Erkunde Deine Heimat! Radtouren 1995 - 2014
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1 Theodor Ebert Erkunde deine Heimat! Radtouren 1995 - 2014 Vorbemerkung Das Radwandern hat sich in Zeiten des Massentourismus und der all inclusive gemanagten Ferien als alternative, individuelle Form, die eigene Heimat zu erkunden, in Deutschland ausgebreitet. Es gibt diverse Wanderführer und die beliebten Bikeline-Anleitungen, aber es gibt nur wenige erzählende Berichte von Radlern und meines Wissens keine Tagebücher von Gruppen, die sich über Jahrzehnte immer wieder zu Touren verabredet haben. Ich habe zwischen 1995 und 2014 Eindrücke und Erlebnisse im Reisetagebuch notiert und einiges Kulturgeschichtliche nachgetragen. Es sind aber durchgängig ganz persönliche Tagebücher geblieben. Ich hatte ursprünglich nicht daran gedacht, sie weiterzugeben oder sie gar zu veröffentlichen. Doch im Rückblick kommt es mir nun doch so vor, als ob mit diesen Radlertagebüchern unter der Hand und beinahe unversehens eine neue Literaturgattung entstanden ist. Bescheidener sollte ich von einer epigonalen Ausprägung der Wanderungen Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg sprechen. Wie man diese Aufzeichnungen aber auch nennt und wie sie sich auch ausnehmen neben den vielfältigen, neuerlichen Produkten des Creative Writing, es könnte schon sein, dass sie sich sehen und lesen lassen können neben den vielen schönen Büchern über Wanderungen per pedes apostulorum, welche die deutsche Literatur kennt. Fontane war bei seinen „Wanderungen“ häufig mit der Kutsche unterwegs. Das hatte seinen eigenen Reiz, aber dieses Gefährt und die Sandwege haben den Radius seiner Erkundungszüge auch begrenzt, und doch kann man sich seine Berichte von den Wanderungen auch heute noch zum Vorbild nehmen. Bei meinen Radlertagebüchern war dies der Fall, auch wenn ich von der Kutsche auf das Fahrrad umgestiegen bin und nicht allein, sondern mit einer Gruppe aus meiner Kirchengemeinde unterwegs war. Ich habe diese Radlertagebücher für die hier vorliegende Edition nicht erneut bearbeitet. Ich dokumentiere die Originalaufzeichnungen, wähle aber nur diejenigen Tagebücher aus, die vollständig sind und nicht aus irgendwelchen Gründen abgebrochen wurden oder nicht zeitnah ausgearbeitet werden konnten. Vielleicht komme ich später noch dazu, allzu Privates zu eliminieren und Lücken zu schließen und nur begonnene Tagebücher zu Ende zu edieren. Berlin-Kladow, im August 2014 2 Inhaltsverzeichnis: 1. Von Passau nach Wien 29.9. - 7.10.1995 2. Durchs Emsland und ans Wattenmeer 14. - 24. September 1998 3. Main-abwärts und Tauber-aufwärts von Bayreuth bis Rothenburg 4.9. - 14.9.2000 4. Von Flensburg nach Rostock 7.-17.9.2001 5. Im Münsterland - auf den Spuren Annette von Droste-Hülshoffs 16.-26. September 2002 6. Hiddensee und Rügen. Von Warnemünde nach Sassnitz 21.-28. Mai 2003 7. Am Neckar und am Rhein. Von Villingen nach Mannheim und von Speyer nach Mainz 2. – 13. September 2003 8. Wo Flüsse sich küssen. An Werra und Weser 1.-10. Mai 2004 9. An der Elbe. Von Bad Schandau bis Tangermünde 12.-23. September 2005 10. In der Niederlausitz. Alte Kirchen rund um Luckau 8.-12. Juni 2008 11. Eine regenreiche Tour durch die grüne Prignitz. 26. Mai bis 1. Juni 2010 12. Nach Havelberg und durch den hohen Fläming 28. Juni bis 5. Juli 2014 3 Von Passau nach Wien Der Einstieg auf erprobter Route 29.9. - 7.10.1995 Ansichtskarten in memoriam. Überlegungen zu Methode An den Abenden unserer Tour war ich meist viel zu müde, um noch Eindrücke oder gar Gedanken zu notieren. Nur in den ersten Tagen hatte ich noch einiges Augenfällige in Stichworten festgehalten, doch für die letzten Etappen vor Wien und beim abschließenden Sightseeing am Ziel der Reise hatte ich mich auf das Gedächtnis verlassen. Zurück in Berlin meinte ich noch nachtragen zu können. Doch man kennt sich: Das Gedächtnis trübt so rasch ein wie ein Bergbach beim Einfluss in einen großen Strom. Darum habe ich nach der Rückkehr die Semestervorbereitung noch einen Tag zurück gestellt und einiges in der ursprünglichen Klarheit zu bewahren gesucht. Doch es war wie früher schon: So vieles bereits entschwunden! Und Bemerkungen anderer Radler zu zitieren traute ich mich schon gar nicht mehr. Sie werden sich in meinen Notizen nur sporadisch wiederfinden. Das ist auch nicht das Werkstattbuch eines gruppendynamischen Experiments. Gerade nicht. Ich war mit Freunden im Urlaub und schrieb nur tägliche Ansichtskarten an mein Gedächtnis. Ich verzichte auf die Vorgeschichte dieser Tour, obschon sie eigentlich dazu gehört. Also darauf, wie Heinz Stenzel die Idee einer solchen Radtour auf der Jahresplanungstagung der Kirchengemeinde am Groß Glienicker See lancierte, wie die Radler sich allmählich zur Gruppe zusammenfanden und wie sie sich dafür entschieden, die Tour in eigener Regie zu planen, statt sie bei einem Unternehmen zu buchen, das sich auf Radler spezialisiert hat, sie zünftig unterbringt, ihr Gepäck transportiert und ihnen auch die Räder vermietet. Bei der Vorbereitung hatten Heinz Stenzel und Erich Rinnert viel geleistet, und wie sich zeigen sollte, die ganze Tour pannenfrei vorbereitet. Die Eigenplanung verbilligte die Radtour um 30 bis 40 Prozent. Und das war auch wichtig im Blick auf künftige Unternehmungen dieser Art. Die nächsten Ausflüge sollten auch Familien mit Kindern offen stehen. Einige hatten uns im Blick auf die hohen Kosten kommerziell organisierter Touren gesagt, dass sie sich eine solche nicht leisten könnten. Wir mussten nun allerdings unser Gepäck selbst transportieren und uns auch in Erwartung des Wiener Lebens auf sportliche Kleidung beschränken. Doch die Selbstorganisation verschaffte uns den Vorteil, dass wir als kleine Gruppe unter uns waren und uns nicht mit dem kurzlebigen, leicht aufgesetzten Kameradschaftsgetue einer zufällig zusammengewürfelten größeren Radlergruppe arrangieren mussten. Neue Bekanntschaften sind manchmal auch ganz nett, aber als Gemeindegruppe war es uns doch wichtiger, uns untereinander besser kennen zu lernen. Von Berlin nach Passau, Freitag, 29. September 1995 Reiselektüre: Fontane oder Nibelungenlied? Um 4 Uhr bin ich aufgestanden, eigentlich viel zu früh, denn fast alles hat Ruth, die ich noch ruhig weiter schlafen lasse, bereits gepackt. Sie ist immer bestens sortiert und ungemein verantwortlich. Und gestern hat sie auch noch mit vollem Gepäck auf ihrem Rad eine kurze Probefahrt absolviert. Wirklich, alles tipptopp. Nur noch für meine Reiselektüre muss ich mich entscheiden. Meine Wahl 4 fällt auf Theodor Fontane "Der Stechlin" als Nachklang zur Grass-Lektüre und unserer paarweisen Radtour im Oderbruch "Ein weites Feld". Eigentlich gehört zu jeder Tour ein großes Buch; doch welches das richtige ist, merkt man meist erst vor Ort. Als wir vor Jahren im Mühlviertel Urlaub machten und zum ersten Mal Passau besuchten, hätte ich mir Adalbert Stifters Werke einpacken sollen, aber ich las dann Heinrich Bölls politische Aufsätze, die merkwürdigerweise im dörflichen Kiosk angeboten wurden. Auch dieses Mal fiel es mir erst nachträglich ein: Das Nibelungenlied wäre das obligatorische Buch zur Tour gewesen. Das stand nun alles zu Hause im Regal, übersetzt, illustriert und auch im alten Ton. Immer wieder gab es unterwegs Hinweise: Hier hatten die Helden lobebaeren übergesetzt oder waren abgestiegen und hatten gebechert, bevor sie dann weiter donauabwärts ihrem Untergang entgegen ritten. Doch eigentlich hatten wir Radler mit den Nibelungen nichts im Sinn und nichts gemein, und der kommode Plauderton des alten Stechlin lag uns allemal näher, auch wenn uns die Stätten der Römer und Nibelungen beherbergen sollten. Unsere Radlercrew Nach dem Start am Lichtenberger Bahnhof - unser Sohn Chritian hatte uns und auf dem Autodach die Räder durch die sich füllenden Straßen kutschiert - begann der Tag mit einer geschwinden und bequemen Bahnreise durch sonnige Landschaften. Erst ein Hauch von herbstlichem Bunt war an den Hängen zu entdecken. Hoffentlich bleibt das Wetter so! Umsteigen in Chemnitz und Landshut, ein wenig umständlich, aber um des Mitführens unserer Räder willen erforderlich. Wir reisen zu neunt. Das Ehepaar Cauer erwartet uns - aus Dhaun kommend - in Passau. Unsere Radlergruppe besteht aus vier Ehepaaren (Annelore und Erich Rinnert, Monika und Holger Isbarn, Elsa und Emil Cauer und uns) und dann noch aus dem Planer unserer Reise Heinz Stenzel und seinem 11jährigen Enkel Victor und dem pensionierten Pfarrer Gerhard Rosenau. Wir sind alle zwischen 50 und 70 Jahren alt und haben uns mit der rund 350 km langen Strecke, die in sechs Tagen zu bewältigen sein wird, doch sehr viel vorgenommen. Heinz Stenzel ist als Marathonläufer in bester Form und auch Elsa und Emil Cauer haben trainiert und überschüssige Pfunde abgebaut. Doch wir anderen blicken unterschiedlich beherzt auf die lange Strecke. Aber in allen Reiseführern steht diese Tour im Rufe, für Radfahrer bestens ausgebaut und gesichert zu sein. Beim einstündigen Aufenthalt in Chemnitz mache ich einen Abstecher in die Bahnhofsbuchhandlung. Eine wichtige Entdeckung: Victor Klemperers Tagebücher aus den Jahren 1933-45 sind in zwei dicken Bänden und im Schuber beim Aufbau-Verlag erschienen. Am liebsten hätte ich sie mit auf die Tour genommen, aber dann dachte ich an Gegenwind und Regen und schob ein sattes Kilogramm zurück ins Regal. Ein Lebenslauf in der Mark Brandenburg Auf der langen Bahnfahrt konnte ich Tagebuchblätter zu den jüngst vergangenen Tagen anlegen, etwas Fontane lesen und mit den anderen in der Gruppe plaudern. Die Zeit verging rasch. Gerhard Rosenau kann aus einer langen Amtszeit viel berichten. Er war zunächst Vikar in Templin, dann Pfarrer in