQVHLQHP6RKQ72.8%b/=YHU- |IIHQWOLFKWHQ7DJHEFKHURGHUGDVYRQBÄLZYHUIDVVWH9RUZRUW zu +$1&2&.+,*$6+,VÄ'DV.DQǀ-LX-LWVX³DOV4XHOOHQ]XU.OlUXQJ GLHVHU )UDJHQ KHUDQJH]RJHQ (V JLEW DEHU DXFK HLQLJH LQ -DSDQ HU- :HLWHUHYLHU-DKUHGDQDFKDOVRlX‰HUWVLFKBÄLZ]XU/HLEHVHU- VFKLHQHQH$XIVlW]HYRQBÄLZ und auch Zeitungsartikel, die die bei- ]LHKXQJIU0lGFKHQ DXV%,770$11  GHQ HUVWHQ 3XQNWH XQWHUPDXHUQ 6WHOOYHUWUHWHQG IU GLHVH VROOHQ LQ ,FKZQVFKHPLUGULQJOLFKVWGDVVVLHVLFKWlJOLFKXQEHGLQJW]ZHLELV GHU)ROJHHLQLJHUHODWLYXQEHNDQQWH4XHOOHQ]LWLHUWZHUGHQGLH+(,.2 GUHL6WXQGHQEHZHJHQ'RFKREGLHVHU:XQVFKEHLGHUGHU]HLWLJHQ %,770$11 GHP GHXWVFKVSUDFKLJHQ 3XEOLNXP GDQNHQVZHUWHU :HLVH zugänglich gemacht hat. 6LWXDWLRQLQ-DSDQLQGHU(U]LHKXQJEHUKDXSWYHUZLUNOLFKWZHUGHQ NDQQRGHUQLFKWGDVOLHJWQLFKWLQPHLQHU0DFKW:HQQZLUYRQGHU 6RVFKULHEBÄLZLP-DKUIUGLH=HLWVFKULIWGHU*UR‰MDSDQLVFKHQ .|USHUEXQJGHU0lGFKHQVSUHFKHQGDQQLVWZLHLFKEHUHLWV]XYRU *HVHOOVFKDIWIU(U]LHKXQJ DXV%,770$11  VDJWHLKUHHUVWH=LHOVHW]XQJGLH%OXWVWDXXQJ]XYHUKLQGHUQ'DIU LVWHVJXW6SD]LHUJlQJH]XPDFKHQ]XWDQ]HQGLH6FKZHUWNXQVW]X %OLFNWPDQDXIGLHYRUPDOLJHQ6DPXUDL]XUFNGDQQZDUHQGLHVHLP HUOHUQHQRGHUGLH+HOOHEDUGH]XEHQXW]HQ 9HUJOHLFK]XKHXWLJHQ-DSDQHUQVRZRKOVWlUNHUXQGJU|‰HUDOVDXFK NUDIWYROOHU'DVVVLHRIIHQVLFKWOLFKEHUOHJHQHUZDUHQODJVLFKHUOLFK ERWIN BÄLZPDKQWHDOVRLQGHU7DWLPPHUZLHGHU]XPHKU/HLEHV- DQGHUGDPDOLJHQ(U]LHKXQJGLHQLFKWQXUGDV/HVHQXQG6FKUHLEHQ EXQJHQZDUVLFKDEHUDXFKGDUEHUEHZXVVWGDVVHUQLFKWEHUDOO YRUVDK VRQGHUQ YHUVFKLHGHQH N|USHUOLFKH hEXQJHQ PLW GHP 3IHUG DXIRIIHQH2KUHQVWLH‰'DV6SHNWUXPGHUYHUVFKLHGHQHQhEXQJHQ XQGGHP%RJHQGHP6FKZHUWXQGGHU/DQ]HXVZEHLQKDOWHWH>@'D GLHHUHPSIDKOVFKORVVGDEHLYRUDOOHPGLHWUDGLWLRQHOOHQ.DPSINQV- QLHPDQGGDLVWGHUGDUEHUHUQVWKDIWQDFKGHQNWZLUGGHU.|USHUGHU WH-DSDQVPLWHLQGHQHQHUHLQHQKRKHQ:HUWIUGLH/HLEHVHU]LHKXQJ -DSDQHULPPHUVFKZlFKHUXQGPDQNDQQNHLQHUOHL$Q]HLFKHQHLQHV EHLPD‰ 'LHV NRPPW LQ IROJHQGHP 7DJHEXFKHLQWUDJ QRFK HLQPDO 6WlUNHUZHUGHQV HUNHQQHQ )ROJOLFK LVW HV XQYHUPHLGEDUGDVV DXFK GHXWOLFK]X7DJH DXV%,770$11  GLH.LQGHUGLHQXQJHERUHQZHUGHQVFKZlFKOLFKVLQGXQGOHLFKWHU NUDQNHQ'DVLVWZLUNOLFKEHGDXHUOLFK 1DUD$SULO ,FKPXVVPLFKEHUGLHHUVWDXQOLFKH5VWLJNHLWGHVMlKULJHQ.LWD 'HXWOLFKNRPPWKLHUGLH6RUJHEHUHLQHQN|USHUOLFKHQ9HUIDOOGHU EDWDNHZXQGHUQGHUGHQJDQ]HQ7DJPLWPLULQGHQ7HPSHOQXPKHU MDSDQLVFKHQ%HY|ONHUXQJ]XP$XVGUXFNDEHUDXFKGHU9HUZHLVDXI ZDQGHUWHRKQHLUJHQGZLH]XHUPGHQ(UWULHEIUKHUYLHO-LXMLWVX GDV %HWUHLEHQ GHU .DPSINQVWH DOV P|JOLFKH *HJHQPD‰QDKPH LVW 'LHVLVWGLHEHVWHN|USHUOLFKHhEXQJGLHHVEHUKDXSWJLEW XQEHUVHKEDU1RFKGHXWOLFKHUZLUGHU]ZHL-DKUHVSlWHU  LQ GHUÄ$EKDQGOXQJ]XU9HUEHVVHUXQJGHUMDSDQLVFKHQ5DVVH³HUVFKLH- ERWIN BÄLZ eigene Erfahrungen mit den japanischen Kampf- QHQLQGHU=HLWVFKULIWGHU*UR‰MDSDQLVFKHQ3ULYDWHQ*HVHOOVFKDIWIU künsten +\JLHQH 'DQNGHU7DJHEXFKHLQWUDJXQJHQYRQBÄLZN|QQHQZLUVHLQH.RQWDN- 6HOEVWZHQQGHU.|USHUGHU-DSDQHUNOHLQLVWXQGGLHHLQPDOLJH$U WHPLWGHQ.DPSINQVWHQVHKUJXWQDFK]HLFKQHQ,P$SULOEHVD‰ EHLWVOHLVWXQJHLQHQQLFKWLQEHVRQGHUHV(UVWDXQHQYHUVHW]WVLQGGLH BÄLZ, der in seiner Jugend in Deutschland gefochten hatte, demnach -DSDQHUYRQLKUHQQDWUOLFKHQ%HJDEXQJHQKHUGRFKLQYLHOHQ%H EHUHLWV  MDSDQLVFKH 6FKZHUWHU GHQ *HEUDXFK GLHVHU VDK HU DOOHU- UHLFKHQVHKUJHVFKLFNW0DQVROOWHVLFKGDKHUGDUXPEHPKHQGLHVH GLQJVHUVW0RQDWHVSlWHU]XPHUVWHQ0DO DXV%,770$11  )lKLJNHLWHQ]XEHQXQG]XU(QWZLFNOXQJ]XEULQJHQ:HOFKHQ*UDG DQ1XW]HQGLH%HPKXQJHQYRQhEXQJKDEHQNDQQPDQDPMnjMXWVX Ä7ǀN\ǀ6RQQWDJ$XJXVW VHKHQ,FKZQVFKHPLUGDVVGLHVH0HWKRGHGHUN|USHUOLFKHQ(U]LH +HXWHZDULQ8HQRJUR‰HV6FKZHUWIHFKWHQ6FKRQRIWXQGYLHOKDWWH KXQJLQDOOHQ6FKXOHQGXUFKJHIKUWZLUG LFKGDYRQJHK|UW+LHUVDKLFKHV]XPHUVWHQPDOXQG]ZDULQHLQHU 9ROOVWlQGLJNHLWZLHDQJHEOLFKQLFKWVHLW]HKQ-DKUHQ³

der budoka 11/2011 29 9LHU0RQDWHVSlWHUDOVRLPPHUQRFKLP-DKU¿QGHWVLFKHLQ Ä7ǀN\ǀ'H]HPEHU 7DJHEXFKHLQWUDJ GHP]XIROJH BÄLZ EHUHLWV GDV MDSDQLVFKH %RJHQ- 0LWWDJVEHL+RKOHUYRQGHUHQJO*HVDQGWVFKDIWPLWGHQ-LXMLWVX/HK schießen betrieb. UHUQ.DQǀXQG7RPLWD.DQǀKDWVLFKPLWVHLQHUUHIRUPLHUWHQ0HWKR GHGHV-LXMLWVXHLQJUR‰HV9HUGLHQVWXPVHLQ9RONHUZRUEHQ(VJLEW (LQLJH -DKUH VSlWHU QDKP HU 8QWHUULFKW EHLP GDPDOV EHNDQQWHVWHQ ZRKONHLQYROONRPPHQHUHV0LWWHOXPGHQ.|USHU]XNUlIWLJHQXQG )HFKWPHLVWHU-DSDQV.(1.8&+,6$.$.,%$5$. In einem Zeitungsarti- V\VWHPDWLVFKGXUFK]XELOGHQ³ NHOYRP-XQLHUVFKLHQHQLQGHU.DLND6KLQEXQ, war zu lesen (aus %,770$11  Wann und wie sie sich kennenlernten, ist nicht genau bekannt. Am wahrscheinlichsten erscheint dem Autor die gemeinsame Bekannt- 'LH6FKZHUWNXQVWXQVHUHV/DQGHVLVWQLFKWQXUDOV6FKXW]PD‰QDKPH schaft mit .,11268.(0,85$  HLQHP6FKOHUGHU7HQMLQ IUGHQ1RWIDOOJHHLJQHWVLHLVWDXFKYRP6WDQGSXQNWGHU+\JLHQHKHU VKLQ\ǀU\nj, der .$1ƿ YRP -njMXWVX her kannte. Beide trainierten JHVHKHQZLUNXQJVYROO'HVKDOELVW'RNWRU%lO]GLH/HKUNUDIWGHUPH IUKVWHQVDE LPVHOEHQ'ǀMǀXQWHUGHU/HLWXQJYRQ.(,7$5ƿ GL]LQLVFKHQ)DNXOWlWGHU8QLYHUVLWlWYHUJDQJHQHQ$SULOLQGLH6FKXOH ,128(. 0,85$ studierte nicht nur bei E. BÄLZ0HGL]LQVRQGHUQGLHQWH YRQ+HUUQ6DNDNLEDUD.HQNLFKLHLQJHWUHWHQ LKPDXFKMDKUHODQJDOV'ROPHWVFKHU0,85$, der später ein weltbe- =ZHL:RFKHQVSlWHUHUVFKLHQIROJHQGH0HOGXQJLQGHU,ML6KLQEXQ UKPWHU0HGL]LQHUZXUGHKDWEULJHQVQRFKLP-DKUKXQGHUWHL- Ä=HLWXQJIU0HGL]LQ³  DXV%,770$11  QHQLQ'HXWVFKODQGYHU|IIHQWOLFKWHQ$UWLNHOEHU-njMXWVX geschrieben, YHUPXWOLFK GLH HUVWH GHXWVFKVSUDFKLJH 9HU|IIHQWOLFKXQJ ]X GLHVHP   'D]X ZXUGH +HUU 6DNDNLEDUD .HQNLFKL HLQJHODGHQ XP GLH 7KHPDEHUKDXSW 6FKZHUWNXQVW NHQMXWVX ]XXQWHUULFKWHQ$XFK+HUU'RNWRU%lO]GLH /HKUNUDIWIULQQHUH0HGL]LQYHUVXFKWHVLFKGDULQXQGGDHUHVVHKU Die ersten 'ǀMǀ in Schulen und Universitäten EHIUZRUWHWKDWQLPPWVHLWKHUWlJOLFKGLH=DKOGHU3HUVRQHQ]XGLH LQGLHVH$EWHLOXQJHLQWUHWHQ :lKUHQG GLH 'LVNXVVLRQ EHU GLH $XIQDKPH GHU .DPSINQVWH LQ GLHVFKXOLVFKHXQGXQLYHUVLWlUH%LOGXQJQRFKLP*DQJHZDUZXUGHQ $XVGLHVHQEHLGHQ0HOGXQJHQJHKW]ZHLIHOVIUHLKHUYRUGDVVE. BÄLZ EHUHLWVIUKDQHLQLJHQ(LQULFKWXQJHQ)DNWHQJHVFKDIIHQ6RULFKWHWH GDVMDSDQLVFKH)HFKWHQHUOHUQWHXQGGLHVRIIHQEDUQLFKWQXU|IIHQWOL- .$1ƿVFKRQHLQ'ǀMǀ an der *DNXVKnjLQ Ä$GHOVVFKXOH³YJO ches Interesse erregte, sondern zusätzlich - wie er auch im Vorwort zu 7HLO HLQ +$1&2&.+,*$6+,s „.$1ǀ-LX-LWVX³VFKUHLEWHLQH6RJZLUNXQJDXI andere Interessenten hatte. ,QGHQ-DKUHQZXUGHVFKOLH‰OLFKDQGHU.HLǀ*LMXNX (Vorläu- fer der .HLǀ8QLYHUVLWlW XQGDQGHU7ǀN\ǀ8QLYHUVLWlW-njGǀ betrie- Der Erstkontakt mit -njMXWVX lässt sich dagegen nicht so genau datie- EHQQDFKGHPGRUWMHZHLOV]XYRUVFKRQ-njMXWVX (.HLǀ6HNLJXFKLU\nj ren, da BÄLZVHOEVWHWZDVZLGHUVSUFKOLFKH+LQZHLVHGD]XJLEW=XP 7ǀN\ǀ8QLYHUVLWlW7HQMLQVKLQ\ǀU\nj WUDLQLHUWZRUGHQZDU HLQHQVFKULHEHUGDVVPDQLKPDOV-lKULJHQNHLQHQ8QWHUULFKWHU- WHLOHQZROOWHGLHVZUGHHWZDGHQ-DKUHQHQWVSUHFKHQ=XP In der Yomiuri ShinbunYRP0DLZDU]XOHVHQ DXVBITT- DQGHUHQYHUOHJWHUGLH%HNDQQWVFKDIWPLW-njMXWVX auf die Zeit, in der 0$11  HU)HFKWHQOHUQWHDOVRGUHL-DKUHVSlWHU'HUHUVWH.RQWDNWYRQBÄLZ „.QVWHGHV6FKZHUWHVXQGGHU6DQIWKHLW mit -njMXWVXZDUDOVRLUJHQGZDQQ]ZLVFKHQXQGZREHLGHU IUKHUH=HLWSXQNWGHUZDKUVFKHLQOLFKHUHLVW 'LH.XQVWGHV6FKZHUWHVXQGGLH.XQVWGHU6DQIWKHLWZHUGHQNQIWLJ GHQ /HKUIlFKHUQ DQ GHU .DLVHUOLFKHQ 8QLYHUVLWlW KLQ]XJHIJW 'D ERWIN BÄLZ und -,*25ƿ.$1ƿ IU ZXUGH HLQH hEXQJVVWlWWH QHX HUULFKWHW =XP /HKUHU GHU .XQVW GHV 6FKZHUWHV HUQDQQWH PDQ +HUUQ 6DNDNLEDUD .HQNLFKL XQG DP Als sicher kann man dennoch annehmen, dass E. BÄLZ keinesfalls YHUJDQJHQHQIDQGHLQH(LQZHLKXQJVIHLHUVWDWW,KUZRKQWHQDOV -,*25ƿ.$1ƿ angeregt haben kann, -njMXWVX zu lernen, da dieser bereits GLH>GLHVHV3URMHNW@XQWHUVWW]HQGHQ2I¿]LHOOHQGHU8QLYHUVLWlWVSUl -DKUHYRUKHUDE-njMXWVX (genauer: 7HQMLQVKLQ\ǀU\nj-njMXWVX  VLGHQW:DWDQDEHGHU3ROL]HLOHLWHUGHV6WDGWWHLOV+RQJǀHLQHGHXW unter +)8.8'$ lernte. VFKH )DFKNUDIW VRZLH /HKUHU GHU 6FKZHUWNXQVW EHL )U GLH .XQVW 6LFKHULVWDEHUDXFKGDVVVLFKEHLGHNDQQWHQXQGVLFKDXFKIDFKOLFK GHU6DQIWKHLWEHULHIPDQ+HUUQ.DQǀ-LJRUǀ]XP/HKUHUXQGDP DXVWDXVFKWHQ6ROHVHQZLULQHLQHPZHLWHUHQ7DJHEXFKHLQWUDJYRQ ZXUGHXP8KUHLQH(U|IIQXQJVIHLHUGXUFKJHIKUW9RQQXQDQ BÄLZ (aus %,770$11  VROOHQGLH6FKOHUMHGHQ0RQWDJ0LWWZRFKXQG)UHLWDJ8QWHUULFKW HUKDOWHQ “

ERWIN BÄLZ auf einer Exkursion in den japanischen Bergen (Foto: Stadtarchiv Bietigheim- Bissingen / Archiv Dieter Born)

30 der budoka 11/2011 (Anm.: Bei %(11(77, einer bearbeiteten Übersetzung der .$1ƿ- Persönliche Anmerkungen %LRJUD¿HYRQZHUGHQ6$,*ƿ, 720,7$XQGƿ.8%2DOV/HKUHUEH-  'LHbKQOLFKNHLWGHU$UJXPHQWH]ZLVFKHQGHU'LVNXVVLRQXPGLH nannt. Vermutlich hatte .$1ƿGLH3RVLWLRQHLQHV/HLWHUVRKQHGLUHNWH /HKUDXIJDEHQ .DPSINQVWHLQ-DSDQLPDXVJHKHQGHQ-DKUKXQGHUWXQGLQGHU GHXWVFKHQ6SRUWSlGDJRJLNEHU-DKUHVSlWHULVWIUDSSLHUHQGYRU Die ersten bekannten 'ǀMǀ DQ 6FKXOHQ XQG 8QLYHUVLWlWHQ ZXUGHQ allem, wenn man weiß, dass die heutigen Diskussionen um „Ringen VRPLWDQGHQSUHVWLJHWUlFKWLJVWHQ(LQULFKWXQJHQLKUHU$UWJHJUQGHW und Kämpfen“ in aller Regel ohne Kenntnis der damaligen Argumen- $XI GLHVH:HLVHNDP GLH ]XNQIWLJH *HQHUDWLRQ GHU JHLVWLJHQ XQG tation .$1ƿVJHIKUWZLUG SROLWLVFKHQ)KUHU-DSDQVVFKRQLQGHQHU-DKUHQLQ.RQWDNWPLW dem .ǀGǀNDQ-njGǀ. +LHUDQNDQQPDQYRUVLFKWLJHUPHVVHQZLHZHLW.$1ƿVHLQHU=HLWYRU- DXVZDU:lKUHQGDQGHUHQ6SRUWDUWHQQDFKWUlJOLFKHLQSlGDJRJLVFKHU :HUWLPSODQWLHUWRGHU]XJHVSURFKHQZLUGLVWGHUHU]LHKHULVFKH*H- -,*25ƿ.$1ƿ6 Vortrag von 1889 danke Kernidee der Entwicklung des .ǀGǀNDQ-njGǀ gewesen. ,P 0DL  HUKLHOW -,*25ƿ.$1ƿ VFKOLH‰OLFK GLH *HOHJHQKHLW GDV .ǀGǀNDQ-njGǀ und seinen Beitrag zur Erziehung einem prominenten  :LHYLHOHDQGHUH-njGǀ7UHLEHQGHLPGHXWVFKVSUDFKLJHQ5DXPLVW 3XEOLNXPGHU*UR‰MDSDQLVFKHQ*HVHOOVFKDIWIU(U]LHKXQJYRU]XVWHO- auch der Verfasser mit der Vorstellung groß geworden, dass .$1ƿei- len. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits Konrektor der *DNXVKnjLQ und QHUMHQHU6WXGHQWHQJHZHVHQVHLGLHDXI$QUDWHQYRQERWIN BÄLZ mit als -njMXWVX/HKUHUDQHUNDQQW GHP7UDLQLQJYRQ-njMXWVX begannen, aus dem er später -njGǀ entwi- FNHOWKDEH(LQHQHWWH*HVFKLFKWHGLHVRDEHUQLFKWVWLPPWGD.$1ƿ (LQ ZLFKWLJHU ZHQQ DXFK QLFKW H[SOL]LW HUZlKQWHU .RQWH[W GLHVHV EHUHLWVDE-njMXWVXEHWULHEHQKDWEHYRU%lO]EHUKDXSWPLWGHQ 9RUWUDJHVZDU QDWUOLFK GHU %HULFKW GHU 8QWHUVXFKXQJVNRPPLVVLRQ .DPSINQVWHQHUVWPDOVLQ.RQWDNWJHNRPPHQLVW DE  YRQGLHGHP-njMXWVX ZLHDXFKGHP6FKZHUWIHFKWHQ PHKU 1DFKWHLOHDOV9RUWHLOHIUGLHVFKXOLVFKH(U]LHKXQJ]XVFKULHE VR  8UVDFKH IU GLHVHV 0LVVYHUVWlQGQLV VFKHLQW HLQH 3DVVDJH DXV GHP YRQBÄLZLP-DKUYHUIDVVWHQ9RUZRUW]XÄ'DV.$1ǀJiuJitsu“ 6RUJIlOWLJPDFKWHVLFK.$1ƿ also daran, diesen Bedenken entgegen- zuwirken. ]XVHLQLQGHPHUVHLQHQ%HLWUDJEHL(WDEOLHUXQJGHU.DPSINQVWH DOV /HLEHVHU]LHKXQJ EHVFKUHLEW E. BÄLZ berichtet in diesem Rah- 'LH ZLFKWLJVWHQ$UJXPHQWH VLQG LQ GHU QDFKIROJHQGHQ *HJHQEHU- PHQ YRQ VHLQHQ %HPKXQJHQ XP GLH 2UJDQLVDWLRQ HLQHU -njMXWVX- stellung stichwortartig zusammengefasst: Demonstration an der 7ǀN\ǀ8QLYHUVLWlW GLH YRQ:LVVHQVFKDIWOHUQ DXIRGHUHWZDVVSlWHUGDWLHUWZLUGBÄLZ schreibt:

Nachteile/Bedenken 1883/84 .$1ƿs Konzept des .ǀGǀNDQ $EHULQ]ZLVFKHQKDWWHQGRFKDXFKHLQLJHDNWLYHXQGIUKHUH6WXGHQ -njGǀ 1889 WHQGHU8QLYHUVLWlW-LX-LWVXDXIJHQRPPHQXQGQDPHQWOLFKGHUMXQJH 7HLOZHLVH XQJOHLFKPl‰LJH N|U- %HWRQXQJ GHU %HGHXWXQJ YLHO- *HOHKUWH.DQǀZXUGHVHLQHLIULJHU$SRVWHO perliche Entwicklung durch ein- IlOWLJHU7HFKQLNHQXQGhEXQJV- $QP$XVIKUOLFKH'LVNXVVLRQHQGLHVHU7H[WVWHOOH¿QGHQVLFKEHL seitige Beanspruchungen formen %,770$11 2010 und bei 1,(+$86  %HUHLWV REHQ ZXUGH GDUDXI Entwicklung spezieller .DWD zur YHUZLHVHQGDVVDQGHU7ǀN\ǀ8QLYHUVLWlW7HQMLQVKLQ\ǀU\nj unter der /HLEHVHU]LHKXQJ -njQRNDWD /HLWXQJYRQ.(,7$5ƿ,128( trainiert wurde. Dieses Angebot stand der *RQRNDWD $OOJHPHLQKHLWRIIHQ Verletzungsgefahr Betonung des Erlernens der 'LH3DVVDJHOlVVWYROONRPPHQRIIHQZDQQXQGGXUFKZHOFKH8P- )DOOVFKXOH XQG LKUHU 1W]OLFK- stände .$1ƿPLWGHP7UDLQLQJGHV-njMXWVX begonnen hat und ob er NHLWLPWlJOLFKHQ/HEHQ DQGLHVHP7UDLQLQJWHLOQDKPRGHUQLFKW6LHOlVVWDEHURKQH.HQQWQLV 9HUERW JHIlKUOLFKHU 7HFKQLNHQ der Jahreszahlen, die BÄLZ selbst nicht nennt, auch die Interpretation im 5DQGRUL ]XGDVVGLHVHDNWLYHQXQGHKHPDOLJHQ6WXGHQWHQHLQVFKO.$1ƿ, auf (QWZLFNOXQJ HLQHU ZLOGHQ *H- -njGǀ DOV 0LWWHO GHU .XOWLYLH- ,PSXOVYRQBÄLZ mit dem -njMXWVX7UDLQLQJEHJRQQHQKlWWHQ'DVHQW- VLQQXQJYRQ5RKKHLWXQGhEHU- UXQJ GHV *HLVWHV /HKUHQ GHV VWDQGHQH0LVVYHUVWlQGQLVHUVFKHLQWGDKHUYHU]HLKOLFK]XPDOZHQLJHU treiben im Wetteifer usw. Kampfes (z.B. „Überlege reif- wichtig ist, wie .$1ƿ zum -njMXWVXNDPVRQGHUQYLHOEHGHXWHQGHULVW lich, handle entschlossen“, was er daraus gemacht hat. Ä.HQQH GLH *UHQ]HQ³  %HWR- $XIGHUDQGHUHQ6HLWH]HLJWGLH$UEHLWYRQ%,770$11HLQGUXFNVYROO nung der Verantwortlichkeit DXIZLHLQWHQVLYVLFKBÄLZJHJHQEHUYHUVFKLHGHQHQ6WHOOHQGHUMD- EHLGHU3DUWQHU SDQLVFKHQ*HVHOOVFKDIW 8QLYHUVLWlW*HVHOOVFKDIWIU(U]LHKXQJPH- 3UREOHPGHVhEXQJVUDXPHVXQG -XQRNDWD *RQRNDWD, die GL]LQLVFKHV )DFKSXEOLNXP 3ROLWLN XVZ  IU GLH ,QWHQVLYLHUXQJ GHU GHUhEXQJVDXVUVWXQJ XQDEKlQJLJ YRQ 5DXP XQG /HLEHVHU]LHKXQJLP$OOJHPHLQHQXQGGLH(LQEH]LHKXQJGHU.DPSI- $XVUVWXQJ EHWULHEHQ ZHUGHQ NQVWHLP%HVRQGHUHQHLQJHVHW]WKDW$XFKLVWDXV]HLWJHQ|VVLVFKHQ N|QQHQ Zeitungsartikeln belegbar, dass er selbst zwei traditionelle Kampf- NQVWH )HFKWHQXQG%RJHQVFKLH‰HQ HUOHUQWHXQGVHLQSHUV|QOLFKHV 9RUELOG1DFKDKPHUXQWHUGHU6WXGHQWHQVFKDIWIDQG 6FKDXWPDQVLFKGLHZHVHQWOLFKHQ%RWVFKDIWHQ.$1ƿs an, kommt man XQZHLJHUOLFK]XP(UJHEQLVGDVVGLHYRUJHVWHOOWHQ:HVHQV]JH Durch sein Engagement, sein Vorbild und seine gesellschaftliche des .ǀGǀNDQ-njGǀ eine Reaktion auf die kritischen Ergebnisse der 3RVLWLRQZXUGHBÄLZ auf diese Weise zweifellos zu einem wichtigen 8QWHUVXFKXQJVNRPPLVVLRQYRQZDUHQ-njGǀ als Erziehungs- :HJEHUHLWHUGHU(LQIKUXQJGHU.DPSINQVWHLQGDVVFKXOLVFKH&XU- V\VWHP HQWZLFNHOWH VLFK DOVR XQPLWWHOEDU DXV GHU ]HLWJHQ|VVLVFKHQ ULFXOXP$XFKZHQQDOVRGDV9HUGLHQVWYRQBÄLZ ein anderes war als Kritik am traditionellen -njMXWVX, bzw. dessen nicht festgestellter Eig- HVLQGHUYHUEUHLWHWHQ9RUVWHOOXQJLQGHXWVFKVSUDFKLJHQ-njGǀ-Kreisen QXQJIUGLHVFKXOLVFKH/HLEHVHU]LHKXQJ YHUDQNHUWLVWIUGLHVSlWHUH9HUEUHLWXQJYRQ-njGǀ hat BÄLZ mit sei- QHU)UVSUDFKHHLQHQNHLQHVIDOOV]XXQWHUVFKlW]HQGHQ%HLWUDJJHOHLV- -.$1ƿJHODQJHVLQKHUYRUUDJHQGHU:HLVHGDV$OWKHUJHEUDFKWHPLW tet. GHQ (UIRUGHUQLVVHQ GHU ÄQHXHQ =HLW³ ]X YHUELQGHQ XQG HV LQ HLQHQ modernen, die Kritik widerlegenden pädagogischen Rahmen zu gie- Literatur:

ßen. Das .ǀGǀNDQ-njGǀ war somit als Konzept eines reformierten %(11(77$/(;-LJRUǀ.DQǀDQGWKH.ǀGǀNDQ±DQLQQRYDWLYH5HVSRQVHWR0R- -njMXWVXIUGLH$XIQDKPHLQGDV(U]LHKXQJVV\VWHPGHVQHXHQ6WDDWHV GHUQLVDWLRQ.ǀGǀNDQ-njGǀ,QVWLWXWH YHUIJEDU$EHUHVZDUQRFKHLQZHLWHUXQGVWHLQLJHU:HJ]XU3ÀLFKW- %,770$11+(,.2: (UZLQYRQ%DHO]XQGGLHN|USHUOLFKHQhEXQJHQ%LWWPDQQ DNWLYLWlWIUDOOH6FKOHU(LQ:HJGHUDXFKSlGDJRJLVFKQLFKWLPPHU Verlag 2010 unproblematisch war. 1,(+$86$1'5($6/HEHQXQG:HUN.DQǀ-LJRUǀV  (UJRQ9HUODJ  )RUWVHW]XQJIROJW 6(11,1*'2527+($'U(UZLQ%lO]9DWHUGHUPRGHUQHQ0HGL]LQLQ-DSDQ-D- SDQ0DJD]LQ9HUODJ'LHWHU%RUQ%RQQ

der budoka 11/2011 31 Grundwissen der Geschichte des .żGżNDQ-ƈGżLQ-DSDQ

von Wolfgang Dax-Romswinkel

Teil 17: Die Kampfkünste und ihre Aufnahme in den Schulsport ab der zweiten Hälfte der Meiji-Zeit

-njQR.DWD als Schulsport: Die Aufnahme wurde erstmals 1915 veröffentlicht und zeigt Leibesübungen an der Mittelschule, die der Höheren Lehrerbil- dungsanstalt in 7ǀN\ǀ angeschlossen war Bild: Privatarchiv Dieter Born

In der letzten Folge haben wir die Diskussion um die Einführung der Der politische Rahmen: Gesellschaftlicher Wandel in der zweiten Kampfkünste in die schulische Erziehung während der ersten Hälfte Hälfte der Meiji-Zeit der Meiji-Zeit (genauer bis 1889) betrachtet. Dabei wurde die Rolle des deutschen Gastprofessors für Medizin an der 7ǀN\ǀ-Universität, Die Jahre 1889/90 markieren nicht nur wegen .$1ƿs Europareise eine Zäsur in der Entwicklung des .ǀGǀNDQ-njGǀ. Vor allem in der Prof. ERWIN BÄLZ, ausgiebig gewürdigt. Der Vortrag -,*25ƿ.$1ƿs vor der Großjapanischen Gesellschaft für Erziehung bildete den Ab- politischen und gesellschaftlichen Entwicklung Japans ergaben sich HLQHJDQ]H5HLKHZHVHQWOLFKHUbQGHUXQJHQGLHJUR‰HQ(LQÀXVVDXI schluss der letzten Folge. .$1ƿ hatte hierbei das .ǀGǀNDQ-njGǀals System zur körperlichen und geistig-moralischen Erziehung vorge- das Erziehungssystem hatten. Davon waren natürlich auch die Lei- stellt, das konzeptionell die von einer Untersuchungskommission beserziehung und die Kampfkünste betroffen. des Instituts für Leibeserziehung in den Jahren 1883/84 festgestell- Der mehr oder weniger kritiklosen Übernahme des „Westlichen“ ten Schwächen der alten -njMXWVX-Stile für die schulische Erziehung folgte als Gegenbewegung zur Mitte der Meiji-Zeit eine zunehmen- überwunden hatte. Kurz nach dem Vortrag begab sich .$1ƿ auf seine de Besinnung auf eigene Traditionen. 1889 erhielt Japan eine neue erste Europareise. Verfassung und 1890 wurde der kaiserliche Erziehungserlass in Kraft gesetzt.

der budoka 12/2011 31 Außenpolitisch reihte sich Japan mit dem chinesisch-japanischen 0LWWHOSXQNW EHUHLWV 7XJHQGHQ ZLH Ä/R\DOLWlW³ Ä3ÀLFKW³ Ä6FKDP³ Krieg von 1894/95 und dem darauf folgenden russisch-japanischen usw. verankert waren. Der %XVKLGǀ erfuhr daher insbesondere ab Krieg 1904/05 in den Kreis der imperialistischen Mächte nach dem 1904/05 unter der ideologischen Führung von 7(768-,5ƿ,128( (1855- damaligen westlichen Vorbild ein. Besonders der Sieg gegen Russ- 1944) eine radikale Umdeutung zu einer Art Staatsmoral, ausgerich- land, einer modernen westlichen Streitmacht, verlieh Japan Anerken- tet auf Kaisertreue und Vaterlandsliebe. nung und neues Selbstbewusstsein, denn eines der wichtigsten Leit- motive japanischer Politik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Propagandistisch geschickt wurden die Erfolge im russisch-japani- war es, sich einen gleichberechtigten Platz neben den Westmächten schen Krieg - aber auch Selbstmorde von Soldaten, um der Kriegs- zu erkämpfen. Dieses Ziel sah man nach dem Sieg über Russland als gefangenschaft zu entgehen - mit dem Geist des %XVKLGǀ verknüpft, erreicht an. der nur dem japanischen Volk zu eigen sei und der dessen moralische Überlegenheit gegenüber den westlichen Völkern ausmache. Die .RNXWDL-Ideologie als Grundlage der Meiji-Verfassung und Es entstand das Paradigma von „westlicher Technologie und japani- des Kaiserlichen Erziehungserlasses schem Geist“, das als neue Devise der gesellschaftlichen Entwick- Ein Nationalbewusstsein oder so etwas wie Vaterlandsgefühl oder lung formuliert wurde. So wie man zuvor schon Teile chinesischer Patriotismus existierten in Japan bis in die 1880er-Jahre trotz vie- Kultur integriert hatte, sollten Teile der westlichen Errungenschaften ler kultureller Errungenschaften kaum und mussten beim Aufbau des in die japanische Kultur integriert werden, um diese auf der Basis des Nationalstaats erst neu geschaffen werden. Man brauchte zur Moder- .RNXWDL weiterzuentwickeln. Westlichen Philosophien jedoch, insbe- nisierung zwar zahlreiche „Westimporte“ - Wissenschaft, Medizin, sondere dem Individualismus, stand man von Staatsseite vor allem ab Bildungswesen, Militär, Industrie, Verkehr, Finanzwesen etc. - jedoch Mitte der 1930er-Jahre ablehnend gegenüber, da man ihn als gegen EHGXUIWHHV]XUQDWLRQDOHQ,GHQWL¿NDWLRQDXFKHWZDVÄ-DSDQLVFKHP³ das .RNXWDL gerichtet betrachtete. etwas, was im Idealfall das Einzigartige des japanischen Volkes bzw. seines Nationalwesens begründet und es von anderen Kulturen ab- Kampfkünste und Moralerziehung hebt. So kam es zu einer Rückbesinnung auf den Gründungsmythos Die Kampfkünste, die übrigens erstmals in der Meiji-Zeit mit dem des japanischen Kaiserreichs, der nach einer Phase kritischer Ausei- Sammelbegriff %XGǀ bezeichnet wurden, boten sich aus naheliegen- nandersetzung zu Beginn der Meiji-Zeit wieder vermehrt als histori- den Gründen in besonderer Weise an, um eine ideologische Brücke zu sches Faktum angesehen wurde. den vormaligen 6DPXUDLXQGGDPLW]XP QHXGH¿QLHUWHQ %XVKLGǀ Diesem Mythos zufolge ist der japanische Kaiser (7HQQǀ) ein „Gott in - zu schlagen und so als Vehikel der Erziehung zu Nationalismus und menschlicher Gestalt“ und ein direkter Nachfahre der Sonnengöttin Militarismus missbraucht zu werden. Der Weg der Kampfkünste in $PDWHUDVX und von den Göttern beauftragt, das Land in deren Sinn den Schulunterricht muss demzufolge auch vor diesem ideologischen zu verwalten. Hieraus leitete sich ein absoluter Herrschaftsanspruch Hintergrund betrachtet werden. des 7HQQǀ ab, der über der Regierung und außerhalb des Gesetzes Moralische Schulung war von Beginn an eine der Säulen des stand. Göttlichen Ursprungs und auch „göttlich“ geführt zu sein, ist .ǀGǀNDQ-njGǀ (vgl. Folge 4). Aber wie ist -,*25ƿ.$1ƿ in diesen nach dieser Vorstellung kurz gefasst das Einzigartige des japanischen Kontext einzuordnen? Durchaus dem Zeitgeist folgend sagte .$1ƿ Nationalwesens, auf japanisch .RNXWDL (von .RNX=Land, Nation, bereits in seinem Vortrag von 1889: 7DL=Körper), das damit auch eine religiöse Komponente bekam. Dies war für Japan ein völlig neuer Ansatz, da der 7HQQǀ die Jahrhunderte Ä(VJLEWJUR‰H8QWHUVFKLHGHLQ%H]XJDXIGLH*HIKOH]XPHLJHQHQ zuvor während der Militärdiktatur der 6KRJXQH politisch vollkommen /DQG GDKLQJHKHQG RE PDQ GLH LQ GLHVHP /DQG ELVKHU HUEUDFKWHQ entmachtet gewesen war und samt Hofstaat von der Welt abgeschottet /HLVWXQJHQOLHEWRGHUQLFKWRGHUREPDQGLHJOHLFKHQ*HIKOHKHJW im Kaiserpalast in .\ǀWR gelebt hatte. ZLH GLH 0HQVFKHQ IUKHU:ROOHQZLU GLH QDFKIROJHQGHQ *HQHUDWL RQHQOHKUHQGDV-DSDQLVFKHDQ-DSDQZHUW]XVFKlW]HQXQGZROOHQ Im Vordergrund der Aufgaben des Erziehungswesens stand folgerich- ZLULKUHQ3DWULRWLVPXVIHVWLJHQGDQQPVVHQZLULUJHQGZLHGHQ*HLVW tig ab 1890 nicht mehr alleine der Wissenserwerb im westlichen Sinn. GHU.DPSINQVWHLQGLH.|SIHGHUKHXWLJHQ-XJHQGEULQJHQ³(aus Die Vermittlung von Vaterlandsliebe und Moral - bis hin zur Bereit- 1,(+$86 2003, S. 287) schaft, sein Leben für das Vaterland zu opfern - kamen als weitere Erziehungsziele hinzu. Was er genau mit dem „Geist der Kampfkünste“ meint, führt er nicht DXV-HGRFK¿QGHQVLFKLQVHLQHQGDPDOLJHQ$XVIKUXQJHQ]XUNRQ- Als Grundlage einer neuen Morallehre mussten die Loyalitätsbezie- kreten Schulung der Moral durch -njGǀkeinerlei Ansätze in Richtung hungen der Untertanen gegenüber 7HQQǀ bzw. Vaterland und gegen- .RNXWDL, %XVKLGǀ oder ähnlichem Gedankengut, was nicht weiter EHU9HUIDVVXQJXQG*HVHW]HQQHXGH¿QLHUWZHUGHQ+LHUIUERWVLFK verwundern kann, da der ideologische Wandel erst noch bevorstand. der auf konfuzianischer Lehre basierende %XVKLGǀ an, da in dessen $1'5($61,(+$86 bezeichnet .$1ƿ als einen Volksmoralisten, der fest auf dem Boden des Erziehungserlasses stand und daran auch JUXQGVlW]OLFKELV]XVHLQHP7RGIHVWKLHOW$QGHUVZlUHVHLQHEHUXÀL- che Karriere, die ihn in führende Bildungspositionen Japans geführt hat, auch gar nicht denkbar gewesen. Aber folgte er auch der Ideolo- gisierung der Kampfkünste?

Zeitlebens wies .$1ƿ auf die Notwenigkeit hin, in der Moralerzie- hung Fortschritte zu machen. Jedoch leitete er die Grundlagen für seine eigene Morallehre - 6HLU\RNX]HQ\ǀ und -LWDLN\ǀHL - im Ge- gensatz zur Kokutai-Ideologie bewusst nicht aus Religion oder (ver- meintlicher) Tradition ab (vgl. Folge 6). Vielmehr sah er die alleinige Basis für eine allgemeine Morallehre in einer unwiderlegbaren Logik und sprach auch vom Glück jedes Einzelnen als dem Ziel der gesell- schaftlichen Entwicklung. Dies konnte freilich nur in der Gemein- schaft erreicht werden, zu deren Entwicklung alle Mitglieder einen Beitrag leisten sollten. Von seinem universalistischen Ansatz her stellte er sich damit in Op- position zum japanischen Ultra-Nationalismus, denn .$1ƿ verstand seine Prinzipien keinesfalls auf Japan beschränkt, sondern strebte nach internationaler Verständigung und Überwindung des Rassismus Endkampf der 1. Gesamtjapanischen -njGǀ-Meisterschaften für Mittelschu- (vgl. Folge 6). OHQ JUR‰HV%LOG VRZLHhEHUUHLFKXQJGHU6LHJHVÀDJJH HLQJHNOLQNWHV%LOG Bild: Privatarchiv Dieter Born

32 der budoka 12/2011 Entwicklungen ab 1889 6FKXOHQ6FKOHUYHUSÀLFKWHQGZlKUHQGGLH.DPSINQVWHIDNXOWDWLYH Angebote waren. Der Unterricht in militärischer Gymnastik wurde Zurück in das Jahr 1889. .$1ƿ6 Vortrag vor der Großjapanischen EULJHQV]XQHKPHQGYRQ2I¿]LHUHQGHU$UPHHHUWHLOW Gesellschaft für Erziehung (vgl. Folge 16) war zwar ein inhaltlicher Meilenstein der Entwicklung des .ǀGǀNDQ-njGǀ, jedoch führte er Funktionalisierung des Sports im Zuge der %XVKLGǀ-Ideologie nicht zu einer baldigen Einführung von -njGǀ in die schulische Er- ziehung. .$1ƿ selbst konnte in den Folgejahren auch nicht weiter Nach einer vorübergehend etwas liberaleren Strömung in der 7DLVKǀ- aktiv werden, da er zunächst in Europa weilte und danach für zwei Zeit (1912-1925) kam es in der nachfolgenden 6KǀZD-Zeit (ab 1926) Jahre die Mittelschule in .XPDPRWR auf .\njVKnj leitete (vgl. Folge zu einem Erstarken von nationalistischem und militaristischem Ge- 15). Dort richtete er - wie könnte es anders sein - auch ein 'ǀMǀ ein dankengut. Die Leibeserziehung insgesamt wurde in der 6KǀZD-Zeit und unterrichtete -njGǀ. vollends in den Dienst der Wehrkraftsteigerung und der moralischen Erziehung im Sinne der herrschenden Ideologie gestellt. $1'5($6 In den frühen 1890er-Jahren hatte zwar das .ǀGǀNDQ-njGǀeine ge- 1,(+$86 (2003, S. 73) schreibt dazu: wisse Reputation in Japan, galt aber immer noch als ein -njMXWVX-Stil unter vielen. Im Jahr 1896 gab es eine weitere Untersuchung der Ä6SRUWXQG/HLEHVHU]LHKXQJZXUGHQUHGH¿QLHUWXQGPLWGHQ,GHDOHQ Kampfkünste auf ihre Tauglichkeit für den Schulsport, jedoch führte HLQHUQDWLRQDOLVWLVFKHQ3KLORVRSKLHXQGGHQHQGHV7HQQR,GHDOLVPXV auch sie noch nicht zu einem positiven Ergebnis, was den Eingang LQ(LQNODQJJHEUDFKW'HXWOLFK]HLJWVLFKGLHVDQGHU,PSODQWLHUXQJ der Kampfkünste in den Fächerkanon der Schulen betraf. GHU,GHDOHGHV%XVKLGǀLQGHQ6SRUW%HJULIIHZLH6XSǀWVXGǀ :HJ GHV 6SRUWV  RGHU 7DLLNXGǀ :HJ GHU /HLEHVHU]LHKXQJ  UHLKHQ GHQ -njGǀ-Clubs an Schulen und Universitäten 6SRUWLQGLHNODVVLVFKHQ6FKXOXQJVZHJHMDSDQLVFKHU.QVWHHLQXQG YHUELQGHQLKQPLWGHPDOVYHUPHLQWOLFKXUMDSDQLVFKGH¿QLHUWHQIHX Wie im angelsächsischen Raum waren an vielen Schulen/Universi- GDOLVWLVFKHQ9HUKDOWHQVNRGH[GHU.ULHJHUNDVWH³ täten Clubs eingerichtet. Die Schüler/Studenten mussten sich einem GHU]DKOUHLFKHQ&OXEVDQVFKOLH‰HQGLHVZDU3ÀLFKWMHGRFKJHK|U- .$1ƿ hatte viele Jahre lang darauf gedrängt, dass die amtliche Be- ten diese Aktivitäten nicht zum Lehrplan. Immer mehr Schulen und zeichnung von -njMXWVX in -njGǀ und von .HQMXWVX in .HQGǀ umgewan- Universitäten nahmen -njMXWVX/-njGǀin das Angebot ihrer Clubs auf. delt wurde, um die moralische Konnotation im Sinne von 6HLU\RNX ]HQ\ǀ und -LWDN\ǀHLDXV]XGUFNHQ'HUbQGHUXQJGHU%H]HLFKQXQJ Als Leiter der Höheren Lehrerbildungsanstalt 7ǀN\ǀ (vgl. Folge 15) ZXUGHJHIROJWMHGRFKEHNODJWHVLFK.DQǀDXFKGDUEHUGDVV etablierte J. .$1ƿ bereits ein Jahr nach Amtsantritt, also 1894, auch dies nicht mit einer inhaltlichen Weiterentwicklung des -njMXWVX ver- dort einen -njGǀ-Club, an dem die Studenten .ǀGǀNDQ-njGǀlernen bunden war und es deshalb zu Verwechslungen mit dem „wahren“ und betreiben konnten. Dies hatte nicht nur den Effekt, dass immer .ǀGǀNDQ-njGǀ kam (s. hierzu auch Anmerkung 2). mehr (künftige) Lehrer mit .ǀGǀNDQ-njGǀvertraut wurden, sondern dass sie auch in das Management eines Clubs eingeführt wurden. In- -njGǀ und .HQGǀDOV3ÀLFKWIUDOOH6FKOHU nerhalb weniger Jahre erhöhte sich die Anzahl an schuleigenen 'ǀMǀ erheblich. Schließlich wurden 1931 -njGǀ und .HQGǀ3ÀLFKWWHLOHLPUHJXOlUHQ Fächerkanon des Schulunterrichts. Dies geschah in einer Zeit, in der Standardisierung des -njMXWVX durch die Dai-Nippon-Butokukai Wehrkraftsteigerung und ideologische Erziehung durch die Kampf- NQVWHHLQHQYRUOlX¿JHQ+|KHSXQNWHUUHLFKWKDWWHQ Ende des 19. Jahrhunderts präsentierten sich die Kampfkünste noch sehr stark in unterschiedliche Schulen (5\njKD) zersplittert. Dies stand Nach einer Erhebung vom April 1932 wurde bereits zu diesem Zeit- einer landesweiten Einführung und Vermittlung - nicht nur in Schu- SXQNWYRQ6FKOHUQDQ0LWWHOVFKXOHQ-njGǀEHWULHEHQ%LV len, sondern auch bei Polizei und Militär - entgegen. 1895 wurde 1938 wuchs die Anzahl auf (geschätzte) über 700 Schulen mit über die schon mehrfach angesprochene 'DL1LSSRQ%XWRNXNDL(Großja- 200.000 Schülern an. panische Vereinigung der Kampfkünste) gegründet. Sie sollte zwar einerseits die verschiedenen Traditionen bewahren, andererseits aber In Anbetracht des weiteren Verlaufs der japanischen Geschichte, blei- auch gemeinsame Standards entwickeln, um die Kampfkünste syste- ben zwiespältige Gefühle über diese Entwicklung. Einerseits wurde matisch verbreiten zu können. Zu diesem Zweck unterhielt die %X im 19. Jahrhundert von .$1ƿ ein überzeugendes pädagogisches Kon- WRNXNDL nicht nur ein Trainingszentrum für künftige Instruktoren in zept des .ǀGǀNDQ-njGǀvorgestellt, so dass man von einer positiven .\ǀWR, sondern gründete überall im Land Zweigstellen. Entwicklung sprechen könnte, wenn dieses Konzept so umgesetzt worden wäre. Andererseits war die Wehrkraftsteigerung bei gleich- Aufgrund der herausragenden politischen Rolle .$1ƿs, aber auch zeitiger ideologischer Schulung klar erkennbares Motiv bei der Ein- aufgrund der kämpferischen Qualität der .ǀGǀNDQ-Kämpfer konnte führung von -njGǀ und .HQGǀ in den Schulsport. sich das .ǀGǀNDQ-njGǀ in drei wichtigen Bereichen gegenüber den anderen -njMXWVX-Schulen hervorheben: Graduierungssystem (s. Folge 13), .DWD (s. Folge 7) und 5DQGRUL/Wettkampfregeln (s. Folge 14). Das .ǀGǀNDQ-njGǀ wurde so Schritt für Schritt zum Quasi-Standard für -njMXWVX. Damit war eine wichtige Voraussetzung für die landes- weite Verbreitung des .ǀGǀNDQ-njGǀ geschaffen.

1911: Aufnahme als Wahlfach in den Sportunterricht Nach einigem Hin und Her und einer ganzen Reihe von Aktivitäten - Vorträge, Demonstration, Eingaben usw. - wurden -njMXWVX und .HQ MXWVX schließlich im Jahr 1911 als alternative Inhalte der Leibeser- ziehung in den Kanon der Schulfächer aufgenommen. Bei BENNETT (2008, S. 168) lesen wir hierzu (übersetzt aus dem Englischen): Ä9LHOHVSUWHQGDVVHVDQGHU=HLWZDUGLHJHLVWLJHXQGPRUDOLVFKH (QWZLFNOXQJ GXUFK WUDGLWLRQHOOH MDSDQLVFKH .DPSINQVWH ZLH .HQ MXWVX XQG -njMXWVX DOV (UJlQ]XQJ ]X GHQ DNDGHPLVFKHQ 6WXGLHQ ]X YHUVWlUNHQ1DWUOLFKGDFKWHPDQDXFKGDUDQGDVVGHUPLOLWlULVFKH $VSHNW GHU .DPSINQVWH GHU 1DWLRQ GLHQOLFK ZlUH ZHQQ 'LV]LSOLQ DQHU]RJHQXQGGLH-XJHQGDXIGHQ:HKUGLHQVWYRUEHUHLWHWZUGH³ Der ideologische Kontext ist unübersehbar. Interessant ist jedoch, dass die sogenannte „militärische Gymnastik“ - im Wesentlichen Mitglieder einer 1934 speziell eingerichteten Kinderabteilung des .ǀGǀNDQ Marschieren, Exerzieren und andere militärische Übungen - für alle (Anmerkung: Es gab zwar schon lange vorher Kinder am .ǀGǀNDQ, jedoch wurde 1934 diese hier neu eingerichtet.) Bild: Privatarchiv Dieter Born

der budoka 12/2011 33 .RNXPLQJDNNǀ! Diese drei Bilder zeigen deutlich, wie der -njGǀ-Unterricht in Schulen nach .$1ǀS Tod unmittelbar vor und während des Zweiten Weltkriegs aussah bzw. nach Vorstellung der japanischen Regierung aussehen sollte. Sie stammen aus dem amtlichen Buch Ä.RNXPLQ*DNNǀ-njGǀ .\ǀKDQ³ (auf deutsch: „Volksschulen - Judo-Lehrbuch“), erschienen im Oktober 1941. Das Buch enthält die ab 1939 entwickelten Unter- richtsvorgaben des Kultusministeriums. Die Bilder zeigen $WHPLZD]D zum Solarplexus und zum Kopf (un- ten links), die Abwehr eines Schwertes (.LULRURVKL wie in .LPHQR .DWD) (rechts) und Wurftechniken (6HRLQDJH und 7VXULNRPLJRVKL) (unten rechts). Interessant ist auch die Kleidung der Kinder mit traditionellem Stirn- band. Abbildungen: Privatarchiv Dieter Born

Lehrerausbildung kriegs in vierjährigen Kursen professionelle -njGǀ- und .HQGǀ-Lehrer ausgebildet. Zahlreiche .ǀGǀNDQ-Größen, wie z.B. H. ,62*$, (10. Voraussetzung für eine erfolgreiche Aufnahme der Kampfkünste in Dan) waren dort als Ausbilder tätig. die schulische Erziehung war natürlich die Verfügbarkeit entspre- FKHQGTXDOL¿]LHUWHU/HKUHU.$1ƿ stellte sich den idealen -njGǀ-Lehrer Auch in 7ǀN\ǀ wurden entsprechende dreijährige Kurse zum -njGǀ- folgendermaßen vor (aus 1,(+$86 2003, S. 222): Lehrer durchgeführt. Beinhaltete der erste Kurs noch -njGǀ und .HQGǀ und wurde an der höheren Lehrerbildungsanstalt durchgeführt, fan- Ä'HULGHDOH-njGǀ/HKUHUEHQ|WLJWIROJHQGH(LJHQVFKDIWHQ(UPXVV den ab 1911 die Ausbildungen am .ǀGǀNDQ statt und beinhalteten $QJULIIV XQG 9HUWHLGLJXQJVWHFKQLNHQPLW +LQJDEH WUDLQLHUW KDEHQ nur noch -njGǀ, das um theoretische Themen wie Physiologie ergänzt (UPXVVVHOEVWYHUVWlQGOLFKGLHZDIIHQORVHQ7HFKQLNHQEHKHUUVFKHQ wurde. DEHUDXFK)HUWLJNHLWHQLP8PJDQJPLWGHP/DQJVWRFN %ǀ XQGGHP 6FKZHUWEHVLW]HQ:HLWHUKLQEHVLW]WHUGLH.HQQWQLVVHLQGHU7KHRULH Ergänzend wurden zwischen 1912 und 1922 jährlich dreiwöchige GHV.DPSIHVXQGJOHLFK]HLWLJGDV:LVVHQGDVHUDOV/HLEHVHU]LHKHU Kurse an der Höheren Lehrerbildungsanstalt durchgeführt, die .$1ƿ EHQ|WLJWVRZLH)HUWLJNHLWHQLQGHU0HWKRGHGHU/HLEHVHU]LHKXQJ$OV nicht nur geplant, sondern bei denen er auch unterrichtet hat. (U]LHKHUKDWHUIXQGLHUWH.HQQWQLVVHGHU0RUDOHU]LHKXQJVRZLHHU PLWGHQ0HWKRGHQGHV'ULOOV NXQUHQ YHUWUDXWLVWhEHUGLHVEHVLW]W Ohne .$1ƿs führende Rolle im japanischen Bildungswesen wäre die- HUWLHIHV:LVVHQEHUGLH$QZHQGXQJGHU-njGǀ3ULQ]LSLHQLPJHVHOO se Entwicklung undenkbar gewesen. Es erscheint ebenso undenkbar, VFKDIWOLFKHQ/HEHQ(LQ0HQVFKGHUGLHVHYHUVFKLHGHQHQ*HELHWHEH dass sich -njGǀ ohne gezielte Lehrerausbildung derart hätte entwi- KHUUVFKWLVWHLQEHVRQGHUVKHUDXVUDJHQGHU3lGDJRJH³ ckeln und verbreiten können.

.$1ƿ fasst hier noch einmal indirekt zusammen, was das .ǀGǀNDQ Die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg -njGǀals ein Erziehungssystem, das weit über die körperliche Dimen- sion hinausgehen soll, ausmacht. Aus naheliegenden Gründen untersagte die amerikanische Besat- zungsmacht nach dem Zweiten Weltkrieg die Ausübung der Kampf- Ab 1906 wurden an der %XWRNXNDL in .\ǀWR Instruktoren für -njMXWVX künste im Schulunterricht. -njGǀ wurde 1949 und .HQGǀ 1952 wieder und .HQMXWVX ausgebildet. Ein Ausbildungszentrum wurde unter dem zugelassen und werden seitdem intensiv als Wahlfach praktiziert. Ab Namen %XMXWVXJDNNǀgegründet und später in %XGǀVHQPRQJDNNǀ LVWHLQHGHUEHLGHQ'LV]LSOLQHQVRJDU3ÀLFKWIUDOOH6FKOHULQ- (Fachschule für %XGǀ) umbenannt. Dort wurden bis Ende des 2. Welt- nen und Schüler.

34 der budoka 12/2011 Persönliche Anmerkungen nische %XGǀ-Dachverband hat zum Beispiel im April 1987 die %XGǀ- Charta und am 10. Oktober 2008 ein Papier zur Philosophie des %XGǀ (1) Die Gründe für ein fehlendes Nationalbewusstsein und fehlende verabschiedet. Darin wird unmissverständlich klar gestellt: gemeinsame Moralvorstellungen lagen unter anderem in einer feh- lenden Staatsreligion und in der Ständegesellschaft. Die einzelnen  %XGǀLVWHLQH%HZHJXQJVNXOWXUZHOFKHGLH6FKXOXQJYRQ.|USHU Stände hatten - trotz einiger Fusionszonen - weitgehend abgegrenz- XQG*HLVWGXUFKGDVhEHQGHUEHUOLHIHUWHQ.DPSIWHFKQLNHQDQVWUHEW te Lebensbereiche, in denen sich relativ eigenständige Kulturen der 8QWHUGHP%HJULII%XGǀZHUGHQGLH'LV]LSOLQHQ-njGǀ.HQGǀ.\njGǀ 6DPXUDLGHU%DXHUQGHU+DQGZHUNHUGHU.DXÀHXWH &KǀQLQ) usw. 6XPǀ .DUDWHGǀ $LNLGǀ 6KRULQML NHPSR 1DJLQDWD XQG -njNHQGǀ entwickelten. Jede dieser Gruppen entwickelte eigene Leitlinien für ]XVDPPHQJHIDVVW$OOHQ'LV]LSOLQHQLVWJHPHLQGDVVVLHHLQHQ:HJ HLQHVSH]L¿VFKH0RUDO]%GHQ%XVKLGǀ für die Samurai-Klasse oder GHULQGLYLGXHOOHQ6HOEVWYHUYROONRPPQXQJGDUVWHOOHQXQGGHUhEHQGH den &KǀQLQGǀIUGLH.DXÀHXWH QDFK(LQKHLWYRQ*HLVW7HFKQLNXQG.|USHUVWUHEWGXUFKGDV7UDL QLQJGHQHLJHQHQ&KDUDNWHUVFKXOWHLQ*HVSUIU0RUDOHQWZLFNHOW (2) .$1ƿs Morallehre - ausgedrückt durch die Prinzipien 6HLU\RNX XQG GLH (WLNHWWH NXOWLYLHUW ,Q GLHVHP 6LQQ GLHQW %XGǀ DOV :HJGHU ]HQ\ǀund -LWDN\ǀHL- stand wie oben beschrieben in Opposition zu &KDUDNWHUELOGXQJ QLFKW QXU GHP :RKOH GHV ,QGLYLGXXPV VRQGHUQ radikalen %XVKLGǀ-Auffassungen der späten Meiji-Zeit und danach. WUlJWYLHOPHKU]X+DUPRQLHXQG)ULHGHQLPJHVHOOVFKDIWOLFKHQ0LW Ab den 1920er-Jahren versuchte .$1ƿ zunehmend auch andere HLQDQGHUEHL Kampfkünste unter das philosophische Dach des -njGǀ (=6HLU\RNX ]HQ\ǀund -LWDN\ǀHL) zu integrieren. Diese Auseinandersetzung führ- .$1ƿ konnte die Ideologisierung und den Missbrauch der Kampf- te er auch auf der Ebene der Begriffe, in dessen Rahmen sein berühm- künste zu seinen Lebzeiten nicht verhindern. Heute kann man aber tes Zitat zu sehen ist, nach dem -njGǀ keine Form des %XGǀ, sondern feststellen, dass sich seine Ideen und Gedanken nach seinem Tod %XGǀ eine Form des -njGǀ sei. schließlich durchgesetzt und zu einer neuen Kultur des %XGǀ geführt haben - mit der -njGǀ-Philosophie als Dach für alle modernen Diszip- Dies führte nicht nur zur damaligen Zeit zu großer Verwirrung da- OLQHQXQGHLQVFKOLH‰OLFKGHVÀlFKHQGHFNHQGHQ(LQJDQJVYRQ-njGǀ in rüber, was denn -njGǀnun eigentlich auf der technisch-inhaltlichen die schulische Erziehung. Ebene sei und welche anderen Künste -njGǀ nun „beinhalten“ würde, denn schließlich sprach .$1ƿ z.B. auch davon, .HQGǀ und %ǀMXWVX Dies muss nicht immer so bleiben, denn (auch) in Japan gibt es (jap. Stockkampf) in -njGǀ integrieren zu wollen. nach wie vor eine ultra-nationalistische Szene, die der/den alten Ideologie/n nachhängt und die die Kampfkünste gerne wieder vor ih- (3) .$1ƿ kämpfte erkennbar mit einer Grundfrage der Sportpädago- ren ideologischen Karren spannen würde. gik, die bis in die heutige Zeit problematisch und wissenschaftlich nicht abschließend geklärt ist. Es ist die Frage nach tatsächlichen er- zieherischen Wirkungen von Aktivitäten, denen ein bestimmter erzie- Literatur: herischer Wert zugeschrieben wird. $1721, ./$86 6KLQWǀ XQG GLH .RQ]HSWLRQ GHV MDSDQLVFKHQ 1DWLRQDOZHVHQV (LQ KlX¿J XQWHUVWHOOWHU $XWRPDWLVPXV GHU )RUP Ä-njGǀ erzieht zu (NRNXWDL) - Der religöse Traditionalismus in Neuzeit und Moderne Japans, Köln 1998 ....“ ist bestenfalls Ausdruck eines naiven Optimismus, wenn sich dies nicht auch in konsequentem erzieherischen Handeln des Erzie- %(11(77$/(;-LJRUǀ.DQǀDQGWKH.ǀGǀNDQDQLQQRYDWLYH5HVSRQVHWR0R- hers zeigt, denn Erziehung kann nach derzeitiger sportpädagogischer GHUQLVDWLRQ.ǀGǀNDQ-njGǀ,QVWLWXWH Auffassung nur in der Verknüpfung von Aktivitäten mit konkreten .$1ƿ-,*25ƿ.ǀGǀNDQ-njGǀ9HUODJ'LHWHU%RUQ pädagogischen Perspektiven wirksam werden. Entscheidend ist also 1$.$085$<2.2 %XVKLGǀ  'LVNXUV 'LH$QDO\VH GHU 'LVNUHSDQ] ]ZLVFKHQ die konkret ausgestaltete Art und Weise des Einsatzes von -njGǀ als ,GHDOXQG5HDOLWlWLP%XVKLGǀ'LVNXUVDXVGHP-DKU'LVVHUWDWLRQ:LHQ Erziehungsmittel. Dessen war sich .$1ƿ wohl bewusst, stellt er doch 2008 (im Internet verfügbar) genau diese Problematik in den Mittelpunkt seiner Vorstellungen von 1,(+$86$1'5($6/HEHQXQG:HUN.DQǀ-LJRUǀV  (UJRQ9HUODJ einem idealen -njGǀ-Lehrer (s.o.). 2003 (4) Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs kam auch das Ende der Nippon Budokan Stiftung: Die japanischen Kampfkünste, Programmheft der %XGǀ-Demonstration am 13. November 2011 in Düsseldorf .RNXWDL-Ideologie. So erklärte der 7HQQǀ zum Beispiel (auf Druck der Besatzungsmacht), nicht von göttlicher Abstammung zu sein. %XVKLGǀ/%XGǀ erfuhren einen erneuten Bedeutungswandel. Der Japa-

DVD-Neuerscheinung Die Refernten sind Yvonne Bönisch (Wer- fen nach hinten; Sutemi-waza, Uchi-mata; Angriffe gegen die Bank; Angriffe aus der 37. Internationale Rückenlage; Sankaku), Slavko Tekic (Wurf- Judo-Sommerschule techniken aus Ai-yotsu; Wurftechniken aus Kenka-yotsu; Technniken aus Khabarrelli- des DJB Griff, Verteidigung gegen Khabarelli-Griff; Werffen aus einseitigem Griff; Sankaku; Eine Woche lang war der Deutsche Judo- Angriffe aus der Rückenlage; Angriffe ge- Bund (DJB) wieder Gastgeber der inzwi- gen die Bank), Aron Bogoliubov (Grundla- schen 37. Internationalen Sommerschule. gen für Wurftechniken nach vorne, hinten 184 Minuten dieser Fortbildungsmaßnahme und zur Seite; Grundlagen Armhebel), Ralf in der Sportschule Lindow/Mark wurden wie Lippmann (Werfen auf einem Bein; Werfen gewohnt auf zwei DVDs festgehalten. Unter- auf beiden Beinen; Tölzer-Dreher; Angriffe teilt in eine DVD „Wurftechniken“ und eine aus der Bank) und Marco Sielaff (Grundle- DVD „Bodentechniken“ lassen diese beiden gendes Verteidigungsverhalten am Boden: DVDs alle Judokas, die nicht selbst vor Ort „Keine halben Sachen“). waren, das Training bei den hochkarätigen Referenten nun nach erleben. Und die Sport- Bezugsadresse: Klaus Kessler, Digitale Judo- ler, die vor Ort waren, haben ein erstklassiges Lehrmedien, Auf dem Plägen 13, 51491 Ove- Medium, um die erlernten Techniken immer rath, Tel.: 0 22 06 / 8 10 49, Fax: 0 22 06 / 86 90 27, E-Mail: [email protected], wieder für das eigene Training in Erinnerung Internet: www.judo-lehrmedien.de zu rufen. 26 Trainingseinheiten sind auf den DVDs festgehalten.

der budoka 12/2011 35 Grundwissen der Geschichte des

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Teil 18: bei Polizei und Militär

Japan benötigte nach der Gründung des Nationalstaats 1868 Nah- #^+;'Y& Sicherheitskräfte neben Schulen und Universitäten zu einer weiteren Säule für die Verbreitung des . Dass hierbei nicht die ab ca. 1920 entwickelten philosophischen Vorstellungen s (Seiryoku- und , vgl. Folge 6) im Vordergrund standen, liegt in der Natur der Sache. Für die Sicherheitskräfte waren vor allem die anderen, sehr pragmatischen Aspekte des interessanter: körper- liche Fitness und Selbstverteidigung. Letzteres war insbesondere für die Polizei entscheidend. Nebenbei, was in der Bedeutung keinesfalls unterschätzt werden darf, boten Polizei und Militär neben dem Bildungswesen eine wei- tere Möglichkeit, den Lebensunterhalt als /-Lehrer zu verdienen.

Erste Ansätze zur Entwicklung eines -Standards für Polizei und Militär Dieses Bild zeigt, wie sehr Japan militarisiert wurde. Gewehre sind an den 0Q0*+ Bilder: Privatarchiv Dieter Born Wie in Teil 1 ausführlich dargestellt wurde, gab es vor der - Restauration (1868) in Japan kein einheitliches . Vielmehr war es in zahlreiche, in Konkurrenz zueinander stehende, Schulen der USA unter Commodore PERRY - gegenübersah, wurde in aller Eile zersplittert, deren Leitung oft innerhalb der Familie vererbt wurde. versucht, den militärischen Rückstand gegenüber dem Westen aufzu- Eine Vereinheitlichung des lag damals weder im Interesse der holen. Eine der Maßnahmen war die Gründung einer Akademie zur -Regierung, da hierdurch lokale militärische Machtfakto- ]$q"+, wo zunächst auch traditi- ren hätten begründet werden können, noch im ökonomischen Interes- onelle Kampfkünste unterrichtet wurden. se der Schulen selbst. Hierfür wurden auch -Lehrer verschiedener Schulen ange- Nachdem sich Japan im Jahr 1853 zum ersten Mal seit den erfolg- stellt, z.B. s Lehrer H. , M. ISO (beide losen Angriffen der Mongolen unter (1274 und 1281) ) und T. (). Es ist davon auszugehen, dass die Leh- einer militärischen Bedrohung von außen - in diesem Fall der Flotte rer unterschiedlicher Schulen am gegenseitig voneinander ]$"++& mussten und auch gemeinsam trainiert haben. Das -Training wurde aber bereits 1862 wieder eingestellt, das 1866 ge- schlossen (vgl. Folge 1).

und bei der Polizei von Nach einer Phase der Geringschätzung traditioneller Kampfkünste durch die Behörden, begann sich die Polizei von 1879 wie- der für diese zu interessieren und Lehrer für und einzustellen. Ab etwa 1883 wurden Turniere ausgetragen, an denen -Kämpfer verschiedener Schulen gegeneinander antraten. Den erfolgreichen Kämpfern winkte eine Anstellung als - Ausbilder bei der Polizei. Außerdem sollten die Turniere Aufschluss darüber geben, welcher der zahlreichen Stile denn nun der „beste“ sei, was erhebliche ökonomische Bedeutung für die Schulen und ihre Lehrer hatte. Um diese Turniere ranken sich viele Geschichten und Legenden, je- doch ist die historische Quellenlage - zumindest was zeitgenössische Berichte angeht - vergleichsweise dürftig. So sind zum Beispiel die Regeln, nach denen gekämpft wurde, nicht bekannt. Als gesichert kann jedoch gelten, dass -Kämpfer bei diesen Turnieren er- folgreich abschnitten, denn Y. und S. wurden aufgrund ihrer Leistungen bei der Polizei als Instruktoren angestellt. Bei einem dieser Turniere soll es zu einer Art Mannschaftskampf zwischen und der gekommen sein, Japanische Marineinfantristen beim Training von auf ihrem Schiff. war eine der Hauptdisziplinen der unmittelbar kämpfenden bei dem der überzeugend siegte, der aber zu den problema- Truppen. war mehr konzentriert auf die vormilitärische Ausbildung tischsten Kapiteln einer seriösen -Geschichtsschreibung zählt. XY<>*"*[>"+ Die Totsuka-Schule stellte bis dahin die Mehrheit der Ausbilder bei

der budoka 1-2/2012 29 der Polizei, die -Schüler drängten sozusagen auf den Markt. q&$%^$'>` Nach Meinung einiger Autoren stand der im Falle einer dürften einen großen Anteil daran haben, dass mitunter geschichtli- Niederlage vor dem Untergang oder gar einem Verbot. Für diese `€+$q$&' These wird zwar stets kein Beleg angeführt, jedoch ist im Gegenteil bekannt, dass die auch nach diesem Turnier Oft ist zu lesen, dass sich das bei den Turnieren der weiter existierte und später in der Dai-Nippon-Butokukai neben dem Polizei von gegenüber „dem “ durchgesetzt und es da- durch verdrängt habe. Diese Darstellungen sind deutlich übertrieben eine der wichtigsten Schulen war, deren Leiter 1906 bei der Standardisierung der Kata mitgewirkt hat (vgl. Folge 7). und nehmen die spätere Entwicklung an der Dai-Nippon-Butokukai vorweg. Vielmehr hat sich das in diesen Turnieren Die genauen Umstände dieses Ereignisses sind ebenso ungeklärt, wie erst einmal einen gleichberechtigten Platz in der Welt des das Datum, an dem der Kampf stattgefunden haben soll. Im Rahmen erkämpft, was eine der Voraussetzungen dafür war, dass in den spä- einer groß angelegten Interviewserie, die 1927 unter dem Titel „Mein teren Jahren und Jahrzehnten das bei der Dai-Nippon- Leben als “ veröffentlicht wurde, erzählt : Butokukai zum führenden -Stil und späterem Standard werden konnte. !!"!!!#$%&&& '#&()$($- Entsprechende schulübergreifende Turniere der Polizei von $.'#..$ hat es allem Anschein nach noch bis ins 20. Jahrhundert gegeben. So /0&1&23& berichtete , 10. Dan, in einem 1957 veröffentlichten !!!'$.$'.(- Aufsatz (aus 2011, S. 221): # 33 &23 3/ 5 33 &23 .$#&%.&5 @'')$2&& .$/83.$. C&9=&EFHF#&. &3%.&/& &#.$(. &239&9#%.&: R.$#&23/&'O '&/;$$.' 8$)$/2$.'- &23';.$$&23 &#'$$$..#&( &$&&&=/. '(&'/O( 2003, S. 78) &&23&;.&:') Für viele Autoren besteht die Bedeutung des Ereignisses vor allem $./@'&&8$ darin, dass der ]$#>- 3#.)$2&3&&'/O weis gestellt hat, was ihm zum Durchbruch gegenüber den anderen Aus dieser Passage wird noch einmal deutlich, dass die Polizei Ver- Schulen verholfen haben soll. selbst teilte diese Einschätzung übrigens nicht, denn er kommentierte das Ergebnis mit den Worten: treter verschiedener Schulen in ihren Reihen als Instruktoren beschäf- tigt hat, die bei Turnieren gegeneinander - und gegen „Bewerber“ „%$.$=.&.# von außen - antraten. Interessant ist auch, dass gemäß der zehn Jahre ...#.''.$# zuvor von der Dai-Nippon-Butokukai für schulübergreifende Wett- &$.>$/.' kämpfe festgelegten Regel zwei (volle) Punkte ausgekämpft wurden '?/O( 2003, S. 78) (vgl. Folge 14 - Entwicklung der Wettkampfregeln).

Da erstaunlicherweise von diesem speziellen Wettkampf keine zeit- Entwicklung spezieller ()Techniken für die Polizei nah verfassten Dokumente bekannt sind, die Aufschluss über Verlauf und Ergebnis geben könnten, gibt es auch die These, dass die Berich- Zur Festnahme und zum Abführen von Kriminellen wurden spezielle te - zumindest in der teilweise verbreiteten Form - eine nachträglich Techniken benötigt. Diese wurden von Polizeiinstruktoren, unter de- „geschönte“ Erinnerung sein könnten. Irritierend ist insbesondere, nen sich auch führende -Lehrer wie Y oder K. dass trotz der überragenden Bedeutung, die diesem Ereignis für die befanden, entwickelt. Die Techniken wurden unter Bezeich- Entwicklung bzw. dem Fortbestand des später zuge- nungen wie CPQ oder PQ # sprochen wurde, die früheste schriftliche Erwähnung um 1920 - also $'$+++- ]‰\+'&€$ nikprogramm des '‚$&- nicht in den frühen geschichtlichen Darstellungen zum erwähnt, q&]q$$#= was darauf hindeutet, dass dieser Wettkampf damals noch nicht so Polizei, das so genannte , entwickelt. wichtig erschien. Noch heute gibt es an den meisten Polizeistationen in @, in , der Sohn des ersten -Schülers - denen täglich und als Dienstsport trainiert werden. , verarbeitete später den Stoff nach Erzählungen seines Vaters in dem 1942 veröffentlichten Roman O# der mehr-

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30 der budoka 1-2/2012 Randori im großen der Marine-Akademie. An der Wand auf der Ehrenseite hängen Por- traits von TAKEO HIROSE und TAKEJIR0

Alle Bilder: Privatarchiv Dieter Born

Das gewaltige der Marine-Akademie in . Im Inneren waren 1.000 Tatami ausgelegt, was knapp 2.000 qm entspricht.

Erste Verbindungen zum Militär: die -Zweigstelle in verlieh zunächst , dann nach Bestätigung des To- des im Dienst auch posthum den 6. Dan, nachdem beide zu Lebzeiten den 4. Dan inne hatten. Dies war eine extrem hohe Gradu- >@QQ†];"- ierung, wenn man bedenkt, dass erst gegen Ende des Jahres 1904 erst- ziere ausgebildet wurden, in R'€$"+- mals ein höherer Dan-Grad als der 6. Dan vergeben wurde (7. Dan an wärter, unter ihnen der spätere Kriegsheld (s.u), der Y. und S. , vgl. Folge 13). wurde ein ausgezeichneter war, und der spätere Admiral und Mari- später in Japan als Kriegsheld regelrecht verherrlicht. Ihm zu Ehren neminister einem entschiedenen Gegner des spä- wurde unter anderem ein Schrein errichtet und ein Schullied kom- ter aufgekommenen japanischen Militarismus, waren Mitglieder des poniert. Sein Opfertod war außerdem Ausgangspunkt der 0- . Des Weiteren war ein -Schüler als Lehrer bei der Diskussion der Jahre 1904/05. Akademie angestellt. Durch die Verlegung der Akademie nach >& in der Präfektur ^[>q"# :& sahen sie jedoch keine Möglichkeit mehr, weiter Spätestens an dieser Stelle muss J. s grundsätzliche Haltung ge- zu trainieren. Daher regten sie an, ein @ in >& einzurichten, genüber Militär und Rüstung geklärt werden, denn auf der einen Seite was dazu führte, dass der @']@QQQ- gründete er eine -Zweigstelle in einer Marine-Akademie und zielle Zweigstelle in >& eröffnete. Als erste Lehrer wurden Y. +&"+]$]]- und H. entsanndt. Unter der rasch auf über 140 an- kommando im Krieg posthum mit dem 6. Dan, auf der anderen Seite &+]"+&]+ formulierte er die Überwindung des Rassismus und den Aufbau einer späteren Admiral. alles durchdringenden Harmonie zum höchsten Ziel des (vgl. Am 3. Mai 1909 wurde die Zweigstelle in >&+$- Folge 6). Wo also steht ? sen, jedoch wurde dort bis zur Schließung der Akademie 1945 wei- terhin '€"+=- über die Selbstaufopferung für das Vaterland schen Marine um die Jahrhundertwende in vielen Ländern der Einer der zentralen Punkte der Morallehre der späten -Zeit war Erde erstmals vorstellten. ‚+$>]%+ ' * & + 0 (vgl. Die Kriegshelden TAKEO HIROSE und Folge 17). ] + " Die japanische Marine unternahm zu Beginn des russisch-japani- schränkt jedoch bereits im Jahr 1901 ein: schen Krieges zwischen Februar und Mai 1904 mehrere Versuche, >$'#'&>3$$($.- die russische Flotte durch Versenken von alten Transportschiffen in #U323/$$%'- der Hafenmündung von Lüschun (engl.: Port Arthur) einzuschließen. #U323#&& Der oben bereits erwähnte war am 27. März Kommandant O/8$.'#3$./ eines dieser Himmelfahrtkommandos und starb im Kanonenfeuer der $$.& russischen Abwehr als er auf der Suche nach einem untergebenen Of- &$(&33/>?%$5$- +&' .3&.2$3/>%$ Am 3. Mai wurde der letzte vergebliche Versuch einer Hafenblockade 5$$&..# durch Versenken eigener Schiffe unternommen, bei dem diesmal T. U323/O ( 2003, S. 162) , ein Ziehkind s und seiner Ehefrau, ersetzte und In diesem Sinne - als Soldaten im Kriegsgebiet - opferten sich auch dabei ebenfalls ums Leben kam. Beide wurden später als Kriegshel- und . Rund 30 Jahre später steht der Selbstaufop- qq;$"- ferung jedoch kritischer gegenüber, indem er im Jahr 1933 formuliert: ziersrang befördert. ///.$3#'$.&$.- /O ( 2003, S. 162)

der budoka 1-2/2012 31 In einer Zeit der immer radikaler fortschreitenden Ideologisierung und Militarisierung Japans macht $$- ge Entwicklung durch, die insbesondere durch seine zunehmenden qƒ#>&$$$$ gewesen sein dürfte. führt im Übrigen auch die Entwick- lung von und explizit auf die Erfahrungen s im zerstörten Europa nach Ende des Ersten Weltkriegs zurück (s.a. Folge 6).

über militärische Rüstung Nach war für ein auf gegenseitiger Abschreckung ba- sierendes militärisches Gleichgewicht der wichtigste Garant für einen weltweiten Frieden. zitiert , der 1912 formulierte: 1[)- >../ @ & 3/ $$ & &)3#'.5- '$#'.(3U3 ?$$.31$5$3- /C&3#&&&8''. %/@$&O&#/O ( 2003, S. 163f) lehnt hier deutlich das Streben nach militärischer Überlegen- heit als gefährlich für die Beziehungen zu den Nachbarstaaten ab, betont jedoch genauso deutlich die Notwendigkeit einer hinreichen- den Verteidigungsfähigkeit. Zwei Jahre später, kurz nachdem Japan gegen Deutschland in den Ersten Weltkrieg eingetreten ist, bekräf- tigt er diese Haltung, schönt aber gleichzeitig Japans außenpolitische Ambitionen: 5%2W2((/ 1$3.3$.&8../ 80$.3C$#.'3- Portrait des als Kriegshelden verehrten TAKEO HIROSE 3'#$''3$./1.. 3$.0$33X@$3&..- .3$#.'&$3$./'%.#' '&3&/O ( 2003, S. 163) Im Jahr 1906 wurde in an der Butokukai ein Ausbildungszen- trum für professionelle - und R-Lehrer einge- & ; ^+ + richtet. Es hieß zunächst 09, wurde nach zwei sondern eher als jemand, der im Bewusstsein lebt, dass nur eine an- Jahren durch die 0? ersetzt, die wiederum kurz darauf gemessene militärische Stärke die Sicherung des Friedens und der in in 0&?(kurz „Busen“, deutsch: „Fachschule für eigenen Interessen gewährleisten könne. 0“) umbenannt wurde. Dies folgte bereits dem Trend eines gene- rellen Begriffswandels von „“ nach „“, letztlich um es in den Ausbildung von Instruktoren durch die Dienst der 0-Erziehung zu stellen (vgl. Folge 17). Im Jahr 1895 wurde die Dai-Nippon-Butokukai, die unmittelbar der Die vierjährige Ausbildung, die für alle Teilnehmer beide Disziplinen Staatsregierung unterstellte großjapanische Vereinigung der Kampf- gleichermaßen beinhaltete, vergrößerte das Potenzial an gut ausge- künste mit Sitz in , gegründet. In ihr gab es Sektionen für un- bildeten und professionellen Instruktoren für Schulen, Polizei und terschiedliche Bereiche der Kampfkünste, z.B. , Militär erheblich. (Schwertfechten) oder (Bogenschießen). Mitglieder der Butokukai waren die verschiedenen Schulen der Kampfkünste. Die Besonders ab ca. 1930 geriet die Butokukai immer stärker unter ul- Butokukai hatte ein eigenes Traingszentrum in und später zahl- €\' * ƒ$$ ] ]- reiche Zweigstellen im Land. te Kontrolle und eine Mitgliedschaft in der Butokukai war für alle Kampfkünste obligatorisch. Auf diese Weise waren die Kampfkünste, Eine der Aufgaben der Butokukai war die Ausbildung von Instruk- wie andere Lebensbereiche auch, vollkommen gleichgeschaltet und toren für Militär und Polizei. Um diesem Auftrag nachzukommen, dienten vor allem der ideologischen Indoktrination und der militäri- wurde eine Vereinheitlichung der durch die C vertretenen Stile schen Stärkung des Volkes. q%#- desweite Schulung der Sicherheitskräfte ungeeignet schien. gelang es jedoch durch eine unmittelbare Eingabe beim , für den eine relative Unabhängigkeit zu bewahren. erkannte, welche große Chancen eine Vereinigung wie die Butokukai]$#| ist nicht gleich weiter zu verbreiten, und nutzte dies konsequent. Im Wesentlichen waren es fünf Punkte, durch die das letztlich die traditionellen Mit der zunehmenden ideologischen Instrumentalisierung der Schulen im Bereich des verdrängen konnte: Kampfkünste und dem allgemeinen Begriffswandel von zu +&$$Ž]& eigentlich (1) weitgehende Übernahme der -Wettkampfregeln durch sei. beklagte dies bereits 1930 mit folgenden Worten: die Butokukai (vgl. Folge 14), (2) Übernahme von %, Katame-no-Kata und Kime-no- :U$'$. Kata als landesweite Standards durch die Butokukai (vgl. Folge 7), &.3#'($$- (3) Entsendung von -Lehrern an die Butokukai in &&2$&./8'&8. (z.B. , 10. Dan und viele andere), ('#&.$$$- (4) Übernahme des R@#Butokukai (vgl. Fol- .#$$.;.&/O(- ge 14), 2003, S. 215) (5) Aufnahme von Lehrern traditioneller Schulen in den un- ter Verleihung von Dan-Graden.

32 der budoka 1-2/2012 Nun darf aber nicht vergessen werden, dass zuvor selbst auf Persönliche Anmerkungen eine allgemeine Verwendung des Begriffs gedrängt hatte, so dass er in gewisser Weise in der Rolle des Zauberlehrlings war, der (1) Nachfolger s als Präsident des wurde nach die Geister, die er rief, nicht wieder loswurde. dessen Tod 1938 sein Neffe Admiral , was noch einmal die Beziehungen zur Marine unterstreicht. bei der kaiserlichen Armee (2) Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden im Mitglieder Die Aktivitäten der kaiserlichen Armee wurden im Gegensatz zu de- des strategischen Luftwaffenkommandos der USA in mehrwöchigen nen der Marine noch nicht erwähnt - auch weil deren Bedeutung für Kursen in Selbstverteidigung unterrichtet. Als Lehrer hierfür waren die Entwicklung des nicht vergleichbar ist. Die Verbindungen legendäre wie (10. Dan), (später 10. Dan), des als Organisation zu den anderen Waffengattungen wa- (8. Dan und 8) und viele andere tätig. Aus dieser ren längst nicht so eng wie die zur Marine, was sich aus der Frühge- Verbindung heraus entstand auch der -Club der amerikanischen schichte des erklärt. Jedoch wurde auch bei den Land- und Botschaft in , wo später das % entwickelt wurde Luftstreitkräften / betrieben. Ausbilder standen nicht zu- und der heute das Hauptquartier der IMAF (International Martial Arts letzt Dank der 0&? reichlich zur Verfügung. `X';|+••’’ &&&'='’#'¤#|*¥† Rwar jedoch nicht die Hauptform des Nahkampfs dieser Streitkräfte, da die tatsächliche militärische Bedeutung äußerst ge- Literatur: ring ist. Insbesondere die Infanterie legte aus naheliegenden Gründen $Mqqƒ;- vielmehr einen Schwerpunkt auf das Bajonettfechten (R |[\\‘ X' "+ & $+ q Samu- •Y>@%$*> rai-Tradition - intensiv im Umgang mit traditionellen japanischen 2009 Schwertern geschult. •Y>[%$*> Zudem kam um 1925 nach . Er hatte wie zuvor 2011 aus verschiedenen $# •%$*>[\\† geformt, das er später 8'#] '• q # beim Militär reges Interesse, so dass einige Lehraufträge bei Bussan Kaisha, 1970 der kaiserlichen Armee erhielt. •>M*'*#*++& |ƒ>*@‘\y*Y 2008 (im Internet verfügbar) •]Y$?@Qˆ\@‘‰QX€$%$ 2003 '•;$%$[\\Q

bei einem Besuch der Marine-Akademie. In der vorderen Reihe (sitzend) der 1. von links: (Aufnahmedatum unbekannt, vermutlich nach 1930). Bilder: Privatarchiv Dieter Born

der budoka 1-2/2012 33 Grundwissen der Geschichte des

von Wolfgang Dax-Romswinkel

Teil 19: Die ersten Frauen im

Es war ein langer Weg, bis es zur Selbstverständlichkeit geworden Die Genesung der KINKO YASUDA war, dass Frauen und Männer gleichermaßen und gleichberechtigt +<0 betreiben. Im Jahr 1992 - immerhin 28 Jahre nach den Män- begann um und kurz nach der Jahrhundertwende, über nern - war +<0 für Frauen bei den Olympischen Spielen in Barcelona spezielle Trainingsmethoden für Frauen nachzudenken. Ein Beispiel KINKO YASUDA erstmals im regulären Programm, nachdem vier Jahre zuvor in Seoul hierfür ist seine Arbeit mit (Anmerkung: für den Vor- bereits Demonstrationswettkämpfe ausgetragen wurden. Bei großen '$"“"`Nori- internationalen Wettkämpfen gibt es mittlerweile stets Frauen- und ko“), einer jungen Frau, die er um 1904 bei sich zu Hause aufgenom- Männerkonkurrenzen und in Japan wurde jüngst die Prüfungsord- men hatte. nung für Frauen und Männer angeglichen. K. YASUDA&~$- So deutlich, wie Japan im Frauenbereich die internationale Wett- gemacht haben musste und darunter gesundheitlich - physisch und kampfszene derzeit dominiert, fällt es schwer zu glauben, dass sich psychisch - schwer litt, bis hin zu Suicid-Gedanken. Sie trainierte gerade Japan bei der Einführung von Frauenwettkämpfen ausgespro- nicht mit den anderen Frauen, sondern wurde exklusiv von be- chen schwer getan hat und die Japanerinnen in der Anfangszeit der treut. internationalen Meisterschaften vor allem den Europäerinnen meist Behutsam vermittelte ihr erste Schritte im +<0, beginnend mit den Vortritt auf das Siegertreppchen lassen mussten. einfachen Grundbewegungen und - YASUDAs Schilderungen zufolge - In dieser Folge wollen wir den Weg der Frauen im %00-+<0 in auch +<-no-Kata bzw. 60-no-Kata (Anmerkung: sie spricht in ihren Japan etwa bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs nachzeichnen und '5~ diese Reihenfolge lässt aus der Perspektive des Jahres 1904 kaum ei- dabei auch MASAKO NORITOMI&$5- nen anderen Schluss zu, vor allem auch, weil diese beiden Kata kan, und KEIKO FUKUDA, die höchstgraduierte Frau in der Geschichte des +<0, vorstellen.

Frauen in den traditionellen Kampfkünsten (-bugei) Vor der Meiji-Restauration, also in der Zeit bis 1868, war es durchaus üblich, dass Frauen und Töchter von Samurai Kampfkünste mit und ohne Waffen lernten, um bei Bedarf Haus und Hof, aber auch sich selbst verteidigen zu können. Einige Frauen wurden sogar als kämp- fende Kriegerinnen berühmt. Die Hauptwaffe dieser Frauen war das Naginata, eine Art „Schwertlanze“ mit einer am Ende eines langen Schaftes montierten Klinge ähnlich der eines japanischen Schwertes. Auch nach der Meiji-Restauration gab es weiterhin Frauen, die insbe- sondere +<4 in verschiedenen Schulen betrieben haben.

Die ersten Frauen lernen - Im Jahr 1893 musste sich erstmals mit der Frage be- fassen, ob und wie Frauen %00-+<0 lernen sollten. Eine Frau namens ASHIYA SUEKO hatte TOMITA Schüler des %00, um +<0-Unterricht gebeten. Nachdem $ TOMITA sie und nachfolgend einige andere in einem speziell dafür eingerichteten kleinen 040 in s Garten. Auch an anderen Orten nahmen in den Folgejahren einzelne Frauen das Training auf, so zum Beispiel im %00-040 in %04, wo manchmal selbst, in der Regel jedoch ARIYA und HONDA unterrichteten. Als bedeutendste Schülerin dieser Zeit kann wohl HISAKO MIYAGAWA gelten, die spätere Direktorin einer Mädchen- schule. Die Nachfrage nach +<0 kam also zunächst aus den Reihen der so genannten gesellschaftlichen Elite. Weitere Frauen, die zu dieser Zeit +<0-Unterweisungen erhielten, waren z.B. die Ehefrauen s und seiner hervorstechenden Schü- ler wie Y. YAMASHITA. Vieles blieb also im privaten Bereich der Fa- milien.

Darstellung einer Kriegerin aus dem Jahr 1848. Das Werk des Künstlers UTAGAWA KUNIYOSHI zeigt die Ehefrau eines der 47 Ro mit einem Foto: Privatarchiv Dieter Born

der budoka 3/2012 23 beaufsichtigt das Training im Foto: Privatarchiv Dieter Born

Y. Y AMASHITA (später 10. ) mit seiner Frau FUDE um 1904 (Quelle: Y. YAMASHITA Photograph Album (PH 006). Special Coll- ections and University Archives, University €'$"†

vor dem Hintergrund entwickelt hatte, dass auch schwächliche Per- weniger selbst anzulasten, als den medizinischen Fachleuten in sonen sie üben könnten, um ihren Körper zu kräftigen). Nachdem sie seinem Umfeld. Möglicherweise muss man aber auch ihnen zu Gute wieder zu Kräften gekommen war, durfte sie auch wieder normal es- halten, dass die Berichte über den körperlichen Zustand der Frauen, sen, was darauf schließen lässt, dass sie in der ersten Zeit eine strenge vor allem aus den gehobenen gesellschaftlichen Kreisen Japans, ein Diät halten musste, bzw. möglicherweise auch an Essstörungen litt. Besorgnis erregendes Bild zeichneten, und dass Zurückhaltung bei der Trainingsintensität möglicherweise vielfach medizinisch geboten Was und wie wurde in der Pionierzeit trainiert? war.

YASUDA Die erfolgreiche Arbeit mit K. bestärkte darin, dass Seminare für Lehrerinnen +<0 auch für Frauen einen wichtigen Beitrag zur körperlichen Er- tüchtigung darstellen und im speziellen Fall sogar medizinische Be- Wie das Beispiel von HISAKO MIYAGAWA zeigt, bestand bei Frauen handlung ergänzen könne, was ihn dazu ermutigte, den eingeschlage- aus dem gehobenen Bildungsbereich Interesse am +<0. Nachdem nen Weg weiterzugehen. bereits bei der Einführung des +<0 als Schulsport für Jungen erfolgreich gewesen war, konnte der nächste Schritt eigentlich nur Im Vordergrund stand für dabei die Ausrichtung von +<0 als sein, +<0 auch für Mädchen in das Bildungswesen einzuführen. $"&$5$ Vorreiterin war auch hierbei H. MIYAGAWA, die bereits 1913 an der speziellem Kata-Training und angepasstem Randori ein Programm von ihr geleiteten Mädchen-Schule ein 040 einrichtete, in dem +<0 gefunden zu haben, das den Bedürfnissen der Frauen in besonderer trainiert wurde. Weise gerecht würde. Ferner wurden ab 1916 eine Reihe von Vorträgen und Einführungen Wettkämpfe für Frauen lehnte er ab, um die Frauen vor körperlicher abgehalten, die sich an die Verantwortlichen für die Mädchenschulen $"' richteten. $"ˆ*?@{– Schaden nehmen, der ihre spätere Rolle als Mutter beeinträchtigen %&&ƒ könnte. Um hier keine Fehler zu machen, holte er entsprechenden Mädchenmittelschulen statt. Rat bei der medizinischen Forschungsabteilung des %00 ein. Die Fehleinschätzung über die generelle Belastbarkeit von Frauen ist also

Immer wieder ! Frauen in Alltags- kleidung bei einer Demonstration vor auslän- dischen Gästen Fotos: Privatarchiv Dieter Born

und ein weiterer Lehrer unterrich- ten junge Frauen in im Jahr 1926. Auffällig: Die Frauen tragen keine

24 der budoka 3/2012 Die Frauenabteilung im (-bu) Krankheit und Verletzungen führen kann. Der Grund, warum Frauen nicht erlaubt wurde, an Wettkämpfen teilzunehmen, war, dass sie ex- ARIYA HONDA Am 1. November 1923 wurde - zessiv trainieren würden und versessen darauf würden, zu gewinnen. ner der Frauen im Kaiunzaka-040$" Das würde sie dem Risiko von Krankheit aussetzen oder im schlimms- der Frauenabteilung des %00 datiert vom 9. November 1926. Ab ten Fall könnte ein Unfall weitreichende Konsequenzen haben. Diese ƒ$?@‹?&€" Dinge bereiteten große Sorge.“ Mit dem 040-Neubau 1933 im Stadtteil 80' wurde ein sepa- Einer der Haupttrainingsinhalte war also die kurz zuvor entwickelte TAKASHI UZAWA rates 040 für Frauen eingerichtet und als Hauptleh- Seiryoku-=0-kokumin-taiiko-no-Kata. Der erste Teil besteht aus rer für die zunächst rund 15 Schülerinnen bestellt. Er fasste Einzelübungen mit vielfältigen Atemi-waza. Danach schließen sich Vorgaben für das Training der Frauen prägnant zusammen, weshalb die +<-shiki (auf 10 Techniken verkürzte +<-no-Kata) und Kime-shiki, BENNETT seine Schilderungen hier zitiert werden sollen (übersetzt aus eine der Kime-no-Kata verwandte Form mit ebenfalls 10 Techniken, 2009, S. 134f): an (vgl. Folge 7). Da sowohl +<-shiki als auch Kime-shiki keine Wurf- `6+<0%'<' techniken enthalten, kann die vollständige Seiryoku-=0-kokumin- Bujutsu (Kampftechnik), das aus Randori und Kata besteht. Was soll- taiiku-no-Kata ohne Kenntnisse der Fallschule als Basisübung für das te zuerst geübt werden? Die Antwort ist Kata - auch für den männ- weitere +<0 gelernt werden. Die Einführung von Fallschule, Wurf- lichen Nachwuchs. Grundschulkinder und solche der unteren Jahr- techniken und Randori kann so nach hinten verschoben werden. gänge der Mittelschule müssen sorgfältig unterrichtet werden, weil Das Frauen-040 befand sich nebenbei bemerkt in unmittelbarer sie in einer wichtigen Phase ihrer Entwicklung sind. Es ist besser, mit Nähe von J. s Büro im %00. Es wird darüber berichtet, Kata anzufangen als mit Randori, um eine gleichmäßige körperliche >$$ Entwicklung zu erreichen. Sie können dann mit Randori beginnen, Frauen-040 besonders sorgfältig auswählte. nachdem sie gelernt haben, sicher zu fallen und sich abzurollen. Sie werden dazu angehalten, sich im Zaum zu halten, und lernen, wie MASAKO NORITOMI und die ersten weiblichen " Verletzungen vermieden werden. Die erste Dan-Graduierung für eine Frau durch den %00 geht Das war unsere Richtschnur für das Training von Jungen in der Schu- auf das Jahr 1933 zurück, als KANEKO OZAKI der 1. Dan verliehen le, aber ein ähnliches Vorgehen war auch für die Mädchen und Frau- wurde, nachdem Sie bereits ein Jahr zuvor von der Butokukai zum 1. en ratsam. Die körperliche Belastbarkeit, die physiologische Konsti- Dan graduiert worden war. Im Jahr darauf folgten noch zwei weitere tution und die Psyche von Frauen unterscheidet sich im Vergleich zu Verleihungen des 1. Dan an AYAKO AKUTAGAWA und YASUKO MORIO- Männern. Da erwartet wurde, dass junge Frauen Mütter wurden, war KA. Gleichzeitig übersprang MASAKO NORITOMI den 1. Dan und wurde Training von Seiryoku-zenyo-kokumin-taiiku-no-Kata zur Verbesse- somit erste Frau mit 2. Dan. Sie entwickelte sich in den Folgejah- rung der physischen Kraft und Belastbarkeit als Voraussetzung für ren zur führenden Schülerin, wurde ab 1941 mit damals 5. Dan erste Ukemi und Randori erforderlich. Ich drängte unsere Schülerinnen, &$ ~$ $ vernünftig zu trainieren und sich nicht zu überanstrengen, da dies zu zum 8. Dan auf. MASAKO NORITOMI war also die führende Frau unter den frühen Mit- gliedern des Joshi-bu $$$$"'5 hatte sie bereits mehrere Jahre %=<>=<+<4- rer HAJIME MACHIDA gelernt, bevor sie sich mit 18 Jahren am %00 einschrieb.

Entwicklung der Frauenselbstverteidigung -# Während des Zweiten Weltkriegs und der dadurch bedingten Ab- wesenheit vieler Männer, verspürte man am %00 die Notwen- digkeit, eine speziell an die Bedürfnisse von Frauen angepasste Selbstverteidigung zu kreieren. Viele der renommiertesten %00- Experten wie z.B. MIFUNE, ARIYA HONDA und andere erhielten den Auftrag, entsprechende Techniken zu entwickeln und zusammen- zustellen. Die Angriffe waren in der Tat auf die besondere Situation von Frauen ausgerichtet und reichten von Belästigung durch Unterhaken bis zum Handtaschenraub. Eine Beschreibung wurde erstmals 1943 veröffent- licht. Heute wird die Joshi-60 kaum mehr unterrichtet - eigentlich schade, denn auch sie ist ein Stück Kulturgeschichte des +<0.

KEIKO FUKUDA: weltweite Ikone des - KEIKO FUKUDA (*12. April 1913) ist die Enkelin von J. s erstem +<4<HACHINOSUKE FUKUDA, den sie allerdings nie getroffen hat, da dieser lange vor ihrer Geburt verstorben war. Der Kontakt zwischen und der FUKUDA-Familie war nach dem Tod H. FU- KUDAs abgerissen, jedoch zur 50-Jahr-Feier des %00 1934 wie- der zustande gekommen. In der Folge besuchte das Haus der FUKUDAs, wo er KEIKO kennenlernte. ermutigte sie hierbei, das +<0-Training in der neuen Frauenabteilung aufzunehmen, was sie dann auch tat. Es wurde ein lebenslanger Weg des Trainings und der Verbreitung des +<0 für Frauen. Berühmt ist KEIKO FUKUDA auch für ihre Vorführung der +<>-Kata als Uke bei den Olympischen Spielen in Tokio 1964 mit MASAKO NORITOMI als Tori. Hieraus wird noch einmal deutlich, dass beide - NORITOMI&FUKUDA - die maßgeblichen Frau- KEIKO FUKUDA - höchstgraduierte Frau in der Geschichte des Foto: Privatarchiv Dieter Born en im japanischen +<0 in den Jahren nach dem 2. Weltkrieg waren.

der budoka 3/2012 25 Im Jahr 1967 siedelte K. FUKUDA nach über, wo sie ein 040 für Frauen leitet. Noch heute, mit fast 99 Jahren, folgt sie regel- mäßig dem Training und unterweist zahlreiche Schülerinnen. Mit dem 9. Dan %00 - zwei US-amerikanische Verbände haben ihr jüngst sogar den 10. Dan verliehen - ist K. FUKUDA die höchst- graduierte Frau in der Geschichte des +<0 die letzte Zeitzeugin der ersten Jahre der Frauenabteilung des %00 und wohl auch eine der letzten Personen mit direkten Erinnerungen an den vor 74 Jahren verstorbenen . Für den März diesen Jahres ist die Urauf- $$" In ihrem berühmten Buch „Born for the Mat“ schildert K. FUKUDA ein Erlebnis, das die Situation einer jungen Frau, die gerade mit dem *<0$%00 Mitte der 1930er-Jahre prägnant und anrührend widerspiegelt: „@%00+04080' gebaut wurde, bei. Damals gab es noch keine speziellen Klassen für MASAKO NORITOMI und ihr Lehrer des ' HAJIME MACHIDA Mondo (=Lehrgespräche, vgl. Folge 9). Aber bald danach hatte ich das Glück, an solchem Unterricht teilnehmen zu können. Es war sehr aufschlussreich und ich habe sehr wertvolle Erfahrungen dabei ge- macht. Die Schülerinnen bekamen im Vorfeld ein Thema und mussten ihre Ansichten vor der Gruppe darlegen, die diese dann kommentierte. "Y<%0> Shihan und seine älteste Tochter, Noriko Watanuki, die damals das Joshi-bu leitete, hatten eine Art Vorsitz. Nach einigen Monaten bekam `+<4+<0O\ 6%+<4><''' +<4*+<0@ "^%% " %0>8 _``+<0 6' Körper und Geist“. Ich las diese Worte immer wieder und wieder, aber es blieben nur Worte und es wurde kein klarer Gedanke dar- aus. Der Tag des Unterrichts rückte näher und ich fühlte mich wie in einer Sackgasse. Dann habe ich vorsichtig meine ältere Mitschüle- rin Shizuko Osumi gebeten, ob sie sich nicht anhören könne, was ich geschrieben hatte, und mir ihre Meinung dazu sagen könne. Meine Y#+<4 +<0_<'O

Kagami biraki (Feier zur Wiedereröff- nung des ' nach Neujahr) in der Frauenabteilung. Offenbar feierten die Frauen separat vom Rest des . In der Mitte:

Alle Fotos: Privat- archiv Dieter Born MASAKI NORITOMI $ und AYUKO AKUTAGAWA % bei &

bei der Übergabe einer -Urkunde in der Anfangszeit der Frauenabteilung

Frauen beim Training der # (Verteidigung gegen Belästigung durch Unterhaken)

26 der budoka 3/2012 Kurze Zusammenfassung Die Anfänge des Frauentrainings am %00\- IMPRESSUM mal deutlich die Grundgedanken, die bei der Entwick- „der budoka“ - Verbandsmagazin des Dachverbandes für lung von +<0 verfolgt hat. Es ging darum, ein System der körperli- Budotechniken Nordrhein-Westfalen e.V. chen und geistigen Ertüchtigung zu schaffen, das auch seinen Wert für die Selbstverteidigung haben sollte. Gesundheit - die Vermeidung 40. Jahrgang 2012 von Verletzung und die Stärkung des Organismus - waren Hauptziele Herausgeber, Verlag, Redaktion, Anzeigen- und Abo- des Trainings. Dies zeigt sich, wie auch in anderen Bereichen des verwaltung: +<0, vor allem in den Inhalten und in den Methoden, die am Joshi- Dachverband für Budotechniken Nordrhein-Westfalen e.V. bu praktiziert wurden. Postfach 10 15 06 47015 Duisburg Persönliche Anmerkungen: Friedrich-Alfred-Str. 25 (1) Fälschlicherweise haftet der +<-no-Kata und der Kime-shiki noch 47055 Duisburg heute an, eine „Frauenkata“ zu sein. Dem muss heftig widersprochen Telefon: 02 03 / 73 81 - 6 26 werden, denn beide Kata existierten schon, bevor überhaupt die erste Telefax: 02 03 / 73 81 - 6 24 Frau zum %00-+<0 fand. E-Mail: [email protected] www.budo-nrw.de Richtig ist vielmehr, dass diese beiden Kata aus den vorgenannten Gründen besonders gut in das (Anfänger-)Training der Frauen im Jo- Redaktionsleitung: Erik Gruhn (verantwortlich) shi-bu passten, da sie keine Fallübungen beinhalten, Prinzipien von E-Mail: [email protected] Angriff und Verteidigung schulen und gleichzeitig eine hervorragen- Redaktionsschluss: der 1. des Vormonats $$<$ nur für Frauen! ISSN 0948-4124 Aufgrund der besonderen Bedeutung dieser Kata im Joshi-bu ist es Druck: allerdings kein Wunder, dass unter den Frauen nach dem 2. Weltkrieg SET POINT Schiff & Kamp GmbH eine besondere Expertise herangereift ist und die „großen Damen“des Moerser Str. 70 %00 (z.B.: K. FUKUDA, K. UMEZU, S. AKIYAMA) heute als Exper- Š’Š’Ž5< tinnen für +<>>%, 8=>=0>>>>% (ein- schl. Kime-shiki) und natürlich für +>60 eine teilweise Anzeigenpreise: Preisliste Nr. 5 vom 1.5.2011 größere Reputation haben als ihre männlichen Kollegen mit höherer Erscheinungsweise: monatlich, 10 x im Jahr Graduierung. Genau diese Kata sind auch in K. FUKUDAs Buch „Born for the Mat“ beschrieben. Mit Namen gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Für unverlangt eingesandte (2) Vor dem 2. Weltkrieg erhielten die jungen Frauen im Joshi-bu Manuskripte, Fotos und Datenträger wird keine Haftung übernom- auch Unterricht in Etikette, allgemeinen Benimmregeln für junge men. Frauen und auch im Reinhalten des 040. Hierfür gab es sogar eine " Lieferbedingungen: Jahresabonnement 28,00 € (3) Die Tatsache, dass M. NORITOMI vor ihrem Eintritt in den %00 Bei Bankeinzug ermäßigt sich der Preis für das Jahresabonnement +<4 gelernt hatte, ist ein weiterer Beleg dafür, dass andere Schu- auf 24,00 €. Bezugsgebühren werden jeweils für das Kalenderjahr len durchaus Training für Mädchen und Frauen angeboten haben. Da- erhoben. rüber hinaus erschienen auch einige Bücher über Frauenselbstvertei- digung, bevor die Frauen-Abteilung des %00 eingerichtet wurde. Einzelheftpreis: 3,50 € (zzgl. Versandkosten) (4) In jüngerer Zeit sind Veröffentlichungen aufgetaucht, in denen Bei Bestellungen mehrerer Exemplare Konditionen auf Anfrage. die Unterschiede des +<0 der Frauen und der Männer (z.B. bei Wett- kämpfen und Graduierungen) unter dem Aspekt der Diskriminierung Die Kündigung des Abos ist mit einer Frist von sechs betrachtet werden. Eine seriöse Auseinandersetzung mit dieser Frage Wochen zum Ende des Kalenderjahres möglich. würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, da sie an der sozialen Urheberrechtlicher Hinweis: ƒ~%$€ Das Magazin, alle enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind ur- von der Meiji-Zeit bis zum Zweiten Weltkrieg ansetzen müsste. Nur heberrechtlich geschützt. Jede Verwendung, die nicht ausdrücklich vor diesem kulturellen Hintergrund lassen sich Genderaspekte inner- vom Urhebergesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustim- halb der Geschichte des %00>+<0 neutral bewerten und die Fra- mung des Verlages. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, ge beantworten, ob J. und der %00 ihrer Zeit voraus waren, $€ oder ob eher das Gegenteil der Fall war. Verarbeitung in Datensystemen. Literatur (Auswahl) BENNETT, ALEX: *050500<%€- 500*<0ˆ{||@ DE CRÉE, CARL/JONES, LYR C"+500*<0)ˆ‰5+> Neue Vereine *0<Oƒ<€„P'“L- me 7, Issue 3, 2011 in den Fachverbänden FUKUDA KEIKO: Born for the Mat - A Kodokan Kata Textbook for Women, 1973 FUKUDA KEIKO+*<<<5<'5>—$‰'“{||Š Nordrhein-Westfälischer Judo-Verband e.V. +500*<0L“{||’ Neuaufnahme: KOTANI, S./OZAWA, Y./HIROSE, Y"+5500*<05‚“ Kaisha, 1970 6003018 (Kreis Coesfeld) MIARKA, B./BASTOS MARQUES, J./FRANCHINI, E.: Reinterpreting the History of TSG Dülmen, Rüdiger Schilling, Peerkamp 7, 48249 Dülmen „)**+>*[‚ƒ Mai 2011 Karateverband Nordrhein-Westfalen e.V. NIEHAUS, ANDREAS+$„50*0 ?/–|„)*?@||

der budoka 3/2012 27 Empfang in Seattle 1932 im Rahmen einer Reise zu den Olympischen Spielen in Los Angeles: in der Mitte: J. KAN Foto: Privatarchiv Dieter Born

Grundwissen der Geschichte des "\

von Wolfgang Dax-Romswinkel

Teil 20: Der Weg des in den Westen

In den zurückliegenden 19 Folgen wurde die Entwicklung des Während J. s Zeit als Schulleiter in    auf der Insel 00 <0 in Japan unter verschiedenen thematischen Schwer- << (vgl. Folge 15) stellte er den Schriftsteller und späteren Pro- punkten beleuchtet. In diesem 20. Teil soll nun der Weg des 00 fessor LAFCADIO HEARN als Englischlehrer an. Dieser veröffentlichte <0 in den Westen - von den ersten ausländischen Schülern bis zu in seinem 1895 erschienen Werk „Out of the East“, das 1910 unter <0 als olympischer Disziplin - in einem kurzen Überblick skizziert dem Titel „<< - Träume und Studien aus dem neuen Japan“ auch werden. in deutscher Übersetzung erschien, eine Beschreibung des <0- Trainings in der Schule. In der folgenden Passage spiegelt sich die Die ersten westlichen Schüler des ungeheure Faszination wider, die <0 auf ihn ausgeübt hat (Anmer- kung: Auch wenn HEARN die Bezeichnung < verwendet, han- 00 Wie im Rückblick auf die ersten Jahre des be- delt es sich dennoch um <0): richtete, begannen bereits um die Jahre 1885/86, also nur kurze Zeit nach Gründung des 00, die beiden ersten westlichen Schüler `          <0 zu lernen. Es waren die amerikanischen Gebrüder EASTLAKE.   <              Der Ältere war ein etwa 100 kg schwerer Englischlehrer, der Jüngere    % #   % &  '  \*+\\%\|^<    ( )      & ' *    Später kamen noch einige weitere Herren - vornehmlich Amerika- +   ,       +   ner und Briten - hinzu. vermerkte über sie, dass sie generell  'O zwar einen deutlich kräftigeren Oberkörper hätten als die Japaner, /'''0 jedoch eine „schwächere Hüfte“. Leistungsmäßig konnten sie mit den `  &     1   japanischen 00-Schülern wohl nicht mithalten, wenngleich - so   &   &   , ,   - auch einige sehr ernsthaft geübt hätten.    2   % ,        , ,   +        , + ,   Die Kunde vom geheimnisvollen gelangt in den Westen  ,      2  , %3 4     ) 5   &   'O Bei seinem berühmten Vortrag von 1889 vor der Großjapanischen Gesellschaft für Erziehung waren nicht nur pädagogisches Fachpu- Die Kunde vom geheimnisvollen < (oder in anderer Schreib- blikum und der japanische Erziehungsminister ENOMOTO TAKEAKI an- weise   ) im Westen nahm teilweise skurrile Formen an. So wesend, sondern auch der italienische Gesandte in Japan. Dies zeigt, schrieb der Schriftsteller MAX DAUTHENDAY im Jahr 1906 aus 0 dass das 00 <0 bereits recht früh in seiner Entwicklungsge- an seine Frau: schichte westlichen Ausländern vorgestellt wurde.

der budoka 4/2012 19 `6              % 7  5     +    O (aus NIEHAUS 2003, S. 83).

stellt der wissenschaftlichen Fachwelt vor selbst bemühte sich bereits um die Jahrhundertwende <0 in akademischen Kreisen vorzustellen. Als Direktor der Höhe- ren Lehrerbildungsanstalt in 800 verfügte er über die entsprechen- <^\•™™q+GEORGE TRUMBELL LADD von der Yale-Universität, der als Gastprofessor an der kaiserlichen Universität 800 lehrte, im 00. Im Jahr 1901 erläuterte er Professor HUGHES von der Cambridge-Universität die Grundlagen des <0. Einige Jahre später, am 22. März 1919, besuchte ihn der bedeutende Pädagoge JOHN DEWEY. Hierüber schrieb DEWEY in einem Brief an seine Frau (aus dem Englischen übersetzt vom Verfasser aus NIEHAUS 2003, S. 173): `* 9  /2 ':    ' 00    9        9,5    Y. YAMASHITA (obere Reihe in der Mitte), mit seinem japanischen Assi-          +  % stenten und seiner Frau FUDE YAMASHITA; vor ihnen sitzend: Die Schüle- 8' 2       &,    rinnen, die sie 1903 als Privatlehrer unterrichteten. 4   &    5  2  ,  ,'      ,         &%    9  ; YOSHITSUGU YAMASHITA in Amerika , ,'O Auf Einladung des US-amerikanischen Geschäftsmanns SAM Dem Wissenschaftler DEWEY gelingt mit dieser Beschreibung eine be- HILL kam YOSHITSUGU YAMASHITA, der später der erste 10. * des merkenswert klare Analyse der Funktionsweise von Wurftechniken. 00 <0 wurde, im September 1903 in die USA. Er lehrte Auch er zeigt sich fasziniert vom <0 - aber eben nicht als mysteri- dort <0 und stellte sein Können in Schaukämpfen gegen Ringer öse und geheimnisvolle Kunst, sondern beeindruckt von der Klarheit und Boxer unter Beweis, um dem Verdacht entgegenzuwirken, die der zugrunde liegenden naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten gelehrten Techniken seien nicht wirksam. Im Frühjahr 1904 unter- und dem didaktischen System, das entwickelt hatte. richtete er sogar für einige Monate den amerikanischen Präsidenten THEODORE ROOSEVELT. 1905 bekam YAMASHITA einen Lehrauftrag an Marinesoldaten bringen in ferne Länder der Marine-Akademie der USA. Nach zwei Semestern, im Sommer 1906, kehrte er wieder nach Japan zurück, nachdem der Lehrauftrag Gegen Ende des 19. Jahrhunderts forcierte Japan den Aufbau seiner nicht verlängert wurde. Marine. Mit der Verfügbarkeit von großen Kriegsschiffen, begann die japanische Marine auch die Weltmeere zu befahren und internationale Ausländisches Interesse an nach dem russsisch-ja- Kontakte zu knüpfen bzw. zu vertiefen. Im Rahmen derartiger Ge- panischen Krieg legenheiten fanden teilweise auch <0<   -Vorführungen statt. Als eine der ersten gilt die Demonstration von Nach dem japanischen Sieg gegen Russland 1905, stieg im Westen in Melbourne, bei der <0 erstmals in Australien vorgestellt wurde. das Interesse an Japan sprunghaft an. Irgendwie konnte man sich nicht so ganz vorstellen, wie das Land, das noch wenige Jahrzehnte In Deutschland bekannt und oft als Beginn des deutschen <0< <  zuvor knapp der Kolonialisierung entgangen war, es schaffen konnte, genannt ist der Besuch zweier japanischer Kreuzer in Kiel eine moderne westliche Macht militärisch zu schlagen. im Jahr 1907. Im Nachgang einer Vorführung vor Augen KAISER WIL- HELM II. wurde in der Tat der Japaner als Lehrer für Ausländische Mächte fragten von daher in Japan nach, ob man nicht <  an der Militärturnanstalt Lichterfelde angestellt. <  < <0-Instruktoren zur Verfügung stellen könnte. Einer die- ser Instruktoren war K. SASAKI, ein Lehrer an der höheren Lehrer- bildungsanstalt in 800, den auf Nachfrage aus Ungarn im Jahre 1906 dorthin schickte, um <0 zu lehren. K. SASAKI verfasste 1907 in Ungarn ein <0-Buch, das später in mehrere Sprachen - u.a. auch ins Deutsche - übersetzt wurde. Im Gegensatz zu anderen im Westen erschienenen Büchern dieser Zeit ist bei SASAKIs Werk auf- grund der verwendeten Technikbezeichnungen unzweifelhaft, dass er 00 <0 darstellte. Sein Enkel berichtete, dass ein deutscher Prinz, nachdem er das Buch gelesen hatte, SASAKI für eine Weile als <0-Lehrer nach Berlin einlud, wo er den Prinzen unterrichtet habe.

Japanische Auswanderer machen und bekannt Eine weitere wichtige Personengruppe, die <0 und <  im Wes- ten bekannt machte, waren japanische Auswanderer. Nach der Aufgabe der Abschottungspolitik und der Notwendigkeit gegenüber dem Westen aufholen zu müssen, schickte Japan fähige junge Männer zum Studium in den Westen. Bei der Rückkehr berich- teten viele von den zahlreichen Möglichkeiten und Verlockungen, die ein Leben im Westen bieten würden. Da Japan in einer sehr schwie- rigen Phase war, suchten bereits um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert viele junge Japaner ihr Heil im Westen und wanderten aus. Ihr Ausbildungsstand war allerdings meist ausgesprochen nied- \Ž\'^^%+ war und die gut ausgebildeten Männer in Japan in der Regel rasch in Immer wieder gut bei Vorführungen: Frau wirft Mann und ruft faszinierte Schlüsselpositionen unterkamen. Blicke hervor. Vorführung in den USA

20 der budoka 4/2012 TSUNEJIR TOMITA" erste Schüler des , unterrichtet im Heights-Club in New York

Alle Fotos: Privatarchiv Dieter Born

<$&'*KAN in einen New Yorker

Unter den japanischen Auswanderern waren auch einige, die in der Nach einigen Stationen in Amerika und Europa landete er schließlich Heimat <  verschiedener Stilrichtungen gelernt hatten. Für sie in Brasilien, einem der Haupteinwanderungsländer für Japaner, wo bot sich die Gelegenheit, als <  -Lehrer und/oder als Preiskämp- er sich dauerhaft niederließ. Er betreute später japanische Einwan- fer in Varietés ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Hierbei wurden derer und unterrichtete auch <0. Aus seiner Schule ging die GRA- sie und <  natürlich entsprechend vermarktet, was einer seriösen CIE-Familie hervor, die später ihren eigenen Stil, das „Brasilianische Darstellung in der Öffentlichkeit nicht immer förderlich war. Hinzu Jiu-Jitsu“ entwickelt hat, das sich heute international wachsender Be- kamen die Berichte von in Japan lebenden Ausländern, die ohnehin liebtheit erfreut. meist mehr von Faszination als von Sachkenntnis gekennzeichnet "<+++*"\\‰- wirbt im Ausland für bild des <  < <0. Nach s Aufnahme in das internationale olympische Komitee Zwei der frühesten japanischen Auswanderer, die in Europa <  (IOC) im Jahr 1909 (vgl. Folge 15) war er verstärkt auf Reisen, die unterrichteten, waren SADAKAZU UENISHI und der später bedeutsame ihn mehrfach vor allem nach Europa und Nordamerika führten. Bei , die schon um 1900 im Londoner Stadtteil Soho an der diesen Gelegenheiten versuchte er, so viel und oft es möglich war, <  4  von EDWARD BARTON-WRIGHT, der sein System „Bar- Kontakt zu japanischen Landsleuten und auch zu örtlichen <  < titsu“ nannte, unterrichteten und gleichzeitig als Preiskämpfer von <0*00 aufzunehmen. Teilweise hatten auch Ausländer, die in Ja- BARTON-WRIGHT vermarktet wurden. pan <0 gelernt hatten, begonnen, im Westen zu unterrichten. versuchte natürlich auch diese Lehrer zu treffen und war teilweise - KATSUKUMA HIGASHI Quer durch Europa und durch die USA reiste , der wie aus einem Bericht über einen Besuch in Italien 1928 hervorgeht H. IRVING HANCOCK von dem Journalisten und Schriftsteller beglei- - überrascht von der großen Schar der Übenden. tet wurde und mit diesem das unsägliche „The Complete 0    / <00“ geschrieben hat, das im Westen als Standardlehrbuch verschaffte sich so einen Überblick über die internationale Ver- für <0 und     diente und von dem schrieb, dass der breitung des <  < <0 und entwickelte ein Netz von Kontakten. Inhalt aus lauter ihm unbekannten Dingen bestünde (vgl. Folge 14). Bei diesen Besuchen nutze er jede sich bietende Gelegenheit, Vorträ- ge über <0 zu halten und <0 zu demonstrieren. Meist war er in Neben diesen Auswanderern, die oft noch sehr jugendlichen Al- Begleitung einiger hochrangiger 00-Schüler wie zum Bespiel ters waren und sich teilweise mit mehr oder weniger unbekanntem S. KOTANI * * <  < <0 (später 10. ) oder (später 9. ), so dass auch -Hintergrund in Europa verdingten, gab es auch einige die praktische Seite ausführlich dargestellt werden konnte. „echte“ 00-Schüler, die aus Japan auswanderten. Der bekann- "}\$"M. MAEDA, der unter dem Künstlernamen „Conde Koma“ ebenfalls zunächst als Preiskämpfer umher reiste.

Eines der ersten - Lehrbücher in einer westlichen Sprache war von K. SASAKI, erschienen 1907 in Budapest. Hier werden die verschie- denen Arten des Stehens erklärt. Das Buch ist unter „http://mek.oszk. hu/03100/03192/“ frei verfügbar.

der budoka 4/2012 21 holt KOIZUMI und TANI zum Bereits in Japan war es KANOs Ziel gewesen, das 00 <0 als Standard zu etablieren und die verschiedenen <  -Stile zu assi- milieren. Bei den zahlreichen Treffen im Ausland versuchte er wie in der Heimat <  -Lehrer zum Wechsel zum 00 <0 zu bewegen. Ein Meilenstein für die Entwicklung des <0 in Europa war der Ein- tritt des oben bereits erwähnten YUKIO TANI und von in den 00. GUNJI KOIZUMI war eine der zentralen Figuren bei der Verbreitung des <0 in Europa. Er hatte verschiedene <  -Stile - unter anderem wie auch 80< - gelernt und war nach einigen Stationen in Asien um 1906 nach Großbritannien ge- kommen. Im Folgejahr verließ er die Insel jedoch wieder, versuchte sein Glück in Amerika, kehrte aber nach einigen Jahren wieder nach Europa zurück. 1918 hat er schließlich den „London # “ ge- gründet, eine Schule für <  und   , an der er neben YUKIO TANI unterrichtete.

TANI KOIZUMI 1920 schlossen sich und auf Zureden s dem SUMIYUKI KOTANI MASAMI TAKASAKI 00 * und in Wien an und wurden mit dem 2. graduiert. In der Folge wur- Alle Fotos: Privatarchiv Dieter Born de der #  das Zentrum zur Verbreitung des 00 <0 in Europa - sozusagen die Dependance des 00 in Europa.

Die ersten -Sommerschulen in Frankfurt den Weg gebracht worden. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs nahm <0 eine rege Entwicklung. In Deutschland hatte ERICH RAHN ab 1906 große Anstrengungen un- ternommen,    zu verbreiten. So fand es nicht nur Eingang in die Polizei- und Militärausbildung, sondern es wurde auch mit Hilfe -Pioniere in Frankreich von Büchern und sogar Fernkursen an den Mann bzw. die Frau ge- Als Vater des französischen <0 wird meistens M. KAWAISHI ge- bracht. RAHN selbst gibt an,    von dem oben erwähnten KATSU- nannt. Dieser kam nach Stationen in den USA und England 1935 KUMA HIGAHSI gelernt zu haben. Es kann sich dabei aber - zumindest nach Frankreich und war eine entscheidende Figur beim Aufbau des vor Eröffnung seiner Schule - nur um einen recht kurzen Zeitraum französischen <0. gehandelt haben. Jedoch war er nicht der erste <0, der <0 nach Frankreich brach- Im Jahr 1922 gründete ALFRED RHODE, ein Schüler RAHNs, nach sei- te. Stellvertretend sollen hier HIKO´ICHI AIDA und vor allem KEISHICHI ner Übersiedlung von Berlin nach Frankfurt am Main mit einigen genannt werden, die in den 1920er-Jahren in Frankreich Mitstreitern den 1. Deutschen Jiu Jitsu Club. Man betrieb dort das tätig waren. Letzterer brachte <0 auch nach Rumänien und nach allgemein in Deutschland verbreitete    , da 00 <0 Ägypten. praktisch unbekannt war. Auf dieses stießen die Frankfurter erst 1929 bei einem Freundschafts- Die Faszination einer kaum verstandenen Philosophie kampf gegen den #  London im Frankfurter Palmengarten. Schon die frühen Berichte über <  und <0 bezeugten, dass Die Deutschen waren so fasziniert, dass man künftig in Frankfurt die- philosophische Elemente und Moralerziehung wichtige Säulen der ses neuartige <0 betreiben wollte. Der Kontakt mit den Engländern Lehre seien. Berichte über , Rituale, Atemtechnik, =- wurde in den Folgejahren weiter ausgebaut. Buddhismus, # 0 usw. verliehen dem <0 eine exotische Note, ALFRED RHODE <0 die zusammen mit der kämpferischen Wirksamkeit die Gesamtfaszi- organisierte schließlich 1932 die erste - <0 Sommerschule in Frankfurt, zu der alle in Europa verfügbaren japa- nation des ausmachte. nischen Lehrer, an ihrer Spitze Y. T ANI und G. KOIZUMI eingeladen J. gelang es in seinem Heimatland schon kaum, die Philoso- wurden. Diese Sommerschule gilt vielen als Geburtsstunde des <0 phie des 00 <0 zu etablieren und es vor ideologischer Inan- in Deutschland. spruchnahme zu bewahren (vgl. Folgen 17 und 18). Im Westen wur- Die Tradition der Sommerschulen in Frankfurt wurde bis 1939 fort- den demgegenüber verschiedene Elemente wie die oben aufgeführten gesetzt und war der wichtigste Meilenstein bei der Verbreitung des zu einem teilweise bizarren Philosophie-Mix verschmolzen. Dies tat <0 vor dem Zweiten Weltkrieg im deutschsprachigen Raum. jedoch der Faszination für die Übenden keinen Abbruch. So manche Merkwürdigkeiten in Veröffentlichungen über <0 sind leider bis Gründung der EJU und die ersten Europameisterschaften auf den heutigen Tag diesem Problem geschuldet. Im Rahmen der ersten Sommerschule 1932 in Frankfurt/Main kam und die Olympische Spiele 1940 es auch zur Gründung der Europäischen Judo-Union (EJU). Diese #  Ein wichtiger Meilenstein für die internationale Verbreitung des wurde vom London aus geleitet. 1934 fanden in Dresden 00 <0 die ersten <0-Europameisterschaften statt, bei denen Deutschland waren nach dem Zweiten Weltkrieg die Olympischen Spiele 1964 in 800. Aber bereits 24 Jahre zuvor hätte es nach den - allerdings bei schwacher internationaler Beteiligung - überragend <0 abschnitt. Planungen des IOC bei Olympia geben sollen. hatte den Auftrag bekommen, die Bewerbung 800 in Berlin und München für die Ausrichtung der Spiele 1940 erfolgreich zu gestalten und diese nach Japan zu holen. Dies war unter anderem aufgrund der geopoli- 1933 hielt sich längere Zeit in Europa auf und leitete u.a. Lehr- tischen Lage ausgesprochen schwierig. Am Ende war jedoch gänge in Berlin (11. bis 22. Juli) und München (11. bis 18. Septem- 800 ber). In Verhandlungen mit Reichssportführer Tschammer van Osten erfolgreich und war als Austragungsort ausgewählt. erreichte , dass fortan in Deutschland die Bezeichnung <0 Im Rahmen dieser Spiele war „#<0“ - bestehend aus <0, 0 anstelle von    verwendet wurde. und <0 - als Demonstrationswettkämpfe vorgesehen. Durch die Das 00 <0 war also in Deutschland Anfang der 1930er Jah- kriegsbedingte Absage der Olympischen Spiele durch die japanische Seite wenige Wochen nach s Tod 1938, kam es jedoch nicht re mit Hilfe der zum <0 „konvertierten“ Lehrer KOIZUMI und TANI mehr dazu. und mit massiver persönlicher Unterstützung durch auf

22 der budoka 4/2012 Zusammenfassung war. Auf der anderen Seite wurde per amtlicher Verfügung der Be-    <0 <0 griff durch ersetzt - so als ob diese Bezeichnungen sy- Die internationale Verbreitung von war eine Herzensangelegen- nonym verwendet werden könnten und sie den gleichen Gegenstand heit s vom Beginn seiner Laufbahn an. Mit zunehmen- beschreiben würden. den internationalen Kontakten im Rahmen seiner Tätigkeit beim IOC verstärkte er seine Aktivitäten nochmals. (4) Die Geschichtsschreibung des deutschen <0 unterschlägt mitun- ter, dass auch schon früher in Deutschland gewesen war, und 00 schickte -Schüler ins Ausland, holte im Ausland tätige somit die Frankfurter Gruppe nicht die ersten Deutschen waren, die <  -Lehrer unter das Dach des 00 und wurde nicht müde, 00 <0 <0 mit dem in Berührung gekommen sind. selbst in Vorträgen und Demonstrationen vorzustellen. Er förderte zu- berichtet von Besuchen 1912 und 1928, wo er jeweils ein oder mehre- sätzlich den Zusammenschluss in Verbänden und stärkte die Vernet- *00 <0 re besucht habe. Während dem Verfasser über den Besuch 1912 zung der -Treibenden weltweit. keine gesicherten Erkenntnisse vorliegen, kann als sicher gelten, dass Die Menschen im Westen zeigten sich aus verschiedenen Gründen er 1928 in Begleitung von AIDA und (beide damals 5. *) die fasziniert vom <0, das sich nach einer kriegsbedingten Unterbre- Polizeischule in Berlin besuchte und dort Kämpfe gegen deutsche Po- chung rasend schnell weltweit ausbreitete. lizisten durchgeführt wurden. Die deutsche Seite sei so beeindruckt gewesen, dass man nach Unterricht nachgefragt habe, was zu- Persönliche Anmerkungen gesichert habe. hat übrigens zu dieser Zeit für zwei Jahre als Austauschstudent in Berlin gelebt und einen umfangreichen Bericht (1) Als Datum für den Besuch der japanischen Kreuzer in Kiel wird über das deutsche    verfasst. oft das Jahr 1906 genannt. Dies ist jedoch nicht korrekt. Der Besuch fand im Jahr 1907 statt - ein Jahr nachdem ERICH RAHN seine   (5) Die Haltung s zur Aufnahme von <0 als olympi-  Schule in Berlin eröffnet hatte. Von daher besteht auch zwischen sche Disziplin wird verschiedentlich kontrovers diskutiert. Teilweise diesem Ereignis und der Eröffnung der Schule RAHNs kein Zusam- %$* olympischen Wettbewerben menhang. im <0 ablehnend gegenüber stand. Dies wird unter anderem mit zurückhaltenden Äußerungen s gegenüber KOIZUMI begründet, (2) Die Schreibweise „   “ ist im Westen neben anderen in denen er auf das Konzept von <0 als Erziehungssystem verweist. Schreibweisen wie „   “, „   “ weit verbreitet. Die unter- Niehaus kommt jedoch nach umfangreichen Forschungsarbeiten zum schiedlichen Schreibweisen rühren daher, dass die japanische Spra- Schluss, dass <0 als olympische Disziplin etablieren wollte. che keine „korrekte“ Schreibung in lateinischer Schrift kennt und von daher versucht wird, das lateinische Alphabet als eine phonetische (6) Die Tradition der Sommerschulen wird in Deutschland bis auf den Umschrift (Lautschrift) für japanische Aussprache zu verwenden. Die heutigen Tag fortgesetzt. Derartige Schulen gab es nach dem Krieg japanische Schreibweise ist wie die Bedeutung aber stets gleich: 柔術 nicht nur in Deutschland. Bekannt sind vor allem auch die Sommer- schulen in Holland, die von dem bekannten <0-Pionier und Boden- In Japan ist die Umschrift <  am weitesten verbreitet. Das „j“ spezialisten „Opa“ SCHUTTE organisiert wurden. <0-Enthusiasten wird dabei nicht wie das deutsche „j“, z.B. in „Jod“ gesprochen, son- kamen aus ganz Europa für eine Woche zusammen und trainierten dern wie das englische, z.B. in „Joker“. Der horizontale Strich über gemeinsam bei den besten verfügbaren Lehrern. Nebenbei entstan- ^`O*\`O\\*\\ den viele internationale Kontakte, so dass diese Sommerschulen wird, was im Deutschen entweder mit einem Doppelvokal („Beet“, einen wichtigen Beitrag zur Entstehung einer internationalen <0- „Saat“) oder mit einem angehängten Längungs-„h“ („Schuh“) ge- Gemeinschaft und der Verbreitung des <0 geleistet haben. schrieben wird. Das erste „u“ in  wird dagegen kurz gesprochen,  das letzte sogar fast verschluckt. Anstelle des „ts“ in würde man Literatur im Deutschen eher ein „tz“ schreiben. BENNETT, ALEX: \$$?=- Im Internet lassen sich sehr schnell und einfach - z.B. auf Wikipe- ~™ dia - Erläuterungen zu Umschriftsystemen für die japanische Sprache HEARN, LAFCADIO›'^^™ <~%"$|—^+ engl. Originaltitel „Out of the East“, 1895 (online im Volltext verfügbar) zu folgen. ›Y\‹œ (3) In Deutschland gibt es einige Verwirrung bezüglich der Begrif- NIEHAUS, ANDREAS›]Š\‡•™•ˆ}\Y\ fe    (unabhängig von der verwendeten Umschrift) und <0. 2003 Auf der einen Seite wurde durch die oben stehenden Ausführungen SVINTH, JOSEPH R.: Professor Yamashita goes to Washington, Journal of Comba- deutlich, dass bis 1929 einerseits bemerkenswert viel    be- tive Sports 2000, http://ejmas.com/jcs/jcsart_svinth1_1000.htm trieben wurde, dieses jedoch vom 00 <0 sehr verschieden WATSON, BRIAN N<›=^+\++Y\•

Links: bei einer Kata-Demonstration mit M. TAKASAKI 1933 in Berlin; mitte: mit S. KOTANI (später 10. ) bei einer Vorführung 1933 in London; rechts: unterrichtet Berliner Polizisten 1933, links im Bild: S. KOTANI. Auffällig: '&=>&? links und er trägt so gut wie immer bei derartigen Anlässen normale westliche Kleidung.

der budoka 4/2012 23 Das Eingangstor des Fujimi-Inari-Schreins in .\ǀWR, dahinter das Haupt- Die große Buddha-Statue von , nahe 7ǀN\ǀ. Sie zeigt den Bud- gebäude. Derartige Tore (jap. 7RULL) sind typisch für alle 6KLQWǀ-Schreine. dha Amida, der im -ǀGR („Reines-Land-Buddhismus“) verehrt wird. Sie (Quelle: Wikimedia Commons/Chris Gladis) stammt aus dem 13. Jahrhundert, wurde aus Bronze gefertigt, ist 13,35 m hoch, 9,1m breit und 121 t schwer.

Religiöse und philosophische (LQÁVVHDXIGLHWUDGLWLRQHOOHQ Kampfkünste Japans

von Wolfgang Dax-Romswinkel

Teil 1: 6KLQWǀ und Buddhismus

Einleitung Religion, Philosophie, Lehre, Weg? Sowohl in der wissenschaftlichen als auch in der populären Litera- Gleich zu Beginn unserer Betrachtungen muss gesagt werden, dass WXUZHUGHQGLHMDSDQLVFKHQ.DPSINQVWHKlX¿JPLWUHOLJL|VHQXQG der Begriff Religion in unserem abendländischen Sinn die spirituelle philosophischen Lehren - insbesondere dem Zen-Buddhismus - in Welt der Japaner nicht präzise trifft. Auch der westliche Begriff der Verbindung gesetzt. Der behauptete Grad der Verbindung schwankt Philosophie passt nur sehr bedingt. Neutraler von „religiös-philoso- zwischen Extremen wie „... basiert auf den Lehren des ...“ und „... ist phischer Lehre“ zu sprechen ist wohl angemessener. Bezogen auf das EHHLQÀXVVWGXUFK³ Individuum, das den Lehren folgt, erscheint der Begriff „Weg“ am passendsten - ein Begriff, der sich auch in den Kampfkünsten immer Hierdurch haftet den japanischen Kampfkünsten - und somit auch ZLHGHU¿QGHW dem -njGǀ - die Aura einer philosophisch-religiösen Aktivität an. Gerade dieser Aspekt fasziniert viele Menschen - ein Grund, den In Japan gibt es vier Hauptlehren, die die Spiritualität der Menschen Verbindungen zwischen Religion/Philosophie und den traditionellen prägten und prägen: Kampfkünsten einmal nachzugehen. Ziel der Bemühungen ist dabei, die teilweise sehr komplizierten und für Europäer fremdartig anmu- 6KLQWǀ tenden Zusammenhänge in den Verständnishorizont abendländischer - Buddhismus Köpfe zu rücken. Schwerpunkte sollen dabei konkrete Theorien des - Daoismus .lPSIHQVVHLQXQGZLHVLHVLFKLQGHQHQWVSUHFKHQGHQ/HKUHQ¿QGHQ - Konfuzianismus bzw. Neokonfuzianismus bzw. sich aus diesen ableiten. Außer dem 6KLQWǀ gelangten alle anderen Lehren über China nach Die folgenden Ausführungen können aufgrund der Komplexität der Japan. Während 6KLQWǀ und Buddhismus allgemein als Religion an- Zusammenhänge allerdings nur einen knappen Überblick geben, sol- gesehen werden, gilt dies weniger für den Konfuzianismus und Neo- len jedoch anregen, sich näher mit den geistigen Wegen Asiens im konfuzianismus. Der Daoismus als eigenständige geistige Strömung Allgemeinen und Japans im Speziellen zu befassen. Außerdem be- ist in Japan kaum anzutreffen. Viele seiner Ideen sind jedoch in die schränken wir uns im Wesentlichen auf die Zeit vom 16./17. Jahrhun- anderen Lehren integriert worden, weswegen daoistische Grundge- dert bis zur Meiji-Restauration (1868), lassen also die Entwicklungen danken auch in Japan allgegenwärtig sind. vor der Systematisierung der .RU\njEXJHL und auch des 20. Jahrhun- derts (Staats-6KLQWǀ, „Neureligionen“ usw.) außen vor. Trotz dieser Mischformen und Synkretismus Beschränkungen lässt es sich nicht vermeiden, die Thematik auf zwei Während sich in der westlichen und nahöstlichen Welt die meisten Folgen zu verteilen. Menschen zu genau einer Religion bekennen - i.d.R. Christentum, Ju- dentum oder Islam - und innerhalb dieser Religion auch genau einer Richtung angehören (z.B. römisch-katholisch, evangelisch-lutherisch oder griechisch-orthodox für das Christentum oder sunnitisch, schi- itisch oder alevitisch für den Islam), gilt dies nicht in gleicher Weise

der budoka 5/2012 25 für Japaner. Für sie ist es durchaus üblich, dass sich einzelne Men- Nach diesen Vorbemerkungen sollen nun die wichtigsten Lehren in schen einen persönlichen religiös-philosophischen Mix - nämlich den ihren Kernpunkten und Bezügen zu den Kampfkünsten vorgestellt eigenen Weg - heutzutage meist aus 6KLQWǀ und Buddhismus zusam- werden. menstellen. Daher übersteigt die Summe der Anhänger von 6KLQWǀ und Buddhismus in Japan derzeit die Gesamtzahl der japanischen 6KLQWǀ Bevölkerung um ca. 50 Millionen. 6KLQWǀ, auch .DPLQRPLFKL oder deutsch „Weg der Götter“, hat sich Dies galt natürlich auch für die großen chinesischen und japanischen vermutlich zwischen dem 3. Jahrhundert vor und dem 3. Jahrhundert Philosophen und Denker, von denen viele im Laufe der Jahrhunder- nach unserer Zeitrechnung gebildet und gilt - obwohl es auch Fest- te versuchten, verschiedene Lehren zu einem Gesamtgefüge zu ver- ODQGHLQÀVVHJDEDOVXUMDSDQLVFKH5HOLJLRQ'LHHUVWHVFKULIWOLFKH einen (Synkretismus). Zwischen den verschiedenen Lehren gibt es (UZlKQXQJGHV%HJULIIV¿QGHWVLFKLPXPDEJHIDVVWHQ1LKRQJL, daher Überschneidungen, Vermischungen und gegenseitige Beein- der frühesten Chronik Japans. ÀXVVXQJHQDEHUQDWUOLFKDXFKGHQHLQRGHUDQGHUHQ*HJHQVDW]'HV Weiteren gibt es innerhalb jeder der oben aufgeführten Lehren zahl- 6KLQWǀ kennt weder einen Religionsbegründer noch heilige Schriften reiche Richtungen, die in unterschiedlichem Maß Anleihen bei an- noch Dogmen, weswegen 6KLQWǀ von manchen Religionswissen- deren Strömungen genommen haben. Jede Lehre ist auf diese Weise schaftlern auch gar nicht als Religion betrachtet wird. Im Mittelpunkt in verschiedene Zweige und diese wiederum in Unterzweige ausdif- steht die Verehrung der Kami. Das sind entweder Natur- oder Ahnen- ferenziert - bis hin zu einer Vielzahl von kleinen und großen Sekten. gottheiten, von denen es mehrere Millionen gibt. Kami und Menschen entspringen gemeinsam dem „Geist der universellen Zeugung“, dem Im Rahmen dieses Aufsatzes ist es vollkommen unmöglich, die 0XVXEL. zahlreichen, im Laufe von rund 1.500 Jahren Geistesgeschichte ent- standenen Verbindungen auch nur ansatzweise aufzuzeigen und zu Die Kami nehmen ihren Sitz in besondern Plätzen der Natur (Ber- berücksichtigen. Ganz grob lässt sich jedoch folgende Hauptperspek- ge, Flüsse, Wasserfälle) oder in konkreten Objekten wie Schwerter, tive der einzelnen Lehren ausmachen: Spiegel oder ähnlichem, die so zu ihrem Leib werden und die als Kultobjekte - japanisch: Shintai - dienen. 6KLQWǀ beschreibt eine von Gottheiten durchdrungene Welt und be- steht mehr aus Riten als aus theologischen Lehren. Solche Shintai werden in 6KLQWǀ-Schreinen verhüllt und nicht für die - Buddhismus beschreibt den Weg der spirituellen Erleuchtung des Öffentlichkeit sichtbar aufbewahrt. Den Eingang eines Schreins bil- Menschen und seine Befreiung von Leid und Unzulänglichkeit. det ein charakteristisches Tor. Dahinter folgt eine Waschungsstätte, - (Neo-)Konfuzianismus beschreibt die Rolle des einzelnen in der denn die rituelle Reinigung unmittelbar nach Betreten des Schreins Gesellschaft und sein Verhältnis zu anderen. ist obligatorisch. - Daoismus nimmt die Welt und den „Gang der Dinge“, die Wandlun- Organisierter 6KLQWǀ entwickelte sich erst ab dem 13. Jahrhundert gen und Gesetzmäßigkeiten des Laufs der Natur in den Blick. GXUFK (LQÀVVH GHV %XGGKLVPXV *UR‰H 6FKUHLQH ZXUGHQ GDEHL Diese Darstellung markiert lediglich Schwerpunkte, denn bei genaue- zu einer Art Zentrale für verschiedene Richtungen, wie z.B. dem rer Betrachtung werden von jeder Lehre auch die jeweils anderen Be- „Bergkönig-6KLQWǀ“ (6DQQǀ6KLQWǀ), dem :DWDUL6KLQWǀ und anderen. reiche mit einbezogen. Sie zeigt aber auch, dass die Lehren im Kern Die Leitung der Schreine liegt bei Priestern, die mit ihren Familien HLQHQHWZDVDQGHUHQ)RNXVKDEHQXQGGHVKDOEQLFKW]ZDQJVOlX¿JLQ innerhalb des Schreingeländes leben. Konkurrenz zueinander stehen müssen, sondern sich im Gegenteil Schreine kennen regelmäßige Feste, z.B. im Frühling oder im Herbst. für Synkretismus, also Mischformen bzw. die Integration des Gedan- Prozessionsfeste, bei denen der Shintai durch die Straßen getragen kenguts anderer Lehren, geradezu anboten. So waren insbesondere wird, gehören ebenfalls zu den regelmäßigen Aktivitäten. Im Rahmen 6KLQWǀ und Buddhismus bis zum Ende des 19. Jahrhunderts sehr eng dieser Feste gibt es Vorführungen, Tänze, Gebete und es werden Spei- miteinander verwoben, bevor aus politischen Gründen eine (vorüber- seopfer gebracht. Durch Eingrenzung, z.B. mit einem Seil können gehende) Trennung betrieben wurde. Plätze zu vorübergehenden Wohnstätten der Kami gemacht und diese so eingeladen werden.

6KLQWǀ-Prozession in

26 der budoka 5/2012 In diesen Schreinfesten liegt auch der Ursprung des 6XPǀ, das bis Das Streuen des heute fest mit dem 6KLQWǀ verbunden ist. Der aus einem Seil geform- Salzes in den te Ring, in dem die Kämpfe ausgetragen werden, repräsentiert einen Ring dient der geheiligten Raum, ein über dem Ring angebrachtes Dach erinnert an Reinigung das eines 6KLQWǀ-Schreins, der Ringrichter ist ein 6KLQWǀ-Priester, das Werfen von Salz vor einem Kampf ist ein 6KLQWǀ-Reinigungsritual (reinigende Wirkung des Salzes) und zu guter Letzt ist der gesamte Wettkampf von zahlreichen 6KLQWǀ-Riten begleitet. In vielen Privathäusern und in traditionellen 'ǀMǀ ¿QGHW VLFK HLQ kleiner 6KLQWǀ-Altar (.DPLGDQD), der in der Regel der Verehrung der Vorfahren dient und der die Götter milde stimmen soll. Interessant ist dabei, dass diese .DPLGDQD nach der Meiji-Restauration im Zuge eines aufkommenden Nationalismus, zu dem auch die Förderung des 6KLQWǀ gehörte, per Erlass in den 'ǀMǀ eingerichtet werden mussten. $XFKEH¿QGHWVLFKLQYLHOHQ'ǀMǀ ein Kamiza meist gegenüber des Eingangs. Es ist der Ehrenplatz, von dem aus Zuschauer das Training verfolgen dürfen. Ob es sich dabei um einen „Göttersitz“ („Sitz der Oberen“) oder nur den „oberen Sitz“ handelt, ist zumindest umstritten und hängt wohl auch von der individuellen Betrachtung des 'ǀMǀ- Eigentümers ab. Eine besondere 6KLQWǀ-Tradition wird auch heute noch in vielen 'ǀMǀ - so auch im .ǀGǀNDQUHJHOPl‰LJJHSÀHJWGDVDOOMlKUOLFKDOV Neujahrsfeier abgehaltene .DJDPLELUDNL was wörtlich „Öffnen des Spiegels“ heißt. Der Spiegel ist dabei ein Symbol für die eigene See- le, die erhellt werden soll.

Die Kami und ihre göttliche Unterstützung in Kampf und Krieg Der Begriff .DPLND]H MDSÄ*|WWHUZLQG³ LVWDOOJHPHLQJHOlX¿JYRU allem durch die Flieger von bemannten Bomben im Zweiten Welt- krieg. Weit weniger bekannt ist jedoch, dass es sich dabei ursprünglich um die Bezeichnung von zwei Taifunen handelt, die die mongolische Flotte bei ihren Invasionsversuchen in den Jahren 1274 und 1281 je- weils so schwer schädigte, dass KUBLAI KHAN seine Eroberungspläne gegenüber Japan aufgeben musste. Schon an der Bezeichnung Ka

'RK\ǀLUL, der feierliche Ein- marsch der Rikishi: 6XPǀ-Ring mit Dach und den Die erhobenen Hände der Rikishi zeigen an, Turnierteilnehmern (links); dass fair und ohne Waffen gekämpft wird. Höhepunkt eines 6XPǀ- Turniers ist das 'RK\ǀLUL der

der budoka 5/2012 27 Beispiel eines Zen-Gartens. Form und Anordnung der Steine und Wellen sind nur scheinbar zufällig.

PLND]H kann man erkennen, dass den Kami eine große Bedeutung und der Versenkung/Meditation (8). Im Sinne des achtfachen Pfades für den Ausgang von Kämpfen zugemessen wurde. Vor Schlachten ist der Buddhismus also eine „Weg“-Lehre, auf japanisch %XWVXGǀ sicherten sich daher oftmals die streitenden Parteien durch 6KLQWǀ- („Weg des Buddha“). Riten das Wohlwollen der Götter, insbesondere des Schutzpatrons der Krieger und des Kriegsgottes +DFKLPDQ. In diesem Zusammenhang Eine Besonderheit im Buddhismus ist der Glaube an den Kreislauf ist auch die Betrachtung von Waffen als Shintai zu sehen, woraus sich von Tod und Wiedergeburt (6DPVDUD), der jedes Mal zu einer neuen die besondere Beziehung der Krieger insbesondere zu ihren Schwer- von 'XNNKD geprägten Existenz führt. Der achtfache Pfad kann sich tern erklärt. über mehrere Zyklen der Wiedergeburt erstrecken, wobei sich die Wirkung des eigenen Handelns (Karma) auf die nachfolgende Exis- Die Gründungsmythen einiger 5\KXKD haben ebenfalls starken tenz erstreckt. Am Ende des achtfachen Pfades steht die Befreiung 6KLQWǀ-Bezug, so z.B. 7HQVKLQVKRGHQNDWRULVKLQWǀU\nj, einem der aus diesem Zyklus - und damit von 'XNNKD - und der Eingang ins ältesten und bekanntesten Schwertstile Japans. Der .DPLdes Katori- Nirvana, einem Zustand des ewigen Glücks und umfassenden Wis- Schreins ist demnach dem Gründer des Stils, &+ƿ,6$,, Mitte des 15. sens. Dann ist der Mensch zum %XGGKD geworden, was so viel wie Jahrhunderts im Traum erschienen und habe ihm die Geheimnisse „Erleuchteter“ bedeutet. des Kampfs übermittelt. Einen ähnlichen Gründungsmythos hat die .DVKLPD-VKLQWǀU\nj. Buddhistische Schulen in Japan Kämpferische Konzepte - Strategien, Übungsformen usw. - lassen In Japan sind wie oben schon erwähnt zahlreiche buddhistische Rich- sich aus dem 6KLQWǀ jedoch nicht ableiten. Dafür mangelt es an der tungen vertreten, die sich in unterschiedlichen Epochen etabliert ha- HQWVSUHFKHQGHQ/HKUH$OOHUGLQJV¿QGHQVLFKDEKlQJLJYRQGHU5HOL- ben. Die drei wichtigsten sind: giosität der jeweiligen Stil-/Schulbegründer im 'ǀMǀ-Alltag viele auf 6KLQWǀ zurückgehende Spuren. - „Esoterischer Buddhismus“ (jap. 0LNN\ǀ), der sich ab Anfang des 9. Jahrhunderts gebildet hat. Hauptzweige sind der 7HQGDL- und der Buddhismus 6KLQJRQ-Buddhismus. - „Reines-Land-Buddhismus“ (jap.: -ǀGR), etabliert etwa Ende des Der ursprünglich aus Indien stammende Buddhismus gelangte im 6. 12. Jahrhunderts. Er fand vor allem in der einfacheren Bevölkerung Jahrhundert n. Chr. über China und Korea erstmals nach Japan. Auch großen Zuspruch. in Japan gibt es wie in den meisten anderen Ländern als Folge der =HQ-Buddhismus, der ebenfalls ab Ende des 12. in Japan Fuß fasste fast 1.500-jährigen Entwicklungsgeschichte mehrere Richtungen, die und weiter unten ausführlicher beschrieben wird. sich wiederum in jeweils zahlreiche Schulen untergliedern, so dass sich der japanische Buddhismus ausgesprochen vielfältig präsentiert. Die buddhistischen Klöster stellten bis zu Beginn der 7RNXJDZD- Dennoch gibt es ein gemeinsames Fundament aller buddhistischen Zeit, also Anfang des 17. Jahrhunderts, einen erheblichen weltlichen Lehren, das vor allem durch die „Vier edlen Wahrheiten“ und den Machtfaktor dar. Deutlich wird dies an den 6ǀKHL, jenen japanischen „Achtfachen Pfad“ gebildet wird. Kriegermönchen verschiedener (meist 0LNN\ǀ)-Sekten, die vom 10. bis zum 16. Jahrhundert ganze Armeen mit zum Teil sogar stehendem Die vier edlen Wahrheiten beschreiben zunächst als erste Wahrheit Heer unterhielten. Die Klöster wurden somit wichtige Verbündete und das Leben als von 'XNNKD gekennzeichnet, was sowohl Leiden gefürchtete Gegner streitender Fürsten und buhlten natürlich auch um (Krankheit, Schmerz, Trauer usw.) als auch allgemein „unerfüllt sein“ die Gunst der weltlichen Führer. Aus diesem Grund gab es vor der bedeutet. Die zweite Wahrheit lehrt, dass Begierden wie Verlangen, 7RNXJDZD-Zeit auch zahlreiche bewaffnete Auseinandersetzungen Gier, Streben nach Ruhm usw. Ursache für 'XNNKD sind. 'XNNKD zwischen eifersüchtig konkurrierenden buddhistischen Sekten. selbst kann - und das ist die dritte Wahrheit - nur durch Beseitigung der Ursachen beendet werden. Die vierte Wahrheit besteht nun darin, Beim gehobenen Schwertadel der 7RNXJDZD-Zeit fand der Zen-Bud- dass es einen Weg gibt, 'XNNKD zu überwinden - nämlich den „Acht- dhismus den größten Zuspruch, weswegen seine Besonderheiten im fachen Pfad“. Folgenden vertieft werden sollen. Das bedeutet jedoch nicht, dass in den anderen Lehrrichtungen des Buddhismus keine Begriffe und Im achtfachen Pfad geht es um Erkenntnis (1) und Gesinnung (2), Konzepte auftauchen würden, die einen Bezug zu wenigstens einzel- also darum, dass man die vier edlen Wahrheiten erkannt und den Ent- nen Kampfkünsten haben. Dies gilt insbesondere für Systeme, die schluss gefasst hat, den achtfachen Pfad zu gehen. Es folgen Ver- ihren Ursprung auf die Zeit vor der Etablierung des Zen-Buddhismus haltensregeln im Bereich des Redens (3), des Handelns (4) und des in Japan datieren und die von daher naturgemäß durch andere geistige allgemeinen Lebenswandels (5), z.B. im Erwerb des Lebensunter- Quellen inspiriert wurden. halts. Anschließend folgt der Übungsweg der Geistesschulung (6, 7)

28 der budoka 5/2012 Satori im Zen-Buddhismus Auch vom Zen, der traditionell ein Kloster-Buddhismus ist, gibt es mehrere Schulrichtungen, die ab Ende des 12. Jahrhunderts in Japan Fuß gefasst haben. Entstanden ist Zen unter der Bezeichnung Ch´an in China als Kompilat aus Daoismus und Buddhismus, als letzterer etwa im 6. Jahrhundert von Indien nach China kam. Wesentlich beim Zen ist das Streben nach einer Satori genannten Er- leuchtungserfahrung, die man ihrem Wesen nach nicht beschreiben, sondern nur erleben kann. Ein Versuch, dennoch eine Erklärung zu geben, kann also von vorneherein nur begrenzt erfolgreich sein. Üblicherweise ist unser Geist in Form von Aufmerksamkeit auf ir- gendetwas gerichtet - auf etwas, was wir gerade sehen, was wir hören, auf einen Gedanken, eine Emotion, eine Wahrnehmung oder derglei- chen mehr. Indem unser Geist jedoch gerichtet ist, ist er gleichzeitig begrenzt. Indem wir z.B. etwas Bestimmtes bewusst sehen, sehen wir etwas anderes nicht. Ursächlich dafür ist, dass wir Dinge - nicht nur Gegenstände, sondern auch Ideen und Emotionen - nur beschreiben können, indem wir sie von anderen abgrenzen, denn nur durch eine solche Kontrastierung erlangen sie eine beschreibbare Kontur. Unser Intellekt arbeitet also stets unterscheidend. Satori ist nun ein Zustand, bei dem diese Grenzen der Unterscheidung aufgehoben sind. Die grundlegendste Erfahrung ist dabei das intuiti- ve und ganzheitliche Erkennen des eigenen Wesens - nicht nur ein- zelner momentan dominierender Emotionen oder Wahrnehmungen. Der Geist bzw. die Aufmerksamkeit ist in diesem Zustand nicht mehr auf Konkretes und damit nicht mehr auf Beschreibbares gerichtet und damit auch nicht mehr begrenzt und unterscheidend - ein Zustand, der sich aufgrund fehlender Abgrenzbarkeit von anderen Zuständen jeder Beschreibung entzieht. Aufgrund des Wesens des unterscheidenden Intellekts ist es daher unmöglich, dass der Zen-Weg durch theoretisches Studium oder lo- gisches (Nach-)Denken beschritten werden kann. Zen ist deshalb ein Buddhistischer Mönch des 6ǀWǀ=HQ im =D]HQ (Quelle: Wikimedia Commons) praktischer Weg, für den die einzelnen Schulen unterschiedliche Me- thoden als Hilfsmittel entwickelt haben, denen eines gemeinsam ist: die Unterweisung erfolgt nicht mittels Worte und Diskurse, sondern durch einen Lehrer, der den Schüler anregt, ihm den Weg aufzeigt und ihn begleitet. Die Meditation im Kniesitz (=D=HQ) ist die bekannteste Übungsme- thode, jedoch kann Satori auch in/durch Bewegung, z.B. dem me- ditierendem Gehen erfahren werden. Grundsätzlich ist dies sogar bei jeder körperlichen Aktivität, insbesondere aber bei ritualisierten und festgelegten Aktivitäten möglich. An diesem Punkt kommen die Kampfkünste ins Spiel: Intensives Üben von Kata in den Kampf- künsten kann zu Satori führen. Weitere formalisierte Aktivitäten, die zu Satori führen können, sind zum Beispiel Kalligraphie (6KǀGǀ), Malerei (*DGǀ) oder die Teezeremonie (6DGǀ). Als weitere Hilfsmittel gibt es die .ǀDQ. Dies sind kurze Fragen, Aus- sagen, Dialoge oder Sprüche, die dem Schüler zu lösen aufgegeben werden. Ein .ǀDQ ergibt erst einmal überhaupt keinen oder nur wenig Sinn (wie z.B. die Frage „Welchen Schall erzeugt eine einzelne klat- schende Hand?“). Die Unmöglichkeit, ein .ǀDQ logisch zu lösen, soll den Verstand an seine Grenzen führen und damit Voraussetzungen für einen Sprung zu Satori schaffen. Im Gegensatz zum Nirvana kann Satori im Hier und Jetzt erfahren werden. Satori kann dabei ein zeitlich sehr begrenztes kurzfristiges Erlebnis sein oder eine lang andauernde Erfahrung. (Anmerkung: Es gibt auch buddhistische Richtungen wie z.B. dem 1LFKLUHQ-Buddhis- mus, die die Möglichkeit einer Erleuchtung im Diesseits lehren).

Exkurs: Zen-Gärten Sichtbares Zeichen für Zen sind die charakteristischen Gärten, die PDQ]XP%HLVSLHODQYLHOHQ7HPSHODQODJHQ¿QGHWZen-Gärten sind Der „Goldene Pavillon“ (jap.: Kinkaku-Ji) ist eines der beliebtesten Fo- in der Regel recht karge Steingärten, in denen Steine im Raum plat- tomotive Japans. Es handelt sich dabei um einen buddhistischen Tempel ziert und darum herum Linien gezogen sind, die den Weg des Wassers des 5LQ]DL=HQ, den ASHIKAGA YOSHIMITSU 1397 nach seinem Rücktritt als durch die Natur symbolisieren. Die Linien sind dabei so angelegt, 6KǀJXQ errichten ließ und der nach seinem Tod 1408 in den Besitz der Rin- dass weder Anfang noch Ende erkennbar sind und sich die Gedanken ]DL-Sekte überging. Das durch Brandstiftung 1950 völlig zerstörte Bauwerk des Betrachters im wahrsten Sinne des Wortes darin verlieren. wurde 1955 wieder aufgebaut und ist seit 1994 UNESCO Weltkulturerbe.

der budoka 5/2012 29 Zen und die Kampfkünste (0XJD) und seine Aufmerksamkeit nicht auf eine Stelle zu heften (0XVKLQ)“ steht in dieser deutschen Übersetzung der Begriff „unbe- Für den Zen-Meister ist es nach viel Übung möglich, seine den Geist wegt“. Üblicherweise wird dies auf japanisch mit )XGǀVKLQ oder der beschränkenden Emotionen und Gedanken regelrecht von sich abfal- „unbewegte Geist“ bezeichnet. Dieser Bewusstseinszustand ist Vo- len zu lassen. Dies machte Zen für den Kriegerstand äußerst interes- raussetzung für intuitives Handeln (0XL oder chinesisch :XZHL). sant, da man einen Geisteszustand erreichen kann, der intuitives und spontanes Handeln ermöglicht. Zen liefert also in diesem Sinn eine Die

Doch dies beschreibt nur die Nutzbarmachung des Zen als Übungs- Isshin - etwas von ganzem Herzen tun methode für die Kampfkünste. Es gibt aber genauso den umgekehrten Weg, nämlich die Kampfkunst als Übungsmethode für Zen. Aus die- 0XVKLQ bezeichnet in erster Linie einen Bewusstseinszustand im Vor- ser Perspektive wird die Kampfkunst wie auch die oben angeführten feld einer Handlung, um frei und spontan agieren bzw. reagieren zu anderen Künste Kalligraphie (6KǀGǀ), Malerei (*DGǀ) oder die Tee- können. Diese Aktionen/Reaktionen dürfen selbstverständlich nicht zeremonie (6DGǀ) zu einem Zen-Weg. halbherzig erfolgen. Im Buddhismus gibt es hierfür den Ausdruck ,VVKLQ, was übersetzt „das eine Herz“ bedeutet. Es meint ein Agieren Die Verbindung zwischen Zen und den Kampfkünsten ist also eine mit maximalem Einsatz und in vollkommenem Zusammenspiel von wechselseitige - wenn die Kampfkunst entsprechend betrieben wird. Körper und Geist. ,VVKLQ kennt keine Zweifel - nur höchste Entschlos- senheit. 0XJD0XVKLQ0XL- die Leere, die nicht leer ist Die Überschrift nennt drei wichtige Begriffe, die alle einen gemeinsa- - aufmerksame Kontrolle auch nach der Aktion men Wortbestandteil haben: das PX, was „leer“ oder „ohne“ bedeutet. Während ,VVKLQ den Bewusstseinszustand während einer Aktion be- Grob übersetzt kann man folgendermaßen übersetzen: schreibt, bezieht sich =DQVKLQ auf die Phase nach einer Aktion. Es ist 0XJD: ohne/kein Selbst ein Zustand von umfassender Aufmerksamkeit, der nach einer Aktion 0XVKLQ: ohne/kein Geist mit ,VVKLQ sofort wiederhergestellt werden muss, damit man im Falle 0XL: ohne/keine Absicht eines Falles einem neuerlichen Angriff begegnen kann. =DQVKLQ in diesem Sinn ist die mentale Komponente einer Kontrolle nach der Der letzte der drei Begriffe - 0XL- ist nicht genuin Zen, sondern eigenen Aktion und hat, was die Loslösung vom Konkreten betrifft, daoistisch und wird dort mit dem chinesischen :XZHLbezeichnet. große Ähnlichkeit mit 0XVKLQ. Dies ist nicht weiter verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Zen ur- sprünglich in China aus einer Verbindung von Buddhismus und Dao- =DQVKLQ zeigt sich im Bogenschießen in der Beobachtung des Pfeils ismus entstanden ist. nach dem Abschuss, im Schwertkampf in der Beobachtung des Geg- ners nach einem Treffer und beim -njGǀ in der Kontrolle von 8NH nach Für den Ausgang eines Kampfes ist es von entscheidender Bedeu- dem Wurf oder einer .DWDPHZD]D. tung, dass man seine Emotionen so weit unter Kontrolle hat, dass sie (Fortsetzung folgt) NHLQHQQHJDWLYHQ(LQÀXVVDXIGDV*HVFKHKHQKDEHQ,GHDOHUZHLVHKDW man gar keine Emotionen, vor allem keine Angst zu verlieren. Denn Anmerkungen dies mag bei einem sportlichen Zweikampf nur zu einer Niederlage führen, auf dem Schlachtfeld oder bei einem Duell, insbesondere bei (1) Bei der Demonstration verschiedener Kampfkünste durch Ver- einem Schwertkampf, sind Emotionen wie Angst, aber auch Über- treter des 1LSSRQ%XGǀNDQ im November 2011 in Düsseldorf wur- mut, jedoch unter Umständen tödlich. 0XJD, das „Ohne-Selbst“, de auch

Einer der bedeutendsten Zen-Meister der 7RNXJDZD-Periode, 7$.8 $16ƿ+ƿ (1573-1645), schrieb in einem langen Brief an <$*<Nj08 1(125,, den Schwertmeister des dritten Shoguns 72.8*$:$,(0,768 folgende Erläuterung: Ä8QEHZHJWHV %HJUHLIHQ LVW GDV EHZHJOLFKVWH 'LQJ GHU :HOWHV LVW EHUHLW LQ MHGH GHQNEDUH 5LFKWXQJ ]X JHKHQ XQG KDW GRFK NHLQHQ (LQKDOWHSXQNW  8QEHZHJWEHGHXWHWRKQH$XIUHJXQJ]XVHLQGLH $XIPHUNVDPNHLWQLFKWDXIHLQH6WHOOH]XKHIWHQXQGVLHGRUWÄHLQKDO WHQ³ODVVHQVRQVWN|QQWHVLHVLFKQLFKWDQGHUHQ6WHOOHQ]XZHQGHQGLH RKQH8QWHUODVVDXIHLQDQGHUIROJHQ6RZLHHLQ*HJHQVWDQGYRU'LU HUVFKHLQWZLUVW'XLKQJDQ]YRQVHOEHUZDKUQHKPHQDEHU'XGDUIVW QLFKWEHLLKPHLQKDOWHQ³(aus *2(57= 1994).

7$.8$1 fasst hier wunderbar prägnant den idealen Bewusststeinszu-

30 der budoka 5/2012 (LQKHLWYRQ.|USHUXQG*HLVWDQJHVWUHEW'DVK|FKVWH=LHOLVWGDEHL LQVSRQWDQHU$QSDVVXQJDQGLH8PVWlQGHGHV.DPSIHVDNWLYXQGEH IMPRESSUM KlQGH]XDJLHUHQXQGGHQ$QJULIIHQGHV*HJQHUVGDGXUFKLQVROFKHU 9ROONRPPHQKHLW]XEHJHJQHQGDVVHVXQQ|WLJZLUGLKQ]XW|WHQ'DV „der budoka“ - Verbandsmagazin des Dachverbandes für 6FKZHUWXUVSUQJOLFKHLQHWRGEULQJHQGH:DIIHZLUGVRPLW]XHLQHP Budotechniken Nordrhein-Westfalen e.V. 6FKZHUWGHU6DQIWPXWXQG*QDGH³ 40. Jahrgang 2012 Die Formulierung ist natürlich neuzeitlich, jedoch wird im Text noch Herausgeber, Verlag, Redaktion, Anzeigen- und Abo- einmal sehr schön das Element spontaner Anpassung beschrieben. verwaltung: (2) Die Tatsache, dass einige Konzepte des Kämpfens aus Begriffen Dachverband für Budotechniken Nordrhein-Westfalen e.V. des Zen hergeleitet wurden, bedeutet nicht, dass alle Schüler und Postfach 10 15 06 Meister der Kampfkünste Anhänger und Praktizierende des Zen- 47015 Duisburg Buddhismus gewesen sind. Es bedeutet auch nicht, dass alle Schulen Friedrich-Alfred-Str. 25 diese Konzepte in ihre Lehren integriert haben. Es darf auch nicht un- 47055 Duisburg erwähnt bleiben, dass auch die anderen buddhistischen Schulen über Telefon: 02 03 / 73 81 - 6 26 eine Bewusstseinslehre und Methoden der Versenkung/Meditation Telefax: 02 03 / 73 81 - 6 24 (vgl. „Achtfacher Pfad“) verfügen. E-Mail: [email protected] www.budo-nrw.de Neue Forschungsergebnisse belegen z.B., dass westliche Veröffent- Redaktionsleitung: Erik Gruhn (verantwortlich) lichungen, wie z.B. (8*(1 +(55,(*(/s „Zen in der Kunst des Bo- genschießens“, die Verbindung zwischen Zen und den Kampfkünsten E-Mail: [email protected] KlX¿JDOVHWZDV]XDOOJHPHLQGDUJHVWHOOWKDEHQ Redaktionsschluss: der 1. des Vormonats Diese Befunde relativieren die Bedeutung des Zen für die Kampf- ISSN 0948-4124 künste lediglich - sie rütteln jedoch nicht daran, dass einige sehr bedeutende Schulen Zen-Gedanken in ganz erheblichem Maß in die Druck: eigene Lehre integriert haben. SET POINT Schiff & Kamp GmbH Moerser Str. 70 (3) Das längere Sitzen im Kniesitz (6HL]D) zu Beginn und am Ende 47475 Kamp-Lintfort eines Trainings im -njGǀ und in anderen Kampfkünsten ist eine geis- tige Einstimmung, bzw. ein geistiger Ausklang einer Übungseinheit, Anzeigenpreise: Preisliste Nr. 5 vom 1.5.2011 bei der ganz im Sinne des Zen Emotionen und Gedanken abgelegt Erscheinungsweise: monatlich, 10 x im Jahr und der Geist geöffnet werden soll. Mit Namen gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt (4) Die Abfolge 0XVKLQ - ,VVKLQ - =DQVKLQ beschreibt gewisserma- die Meinung der Redaktion wieder. Für unverlangt eingesandte ßen einen Zyklus von Bewusstseinszuständen, der auch beim Üben Manuskripte, Fotos und Datenträger wird keine Haftung übernom- von Kata im -njGǀ bedeutsam ist. Auf die innere Vorbereitung durch men. Ablegen von Emotionen und Gedanken (0XVKLQ) folgt die konzent- rierte Aktion (,VVKLQ) und danach die Entspannung bei gleichzeitiger Lieferbedingungen: Kon trolle der Situation (=DQVKLQ). Leider wird in der heute anzutref- Jahresabonnement 28,00 € fenden Praxis beim -njGǀ aufgrund der üblichen Eingebundenheit von Bei Bankeinzug ermäßigt sich der Preis für das Jahresabonnement Kata in Bewertungssitutionen (Prüfungen, Kata-Meisterschaften) auf 24,00 €. Bezugsgebühren werden jeweils für das Kalenderjahr eine Problematik geschaffen, in der die Sorge vor fehlerhaften Aus- erhoben. führungen die Übenden dabei eher behindert, ihr Bewusstsein ent- Einzelheftpreis: 3,50 € (zzgl. Versandkosten) sprechend zu entwickeln, als sie darin zu unterstützen. Diesem Trend sollte unbedingt entgegen gewirkt werden. Bei Bestellungen mehrerer Exemplare Konditionen auf Anfrage. (5) Die Sportpsychologie steht heute vor der Aufgabe, die Bewusst- Die Kündigung des Abos ist mit einer Frist von sechs seinszustände und die kognitiven Prozesse in Training und Wettkampf Wochen zum Ende des Kalenderjahres möglich. zu optimieren. Dabei kommt es auch darauf an, das Spannungsfeld „geplante Handlung versus intuitive Handlung“ zu beschreiben. Nach Urheberrechtlicher Hinweis: Erfahrung und Überzeugung des Verfassers ist erfolgreiches Kämp- Das Magazin, alle enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind ur- fen ohne grundlegende Strategie nicht möglich. Diese muss jedoch so heberrechtlich geschützt. Jede Verwendung, die nicht ausdrücklich weit verinnerlicht werden, dass sie im Kampf nur noch allenfalls in vom Urhebergesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustim- Form eines kurzen kognitiven „Blitzlichts“ in die Bewusstseinsebene mung des Verlages. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, dringt. Die Schulung der Intuition ist hierfür bedeutsam, jedoch sind hEHUVHW]XQJHQ0LNURYHU¿OPXQJHQGLH(LQVSHLFKHUXQJXQG derzeit in der Praxis kaum zielgerichtete Konzepte hierzu erkennbar. Verarbeitung in Datensystemen.

Literatur (Auswahl)

%5$81-8/,$1: Der gemeinsame Weg von Schwert und Pinsel: Philosophie und Ethik japanischer Kriegskunst der Tokugawa-Zeit (1603-1868); Dissertation Neue Vereine Tübingen 2006

%5$81-8/,$1: Philosophie Ethik und die Kunst des Kämpfens, 2007 in den Fachverbänden %5$81-8/,$1: Philosophie Ethik und die Kunst des Kämpfens, Bd. 2, 2008 Nordrhein-Westfälischer Judo-Verband e.V. *2(57=(5,.-njGǀGLHÄZHLFKH.XQVW³XQGGLHZLFKWLJVWHQJHLVWHVJHVFKLFKWOL- chen Aspekte, Magisterarbeit Universität zu Köln, 1994 Neuaufnahme: +$1(/7, ./$86: Taschenwörterbuch der Kampfkünste Japans, Verlag Dieter 3001002 (Kreis Herford) Born, 2009 Sportverein Schnathorst 1925 68=8.,, D.T.: Die große Befreiung, Fischer Taschenbuch-Verlag, 1975 Julia Köhler 921'(5*52(%(1$0(11(0(,(5, S.: - Kampf der Giganten, Verlag Uhlandstr. 8 Dieter Born, 2000 32545 Bad Oeynhausen

Tipp: Die Artikel in der Wikipedia zu den religiösen und philosophischen Leh- ren Japans und ganz allgemein Asiens sind ein guter Einstiegspunkt für eine vertiefende Beschäftigung.

der budoka 5/2012 31 Religiöse und philosophische (LQÁVVHDXIGLHWUDGLWLRQHOOHQ Kampfkünste Japans

von Wolfgang Dax-Romswinkel

Teil 2: Daoismus, Konfuzianismus und Neokonfuzianismus

In der letzten Folge haben wir uns mit den beiden großen religiö- HAYASHI RAZAN, einer sen Lehren in Japan, dem 6KLQWǀ und dem Buddhismus befasst und der bedeutendsten die Bezüge zu den Kampfkünsten - soweit sie den Zeitraum bis zur Neokonfuzianischen Gelehrten der Edo-Zeit Meiji-Restauration (1868) betrafen - beleuchtet. In dieser Folge soll es nun nach einigen einführenden Anmerkungen über die Kultur der Samurai um die anderen großen geistigen Strömungen gehen, die die MDSDQLVFKH.XOWXUXQG*HVHOOVFKDIWVWDUNEHHLQÀXVVWKDEHQGHQ'DR- ismus und den Konfuzianismus bzw. den Neokonfuzianismus.

Einleitung: Die Samurai und der gemeinsame Weg von Schwert und Pinsel Spätestens mit Einsetzen der langen Periode relativen Friedens zu Beginn des 17. Jahrhunderts stellte sich für die Kriegerklasse der Sa- murai die Frage nach dem Sinn ihres Daseins. Wozu sind Krieger in Friedenszeiten da? Auf der Suche nach ihrem Selbstverständnis wandten sich viele Samurai verstärkt der Philosophie und den Künsten zu. Hierdurch entstand eine sehr spezielle Kultur der Samurai, die neben den Die konfuzianischen Tugenden: Kampfkünsten unter anderem Theater, Malerei, Kalligraphie und - Menschlichkeit, Philosophie umfasste. Diese Kombination wurde als „%XQEX5\ǀGǀ“ - Gerechtigkeit, bezeichnet, den „gemeinsamen Weg von Schwert und Pinsel“, wobei - ethisches Verhalten, das Schwert als Metapher für den Kampf, der Pinsel als Metapher für - Weisheit und Kunst und Philosophie steht. - Güte VLQG:XU]HOQGHUGDUDXVDEJHOHLWHWHQVR]LDOHQ3ÀLFKWHQ Das Studium der chinesischen Klassiker des Konfuzianismus, Dao- - Loyalität, ismus und des Neokonfuzianismus war obligatorisch für die Ausbil- - kindliche Pietät und dung der Samurai+LQ]XNDPHQQDWUOLFK(LQÀVVHGXUFK6KLQWǀ und - Wahrung der Riten/Umgangsformen. Buddhismus, die das Weltbild der Samurai prägten. :HUVLFKWXJHQGKDIWYHUKlOWXQGGLHVHQVR]LDOHQ3ÀLFKWHQQDFKNRPPW Kämpfen war für die Samurai ein wesentlicher Teil ihrer mensch- löst einen Ausbreitungseffekt auf Familie, Dorf, Provinz, Reich und lichen Existenz, die wiederum als Teil eines universellen Ganzen schließlich die Welt insgesamt aus. Das Verhalten des Einzelnen hat betrachtet wurde. So kann es nicht überraschen, dass das Üben der also immer Wirkung auf die Gesellschaft als Ganzes. Kampfkünste und die theoretischen Konzepte des Kämpfens aus universellen Grundprinzipien des menschlichen Seins und ihrer Ein- Besonders wichtig sind die „fünf menschlichen Elementarbeziehun- gebundenheit in die Grundgesetze des „großen Ganzen“ hergeleitet gen“, die mit Ausnahme der letzten jeweils hierarchische Über- bzw. wurden. Basis hierfür waren die entsprechenden philosophischen und Unterordnungsverhältnisse beschreiben, und für die es in beide Rich- religiösen Lehren, die für den Bereich des Kämpfens und der Strate- tungen klare Verhaltensregeln gibt: gie interpretiert und angewendet wurden. - Vater ¥ Sohn Konfuzianismus und Neokonfuzianismus - Herrscher ¥ Untertan - Ehemann ¥ Ehefrau Der Konfuzianismus blickt auf eine rund 2.500-jährige Tradition der - älterer Bruder ¥ jüngerer Bruder Lehre zurück. Begründer ist - wie schon der Name sagt - KONFUZIUS, - Freund ¥ Freund der vermutlich 551-479 v. Chr. gelebt hat und dessen Gedanken die ostasiatischen Gesellschaften maßgeblich geprägt haben. Ein weiterer wichtiger chinesischer Gelehrter war MENGZI (um 370-290 v. Chr.). Der Konfuzianismus ist im Kern eine philosophische Morallehre und beschreibt neben dem, was tugendhaftes Verhalten ausmacht, die Rolle des Einzelnen in der Gesellschaft. Grob vereinfacht kann man sagen, dass der Buddhismus mehr von der Entwicklung des In- dividuums her denkt (Ziel: Erleuchtung und Befreiung von Leid), der Konfuzianismus den Ansatz mehr von der Gesellschaft her hat (Ziel: der Entwicklung der Gesellschaft dienen). In Wirklichkeit sind Der lehrende aber beides ganzheitliche Lehren mit einigen Überschneidungen. Die Konfuzius Grundlagen der konfuzianischen Lehren lassen sich folgendermaßen (Bild aus dem 8. beschreiben: Jahrhundert)

der budoka 6/2012 17 Das Eingangstor zu

Auf dieser Basis aufbauend konnten sich Gesellschaftslehren entwi- Ab dem Beginn des 17. Jahrhunderts wurde der Neokonfuzianismus ckeln, die nicht nur kleine soziale Gruppen betrafen, sondern auch LQ-DSDQ]XURI¿]LHOOHQ6WDDWVSKLORVRSKLHXQGELOGHWHGLH*UXQGODJH das gesamte Staatswesen. Der Konfuzianismus entwickelte sich so der Gelehrten- und auch der Samurai-Bildung - nicht zuletzt um das zu einer Staatsphilosophie, aus der sich nicht nur das Ideal einer neue Herrschaftssystem der 6KǀJXQH ideologisch zu legitimieren und Gesellschaft ableitete, sondern aus der Leitlinien für das politische um nach langen Phasen politischer Wirren eine stabile Gesellschafts- Handeln entnommen wurden. Insofern ist es strittig, ob man den Kon- form aufzubauen. fuzianismus als Religion bezeichnen sollte. Der Konfuzianismus hat jedoch schon sehr früh Elemente des Daoismus mit in seine Lehre aufgenommen - z.B. das Buch der Wandlungen als einen seiner 13 ka- QRQLVFKHQ.ODVVLNHUVRGDVVVHLQH.ODVVL¿]LHUXQJDOV5HOLJLRQDXFK begründbar ist. Konfuzianische Vorstellungen kommen in den Kampfkünsten im Ver- hältnis Lehrer ¥ Schüler (Sensei/Deshi), älterer Schüler ¥ jüngerer Schüler (Sempei/Kohei) und in der Etikette zum Ausdruck. Letztlich ist das gesamte soziale Gefüge und der Umgang miteinander konfu- zianisch geprägt.

Reform des Konfuzianismus und Entwicklung des Neokonfuzi- anismus Als Neokonfuzianismus werden umfassende Lehren bezeichnet, die sich ab dem 11. Jahrhundert in China aus dem Konfuzianismus unter (LQÀXVVGHV'DRLVPXVXQGDXFKGHV%XGGKLVPXVHQWZLFNHOWHQ9HU- schiedene Strömungen unterscheiden sich vor allem in ihrem Verhält- nis zum Buddhismus. Ein wichtiges Element der Lehre ist die Vorstellung von einem „obersten, allumfassenden Prinzip“ Li (japanisch Ri) als Grundla- ge der Ordnung der Welt, die ihrerseits in der Wechselwirkung von Die Haupthalle von

18 der budoka 6/2012 HAYASHI RAZAN distanzierte sich mit zunehmendem Alter vom Bud- dhismus und versuchte stattdessen, konfuzianische Ideen mit 6KLQWǀ zu verbinden. Außerdem setzte er sich kritisch mit dem Christentum auseinander. Christen - das sei nebenbei bemerkt - wurden während der (GR-Zeit massiv verfolgt, da die Idee des „alle Menschen sind von Geburt an gleich“ nicht mit den Ideen der Ständegesellschaft kompatibel war und eine Verbreitung des Christentums eine große Gefahr für die damalige japanische Gesellschaftsordnung gewesen wäre. Einen wichtigen Beitrag zu Theorien des Kämpfens bietet der Neo- kunfuzianismus durch die Adaption daoistischer Gedanken. Diese sollen im Folgenden ausführlicher dargestellt werden.

Daoismus Der Daoismus (manchmal auch „Taoismus“) steht für eine große Vielfalt religiös-philosophischer Lehren, die sich etwa im 4./5. Jahr- Detailaufnahme einer Großkatze auf dem Dach der Haupthalle von hundert vor unserer Zeitrechnung in China gebildet haben.

Das Dao Im Kern der Lehre steht das Dao (oder Tao), das mit demselben Schriftzeichen geschrieben wird wie das japanische 'ǀ, das nebenbei bemerkt auch im Buddhismus Bedeutung erlangt hat oder als Wortteil des 6KLQWǀ]X¿QGHQLVW'DVDao steht: - für einen Weg, einen Prozess, einen Verlauf oder ganz allgemein für den „Gang der Zeit“ oder den „Lauf der Dinge“ und die in allem waltende Gesetzmäßigkeit Ri (chin. Li) - für das unbegrenzte Ganze, das sich aufgrund seiner Universalität nicht beschreiben lässt.

Die yin-yang-Lehre und die Wandlungen Zentrale Aspekte des Dao sind yin und \DQJ (japanisch in und \ǀ da aber das chinesische \LQ\DQJ in Europa bekannter ist, wird im Folgenden die chinesische Schreibweise verwendet). Yin und \DQJ stehen für die Dualität entgegen gesetzter Pole, die erst in einer sich ergänzenden Kombination das Ganze ergeben. In der daoistischen Mythologie entstanden yin und \DQJ als sich Himmel und Erde ge- trennt haben. Die Welt, so wie sie vorgefunden wird, ist also eine Die Konfuziusstatue auf dem Gelände von

der budoka 6/2012 19 Das bekannte Symbol von yin WHQ ]XQHKPHQG$QKlQJHU ¿QGHW :HU GDJHJHQ YHUVW|‰W EULQJW yin und \DQJ Der Kreis steht für das und \DQJ aus der Balance und richtet damit Schaden an. Ganze, die helle Seite für yang, die dunkle für \LQ Die kleinen Kreise Bezogen auf die Kampfkünste meint :XZHL ein Verhalten, dass sich deuten an, dass yang immer auch dadurch auszeichnet, nichts erzwingen zu wollen, sondern sein Han- yin in sich trägt und umgekehrt. deln in Einklang mit dem natürlichen Fluss der Bewegung - der eige- nen wie der des Gegners - zu bringen. Damit ist :XZHL ein zentrales Element aller Lehren des Nicht-Widerstehens in den Kampfkünsten und hat - wie könnte es anders sein - eine körperliche und eine menta- le Seite. Um letztere zu entwickeln, kann Zen eine hilfreiche Methode sein.

Daoistische Vorstellungen in theoretischen Konzepten des Kämpfens Aus diesem Beispiel der Jahreszeiten folgt, dass yin und \DQJ nicht Yin, Yang und der Gebrauch der vitalen Energie Ki auf zwei extreme Pole beschränkt sein müssen, sondern auch Zwi- schenstadien bilden können (kleines/großes yin bzw \DQJ). In den 'HQVKǀ (Überlieferungsschriften) zahlreicher Schulen des .RU\njMnjMXWVX wird auf yin und \DQJ Bezug genommen. Aufgrund Die Anwendung von yin und \DQJ auf die Jahreszeiten deutet schon der großen Bedeutung von .LWǀU\njfür das -njGǀ soll im Folgenden an, dass Wandlungen zentral für die Lehre des Daoismus sind. Auf yin auf Texte des .LWǀU\njin der Übersetzung von JULIAN BRAUN (2007) folgt stets \DQJ und umgekehrt. Seien es nun der Tag-Nacht-Rhyth- zurückgegriffen werden. So heißt es in der Schriftrolle des Himmels mus, die Jahreszeiten oder Bewegung und Ruhe. Aus dieser grundle- (Ame-no-maki): genden Erkenntnis entstand die Vorstellung der fünf Wandlungspha- sen (jap. *RJ\ǀ), die eine Ausdifferenzierung und Erweiterung des Ä.LWǀEHGHXWHWDXIULFKWHQ RNLUX XQGQLHGHUZHUIHQ WDRUX .L $Q- dualen Modells von yin und \DQJ auf fünf Zustände ist. Das „Buch PHUNXQJQLFKWPLWGHUYLWDOHQ(QHUJLHYHUZHFKVHOQ LVWHLQH(UVFKHL- der Wandlungen“ (,JRQJ) ist zentrales Werk dieser Lehre. QXQJVIRUPGHV

Ki - „Motor“ der Wandlungen Die Vorstellungen von Ki (Chinesisch Qi oder Chi) sind ebenfalls zentral im Daoismus. In den japanischen Kampfkünsten begegnet uns das Ki z.B. als Teil zusammengesetzter Begriffe wie Kiai oder Aiki. Aus China stammen Systeme wie Tai-Chi oder 4LJRQJ. Ki/Qi/Chi ist also ein zentraler Begriff in den Kampfkünsten Chinas und Japans. Ki ist nach daoistischer Vorstellung allen Dingen des Universums eigen. Es wird oft als „vitale Energie“ oder auch als „Lebenskraft“ GH¿QLHUW 'D QDFK GDRLVWLVFKHU 9RUVWHOOXQJDOOH 'LQJH GHU :HOW LQ ständigem Wandel zwischen yin und \DQJ begriffen sind (s.o.), kann man Ki aber auch als treibende Kraft der Wandlungen verstehen. Ki ist somit das allen Dingen innewohnende Potenzial zur Veränderung, das gleichsam einem Pendel zwischen yin und \DQJ schwingt und so die Wandlungen herbeiführt. In diesem Sinn widerspricht die Vorstellung von Ki überraschender- weise nicht einmal unserem modernen naturwissenschaftlichen Ver- ständnis von Energie, denn diese wird in den Naturwissenschaften als Ä)lKLJNHLW]XU9HUULFKWXQJYRQ$UEHLW³GH¿QLHUW0LWMHGHU$UEHLWLP physikalischen Sinn ist aber nichts anderes als eine Zustandsände- rung verbunden - also eine Form von Wandlung. In einem geschlos- senen System ist darüber hinaus die Menge an enthaltener Energie immer konstant, denn Energie wird bei Verrichtung von Arbeit stets nur von einer Form in eine andere umgewandelt.

Wu-wei (japanisch Mu´i) Der letzte zentrale Begriff des Daoismus, der an dieser Stelle behan- delt werden soll, ist :XZHL. Es wird meist als „Handeln durch Nicht- Handeln“ oder als „absichtsloses Handeln“ übersetzt. Dies trifft aber die Natur von :XZHL nur unzureichend. :XZHL bezeichnet vielmehr ein Handeln in Übereinstimmung mit dem Dao, also ein den natürli- chen Wandlungen folgendes Agieren. :XZHL ist der fernöstliche Gegensatz des „dominum terrae“, dem göttlichen Auftrag des Alten Testaments an den Menschen, sich die Erde Untertan zu machen und über sie zu herrschen. Gerade dies soll der Mensch nach daoistischer Auffassung nicht tun, sondern stets im

Einklang mit dem natürlichen Lauf der Dinge handeln. Es geht also LAOTSEZLUGKlX¿JUHLWHQGDXIHLQHP:DVVHUEIIHOGDUJHVWHOOW$XI darum, nichts Unnatürliches zu erzwingen und sich nicht gegen die diesem Bild hält er eine Schriftrolle mit dem „Tao-te-King“ in der Gesetze des Universums zu stellen - eine Geisteshaltung, die im Wes- Hand.

20 der budoka 6/2012 Diese im chinesischen Quanzhou vor rund 900 Jahren aus einem sieben Meter breiten und fünf Meter hohen Fels gehauene Sta- tue von LAOTSE war früher einmal Teil eines heute nicht mehr vor- handenen Tempels.

Schon dieser erste Satz weist deutlich auf den Daoismus als philoso- Lässt man einmal die esoterisch anmutenden Passagen beiseite, stellt phisches Bezugssystem hin. In der Schriftenrolle der Erde (Chi-no- man fest, dass der Kern der Aussagen darin besteht, dass die gegen maki) wird erklärt, was denn konkret in der Bewegung unter yin und einen Gegner einzusetzende Kraft aus dem ganzen Körper, insbeson- \DQJ verstanden wird: dere aus der Körpermitte heraus entwickelt und aufgebaut werden muss. Körperhaltung, Körperspannung und Bewegungsverlauf - ins- Ä'LH LQQHUH (QHUJLH NL  HUIOOW GHQ .|USHU'DV ([SDQGLHUHQ GHU besondere die Kontrolle des Körperzentrums - sind hierfür von ele- (QHUJLH ZLUG \DQJ JHQDQQW GDV 6DPPHOQ GHU (QHUJLH EH]HLFKQHW mentarer Bedeutung. Der Kraftverlauf einer idealen Technik nimmt PDQDOV\LQ³ daher in der Körpermitte ihren Ursprung. Es wird also auf zwei Zustände verwiesen, die mit einem unterschied- Das Fließen des Ki ist natürlich nur eine bildhafte Beschreibung, kein lichen Verhalten von KiGH¿QLHUWZHUGHQXQGGLHVHOEVWYHUVWlQGOLFK naturwissenschaftlicher Sachverhalt. Jedoch lassen sich die daraus in einer Abfolge zueinander stehen - oder anders ausgedrückt: sich abgeleiteten Konsequenzen auch mit physiologischen und biomecha- VWlQGLJLQ:DQGOXQJEH¿QGHQ:LHNRPPWDEHUQXQHLQH%HZHJXQJ nischen Begriffen erklären. Analysiert man z.B. verschiedene Wurf- ]XVWDQGH",QGHU6FKULIWHQUROOHGHV+LPPHOV¿QGHQZLU techniken oder Atemi-waza mit Hilfe der Newton´schen Mechanik Ä'HU8QWHUVFKLHG]ZLVFKHQ:LOOH(QHUJLHXQG.UDIWLVWQXUVFKZHU und des Modells kinematischer Ketten, kommt man zu ähnlichen LQ :RUWH DXV]XGUFNHQ %HVSULFKW PDQ VLH GDKHU JHWUHQQW VR HQW- Ergebnissen. VSULFKWGHU:LOOHGHP:XQVFKQDFKHWZDVPLWGHU+DQG]XJUHLIHQ ZlKUHQGGLH(QHUJLHGHP:LOOHQIROJWXQGGLH%HZHJXQJOHLWHW'DV Yin, Yang und der günstigste Moment des Angriffs +RFKKHEHQGHU'LQJHHUIROJWGXUFKGLH.UDIWGLHGHU(QHUJLHIROJW Das Grundprinzip der Kampfführung nach der Vorstellung von yin XQGVLFKDQGHPHQWVSUHFKHQGHQ2UWVDPPHOW³ und \DQJ ist denkbar einfach. Wenn der Gegner angreift, weicht man Nach traditioneller Lehre konzentriert sich die Lebenskraft der Men- zurück, wenn sich der Gegner zurückzieht, greift man an. Man ver- schen (Ki) im Dantien, einem Punkt kurz unterhalb des Bauchnabels. hält sich also immer komplementär zu seinem Gegner oder als An- Kraftvolle Bewegungen - seien es Angriffs- oder Abwehraktionen - weisung ausgedrückt: „Wenn der Gegner \DQJ ist, begegne ihm yin, nehmen ihren Ursprung daher in +DUD (wörtlich: „Bauch“). Erklärt wenn der Gegner yin ist, begegne ihm \DQJ³%HLGH*HJQHUEH¿QGHQ wird das damit, dass das Ki eines Menschen sich im Dantien - also sind dadurch alternierend und komplementär in stetigem Wandel zwi- in der Bauchregion - sammelt und von dort aus z.B. zur Hand oder schen yin und \DQJ. zum Fuß „strömt“. Entsprechend gibt es Anweisungen, das Ki von Wenn sich beide immer entsprechend verhalten, neutralisieren sie +DUD]%]XGHQ+lQGHQÀLH‰HQ]XODVVHQXPHLQHNUDIWYROOH$NWLRQ sich gegenseitig und niemand kann gewinnen. Der Weg zum Sieg durchzuführen. In Chi-no-maki heißt es weiter: ergibt sich daher durch Variation des äußeren wie inneren Rhythmus. ÄZHQQHLQHU7HFKQLNGLH.UDIWYRUDQJHKWLVWGHU6FKDGHQKlX¿J Jeder -njGǀND mit viel 5DQGRUL-/Kampferfahrung weiß, dass sich Pha- VHKUJUR‰'HVKDOEVROOPDQGLH.UDIWYHUZHUIHQXQGVLFKQXULP*H- sen abwechseln, in denen der Gegner angreifen kann oder auch nicht. EUDXFKGHU(QHUJLHEHQ³ So ist z.B. im Moment des Übergangs vom Ausatmen zum Einatmen Es wird auch erläutert, woran man erkennen kann, ob man eine Tech- ein kraftvoller Angriff nicht möglich. Wenn der Gegner also bis zum nik mit Ki oder mit Kraft durchgeführt hat: Beginn des Ausatmens nicht angegriffen hat, wird er es nicht tun, bevor er erneut eingeatmet hat. Dasselbe gilt natürlich auch für einen Ä'HU*HEUDXFKYRQ(QHUJLHXQG.UDIWXQWHUVFKHLGHWVLFKGDGXUFK selbst. Erfahrene -njGǀND spüren dies genau. :HQQ GLH 7HFKQLN OHLFKW PKHORV XQG XQEHIDQJHQ LVW NRPPW GLH (QHUJLH]XP7UDJHQGLHVLVWZQVFKHQVZHUW(LQHVFKZHUHXQGVWDUUH Für jeden der Kämpfenden gilt es nun, diesen „inneren Wandel“ des $XVIKUXQJDEHU]HLFKQHWGHQ(LQVDW]YRQ.UDIWDXVGLHVLVWXQEH- Gegners zu spüren, ihn den eigenen Rhythmus umgekehrt jedoch GLQJW]XYHUPHLGHQ³ nicht spüren zu lassen und dabei den eigenen Rhythmus so auf den des Partners abzustimmen, dass man im Zustand eigener Stärke den Gegner im Zustand von dessen Schwäche angreifen kann. Dabei gilt

der budoka 6/2012 21 es zu bedenken, dass ein Zustand von Schwäche und Angreifbarkeit PLWHLQHP6HLODEJHWUHQQWH.DPSIÀlFKHHLQJHKHLOLJWHU2UWXQGGDV oft auf einen Angriff oder auf die Verteidigung gegen einen Angriff Streuen des Salzes symbolisiert Reinheit (reinigende Wirkung des folgt. Dies ausnutzend lässt sich ein Gegner auskontern oder durch Salzes). Des Weiteren gehen viele traditionelle 'ǀMǀ-Aktivitäten, wie Kombinationen überwinden. z.B. .DJDPL%LUDNL, auf 6KLQWǀ-Bräuche zurück. Günstige Momente für einen Angriff kann man also recht gut durch Buddhismus setzt die Kampfkünste in den Kontext der Entwick- das Modell der Wandlungen beschreiben. lung des Menschen, verweist also auf die persönlichkeitsbildende Funktion der Kampfkünste. Durch Lösen vom Ego gelingt ein den Mu´i (Wu-wei) und das intuitive Handeln Umständen des Kampfes angepasstes Verhalten. Dieses setzt an der buddhistischen Bewusstseinslehre an. Zen-Buddhismus lieferte hier- Die oben beschriebene Kampfweise setzt voraus, dass man sich in zu Begriffe und Übungsmethoden. Gleichzeitig können Kampfkünste den Gegner hineinfühlt - körperlich, aber auch mental. Man spürt auch so betrieben werden, dass sie zu Zen-Wegen werden. sich, den Gegner und muss seine Aktionen komplementär mit dem Zustand des Gegners synchronisieren. Dies kann man unmöglich Konfuzianische Vorstellungen bestimmen das soziale Gefüge und erzwingen, sondern nur in einem natürlichen Fluss steuern. Hierzu GHQ8PJDQJPLWHLQDQGHUXQG¿QGHQLKUHQlX‰HUHQ$XVGUXFNLQGHU muss man sich seiner Intuition anvertrauen. Voraussetzung dafür ist Etikette. Der Neokonfuzianismus integriert viele der anderen Lehren aber, dass man sich von seinen Gefühlen und Gedanken lösen kann und ist die philosophische Basis des %XVKLGǀ des 17.-19. Jahrhun- (0XJD0XVKLQ, s. letzte Folge). In diesem Zustand kann man nun derts. ganz der Situation angepasst agieren. Die Strategien des Kämpfens werden durch ursprünglich daoistisches -nj, aiki und Kiai Gedankengut beschrieben. Im Mittelpunkt stehen dabei die Wandlun- gen (yin/\DQJ) und die Vorstellung vom „Weichen, das das Harte“ 1DFKJLHELJXQGÀH[LEHO]XUHDJLHUHQZLUGLQGHQMDSDQLVFKHQ.DPSI- besiegt. Dies gelingt vor allem durch Mu´i (:XZHL), dem Agieren im künsten allgemein als Mnj bezeichnet, was mit „weich“ oder „sanft“ Einklang mit dem natürlichen Lauf der Dinge. Da der Daoismus als nur unzureichend übersetzt wird. Unter Verwendung der Vorstellung eigenständige Lehre in Japan kaum Fuß gefasst hat, ist sein Gedan- von yin und \DQJ kann man MnjMHGRFKHWZDVDQGHUVGH¿QLHUHQMnj be- kengut durch Integration in den Neokonfuzianismus in die Gesell- deutet danach yin mit \DQJ und \DQJ mit yin begegnen. schaft transportiert worden. Dieser war wiederum als Staatsideologie in der Bildung der Samurai der (GR-Zeit omnipräsent. Da yin und \DQJ nichts weiter als Bezeichnungen für unterschiedliche Zustände von Ki sind, lässt sich nun auch der Begriff aiki (von Ai: Anmerkungen: Harmonie) erklären. Das eigene Ki muss mit dem des Partners in Har- monie gebracht werden. Harmonie meint damit das „Große Ganze“, (1) Einige Elemente des Daoismus gelangten bereits im 6./7. Jahr- das nur in der komplementären Ergänzung besteht. Letztlich sind Mnj KXQGHUWQDFK-DSDQXQGEHHLQÀXVVWHQGLHDQGHUHQ/HKUHQVRGDVVVLFK und aiki dasselbe - nur die Perspektive der Betrachtung ist eine ande- daoistisches Gedankengut bereits in frühen Formen des 6KLQWǀ und re. Klassischerweise wird Mnj über die äußeren Umstände der Aktion GHVMDSDQLVFKHQ%XGGKLVPXV¿QGHQ (Bewegung, Kraftrichtung usw.) beschrieben, während aiki auf die inneren Umstände der Aktion bezogen ist. (2) Ein zentrales Element des Daoismus und des (Zen-)Buddhismus ist Ganzheitlichkeit, die in den Begriffen Dao, 1LUYDQD und Satori Dreht man die Wortbestandteile von aiki in der Reihenfolge um, er- steckt. Allen drei ist gemeinsam, dass man sie nicht logisch-intellek- hält man Kiai. Wahrnehmbares Zeichen eines Kiai ist ein „Kampf- tuell erfassen und erklären kann. Schon Aristoteles wird die Erkennt- schrei“, der bei höchster körperlicher Anstrengung entsteht, wenn nis „das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“ zugesprochen. schlagartig durch Kontraktion der Rumpfmuskulatur Luft aus der Der westlich-wissenschaftliche Ansatz ganzheitlicher Betrachtungen Lunge herausgepresst wird. Da wie oben dargelegt bei einem Einsatz EHVWHKW PHLVW LP %HPKHQ DOOH (LQÀXVVIDNWRUHQ DXI HLQ %HWUDFK- von Ki die Kraftentfaltung in der Körpermitte beginnt und von dort tungsobjekt möglichst genau und in ihren Wechselwirkungen zu er- ]XU.|USHUSHULSKLHULHÄÀLH‰W³LVWHLQKiai in der Tat ein Zeichen da- fassen - ein Vorgehen, das nach fernöstlicher Philosophie fehlgehen für, dass die Aktion „aus +DUD heraus“ erfolgt ist. Mentale Vorausset- muss. Nach fernöstlicher Sichtweise steht hinter allem ein einziges zung für einen Kiai ist Isshin oder das „Handeln mit ganzem Herzen“. universelles Prinzip.

Zusammenfassung: Welche Lehren haben welche Bereiche der (3) Die Unterfütterung der Kampfkünste mit theoretischen Konzep- .DPSINQVWHEHHLQÀXVVW" ten war erst möglich, nachdem ein entsprechender Bildungsstand bei den Samurai vorhanden war. Von daher ist es kein Zufall, dass der So, wie die unterschiedlichen Schwerpunkte der Lehren aufgrund ih- Beginn einer fortschreitenden Ausdifferenzierung der Kampfkünste rer zahlreichen Verknüpfungen nur sehr pauschal angegeben werden in die zahlreichen 5\njKD und die Entwicklung einer standestypischen können, so können auch die Bereiche der Kampfkünste, in denen sie Bildung der Samurai zeitlich in dieselbe Epoche - nämlich das 17. sich zeigen, nur allgemein angedeutet werden. Dennoch ergibt sich Jahrhundert - fällt. durchaus ein Bild von relativ klarer Struktur. (4) Das Kämpfen und damit die Kampfkünste wurden in der (GR-Zeit 6KLQWǀ begegnet uns zum Beispiel in der Gestaltung des klassischen durch die Theoriebildung aus den damaligen Welterklärungsmodel- 'ǀMǀ, das einen .DPL]D für die Gäste und oft einen kleinen 6KLQWǀ- len als Mikrokosmos des menschlichen Daseins betrachtet. Insofern Altar hat. Von allen Kampfkünsten am stärksten mit dem 6KLQWǀ ver- wurde ihnen zumindest teilweise eine wichtige erzieherische Funkti- wurzelt ist das 6XPǀ. Der Kampfrichter ist ein 6KLQWǀ3ULHVWHU, die on zugesprochen.

Literatur (Auswahl)

JIGORǀ KANǀ mit Y. Y AMASHITA BRAUN, JULIAN: Der gemeinsame Weg von Schwert und Pinsel: Philosophie und (später 10. Dan) bei einer De- Ethik japanischer Kriegskunst der 7RNXJDZD-Zeit (1603-1868); Dissertation monstration von Koshiki-no- Tübingen 2006 Kata, die aus .LWǀU\X in das .RGRNDQ-njGǀ übernommen BRAUN JULIAN: Philosophie Ethik und die Kunst des Kämpfens, 2007 hat. .LWǀU\nj war sehr stark BRAUN JULIAN: Philosophie Ethik und die Kunst des Kämpfens, Bd. 2, 2008 GDRLVWLVFKEHHLQÀXVVW GOERTZ, ERIK: -njGǀ die „weiche Kunst“, und die wichtigsten geistesgeschichtli- chen Aspekte, Magisterarbeit Universität zu Köln, 1994

HANELT, KLAUS: Taschenwörterbuch der Kampfkünste Japans, Verlag Dieter Born, 2009

WATTS, ALAN: Der Lauf des Wassers, Suhrkamp 1983

Tipp: Die Artikel in der Wikipedia zu den religiösen und philosophischen Leh- ren Japans und ganz allgemein Asiens sind ein guter Einstiegspunkt für eine vertiefende Beschäftigung.

22 der budoka 6/2012 Religiöse und philosophische EinÁüsse auf die traditionellen Kampfkünste Japans

von Wolfgang Dax-Romswinkel

Teil 3: %XVKLGǀ im Wandel der Zeit

Nicht wenige Vereine und Dǀjǀ im deutschsprachigen Raum tragen gewesen sei und die den Samurai auf ebenso klaren Wegen im Rah- Bushidǀ oder auch Samurai im Namen, und den japanischen Kampf- men der Erziehung/Ausbildung vermittelt worden wäre. künsten wird immer wieder nachgesagt, durch Bushidǀ beeinÀusst worden zu sein und/oder den „Geist des Bushidǀ“ vermitteln zu wol- Jedoch ist es keineswegs so einfach wie man vielleicht erwarten len. Wer sich mit philosophischen Fragen rund um die japanischen würde, denn wie immer bei der Betrachtung von Wertevorstellun- Kampfkünste beschäftigt, kommt früher oder später daher nicht gen und Verhaltensnormen sind die zeitgeschichtlichen Umstände darum herum, sich mit einem der schwierigsten Begriffe in diesem zu beachten. Außerdem muss man selbstverständlich beachten, dass Feld auseinanderzusetzen: dem Bushidǀ. eine Idealvorstellung nicht mit historisch realem Handeln verwech- selt werden darf. Passenden Beispielen stehen stets auch gegentei- Bevor wir in die eigentliche inhaltliche Auseinandersetzung ein- lige Beispiele gegenüber. Als historische Realität kann man daher steigen, erscheint es sinnvoll, einige japanische Begriffe und ihre lediglich die Existenz einer Idealvorstellung betrachten. Deren Ent- Schreibweise genau zu klären. wicklung vollzog sich in mehreren Etappen. Vereinfacht kann man bis zum zweiten Weltkrieg von drei Phasen der Bushidǀ-Entwicklung Bushidǀ wird durch Aneinanderreihung von drei geschrieben: sprechen: 武士道. Die ersten beiden Zeichen bilden den Begriff Bushi 武士, was einzeln ungefähr „kriegerisch“ (武) und „Experte“ (士) bedeutet. - 12. bis 16. Jahrhundert: Entwicklung erster Bushidǀ-Konzepte vor Bushi sind also die Experten für das kriegerische - mit einem Wort: der Edo-Zeit (als die Krieger noch Krieger im Wortsinn waren), Krieger. Der Begriff Samurai wird übrigens auch mitunter mit dem - 1600/03 bis 1868: Bushidǀ-Diskurse in der Edo-Zeit (als die Krieger Zeichen 士 geschrieben, üblicher ist jedoch 侍. Ein anderer Terminus keine Kriege mehr zu führen hatten), ist Buke 武家, und bedeutet so viel wie „kriegerisches Haus“, „kriege- - 1868 bis 1945: Bushidǀ-Diskurse der Meiji-Zeit bis zum zweiten risches Geschlecht“ oder „Kriegerstand“. Ein Samurai - der Terminus Weltkrieg (als mit Einführung der WehrpÀicht das Volk zu Krieg füh- leitet sich aus dem Verb „dienen“ ab - der keinen Herrn mehr hat, renden Soldaten herangebildet werden sollte). wurde zum Rǀnin (浪人). Rǀnin waren herrenlos durch die Lande zie- hende - man könnte auch sagen vagabundierende - Samurai, die zwar Ziel dieses dritten Teils über die philosophischen und religiösen As- frei waren, aber einen niedrigen sozialen Status hatten. pekte der japanischen Kampfkünste ist es, einen Abriss der histori- schen Entwicklung von Bushidǀ-Konzeptionen zu geben und dabei Der Terminus Bushidǀ fand vor Ende des 19. Jahrhunderts wenig Ver- darzulegen, warum Bushidǀ ein so problematischer Begriff ist. Die wendung. Stattdessen waren jedoch andere Vokabeln und Begriffe, Breite der unterschiedlichen Vorstellungen soll nach einer Einfüh- die standesspezi¿sche Verhaltensnormen und Moralvorstellungen der rung in die Ursprünge und die grundlegende Literatur der Entwick- Bushi/Samurai bezeichneten - z.B. das weiter unten erläuterte Shidǀ lung erster Bushidǀ-Konzepte an drei Beispielen aufgezeigt werden: - mehr in Gebrauch, sodass dies lediglich ein sprachliches, aber kein inhaltliches Problem darstellt. - der Geschichte von der Rache der 47 Rǀnin von Akǀ (1701/02) - dem populären Buch „Bushidǀ - the Soul of Japan“ von ,1$=ƿ1,72- Üblicherweise wird Bushidǀ (wörtlich also etwa: „Weg des Krie- %(   Anmerkung: Aufgrund der in Deutschland bekannteren gers“) als „Ehrenkodex der Samurai“ bezeichnet und somit der Ein- Schreibweise wird in diesem Artikel 1,72%( als einzige Person mit druck erweckt, als handele es sich dabei um eine verbindliche Verhal- vorangestelltem Vornamen geschrieben, bei den anderen Personen tensnorm, die historisch gesehen mit einem eindeutigen Inhalt gefüllt wird wie in Japan üblich der Familienname zuerst genannt  - der Bushidǀ-Konzeption von ,128( 7681(-,5ƿ1904/05.

Yasubame: Aus vollem Galopp schießt dieser Schütze auf eine Zielscheibe. Danach muss er sofort einen weiteren Pfeil aus dem Köcher nehmen, um einige Meter weiter auf das nächste Ziel schießen zu können.

40 der budoka 7-8/2012 Entwicklung erster %XVKLGǀ-Konzepte vor der Edo-Zeit (12. bis 16. Jahrhundert) Standesspezi¿sche Vorstellungen über die Moral der Bushi entstan- den bereits mit der wachsenden Bedeutung des Kriegerstandes etwa ab dem 12. Jahrhundert unter der Bezeichnung K\njba-no-michi („Der Weg des Bogens und des Pferdes“), auch wenn diese zunächst nicht schriftlich verfasst und systematisch verbreitet wurden. Die Haupt- waffe der Bushi war damals noch der typische japanische Langbogen, wie er im heutigen K\njdǀ verwendet wird. Die höheren Bushi waren zudem beritten. Es waren also im Wortsinn „Krieger mit Bogen und Pferd“, daher die Bezeichnung K\njba-no-michi. (Anmerkung: Michi ist eine andere Lesung für das Zeichen 道, das im Kontext der Kampf- künste üblicherweise als Dǀ gelesen wird.) Noch heute ist die Tradition des Yasubame lebendig, bei dem aus vollem Galopp mit dem Bogen geschossen wird. Die Ogasawara- r\nj, die derartige Wettkämpfe und Vorführungen jährlich veranstal- tet, war eine der ersten Schulen für Kriegskünste in Japan überhaupt Darstellung der Rache der 47 Rǀnin aus der Edo-Zeit (gegründet 1187). Die Oberhäupter dieser Schule dienten den ersten Shǀgunen nicht nur als Lehrer im Bogenschießen, sondern auch als oberste Protokollbeamte, sodass z.B. die Etikette dieser Schule später zu einem Standard für die Etikette anderer Schulen wurde. Die Ehre des Einzelnen war ferner auch gleichzeitig mit der Ehre des Clans bzw. der Familie verbunden. Verlor ein Mitglied seine Ehre, Frühe Werke, in denen es um das „richtige“, natürlich auch idealisier- waren damit auch die anderen entehrt, es sei denn, dass die indivi- te, Verhalten der Krieger ging, waren zum Beispiel das Heike Mono- duelle Ehre - und damit gleichzeitig die Ehre des Clans - z.B. durch gatan, ein episches Werk, das im 14. Jahrhundert verfasst wurde und Seppuku wieder hergestellt wurde. Auf den Betroffenen lastete also den Kampf der Taira und Minamoto in der zweiten Hälfte des 12. ein enormer sozialer Druck. Jahrhunderts thematisierte. Es lieferte, wie vergleichbare Literatur in anderen Kulturkreisen auch, literarische Vorbilder für nachfolgende Kodi¿zierung der %XVKLdǀ-Konzepte in der Edo-Zeit Generationen von Kriegern. (1600/03 bis 1868) Für die Bushi bildeten Loyalität und Gehorsam gegenüber ihrem un- Nach den Wirren der Jahrhunderte zuvor war die Etablierung einer mittelbaren Herrn den Kern ihres moralischen Bewusstseins. Werte stabilen Gesellschaftsordnung, mit dem 72.8*$:$-Clan an der un- wie Ehre, PÀicht und als Gegenpol dazu Scham im Falle des Versa- angefochtenen Spitze der Macht, das wichtigste politische Vorhaben. gens standen hierbei im Mittelpunkt. Die Bereitschaft zur absoluten Hierzu musste zwangsläu¿g neben vielen anderen Maßnahmen auch Aufopferung für den Herrn bis in den Tod war eine als selbstverständ- ein entsprechendes Standesethos für die Staatsdiener etabliert wer- lich erwartete Tugend. den, die im Idealfall - zumindest aus Sicht eines absoluten Regimes - Befehle befolgen, ohne sich hierzu irgendwelche eigenen Gedanken Ein Beispiel hierfür ist die Geschichte von 725,,02727$'$, einem zu machen, die diese Befehle in Frage stellen könnten. Kommandeur in Diensten von 72.8*$:$,(<$68, der dessen Burg Fu- shimi im Jahr 1600, kurz vor der Entscheidungsschlacht bei Sekiga- 72.8*$:$,(<$68, der erste Shǀgun der Edo-Zeit, ließ aus diesem hara, gegen eine große Übermacht verteidigte. Als er nach schwers- Grund das Buke-sho-hatto („Gesetze für den Kriegerstand“) nieder- ten Kämpfen mit nur noch etwa zehn übrig gebliebenen Mann ge- schreiben. Es beinhaltete eine Reihe von nunmehr gesetzlichen Ver- schlagen wurde, beging er aus Scham Seppuku (Selbsttötung durch haltensvorschriften für Fürsten und die Mitglieder der Samurai-Klas- Aufschlitzen des Bauches, im Westen besser bekannt als Hara-kiri), se, die sich nicht nur in den Kampfkünsten üben und sie verfeinern, da er seiner Auffassung nach bei der Verteidigung des Schlosses ver- sondern sich auch mit Literatur und Philosophie beschäftigen sollten. sagt und damit seine Ehre verloren hatte. Seppuku diente in diesem Die meisten Vorschriften dienten vor allem der Sicherung der Macht Fall der Wiederherstellung der Ehre, da er die höchste Konsequenz des Shǀgunats. aus dem eigenen Versagen auf sich nahm. Es gab natürlich auch Kritiker, wie z.B. <$0$*$ 62.ƿ (1622 bis 1685), ein Schüler von +$<$6+,5$=$1, dem führenden Neokonfuzi- aner der 72.8*$:$. <$0$*$ brach jedoch mit der of¿ziellen Linie. SeineIdeologie basierte auf einem sehr fundamentalistischen Kon- fuzianismus, den er durch die 72.8*$:$ verletzt sah. Da dies für die Machthaber gefährlich werden konnte, wurde er ins Exil nach Akǀ geschickt.

<$0$*$ entwickelte eigene Vorstellungen vom Weg der Samurai, für den er den Begriff Shidǀ (士道 wörtlich etwa „Weg des Samurai“, wenn man 士 als Samurai liest) verwendete. Für ihn waren die Samu- rai in erster Linie Wächter über die Einhaltung konfuzianischer Moral und hatten zum Beispiel die Aufgabe, jedes Mitglied eines niedrige- ren Standes für Fehlverhalten auf der Stelle zu bestrafen, während sie selbst gleichzeitig alle konfuzianischen Beziehungen (Herr-Untertan, Eltern-Kind, älterer Bruder-jüngerer Bruder, Ehemann-Ehefrau und Freund-Freund) streng beachten sollten. In mehreren weiteren zeitgenössischen Werken, wie z.B. dem zu Beginn des 18. Jahrhunderts vermutlich von <$0$0272 7681(7202 verfassten Hagakure oder dem etwas älteren „Buch der fünf Ringe“ des Schwertmeisters 0,<$0272086$6+, (1584-1645), ¿nden sich ebenfalls Erläuterungen zum Weg des Kriegers aus der subjektiven Sicht der jeweiligen Autoren. Insbesondere das Hagakure erlangte aufgrund der Glori¿zierung eines „ehrenvollen“ Todes als Lebensziel Darstellung eines Seppuku: Der Sekundant mit dem Schwert hat die Auf- der Samurai in der Neuzeit - z.B. unter Of¿zieren im Zweiten Welt- gabe, den Kopf des sich Tötenden abzuschlagen, sobald der Oberkörper krieg - zweifelhafte Beachtung und Popularität. nach vorne kippt. Der Ablauf eines Seppuku war sehr detailliert geregelt.

der budoka 7-8/2012 41 In der Edo-Zeit entstanden also einige Schriften, die sich mit dem „Weg des Kriegers“ auseinandersetzten, sodass allmählich ein for- malisierter Kodex entstand. Sie alle verbindet die jeweils starke Betonung von PÀicht und Loyalität, von Ehre und Scham und die Bereitschaft zur absoluten Aufopferung für den Herrn. Unterschied- liche Vorstellungen treten aber in der Beurteilung eines besonderen Ereignisses zu Tage und zeigen, dass die Vorstellungen nicht im De- tail einheitlich waren.

Die Rache der 47 5ǀQLQ von $Nǀ Die auf historischen Tatsachen beruhende Geschichte der 47 Rǀnin aus Akǀ - es handelt sich also um eine Mischung aus ¿ktionalen und historischen Elementen - gehört zu den bekanntesten Ereignissen aus der Edo-Zeit. Im Kern der Diskussion hierüber steht die Frage, ob sich die Rǀnin moralisch richtig und angemessen verhalten haben oder nicht. Das Dilemma war, dass die Rache der Rǀnin für den Tod ihres Herren $6$121$*$125, einerseits gegen das damalige Gesetz verstieß, jedoch andererseits als vorbildlicher Akt der Treue betrach- tet werden konnte. Es ging also um den klassischen KonÀikt „Werte Die Gräber der 47 Rǀnin versus Gesetz“. Besonders problematisch und Anlass für den damali- gen Diskurs war, dass Rache als Ausdruck von Loyalität vor der Edo- Zeit im Moralbewusstsein der Krieger positiv besetzt, jedoch in der Edo-Zeit eine Straftat war, wenn sie sich gegen eine höher gestellte Obwohl klar war, dass eine Rache mit einer hohen Strafe - dem siche- Persönlichkeit richtete. Worum ging es - in der gebotenen Kürze und ren Tod - geahndet werden würde, beschlossen 47 dieser Rǀnin (aus der überlieferten Geschichte nach - genau? einem Gefolge von ursprünglich ca. 300 Samurai), den Tod $6$12s zu rächen. Nach umfangreichen Vorbereitungen und einem ausge- .,5$ der oberste Protokollbeamte des Shǀgunats, sollte $6$12 im feilten Plan töteten sie .,5$ schließlich im Dezember 1702. Danach Jahr 1701 in der Durchführung einer Zeremonie unterweisen und for- überstellten sie sich selbst dem Shǀgunat und erwarteten ihre Strafe. derte hierfür als Gegenleistung wertvolle „Geschenke“. Verkürzt for- muliert kam $6$12 den übermäßigen Forderungen nicht nach. Dies Die Aufarbeitung des Falles durch das Shǀgunat war problematisch hatte zur Folge, dass er permanent von .,5$ beleidigt wurde. Als es und löste viele Debatten aus, denn die Rǀnin beriefen sich auf die für $6$12 unerträglich wurde, griff er schließlich zur Waffe und ver- TreuepÀicht gegenüber ihrem Herrn, die ihnen nach ihrer Auffassung letzte .,5$ damit leicht. Dieser Angriff auf einen der höchsten Be- die Rache an dessen Tod aufgrund des unwürdigen Verhaltens des amten des Shǀgunats - noch dazu in der Residenz des Shǀguns - war Hofbeamten ausdrücklich erlaubte, andererseits verstießen sie natür- aber dennoch so schwerwiegend, dass $6$12 der Befehl zu Seppuku lich gegen das Gesetz und damit gegen das Gebot der Loyalität ge- gegeben wurde, eine damals übliche Form der Todesstrafe. Der Be- genüber dem Shǀgunat. sitz $6$12s wurde daraufhin eingezogen und seine Samurai wurden Letztlich wurden 46 der Rǀnin zum Tode durch Seppuku verurteilt durch die Entehrung des Herren ebenfalls entehrt und zu Rǀnin. (zum Verbleib des 47. Rǀnin gibt es unterschiedliche Versionen). Die Rǀnin wurden im Tempel Sengaku-ji im heutigen Tǀk\ǀ bei ihrem Herrn begraben. Das Shǀgunat stand bei der Lösung des Problems unter einem nicht zu unterschätzenden Druck, denn die Rache der 47 Rǀnin wurde sehr schnell in Theaterstücken aufgearbeitet und fand großes Interesse und viel Sympathie bei der Bevölkerung. Die Meinungen über das Verhal- ten der Rǀnin waren aber durchaus gespalten. Dabei ging es nicht nur darum, ob die Rache selbst angemessen gewesen sei, sondern auch um die Art und Weise ihres Vollzugs. Unter anderem wurden über die Debatte „Loyalität versus Gesetz“ hinaus im Laufe der Zeit folgende Argumente vorgebracht:

- $6$12s Angriff war feige (es existiert auch die Variante der Ge- schichte, dass er .,5$ von hinten angegriffen hätte) und deshalb hät- ten die Rǀnin die Strafe für $6$12 hinnehmen müssen. - $6$12 hat versagt und allein schon deshalb den Tod verdient. Auch das hätten die Rǀnin hinnehmen müssen. - Nach der zu akzeptierenden Entehrung $6$12s hätten die Rǀnin un- mittelbar Seppuko begehen müssen, da sie selbst hierdurch ebenfalls entehrt waren. - Der Racheplan sei zu ergebnisorientiert gewesen; wahre Samurai hätten .,5$ unmittelbar zur Rechenschaft gezogen und dabei ein mögliches Scheitern in Kauf genommen. Unter anderem hätten die Rǀnin riskiert, dass der über 60-jährige .,5$ im Verlaufe der Vorbe- reitungen eines anderen Todes hätte sterben können, was den Erfolg der Rachemission unmöglich gemacht hätte. - Die Selbsterniedrigung der Rǀnin im Verlauf der Vorbereitungen - um von ihren Racheplänen abzulenken, führten sie teilweise ein „Lot- terleben“ - waren für Samurai unwürdig. - Die Selbstüberstellung an die Behörden geschah in der Hoffnung auf Begnadigung aufgrund besonders ehrenvollen Verhaltens. Wahre Samurai hätten nach Vollendung der Tat von sich aus Seppuko began- gen und sich nicht in die Hände des Shǀgunats begeben.

Nachbildung eines der 47 Rǀnin, die heute im Sengaku-ji ausgestellt ist

42 der budoka 7-8/2012 Es gab aber auch „positive“ Bewertungen: Er entstammte einem alten Samurai-Clan aus Morioka im Norden der japanischen Hauptinsel Honshnj. Seine Familie kümmerte sich - Ihre Tat war ein besonderer Akt der Loyalität, weil sie nach dem um die Entwicklung der Landwirtschaft in der Provinz. Entsprechend Scheitern ihres Herrn dessen „Werk“ - die Tötung .,5$s - zu Ende besuchte 1,72%( zunächst eine Landwirtschaftsschule in Sapporo, brachten. bevor er sich für vertiefende Studien der Landwirtschaft, Ökonomie - Durch die Selbsterniedrigung hätten die Rǀnin wahren Samurai- und englischen Literatur an der kaiserlichen Universität in Tǀk\ǀ ein- Charakter gezeigt, da ihnen die Vollendung des Werks ihres Herrn schrieb. Weitere Studienstationen brachten ihn in die USA und auch wichtiger war als ihre persönliche Reputation. nach Deutschland. Er hielt mehrere Doktorate, promovierte unter - Um die Rache erfolgreich durchführen zu können, hätten die Rǀnin anderem in Halle, wurde als Professor an zahlreiche Universitäten die PÀicht gehabt, alles so zu planen, damit sie nicht den eigenen Tod in Japan und in den USA berufen und vertrat schließlich Japan von riskieren, bevor sie .,5$ getötet haben. 1920 bis 1927 beim Völkerbund in Genf. Zurück in Japan wurde er Die Kontroversen zeigen unabhängig davon, wie man die Argumente anschließend Parlamentsabgeordneter. Als sich das Klima zwischen bewerten möchte, dass es weder in dieser Zeit noch danach wirklich Japan und dem Westen in den 1930er-Jahren zunehmend verschlech- einheitliche Vorstellungen über das „ehrenvolle“ Verhalten von Sa- terte, versuchte er - erfolglos - durch private diplomatische Missionen murai gab - denn sonst hätte man diese Fragen recht einfach und vor die Situation zu entspannen. allem einmütig beantworten können. 1,72%( war mehr westlich als östlich geprägt. Noch als Jugendlicher konvertierte er unter dem EinÀuss seines amerikanischen Lehrers %XVKLdǀ-Konzeptionen nach Abschaffung des Samurai-Standes an der Landwirtschaftsschule zum Christentum. Später in den USA in der Meiji-Zeit schloss er sich den Quäkern an. Außerdem heiratete er eine Ameri- In den ersten Jahren nach der Meiji-Restauration verloren die Samu- kanerin. rai nach und nach alle Privilegien, was letztlich 1877 zu einer großen Obwohl 1,72%( ein umfangreiches Lebenswerk an Aufsätzen und Bü- Revolte - der Satsuma-Rebellion unter 6$,*ƿ7$.$025,- führte. Die chern hinterlassen hat, ist er der Öffentlichkeit praktisch ausschließ- Samurai kämpften überwiegend mit traditionellen Waffen gegen eine lich für „Bushidǀ - the Soul of Japan“ bekannt. Als Motivation, das technisch und zahlenmäßig weit überlegene kaiserliche Armee. Von Buch im Jahr 1899 in englischer Sprache zu verfassen, gibt 1,72%( rund 40.000 Samurai überlebten am Ende nur etwa 400. Heute wird im Vorwort an, dem westlichen Publikum erläutern zu wollen, wie 6$,*ƿ7$.$025,, in Japan als „tragischer Held“ verehrt, einem spezi- Moralerziehung in Japan funktioniere, obwohl es keinen Religions- ellen, aus dem Bushidǀ abgeleiteten, Heldentypus in Japan, der sich unterricht wie im Westen gab. Das Werk, das in zahlreiche westli- dadurch auszeichnet, dass jemand in vollem Bewusstsein des Schei- che Sprachen und etwas später auch ins Japanische übersetzt wurde, terns seinen als richtig erkannten Weg konsequent bis zur Selbstauf- prägte nach seinem Erscheinen ganz erheblich das Bild von Japan opferung verfolgt. und den Japanern im Westen. Es muss jedoch vor dem persönlichen Nachdem die Samurai endgültig besiegt waren, folgte eine Phase des Hintergrund 1,72%(s als ein in erster Linie westlich geprägter Christ, Desinteresses an traditionellen Werten. Erst mit wieder steigendem Pazi¿st und Mittler zwischen Ost und West gesehen werden. Nationalbewusstsein ab etwa den 1880er-Jahren gab es wieder eini- 1,72%( beschrieb den Bushidǀ als ethisches System, das nicht schrift- ge Abhandlungen über Bushidǀ. Hieran beteiligten sich Kapazitäten lich ¿xiert, sondern durch konkrete Erziehung in den Familien wei- wie )8.8=$:$<8.,&+,, einer der zentralen Reformer der Meiji-Zeit. tergegeben worden sei: Befeuert wurde die Debatte aber erst durch den Sieg im japanisch- chinesischen Krieg 1894/95 und anschließend in noch stärkerem Maß „Bushido, then, is the code of moral principles which the knights durch den Erfolg im russisch-japanischen Krieg 1904/05. were required or instructed to observe. It is not a written code; at best it consists of a few maxims handed down from mouth to mouth or co- ,1$=ƿ1,72%(s „%uVKidǀ - the Soul of Japan“ und die Rezeption ming from the pen of some well-known warrior or savant.“ (Bushidǀ des %uVKidǀ im Westen ist ein Kodex von moralischen Prinzipien, dessen Befolgung für die Ritter verbindlich war. Es ist kein schriftlich verfasster Kodex, bes- Der japanische Gelehrte ,1$=ƿ1,72%( (1862-1933) gehört zu den in- tenfalls besteht er aus ein paar Maximen, die von Mund zu Mund teressantesten japanischen Persönlichkeiten seiner Zeit. Schon früh, vermittelt wurden, oder die von bekannten Kriegern oder Gelehrten als Student, formulierte er sein Credo, er wolle „eine Brücke über aufgeschrieben wurden.) dem Pazi¿k“ sein und der Verständigung zwischen Ost und West die- nen. Als geistige Quellen des Bushidǀ gibt 1,72%( Buddhismus, Shintǀ und vor allem Konfuzianismus an. Als die oben erwähnten Maximen des Handelns beschreibt 1,72%( die wohlbekannten konfuzianischen Tugenden: - Gerechtigkeit - Mut - Güte - HöÀichkeit - Wahrhaftigkeit - Ehre - Loyalität Diese erläuterte er - ganz dem westlichen Publikum zugewandt - un- ter Verwendung zahlreicher Vergleiche und Analogien mit Konzepten altgriechischer, römischer, englischer, französischer sowie deutscher Philosophen. Auch führt er christliche Entsprechungen an. Seine Ausführungen zeugen dabei von einer ungeheuer breiten Kenntnis westlicher Philosophie und Literatur.

1,72%( geht in seinen Darstellungen übrigens so weit, die Verände- rungen Japans Ende des 19. Jahrhunderts als Folge eines lebendigen Bushidǀ zu beschreiben, von dem die großen Reformer beseelt gewe- sen seien. Folgt man 1,72%(, ist Bushidǀ auf diese Weise zur tragen- 6$,*ƿ7$.$025, mit einigen Of¿zieren in Samurai-Rüstungen (Quelle un- bekannt) den Säule des japanischen „Volksgeists“ - eben „the soul of Japan“ - geworden. Auch führte er die militärischen Erfolge gegen China 1894/95 nicht auf Technologie oder Ausbildung zurück, sondern auf den Geist des Bushidǀ, der das japanische Volk erfasst habe.

der budoka 7-8/2012 43 Das Titelbild Es gibt Forscher, die der Meinung sind, dass man Bushidǀ als japa- der deutschen nische Volksmoral realisieren sollte. Jedoch sollte man nicht Bushidǀ Ausgabe von in unbedachter Weise wiederbeleben, weil es die Moral der Krieger „Bushidǀ - the Soul of ist, die in der Feudalzeit an Bedeutung gewann. Allein die verän- Japan“ derte Verwaltungsform in der heutigen Zeit sagt aus, dass es nicht möglich wäre, traditionelles Bushidǀ zu praktizieren. Es kann so- gar dem japanischen Staat Schaden zufügen, weil die traditionelle Bushidǀ-Konzeption aggressive Elemente umfasst. Beispielsweise wäre es sinnlos, die Rache sowie die Ausführung des Opfertodes in Form des Bauch-Aufschneidens in die Tat umzusetzen. Solche Hand- lungen gelten als Formalismus in der Bushidǀ-Konzeption. Es sollte nicht in Vergessenheit geraten, dass es zwei Elemente in der Bushidǀ- Konzeption gibt, Formalismus und Idealismus im Sinne der japani- schen Gesinnung. Die Gesinnung ist stets präsent, jedoch ändert sich der Formalismus je nach den zeitgenössischen Umständen. Daher ist es unmöglich, formelle Elemente in der Bushidǀ-Konzeption wieder- herzustellen. Sie sollen gar nicht zur Anwendung kommen.“ (Über- setzt aus: ,128( 1905, entnommen aus 1$.$085$, S. 86).

Aus dieser Passage wird deutlich, dass ,128( sich in vollem Umfang darüber bewusst war, dass der traditionelle Bushidǀ - wenn er über- haupt eine Funktion in der künftigen japanischen Moralerziehung spielen sollte - durch eine neukonstruierte Konzeption abgelöst wer- den musste, einer Neukonstruktion, die sich an der Gesinnung und nicht an formalen Aspekten orientiert. Zu dieser Gesinnung führt er aus: „In der Edo-Zeit leistete der Samurai gegenüber seinem Feldherrn in den jeweiligen Provinzen Loyalität. Doch in der heutigen Zeit ent- stand das organisierte Militär, sodass Bushidǀ in Form der Loyali- tät des Militärs gegenüber dem Tennǀ und dem Volk existiert. Daher kann der Formalismus in der Bushidǀ-Konzeption der Edo-Zeit nicht mit dem der heutigen Zeit gleichgestellt werden. Dem übergeordneten Kritikan1,72%( Gegenüber, also dem, der die eigene Stellung überragt, loyal zu sein, Man muss deutlich sagen, dass sich bei 1,72%( ein erstaunlicher Man- ist eine Tat, die auch in unserer Zeit möglich ist. Verstand man un- gel an Wissen über japanische Geschichte und Literatur offenbart. So ter Bushidǀ die Loyalität gegenüber dem eigenen Herrn im wahrsten ignorierte er völlig, dass es sehr wohl schriftliche Abhandlungen und Sinne des Wortes, so zeigte sich, dass der Erhalt der Loyalität landes- fundierte Konzepte zum Verhalten von Samurai gab, die über den weit in die Praxis umgesetzt wurde. Der loyale Geist, den das Militär Umfang von „ein paar Maximen“ deutlich hinausgingen, wie z.B. die Arbeiten von <$0$*$ 62.ƿ oder das Buk-sho-hatto.

1,72%( differenzierte in seinen Ausführungen auch nicht nach Epo- Portrait von ,1$=ƿ1,72%(1,72%( chen (vor/nach Edo-Zeit) und war sogar der Überzeugung, den Be- wurde nach dem zweiten Weltkrieg griff Bushidǀ erfunden zu haben, kannte also die - zugegeben weni- die Ehre zuteil, auf 5.000-Yen- gen - bis dahin erschienenen Schriften, in denen der Terminus ver- Banknoten abgebildet zu werden. wendet wurde, ebenfalls nicht. Diese und weitere Ungereimtheiten waren Wasser auf die Mühlen ja- panischer Philosophen wie ,128( 7681(-,5ƿ(1856 bis 1944) über des- sen Bushidǀ-Konzeption weiter unten zu berichten sein wird. 1,72%( selbst spielte von daher in der japanischen Bushidǀ-Diskussion kaum eine Rolle. Dem westlichen Publikum blieben diese Unzulänglichkei- ten jedoch verborgen, denn wer würde schon an den Ausführungen eines nach westlichen Maßstäben hoch gebildeten Japaners über die Geschichte und Philosophie seines eigenen Landes zweifeln?

7681(-,5ƿ,128( und die Neukonzeption des %uVKidǀ um 1904/05

1,72%(, der den Bushidǀ mit westlichen Analogien erklärte und da-

durch indirekt auch mit westlicher „Ritterlichkeit“ gleichsetzte, wur- Portrait von ,128(7681(-,5ƿ, de auch dafür von konservativen Japanern heftig kritisiert. Insbeson- einem der führenden Philosophen dere ,128(7681(-,5ƿ, einer der führenden konfuzianischen Philoso- Japans in der ersten Hälfte des phen und Architekten der Kokutai-Ideologie, vertrat die Auffassung, 20. Jahrhunderts dass die westliche Welt nichts dem Bushidǀ Vergleichbares hervor- gebracht hätte.

,128(, der ebenfalls mehrere Jahre in Deutschland studiert hatte, lehnte im Gegensatz zum Quäker 1,72%( das Christentum als schäd- lich für Japan ab. Für ihn bildete Shintǀ mit dem Gründungsmythos des japanischen Volkes als „Göttervolk“ (Shinkoku) und dem Tennǀ als Gott in Menschengestalt die Basis des japanischen Nationalwe- sens (Kokutai). Der Konfuzianismus bildete - wie bei 1,72%( - den Rahmen für tugendhaftes Verhalten. Zum Problem Bushidǀ und Mo- ralerziehung äußert er sich folgendermaßen:

44 der budoka 7-8/2012 gegenüber dem Tennǀ aufrecht hält, entspricht der gleichen japani- Zusammenfassung schen Gesinnung, die die Krieger früherer Zeiten gegenüber dem ei- genen Herrn aufwiesen. Es handelt sich hier nur um unterschiedliche Der „Weg des Kriegers“ - und das muss man letztendlich festhalten - war bereits zur Zeit der Samurai nicht im Detail eindeutig festge- Bereiche.“ (Übersetzt aus: ,128( 1905, entnommen aus 1$.$085$ , S. 86). legt. Machtinteressen, die in Gesetze und in „of¿zielle Erwartungen“ an den Samurai-Stand festgeschrieben wurden, standen persönlichen ,128( geht es also deutlich erkennbar um die Loyalitätsbeziehungen. und überkommenen Vorstellungen gegenüber. Der Edo-zeitliche Der „loyale Geist“, der unmittelbar der „japanischen Gesinnung“ ent- Bushidǀ befand sich also - wie <2.21$.$085$ (2008) es bezeich- spränge, zeige sich also in der Einhaltung einer vom Tennǀ ausgehen- nete - in einem Spannungsgefüge aus „Öffentlichkeit“ (Gesetze und den Befehlskette bis hinunter zu jedem einzelnen Soldaten. öffentlicher Diskurs) und „Privatheit“ (individuelle Wertvorstellun- gen). Jedoch ziehen sich die Begriffe PÀicht, Loyalität, Ehre, Scham Der „japanische Geist“ (Yamato damashii) wurde somit mit dem und bedingungsloser Gehorsam bis in den Tod durch alle Vorstellun- Bushidǀ nahezu gleichgesetzt. Damit war das ideologische Tor zum gen hindurch. späteren Ultranationalismus und Militarismus weit aufgestoßen. In der Einmaligkeit des japanischen Geistes zeigte sich nach dieser Vor- Der Bushidǀ-Diskurs der Meiji-Zeit ist Ausdruck der Suche Japans stellung die Überlegenheit des japanischen Volkes, das obendrein nach seiner nationalen Identität und nach einer allgemeinen japani- durch die Abstammung des Tennǀ von der Sonnengöttin Amaterasu schen Volksmoral. Bushidǀ wurde je nach ideologischer Grundhal- ein „göttliches“ Volk sei. tung unterschiedlich interpretiert. 1,72%( und ,128( können hierbei als die gegensätzlichen Pole gelten, die sich vor allem darin unter- Fatale Folgen für Japan und die Welt schieden, dass der Quäker 1,72%( konfuzianische Ideen in die Nähe des Christentums rückte und damit eine Art „christlichen Bushidǀ“ Der neu konstruierte Bushidǀ wurde auf diese Weise Teil der ideolo- initiierte, während ,128( in vollkommenem Gegensatz dazu den gischen Basis des japanischen Herrschaftsanspruchs im pazi¿schen Bushidǀ unter Ablehnung des Christentums mit radikalem Shintǀ Raum, der mit ungeheurer Brutalität und Menschenverachtung durch- verband. gesetzt wurde, bis im Jahr 1945 - keinesfalls minder brutal - die bei- den Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki dem ein Ende bereite- Der in Japan zur Meiji-Zeit - aus wissenschaftlicher Sicht mit Recht - ten. Von den Soldaten verlangte man eine Gesinnung des Gehorsams kritisierte 1,72%( hatte auf die japanische Diskussion wenig EinÀuss, bis in den sicheren Tod. Die Erziehung der Jugend wurde auf diese jedoch prägten seine Vorstellungen maßgeblich das Bild des Westens Opferbereitschaft hin ausgerichtet. Leider müssen auch weite Teile von Bushidǀ. ,128(s Vorstellungen mündeten dagegen in den japani- der Diskussion um die Aufnahme der Kampfkünste in die schulische schen Ultranationalismus und Militarismus der ersten Hälfte des 20. Erziehung vor dem Zweiten Weltkrieg in diesem Zusammenhang ge- Jahrhunderts. sehen werden, denn die Erziehung im Geist dieses neu de¿nierten Bushidǀ war eine der ihnen zugedachten Funktionen. Wenn also von Bushidǀ die Rede ist, muss man immer fragen, welche bzw. wessen Bushidǀ-Vorstellung gemeint sei. Mehrere Ausprägun- In der Bushidǀ-Diskussion der Meiji-Zeit und nachfolgend wurde die gen wurden oben kurz dargestellt - und dabei noch gar nicht erwähnt, Geschichte der 47 Rǀnin übrigens zu einem wichtigen propagandis- dass es auch nach dem Zweiten Weltkrieg eine Bushidǀ-Diskussion in tischen Faktor, nachdem der Tennǀ das Verhalten der Rǀnin als be- Japan gegeben hat und immer noch gibt. sonders vorbildlich darstellte und ihr Grab besuchte. Bücher mit der „wahren“ Geschichte der Rǀnin wurden veröffentlicht und der Stoff Und was soll man schließlich davon halten, wenn heutzutage erfolg- schließlich bereits vor dem Zweiten Weltkrieg mehrfach ver¿lmt. reiche Sportlerinnen und Sportler - nicht nur in den Kampfsportarten, sondern zum Beispiel auch im Baseball - in die „Tradition der Samu- %uVKidǀ der Meiji-Zeit - eine „invented tradition“ für eine rai“ und ihrer Philosophie gestellt werden? Nation auf der Suche nach sich selbst Leseempfehlungen Bushidǀ wird heute häu¿g als eine in der Meiji-Zeit entstandene Wer sich näher mit Bushidǀ auseinandersetzen möchte, dem kann das „invented tradition“ nach +2%6%$:05$1*(5 betrachtet. Mit diesem Begriff wird ganz allgemein das Phänomen bezeichnet, dass eine Ge- Lesen der deutsch verfügbaren Werke „Hagakure“, „Buch der fünf sellschaft eine historisch nicht nachweisbare Tradition nach ihren ak- Ringe“ und „Bushidǀ - die Seele Japans“ empfohlen werden. Jedoch tuellen Erfordernissen rückwirkend „er¿ndet“ oder zumindest stark sollte dies durch Auseinandersetzung mit wissenschaftlicher Literatur verfälscht, um das gegenwärtige und zukünftige Handeln als in ver- - Vorsicht vor populären/populistischen Darstellungen (!) - begleitet meintlicher historischer Kontinuität stehend zu rechtfertigen. werden. Im Februar 2011 erschien die Dissertation von 2/(*%(1(6&+ mit 1,72%( kann man, ohne einen Fehler zu riskieren, vorwerfen, Bushidǀ nach seinen eigenen Ideen beschrieben und als japanischen Volks- dem Titel: „Bushidǀ, the creation of martial ethic in the late Meiji geist „erfunden“ zu haben. Er macht viele wissenschaftliche Fehler Japan“ an der University of British Columbia in Vancouver. Die über und ist nicht in der Lage, historische Bushidǀ-Konzepte in seine 300 Seiten starke Arbeit ist als Volltext im Internet verfügbar und Überlegungen einzubeziehen. offenbart viele weitere interessante Aspekte des Bushidǀ-Diskurses mit vielen Zwischentönen im Machtverhältnis zwischen 72.8*$:$ Schwieriger ist die Beurteilung von ,128(. Er ist der wohl beste Ken- und Kaiserhaus. ner der relevanten historischen Schriften seiner Zeit. Aber auch ihm ist klar, dass der Bushidǀ nach den Vorstellungen und Erfordernissen Auf deutsch und ebenfalls als Volltext im Internet verfügbar ist die seiner Zeit neu konzipiert und damit auf die neue Gesellschaftsform 2008 verfasste Dissertation von <2.21$.$085$ „Bushidǀ - Dis- ausgerichtet werden muss. Er trennt Formalismus und Idealismus im kurs. Die Analyse der Diskrepanz zwischen Ideal und Realität im Bushidǀ und versucht, den ideellen Bushidǀ als Essenz des „japani- Bushidǀ-Diskurs aus dem Jahr 10“. schen Geistes“ zu etablieren. Bushidǀ ist jedoch nicht als Ausdruck Besonders lesenswert ist auch ./$86$1721,: „Shintǀ und die Kon- des „japanischen Geistes“ entstanden, sondern einerseits durch Auf- zeption des japanischen Nationalwesens (kokutai) - Der religiöse bau von Machtstrukturen, die auf Loyalität angewiesen waren, und Traditionalismus in Neuzeit und Moderne Japans.“ (1998). andererseits als Selbstverständnis einer bestimmten sozialen Gruppe, die sich um ihrer sozialen Identität Willen von den niedrigeren Stän- den absetzen mussten.

der budoka 7-8/2012 45 Wie Jnjdǀ ol\Ppisch wurde

von Wolfgang Dax-Romswinkel

Vorbemerkung: Zur Bedeutung Olympischer Spiele für interna- Japan und Olympia vor dem Zweiten Weltkrieg tionale Anerkennung und nationale Identi¿kation Der -njGǀ-Begründer JIGORǀ KANƿ wurde 1909 auf Vermittlung des Die großen internationalen Sportereignisse, allen voran Olympische französischen Botschafters das erste asiatische Mitglied im IOC, Spiele, verfügen aufgrund der enormen Zuschauerzahlen und des blieb es auch 29 Jahre lang, und führte 1912 die japanische Delegati- weltweiten Medieninteresses wie kaum ein anderes Ereignis über on - bestehend aus zwei Läufern - bei ihrer ersten olympischen Teil- internationale Aufmerksamkeit. Die Olympischen Spiele 1972 in nahme an. Ab 1933 verfolgte er erfolgreich die Aufgabe, die Spiele München und die anschließende Fußball-Weltmeisterschaft 1974 in 1940 nach 7ǀN\ǀ zu holen, damit sich Japan der Welt als dem Westen Deutschland bedeuteten zum Beispiel hierzulande den endgültigen ebenbürtige Nation präsentieren konnte. Die Wettkämpfe wurden je- Durchbruch des Farbfernsehens. Obwohl die Geräte damals noch doch von der japanischen Seite kurz nach KANƿs Tod 1938 aufgrund weit mehr als ein durchschnittliches Monatsgehalt kosteten, boomte wirtschaftlicher und politischer Probleme abgesagt. Letztlich ¿elen der Markt aufgrund des überragenden Zuschauerinteresses an beiden aufgrund des Zweiten Weltkriegs die Olympischen Spiele 1940 und Ereignissen. Je mehr Medaillen - insbesondere goldene - gewonnen 1944 aus. werden, desto häu¿ger taucht das Herkunftsland der erfolgreichen Aktiven mit Fahne und Hymne in Bildern und Berichten auf. Um- Nach seiner Rückkehr von den Olympischen Spielen 1928, einer Rei- fang und Qualität der internationalen Wahrnehmung korrelieren also se, auf der er auch zahlreiche politische Gespräche geführt hatte, rich- naturgemäß mit den Erfolgen der Sportlerinnen und Sportler einer tete JIGORǀ KANƿ die folgenden, den zeitlichen Kontext hervorragend Nation. illustrierenden, Worte an die Kulturvereinigung des .ǀGǀNDQ: Hinzu kommt, dass kaum ein anderes Ereignis so viele patriotische 0HLQ HUVWHU (LQGUXFN ZDU GDVV -DSDQV )lKLJNHLWHQ XQG ZDKUH :HUWH Gefühle auslöst, wie die erfolgreiche Teilnahme einer Nationalmann- YRP 5HVW GHU :HOW DQHUNDQQW ZHUGHQ (V JLEW HLQHQ GUXQG ZDUXP schaft an einem sportlichen Großereignis. Je schwieriger die allge- -DSDQ DOV EHGHXWHQG HUDFKWHW ZLUG 'LH (LJHQVFKDIWHQ GHU -DSDQHU meine wirtschaftliche und politische Lage einer Nation ist, desto VLQG DXI $XJHQK|KH PLW GHQHQ GHU 0HQVFKHQ LQ GHQ DP ZHLWHVWHQ bedeutsamer können sportliche Erfolge für das nationale Selbstbe- HQWZLFNHOWHQ /lQGHU ,FK KDEH ODQJH =HLW DQ YHUJOHLFKHQGHQ SWXGLHQ wusstsein sein. Oft werden erfolgreiche Sportlerinnen und Sportler ]ZLVFKHQ -DSDQHUQ XQG ZHVWOLFKHQ 0HQVFKHQ JHDUEHLWHW 1XQ NDQQ sogar als „Nationalhelden“ bezeichnet und verehrt. Dieser Effekt ist LFK VFKOXVVIROJHUQ GDVV HV LQ BH]XJ DXI )lKLJNHLWHQ NHLQH 8QWHU- umso intensiver, je stärker die betreffende Sportart in der Bevölke- VFKLHGH JLEW rung verankert ist und von breiten Bevölkerungsschichten in Kind- $EHU ZLH VWHKW HV XP GLH N|USHUOLFKH SWlUNH" 1DFK UHLÀLFKHU hEHU- heit und Jugend betrieben wurde bzw. wird. Ein besonders prägnan- OHJXQJ ELQ LFK MQJVW ]X GHU hEHU]HXJXQJ JHNRPPHQ GDVV -DSDQHU tes Beispiel aus deutscher Sicht war zum Beispiel der Gewinn der QLFKW QRWZHQGLJHUZHLVH LQ BH]XJ DXI N|USHUOLFKH SWlUNH XQWHUOH- Fußball-Weltmeisterschaft 1954 in Bern, der Deutschland nach dem JHQ HVLQG :L NDQQ PDQ N|USHUOLFKH hEHUOHJHQKHLW IHVWVWHOOHQ" 'LH Zweiten Weltkrieg das Gefühl zurückbrachte, wieder „wer“ zu sein, ZLFKWLJVWHQ (OHPHQWH VLQG $UEHLWVOHLVWXQJ XQG $XVGDXHU 'LH LQWHU- wieder international anerkannt zu werden. QDWLRQDOHQ 2O\PSLVFKHQ SSLHOH VLQG SHUIHNWH GHOHJHQKHLWHQ GLHVH Der hohe Prestigewert sportlicher Großereignisse ist jedoch ein zwei- (LJHQVFKDIWHQ ]X YHUJOHLFKHQ 'LH MDSDQLVFKHQ $WKOHWHQ KDEHQ VLFK schneidiges Schwert. Der Sport wird mitunter für politische Propa- DOV JHVFKLFNW XQG LQ NHLQHU :HLVH LQ BH]XJ DXI N|USHUOLFKH $XVGDXHU gandazwecke missbraucht, wenn die Stärkung nationalen Selbstbe- XQWHUOHJHQ HUZLHVHQ (übersetzt aus BENNETT 2008, Seite 11f). wusstseins in die Schaffung nationaler, politischer oder rassischer Wie kam Jigorǀ KANƿ zu diesen Schlussfolgerungen? Bei den Vor- Überlegenheitsgefühle umschlägt. Als prägnantes Beispiel müssen kriegsspielen sorgten vor allem die japanischen Schwimmer für Fu- die Olympischen Spiele 193 in Berlin genannt werden, bei denen rore. Dies hatte eine besondere symbolische Bedeutung, denn bis die Nationalsozialisten die Überlegenheit der arischen Rasse de- dahin wurden die Schwimmwettbewerbe von „Modellathleten“ wie monstrieren wollten. Ein weiteres Beispiel ist der Kampf Ost gegen JOHNNY WEISSMÜLLER, dem späteren Tarzandarsteller, beherrscht. Die West, der zu Zeiten des Kalten Kriegs propagandistisch auch in den teilweise blutjungen japanischen Schwimmer waren ihren westlichen Sportstadien ausgetragen wurde - oder indem man den Wettkämpfen Konkurrenten zwar körperlich weit unterlegen, jedoch gelang es ih- wie bei den Olympischen Spielen in Montreal 197 (Boykott vieler nen mit Technik und viel Fleiß, diesen Nachteil zu kompensieren und afrikanischer Länder), in Moskau 1980 (Boykott vieler westlicher zu beweisen, dass auch Menschen mit kleinen Körpern zu außerge- Länder) und in Los Angeles 1984 (Boykott vieler östlicher Länder) wöhnlichen Leistungen fähig sein können. Dies stärkte das nationale demonstrativ fern blieb. Selbstbewusstsein der Japaner in nicht zu unterschätzender Weise. Auch wenn viele Sportlerinnen und Sportler ihren Sport gerne von Darüber hinaus waren japanische Sportler in den leichtathletischen der Politik lösen wollen: Internationaler Spitzensport kann insgesamt Sprungdisziplinen - außer im Hochsprung - und im Marathonlauf nicht unpolitisch sein, da seine Events immer eine gesellschaftliche recht erfolgreich. und damit auch politische Wirkung haben. Gerade hierin liegt ja auch Die japanischen Medaillen bei den Olympischen Spielen 1912 bis die Motivation der meisten Staaten, olympische Sportarten deutlich 193 verteilten sich folgendermaßen: stärker zu fördern als andere. Die Aufnahme von -njGǀ in das olympische Programm war ein ge- Sportart Gold Silber Bronze waltiger Katalysator für die weltweite Verbreitung von -njGǀ. Dies Schwimmen 10 8 8 wirft aber im Kontext des Vorgenannten auch Fragen auf. Wie kam es dazu? Welche gesellschaftlichen und politischen Interessen spiel- Leichtathletik 335 ten in diese Entscheidung hinein? Was bedeutete die Austragung der Springreiten 1-- Olympischen Spiele 194 in 7ǀN\ǀ inklusive der -njGǀ-Wettkämpfe für Japan und warum schmerzte die Niederlage von AKIO KAMINAGA Tennis -2- gegen im Finale der offenen Klasse so besonders? Hockey -1- Ringen --1 Summe 14 14 14

der budoka 9/2012 33 1932 gewann Japan mit seinem Doppelsieg für Japan über 1500 m. YASUJI MIYAZAKI war und ist bis heute der jüngste Olympiasieger „Schwimmkindergarten“ elf von 16 Links der Weltrekordhalter über über 100 m Freistil, die er in olympischer Rekordzeit von 58,2 möglichen Medaillen. Bis dahin hat- 800 m, SHǀZǀ MAKINO, der sich nur Sekunden als 15-Jähriger gewann. Den Rekord hatte bis dahin ten Athleten wie JOHNNY WEISSMÜL- seinem Mannschaftskameraden JOHNNY WEISSMÜLLER gehalten. LER, Goldmedaillengewinner 1924 und KASUO KITAMURA (rechts) beugen 1928 und erster Mensch, der 100m musste, der mit 14 Jahren jüngs- in unter einer Minute schwamm, das ter Schwimm-Olympiasieger aller Schwimmen beherrscht. Zeiten wurde.

In Bezug zum -njGǀ fährt KANƿ in seinem Bericht fort: Zeit auch keine volle staatliche Souveränität, sondern standen unter Kontrolle der Siegermächte. $XI PHLQHU 5HLVH PDFKWH LFK HLQH ZHLWHUH (QWGHFNXQJ GLH GLH KHU- YRUUDJHQGH SWlUNH GHV MDSDQLVFKHQ .|USHUV XQG GHLVWHV EHVWlWLJW Ende der 1940er-Jahre änderte sich die geostrategische Lage drama- -DSDQHU VLQG KHUDXVUDJHQG EHL GHU $XVIKUXQJ YRQ -njGǀ-7HFKQLNHQ tisch. Die große politische Blockbildung setzte ein und der Kampf 'DV 3UREOHP RE -DSDQHU EHL ]XNQIWLJHQ -njGǀ-:HWWNlPSIHQ JHJHQ gegen den Kommunismus hatte für die Westmächte höchste außenpo- ZHVWOLFKH GHJQHU JHZLQQHQ N|QQHQ LVW HLQ 3XQNW EHU GHQ PDQ litische Priorität. Die Teilung Deutschlands und die Westintegration QDFKGHQNHQ PXVV :HQQ GLH -DSDQHU LKUH WHFKQLVFKH hEHUOHJHQKHLW der Bundesrepublik markierte in Mitteleuropa die Schnittstelle zwi- EHLEHKDOWHQ N|QQHQ GDQQ JODXEH LFK GDVV HV NHLQH JUR‰H SFKZLHULJ- schen West und Ost. In Asien begann 1950 der Koreakrieg. In dieser NHLW VHLQ ZLUG $EHU DXFK ZHQQ XQVHUH WHFKQLVFKH 4XDOLWlW JOHLFK RGHU Situation richtete sich das Augenmerk der USA auf Japan, das als VRJDU HWZDV QLHGULJHU VHLQ VROOWH KDEHQ ZLU LPPHU QRFK GLH )lKLJ- strategische Basis für den Kampf gegen den Kommunismus im pa- NHLW ZHVWOLFKH .lPSIHU PLW GHZLVVHQKDIWLJNHLW XQG KDUWHU $UEHLW ]X zi¿schen Raum und Asien dienen sollte. Japan bekam im April 1952 EHUWUXPSIHQ (übersetzt aus BENNETT 2008, Seite 12). seine volle staatliche Souveränität zurück, nachdem der Friedensver- trag am 8. September 1951 in San Francisco unterzeichnet worden Bemerkenswerterweise spricht KANƿ hier über seine Erkenntnisse war. Dass es dazu kommen würde, hatte sich natürlich schon länger aus der Reise zu den Olympischen Spielen 1928 von kommenden vorher abgezeichnet und es bestand ein großes Interesse der USA, internationalen Wettkämpfen - und stellt die Frage von Sieg und Nie- enge Beziehungen zu Japan aufrecht zu erhalten und das Land auf derlage der Japaner unmissverständlich in den Kontext ihrer körperli- diese Weise in die eigenen strategischen Belange einzubinden. chen und geistigen Fähigkeiten im Verhältnis zu westlichen Aktiven. Hieraus darf man aber nicht schließen, dass KANƿ in der Nähe eines Es ist also nicht weiter verwunderlich, dass sich der Oberkom- aufkommenden Rassismus stand. Vielmehr muss er als Patriot gelten, mandierende der alliierten Streitkräfte in Japan, General DOUGLAS dem die Entwicklung eines nationalen Selbstbewusstseins am Herzen MACARTHUR, für eine Teilnahmemöglichkeit Japans an den Olympi- liegt. In seiner weiteren Argumentation macht KANƿ deutlich, dass er schen Spielen 1952 in Helsinki einsetzte. Ein Jahr zuvor war das neu in seiner Lehre von SHLU\RNX-]HQ\{ und -LWD-N\{HL den Schlüssel zur gegründete japanische olympische Komitee bereits vom IOC aner- Entwicklung Japans sieht, nämlich dass die volle Ausschöpfung der kannt worden. Japan wurde danach für die Spiele in Helsinki 1952 körperlichen und geistigen Möglichkeiten des Einzelnen und der Na- zugelassen. Deutschland durfte dort übrigens auch mit einer gemein- tion im Geiste eines gemeinsamen Wachsens bestmögliche Ergebnis- samen Mannschaft aus Bundesrepublik und DDR erstmals wieder se hervorbringt. Und selbstverständlich ist -njGǀ für ihn das Medium, teilnehmen. die richtige Einstellung der Jugend zu entwickeln. Die Kanditatur 7ǀN\ǀV für die Austragung olympischer Som- In den Folgejahren entwickelte sich allerdings bekanntermaßen so- merspiele wohl in Japan als auch in Deutschland ein Rassismus und Ultrana- tionalismus, der in die weltweite Katastrophe führte. Zu diesen Ent- Noch im Jahr der wiedererlangten staatlichen Souveränität Japans wicklungen stand KANƿ in klarer Opposition, wobei er den Kriegs- (1952) beschloss 7ǀN\ǀ, sich um die Austragung der Spiele 190 ausbruch nicht mehr erlebte. Wie ging die Entwicklung nach dem zu bewerben. Diese wurden 1955 allerdings nach Rom - der Haupt- Krieg weiter? stadt eines weiteren Verlierers des Zweiten Weltkriegs - vergeben. Unmittelbar nach dieser Niederlage entschloss sich 7ǀN\ǀ zu einer Ausschluss Deutschlands und Japans von London 1948 und die sofortigen erneuten Kandidatur für die Spiele 194. In diesem Kon- Wiederzulassung für Helsinki 1952 text richtete man 1958 die 3. Asienspiele und unmittelbar zuvor den IOC-Kongress in 7ǀN\ǀ aus. Auf diese Weise konnten sich viele IOC- Zu den Olympischen Spielen 1948 in London wurden Japan und Mitglieder von den organisatorischen Fähigkeiten Japans überzeu- Deutschland nicht eingeladen. Faktisch waren beide Länder von der gen, sodass 7ǀN\ǀ schließlich im Folgejahr bei der Abstimmung in internationalen Gemeinschaft ausgeschlossen. Beide hatten zu dieser

34 der budoka 9/2012 München - Deutschland war also auch wieder olympisch aktiv - mit Die Bedeutung von Turnen und Ringen in den 1950er-Jahren ist nicht seiner Bewerbung erfolgreich war. zu übersehen, während die Erfolge der Schwimmer erst langsam, dann dramatisch einbrachen und Japan hinter die Dominanz der USA Japan hatte erkannt, dass die Olympischen Spiele im eigenen Land und Australien zurück¿el. In der Leichtathletik spielte Japan nach Gelegenheit geben würden, sich der Welt gegenüber positiv zu prä- dem Krieg praktisch keine Rolle mehr. Besonders prägnant: 23 der 25 sentieren - und die Welt nahm die Einladung an. Auf der anderen Sei- Goldmedaillen von 1952 bis 194 wurden im Turnen oder in Sportar- te war Japan auch klar, dass seine eigenen Sportler erfolgreich sein ten mit Gewichtsklasseneinteilung erzielt. mussten, um eine nationale Identi¿kation zu erreichen, denn gerade daran mangelte es im buchstäblich niedergeschlagenen Japan. Das Gründung der IJF und erste Versuche, -njGǀ als olympische Sportfördersystem wurde also auf den Spitzensport ausgerichtet. Die Disziplin zu etablieren Ergebnisse ließen auch nicht lange auf sich warten. Eine Sportart, die nicht auf Weltebene organisiert ist, kann allein Erfolgreiche japanische Sportarten bei Olympia 1952 bis 1964 schon aufgrund des Fehlens einheitlicher Regeln unmöglich in das olympische Programm aufgenommen werden. Vor jeglichen Bemü- Bei den Wettkämpfen zwischen 1952 und 190 waren vor allem hungen, dem IOC -njGǀ als neue Disziplin vorzuschlagen, musste also Schwimmer, Turner und Ringer erfolgreich. Es waren jene Sportar- die Gründung eines -njGǀ-Weltverbandes erfolgen. Erst dieser konnte ten, in denen ein kleiner und leichter Körperbau keinen Nachteil dar- dann weitere Schritte unternehmen. stellte. Ringen, Gewichtheben und Boxen wurden in Gewichtsklas- sen ausgetragen und Japan war naturgemäß in den leichten Klassen Bereits 1948 erfolgte in London die (Wieder-)Gründung der Europäi- erfolgreich. Kleine Turner haben günstige Hebelverhältnisse und die schen -njGǀ-Union (EJU), deren Vorläufer von Jigorǀ KANƿ zu Beginn japanischen Schwimmer hatten ohnehin eine hervorragende olympi- der 1930er-Jahre initiiert worden war. Bei beiden Gründungen spielte sche Tradition. Frauen spielten übrigens im japanischen Spitzensport der London BXGǀNZDL eine zentrale Rolle. Die Strategie KANƿs, in von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen so gut wie gar keine Rolle. Europa und in den USA lebende -njMXWVX-Lehrer wie GUNJI KOIZUMI und YUKIO TANI an den .ǀGǀNDQ zu binden - vor allem durch Ver- Die nachfolgende Tabelle zeigt die summierten japanischen Medail- leihung von 'DQ-Graden - erwies sich als weitsichtig, denn auch die len bei den Spielen 1952/195/190 und die erreichten Medaillen bei neu gegründete EJU hatte via London BXGǀNZDL mit seinem Führer den Heimspielen 194. G. KOIZUMI eine deutliche Nähe zum .ǀGǀNDQ.

Sportart Gold Silber Bronze 1952/56/60 1964 1952/56/60 1964 1952/56/60 1964 Turnen 559481 Ringen 353 - -1 -njGǀ -3-1-- Schwimmen 1 - 10 - 2 1 Boxen -1- --- Gewichtheben -11--2 Volleyball -1- --1 Schießen ----11 Leichtathletik -----1 Summe 916235118

GEESINK gegen KAMINAGA: Der Holländer macht sich noch größer und mächtiger, der Japaner versucht, nicht nach- zustehen.

Am Ende ist es ein simpler Kesa- gatame im Finale der offenen Klasse Fotos: Privatarchiv Dieter Born

der budoka 9/2012 35 Der Weg des -njGǀ durch die IOC-Instanzen Bereits unmittelbar nach ihrer Gründung trat die IJF an das IOC he- ran und wurde am 15. September 1951 als Weltorganisation für die nicht-olympische Sportart -njGǀ anerkannt. Dies war der erste wichti- ge Schritt in die olympische Bewegung.

Schon kurz nach Amtsantritt als IJF-Präsident beantragte RISEI KANƿ im Namen der IJF die Aufnahme von -njGǀ in das olympische Pro- gramm. Der Antrag wurde 1953 auf die Tagesordnung der IOC- Sitzung in Mexiko gesetzt, dort aber auf die Sitzung 1954 in Athen vertagt. Zu jener Zeit gab es jedoch im IOC Bestrebungen, das olym- pische Programm eher zu straffen als zu erweitern, sodass in Athen entschieden wurde, keine neuen Sportarten für die Spiele 195 (Mel- bourne) aufzunehmen. Nicht nur -njGǀ, sondern auch andere Sportarten versuchten, Aufnah- me in das olympische Programm zu ¿nden. Jedoch blieb das IOC Freud und Leid bei der Siegerehrung der offenen Klasse: ein jubelnder AN- auch auf seiner Sitzung 1955 in Paris seiner Linie treu, wo die Auf- TON GEESINK und ein niedergeschlagener AKIO KAMINAGA nahme von -njGǀ, Volleyball, Bogenschießen und Rollschuhlaufen abgelehnt wurde. Der nächste Versuch der IJF wurde 190 lanciert. Mittlerweile war Aus der EJU ging 1951 die Internationale -njGǀ-Föderation (IJF) her- 7ǀN\ǀ als Austragungsort der Spiele 194 bestimmt worden, was Ja- vor und ein Jahr später wurde RISEI KANƿ, Sohn von JIGORǀ KANƿ, pan einen etwas größeren EinÀuss auf die Programmgestaltung gab. nach intensiven internationalen Konsultationen und weltweiten Besu- Nach starkem Drängen wurde -njGǀ schließlich auf die Liste der mög- chen hochrangiger japanischer -njGǀ-Delegationen ihr Präsident. RISEI lichen Kandidaten für die Spiele 194 gesetzt. Jedoch war das Pro- KANƿ war schon 1949 Präsident des neu gegründeten Alljapanischen blem der Begrenzung des olympischen Programms, das gemäß der -njGǀ-Verbandes geworden, sodass der .ǀGǀNDQ nun auf nationaler damaligen IOC-Statuten nur 18 Sportarten vorsah, noch nicht gelöst. und auf internationaler Ebene entscheidenden EinÀuss auf die Ent- Welche Sportart(en) sollte(n) also zugunsten von -njGǀ entfallen? wicklung des -njGǀ hatte. Das 7ǀN\ǀWHU Organisationskommitte schlug die Streichung des Mo- Die Bedeutung der IJF-Präsidentschaft von RISEI KANƿ dernen Fünfkampfes aufgrund eines angeblichen Mangels an Pferden in Japan und das Entfallen von Rudern vor. Nach hitzigen Debat- Die politische Bedeutung der IJF-Präsidentschaft für Japan war ten einigte man sich jedoch darauf, das Programm für 194 auf 20 enorm, denn das Land war im Jahr der Wiedererlangung der staat- Sportarten auszuweiten, wodurch -njGǀ 194 Eingang ¿nden konnte. lichen Souveränität gerade erst auf dem Weg zurück in die interna- Für die Spiele 198 waren keine -njGǀ-Wettkämpfe geplant, die end- tionale Gemeinschaft. -njGǀ war eine Möglichkeit für Japan, seine gültige Aufnahme erfolgte daher erst 1972 für Männer und 1992 für eigene Kultur als positiven Beitrag in den Westen zu exportieren und Frauen, nachdem 1988 in Seoul bereits Frauenwettkämpfe als De- so JIGORǀ KANƿs Arbeit fortzusetzen. Dieser hatte im Jahr 1922 vor monstrationswettbewerbe durchgeführt worden waren. der Kulturvereinigung des .ǀGǀNDQ verkündet: Oftmals wird die Aufnahme von -njGǀ als Entgegenkommen gegen- Ä:LU HUNOlUHQ KLHUPLW HLQHQ BHLWUDJ ]XU (QWZLFNOXQJ GHU +XPDQLWlW über dem Ausrichter betrachtet. Es darf aber dabei nicht übersehen LQ GHU :HOW ]X OHLVWHQ LQGHP ZLU GDV -njGǀ-3ULQ]LS SHLU\RNX-SDL]HQ- werden, dass auch Europa und die USA auf die Aufnahme von -njGǀ .DWVX\ǀ $QPHUNXQJ VSlWHU YHUNU]W ]X SHLU\RNX-]HQ\ǀ ]XU GHO- drängten. Der bedeutendste außerjapanische Unterstützer dürfte da- WXQJ EULQJHQ :LU HUZDUWHQ YRQ DOOHQ -njGǀ-hEHQGHQ GDVV VLH LKUHQ bei der Schweizer OTTO MAYER, damals Kanzler des IOC, gewesen .|USHU JHVXQG KDOWHQ XQG NUlIWLJHQ PRUDOLVFK DXIUHFKW VLQG XQG sein. HLQH HLQÀXVVUHLFKH 5ROOH LQ GHU GHVHOOVFKDIW VSLHOHQ :LU HUZDUWHQ YRQ ,QGLYLGXHQ XQG YRQ GUXSSHQ VLFK ]X KHOIHQ XQG .RPSURPLVVH Für Japan hatte die Aufnahme von -njGǀ eine überragende gesell- ]X VFKOLH‰HQ XQG GDGXUFK HLQH DOOHV GXUFKGULQJHQGH +DUPRQLH ]X HU- schaftliche Bedeutung. Zum ersten Mal wurde eine nicht-europä- ]HXJHQ BH]RJHQ DXI GLH :HOW LP GUR‰HQ HUZDUWHQ ZLU YRQ DOOHQ QDFK ische Sportart in das olympische Programm aufgenommen. Diese JHPHLQVDPHP GHGHLKHQ ]X VWUHEHQ -LWD-N\ǀHL  UDVVLVWLVFKH 'LVNUL- war zudem vom ersten asiatischen Mitglied des IOC, JIGORǀ KANƿ, PLQLHUXQJ ]X EHUZLQGHQ XQG GLH )UFKWH NXOWXUHOOHU (QWZLFNOXQJ ]X entwickelt worden. KANƿs Traum, einerseits durch -njGǀ andererseits WHLOHQ 'LH HVVHQ]LHOOHQ 3XQNWH KLHUIU VLQG durch die olympische Bewegung Frieden und Wohlstand in die Welt zu bringen, wurde greifbar. Japan hatte also der Welt wieder etwas 1 BHVWP|JOLFKHU (LQVDW] YRQ .|USHU XQG GHLVW LVW GLH BDVLV IU Positives zu geben und die Welt nahm Japan auch mit seinen kul- SHOEVWSHUIHNWLRQLHUXQJ turellen Errungenschaften wahr. Nebenbei stieg auch die historische 2 SHOEVWSHUIHNWLRQLHUXQJ ZLUG GXUFK GLH 8QWHUVWW]XQJ DQGHUHU LQ Bedeutung J. KANƿs als „Vater des japanischen Sports“ und Begrün- GLHVHP 3UR]HVV NRPSOHWWLHUW der des -njGǀ für Japan, was durch umfangreiche Veröffentlichungen  SHOEVWSHUIHNWLRQLHUXQJ LVW GLH GUXQGODJH IU GDV VR]LDOH GHGHL- - z.B. einer KANƿ-Biographie, die anlässlich der Olympischen Spiele KHQ GHU 0HQVFKKHLW³ (aus SYD HOARE 2007, vom Verfasser aus dem 194 herausgegeben wurde - deutlich zum Ausdruck kommt. Englischen übersetzt). Querschüsse gegen die IJF als Weltorganisationen des -njGǀ Schon JIGORǀ KANƿ hatte vor dem Zweiten Weltkrieg -njGǀ-Lehrer in andere Länder entsandt, um dort -njGǀ und seine Philosophie zu beim IOC verbreiten. Dieser Weg wurde nun mit staatlicher Hilfe fortgesetzt. Neben der IJF gab es noch eine Reihe weiterer internationaler Orga- Vielen Ländern wurden in der Folge mit ¿nanzieller Unterstützung nisationen, die Formen von -LX--LWVX/-X-MXWVX oder -njGǀ vornehmlich des japanischen Staates japanische -njGǀ-Lehrer zur Verfügung ge- vor professionellem Hintergrund betrieben. Insbesondere die „In- stellt. Außerdem wurden zwischen .ǀGǀNDQ und vielen nationalen ternational World Judo-Federation“(IWJF), die von JACK ROBINSON Verbänden Vereinbarung zur Vergabe von 'DQ-Graden - meist unter geführt wurde, versuchte ab 1955 anstelle der IJF vom IOC als Welt- Einbeziehung der japanischen Lehrer - getroffen. verband für -njGǀ anerkannt zu werden. ROBINSON, ein Brite, der nach Südafrika ausgewandert war, hatte sich selbst zum 10. 'DQ graduiert und unternahm mehrere Versuche, den .ǀGǀNDQ und das japanische -njGǀ als Gefahr für die westliche Kultur zu diskreditieren.

Das IOC hatte ROBINSON, nachdem sich dieser als Repräsentant für -njGǀ vorstellte, zunächst mit Verweis auf die bereits erfolgte An- erkennung der IJF als Weltorganisation für -njGǀ empfohlen, einen

36 der budoka 9/2012 gemeinsamen Verband zu gründen. Aufgrund des obskuren Hinter- eine militärisch starke Nation, die dann aber im Zweiten Weltkrieg grunds von ROBINSON war die IJF jedoch nicht daran interessiert. vernichtend geschlagen wurde. Die japanische Volksseele fühlte eine Daraufhin verleumdete ROBINSON die IJF als nicht mit dem damals nationale Unterlegenheit, aber ein Sieg im -njGǀ über den Westen sehr hoch gehaltenen Amateurgedanken vereinbar, da ihr Präsident würde zweifellos neuen Nationalstolz herbeizaubern können, so wie RISEI KANƿ eine kommerzielle -njGǀ-Schule, den .ǀGǀNDQ, betreiben das „Wunder von Bern“ der deutschen Nation vermittelt hatte, wieder würde. Dies konnte von Seiten der IJF mit der Klarstellung berei- „wer zu sein“. Eine Niederlage im -njGǀ würde dagegen eine weitere nigt werden, dass der .ǀGǀNDQ kein kommerzielles Unternehmen Traumatisierung bedeuten. sei, sondern bereits 1909 in eine Stiftung umgewandelt worden war und dass selbstverständlich die hauptberuÀichen Lehrer bei Olympia Die Einführung von Gewichtsklassen im -njGǀ nicht startberechtigt wären. Umgekehrt geriet übrigens ROBINSON in die Defensive, nachdem das nationale Olympische Komitee seines Nachdem -njGǀ 190 als Teil der Spiele 194 beschlossen war, fan- Heimatlandes Südafrika die IWJF als „professionell“ eingestuft hatte. den 191 in Paris die 3. Weltmeisterschaften - immer noch ohne Ge- wichtsklassen - statt. Im Finale bezwang der deutlich größere, schwe- Das zweite Geschütz, das die IWJF auffuhr, hatte ein größeres Kali- rere und stärkere Niederländer ANTON GEESINK seinen Gegner KOJI ber. Dem .ǀGǀNDQ wurde unterstellt, einen „Cocktail von =HQ-Bud- SONE zunächst mit :D]D-DUL für SRWR-PDNL-NRPL und später mit einem dhismus, Mystik und BXVKLGǀ“ in die Welt tragen zu wollen, um so Haltegriff. Japan war gewarnt, zumal GEESINK auf dem Weg ins Fina- die christlichen Werte des Abendlandes zu unterwandern. Man selbst, le schon AKIO KAMINAGA (Kampfrichterentscheid) und HITOSHI KOGA so die IWJF, würde -njGǀ dagegen als schönen Sport betrachten, je- (,SSRQ für 8FKL-PDWD) ausgeschaltet hatte. doch gegen die Vereinnahmung durch „religiösen Imperialismus“ schützen wollen. Zufall oder nicht? Die Weltmeisterschaft 191 war die letzte große Meisterschaft auf Weltebene, die ohne Gewichtsklassen ausgetragen Die japanischen Vertreter im IOC und auch RISEI KANƿ hatten große wurde. Für die Spiele in 7ǀN\ǀ wurden drei Gewichtsklassen (Leicht-, Mühe, diesem Vorwurf zu begegnen, stellten jedoch unmissverständ- Mittel, Schwergewicht) eingeführt und zusätzlich ein Wettbewerb lich klar, dass es keine Verbindung zwischen -njGǀ und irgendeiner in der offenen Klasse ausgetragen. Dies erhöhte natürlich auch die religiösen Lehre gäbe, die durch -njGǀ vermittelt werden sollte. Dies Chancen auf japanische Goldmedaillen signi¿kant. würde sich auch aus den Schriften von JIGORǀ KANƿ ergeben. Auch wenn diese Querschüsse letztlich ihr Ziel verfehlten, schwächte es die Die Einführung von Gewichtsklassen war durchaus umstritten. Es Position des .ǀGǀNDQ in der IJF und im Folgejahr der Olympischen war und ist ja gerade das Credo des -njGǀ, dass der kleine und schwä- chere Kämpfer nicht unterlegen sein muss. Dennoch ist offensicht- Spiele von 7ǀN\ǀ übernahm der Brite CHARLES PALMER die IJF-Präsi- dentschaft und beendete so die Kontrolle des .ǀGǀNDQ über die IJF. lich, dass die Chancen bei großen physischen Unterschieden nicht gleich verteilt sind. Der Kompromiss, wenn man es so nennen darf, -njGǀ - der Mythos des Sieges von Technik und Geist über Stärke war die offene Klasse als Herzstück der Wettkämpfe, in der es zum Kampf „Klein gegen Groß“ kommen konnte und sollte. Für Japan waren die Ausrichtung der Spiele in 7ǀN\ǀ und die Auf- nahme von -njGǀ in das olympische Programm bereits wichtige Mei- Demütigung für eine ganze Nation: die Niederlage KAMINAGAs lensteine auf dem Weg zur Integration in die internationale Staaten- gegen GEESINK gemeinschaft. Es gibt aber noch einen weiteren Aspekt, der nicht übersehen werden darf, weil er für die japanische Volksseele eine Der Wettkampf in der offenen Klasse gegen den amtierenden Welt- besondere Bedeutung hatte. meister aus den Niederlanden hatte also für die Japaner eine besonde- re Bedeutung. Es war die Versinnbildlichung des Kampfes des klei- -njGǀ ist seit jeher mit dem Gedanken verbunden, dass ein kleinerer, nen japanischen Mannes gegen den europäischen Riesen, der Kampf schwächerer Kämpfer (oder Kämpferin) einen großen und stärkeren japanischer Finesse und japanischen Geistes gegen überlegene Kraft. besiegen kann, wenn er/sie es nur raf¿niert genug anstellt. Technik, Allerdings kann sich jedermann heute via Internet (z.B. bei judovi- Geschicklichkeit und ausgeprägter Wille können körperliche Unter- sion.org) ein Bild davon machen, dass man mit dieser Zuspitzung legenheit - wenn auch in Grenzen - kompensieren. Im Kampf japa- ANTON GEESINK reichlich Unrecht tat, denn er suchte den Sieg gegen nischer -njGǀND gegen westliche Gegner schwingt genau dies als eine die Japaner stets auch mit technischen Mitteln, während letztere oft Art „japanischer Traum“ stets mit, wenn ein vermeintlich schwäche- viel zu verhalten kämpften. rer Japaner einem vermeintlich stärkerem Europäer oder Amerikaner gegenübersteht. Das Ergebnis ist bekannt. Am Ende hielt GEESINK im Finale KAMINA- GA mit .HVD-JDWDPH fest und versetzte Japan einen herben Schock, Das japanische Volk war im 19. Jahrhundert dank enormer Anstren- über den auch der überlegene Gewinn der Goldmedaillen in den drei gung der Kolonialisierung entgangen. In den Folgejahren entstand Gewichtsklassen nicht hinwegtrösten konnten. Nur der Titel in der

Die erste Silbermedaille beim Judo für Deutschland: Der Kölner WOLFGANG HOFMANN (links) bei der Siegerehrung. Fotos: Privatarchiv Dieter Born

der budoka 9/2012 37

offenen Klasse, nur der Sieg über GEESINK hätte den Traum vom Klei- nen, der den Großen besiegt, lebendig werden lassen. Die Krone des IMPRESSUM -njGǀ blieb so aber in den Niederlanden, wo sie ganz nebenbei be- merkt auch bei der nächsten AuÀage olympischer -njGǀ-Wettkämpfe „der budoka“ - Verbandsmagazin des Dachverbandes für 1972 in München blieb, als WILLEM RUSKA der historische Doppeltri- Budotechniken Nordrhein-Westfalen e.V. umpf im Schwergewicht und in der offenen Klasse gelang. 40. Jahrgang 2012 So blieb es dann dem heutigen Präsidenten des .ǀGǀNDQ und der Herausgeber, Verlag, Redaktion, Anzeigen- und Abo- Alljapanischen -njGǀ-Föderation, H. UEMURA, überlassen, 197 in verwaltung: Montreal die erste japanische Goldmedaille in der offenen Klasse zu Dachverband für Budotechniken Nordrhein-Westfalen e.V. gewinnen, gefolgt vom legendären 1984 in Los Postfach 10 15 0 Angeles. Ab 1988 wurde die offene Klasse schließlich aus dem Pro- 47015 Duisburg gramm gestrichen, da faktisch nur noch Schwergewichte gemeldet Friedrich-Alfred-Str. 25 wurden, die auf diese Weise eine zusätzliche Medaillenchance be- 47055 Duisburg kamen. Telefon: 02 03 / 73 81 -  2 Telefax: 02 03 / 73 81 -  24 Zusammenfassung und Fazit E-Mail: [email protected] Japan hat sehr früh nach dem Zweiten Weltkrieg den Sport im Allge- www.budo-nrw.de meinen und das -njGǀ im Besonderen als Felder erkannt, durch die so- Redaktionsleitung: Erik Gruhn (verantwortlich) wohl die (Re-)Integration in die internationale Staatengemeinschaft E-Mail: [email protected] als auch der Aufbau einer nationalen Identität gefördert werden konn- te. Die IJF-Präsidentschaft von JIGORǀ KANƿs Sohn RISEI, die Austra- Redaktionsschluss: der 1. des Vormonats gung der Olympischen Spiele 194 in 7ǀN\ǀ und die Aufnahme von ISSN 0948-4124 -njGǀ in das olympische Programm waren jeweils wichtige Meilen- steine hierbei. Druck: SET POINT Schiff & Kamp GmbH Trotz der Niederlage KAMINAGAs gegen GEESINK ging aus der interna- Moerser Str. 70 tionalen Perspektive die Saat auf. -njGǀ wurde weltweit immer popu- 47475 Kamp-Lintfort lärer und entwickelte sich zu einem Exportschlager japanischer Kul- tur, mit dem bis heute Werte wie HöÀichkeit, Geschicklichkeit, Fleiß, Anzeigenpreise: Preisliste Nr. 5 vom 1.5.2011 Respekt und gegenseitige Hilfe verknüpft sind. -njGǀ entwickelte sich Erscheinungsweise: monatlich, 10 x im Jahr vor allem im Westen zum Inbegriff einer pädagogisch wertvollen Sportart, mit großen Potenzialen in der Gewaltprävention, im Aufbau Mit Namen gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt von Selbstbewusstsein insbesondere für kleinere Menschen und in die Meinung der Redaktion wieder. Für unverlangt eingesandte der Förderung sozialer Kompetenzen. Manuskripte, Fotos und Datenträger wird keine Haftung übernom- men. Millionen von Menschen in aller Herren Länder haben seither ein -njGǀ-Training aufgenommen und diese Werte mit Japan verbunden. Lieferbedingungen: In London nahmen Athletinnen und Athleten aus 135 Ländern - die Jahresabonnement 28,00 € zweitgrößte Nationenzahl aller Sportarten - teil. Sogar 21 von ihnen Bei Bankeinzug ermäßigt sich der Preis für das Jahresabonnement wurden als Fahnenträger/innen ihrer Länder bei der Eröffnungsfeier auf 24,00 €. Bezugsgebühren werden jeweils für das Kalenderjahr ausgewählt. Für viele Menschen war -njGǀ ein erster Einstieg für ein erhoben. Interesse an Japan und an japanischer Kultur, ein Interesse, das bei ei- nigen von ihnen sogar zu einer Aufnahme eines Japanologiestudiums Einzelheftpreis: 3,50 € (zzgl. Versandkosten) und zu aktiver Gestaltung kulturellen Austausches geführt hat Bei Bestellungen mehrerer Exemplare Konditionen auf Anfrage. Dass die in den letzten Jahren erkennbare „Entjapanisierung“ des Die Kündigung des Abos ist mit einer Frist von sechs -njGǀ gerade von den Japanern mit Sorge betrachtet wird, kann dabei Wochen zum Ende des Kalenderjahres möglich. ebenso wenig verwundern, wie die aktuellen Bemühungen, wieder einen größeren EinÀuss auf das Welt--njGǀ zu erlangen, die Identi¿ka- Urheberrechtlicher Hinweis: tion der japanischen Bevölkerung mit dem -njGǀ wieder zu vergrößern Das Magazin, alle enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind ur- - zum Beispiel durch Einführung als PÀichtsportart in Schulen (alter- heberrechtlich geschützt. Jede Verwendung, die nicht ausdrücklich nativ zu .HQGǀ) - und den Status als olympische Sportart zu erhalten. vom Urhebergesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustim- mung des Verlages. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Auch auf internationaler Ebene ist Japan wieder sehr aktiv dabei, tra- Übersetzungen, Mikrover¿lmungen, die Einspeicherung und ditionelles -njGǀ zu vermitteln. Nach wie vor unterstützt der Staat die Verarbeitung in Datensystemen. Entsendung von hochrangigen Referenten ins Ausland und im Jahr 2011 führte der .ǀGǀNDQ erstmals in Kooperation mit der EJU ein großes internationales .DWD-Seminar durch. -njGǀ, das wissen alle, die es intensiv betreiben, ist zwar auch ein Sport - aber letztlich doch viel, viel mehr. Judoabteilung der Polizei-Sport- vereinigung Jahn Solingen 1950 e.V. Literatur (Auswahl)

BENNETT, ALEX: JIGORǀ Kanǀ and the .ǀGǀNDQ - an innovative Response to Mo- dernisation, .ǀGǀNDQ -njGǀ Institute, 2009 C-Trainerin oder C-Trainer zur Leitung

HOARE, SYD: Key Principles of -njGǀ, 2007, Script einer Vorlesung an der Uni- von U 11- / U 14 - Gruppen gesucht. versität Bath Die gesuchte Person sollte volljährig und zur KÖNNING, WILLI: Spitzensport in Japan, Verlag Dieter Born gelegentlichen Wettkampfbetreuung bereit sein. NIEHAUS, ANDREAS: Leben und Werk KANǀ JIGORǀs (180-1938), Ergon-Verlag, 2003 Über die Trainingszeiten und das Honorar wollen wir in einem Gespräch informieren. NIEHAUS, ANDREAS: „I throw a light into the darkness of the world“ - The ques- tion of Cultural and National Identity in the Process of including -XGR into the Bewerbungen richten Sie bitte an Olympic Program; in: NIEHAUS/SEINSCH (Hrsg.): Olympic Japan: Ideals of (Inter) Nationalism, Ergon-Verlag, 2007 Karsten Labahn, 0179-3134010 ([email protected]).

38 der budoka 9/2012 Eine Technik der Kime-no-Kata wird von Shiro Yamamoto, 9. Dan, erläutert. Auch in fortgeschrittenem Alter ist eine hohe Perfektion keine Zauberei, sondern Ergebnis jahrelangen Trainings.

Macht das Training der traditionellen Kata heute eigentlich noch Sinn ?

Gedanken über eine mögliche Bereicherung des Vereinstrainings durch regelmäßiges Üben von Kata

von Wolfgang Dax-Romswinkel

Die Judovereine in Deutschland sind seit geraumer Zeit sich wan- Sind die derzeitigen Probleme wirklich neu? delnden Rahmenbedingungen ausgesetzt. Eine langsam aber sicher alternde Bevölkerung, immer weniger Kinder, dafür mehr *anztags- Bereits 976 stellte der große Visionlr des deutschen Judo, :olfgang schulen, insgesamt verlndertes Freizeitverhalten, größere Mobilitlt Hofmann, in der ersten Ausgabe der „Judo-Revue³ die zu jener Zeit der jungen Erwachsenen und höherer Leistungsdruck für Schüler und provozierende n Frage n „:ird Judo eine Sportart für Kinder" Fin- Berufstltige durch verdichtete Lern- bzw. Arbeitszeiten beeinÀussen det Judo den Anschluss an die Trimmbewegung"³ Schon damals, in nachhaltig die Mitgliederstruktur der Vereine und als Folge davon einer Zeit, in der sich die Mitgliederzahlen des DJB innerhalb von auch das Potenzial an ehrenamtlichen Helfern. All dies macht ein zehn Jahren gerade fast verfünffacht hatten von 7.000 im Jahr 966 Nachdenken über die Angebote der Judovereine erforderlich, sowohl auf 74.000 in Jahr 976 - das waren über 5.000 mehr als 20 und was Zielgruppen als auch was Inhalte betrifft, die man diesen *rup- das ohne die neuen Llnder! , stellte er fest, dass: pen anbieten möchte. - immer weniger Vereine ein gut freTuentiertes Erwachsenentraining Einigen Vereinen gelingt es zwar erfolgreich, sich dem :andel zu anbieten würden, stellen, andere tun sich dagegen etwas schwerer, wie die Entwicklung - der Selbstverteidigungsappeal des Judo stark abgenommen habe, der Mitgliederstatistik der letzten Jahre zeigt. :o gibt es also Opti- - schlechte Fallschule und verkrampfter Stil zu vielen kleinen Verlet- mierungsmöglichkeiten bei den Angeboten der Vereine" Kann eine zungen und damit hlu¿g zur Abkehr vom Judo führen würden, Besinnung auf traditionelle Kata als regelmlßiger Trainingsinhalt ein - Randori zu sehr am :ettkampf orientiert sei und von daher dringend :eg sein, die aktuellen Herausforderungen zu meistern" Im Folgen- für Fitness-Suchende anders gestaltet werden müsse, den soll eine Antwort versucht werden. - die Liebe zu Kata neu entdeckt werden müsse.

20 der budoka /202 Die von :olfgang Hofmann vor über 5 Jahren aufgeworfenen Fra- Kata Anzahl der Techniken gen und auch seine Lösungsvorschllge erscheinen heute aktueller denn je. So gibt es in jüngster Zeit zahlreiche Bemühungen, an den Nage-no-Kata 5 jeweils rechts und links Themen Randori und Selbstverteidigung zu arbeiten, z.B. durch Auf- Katame-no-Kata 5 nahme in die Kyu- und Dan-Prüfungsordnung und durch Lehrglnge für Multiplikatoren. Ähnliches gilt auch für das Thema „richtiges Nage-waza-ura-no-Kata 5 Fallen³. Kodokan *oshinjutsu 2 :lhrend also ein Teil der damals angesprochenen Themen bereits Kime-no-Kata 20 neu ins Bewusstsein gerückt wurde, ist der Bereich der Kata zumin- Ju-no-Kata 5 dest im Rahmen von Veröffentlichungen noch nicht so sehr unter dem *esichtspunkt der Bereicherung des Vereinstrainings betrachtet wor- Koshiki-no-Kata 2 den. Die Potenziale, die in einem regelmlßigen Angebot von Kata- Itsutsu-no-Kata 5 Training schlummern, sind daher, nach dem subjektiven Eindruck des Verfassers, auf der Vereinsebene weitgehend unentdeckt, woran auch Summe 27 die Aufnahme der ersten drei Stufen der Nage-no-Kata in das Kyu- Prüfungsprogramm nicht viel gelndert hat. :er alle im Dan-Prüfungsprogramm enthaltene Kata lernen möch- Kata im Programm für Kyu-/Dan-Prüfungen te, hat also die praktische und theoretische Auseinandersetzung mit 27 Aktionen, jeweils als Uke und als Tori ! , vor sich. Und wenn Hand auf´s Herz: Die meisten Judotreibenden lernen eine Kata relativ das nicht reicht: Es gibt auch noch weitere Kata und darüber hinaus kurz vor einer Prüfung, um sie dann so lange nicht mehr zu prak- sind nicht alle „Themen³ des Judo in den „of¿ziellen³ Kata reprlsen- tizieren, bis die nlchste Prüfung ansteht. :eil außer der Nage-no- tiert. Katalhnliche Zusammenstellungen für Überglnge vom Stand Kata keine andere Kata bei mehreren Prüfungen demonstriert werden zum Boden oder für :urfkombinationen können das Programm der kann, heißt das konkret, dass die meisten Judotreibenden eine Kata traditionellen Kata leicht erglnzen. Der Phantasie sind bei eigenen nach erfolgreicher Prüfung kaum je wieder praktizieren. Zusammenstellungen kaum *renzen gesetzt. Viele Sportfreunde können sich auch kaum vorstellen, Kata außer- halb des Prüfungskontextes zu trainieren. Die Verbindung zwischen Zur körperlichen Belastung beim Kata-Training Dan-Prüfung und den jeweils im Prüfungsprogramm verlangten Kata Die Bewegungsintensitlt beim Kata-Training ist geringer als beim ist in vielen Köpfen so starr und eng, dass der Verfasser zum Beispiel Randori. Man kann lange darüber diskutieren, welche der beiden schon hlu¿g gefragt wurde, warum er denn ausgerechnet die Ju-no- Trainingsformen für den Aufbau und den Erhalt körperlicher Fitness Kata übe, obwohl er den 4. Dan schon llngst habe. effektiver und sinnvoller ist. Für den Verfasser ist dies allerdings Etwas provozierend kann man sogar feststellen, dass Kata durch die nicht die Frage eines „entweder-oder³, sondern eines „sowohl-als- Einbindung in das Prüfungswesen fast schon künstlich am Leben ge- auch³. Kata-Training bietet eine lang andauernde Belastung niedri- halten wird. Die Begegnung mit Kata ist dadurch leider hlu¿g mit ger bis mittlerer Intensitlt - bei gleichzeitig großer Bewegungsviel- zwiesplltigen *efühlen verbunden, denn durch diese Eingebunden- falt, was der Entwicklung von Koordination zugute kommt. Da das heit in Bewertungssituationen liegt der Fokus beim Üben meist auf Hauptthema beim Judo als „Erhalt und Verlust des *leichgewichts³ der Erfüllung der Bewertungskriterien und weniger auf dem Eigen- beschrieben werden kann, wird insbesondere die Kontrolle des eige- wert der Kata. Die Übenden fragen sich also weniger „was kann ich nen *leichgewichts durch Praktizieren der verschiedenen Kata ge- Positives für mich und mein Judo aus der Kata mitnehmen³, sondern schult. *leichzeitig ist das Verletzungsrisiko lußerst gering. mehr „wie soll es aussehen, damit ich die Prüfung bestehe³. Durch diesen menschlich nachvollziehbaren Ansatz erschließt sich aller- Kata und selbstständiges Üben dings der Sinn des Übens einer Kata kaum - sicherlich auch einer der :ir sind es in Deutschland gewöhnt, dass alle paar Minuten vom *ründe, warum die verschiedenen Kata nach erfolgreicher Prüfung Übungsleiter neue Übungen für alle Übenden angesagt werden. Das fast immer nicht weiter praktiziert werden. Es entsteht also ein Teu- Training ist also in aller Regel relativ straff geführt und meist machen felskreis, bei dem die Sinnfrage zugunsten des Prüfungsergebnisses auch alle Übenden dasselbe oder zumindest Ähnliches. Dort, wo dif- zumindest weitgehend auf der Strecke bleibt. ferenziert wird, ist der Übungsleiter hlu¿g unter Daueranspannung, weil Differenzierung oft dadurch realisiert wird, dass der Übungslei- Traditionelle Kata: Bewegungsvielfalt fast ohne Grenzen ter mehrere Teilgruppen parallel in der vorgenannten Art und :eise Alle Aktionen in den Judo-Kata sind relativ komplexe Bewegungen unterrichtet. sowohl für Uke als auch für Tori. Alle Aktionen haben nicht nur einen Kata - einmal gelernt - kann durch eine vorgegebene Übungsfolge rein motorischen Aspekt, sondern auch einen konkreten theoretischen eine große Hilfe sein und einen Beitrag zu mehr Individualisierung Hintergrund, also immer ein „:as"³, ein „:ie"³ und ein „:arum"³. des Trainings leisten. :enn zwei Partner jede Technik einer „großen³ Dies rührt daher, dass die Aktionen in den Kata jeweils danach aus- Kata jeweils -5 mal als Tori und als Uke machen, dann dauert dieses gewlhlt und verfeinert wurden, ob sie exemplarisch irgendwelche Training im Durchschnitt rund 45-60 Minuten -, auch ohne dass eine übergeordneten Prinzipien des Judo illustrieren. bestimmte Aktion besonders geübt würde. Bleibt man bei einer Tech- Jede Aktion in jeder Kata ist also auch ein Ausgangspunkt für weitere nik „hlngen³ und übt diese intensiver, ist eine Stunde Trainingszeit Varianten und Möglichkeiten, denselben Prinzipien folgend Neues zu leicht überschritten. Auf diese :eise können mehrere Paare inner- entdecken oder Bekanntes auf einer grundlegenden Ebene besser zu halb eines Trainings sehr individuell trainieren. Jedes Paar kann eine verstehen. Im Kern ist Kata also eine kombinierte Trainingsform zu andere Kata machen oder eigene Schwerpunkte bei den einzelnen Theorie und Praxis des Judo, um die *rundlagen dafür zu schaffen, Techniken setzen. Der Übungsleiter kann einem Paar punktuell oder durch Variation das eigene Judo in Theorie und Praxis weiterzuent- auch einmal über einen llngeren Zeitraum helfen, ohne befürchten zu wickeln. müssen, dass der Rest der *ruppe nicht mehr weiß, was er üben soll. Legt man allein die Kata aus dem Dan-Prüfungsprogramm zu *run- Welchen Nutzen bringen die jeweiligen Kata für die Übenden? de, ergibt sich folgendes Zahlengerüst: Aber was hat man nun konkret davon, wenn man bestimmte Kata lernt und immer wieder übt. Im Folgenden soll eine Kurzantwort für diejenigen Kata gegeben werden, die in der Dan-Prüfungsordnung enthalten sind.

der budoka /202 21 Ein perfekter Uki- otoshi, demonstriert von den mehrfachen deutschen Meistern Yussuf Arslan und Sergio Sessini. Voll- kommen entspannt und mit größter Präzision erfolgt ein dynamischer Wurf.

Die deutschen Vizemeisterinnen Godula Thiemann und Jenny Gold- schmidt demons- trieren, worauf es bei Hadaka-jime ankommt: Kontrolle über den Gegner durch Gleichge- wichtsbruch, prä- zises Ansetzen der eigenen Würgehand, Schutz des eigenen Gesichts und Druck mit der Schulter von hinten gegen Ukes Hinterkopf. Ukes Befreiungsversuche bleiben dann ohne Chance.

22 der budoka /202 Nage-no-Kata Katame-no-Kata schult, wie man sich gegen eine einmal angesetzte *rifftechnik Katame-waza - egal, ob halten, würgen oder hebeln - Die Nage-no-Kata enthllt einen reprlsentativen 4uerschnitt der wieder befreien kann bzw. wie man diese Befreiungen verhindert und :urftechniken des Kodokan-Judo. Alle Techniken werden sowohl so die Technik auch gegen vehemente Verteidigung durchsetzt. rechts als auch links geübt. Leider wird in der Praxis oft das Verteidigungsverhalten Ukes nicht Ziel beim Üben der Nage-no-Kata ist eine Technikausführung mit gründlich genug geübt, was dann die Katame-no-Kata zu einer Ver- größtmöglicher Prlzision. Dabei werden auch die grundlegenden kettung von Handlungen an einem mehr oder weniger wehrlosen Formen des *ehens, der Körperhaltungen Shizentai und Jigotai Partner macht und den Übenden den Sinn der Kata raubt. Eine korrekt sowie - ganz wichtig - korrektes Fallen geübt. Jeder Technik liegt studierte Katame-no-Kata ist dagegen lußerst lebhaft, dynamisch, ein :urfprinzip zugrunde, das reprlsentativ für eine ganze Schar von sehr praxisrelevant - und auch anstrengend! :urftechniken ist. Allen gemeinsam ist die Betonung des wichtigs- ten Prinzips der Judo-:urftechniken: das Stören des gegnerischen Nage-waza-ura-no-Kata *leichgewichts Kuzushi , um leichter werfen zu können. Das Stu- dieren der unterschiedlichen Formen des Kuzushi steht also im Mit- Bei dieser Kata geht es - wie auch bei anderen Kata zur Thematik telpunkt des Übens der Nage-no-Kata. „*egenwürfe³ - darum, wie ein gegnerischer Angriff mit einer :urf- technik gekontert werden kann. Schlüssel zum Verstlndnis der Kon- Nage-no-Kata schult damit auf einer grundlegenden Ebene alles, was tertechniken sind jeweils genaue Kenntnisse der Angriffstechniken zum Thema „:erfen und Fallen³ wichtig ist. und deren Schwachstellen, damit man diese ausnutzen kann. Es geht also darum, die Funktionsweise der Angriffe genau zu verstehen, da- Katame-no-Kata mit man diese zunichte machen und kontern kann. Ich gestehe: Ich mochte sie eigentlich nie so richtig, die Katame-no- Im Falle der Nage-waza-ura-no-Kata haben wir es mit einer besonde- Kata. Dies hat sich jedoch in den letzten Jahren ein wenig gewandelt. ren Situation zu tun. Unter anderem werden alle Techniken der ersten

Norbert Kremer und Gerd Schäfer demonstrieren die Abwehr eines Kinn- hakens in der Kodo- kan-Goshinjutsu bei der Westdeutschen Kata-Meisterschaft. Schnelligkeit und Griffsicherheit sind hier Trumpf.

der budoka /202 23 drei *ruppen der Nage-no-Kata gekontert, so dass Nage-waza-ura- alten Schulen Koryu-Jujutsu Angriffe und Verteidigung aus dem no-Kata gleichzeitig auch ein indirektes Studium der Nage-no-Kata Kniesitz. Außerdem werden traditionelle :affen - Tanto und Katana darstellt. - verwendet.

Kodokan Goshinjutsu Ju-no-Kata Die Kodokan *oshinjutsu wurde zwischen 952 und 956 von zahl- Ju-no-Kata wurde explizit als Leibesertüchtigung entwickelt. Alle reichen Meistern des Kodokan entwickelt, um eine moderne re Bewegungen werden in moderatem Tempo ausgeführt. Außerdem Form der Selbstverteidigung im Angebot zu haben. Dabei sind auch wird an keiner Stelle geworfen oder die Kleidung des Partners ge- Anleihen aus dem eingeÀossen. fasst. Dies erlaubt ein Üben unabhlngig vom Ort oder einer bestimm- ten Trainingskleidung. Bei der Kodokan *oshinjutsu geht es nach dem Erlernen der *rob- form der Techniken vor allem darum, diese mit maximaler Explosivi- Die Techniken sind vor allem durch die Kata der Kito-ryu s.u. tlt auszuführen zu lernen. Es ist also eine lußerst dynamische Kata, Koshiki-no-Kata inspiriert. Diese sind aber so modi¿ziert, dass es die Distanzgefühl, *riffsicherheit, schnelle Körperbewegungen, Re- hohe Dehnanteile und hohe Anteile mit Übungen zur Verbesserung aktionsflhigkeit usw. entwickelt. der Körperspannung gibt. Außerdem enthllt Ju-no-Kata viele sehr komplexe Drehbewegungen, bei denen der eigene Körper sehr zen- Kime-no-Kata triert kontrolliert werden muss. Ju-no-Kata stellt somit ein ideales Übungsprogramm für Jung und Alt dar, das Bewegungssicherheit, :as für die Kodokan *oshinjutsu geschrieben wurde, gilt auch un- Beweglichkeit und Körperspannung - insbesondere im Rumpfbereich eingeschrlnkt für die deutlich lltere Kime-no-Kata. Diese ist eine - verbessert. Selbstverteidigungskata mit Anleihen aus dem traditionellen Jujut- su der japanischen Samurai, auch wenn sie erst im 20. Jahrhundert Koshiki-no-Kata entstanden ist. Als Relikt der „alten³ Zeit enthllt sie in der Art der Koshiki-no-Kata stammt direkt aus Kito-ryu, einem traditionellen Jujutsu-Stil, den Jigoro Kano lernte, bevor er das Kodokan-Judo ent- wickelte, bzw. das er eine Zeit lang parallel betrieb. Koshiki-no-Kata bietet einen Einstieg in die etwas esoterischen Leh- ren alter Jujutsu-Schulen und ist somit vor allem für Leute interes- sant, die sich mit philosophischen Hintergründen befassen möchten. Auf der rein technischen Ebene ist es spannend zu erfahren, wie ein „Ringen in Rüstungen³, das ist die „lußere³ Thematik der Koshiki- no-Kata, ausgesehen haben mag.

Itsutsu-no-Kata :ie Koshiki-no-Kata stammt Itsutsu-no-Kata aus einem Jujutsu-Stil, den Jigoro Kano gelernt hat, nlmlich aus dem Tenjin-shinyo-ryu Jujutsu. Hinter Itsutsu-no-Kata steckt ebenfalls viel, viel abstrakte Theorie, was diese Kata für eine Auseinandersetzung mit philosophi- schen *edanken interessant macht. Die körperliche Umsetzung ist allerdings auch für sich allein genommen reizvoll - und schwierig!

Wie man Kata nicht üben sollte Das Üben von Kata muss für die Übenden einen größeren :ert ha- ben, als nur das Bestehen eines Prüfungsfaches bei einer Kyu- oder Dan-Prüfung. Der erste Kardinalfehler, den man also machen kann, ist die Aufnahme eines Kata-Trainings ausschließlich mit dem *e- danken an eine Prüfung. :er mit einer derartigen Motivation an eine Kata herangeht, wird in aller Regel nicht die positiven Aspekte sehen, die Kata für sein Judo bedeuten könnte, sondern sich nur damit he- rumplagen, irgendwelchen Bewertungskriterien zu entsprechen, um den angestrebten *rad zu erreichen. Damit werden aber gleichzeitig alle Chancen auf ein positives Erleben von Kata - und damit eine Bereicherung des eigenen Judotrainings - verpasst. Kata-Training muss eine lebendige Auseinandersetzung mit den viel- flltigen Bewegungen und den zugrunde liegenden Prinzipien sein. So betrieben kann Kata ein Schlüssel dazu sein, Menschen für Judo zu begeistern, die derzeit das Judo noch nicht im Fokus haben.

Chancen durch Kata-Angebote Alles, was das Judo-Training vielflltiger macht, ist geeignet, Inter- essierte anzuziehen bzw. llnger an das Judo zu binden. Dies ist si- cherlich eine Binsenweisheit. Zum *lück braucht man seine Blicke auf der Suche nach einer Bereicherung des Judo-Trainings gar nicht so weit schweifen zu lassen. :ir müssen nur verstlrkt in die Kern- inhalte des Judo schauen, denn viele Erglnzungen zum derzeitigen Übungsprogramm der Judovereine in Deutschland ¿ndet man in den Kata des Kodokan-Judo. Es mag sich ein wenig paradox anhören: aber durch Rückgriff auf die traditionellen Übungsformen und Inhalte kann das Judo zukunftsflhi- Ju-no-Kata, hier demonstriert von den amtierenden Europameistern Wolf- gang Dax-Romswinkel und Ulla Loosen, verbessert unter anderem die Kör- ger gemacht werden. Denn auch die anderen Bereiche, die :olfgang perspannung und das Gefühl für Gleichgewicht. Hofmann erwlhnt hat, ¿nden sich in den Kata wieder und können

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IMPRESSUM „der budoka“ - Verbandsmagazin des Dachverbandes für Budotechniken Nordrhein-Westfalen e.V. 40. Jahrgang 202 Herausgeber, Verlag, Redaktion, Anzeigen- und Abo- verwaltung: Dachverband für Budotechniken Nordrhein-:estfalen e.V. Postfach 0 5 06 4705 Duisburg Friedrich-Alfred-Str. 25 47055 Duisburg Telefon: 02 0 / 7 8 - 6 26 Telefax: 02 0 / 7 8 - 6 24 E-Mail: info#budo-nrw.de www.budo-nrw.de Redaktionsleitung: Erik *ruhn verantwortlich E-Mail: *ruhn#budo-nrw.de Redaktionsschluss: der . des Vormonats Toshiro Daigo, 8. Dan, hält im Kodokan einen Vortrag über Geschichte und Prinzipien von Koshiki-no-Kata. Alte Rüstungen als Anschauungsobjekte ISSN 0948-424 dürfen dabei natürlich nicht fehlen. Druck: SET POINT Schiff Kamp *mbH Moerser Str. 70 47475 Kamp-Lintfort durch diese entwickelt werden: Selbstverteidigung, korrekte Fall- übungen und Verstlndnis für guten Judo-Stil. :ir müssen die Chan- Anzeigenpreise: Preisliste Nr. 5 vom .5.20 cen eigentlich nur ergreifen! Erscheinungsweise: monatlich, 0 x im Jahr

Gibt es erfolgreiche Beispiele? Mit Namen gekennzeichnete Beitrlge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Für unverlangt eingesandte Neben Vereinen, die ein regelmlßiges Kata-Training anbieten, soll an Manuskripte, Fotos und Datentrlger wird keine Haftung übernom- dieser Stelle das „Kata-Netzwerk Niederrhein/Münsterland³ genannt men. werden. Dort trifft man sich regelmlßig vereinsübergreifend zum Kata-Training, wobei ausdrücklich nicht vorausgesetzt wird, dass die Lieferbedingungen: Teilnehmer mit einem eigenen Partner kommen. Vielmehr soll prak- Jahresabonnement 28,00 € tisch jeder mit jedem - wie bei jedem anderen Training auch - üben. Bei Bankeinzug ermlßigt sich der Preis für das Jahresabonnement Einladungen werden regelmlßig auf der Homepage des N:DK auf 24,00 €. Bezugsgebühren werden jeweils für das Kalenderjahr www.nwdk.de veröffentlicht. erhoben. Einzelheftpreis: ,50 € zzgl. Versandkosten Wo und wie können sich Übungsleiter entsprechend fortbilden? Bei Bestellungen mehrerer Exemplare Konditionen auf Anfrage. Derzeit wird von Verbandsseite Kata-Training in erster Linie im Rah- men von Prüfungsvorbereitungslehrglngen angeboten. Diese dienen Die Kündigung des Abos ist mit einer Frist von sechs jedoch eher dem Einstieg in eine Kata und weniger zur 4uali¿zierung :ochen zum Ende des Kalenderjahres möglich. von Kata-Lehrern. Das N:DK hat daher seinen Kata-Expertenkreis Urheberrechtlicher Hinweis: neu formiert und bietet künftig Lehrgangsmaßnahmen für Multiplika- Das Magazin, alle enthaltenen Beitrlge und Abbildungen sind ur- toren und Teilnehmer an Kata-Meisterschaften an. Alle Kreise kön- heberrechtlich geschützt. Jede Verwendung, die nicht ausdrücklich nen darüber hinaus auf diese Spezialisten für eigene, ganz auf die vom Urhebergesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustim- lokalen Bedürfnisse abgestimmte, Lehrglnge zugreifen. mung des Verlages. Dies gilt insbesondere für Vervielflltigungen, Übersetzungen, Mikrover¿lmungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in Datensystemen.

Schadenfälle immer rasch beim Versicherungsbüro melden! Für eine zügige Bearbeitung von Schadenflllen ist eine rasche Mel- züglich³ mit der Formulierung „ohne schuldhaftes Zögern³. Ein Ver- dung beim Versicherungsbüro des Landessportbundes wichtig. Nur sicherter, der z. B. erst nach der Rückkehr aus seinem dreiwöchigen so können zeitnah die notwendigen Unterlagen eingeholt und ggf. Urlaub von einem Schaden in der ersten Urlaubswoche erflhrt, mel- erforderliche Rückfragen zum Schadengeschehen gestellt werden. det nicht verspltet, wenn er den Versicherungsfall einige Tage nach Schließlich sollen die verunfallten Sportler oder *eschldigte, die Urlaubsrückkehr anzeigt. Anspruch auf Versicherungsleistungen haben, diese auch möglichst schnell erhalten. Alle wichtigen Fristen, die insbesondere in der Unfallversicherung einzuhalten sind, ¿nden Sie im jeweiligen Merkblatt zur Sportver- Formal sind in der Sportversicherung daher auch bestimmte Lei- sicherung und dieses wiederum auf der Internet-Seite der ARA*- stungsvoraussetzungen, z. B. die Einhaltung von Fristen, geregelt. Sportversicherung: www.arag-sport.de *rundsltzlich gilt für alle Versicherungszweige, dass der Eintritt eines Versicherungsfalles, also eines Schadens, dem Versicherer un- Das Online-Versicherungsbüro Ihres Landessportbundes wlhlen Sie verzüglich, spltestens innerhalb einer :oche, anzuzeigen ist. Diese einfach aus der Deutschlandkarte. Alle Infos und Unterlagen zum Frist beginnt in dem Zeitpunkt, zu dem der Versicherte vom Scha- Sportversicherungsvertrag sind dort verfügbar. deneintritt Kenntnis erlangt hat. Das B*B † 2 de¿niert „unver-

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