Elisabeth Grabenweger Germanistik in Wien Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte

Begründet als Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker

von Bernhard Ten Brink und

Herausgegeben von Ernst Osterkamp und Werner Röcke

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De Gruyter Germanistik in Wien Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)

von Elisabeth Grabenweger

De Gruyter Lektorat: Rainer Rutz

Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF): PUB 362-G23

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ISBN 978-3-11-044941-9 e-ISBN (PDF) 978-3-11-045927-2 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-045867-1 ISSN 0946-9419

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Einleitung ...... 1

I. DieVerfasstheit der WienerGermanistik ...... 7 I.1. Kategorien der Ordnung – Lehrstuhlbesetzungen 1848–1912 ...... 7 I.2. DerBruch – DieVerhandlungen um die Nachfolge für den neugermanistischen Lehrstuhl nach dem TodJakob Minors 1912...... 21 I.3. Philologie und moderate Geistesgeschichte – Walther Brecht am neugermanistischen Lehrstuhl in Wien 1914–1926 ...... 40 I.4. Paul Kluckhohn, Josef Nadler und das Ende der Privatdozenten...... 76

II. Frauen als Autorinnen und Wissenschaftlerinnen und die Neuere deutscheLiteraturwissenschaft– ChristineTouaillon(1878–1928) ...... 89 II.1.Zwischen Universität und Staatsverfassung– Habilitationsverfahren in Graz und Wien ...... 93 II.2.Literatur-, Kultur- und Sozialgeschichte – Der deutscheFrauenroman des 18. Jahrhunderts (1919) .. 102 II.3.Kanonund Geschlecht...... 121 II.4.Themenwahl und akademische Karriere ...... 129

III. Literaturwissenschaftund Geistesgeschichte – Marianne Thalmann (1888–1975) ...... 139 III.1. Darstellungstatt Erkenntnis?– Der Trivialroman und der romantischeRoman. EinBeitrag zur Entwicklungsgeschichte der Geheimbundmystik (1923) 144 III.2. Konservativ-pessimistische Zeitdiagnose einer Intellektuellen – Die Anarchie im Bürgertum.Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte des liberalen Dramas (1932) .. 164 VI Inhaltsverzeichnis

III.3. Wiener Karriere und Weggangindie USA ...... 175

IV.Deutsche Philologieals Germanen-und Volkskunde– Lily Weiser (1898–1987)...... 183 IV.1. Altertums- und Germanenkunde– (1862–1936) ...... 187 IV.2. Volkskundeexistiert nur als Germanenkunde – Jul. Weihnachtsgeschenke und Weihnachtsbaum (1923) ... 197 IV.3. Archaische Potenzfeiern als Ursprung der deutschen Kultur – AltgermanischeJünglingsweihen und Männerbünde (1927) 206 IV.4. Konkurrenzen und Netzwerke ...... 216

Resümee ...... 231

Anhang

Siglen ...... 238

Literatur- und Quellenverzeichnis ...... 239 1. Archivquellen ...... 239 1.1. Universitätsarchiv Wien ...... 239 1.2. Andere österreichische Archive und Bibliotheken .. 240 1.3. Archive und Bibliotheken in Deutschland und den USA ...... 241 2. Gesetzestexte ...... 242 3. Vorlesungs- und Dissertationsverzeichnisse der Universität Wien ...... 242 4. Literatur ...... 242

Personenregister ...... 272 Einleitung

„Daß die männlicheHerrschaftsich nicht mehr mit der Evidenz dessen, was sich von selbstversteht, aufzwingt,ist sicherdie wichtigste Verände- rung“, schrieb Pierre Bourdieu in seiner Analyse der gesellschaftlichen Ordnung und ihrer Geschlechterverhältnisse.1 Undtatsächlich lässt sich diese Aussage auch hinsichtlich der Zulassung von Frauen zum akademi- schen Studium in Österreich bestätigen. Dieser Zulassungsprozess war zunächstnämlich von einem Verbot gekennzeichnet:Am6. Mai1878 verfügte das Ministerium für Kultus und Unterrichterstmals einen Erlass, der Frauen die Immatrikulation an den Universitäten ausdrücklich un- tersagte.2 Anlass für dieseAbwehrreaktion waren konkrete Anträge von Studienbewerberinnen, durch die sich das Ministerium nach einem jahr- hundertelangen, stillschweigend praktiziertenAusschluss zum ersten Mal genötigt sah, diesen auch explizit zu formulieren. Der Erlass lässt sich als Akt patriarchalerMachtdemonstration lesen;mit Blick auf Funktions- prinzipien sozialer Ordnung und Mechanismen der Exklusion verweist das 1878 erlassene Verbot aber eher darauf,dass die Macht dieses Ausschlusses dadurch, dass er nun in legitimatorischen Diskursen artikuliert werden musste, bereits im Schwindenbegriffen war.Knapp zwanzig Jahre später, im Wintersemester 1897, wurdenFrauen an der philosophischen und 1900 an der medizinischen Fakultät der UniversitätWien zum Studium zugelassen.3 Das Fach DeutschePhilologie gehörtevon Anfang an zu denvon Frauen am häufigsten gewählten Studienrichtungen. Bis1938 promo- vierten an der WienerGermanistik über 600 Studentinnen.4 Dass das

1Bourdieu:Die männliche Herrschaft(2005), S. 154. 2Verordnung des Ministers für Cultus und Unterricht an die Rectorate sämmtlicher Universitäten betreffend die Zulassungvon Frauen zu Universitäts-Vorlesungen vom 6. Mai1878. 3Zur Zulassung von Frauen zum Studium in Österreich vgl. Heindl/Tichy (Hg.): „Durch Erkenntnis zu Freiheit und Glück …“ (1990). 4Zusammengestellt nach [Gebauer:] Verzeichnis über die seit dem Jahre 1872 an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien eingereichten und approbierten Dissertationen. Bd. 2(1936), S. 1–106, Bd. 4(1937), S. 37–61; Alker:Ver- 2 Einleitung

Studium der deutschen Sprache und Literatur eine besondere Attraktivität auf Frauen ausübte, unterschied das Wiener Institut nichtvon anderen Germanistikinstitutenimdeutschsprachigen Raum.5 Einen Sonderfall stellte die Wiener Germanistik aber im Hinblick auf die Zulassung von Frauen zur Privatdozentur dar.Inden 1920er Jahrenwurde in Wien in- nerhalb von nur sechs Jahren drei Wissenschaftlerinnen die Venia Legendi verliehen:1921 der Literaturhistorikerin und -Schülerin Christine Touaillon (1878–1928) aufgrund ihrer über 600 Seiten um- fassenden Arbeit Der deutsche Frauenroman des 18. Jahrhunderts,1924 der Romantikforscherin Marianne Thalmann (1888–1975)aufgrund ihres zum Standardwerk avancierten Buchs Der Trivialroman und der romanti- sche Roman und 1927der Volkskundlerin und späteren -Mit- arbeiterin Lily Weiser (1898–1987) aufgrund der nur knapp neunzig Seiten starken Broschüre AltgermanischeJünglingsweihen undMänner- bünde. Mitdiesen drei Wissenschaftlerinnen nahm die Wiener Germa- nistik bezüglich der Zulassung von Frauen zur Habilitation sowohl im Vergleich mit allen anderen Fächern der damaligenphilosophischenFa- kultät6 als auch im Vergleich mit allen anderen Germanistikinstituten im deutschsprachigen Raum eine Ausnahmestellung ein. So konnten sich in Deutschland bis zum Ende der Weimarer Republik insgesamt zwar fünf Germanistinnen habilitieren, jede von ihnen bezeichnenderweise aber an einer anderenUniversität.7 DieSchweiz, die bei der Zulassung von Frauen zum Studium im europäischen Vergleich eine Vorreiterrolle einnahm, hat im selben Zeitraum nur eine einzige Privatdozentin der Germanistik vorzuweisen.8

zeichnis der an der Universität Wien approbierten Dissertationen 1937–1944 (1954), S. 77–101. 5Vgl.u.a.Birn:Bildung und Gleichberechtigung (2012);Harders:Studiert, promoviert, arriviert?(2004); Dickmann/Schöck-Quinteros (Hg.): Barrierenund Karrieren (2000); Verein Feministische WissenschaftSchweiz (Hg.): „Ebenso neu als kühn“(1988). 6Ander Universität Wien wurde bis 1938 die Lehrbefugnis (neben den drei Ger- manistinnen) der Romanistin Elise Richter,der Psychologin CharlotteBühler,der Historikerin Erna Patzelt, der Klassischen Philologin Gertrud Herzog-Hauser,den Physikerinnen FranziskaSeidl und Bertha Kralik, der Biologin Elisabeth Hof- mann, der Chemikerin Anna Simona Spiegel-Adolf und den Medizinerinnen Carmen Coronini-Cronberg,Helene Wastl und Carla Zawisch-Ossenitz verliehen. 71919AgatheLasch in Hamburg, 1923 LuiseBerthold in Marburg, 1924 Johanna Kohlund in Freiburg, 1925Edda Tille-Hankammer in Kölnund 1927 Melitta Gerhard in Kiel. 8Adeline Rittershaus habilitierte sich 1902 in Zürich. Einleitung 3

Ausgehend von dieser Feststellung stellt sich die Frage, wie es möglich war,dass in Wien in den 1920er Jahren drei Privatdozentinnen an der Germanistik lehrten, während an allen anderenInstituten des deutschen Sprachraums zeitgleich keineFrau oder eben nur eine Frau zur Habilitation zugelassen wurde. Bei der Beantwortung dieser Frage gehe ich davon aus, dass die Sonderstellung der Wiener Germanistikauf grundlegende Ver- änderungen des Wissenschaftsbetriebs im ersten Drittel des 20. Jahrhun- derts zurückzuführen ist, die sich sowohl auf institutioneller,fachlicher, habitueller als auch auf politischer und rechtlicher Ebene zeigen. Die vorliegende Studie beschäftigt sich also mit dem Zusammenhang zwischen der spezifischen Verfasstheit einer lokalen Wissenschaftskultur und der Position der dem akademischen Betriebneu hinzutretenden Frauen.Um Handlungsspielräume, Machtkonstellationen, Abhängigkeiten sowie wis- senschaftlicheund institutionelle Bedingungen sichtbarzumachen,wer- den Strukturen und Funktionsmechanismen des Feldes ebensoanalysiert wie soziale Praktiken der diesem Kräftefeld innewohnenden Akteure. Darüber hinaus werden aber auch das jeweilige Verhalten der Wissen- schaftlerinnen zu den sie umgebenden Strukturen,Möglichkeiten der wissenschaftlichen und institutionellen Etablierung sowie Formen des Widerstands untersucht. Ich gehe also davon aus, dass nicht die Leistung und das Verhalten von Einzelnen die personelle Zusammensetzung eines Universitätsinstitutsbestimmen, sondern dessen Strukturen und Funkti- onsmechanismen wesentlichen Einfluss auf den Status und die Akzeptanz von Außenseitern, mithin von Frauen,imWissenschaftsbetrieb haben. Bei der Beantwortung der Forschungsfrage unterscheide ich zwischen zwei Ebenen,die die strukturbedingte Logik der Integration und des Ausschlusses von Wissenschaftlerinnen beeinflussen und die gleichzeitig den Aufbauder vorliegenden Studie bestimmen. Der erste Abschnitt be- handelt die Verfasstheit und das Selbstverständnis der Wiener Germanistik, die in der Zusammenschau von sowohl Wissenschafts-, Institutionen-als auch Studierendengeschichteanalysiert werden. Dabei werden der Ab- folgemodus von Lehrstuhlbesetzungen, innerfachliche Richtungskonflikte, Aufgabe und Funktion der Privatdozentur sowie das Verhältnis zwischen Lehrenden und Studierenden beschrieben. Einen besonderen Stellenwert nimmt dabei die Amtszeit WaltherBrechts ein, der von 1914 bis 1926 das neugermanistische Ordinariat innehatte,also für zwei der insgesamt drei Habilitationen von Frauen verantwortlich zeichnete. Darauf aufbauend folgen Einzeldarstellungen der ersten habilitierten Germanistinnen Christine Touaillon, Marianne Thalmann und Lily Weiser,indenen ihre Positionierungsbemühungen innerhalb des wissenschaftlichen Feldes 4 Einleitung ebenso in den Blick genommen werden wie ihre fachlichen Spezialisie- rungen und institutionellen Netzwerke. Im Abschnitt über Christine Touaillon findet sich außerdem eine Auseinandersetzung mit den recht- lichen Bedingungen der Habilitation von Frauen, die trotz der Gleich- stellung von Männern und Frauen durch die Verfassung der Ersten Re- publik an den Universitäten teilweise auf erheblichen Widerstandstieß. Besonderes Augenmerk wird im Zuge der Besprechung von Touaillons Habilitationsschrift Der deutsche Frauenroman des 18. Jahrhunderts in diesem Kapitel auch dem Stellenwert von Literatur von Frauen in der universitären Literaturwissenschaftgeschenkt, um den Ort von Touaillons Forschung innerhalbdes akademischen Themenkanons bestimmen zu können. Im Abschnitt über Marianne Thalmann werden ihre Forschungen über die Romantik und das Drama des 19. Jahrhunderts dargestellt und die methodischen,stilistischen und politischen Veränderungeninnerhalb der deutschsprachigen Literaturwissenschaftinden 1920er und frühen 1930er Jahren diskutiert. Zudem wirddie prominente und in der Universitäts- germanistik erstmalige Verwendung des Begriffs ,Trivialroman‘inihren historischen, innerfachlichen und karriereökonomischen Bedingungen analysiert. Das letzte Kapitel befasst sich mit Lily Weiser,der einzigen Germanistin, die sich in den 1920er Jahren nicht im neueren, sondern im älteren Fach habilitierte. DieGeschichteund die wissenschaftlichen Vor- aussetzungender älteren Abteilung werden hier ebenso besprochen wie die aus ihr resultierenden Spezialisierungen auf Altertums-, Germanen-und Volkskunde. Vorallem die Tätigkeit des Altertumskundlers Rudolf Much, bei dem sich Weiser habilitierte, führte zu einer universitätspolitischen, thematischenund methodischen Verschiebung des Status der älteren Ab- teilung. Weisers Dissertation Jul. Weihnachtsgeschenke und Weihnachtsbaum sowie ihre Habilitationsschrift AltgermanischeJünglingsweihen und Män- nerbünde werden innerhalb dieser Konstellation besprochen und in ihren ideologischenFolgen sowie ihrer aufgermanische Kontinuitätserzählungen konzentrierten Wissenschaftsauffassung dargestellt. Wie gezeigt werden wird,stand Weisers Habilitation in engem Zusammenhang mit Muchs Bemühungen um den Aufbau einer ganzen ,Männerbundschule‘. DieZäsuren, die im Titel gesetzt sind, die Jahre 1897 und 1933, beziehen sich zum einen auf die Zulassung von Frauen zum Studium an der philosophischen Fakultät in Wien, zum anderen auf den Weggang von Marianne Thalmann an das Wellesley College in Massachusetts, der das Ende dieser ersten Phase von Privatdozentinnen an der Wiener Germa- nistik bedeutete. Bis mit Blanka Horacek 1955 erneut eineFrau an der Wiener Germanistik habilitiert wurde, dauerte es über zwanzig Jahre. Die Einleitung 5

Jahre 1897 und 1933 markieren also den Beginn der universitärenAk- kreditierungvon Frauen und das vorläufige Ende ihrer akademischen Lehrtätigkeit. Meine Studie stützt sich nichtnur auf literaturwissenschaftliche, his- torische, politikwissenschaftliche und soziologischeForschungsliteratur, sondernzueinem Gutteil auch auf zeitgenössische Publikationen, Zei- tungsberichte, Gesetzestexte und vor allem auf Archivmaterialien.9 Zu danken ist deshalb einer großenAnzahlvon Institutionen,die mir bei der Recherche und Bereitstellung der benutztenQuellen behilflich waren. Für Österreich sind hier die UniversitätsarchiveinWien und Graz, das Wiener Stadt- und Landesarchiv,das Österreichische Staatsarchiv, dieHand- schriftensammlungender ÖsterreichischenNationalbibliothek und der WienbibliothekimRathaus, das Adalbert-Stifter-Institutdes Landes Oberösterreich und die Sammlung Frauennachlässe am Institutfür Ge- schichte der Universität Wienzunennen.InDeutschland war es mir möglich,Handschriftenbestände der BayerischenStaatsbibliothekin München, der Universitätsbibliothek Heidelberg und des Deutschen Li- teraturarchivs in Marbach zu sichten. Außerdem konnte ich im Zuge eines Forschungsaufenthalts am Wellesley College in Massachusetts im Oktober 2012 im dortigen Archivwichtige Dokumente zu Marianne Thalmann einsehen. Beimvorliegenden Buch handelt es sich um die geringfügig veränderte Fassung meiner Dissertationsschrift, die im Dezember 2014 von der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien an- genommen wurde;spätererschienene Forschungsliteratur konnte nur im Einzelfall nachgetragen werden. DieFinanzierung meiner Studie wurde durch ein Junior-Fellowship des Internationalen Forschungszentrums Kulturwissenschaften (IFK, Wien), ein DOC-Stipendium der Österrei- chischenAkademie der Wissenschaften und einePraedoc-Stelle am Institut für Germanistik der UniversitätWien ermöglicht. All diesen Institutionen bin ich nicht nur für die finanzielle Unterstützung, sondern ihren Mit- arbeiternauch für die wissenschaftlicheFörderungmeiner Arbeit dank- bar.Dem FWF danke ich für die gewährte Druckkostenförderung, Ernst Osterkamp und Werner Röcke für die freundliche Aufnahmeindie von

9Die zitierten Originaldokumente sind in der Studie getreu der Vorlage wieder- gegeben. Hervorhebungen durch Sperrungen werden ebenso beibehalten wie Kursivierungen, Unter- und Durchstreichungen. Offensichtliche Fehler werden entweder mit [!]gekennzeichnet oder,wenn sie das Verständnis erschweren,in eckigen Klammern korrigiert. 6 Einleitung

Wilhelm SchererbegründeteReihe Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte und De Gruyter,insbesondere Anja-Simone Mi- chalski und dem Lektor Rainer Rutz, für die verlegerischeBetreuung. Im Laufe der Jahre, in denen diese Studie entstanden ist, habensich viele unterstützende und ratgebendeHelfer eingefunden:Inder Phase, in der ich das Thema entwickelteund das Forschungskonzept ausarbeitete, war Werner Michler,der auch Teile der Arbeit einer kritischen Lektüre unterzog, ein wichtiger Gesprächspartner.Wesentliche Hinweise und Korrekturenergaben sich außerdem im Austausch mit SebastianMeissl, Konstanze Fliedl und Wendelin Schmidt-Dengler,der die Arbeitbis zu seinem Tod2008 betreute. Darüberhinaus waren mir Mirko Nottscheid, Herbert Posch und Myriam Richter mit fachlichem Rat und Hinweisen auf wichtige Dokumente behilflich. Thomas Assinger,Florian Bettel, Nina Hacker,Katharina Krcˇal, Nora Ruck und Manuel Swatek haben freund- licherweise die Endlektüre übernommen. Besonderer Dank gebührt schließlich den beiden Betreuern meiner Dissertation: Michael Rohr- wasser,der stets unterstützend, wohlwollendund, wenn nötig, korrigierend den Fortgang meiner Arbeit begleitete, und Hans-Harald Müller,der mir nicht nur bei kleinen und großen Fragen zur Fachgeschichte der Germa- nistik behilflich war,sondern mir auch mit recherchepraktischen Hin- weisen zur Seite stand und bei seinen Archivgängenoftmals für meine Arbeit relevante Dokumente zutage förderte. I. DieVerfasstheit der Wiener Germanistik I.1. Kategorien der Ordnung – Lehrstuhlbesetzungen1848–1912

In der Habsburgermonarchie erfolgte dieInstitutionalisierung der Germa- nistik als universitäres Fach im Zuge derUniversitätsreformvon 1848/49. Innerhalb kürzester Zeitwurden an allen Universitäten des Landes Lehr- kanzeln für Deutsche Sprache und Literatur eingerichtet, die sowohl den Bedarf an Philologen für das höhere Schulwesen abdecken sollten als auch nationalpolitischen Interessen des Vielvölkerstaats zu genügen hatten.1 Mangels akademischausgebildeter Germanisten wurden diese Lehrstühle in der Konsolidierungsphase des Faches mit nicht-habilitierten Privatge- lehrten oder mit Wissenschaftlern anderer Fachrichtungen besetzt. In Wien berief Leo Graf von Thun-Hohenstein, der 1849 das neu geschaffene Ministerium für Kultus und Unterricht übernommen hatte, 1850den germanistischenAutodidakten und Bibliothekar an der Wiener Hofbi- bliothek TheodorGeorg von Karajan als Professor für Deutsche Sprache und Literatur.2 Karajantrug jedoch nur bedingt zum Aufbau des Faches bei,da er aufgrund konfessioneller Auseinandersetzungen an der Fakultät bereits drei Semester später die Universitätwieder verließ.3 Zum Nachfolger

1Zur Gründungsphase des Fachs in Österreich vgl. Thaler:„Die so sehr aus Leben und Zeit herausgefallene deutsche Philologie“ [erscheint 2016];Michler/Schmidt- Dengler:Germanistik in Österreich (2003), S. 193–201;Egglmaier:Die Ein- richtung von Lehrkanzeln für Deutsche Philologie in Österreich nachder Uni- versitätsreform der Jahre 1848/49 (1981);Fuchs: DieGeschichte der germanis- tischen Lehrkanzel von ihrer Gründung im Jahre 1850 bis zum Jahre 1912 (1967). –Zur Beziehung zwischen Universität und (Deutsch-)Lehrer-Ausbildung im 19. Jahrhundert vgl. Gönner:Die Lehrerbildung in Österreich von der Auf- klärung bis zum Liberalismus (1974);für Preußen vgl. Meves:„Wir armen Germanisten …“ (1991). –Einen Überblick über die Geschichte der Wiener Germanistik bietet Grabenweger:Germanistik an der Universität Wien (2015). 2Ernennungsdekret des Ministeriums für Kultus und Unterricht vom 12. Jänner 1850;UAW,Phil. Fak.,Zl. 306 ex 1849/50, PA 3844 Theodor Georg von Ka- rajan. –Zur Besetzungspolitik an den österreichischen Universitäten in der Ära Thun vgl.Zikulnig: Restrukturierung, Regeneration, Reform (2002). 3Nachdem derProtestantund Klassische Philologe Hermann Bonitz im Juli 1851 zum Dekan gewählt worden war,verhinderte das Professorenkollegium der 8 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik

Karajans ernannteThun den habilitierten Klassischen Philologen Karl August Hahn, der die Wiener Professur noch im Wintersemester 1851 antrat und sie bis zu seinem Tod1857 behielt. In Hahns Amtszeit fielen die ersten Promotionen im Fach DeutschePhilologie;und auch die erste Habilitation erfolgte.4 Trotzdem war auch Hahns Nachfolgernoch kein habilitierter Universitätsgermanist, sondern der Privatgelehrte Franz Pfeiffer,der in München Medizin studiert und dort ohne formalen Ab- schluss auch germanistische Vorlesungen besucht hatte. Pfeiffer lehrte sowohl Neuere deutsche als auch Ältere deutsche Literatur und setzte sich währendseiner Amtszeit vehement für die Errichtung einer zweitenger- manistischen Lehrkanzelein.5 Diesem Ansinnen wurde seitens des Mi- nisteriums 1868, im Jahr von Pfeiffers Tod, auch stattgegeben. Insgesamt kann das Jahr 1868 als das Ende der ersten Phase der Wiener Universitätsgermanistik betrachtet werden. In dieser wurden die Lehr- stühle, wie es seit 1848 üblich war,direkt vom Ministerium und ohne Fakultätsvorschlag besetzt. DieProfessoren kamen nichtnur aus Österreich (Karajan), sondern auch aus der Schweiz (Pfeiffer) und aus Deutschland (Hahn);sie waren nichtnur katholisch (Pfeiffer), sondern auch griechisch- orthodox(Karajan) und protestantisch (Hahn);und sie waren keine aus- gebildeten Germanisten, sondern entweder Vertreter eines anderen uni- versitären Fachs oder Privatgelehrte. Dieser speziellen Ausgangssituation ist es auch zuzuschreiben, dass sich in den ersten knapp zwanzig Jahren kein fachlicher oder schulischer Zusammenhang bei Berufungen erkennen lässt. Nach 1868 änderten sich die Kriterien der Professorenfolge jedoch grundlegend. Dienationale und konfessionelle Offenheit und die fachliche

theologischen Fakultät die Einsetzung von Bonitz mit der Begründung, dass da- durch der katholische Charakter der Universität, der durchden Stiftsbrief verbürgt war,verletzt werde. Karajan kündigte daraufhin seine Stellung, da er als nicht- katholischer,sondern griechisch-orthodoxer Professor mit dieser,wie er selbst betonte, „nur Pflichten auf sich genommen [hatte],aus denen er keinerlei Rechte ableiten durfte“. Zit. n. Fuchs:Die Geschichte der germanistischen Lehrkanzel von ihrerGründung im Jahre 1850 bis zum Jahre 1912 (1967), S. 14. Zu Karajan vgl. außerdem Faerber: TheodorGeorg Ritter von Karajan (1997). 4Die erste germanistische Habilitation in Wien war die des Neugermanisten Karl Tomaschek 1855, vgl. dazu die nachfolgenden Ausführungen. 5Fuchs: Geschichte der germanistischen Lehrkanzel von ihrer Gründung im Jahre 1850 biszum Jahre 1912 (1967), S. 27–37. Zu Pfeiffer vgl. auch Scherer:Briefe und Dokumente aus den Jahren 1853–1886 (2005), S. 110–118, S. 372–376; Nottscheid:Franz Pfeiffers Empfehlungskarte für Wilhelm Scherer bei (2003);Kofler:Das Ende einer wunderbaren Freundschaft(1998); Bartsch:Franz Pfeiffer (1870). I.1. Kategorien derOrdnung 9

Unbestimmtheitder Professionalisierungsphase wurden von einer zuneh- mend strikten Nachbesetzungspraxis abgelöst, die die Wiener Germanistik bis ins Jahr 1912 prägen sollte. 1868 bildete auch insofern eine Zäsur,als zum ersten Malnun statt einer,wie bisher,zwei Professuren für DeutscheSprache und Literatur zu besetzen warenund die erste „Generation der professionellen Germanis- ten“6 die Ordinarien erhielt. Die neu eingerichtete, zweite Lehrkanzel wurde im März 1868mit dem ersten Wiener NeugermanistenKarl Tomaschek besetzt, der sich 1855für Deutsche neuere literatur auß aes- thetischen gesichtspuncten habilitiert hatte.7 Mitder Differenzierung der beiden Lehrstühlevollzog die Wiener Germanistik als erste im gesamten deutschen Sprachraum die Fächertrennung in Ältere und Neuere deutsche Literaturforschung.8 DieNachfolge Pfeiffers trat im selben Jahr ein wei- terer Germanist der Wiener Universität an, nämlich der von Pfeiffer nicht besonders geschätzte, abervon der Fakultät, die zum ersten Malinein germanistisches Nachbesetzungsverfahren involviert war,inVorschlag gebrachte Wilhelm Scherer.Vor allem der zu diesem Zeitpunkt erst 27 Jahre alte Scherer sollteder Hoffnung der Fakultät, dass er „in 10 bis 15 Jahren auf [der] ersten Stufe deutscher Gelehrsamkeit zu stehen erwarten läßt“9,sowohl in fachlicher als auch wissenschaftsorganisatorischerHin- sicht mehr als gerecht werden. 1872, vierJahrenach seinem Amtsantritt, verließ Wilhelm Scherer die Wiener Universitätbereits wiederund folgte einemRuf nach Straßburg. Daraufhin unterbreitete die Fakultät dem Ministeriumeine Viererliste, auf der sie an erster Stelle den früheren Grazer und danach Kieler Ordinarius Karl Weinhold, an zweiter den Kärntner MatthiasLexer,der zu dieser Zeit Professor in Würzburg war,und an dritter den Königsberger Lehrstuhl- inhaber Oskar Schade sowie den Grazer Ordinarius Richard Heinzel, der

6Michler/Schmidt-Dengler:Germanistik in Österreich (2004), S. 199. 7UAW,Phil. Fak.,Zl. 412 ex 1854/55, PA 3450 Karl Tomaschek. 8Weimar:Geschichte der deutschen Literaturwissenschaftbis zum Ende des 19. Jahrhunderts (1989), S. 429–442. –Auch wenn damit die Fächertrennung in Wienvollzogen worden war,waren beide Lehrstühle bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs mit der Bezeichnung Deutsche Sprache und Literatur versehen. –Zur Situation der jungen Forschungsrichtung Neueredeutsche Literaturgeschichte vgl. jüngst Müller/Nottscheid (Hg.): Disziplinentwicklung als „community of prac- tice“ (2016). 9KarlTomaschek in seinem,dem Ministerium übermittelten Kommissionsbericht über die Nachbesetzung der Lehrkanzel, o.D.;UAW,Phil. Fak.,Zl. 407 ex 1867/ 68, PA 3282 Wilhelm Scherer. 10 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik sich in Wien habilitiert hatte, in Vorschlag brachte. Da das Ministerium seit Ende des Deutschen Bundes 1866der Praxis folgte, nur mehr Österreicher und unter ihnenvor allem Katholiken zu berufen, zog es den ErstgereihtenWeinhold erstgar nichtinBetracht und entschied sich nach der Absage Lexers für den einzig übrig gebliebenen Österreicher Richard Heinzel.10 Heinzel hatte gemeinsam mit Wilhelm Scherer bei Pfeiffer studiert, bezeichnete sich selbst aber,obwohl drei Jahre älter als Scherer, „als dessen ältesten und ersten Schüler“11 und war Scherers ausdrücklicher Wunschkandidat für die Wiener Professur.Damit entsprachdie Berufung Heinzels nichtnur den nationalen Anforderungen des Ministeriums, sondern leitete auch einen Berufungsmechanismus ein, nach dem der Favorit des scheidenden Lehrstuhlinhabers dessen Nachfolge antrat. Der nächste Lehrstuhl, der zu besetzen war, war der KarlTomascheks, der im September 1878 starb.Dieser,obwohl ebenso wie der andere Lehrstuhl mit der Bezeichnung Deutsche Sprache und Literatur versehen, sollte jedoch nicht mit einem Altgermanisten, sondern erneut mit einem Vertreter der Neueren deutschen Literaturgeschichte besetzt werden. In dieser Hinsicht stand die Wiener und mit ihr die gesamte österreichische Germanistikjedoch vor dem Problem, dass es sich um „eine junge Wis- senschaft“handelteund deshalb „die Zahl ihrer Vertreter beschränkt“12 war.Vor allem Richard Heinzel, der sich auf das ältere Gebiet spezialisiert hatte, war daran interessiert, dass der zweitegermanistische Lehrstuhl von einem Wissenschaftler besetzt wurde,der die vom Ministerium geförderte Lehre in der neueren Abteilung übernehmen konnte. GegenüberFakultät und Ministerium setzte sich Heinzelineiner ausführlichen Programm- schriftfür das von ihm nichtvertretene neuere Fach ein, in der er unter den Prämissen unbedingt philologischer Ausrichtung dessen wissenschaftli- chen Anspruch und dessen universitäre Notwendigkeit betonte.13 In der für die Frage der Nachbesetzung im Dezember 1878 einberufenen Kommis-

10 Wiesinger/Steinbach:150 Jahre Germanistik in Wien (2001), S. 46. 11 Heinzel:Rede auf Scherer (1886), S. 802. –Zur Beziehung zwischen Scherer und Heinzel vgl. Heinzel/Scherer:Die Korrespondenz Richard Heinzels mit Wilhelm Scherer [in Vorbereitung]. 12 Richard Heinzel im Bericht der Kommission über die Besetzung der erledigten Lehrkanzel für deutsche Sprache und Literatur,o.D.;UAW,Phil. Fak.,Zl. 4347 ex 1878/79, PA 3328 Erich Schmidt. 13 Vgl.Heinzel im Bericht der Kommission über die Besetzung der erledigten Lehrkanzel für deutsche Sprache und Literatur,o.D.;UAW,Phil. Fak.,Zl. 4347 ex 1878/79, PA 3328 Erich Schmidt. I.1. Kategorien derOrdnung 11 sion schlug Heinzel auf Empfehlung Wilhelm Scherers dessen ,Meister- schüler‘ ErichSchmidt vor. Der aus Jena stammende ErichSchmidt hatte nach Graz in Straßburg studiert und ebendort1877 den Lehrstuhl Scherers übernommen, als dieser nach Berlin wechselte. DieKommission konnte sich jedoch nicht eindeutig zwischen dem Grazer Ordinarius AntonSchönbach, einem Altgermanisten, und dem Neugermanisten Erich Schmidt entscheiden,14 und die WienerProfessur blieb vorerst vakant.15 Der Minister für Kultus und UnterrichtConrad von Eybesfeld, der von Heinzelüber den knappen Vorsprung Schönbachsinformiert wurde –inder Sitzung des Professo- renkollegiumsam15. März 1879hatte Schönbach 14 und Schmidt nur zwölf Stimmen erhalten –, war abergeneigt, Heinzels Wunsch zu ent- sprechen:Wie der Minister in seinem Bericht an den Kaiser betonte, wollte er nicht„Schönbach, der nur in altdeutscherPhilologie wissenschaftliche Leistungen aufzuweisen hat“, sondern mit Schmidt „einen Mann gewin- nen, der sich in der strengen Schule altdeutscher Philologiejene Methode der Forschung angeeignet hat, welcheerst seit einigen Jahrzehnten auf die Behandlung der neueren Literatur Anwendung gefunden hat“.16 Das einzige Problem blieb,dass Schmidt nicht ohneWeiteres als österreichischerWissenschaftler durchgehen konnte. Mitwelcher durchaus eigenwilligenInterpretation der Minister und mit ihm der Kaiser dieses Problem lösten, berichtete Schmidtseinem „freundlichste[n] Nothelfer

14 Scherer selbstmischte sich aus Berlin nicht offiziell in die Nachbesetzung ein, veröffentlichte aber am 10. Jänner 1879, kurz nach der ersten Kommissionssit- zung, in der Neuen Freien Presse einen Artikel, in demerzwar nicht direkt auf die vakante Wiener Lehrkanzel einging, aber ein Plädoyerfür die institutionelle Stärkung der Neueren deutschen Literaturgeschichte hielt und auf die Verant- wortung des Ministeriums in dieser Hinsichthinwies.Scherer:Die deutsche Li- teratur an den österreichischen Universitäten (1879). 15 Den universitären Unterricht in Neuerer deutscher Literatur deckte ab Sommer- semester1879 der Privatdozent Josef Seemüller ab, dessen Spezialgebiet jedoch die Ältere deutsche Literatur war.Abhilfe für die Lehre erhoffte sich Heinzel zwi- schenzeitlich vom NeugermanistenAugust Sauer,der bei ihm und Tomaschek in Wienund bei Wilhelm Scherer in Berlin studiert hatte. Sauer habilitierte sich auch tatsächlich im Juni 1879 in Wien,wurde aber noch im Sommer desselben Jahres an die Universität Lemberg berufen. Fuchs:Geschichte der germanistischen Lehr- kanzel von ihrer Gründung im Jahre 1850 biszum Jahre 1912 (1967), S. 69–73. Zu Sauer vgl. auch Höhne (Hg.): (2011). 16 Zit. n. Fuchs:Geschichte der germanistischen Lehrkanzel von ihrer Gründung im Jahre 1850 bis zum Jahre 1912 (1967), S. 79. 12 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik und Berater“17 Scherer,mit dem er während der gesamten Nachfolgever- handlungen Informationenüber die „Wiener Angelegenheit“18 aus- tauschte, in einemBrief vom 16. August 1880: Ich schreibe jetzt so viel durcheinander,daß ich gar nicht weiß, ob ich Ihnen nach derAudienz beim Minister schon eine Meldunggemacht habe.Excellenz Conrad, der eine rührende Naivität in Bezug auf Universitätssachen verrät, hat mir alles zugestanden, was der gute David19 mit mir ausgemacht. C.,der echte steirische Großgrundbesitzer mit bequemen Formen, Bonhomme, sehr un- gebildet, als Minister für Cultus und Unterricht wäre er komisch,müßte man sich nicht ärgern über seine Beschränktheit. […] Er sprach weise Worte über schriftstellerische Arbeitund Lehrtätigkeit, ferner,daß er das Hauptgewicht auf Seminar lege, (hatte keineAhnung davon, was ein Seminar ist), daß man mit Ausländern neuerdings üble Erfahrungen gemacht, daß er mich als halben Oesterreicher betrachte und von meiner großenAnhänglichkeit an Oesterreich gehört habe;obich in Graz vom juridischenStudium ausgegangen sei. Ein kundiger Thebaner. In Wien verrate ich dies Gespräch nicht. Der Kaiser sei jetzt schwierig in Bestätigung von Nichtoesterreichern, aber bei mir altem Grazer etc.20 Nachdem der Minister und der Kaiser einander versichert hatten, dass Schmidt aufgrund seiner Grazer Studienzeit „ja kein eigentlicher Ausländer sei“21,wurde er mit Dekret vom 27. August 1880 zum außerordentlichen Professor für DeutscheSprache und Literatur in Wien bestellt und ein Jahr später zum ordentlichen Professor ernannt.22 Damit waren beide Lehr- stühle an der Wiener Germanistik mit Wissenschaftlern besetzt, die Österreicher waren oder zumindest als solche präsentiert werden konnten und aus der Lehre oder zumindest dem Einflussbereich Wilhelm Scherers kamen.

17 Scherer/Schmidt:Briefwechsel(1963), S. 144 (Brief von Schmidt an Scherer vom 1. August 1880). 18 Scherer/Schmidt:Briefwechsel(1963), S. 140 (Brief von Schmidt an Scherer vom 28. Mai1880). 19 Benno von David war Ministerialdirektor und Sektionschef für das Hochschul- wesen im Ministerium für Kultus und Unterricht, außerdem ein ehemaliger Mitschüler Scherers und dessen Kontaktmann im Ministerium.Vgl. Scherer/ Schmidt:Briefwechsel (1963), S. 110 (Brief von Scherer an Schmidt vom 25. September 1879). 20 Scherer/Schmidt:Briefwechsel(1963), S. 146–147 (Brief von Schmidt an Scherer vom 16. August 1880). 21 Scherer/Schmidt:Briefwechsel(1963), S. 146 (Brief von Schmidt an Scherer vom 12. August 1880). 22 UAW, Phil. Fak.,PA3328 ErichSchmidt. I.1. Kategorien derOrdnung 13

In die Zeitder gemeinsamen Leitung des Seminars für Deutsche Philologie in Wiendurch Heinzel und Schmidt fielen die Gründung und der Ausbau des Seminars für Neuere deutsche Literatur und damit die endgültige institutionelle Etablierung der neueren Abteilung, die ab 1881 selbständig und mit demselben Gewicht neben der älteren existierte.23 Schmidtselbstblieb aber nur fünf Jahre in Wien, da er 1885 aufgrund der Vorbereitung Scherers24 zunächst als Direktor an das neu eröffnete Goethe- Archiv in Weimar wechselte und nach Scherers Tod1888 dessen Lehrstuhl in Berlin übernahm. Diese Laufbahn war,wie aus einem Brief Scherers an Schmidtvom 30. Mai1880 hervorgeht, bereits vor und mit Schmidts Wiener Amtsantritt beabsichtigt:„Siekönnen von Wien leichternach Berlin kommen,als von Straßburg.“25 Ähnlich geplant und komplikationslos verlief auch die Nachbesetzung von Schmidts LehrstuhlinWien.Noch bevor seine eigene Entlassung vom Kaiser bestätigt wurde und demnach auch vor der Bildung einer Beru- fungskommission für seine eigene Nachfolge informierte Schmidtam 24. Juni 1885 seinen Wunschkandidaten Jakob Minor: Ich gehe definitiv im October nach Weimar u. lege mein Scepter in Ihre Hände.Das unterliegtgar keinem Zweifel;habs auch David heut früh (gleich nach meiner Rückkehr) gesagt und er billigt die Wahl, die in der Comm. ganz sicher auf Sie primo wenn nicht unico locofällt. Sie würden schon zumHerbst herberufen werden;zunächst als Eo. [Extraordinarius, E.G.] wie ich 1880.26 Jakob Minor gehörte zum engerenKreis der von Schererbeobachteten germanistischen Nachwuchswissenschaftler.27 Er hatte in Wien studiert und 1878promoviert, war danach mit einem Stipendium zu Scherer und Karl Müllenhoff nach Berlin in die Lehre gegangenund nach seiner Wiener Habilitation 1882zum außerordentlichen Professor an der Universität

23 Zur Etablierung des neueren Fachs vgl. Egglmaier:Entwicklungslinien der neueren deutschenLiteraturwissenschaftinÖsterreich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundertsund zu Beginn des 20. Jahrhunderts (1994). 24 Vgl. Scherer/Schmidt:Briefwechsel (1963), S. 202–204 (Brief von Scherer an Schmidt vom 21. Mai1885). 25 Scherer/Schmidt:Briefwechsel (1963), S. 141 (Brief von Scherer an Schmidt vom 30. Mai1880). 26 Castle:ZuJakob Minors 100. Geburtstag(1955), S. 84 (Briefvon Schmidt an Minor vom 24. Juni 1885). 27 So wollte Scherer z.B. für die Weimarer Goethe-Ausgabe „alles junge Volk an- stellen:Seuffert, Minor,Sauer,Waldberg, Weilen, Burdach, Schröder“.Scherer/ Schmidt:Briefwechsel (1963), S. 141 (Brief von Scherer an Schmidt vom 21. Mai 1885). 14 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik

Prag bestellt worden.28 Minor passteals österreichischerNeugermanist ganz ausgezeichnet in das Berufungskonzept des Ministeriums und auch in die Pläne Scherers, die in wissenschaftsorganisatorischer Hinsicht vor allem darin bestanden, alle wichtigenLehrstühle im deutschsprachigen Raum mit Vertrauten, Schülern und Anhängern zu besetzen–was in erstaunlich hohem Ausmaß auch gelang.29 Darüber hinaus konnte Minor mit der Zustimmung der Berufungskommission und des Professorenkollegiums rechnen, da er zum einen ausder eigenen Fakultät kam, zum anderen aufgrund seiner Tätigkeit in Prag dem Laufbahnmodell von Bewährung und Rückgewinnung entsprach. Tatsächlich benötigte die Kommission nur eine einzige Sitzung, um zu einem Entschluss zu kommen. Am 6. Juli 1885 entschied sie:„primoloco Dr.Jacob Minor,außerordentlicher Professor an der Prager Universität; secundound tertio loco ex aequo Dr., Privatdocent an der Universität zu Würzburg und Dr.August Sauer,außerordentlicher Professor an der UniversitätGraz.“30 Warbei den Nachfolgeverhandlungen Tomascheks, bei denen 1880 nach eineinhalb Jahren schließlich Schmidt berufen wurde, noch eine Diskussion darüber entbrannt,obein Alt- oder Neugermanist den zweiten Lehrstuhl bekommen sollte, und die Fakultät deshalb unentschieden, ob sieAnton Schönbachoder Erich Schmidt in Vorschlag bringen sollte, so war die Sachlage jetzt klar.Noch am Tagder Kommissionssitzung schrieb Schmidt an Minor: Brennen Sie die ersten Böller ab! Eben aus der Sitzung. Heinzels Antrag:neuere Litteratur (also nicht Schönbach etc.) 1einstimmig angenommen Meine Terna:Minor I.8 Seuffert, Sauer aequo. 1. einst. angen. Der Facultät sind wir nun sicher.31

28 Zu Minor vgl. Faerber:Ich bin ein Chinese (2004). 29 In Österreich waren Ende des 19. Jahrhunderts alle neugermanistischen und teilweise auch die altgermanistischen Lehrstühle mit Schülern Scherers der ersten oderzweiten Generation besetzt:Richard Heinzel und Jakob Minor in Wien, Anton E. Schönbach und BernhardSeuffert in Graz, Josef Eduard Wackernell in Innsbruck, Richard Maria Werner in Lemberg und August Sauer in Prag. –Zu Scherers und seiner Schüler Bemühungen um die Ausgestaltung der Neueren deutschen Literaturgeschichte vgl. Müller/Nottscheid (Hg.): Disziplinentwicklung als „community of practice“ (2016). 30 Protokoll der Kommissionssitzung zurNachbesetzung der Lehrkanzel nach Erich Schmidt vom 6. Juli 1885, zit. n. Faerber:Ich bin ein Chinese (2004), S. 121. 31 Castle:ZuJakob Minors 100. Geburtstag(1955), S. 87 (Briefvon Schmidt an Minor vom 6. [Juli] 1885). –Der betreffende Briefist nicht vollständig datiert und I.1. Kategorien derOrdnung 15

DieGewissheit Schmidts hinsichtlich der Fakultät sollte sich in vollem Maße bestätigen. Bereits fünf Tage später,am11. Juli, wurde dieser Vorschlag, nachdem Schmidts Vertrauensmann und „beste[r] College von der Welt“32 Richard Heinzel aus „Opportunitätsgründen“33 als Referent fungierthatte, vom Professorenkollegium der philosophischen Fakultät einstimmig bestätigt. Undam23. August 1885berief der Kaiser Jakob Minor zum außerordentlichen Professor der Deutschen Sprache und Lite- ratur an der Universität Wien.34 Die „Wünsche“ Schmidts „erfüllt[en]“ sich, wie er selbst feststellte, so „prächtig“ und „glatt“, dass das gesamte Berufungsverfahren „[o]hne jede Debatte“35 verlief und in einer Kürzestzeit von nichteinmal acht Wochen, in denen die Entscheidungsträger aller Instanzen problemlos überzeugt werden konnten, beendet war. Das Prinzip,dass der scheidende Ordinarius seinen Nachfolger aus- wählte, konnte bei der nächsten Berufung nur indirekt angewendet wer- den. Richard Heinzels Lehrstuhl wurde nämlich vakant, weil er sich im April 1905 das Leben nahm. Trotzdem wurde sich die am 25. Mai1905 zum ersten Maltagende Kommission in nureiner einzigen Sitzung einig. Sienannte für den Dreiervorschlag, der dem Ministerium zu übermitteln war,anerster Stelle Josef Seemüller,anzweiter Carl von Kraus und an dritter Konrad Zwierzina.36 Alle drei Wissenschaftler hatten in Wien studiert, promoviert und sich habilitiert und zählten zu den erfolgreichsten und von Heinzel am nachdrücklichsten gefördertenSchülernder Wiener Altgermanistik. Konrad Zwierzina ging nach seiner Wiener Habilitation 1897 als Privatdozent nach Graz und war seit 1899 ordentlicher Professor an der einzigenkatholischen Universität der Schweiz, in Fribourg. Carlvon Kraus hatte 1894 seine Habilitationsschriftineiner längeren Widmung seinem Lehrer Heinzel zugeeignet,37 war daraufhin in Wien als Privatdo-

hier als Nr.20fälschlicherweise nach Nr.19(Brief vom 26. Dezember 1885) eingereiht,gehört aber zwischen Nr.16(Brief vom 4. Juli 1885) und Nr.17(Brief vom 12. Juli 1885). 32 Castle:ZuJakob Minors 100. Geburtstag(1955), S. 85 (Briefvon Schmidt an Minor vom 12. Juli 1885). 33 Castle:ZuJakob Minors 100. Geburtstag(1955), S. 87 (Briefvon Schmidt an Minor vom 6. [Juli] 1885). 34 Faerber:Ich bin ein Chinese (2004), S. 121, S. 123. 35 Castle:ZuJakob Minors 100. Geburtstag(1955), S. 85 (Briefvon Schmidt an Minor vom 12. Juli 1885). 36 Protokoll der Kommissionssitzung zur Besetzung der Lehrkanzel nach Herrn HofratProf. Heinzel vom 25. Mai1905;UAW,Phil. Fak.,Zl. 3529 ex 1904/05, PA 3135 Josef Seemüller. 37 Kraus (Hg.): Deutsche Gedichte des zwölften Jahrhunderts (1894), S. III. 16 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik zent und außerordentlicher Professor tätig, bevorer1904 als Ordinarius für Ältere germanische Sprachen und Literatur an die Deutsche Universität in Prag ging. Der Erstgereihte Josef Seemüller,der mit kaiserlichem Dekret vom 1. August 1905 und mit Rechtswirksamkeit vom 1. Oktober desselben Jahres zum Ordinarius berufen wurde,38 war 1879 der erste Habilitand Heinzels und nach seiner Wiener Privatdozententätigkeit seit 1890 zu- nächst außerordentlicher und dann ordentlicher Professor an der Uni- versität Innsbruck. Diegesamte Liste –allen voran Josef Seemüller,der zum Wintersemester 1905 die NachfolgeHeinzels antrat –entsprach also einem Berufungsmodus, bei dem im Sinne problemfreier Kontinuität allein die jeweiligen Schüler des scheidenden Ordinarius als dessen Nachfolger in Betrachtgezogen wurden. DieletzteLehrstuhlbesetzung, die an der Wiener Germanistik dieser Reihe der aufgebauten und gefestigten Ordnung der professoralen Erbfolge entsprach, war die Nachfolge Josef Seemüllers 1912. Seemüller ließ sich mit 1. April 1912inden ständigen Ruhestand versetzen,39 hatte aber schon fast ein Jahr zuvor erste Vorbereitungen für seine eigene Nachfolge ge- troffen. Am 22. Mai1911 schrieberanseinen früheren Wiener Kollegen Carl von Kraus, der mittlerweile eine Professur in Bonn innehatte: Meinem Urteil nach könnennur Sie zur Nachfolge in betracht kommen. […] Minor hatte Sie nach Heinzel an 2. Stelle genannt:ermuß Sie nun wol an 1e ziehen, in der Fakultäthaben Sie, dasweißich, warmeFreunde. Ich persönlich halte Sieindem Maße für geeignet, daß ich für einen unico- Vorschlag wäre.40 DieKommission,die zur Wiederbesetzung der Lehrkanzel vom Profes- sorenkollegium der philosophischen Fakultät am 11. Mai1912 einberufen wurde, holte zunächst schriftliche Gutachten von Jakob Minor,dem „Vertreter des nächstangrenzenden Faches“41,der aus Krankheitsgründen

38 Briefdes Ministeriums für Kultus und Unterricht an das Dekanat der philoso- phischen Fakultätder Universität Wien vom 8. August1905;UAW,Phil. Fak., Zl. 4349 ex 1904/05,PA3135 Josef Seemüller. 39 Briefdes Ministeriums für Kultus und Unterricht an das Dekanat der philoso- phischen Fakultätder Universität Wien vom 24. März 1912;UAW,Phil. Fak., Zl. 1128 ex 1911/12,PA3135 Josef Seemüller. 40 Briefvon Seemüller an Kraus vom 22. Mai1911;BSB München, Nachlass Carl von Kraus, KrausianaI. 41 Bericht der Kommissionzur Nachbesetzung der Lehrkanzel nach Josef Seemüller vom 4. Juli 1912 (Referent:Rudolf Much);ÖStA, AVA, Unterricht allgemein, Professoren und Lehrkräfte:Anstellungen, Rang,Entlassungen 1912–1914, MCU, Zl. 33439 ex 1912. I.1. Kategorien derOrdnung 17 nicht an den Sitzungen teilnehmen konnte, und von Josef Seemüller selbst ein. Beide Gutachten sprachen sich, wie es verabredetwar,für Carlvon Kraus an erster Stelle aus. DieKommission, die für die Besetzungsange- legenheit nur deshalb statt einer zweiSitzungen anberaumte, um auf die Gutachten zu warten, folgte diesen Empfehlungen mehr als vorbildlich. Sie schlug Carlvon Kraus nicht nur als Erstgereihten, sondern sogar sine et unico loco vor.Inihrem Bericht vom 4. Juli 1912 begründete sie das folgendermaßen: Ohne dass dies in einem besonderen Beschluss zum Ausdruck gekommen wäre, war doch der Wunsch der Kommission deutlich erkennbar,dass der Zusammenhang mit der grossen Vergangenheit der Altgermanistik an unserer Universitätgewahrt und wiederum ein Schüler Heinzels auf dessen Lehrstuhl berufen werden sollte. […] Gerade an C. v. Kraus zunächst zu denken, lag deshalb schon nahe, weil er bereitsnach Heinzels Tode für die Neubesetzung der altgermanistischen Lehrkanzel an zweiter Stelle durch die Fakultät in Vorschlag gekommen war. […] Es ist endlich begreiflich, dass in Erinnerung an die ehrenvolle Stellung, die durch die überragende Persönlichkeit Heinzels der österreichischen Germa- nistik gesichert war,esschmerzlich empfunden werden muss, dass wir den anerkannt tüchtigstenseiner Schülerdem Auslande überlassen sollen.42 Das Ministerium nahm daraufhin sogleich Kontakt zu Carl von Kraus auf und wollte ihn noch mit Wintersemester 1912 als Ordinarius nach Wien bestellen. Kraus zeigte sich zwar geneigt, bat aberineinem Brief vom 7. August um Verschiebung der Berufung auf das Sommersemester 1913, um der Bonner Universitätund dem preußischenMinisteriumgenügend Zeit für eine Nachbesetzung seines dortigen Lehrstuhls zu geben.43 Einen Tagspäter informierte das preußische Kultusministerium das Wiener Ministerium für Kultus und Unterricht, dass es „versuchen werde[ ], den verdientenGelehrten zu veranlassen,seinem derzeitigen Wirkungskreise

42 Bericht der Kommissionzur Nachbesetzung der Lehrkanzel nach Josef Seemüller vom 4. Juli 1912 (Referent:Rudolf Much);ÖStA, AVA, Unterricht allgemein, Professoren und Lehrkräfte:Anstellungen, Rang, Entlassungen 1912–1914, MCU, Zl. 33439 ex 1912. 43 Brief von Kraus an Carl von Kelle (Sektionschef im Ministerium für Kultus und Unterricht) vom 7. August 1912;ÖStA, AVA,Unterricht allgemein, Professoren und Lehrkräfte:Anstellungen, Rang, Entlassungen 1912–1914, MCU Zl. 33439 ex 1912. 18 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik treu zu bleiben“44,was vor allem bedeutete, dass Kraus in der Lage war,für die Zusage in Wien Bedingungen zu stellen. Unddas tat er auch:Wie das Unterrichtsministerium dem Finanz- ministerium mitteilte, forderte Kraus zusätzlich zu den „höchsten sys- temmäßigen Ordinariatsbezügen von 13.840 K“ und „der mit der Lehr- kanzel verbundenen Seminarremunerationvon 800 K“ eine „Personalzulage“ von weiteren „11.500 K“, außerdem die vollständige Anrechnung seiner im Inland wie im Ausland verbrachten Dienstjahre für die Pensionsbemessung, die Befreiung von der Diensttaxe, die Übernahme der Übersiedlungskosten von Bonn nach Wien, die Entschädigung für die seinerzeitige Übersiedlung von Prag nach Bonn, die er dem preußischen Ministerium zurückzahlen musste, „2000 K[…] zum Zwecke der Er- gänzungder Seminarbibliothek“ und weitere1.000 Kronen für deren „dringend nötige Neukatalogisierung“. „Außerdem würde er noch“, so das Unterrichtsministerium weiter,„Wert legen auf eine Erweiterung der Se- minarlokalitäten […] und endlich auf die Errichtungeiner besonderen Seminarabteilung für germanische Altertumskunde“, deren Leitung Kraus’ ehemaliger Studienkollege und nunmehriger Wiener Professor für Ger- manischeSprachgeschichte und Altertumskunde Rudolf Much45 übernehmen sollte. Im Unterrichtsministerium musste man zwar zugeben, daß die gestellten Forderungen ziemlich bedeutendsind […],nichtsdesto- weniger muß die Unterrichtsverwaltung mit allem Nachdruckefür deren Gewährung eintreten, da es sich um die Rückgewinnung eines ganz hervor- ragenden Gelehrten handelt, von dem zu erwarten ist, daß er die altberühmte Wiener germanistische Schule,aus welcher er selbst hervorgegangen ist, nicht nur auf ihrerHöhe erhalten, sondern ihr neuen Glanz und neue Anzie- hungskraftverleihen werde.46 Das Ministerium und das Professorenkollegium waren sich, wie die vor- angegangenenZitate zeigen, darin einig, dass es sich bei dieser Berufung um die Fortführung einer Wiener germanistischen Tradition und die

44 Briefdes preußischen Kultusministeriums an das Ministerium für Kultus und Unterricht in Wien vom 8. August 1912;ÖStA, AVA, Unterricht allgemein, Professoren und Lehrkräfte:Anstellungen, Rang,Entlassungen 1912–1914, MCU, Zl. 33439 ex 1912. 45 Zu Much vgl. Kap. IV.1. 46 Alle Zitate:K.K. Ministerium für Kultus und Unterricht:Referenten-Erinnerung betr.: Univ.inWien, Wiederbesetzung der nach HofratSeemüller erledigten or- dentlichenLehrkanzel der deutschen Spracheund Literatur vom 28. August1912; ÖStA, AVA,Unterricht allgemein, Professorenund Lehrkräfte:Anstellungen, Rang, Entlassungen 1912–1914, MCU Zl. 40042 ex 1912. I.1. Kategorien derOrdnung 19 wichtigeRückgewinnung eines österreichischen Gelehrtenhandelte,die es mit allen, auch finanziellen Mitteln durchzusetzengalt. Das Finanzmi- nisteriumversuchte jedoch, die Ausgaben zu beschränken, und „beehrt[e] sich“, vor allem zu bemerken, daß die Bewilligung derart exorbitanter Begünsti- gungen […] h.o. Wissens in letzter Zeit […] überhauptnicht vorgekommen ist. So wurden dennauch sogar anläßlich der im Jahre 1902erfolgten Rückberufung Boltzmann’s an die Universität viel weniger weitgehende Be- günstigungen bewilligt.47 Doch „angesichts des besonderen Wertes,welchen das k.k. Ministerium der Berufung des Dr.Karl von Kraus […] beilegt“, war das Finanzministerium „ausnahmsweise“ bereit, die „Weiterführung der Verhandlungen“ zu er- lauben, wenn es gelänge, „eine beträchtliche Reduktion der gestellten überaushoch gespannten Mehransprüche zu erzielen“.48 In der Folge ei- nigten sich von Kraus, das Unterrichts- und das Finanzministerium zwar auf eine Reduktion, so beträchtlich, dass von Kraus weniger verdiente als der in dem Schreiben erwähnte Physiker Ludwig Boltzmann,war sie aber nicht.49 Damit zählte mit Carl von Kraus bei seinem Amtsantritt im Sommersemester 1913ein Germanist zu den bestbezahltenOrdinarien der WienerUniversität. MitBlick auf die Lehrstuhlbesetzungen an der Wiener Germanistik bis 1912 ist hinsichtlich der Ordnung der Professorenfolge Folgendes zu be- merken:Nach einer(semiprofessionellen) Konsolidierungsphase, in der

47 Brief des Finanzministeriums an das Ministerium für Kultus und Unterricht vom 25. Oktober 1912;ÖStA, AVA, Unterricht allgemein, Professoren und Lehrkräfte: Anstellungen, Rang, Entlassungen 1912–1914, MCU Zl. 48224 ex 1912. –Die Abkürzung „h.o.“steht in der österreichischen Amtssprache für ,hierorts‘ bzw. ,hierortig‘. 48 Brief des Finanzministeriums an das Ministerium für Kultus und Unterricht vom 25. Oktober 1912;ÖStA, AVA, Unterricht allgemein, Professoren und Lehrkräfte: Anstellungen, Rang, Entlassungen 1912–1914, MCU Zl. 48224 ex 1912. –Carl von Kraus schrieb sich selbst zunächst,Karl‘. Als sein Namensvetter in Wienaber die satirische Zeitschrift Die Fackel herauszugebenbegann und dort häufig über die Wiener Germanistik herzog, änderte er die Schreibweise in ,Carl‘. 49 Im Vergleich zu den gestellten Forderungen verringerte sich lediglich die Perso- nalzulage um 2.000 Kronen auf 9.500 Kronenjährlich, seine Privatdozentenzeit wurde nicht für die Pension angerechnet und die Übersiedlungskosten von Prag nach Bonn wurden nicht bezahlt. Brief des Finanzministeriumsandas Ministe- rium für Kultus und Unterricht vom 25. Oktober 1912;ÖStA, AVA, Unterricht allgemein,Professoren und Lehrkräfte:Anstellungen, Rang, Entlassungen 1912– 1914, MCUZl. 48224 ex 1912. 20 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik die Entscheidung über Lehrstuhlbesetzungen allein beim Unterrichtsmi- nisteriumlag und ausschließlichPrivatgelehrte oder fachfremde Wissen- schaftler berufen wurden, entwickelte sich ein Berufungsmechanismus, der schließlich zum ,Normalmodell‘ avancierte. Beteiligt an der Entschei- dungsfindung waren dabei der Vorgänger des zu Berufenden sowie die Kommissionund das Professorenkollegium der Fakultät, das dem Mi- nisteriumden jeweiligen Besetzungsvorschlag unterbreitete. Das Minis- terium wiederum mischte sich ab 1868 in die Wahl nichtmehr ein, sondern folgte –vor allem nachdem bei der Berufung Erich Schmidts endgültig klargestellt worden war,dass von den beiden germanistischen Lehrstühlen einer mit einem Altgermanisten und der andere mit einem Neugerma- nisten zu besetzen war –der Fakultätsentscheidung. In der Altgermanistik ist ein klares Lehrer-Schüler-Verhältnis auszumachen,wobei „die jeweili- gen Schüler in der Nachfolge von Ordinarien gezielt etabliert wurden“50. Berufen wurden nur Wissenschaftler,die ihre ,Lehrjahre‘ an der Wiener Universität verbracht hatten und dem Professorenkollegium bekanntwa- ren. Als weitere Anforderung kann die Absolvierung einer ,Professoren- erprobungsphase‘ bezeichnet werden. Damit ist gemeint,dass die zu Be- rufendennach der Habilitation in Wien ihre erste Zeit als außerordentliche oder ordentliche Professoren an einem anderen, meist kleineren Institut im In- oder Auslandverbracht hatten und erst danach ,zurückgeholt‘ wurden. In der Neugermanistik wurden ab der Amtszeit Wilhelm Scherers, der in Wien die altgermanistischeAbteilung geleitet hatte, ausschließlich Fach- vertreter berufen, die bei ihm studiert hatten und die, wie die Berufungen Schmidts und Minors zeigen, von ihm auch für den Wiener Lehrstuhl gewünscht wurden.51 In beiden Fachbereichen wurde der Nachfolger vom jeweiligen Vorgänger,sodieser nicht verstorben war,gezielt ausgesucht; außerdem hatte er Österreicherzusein und musste einem von der Fakultät vertretenen Konzept der schulischen Kontinuität entsprechen. Biszum Jahr 1912 und der Berufung von Carl von Kraus stand an der Wiener Germanistik also alles im Zeichen konfliktfreier Traditionsbewahrung. Dies änderte sich jedoch grundlegend, nachdemimselben Jahr auch der

50 Höppner:Eine Institution wehrtsich (1993),S.376. DieDiagnose Wolfgang Höppners über die Berliner Germanistik bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts lässt sich auch auf die Wiener anwenden. 51 Dieengen persönlichen Verbindungen in der Abfolge Scherer–Schmidt–Minor zeigen sich in außeruniversitärer Hinsicht auchdarin, dass sie nacheinanderdie- selbeWohnung in der Landstraßer Hauptstraße 88 im dritten Wiener Gemein- debezirk bezogen. Faerber:Ich bin ein Chinese (2004), S. 119. I.2. Der Bruch 21 neugermanistischeLehrstuhl durch den TodJakob Minors neu zu besetzen war.

I.2. Der Bruch –Die Verhandlungen um dieNachfolge für den neugermanistischen Lehrstuhlnach dem TodJakob Minors 1912

Wenige Monate nach der altgermanistischenwurde 1912 in Wien auch die neugermanistische Lehrkanzelvakant. Ihr Vertreter Jakob Minor starb am 7. Oktober1912 im Alter von 57 Jahren noch während seiner Amtszeit. Bereits im Juli desselbenJahres hatte Minor ein ausführliches, mehrteiliges Testament verfasst, in dem er präzise Regelungen bezüglichseines wis- senschaftlichen Nachlasses und des Umgangsmit seinem Oeuvre getroffen hatte.52 Hinweise auf einen von ihm gewünschten Nachfolger als Professor für Deutsche Sprache und Literatur finden sich darin jedochnicht. Undauch abseits dieser letzten Verfügungen hattesich Minor –anders als die meisten seiner Kollegen und Vorgänger –zuLebzeiten nichtumdie eigene Erbfolge an der Universitätgekümmert. Einer seiner ehemaligen Schüler,Eduard Castle, meinte 1955rückblickend, dass Minor,„so wenig er sonst Scharfblick für die realenVerhältnisse aufbrachte“, dieses Ansinnen schon immer für aussichtslosgehalten habe und ihnen, „seinen Adepten“,bereits zu seinem 50. Geburtstag, als er erstmals „erwog […],seinen Platz zu räumen“, vorausgesagt habe, „daßkeinem seine Nachfolgerschaftzufallen werde“.53 Das Problem der Wiener Neugermanistik,dass es zu wenige Fach- vertretergab,umeinen Österreicher berufen zu können,das sich bei der Nachfolge Tomascheks 1878noch gestellt hatte, existierte aber nicht mehr. Ganz im Gegenteil:Die Anzahl der germanistischen Promovenden, die eine Universitätslaufbahneingeschlagen und sich auf Neuere deutsche Literatur spezialisiert hatten,war so hoch wie nie zuvor.Die Germanistik, vor allem die neuere Abteilung,gehörte zu jenen Fächern, die am Endedes 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts den stärksten Zuwachs an Stu- dierenden zu verzeichnen hatten.54 Minor selbst hatte seit seinem Amts-

52 Das Testament ist abgedruckt bei Faerber:Ich bin ein Chinese (2004), S. 558– 563. 53 Castle:ZuJakob Minors 100. Geburtstag (1955), S. 77. 54 Zur Bildungsexpansion um die Jahrhundertwende und zum starken Anstieg der Hörerzahlen an den philosophischen Fakultäten vgl.detailliert Cohen:Education and Middle-Class Society in Imperial 1848–1918 (1996). 22 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik antritt im Wintersemester 1885 im Schnitt 14 Dissertationen pro Jahr betreut55 und insgesamt fünf neugermanistische Habilitationen abge- nommen:1887die Habilitation Alexander von Weilens, 1893 die Oskar Walzels, 1900die Robert Franz Arnolds, 1905die Stefan Hocks und 1907 die Eduard Castles.56 Diese fünf Wissenschaftler lehrten 1912 als Privat- dozenten, außerordentliche oder ordentliche Professoren in Wien bzw.an einer deutschen Hochschule57 und hätten die Voraussetzungen für die Minor-Nachfolge erfüllt, wäre das Auswahlverfahren dem bisher prakti- zierten Berufungskonzept gefolgt, das vor allem der Aufrechterhaltung einer nationalen und schulischen Kontinuitätgeschuldet war.Auchhatten sich alle fünf mit einem Nachruf auf Jakob Minor als dessen Schüler präsentiert und sich somit für seine Nachfolge in Stellung gebracht.58 Darüber hinaus gab es noch zwei weitere Germanisten, die für den pres- tigeträchtigenWiener Lehrstuhl in Frage gekommen wären und bereits 1885 bei der Berufung Minors ex aequoanzweiter und dritter Stelle ge-

55 Insgesamt betreute Minor in Wien 361 Doktorarbeiten als Referent und etwa ebenso viele als Koreferent. Bis 1901 wurden jährlich bis zu acht Arbeiten bei ihm eingereicht, 1903 sind es zehn, 1904 13, 190522, 1906 40 und 1910 bereits 54. Faerber:Ich bin ein Chinese (2004), S. 155. –Auchder PrivatdozentStefanHock wies in seinem Nachruf darauf hin,dass Minor,der vor „Tausenden von Stu- denten“ gelehrt habe, sich oftdarüber beklagte, „daß die Ueberfüllung der Wiener Hochschule, zumal der philosophischen Fakultät, und hier wiederum die ger- manistischenKollegien, notwendig eine Art Massenbetrieb bedinge“.Hock:Jakob Minor [Nekrolog] (1912), S. 33. 56 Zu den einzelnen Habilitationsverfahrenvgl. Faerber:Ich bin ein Chinese (2004), S. 157–168. 57 Alexander von Weilen war Titularprofessor für Neuere deutscheLiteraturge- schichte in Wien, Oskar Walzelordentlicher Professor für Literatur und Kunst- geschichte an der Technischen Hochschule in Dresden, Robert Franz Arnold außerordentlicher Titularprofessor für Neuere deutsche Literaturgeschichtein Wien, Stefan Hock und Eduard Castle waren Privatdozenten für Neuere deutsche Literaturgeschichte in Wien. 58 Alexander von Weilen am prominentesten und bereits einen Tagnach Minors Tod in der Neuen Freien Presse,aber auch im Jahrbuch der Grillparzer-Gesellschaft und als offizieller Vertreter der Wiener Universität in deren jährlichem Berichtsorgan Die feierliche Inauguration des Rektors. Weilen:Jacob Minor [Nekrolog] (1912); ders.:Jakob Minor [Nekrolog] (1913);ders.:JacobMinor [Nekrolog] (1913/ 1914). –Oskar Walzel etwas weiter abseits in der Frankfurter Zeitung. Walzel: Jakob Minor [Nekrolog] (1912). –Robert Franz Arnold in der von AugustSauer herausgegebenen germanistischen Fachzeitschrift Euphorion. Arnold:JacobMinor [Nekrolog] (1913). –StefanHock im Literaturblatt der Neuen Freien Presse und Eduard Castle in der populärwissenschaftlichen Zeitschrift Das Wissen für alle. Hock:Jacob Minor [Nekrolog] (1912);Castle:Jacob Minor [Nekrolog] (1912). I.2. Der Bruch 23 nannt worden waren,die also nicht zu Minors Schülern, sondernzuseinen Altersgenossen gehörten:den Grazer Ordinarius Bernhard Seuffert und den Prager Professor August Sauer,der gemeinsammit Minor in Wien und bei Scherer in Berlin studiert hatte und der trotzmehrerer vergeblicher Versuche, wieder stärker ins Zentrum der Monarchie zu rücken, immer noch an der akademischen PeripherieÖsterreich-Ungarnssein Amt ver- sah.59 DieKommission, die über die „Besetzung der zur Erledigung gelangten germanistischen Lehrkanzel“ zu beraten hatte, wurde unterdem Vorsitz des Dekans und Indologen Leopold von Schroeder am 9. November1912 einberufen.60 Siebestandaus den Professoren Jakob Schipper (Anglistik), Josef Strzygowski (Kunstgeschichte),Hans von Arnim (Klassische Philo- logie), PhilippAugust Becker (Romanistik), Oswald Redlich (Geschichte), Guido Adler (Musikwissenschaft), Richard Wettstein (Botanik), Karl Luick (Anglistik), Wilhelm Meyer-Lübke(Romanistik) und Rudolf Much (Germanistik). Da zu dieser Zeit aufgrund der EmeritierungJosef See- müllers neben der zu besetzenden neugermanistischen auch diezweite, altgermanistischeProfessurvakant war,war Much als Altertumswissen- schaftler der einzige Germanist in der Kommission. Bereits in der erstenSitzung am 27. November 1912 zeigte sich die abwartende und wenig entscheidungsfreudige Haltung der Kommissi- onsmitglieder,die das Besetzungsverfahren noch die nächsten sechs Mo- nate bis zum Amtsantritt des Seemüller-Nachfolgers Carl von Kraus im April 1913 prägen sollte. So wurde zwar ein Brief Erich Schmidts, des Berliner Scherer-Nachfolgers und Wiener Minor-Vorgängers, verlesen, in dem dieser für den Dreiervorschlag an ersterStelle August Sauer,anzweiter Oskar Walzel und an dritter Alexander von Weilen empfahl, eine weitere Diskussion über etwaige Kandidatenfand aber nicht statt. Vielmehrbe- schloss man, ein Gutachten des emeritierten Altgermanisten Josef See- müller einzuholen, und vertagte daraufhin die Sitzung.61 Das Gutachten

59 Sauer lehrte als Nachfolger Jakob Minors seit 1886 als außerordentlicher und seit 1892 als ordentlicher Professor für Deutsche Sprache und Literatur an der Deut- schen Universität in Prag. –ZuSauer vgl. Sauer/Seuffert: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert (1880–1926) [in Vorbereitung]. 60 Protokoll der 1. Sitzung des Professorenkollegiums derphilosophischen Fakultät am 9. November 1912;UAW,Phil. Fak.,PH31.11, fol. 420. 61 Protokoll der 1. Sitzung der Kommission zur Beratung über die Besetzung der germanistischen Lehrkanzel nach Hofrat Professor Minoram27. November 1912; UAW, Phil. Fak.,Zl. 495 ex 1912/13, PA 1113 Walther Brecht. –Der Origi- 24 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik

Seemüllers führte nahezu dieselben Namen an wie der Brief Erich Schmidts und stimmte in seiner Argumentation exakt mit den traditio- nellen Berufungskriterien des Fachs überein. Seemüller sprach sich „unter den österreichischen Gelehrten“, die allein er in Betracht zog,primo loco ebenfalls für August Sauer aus. Sauer sei, so Seemüller,„heute der aner- kannte Vertreter der speziell österreichischenLiteraturgeschichte“, stehe aber ebenso „in Mitte des Betriebes der allgemeinen deutschenLiterar- historie“. Secundo loconannte Seemüller den in Graz lehrenden Professor Bernhard Seuffert, dessen Arbeiten,wie er betonte, „wie die Sauers (und unseres verstorbenen JakobMinor) unter dem Einflusse Wilhelm Scherers“ stünden. Für den dritten Platz, doch nur wenn „die Kommissionder Fa- kultät einen Ternar vorzulegen wünsche[ ]“, schlug Seemüller Oskar Walzel vor,andem er hervorhob,dass er „ein Schüler Minors und Erich Schmidts“ sei.62 Mitdiesen ersten Vorschlägen für die Besetzungder neugermanisti- schen Lehrkanzel in Wien stand die Minor-Nachfolge zunächst im Zeichen problemfreier,d.h.über Jahrzehnte hinwegeingeübterKontinuität. So- wohl Sauer und Walzel als auch Weilen hatten sich an der Wiener Ger- manistik habilitiert;Sauer 1879 noch bei Richard Heinzel, Weilen 1887 und Walzel 1894 bereits bei Jakob Minor.Nur Seuffert absolvierte seine akademischen Qualifikationsprüfungen nichtinWien, sondern in Würzburg.Dort aber bei Erich Schmidt, der wiederum von 1880 bis 1885, also vor Jakob Minor,den Wiener neugermanistischen Lehrstuhl inne- hatte. Außerdem war er Katholik. Alle vier vorgeschlagenenWissen- schaftler ließensich problemlosfür eine österreichische Germanistik re- klamieren oder waren selbst Österreicher.Darüber hinaus gehörten alle vier der ersten (Sauer,Seuffert)oder zweiten (Walzel, Weilen) Schüler-Gene- ration Wilhelm Scherers an, der das Fach über Jahrzehnte hinweg sowohl methodisch als auch institutionell und wissenschaftspolitisch bestimmt hatte. Für Walzel und Weilen sprach im Sinne einer Aufrechterhaltung der bislang selbstverständlichen professoralen Erbfolge außerdem,dass sie sich bei Jakob Minor habilitiert hatten. Dochder traditionelle Berufungsme- chanismus, demzufolge ein Schüler des scheidenden Ordinarius zu dessen Nachfolger gewählt wurde, ließ sich nach dem TodJakob Minors nicht mehr reproduzieren. Auch eine Berufung anhand der beiden anderen

nalbrief von Schmidt befindet sich nichtbei den Unterlagen,sein Inhaltgeht aber aus dem Protokoll hervor. 62 Gutachten Seemüllers über die Nachfolge nach Hofrat Minor vom 29. Dezember 1912; UAW, Phil. Fak.,Zl. 494 ex 1912/13, PA 1113 Walther Brecht. I.2. Der Bruch 25 bislang maßgeblichen Auswahlkriterien (Scherer-Schule, Österreicher) sollte gänzlichscheitern. In der zweiten Sitzung der Kommission am 11. Jänner1913 wurde zwar das Gutachten Seemüllers verlesen, über mögliche Minor-Nachfolger aber erneut nichtdiskutiert. Diesmal verzögerte man die Beratung mit der Begründung, dass der mittlerweile zu erwartende Seemüller-Nachfolger Carl von Kraus ebenfalls ein Gutachten verfassen sollte.63 Kraus kam diesem Ansuchen,das ihm von Rudolf Much übermittelt wurde,64 jedoch nicht nach, sondernforderte die Kommission auf,die weiteren Verhand- lungen bis zu seinem Amtsantritt zu vertagen,65 was ihm vom Dekan und Vorsitzenden der Berufungskommission Leopold von Schroeder auch anstandslos bewilligt wurde: Daß die Besetzung der Stelle nach Minor sich so stark verzögert, ist mir leid. Doch jetzt ist die Zeit schon so weit vorgeschritten, daß es in der That wohl angezeigt sein dürftezuwarten, bis Sie hier am Orte sind und uns berathen können, worauf die Kollegen allgemein das größte Gewicht legen.66 Diese Zusage bedeutetenicht nur einen Aufschub der Verhandlungen um weitere drei Monate, sondernführte schließlich auch zur deutlichen Zu- rücksetzung des bisherigen Favoriten August Sauer.Hinzu kam, dass sich die publizistische Öffentlichkeit in das Berufungsverfahren einzumischen begann und inneruniversitär Intrigen gesponnen wurden.Während die Neue Freie Presse noch im Jänner 1913 kolportierte, dass Sauer „in erster Reihe […] als Nachfolger Minors genannt“67 werde, wurde an der Uni- versität selbst bereits gegen ihn polemisiert. Stefan Hock, Privatdozent an der WienerGermanistik,verfasste nämlich eine„gegen Sauer gerichtete Schrift“, die „unter den Mitgliedern der Besetzungs-Kommissioncircu-

63 Protokoll der 2. Sitzung der Kommission zur Beratung über die Besetzung der germanistischen Lehrkanzel nach Hofrat Professor Minor am 11. Jänner 1913; UAW, Phil. Fak.,Zl. 495 ex 1912/13, PA 1113 Walther Brecht. –Carl von Kraus war zwar noch nicht offiziell berufen, die Verhandlungenmit dem Ministerium waren aber bereits zu einem erfolgreichen Abschluss gekommen,worüber nicht nur die Kommission informiert war,sondern auch die Tagespresse schon am 14. Jänner berichtet hatte. [Anonym:] Eine Neuberufung an die Wiener philosophische Fakultät (1913). 64 Brief von Much an Kraus vom 21. Jänner 1913;BSB München, Nachlass Carl von Kraus, Krausiana I. 65 Brief von Kraus an Rudolf Much (für die Kommission) vom 30. Jänner 1913 (Abschrift);BSB München, Nachlass Carl von Kraus, Krausiana I. 66 Brief von Schroeder an Carl von Kraus vom 12. Februar 1913;BSB München, Nachlass Carlvon Kraus, Krausiana I. 67 [Anonym:] VomWiener germanistischen Seminar (1913). 26 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik lierte“68 und einiges Aufsehen verursachte.Die Schriftselbst ist nichter- halten, aus den Reaktionen auf sie lässt sich aber ersehen, welche Positionen die einzelnen Kommissionsmitglieder, deren Haltung bisher –zumindest in den Protokollen–nicht erkennbar war,einnahmen.Soinformierte Richard Wettstein August Sauer am 16. Februar über das „Hock’sche Pamphlet“, versicherte ihm, dass „er eine solche Kampfesart für absolut unakademischhalte“, und unterrichtete ihn „bei diesem Anlasse[…] gleich, allerdings streng vertraulich, über die Sachlage“: Vonden Commissions-Mitgliedern sind für Sie außer mir Adler,Redlich, Much und Seemüller,der allerdings nicht Mitglied ist, sondern nur als Beirat figuriert. Nicht zu vergessen derDecan Schroeder,der unbedingt für Sie ist. Eine mirganz unverständliche Haltung nimmt Meyer-Lübke ein, dessen Einfluß es bisher gelang, die Sacheimmer wieder zurVertagung zu bringen. Er scheintdie Berufungverschieben zu wollen,bis Kraus hier ist. Dieübrigen Commissions-Mitglieder scheinen verschiedene Meinungen zu vertreten. Strzygowski ist für Seuffert, [?]für den Germanisten aus Dresden (Namen mir momentanentfallen)69,Schipper,Becker unentschieden, Arnim ist gegen Sie, doch weiß ich nicht für wen er eintritt. Sehr stark für Sie tritt Adler ein, doch trachte ich unteruns gesagt, ihn tunlichst abzuhalten, zu sehr hervorzutreten. Er ist in der Fakultätsehr unbeliebt und kann eher schaden als nützen. Im Allgemeinen halte ich Ihre Chancenfür günstig, einigermaßen besorgtbin ich nur für den Fall, daß Kraus eine Ihnen unerfreuliche Haltung einnimmt.70 Der Germanist Rudolf Much beschrieb die Situation Ende Jänner 1913 in einem Brief an Carl von Kraus, den er bereits seit Beginn der Beru- fungsverhandlungen über jede Einzelheit der Kommission, vor allem auch über das Gutachten Seemüllers und die bisherige Favorisierung August Sauers informiert hatte, folgendermaßen: Für Minor ist nichts weiter geschehenals daßHock Material gegen Sauer in Circulation gebracht hat, das vielfach Eindruck macht!Aber auch an Walzel findet man nicht recht Geschmack. Selber getraue ich mir,wenn ich erstmit mir einiggeworden,zu, für den einen oder anderen oder auch für Seuffert den Anschlag zu geben, aber um die Kommission für einen andern ferner ste- hendenzugewinnen habe ich nicht Einfluß genug. Anders stünde die Sache allerdings, wenn wir erstIhrer sicher sind, und Siesichfür eine bestimmte Person einsetzen. […] Zu Gunsten der Kandidatur Sauers könnte man sagen,

68 Briefvon Richard Wettstein an den Dekan Leopold Schroeder,o.D.;UAW,Phil. Fak.,PA1113 Walther Brecht. 69 Wettstein meinte Oskar Walzel, der zu dieser Zeit Professor für Literatur-und Kunstgeschichte an der Technischen Hochschule in Dresden war. 70 Briefvon Wettstein an Sauer vom 16. Februar 1913;Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung, H.I.N.184.963. I.2. Der Bruch 27

daß sie nur das Interim bedeuten würde, denn er hat jetzt schon die vollen Dienstjahre und wird die schwere Last, die grade aufdem Wiener Neuger- manistenliegt, gewiß nicht allzu lange tragen,vielmehr den Ruf nach Wien als ehrenvollen Abschluß seiner Karriere betrachten.Und nach ein paar Semester wird sich wohl eine gute junge Kraftleichter finden als es jetzt der Fall ist.71 Dievon Wettstein geäußerte Befürchtung,dass Kraus gegenüberAugust Sauer ablehnend gesinnt sein könnte, bestätigte sich nach dessen Amts- antritt im Sommersemester 1913invollem Maße. Bereits in der ersten Nachfolgesitzung, dererbeiwohnte, am 3. Mai1913, trat Kraus gegenüber seiner durchwegunentschiedenen Kollegenschaftsogleich als Wortführer auf.Aus seiner Abneigunggegen den bisherigen Favoriten Sauer machte er keinen Hehl und „wünschte, [ihn] in dem Vorschlage nicht zu nennen“. Diese Einschätzung untermauerte Kraus laut Sitzungsprotokoll mit einer unerwartet drastischen und umfassenden wissenschaftlichen Diskreditie- rung Sauers: In der Jugendhat er einige hübsche Abhandlungen veröffentlicht, späterhin nicht eigentlich viel mehr von Bedeutung. Er ist Herausgeber und Bibliograph. Als Herausgeber hat er eine weitum- fassende Thätigkeit entfaltet –außer Grillparzer und Stifter noch sehr viel Andres.Als Bibliograph werthvoll, in seinem „Euphorion“, wie auch im „Goedeke“. Viel Arbeitsenergie u. Fleiß. Aber es fehltihm das Methodische, Methoden Andrer ahmt er sklavisch nach,oftwo sie keine Berechtigung haben [.] SpezialwörterbuchzuStifter ist in dieser Richtung voll des Guten zu viel. Aehnliches gilt auch von andern Arbeiten Sauers:historisch-kritische Ausgabe Stifters,[…] u.s.w.Stoffanhäufungohnedisciplinierende Beschränkung ist da charakteristisch.Die Sichtung und Bearbeitung fällt dann Anderen zu (cf.die Grillparzer-Gespräche). Der „Euphorion“ ist [!]inDeutschland keinen guten Ruf,weiler3oder 4Mal so viel enthält, wie er enthaltensollte –Hypertrophie des Inhalts. Dies auch für die Schülerarbeiten sehr bedenklich. Massenhafte Produktion ohnegehörige Ausreifung. Auch andre Thätigkeiten noch nehmen die ArbeitskraftSauers in Anspruch –eine Vielgeschäftigkeit, wodurch die ernsteVertiefung unmöglich wird. Dabei hält er sich doch einige Pagen. Mit Metrikhat er sich nie beschäftigt, nie darüber gelesen. Ein Interpretations- colleg hat er kaum jemals gelesen. Es mangelt ihm an innerster ästhetischer Bildung, er ist kein Humanist im höchstenSinn des Wortes. Aber auch für die drei anderenGenanntenkonnte sich Kraus nicht er- wärmen. Vielmehr hatte er eine für die Wiener Verhältnisse überraschende Lösung parat, der zufolge „[e]ine einzige Persönlichkeit […] allen Anfor- derungen, die in diesem Falle zu stellen sind“, genüge:„und zwar Prof.

71 Brief von Rudolf Much an Carl von Kraus (Fragment), o.D. [EndeJänner 1913]; BSB München,Nachlass Carl von Kraus, Krausiana I. 28 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik

Köster in “.72 Albert Köster hatte zunächst in Leipzig Geschichte und danach DeutschePhilologie bei Erich Schmidt in Berlinstudiert, er war seit 1899 ordentlicher Professor in Leipzig, 1912 Dekan der philo- sophischen Fakultät und ab 1914 Rektor der Universität Leipzig. Köster war ein ausgewiesener Theaterhistoriker,beschäftigte sich mit Edition und Textkritik (Schiller,Goethe, Storm) und gehörte in den 1910er Jahrenzu den anerkanntesten Germanisten im deutschsprachigen Raum.73 Kraus charakterisierte Köster in der Kommissionssitzung mit Blick auf die in- nerfachliche Differenzierungder Neugermanistik als einen Literarhistoriker, der nicht nur auf die Literaturgeschichte des 19t,resp. 18t Jahrh. sich beschränkt, sondern sehr weit ausschaut. Er beherrscht die phi- lologische Methode in souveräner,geradezu klassischer Weise. Doch ist die philologisch-kritische Arbeit nur eine Seite seiner Thätigkeit –erist nicht minderder Meister der literarischen Charakteristik. Er verbindet denBlick für das Kleine mit dem Weitblick für das Große. Metrik, Faustsage, Theaterge- schichte,die Realien der Literaturgeschichte, Methodenlehre, Interpretati- onscollegia (Faust, Theil II). Die Arbeiten seiner Schüler(„Probefahrten“)74 legen rühmlichstesZeugnißvon seiner Lehrthätigkeit ab. Als Redner ist er einer derbesten an der Univ.Leipzig. DieGewinnung Kösters ließe sich als das „großeLoos“ bei dieserBesetzung bezeichnen. Für einen möglichen zweiten und dritten Platz nannte Kraus Bernhard Seuffert und Oskar Walzel, beide jedoch nur mit Einschränkungen. So sei Seuffert zwar „sehr solid und tüchtig“ und ein „Philologe“ könne „seine Freude an ihm haben“, doch da er „in der Produktion einigermaßen dürftig“ sei, wollte Kraus ihn nur „in bedeutendem Abstand“ genannt wissen. Ähnlich verfuhr Kraus mit Oskar Walzel:Gewiss sei dieser „[u]nter den Kennern der Romantik […] weitaus der Beste“, aber eben auch „zu fein konstruktiv oftallerdings“. Ebenso überraschend wie Kraus’Empfehlung von Köster war auch die Reaktion der Kommissionsmitglieder.Von allen Anwesenden widersprach als einzigerAdler Kraus’Einschätzung von August Sauer und wies darauf hin, dass „[d]asoesterreichische Moment […] doch auch zu beachten“ sei. Ungeachtet dieses Einwands entschied sich die Mehrheit der Kommission

72 Alle Zitate:Protokoll der3.Sitzung der Kommission zur Beratungüber die Be- setzung der germanistischen Lehrkanzel nach Hofrat Professor Minor am 3. Mai 1913; UAW, Phil. Fak.,Zl. 495 ex 1912/13, PA 1113 Walther Brecht. 73 Zu Köster vgl. Korn/Stockinger:„Ist das Gehirn so eng, daß nur eine Betrach- tungsweise darin Platz hat?“ (2013);Kirschstein: „Der Berufensten einer“ (2009). 74 Mit„Probefahrten“ ist folgende Reihe gemeint:Köster (Hg.): Probefahrten. Erstlingsarbeiten aus dem Deutschen SeminarinLeipzig (1905–1930). I.2. Der Bruch 29 ohne weitere Diskussiondafür,Köster dem Ministerium sine et unico loco in Vorschlag zu bringen.75 Doch Köster,anden gleichzeitig auch ein Ruf nach Berlin als Nachfolger Erich Schmidts ergangen war,lehntebeide Lehrstühle ab und blieb in Leipzig.76 Nach der Absage Kösters wurden die ohnehin schon langwierigen und konfliktbeladenenDebatten um die Nachfolge Jakob Minors zusehends komplizierter und verwickelter.Zwar trat Kraus in der Sitzung am 13. Juni 1913 erneut mit einem klaren Vorhaben auf und erklärte, dass es „unbe- dingt nothwendig [sei],nunmehr an erster Stelle Seuffert“, an zweiter Oskar Walzel und an dritter Ernst Elster sowie den zu diesemZeitpunkt zum ersten Malinden Protokollen erwähnten WaltherBrecht zu nomi- nieren. Doch trotz der Befürwortung Seufferts durch die gesamte Kom- mission konnteman sich auf keinenDreiervorschlag einigen,daabermals über die Eignung August Sauers gestritten wurde:Während Kraus, wie der Protokollant notierte, Sauer „in nahezu vernichtender Weise“ kritisierte, weigerten sich Adler,Wettstein,Redlich und Becker einem Vorschlag ohne Sauer zuzustimmen, woraufhin die Entscheidungein weiteresMal vertagt wurde.77 Ohne Auflösung der Patt-Situation zwischenden Sauer-Befürwortern und Carlvon Kraus beganndie nächste und letzte Zusammenkunftder Kommissionam21. Juni 1913; seit dem TodMinors waren mittlerweile mehr als siebenMonate vergangen.Kraus versuchte wiederum, diejenigen Kollegen, die der Ansicht waren,dass Sauers „Leistungen doch zu blendend sind, um ihn aus dem Vorschlage wegzulassen“78,von seinem Standpunkt zu überzeugen –diesmal mit dem Argument, dass es nichtnotwendigwäre, bei der Besetzungder Professur auf die Behandlung österreichischer Li-

75 Alle Zitate:Protokoll der3.Sitzung der Kommission zur Beratungüber die Be- setzung der germanistischen Lehrkanzel nach Hofrat Professor Minor am 3. Mai 1913;UAW,Phil. Fak.,Zl. 495 ex 1912/13, PA 1113 Walther Brecht. 76 Vgl. Protokoll der 4. Sitzung der Kommissionzur Beratung über die Besetzung der germanistischen Lehrkanzel nach HofratProfessor Minor am 24. Mai 1913;UAW, Phil. Fak.,Zl. 495 ex 1912/13, PA 1113 Walther Brecht. –Zuden gleichzeitig stattfindenden Nachfolgeverhandlungen in Berlin vgl. Höppner:Eine Institution wehrt sich (1993). 77 Protokoll der 5. Sitzung der Kommission zur Beratung über die Besetzung der germanistischen Lehrkanzel nach Hofrat Professor Minor am 13. Juni 1913;UAW, Phil. Fak.,Zl. 495 ex 1912/13, PA 1113 Walther Brecht. 78 Wortmeldung des Romanisten Philipp Becker.–Protokoll der 6. Sitzung der Kommission zur Beratung über die Besetzung der germanistischen Lehrkanzel nach Hofrat Professor Minor am 21. Juni 1913;UAW,Phil. Fak.,Zl. 495 ex 1912/ 13, PA 1113 Walther Brecht. 30 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik teratur zu achten, und mit dem Anspruch, dass vor allem er mit dem zu Berufenden gut auskommen müsse: WirhabenanHock Castle,Hock, Weilen bereitsKräfte, diesichder österreich. Literaturgeschichtewidmen. Keineswegs beansprucht Kraus, daßder neue Kollege genauzuihm stimmenmüsse.WennaberJemand, wieSauer,haupt- sächlich Herausgeber, also Philologeist,dannmuß er dasauch gutmachen. Unmöglichwäreein Zusammenwirkenmit Sauernatürlich nicht, doch istdie Verschiedenheit desWesenszugroß, um Gedeihliches erwartenzukönnen.79 In den folgenden durchweg kontrovers verlaufenden Diskussionen wurde erneut keine Einigung erzielt, da weder Kraus noch die Fraktion der Sauer- Befürworter von den jeweiligen Standpunkten abwichen. Ausden Ver- handlungen resultierte somit nichtwie üblich eine einzige Entscheidung, vielmehrendetensie mit insgesamt drei unterschiedlichen Vorschlägen:In einem äußerst schwachen Majoritätsvotum stimmten Kraus, Luick, Much, Meyer-Lübke und Arnim für 1. Seuffert, 2. Brecht, 3. Elster und Walzel. Redlich, Adler und Wettstein bildeten ein Minoritätsvotumfür Sauer und Seuffert ex aequo an erster Stelle und Becker gab ein Separatvotum für 1. Seuffert,2.Sauer,3.Brecht und Elster ab. Schipper enthielt sich unter Hinweis auf seine baldige Emeritierungder Stimme.80 Genau in dieser Uneinigkeit gingen die Vorschläge zur weiteren Ab- stimmung in die Sitzung des Professorenkollegiums der philosophischen Fakultät am 5. Juli 1913. Dort wurde die Entscheidung jedoch keineswegs eindeutiger.„Nach mehrstündigen Diskussionen“ –die Sitzung begann um 17.15 Uhr und endeteum21.00 Uhr –wurde, wie im knapp gehal- tenen Ergebnisprotokoll vermerkt ist, „die Abstimmung vorgenommen, welche folgendeResultate“ ergab: Zunächst wirddie Frage,obSEUFFERTanerster Stelle zu nennen sei,en- ergisch bejaht, mit 49 Ja,2Nein, 2Enthaltungen, danndie Frage, ob nicht auch SAUERneben ihm ex aequo an erster Stelle zu nennen sei, verneint,mit 35 Nein, 16 Ja,2Enthaltungen;weiter die Frage, ob BRECHT an zweiter Stelle zu nennen sei, ebenfallsverneint, mit 29 Nein, 21 Ja,4Enthaltungen. Die Frage,obELSTERan3.Stelle zu nennen sei, wirdbejaht mit26Ja, 17 Nein, 3Enthaltungen;BRECHT aber auch für die 3. Stelle /exaequo / abgelehnt, mit23Nein, 18 Ja,4Enthaltungen.

79 Protokoll der 6. Sitzung der Kommission zur Beratungüber die Besetzung der germanistischen Lehrkanzel nach Hofrat Professor Minor am 21. Juni 1913;UAW, Phil. Fak.,Zl. 495 ex 1912/13, PA 1113 Walther Brecht. 80 Vgl.Protokoll der 6. Sitzung der Kommissionzur Beratung über die Besetzung der germanistischen Lehrkanzel nach Hofrat Professor Minor am 21. Juni 1913;UAW, Phil. Fak.,Zl. 495 ex 1912/13, PA 1113 Walther Brecht. I.2. Der Bruch 31

Ueber WALZEL wirdnicht abgestimmt, nachdem Prof. JELLINEK einen Brief von ihm vorgelegt, nach welchem er sich verpflichtethat, in Dresden zu bleiben und keinen Ruf,auch nach Wien nicht, anzunehmen. Somit erscheinenvorgeschlagen: 1./ primo loco:SEUFFERTBernhard, o.ö. Professorander Univ.Graz, 2./ secundoloco:vacat, 3./ tertio loco:ELSTER Ernst, o.ö. Professorander Univ.inMarburg. Professorv.KRAUS hält in einem Minoritätsvotum den Antrag aufrecht, es möge in der Liste der Vorgeschlagenen an zweiter Stelle, für die sich ein Majoritätsbeschluss in der Fakultät nicht ergeben hat, genannt werden: Dr.Walther BRECHT, derzeitProfessor an der Ritterakademie zu Posen.81 Mitdiesem Resultat waren die Verhandlungen über die NachfolgeJakob Minors, die an der Universität zu führen waren, vorerstbeendet. Der Bericht, der daraufhin am 10. Juli 1913 im Ministerium eintraf,enthielt nicht nur ein dreiseitiges, handschriftliches Schreiben des Dekans, in dem dieser das oben zitierte Ergebnisder letzten Sitzung des Professorenkol- legiumsübermittelte, sondern darüber hinaus auch drei maschinen- schriftliche Beilagen, die weitere 22 Seiten mit allenimDiskussionsprozess entstandenen Voten umfassten.82 Da „vollkommene Uebereinstimmung der Anschauungen über die […] zu präsentierenden Persönlichkeitennicht zu erreichen“83 war,wie im Bericht der Majoritätder Kommission korrekt festgestellt wurde, geht aus dem ungewöhnlichumfangreichenSchreiben an das Ministerium als einzige Übereinstimmung hervor,dass Bernhard Seuffert primo locogewünscht wurde. Da „Seufferts Person […] gegenwärtig stark umworben“ war und er nach der Absage Kösters nunmehr auch in Berlin an ersterStelle genannt wurde, drängte das Professorenkollegium, dass „die Unterrichtsverwaltung tunlichst rasch und in besonders nachdrücklicher Form an ihn herantrete,

81 Protokoll der 8. Sitzung des Professorenkollegiums der philosophischen Fakultät am 5. Juli 1913;UAW,Phil. Fak.,PH31.11. 82 In den Beilagen befindet sich sowohl das Minoritätsvotumvon Carl von Kraus für Walther Brecht an zweiter Stelle, das sich auf die Verhandlungen des Professo- renkollegiums bezieht,als auch der Bericht der Majorität der Berufungskom- mission, in dem Kraus, Luick, Much, Meyer-Lübke und Arnim für 1. Seuffert, 2. Brecht, 3. Elster und Walzel plädieren, und schließlichder Bericht der Minorität der Kommission,indem Redlich, Adlerund Wettstein neben Bernhard Seuffert auch AugustSauer an erster Stelle genannt wissen wollen. –Der Bericht mitallen Beilagenist zu finden im ÖStA, AVA,MCU, Zl. 32739 ex 1913. 83 Bericht der Majorität der Berufungskommission vom 2. Juli 1913 (Abschrift); ÖStA, AVA, MCU, Zl. 32739 ex 1913, fol. 10. 32 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik um ihn zur Uebernahmeder Wiener Lehrkanzel zu bewegen“.84 Ebenfalls mit Eingangsstempel vom 10. Juli 1913meldete sich aber auchRobert Sieger,Dekan der Grazer philosophischen Fakultät, beimMinisterium, um es –mit denselben Argumenten wie die Wiener Universität –dazu auf- zufordern,„Schritte zu tun, um den Professor Seuffert unserer Universität zu erhalten“ undihm gegebenenfalls „durchentsprechende Konzessionen das Verbleiben an der Grazer Universität [zu] ermöglichen“.85 Bernhard Seuffert war damit im Alter von bereits sechzig Jahren für kurze Zeit zum meist umworbenen Germanisten des deutschen Sprachraums geworden. Das Ministerium stand vor der Entscheidung, ihn entweder an der einen österreichischenUniversität zu halten und eine weiterelangwierige Dis- kussion um die Besetzung des Lehrstuhls an der anderenösterreichischen Universität zu riskieren oder ihn umgekehrt für Wien zu gewinnen und damit eine Vakanz in Graz zu verursachen. AusSichtder Unterrichtsverwaltungkonnte Seuffert für eine Neu- berufung aufgrund seines fortgeschrittenen Alters kein idealer Kandidat sein. Trotzdem entschloss sich das Ministerium, in Ermangelung eines von der Mehrheit getragenenVorschlags für den zweiten Platz, mit ihm Ver- handlungen aufzunehmen. Seuffert stellte jedoch, wie zu erwarten war, höhere finanzielle Ansprüche als es sonst bei Neuberufungenüblich war. Nach einem intensiven Briefverkehr zwischen Seuffert und dem Unter- richtsministerium, zwischen dem Unterrichtsministeriumund dem Fi- nanzministeriumsowie einer persönlichenBesprechung von Seuffert mit dem Unterrichtsminister scheiterte die BerufungEnde Oktober 1913 schließlich am Veto der Finanzverwaltung, die –anders als bei der Berufung des Altgermanisten Carl von Kraus ein Jahr davor –nicht gewillt war,den deutlich geringeren Forderungen des Neugermanisten Seufferts zuzu- stimmen.86 Wie aus den Akten des Unterrichtsministeriums hervorgeht, war man daraufhin geneigt, die Angelegenheit zur erneuten Verhandlung an die Wiener Universität zurückzugeben.87 Davor besprachman sich aber noch

84 Bericht der Majorität der Berufungskommission vom 2. Juli 1913 (Abschrift); ÖStA, AVA, MCU, Zl. 32739 ex 1913, fol. 11 verso. 85 Briefdes Dekanats der philosophischen Fakultätder Universität Graz an das Ministerium für Kultus und Unterricht vom 8. Juli 1913;ÖStA, AVA, MCU, Zl. 32739 ex 1913. 86 DieBriefeund Dokumentezur Verhandlung des Ministeriums mit Bernhard Seuffert befinden sich im ÖStA, AVA,MCU, Zl. 37083, Zl. 38890, Zl. 39831, Zl. 45157 und Zl. 55234 ex 1913. 87 ÖStA, AVA, MCU, Zl. 55233 ex 1913. I.2. Der Bruch 33 mit Carl von Kraus, der dem Minister brieflich vehement davon abriet, diesen „unter normalen Verhältnissen durchaus zweckentsprechenden Plan geltend zu machen“, da „es schon das erstemal schwierig war,einen Vor- schlag zu erzielen, der in der Hauptsachedie Zustimmung der Kommis- sionsmitglieder fand“. Vielmehr plädierteKraus dafür,mit dem von ihm „an zweiter Stelle vorgeschlagenen Professor Dr Brecht“ Verhandlungen aufzunehmen, obwohl, wie er einräumte, für diesen „die Majorität be- kanntlich nicht erzielt“ wurde.88 Diegegen Brecht ins Treffen geführten Argumente widerlegte Carl von Kraus inseinemzehnseitigen Schreiben, das er selbst als „Promemoria“ verstanden wissen wollte, folgenermaßen: Zunächst erregtedie verhältnismässige Jugend des 37jährigen Kandidaten Bedenken. Dieses Bedenken, das bei unbeteiligten alten Mitgliedern einer Fakultäterfahrungsgemäss ebenso leicht Eindruck machtwie bei etwa be- teiligten jüngeren, wird durch die Erfahrungen, die an derWiener Fakultät gerade mitBerufungen für das Fach der deutschen Sprache und Literatur gemachtwurden, nicht bekräftigt:WilhelmScherer erhielt im 27. Jahre die Berufung auf das Ordinariat unsererUniversität, Erich Schmidt im 28.,Jakob Minor im 30. und Richard Heinzel im selben Alter wie Brecht. Auch braucht man durchaus nicht mit W. Ostwald89 die !jl¶ [akmé, E.G.] eines Mannesin die Zeit vor seinem 30. Jahre zu verlegen, um den von vielenSeiten laut werdenden Wunsch nach Verjüngung unserergrossen Universitäten berechtigt zu finden und eine blühende Hoffnung für besser zu halten als eine dürre Gewisheit. Ferner wurde der Einwand erhoben, dass von dendrei im Berichtcharakte- risierten Arbeiten Brechts die eine (über Ulrich von Liechtenstein) dem alt- deutschen Gebiet entstamme, daher für seine Wertung als moderner Lite- rarhistoriker nicht in betracht komme. Dieser Einwand verkennt,dass die ernsteBeschäftigung mit dem älteren Teil diesesoder irgend eines anderen Faches,das sich im laufe langer Jahre eine straffe Methode erarbeitet hat, für den modernen Literarhistorikerdieselbe erziehliche Bedeutung hat wie eine gute Kinderstube für den späteren Mann. So haben auch Minor,Erich Schmidt, Creizenach90,Elster und Köster ihren Ausgang abseits von ihrem eigentlichen Fachgebiete genommen;und so bildet an einer Reihe derhöchst angesehenen Universitäten des DeutschenReiches der Nachweiserfolgreicher Betätigung auf dem älteren Gebiete eine derVorbedingungen für die Erlan- gung der venia docendi als moderner Literarhistoriker.

88 Brief von Kraus an das Ministerium für Kultus und Unterricht vom 15. November 1913;ÖStA, AVA, MCU, Zl. 55233 ex 1913. 89 Wilhelm Ostwald (1853–1932) war ein deutsch-baltischer Chemiker und Phi- losoph. Er beschäftigte sich auch mit Fragen der Wissenschaftsorganisation sowie dem Zusammenhang von Lebensalter und wissenschaftlicher Produktivität. 90 Gemeint ist der deutsche Germanist Wilhelm Creizenach (1851–1919), der bis 1913 eine Professur an der Universität Krakau innehatte. 34 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik

Wenn schliesslich geltend gemacht worden ist, dass Brechtinseiner derzeitigen Stellung kaum Gelegenheit gehabt habe, über den ganzen Umfang des von dem Wiener Literarhistorikerzuvertretenden GebietesVorlesungen zu halten, so darf wol darauf hingewiesen werden,dass Brechtdurch die 6jährigeDo- zententätigkeit an der UniversitätGöttingen mitakademischerTradition und akademischem Stil genau vertraut wurde, und dass sein Vortrag vonAlbert Köster, einem Meister akademischer Beredsamkeit, in einem brieflich abge- gebenen Gutachten, das der Kommission vorgelegen hat, als ,lebhaft und anregend‘ gerühmt wurde.91 Wieviele der früheren Inhaber der Wiener Lehrkanzel,wievieleProfessorenüberhaupt, sind wol mitdem schweren Gespäckihres ganzen Vorlesungszyklus in ihr Amt getreten?Man darf wol sagen:Berufungen, bei denen die Hoffnung auf weitere künftige Leistungen nicht mitwirkt, wären vom Standpunktunserer Universitäten kaum zu wünschen;denn sie müssten allmählich zurStagnation führen.92 Kraus wies den Minister darauf hin, dass „ein einheitlicher Vorschlag“ zum jetzigen Zeitpunkt „nicht [mehr] zu erreichen“ sei, und die Gefahr bestehe, dass es zu den selben „Schwierigkeiten“ kommen würde wie an der „Berliner Fakultät […],die sich einstweilenmit dem Notbehelf eines Provisoriums abgefunden hat“. Kraus war der Meinung, dass bei erneuten Verhandlungen nicht mehr „die Fachmänner […] die Zügel in der Hand hielten“, sondern sich „eine Liste zweiterGarnitur“, die er nichtweiter konkretisierte,durchsetzen würde: Infolgedessen würden voraussichtlich alle Strömungen, die bei den Vor- schlägen gerade dieser Lehrkanzel schon zu beobachten waren, mitverstärkter Macht wiederkehren. Diese Strömungen sind z.T. fachlicher,z.T.politischer und persönlicher Art. Fachlicher:indem die einen vom modernen Literarhistorikerwünschen, dass er in erster Linie nach der philosophisch-ästhetischen Seite orientiert sei; andere gebender rein historischen Richtung denVorzug;wieder andere stellen den philologischen Betrieb allen übrigen Methoden voran. Schlimmer als die grundsätzliche Verschiedenheit der Auffassung (denen der erste Vorschlag übrigens Rechnung getragen hat, indem er keine Richtung einseitigbevorzugte) sind die Gefahren, die drohen, wenn politische Erwä- gungen auf denVorschlag bestimmend wirken. Kraus prognostizierte dem Minister,dass, sollte er erneute Verhandlungen zulassen, „die Unterrichtsverwaltung“ in Österreich „in dieselbe peinliche Lage“ käme wie die preußische angesichts der „aus parteipolitischen Überzeugungen aufgestellte[n] Kampfkandidaten“ für die Professur an der

91 Das erwähnte Gutachten von Albert Köster findet sich weder im Universitätsarchiv noch im Staatsarchiv. 92 Briefvon Kraus an das Ministerium für Kultus und Unterricht vom 15. November 1913, ÖStA, AVA, MCU, Zl. 55233ex1913. I.2. Der Bruch 35

Berliner Germanistik.Erverwies auf die publizistischen Einmischungen des deutschnationalen und antisemitischen Verfassers von populären Li- teraturgeschichten Adolf Bartels, auf „die von andererSeite für den Ber- liner Extraordinarius Richard Moses [!]Meyer93 [geschlagene] Trommel“ und auf die Wortmeldungender „ganz rechts stehende[n]katholische[n] Kampfblätter“, die „für die Vertreter ihrer Anschauungen“allesamt „Stimmung zu machen“ trachteten.94 Tatsächlich waren die Nachfolgeverhandlungen um den Berliner Lehrstuhl Erich Schmidts von einer bis dahinunbekannten publizistischen Einmischung verschiedenster Blätter geprägt. Dieöffentliche Aufmerk- samkeitfür die Nachbesetzungsverhandlungen in Wien war,wenn sie sich auch mit den Berliner Agitationen nicht gleichsetzen ließ, ebenfalls höher als bei allen anderen Berufungsangelegenheiten zuvor.Die Tagespresse berichtete kontinuierlichüber den Stand der Verhandlungen,war also erstaunlich gut informiert und propagierte neben BernhardSeuffert95 vor allem den zunächst favorisierten August Sauer.96 Sogar Karl Kraus sparte in seiner Zeitschrift Die Fackel nichtmit sarkastischen Kommentaren, mit denen er sich jedoch nicht an der Kandidatensuchebeteiligte, sondern die Notwendigkeit eines Lehrstuhls für Literatur überhaupt in Frage stellte.97 Carl von Kraus zeichnete mit dem Hinweis auf die öffentlichen Auf- regungen um die Berliner Besetzungsangelegenheit ein unheilvolles Bild, das er jedoch nicht mit ähnlichen Beispielen aus Österreich versah. Worum

93 Gemeint ist der jüdische Germanist Richard Moritz Meyer,dem Carl von Kraus, wie andere Kollegen auch, in antisemitischem Populismus den zweiten Vornamen Moses gab. 94 Alle Zitate:Brief von Kraus an das Ministerium für Kultus und Unterricht vom 15. November 1913, ÖStA, AVA, MCU, Zl.55233 ex 1913. 95 So bezeichnete Robert Hohlbaum Seuffert als „jenen Mann“, „der jetzt die Füh- rerschaftder österreichischen Literaturhistoriker übernehmen wird“. Hohlbaum: Jakob Minor (1912), S. 9. 96 Bereits drei Tage nach dem TodMinors hatte die Neue Freie Presse von der „feststehende[n] Tatsache“ berichtet, „daß der Professor an der hiesigendeutschen Universität, HofratAugust Sauer,als Nachfolger Jakob Minors nach Wien berufen wird“. [Anonym:] Hofrat Professor Dr.Minor (1912). Ähnlich auch noch Anfang 1913, vgl. [Anonym:] VomWiener Germanistischen Seminar (1913). Zu den publizistischausgetragenen Querelen vgl. außerdem Hock:Die Nachfolge Jakob Minors (1914);[Anonym:] DieBesetzung derLehrkanzel Minors (1914);[An- onym:]Zur Neubesetzung der Lehrkanzel Professor Minors (1914);[Anonym:] Der Nachfolger Minors in Wien (1914). 97 Karl Kraus:Wenn die Lehrkanzel nicht besetzt ist (1914);ders.:Die Katastrophe (1914);ders.:Besetzt (1914). 36 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik es ihm eigentlich ging, war,die Berufung eines Wiener Schülers von Jakob Minor zu verhindern, wie aus dem folgenden Zitat hervorgeht: Eine gewisse Agitation zugunstenZweier,anunserer Fakultät seitJahren als moderne Literarhistorikertätigen Gelehrten hat sich schon im früheren Sta- dium der Verhandlungen geltend zu machen versucht. Beider Zerklüftung der Anschauungen würde diese Agitation jetzt verschärfteinsetzen und vielleicht größere Erfolge erzielen als das erstemal. Unddas wäre, –bei aller Aner- kennung, die man jenen in ihrem Teilgebiet sehr tüchtigen Gelehrten zollen und wünschen muss –nicht im Interesse des Faches, dessen Hauptvertreter eine starke Kraftund einen weiten Blick habensoll.98 Kraus nannte inseinem Schreiben keine Namen, doch kann es sich bei den beiden angesprochenen „moderne[n] Literarhistoriker[n]“ nur um Robert Franz Arnold und Alexander von Weilen handeln, auf die im letzten Absatz des dem Ministerium übermitteltenKommissionsberichts lobend hinge- wiesen wurde.99 Der anfängliche Favorit und spätere Streitfall AugustSauer wird in Kraus’Brief mit keinem Wort erwähnt, wohl deshalb, weil er, betrachtet man die einzelnen Abstimmungsergebnissegenauer,inder Kommissionund in der Fakultät erheblichmehr Zuspruch fand als der von Kraus gewünschteWalther Brecht. Diedarauffolgenden Überlegungen im Ministerium sind aus den Akten nicht mehr rekonstruierbar.Auf der ersten Seite des Schreibensvon Kraus befindetsich jedoch eine kurze hand- schriftliche Notiz, die lautet:„mit Brecht Verhandlungen einleiten“.100 Undtatsächlich wurde Brecht bald darauf vom Ministerium kontaktiert und bereits am 9. Dezember 1913 antwortete dieser,dass er „bereit [sei],

98 Briefvon Carl von Kraus an das Ministerium für Kultus und Unterricht vom 15. November 1913;ÖStA, AVA, MCU, Zl. 55233 ex 1913. 99 Dort heißtes: „Dieser Bericht soll nicht geschlossen werden, ohne dass der Leistungen der an unserer Universität wirkender Literarhistorikerdankbar gedacht wird, die der Fakultät über die schwierige Zeitder Vakanz mit vollen Kräften hinweggeholfen haben. Sowie es dankbar begrüsst wird, dass die Unterrichtsver- waltung Prof. ARNOLD die von ihm ohne Rücksichtauf materielle Einbusse gewünschte Möglichkeit gewähren will, vom Wintersemesterabseine wertvolle Kraft ungeteilt in den Dienst der Universität zu stellen, so sei auch dem Wunsche Ausdruck gegeben, dassProf. v. WEILEN, der gründlichste Kenner der Theater- geschichte, […] auch in offizieller Form die verdiente Anerkennung zuteil werde.“ Bericht der Majorität der Berufungskommission vom 2. Juli 1913 (Abschrift); ÖStA, AVA, MCU, Zl. 32739 ex 1913, fol. 16. 100 Briefvon Kraus an das Ministerium für Kultus und Unterricht vom 15. November 1913;ÖStA, AVA, MCU, Zl. 55233 ex 1913. I.2. Der Bruch 37

die Lehrkanzel für deutsche Sprache und Literatur an der Universität in Wien […] mit dem 1. April 1914 zu übernehmen“101. Vonall diesen Verhandlungen wurde das Professorenkollegium der Wiener philosophischen Fakultät weder von Carl von Kraus noch offiziell vom Ministeriumunterrichtet. Am 15. Dezember 1913, sechs Tage nach Brechts Zusage, richtete der Dekan einen Brief an das Ministerium mit der Bitte, über den „Stand[]der Besetzungder freien germanistischen Lehr- kanzel“ in Kenntnis gesetzt zu werden, und forderte es dazu auf,sollten die mit Seuffert„geführten Verhandlungen gescheitert“ sein, „der Fakultät tunlichst umgehend zur Erstattung neuer VorschlägeGelegenheit zu ge- ben“.102 Wie aus einem Vermerk der Unterrichtsverwaltung auf diesem Schreiben hervorgeht, reagierte das Ministerium auf diese Anfrage jedoch nicht. Am 3. Februar 1914 schaltetesich aber Stefan Hock, der ein Jahr zuvor schon mit einer Streitschriftgegen August Sauer aufgetreten war,erneut in die Verhandlungen ein. In einem ausführlichenArtikel in der Neuen Freien Presse trat Hock entschieden gegen Walther Brechtund das Ansinnen des Ministeriums auf,sich über die Entscheidungder Berufungskommission hinwegzusetzen. Hock befürchtete, dass die Neuere deutsche Literatur- geschichte, die sich mit Wilhelm Scherervon der Älterenlosgelöst und ihre eigenen,der „Menge und Mannigfaltigkeit des Materials“ angemessenen Methoden entwickelt habe,durch die allein vom Altgermanisten Kraus gewünschte BerufungBrechts –eines, wie Hock betonte, „Gelehrten dritten Ranges“ –erneut zu einem „Anhängselder älteren Germanistik“ deklassiert werde. Dabei wäre es gerade jetzt, nach dem TodJakob Minors und Erich Schmidts, angezeigt, den „Zustand der Unruhe“ und der „Re- signation“, in dem sich die Neugermanistik befände, durch die Berufung eines „Mann[es],[…] der über reiche akademische Erfahrung verfügt“, zu beenden. Brecht wäre dazu nicht in der Lage. Weder dürften seine For- schungen „Anspruch auf außergewöhnliche Bedeutung“ erheben, noch könnte er,dessen„Arbeitskraft[…] in etwa zehn Jahren [nur] zwei größere Publikationen hervorgebracht“ hatte, mit den Anforderungen einer großen Universität wie der Wiener umgehen. SeineAusführungen schloss Hock mit dem Ausdruck demonstrativer Verwunderungüber das Vorgehen des Ministeriums und entschiedener Missachtung Walther Brechts:Auch

101 Brief von Brecht an das Ministerium für Kultus und Unterricht vom 9. Dezember 1913;ÖStA, AVA, MCU, Zl. 56210 ex 1913. 102 Brief von Rudolf Wegscheider an das Ministerium für Kultus und Unterricht vom 15. Dezember1913;ÖStA, AVA,MCU, Zl. 57312 ex 1913. 38 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik wenn er die Lehrkanzel bekäme, würde „Professor Brecht“ –schon allein aufgrund seines geringen wissenschaftlichen Formats –„nicht Minors Nachfolger werden“.103 Für Hock hatten seine öffentlichen und halböffentlichen Interven- tionen ein disziplinarisches Nachspiel an der Universität.104 Ungeachtet des Urteils über sein Verhalten lassen sich Hocks Sauer-Streitschriftund sein Presse-Artikel allerdings als Symptom dessen lesen, was die Nachfolge- verhandlungen für den neugermanistischen Lehrstuhl zu einer derart chaotischen und langwierigen Angelegenheit werdenließ. Zunächst zeigte sich das spezifische Wiener Problemder germanistisch äußerst schwach besetzten Kommission,das anfangs ein Machtvakuum erzeugte;gleich- zeitig waren die Entscheidungsschwierigkeiten aber auch methodischen Richtungskämpfen innerhalb der Neueren deutschen Literaturgeschichte geschuldet, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts alle Universitäten des deutschen Sprachraums beschäftigten. Mitder Ablösung von der älteren Abteilung, die sich vor allem auf Textkritik, Edition und Kommentar konzentrierte, ging im Laufe der 1880er und 1890er Jahre der neueren Abteilung die Orientierung bietende, unbedingte philologischeAusrich- tung verloren. Bereits Wilhelm Scherer und nach ihm auch Jakob Minor hatten sich nichtnur um die Bewahrung, sondern auch um die Erweiterung und Erneuerungwissenschaftlicher Zugangsweisen zu literarischenTexten bemüht.105 Wirkungsvolle Experimente unternahmen dann –oftmals in falsch verstandener Opposition zu Scherer –vor allem die jüngeren Neugermanisten, die außerphilologische Konzepte der Ästhetik, der Kunstwissenschaft, der Psychologie und –imGefolgeWilhelm Diltheys – vor allem der Philosophie zur Texterklärung heranzogen.106 Diese vielfach als Krise des Fachs wahrgenommenen Veränderungen lassen sich auch als Generationenkonflikt begreifen, dem in Wien –im

103 Hock:Die Nachfolge Jakob Minors (1914). 104 Verweis für Stefan Hock wegen Vernachlässigung der Amtsverschwiegenheit; UAW, Phil. Fak.,Zl. 868 ex 1913/14. 105 Vgl.u.a.Scherer:Jacob Grimm (1865);ders.:Wissenschaftliche Pflichten (1894); Minor:Centralanstalten für die literaturgeschichtlichen Hilfsarbeiten (1894); ders.:Die Aufgabenund Methoden der neueren Literaturgeschichte (1904).–Zur Wissenschaftsauffassung der Genannten vgl. Faerber:Ich bin ein Chinese (2004), S. 184–240;Michler/Schmidt-Dengler:GermanistikinÖsterreich (2003), S. 193–209;Müller:WilhelmScherer (2000). 106 Vgl.dazu u.a. Müller:Die Lebendigen und die Untoten (2007); Dainat: Vonder Neueren Deutschen Literaturgeschichte zur Literaturwissenschaft(1994);König/ Lämmert (Hg.): Literaturwissenschaftund Geistesgeschichte (1993). I.2. Der Bruch 39

Sinne einesStabilisierungsverhaltens –mit der anfänglichen Favorisierung von zwei Vertreternder älteren Generation, August Sauer und Bernhard Seuffert, begegnet wurde. Als zusätzlicheSchwierigkeit entpuppte sich das neue, aber umso intensivere Interesse der Öffentlichkeit;die Besetzung einer germanistischen Lehrkanzelwurde nicht mehr als inneruniversitäres Problem wahrgenommen, sondern,wie Hock sich ausdrückte, als „Frage […],die für die geistigeKultur der Reichshauptstadt, ja ganz Deutsch- österreichs von der größtenBedeutung“107 war.InWien kollidierte au- ßerdem das Selbstverständnis der neueren Abteilung als souveräner,der älteren Abteilung gleichberechtigter Teil des Fachs mit der großen Be- deutung, die man der Teilnahme des Altgermanisten Carl von Kraus an den Verhandlungen beimaß.108 Als sich dieser aber,wie zu erwarten war,als ,großer Mann‘ präsentierte,verweigerte ihm ein Gutteil der Kommission wiederum die Gefolgschaft. Kraus und mitihm die Altgermanistik109 setzten sich dennoch durch.Mit einem Schreiben vom 16. März 1914 teilte das Ministerium dem Dekanat nämlich mit, dass Seine k.u.k. Apostolische Majestät […] mit allerhöchster Entschließung vom 9. März1914 den Professorander Königl. Preußischen AkademieinPosen, Dr.WalterBrecht, zum ordentlichen Professor derdeutschen Sprache und Literatur an der Universität in Wien […] allergnädigst zu ernennengeruht.110

107 Hock:Die Nachfolge Jakob Minors (1914), S. 1. 108 Obwohl die neuere Abteilung gegen Ende des 19. Jahrhunderts zusehends an Attraktivität gewann und auch mehr Studierendeals die ältere Abteilung aufzu- weisen begann, beklagte sich Minor noch 1910, dass „die neuere deutsche Lite- raturgeschichte auch heute noch in den akademischen Kreisen nicht jene Stellung einnimmt, die ihr gebührt“. Minor:Erich Schmidt (1910), Sp.39. 109 Der einzige Wiener Germanist, der sich Kraus anschloss, war der Altertumskundler Rudolf Much. 110 Brief desMinisteriums für Kultus und Unterricht an das Dekanat der philoso- phischen Fakultät vom 16. März 1914, UAW, Phil. Fak.,Zl. 495 ex 1912/13, PA 1113 Walther Brecht. 40 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik I.3. Philologie und moderateGeistesgeschichte –Walther Brecht am neugermanistischen LehrstuhlinWien 1914–1926

DieBerufung Walther Brechts, der das Wiener neugermanistische Ordi- nariat zum Sommersemester 1914 übernahm, wurde, wenn nichtals „Katastrophe“111,sodoch zumindest als „Kompromiß“112 wahrgenom- men. Tatsächlich entsprach Brecht keinem der Kriterien, die bis 1912 bei Berufungen an der Wiener Germanistik ausschlaggebendgewesen waren: Er kam nicht aus Österreich, war nichtkatholisch, er hatte nicht bei Scherer oder einem seiner österreichischen Schüler und auch nichtinWien pro- moviert. Darüber hinauswar er nicht für das neuere Fach habilitiert wie seine drei Vorgänger Karl Tomaschek, Erich Schmidt und Jakob Minor. Undtrotzdem wurde Brecht, der „als öffentlich Unbekannter“ nach Wien kam und bis heute als einer der „wenigst berühmt gewordenen Germa- nisten“113 der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bezeichnet werdenkann, zu einem ausgleichendenVermittler österreichischer Literatur,zueinem Wissenschaftler,der die divergierenden methodischen Richtungen der 1910er und 1920er Jahre anzunähern trachtete, und zum ausgewiesenen Förderer einer ganzen Generation von Neugermanisten.114

111 KarlKraus:Die Katastrophe (1914).–Die öffentliche Aufregung, die Brechts Berufunghervorrief, wurdenach einem Artikel Stefan Hocksvor allem von der Neuen Freien Presse dirigiert. Dort hieß es am 10. März 1914:„DieUnterrichts- verwaltung hat sich auch in diesem Falle über die deutlich genug geäußerten Wünsche und Ansichten des Professorenkollegiums der philosophischen Fakultät hinweggesetzt und beruft[…] Walter Brecht, dessen Eignung für die Nachfolge Jakob Minors […] von berufener Seite in Zweifel gezogen worden ist.“ Hock:Die Nachfolge Jakob Minors (1914); [Anonym:] Die Besetzung der Lehrkanzel Mi- nors(1914). –Inder aggressiv antisemitischen Reichspost konnte man einen Tag später Folgendes lesen:„Es lagen wohl besondere Gründe für die Unterrichts- verwaltung vor,einen Ausländer zu wählen, nachdemimInlandhervorragende Kräfte, wie z.B. Seuffert = Graz, sich finden. Das eine Gute hat die Berufung jedenfalls, daß nicht etwa ein Semit für Germanistik berufen wird.“ [Anonym:] Der Nachfolger MinorsinWien (1914). 112 So z.B. Herbert Cysarz noch 1976 über seinen Lehrer Walther Brecht:„Er war […] in Wien angetreten, als KompromißkandidatamEnde harterFakultätszwiste und langwieriger Verhandlungen“, viele hattenihn, so Cysarz weiter,„gerade auf Minors Lehrstuhl fehl am Platz gewähnt“. Cysarz:Vielfelderwirtschaft(1976), S. 35. 113 Cysarz:Vielfelderwirtschaft(1976), S. 34. 114 Zu Brecht selbst gibt es wenig Sekundärliteratur;eine AusnahmeindieserHinsicht stelltseine FreundschaftzuHugo von Hofmannsthal dar,über die bereits ver- hältnismäßig viel geschrieben wurde. Zu Walther Brecht vgl. Erika Brecht:Er- I.3. Philologie und moderate Geistesgeschichte 41

Walther Brechts maßgebliche wissenschaftliche Orientierungsgeber waren der GermanistGustav Roethe und der KunsthistorikerRobert Vi- scher.115 Brecht studierte in Freiburg,Göttingen und Bonn Deutsche Philologie und Kunstgeschichte und promovierte 1903 bei Gustav Roethe in Göttingen mit einer Arbeit über die Dunkelmännerbriefe.116 1906 habilitierte er sich in Göttingen bei Roethes Freund, Schwager und Kol- legen, dem Altgermanisten Edward Schröder,mit der mediävistischen Studie Ulrich von Lichtenstein als Lyriker117 und begann, nachdem er 1910 an die preußische Ritterakademie in Posen berufenworden war,auch über Neuere Literaturgeschichte zu publizieren.118 Brecht vertrat also sowohl aufgrund seiner Ausbildung als auch gemäß den Vorstellungen seines Doktorvaters Roethe,der sich stets gegendie Teilung der Germanistik ausgesprochen hatte,119 das gesamte Fach.

innerungenanHugo von Hofmannsthal (1946);König:„Geistige und private Verbündung“ (1993);Osterkamp:Formale,inhaltliche und politische Akzeptanz von Gegenwartsliteratur (1993);Bonk:Deutsche Philologie in München (1995), S. 67–72, S. 81–83, S. 240–254;König:Hofmannsthal (2001), S. 212–241; Dittmann:Walther Brecht (2003);Hofmannsthal/Brecht:Briefwechsel (2005); Oels: „… denn unsere Berufe sind doch so ineinander verhäkelt“ (2007);Oels: „Denkmal der schönsten Gemeinschaft“ (2007);Wolf:„Hybrid wie die Dicht- kunst“ (2012). 115 Noch 1941 bekannte Brecht:„Vonmeinen akademischen Lehrern haben mir Gustav Roethe und Robert Vischer in Göttingen den stärksten Eindruck gemacht, der umfassende Germanist und der künstlerische Kunsthistoriker […].“ Brecht: Student und Professor (1941), S. 2. –Vgl. auch Friedrich von der Leyen:Leben und Freiheit der Hochschule (1960), S. 230:„Ich war ein frisch gebackener Doktor,dakam ein dem Gymnasium eben entronnener zukünftiger Studentzu mir, Walter Brecht;ein Freund meines Vaters hatte ihn mir geschickt. Er wollte Germanist werden:welche Universität ich ihm raten würde?Ich empfahl ihm, mit Erfolg, Göttingen und Gustav Roethe. Neben diesem wurde Robert Vischer sein Heiliger.Göttingen blieb fürihn die Universität, seine unvergeßliche akademische Heimat.“ 116 Brecht: Die Verfasser der Epistolae obscurum virorum (1904). 117 Brecht: Ulrich von Lichtenstein als Lyriker (1907). 118 Vgl. Brecht:Heinse und der ästhetische Immoralismus (1911). 119 Gustav Roethe (1859–1926) war Zeit seines Lebens daran gelegen, die Neuere deutsche Literaturgeschichte nicht aus dem Hoheitsbereich der Philologie zu entlassen;soschrieb er 1892, „daß wir Philologen die neuen Literarhistoriker nie ohne Controle lassen dürfen“, und 1906 sprach sich Roethe gegen ordentliche Professuren für das neuere Fach aus:„Die scharfe Trennungist gewis von Übel. […] Im Grunde halte ich, wenn schon reine neure Literarhistoriker da sein sollen, das Extraordinariat für die richtige Form:dann behält der philolog. Ordinarius die Möglichkeit einzugreifen.“ Roethe/Schröder:Regesten zum Briefwechsel (2000), Bd. 1, S. 433 und Bd. 2, S. 306–307. 42 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik

Brecht war durch seinen Lehrer und Förderer Roethe, auch wenn die Reaktionen auf seine Berufung nach Wien das glaubenmachen könnten, von der Wiener Scherer-Schule zunächst nicht sehr weit entfernt. Tat- sächlich war es lange Zeit möglich, Gustav Roethe „neben Erich Schmidt“ als „bedeutendste[n] Schüler Wilhelm Scherers“ zu bezeichnen.120 Als Roethe 1902 an die Berliner Universität, das deutsche „Hauptquartier der Scherer-Schule“121,berufen wurde, um neben dem Neugermanisten Erich Schmidt das ältere Fach zu vertreten, rekurrierte er gerade auch auf diese Traditionslinie: Ich denke in dieser Stunde bewegt des Mannes, deruns beiden so teuer ist und der mirder mächtigste geistige Weckerwar,Wilhelm Scherers. Undwenn sich mir durch manchen ernsthaften Zweifel auch an der eigenen Kraftdoch ein stolzes Glücksgefühl durchzuringenbeginnt, da ich vorwärts schaue, so wurzelt es in demBewußtsein, daß ich zu denMännern, an deren Wir- kungsstätte ich künftig lehren soll, zu Lachmann und Jac. Grimm, zu Mül- lenhoff und Scherer gehöre, nicht durch meine Potenz, gewiß aber durch meine Auffassung unsererWissenschaft, durch die Ziele und Wege meiner Arbeit.122 Diese ,Ziele und Wege‘ sah Roethe, der sich stets „zur Freude und Strenge rein philologischer Arbeit“123 bekannte, in einer klaren Ausrichtung der Germanistik auf Textkritik, Editionstechnik, Quellen- und Einflussfor- schung, Stoff- und Entstehungsgeschichte sowie Metrik und Poetik. Ab 1891 zeichnete Roethe gemeinsam mit EdwardSchröder verantwortlich für die Herausgabe der Zeitschriftfür deutsches Altert[h]um und deutsche Litteratur,erwar ab 1890ander Neubearbeitungder Grammatik von Jacob Grimm, an der WeimarerAusgabe der Werke Johann Wolfgang Goethes und 1908 an der Reorganisation des Deutschen Wörterbuchs beteiligt;ei- gene größere Arbeiten blieben dabeijedoch aus.124 Roethes Auffassung von

120 Osterkamp:„Verschmelzung der kritischen und der dichterischen Sphäre“ (1989), S. 348. –Roethe hatte zunächst zwar nicht bei Scherer studiert, sondern in Göttingen und Leipzig, ging aber 1880 nach Berlin, wo er die „wissenschaftliche und persönliche Förderung von Wilhelm Scherer“ erhielt.Gohl:Die ersten Or- dinarien am Germanischen Seminar:Gustav Roethe (1987), S. 785. 121 Judersleben:Philologie als Nationalpädagogik (2000), S. 100. 122 Scherer/Schmidt:Briefwechsel (1963),S.320 (Brief von Roethe an Erich Schmidt vom 14. Dezember 1901). 123 Roethe:Leipziger Seminarerinnerungen (1923), S. 8. 124 Bereits 1894 schrieb Roethe an Schröder:„Das ,dickeu.schöne‘ Buch bringe ich […]eben nicht fertig.“ Roethe/Schröder:Regesten zum Briefwechsel (2000), Bd. 1, S. 584. –Mit dieser Einschätzung sollte Roethe auch in der Folgezeit Recht I.3. Philologie und moderate Geistesgeschichte 43

Wissenschaftoffenbarte sich aber nicht nur in einem an Scherer, Carl Lachmann, Grimm und Müllenhofforientierten philologischen Arbeits- programm, sondern auch in einem zutiefst konservativen und reaktionären Dienst-, Pflicht- und Persönlichkeitsethos, das die Abwehrdemokratischer Gesellschaftsformen ebenso einschloss wie die wissenschaftlicher Neue- rungen.125 Spätestensdie im Jahr 2000publizierten Regesten zum im- merhin 45 Jahre umfassenden Briefwechsel mit Edward Schröder126 zeigen ihn als unbeirrbaren „Vorkämpfer des Rückschritts“127,als dezidiertanti- semitischen, nationalistischenund frauenfeindlichen Wissenschaftspoli- tiker. Walther Brecht gehörte zunächstzuRoethes Nachwuchshoffnungen; seine Roethe gewidmete Dissertation Die Verfasserder Epistolae obscurorum virorum (1904) stand auch noch ganz im Zeichen philologischer Litera- turbetrachtung.Soerklärte Brecht die Stiluntersuchung, mit der er die Autoren der Dunkelmännerbriefe ermittelte, zwar nur dannals zielfüh- rend, wenn sie vom „besonderen künstlerischen Charakter des Werkes“ ausging;diesen zu erfassen, vermöge aber, wie Brechthervorhob,„allein die philologischeBetrachtung“.128 Indem Brecht das „Kunstwerk“ins Zen- trum des Interesses rückte, betonte er „weniger die textkritischeals die hermeneutische Komponente der Philologie“129 und bestimmte gleich- zeitig den Unterschied zu einer rein historischen Herangehensweise: Ich habe das Thema im engeren Sinne philologisch aufgefaßt;das heißt, ich habe, wie sich dies bei einer auf Feststellung der Verfasserschaft gerichteten Stiluntersuchung von selbst ergibt, die Epistolae wesentlich als Kunstwerk betrachtet, nicht als Zeitdokument. VomKunstwerke bin ich immer ausge- gangen:immer habe ich die Zeit zur Erklärung des Kunstwerks herangezogen, niemalsaber das Kunstwerk nur zur Illustration der Zeit, wie es der Historiker tut.130 Brechts Arbeit über die in lateinischer Sprache verfassten Dunkelmänn- erbriefe verfolgte zudem den Zweck, „den deutschenHumanismus so fest wie möglich in die deutscheLitteratur- und Geistesgeschichte einzuglie-

behalten;inseinem ersten Berliner Jahrzehnt veröffentlichte er mit „Nibelungias und Waltharius“ (1909) nur einen einzigen Aufsatz. 125 Vgl. Judersleben:„Philister“ contra „Dilettant“ (1998);ders.:Philologie als Na- tionalpädagogik (2000). 126 Roethe/Schröder:Regesten zum Briefwechsel (2000). 127 See:Gustav Roethe und EdwardSchröder (2006), S. 155. 128 Brecht: Die Verfasser der Epistolae obscurum virorum (1904), S. 2. 129 Bonk: DeutschePhilologie in München (1995), S. 246. 130 Brecht: Die Verfasser der Epistolae obscurum virorum (1904), S. VII. 44 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik dern“131.Über die Zugehörigkeit zur deutschen Literatur entschied dabei nicht die Sprache der Texte, sondern die Herkunftder Autoren. Für seine Habilitation wurde Brecht, der sich inzwischen mit der Schwägerin seines Doktorvaters Roethe, Adelheid von Koenen, verlobt hatte,132 von diesem an Schröder verwiesen.133 Schröder verlangtevon Brecht den Nachweis, dass er „mit Texten deutscherSpracheumzugehen“ wüsste, und empfahl deshalb eine Studie über den Minnesänger Ulrich von Liechtenstein.134 Auch in dieser Arbeit ging es Brecht nicht –wie in der zeitgenössischen Mediävistik üblich –umein zu rekonstruierendes Text- denkmal, sondern um den „individuellen kunstcharakter“ von Ulrichs Lyrik, um „die motive,die composition, den stil des poetischen ausdrucks, die literarhistorische stellung ulrichs und seinen charakter“.135 Textkritik, d.h. die sprachmaterielle Seite, spielte so gut wie keine Rolle;vielmehr bezog sich Brecht auf die 1841von Carl Lachmann besorgte Gesamt- ausgabe der Werke Ulrichs,136 um sich der mittelalterlichen Lyrik inter- pretativ zu nähern. Nach Abgabe der Habilitationsschrift, die dann 1907 erschien, und erfolgreich absolvierter Probevorlesung wurde Brecht im Mai1906 an der Universität Göttingen als Privatdozent zugelassen. In seinem Habilitati- onsgutachten vom 23. Mai1906 wies Schröderauf die „[s]tilistische Untersuchung und Anlageder künstlerischen Mittel“ als „die Stärke von B[recht]s wissenschaftlicher Arbeit“ hin und prognostizierte, dass Brecht, für den die „Sprachforschung selbst […] außerhalb seines Arbeitsfeldes“ läge, als „Literarhistoriker mit zunehmender Bevorzugung der Neuzeit“ zu sehen sein werde.137 Tatsächlich widmete sich Brecht ab diesem Zeitpunkt

131 Briefvon BrechtanCarl von Kraus vom 27. Oktober 1904;BSB München, Nachlass Carlvon Kraus, Krausiana I. 132 Adelheid von Koenen war die jüngere Schwester von Dorothea Roethe. Die Verlobung mit Brecht fand im Herbst 1904 statt. 133 Ab 1903 korrespondiertenRoetheund Schröder intensiv über Brechts (akade- mische) Zukunftund bemühten sich um Stipendien für ihn. Vgl. Oels:„Denkmal der schönsten Gemeinschaft“ (2007), S. 20–28. 134 Roethe/Schröder:Regesten zum Briefwechsel (2000), Bd. 2, S. 263 (Brief von Schröder an Gustav Roethe vom 23. September 1904). 135 Brecht: Ulrich von Lichtenstein als Lyriker (1907/1908), S. 1–2. 136 „Ich habe den text zu grunde gelegt, den Lachmann in seiner gesamtausgabe Ulrichs (Berlin 1841) gegeben hat. Dievon bechstein in seiner commentierten ausgabe des FD (Leipzig 1888) vorgeschlagenen änderungen sind so gut wie durchwegzuverwerfen.“ Brecht:Ulrich von Lichtenstein als Lyriker(1907/1908), S. 1. 137 Zit. n. Oels:„Denkmal der schönsten Gemeinschaft“ (2007), S. 24. I.3. Philologie und moderate Geistesgeschichte 45

ausschließlich der Erforschung Neuerer deutscher Literatur.Nach seiner Berufung auf die wenig renommierte und schlecht dotierte Professur an der Königlichen Ritterakademie in Posen erschien1911 als nächste größere Arbeit Brechts Studie Heinse und der ästhetische Immoralismus. Darin zeigte sich zum ersten Maldeutlich Brechts methodischePositionierung zwischen Philologie und Geistesgeschichte. Neben ausgedehnten Quellenstudien, die vor allem im zweitenAbschnitt „Mitteilungen aus Heinses Nachlass“ zum Tragenkommen, widmete sich Brecht nämlich auch der Frage, „auf welchemBoden[Heinses] individualistische Ideen gewachsen“ seien. Diese beabsichtigte Brecht sowohl „nach rückwärts [zu] verbinden“als auch im „Zusammenhang mit neuesten Ideen“ zu betrachten, um den Autor in „seiner historischen Gesamtbedeutung [zu] erfassen“.138 Posen als akademische Wirkungsstätte war nicht nach Brechts Ge- schmack; bereits ein Jahr nach seiner Berufung beklagte er in einem Brief an EdwardSchröder die „vollständige Traditionslosigkeit“ der Hochschule, den „heterogenen Lehrkörper“ und die Niveaulosigkeit der Studenten („ziemlich übelesMaterial“):„Aufdie Dauer möchteich nicht hiersein.“139 Hatten sich Roethe und Schröder bis dahin stets um Brechts universitäre Karrierebemüht, Roethe Brechts wissenschaftliche Begabung zeitweise sogar als eine ihm überlegene eingestuft,140 so endete Brechts Rolle als Protegé spätestens im Winter 1912/13: Nach dem TodAdelheid Brechts im August 1911 verlobte sich Brecht im Dezember 1912mit Erika Leo, der Tochter des GöttingerLatinisten Friedrich Leo. Roethe war entsetzt: „Ist denn dem Menschen so ganzdas Gefühl geschwunden, daß solche germ.- jüdische Alliancen etwas Häßliches und Unnatürlichessind?Meine Schätzung B[recht]sist in letzter Zeit sowieso nicht gestiegen;diese

138 Brecht: Heinse und der ästhetische Immoralismus(1911), S. VII. 139 Brief von BrechtanSchröder vom 6. Februar 1911;zit. n. Oels:„Denkmal der schönsten Gemeinschaft“ (2007), S. 26. 140 So zum Beispiel in einem Brief an Edward Schröder vom 26. September 1904: „Was sich der weniger begabte und ursprünglich auch weniger selbständige Manheimer in unermüdlicher strenger höchst respectabler Selbstzucht aneignete, das fiel Brecht, der damals übrigens auch angespannt, ja enthusiastisch fleißig war, mit einer Selbstverständlichkeit zu, die ich bewundert habe und in der ich etwas mir Überlegenesempfand. […] Ich habe an ihn die Anhänglichkeit, die ein mir im Wesentlichen überlegenes Talent erweckt […].“ Zit. n. Oels:„Denkmal der schönsten Gemeinschaft“ (2007), S. 14. –Der hier erwähnte Victor Manheimer (1877–1943) studierte in Berlin,Freiburg, München und Göttingen, wo er 1903 aufgrund der Arbeit Die Lyrik des promovierte. 46 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik egoistische Weichlichkeit ging mir doch über den Spaß.“141 Dass bereits die Großelternvon Erika Leo konvertiert waren, war für Roethe, „dessen Antisemitismus in den Zehner- und Zwanzigerjahren auch zu seinem beherrschenden wissenschaftspolitischen Argument“142 wurde, nicht von Belang:„Mischehen [werden] durch das Taufwasser auch nicht erträglicher […].“143 Brechts Hoffnungen auf eine Professur in Königsberg oder Berlin wurden von Roethe ab diesem Zeitpunkt untergraben;„als Jüdinnengatte und durch seine geringe Leistungsfähigkeit“144 kam Brecht für Roethe nicht mehr in Frage. Nahezu zeitgleich erfuhr Brecht jedoch im Jänner 1913, dass Carl von Kraus ihn für die Wiener Professur in Betracht zog.145 Nach langen Ver- handlungen, Separatvotum und der persönlichen Empfehlung durch Al- bert Köster,der das Wiener Ordinariat abgelehnt hatte, war die Angele- genheit, wie erwähnt, im März 1914 zugunstenBrechts entschieden.146 In Wien traf Brecht hinsichtlich der Richtungsstreitereien innerhalbder Neueren deutschen Literaturgeschichte auf eine heikle Situation;noch in den Nachrufen wurde gerade darauf hingewiesen. Bei Heinz Kindermann, Brechts Wiener Schüler und späterem nationalsozialistischen Opponenten, hieß es 1950: Als […] Brecht […] 1914als Nachfolger Jakob Minors an die Wiener Uni- versität berufen wurde, stand er vor einer fachlich unsagbar schwierigen Aufgabe. Die Wiener Lehrkanzel für neuere deutsche Literaturgeschichte galt seit den Zeiten Scherersund Erich Schmidts als Hochburg desPositivismus. Auch Minor war neuerlich ein hervorragender Vertreter der positivistisch- philologischen Methode gewesen. Indessen aber hatte sichimübrigen deut- schen Sprachgebiet seit dem Vorstoß Diltheys und Ungers vielesverändert. Die geistesgeschichtliche Richtung der Literaturwissenschaftwar in voller Entwicklung. So betrachtete es Brecht, derselbst einer ästhetischenFor- schungsweise zuneigte, als eine seiner wichtigsten Aufgaben, denÜbergang vom Positivismus zur geistesgeschichtlichenLiteraturbetrachtung zu schaffen. Ohne das gesicherte philologische Fundament zu verlassen, eröffnete er in

141 Roethe/Schröder:Regesten zum Briefwechsel (2000), Bd. 2, S. 619 (Brief von Roethe an Schröder vom 16. Dezember 1912). 142 Oels: „Denkmal der schönsten Gemeinschaft“ (2007), S. 28 143 Briefvon Roethe an Schröder vom 16. Dezember 1912;zit. n. Oels:„Denkmal der schönsten Gemeinschaft“ (2007), S. 28. 144 Roethe/Schröder:Regesten zum Briefwechsel (2000), Bd. 2, S. 636 (Brief von Roethe an Schröder vom 7. Mai 1913). 145 Briefvon BrechtanEdward Schrödervom 7. Jänner 1913;zit. n. Oels:„Denkmal der schönsten Gemeinschaft“ (2007), S. 29. 146 Vgl.Kap. I.2. I.3. Philologie und moderate Geistesgeschichte 47

seinen Vorlesungen und Übungen die ganze Weite des neuen, philosophisch und kulturhistorisch unterbauten Blickfeldes.147 Josef Nadler,der von 1931 bis 1945 die Wienerneugermanistische Lehrkanzelinnehatte, auf den Brechtjedochnicht viel hielt,148 bemerkte in seinem Nachruf,dass Brecht, der „zwischen zwei wissenschaftlichen Ge- nerationen“ anzusiedeln sei, „in der glücklichen Lage [war],die ältere zu beerben und die jüngere anzuleiten“: „Die Schule, die er genossen hat, befähigte ihn, das Vertrauen der älteren Generation zu rechtfertigenund das der jüngeren zu gewinnen.“149 Brecht selbst äußerte sich öffentlich nie zu dieserinnerfachlichen Methoden- und Generationenproblematik, in einem Brief an seinen spä- teren WienerNachfolger Paul Kluckhohnreflektierte er 1922 jedoch seine Herangehensweise: Ich fasse die Litt.Gesch. als Geistesgeschichte aber ebenso sehr als Kunstge- schichte auf, d. h. als eine Entwicklungsgeschichte geistiger,ich betone fast noch mehr,auch seelischer Werte in Gestaltungen […];daher gehe ich immer vom Kunstwerk aus und gehevon dort zum Dichter als dem Hervorbringer und als dem Träger der oder der Zeitströmung. Wederalso ist mir die Bio- graphie das erste wie Minor,noch sind mirDichtungen nur Entwicklungs- dokumente einer Zeit, analog philosoph. Gedankenbildgen abstrakter Natur, wie nicht seltenbei Dilthey.Bei Walzel waren oftdie Dichter nicht viel [mehr] als (notwendig) schlechte Philosophen, als bildlicheMenschen, die sie sind. Auf diese Weise verbindet sichmir dergeistesgeschichtliche Standp. mit einem ästhetisch-philologischem.Und diesenletzteren möchte ich durchaus nicht missen, schon wegen des soliden Fundamentes der philologischen Einzelun- tersuchung.150 Brecht verstand also die Dichtung explizitals Kunstwerk, von dem es stets auszugehen galt. Dabei ließen sich seines Erachtens sowohl das Einzel- als auch das Gesamtwerkals Ausdruck der unverwechselbaren Persönlichkeit des Dichters lesen, der zusammen mit seinem Werk wiederum die Mög- lichkeit kultur- und geistesgeschichtlicherRekonstruktionen bot.Diese geistesgeschichtlichen Erkenntnisse müssten aber auf der Grundlage phi- lologischer Detailstudien erfolgen. Damit nahm Brechteine Position ein, die die philologische Herangehensweise eines Jakob Minor genauso zu integrieren vermochte wie philosophische, kunsttheoretischeund formal-

147 Kindermann:Walther Brecht [Nekrolog] (1950), S. 413. 148 Vgl. Kap. I.4. 149 Nadler:Walther Brecht[Nekrolog] (1952), S. 375. 150 Brief von Brecht an Kluckhohn vom 15. Juli 1922;DLA Marbach, Bestand: Deutsche Vierteljahrsschrift. 48 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik

ästhetische Ansätze sowie dezidiert geistesgeschichtliche Arbeitsweisen. Hatte sich Minor –trotz zunehmenderSkepsis –stets an das Programm der Philologie gehalten,151 so öffnete Brecht seine wissenschaftlichen Interessen nach allen Seiten, was, wie noch zu zeigen sein wird, auch die Auswahl der von ihm geförderten Germanisten beeinflusste. Brechts erste Wiener Veröffentlichung Deutsche Kriegsliedersonst und jetzt,die 1915 im Berliner Weidmann-Verlag erschien und die er nur wenige Monate nach Beginn des Ersten Weltkriegs verfasst hatte,152 steht ganz im Zeichen deutscher Siegesgewissheit. Der Text ging aus einem Vortrag hervor,den Brecht im März und April 1915 in Wien und Naumburg/Saale gehalten hatte,153 und verbindet sein wissenschaftliches Programm der (formal-)ästhetischenund historischen Betrachtung mit einer –anRoethes im Jahr zuvor publizierten Rede Wir Deutschenund der Krieg angelehnten –154 deutschnationalen Kriegsbegeisterung. Brecht durchmisst darin deutschsprachige Kriegslyrik vom Mittelalter bis zur unmittelbaren Gegenwart, um die Voraussetzungen für das „moderne ethischeKriegslied, wie wir es allein wünschen“, zu ermitteln:„Vaterland, als real erlebtes Ideal;höchstausgebildetes Individuum: so reif entwickelte Individualität, daß sie auch den Gedanken fassen kann, sich aufzugeben, sich zu opfern für die Gesamt-Volksindividualität, die Nation, das Va- terland.“155 Im Unterschied zur Kriegslyrik des Deutsch-Französischen Kriegs von 1870/71, der die „patriotische Leidenschaft“ gefehlt habe, zeige laut Brecht „die Produktion von 1914 ein auffallend hohes Niveau“, womit er sich vor allem auf die Lyrik von Ludwig Thoma, Richard Dehmel, Albrecht Schaeffer und Rudolf Alexander Schröder bezog.156 Den Krieg und die Kriegslyrik begrüßte Brecht „als Befreiung aus ästhetischer Iso- liertheit“, als „Ausfüllung theoretischer Lehre“,als Erlösung durch „ge- meinsames Handeln“,157 das einen neuen „Aufschwung“bringen werde, wie es auch 1813 der Fall gewesen sei, als „eine neue Frömmigkeit begann nach all den Orgien der Aufklärung“.158 DieVersicherung der moralischen,

151 Zu Minorvgl. Faerber:Ich bin ein Chinese (2004). 152 Brechtschloss die Arbeit an diesem Text am 12. Juni 1915 ab.Brecht:Deutsche Kriegslieder sonst und jetzt (1915),S.47. 153 Vgl.Oels:„Denkmal der schönsten Gemeinschaft“ (2007), S. 31. 154 Roethe:Wir Deutschen und der Krieg(1914);zuBrechts Reaktion auf Roethes Rede vgl. Oels:„Denkmalder schönsten Gemeinschaft“ (2007),S.32–33. 155 Brecht: DeutscheKriegslieder sonst und jetzt (1915),S.16. 156 Brecht: DeutscheKriegslieder sonst und jetzt (1915),S.27und S. 38. 157 Brecht: DeutscheKriegslieder sonst und jetzt (1915),S.39–40. 158 Brecht: DeutscheKriegslieder sonst und jetzt (1915),S.44–45. I.3. Philologie und moderate Geistesgeschichte 49

ethischen und ästhetischen Bedeutsamkeit des Kriegs verband Brechtmit einer,aus antienglischem Ressentiment gewonnenen Beschreibung ,deut- scher Kultur‘, in der er sich vor allem dagegen verwehrte, dass deutscher ,Idealismus‘ mit deutschem ,Militarismus‘ nicht einhergehen könne: Wastat England unterdessen?Esrechnete, rechnete fieberhaft. Es rechnete, ob das neue, kriegerische Geschäftsunternehmen auch wirklichprofitabel wäre; es rechnete damit es profitabel würde. Es will aushalten „bis zum letzten Penny“; wir biszum letzten Mann. England rechnet, Deutschland dichtet. Es dichtet im ungewissen Beginn des furchtbarsten Krieges, den es je gegeben. Dieselben Menschen, die sich rüsten, sind es vielfach, die jetzt dichten. Das allein widerlegt bündig den törichten Wahn, als sei derdeutsche „Militarismus“ etwas anderes als der alte deutsche „Idealismus“ Schillers und Goethes.Nein, gerade das zeigt:wir sind noch dieselben!159 Mitseiner Kriegsbegeisterung und der Oppositionsstellung von engli- schem Merkantilismusund deutschem Idealismus standBrecht, der 1914 sehnlichst wünschte, nicht in Österreich,sondern in Deutschlandzu sein,160 bei Weitem nichtallein. Während deutsche Hochschullehrer be- reits im September 1914 eine Erklärungunterschrieben, mit der sie aus „deutschem Nationalgefühl“ englische Auszeichnungen zurück gaben,161 fand Brecht in Österreich vor alleminHugo von Hofmannsthal, den er 1917 kennenlernte und mit dem ihn eine lebenslange Freundschaftver- binden sollte, in der symbolischen Aufladungdes Ersten Weltkriegs einen Verbündeten.162 Brecht selbst äußerte sich nach DeutscheKriegslieder sonst und jetzt nicht mehr publizistisch zum Ersten Weltkrieg und verfasste auch sonstkeinen propagandistischen Text mehr,seine politische Gesinnung blieb jedoch ambivalent. , der von 1914bis 1916 in Wien Germanistik studiert hatte, also zu Brechts ersten Wiener Studenten gehörte,163 cha-

159 Brecht: Deutsche Kriegslieder sonst und jetzt (1915), S. 3–4. 160 „Wir bedauern sehrnicht in Deutschland zu sein u. ein so großes Erlebnis zu verlieren.“ Brief von Brecht an Gustav Roethe vom 3. Oktober 1914;zit. n. Oels: „Denkmal der schönsten Gemeinschaft“ (2007), S. 33. 161 Vgl. Kellermann: Der Krieg der Geister 1914 (1915), S. 29. 162 Zu Hofmannsthals Kriegsbegeisterung vgl. seine politischen Schriften aus dem Ersten Weltkrieg in:Hofmannsthal:Sämtliche Werke. Bd. 34 (2011);außerdem Schumann:„Mach mir aber viel Freude“(2000). 163 Roths Freund und Studienkollege Józef Wittlin erinnerte sich 1944:„Zum ers- tenmal begegneteich Roth im Jahre 1915 auf der Wiener Universität. […] Wir besuchten zusammen die Vorlesungen über deutsche Literatur von Professor Walther Brecht.[…] Es stellte sich heraus, daß Roth Lieblingsschüler von Professor 50 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik rakterisierte seinen verehrten Lehrer 1926 in einem Brief an Benno Rei- fenberg, den Feuilletonchef der Frankfurter Zeitung,folgendermaßen: Ich habe etwas Unerhörtes erlebt:Hören Sie:Mein lieber Professor derGer- manistikDrBrecht, der jetzt nach Breslau geht, hat mirschon 6Jahre nicht geschrieben. Als ich noch sein Schülerwar,war ich deutschnational,wie er.Ich glaube natürlich,daß er infolge meiner Publikationen mich aus seinem Herzen gewischt hat. Ich lese aber im Kaukasus in einer alten Zeitung,daß er 50 Jahre alt geworden ist. Gratuliere ihm. Undheute schickt mirdie F. Z. seinen Brief: Er schickt mir seine Photographie. 1912/13164 war ich sein Schüler.Ersieht genau so aus, wie damals. Underhat mich soeben einer Preisstiftungfür junge Autoren eingereicht. Er hat alles vonmir gelesen. Er ist eben beim Aufräumen und packt –meineersten Arbeiten, die ich noch im germanistischen Seminar geschrieben habe. Er packt sie ein! Er nimmtsie mitnach Breslau!Erhat mich damals für Stipendieneingegebenund heute für Preise. Ein deutschnationaler Mann!Sohn eines Professors, Schwiegersohn eines Professors,war ein Freund von Roethe! Das ist ein deutscherProfessor.165 Mitdem soziologischen Scharfblickeines Autors, der auch die familiäre Komponenteuniversitärer Aufstiegsmechanismen mitbedenkt, zeigte sich Roth begeistert und gleichzeitig verwundert über das Wohlwollen eines Mannes, der seine deutschnationale Gesinnung auch in der Lehre zum Ausdruck brachte, diese aber nicht –wie bei Gustav Roethe –als kultur- politisches Hauptmovens fungierte.Tatsächlich dürfte sich Brecht ohne Schwierigkeiten in die konservative und deutschgläubige Grundstimmung unter den österreichischen Germanisten eingeordnethaben, ohne jedoch den zu Beginn des 20. Jahrhunderts an Schärfe gewinnenden Antisemi- tismus mitzutragen.166 Das Selbstverständnis der österreichischen Deutschen Philologieäu- ßerte sich in den 1920er Jahren weniger in explizit programmatischen Texten als in Berufungskommissionen167 sowie Vorworten und Festreden. So hieß es 1925 in der Einleitung zur Festschriftdes Wiener Akademischen

Brechtwar,den er häufig besuchte. Er zeigteihm dann seine Gedichte, die der Professor sehr lobte.“ Wittlin:Erinnerungen an Josef Roth (1949), S. 49–52. 164 Joseph Roth irrt sich im Jahr.Brechtkam erst im Sommersemester 1914 nach Wien. 165 Briefvon Brecht an BennoReifenberg [vonOktober1926];zit. n. Eckert/Bert- hold:Joseph Roth (1979),S.45. 166 Zur politischen Ausrichtung der Wiener Germanistenimspäten 19. und im ersten Dritteldes 20. Jahrhunderts vgl. Kap. I.4. und Kap. IV.1.;darüber hinaus Michler: Lessings „Evangeliumder Toleranz“ (2003);Meissl:Germanistik in Österreich (1981). 167 Zu Brechts (politischem) Vorgehen in dieser Hinsichtvgl. Kap. I.4. I.3. Philologie und moderate Geistesgeschichte 51

Germanistenvereins,für die auch Brechteinen Beitrag verfasste,168 dass „gerade die der romantischen Vorstellungs- und Empfindungsweltent- springende Nationalphilologie dazuberufen sei, gegenwärtig die wich- tigsten Dinge zu leisten“, weshalb es von besonderer Bedeutungsei, „die wissenschaftlichen Erkenntnisse des germanistischen Studiums auf dem Gebiete der Volkserziehungund Pflege des Heimatgedankensnutzbar zu machen“.169 Undals im Wintersemester 1924/25auf Drängen der Deutschen Studentenschaft,einer Dachorganisationklerikalkonservativer und deutschvölkischer Studenten, unter dem Titel „Wesen und Ent- wicklungdes deutschen Geistes“ein Vorlesungszyklus für Hörer aller Fakultäten über ,Deutschtumskunde‘ eingerichtet wurde, war Brecht mit einem Vortrag über „Deutsche Dichtung“ von Beginnanbeteiligt.170 Brecht selbstschrieb noch 1941, nachdem er in München wegen seiner „nichtarische[n]Ehefrau“171 zwangspensioniertworden war,dass es darauf ankomme, „die strömende Fülle und endlose Weite des deutschen Wesens zu unmittelbarer Anschauung“ zu bringen, und dass „Männer da sind, die einen Kosmos, einendeutsch gesehenen Kosmos in sich tragen“, um „durch ihr Beispiel auf diejenigen [zu] wirken, die vor ihnen sitzen“.172 Währendsich in der politischen Gesinnung Brechtsüber Orts- und Regimewechselhinwegeine Kontinuität ausmachen lässt, fällt seine Wiener Berufungmit einer Zäsur hinsichtlich seiner wissenschaftlichen Ausrichtung zusammen. Hatte Brecht bislang –mit Ausnahme seines Buchs über Wilhelm Heinse –seinen Forschungsschwerpunkt auf die Literatur des Mittelalters und des 16. Jahrhunderts gelegt, spezialisierte er sich nun zusehends im Bereich Neuerer und neuester deutscher Literatur. In seiner zweiten selbständigen WienerVeröffentlichung nach Deutsche Kriegsliedersonst und jetzt beschäftigte sich Brecht1918 erneut mit Lyrik, diesmal aber mit Conrad Ferdinand Meyer.Brecht zeigte in seinem Buch Conrad Ferdinand Meyer und das Kunstwerk seiner Gedichtsammlung,dass die Anordnung und Kompositionsprinzipien, die Meyer seinem Ge-

168 Brecht: Heine, Platen, Immermann (1925). 169 Akademischer Verein der Germanisten in Wien (Hg.): Germanistische For- schungen (1925), S. 1(Vorwort der Herausgeber). 170 Höflechner:Die Baumeister des künftigenGlücks (1988), S. 346–347. 171 UAM, PA Walther Brecht;zit. n. Oels:„Denkmal der schönsten Gemeinschaft“ (2007), S. 80. 172 Brecht: Student und Professor (1941), S. 2. 52 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik dichtband von 1882173 angedeihen ließ, ein zweites „unsichtbares Kunst- werk [hervorbrachten], das in und zwischen den einzelnen Gedichten sein Leben führt“174.Dabei ging Brecht davon aus, dass durch den kunstvollen Aufbau des Lyrikbands das einzelne Gedicht „an spezifischer Schwere“ gewann,daesinKorrespondenz zu den unmittelbar nach- und vorge- reihten Gedichten modifiziert erschien und darüber hinaussein „Sinn innerhalb des Ganzen“ hinzukam,der den „Einzelsinn“ noch unter- strich.175 Nicht um die Genese einzelner Gedichte, nicht um eine rein formalistische oder biographistische Lesart war Brecht in seiner Kompo- sitionsanalyse bemüht, sondern um den Ausgleich zwischen zeitgenössisch widerstreitenden Herangehensweisen. Zu seiner Auffassung der Deutschen Philologie heißt es in der Vorrede des Buches: [D]as Werk ist und bleibt die Hauptsache, worauf es ankommt; denn des Werkes wegen beschäftigen wir uns mit dem Dichter.Essollte kaum nötig sein, das noch zu sagen. Aber das kann nicht ausschließen, daß wir,wie na- türlich,auch mitunserersonstigen Kenntnis der Persönlichkeit des Dichters wie mit derseiner anderen Werke, auch an dieses Werk herantreten […].Den Dichter vom Kunstwerk überhaupt zu trennen und das Kunstwerk allein zu betrachten, wie es manche heute für die ästhetische Kenntnis verlangen, wäre jedenfalls dem hier vorliegenden Ziele gegenüber sinnwidrig und unmöglich, denn der spezielle Charakterder Komposition einer bestimmten Gedicht- sammlung, ihr „Sound nicht anders“ kann nur aus dem Charakter dieses bestimmten Autors hervorgehen.176 Brecht erteilte in seiner Erklärung sowohl den biographisch-monogra- phischenGroßunternehmungen des 19. Jahrhunderts als auch den formalästhetischen, allein auf das Werk konzentrierten Herangehenswei- sen, wie sie in den 1910er und 1920er Jahren prominent von Fritz Strich und Oskar Walzel propagiert wurden,eine Absage.177 Jedoch war diese Absage weder in die eine noch in die andere Richtung eine derart ent- schiedene, dass er ohne Bedenken als ausgewiesener Vertreter einer be-

173 Meyers Gedichtband von 1882wurdevom Autor selbst bis zur fünften Auflage 1892immer wieder bearbeitet und erweitert und war 1917 bereits in der 80. Auflage erschienen. 174 Brecht: Conrad Ferdinand Meyer und das Kunstwerk seiner Gedichtsammlung (1918), S. 209. 175 Brecht: Conrad Ferdinand Meyer und das Kunstwerk seiner Gedichtsammlung (1918), S. 207–208. 176 Brecht: Conrad Ferdinand Meyer und das Kunstwerk seiner Gedichtsammlung (1918), S. X. 177 Zur zeitgenössischen formalästhetischen Literaturforschung vgl. Benda:Der ge- genwärtige Stand der deutschen Literaturwissenschaft (1928), S. 38–46. I.3. Philologie und moderate Geistesgeschichte 53

stimmten Wissenschaftsauffassung gelten kann. Zeitgenössisch führte diese Zwischenstellung dazu, dass er je nach Selbstverständnis der Beur- teiler für verschiedene Standpunkte in Anspruch genommen wurde. Dass diese Vereinnahmungsversuchenicht immer ohneAmbivalenzen möglich waren, zeigt eine ausführliche Rezension von Brechts Buch über Conrad Ferdinand Meyer in der Zeitschriftfür Ästhetikund Allgemeine Kunstwis- senschaft. Darin nennt Alfred BaeumlerBrechts Studie nicht nur „einen beachtlichenFortschritt […] [i]nnerhalb der neueren, aufs Objekt ge- richteten wissenschaftlichen Bestrebungen“, er bezeichnet sie sogar als „Höhepunktder objektivistischen Methode“, da Brecht zeige,„daß unsere ästhetische Kritik den toten Biographismus innerlich überwunden hat“, indem er „das Biographische[…] in die Form aufhebt“.178 Gleichzeitig und im Widerspruch zu seiner bisherigen Beurteilungder Studie warf Baeumler Brecht aber auch vor,noch tief in einer auf der Sammlung von Fakten beruhenden, d.h. in einerpositivistischen Wissenschaftsauffassung ver- wurzelt zu sein, weshalb seine Studie, wie Baeumler abwertend feststellte, vor allem„als Quelle der Belege“ wertvoll sei: Es ist kein Buch,was uns vorliegt, sondern nur das Material zu einem. […] Sie [die Untersuchung, E.G.] gibt zu viel unaufgelösten Stoff. Diephilologische Treue läßt sichwahren, auch wenn man zusammenfaßt. Brechts Werk hätteein Buch für die Gebildetenwerdenkönnen, es ist ein Buch für Philologen ge- worden.179 Einen besonderen Platz unter Brechts Wiener Publikationen nehmenseine Arbeitenzur österreichischen Literatur,vor allem zu Hugo von Hof- mannsthal, ein. Mitösterreichischer Literatur hatte sich Brecht vor seiner Berufung nach Wien 1914 nichtbeschäftigt. Über österreichischeLiteratur zu publizieren, begann Brechtmit seinem Aufsatz „Wesen und Werden der deutsch-österreichischen Literatur“ von 1920.180 DieösterreichischeLi- teraturgeschichte war eine der Herausforderungen, mit denensich die Vertreter der Lehrstühle für DeutschePhilologie in der österreichisch- ungarischen Monarchie seit der Institutionalisierungdes Fachs nach der Universitätsreform von 1848/49zubefassenhatten.181 Selbst Wilhelm

178 Baeumler:Konrad Ferdinand Meyer [Rez.] (1921), S. 468 179 Baeumler:Konrad Ferdinand Meyer [Rez.] (1921), S. 470. Baeumlers „Vor- schlag“, Brecht solle „das wichtigste in einem Aufsatz“ zusammenfassen und in der nächsten Auflage „den Gedichtenbei[geben]“, wurde schließlichrealisiert, vgl. Brecht: Einleitung (1924). 180 Brecht: Wesen und Werden der deutsch-österreichischen Literatur (1920). 181 Zum Folgenden vgl. Michler:„Das Materiale für einen österreichischen Gervinus“ (1995);Zeman:Der Wegzur österreichischen Literaturforschung (1986). 54 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik

Scherer,der –unterstützt durch seine antikatholische Haltung und seine gesamtdeutsche Kulturauffassung –immer gegen die Eigenständigkeit einer spezifisch österreichischen Literaturgeschichte auftrat, publizierte, wenn auch nur in seiner Wiener Zeit während der 1860er und frühen 1870er Jahre, zu österreichischen Autoren.182 Eine systematische Erfassung der österreichischen Literatur,ihre biblio- und biographische sowie edi- torische Erarbeitungbegann in größerem Maße aber erst mit der Schü- lergeneration von Scherer. Sowohl August Sauer,Richard Maria Werner, Josef Wackernell und Bernhard Seuffert als auch Jakob Minor und Josef Seemüller,die zeitgleich die Lehrstühle in Prag, Lemberg, Innsbruck, Graz und Wien innehatten,183 setzten einen „deutlichen Österreich-Akzent“184 und prägten damit sowohl Forschung als auch Lehre an den Universitäten der Monarchie von den 1880er Jahren bis zum Ende des Ersten Welt- kriegs.185 Die Konzeption einer eigenen österreichischen Literaturge- schichtsschreibung war in den Studien dieser Generation von Universi- tätsprofessoren wie auch in der von Privatgelehrten erarbeiteten, vierbändigen Deutsch-Österreichischen Literaturgeschichte (1899 –1937)an den Gegebenheiten des Vielvölkerstaats orientiert.186 Ihre wesentliche Aufgabe sahen diese Forscher darin, die deutschsprachige Literatur in- nerhalb der österreichisch-ungarischen Monarchie,also innerhalb eines

182 Scherers Arbeiten sind nur mit großen Vorbehalten für die Konstitution einer österreichischenLiteraturgeschichtsschreibungzuvereinnahmen;vor allem ver- kündeten sie nämlich, wie Michler überzeugenddarstellte, „die Wanderung des deutschen Geistesaus dem österreichischen Gebiet nach Preußen“ oder waren,wie im Falle seines Grillparzer-Aufsatzes, „in Wahrheit Scherers Totalabrechnung mit den österreichischenVerhältnissen“. Michler:„Das Materiale für einen österrei- chischen Gervinus“(1995), S. 181–182. –Gesammelt finden sichScherers Ar- beiten zur österreichischen Literaturbei Scherer:Vorträge und Aufsätze zur Ge- schichte des geistigen Lebens in Deutschland und Oesterreich (1874). 183 August Sauer war 1886–1925 in Prag, Richard Maria Werner 1884–1913 in Lemberg, Josef Eduard Wackernell 1888–1920 in Innsbruck, Bernhard Seuffert 1886–1923 in Graz, Jakob Minor 1885–1912 und Josef Seemüller 1905–1911 bzw.1917–1920 in Wien. 184 Zeman:Der Wegzur österreichischen Literaturforschung(1986), S. 30. 185 Zu den Forschungsschwerpunkten der einzelnen österreichischen Germanisten dieser Generation vgl. Zeman:Der Wegzur österreichischen Literaturforschung (1986). 186 DieHerausgeber der Deutsch-Österreichischen Literaturgeschichte waren der Gymnasiallehrer Jakob Zeidler,der Gymnasiallehrer und Privatdozent Johann Willibald Nagl sowie der Gymnasiallehrer,Privatdozent und ab 1915 tit. a.o. Professor Eduard Castle.–Nagl/Zeidler/Castle (Hg.): Deutsch-Österreichische Literaturgeschichte. 4Bde. (1899–1937). I.3. Philologie und moderate Geistesgeschichte 55

mehrsprachigen Spannungsfeldes, zu beschreibenund darüber hinaus ihre Eigenständigkeit gegenüber den übrigen deutschsprachigen Literaturen zu betonen. Vorallem August Sauers berühmte Prager Rektoratsrede Litera- turgeschichte und Volkskunde von 1907 und auch sein Aufsatz „Die be- sonderen Aufgaben der Literaturgeschichtsforschung in Österreich“, in dem er noch im letzten Jahr der Monarchie ein eigenes „Reichsinstitut für österreichischeLiteraturforschung“ verlangte, waren dahingehend rich- tungsweisend.187 Eine wirkungsvolle Neubewertung der österreichischen Literatur for- cierte zu Beginndes 20. Jahrhunderts ein Schüler August Sauers. Josef Nadler baute in seiner Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften,deren erster Band 1912, also zwei Jahre vor der Berufung Brechts nach Wien, erschien,auf Überlegungen seines Lehrers zur Re- gionalliteraturforschung auf, übernahm dessen stammes- und volks- kundliches Bewertungsschema,das die Literatur eines Stammes bzw.einer Landschaftinihren regionalen, sozialen und politischen Besonderheiten bestimmbar machen sollte. Anders als sein Lehrer legte Nadler diesem Koordinatensystem aber eine geschichtsphilosophische, teleologisch auf das „Reich“ bzw.die deutsche Nation gerichtete Konstruktion zugrunde. Mitdem von ihm entworfenenGedanken einer Sonderstellungder ba- irisch-österreichischenDichtung verhalf Nadler zwar der österreichischen Literatur innerhalb einer gesamtdeutschenDarstellung zum ersten Malzu gleichberechtigter Anerkennung, das ,alte‘ Interesse an der gesonderten Beschreibung der österreichischen Literatur innerhalb des Spannungsfeldes verschiedensprachiger Literaturender Monarchie und in Abgrenzungzu den anderen deutschsprachigenLiteraturen trat dabeijedoch in den Hintergrund. Nadlers Interessezieltedarauf ab, die österreichische Lite- raturforschung nicht mehr als eine eigenständige zu betrachten, sondernsie „in die Sehnsucht nach der Einheit der Nation, deren geistigen Raumsie mitschrieb“188,zuintegrieren.189

187 Dieses „Reichsinstitut“ sollte sich der deutschen Literatur in Österreich in Zu- sammenhang mit den anderssprachigen Literaturen der Monarchie widmen und sie als eine, den anderen deutschen Literaturen des deutschsprachigen Raums ebenbürtige zeigen. Sauer:Die besonderen Aufgabender Literaturgeschichtsfor- schung in Österreich (1917), S. 68. 188 Zeman:Der Wegzur österreichischen Literaturforschung(1986), S. 44. 189 Zu Sauers und Nadlers Literaturgeschichtekonzeption vgl. Ranzmaier:Stamm und Landschaft (2008);Höppner:Die regionalisierte Nation (2007);Meissl:Zur Wiener Neugermanistik der dreißiger Jahre (1985). 56 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik

Walther Brecht hätte der Nadler’schen Konzeption,betrachtet man seine kulturpolitischen Aussagen, in denen er stets für eine gesamtdeutsche Kulturauffassung eintrat und sich zudem für die Zusammenführung Deutschlands und Österreichs aussprach, eigentlich uneingeschränkt po- sitiv gegenüberstehen müssen. Tatsächlich nahm Brecht zu dieser For- schungs- und kulturpolitischen Frage aber wechselnde Positionen ein. Sein erster Aufsatz zur österreichischenLiteratur,die erwähnte Überblicksdar- stellung „Wesen und Werden der deutsch-österreichischen Literatur“ von 1920, standnoch ganz im Zeichen gesamtdeutscher Interessen. Darin heißt es gleich zu Beginn, dass die „deutsch-österreichische Literatur […] ein integrierender Teil der deutschen“ sei und dass es deshalb „keine nur für sich existierende deutsch-österreichische Literatur geben“könne. Darüber hinaus sei die österreichischeLiteratur auch nur zu den Zeiten „gut [ge- wesen],wosie mit der des übrigen Deutschlandinlebendiger […] Wechselwirkung stand“.190 Das zeige sich vor allem daran, dass der österreichischen Literatur des 16. Jahrhunderts aufgrund der „geistige[n] Abschnürung Österreichs vom übrigen Deutschland“ durch die Gegen- reformation ein hoher „geistige[r] und wirtschaftliche[r] Schade[n]“ ent- stand.191 Nach einem nicht ohne Klischees auskommendenDurchgangvon Walther von der Vogelweide über die Zeit Kaiser Maximilians, den österreichischen Barock und die Volksbühne des 18. und frühen 19. Jahrhunderts bis hin zu ,indem der österreichischen Literatur eine starke „Nähe zum Volkstum“192,„Naivität“, „Verspätungim Geistigen“ und eine geringere „Gefahr theoretischer Überbildung“193 at- testiert wird, was sie als kongeniale Schwester der deutschen, stärker ab- strakt konstruierten Literatur ausweise, kam Brecht zu folgendem Schluss: Heutige österreichische und reichsdeutsche Literatur gehören zusammen:in natürlicher organischer Ergänzung! Nicht gerade wieKopf und Herz, aber wie Geist und Natur, Vernunftund Sinne, Leib und blühendeFarbe, kühne Neueroberung und feste Stiltradition, Licht und Wärme. Diese WärmeÖsterreichs Kulturmission! Das Österreichische ist vielleicht diejenige Form des Deutschen, in der es dem Ausländer am leichtesten, am liebenswürdigsten zugänglich wird;Grillparzer für ihn vielleicht der beste WegzuGoethe. Aber diesen Wegzubetreten, müssenwir ihm heute selber überlassen. Wir haben genug mit uns zu tun.

190 Brecht:Wesen und Werden der deutsch-österreichischenLiteratur (1920),S.337. 191 Brecht:Wesen und Werden der deutsch-österreichischenLiteratur (1920),S.340. 192 Brecht:Wesen und Werden der deutsch-österreichischenLiteratur (1920),S.339. 193 Brecht:Wesen und Werden der deutsch-österreichischenLiteratur (1920),S.341. I.3. Philologie und moderate Geistesgeschichte 57

Der Wegist da, aber das Land, durch das er führt, wird bald unkenntlich sein. Nurals Teil des großenMutterlandes kann Österreich sich retten;wird Österreich Österreich bleiben.194 Brechts Überlegungen zur österreichischen Literatur,die ihn hier unter dem Eindruck des Zusammenbruchs der Monarchie und in Abgrenzung zur Ersten Österreichischen Republik wie selbstverständlich den –nicht nur kulturellen –Anschluss an Deutschland postulieren ließen, bekamen elf Jahre später eine ganz andere Färbung. In dem 1931 erschienenen, seine bisherigen Erörterungen zur österreichischen Literatur zusammenfassen- den Aufsatz „Österreichische Geistesform und österreichischeDich- tung“,195 den Brecht bereits als Ordinarius in München verfasste, änderteer seinen Blickwinkel nachdrücklich. Brecht vertrat darin nicht mehr auf ein einheitliches Deutsches Reich gerichtete Standpunkte, sondernknüpfte – Nadler rückwärts überspringend –anältere, differenziertereForschungs- paradigmen an, wie sie August Sauer und seine Generation vertreten hatten. So bestimmte er nun die Ausrichtung einer österreichischen Lite- raturforschung im Sinne von Sauers Charakteristik, nach der die öster- reichische Literatur im Spannungsfeld zwischen den anderendeutschen und den anderssprachigen Literaturen der Habsburgermonarchie be- schrieben werden sollte: Wie denn die schwierige Aufgabe einer allgemeinen österreichischen Litera- turgeschichte, die vom altenGesamtstaate ausginge,eigentlich darin zu be- stehen hätte, die deutsch geschriebene, aber von andern Nationalitäten des Reiches an bestimmten Punkten vielfach tingierte Literatur der Deutsch- österreicher von der fremdsprachig oder auch noch deutsch geschriebenen Literatur der „Nationalitäten“ einerseits zu unterscheiden, aber auch an den Punkten,wodiese Elemente unlöslich und ununterscheidbar sich amalgamiert haben,diese von Geschichte und Naturgeschaffene Verbundenheit anzuer- kennen und die so komplexen Gebilde methodisch zu untersuchen. Trifftes nicht zu, in derdeutsch geschriebenen österreichischen Literatur ausschließ- lich die literarische Hervorbringung eines deutschen Stammes zu sehen wie andrer auch –niemand wird von ihr rein in dem Sinne sprechen wie von einer rheinländischen oder hessischen –sogeht es auf der anderen Seite wohlzu

194 Brecht:Wesen und Werden der deutsch-österreichischen Literatur (1920), S. 349– 350. 195 In dem Aufsatz übernahm Brecht Überlegungen und Formulierungen aus Brecht: Wienund die deutsche Literatur (1924);ders.:Oesterreichische Geistesform und oesterreichische Dichtung I(1929);ders.:Die Wesensart des Oesterreichers (1929). 58 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik

weit, die österreichische Literatur einfach als eine „südeuropäische in deutscher Sprache“zubezeichnen.196 Als Brecht 1931 diese Bestimmung der österreichischen Literaturforschung veröffentlichte, war –nach Paul Kluckhohn –gerade Josef Nadler sein Nachfolger auf dem Wiener Lehrstuhl für die neuere Abteilung der Deutschen Philologiegeworden. Vonden Vertretern einer eigenen öster- reichischen, auf empirische Einzelstudien bauenden Literaturgeschichte war nur noch Eduard Castle an der Wiener Universität tätig, sodass trotz der späten Anknüpfung Brechts an wissenschaftliche Paradigmen seiner Vorgängergeneration, an methodische Überlegungen Minors und Sauers, diese Forschungsrichtung innerhalb der Germanistik nicht fortgesetzt wurde und insgesamt ohne Echo blieb. Wiederum anders gewendet sind Brechts Arbeiten zu , mit dem er von Mai1917 bis zu dessen TodimJuli 1929 freundschaftlich verbunden war und als dessen Nachlassverwalter er zeit- weilig auch fungierte.197 Das Verhältnis zwischen Brecht undHof- mannsthal war von Beginn an von gegenseitigen Ansprüchen geprägt, in denen eine Annäherung der wissenschaftlichen und der dichterischen Sphäre, also eine „Komplizenschaftzwischen Dichter und Wissenschaft- ler“198 beabsichtigt wurde.199 Bereits Anfang 1919 übergab Hofmannsthal Brecht seine werkbiographischen Notizen „Admeipsum“, um, wie Brecht 1930 erklärte,„eine Art von innerlich authentischer Einwirkung auf die Diskussion zu nehmen“und dadurch „richtiger verstanden [zu] wer- den“.200 Hofmannsthal erwartete von ,seinem‘ Germanisten Brecht, wie Christoph König feststellte, „die Individualitätund Einheit seines Oeuvres zu propagieren“201,und sprach prinzipiell davon, dass ihre beiden „Berufe […] doch so ineinander verhäkelt“202 wären. Brecht wiederum nannte Hofmannsthal einen „Philologorum poetissimus, poetarum philologissi-

196 Brecht:Österreichische Geistesform und österreichische Dichtung (1931), S. 614. 197 Zu den Konflikten um Hofmannsthals Nachlass vgl. Oels:„Denkmalder schönsten Gemeinschaft“ (2007), S. 62–79. 198 Oels: „… denn unsere Berufe sind doch so ineinander verhäkelt“ (2007), S. 57. 199 Vgl.dazu auch König:„Geistige, private Verbündung“ (1993). 200 Brecht: Hugo von Hofmannsthals „Ad me ipsum“ und seine Bedeutung (1930), S. 319. 201 König:Hofmannsthal (2001),S.212. 202 Hofmannsthal/Brecht:Briefwechsel (2005), S. 146 (Brief von Hofmannsthal an Brechtvom 12. Jänner 1928). I.3. Philologie und moderate Geistesgeschichte 59

mus“203 und hätte, wie David Oels zu Recht bemerkte, „vermutlich auch gern sich selbersobezeichnet“204. Tatsächlich äußerte sich Brechtbereits im Dezember 1919 in der nicht erhaltenen Rede „Hofmannsthals Märchen ,Die Frau ohne Schatten‘im Zusammenhangeseines Dichtens“ öffentlichzudessen Werk,205 1923 verwendete er in seiner Publikation„Grundlinien im Werke Hugo v. Hofmannsthals“ zum erstenMal das „Ad me ipsum“und veröffentlichte in Folge Aufsätze über „HofmannsthalsWeltbild“, den Jedermann,den lite- rarischenNachlass, Das Bergwerk zu Falun, Die Ägyptische Helena,seine Gespräche und Begegnungen mit dem Dichter und edierte das „Ad me ipsum“.206 Bemerkenswertandiesen Beiträgen ist neben deren Bedeutung für die Hofmannsthal-Forschung, deren Anfänge Brecht maßgeblich und nachhaltig mitprägte,207 vor allem der Stil von Brechts Wissenschaftsprosa und seine daraus resultierende Auffassung der Deutschen Philologie. Schon Brechts Beitrag zur Festschriftfür Bernhard Seuffert von 1923 über die „Grundlinien im Werke Hugo v. Hofmannsthals“zeigt deutlichseine Distanzierung von wissenschaftlichen und seine Annäherung an literari- sche Ausdrucksformen. Bei diesem Beitraghandelt es sich nicht um eine sachlich-distanzierte Darstellung, sondern vielmehr um eine mit Zitaten aus Hofmannsthals Werk versehene und umstrukturierte Version des „Ad me ipsum“, also um eine Erklärung des Dichters mit Worten des Dichters oder,wie Oels feststellte, um „dichtendePhilologie“208.Brechts Fachkol-

203 Erika Brecht:Erinnerungen an Hugo von Hofmannsthal (1946), S. 40. 204 Oels: „… denn unsere Berufe sind doch so ineinander verhäkelt“ (2007), S. 51. 205 Oels: „… denn unsere Berufe sind doch so ineinander verhäkelt“ (2007), S. 40. 206 Vgl. u.a. Brecht:Grundlinien im Werke Hugo v. Hofmannsthals (1923);ders.: Fragmentarische Betrachtung über Hofmannsthals Weltbild(1924);ders.:Die Vorläufer von Hofmannsthals „Jedermann“ (1924);ders.:Hugo von Hof- mannsthals „Ad me ipsum“ und seine Bedeutung (1930);ders.:Über den lite- rarischenNachlaß Hugo von Hofmannsthals (1930);ders.:Über Hugo von Hofmannsthals „Bergwerk zu Falun“ (1932);ders.:Gesprächüber die „Ägyptische Helena“ (1949). 207 Vgl. Osterkamp:Formale, inhaltliche und politischeAkzeptanz von Gegen- wartsliteratur (1993), S. 174:„Im Falle Brechts, bei dem er das größte Verständnis für sein Spätwerk vermuten durfte, hatte Hofmannsthal ganz auf den Richtigen gesetzt, als er ihm seine werkbiographische Selbstdeutung ,Admeipsum‘ übergab: Brechts Edition und Kommentar haben, wohl ganz im Sinne des Dichters, die Deutung von Hofmannsthals Werk als eines Ganzen auf viele Jahrzehnte hin bestimmt (und dies keineswegs immer auf klärende Weise).“ 208 Oels: „Denkmal der schönsten Gemeinschaft“ (2007), S. 41. –Christoph König bezeichnet den Aufsatz Brechts über das „Admeipsum“ sogar als „Plagiat“; König: Hofmannsthal als Interpret seiner selbst (1999), S. 62 (Anm. 3). 60 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik lege Carl von Kraus wargelinde irritiert. Aufeinen nichterhaltenen Brief des Altgermanisten antwortete Brecht im Juli 1923: WasSie in u. an meinem Aufsatz ,ungewöhnlich graciös‘ finden, kommt natürlich durchaus auf Hofmannsthals Rechnung und zwar wörtlich:denn ich habe ja nicht nur viele seiner Begriffe, Symbole, Motive,sondernauch eine Anzahl seiner besonderen Ausdrücke (z.B. „Präexistenz“, „Verschuldung“, „Süßigkeit in derVerschuldung“)aus seinem mir gelegentlich überlassenen ganz privatenzerstreuten Aufzeichnungen „Ad se[!] ipsum“ herübergenom- men. Es war keine Kleinigkeit, diese Geheimschriftzudeutenu.ihre Züge mit meinen seit je bestehenden Auffassungen von ihm zu einem leidlich philo- logisierten, nat[ürlich] noch vereinfachten u. geklärten Bilde zu vereinigen. Sie finden es, mirvölligbegreiflich, graziös, er natürlich vergröbert.209 Bei Brechts Versuch, gleichzeitig sowohl literarischenals auch wissen- schaftlichen Darstellungs- und Ausdrucksweisen gerecht zu werden, han- delte es sich um eine Gratwanderung, die eine Annäherung der beiden Sphären im Sinn hatte und zeitgenössisch durchaus keine singuläre Er- scheinung innerhalb des wissenschaftlichen Feldes war.210 Brecht verhalf diese Hinwendung zu ästhetisch und stilistisch prononcierten Darstel- lungsverfahren aber,wie sein Brief an Carl von Kraus zeigt, weder zu be- sonderer Anerkennung von Fachvertretern noch vom Dichter selbst. Ähnliches lässt sich über Brechts Beitrag zurEranos-Festschriftanlässlich Hofmannsthals 50. Geburtstags 1924sagen, in dem er eine „Fragmenta- rische Betrachtung über Hofmannsthals Weltbild“ anstellte, die auf eine einheitliche Gesamtschau von HofmannsthalsWerk abzielte.Die von Brecht angenommene Weiter- und Höherentwicklung in Hofmannsthals Oeuvre erklärte der Germanist mit folgenden –wissenschaftlich wenig erhellenden –Worten,die stilistisch offenkundig nicht Ausdruck einer an Nüchternheit und Sachlichkeit orientierten akademischen Sprache sind: Traf man früher manchmal auf, unendlich reizvolle, Addition, wenn der vergröbernde Vergleich erlaubt ist, so herrscht jetzt Integration. Dies ist nicht nur der allgemeine menschlich-dichterische Vorgang,nicht nur Sache des Lebensalters:ein tieferes scheintsich anzuzeigen. Werauf das „Große Welt- theater“, auf den „Turm“nur einen eindringenderen Blick richtet, erkennt, wie die rätselhafteVerschlungenheit aller Geschicke hier dunkelklar in bezie-

209 Briefvon Brecht an Kraus vom 20. Juli 1923;BSB München, Nachlass Carl von Kraus, Krausiana I. 210 Zu diesem Themenkomplex vgl. Trommler:Geist oder Gestus?(1997);Oster- kamp:Friedrich Gundolf zwischen Kunst und Wissenschaft(1993);Weimar:Das Muster geistesgeschichtlicher Darstellung (1993);sowie Kap. III.1. und Kap. III.2. I.3. Philologie und moderate Geistesgeschichte 61

hungsreichen Konfigurationen bedeutend ans Licht tritt und treten soll, als Hauptsache des Weltbildes […].211 „[R]ätselhafte Verschlungenheit aller Geschicke“,„dunkelklar in bezie- hungsreichen Konfigurationen“ –das hört sich verdächtig nach einem Versuch an, sich durch dichterische AusdrucksformeneinemSinn zu nä- hern, der mit dem Erkenntnisinstrumentarium der akademischen Wis- senschaft nicht zu fassen war.Tatsächlich war Hofmannsthal aber auch diesmal nicht zufrieden:„Nein, Siemüssen schon bei Ihrer Weise, die Dinge darzustellenbleiben […].Esgibt eben jene andere Darstellungs- weise, und es gibt die Ihre, beide sind giltig, und uns Deutschen ist viel- leicht doch jene andere, auf die Typen und Canonesausgehende, minder gewiß.“212 Ein weiteres Projekt, das ebendiese Zwischenstellung haben sollte, war Hofmannsthals Idee vom „Buch des Dichters“, das er von Brecht ge- schrieben haben wollte. Es sollte, wie sich Erika Brecht erinnerte, „ganz groß angelegt, ohne Zitate odersonstigen gelehrten Apparat, ohne jeden Anklang an Biografie“ sein, demnach „ein Buch, in dem der Prozeß des dichterischen Schaffens, selbst eine Art Dichtung, in klassischer Weise dargestellt werden sollte“.213 Dieses „Hofmannsthal-Buch als Gundolfsche Gestaltmonographie“214 schrieb Brecht aber nicht mehr. Sein Dilemma bemühte sich Brecht im November 1923 Paul Kluckhohn zu erklären: M. Gespräche mit Hofm. lassen sich nicht wiedergeben. Sie betreffen meist das Innerste desdichter.Prozesses. Sehr eigentümlich ist auch das Phänomen, wenn einer plötzlich innerlichzudichten beginnt, numine afflatus. Ich verlasse H. dannstets. Er stirbt plötzlich der Außenwelt ab. […] DiePhilosophenu. Ästhetiker reden eigentlichnur so herum. Je mehr man davon verstehen lernt, um so mehr neigt man dazu, über diese geheimnisvollenDinge den Schnabel zu halten. Die ältere Generationverstandfreilichdavon garnichts.215 Wenn Brecht in seinem Versuch, das„Innerste desdichter.Prozesses“ darzustellen,auch scheiterte, so zeigenseine Veröffentlichungen zu Hof- mannsthal doch den von ihm festgestellten Unterschied zur vorherigen, dem Wissenschaftsideal strenger Philologie verpflichteten Germanisten-

211 Brecht:Fragmentarische Betrachtung über Hofmannsthals Weltbild (1924), S. 24. 212 Hofmannsthal/Brecht:Briefwechsel (2005), S. 68 (Briefvon Hofmannsthal an Brechtvom 1. Juli 1924). 213 Erika Brecht:Erinnerungen an Hugo von Hofmannsthal (1946), S. 41–42. 214 Osterkamp:Formale, inhaltliche und politische Akzeptanz von Gegenwartslite- ratur (1993), S. 176. 215 Brief von BrechtanKluckhohn vom 27. November 1923;DLA Marbach, Be- stand:Deutsche Vierteljahrsschrift. 62 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik generation auf. DieAnnäherung zwischen Dichter und Germanist, zwi- schen Kunst und Wissenschaftwar kein auf Brecht und Hofmannsthal beschränktes Phänomen, sondern markiert einen „wissenschaftsge- schichtlichen Umschwung in der DeutschenPhilologie der zwanziger Jahre“216,der nicht nur die Erkenntnis- und Darstellungsweise des Fachs beeinflusste, sondern auch konkrete institutionelle Auswirkungen hatte. Ein „aufschlußreiches Symptom“ dieses Wandels lässt sich nämlich, wie Ernst Osterkamp konstatierte, im Konflikt um die Nachfolge von Franz Muncker in München 1926/27 feststellen:„[N]ie zuvor wohl und auch später nicht haben bedeutende deutscheSchriftsteller in solchem Ausmaß auf die Besetzung eines Lehrstuhls für Neuere deutsche Literaturgeschichte Einfluß zu nehmen versucht […].“217 Nutznießer dieser Auseinanderset- zung, an der sich neben Hugo von Hofmannsthal auch , Rudolf Borchardt, Rudolf Alexander Schröder und Mitgliederdes George- Kreises beteiligten, war Walther Brecht, der im Mai1927 nach München berufen wurde.218 Uneingeschränkte Anerkennung sowohl von Hofmannsthal als auch von Vertretern des Fachs und Studierenden erhielt Brecht für seine uni- versitäreLehre. In den zu seinen Lebzeiten unveröffentlicht gebliebenen „Notaten für einen Aufsatz über Walther Brecht“ ging Hofmannsthal anlässlich von Brechts Weggang aus Wien 1926 gerade auch auf diesen Aspekt des Aufgabenbereichs eines Universitätsprofessors ein:„Das Se- mester geht zu Ende. Es ist das letzte, das Professor W. Brecht lehrend an dieser Universität verbringen wird. Die Universität besitzt viele Gelehrte von Rang:inBrecht verliert sie was schlechthinniemals zu ersetzbar ist: eine Lehrerpersönlichkeit.“219 Das Gutachten, das Carl von Kraus für die Muncker-Nachfolge verfasste, konzentrierte sich ebenfalls auf Brechts Lehrtätigkeit: Der ungewöhnliche Lehrerfolg tritt auch nach Außen hin zu Tage:inder warmen Anerkennung, mitder Studenten, Kollegen und die Oeffentlichkeit den vonWien Scheidenden bedachten, vor allem aber in der Tatsache, dass er dort vier Dozenten zurücklässt, die seine Schüler sind (Touaillon und Thal- mann, Kindermann und Cysarz). Die Verschiedenheit ihrerRichtungen be-

216 Osterkamp:„Verschmelzung der kritischen und der dichterischenSphäre“ (1989), S. 348. 217 Osterkamp:„Verschmelzung der kritischen und der dichterischenSphäre“ (1989), S. 348. 218 Vgl.dazu Osterkamp:„Verschmelzung der kritischen und der dichterischen Sphäre“ (1989);Dittmann:Carl von Kraus über Josef Nadler (1999). 219 Hofmannsthal:Notatefür einen Aufsatz über Walther Brecht (2005), S. 182. I.3. Philologie und moderate Geistesgeschichte 63

kundet, wie mannigfaltig die Anregungen sind, die der feinorganisierte und für jede, nicht bloss für die literarische Kunstverständnisvolle Mann zu geben vermag. Die Universitätwürde an ihm einen hervorragenden Lehrerund einen ebenso methodisch wie ästhetisch gebildetenForscher gewinnen.220 HerbertCysarz erinnertesich 1976 an seinen „literaturhistorische[n] Lehr- und Fechtmeister“ Walther Brecht, bei dem er nach dem Ersten Weltkrieg studiert hatte und von dem er auch über seine Dozententätigkeit hinaus gefördert wurde, ebenfalls als „eine[n] der weitaus begabtesten […] Ger- manisten“, dessen „allseitige Offenheit […] ihn jedenDissertanten zu dessen Bestmöglichen anspornen“ ließ und von dem „[v]iele seiner pro- duktiven Einfälle in die Arbeiten seiner Schüler eingegangen“ waren.„[E]r half immer so freigebig wie unvermerkt“ und vereinte, so Cysarz weiter, „seine philologische Gewissenhaftigkeit“ mit der Fähigkeit, „Dichtungen […] wie ein schöpferischer Musiker Partituren“ zu lesen. Welche Bedeu- tung Brecht für seine eigene Arbeit hatte und wie er Brechts Unterricht mit Blick auf methodische und thematische Auseinandersetzungen innerhalb des Fachs und im Unterschied zur universitären Lehre vor dessen Amts- antritt wahrnahm, erklärte Cysarz mit dem ihm eigenen Hangzum me- taphernreichen Sprachgebrauch: In meinem Fall hat Brechtmit freundwilliger Sympathie Erz und Schlacke zu scheiden, die originären Energienmonoklin zu entwickeln, zugleich in Fühlung mit der Sprach- und Werk-Untersuchung zu halten getrachtet. Er hat die Ideenhistorie, die theoretischen Konvergenzen von Bild und Begriff usw., immer als eine Richtung unteranderenund als Forschungsfeld einer beson- deren Anlage angesehen. Aber die Richtung dünkte ihn hier nicht nur mit überzeugender Potenz ergriffen, sondernauch entscheidender Sprengungen der amusischenStoffhuberei, neuer Lichtungen und Leistungen fähig. Krieg und Nachkriegselendriefen nach primordialer,universeller Rechtfertigung des „Luxus“ Literaturwissenschaft. Der Expressionismus, die ungeheuren Um- schwünge insgemeinverlangten auf viele Weisen danach, Denken und Formen in eine umfassende Esse zu werfen. Undgerade damals drohte viel herge- brachter Literatur-Unterricht in dichtungsfremde Materialienkunde und Biographik zu versacken.221 Doch nicht nur BrechtsBemühungen um einen Ausgleich zwischenver- schiedenen Ansätzen in der zeitgenössischen Literaturwissenschaftund seine Fähigkeit, diplomatischÜbergänge zu schaffen, wurdengerühmt,

220 Gutachten von Carl von Kraus über Walther Brecht, o.D.;zit. n. Bonk:Deutsche Philologie in München (1995), S. 69. 221 Alle Zitate:Cysarz:Vielfelderwirtschaft(1976), S. 34–36. 64 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik sondern auch eine ganz basale, gleichwohlnicht zu überschätzende Kompetenz, die den verständnisvollen Umgang mit verzweifelten Erst- und Zweitsemesternbetraf.„At the beginning Iwas quite lost“, schriebder spätere Lyriker,Essayist und NewYorker Germanistikprofessor Ernst Waldinger,der 1938aus Österreich fliehen konnte, über seinen Studien- beginn in Wien 1918: [A] freshman at the University was in arather difficult situation;at least during the first two semesters he was at loss and without any orientation on part of the academicauthorities;this applied at least to the majority of disciplines within the Faculty of Philosophy which, except for those of science, have no regulated syllabus.ProfessorBrecht, one of my professors, once told us in aseminar that at the beginning of his university career he wascompletely at a loss when facing the extensiveless [!]ofhis chosenfield, which seemed endless to him.222 Brechts Wiener Lehre umfasste neben den obligatorischen Vorlesungenzur Literaturgeschichte, in denen er das gesamte Spektrum der neueren Ab- teilung, also die Zeit vom Ende des Mittelalters bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts abdeckte, vor allem Seminare zur Lyrik. In neun seiner insgesamt 25 Semester,indenen er an der Universität Wien Lehrveran- staltungen hielt, konzentrierte sich sein Programmauf Gedichte (Opitz, Mörike, Schiller, Goethe, Klopstock, Hölderlin, Balladen des 18. und 19. Jahrhunderts, C.F.Meyer). Daneben finden sich, was einen klar er- kennbaren Unterschiedzuseinem Vorgänger Jakob Minor ausmacht, deutlich mehr stilkritische als biographische Übungen.Insgesamt war Brecht in seiner zwölf Jahre dauernden Amtszeit in Wien für 63 Lehr- veranstaltungen verantwortlich.223 Da diese pro Semester von mehreren hundertStudierenden besucht wurden, war die Kapazität der Universi- tätsräumlichkeiten bei Weitem überschritten:„[M]eine fast 400 Zuhörer [sitzen] auch auf den Kathederstufen […].“224 Tatsächlich hatte die phi- losophische Fakultät bei Brechts Amtsantritt im Sommersemester 1914 bereits 2.161 Studierende, wovon 438, also etwa ein Fünftel, Studentinnen waren. Im darauffolgendenWintersemester 1914/15 fiel die Studieren- denzahl kriegsbedingt auf 1.712, darunter nun bereits 641 Studentinnen, etwas mehr als ein Drittel;imWintersemester 1918/19 waren an der

222 Waldinger:MyVienna University Career (1965), S. 85. 223 Vgl.hierzu und zum Vorigen die gedruckten Verzeichnisse:Öffentliche Vorle- sungen an der K.K. Universität zu Wien (1914–1918);Öffentliche Vorlesungen an der Universität zu Wien (1919–1926). 224 Briefvon Brecht an Paul Kluckhohn vom 19. November 1925;DLA Marbach, Bestand:Paul Kluckhohn. I.3. Philologie und moderate Geistesgeschichte 65

philosophischen Fakultät 2.906 Studierende, darunter 929 Frauen,in- skribiert und in Brechts letztem WienerSemester,imWintersemester 1925/26gab es fast doppelt so viele Hörer und Hörerinnen wie bei seinem Amtsantritt, nämlich insgesamt 3.857, darunter 1.147 Studentinnen, also etwas weniger als 30 Prozent.225 In den Erinnerungen der männlichen Kommilitonen waren es freilichviel mehr Frauen:„[T]he lecture room where ProfessorWalterBrecht held his lectures on historyofliterature […] was crowded, but crowded with girls“, schrieb Ernst Waldinger 1965.226 UndJózef Wittlin meinte gar,dass die männlichen Studierenden in der absoluten Minderheitgewesen wären:„DieVorlesungen von Professor Brecht, im ersten Jahr des ersten Weltkrieges, erfreutensich großerBe- liebtheit, besonders bei den Hörerinnen. Männergab es dort wenig, es ist also nichtzuverwundern,wenn diesesofort auffielen.“227 Auch wennsich zu den Studenten in den 1910er und 1920er Jahren nicht ganz so vieleStudentinnen gesellten, wie die Erinnerungen von Waldingerund Wittlin vermuten ließen, so war das Ausmaß von Brechts Betreuungspflichten doch enorm:Während Jakob Minor in 26 Jahren insgesamt 361 Dissertationen, also im Schnitt nicht ganz 14 pro Jahr,als Referent beurteilte,228 stieg die Zahl der von Brecht betreuten Promotionen in der neueren Abteilung in den 1910er und 1920er Jahren nahezu auf das Doppelte an. In zwölf Jahren begutachtete Brecht als Referent 316 Dis- sertationen,also durchschnittlich 26 pro Jahr,als Koreferent noch einmal 111 Dissertationen, also durchschnittlich neun pro Jahr.229 Dabeihandelte es sich um eine Arbeitsbelastung, die selbst seinen früheren Förderern Gustav Roetheund Edward Schröder Respekt abverlangte (auch wenn diese von einer etwas höheren Zahlausgingen). Am 4. Juni 1925schrieb SchröderanRoetheüber deren ehemaligen Schützling:„[G]rausige Ar- beitsüberhäufung!600 Dissertationenin12Jahren!“230

225 Dieangegebenen Studierendenzahlen umfassen ordentliche und außerordentliche Studierende und sind den einzelnen, semesterweisen Vorlesungsverzeichnissen entnommen, in denen sich am Ende jeweils eine „Summarische Übersicht der an der Universität Wien inskribierten ordentlichen und außerordentlichenHörer“ befindet. 226 Waldinger:MyVienna University Career (1965), S. 84. 227 Wittlin:Erinnerungen an Josef Roth(1949), S. 49. 228 Faerber:Ich bin ein Chinese (2004), S. 155. 229 DieZahlen wurden ermittelt nach UAW, Phil. Fak.,Rigorosenprotokolle 1914– 1926. 230 Brief von Schröder an Roethe vom 4. Juni 1925;zit. n. Oels:„Denkmal der schönsten Gemeinschaft“ (2007), S. 33. 66 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik

Nichtsdestotrotz engagierte sich Brecht für seine Studierenden über die Promotionhinaus und verhandelte –teilweise mit Unterstützung von Hugo von Hofmannsthal –über Jahre hinweg mit dem Wiener Verlag Kola über eine eigene Reihe, in der Dissertationen aus der Neugermanistik veröffentlicht werden sollten.231 Diese „Sammlung àlaProbefahrten“232 konnte Brecht in Wien jedoch nichtmehr realisieren. Einige der von Brecht betreuten Dissertationen erschienen aber in der Literarhistorischen Reihe des Sammelwerks Deutsche Kultur,die Brecht ab 1924 herausgab. Das Sammelwerk DeutscheKultur,das als Publikationsorgan für Angehörige der Wiener Universität diente,betreute Brecht gemeinsammit dem Historiker Alfons Dopsch, der für die Historische Reihe verantwortlich war.ImVer- lagsprospekt hieß es 1925 zum Programmder Sammlung, dass beide Publikationsreihen, obgleich jede für sich bestünde, „ein höheres Ganzes“ bildeten:„DeutscheKultur,sowohl die geistigeals die materielle, soll Forschungsgebiet wie Idealziel beider sein.“233 Ideologisch stand dieses Unterfangen durch Dopsch, der früh für den Anschluss Österreichs an Deutschland Stimmung machte234 und wie der Altgermanist Rudolf Much dem katholisch-deutschnationalen und betont antisemitischen Verein Deutsche Gemeinschaft angehörte, dem völkischen Lager nahe.235 In der von Brecht geleiteten Literaturhistorischen Reihe erschienen aber auch Disser- tationen von jüdischen Studierenden, wie die von Marianne Beyer-Fröh- lich,236 einer Wiener Studentin von Brecht und späterenMitarbeiterin des monumentalen Sammelwerks Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen,das

231 Vgl.Brief von Brecht an Paul Kluckhohn vom 2. August 1921;DLA Marbach, Bestand:PaulKluckhohn;Hofmannsthal/Brecht:Briefwechsel(2005), S. 40 (Brief von Hugo von Hofmannsthal an Brecht vom 8. Februar1922);Brief von BrechtanKluckhohn vom 16. Juli 1923;DLA Marbach, Bestand: Deutsche Vierteljahrsschrift. 232 Briefvon Brecht an Paul Kluckhohn vom 2. August 1921;DLA Marbach,Be- stand: Paul Kluckhohn. –Mit „Probefahrten“ nahm BrechtBezug auf die bereits erwähnte,ähnliche Reihe Probefahrten. Erstlingsarbeiten aus dem Deutschen Se- minar in Leipzig (1905–1930), die Albert Kösterherausgab. 233 [Anonym/Verlagsprospekt:] DeutscheKultur (1925), S. 257. 234 Vgl.Dopsch:Der Anschluß Deutsch-Österreichs an das DeutscheReich (1919). 235 Vgl.Rosar:Deutsche Gemeinschaft(1971). 236 Beyer-Fröhlich:Johann Jakob Moser in seinem Verhältnis zum Rationalismus und Pietismus (1925). Weitere von Brecht betreute Dissertationen,die in dieser Reihe erschienen, sind Rudolf Henz:Die Landschaftsdarstellungbei Jean Paul (1924); Robert Hartl:Versuch einer psychologischen Grundlegung der Dichtungsgat- tungen (1924);Franz Horch:Das Burgtheater unter Heinrich Laube und Adolf Wilbrandt (1925);Alice Tröthandl-Berghaus:Die Dramen des Martin Haynec- cius (1927). I.3. Philologie und moderate Geistesgeschichte 67

Brecht gemeinsam mit DietrichKralik und Heinz Kindermannheraus- gab.237 Vonbesonderer Bedeutung für den akademischen Betrieb und singulär im deutschsprachigen Raum war Brechts großer Erfolg bei seinem An- sinnen, ihm förderungswürdig erscheinende Dissertanten zu Akteuren in der Universitätsgermanistik zu machen. Währendsich in der älteren Ab- teilung im selben Zeitraum nur zwei Wissenschaftler habilitierten,238 war Brecht von 1914bis 1926 an nicht weniger als sechs Habilitationen be- teiligt. Auffällig ist neben der Anzahl dabei zweierlei:zum einen die un- terschiedlichen thematischen und methodischen Ausrichtungen,seiner‘ Privatdozenten, die auf Brechtsoffene wissenschaftliche Haltung zu- rückzuführen sind, zum anderen auch, dass sich unter den sechs Privat- dozenten zwei Privatdozentinnen befanden, was jedoch nicht einer explizit frauenfreundlichen Position Brechtsgeschuldetwar.Brechts Einstellung zu Frauen in der Wissenschaftwar zwar nicht grundsätzlich ablehnend wie die vieler seiner Kollegen;mit Blick auf die Begebenheiten des akademischen Betriebs, in dem die Mitarbeit von Frauen dem Prestige eines Unterfangens nicht unbedingtförderlich war,nahm er aber eine vorsichtige bis abweh- rende Haltung ein.Beispielhaft dafür ist seine Reaktion aufPaul Kluck- hohns Frage, ob sie versuchen sollten,die 1920 in Freiburg promovierte Germanistinund Dilthey-Spezialistin Sigrid Gräfin von der Schulenburg als Referentin für die Deutsche Vierteljahrsschriftfür Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte zu gewinnen. Brecht antwortete: „Gegen die Schu- lenburg habe ich garnichts, sage nur aus Erfahrung mit Bezug auf weibliche Beteiligung:Präzedenzfall zu vermeiden!Hat der ZsfdA239 ihre schroffe Männlichkeit geschadet?“240 Dass sich bei Brecht auch zwei Wissen- schaftlerinnen habilitieren konnten, war also seiner insgesamt integrativen und Unterschiede zulassenden Haltung geschuldet. Eine ,Schule‘ in dem

237 Das Sammelwerk Deutsche Literatur.Sammlungliterarischer Kunst- und Kultur- denkmaler in Entwicklungsreihen war auf insgesamt 250 Bände konzipiert und umfasste 25 verschiedene Reihen. Marianne Beyer-Fröhlich war von 1930 bis 1936 Herausgeberin der ersten neun Bände der Reihe Deutsche Selbstzeugnisse;1938 wurde sie entlassen und von Ernst Volkmann ersetzt. Brecht wurdeab1937, nachdem er in München zwangsemeritiert worden war,ebenfalls nicht mehr als Herausgebergenannt. Zu Beyer-Fröhlich vgl. die Erinnerungen ihres Sohns Martin Beyer:AWetWorld (1997). 238 und AntonPfalz. 239 Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Litteratur. 240 Brief von Brecht an Kluckhohn vom 3. bis 13. Februar 1923;DLA Marbach, Bestand:DeutscheVierteljahrsschrift. 68 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik

Sinn, dass er Nachwuchswissenschaftler um sich scharte, die methodische, thematische,habituelle und soziale Ähnlichkeitenmit ihm aufwiesen oder zumindest versuchten, sich diese Ähnlichkeiten anzueignen, hat Brecht damit nicht begründet. Seine Protegés machten –mit Ausnahme der „habilit. älteren Frau Dr.Touaillon u. Payer von Thurn“241 –trotzdem Karriere. Nach ChristineTouaillon, deren Habilitationsverfahren Brecht von seinen Grazer Kollegen übernahm und die 1921die Venia Legendi er- hielt,242 und dem hier erwähnten Bibliothekar Rudolf Payer von Thurn, der sich nur zwei Jahre vor seiner Pensionierung ebenfalls 1921 in Wien habilitierte, war Brecht noch für vier weitere Privatdozentenverantwort- lich. Unter ihnen befandensich auch (spätere) Nationalsozialisten. So habilitierte sich 1922unter der Ägide von Brecht Herbert Cysarz mit der Arbeit Deutsche Barockdichtung,die 1924auch als Buch erschien und mit der sich Cysarz in die geistesgeschichtlichausgerichteteNeube- wertung der Literatur des 17. Jahrhunderts in den 1920er Jahren ein- schrieb.243 Cysarz erhielt 1926 den Titel eines außerordentlichenProfessors in Wien, wurde 1929 als Nachfolger August Sauers nach Prag berufen und übernahm 1938 nach dessenZwangspensionierungdas Ordinariat seines Lehrers Walther Brecht in München. Cysarz, der sich stets der geistesge- schichtlich orientierten Literaturbetrachtung widmete, wurde in Prag Mitglied der Sudetendeutschen Partei und beantragte 1939die Über- nahme in die NSDAP.1945 wurde Cysarz vom Dienst enthoben und 1946 entlassen.244 1924 habilitierten sich bei Brecht Heinz Kindermann und Marianne Thalmann. Kindermannwar bereits während seiner Studienzeit in Wien ab 1915 mit der Leitung der Bibliothek des Seminars für Deutsche Philologie betraut und fungierte als studentischer Mitarbeiter von Walther Brecht.245

241 Briefvon Brecht an Kluckhohn vom 2. August 1921;DLA Marbach, Bestand: Paul Kluckhohn. 242 Zu Touaillon vgl. Kap. II. 243 Zu Cysarz’Barockdarstellungvgl. Kiesant:Die Wiederentdeckung der Barockli- teratur (1993), S. 86–87; Müller:Barockforschung (1973),S.149–160. 244 Vgl.Müller:Das Konzept einer „Gesamtwissenschaft“ bei Herbert Cysarz (2006); Bonk: DeutschePhilologie in München (1995), S. 290–321. 245 In dieser Funktion begegnete Kindermann seinen jüdischen Kommilitonen mit Ausgrenzung und Verachtung:„Der Assistent von Brecht dagegen,Dr. Heinz Kindermann,konnte Roth nicht leiden, ebenso auch uns nicht als Nicht-Ger- manen. Kaum, daß er sich herabließ, unsere Fragen zu beantworten. […] Heute, von einer so entfernten Perspektive aus gesehen, erscheint mit Dr.Kindermann als I.3. Philologie und moderate Geistesgeschichte 69

Wissenschaftlichtrat er 1918 mit einer Dissertationüber Hermann Kurz, 1924 mit seiner Habilitationsschrift J.M.R. Lenz und die Deutsche Ro- mantik und in Folge mit einer langen Reihe theaterwissenschaftlicherTexte hervor.1927, nur drei Jahre nach Erhalt der Venia Legendi, wurde Kin- dermannals Nachfolger Paul Kluckhohnsordentlicher Professorin Danzig.Nach einem Lehrstuhl in Münster übernahmer1943 die natio- nalsozialistische Gründung des ,Zentralinstituts für Theaterwissenschaft‘ an der Universität Wien.Kindermann war von 1918 bis 1926 Mitglied der Großdeutschen Partei in Österreich und trat früh, im Mai1933, der NSDAPbei. Er war ein glühender Anhänger der NS-Wissenschaft, un- terzeichnete 1933 das Bekenntnis der Professoren an den deutschen Univer- sitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler unddem nationalsozialistischen Staat,gab 1939 die ,Anschluss‘-Anthologie Heimkehr ins Reich heraus und war Lektor im ,Amt Schrifttumspflege‘des NS-Ideologen Alfred Rosen- berg. 1945wurde Kindermannentlassen, 1954 aber wieder eingestelltund bis zu seiner Emeritierung 1969 erneut mit der Leitung des Wiener In- stituts für Theaterwissenschaftbetraut.246 Marianne Thalmannhatte 1918bei Walther Brecht mit der Arbeit Probleme der Dämonie in Ludwig Tiecks Schriften promoviert, bevor sie 1923 ihre Habilitationsschrift Der Trivialroman und der romantische Ro- man vorlegte und 1924 als zweite Germanistin nach Christine Touaillon die Venia Legendi erhielt. Thalmann führte in ihren Forschungen nicht nur den wissenschaftlichen Terminus ,Trivialroman‘indie universitäre Wis- senschaft ein, sondernleistete mit ihren Studien auch einen wesentlichen Beitrag zur geistesgeschichtlich orientierten Romantikforschung in den 1920er Jahren. Während ihrer Wiener Zeitveröffentlichte sie darüber hinaus zu formalästhetischenund von der Kunstwissenschaftbeeinflussten Fragestellungen zur Gegenwartslyrik und zu HenrikIbsen.247 Außerdem verfasste sie einevitalistisch-biologistische Zeitdiagnose über das Drama des 19. und frühen 20. Jahrhundert.248 1933 erhielt Thalmann in Wien noch den Titel eines außerordentlichen Professors, im selbenJahr nahmsie

der ideale Prototyp eines Nazi. Undtatsächlich –erwurdeNazi.“ Wittlin:Er- innerungen an Josef Roth (1949), S. 52. 246 Zu Kindermann vgl. Peter:Theaterwissenschaftals Lebenswissenschaft(2009); Peter/Payr (Hg.): „Wissenschaftnach der Mode“? (2008);Kirsch:Heinz Kin- dermann –ein Wiener Germanist und Theaterwissenschaftler (1996). 247 Thalmann:Gestaltungsfragen der Lyrik (1925);dies.:Henrik Ibsen, ein Erlebnis der Deutschen (1928). 248 Thalmann:Die Anarchie im Bürgertum (1932). 70 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik aber eine Berufung ans WellesleyCollege in den USA an, wo sie bis zu ihrer Emeritierung1953 blieb.249 Der letzte Wiener Privatdozent, für dessen Habilitation Brecht ver- antwortlich zeichnete, war Franz Koch, der bereits 1912, noch kurz vor Minors Tod, bei diesem mit der Arbeit Albert Lindner als Dramatiker promoviert hatte und danach bis 1935 als Bibliothekar in der Hofbi- bliothek respektive Nationalbibliothek tätig war.Nach Publikationen über die Geschichte des Burgtheaters, über Aspekte des Bibliothekswesens, über Goethe und Schiller habilitiertesich Koch 1926 mit seiner Studie Goethe und Plotin und war fortan (nebenberuflich) als Lehrbeauftragter am Se- minar für Deutsche Philologie tätig. 1932 erhielt Koch den Titel eines außerordentlichen Professors, 1935wurde er als Nachfolger Gerhard Frickes an die Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin berufen. Koch war wie Kindermann Mitglied der Großdeutschen Partei in Österreich und ab 1937 Mitglied der NSDAP. Während des Nationalsozialismus trat Koch außerdem als Hauptlektordes ,Amtes Schrifttumspflege‘ für das Fachge- biet Neuere Literatur und Geistesgeschichte, als Leiter des Wissenschaftli- chen Einsatzes Deutscher Germanistik im Kriege und als Mitglied im Sachverständigenbeirat des sogenannten Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands hervor.Koch wurde 1945 entlassen, bereits 1949 aber rehabilitiert.250 Walther Brecht litt Zeit seiner Wiener Professur,besonders nach Zu- sammenbruchder Monarchie unter materiellen Schwierigkeiten. Die Besoldung eines ordentlichen Universitätsprofessors in Österreich, der nicht auf ein Familienvermögenzurückgreifen konnte, reichte vor allem in Wien in den 1920er Jahren nichtaus, um ein dem Bildungsbürgertum angemessenen Lebensstil zu führen. 1918 musste Brecht seine Kinder in einem Sanatorium in Königsfeld in Baden unterbringen, da zu wenig Essen verfügbar war.251 Als Hofmannsthal von der finanziellen Lage der Brechts erfuhr,begann er,mit Kleidernund Lebensmitteln auszuhelfen.252 1921

249 Zu Thalmann vgl. Kap. III. 250 Zu Koch und den genannten Institutionen vgl. Höppner:Wissenschaftund Macht (2010);ders.:Ein „verantwortungsbewußter Mittler“ (1998). 251 Oels: „Denkmal der schönsten Gemeinschaft“ (2007), S. 34–35. 252 Vgl.Erika Brecht: Erinnerungen an Hugo von Hofmannsthal (1946), S. 60–62: „Da kam dieser [Hofmannsthal, E.G.] einmal an einem grauen Novembernach- mittag […] und bat mich um eine Erklärung. […] So blieb mir denn nichts übrig, als auf die immer eindringlicheren Fragen endlich auch unsere ewige, jahrelange Geldnot zu erwähnen, die mit dem Heranwachsen der Kindernaturgemäß auch immer größer wurde. Als ich Zahlen nannte, fiel unser Freund fast vom Stuhl!Die I.3. Philologie und moderate Geistesgeschichte 71

erhielt Brecht einen Rufandie UniversitätFrankfurt am Main, den er für Bleibeverhandlungen mit dem österreichischen Unterrichtsministerium nutzte. Das Ministerium bewilligte ihm daraufhin die „systemisierten Höchstbezüge“ und eine jährliche Personalzulage von 20.000 Kronen,253 was insgesamtein Jahresgehalt von 399.725 Kronen ergab.254 Trotzdem versuchte Brechtwegzukommen.Neben den Sachzwängen war vor allem die immense Arbeitsbelastung dafür verantwortlich. Am 19. November 1925 schrieb er an Paul Kluckhohn: Es ist ein schneidend schmerzhafter Zirkel:ich bleibe in Wien, weil ich an- geblichnichts produziere, und weil ich in Wien bleibe […] und Arbeiten von Anderenbegutachten muß, veröffentlichen Andere, Schüler,meineIdeen und werden bekannt und geschätzt dafür und kommen auf Grund meiner Ideen nach Deutschland womöglich.255 Brecht beklagte sich in seinen Briefen an Kluckhohn durchgehend darüber, dass er zu viel zu tun hätte. Mitte der 1920er Jahre kamen darüber hinaus Beschwerden über ,seine‘ Privatdozenten hinzu, denenerdie Verwertung seines „geistige[n] Eigentum[s]“256 vorwarf. Dass Brecht ein relativ schmales Oeuvre aufwies, verringerte nicht nur seine Chancen auf eine Professur,sondern wurde auch noch posthum

,Absurdität‘ war ihm klar geworden, und nun wurdeerganz unglücklich:,Aber das habe ichjanicht geahnt, daß es Euch so schlecht geht!Inder Stellung!Wer soll denn darauf kommen?[…].‘ […] Wie es einem ,Festbesoldeten‘ auch in glän- zender Stellung im Wien der Nachkriegszeit eigentlich erging, das war ihm un- vorstellbar.Abernun begriff er es auf einmal und handelte danach. […] Zu Weihnachten [1925, E.G.] erschien ein Korb mit Eßwaren […].Dazu aber auch ein Haufen Bücher […].[…] Als ich das nächste MalinRodaun war,wurdeich von Gerty [Hofmannsthals Ehefrau, E.G.] schüchterngefragt, ob ich wohl von abgelegtenSachen der Hofmannsthalschen Kinder […] etwas brauchen könnte. […][I]ch wählte begeistert unter Bergen von Bubenmänteln, Jacken,Mützen, Mädchenkleidern und Schuhen aus, was ich brauchen konnte, und es blieb nicht viel übrig.“ 253 Brief des Bundesministeriums für Inneres und Unterricht an das Dekanat der philosophischen Fakultät der Universität Wien vom 22. Oktober 1921;UAW, Phil. Fak.,PA1113 Walther Brecht. –Der Ausdruck ,systemisiert‘ meint in der österreichischenAmtssprache so viel wie ,von der Behörde/dem System genehmigt/ zugelassen‘. 254 ÖStA, AVA, Unterricht allgemein, Universität Wien, Philosophie Professoren, PA Walther Brecht. 255 Brief von BrechtanKluckhohn vom 19. November 1925;DLA Marbach, Be- stand:Paul Kluckhohn. 256 Brief von BrechtanKluckhohn vom 19. November 1925;DLA Marbach, Be- stand:Paul Kluckhohn. 72 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik beanstandet. In den Nachrufen hieß es entweder verständnisvoll von sei- nem langjährigen Freund Carl von Kraus, dass ihn „[d]ie Fülle der an ihn herandrängendensonstigen Pflichten […] zu[r] Verwirklichung seiner Pläne nichtkommen“257 ließ, oder süffisantvon Josef Nadler,dass man „das OpferanZeit und Arbeit, das ihm all [seine] Unternehmungen auferlegten, […] mitwiegen[müsse],wenn man gegenüber dem äußeren Umfang seines wissenschaftlichenLebenswerkes gerecht sein will, wie man es muß“258. 1925 erreichte Brecht nach Rudolf Unger nur den zweiten Platz in Göttingen,259 zum Wintersemester 1926/27 wurde er jedoch Ungers Nachfolger in Breslau. Dieweit weniger renommierte Professur in Breslau zog Brecht dem Wiener Ordinariat vor.AnCarl von Kraus schrieber diesbezüglichimOktober 1926: Mir wird es furchtbar schwer,jetzt von Wien wegzugehn, und von Österreich, wo ich so vieles Unersetzliche zurücklasse, und eine Wirksamkeit aufzugeben, wie sie wohl nur wenigen beschiedenist. Ihre Früchte sind immer mehr in Erscheinung getreten, und wenn es äußererZeichen bedurft hätte, hätten die einfachen, herzlichen und mich herzlich beglückenden Kundgebungen von Schülern aus allen Generationen,und auch Kollegen, 1924und jetzt im Abschiedssemester,auch einige Abschiedsartikel in Zeitungen, mich darüber belehrenkönnen. Diese ganzeTätigkeit ruhte auf Ihnen, nicht nur weil Sie mich ins Land gerufen haben. Ich gebe sie auf und gehe im vollen Bewußtsein eines gefährlichen Ex- periments in eine nüchterne Gegend,eine glanzlose Stadt und an eine rel[ativ] enge Hochschule, weil die für mich selbst verbleibende Zeit, großenteils ge- rade infolge der steigenden Wirkung[,] die von der Lehrkanzel ausgeht[,] immer geringer wird und die vorwiegend mündliche Tätigkeit mich, gelinde gesagt, immer weniger befriedigt. Es ist sehr möglich, daß ich nach dengroßen Auditorien, an die ich jetzt so selbstverständlich gewöhnt bin, u. vor allem nach der herrlichen Aufnahmsfähigkeit der österreichischen Studenten, sowie nach der Atmosphäre desdeutschen Südensdas größte Heimweh empfinden werde, aber das darf keine Rolle spielen gegenüber der erkannten geistigen und sittlichenNotwendigkeit. Ich versuche, mirgar keine Illusionen zu machen über Breslau, es müßte auch nicht gerade Br.sein, es ist nur der sich gerade bietende Ort von der Art[,] daß ich hoffen kann[,] mich nicht ganz in dem Maß derletzten Jahre denAnforderungen Anderer, so vieler Dissertanten, der 6Privatdozenten, des Volksbildungsamtes, Bundesverlages pp. hingeben zu müssen.Inall solchen Dingen habe ich reichlich soviel zu thun gehabt als

257 Kraus:Walther Brecht[Nekrolog] (1950), S. 184. 258 Nadler:Walther Brecht[Nekrolog] (1951), S. 382–383. 259 Roethe/Schröder:Regesten zum Briefwechsel (2000), Bd. 2, S. 870 (Brief von Edward SchröderanGustav Roethe vom 25. September 1925). I.3. Philologie und moderate Geistesgeschichte 73

beispielsweise Petersen,260 der diesen Sommer 5Dissertanten hatte, und die Technik des Urlaubnehmens war für mich schon aus pekun. Gründen hier nicht möglich.[…] Die Zukunftsfrage für mich ist die, ob und wie rasch es mir gelingen wird, an anderem Orte, unter Verhältnissen die namentlichinmaterieller Hinsicht leichter,aber mirauch fremdgeworden sein werden, den nicht ausgemünzten Rohertrag diesermeiner innerlich produktivsten u. reichsten Jahre wenigstens teilweise in Buchform zu bringen. Hoffentlich bin ich nicht mittlerweile so an die Rieseneditionen und das Mitwirken an allen Kulturdingen (notgedrun- gen!) gewöhnt, daß es mir schwer fällt,darauf zu verzichten. Hypertrophauf der einen Seite, muß ich die andere damitwieder in Übereinstimmung bringen. Lehrer u. fertigstellender Forscher gleichmäßig ist das Gottgewollte, das ich wieder erreichen muß,womöglich aufrecht günstigem Boden, wenn nicht, auf kargem.261 Lange blieb Brecht jedochnicht in Breslau. Mit1.Oktober 1927 wechselte er nach München, wohin er nach kompliziertenAuseinandersetzungenum die Nachfolge des durch den TodFranz Munckersvakant gewordenen Lehrstuhls unter maßgeblicherSchützenhilfe von Carlvon Kraus und Hugo von Hofmannsthal berufen wurde.262 Damit war für Brecht scheinbar die ideale Wirkungsstätte gefunden,daer, wie er Kraus im März 1927 erfreut mitteilte, mit der Münchner Professur sowohl seinen „Wunsch[ ], den übergroß gewordenen Wiener Wirkungskreis […] zu verkleinern“,erfüllt sah als auch „in dem [ihm] lieb und vertraut gewor- denem bairisch-österreichischen Milieu“ wirken konnte.263 Tatsächlich hielt sich das Ausmaß der Arbeitsbelastung in München im Vergleich zu demjenigen in Wien in Grenzen. Innerhalb von zehn Jahren hatte Brecht ,nur‘ 52 Dissertationenzubegutachten,durchschnittlich demnach fünf pro Jahr,also nichteinmal ein Fünftel so viele wie in Wien. Mitinsgesamt zwei Habilitationen264 waren auch die Betreuungspflichten Privatdozenten gegenüber nichtallzu groß.265

260 Der Germanist Julius Petersen (1848–1941) war seit 1920 der Nachfolger von Erich Schmidt an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin.ZuPetersen vgl. Boden:Julius Petersen (1994). 261 Brief von Brecht an Kraus vom 4. und 24. Oktober 1926;BSB München, Nachlass Carlvon Kraus, Krausiana I. 262 Vgl. Osterkamp:„Verschmelzung der kritischen und der dichterischen Sphäre“ (1989). 263 Brief von Brecht an Kraus vom 9. März 1927;BSB München, Nachlass Carl von Kraus, Krausiana I. 264 Walther Rehm und Johannes Alt. 265 Zur Anzahl der von Brechtbetreuten Münchner Dissertationen und Habilita- tionen vgl. Bonk:Deutsche Philologie in München (1995), S. 244–245. 74 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik

Mitdem Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 wurde Brechts Lage jedoch zusehendsschwieriger.Bereits1934 versuchte die Hoch- schulkommission der NSDAP Brecht, den sie als „untragbar und nicht mehr dienstfähig“266 bezeichnete, von seiner Professur zu entfernen. Endgültig in den zwangsweisen Ruhestand versetzt wurde Brecht im Juli 1937 aufgrund des ,Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamten- tums‘ wegen „nichtarischerEhefrau“.267 Brecht blieb mit seiner Frau währendder Zeit des Nationalsozialismus in München, wo er am 1. Juni 1950 starb. In Wien hatte Brecht in den 1910er und 1920er Jahren den Übergang zur Massenuniversität geleitet und dafür gesorgt, dass die methodische Ausweitung und Differenzierung des Fachs nicht zu einer zum Stillstand führenden Machtdemonstration widerstreitenderAkteure wurden, indem er sich, wie selbst Nadler in seinem Nachruf zugeben musste, „aus den völlig unergiebigen,Richtungskämpfen‘ nach 1918 herausgehalten“268 hatte. Brecht trat nicht durch ein ausgeprägtes eigenes wissenschaftliches Profil hervor;erschlug sich weder auf die Seite der Wissenschaftler,die die ,alte‘ philologische Ausrichtung vertraten,noch auf die Seite derer,die eine unbedingt geistesgeschichtliche Neuorientierung des Fachs propagierten. Vielmehr vereinte er eine „philologische undgleichzeitigmoderat geistes- geschichtliche Ausrichtung“269 :Erbetrieb Quellenstudien, biographische Forschungen und Textkritik, war aber an keiner der großen Autorenedi- tionen beteiligt und lieferte keine reinenMaterialsammlungen. Zugleich war Brecht vom ersten Heftaneiner der Mitherausgeber der von Paul Kluckhohn und Erich Rothacker geleiteten Deutschen Vierteljahrsschriftfür Literaturwissenschaftund Geistesgeschichte,270 in der,wie es zielsetzend im Eröffnungsband heißt,„[n]eben der geistesgeschichtlichen Richtung, vornehmlich Diltheyscher Schule, […] besonders die form- und stilana- lytische gepflegt werden“271 sollte. Für die Literaturgeschichte als reine Geistesgeschichte interessierte sich Brecht aber,wie Cysarz in Bezug auf

266 Aktennotiz vom 31. Oktober 1934 (ReferentDr. v. Kloeber); zit. n. Bonk: Deutsche Philologie in München (1995), S. 82. 267 UAM, PA Walther Brecht;zit. n. Oels:„Denkmal der schönsten Gemeinschaft“ (2007), S. 80. Zu Brechts Amtsenthebung vgl. auch Bonk:Deutsche Philologie in München (1995), S. 81–83. 268 Nadler:Walther Brecht[Nekrolog] (1951),S.381. 269 Oels: „Denkmal der schönsten Gemeinschaft“ (2007), S. 30. 270 Brechterscheint von 1923 bis 1936 auf dem Titelblatt der Zeitschrift. 271 [Kluckhohn/Rothacker:] Vorwort [zum ersten Heftder Deutschen Vierteljahrs- schrift](1923),S.VI. I.3. Philologie und moderate Geistesgeschichte 75

seine programmatische Schrift Literaturgeschichte als Geisteswissenschaft von 1926 bemerkte, „mehr rezeptiv als aktiv;sie erschien ihm zukunftshaltig, ohne daß er die Neugermanistik mit den neuenSichtenidentifiziert wissen wollte“272.Über zeitgenössische Bemühungen, allein den Kunstwerkcha- rakter von Literatur zum Gegenstandder Forschung zu machen,schrieb Brecht 1924 an Kluckhohn: „Die meisten Kollegen sind teils modern verrannt, teils altmodischverstockt, ich traue Wenigen ein wirklich künstlerisches Urteil zu (am wenigsten dem instinktlosen Walzel, über dessen ästhetische Bemühungen man manchmal lächeln sieht, u. nicht ganz mit Unrecht).“273 Brecht selbst nahm zumeist eine Zwischenposition ein. In seinen Beiträgen über Hugo von Hofmannsthal bemühte er sich,sowohl litera- rischen als auch wissenschaftlichen Erkenntnisansprüchen zu genügen;in seinem Buch Conrad Ferdinand Meyerund das Kunstwerk seinerGedicht- sammlung von 1918 versuchte er,ausgedehnte Quellenstudien und Ma- terialsammlungen (denenzeitgenössisch zumeist ein Mangel an Synthese vorgeworfen wurde) anhand seiner These vom besonderen Bedeutungs- zuwachseiner Gedichtsammlung durch deren Struktur und Komposition zu einer, das gesammelteMaterial vereinigenden Erzählung zu verbinden. MitBlick auf die wissenschaftsinternen Auseinandersetzungen und die Verfasstheit des Fachs Deutsche Philologie im ersten Drittel des 20. Jahr- hunderts lässt sich Brecht als Übergangs- und Integrationsfigur begreifen. Besonderen Nachruhm oder Einfluss auf die Wissenschaftsgeschichte der Germanistik bescherte ihm diese Haltung nicht.274 Für die WienerGer- manistik lässt sich aber feststellen, dass bis zur Bildungsexpansioninden 1970er Jahren nicht mehr so viele und vor allem nichtsounterschiedliche Wissenschaftler innerhalb so kurzer Zeit in der neueren Abteilung habi- litiert wurden und dass darüber hinaus nie wieder zwei oder mehr Pri- vatdozentinnen der Neueren deutschen Literaturwissenschaftgleichzeitig am Institut tätig waren.

272 Cysarz:Vielfelderwirtschaft(1976), S. 37. 273 Brief von Brecht an Kluckhohnvom Ostermontag 1924;DLA Marbach, Bestand: Deutsche Vierteljahrsschrift. 274 So stellte David Oels fest, dass die „Erklärung“, warum über Brecht „in Anbetracht seines schmalen und eher unbedeutenden wissenschaftlichen Werkes“ überhaupt geforscht wird, allein in seiner „Freundschaftmit Hugo von Hofmannsthal“ zu finden sei.Oels:„…dennunsere Berufe sind doch so ineinander verhäkelt“ (2007), S. 50. 76 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik I.4. Paul Kluckhohn, Josef Nadler und das Ende der Privatdozenten

Nachdem Walther Brecht erfahren hatte, dass er für die Breslauer Professur in Betracht kam, traf er umgehendVorbereitungen, seinen langjährigen Freund und Korrespondenzpartner Paul Kluckhohnals seinen Nachfolger auf der Wiener Lehrkanzel in Stellung zu bringen. Bereits am 31.Jänner 1926, nach Brechts Erstreihung durch die philosophische Fakultät in Breslau, aber noch bevorder definitive Rufdes preußischen Ministeriums an ihn ergangen war, schrieb er Kluckhohn:„[I]ch [werde] alles thun was in meinen Kräften steht, um dich hierher zu bringen.“275 Dass der scheidende Ordinarius seinen Nachfolgerselbst bestimmen wollte, hatte an der Wiener Germanistik Tradition.276 Bei der Nachfolge Brechts entsprach diese Vorgehensweise aber nicht mehr dem bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts bewährten Muster ,Österreicher –Schüler des Vorgängers –Katholik‘. Vielmehr waren Brechts erfolgreiche Bemühungen um Kluckhohnzum einen ein erneutes Beispiel seiner wissenschaftliche Haltung, die auf den Ausgleich widerstreitenderfachlicher Bestrebungen zielte, zum anderen zeigen sie aber auch die zunehmende Politisierung innerhalb der Wiener Professorenschaft, die fast ausschließlich nach rechts erfolgte.277 Eine der ersten Anstrengungen, die Brecht in dieser Nachfolgeange- legenheit unternahm, zielte auch gerade darauf ab,seine Professorenkol- legen an der philosophischen Fakultät vonder ,politischen Zuverlässigkeit‘ seines Kandidaten,d.h.von dessen ,deutscher Haltung‘ zu überzeugen. Welches Selbstverständnis und welche Feindbilder die durchweg antise- mitisch, antidemokratisch, antisozialistisch und reaktionär gesinnte Wie- ner ProfessorenschaftbereitsMitte der 1920er Jahre kreierte, wird aus einem Brief Brechts an Kluckhohn deutlich, in dem dieser im Frühjahr 1926 über eine von ihm organisierte konspirative Sitzung berichtete: In einer langdauernden inoffiziellenBesprechung dermir nahestehenden nationalen Kollegen (die z.T. durch das Überhandnehmenkosmopolit.-jü- dischen internation. Pazifismuserschreckt sind), Dopsch, Much,Srbik, Luick, Kralik,Pfalz, wurde, nachdem m. Vorschläge gutgeheißen, derSicherheit wegen verabredet, von dir,dem man höchst geneigt ist an 1. Stelle vorzu- schlagen, eine Äußerung zu erbitten, aus der hervorgeht, daß du nicht mitden

275 Briefvon Brecht an Kluckhohn vom 31. Jänner 1926;DLA Marbach,Bestand: Paul Kluckhohn. 276 Vgl.Kap. I.1. 277 Vgl.dazu Meissl:Germanistik in Österreich (1981); Taschwer:Hochburg des Antisemitismus(2015). I.4. Paul Kluckhohn, Josef Nadler und das Ende der Privatdozenten 77

Vertretern jener Weltanschauung konform denkst u. demjüdisch-sozialde- mokratischen Geistentgegen bist, wie er auch bei uns in gewissen Fakul- tätsgruppen hervortritt. Manwill natürlich vor undeutschen Überraschungen gesichert sein, hier in Wien äußerst begreiflich. Ich habe gesagt, du hättest mir die erforderl. Garantien schriftlich u. bes. mündlich gegeben, sie möchten aber gern eine nochmalige schriftl.Äußerung von dir,wegen der anderen, nämlich der Heißsporne in der eignen Partei. Kralik hat sich erboten, dir einen Brief zu schreiben, untermeiner u. aller Anwesenden Zustimmung, diesen Brief wirst du demnächst erhalten. Du kannstruhig und ohne Bedenkenvor Gewissenszwang antworten u. mit wenigen Worten auf deine natürliche nationale Weltanschauunghinweisen. Es ist hier ebenein heißer Boden in Staat, Stadt, Univers, Kultur,u.die Kollegen, nach schlechten Erfahrgn gerade mitreichsdtschen Professoren derletzten Jahre, wollen gern sicher gehen, daß keiner kommt, der,wie Minor,einen demokrat.-jüd. Priv.dozentennach dem andern macht oder für marxist. Schulreform, Universitätsbolschewisierung (allen Ernstes!) stimmt, sondern die Lage Wiens im gefährdeten Südosten erkennt u. e. gewissen Kulturkon- servatismuseinhälst [!], wie ich. Dies zur Orientierung!278 Nachdem der Altgermanist Dietrich Kralik die von Brecht angekündigten brieflichen Bestätigungenfür KluckhohnsWeltanschauung eingeholt hatte,279 bedurfte es nur mehr einereinzigenoffiziellen Sitzung der Be- rufungskommission,umKluckhohn einstimmig an erster Stelle dem Professorenkollegiumvorzuschlagen.280 Im Bericht an das Ministerium, den Brecht als Referent am 5. Juni 1926 verfasste, war von den politischen Vorsondierungen freilichkeineRedemehr.Dass im Ministerium eine deutschfreundliche und der Eigenständigkeit Österreichsnicht unbedingt wohlgesonnene Haltung vorherrschte, lässt sich aus Brechts –imVergleich zu den inoffiziellen Besprechungen –eher dezent gehaltenen Formulie- rungen trotzdem schließen. So wurde gleich zu Beginndes Berichts fest- gehalten, dass für die Wiener Professur nur ein „Gelehrter“ in Frage

278 Brief von BrechtanKluckhohn, o.D. [Frühjahr 1926];DLA Marbach, Bestand: Paul Kluckhohn. –Von den genannten „nationalen Kollegen“ gehörten zumindest der Historiker Heinrich Srbik sowie die Germanisten Dietrich Kralik, Rudolf Much und Anton Pfalz einem an der philosophischen Fakultät einflussreichen antisemitischen Netzwerk an, außerdem waren sie, wie auchder Historiker Alfons Dopsch, Mitglieder der deutschnationalen und antisemitischenVereinigung DeutscheGemeinschaft. Vgl. Taschwer:Hochburg desAntisemitismus (2015), S. 99–132;Rosar:Deutsche Gemeinschaft(1971). 279 Vgl. die Briefe von Dietrich Kralik an Paul Kluckhohn von 1926;DLA Marbach, Bestand:Paul Kluckhohn 68.812/1–4. 280 Sitzungsprotokoll der Kommission zur Beratung über die Wiederbesetzung der Lehrkanzel für deutsche Sprache und Literatur nach Professor Dr.Walther Brecht vom 21. Mai1926;UAW,Phil. Fak.,PA2216 Paul Kluckhohn. 78 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik komme, der zwar „innerhalb Österreichs Bescheid“wisse und der „Ver- ständnis […] für die besondereSendung Österreichs“ habe, der aber vor allem „über dessen jetzige Grenzen hinausgehen“ könne, also „wie ein Gesandter der übrigen Deutschen bei diesem deutschen Stamme zu wirken im Stande“ sei.281 Neben der politischen Ausrichtung ging Brecht auf die vom ihm ge- wünschte innerfachliche Positionierung seines potentiellen Nachfolgers ein. Dabei verfolgte Brecht seiner eigenen Auffassung entsprechend das Konzept einer diplomatischen und konsensfähigen Wissenschaftsan- schauung. So sollte sein Nachfolgerkein „Anhänger extremster Richtun- gen“ sein, sondern noch unausgegorenen extremen Lehrmeinungen fernstehend, von dem soli- den Boden philologischer und historischer Auffassung und Ausbildung aus- gehend,womöglich auch den Methoden der Altgermanistik nicht fremd, im Stande [sein],das Berechtigte und Unberechtigte gegenwärtig lebendiger Strömungen mitreifem Urteilzuscheidenund nur dasjenige, wasseiner ruhigen Prüfung standgehalten hat, aufzunehmen und so zu einer wissen- schaftlichhaltbaren Synthese historischer und begrifflicher Art zu gelangen.282 Als „zweifellos hervorragendst geeignete Persönlichkeit“, die sowohl poli- tisch als auch aufgrund ihrer Wissenschaftsauffassung allen Anforderungen gerecht würde, wurde Paul Kluckhohn präsentiert, da er sich ebenso durch „[s]eine gesamtdeutsche Einstellung“ auszeichnewie durch „seine Ver- bindungvon Philologie und Geistesgeschichte,von neuerer mit alter Germanistik“ und durch „seine vernünftige mittlere Haltung in den ge- genwärtigen Kämpfen innerhalb der Disziplin“. Diebeiden Wiener Anwärter auf die Professur EduardCastle und Robert Franz Arnold fertigte Brecht nebenbei ab (zu „enge[ ]Spezialisten“). Ähnliches widerfuhrden beiden gefährlichsten Konkurrenten Kluckhohns

281 Bericht der Kommission betreffend der Wiederbesetzung der Lehrkanzel für deutsche Sprache und Literatur nachProfessor Brecht vom 5. Juni 1926 (Ab- schrift);UAW,Phil. Fak.,PA2216 Paul Kluckhohn. –Politische Interessen spielten bei Wiener Lehrstuhlbesetzungen auch schon im letztenDrittel des 19. Jahrhunderts eine Rolle. Nurwar man bei diesen im Gegensatz zu den 1920er Jahren noch daran interessiert, niemanden zu berufen, der „in intime[r] Verbin- dungmit den hiesigen ,deutschnationalen‘Burschenschaften“ stand bzw.ein „politische[r] Gesinnungsverwandte[r]“ Scherers war.Vgl. Scherer/Schmidt: Briefwechsel (1963), S. 155–157. 282 Bericht der Kommission betreffend der Wiederbesetzung der Lehrkanzel für deutsche Sprache und Literatur nachProfessor Brecht vom 5. Juni 1926 (Ab- schrift);UAW,Phil. Fak.,PA2216 Paul Kluckhohn. I.4. Paul Kluckhohn, Josef Nadler und das Ende der Privatdozenten 79

Julius Petersen283 und Josef Nadler:„[A]uf den hervorragenden Vertreter des Faches in Berlin (Petersen)“ müsse, laut Brecht,von vornherein„ver- zichtet werden“, „um nicht unnötigen Zeitverlust durch finanziell aus- sichtslose Verhandlungen entstehen zu lassen“. Nadlers Name kam in dem Bericht erstgar nicht vor;ineinem einzigen Satz wurde aberauch er aus der Anwärterliste gestrichen: Die stammeskundlicheRichtung innerhalb der deutschen Literarhistorie er- scheintdem Referenten, wie den nahestehenden Fachgenossen, in ihren wissenschaftlichenGrundlagen nicht gefestigtgenug, um sie an so verant- wortungsvoller Stelle als die hier wünschenswerteste zu empfehlen.284 Dass Kluckhohnnachdiesemvon Brecht moderiertenSchnellverfahrendas Wiener Ordinariat trotzdem erst zumSommersemester1927und nicht, wie geplant, zumvorhergehendenWintersemesterantrat, warkeinenEinsprü- chen durchKollegenoderdas Ministeriumgeschuldet, sonderneinem Ministerwechsel, derdie Erledigung derAmtsgeschäfte verzögerte.285 Paul Kluckhohnwar zum Zeitpunkt seiner Berufung nach Wien or- dentlicher Professor an der Technischen Hochschule Danzig. Er hatte davor in Heidelberg, München, Göttingen und Berlin Germanistik, Ge- schichteund Klassische Philologie studiert, 1909 mit der historischen Arbeit Die Ministerialität in Südostdeutschland vom 10. bis zum Ende des 13. Jahrhunderts bei KarlBrandiinGöttingen promoviert und sich im November 1913 in Münster für das Gesamtfach der Deutschen Philologie habilitiert. Diedafür eingereichte Arbeit Die Auffassung der Liebe in der Literatur des 18. Jahrhunderts und in der deutschen Romantik konnte kriegsbedingt erst1922 erscheinen, erfuhraber bereits 1931 eine zweite Auflage und etablierte zusammen mit der 1923 erfolgten Gründung der Deutschen Vierteljahrsschriftfür Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Kluckhohns Rufals ebenso geistesgeschichtlich wie auch philologisch versiertem Forscher.Inden Nachrufen wurde geradeauch darauf hinge- wiesen, dass Kluckhohn nicht nur als „Hauptvertreterder sogenannten geistesgeschichtlichen Richtung“ zu sehen sei, sondernauch als „sorgfäl- tige[r] und wohlgeschulte[r] Philologe[]“,286 dass ihn mithin „Offenheit

283 Zu Petersen vgl. Boden:Julius Petersen (1994). 284 Alle Zitate:Bericht der Kommission betreffend der Wiederbesetzung der Lehr- kanzel für deutsche Sprache und Literatur nach Professor Brecht vom 5. Juni 1926 (Abschrift);UAW,Phil. Fak.,PA2216 Paul Kluckhohn. 285 Briefevon Brecht an Kluckhohn vom 29. Juni und 3. Juli 1926;DLA Marbach, Bestand:Paul Kluckhohn. 286 Meister:Paul Kluckhohn [Nachruf](1961), S. 360–361. 80 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik für jede begründeteMeinung und Methode“287 auszeichnete.288 In Wien übernahm Kluckhohn neben dem Altgermanisten Dietrich Kralik sogleich die Leitung des Seminars für DeutschePhilologie,289 gab ab 1928 die erste historisch-kritische -Ausgabe heraus und war ab 1931 im Rahmen des Sammelwerks Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen für elf Bände der Reihe Romantik als Herausgeber verantwortlich.290 In der Lehre kon- zentrierte sich Kluckhohn auf die Literatur der deutschen Romantik, er las aber auch über das Drama des 17. und 18. Jahrhunderts,über die Ge- schichte des Romans vom 16. bis zum 19. Jahrhundert und über Ge- genwartsliteratur.291 Kluckhohns Amtszeit fiel in eine Phase massiver nationalsozialistisch, antisozialistisch und antisemitisch bedingter Studierendenunruhen in Wien, in denen Hakenkreuz- und Heimwehr-Studierende ihre sozialisti- schen und jüdischenKommilitonen und Kommilitoninnen verfolgten, verprügelten und aus dem Universitätsgebäude vertrieben.292 Wie eng die Verbindung zwischen Studierenden und Lehrenden aus dem völkisch- deutschnationalen Lager war,offenbartesich spätestens, als der damalige Rektor der Wiener Universität Wenzel Gleispach 1930 eine neue Stu- dentenordnung erließ. Darin wurden die Studierenden –unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft–nach ihrer „Volkszugehörigkeit“ bzw.„Ab- stammung“ in die „DeutscheStudentenschaft“ und die „gemischte Stu-

287 Binder:Paul Kluckhohn [Nachruf](1958),S.224. 288 Zu Kluckhohns Bedeutung für die zeitgenössische Romantikforschung vgl. Klausnitzer:Blaue Blume unterm Hackenkreuz (1999);zuKonzept und Ge- schichte der Deutschen Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaftund Geistesge- schichte vgl. Rothacker:Rückblickund Besinnung (1956);Dainat/Kolk:Das Forum der Geistesgeschichte (1995). 289 Ernennungsdekret des Bundesministeriums für Unterricht für Paul Kluckhohn vom 25. November 1926;UAW,Phil. Fak.,PA2216 Paul Kluckhohn. 290 Das waren:Lebenskunst (1931); Weltanschauung der Frühromantik (1932); Frühromantische Erzählungen 1(1933);Frühromantische Erzählungen 2(1933); Deutsche Vergangenheit und deutscher Staat (1935);Dramen der Frühromantik (1936);Vorbereitung (1937);Dramen von ZachariasWerner (1937);Dramen von und Achim von Arnim (1938);Dramen von Achim von Arnim und Joseph von Eichendorff(1938);Lustspiele (1938);Charakteristiken (1950). 291 Vgl.Öffentliche Vorlesungen an der Universität zu Wien (1927–1931). 292 Zur Studierendengeschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundertsvgl. Speiser: Diesozialistischen Studenten Wiens (1986);Lichtenberger-Fenz:„…deutscher Abstammung und Muttersprache“ (1990);Zoitl:„Studentkommt von Studie- ren!“ (1992);Posch/Ingrisch/Dressel:„Anschluß“ und Ausschluss (2008); Gra- benweger:Literatur –Politik–Universität [erscheint 2016]. I.4. Paul Kluckhohn, Josef Nadler und das Ende der Privatdozenten 81 dentenschaft“ unterteilt.293 Dabei handelte es sich um die Herstellung von „Zwangsgemeinschaften“294 nach völkisch-rassischen Gesichtspunkten, mithin um die Einteilung der Studierenden in ,arisch‘ und ,nichtarisch‘.295 Wie aus den Erinnerungender damaligenGermanistikstudentinund späterenDeutschlehrerin Minna Lachs hervorgeht, war auch Kluckhohns Verhalten gegenüber Studierenden nicht frei von antisemitischenoder zumindest antipolnischen Ressentiments; gleichzeitig verweigerte er aber den Schlägertruppen der deutschnationalenStudentenschaftseine Un- terstützung: Ich war im 3. Semester [Wintersemester 1928/29, E.G.],als ich mich bei Prof. Kluckhohn zu einem Kolloquium anmeldete. Er hielt die Prüfungenin Dreiergruppen ab und gestattete Studierenden zuzuhören. Ich war in einer Gruppe mit zweiahnungslosen Studenten, die sichanscheinend auf ihre Schmisse verlassenhatten. Der eine schüttelte bei derersten Frage den Kopf und tat den Mund fast nicht auf, und die Frage ging an den zweiten Prüfling über,der Unzusammenhängendes murmelte, und die Frage landete bei mir, ich beantwortete sie richtig und ausführlich. Das ging so eine Weile, bis sich der Professor erhob. Wir folgtenihm alledrei, von Freunden begleitet, zum Dekanat, um die Zeugnisse entgegenzunehmen. Die beiden Burschenhatten ein „Gut“,und ich war nur gerade durchgekommen. „Das muß ein Irrtum sein“, sagtendie beiden Kollegen, „wir warten mit Ihnen, bis derHerr Pro- fessor herauskommt und Sie ihn gleich fragenkönnen.“ Nach einigem Sträuben gab ich nach.Ich hielt Prof. Kluckhohn mein Zeugnishin und sagte: „Ich habe doch alle Fragen beantwortet, Herr Professor,ist dies nicht ein Irrtum?“Erantwortete nicht und ging hoch erhobenen Hauptes an mir vorbei,als ob ich Luftwäre. Die umstehenden waren betroffen, aber ich nicht, denn ich wußte, was es bedeutete, im Meldebuch, in der Spalte Geburtsort, „Trembowla, Polen“ stehen zu haben. Jeden Samstaghatten die deutsch-nationalen Studentender schlagenden Verbindungen ihrenKorso in den Wandelgängen der Universität. Anschlie- ßend stürmten sie die Hörsäle mit dem Ruf:„Juden raus!“ Ich wußte von keinem Professor,der sich ihnen entgegengestellt hätte. Daher war ich auch sehr erstaunt über das Verhalten von Professor Kluckhohn, als sie in seine

293 Studentenordnung der Universität Wien vom 8. April 1930;zit. n. Lichtenberger- Fenz:„…deutscher Abstammung und Muttersprache“ (1990), S. 91. Zur Ein- führungdieser Studentenordnung, den Reaktionen darauf und zu ihrer Wieder- abschaffung 1931 vgl. ebd.,S.84–138. 294 So Josef Hupka, Professor der Rechte an der Universität Wien, in der Neuen Freien Presse vom 23. April 1930. Hupka:Die Studentenordnung der Universität Wien (1930), S. 1. 295 Nach massiven Protesten und einem Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof wurde die Studentenordnung am 20. Juni 1931, ein Jahr nach Inkrafttreten, für ungesetzlich erklärt und aufgehoben. 82 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik

Vorlesungeindrangen. Wieder schrien sie ihr „Juden raus“. Da nahm der Professorseine Skriptenund sagte ruhig und laut:„Wir gehen alle.“296 DiePrivatdozenten, die sich bei seinem Vorgänger Brecht habilitiert hat- ten, wurden von Kluckhohn weiter gefördert.297 1929 erhielt außerdem Brechts ehemaliger Dissertant, der Frühe-Neuzeit-Forscher Hans Rupp- rich die Venia Legendi.298 MitRupprich hatten sich seit 1900 insgesamt zehn Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in Wien allein für die neuere Abteilung habilitiert:drei bei Jakob Minor (Robert Franz Arnold 1900, Stefan Hock 1905, EduardCastle 1907);sechs, darunter die ersten Frauen, beiWalther Brecht (Rudolf Payer von Thurn 1921, Christine Touaillon 1921, Herbert Cysarz 1922, Marianne Thalmann 1924, Heinz Kindermann 1924, Franz Koch 1926) und einer (Hans Rupprich) bei Paul Kluckhohn. Dieältere Abteilung (inklusive der ihr angegliederten Sprachwissenschaft) zählte seit der Jahrhundertwende immerhin fünf Privatdozenten und eine Privatdozentin (Viktor Junk 1906, Dietrich Kralik 1914, Anton Pfalz 1919, Lily Weiser 1927, Edmund Wießner 1927, Walter Steinhauser 1927). DieAttraktivität der älteren Abteilung, die gegenüber dem neueren Fach zunehmend ins Hintertreffen geriet, wurde vor allem durchden Altertumskundler Rudolf Much aufrechterhalten, der neben Josef Seemüller und später Dietrich Kralik –den beiden Ordinarien für das ältere Fach –für zwei der sechs Habilitationen(Pfalz, Steinhauser) mitverantwortlich, in zwei Fällen (Kralik, Weiser) hauptverantwortlich war.Mit vier weiteren Privatdozenten in den 1930er Jahren (Otto Höfler 1932, Rudolf Kriss 1933, Siegfried Gutenbrunner 1936, RichardWolfram 1936) war Much unter den Wiener Altgermanisten sowohl universitäts- politisch alsauch in der wissenschaftlichen Definition des Fachs der er- folgreichste.299 Währenddie Anzahl der Privatdozenten seit der Jahrhundertwende kontinuierlich anstieg, waren der Status und die Bedeutung der Privat- dozentur einem gesellschaftlichen und universitätsorganisatorischen Ab- stieg unterworfen, der das Prestige und die konkrete pekuniäre Situation

296 Lachs:Warum schaust du zurück (1986), S. 151–152. 297 Vgl.die Briefe Brechts an Kluckhohn (DLAMarbach;Bestände:Paul Kluckhohn; Deutsche Vierteljahrsschrift), in denen sich die beiden Germanisten über das akademische Fortkommen der Privatdozenten austauschen. 298 Aufgrund der Arbeit Willibald Pirckheimer und Dürers erste Reise nach Italien (1930), in der Rupprich in einer ausführlichen Würdigung Walther Brecht als seinem maßgeblichen Lehrer huldigte. 299 Zu Rudolf Much und zur Wiener Altgermanistik vgl. Kap. IV.1. I.4. Paul Kluckhohn, Josef Nadler und das Ende der Privatdozenten 83

dieser Berufsgruppe ebenso betraf wie ihre Lehrverpflichtung. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war die Privatdozentur nur eine Übergangs- phase, auf die nach einigen Jahren unweigerlich und zumeist über den Umweg eines Extraordinariats eine besoldeteordentliche Professur folgte. Karl Tomaschek, der erste Habilitand der Wiener Germanistik,erhielt die Venia Legendi 1855 und wurde 1862 Professor in Graz;Wilhelm Scherer habilitierte sich 1864 und erhielt 1868 das Wiener Ordinariat;Josef Seemüllers Habilitation von 1879 folgte 1890 die Berufung nach Inns- bruck;August Sauer habilitierte sich ebenfalls1879, wurde 1886 Extra- ordinarius und 1892Ordinarius in Prag;Jakob Minor erhielt 1880 die Venia Legendi und wurde nach außerordentlichen Professuren in Prag und Wien 1888OrdinariusinWien. Diebeiden nächsten Privatdozenten waren die ersten Juden, die sich an der Wiener Germanistik habilitierten. Bei ihnen funktionierteder dargestellte Karriereverlauf zunächst zwar, aufgrund des bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts um sich greifenden universitären Antisemitismus jedoch nicht vollständig:300 Alexander von Weilen habilitierte sich 1887, erhielt 1899 den Titel eines außerordentli- chen Professors, wurde 1904zum besoldeten außerordentlichen Professor ad personam ernanntund 1909 mit dem Titel eines ordentlichen Pro- fessors ausgestattet. Der 1914von der philosophischen FakultätinWien gestellte Antrag auf Ernennungvon Alexander von Weilen zum ordent- lichen Professorwurde jedoch nie entschieden. MaxHermann Jellinek habilitierte sich 1892, wurde 1900zum außerordentlichen Professor ad personam ernannt und erhielt 1906 den Titel eines ordentlichen Profes- sors. Sowohl Weilen als auch Jellinek hatten die gewohnte Privatdozen- tenlaufbahn des 19. Jahrhunderts durchschritten –bis zu dem Punkt, an denen ihnenein fixesOrdinariat zugesprochen werdensollte:Beide er- hielten im Unterschied zu ihren nicht-jüdischen Generationskollegennur den Titel, nicht den Lehrstuhl eines ordentlichen Professors.301 Dieletzten Wiener Habilitanden, bei denen der gewohnte Karriere- verlauf noch funktionierte, waren RudolfMuch (Habilitation 1893, or- dentlicheProfessur ad personam 1906 in Wien), Carl von Kraus (Habi- litation 1894, ordentliche Professur 1904 in Prag), Oskar Walzel (Habilitation1894, ordentliche Professur 1897inBern)und Konrad

300 Zu Judentum und Antisemitismusinder österreichischen Germanistik im 19. Jahrhundert vgl. Michler:Lessings „Evangelium der Toleranz“ (2003). 301 Zu den antisemitischen Ausschlussmechanismen und deren personalpolitischen Konsequenzenander Wiener Universität nach 1918 vgl. Taschwer:Hochburg des Antisemitismus (2015);Ehs:Das extramurale Exil (2011). 84 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik

Zwierzina (Habilitation 1897, ordentliche Professur 1899 in Fribourg). Danach begann das Zeitalter der ewigen Privatdozentenbzw.der Privat- dozentur als „Nebenbeschäftigung“302,die zusätzlich zu einem Brotberuf ausgeübt wurde.Rudolf Wolkan hatte sich 1896 in Czernowitz habilitiert, ließ seine Venia Legendi1902 nach Wien übertragen und erhielt 1908 den Titel eines außerordentlichen Professors, kam über diesen Status jedoch nicht hinaus. Er finanzierte seinen Lebensunterhalt zunächst als Lehrer, danach als Bibliothekar.303 Theodor von Grienberger habilitierte sich 1898 in Wien, erhielt 1906 den Titel eines außerordentlichen Professors in Czernowitz, war aber Zeit seines Lebens hauptberuflich ebenfalls Biblio- thekar.304 Ähnliches lässt sich über die nächsten vier Wiener Habilitanden sagen: Robert Franz Arnold (Venia Legendi 1900), Stefan Hock (Venia Legendi 1905), Viktor Junk (Venia Legendi 1906) und Eduard Castle (Venia Legendi1907) bekleideten Zeit ihrer regulären Laufbahn nie einen or- dentlichen Lehrstuhl.Arnold, der 1895 vom Judentum zum Protestan- tismus konvertierte, erhielt 1906 den Titel eines außerordentlichen Pro- fessors, seine Ernennung zum wirklichen ordentlichen Professor wurde aber zweimal (1927 und 1931) abgelehnt, 1934wurde er im österreichi- schen Ständestaat zwangspensioniert.305 Hock war nach seiner Habilitation vor allem publizistisch tätig, arbeitete als Dramaturg am Wiener Burg- theater,als Mitarbeiter MaxReinhardtsamDeutschen Theater in Berlin und übernahm 1934 das Wiener Raimundtheater.1938 wurde ihm als Jude von den Nationalsozialisten die Venia Legendi aberkannt.306 Junk erhielt 1926zwar noch den Titel eines außerordentlichen Professors, war hauptberuflich aber bereits seit 1900 bis zu seiner Pensionierung1945 Aktuar der Wiener Akademieder Wissenschaften.307 Castle war bis 1923 Mittelschullehrer,wurde im selben Jahr außerordentlicher Professor in Wien und 1933 mit dem Titel eines ordentlichen Professors ausgestat- tet. 1938wurde er von den Nationalsozialisten aus politischen Gründen entlassen.308

302 Denkschrift der Privatdozenten der Universität Wien vom 12. Jänner 1919;UAW, Phil. Fak.,S29, fol. 4. 303 Gruber:Rudolf Wolkan (2003). 304 Tatzreiter:Theodor MariaRitter von Grienberger(2003). 305 [Redaktion:] Robert Franz Arnold(2003). 306 Haider-Pregler:StefanHock (1972). 307 [Redaktion:] Viktor Junk (1965). 308 Kriegleder:Eduard Castle (2003). I.4. Paul Kluckhohn, Josef Nadler und das Ende der Privatdozenten 85

Dass die Privatdozenturseit der Jahrhundertwende keine sichere Aussicht mehr auf eine ordentliche Professur darstellte und damit zuse- hends an Prestige und gesellschaftlicher Bedeutung verlor,hatte vor allem mit der zunehmenden Disproportion von Lehrenden und Lernenden zu tun, also mit dem Anstieg der Studierendenzahlen bei gleichzeitigerSta- gnation des Stellenplans an der Universität. Währenddie Anzahl der Hörer und Hörerinnen an der philosophischen Fakultät sprunghaftanstieg, sich zwischen1898 und 1932mehr als versechsfachte,309 blieb die Anzahl der Professurennahezu gleich:1898 gab es 51 ordentliche Lehrkanzeln und 20 Extraordinariate an der philosophischen Fakultät, 1933 nur unwesentlich mehr,nämlich 55 Ordinariate und 34 Extraordinariate.310 Diese Ent- wicklung bedeutetezum einen,dass die Hauptlast der universitärenLehre von Privatdozenten getragen werden musste,dass sie mithin für die Uni- versität unabdingbar geworden waren, da ohne sie der laufendeLehrbetrieb nicht aufrechterhalten werden konnte.311 Gleichzeitig verlor die Privat- dozentur dadurch aber auch ihre alte Bedeutung als sichererWeg zu einem Ordinariat, da es zu wenige Professuren gab.Die Privatdozentur,die seit der Universitätsreformvon 1848/49 als „Ausgangspunkt für die akade- mische Laufbahn“ geltensollte, wurde„für die Mehrzahl der Schluß- und Endpunkt ihres Fortkommens“.312 Hinzu kam,dass die staatlichen Sparmaßnahmeninden 1920er und 1930er Jahren den Universitätsbetrieb massiv beeinträchtigten.Zwar brachte der Kampf der Hochschullehrerummaterielle Besserstellung1921 zunächst ein Besoldungsgesetz zu ihren Gunsten, bereits 1924 wurde aber ein neues Gesetz verabschiedet, in dem die ordentlichen Professoren um eine, die außerordentlichenProfessoren um zwei Dienstklassen zurück- gesetzt wurdenund damit um einiges schlechter bezahlt wurden als noch in der Monarchie.313 Darüber hinaus wurden in den 1920er Jahren einzelne Habilitationen vom Ministerium nurdann bestätigt, wenn der Bewerber bzw.die Bewerberin eine formelle Erklärung abgab,auf jede fixe Besoldung

309 Im Sommersemester 1898 studierten 879 Hörer und Hörerinnen an der philo- sophischen Fakultät in Wien, im Wintersemester 1932 waren es bereits 5.287. 310 Vgl. Meister:Die staatlichen Ersparungsmaßnahmen und die Lage der Wissen- schaft(1933), S. 15–16. 311 Im Studienjahr1918/19 standen an der philosophischen Fakultät 52 ordentlichen Professoren bereits 114 Privatdozenten gegenüber.–Denkschriftder Privatdo- zenten der Universität Wien vom 12. Jänner 1919;UAW,Phil. Fak.,S29, fol. 1. 312 Castle:Die Lage der Hochschullehrer (1926), S. 3. 313 Vgl. Castle:Die Lage der Hochschullehrer (1926), S. 3. 86 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik für immer zu verzichten.314 Die Habilitierten mussten trotzdem als un- bezahlte Dozenten weiter lehren, um ihre Venia Legendi und die (immer unwahrscheinlichere) Aussicht auf eine Universitätskarriere nichtzuver- lieren. Damit wurde die Privatdozentur,wie Eduard Castle 1921 feststellte, „geradezu ein Privileg für Kapitalisten oder Hungerkünstler“315. Diefinanzielle Schlechterstellung und die schwindende Wahrschein- lichkeit einer akademischenKarriere führtenzueinem massiven Prestige- verlust der Privatdozentur.Gleichzeitig war dieser Prestigeverlust –ge- meinsam mit der Unverzichtbarkeit der Privatdozentenfür den laufenden Lehrbetrieb –aber auch mitverantwortlich dafür,dass sich in den 1920er Jahren erstmals drei Frauen an der Wiener Germanistikhabilitieren konnten. Danachdauerte es fast dreißig Jahre bis erneut eine Wissen- schaftlerin am Wiener Germanistikinstitut die Venia Legendierhielt. Eine Privatdozentur,die keine Aussicht auf ein Ordinariat versprach, musste nicht mehr verteidigt werden.Ordentliche Professorinnen wurden diese WissenschaftlerinneninÖsterreich ohnehin nicht. Paul Kluckhohnverließ die Wiener Universität 1931 nach nur acht Semestern und nahm einen Rufandie Universität Tübingen an. Wie zuvor Walther Brecht war ihm die immense Arbeitsbelastungander Wiener Germanistik zu viel.316 Hatte sich Brecht bei seinem Weggang noch gegen Nadler als seinen Nachfolgerausgesprochen, so stand dessen Berufung nach Wien nun nichts mehr im Wege. DieFakultätskommission entschied sich für Josef Nadler und Günther Müller auf dem ersten Platz, für Fer- dinand Josef Schneider auf dem zweiten Platz und diskutierte Brechts Schüler Herbert Cysarz, Heinz Kindermann und Franz Koch für den dritten Platz, ließ diesen schlussendlich aber frei. Vehement gegen Nadler trat Eduard Castle in einem Separatvotum auf, in dem er den „Ausschluß

314 Vgl.Castle: Die Lage der Hochschullehrer (1926), S. 3. 315 Castle:Die Notder Universität Wien und die Privatdozenten (1921), S. 3; zit. n. Meissl:Germanistik in Österreich (1981), S. 482. –Vgl. auch Denkschrift der Privatdozenten der Universität Wien vom 12. Jänner 1919;UAW,Phil. Fak.,S29, fol. 2: „Während früher auch Vermögenslose, die genug Mutund Idealismus hatten, sich einzuschränken und anspruchslos zu leben, den Berufdes Dozenten erwählen konnten, wird es nunmehr nur Großkapitalisten möglich sein, die akademische Laufbahn mit Aussicht auf Erfolg einzuschlagen. An die Stelle der Auslese der Tüchtigsten wird die Auslese der Reichsten treten […].“ 316 Vgl.die Briefe von Walther Brecht an Paul Kluckhohn;DLA Marbach, Bestände: Paul Kluckhohn; DeutscheVierteljahrsschrift. –Noch in einem Nachruf auf Kluckhohn heißt es, dass Kluckhohn Wien verließ, da er sich „den sehr großen Lehr- und Prüfungsverpflichtungen […] nicht gewachsen fühlte“.Meister:Paul Kluckhohn [Nekrolog] (1960), S. 357. I.4. Paul Kluckhohn, Josef Nadler und das Ende der Privatdozenten 87

der in Osterreich tätigen Fachvertreter“ kritisierte und vor allendarauf verwies, dass „Nadlers Werk und Persönlichkeit […] viel umstritten“ wären. Bereits in der Kommissionssitzung hatte Castle „aus Gründen des persönlichen Verhaltens“ Einspruch gegen Nadler erhoben und auch Unterstützung durch „mehrere Redner“ erhalten, die zugaben, dass „Nadlers Naturell gewiss mancheHärtenhabe“.317 In Wien trat das Mi- nisterium zunächstanGünther Müller heran, der aber aus finanziellen Erwägungen ablehnte. Nach Interventionen beim Ministerium durch seinen Prager Studien- und Cartellverbandskollegen Josef Bick wurde Nadler schließlich zum Wintersemester 1931/32 nach Wienberufen.318 Nadler,der als schwieriger Kollege galt, der niemanden neben sich duldete,wurde bereits kurz nach seinem Amtsantritt seinem Rufgerecht. Zunächst versuchte er,die bislang den Extraordinarien Robert Franz Ar- nold und MaxHermann Jellinek vorbehaltenen Proseminare an sich zu ziehen.319 Auch mit den SchülernseinerVorgänger scheint er nicht zu Recht gekommen zu sein. MitAusnahme Hans Rupprichs verließen sie alle kurz nach Nadlers Amtsantritt die Wiener Universität. Mitden Anfor- derungen des Massenstudiums hatte Nadler hingegen keine Probleme. Er hielt seine Vorlesungen oftmals zweimal hintereinander,umdem Ansturm der Studierenden gerechtzuwerden, und 1934 engagierten sich seine Hörer und Hörerinnen mit einer Unterschriftenaktionfür den Baueines eigenen Saals für seine Vorlesungen.320 Schließlich waren seine überfüllten Lehrveranstaltungen auch mitverantwortlich dafür,dass 1935 das Audi- torium Maximumgebaut wurde.321 Dass er außerdem schnell und effizient bei der Beurteilungvon Dissertationen war,ist vielfach in Erinnerungen ehemaliger Studierender bezeugt.322 Doch obwohl Nadler mehrPromo- tionen abnahm und für mehr Studienabschlüsse verantwortlich war als jeder einzelne seinerVorgänger,hat er während seiner gesamten, immerhin

317 Alle Zitate:Kommissionsbericht betreffend die Wiederbesetzung der Lehrkanzel für deutsche Sprache und Literatur nach dem Abgang von Prof. Kluckhohnvom 25. November 1930;UAW,Phil. Fak.,Zl. 370 ex 1930/31, PA 2713 Josef Nadler. 318 Zu den näheren Details von Nadlers Berufungnach Wien vgl. Ranzmaier:Stamm und Landschaft(2008), S. 373–378;Meissl:Germanistik in Österreich (1981), S. 481. 319 Meissl:Germanistik in Österreich (1981), S. 481. 320 [Anonym:] „Volksentscheid“ für einen neuen Hörsaal (1934), S. 5. 321 Ranzmaier:Germanistik an der Universität Wien zur Zeit des Nationalsozialismus (2005), S. 19;Schmidt-Dengler:Germanistik in Wien 1945 bis 1960 (2005), S. 211;Hopf: [Erinnerungen an Josef Nadler] (1984), S. 18. 322 Vgl. u.a. Wörster:Gedenkschriftfür Josef Nadler (1984). 88 I. Die Verfasstheit der Wiener Germanistik

14 Jahre andauernden Amtszeit nicht nur keine einzige Frau habilitiert, sondern überhaupt keinen Wissenschaftler.323

323 DieHabilitation von Schülern galt im akademischen Betriebals Zeugnis des Lehrerfolgs eines Professors;gleichzeitig war den Professoren aber auch schonvor Nadler bewusst, dass sie sich damit zusätzliche Konkurrenten schufen.Vgl. Brief von WaltherBrecht an Paul Kluckhohn vom 19. November 1925;DLA Marbach, Bestand:PaulKluckhohn. –ZuNadlers Position vgl. das Interview von Irene Ranzmaier mit , in dem dieser über seine Wiener Studienzeit in den späten1950erJahren spricht:„[J]ederStudent ist potentiell lästig, und jeder Student ist auch ein potentieller Gegner.Deshalb hat man auch nicht gerne ha- bilitiert. Das ist ein Nadlersches Erbe, weil schon Nadler gesagt hat:Ich werde ja nichtblöd sein und mir durch Habilitation einen Konkurrenten züchten.“ Ranzmaier:Germanistik an der Universität Wien zur Zeit des Nationalsozialismus (2005), S. 189. II. Frauen als Autorinnen und Wissenschaftlerinnen und die Neuere deutsche Literaturwissenschaft – Christine Touaillon (1878–1928)

Christine Touaillon gehörte im Wintersemester 1897/98zuden ersten Studentinnen der Universität Wien und war 1921 die erste österreichische Germanistin, die als Privatdozentin zugelassen wurde.1 Ihre Bildungs- laufbahnlässt jeneBrüche erkennen, die angesichts des sich wandelnden Mädchenschulwesens im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts für Frauen aus bildungsbürgerlichen Familien2 nicht untypisch waren:Touaillon besuchte in ihrer Jugend nicht weniger als fünf verschiedene Schulen,3 bis sie schließlich im Sommer 1897 die zu diesem Zeitpunkt höchste mögliche Ausbildung, die k.k. Lehrerinnenbildungsanstalt des Zivilmädchenpen- sionats in Wien,absolvierteund als Volksschullehrerinzuarbeiten begann.4 Im Herbst desselben Jahres wurden Frauen aber auch an der Wiener Universität zum Studium zugelassen und Touaillon schriebsich sogleich als eine von insgesamt37Studentinnen ein, um,wie sie 1919 rückblickend feststellte, „Litteraturgeschichte zu studieren, was ich seit früher Kindheit

1Das folgende Kapitel beruht zum Teil auf einem bereits publizierten Aufsatz; Grabenweger: „Ein durch und durch weibliches Buch“ (2010). 2Touaillons Vater Leopold Auspitz gehörte als Generalmajor zu den ranghöheren Offizieren der k.k. Armee und war ein Vertreter des liberalen Lagers, das der – durch Königgrätz augenscheinlichgewordenen –Krise des Militärs mit dem Ideengutdes aufklärerischen Josephinismus und den Bildungsidealen des auf- strebendenBürgertums zu begegnen versuchte. –ZuTouaillons Familie vgl. das Typoskript ihres Bruders Walther Heydendorff:Kurzgefaßte Familiengeschichte; ÖStA, Kriegsarchiv,Nachlass Heydendorff, B/844/11. Zur politischen Ausrich- tung der k.k. Armee vgl. Allmayer-Beck:Die bewaffneteMacht in Staat und Gesellschaft(1987). 3VolksschuleinSt. Pölten, Volksschule in Salzburg, Bürgerschule in St.Pölten, Bürgerschule in Wien, Höhere Töchterschule in Wien, Lehrerinnenbildungsan- stalt in Wien. –Die Ortswechsel lassen sich mit dem Beruf des Vaters erklären,der häufige Schulwechsel innerhalb Wienswar der Umgestaltung des Bildungswesens geschuldet, da Touaillon immer dann die Schule wechselte,wenn sich bessere, d.h. höhere Bildungsmöglichkeitenfür Mädchen eröffneten. 4Ander Volksschule Notre Dame de Sion in Wien. 90 II. Christine Touaillon (1878 –1928) leidenschaftlich gewünschthatte“5.Erst 1902 holtesie als Externistin am k.k. Obergymnasium Salzburg die Reifeprüfung nach.6 1904 wechseltesie, nachdemsie den in der Steiermark tätigen Notar Heinrich Touaillon ge- heiratet hatte, für ein Jahr an die Grazer Universität, wo sie bei Rudolf Meringer,Anton EmanuelSchönbachund Bernhard Seuffert studierte. Zurück in Wien besuchte sie –nun als ordentliche Hörerin –Lehrver- anstaltungen bei RichardHeinzel, Robert Franz Arnold,Max Hermann Jellinek und Alexander von Weilen,vor allem aber die Seminare Jakob Minors, bei dem sie 1905 mit der Arbeit Zacharias Werners „Attila, König der Hunnen“ 7 als vierte Frau an der Wiener Germanistik auch promovierte (und als dessen letzte Schülerin sie gelten kann).8 Nach ihrem Studium war Touaillon in zahlreichen gesellschafts- und sozialpolitischen Belangen der späten österreichisch-ungarischen Monar- chie tätig. Von1910 bis 1918 gab sie gemeinsam mit Leopoldine Kulka und Emil Fickert die feministische Zeitschrift Neues Frauenleben heraus.9 Darüber hinausveröffentlichte sie in den 1900er und 1910er Jahren zahlreiche Artikel zu gesellschaftspolitischen undliterarischenThemen in der sozialdemokratischen Arbeiterinnen-Zeitung10 sowie in verschiedenen

5Eigenhändiger Lebenslauf von Christine Touaillon vom 15. Mai1920;UAW,Phil. Fak.,PA3462 Christine Touaillon. 6Erst 1901, vier Jahre nach Zulassung von Frauen zur Universität, wurdeein Erlass verabschiedet, der es ermöglichte, an Mädchenschulen die Reifeprüfung inklusive Studienberechtigung zu erwerben.Bis 1911 bestand aber ein Ausnahmepassus,der Frauen ein dreijähriges Universitätsstudium erlaubte, ihnen die Promotion jedoch verwehrte;außer sie legten –wie Touaillon –zwischenzeitlich als Privatistinnen die Reifeprüfung an einem Knabengymnasium ab. Vgl. Heindl:Zur Entwicklung des Frauenstudiums in Österreich (1990), S. 23–24; Engelbrecht:Geschichte des österreichischenBildungswesens.Bd. 4(1986), S. 291–292. 7Ein Exemplar ihrer handschriftlichenDissertationbefindet sichinder Universi- tätsbibliothek Wien unter ihremMädchennamen. Auspitz:Zacharias Werners „Attila,König der Hunnen“ (1904). 8SoKörner:Deutsche Philologie[1935],S.83–VorTouaillonpromovierten an der Wiener Germanistik folgende Frauen:Helene Munz (Arnims „Gräfin Dolores“, 1903), Rosa Fliegelmann (Achim von Arnims„Halle und Jerusalem“,1903) und Antonie Hugvon Hugenstein(Zur Textgeschichtevon Novalis Fragmenten,1904). – Biographische Informationen zu Touaillon laut ihren eigenhändigen Lebensläufen vom 24. Juni 1919;UAG,Phil. Fak.,Z.1529 ex 1919;und vom 15. Mai1920; UAW, Phil. Fak.,PA3462 Christine Touaillon. 9Touaillon wurde die Nachfolgerinvon Auguste Fickert, die ihr 1908 die Redaktion des Literaturblatts überantwortet hatte. Vgl. Hacker:Wer gewinnt?Wer verliert? Wertritt aus dem Schatten?(1996). 10 Vgl.u.a.Touaillon:Das Wahlrecht und die Frauen (1919). II. Christine Touaillon (1878 –1928) 91

Zeitschriften wie Wissen für alle, Dokumente des Fortschritts, Der Kunstwart und Die Gegenwart.11 Außerdem war Touaillon Vorstandsmitglieddes Allgemeinen Österreichischen Frauenvereins,12 Ausschussmitglied der Ethi- schen Gemeinde in Wien13 und Vizepräsidentin der Internationalen Liga für Frieden und Freiheit.14 Zu ihrem sozialen Umfeld gehörten Vertreterinnen der bürgerlichen Frauenbewegung wie Auguste Fickert15 und Rosa Mayreder16 ebenso wie der Reformpädagoge und spätereordentliche Professor für Philosophie an der UniversitätWien Wilhelm Jerusalem und der Arzt und Vorkämpfer der Friedensbewegung in Österreich Wilhelm Börner.17 Während des Ersten Weltkriegs organisierte Touaillonpazifis- tische Veranstaltungen18 und nach 1918 engagierte sie sich –als vehemente Unterstützerin einer sozial ausgerichteten demokratischen Staatsverfas- sung –inder österreichischen Sozialdemokratischen Arbeiterparteivor allem für Otto Glöckels Bildungsreformen.19 Als man ihr 1919 in der Steiermark zweimal ein Landtagsmandat anbot, lehnte sie jedoch ab –mit dem Hinweis, dass sie „nicht 3Dinge leisten kann (Ehe, Wissenschaftu Politik)“20.

11 Vgl. u.a. Touaillon:Zur Psychologie des Familienblattes (1905);dies.:Ein Re- volutionsroman (1910);dies.:Die Lage der Telephonistinnen (1911);dies.: Ferdinand von Saars Altersdichtung und die Moderne (1911);dies.:Der Schrei nach dem Genie (1911);dies.: Emil Marriot [d.i. Emilie Mataja],Der abgesetzte Mann [Rez.](1912). 12 [Anonym:] Vereinsvorstand 1917 [des Allgemeinen Österreichischen Frauenvereins] (1918). 13 Mayreder:Christine Touaillon [Nekrolog] (1928). 14 Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit, Zweig Österreich;Institut für Geschichte der Universität Wien, Sammlung Frauennachlässe, NL. I/39a, 523-1– 4. 15 Vgl. die Briefe Touaillons im Nachlass von Auguste Fickert in der Wienbibliothek im Rathaus. 16 Vgl. die Briefe Touaillons im Nachlass von Rosa Mayreder in der Wienbibliothek im Rathaus. 17 Vgl. die Briefe Touaillons im Nachlass von Wilhelm Börner in der Wienbibliothek im Rathaus. 18 Lebensaft: Christine Touaillon (2002), S. 758. Zu Touaillons Antikriegshaltung vgl. auch Touaillon:Weltkrieg (1914). 19 „Ich war vorgestern in einer Glöckel-Versammlung –schade, daß Du nicht da warst:Duwärst zwar nicht einverstanden gewesen, aber Du hättest begriffen, was mich auf diese Seitezwingt.“ Brief von Christine Touaillon an Walther Heyden- dorff vom 10. März 1920;ÖStA, Kriegsarchiv,Nachlass Heydendorff,B/844/13. 20 Brief von ChristineTouaillon an Walther Heydendorff, o.D. [19. April 1919]; ÖStA, Kriegsarchiv,Nachlass Heydendorff, B/844/13. 92 II. Christine Touaillon (1878 –1928)

Tatsächlich verfolgte Touaillon zu diesem Zeitpunkt andere Pläne. Bereits 1910, nachdem sie ihre Forschungen über ältere deutscheKin- derliteratur aufgrund der schwierigen Materialbeschaffung in der steiri- schen Provinzunterbrechen musste,21 hatte sie begonnen, an einer großen wissenschaftlichen Studie über Schriftstellerinnen des 18. Jahrhunderts zu arbeiten.22 Ohne auf Vorarbeiten zurückgreifen zu können, aber mit der Unterstützung des Grazer Universitätsprofessors Bernhard Seuffert sowie von „[s]echzehn reichsdeutsche[n] Bibliotheken“23,die ihr –trotz Ersten Weltkriegs–Bücher zugeschickt hatten, stellte sie 1918 ihre über 650 Seiten umfassende Arbeit Der deutsche Frauenroman des 18. Jahrhunderts fertig, um, wie sie ihrem Bruder schrieb,„mit 41 noch […] mit etwas Neuem zu beginnen (Dozentur), obwohl ich eine Frau bin!“24 Ganz ein- fach dürfte dieses Unterfangen aber schon vor Antragstellung an der Universität nicht gewesen sein:Nachdem Touaillon in Wilhelm Brau- müller einen Verleger gefunden hatte, scheiterte die Drucklegung ihres Buchs nämlich am Papiermangel zu Beginn der Ersten Republik. Schließlich erklärte sich eine GrazerFabrik bereit, „2000 Kilo Papier gegen Lieferung von 300 Kilo Schweine abzugeben“, deren Beschaffung, wie Rosa Mayreder am 19. März 1918 in ihrem Tagebuch notierte, Touaillon „[m]it Hilfe befreundeter Bauern“ auch gelang.25 Das Buch erschien so- dann –inbemerkenswert schöner Aufmachung mit rotem Oberleinen und Schmutzumschlag –imJuni 1919und Touaillon machte sich sogleich auf, einen Teil der österreichischen Universitätslandschaftmit ihrem Ansinnen zu beschäftigen.26

21 EigenhändigerLebenslauf Touaillonsvom 15. Mai 1920;UAW,Phil. Fak.,PA 3462Christine Touaillon;vgl. auch Kluckhohn:Christine Touaillon [Nekrolog] (1928), S. 23. –Die Ergebnisse ihrer Studien veröffentlichte Touaillon unter: Literarische Strömungen im Spiegel der Kinderliteratur (1912). 22 EigenhändigerLebenslauf Touaillonsvom 15. Mai 1920;UAW,Phil. Fak.,PA 3462Christine Touaillon. 23 EigenhändigerLebenslauf Touaillons vom 24. Juni 1919;UAG,Phil. Fak.,Z. 1529ex1919. 24 Briefvon Christine Touaillon an Walther Heydendorff vom 1. August 1919; ÖStA, Kriegsarchiv,Nachlass Heydendorff, B/844/13. 25 Mayreder:Tagebücher 1873–1937 (1988), S. 178. 26 „Dieser Tage erhieltich die ersten Ex. m. Buches umorgenreiche ich ein. Es wird ein sehr interessanter Kampf werden;hoffentlich siege ich!“ Brief von Christine Touaillon an Walther Heydendorff vom 24. Juni 1919;ÖStA, Kriegsarchiv, Nachlass Heydendorff, B/844/13. II.1. Zwischen Universität und Staatsverfassung 93 II.1. Zwischen Universität undStaatsverfassung – Habilitationsverfahren in Graz und Wien

Ihr erstes Gesuch um „Erteilung der Lehrbefugnis für neuere deutsche Litteraturgeschichte“ reichte Touaillonam24. Juni 1919 an der Universität Graz ein. DemSchreiben lag eine beglaubigte Kopie ihrer Promotions- urkunde, ihre im selben Monat erschienene Monographie Der deutsche Frauenroman des 18. Jahrhunderts,ein Lebenslauf und ein Programmihrer für die erstenSemester geplantenVorlesungen bei. In genauer Kenntnis der geltenden Habilitationsbestimmungen und vor dem Hintergrund der im Entstehen begriffenen politischen und rechtlichen Gleichstellung von Frauen und Männern durch die Verfassungder Ersten Republik erklärte Touaillon,dass sie „somit die Bedingungenerfüllt [habe],welche die Verordnung des k.k.Min. für Kultus uUnterricht vom 11.2.1888, be- treffenddie Habilitierung von Privatdozenten, stellt“27. Wie aus einem von Touaillon am 30. Juni 1919verfassten Nachtrag zum Habilitationsgesuch hervorgeht, versuchte das Professorenkollegium der Grazer philosophischen Fakultät jedoch bereits nach wenigen Tagen den Antrag Touaillons aus formalen Gründen zurückzuweisen. Zum einen wollte man ihr unter Hinweis auf ihren Geburtsort Iglau/Jihlava in Mähren die österreichischeStaatsbürgerschaftabsprechen;28 darauf antwortete Touaillon,dass sie, da sie als „Frau […] die Zuständigkeit des Gatten teilt“, „dennoch nach Deutschösterreich zuständig“ sei.29 Zum anderen versuchte das Professorenkollegium darin, dass ihr Wohnort nicht Graz, sondern Stainz war,einen Verstoß gegendie Habilitationsordnung zu sehen.30 Dem setzte Touaillon folgende Erklärungentgegen:

27 Habilitationsgesuch von Christine Touaillon vom 24. Juni 1919;UAG,Phil. Fak., Z. 1529 ex 1918/19. 28 Dieösterreichische Staatsbürgerschaftwar für die Habilitation zu dieser Zeitei- gentlich nicht verpflichtend. Erst die ständestaatliche Verordnung von 1934 än- derte die geltende Habilitationsnorm dahingehend ab,dass der Staatsbürger- schaftsnachweis erbracht werden musste. Verordnung desBundesministeriums für Unterricht […] vom 23. Mai1934 […] betreffend die Zulassung und die Lehr- tätigkeit der Privatdozenten an den Hochschulen (Habilitationsnorm) (1934). 29 Nachtrag zum Habilitationsgesuch vom 30. Juni 1919;UAG,Phil. Fak.,Z.1529 ex 1918/19. 30 In der noch 1919 geltenden Habilitationsordnung vom 11. Februar 1888 heißt es in §14, dass die „venia docendi erlischt, wenn ein Privatdocent […] seinen or- dentlichen Wohnsitz außerhalb des Sitzes der Universität unter solchen Um- ständen verlegt, dass die regelmäßige Abhaltung von Vorlesungen seitens desselben nichtgewärtigt werden kann“. Verordnung des Ministers für Cultus und Unter- 94 II. Christine Touaillon (1878 –1928)

Mein Wohnort […] ist nur 26 km von Graz entfernt ubesitzt täglich drei- malige Zugsverbindung mitGraz (5h30, 9h47, 4h47). Ichwäre also sogar in der Lage,täglich zu kommen uvon einer Unmöglichkeit regelmäßige Vorlesungen abzuhalten, kann gar keineRede sein.31 Daraufhin ging das Professorenkollegium in seiner Sitzung am 11. Juli 1919 –auf Antrag des Archäologenund Prodekans Rudolf Heberdey – dazu über,die Behandlung des Gesuchs durch Vertagung zu verzögern, mit dem Argument, dass der Erlass eines neuen Privatdozentengesetzes abzu- warten sei.32 Tatsächlich war zu dieser Zeit in Österreich eine neue Ha- bilitationsordnung in Ausarbeitung.Dochungeachtet der Bemühungen um diese neueRegelung, die erst am 2. September 1920 in Krafttrat,33 wurden Habilitationsanträge von Männern weiterhinverhandelt. Im Studienjahr 1919/20 wurde allein an der philosophischen Fakultät der Universität Graz vier Wissenschaftlern die Venia Legendiverliehen.34 Dass die Weigerungder philosophischen Fakultät in Graz, Touaillons Antrag überhaupt zu verhandeln, nichts mit der geltenden Gesetzeslage zu tun hatte, zeigte sich spätestens, als sich im Oktober desselbenJahres auch die staatliche Unterrichtsbehörde mit dem Thema zu beschäftigen begann. Am 18. Oktober 1919 forderte der damalige Unterstaatssekretär für In- neres und Unterricht Otto Glöckel alle österreichischen Universitäten dazu auf,zur „Zulassungvon Frauen zur Privatdozentur“ Stellung zu nehmen. Glöckel selbst vertrat in seinem Schreiben die Absicht, „den Frauen hin- sichtlichder Erlangung der venia docendi an den weltlichen Fakultäten der Universitäten grundsätzlich die volle Gleichberechtigung mit männlichen Habilitationswerbern einzuräumen“.35

richtvom 11. Februar 1888 betreffend die Habilitirung [!]der Privatdozenten an Universitäten (1888). 31 Nachtrag zum Habilitationsgesuch vom 30. Juni 1919;UAG,Phil. Fak.,Z.1529 ex 1918/19. 32 Protokoll der 8. ordentlichen Sitzung des Professorenkollegiums der philosophi- schen Fakultät vom 11. Juli 1919 (Schriftführer: RichardMeister);UAG,Phil. Fak.,Z.1640 ex 1918/19. 33 Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Inneres und Unterricht vom 2. September 1920, betreffenddie Zulassung und die Lehrtätigkeit der Privatdozenten an den Hochschulen (Habilitationsnorm)(1920). 34 Dem PsychologenOthmar Sterzinger,dem Mathematiker Roland Weizenböck, dem Mineralogen Franz Angel und dem Chemiker Alois Zinke. Habilitations- ausweis der philosophischen Fakultät für das Studienjahr 1919/20;UAG,Phil. Fak.,Z.2007 ex 1919/20. 35 Briefvon Otto Glöckel an die österreichischen Universitäten vom 18. Oktober 1919; UAG, Rek.,Z.474 ex 1918/19. II.1. Zwischen Universität und Staatsverfassung 95

Dievom Grazer Rektor Otto Cuntz in dieser Angelegenheit einge- holten Gutachtender theologischen, juristischen, medizinischen und philosophischen Fakultät lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Dietheologische Fakultät lehnte in ihrer Sitzung vom 24.November1919 die Zulassung von Frauen zur Privatdozentur einstimmig und mit nur einem Satz ab.36 Eine Begründung findetsich im betreffenden Sitzungs- protokoll nicht. Dafür ist auf dem Brief des Rektors an die theologische Fakultät, die genau genommen vom Ministerium als einzige gar nicht angesprochenwar,von fremder Hand eine Art Rechtfertigungnotiert. Darin heißt es, dass „Frauen, wie die allgemeine Erfahrung zeigt, in wis- senschaftlichen Arbeiten mit den Männern nicht konkurrieren können, trotzdem sie Gelegenheit genug gehabt haben, sich wissenschaftlich zu betätigen“. Geschlossen wirddiese kurze Notiz mit der Abwandlung eines Bibelzitats:„Mulier taceatnon solum in Ecclesia, sed etiam in Universi- tate.“37 DiejuristischeFakultät schloss sich in der Sitzung am 7. November 1919 dem Antrag Gustav Hanauseks,„sich grundsätzlich gegendie Zu- lassung auszusprechen“, knapp,aber doch,mit fünf gegen vier Stimmen, an.38 Diemedizinische Fakultät sprachsich gegen eine „regelmässig[e]“ Zulassung aus, erhob aber„keine prinzipiellen Bedenken gegen die Be- werbunginganz ausnahmsweisen Fällen“.39 Diephilosophische Fakultät beschäftigte sich mit dem Themaum einiges ausführlicherals die bereits genannten, war sie auch die einzige, der tatsächlich das Habilitationsgesuch einerFrau vorlag. Dieeigens einge- setzte Kommission, bestehend aus dem PhysikerHans Benndorf,den beiden Germanisten BernhardSeuffert und KarlPolheim, den Biologen Karl Linsbauerund Rudolf Scharfetter sowie dem Historiker Heinrich von Srbik, beschloss, „dass von weiblichen Kandidaten der Nachweis des ge- sichertenwissenschaftlichen Rufesals unentbehrliche Voraussetzung der

36 Protokoll der 2. ordentlichen Sitzung des Professorenkollegiums der theologischen Fakultät vom 24. November 1919 (Schriftführer:Anton Michelitsch);UAG, Theol. Fak.,Z.118 ex 1919/20. 37 Notiz auf dem Brief des Rektors Cuntz an die theologischeFakultät vom 30. Oktober 1919;UAG,Theol. Fak. Z. 73 ex 1919/20. –„DieFrau soll nicht nur in der Kirche, sondern auch an der Universität schweigen.“ (Originalzitat aus 1. Korinther 14,34:„Mulieres in ecclesiis taceant“.) 38 Protokoll der 2. ordentlichen Sitzung des Professorenkollegiums der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät vom 7. November 1919;UAG,Jur.Fak.,Z.303 ex 1919/20. 39 Stellungnahme der medizinischen Fakultät, o.D.;UAG,Med. Fak.,Z.300 ex 1918/19. 96 II. Christine Touaillon (1878 –1928)

Habilitation gefordert werden müsse“. Diese „Erschwerung gegenüberden für männliche Bewerber bestehenden Bedingungen“ begründete die Kommissionineinem ausführlichenGutachten folgendermaßen: Die im Zuge der modernen Entwicklung im politischen Leben durchgeführte Gleichstellung der Frau mit dem Manne kann nicht ohneweiteres auf aka- demische Verhältnisse übertragen werden, dennsie hat Gleichheit der wis- senschaftlichenBegabungder beiden Geschlechter weder zu ihrer Voraus- setzung noch bietet ihre Durchführbarkeit eine Gewähr für die positive Entscheidung dieser für die Zulassung von Frauen zum akademischen Lehr- amte ausschlaggebenden Frage.[…] Die Erfahrungen, die mit weiblichen Studierenden seit ihrer Zulassung zu den Universitätsstudien gemacht wurden, lassen jedochtatsächliche Unterschiede in der durchschnittlichen Begabung von Frauen und Männern erkennen. Dem weiblichen Geschlechte kommt im allgemeinen eine sehr gute Anlagezur receptiven Aufnahme des dargebotenen Wissens und sehr viel Strebsamkeit und Fleiß zu,die Originalität und besondersdie Selbständigkeit des Denkens aber,die sichauch der Autorität desLehrers gegenüberdurchsetzt, sind bei Frauen viel seltener als bei Männernzufinden. Auch scheintnoch nicht festzustehen, ob die Eignung der Frau für alle Wissensgebiete eine gleich- mäßige ist. So ist die Frage, ob die Beurteilung historischer Verhältnisse durch die Psyche der Frau von demselben Range ist, wie die desMannes, noch offen. Die charakteristischen Unterschiede in demTypus der durchschnittlichen Begabung erklären, daß auch eine gute Arbeit, die unterdem frühen Eindruck des Universitätsstudiums und unter dem Einfluß eines Docenten entstanden und durchgeführt ist, bei Frauen in viel geringeremGrade als bei ihren männlichen Kollegen die sichere Gewähr für den Besitz gerade jener Eigen- schaften gibt, die für den Forscher und für den Lehrer die wertvollsten sind. In derTat sind Originalität und Selbständigkeit des Denkens die we- sentlichstenBedingungen nicht allein für erfolgreiche produktive Arbeit sondernauch für denakademischenUnterricht, der nicht in der Wiedergabe der Ergebnisse der Wissenschaftallein bestehen darf, der vielmehr erst aus deren Verarbeitung durch die persönliche Eigenartdes Docenten Wert und Bedeutung erlangt. […] Will man zu einem begründeten Urteilüber die Eignung einer Frau zu dem akademischen Lehramte gelangen so müssen bindende Beweise ge- fordert werden,dadie Gefahr eines Irrtums in der Beurteilung der Eignung zum akademischen Lehramte bei Frauen näher liegt als bei Männern.40 Diese Stellungnahme der philosophischen Fakultät ist aus mehreren Gründen bemerkenswert. Zunächst zog die Kommission eine klare Trennlinie zwischen politischen und akademischen Belangen und insis- tierte auf einer Nichtübertragbarkeit verfassungsmäßiger Gleichheits-

40 Stellungnahme der philosophischenFakultät zur Zulassung von Frauen zur Pri- vatdozenturo.D.[2. Dezember 1919]; UAG, Phil.Fak.,Z.558 ex 1919/20. II.1. Zwischen Universität und Staatsverfassung 97 grundsätze auf das universitäre Feld. Den Grund dafürsah die Kommission in einem spezifisch akademischenKapital:dem der wissenschaftlichen Begabung. Währenddie gesellschaftliche und politischeEntwicklung unabhängig von diesemKapital vonstattengehen, sei es für die Entwick- lung des Wissenschaftsbetriebs aber unerlässlich.Und genau an diesem Kapital, dessen Beurteilung allein dem akademischen Feld zu obliegen habe und das gleichzeitig die Grundbedingung der Zugehörigkeit zu eben diesem Feld darstelle, orientierte sich die weitere Argumentation der philosophischen Fakultät. Zunächst argumentierte sie auf der Ebene der Erfahrung. So habedas Frauenstudium gezeigt,dass eindeutige „Unter- schiede in der durchschnittlichen Begabungvon Männern und Frauen“ auszumachen seien. In Übereinstimmung mit der Auffassungder ,Ge- schlechtscharaktere‘41 würden sich diese Unterschiede vor allem darin zeigen, dass Frauen rezeptiv, also nachahmend, und Männer produktiv, also selbständig, dächten. In einem nächsten Schritt wurde daraufaufbauend festgestellt,dass selbst „eine gute Arbeit“ einer Frau –imUnterschiedzu einer guten Arbeit eines Mannes –nicht unbedingtvon ihrer wissen- schaftlichen Befähigung zeuge, da man nicht mit Sicherheit feststellen könne, ob sie der Originalität und Selbständigkeit des Denkensoder dem „Einfluß eines Docenten“ zu verdanken sei. Da abergerade„Originalität und Selbständigkeit die wesentlichstenBedingungen“ sowohl für die wissenschaftlicheArbeit als „auch für den akademischen Unterricht“ darstellen, sei es notwendig, bei Frauen über die übliche wissenschaftliche Qualifikation hinausgehende „bindende Beweise“ für ihre akademische Eignungzufordern. Wie diese„bindenden Beweise“ und der „Nachweis des gesicherten wissenschaftlichen Rufes“genau zu erbringenseien, ließ das Gutachten jedoch offen.42 Dass sich das Professorenkollegium der philosophischen Fakultät der Universität Graz bezüglich der Zulassung von Frauen zur Privatdozentur nicht einig war,zeigte die Sitzung vom 5. Dezember 1919. In dieser Sitzung

41 Zur Vorstellung der ,Geschlechtscharaktere‘ vgl. Kap. II.2. 42 Alle Zitate:Stellungnahme der philosophischen Fakultät zur Zulassung von Frauen zur Privatdozentur,o.D. [2. Dezember 1919];UAG,Phil. Fak.,Z.558 ex 1919/20. –Für Österreich fehlen bislang vergleichende Untersuchungen;für Deutschland stellt Stefanie Marggraf aber fest, dass die „Formel der prinzipiellen Zulassungvon Frauen unter Sonderkonditionen“ für Habilitationsverfahren in der Weimarer Republik charakteristisch sei, da die „Zulassung von Frauen zur Ha- bilitation […] nicht als Gebotder Chancengleichheit,sondern als Ausnahmere- gelung für Höchstleistungen gesehen“ wurde. Marggraf: Sonderkonditionen (2002), S. 40–41. 98 II. Christine Touaillon (1878 –1928) wurde das Gutachten zwar angenommen, jedoch ,nur‘ mit zwanzig gegen zehn Stimmen. Für den Rektor Otto Cuntz, der als Altphilologe ebenfalls dem philosophischen Professorenkollegium angehörte,drückte das Gut- achten nicht explizit genug eine ablehnendeHaltungaus, weshalb er forderte, dass sich „die Fakultät [grundsätzlich] gegen die Zulassung der Frauen zur Habilitation“ ausspreche.43 Da dieser Antrag mit 16 gegen 14 Stimmen abgelehnt wurde, fügte er dem Gutachten einen Nachtrag hinzu, in dem er „starke Bedenken“ äußerte, „ob Frauen überhaupt im Stande sind, auf junge Männer […] den erforderlichen persönlichen pädagogi- schen Einfluß zu nehmen“.44 Machen schon die einzelnen Stellungnahmen der Fakultäten keinen Hehl daraus, dass sie der Habilitation von Frauen, wenn nicht klar ab- lehnend, dann doch zumindest ziemlich skeptisch gegenüberstanden, so fügte der Akademische Senat in dem auf der Basis der einzelnen Stel- lungnahmen verfasstenoffiziellen Gutachten, das am 18. Februar 1920 dem Ministerium für Inneres und Unterricht übermitteltwurde,noch eine weitere ablehnende Argumentationslinie hinzu: Die Frage, ob Frauen zur Privatdozenturzuzulassensind, ist nicht vom Standpunkte des, eine petitioprincipii enthaltendenSchlagwortes der öf- fentlich-rechtlichen Gleichberechtigung der Frauen mit den Männernund auch nicht vom Standpunkte einzelner hervorragend begabter Frauen aus zu beurteilen. DieFrage ist vielmehr die, ist es vom Standpunkte derUniversität wertvoll, wenn Frauen die venia legendi an Universitäten erteilt werden kann. Diese Frage ist auch von denjenigen, die wissenschaftliche Arbeiten von Frauen hoch einschätzen, für die ungeheure Mehrzahl derFälle, also grund- sätzlich zu verneinen. Bei objektiver Beurteilung wird man gewiss nicht behaupten dürfen, dass die bisherigeAusschliessung der Frauen von der Privatdozenturdie wissen- schaftliche Stellung unsererUniversitäten irgendwie beeinträchtigt hätte.45 Otto Glöckel, der Unterstaatssekretärfür Inneres und Unterricht, unter- strich gegenüber der Grazer Universität seine Forderung nachder Gleichstellung von Männern und Frauen bei Habilitationsverfahren

43 Protokoll der 3. ordentlichen Sitzung des Professorenkollegiums der philosophi- schenFakultät vom 5. Dezember 1919 (Schriftführer:Franz Faltis);UAG,Phil. Fak.,Z.580 ex 1919/20. 44 HandschriftlicheNotiz des RektorsOtto Cuntz vom 8. Dezember 1919 auf der Stellungnahme der philosophischenFakultät zur Zulassung von Frauenzur Pri- vatdozentur, o.D. [2. Dezember 1919];UAG,Phil. Fak.,Z.558 ex 1919/20. 45 Da das betreffende Gutachten im Universitätsarchiv Graz nicht auffindbar ist, wird hier zit. n. Kernbauer:Die ersten akademischen Lehrerinnen (1996),S.194. II.1. Zwischen Universität und Staatsverfassung 99 mehrmals.46 Doch trotz dieser Bemühungen und trotz des Verstoßes der dargestellten Gutachten und Stellungnahmen gegen den verfassungsmä- ßigen Gleichheitsgrundsatz der Ersten Republik setztesich die Universität Graz mit einemvon ihr postulierten Autonomieanspruch gegenüber der staatlichen Unterrichtsbehörde durch.47 MitAutonomie meinte die Uni- versität jedoch nichtdie Freiheit von Forschung und Lehre, sondern das Recht zu bestimmen, wer Teil desuniversitären Systemssein durfte und wer nicht.48 Erst 1932wurde an der Universität Graz der erstenFrau, der Historikerin Mathilde Uhlirz, die Venia Legendi verliehen.Davor hatte Uhlirz bereits 1916 und 1921umHabilitation angesucht, beide Male wurden ihre Anträge jedoch abgelehnt.49 Christine Touaillon zog nach Interventionen beim Ministerium50 ihren Antrag am 3. Oktober 1920 zurück.51 Bereits fünf Monate zuvorhatte sie aber an der Wienerphilo- sophischen Fakultät ein zweites Gesuch eingereicht, das schließlich auch erfolgreich war.52 In Wien hattedas Professorenkollegiumder philosophischen Fakultät Ende 1919 ganz andersals in Graz auf das Schreiben Otto Glöckels rea- giert. In einem äußerst knapp gehaltenen Kommissionsbericht vom 21. November 1919 „legt[e]“ die Fakultät„Wert darauf zu betonen“, dass sie bereits vor längerer Zeit für Frauen, welche denselben Bedingungen entsprachen wie männliche Habilitationswerber,die Venia legendi beantragt hat.53 Siehandelt daher nur konsequent,wenn sie,der Anregung des Staat-

46 Rainer Leitner:Christine Touaillon, geb. Auspitz (1991), S. 36–37. 47 DieRechtfertigung eines Autonomieanspruchs gegenüber der staatlichen Unter- richtsbehörde beschäftigte zu Beginn der Ersten Republik alle Universitäten des Landes. Vgl. Höflechner: Dieösterreichische Rektorenkonferenz (1993). 48 Aufgrund des Versuchs des Bildungsreformers Glöckel, Einfluss auf alle Bereiche des Unterrichtswesens zu nehmen, sprach man an den Universitäten abschätzig von der ,Verglöckelung‘ des Bildungswesens. Höflechner:Die Baumeister des künf- tigenGlücks (1988), S. 115. 49 Zu Mathilde Uhlirz’Habilitationsverfahren vgl. Höflechner:MathildeUhlirz (1996). –Die erste Germanistin in Graz, der die Venia Legendi verliehen wurde, war Beatrix Müller-Kampel;sie habilitierte sich 1993. 50 Dass sich Touaillon mit Glöckel persönlich verständigte, geht aus ihren Briefen an ihren Bruder Walther Heydendorff hervor.Vgl. v. a. ihre Briefe an ihn vom 24. April 1919, 5. Mai 1919, 9. Mai1919 und 25. Mai1919;ÖStA, Kriegsarchiv, Nachlass Walther Heydendorff B/844/13. 51 Brief von Touaillon an das Dekanat der philosophischen Fakultät in Graz vom 3. Oktober 1920;UAG,Phil. Fak.,Z.72ex1920/21. 52 Habilitationsantrag von Touaillon vom 15. Mai1920;UAW,Phil. Fak.,Zl. 939 ex 1920/21, PA 3462 Christine Touaillon. 53 Gemeint ist die Romanistin Elise Richter,die sich 1907 in Wien habilitierte. 100 II. Christine Touaillon (1878 –1928)

samtes für Unterricht Folge gebend, bereit ist, Frauen und Männer unterden gleichen Bedingungen zur Habilitation zuzulassen.54 Dass es sich bei dieser Stellungnahme nicht um eine diplomatisch-un- verbindliche Antwort an die staatliche Unterrichtsbehörde handelte, zeigt die zwar zögerliche, insgesamt aber wohlwollende Haltung gegenüber TouaillonsAnsinnen. Touaillon hatte die Spielregeln des Feldes gelernt und auf mehreren Ebenen Druck ausgeübt, bevor sie in Wien tatsächlich um die Verleihung der Lehrbefugnis ansuchte.Wie aus einem Brief Touaillons vom 29. November 1920anAugust Sauer in Prag hervorgeht, vergewisserte sie sich zunächst bei den Wiener Professoren, dass diese ihre Habilitati- onsschrift Der deutsche Frauenroman des 18. Jahrhunderts annehmen und ihrem Gesuch stattgeben werden. Nach der Zustimmung des Altgerma- nisten MaxHermannJellinek verhandelte Touaillon mitWalther Brecht, den sie, wie sie Sauer schrieb, „nach hartenMühen zu den strikten Er- klärungen [brachte],daß er [ihr] Buch als genügende Grundlage für [ihre] Habilitation ansehe, daß er keine weitere Arbeit verlange und überhaupt mit[ihrer] Habilitation einverstandensei.“ Zu bedenken gab Brecht aller- dings, dass die „Gefahr [bestünde], daß andereProfessoren das Buch für eine Tendenzschrifthalten würden“.55 Nachdem sich Touaillon daraufhin auch noch der Zustimmungdes RomanistenKarl von Ettmayer und des Anglistenund damaligen Dekans der philosophischen Fakultät Karl Luick versichert hatte, schickte sie am 15. Mai1920 ihr Gesuch ab. Gleichzeitig mit den Verhandlungen und Gesprächen mit den Wiener Entschei- dungsträgern kümmerte sie sich um Rezensionen für ihr Buch, damit es dem Professorenkollegium „schwer gemacht würde, es abfällig zu beur- teilen“56.Innerhalb weniger Monate erschienen 14 Besprechungen, die – mit einer Ausnahme –allesamt günstig ausfielen. Besonders die Rezension ihres Beraters August Sauer im Euphorion hielt umfassend und ausführlich dazu an, dass sich alle späteren Rezensionen an ihr orientieren. In genauer Kenntnis der akademischen Lagedeklinierte Sauer in seiner Rezension jene

54 Kommissionsbericht betreffend der Habilitation von Frauen an der philosophi- schenFakultät der Universität Wien vom 21. November 1919;UAW,Phil.Fak., S03Frauenstudium (Erlässe). 55 Briefvon Touaillon an Sauer vom 29. Februar 1920;Wienbibliothek im Rathaus, Nachlass August Sauer,ZPH 103. 56 Briefvon Touaillon an Sauer vom 29. Februar 1920;Wienbibliothek im Rathaus, Nachlass August Sauer,ZPH 103. Vgl. auch den Brief von Touaillon an Elise Richter vom 8. März 1920; ÖNB, Handschriftensammlung;266/47 –1:„Mein Buch wird durchaus günstigbesprochen;die Fachautoritätenwie Sauer,Köster, Waldberg haben sich erst brieflich, da aber höchst anerkennend geäußert.“ II.1. Zwischen Universität und Staatsverfassung 101

Vorbehalte durch,die gegen das Themader Habilitationsschrift und die Wissenschaftlerin ins Feld geführt werdenkönnten, und entkräftete sie sogleich.57 Nach diesen, auf persönlichen Einflussnahmen beruhenden Vorbe- reitungen traf Touaillons Habilitationsantrag auf eine Kommission58,die, zumindest laut Sitzungsprotokollen, kein Wort darüber verlor,dass über die Habilitation einer Frau verhandelt wurde. TouaillonsHabilitations- schriftwurde als „[r]espektable Leistung“ mit „[g]ute[r] Fragestellung“ (Brecht) bezeichnet, ihr selbst eine „sehr gründliche Bildung“ (Jellinek) attestiert und auch von ihrer „Persönlichkeit“ hatte die Kommission einen „guten Eindruck“ (Brecht, Much).59 Dieaus den erhaltenenAkten her- vorgehende Diskussion war hauptsächlich von den teilweise konträren Ansichten des Professorenkollegiums über den Charakter idealtypischer Wissenschaftbestimmt.Dabei stand die Frage der innerfachlichen Dif- ferenzierung im Mittelpunkt: Nämlich, ob Touaillondie Lehrbefugnis für das ganze Fach oder ob ihr,wie es ohnehin bereits Usus war,imInteresse der weiteren institutionellen Etablierungeines Teilgebiets die Venia Leg- endi nur für die neuere Abteilung verliehenwerden sollte.60 Nach Habi- litationskolloquiumund Probevortrag über „DieEntwicklung der deut- schen Kinderliteratur“ sprach sich das Professorenkollegium der philosophischen Fakultät am 18. Juni 1921 für die Verleihung der Lehr- befugnis für „neuere deutscheLiteraturgeschichte“ aus, worüber das Mi- nisteriumam30. Juni 1921 informiert wurde.61 Zwei Wochen später,am

57 Sauer:Christine Touaillon, Der deutsche Frauenroman des 18. Jahrhunderts [Rez.] (1921). Zu den Rezensionen vgl. auch Kap. II.2. 58 Der Kommission, die am 14. Juni 1919 von Dekan Karl Diener(Geographie) einberufen wurde, gehörten die Germanisten Walther Brecht, Rudolf Much, Max Hermann Jellinek und Robert Franz Arnold sowie Karl Ettmayer (Romanische Philologie), Paul Kretschmer (Sprachwissenschaft), Edmund Hauler(Klassische Philologie), Oswald Redlich (Geschichte), Friedrich Becke (Mineralogie)und Karl Luick (Englische Philologie) an. 59 Protokoll des Kommissionssitzung betreffend das Gesuch von Dr.Christine Touaillon um Erteilung der Venia legendi für neuere deutsche Literaturgeschichte vom 7. Dezember1920;UAW,Phil. Fak.,Zl. 939 ex 1920/21, PA 3462 Christine Touaillon. 60 Protokoll des Kommissionssitzung betreffend das Gesuch von Dr.Christine Touaillon um Erteilung der Venia legendi für neuere deutsche Literaturgeschichte vom 7. Dezember1920;UAW,Phil. Fak.,Zl. 939 ex 1920/21, PA 3462Christine Touaillon. 61 Brief des Dekanatsandas Ministerium für Inneres und Unterricht vom 30. Juni 1921;ÖStA, AVA,Unterricht allgemein, Philosophie Professoren, MCU Zl. 14978 ex 1921, PA Christine Touaillon. 102 II. Christine Touaillon (1878 –1928)

10. Juli 1921, wurde der Beschluss vom Ministerium bestätigt.62 Damit war Christine Touaillon die erste habilitierte Germanistin und 14 Jahre nach der Romanistin Elise Richter die zweite habilitierte Frau in Öster- reich.

II.2. Literatur-, Kultur- und Sozialgeschichte – Der deutsche Frauenroman des 18. Jahrhunderts (1919)

Mitihrer Habilitationsschrift Der deutsche Frauenroman des 18. Jahrhun- derts (1919)trat Christine Touaillon mit einem Unterfangen in die uni- versitäreGermanistik ein, das in wissenschaftsgeschichtlicher Hinsicht sowohl in seiner Themenstellung und in seiner methodischen Vorge- hensweise als auch in seiner (innerfachlichen) Rezeption bemerkenswert ist. DieWahl des Themas bedurftezeitgenössisch einer eingehenden Er- klärung und Verteidigung. Gleich zu Beginn ihrer umfassenden Unter- suchung wehrte sich Touaillon dagegen, dass ihr Buch nichtals wissen- schaftliche Analyse, sondern als zweckgebundener und parteiischer Beitrag zur Frauenbewegung gelesen werde. Das Vorwort eröffnete sie demgemäß mit folgenden Worten: So überflüssig es bei einer wissenschaftlichen Arbeit erscheint, ihre Ten- denzlosigkeit zu betonen, so legt derTitel des Buches doch die Befürchtung nahe, es werde für eine Tendenzschriftgehaltenund –jenach Parteistellung des Lesers –mit einem günstigen oder ungünstigen Vorurteilindie Hand genommen werden. In Wirklichkeit glaube ich so objektiv gewesen zu sein, als ein Mensch überhaupt objektiv sein kann:weit über dem Geschlecht steht mir die Wissenschaft.63 Doch nicht nur die vermutbare Nähe ihres Buchs zur Frauenbewegung bzw.zuprogrammatischen Zielen einer feministischenGeschlechterpolitik versuchte Touaillon –durch eine klare Abgrenzung von wissenschaftlichem und gesellschaftspolitischem Feld –zuentkräften, sondern auch die Position ihres Themas innerhalb des wissenschaftlichen Feldes selbst er-

62 Briefdes Bundesministeriums für Inneres und Unterricht an das Dekanat der philosophischen Fakultät vom 10. Juli 1921;UAW,Phil. Fak.,Zl. 939 ex 1920/21, PA 3462 Christine Touaillon. 63 Touaillon:Der deutsche Frauenroman des 18. Jahrhunderts (1919),S.VII. –Im Folgenden im Fließtext zitiert als (Touaillon 1919, [Seitenangabe]). II.2. Literatur-, Kultur- und Sozialgeschichte 103 schien ihr rechtfertigungsbedürftig. So stellte sie fest,dass es „unmöglich [sei],den Frauenroman vom Männerroman64 völlig zu trennen“: Nurscheinbar setzt der Titel dieser Arbeiteine solcheTrennungvoraus. In Wirklichkeit ist die Geschichte des Frauenromans nur ein Kapitel der Ge- samtgeschichte des Romans, aus dieser herausgehoben, weil derdeutsche Frauenroman des 18. Jahrhunderts bisher überhaupt keine Beachtung durch die Literaturgeschichte erfuhr.(Touaillon 1919, 3) WasTouaillon hier1919 ihren Fachkollegen vorschlug, war eine bislang vernachlässigte, ihres Erachtens aber notwendige Ergänzungund somit auch Vervollständigung der bisherigen Literaturhistoriographie (auf deren Status in der zeitgenössischen Germanistik noch zurückzukommen sein wird). Gleichzeitig hattediese alternative Literaturgeschichtsschreibung aber auch ihre eigene Überwindung zum Zielund somit programmati- schen Charakter.Essollte durch Integration in die allgemeine, d.h. zeit- genössisch männlicheGeschichte des Romans überflüssig werden, den Frauenroman getrennt darzustellen.65 Es läge nahe, TouaillonsRechtfer- tigung nichtnur als explizite Benennung eines Desiderats der Literatur- geschichtsschreibung, sondern auch als ausdrückliche Kritik an der bislang innerhalb der Germanistik vorgenommenen Auswahl an Forschungsbe- reichen und als Frontstellung gegen ihre männlichen Fachkollegen zu lesen. Wie noch zu zeigen sein wird,bedeutete die Themenwahl Touaillons zeitgenössisch aber eher die Einschreibung in ein bislang unbesetztes und somit auch konkurrenzfreies Forschungsgebiet. Der Aufbau des Buchs folgt –gemäß Touaillons Auffassung, dass der Frauenroman denselben Prinzipien wie derMännerroman gehorcht –dem bis heute üblichen Epochenschema von Literaturgeschichten:Invier Abschnitten unterscheidetsie den empfindsamen, den rationalistischen und den klassizistischen Frauenroman sowie romantische Elemente im deutschen Frauenroman. Für die Empfindsamkeit bespricht Touaillon vor allem Sophie von La Roche und ihren Roman Geschichte des Fräuleins von Sternheim,aber auch weniger bekannte Autorinnen wie EleonoreThon, Meta Liebeskind und Friederike Lohmann. Den rationalistischenFrau-

64 Touaillon verstand unter ,Frauenromanen‘ von Frauen, unter ,Männerromanen‘ von Männern geschriebene Romane. Diese Begriffe werden im Folgenden,wenn nichtanders gekennzeichnet, in dieser Bedeutung von mir übernommen. 65 Dabei handelte es sich um eine Forderung, die mit der erneuten Konjunktur des Begriffs ,Frauenliteratur‘ erst wieder in den 1970er Jahren, also ein halbes Jahr- hundert nach Touaillon, inneruniversitär vertreten wurde. Vgl. dazu Weigel:Frau und „Weiblichkeit“ (1984). 104 II. Christine Touaillon (1878 –1928) enroman teilt Touaillon in Gegenwarts- und Vergangenheitsroman; als Verfasserinnen von Gegenwartsromanen bespricht sie Maria Sagar (als einzige Österreicherin), Barbara Knabe, Helene Unger,Benedicte Naubert, Sophie Tresenreuter,Helmine Wahl, Karoline von Wobeser,Sophie Ludwig, Amalie Ludecus, Wilhelmine Neuenhagen, Isabella von Wal- lenrodt und Therese Huber;als Vertreterinnen des Vergangenheitsromans geht Touaillon abermals, diesmal ausführlich auf Naubert ein, nennt aber auch SophieAlbrecht, Elisabeth Hollmann und Friederike Henriette Kühn. Der klassizistische Roman wird angeführt von Caroline von Wol- zogen, gefolgt von Charlotte Kalb und Sophie Mereau, bevor sie im letzten Kapitel zur Romantik auf Dorothea Schlegel und die zu Lebzeitenun- beachtete, von Touaillon aber als Ausnahmeerscheinung gehandelteAu- torinKaroline Auguste Fischer eingeht, der sie bereits vier Jahre vor Er- scheinen ihrer Habilitationsschrifteinen Aufsatzinder Festschriftfür Wilhelm Jerusalem gewidmet hat.66 Recherchiert hat Touaillon all diese Autorinnen samt der von ihnen verfassten Romane (Touaillongeht auf die beachtliche Anzahl von über 240 von Frauen im 18. Jahrhundert geschriebenen Romanen ein) sowohl in Nachschlagewerken wie Karl Goedekes 1856 begründetem und bis heute fortgeführtem Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung und Carl Schindels dreibändigem Lexikon Die deutschen Schriftstellerinnen des 19. Jahrhunderts (1823–1835) als auch anhand der Durchsicht zeitge- nössischer Literaturzeitschriften und veröffentlichter sowieinArchiven aufbewahrter Briefwechsel kanonisierter männlicher Schriftsteller wie , und Clemens Brentano. Das dadurch angesammelte Material erklärt Touaillon nach einem Prinzip der Literaturgeschichtsschreibung, das ebenso aufwendig gewesen sein dürfte wie die Quellensuche selbst. Wie Sebastian Meissl zu Recht feststellte, folgte Touaillon dem „methodische[n] Leitsatz, wonach Literatur aus der Summe ihrer historischen Bedingungen zu erklären sei“67.Gleichzeitig und demscheinbar widersprechendargumentiertTouaillon aber auch immer wieder in derHierarchiestereotyp angenommener,Geschlechtscharaktere‘.68

66 Touaillon:Karoline Auguste Fischer (1915). 67 Meissl:Germanistik in Österreich (1981),S.477. 68 Touaillon benutzt diesen Begriff selbst;vgl. Touaillon:Der deutsche Frauenroman des 18. Jahrhunderts (1919), S. 621 und S. 625. –ZuDefinition und Vorstel- lungsrahmen dieses Begriffsvgl. Hausen:Die Polarisierung der ,Geschlechtscha- raktere‘ (1976). II.2. Literatur-, Kultur- und Sozialgeschichte 105

Ihre Ausführungen eröffnet Touaillon mit einem Überblick über die Geschichte des deutschen Männerromans, der sie eine umfassende Sozi- algeschichteder Frau vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert folgenlässt, um schließlich zum eigentlichen Thema, den „unmittelbaren Entste- hungsursachen des deutschenFrauenromans“ (Touaillon 1919, 57–66), zu kommen:Zudiesen zählt sie nicht, wie es Endeder 1910er Jahre in- nerhalb der Germanistik en vogue gewesen wäre, ein überpersönliches abstraktes Entwicklungsschema odereinen geistesgeschichtlichen, ,un- hintergehbaren Weltlauf‘, sondernkonkrete,historisch fass- und erklärbare Konstellationen. So sei die Konzentrationdes Rationalismus auf Bildung und Belehrung für einen ersten Zugangvon Frauen zur literarischen Produktionverantwortlich gewesen;vor allem durch den großen Erfolg der MoralischenWochenschriften, die über ein halbes Jahrhundert „die Bil- dung und die Weltanschauung der deutschen Frau“ (Touaillon 1919, 57) prägten.Die um 1750 aufkommende Briefleidenschaftwiederum er- möglichte, dass Frauen „außerhalb der Literatur eine schriftstellerische Technik von nicht geringerBedeutung“ (Touaillon 1919, 58) erwerben konnten, und führte zudem –durch in Zeitschriften abgedruckte Leser- briefe und Briefwechsel mit berühmten Männern –zueiner ersten Be- rührung mitder (literarischen) Öffentlichkeit. Auch der Pietismus habe, wenngleich „ganz gegen seine Absicht“, das „Wesen der Frau für Kunst aufgeschlossen, indem er das ganze Leben auf die Grundlage des Gefühls stellte“ (Touaillon 1919, 61). Als dritte Ursache nennt Touaillon einen Wandel im Verhalten ,gelehrter Männer‘, die, wie Christian Fürchtegott Gellert, Johann Christoph Gottsched oder Johann Jakob Bodmer,be- gannen, Frauen explizit zur Schriftstellerei anzuhalten und damit neben das „Idealder Hausfrau“ auch das „Idealder gebildeten und geistig freien Frau“ (Touaillon 1919, 62) treten ließen. Doch nicht nur gesellschaftliche Veränderungen seien für den Zugang von Frauen zur Literatur verantwortlich gewesen,sondern auch Trans- formationen im künstlerischen Feld selbst:Durch die Entstehung des Familienromans sei „eine neue Epoche der deutschenLiteratur“ ange- brochen, die „zum erstenmal die Frau zum Stoff der Dichtung“ (Touaillon 1919, 63) werden ließ: Hatte der literarische Stoff durch seine Konzen- tration auf Kämpfe, Irrfahrten und Abenteuer davor jahrhundertelang den Frauen das „Eindringen in die Dichtung erschwert“, so ging es in ihr jetzt um „das selbsterlebteNahe“ (Touaillon1919, 64), wodurch auch die Frau als Leserin gewonnen werden konnte und damit zu einem (ökonomisch) relevanten Faktor auf dem Buchmarktwurde. Gleichzeitig erleichterten das geringe Prestige des Romans, die einfache, poetologischnicht explizit 106 II. Christine Touaillon (1878 –1928) festgelegte Sprache und der Briefroman als bevorzugte Form, dass sich nicht nur Laien, sondern auch Frauen zum ersten Malineiner nennens- werten Zahl am literarischen Schaffen beteiligen konnten. In der Kapi- telzusammenfassung legt Touaillon auch gerade darauf Wert, dass nicht unbedingt die ,Begabung‘ der Frau die Ursache für ihren bisherigen Ausschluss aus der literarischen Produktion darstellte, sondern die Ver- fasstheit der Literatur selbst:„Als der Roman die Familie zu seinemStoff, den Brief zu seiner Form machte, hatte sich die Kunst den Frauen genähert und so entstand der deutsche Frauenroman.“ (Touaillon 1919, 66) Wie Touaillon bei ihrer Darstellungder einzelnen Schriftstellerinnen im Detail vorgeht,lässt sich an ihren umfassenden Erläuterungen zu Sophie von La Roche zeigen, die 1771mit der Geschichte des Fräuleins von Sternheim nicht nur als erste Frau überhaupt als Romanschriftstellerin an die Öffentlichkeit trat, sondern gleichzeitig auch den ersten empfindsamen Roman schuf.Zunächst entwirftTouaillon La Roches Biographie,wobei Elternhaus, Ehe, Kinder,die gesellschaftliche und ökonomische Stellung sowie die Beurteilungdurch Zeitgenossenebenso breiten Raum einneh- men wie Beteuerungen, dass ihre „Dichtung […] schon in der Kindheit […] im Keime vorgebildet“ gewesen sei. Das zeige sich daran, dass La Roche –wie Touaillon einem Brief der Autorin an ChristophMartin Wieland entnimmt–bereits mit sechs Jahren die „beiden Hauptelemente ihrer Handlung“, den „Kuß und die Träne“,zuihren bevorzugten Aus- drucksmitteln erklärte. (Touaillon 1919,71–72) Nach streng philologischen Untersuchungen zu Entstehungsgeschichte und Textgenese der Geschichte des Fräuleins von Sternheim widmet sich Touaillon der Einflussforschung. So beruhe die Handlung des Romans zum ersten Malinder Geschichteder Literatur fast durchgehend auf theologischer,insbesonderepietistischer Grundlage. Diedrei Stufen (Versuchung –Erniedrigung–Erhöhung), nach denendas Leben der Heldin aufgebaut sei, entsprächen dem Grundschema des christlichen Mythos;die „große Wichtigkeit, welchedie Dichterin der Verzweiflung ihrer Heldinbeilegt“ (Touaillon 1919, 104), lasse den Einfluss des pie- tistischen Theologen August Hermann Francke erkennen, der die Ver- zweiflung als einzig möglichen Wegzuechtem Christentum ansah. Aber auch viele weitere pietistische Ideen fändensich in La Roches Roman:die „Wendung […] gegen das Weltleben“, die „Forderung des geduldigen Ertragens von Trübsal, Angst und Spott“, die„Sehnsucht nach einem Leben in Friede und Freundschaftmit jedermann“ und nicht zuletzt die Überzeugung, dass „gute Handlungen viel ruhmwürdiger als die feinsten Gedanken“ seien. Nebendem Pietismus hatten, laut Touaillon,aber auch, II.2. Literatur-, Kultur- und Sozialgeschichte 107 vor allem für das „Äußere der Handlung“, Motive des älteren deutschen Romans (Verkleidung, Missverständnisse, Gefangenschaft etc.) und Mo- tive des englischen Familienromans (heimliche Heirat, Gefährdung der Tugend etc.) Einflussauf La Roches Schaffen, wobei offensichtliche Ähnlichkeiten mit Samuel Richardsons Romanen Pamela (1740) und Clarissa (1748) auszumachen seien. (Touaillon 1919, 105) Vorgängerfunktion habe die Geschichte des Fräuleins von Sternheim aber auch in der Anlage der Figuren;sobesitze der Held Lord Seymour „Wertherzüge vor dem Werther“und die Heldinsei schon zeitgenössischals „neuer und exotischer Typus“ eingeschätzt worden. (Touaillon1919, 107– 108) Lord Seymour findet im Liebeskummer seine einzige Befriedigung, er „klagt statt zu handeln“, ist unentschlossen und fühlt, dass „seineEmp- findungen ihm gefährlich werden“; Sophie von Sternheim wiederum hat bereits ein „empfindsames Äußeres“, sie ist „nicht mehr vollkommen schön“, beeindruckt abermit einem „Gesicht voll Seele“. (Touaillon1919, 108) Gleichzeitig weise der Roman auch die für die Empfindsamkeit „typische Unterscheidung zwischen männlicher und weiblicher Emp- findsamkeit“ auf:Während die Heldin trotz ihrer Konzentration auf die Vorgänge in ihrem Inneren immer gefasstund gütig bleibt, ist LordSey- mour stets „schwermütig bis zur Zerrissenheit“. Außerdem finden sich in dem Roman die für die Empfindsamkeit charakteristischen „Männerträ- nen“, die „Liebe auf den erstenBlick“, ein „Übermaß an Empfindungen“, das „Gefühl der Unzulänglichkeit des Lebens“, das „Motiv der Krankheit aus Kummer“ und nichtzuletzt eine Vielzahl an empfindsamen Briefen, die immer und überall geschrieben werden. (Touaillon 1919, 110) Auch in der Technik des Romans sieht Touaillon einen klarenFort- schritt gegenüber den Vorgängernder Sternheim: So fehle die „Sucht nach Spannung“ (Touaillon 1919, 112), die den heroisch-galanten Roman kennzeichne, und der zusammenfassende und aufklärende Erzähler,der durch den rationalistischen Roman führe, ebenso wie die für beide typi- schen undurchsichtigen Verwicklungenund Versteckspiele zugunsten eines klaren, übersichtlichen und kunstvoll gestalteten Aufbaus. Selbstdie von Richardson übernommeneBrieftechnik habeLaRoche durch das Weg- lassen der Antwortschreiben dahingehend modifiziert, dass eine klare Straffung der Darstellungzuerkennen sei. Bezüglich der Sprache könne der Roman, wie schon Ende des 18. Jahrhunderts der Theologe und Bonner Professor für Literatur Eulogius Schneider und im 19. Jahrhundert auch 108 II. Christine Touaillon (1878 –1928)

Erich Schmidt betonten,69 als „klassischesMuster für die Knappheit des Stils“ (Touaillon 1919, 114–115) bezeichnet werden. Dabei sei aber,wie Touaillon betont, ein „Mangelzur Quelle des Vorzugs“ geworden:Dass La Roche den epischen Fluss nicht durch theologische, philosophischeoder politische Erörterungen unterbrach, führt Touaillon nämlich darauf zu- rück, dass es dem „weiblichen Geist“ (Touaillon 1919, 112) noch nicht möglich war,Konflikte zu abstrahieren.Und auch dass in La Roches Roman zum ersten Mal„das Seelische so unverkennbarden Kern der Handlung“ bildet, dass tatsächlich von einem „empfindsamen Roman im Gegensatz zu den rationalistischen Familienromanen […],bei denen das familiäre Milieu wichtiger ist als das Gefühl“ (Touaillon 1919, 115–116), gesprochen werdenkönne, erklärt Touaillon mit geschlechtsspezifischen Zuschreibungen:Sohabe La Roche den Roman als „Trost für den eigenen Seelenschmerz“, als „Flucht aus dem Leben“ geschrieben und damit „das Fühlen [zur] wichtigste[n] Grundlage dichterischer Arbeit“ (Touaillon 1919, 116) erhoben. Eine ähnliche Vorgehensweise verfolgt Touaillon auch beim rationa- listischen Frauenroman, den sie zunächst in „zwei natürliche Gruppen“, den rationalistischen Gegenwarts- und den rationalistischen Vergangen- heitsroman, teilt. Erstgenannter schließe laut Touaillon „unmittelbar an den rationalistischen Männerroman“ an, besitze unter „allen Romanrich- tungen des 18. Jahrhunderts […] die weitaus größte Zahl von Vertrete- rinnen“ (Touaillon 1919, 233) und widme sich ausschließlich der „Stellung des Menschen innerhalb der bürgerlichenFamilie“ (Touaillon 1919, 234). Dieeinzige Autorin, die sich ernsthaftvom Familienmilieu abgewendet habe, sei Benedicte Naubert gewesen,deren Hauptleistung Touaillon – trotz des großen Erfolgs ihres Gegenwartsromans Die Amtmannin von Hohenweiler (1787)70 –imVergangenheitsroman, also in der Ausgestaltung von „Stoffe[n] der Geschichte und Sage“ (Touaillon 1919, 233), sieht. Naubert, deren Autorschaftbis kurz vorihrem Todanonym blieb,71 war die

69 Schneider:Die ersten Grundsätze der schönen Künste überhaupt, und der schönen Schreibart insbesondere (1790), S. 190;Schmidt:Richardson, Rousseau und Goethe (1875), S. 62. 70 Touaillon zählt den Roman, dessen Handlung Anfang des 18. Jahrhunderts an- gesiedelt ist, zum Gegenwartsroman; nach neueren Definitionen, nach denen die Romanhandlung des historischen Romans nicht „Selbsterlebtes und Erinnertes“ enthalten dürfe, ist er dem Vergangenheitsroman zuzuordnen.Vgl. u.a. Schabert: Der historische Roman in England und Amerika (1981), S. 4. 71 Erst 1817 nannte Karl Julius Schütz in der Zeitung für die eleganteWelt erstmals Nauberts Namen. Dass sich Naubert „zweiunddreißig Jahre hindurch nicht zur II.2. Literatur-, Kultur- und Sozialgeschichte 109 erste deutschsprachige Schriftstellerin, die sich in ihrer literarischen Pro- duktion mit historischen Stoffen beschäftigte. Diezeitgenössische Ge- schichtsforschung hattesich im „Anschluß an , Hume und Ro- bertson“von Theologie und Rechtswissenschaftabgelöst und konzentrierte sich seither nicht mehr auf Einzelereignisse und Herrscherschicksale, sonderntrachtete nun –ausgehend von der Annahmeeiner „inneren Gesetzmäßigkeit des geschichtlichen Entstehens“ –, die „Gesamtent- wicklung des ganzen menschlichen Geschlechtes“ darzustellen und die „Existenz eines Zeitkolorits und eines Nationalcharakters“ zu postulieren. (Touaillon 1919, 382)Vor diesem Hintergrund habesich NaubertsRoman an die „einzigedamalsvorliegende Form des Geschichtsromans, nämlich an den heroisch-galanten Roman“ (Touaillon 1919, 382–383) ange- schlossen, diesen aber wesentlich verändert und erweitert. Nicht mehr erdichtete historischeSzenerien und das Ineinanderweben von Gegenwart und Vergangenheit spielenbei ihr eine Rolle, sondern ein reflektierter Umgang mit historischen Quellen oder,wie Touaillon –Naubert zitie- rend –betont, das Ansinnen, „die wahreGeschichte nie zu entstellen und sich nur bei Muthmaßungeneigene Dichtungenzuerlauben“. Dement- sprechend sieht Touaillon Nauberts Selbstpositionierung als „ganz bewußt zwischenGeschichte und Dichtung“ angelegt:Sie sei „weder als Gelehrte noch völlig als Romanschreiberin“ zu sehen;ihre Romane versieht sie mit „gelehrten Anmerkungen, […] Bezugnahme[n] auf Chroniken und wis- senschaftlicheWerke“, gleichzeitig habesie aber auch „das Bedürfnis, die politischen Tatsachen mit menschlichenSchicksalen zu durchsetzen und mit dem Reizder Abenteuerauszuschmücken“. (Touaillon 1919, 386) Nauberts „Auffassungdes Weltgeschehens“ schätzt Touaillon „in allen wichtigen Punkten [als] rationalistisch“ ein:Dazu zählt sie die skeptische Betrachtung historischer Ereignisse und der bisherigenGeschichtsfor- schung ebenso wie die Geringschätzung von „Sitten und Meinungen, welche mit ihrer eigenen ZeitinWiderspruch stehen“. (Touaillon 1919, 388–389) Vorallem, dass inNauberts Romanen alle Entwicklungen einer scheinbar natürlichen,kausal erklärbaren Folgerichtigkeit unterliegen, führt Touaillon auf ihre Nähe zur Aufklärung zurück.72 Für die Emp-

Urheberschaftihrer sehr beliebten Romane bekannt[e]“,begründet Touaillon damit, dass „Bescheidenheit […] der innerste Grundzug ihres Charakters gewesen“ sei. Touaillon:Der deutsche Frauenroman des 18. Jahrhunderts (1919), S. 341. 72 Das Entwicklungsschema von Nauberts Romanen erklärt Touaillon folgender- maßen:„Awird z.B. durch Bzudem Zwecke Cerzogen;dieser Zweck Csetzt sich aus den Faktoren c1,c2,c3zusammen. Um diese Faktoren und schließlich C 110 II. Christine Touaillon (1878 –1928) findsamkeit besitze die Autorin hingegen „kein Organ“ (Touaillon 1919, 404), womit Naubert unter allen deutschen Schriftstellerinnen des 18. Jahrhunderts eine Sonderstellung einnehme. Ganz der unpathetischen Haltung der Aufklärung entsprechend verwehreNaubert empfindsame Naturschilderungen ebenso wie empfindsame Seelenanalysen; stattdessen konzentriere sie sich auf „Tatsachen“ (Touaillon 1919, 405), was aber nicht bedeute, so Touaillon, dass Naubert ein „restloses Verständnis“ (Touaillon 1919, 391) der Welt für möglich halte. Vielmehr bleibe in Nauberts Werken immer ein „unerklärbarer Rest“(Touaillon 1919,414), der sie zur „ausgesprochenste[n] Vorläuferinder Romantik“ (Touaillon 1919, 420) mache. Ihre Neuen Volksmärchen der Deutschen (1789–1792) seien „eine der frühesteten Verkündigungen romantischenGeistes“, in denenbereits „vor A.W.Schlegels Theorie und Ludwig Tiecks Praxis“ (Touaillon 1919, 408) Gefühle vom „Standpunkt des Interesses für merkwürdige uner- klärliche Regungen“ geschildert werden, der „leichte, selbstironisierende Tondes rationalistischen Erzählers […] dem Tonder Schwermut“ weiche und sowohl der „romantischen Zerrissenheit“ als auch dem „romanti- sche[n] Gefühl der Einheit des Menschen mit der Natur“ gehuldigt werde. (Touaillon 1919, 410–411) Auch frühe Motive des Wunderbaren iden- tifiziert Touaillon:Sospielen in den Märchen „geheimnisvolle[ ]Träu- me[ ]“ (Touaillon 1919, 412) und „Dämmerzustände“ebenso eine Rolle wie „das Grauen in der Natur“ und „übernatürliche[ ]Kräfte“ (Touaillon 1919, 414–415). Selbst die „Form“ steige, „wiespäter so häufig in der Romantik“, bis zu einer „Dichtung dritter Potenz“ auf, bestehe also aus „Rahmen, Kernerzählung, Erzählung in der Erzählung,Rahmen“. (Tou- aillon 1919, 419) Diese bemerkenswert frühe Hinwendung zur Romantik sei laut Touaillon damit zu erklären, dass Naubert –imUnterschied zu den meisten Autoren ihrer Generation –73 sich nach rationalistischen Anfängen nicht dem und der Empfindsamkeitgewidmet habe, sondern „unter Beibehaltung aufklärerischer Grundlagen unmittelbar zur Romantik“ (Touaillon 1919, 421) übergegangen sei. Nicht zu überschätzende Bedeutung habeNaubert aber auch für die Erneuerung des historischen Romans im 18. Jahrhundert. Der Vergleich mit den zeitgenössischen männlichen Verfassern von Geschichtsromanen

hervorzubringen, müssen die Mittel d, e, fangewendet werden.“ Touaillon:Der deutsche Frauenroman des 18. Jahrhunderts (1919), S. 390 (Anm.152). 73 Touaillon nennt Johann Wilhelm Ludwig Gleim,Justus Möser, Johann Gottfried Herder,Gottfried August Bürger,Maler Müller,Wilhelm Heinse,Johann Wolf- gangGoethe und Johannes Müller. II.2. Literatur-, Kultur- und Sozialgeschichte 111 lässt Touaillon ein klares Urteil fällen:Christian August Vulpius’Romane seien ihren „gänzlich wesensfremd“ und „nur geeignet, den Geschmack zu verschlechtern“. (Touaillon 1919, 429–430) „[W]eniger tief als Vulpius, aber immer noch tief genug unter Benedicte Naubert“positioniert Tou- aillon die „einförmig[en] und unkünstlerisch[en]“ Romane von Friedrich Christian Schlenkert und ChristianHeinrich Spieß. (Touaillon 1919, 431) Ignaz Aurelius Feßler gesteht sie zwar zu, dass er,wie Naubert, die Vernunft über die Leidenschaft stelle, jedoch könne er mit ihr bezüglichder „Frische und Lebhaftigkeit des Temperaments“, der „Echtheit der Gestalten“ und der Realistik ihres „pessimistische[n] Weltbild[s]“ nicht mithalten. (Tou- aillon 1919, 429) MitVeit Weber,der zeitgenössisch und auch in der wissenschaftlichen Forschung die größteAufmerksamkeit unter allen Verfassern historischer Romane erhalten hatte, verbinde die Autorin zwar dasselbe Stoffgebiet und die Art der Benutzung historischer Quellen, aberinder literarischen Ausgestaltung stünden seine „ungeheure[n] Metaphern“, „geschwollene[n] Reden und abgeschmackte[n] Vergleiche[ ]“ ihrer „einfachen,natürlichen […] Sprache“ gegenüber.(Touaillon1919, 427)74 So sei es nicht Weber, sondern Naubert gewesen, die im 18. Jahrhundert „denGeschichtsroman recht eigentlichinSchwung gebracht“ (Touaillon 1919, 434) habe;auch wenn sie in der Literaturhistoriographie „gar nicht“ oder „nicht ihrer Bedeutung entsprechend“ gewürdigt werde. (Touaillon 1919, 440) Dass Naubert eine derartigeHöhe literarischen Schaffens überhaupt erreichenkonnte, erklärt Touaillon damit, dass sich bei ihr „[v]iel weniger deutlich als bei den anderenSchriftstellerinnendieser Zeit […] die Ge- schlechtszugehörigkeit“zeige. So deute eigentlich, wie auch während der Zeit ihrer Anonymität vermutet, vielesauf einen Mann als Verfasser hin: die „Freude an der Tat“, das „Ausweichenvor der Empfindung“,die „Bevorzugung männlicher Helden“, die „Ablehnung familiärer Stoffe“ ebenso wie die „Bestimmtheit und Energie des Tones“. Dazu habe „zu ihrem Besten und dem des deutschen Romans“, wie Touaillon betont, nicht nur die „Erziehung durch Männerhandund Männergeist“, sondern

74 Den Vergleich mit Weber nimmtTouaillon auch zum Anlass, das Werturteil des Leipziger Professors für Germanistik, Albert Köster,zurückzuweisen:Dieser hatte 1897 im Anzeiger für deutsches Altertum behauptet, dass Webers Werke die „Echtheit des Kolorits“ auszeichne, Naubert aber „mit tausend Anachronismen und Verstößen gegen Stil und Empfindungsweise der älteren Zeit“ erzähle, was, so Touaillon, nichts anderesheißt, als „ihn zu einer ungerechtfertigten Höhe hin- aufzuschrauben, ihr aber schweres Unrecht zu tun“. Touaillon:Der deutsche Frauenroman des 18. Jahrhunderts(1919), S. 428. 112 II. Christine Touaillon (1878 –1928) auch der „schon angeborene[ ]männliche[ ]Keim in der Seele Benedicte Nauberts“ beigetragen. (Touaillon 1919, 435–436) Den Abschnitt über den klassizistischen Frauenroman eröffnet Tou- aillon mit Carolinevon Wolzogen, die sie „[u]nter den deutschen Frauen des 18. Jahrhunderts“ zu „eine[r] der Begabtesten“ zählt. (Touaillon 1919, 451) Wolzogens Hinwendung zu Idealen der klassischen Antike, zu Maß, Harmonie, Reinheit und Erhabenheit, erklärt Touaillon aus dem Cha- rakter der Autorin. So sei Wolzogen ein „echt moderner nervöser Mensch“ gewesen, der „das mangelnde Gleichgewicht [seines] Herzens“ durch die Erschaffung„eine[r] zweite[n] Welt“ auszugleichen gesucht habe,„weil ihr die erste zu traurig und zu gewöhnlich“ erschien: Sie sucht daher die Harmonie, welche ihrem eigenen Wesen fehlt, aus fremder Größe zu schöpfen:Kant stärkt sie,Herder versöhnt sie mitdem Leben, Homer und Goethe schaffen ihr eine höhere und freundlichere Welt. Größe zu lieben, ist ihre Seeligkeit, mag es nun Menschengröße oder Größe einer Idee sein. (Touaillon 1919, 452–453) Wolzogens „allzu verletzliches Herz will die Welt nicht sehen, wie sie ist“, weshalb ihre Romane nicht„der lebendige Zusammenhang mit einer blühenden Wirklichkeit“ auszeichne, viel eher wirken sie, so Touaillon, „wie ideale Landschaften, erhaben und unwirklich“. (Touaillon 1919, 453) Ihre Bildung verdanke Wolzogen den intellektuellen Größen ihrer Ge- genwart:zum einem ihrem Schwager Friedrich Schiller,der ihr „die großen Geschichtsschreiberdes Altertums“, „die griechischenTragiker,Homer und die griechischeKomödie“ näherbrachte, zum anderen Wilhelm von Humboldt, durch den sie Plato und Euripides kennenlernte, aber auch Goethe, der sie mit seinem „Atem erfüllt“ habe. (Touaillon 1919,455) Ihr erstes größeres Werk, der Roman Agnes von Lilien,der 1793 ent- stand, dessen erster Teil 1796und 1797 in Schillers Zeitschrift Die Horen erschien und der 1798 durch Schillers Vermittlung bei Unger in Berlin auch als Buchausgabe publiziert wurde, habelaut Touaillon in seiner Technik den „Zusammenhang mit dem älteren Romane noch nicht ganz abgestreift“, sei aber inhaltlich eindeutig dem „neue[n] Typus“ des klas- sizistischen Romanszuzurechnen.Dabei bilde Agnes von Lilien „[d]eutli- cher als die meisten anderenWerke jener Zeit“ ein „Zwischenglied zwi- schen Aufklärung und Romantik“: Das Leben sei der Autorin nicht mehr selbstverständlich und klar und noch nicht geheimnisvoll erschienen, sondern „als eine Aufgabe, die in Schönheit gelöst werden“ müsse.Auch habe sie bereits die „Erkenntnis des Gegensatzeszwischen Herz und Welt“ besessen, der aber nicht wie in der Romantik „lebenszerstörend“, sondern II.2. Literatur-, Kultur- und Sozialgeschichte 113 nur als „sanfte[r] Schmerz“ auf sie wirkte.(Touaillon 1919, 463–464) Der Natur räumte Wolzogen eine wesentlich größereRolle ein als der Ratio- nalismus, sie begann sie zu beleben,aber nicht mit romantisch-erschre- ckenden, sondern mit „freundlichen Gestalten“. Insgesamt war ihr die „Harmonie[…] das oberste Gesetzinallen Verhältnissen“, was sich nicht zuletzt in Wolzogens „starke[m] Gefühl für die Form und [ihre] Vorliebe für edle Bilder“, für die ihr die Antike das Schönheitsideal lieferte, zeige. (Touaillon 1919, 464–465) Der „ganze künstlerische Umwandlungs- prozeß, den die Dichterin mit der Wirklichkeit vornimmt“, sei „echt klassizistisch“: So interessierte sie nicht das Alltägliche,Äußere des Lebens, sonderndessen „inneres rätselhaftes Wesen“,das sie durch Abstraktions- prozesse, philosophischeBegriffe und den „Grundsatzder idealen Ferne“ zu fassen suchte.Dadurch sei es Wolzogengelungen, nichtnur eine überaus symbolischeWelt zu erschaffen, sondernden Dingen des Lebens stets auch einen höheren Sinn zu verleihen. (Touaillon 1919, 466–467) Hinsichtlich des ästhetischen und ethischenKonzepts des Romans sei, so Touaillon, Schillers Einfluss nicht zu übersehen;überhaupt mute Agnes von Lilien „wie ein Beispiel zu seiner Theorie“ an. Schillers Überlegungen zur Aufgabeder Kunst als Veranschaulichungdes Schönen und Erhabenen zeigen sich laut Touaillon vor allem in den FigurenAgnes, Nordheim und Alban, die Wolzogenals „schöne und erhabene Charaktere in ihren schönen und erhabenen Handlungen“ zeichnete. Seine doppelte Wir- kungsbestimmung als Erholung und Veredelung habe die Autorin insofern übernommen, als „der sittlicheund ästhetischeKern ihres Romans der Veredlung, seine Gestaltung romanhafter Schicksale der Erholungen“ diene. Ebenso führtTouaillondie Konflikte des Romans auf „den Kampf der sittlichen Natur des Menschen mit dem Naturgesetz im Schillerschen Sinne“ zurück, und das, „was Schiller als Begriff der Tugend hinstellt“, sei dadurch vertreten,dass die Helden des Romans die Fähigkeit besitzen, „aus jeder Begebenheit Vergnügenzuschöpfen und jeden Schmerz in die Vollkommenheit des Universums aufzulösen“.Der Anlehnung an Schiller sei die „künstlerische Reinheit ihres Romans“ zu verdanken,der nicht„wie ein Ausschnitt aus dem Leben, sondern wie ein geläuterter Extrakt des Lebens“ wirke, also „einer Kunsttheorie zuliebe“ ein spannungsfreies „Ideal von Leben und Welt“ darstelle. (Touaillon1919,470–471) In der Geschlechterfrage steheWolzogen, wie auch sonst, „auf dem Boden des Klassizismus“ und der „Schiller-Humboldtschen Auffassung“, nach der sowohl Mann als auch Frau erst durch die Liebe zu ganzen Menschen werden. (Touaillon1919, 472–473) In seiner Rezension des Romans huldigte Wilhelm von Humboldt, den Touaillon hier zitiert, der 114 II. Christine Touaillon (1878 –1928)

„Klarheit, Wahrheit und Freiheit des Denkens und des Empfindens“ von Agnes von Lilien,dem „Gleichgewicht ihrer Seele“ und ihrem „Fernsein von jeder Verwirrung“ und hebt –ganz dem klassizistischen Frauenideal ent- sprechend –hervor,dass die Heldin nicht der „abgesonderte[n] phanta- sielose[n] Beschäftigung des Verstandes“, sondern dem Gefühl den Vorzug gebe. Tatsächlich verkörpere die Heldin, so Touaillon,das Ideal der „an- geborene[n] Orientierung der Frau in der moralischenWelt“ und sei gleichberechtigt „neben Gretchen, Klärchen,Marianne und andere Ge- stalten des Klassizismus“75 zu stellen. (Touaillon 1919, 474–475) Vehe- ment widerspricht Touaillon derjenigen Forschungsliteratur,die Agnes von Lilien eine „Selbstbiographie in Romanform“nennt. (Touaillon 1919, 478) In Wirklichkeit sei die Romanhandlung aus Motiven der älteren Ro- mantraditionzusammengesetzt und dort, wo tatsächlich Ähnlichkeiten mit Wolzogens Leben auszumachen seien, werden diese, wie es der „Kunstat- mosphäre und Kunstauffassung eines klassizistischenRomans“ entspricht, in eine „ideale Ferne“ gerückt, sodass „von einem sklavischen Anschluß [an ihre Biographie, E.G.] keine Rede“ sein könne. (Touaillon 1919, 481) Seinen großen Erfolg verdanke der ursprünglich anonym erschienene Roman auch nicht einer möglichen autobiographischen Färbung, vielmehr sei dieser zunächst literarischen Größen wieFriedrich Schiller,Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Heinrich Jacobi zugeschrieben und „allgemein als ein Werk empfunden worden […],das von der Linie des Gewöhnlichen abwich“. (Touaillon 1919, 484) Neben Goethe und Wil- helm Humboldt seien u.a. auch von Caroline Schelling und Charlottevon Stein bewundernde Zeugnisse über den Roman erhalten;Christian Gottfried Körner bezeichnete Agnes von Lilien als die „Arbeit eines vor- züglichen Kopfes“76 und Heribert Dalberg meinte „Schillers Meisterhand zu erkennen“77.Nur die Romantiker schienen mit Wolzogens Roman nicht richtig warm geworden zu sein: revidierte sein an- fänglich positivesUrteil und schrieb den Erfolgdes Romans „dem Cli- quenwesen und der geringen Kultur des Adels“78 zu, was Touaillon mit

75 Gemeint sind Goethes Frauenfiguren in Faust, Egmont und Die Geschwister. 76 Dieses Urteil Körners zitiert Touaillon nach Schiller/Cotta:Briefwechsel (1876). Touaillon irrt jedoch bei der Seitenangabe,tatsächlichfindet sich das Zitatnicht, wie bei Touaillon vermerkt, auf S. 6, sondern auf S. 193. 77 Diese Einschätzung Dalbergs findet sich, wie Touaillon korrekt vermerkt, in dessen BriefanFriedrich Schiller vom 29. Jänner 1797. Urlichs (Hg.): Briefe an Schiller (1877), S. 277. 78 Touaillon fasst mit diesen Worten Friedrich Schlegels Kritik an Wolzogens Roman zusammen, die dieser in einem Brief an vom 28. und II.2. Literatur-, Kultur- und Sozialgeschichte 115

Schlegels Abneigung gegen Schiller begründet wissen will. (Touaillon 1919, 484–485) Undauch Clemens Brentano, der bekanntermaßen „von Frauendichtung überhaupt nichts hielt“ (Touaillon 1919, 486),verspottete in seiner 1800 publizierten Literatursatire Gustav Wasa WolzogensBuch. Diese Ablehnungder Romantiker beruhte, so Touaillon,jedoch auf Ge- genseitigkeit;sohabe Wolzogen Zeit ihres Lebens daraufgeachtet, „den neuen [romantischen,E.G.] Romanen ,vollzerrissener und verkehrter Menschheit‘“ ihren „,einfachen Rechts- und Liebessinn‘“ gegenüberzu- stellen, um –ganz im Sinne des Klassizismus –mit ihren Werken „das Gute zu befördern“.(Touaillon 1919, 500) Im letzten Abschnitt ihrer großen Studie beschäftigt sich Touaillon schließlich mit romantischenElementen im deutschen Frauenroman, wobei sie sowohl auf Dorothea Schlegel als auch auf die von ihr als Ent- deckung porträtierte Autorin Karloine Auguste Fischer eingeht.Dorothea Schlegelwerde laut Touaillon als „einzige offizielle Vertreterin des ro- mantischen Frauenromans“ gehandelt, sei aber ihrem Wesen nach ei- gentlichvon gänzlich „unromantische[r] Natur“ gewesen. (Touaillon 1919, 557) Vielmehr habe sie, so Touaillon,Zeit ihres Lebens mehrvon den rationalistischen Ansichten ihres Vaters Moses Mendelssohn als von den romantischen Ideen ihres zweiten Mannes Friedrich Schlegel gehalten und sei nur aufgrund einer bemerkenswerten „Unselbständigkeit im Denken“ und einer „bedingungslosen geistigenHingabe an den geliebten Mann und seinen Kreis“der Romantikzuzuordnen. So würden sich Schlegels litera- rische Werke vor allem als Zeugnisse eines„künstlerischen Zwiespalt[s]“ lesen lassen;das 1801 publizierte Romanfragment Florentin zeige, dass DorotheaSchlegel dort,wosie Gedanken und Tendenzen aussprach, ro- mantischen Konzepten folgte, bei der eigentlich künstlerischen Arbeit, der „Schöpfung von Gestalten“ und der „Verkörperung von Empfindungen“ aber die Vernunftdie Oberhand gewann.(Touaillon 1919, 559–560) Überhaupt lasse sich in dem Roman,soTouaillon, „keineSpur von dem überwältigenden Tönerauschen, der erschütternden Lebensklage, dem hinreißendenNaturgefühl der Romantik“finden;erwirke viel eher „wie die Probe eines geschickten Rechners,der die romantischen Regeln mit dem Verstande aufnahm“ (Touaillon 1919, 572), weshalb „von einer selbständigen Bedeutung Dorotheas gar keine Rede sein“ könneund sie ihre im Vergleich zu anderen Autorinnen große Beachtung durch die

29. Dezember 1797 äußerte. Der Brief war Touaillon zugänglich bei Walzel (Hg.): Friedrich Schlegels Briefe an seinen Bruder August Wilhelm (1890), S. 337–343. 116 II. Christine Touaillon (1878 –1928)

Forschung „nurihren persönlichen Beziehungen zur romantischen Schule“ (Touaillon 1919, 577) verdanke. Ganz anders fällt Touaillons Urteil über Karoline Auguste Fischer aus, der weder zu ihren Lebzeitennoch in der Literaturgeschichte nennenswerte Beachtung geschenkt wurde. Zu Unrecht, wie Touaillon findet, da die Autorin nicht nur „durch ihre Eigenart, durch die Kraftihrer Empfindung und Darstellungalle anderen deutschen Frauen des 18. Jahrhunderts weit“ übertreffe (Touaillon 1919, 578), sondern gleichzeitig auch eine „glutvolle Vorkämpferinder neuen Frauenrechte“ gewesensei, wie nicht nur ihr li- terarisches Oeuvre, sondern auch ihre feministische Abhandlung Über die Weiber (1813) zeige. (Touaillon 1919, 582) Bereits Fischers erster,1801 in Leipzig publizierterRoman Gustavs Verirrungen zeichne sich, so Touaillon, durch einen „völlig neuen Geist“aus, dem die „Welt der Tugend“ genauso fern liege wie die „Welt der sanften Gefühle“. Vielmehr falle die „Kühnheit des Grundmotivs“ auf,indem es nicht wie bisher um die Beschreibung eines fertigen oder die Vorgabe eines idealen Zustandes gehe, sondern um die Art und Weise, wie ein Mensch zu dem wird, was er ist. In einer Entwicklungs- und Bildungsgeschichte wirdder Held Gustav von seiner Kindheit bis zu seinem Tod–und darüber hinaus –begleitet. Dabei wird selbst die „kühne Schilderung der Leidenschaftund Sinnlichkeit“ nicht ausgespart, was, wie Touaillon betont,„bei einer Frau an der Wende des 18. Jahrhunderts noch ein unerhörtes Wagnis“gewesen sei. (Touaillon 1919, 584–585) Darüber hinaus zeichne sich der –durch den Bericht des Protagonisten und dessen Freundes –inzweifacher Ich-Perspektive ver- fasste Roman durch die Knappheit der Darstellung, das rasche Tempo, die häufigen Dialoge und die gewandte Sprache aus. Fischers zweiterRoman Die Honigmonathe (1802) nimmt seinen Ausgang in einem vehementen Protest gegen Karolinevon Wobesers 1795 erschienenen Erfolgsroman Elisa, oder das Weib wie es seyn sollte,indem die bedingungslose Unterordnungder Frau unterden Mann gefordertwird. Bemerkenswertund beispiellos findet Touaillon die Konzentration des Romans auf „innere Schicksale“und den „Nutzen der Leidenschaften“, die, so Touaillon, zum ersten Malimdeutschen Frauenroman nicht nur die ,sanften‘ Gefühleverdrängen, sondern ohne die sich vor allem auch kein moralisches Bewusstsein entwickeln könne. (Touaillon 1919, 588) Damit verabschiede Fischer ein Frauenideal, „in welchemWeichheit gleich Tu - gend, Härte gleich Laster“ gewesen sei, und stelle stattdessenein „gesundes Gleichgewichtzwischen Egoismus und Altruismus“ her.(Touaillon 1919, 591–592) Auch habe Fischers Sprache nichts von der „Weitschweifigkeit und Schwerfälligkeit“ der Literatur des 18. Jahrhunderts, sondern zeichne II.2. Literatur-, Kultur- und Sozialgeschichte 117 sich durch „Witzund Ironie“, „bewunderungswürdigePrägnanz“ und einen „vollendete[n] Satzrhythmus“ aus. (Touaillon1919, 593) Fragt man nach der literaturgeschichtlichenEinordnung von Fischers Romanen, so können laut Touaillon einzelne Anklängeandie Aufklärung („die Art der sozialen Betrachtung“), den Rationalismus („die logische Schärfe […],die kluge Beschränkung ihrer Handlung“) und den Klassi- zismus (das Bedürfnis einzelner Figuren nach innerer Harmonie) gefunden werden. (Touaillon1919,603) Insgesamt weise das Werk der Autorin aber in eine andere Richtung,nämlich in die Jean-Jacques Rousseaus. Von Rousseau habeFischerdie große Bedeutung des Gefühls gegenüber der Vernunft, die „Ablehnung des Mitleids“, die Darstellung der Leidenschaft und der Sinnlichkeit sowie das „Eintreten in medias res“, die „Sicherheit der Exposition“ und die „glutvolle, hinreißende Sprache“ übernommen, die sie gleichzeitig auch mit demSturm und Drang in Verbindung bringe. (Touaillon 1919, 604–605) Besonders ausgeprägteÜbereinstimmung finde sich aber mit der Romantik, mit der Fischer die Ablehnung logisch- gesicherter Erklärungen, die Bedeutung ungewisser Vorgänge, die schwärmerisch-schwermütige Grundstimmung und die als unbegreifbar und schwankend dargestellten Menschen,denen das Unbewusste näher als das Bewusste sei, verbinde. DieNatur sei bei ihr,wie bei den Romantikern, unergründlich, unbarmherzigund übermächtig zugleich und trotzdem die einzige „Erleichterung im tiefsten Schmerz“ (Touaillon 1919, 608). Ebenso teile sie mit den Romantikern die freie und unbürgerliche Auffassung zwischenmenschlicher Beziehungen sowie die großeBedeutung, die sie der Kunst als Lebensgrundlage beigemessen habe. Doch auch, wenn Fischer alle literarischen Strömungen ihrer Zeit in sich aufgenommen habe und dichterisch zu gestalten im Stande gewesen sei, so falle vor allem ihre „selbständige[]künstlerische[ ]Kraft“ ins Auge, die ihr erlaubt habe,nicht nur weit über die Romantik, sondern überhaupt über ihre Gegenwart hinauszugelangen. Touaillonsieht in Fischer eine entschiedene Vorläuferin des modernen deutschen Romans, betont ihre unerschrocken geäußerte demokratische Gesinnung, die Komplexität ihrer Figuren, ihre „eugene- tischen Forderungen“ (Touaillon1919, 610–611)und vergleicht sie mit Jaques Dalcrozeund . (Touaillon 1919, 614) Fischers Ansichten in der Frauen- bzw.Geschlechterfrage schätzt Touaillon als ausgesprochenfortschrittlich ein;sosei sie die erste deutsche Schriftstellerin gewesen, „die es wagte,Ansichtenüber Mann und Frau auszusprechen und künstlerisch zu verkörpern,welchenicht weniger re- volutionär als die romantischen Ansichten waren“ (Touaillon 1919, 622). Dem Mann trete sie durchweg in „Feindschaft“ (Touaillon 1919, 614) 118 II. Christine Touaillon (1878 –1928) gegenüber;sein Machtanspruch und seine Besitzansprüche an die Frau werden immer,wenn zumeist auch ironisch, als unberechtigt dargestellt; hervorgehoben werde dafür der selbständige und souveräne Status der Frauenfiguren. Wie die Romantiker habe Fischer,soTouaillon weiter,die Ehereformiert und leichter lösbar sehen wollen; in ihrem Roman Die Honigmonathe habesie deshalb ein Ehekonzept entwickelt, das dem von Goethes Wahlverwandtschaften ähnlich sei:Indiesem Konzept soll die Ehe nur auf Zeit geschlossen werden und alle fünf Jahre erneuert oder ge- schieden werden, womit, wie Touaillon betont, „nicht etwa einer Locke- rung der ehelichen Bande das Wort geredet“, sondern nur der „Verödung und Versumpfung des Alltags“ Einhalt geboten werde. (Touaillon 1919, 617) Mitihren Ansichten über die Frauenfrage habe Fischer Pionierarbeit geleistet. Wenn überhaupt von „Vorläufer[n]“ gesprochen werden könne, dann seien diese Touaillon zufolge Mary Wollstonecrafts A Vindication of the Rights of Woman (1792) und Theodor Gottlieb von Hippels Über die bürgerliche Verbesserungder Weiber (1792). Mitder Britin verbindeFischer nämlich die Forderung nach der umfassenden Aufklärung von Frauen über sexuelle Fragen, nach ihrer Selbstbestimmung sowie „nach Entfaltung der weiblichen Persönlichkeit […] zu bewußter Würde“. Im Vergleich mit Hippel wiederum zeige sich eine auffallende Ähnlichkeit der Rhetorik und der Anschauungen. In einer scharfen „Polemik gegen den Mann“ werde von beiden „in zugespitzten Antithesen“, mit „bittere[m] Hohn“und einer „Sprache der Überlegenheit“ die „passive Existenz der Weiber“ verurteilt und davon ausgegangen,dass die Unterdrückungvon Frauen dazu führe, dass „die Hälfte der menschlichenKräfte ungekannt, ungeschätzt und ungebraucht schlummere“. (Touaillon 1919, 622–623) Trotz dieser ins- gesamt die Gleichberechtigung der Geschlechter postulierenden Ansichten von Fischer seien, wieTouaillon bemerkt, in der Gestaltung ihrer Frau- enfiguren teilweise auch widersprüchliche Tendenzen zu bemerken. So folge sie zwar dort, wo sie das neue Frauenidealdarstelle, Wilhelm von Humboldts Auffassung, dass „über dem Geschlechtscharakter noch ein reiner Menschheitscharakter“ stehe, und entwerfe daher wie er den „Typus des dritten Geschlechts“. (Touaillon 1919, 625–626) Dieser sei bei Fischer aber zölibatär gestaltet, also der „Geschlechtsliebe“ gänzlich entzogen. Touaillon interpretiert diese Auslegung des neuen Frauenbilds durch Fi- scher als unnötige Einschränkung, die daraus resultiere, dass der Autorin ein Verhältnis zwischen Mann und Frau untergleichberechtigten Bedin- gungen noch unmöglich erschienen und ihr deshalb „der Ausweg, […] Geschlechtlichkeit und Unabhängigkeit von der Herrschaftdes Mannes zu II.2. Literatur-, Kultur- und Sozialgeschichte 119 vereinen“, verborgen gebliebensei. Da aber Fischers wesentliche künstle- rische Verdienste „aufallgemeinmenschlichem Gebiete“zufinden seien, habe die Autorin,soTouaillon,„trotz diesesIrrweges nicht an Wirkung eingebüßt“.(Touaillon 1919, 629) In der Zusammenfassung ihrer Studie streicht Touaillonzunächstdie Ähnlichkeiten zwischen den von Frauen und den von Männernverfassten Romanen heraus: Sowohl Motivik,Gestaltung, Zeit und Ort als auch Handlung, Weltbild, Tendenz und Tondes Frauenromans entsprächen denen des Männerromans, was zum einendamit zu erklären sei, dass Autorinnen„in ihrem ganzen geistigenLeben von vornherein unter dem überwiegenden Einfluß des Mannes“ gestanden seien, zum anderenaber auch genealogische Ursachen habe, ein „ständiger Austausch geistiger Merkmale zwischen Mann und Frau“ also deshalb stattfinde, weil, wie Touaillon betont, „die Anlagen sich häufig kreuzweise vererben“. (Tou- aillon 1919, 634–625) Trotzdemidentifiziert Touaillon auch eine Reihe von Unterschieden:Sohätten sich Schriftstellerinnen stärker auf Stoffe konzentriert, die ihrem unmittelbaren Lebensumfeld nahestanden, sich eher von erotischen Szenen ferngehalten und pragmatische Lösungenin zwischenmenschlichen Fragenbevorzugt. Siehätten also,wie Touaillon sich ausdrückt, eine „Realpolitik den Gefühlen gegenüber“ betrieben. (Touaillon 1919, 637) Darüber hinaus seien Frauen, die im 18. und frühen 19. Jahrhundert als Autorinnen hervortraten, ganz im Gegensatz zu den in Literaturgeschichten häufig verbreiteten Vorurteilen und im Unterschied zu ihren männlichen Autoren, zumeist durch eine „Doppeltätigkeit“ be- lastet gewesen.Diese habe, wie Touaillonhervorhebt, nicht nur aus ihrer schriftstellerischen Arbeit, sondern vor allem auch aus der „tadellose[n] Erfüllung ihrer familiären Pflichten“ bestanden. (Touaillon 1919, 638) Die Ansicht, die deutschen Schriftstellerinnen des 18. Jahrhunderts wären zum größtenTeil verstiegene und überspannte Frauen und unbefriedigte alte Mädchen gewesen, welche ein erträumtes Leben dem wirklichen vorgezogen und dabei ihre Pflichten vernachlässigt hätten, ist nichts als ein Märchen. (Touaillon 1919, 637) Im Vergleich zu den männlichen Autoren hätten sich Schriftstellerinnen außerdem häufiger mit sozialen und ökonomischen Belangen auseinan- dergesetzt, vehementer gewaltsame Konflikte und Kriege abgelehnt und eher „zum erzieherlichen Wirken“geneigt. (Touaillon1919, 642) Gleichzeitig gebe es in den Frauenromanen, so Touaillon, nur selten philosophische, natur- oder kunsttheoretische Erörterungen;eine „Spur jenes heißen Ringensumdie Weltgeheimnisse, […] wie es im 18. Jahr- 120 II. Christine Touaillon (1878 –1928) hundertbei den Männern geradezu das Merkmal jedes großen Geistes“ gewesensei, fehle überhaupt ganz. (Touaillon 1919, 640) Der Vorstellung, dass diese „Verschiedenheitender Werke“ auf „Ver- schiedenheiten der männlichen und weiblichen Natur“ beruhen könnten, widerspricht Touaillon trotzdem mit Nachdruck. Vielmehrseien sie einzig und allein mit „den verschiedenen Lebensverhältnissen“ und „den An- schauungen des 18. Jahrhunderts über das Verhältnis der Geschlechter“ zu erklären. (Touaillon 1919, 643) Unzureichender Unterricht, das Fern- halten von öffentlichen Positionen, die Festschreibung auf das familiäre Umfeld, die engen Tugendvorstellungen hätten nicht nur dazu geführt, dass Frauen erst im Durchschnitt mit Mitte dreißig, also viel später als Männer,zuschreiben begannen, sondern gleichzeitig auch die Grenzen der Handlung, die Technik,die Sprache und den Tonder Romane bestimmt. Diegebräuchliche „Anekdote von der Veröffentlichung eines Werkes ohne Vorwissen der Verfasserin“ und die vorherrschende erzieherische Tendenz der Romane seien wiederumdarauf zurückzuführen, dass Öffentlichkeit und literarisches Schaffen von Frauen nurdann gebilligt worden sei, wenn ein klar erkennbarer,von Männern abgesegneter Nutzen damit verbunden war.(Touaillon 1919, 645) Daraus lasse sich auch die starke Beteiligung von Schriftstellerinnen an Romanen der Aufklärung erklären, die durch das familiäre Setting und die pädagogische Ausrichtung den Lebensum- ständen der Frauen entgegengekommen seien, währendder Genieroman des Sturm und Drang nichtnur dem männlichen Frauenideal wider- sprochen, sondern auch durch seine Entstehung im akademischen, uni- versitären Umfeld Frauen von vornherein ausgeschlossen habe. Diegeringe Beteiligung von Schriftstellerinnen an der Romantik erklärt Touaillon wiederum mit der darin postulierten Auflösung familiärer und ehelicher Verbindungen;die wenigen Autorinnen des Klassizismus mit dessen An- spruch eines „hohen, in Bildung umgesetztenWissens“. Einzig die Emp- findsamkeit habe es als „Revolution der Schwachen“den Frauen ermög- licht, über ihre Unzufriedenheit zu klagen, ohnegleichzeitig zu –als unweiblich empfundener –Empörung oder gar zur Tatschreiten zu müssen.(Touaillon 1919, 648–649) Ihre Studie beendet Touaillon mit einer kurzen und –imVergleichzu ihren bis dahin überwiegend historisch fundierten Erörterungen –auffällig spekulativen Diskussion einerFrage, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts äußerst populär war und zumeist polemisch verhandelt wurde. Nämlich, ob der deutscheRoman durch den Eintritt von Frauen eine „Bereicherung oder Verarmung“ erfahren habe. Auffällig sei laut Touaillon zunächst, dass das „Überhandnehmen der weiblichen Schriftstellerei“ dazu geführt habe, II.3. Kanon und Geschlecht 121 dass die Thematik der Liebe und Ehealle anderen zwischenmenschlichen Beziehungeninden Hintergrund gerückt habe und bis zum Beginndes 20. Jahrhunderts nahezu kein Roman ohneLiebesgeschichte auszukom- men wagte. (Touaillon 1919, 649) Damit haben, so Touaillon weiter, Autorinnen„dem Dilettantismus und der Seichtigkeit ein bequemes Feld bereitet“ (Touaillon1919, 651).Glücklicherweise sei es dem Roman als Gattung aber gelungen, „um seine Geltung als Kunstwerk zu ringen“ und „sich innerlich mehr und mehr zu reinigen“. Gleichzeitig habe der deutsche Roman den Schriftstellerinnen aber auch eine beachtliche Anzahl an Vorteilen zu verdanken. Neben der „sittliche[n] Reinigung“nenntTou- aillon die Mäßigung in sexuellen Fragen,die Eindämmung der Leiden- schaftund die Entwicklung einessozialen Empfindens, aber auch die Verfeinerung psychologischerBetrachtungsweisen, die allesamt zur „Ver- innerlichung des deutschen Romans“ beigetragen hätten.(Touaillon1919, 652–653) Damit reiche der deutscheFrauenroman, wie Touaillon in ei- nem Zugeständnisandie zeitgenössische Auffassung schreibt, „zwar nicht an die vollkommensten Schöpfungen des Männerromans“ im 18. Jahr- hundertheran;für die Literaturgeschichtsschreibung von Interesse sei er aber trotzdem, da „den Schäden, welche er mit sich brachte, eine Reihe von Vorteilen gegenübersteht“,sodass er „eine wichtige Sendungerfüllt [habe], die aus der Geschichte des Romans nicht mehr weggedacht werden kann“. (Touaillon 1919, 654–655)

II.3. Kanonund Geschlecht

Als Christine Touaillon 1919 ihre Habilitationsschriftüber den deutschen Frauenroman des 18. Jahrhunderts veröffentlichte, war die Erforschung von Literatur von Frauen hauptsächlich im außerakademischen Bereich zu finden. Zwar beschäftigte sich die Germanistik traditionell viel mit Frauen, doch nur selten mit Frauen als Produzentinnen von Literatur.Viel häufiger dienten sie als Musen und Imaginationen der ,großen‘ Dichter.79 Die Rede vom ,Weiblichen‘ wurdeals Bündel von Eigenschaften verstanden, das dazu diente, Theorien und methodische Ansätze als nicht konstruiert, sondern als natürlich begründet erscheinen zu lassen. Eines der bekann- testen und einflussreichsten Unterfangen in dieser Hinsicht ist das litera- turhistorische Epochenschema Wilhelm Scherers. Um seine Geschichte der

79 Vgl. dazu die nach wie vor grundlegendeStudie von Bovenschen:Die imaginierte Weiblichkeit (1979). 122 II. Christine Touaillon (1878 –1928)

Deutschen Litteratur (1883–1888) zu systematisieren, entwickelteScherer eine Wellentheorie,anhand der er die drei von ihm angenommenen Blüteperioden um 600, 1200 und 1800 und die zwei Tiefpunkte im 10. und 16. Jahrhundert zu erklären versuchte. In einer „Kopplung von Kausalannahmen und Geschlechtscharakter“80 differenzierte Scherer dabei zwischen ,männischen‘ und ,frauenhaften‘ Epochen, wobei die ,frauen- haften‘ aufgrund ihres toleranten und kunstsinnigen Charakters die jeweils literarisch produktiveren und wertvolleren seien.81 Den höchsten literari- schen Gipfel einer ,frauenhaften‘ Epoche bildete die deutscheKlassik, allen voran Johann Wolfgang Goethe, mit dessen TodScherer seine Literatur- geschichte auch endenlässt. Frauen selbst haben an diesen Blüteperioden keinen produktiven Anteil, ihr ,Geschlechtscharakter‘ verleiht ihnen bloß die attributive Bestimmung. Ein ganz anderesBild zeichnen die populären zeitgenössischen Lite- raturgeschichten. Die beliebtesten und meistgelesenen unter ihnen, die bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts häufig in einer nicht enden wollenden Auflagenzahl erschienen, beschäftigen sich ausführlich mit Schriftstelle- rinnen. So Julian Schmidts Geschichte der deutschen Literatur im 19. Jahr- hundert (1853), Rudolf Gottschalls Die deutsche Nationalliteratur in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts (1855), Robert Prutz’ Die deutsche Literatur der Gegenwart (1859) und Ludwig Salomons Geschichte der deutschen Nationallitteratur des neunzehnten Jahrhunderts (1881), um nur einige wenige zu nennen.82 Darüber hinaus erschienen in den 1880er und 1890er Jahren drei Literaturlexika, die ausschließlichAutorinnen verzeichnen:Heinrich Groß’dreibändiges Werk über Deutsche Dichterinen und Schriftstellerinen in Wort und Bild (1885), Marianne Niggs Biographien der österreichischen Dichterinnen und Schriftstellerinnen (1893) und Sophie Patakys Lexikon deutscher Frauen der Feder (1898). Wenn man bedenkt, dass ein derartiges Unterfangen erst wieder fast hundert Jahre später rea-

80 Fohrmann:Das Projektder deutschen Literaturgeschichte(1989), S. 222. 81 Zu den Bezeichnungen ,männisch‘ und ,frauenhaft‘ vgl. Scherer: Geschichte der deutschen Dichtung im elften und zwölften Jahrhundert (1875). –ZuScherers literaturgeschichtlicherKonzeption vgl. Müller:Wilhelm Scherer (2000);Mich- ler:Anden Siegeswagen gefesselt (1996); Höppner:Das „Ererbte, Erlebte und Erlernte“ im Werk Wilhelm Scherers (1993). 82 Für eine vollständige Auflistungvgl. Fritsch-Rößler:Bibliographie der deutschen Literaturgeschichten (1994); Schumann: Bibliographie zur deutschen Literatur- geschichtsschreibung(1994). II.3. Kanon und Geschlecht 123 lisiert werden sollte,83 ist die große Aufmerksamkeit, die Schriftstellerinnen am Ende des 19. Jahrhunderts zuteilwurde, durchaus bemerkenswert. Weniger bemerkenswert erscheint sie jedoch, wennman den Status der Autoren und damit den Institutionalisierungsgrad von Literaturgeschich- ten betrachtet:Keiner der genannten Verfasser hatte eine nennenswerte akademische Position inne.Einzig Robert Prutz bekleidete ab 1849 kurzfristig eine Professur für Literaturgeschichte in Halle, gab diese aber aufgrund eines gegen ihn angestrengtenDisziplinarverfahrens nach we- nigen Jahren wieder auf.Julian Schmidt und Rudolf Gottschall gehörten überhaupt nicht dem Kreis der Universitätslehrer an, sondern sahen sich als Publizisten und standen damit im Zentrum der literarischen Öffentlich- keit. Dementsprechend verstanden sie ihre Tätigkeit auch nicht als Ver- tretung eines Fachs, sondernals eine öffentliche Aufgabe, als Dialog mit dem breiten Publikum.84 Die„Einheit von Literaturgeschichte und Literaturkritik“85 und der damit einhergehende publizistische Charakter der Literaturhistoriographie lösten sich auf, als die Germanistik als universitäres Fach sich nichtmehr nur auf die „Herstellung altdeutscher Texte“86 konzentrierte,sondern sich auch als Neuere deutscheLiteraturgeschichte zu institutionalisierenund professionalisieren begann.87 Wardie Behandlung neuerer Literatur bislang der außerakademischen gelehrten Gesellschaftvorbehalten,sobean- spruchte ab der zweiten Hälftedes 19. Jahrhunderts die universitäre Fachwissenschaftdiesen Untersuchungsgegenstand für sich.88 Wesentlich für die Profilierung„der ,Neugermanistik‘ als einesselbstständigen Zweiges der Universitätsphilologie“ war dabei die „Abgrenzungvon der ästhetisch- kritischen und der philosophierenden Rede über Literatur“.89 Dabei galt es, sich von den Verfassern der großeSynthesen bildenden Literaturge-

83 Nämlich durch Friedrichs:Die deutschsprachigen Schriftstellerinnendes 18. und 19. Jahrhunderts(1981). 84 Zur Institutionalisierung der deutschenLiteraturgeschichte vgl. Hohendahl:Li- terarische Kultur im Zeitalter des Liberalismus(1985), bes. S. 266–271. 85 Hohendahl:Literarische Kultur im Zeitalter des Liberalismus (1985), S. 267. 86 Michler:„Das Materiale für einen österreichischen Gervinus“(1995), S. 188. 87 Zur Einrichtung des ,neueren Fachs‘ an den Universitäten vgl. Dainat:Von der Neueren Deutschen Literaturgeschichte zur Literaturwissenschaft(1994);Wei- mar:Geschichte der deutschen Literaturwissenschaftbis zum Endedes 19. Jahr- hundert (1989), S. 429–484. 88 DieserEntwicklung trug die Universität Wienals erste auch institutionellRech- nung, wo, wie erwähnt, 1868 ein zweiter ordentlicher Lehrstuhl für Deutsche Sprache und Literatur eingerichtet wurde. 89 Michler/Schmidt-Dengler:Germanistik in Österreich (2003), S. 200. 124 II. Christine Touaillon (1878 –1928) schichten, die den Exaktheitsansprüchen der am Philologiemodell orien- tierten Neugermanistik nichtmehr genügen konnten, zu distanzieren. Denn:„Literarhistoriker und Dilettant zu sein:diese beiden Prädikate seien als Synonym zu begreifen.“90 Im Zuge dieser Entwicklungist das Schreiben von Literaturgeschichten, das im 19. Jahrhundert noch Hoch- konjunkturhatte –zwischen 1835 und 1899 erschienennicht weniger als 199, d.h. im Durchschnitt drei pro Jahr –, zunehmend in die Krise ge- raten.91 Im Übergang zum20. Jahrhundert drängte die weitere „Ausdif- ferenzierung des geistesgeschichtlichenGrundmodellsinProblem-,Ideen- und Stilgeschichte“92 jedoch nicht nur die Literaturhistoriographie zu- nehmendindie Defensive, sondern auch Autorinnen aus dem Kanon der literaturwissenschaftlichen Untersuchungsgegenstände. Der Kanon, auf den sich die Neugermanistik berief und von dem sie ihren universitären Legitimitätsanspruchableitete, war die Weimarer Klassik. Vorallemdie Goethe-Philologie, mit der sich die Neugermanistik zunächst als Fach konstituierte, stand im Mittelpunkt des Interesses.93 Trotz einiger Kritik an dem neuen Wissenschaftlerselbstverständnis, „Specialist für ein paar classisch-romantische Decennien“94 sein zu wollen, kam man doch immer wieder zu dem Schluss, dass es keinen Sinn mache, „irgend einen Jammerpoetenaus irgend einer Jammerperiode philologisch erschöpfend zu monographieren“95.Gegen die „Wissenschaftdes nicht Wissenswerten“ wurde jetzt „eine stärkere Konzentration auf das Bedeu- tungsvolle, auf die großen Autoren und Werke“ gefordert.96 Überhaupt gewann in Abgrenzung zur und in Erweiterung der kleinteiligen philolo- gischen Arbeit die „Persönlichkeit des Dichters“, das „schöpferische Sub- jekt“ und nichtzuletzt das „literarische Genie“ zunehmend an Bedeutung. Die„gesammeltenDetailerkenntnisse in konzentrierter Form zusam- menzufassen und dabeidas Charakteristische der Erscheinungen hervor- zuheben“wird damit zur „vornehmste[n] Aufgabe“ des Literaturwissen- schaftlers, „weil sie –außer philologischer Schulung –voraussetzt,daß er

90 Fohrmann:Organisation, Wissen, Leistung (1991), S. 117. 91 Vgl. auch die hohe Anzahl von ,Krisentexten‘aus dieser Zeit:Dainat/Fiedeldey- Martyn:Literaturwissenschaftliche Selbstreflexion (1994). 92 Höppner:Die regionalisierte Nation (2007), S. 31. 93 Vgl. Kruckis:Goethe-Philologie als Paradigmaneuphilologischer Wissenschaftim 19. Jahrhundert (1994). 94 Roethe:Gedächtnisrede auf Erich Schmidt (1913), S. 620. 95 Fulda:Ueberhistorischeund ästhetische Betrachtung (1885), S. 677. 96 Dainat:Von der Neueren Deutschen Literaturgeschichtezur Literaturwissenschaft (1994), S. 506. II.3. Kanon und Geschlecht 125

das Wesentliche vom Unwesentlichen und Zufälligen zu unterscheiden“ vermag.97 Wasals ,unwesentlich‘, was als ,wesentlich‘ und wer als ,große Dich- terpersönlichkeit‘ zu gelten hatte, stand jedoch schon vor der Konstituie- rung der Neugermanistik fest.Grundlegend für die Abgrenzung des Ka- nons, auf den sie sich berief und der ihre Einrichtung als universitäres Fach legitimieren sollte, waren nämlich Vorgänge, die sich nicht im Feld der Wissenschaft, sondern im literarischen Feld selbst vollzogen hatten. Diese Vorgänge, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einsetzten, sollten in den darauffolgenden Jahrzehnten den Literaturbetrieb grundlegend verändern. Auch die zur selben Zeit „auftretenden Behinderungen für Schriftstellerinnen“98 lassen sich, wie zu zeigen sein wird, auf dieseVer- änderungen zurückführen. Zum einen ermöglichten geänderte Druckbe- dingungen eine billigere und schnellere Massenproduktion von Büchern, zum anderen wurde durch die zunehmende Alphabetisierung der Bevöl- kerung Literatur nicht nur Angelegenheit einer elitären Oberschicht, sondern verbreitete sich auch bei durchschnittlich gebildeten Lesern.99 Beides zusammen führte zu einer Ausweitung und Kommerzialisierung des Buchmarkts, an dem erstmals auch Schriftstellerinnen in nennenswerter Zahl Anteil hatten. Helga Gallas’und Anita Runges Bibliographie von Romanen und Erzählungen deutscherAutorinnen verzeichnet für die Zeit zwischen 1771und 1810 immerhin 110 Autorinnen mit 396 Veröffent- lichungen.100 Gleichzeitig und in scheinbarem Widerspruchzur Egalisierung und Kommerzialisierung des literarischenFeldes etablierte sich aber auch ein neues, selbstbewusstes Autorschafts- und Kunstverständnis. Dabei wurde die „Autorposition […] durch das Genie besetzt“ und das „Dogma der

97 Dainat:Von der Neueren DeutschenLiteraturgeschichte zur Literaturwissenschaft (1994), S. 507. 98 Heydebrand/Winko:Geschlechterdifferenz und literarischer Kanon (1994), S. 133. 99 Vgl. Bürger:Literarischer Markt und Öffentlichkeit am Ausgang des18. Jahr- hunderts in Deutschland (1980), S. 162–212;Fronius:„Nureine Frau wie ich konnte so ein Werk schreiben“ (2007), S. 29–52. 100 Dramen, Autobiographien und Gedichtbände sind bei dieser Zahl nicht be- rücksichtigt;Gallas/Runge:Romane und Erzählungen deutscherSchriftstelle- rinnen um 1800 (1993). –1825 führte CarlSchindel über 500 Schriftstellerinnen an, Sophie Pataky 1898 bereits über 5.000;Schindel:Die deutschen Schriftstel- lerinnen des 19. Jahrhunderts (1823–1825);Pataky:Lexikon deutscher Frauen der Feder (1898). 126 II. Christine Touaillon (1878 –1928)

Autonomie von Literatur als Kunst“ propagiert.101 Um diese„Literatur mit Kunstanspruch, die sich als autonomes, ästhetisches Medium von Er- kenntnis“102 konstituierte, von der weitverbreiteten ,Unterhaltungslitera- tur‘ zu unterscheiden, wurde ein neues Auswahl- und Orientierungsschema notwendig. Gleichsam als Wächter über die „Dichotomisierung von hoher und niederer Literatur“103 entstand die Institutionder professionellen Literaturkritik.Mit der wachsenden Zahl an Schriftstellerinnen und deren Erfolg am literarischen Markt setzte aber auch eine vehement geführte Debatte über den Status der literarischen Produktion von Frauen ein, in der es vor allem darum ging, zwischen ,hoher‘ und ,niederer‘Literatur auch geschlechtsspezifisch zu unterscheiden. Wie Christa Bürger gezeigt hat, wurde dabei sehr schnell ein enger Zusammenhang zwischen Dilettantis- mus und literarischer Tätigkeitvon Frauen diskursiv festgeschrieben.104 Dieser Engführung von Frau und Dilettantismus kamen zwei historische Erscheinungsformen entgegen, die „für die Kanonchancen der Autorinnen in der Folgezeit von grundlegender Bedeutung“105 waren. Dabei handelte es sich um die Zuordnung von Schriftstellerinnen zum unterhaltsam-di- daktischen Genre und die „Polarisierung der ,Geschlechtscharaktere‘“106 am Ende des 18. Jahrhunderts. Als Vorbild für das den Frauen zugestandenedidaktischeGenre galt der –auch von Touaillon eingehend besprochene –erste deutsche Roman einer Schriftstellerin:die 1771 anonym erschiene und äußerst erfolgreiche Geschichte des Fräuleins von Sternheim von Sophie von La Roche. Als Herausgeber fungierte ChristophMartin Wieland,der ein, von Touaillon nicht beachtetes, ausführliches Vorwort verfasste, in dem er Bestimmungen über Literatur von Frauen formulierte, die in den darauffolgenden Jahr- zehnten eine ungeahnte Wirkungsmacht entfalten sollten.107 DieVerfas-

101 Heydebrand/Winko:Geschlechterdifferenz und literarischer Kanon(1994), S. 134–135. 102 Heydebrand/Winko:Geschlechterdifferenz und literarischer Kanon(1994), S. 136. 103 Bürger/Bürger/Schulte-Sasse (Hg.): Zur Dichotomisierung von hoher und nie- derer Literatur (1982). 104 Bürger:Leben Schreiben (1990), S. 19–31. 105 Heydebrand/Winko:Geschlechterdifferenz und literarischer Kanon(1994), S. 139–140. 106 Hausen:Die Polarisierung der ,Geschlechtscharaktere‘ (1976). 107 Aufdie heute so berühmte von Wieland inszenierte Herausgeberfiktion ging Touaillon nicht ein. Vielmehrbetonte sie, dass an der Rolle Wielands als Unter- stützer und Tadler „nichts Ungewöhnliches, etwa nur bei einer Frauenarbeit Ge- stattetes“zubemerken sei, da auch Männer ihre Texte von anderen Männern II.3. Kanon und Geschlecht 127

serin selbst, von der Wieland,wie er schrieb, die Handschrift„unter den Rosen der Freundschaft“108,also unter dem Siegel der Verschwiegenheit, erhalten habe, habe nie selbstdaran gedacht, „für die Welt zu schreiben, oder ein Werk der Kunst hervorzubringen“109,vielmehr war für sie immer die „moralische Nützlichkeitder erste Zweck“110.Deshalb,sobeteuerte Wieland, konnte „ich dem Verlangen nichtwiderstehen, allen tugend- haften Müttern, allen liebenswürdigen jungen Töchtern unsrer Nation ein Geschenke mit einem Werke zu machen, welches mir geschickt schien, Weisheit und Tugend […] zu befördern“111.Mit der expliziten Nennung des Adressatenkreises, der Intention der Autorin und der Funktionder Sternheim entwarfWieland das Genre ,Frauenliteratur‘ und verwies den Roman sogleich darauf, was La Roches Hervortreten als Autorin zugleich legitimierte, festlegte und beschränkte.112 Möglich war dasaufgrund der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aufkommenden Vorstellung der ,Geschlechtscharaktere‘, derzufolge nicht die gesellschaftliche Stellung, sondern die Natur „de[n] Mann für den öffentlichen, die Frau [aber] für den häuslichen Bereich“113 prädestiniere. Während das frühaufklärerische Konzept des ,GelehrtenFrauenzimmers‘ zumindest zum Teil auf der An- nahme der natürlichen Gleichheit der Geschlechter basierte, ging man bei der ,Empfindsamen‘ von einer natürlichenUngleichheitaus: Die Gelehrte war eine Analogiekonstruktion. Im Bild der Empfindsamen dagegen sollten die Spezifika des Weiblichen deutlich hervortreten. Mit ihm war ein dem Männlichen entgegengesetzt gedachter weiblicher Geschlechts- charaktergemeint.114 DieAblehnung der weiblichen Gelehrsamkeit und die Aufwertung des Gefühls als moralische Instanz führten zwar zunächstzueiner Aufwertung der traditionell den Frauen zugeschriebenen sensitivenEigenschaften, je- doch nur um den Preis der Sektoralisierung. Gleichsamals „Galionsfiguren empfindsamer Tugend“115 und als literarischeRepräsentantinnen dieser

korrigierenließen. Touaillon:Der deutsche Frauenroman des 18. Jahrhunderts (1919), S. 102 (Anm. 107). 108 Wieland:AnD.F.G.R.V.******* [Vorwort des Herausgebers] (1983), S. 9. 109 Wieland:AnD.F.G.R.V.******* [Vorwort des Herausgebers](1983), S. 13. 110 Wieland:AnD.F.G.R.V.******* [Vorwort des Herausgebers](1983), S. 14. 111 Wieland:AnD.F.G.R.V.******* [Vorwort des Herausgebers](1983), S. 10. 112 Becker-Cantarino: Schriftstellerinnen der Romantik (2000), S. 161;vgl. auch dies.: Meine Liebe zu Büchern (2008). 113 Hausen:Die Polarisierung der ,Geschlechtscharaktere‘ (1976), S. 367. 114 Bovenschen:Die imaginierteWeiblichkeit (1979), S. 161. 115 Bovenschen:Die imaginierteWeiblichkeit (1979), S. 159. 128 II. Christine Touaillon (1878 –1928)

Tendenz fungierten weibliche Romangestalten, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts wahrlich Konjunktur hatten.116 Mitder nunmehr klarenUnterscheidung zwischen männlichen und weiblichen Eigenschaften war eine Grundlagegeschaffen,die der litera- rischen Öffentlichkeit die Möglichkeit bot, gegenüber der neu hinzutre- tenden Gruppe schreibender Frauen eine autoritäre Kontrollfunktion auszuüben. Diese Kontrollfunktion umfasste sowohl die Produktion und Publikation der Texte von Frauen als auch deren Rezeption. Das Etikett ,Frauenliteratur‘ wurde dabei zu einem Instrument, um den Handlungs- spielraum von Autorinnen zu beschränkenund um ihr Schreiben an einen von der patriarchalischen Literatur- und Kulturpolitik disziplinierten Ort zu verweisen. Diewohl berühmteste Rezension, die diese Zuordnungen deutlich ausspricht, ist die Sammelbesprechung von drei von Frauen verfassten Romanen, die Johann Wolfgang Goethe 1806 in der Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung veröffentlichte. Darin empfahl Goethe den „Äußerungen einer weiblichen Feder“ immer die Überprüfungdurch einen männlichen Autor, damit alleUnweiblichkeiten ausgelöschtwürden und nichts in einem solchen Werkezurückbliebe, was dem natürlichen Gefühl,dem liebevollenWesen, den romantischen herzerhebenden Ansichten, deranmuthvollen Darstellung und allem dem Guten, wasweiblicheSchriften so reichlich besitzen, sich als ein lästiges Gegengewicht anhängen dürfte.117 Für ,hohe Literatur mit Kunstanspruch‘ kamen Romanevon Frauen schon allein aufgrund ihres moralischen und didaktischen Charakters nicht in Frage, weshalb sie aus dem Kanon der Schulen und Universitäten fielen.118 In Rezensionen wurden sie –wie bei der zitierten Kritik Goethes –häufig nicht einzeln,sondern gesammelt besprochen119 und in den populären Literaturgeschichten, die auch weiterhin Literatur von Frauen aufnahmen, wurden sie nicht in den Gang der dargestellten Geschichte integriert, sondern in eigenen Kapiteln zusammengefasst und isoliert:bei Robert Prutz unter„Dichtende Frauen“, bei Georg Weber unter „Frauenliteratur“

116 Dafür spricht auch die großeAnzahl an Romanen aus dieser Zeit, deren Titel einfach aus einemweiblichen (Vor-)Namen besteht. 117 Goethe:Anonym,Bekenntnisse einer schönen Seele; Anonym,Melanie das Findelkind;Eleutherie Holberg, Wilhelm Dumont [Rez., 1806] (1901), S. 382 und S. 383–384. 118 Vgl.Heydebrand/Winko:Geschlechterdifferenz und literarischer Kanon (1994), S. 138–139 und S. 143–145. 119 Heydebrand/Winko:Geschlechterdifferenz und literarischer Kanon(1994), S. 103. II.4. Themenwahl und akademische Karriere 129

und bei Rudolf Gottschall unter „Moderne Anakreontiker und dichtende Frauen“oder schlicht unter „Die Frauen“.120

II.4.Themenwahl und akademische Karriere

Auch Touaillon durchmaß in ihrer Studie Literaturgeschichten des 19. Jahrhunderts und vermerkte vielfach das Fehlen oder die „nicht ihrer Bedeutung entsprechend[e]“ Darstellungvon Schriftstellerinnen. (Tou- aillon 1919, 440)121 Betrachtet man aber die zahlreiche, von Touaillonin den Fußnoten122 angeführte Forschungsliteratur (insgesamt zitiert sie über 130 Sekundärliteraturtitel, von denen über 110 der universitären sowie außeruniversitären germanistischen Forschungsliteraturzugerechnet wer- den können), so lässt sich auf den ersten Blick kein Mangel an wissen- schaftlichem Interesse für ihr Themaerkennen. Sieht man jedoch genauer hin, so fällt auf, dass sich nur wenige, nämlich 25 der über 110 germa- nistischen Titel, mit Autorinnen beschäftigen;und von diesen 25 sind nur drei Titel tatsächlich von Universitätsgermanisten:Darunterbefinden sich jedoch keinemonographisch-umfassenden Darstellungen, sondernaka- demische Kleinformate –wie eine Rezension123 und ein Zeitschriften- aufsatz124 –und eine Briefausgabe, nämlich ErichSchmidts Caroline. Briefe aus der Frühromantik,inder ,Caroline‘ (gemeint ist CarolineSchelling)

120 Prutz:Die deutsche Literatur derGegenwart (1859), S. 247–270;Weber:Ge- schichte der deutschen Literatur von ihren Anfängen bis zur Gegenwart (1880), S. 165–168;Gottschall:Die deutsche Nationalliteratur in der ersten Hälftedes neunzehnten Jahrhunderts (1855), Bd. 1, S. 433–448, Bd. 2(1855), S. 268– 293. –Für die Durchsicht der Literaturgeschichten des 19. Jahrhunderts unter diesem Aspekt vgl. auch Brinker-Gabler:Die Schriftstellerin in der deutschen Literaturwissenschaft(1976). 121 Zitat: „Die Literaturgeschichten behandelten Benedicte Naubert nicht ihrer Be- deutung entsprechend. Am ehesten wird ihr noch Koberstein gerecht, […] die meisten (selbst Hettner) erwähnen sie überhaupt nicht;auch Haym weiß nichts von ihr.“ –Gemeint sind der 1872 erschienenedritte Band der fünften Auflage von August Kobersteins Grundriß der Geschichte der deutschen Nationalliteratur,Rudolf Hayms Die romantische Schule. EinBeitragzur Geschichte des deutschen Geistes von 1870 und Hermann Hettners dreiteilige Literaturgeschichte des 18. Jahrhunderts, deren erste Auflage 1856–1870 und deren sechste Auflage 1912/13 erschien. 122 Ein Literaturverzeichnis erstellte Touaillon nicht. Die hier erwähnten Titel wurden aufgrund der Kurzangaben in den Fußnoten zusammengestellt. 123 Minor:Emil Palleske (Hg.), Charlotte [Rez.] (1880). 124 Seuffert:Der älteste dichterische Versuch von Sophie Gutermann-LaRoche (1906). 130 II. Christine Touaillon (1878 –1928) aber nichtals Autorin verhandelt wird, sondern als Assistentin und geistige Zuarbeiterin ihres Mannes Friedrich Schelling und als Inbegriff der Muse im Kreis der Romantiker.125 Der Großteil der Sekundärtexte stammt von Lehrern,Schriftstellern, Privat- und Universalgelehrten, also von Verfas- sern, die nicht dem universitärenBetrieb angehörten und somit nur einen schwachen Institutionalisierungsgrad aufwiesen. Doch selbst im außer- akademischen Bereich fanden die Autorinnen vor allem als Freundinnen und/oder Briefpartnerinnen berühmter Zeitgenossen Beachtung,126 wobei die Briefe der männlichen Korrespondenzpartner zumeist publiziert waren, die Gegenbriefe der Autorinnen von Touaillon aber aus den Original- handschriften zitiert werden mussten.127 Auch bei den Primärtexten konnte Touaillon –obwohl das 19. Jahrhundert in der Universitätsgermanistik wahrlich als Jahrhundert der editorischen Großunternehmungen be- zeichnet werden kann –nur in zwei von über 240 Fällen auf Neuausgaben zurückgreifen, diejedoch ebenfalls nichtvon Universitätsgermanisten besorgt worden waren.128 Autorinnenwurdeninpopulären Literaturge- schichten also in eigene Bereiche separiert129 und innerhalb der universi-

125 Schmidt (Hg.): Caroline(1913). –Caroline Schelling veröffentlichte unter eige- nem Namen nichts, ihre Theaterkritiken, Rezensionen und Übersetzungen er- schienen unter dem Namen ihres Mannes Friedrich Schelling. 126 Liebes- und Ehebriefwechsel mit bekanntenSchriftstellern waren besonders be- liebt;u.a.der von Touaillon verwendete Briefwechsel zwischen ClemensBrentano und Sophie Mereau (Brentano/Mereau:Briefwechsel [1908]). Vgl.aber auch die (ebenfalls von Touaillon benutzte) Ausgabe des nicht-akademischen Goethe- Forschers Gustav von Loeper(Goethe:Briefe Goethe’s an Sophie La Roche und Bettina Brentano [1879]). 127 So zitiert Touaillon z.B. Wielands Briefe an La Roche aus Hassencamp (Hg.): Neue Briefe Chr[istoph] Mart[in] Wielands vornehmlich an Sophie von La Roche (1894);die Briefe La Roches an Wieland aber aus Originalhandschriften in der Königlichen BibliothekDresden und im Goethe- und Schillerarchiv in Weimar.– Insgesamt lassen sich die Veröffentlichungen von Autorinnenbriefen im 19. und frühen 20. Jahrhundertwegen ihrer weitverstreutenKlein- und Kleinsteditionen zu Recht als „heilloses Durcheinander“ bezeichnen.Becker-Cantarino:Schrift- stellerinnen der Romantik (2000), S. 161. 128 Dabei handelt es sich um die (mit einem ,informativen‘ Untertitel versehene) Edition von Wolzogens Agnes von Lilien des Journalisten und Schriftstellers Ludwig Salomon (Agnes von Lilien.Roman in zweiBänden von Karoline von Wolzogen, SchillersSchwägerin [1881]) und die Edition von La Roches Fräulein von Sternheim des Hamburger Lehrers Kuno Ridderhoff (La Roche:Geschichte des Fräuleins von Sternheim[1907]). 129 Bezeichnenderweise ist diejenige Literaturgeschichte des 19. Jahrhunderts, auf die sich später auch Universitätsgermanisten beriefen,die einzige, die –mit Ausnahme II.4. Themenwahl und akademische Karriere 131

tären Literaturwissenschaft nur selten als Produzentinnen von Literatur und wenn,dann an der äußerstenPeripherie wahrgenommen. Wenn Li- teratur von Frauen aber keinenstabilen Platz im Kanonder universitären Forschungsgegenstände hatte,wie lässt sich dann erklären, dass sich Christine Touaillon, die erste Privatdozentin der Germanistik, gerade mit einem Themahabilitieren konnte, das bislang als genauso wenig wissen- schaftsfähiggalt wie sie selbst? Diezeitgenössischextravagante ThemenwahlTouaillonsrief unge- wöhnlich viel Aufmerksamkeit und Bewunderung, aber auch die Verur- teilung durch Fachkollegen hervor.Insgesamt wurde ihre Habilitations- schriftzumindest 14-mal in Tageszeitungen und Fachzeitschriften besprochen:zwölfmal davon ausführlich in einer jeweils eigenen Rezension und zweimal gesammelt in den Überblicken Zur deutschen Geistesgeschichte im Zeitalter des Idealismus und Literaturforschung und Verwandtes.130 Im Sinne der Entwicklung und des Selbstverständnisses der Universitätsger- manistikbeanstandeten alle Rezensenten die Beschäftigungmit „dichte- rischen Persönlichkeiten[…],die sich mangels der noch voll entwickelten Ausdrucksfähigkeit in ihren Werken nicht klar umrissen widerspiegeln“131: „Naturgemäß mußte Frau Touaillon sehr viel berücksichtigen, was im üblen Sinne des Wortes bloß Unterhaltungsliteraturgewesen ist“132,wo- durch „sichindem neuenBuche dieKleinware über Gebühr hervor[drän- ge]“133.Amweitesten wagtesich Robert Riemann im Anzeiger für deutsches Altertum und deutsche Litteratur vor,der den Grund für das schriftstelle-

einer halben Seite über Anna Louisa Karsch –keine Autorinnen aufnahm:Ger- vinus:Geschichte der poetischen National-Literatur der Deutschen (1835–1844). 130 Rezensionen in Tageszeitungen:Hermann Michel (Frankfurter Zeitung), Max Mendheim (Leipziger Illustrirte Zeitung), Dr.Gottlieb (Arbeiter-Zeitung), m. (Neue Freie Presse). –Einzelrezensionen in Fachzeitschriften:[Adolf]v.Grolman (Lite- raturblatt für Germanische und Romanische Philologie), HarryMaync (Das litera- rische Echo), Waldemar Oehlke (Literarisches Zentralblatt für Deutschland), Beda Prilipp (Konservative Monatsschrift), Hubert Rausse (Literarischer Handweiser), Rob[ert] Riemann (Anzeiger für deutsches Altertum), A[ugust] Sauer (Euphorion), Oskar Walzel (Göttingische gelehrte Anzeigen). –Sammelrezensionen in Fachzeit- schriften:Robert Petsch (PreußischeJahrbücher), Julius Stern (Zeitschriftfür Deutschkunde). 131 Prilipp:Christine Touaillon, Der deutsche Frauenroman des 18. Jahrhunderts [Rez.] (1921), S. 247. 132 Walzel:Christine Touaillon, Der deutsche Frauenroman des 18. Jahrhunderts [Rez.] (1921), S. 127. 133 Petsch:Christine Touaillon,Der deutsche Frauenroman des 18. Jahrhunderts [Rez.] (1921), S. 251. 132 II. Christine Touaillon (1878 –1928) rische Hervortretenvon Frauen „in ihren unglückseligen lebensverhält- nissen“ sah und „hinter der scheinbaren kraft“ der behandelten Schrift- stellerinnen einfach nur „überreiztheit und hysterie“ vermutete.134 Doch trotz des von allen Rezensenten geteilten Zweifels daran, ob „die schrift- stellerinnen des 18[.] jh.s [überhaupt] bewus[s]tschaffende künstlerinnen waren“135,was die universitäreBeschäftigung mit ihnen erst gerechtfertigt hätte, sprach –bis auf Riemann –kein einzigerder genanntenReferenten Christine Touaillon die Befähigung zum wissenschaftlichen Arbeiten ab. Vielmehr wurde in dem Buch „ein bedeutsamer Beitrag zur Literaturge- schichteklassischer und romantischer Zeit“136 gesehen und Touaillon „gründliche[ ]Kenntnis und sichere[ ]Beherrschungdes umfänglichen Stoffes, eindringende[r] Fleiß und ruhige[ ], vornehme[]Objektivität“137 attestiert. DieeinzigeBesprechung,die ausschließlich positiv geraten ist, die des Gießener Privatdozenten Adolf von Grolman,spricht der Studie sogar „einen so hohenWert [zu],dass Ref. ein ernsthaftes Kennenlernen der Literatur des 18. Jahrhunderts ohne gründliche Auseinandersetzung mit diesem Werk für ausgeschlossenhält“138. Unter den 14 Rezensionen sticht eine aufgrund ihrer dialektischen Umsicht, die sowohl das Thema und dessen Behandlung als auch die Si- tuation der Verfasserin in die zeitgenössische Germanistik einzuordnen weiß, besonders hervor.Esist die Besprechung des Prager Germanistik- professors August Sauer,den Christine Touaillon bereits im Laufe ihrer beiden langwierigen Habilitationsverfahren um Rat gefragt hatte. Sauer schrieb: Dieses bedeutende,glänzend und temperamentvoll geschriebene Buch einer gelehrten und gescheiten Frau verdient die größte Beachtung. Nicht ein be- liebiges Thema hat sich die Verfasserin zur Bearbeitunggewählt, wie wirsie in Seminarien verteilen oder vorschlagen und wie sie im Fluß der jeweiligen wissenschaftlichenStrömungen als dringendnotwendige Baggerarbeit ge- wünscht oder als zufällig angeschwemmtes Strandguterbeutet werden;son- dern der eigensten Begabungund Überzeugung folgend, hat sie es sich selbst

134 Riemann:Christine Touaillon, Der deutscheFrauenroman des 18. Jahrhunderts [Rez.] (1921), S. 59. 135 Riemann:Christine Touaillon, Der deutscheFrauenroman des 18. Jahrhunderts [Rez.] (1921), S. 62. 136 Walzel: Christine Touaillon, Der deutsche Frauenroman des 18. Jahrhunderts [Rez.] (1921), S. 127. 137 Petsch:Christine Touaillon,Der deutsche Frauenroman des 18. Jahrhunderts [Rez.] (1921), S. 252. 138 Grolman: Christine Touaillon, Der deutsche Frauenroman des 18. Jahrhunderts [Rez.] (1921), S. 17. II.4. Themenwahl und akademische Karriere 133

gewählt und von derDurchführung trotz ungeheurer Schwierigkeiten139 nicht abgelassen. Ein durch und durch weibliches Buch.Das ist sehr erfreulich. Gerade in unserer Wissenschafterscheint es als dringend geboten, daß begabte Forscherinnen nicht jede beliebige Arbeitmachen, die ein gleichbegabter Mann auch leisten kann […].140 Der Wunsch Sauers,dass Wissenschafterinnen nicht dieselben Gebiete bearbeiten wie Wissenschafter,verweist auf den Zusammenhang zwischen Themenwahlund akademischer Karriere. So legitimierte Sauer Touaillons Arbeit dadurch, dass er –inder Logik der Geschlechtscharaktereargu- mentierend –ihren Forschungsgegenstand als einen ,natürlich weiblichen‘ herausstrich;ihm also einen Ort zuwies, der in der traditionell männlich dominierten Nationalphilologie einen äußerst unsicheren Stellenwert hatte. Diese thematische Marginalisierung beinhaltete gleichzeitig aber auch die Möglichkeit,sich nicht in die Hierarchie der zeitgenössischen Forschungsgegenstände einzuschreiben und damit auf diesem Gebiet mit den männlichen Kollegennicht direkt in Konkurrenz zu treten.Demnach erlaubteTouaillons Spezialisierung auf randständigeForschungsgebiete die im 18. Jahrhundert bereits implementierte Sektoralisierung weiterzufüh- ren;innerhalb dieses Handlungsspielraums (und nur in diesem) führtesie aber auch zur Akzeptanz auf Ebenen des universitärenFeldes, die bislang als unerreichbargegolten hatten. DieFestschreibung auf ,frauenspezifische‘ Themen wurde Christine Touaillon in ihrer nur sieben Jahre andauernden Privatdozentinnentätig- keit freilichnicht mehrlos. Bereits 1921 hatte sich die Wiener Habilita- tionskommissionvon den drei von Touaillonvorgeschlagenen Themen für das Probekolloquium „Unterströmungen im deutschen Roman des 18. Jahrhunderts“, „Karoline Auguste Fischer“ und „Die Entwicklung der deutschen Kinderliteratur“ einstimmig für das letztgenannte entschie- den.141 Für das von Paul Merker und WolfgangStammler 1925 heraus- gegebene Standardwerk Reallexikonder deutschen Literaturgeschichte ver- fasste sie den Beitrag „Frauendichtung“;142 bereits in der zweitenAuflage fehlt jedoch nicht nur Touaillons Artikel, der Bereich ,Frauenliteratur‘

139 Sauer sprach damit die von Touaillon im Vorwort erwähnte schwierigeMateri- albeschaffung an, die durch ihren Wohnort, den Ersten Weltkrieg und die Auf- findbarkeit der oftnur in Originalausgaben vorhandenen Bücher behindert wurde. 140 Sauer:Christine Touaillon, Der deutsche Frauenroman des 18. Jahrhunderts [Rez.] (1921), S. 737–738. 141 Protokoll der Kommissionssitzung vom 23. Mai1921;UAW,Phil. Fak.,PA3462 Christine Touaillon. 142 Touaillon:Frauendichtung (1925). 134 II. Christine Touaillon (1878 –1928) wurde als einzigergänzlichgestrichen.143 Als einzige Frau war Touaillon in den 1920er Jahren auch an einem weiteren, wenn auch nicht im Zentrum der Universität entstandenen, so doch germanistischenGroßunternehmen beteiligt:Imdritten Band der von Johann WillibaldNagl, Jakob Zeidler und Eduard Castleherausgegebenen Deutsch-Österreichischen Literaturge- schichte finden sich zwei Beiträge über Schriftstellerinnenvon ihr:der Abschnitt über die Wiener Lyrikerin AdaChristen und der Abschnitt über Bertha von Suttner.144 Darüber hinaus veröffentlichte sie ein Kinder- buch,145 publizierte Gedichte146 und berichtete regelmäßig für das Lite- rarische Echo und Die Literatur über Neuerscheinungen von Frauen.147 Dabei handelt es sich um Tätigkeiten, die von ihren männlichen Fach- kollegen nicht zu erwarten waren, sodass rückblickendund von dieser Warte aus mit einigem Recht festgestellt werden kann, dass Touaillon „an der Universitätnicht hervor[trat]“148. DieAußenseiterposition ermöglichte aber auch, dass Touaillon Ak- zente der Neuerung an der Universität setzte:Sotrug sie dazu bei, dass zum einen zeitgenössische Literatur vermittelt wurde;sie hielt vom Sommer- semester 1922 bis zum Wintersemester 1927, ihrem letzten an der Uni- versität, nicht weniger als acht Lehrveranstaltungen über Gegenwartslite- ratur.149 Zum anderen gab sie den Anstoß zur universitären

143 Erst wieder die dritte Auflage des Lexikons von 1997 verzeichnet einen Beitrag unter dem Titel „Frauenliteratur“,indem Inge Stephan die Genese und Ver- wendung des Begriffs historischanalysiert. Stephan: Frauenliteratur (1997). 144 Touaillon:Ada Christen [1930];dies.:Bertha von Suttner [1930]. 145 Touaillon:Das Katzenbüchlein (1925). 146 Etwadas Gedicht„An die Musik“ in der Arbeiter-Zeitung und das sozial-politische Arbeitergedicht „Werktage“ im Deutsch-österreichischenArbeiterkalender. Touail- lon:Andie Musik (1924);dies.:Werktage (1925). 147 Vgl. neben den bereits erwähnten Publikationen u.a. Touaillon:Frauenprosa (1922/1923);dies.:Helene Voigt-Diederichs, Auf Marienhoff.Vom Leben und von der Wärme einer Mutter [Rez.] (1925/1926);dies.:Neue Frauenromane (1925/1926). 148 Meissl:Germanistik in Österreich (1981),S.492 (Anm. 29). 149 SoSe1922:Moderne Romanströmungen (vom Naturalismusbis zum Expres- sionismus);WiSe1922/23: Moderne deutscheLyrik (von Liliencron bis Werfel); WiSe1923:Die deutscheLyrik des 20. Jahrhunderts(Wildgans bis Werfel);WiSe 1924/25:Der expressionistische Roman;WiSe1925/26:Jakob Wassermann und der moderne deutsche Roman;WiSe1926/27: Geschichte der deutschen Novelle (von ihrenAnfängen bis in die Gegenwart);WiSe 1927/28:ModerneLyrik (von Liliencron bis ) und Literaturhistorische Übungen zur modernen Literatur. –Außerdem:WiSe 1921/22:Der Roman der Aufklärung; SoSe1922: Das naturalistische Drama des 18. Jahrhunderts, Literaturhistorische Übungen; II.4. Themenwahl und akademische Karriere 135

Auseinandersetzung mit Literatur von Frauen:Abden 1920er Jahren waren Dissertationen über Autorinnen nichts Ungewöhnliches mehr. Nachdem bis dahin in Wieninsgesamt nurvier Dissertationen über Schriftstellerinnen verfasst worden waren,150 promovierten allein an der Wiener Germanistikinden 1920er Jahren zehn und in den 1930er Jahren 19 Studierende mit einer Arbeit über Autorinnen,wobei sich einerseits zeigt, dass es sich ausschließlichumStudentinnen handelte, andererseits, dass ab Mitte der 1930er Jahre verstärkt konservativ-katholische, wie die von Touaillon wenig geschätzte Schriftstellerin Enrica von Handel-Maz- zetti,151 und dem Nationalsozialismus nahestehende Autorinnen, wie Agnes Miegel, Isolde Kurz oder Helene Raff, bevorzugtwurden.152

WiSe1922/23:Die Anfänge des deutschenRomans im 16. Jahrhundert;WiSe 1923/24:Hans Sachs; WiSe 1924/25:Der deutsche Frauenroman des 18. Jahr- hunderts;WiSe1925/26:Der Roman der Aufklärung und seine Gegenströ- mungen;WiSe1926/27: DerGeschichtsroman derAufklärungund seineUnter- strömungen.–Vgl. Vorlesungenander UniversitätzuWien1921/22–1927/28. 150 Julia Liggi:Amalia Schoppe, geborene Weise (1910);Therese Pupini:Karoline Pichlers Romane (1910);Angela Neumann:Ueber Leben und Werke der Gabriela Batsany geb.Baumberg (1914);Hildegard Eberstaller:Das junge Deutschland und George Sand (1915). 151 Zu Touaillons Auseinandersetzung mit der katholischen Literaturbewegung vgl. Touaillon:Blut und Liebe (1927);den Streit analysierte Bernhard Doppler:Über das Kunstschaffen der Frau (1986). 152 1920er Jahre:Karoline Umlauf:Sophie Mereau (1921);Friederike Wechsler:Die Menschen in den Romanen der Ricarda Huch (1921);Karoline Demant:Marie von Ebners Kindergestalten (1922);Emilie Behr:Ada Christen (1922);Katharina Helmer:Die Frauenbewegung im Spiegel des deutschen Frauenromans in der Zeit von 1830 bis 1850 (1922);Emma Waldhäusl:Karoline Pichlers Stellung zur zeitgenössischen Literatur mit besonderer Berücksichtigung ihrer Novellendich- tung (1922);Amalie Aschkenazy:Die Frauenbewegung im Spiegel des deutschen Frauenromans in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (1924);Gertrud Doublier:Charlotte Wolter und ihr Einfluß auf das Dramaihrer Zeit (1925); Felicitas Jellinek:Die weibliche Selbstbiographie des 18. Jahrhunderts(1925); Antoinette Politzer:Heinrich Seuse und Elsbet Stagel (1926). –1930er Jahre: Selma Steinmetz:Bettina Brentano (1931); IrmgardPanoff:Therese Huber (1931);Ernestine Zottleder:Das Bild der zeitgenössischen Frau im deutschen Frauenroman vom Naturalismus zur Gegenwart (1932);AnnaPiorreck:Malwida von Meysenbug und die geistigen Strömungen des 19. Jahrhunderts (1932); Melanie Lebner: AdaChristen (1933);Elisabeth Beschliesser:Das epische Schaffen der Schriftstellerin Edith Gräfin Salburg (1934);Sylvia Balter:Isolde Kurz (1934);Dorothea Rasp:Mathilde Wesendonck (1934);Gertraud Pranter: Malwida von Meysenbug, ihr Leben und ihre dichterischePersönlichkeit (1935); Bella Birnbaum:Die besondere Art des historischen Romans in Ricarda Huchs „Dergroße Krieg in Deutschland“ (1935);Hermine Obermann:Lou Andreas 136 II. Christine Touaillon (1878 –1928)

Marginalisiert blieb TouaillonsForschungstätigkeit trotzdem,wozu innerhalb der zunehmend konservativen und rechtsgerichteten Wiener Universität nichtallein ihre Themenwahl beigetragen haben mag, sondern auch ihre politischeNähe zur Sozialdemokratie. Touaillon setzte nämlich auch nach ihrer Habilitation ihr Engagement in linksgerichteten sozial- reformatorischen Unterfangen wie der österreichischen Ethischen Ge- meinde,153 ihre Mitarbeit bei der Arbeiter-Zeitung,154 ihre Tätigkeit in Wiener und Grazer Volksbildungsvereinen155 und ihr Eintreten für die bürgerliche Frauenbewegung rund um Rosa Mayreder156 fort. Außerdem gehörte sie 1922 zu den Gründungsmitgliedern des Verbandes der akade- mischen Frauen Österreichs,157 innerhalb dessen sie sich um einen politisch linksstehenden Zusammenschluss österreichischer Akademikerinnen be- mühte.158 Im Unterschiedzur Romanistin Elise Richter,der ersten habi-

Salomé (1935);MichaelaRabenlechner:Die Dichterinnen der Befreiungskriege um 1813/14 (1935);Marie Bogner:Die Novellen der Isolde Kurz (1936);Fanni Goldstein:Der expressionistische Stilwille im Werke der Else Lasker-Schueler (1936);Maria Brachtl:Quellen, Aufbau und Stilmittel der Romantrilogie „Frau Maria“ von Enrica von Handel-Mazzetti (1937);Martha Katz:Österreichische Frauendichtung der Gegenwart. Ein Beitrag zur Psychologie der weiblichen Kunst (1937);Friederike Redlich:Das lyrische Schaffen Agnes Miegels (1938);Therese Schüssel:Die Schule der Handel-Mazzetti (1938);Zita Wagner:Das literarische Schaffen HeleneRaffs (1938). 153 Vonder Ethischen Gemeinde wurde gemeinsam mit der Internationalen Liga für Frieden und Freiheit unddem Verein Volksheim auch die Trauerfeier für Touaillon organisiert, bei der WilhelmBörner,RobertFranz Arnold und Marianne Zycha, promovierte Germanistin und TouaillonsKollegin im Vorstand des Allgemeinen österreichischenFrauenvereins,die Gedächtnisreden hielten. [Anonym:] Gedenk- feier für Dr.Christine Touaillon[1] (1928);[Anonym:] Gedenkfeier für Dr. Christine Touaillon [2] (1928). 154 Für die Arbeiter-Zeitung besprach Touaillon regelmäßig literarischeNeuerschei- nungen. Vgl.u.a.Touaillon:Artur Pfungst (1926); dies.: DieKroismichelin und ihr Cäsar (1927);dies.:Sigrid Undsets historischer Roman (1927). 155 In Wien war TouaillonVortragendeimVolksbildungsverein Volksheim und in Graz im Volksbildungsverein Urania. Vgl. Gernot [Red.]: Fünf Jahre Grazer Urania (1924), S. 80;Volkshochschule Wien Volksheim:Bericht (1928), S. 41 und S. 72; Volkshochschule Wien Volksheim:Bericht(1929), S. 10, S. 25 und S. 78. 156 Währendihrer Wiener Privatdozentinnentätigkeit wohnte Touaillon bei Rosa Mayreder.Vgl. Mayreder:Tagebücher 1873–1937(1988), S. 246;vgl. auch Mayreder:Christine Touaillon [Nekrolog] (1928). 157 [Anonym:] Verband der akademischenFrauen Österreichs [1] (1922);[Anonym:] Verband der akademischenFrauen Österreichs [2] (1922). 158 Der Verband der akademischen Frauen Österreichs wurdeauf Aufforderung der International Federation of University Women (IFUW)von Elise Richter initiiert, II.4. Themenwahl und akademische Karriere 137

litierten Frau in Österreich, die immer wieder betonte, dass sie an „die Universität nicht als Frauenrechtlerin“159 gekommen sei und dass sie „peinlich auf Gleichheit“ geachtet habe, damit man sie ja nicht als Frau wahrnehme,160 trat Touaillon auch in ihrer Funktionals Privatdozentin offensivfür feministische Belange ein. Aufder „Konferenzüber Gleich- berechtigung der Frauen in Österreich“, die am 19. und 20. März 1927im Festsaal des Ingenieur- und Architektenvereins in Wien stattfand, sprach sie über das Thema „Hochschulen“ und beklagte öffentlich, dass es im Unterschied zum Studium für Frauen „weniger günstig […] in der Frage der Gleichberechtigung mit dem akademischen Lehramt“ stehe, da es zwar mit „größterEnergie und Ausdauer“ mittlerweile möglich sei, „die Do- zentur zu erlangen […],aber an die Erlangung der Professur […] derzeit nicht zu denken“ sei.161 An der Universität schien man,wie ein Germanisten-Nachruf auf Touaillon,die am 15. April 1928imAlter von fünfzig Jahren starb,162 zeigt, bei dieserstreitbaren Privatdozentin zu einer Form der Domestizierung übergegangen zu sein, bei der der im 18. Jahrhundert Autorinnen zuge- schriebene Geschlechtscharakter auch auf Wissenschaftlerinnen übertra- gen wurde. Der langjährige Freund und außerordentliche Titularprofessor für das neuere Fach Robert Franz Arnold,der Touaillondurchaus wohl- gesonnen war,hob in seinem Nachruf für die Monatsschrift Die Literatur an Touailloneine „fast mütterliche Teilnahmeanallen, die da leiden“, hervor,betonte, dass sie „für ihre Schützlinge durch dick und dünn“ ging, weshalb „diese Kinderlose […] viele Kinder [hatte],solche sogar,die früher

jedoch mit einigem Widerstreben, da Richter sich nicht politischbetätigen wollte. Richter legte auch stets Wert darauf zu betonen, dass es sich um eine „,unpolitische‘ Vereinigung“ handelte. Richter:Summe des Lebens (1997), S. 100, S. 110 und S. 117–118, ZitatS.117. –Touaillon hingegen bemühte sich um eine Abgrenzung zu „nationalistische[n]“ Gruppierungen, so z.B. zum Bund österreichischer Frau- envereine,der ihr „zu sehr rechtsorientiert“ war.Brief von Touaillon an Elise Richter vom 30. Mai1923;ÖNB, Handschriftensammlung,266/47–2. 159 Richter:Summe desLebens (1997), S. 110;vgl. auch dies.:Erziehung und Entwicklung (1928), S. 92. 160 Richter:Erziehung und Entwicklung (1928), S. 84. 161 Touaillon:Hochschulen (1927). –Zum Ablauf undzuden Vortragenden der Konferenz vgl. ausführlich [Anonym:] Konferenz über Gleichberechtigung der Frauen in Oesterreich (1927). 162 Zunächst wurdeTouaillon mit der Diagnose ,Klimakterium‘ in die psychiatrische Abteilung der Landesnervenklinik Graz eingewiesen;erst die Obduktion ergab ein Herzleiden als Todesursache. Bubenicˇek:Wissenschaftlerin auf Umwegen (1987), S. 13. 138 II. Christine Touaillon (1878 –1928) geborenwaren als die Pflegemutter“. Ihre literaturwissenschaftliche Tä- tigkeit beschrieb er als „Herzenssache“, die sie mit all ihrer „Blutwärme“ erfüllt habe,unterstützt durch „ein der weiblichen Mentalität besonders gemäßes Interesse für das literarische Individuum in Miniaturbildern zu- mal erzählender und lyrischer und zumal weiblicher Poeten“.163 Nach ihrem Todist Touaillon der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit wieder entschwunden und für die (nicht erhaltene) Autobiographie, die sie über ihre Universitätsjahre verfasste, fand ihr Mann bereits 1929 keinen Verleger mehr.164 Eingehendes wissenschaftliches Interesse an Touaillons Habili- tationsschriftentwickelte sich erst wieder in den 1970erund 1980er Jahren,165 in denen sich die (feministische) Literaturwissenschaft–trotz aller Hochachtung für Touaillons Leistung –anihrer von Weiblichkeits- stereotypen nicht freien Herangehensweise in ihrer Studie Der deutsche Frauenroman des 18. Jahrhunderts auch abarbeitete.166

163 Arnold:Christine Touaillon [Nekrolog] (1928), S. 643–644. 164 Briefvon HeinrichTouaillon an die J.G. Cottasche Buchhandlung vom 11. Sep- tember 1929 [daraufauch die Absage des Verlags vom 14. September 1929];DLA Marbach. –Für diesen Hinweis danke ich Myriam Richter,Hamburg. 165 Dieerste wissenschaftshistorische Auseinandersetzungmit Touaillon stammt von ErichLeitner:Christine Touaillon(1973);1979 erschien miteinem Vorwort von EnidGajek außerdemein Faksimile-Nachdruck der Habilitationsschrift. Dieerste umfassendere Auseinandersetzung mit Touaillon unternahmHanna Bubenicˇek: Wissenschaftlerin auf Umwegen (1987);vgl. auch Rainer Leitner:Christine Touaillon (1991). 166 So z.B. Renate Möhrmann, die Touaillon Parteilosigkeit vorwirft. Möhrmann: Feministische Ansätze in der Germanistik seit 1945 (1979). III. Literaturwissenschaftund Geistesgeschichte – Marianne Thalmann (1888–1975)

Dieeinzigeder drei in Wien habilitiertenGermanistinnen, die nicht im Privatdozentenstatus verblieb oder den Universitätsbetrieb wieder verließ, sondern–wenn auch nicht in Österreich –akademisch Karriere machte, war MarianneThalmann. Thalmann absolvierte 1905 das Linzer Lyzeum, studierte daraufhin als außerordentliche Hörerin Germanistik und Ro- manistik in Graz und Besançon, legte 1910 die Lehramtsprüfungfür Deutsch und Französisch für Mädchenlyceen ab und besuchte 1913 die Malklassebei Oskar Kokoschka. 1917 holte sie am Mädchenrealgymna- sium Wesely in Wien die Reifeprüfung nach und inskribierte (jetzt als ordentliche Hörerin) Deutsche Philologie und Kunstgeschichteander Universität Wien,1 wo sie 1918 aufgrund ihrer Arbeit Probleme der Dä- monie in Ludwig Tiecks Schriften mit Auszeichnung promovierte.Die 1919 in der von Franz Munckerherausgegebenen Reihe Forschungen zur neueren Literaturgeschichte publizierte Dissertation widmete sie ihren „Lehrern Bernhard Seuffert und Walther Brecht“2.Von 1910 bis 1923 unterrichtete Thalmann neben ihren Studien an verschiedenen Wiener Lyceen und –mit Dispens des Landesschulrats –auch an einem Wiener Realgymnasium; außerdem war sie im Wohlfahrtswerk von Eugenie Schwarzwald und im Wiener Abrechnungsamttätig.3

1Thalmannswissenschaftliches Hauptinteresse galt zunächst nicht der Literatur, sondern der zeitgenössischen Bildenden Kunst. Als Vorbild für eine akademische Betrachtungsweise fungierte für sie der Münchner Privatdozent für Kunstge- schichte und Maler Fritz Burger (1877–1916), den sie anerkennend als „wis- senschaftliche[n] Espressionist[en]“ bezeichnete. Thalmann:Die Geburtdes neuen Jahrhunderts. Typoskript. o.D.;UBHeidelberg, Handschriftensammlung, Nachlass Lili Fehrle-Burger.–Zu Thalmanns Verbindung von Kunst und Wis- senschaftvgl. außerdemKap. III.1. 2Thalmann:Problemeder Dämonie in Ludwig Tiecks Schriften (1919), o.P. 3Zuden biographischen Angaben vgl. den eigenhändigenLebenslauf von Marianne Thalmann vom 13. Juni 1918 und die Beurteilung ihrer Dissertation durch Walther Brecht vom 22. Juni 1918;UAW,Phil. Fak.,Rigorosenakt Marianne Thalmann;den eigenhändigen Lebenslauf von Thalmann vom 12. Mai1924; UAW, Phil. Fak.,Zl. 864 ex 1924, PA 3433 Marianne Thalmann;das von 140 III. Marianne Thalmann (1888 –1975)

Währendihrer Berufstätigkeit verfasste Thalmann zudem die Studie Der Trivialroman und der romantische Roman. EinBeitrag zur Entwick- lungsgeschichte der Geheimbundmystik,die sie 1923 in der renommierten, von Emil Ebering gemeinsam mit Walther Brecht, Franz Muncker,Julius Petersen, Gustav Roethe, Rudolf Unger u.a. herausgegebenen Reihe Germanische Studien publizierte und am 12. Mai1924, drei Jahre nach der Verleihung der Venia Legendi an Christine Touaillon, als Habilitations- schriftander Universität Wieneinreichte. Mitmaßgeblicher Unterstüt- zung Walther Brechts und gänzlich ohne Komplikationen oder zeitliche Verzögerungen wurde ihr daraufhin am 19. Juli 1924 die Lehrbefugnisfür NeuereDeutsche Literaturgeschichte verliehen.4 Damit reiht sich Thalmann in jene vergleichsweise große Schar von Universitätslehrern ein, die aus dem Wiener Seminar Walther Brechts hervorgegangen sind;zunennen sind hier,wie erwähnt, so unterschiedliche Wissenschaftler wie der da- malige Romantikforscher Heinz Kindermann, der Barockforscher Herbert Cysarz, der Goethe-Forscher Franz Koch und der Frühe-Neuzeit-Forscher Hans Rupprich. Wie viele andere ihrer Generationskollegen beschäftigten Thalmann nicht mehr die Problemeder philologischen Ausrichtung des Fachs. Vielmehr decken ihre Veröffentlichungen der 1920er und 1930er Jahre nahezu das gesamte Spektrum der breiten und im Einzelnen uneinheitli- chen, zur (modernen) LiteraturwissenschaftavanciertenDisziplin ab. Bereits in ihrer Dissertation Problemeder Dämonie in Ludwig Tiecks Schriften erteilte sie der historisch-empirisch arbeitenden Forschergene- ration eine entschiedene Absage:„Haym, Garnier,Minor,Steiner und andere haben durchweg die These von der Beschränkung der Dämonie für Tiecks Jugend festgehalten. […] Sieentbehrt jeder Begründung.“5 Thal- mann begnügte sich nicht mit der Analyse philologisch (oder mikrosko- pisch) abgegrenzter Einzelteile, die zusammengenommen(wie von selbst)

Thalmann eigenhändig ausgefüllte „Faculty Questionnaire“ vom September 1946; Wellesley College Archive, Biographical Files Marianne Thalmann. 4Briefdes Bundesministeriumsfür Unterricht an das Dekanat der philosophischen Fakultät in Wien vom 19. Juli 1924;UAW,Phil. Fak.,Zl. 864 ex 1924, PA 3433 Marianne Thalmann. 5Thalmann:Probleme der DämonieinLudwig Tiecks Schriften (1919), S. 19. – Gemeint sind Rudolf Haym mit seiner Studie Die romantische Schule (1870), T.D. Garnier mit Zur Entwicklungsgeschichte der Novellendichtung Ludwig Tiecks (1899), Jakob Minor mit Tieck als Novellendichter (1884) und Bernhard Steiner mit Ludwig Tieck und die Volksbücher (1893). III. Marianne Thalmann (1888 –1975) 141 ein Gesamtbild ergeben sollten,6 sondernsetztesofort auf umfassende Synthesenbildung:Mit psychologischen,medizinischen, philosophischen und ästhetischen Erklärungsmustern versuchte sie, die bisher in der Deutschen Philologie angenommenen, disparaten und scheinbarunver- einbaren Bildereines frühen und eines späten Tieck, einerfrühen und einer späten Romantik, zu revidieren, indem sie anhand derMotive des Wun- derbaren, der Dämonieund des Irrationalen eine in sich geschlossene, nicht widersprüchliche Gesamtdeutung des Dichters unternahm.Ebenso auf Synthesenbildung konzentriert ist Thalmanns Habilitationsschrift Der Trivialroman und der romantische Roman,inder es ihr aber nicht um die einheitliche Gesamtauffassung eines einzelnen Dichters, sondern um eine kontinuierliche Entwicklung zwischen trivialem Bundesroman und ro- mantischem Kunstroman ging;eine Entwicklung, die sie durch umfas- sende Motivstudien zu beweisen suchte.7 Hatte sich Thalmann mit diesen beiden Schriften nicht nur von der von RudolfHaym begründeten, wirkungsmächtigen Teilung des Tieck- Bilds,8 sondern auch von der auf biographische und werkgenetische Ein- zelfragen spezialisierten philologischen Betrachtung der Romantik dis- tanziert,9 so betrat sie mit ihrer nächsten Studie einenganz anderen, aber ebenso,wenn man will, innovativen,10 zumindest aber antiphilologischen

6Schon über Wilhelm Scherer schriebJosef Körner,dass dieser zu der von den anderen Germanisten des 19. Jahrhunderts betriebenen „geduldigen Mühsal sta- tistischer Sammlungen, aus denen durch bloße Vergleichung der Tabellen die Erkenntnis gleichsam automatisch sich ergibt“, keine Neigung hatte. Körner: Deutsche Philologie [1935],S.71. 7Laut Jack Zipes handelt es sich um die „erste umfassende Motivstudiezur Ro- mantik“. Zipes:Geleitwort (1976), S. 10 (Hervorh. E.G.). 8Vgl. Haym:Die romantische Schule (1870), eine zweiteAuflage des erfolgreichen Buchserschien 1906, eine dritte 1914, eine vierte 1920 und eine fünfte, von Oskar Walzel besorgte 1928. 9Zur germanistischenRomantikrezeption vgl. Kap. III.1. 10 Dass es sich bei Thalmanns Texten um innovative oderzumindest neue Ansätze handelte, wurde in der zeitgenössischen Rezeption häufig betont. Adolf Grolman bezeichnete Thalmanns Studie Gestaltungsfragen der Lyrik als „Vorläufer und Anfang“derartiger Untersuchungen, Curt Hille als „Neuland“. Grolman:Mari- anne Thalmann, Gestaltungsfragender Lyrik [Rez.] (1926), S. 140;Hille:Ma- rianne Thalmann, Gestaltungsfragen der Lyrik [Rez.](1926), Sp.340–341. – Léon Pineau wiederum meinte, dass es Thalmanns 1928 erschienenem Buch Henrik Ibsen, ein Erlebnis der Deutschen „ne manque pas d’originalité“ [an Ori- ginalität nicht mangele, E.G.];die Die Anarchie im Bürgertum von 1932 wurde wiederum als „ersteUntersuchung und Darstellung dieser Art“ gelobt. Pineau: Marianne Thalmann, Henrik Ibsen [Rez.] (1929), S. 309;St.:Marianne Thal- 142 III. Marianne Thalmann (1888 –1975)

Bereich des Fachs:InGestaltungsfragen der Lyrik (1925) ging Thalmann davon aus, dass die Anordnung der Gedichte innerhalb eines Gedichtbands immer –und nicht nur bei so offensichtlich zyklisch und architektonisch verfahrenden Lyrikern wie Stefan George –das Zeugnis eines überper- sönlichen, lyrischen Gestaltungswillen des Autors darstellt, dass „in der Komposition des Gedichtbuches Werte von ästhetischerTotalitätliegen“11. Bezugnehmend auf Ornamenttheorien und formalästhetische Konzepte der Kunstforschung (Alois Riegl, Heinrich Wölfflin, Wilhelm Worringer), auf Oskar Walzels stiltypologische Arbeiten und auf die Studie Conrad Ferdinand Meyer und das Kunstwerk seiner Gedichtsammlung (1918) ihres Lehrers Walther Brecht erkannte Thalmannzwei verschiedene„stilprin- zipielle Gestaltungen“12 und Aufbaugesetze in deutschsprachigen Ge- dichtbänden (u.a. von Heine, Lenau, Mörike, George, Rilke, Droste- Hülshoff, Arno Holz): Daseine Gesetz sei durch die geometrische Or- namentik des Kreiseswie bei Rilke und George,das andere durch die organisch-vegetabilische Ornamentik der Wellenliniegekennzeichnet, die am ausdrücklichsten bei Droste und Heine zu finden sei. Mitdieser formalästhetischen Bestimmungder Konzeptionvon Gedichtbänden gab sich Thalmann aber nicht zufrieden;gleichzeitig versah sie diese auch mit Erläuterungen zur „nationale[n] Bedingtheit des Formwillens“13.Während das organischkonzipierte Gefüge durch ,fremde‘, nämlich romanische Einflüsse bestimmt sei, offenbare das geometrischedie Besinnung auf den deutschen „Nationalstil“14. MitGegenwartsliteratur beschäftigte sich Thalmanninihren letzten beiden von Wien aus publizierten Büchern.Sowohl in Henrik Ibsen, ein Erlebnis der Deutschen (1928) als auch in Die Anarchie im Bürgertum. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichtedes liberalen Dramas (1932) entwarf Thalmann eine pessimistische Zeitdiagnose, in der sie die Entwicklung des nachromantischen Dramas als Indiz für die Verfallsgeschichte des liberalen Bürgertums las. Ibsen charakterisierte sie dabei als „Prediger vor dem

mann, Die AnarchieimBürgertum [Rez.] (1932), S. 334. –Unter demselben Aspekt, aber wissenschaftlich negativ bewertet wurde Gestaltungsfragen der Lyrik von Richard Newald, der zwar hervorhob,dass Thalmann„zum erstenmale Sammlungen lyrischer Gedichte als Gesamtheiten auffaßt“, die Ergebnisse aber als reine „Spekulation“ abtat. Newald:Marianne Thalmann, Gestaltungsfragen der Lyrik [Rez.] (1926), S. 113–114. 11 Thalmann:Gestaltungsfragen der Lyrik (1925), S. 4. 12 Thalmann:Gestaltungsfragen der Lyrik (1925), S. 96. 13 Thalmann:Gestaltungsfragen der Lyrik (1925), S. 101. 14 Thalmann:Gestaltungsfragen der Lyrik (1925), S. 103. III. Marianne Thalmann (1888 –1975) 143

Ende“15,als „große[n]Zertrümmerer einer Welt, deren Kräfte erschöpft sind“16 ;inseinen Dramen habe Ibsen nur noch „[v]erkürzte Menschen“17 gezeichnet, mit denen er Zeugnis vom Verfall der Werte, vom „Verwe- sungsstadium einer Kultur“18 ablege. In Die Anarchie im Bürgertum wendetesie dasselbe Verfahren auf deutschsprachige Dramen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts an. DiezeitgenössischeBeurteilungder Schriften Marianne Thalmanns spannte sich von hoher fachlicher Wertschätzung bis hin zu wissen- schaftlicher Diskreditierung.19 Ihren Ursprung hat diese polarisierende und widersprüchlicheEinschätzung von Thalmanns Arbeiten im –inden 1920er und frühen 1930er Jahren (auch als Generationenproblem) am Höhepunkt seiner Erschütterung angekommenen–Selbstverständnis der Disziplin, der mit der Auflösung der unbedingten philologischen Orien- tierung des Fachs der fixe Bezugspunkt abhanden gekommen war.Wie die ArbeitenThalmanns im Kontext der zeitgenössischen Diskussionen des Fachs verortet werden können und welcheErklärungsmusterThalmann im Einzelnen entwarf,wirdimFolgenden exemplarisch an zwei thematisch und rezeptionsästhetisch durchwegunterschiedlichen Texten dargestellt:

15 Thalmann:Henrik Ibsen, ein Erlebnis der Deutschen(1928), S. 2. 16 Thalmann:Henrik Ibsen, ein Erlebnis der Deutschen(1928), S. 25. 17 Thalmann:Henrik Ibsen, ein Erlebnis der Deutschen(1928), S. 47. 18 Thalmann:Henrik Ibsen, ein Erlebnis der Deutschen(1928), S. 63. 19 Einige Beispiele:InBezug auf Probleme der Dämonie in Ludwig Tiecks Schriften sprach Hubert Rausse von einer „eingehende[n] und überlegene[n] Untersu- chung“, HermannGlockner davon, dass „[d]ie Verfasserin ihrem Gegenstand methodisch-darstellerisch nicht gewachsen“ sei. Rausse:Marianne Thalmann, Probleme der Dämonie in Ludwig Tiecks Schriften [Rez.](1919/1920), Sp.1390; Glockner:Marianne Thalmann, Probleme der Dämonie in Ludwig Tiecks Schriften [Rez.] (1924), S. 126. –Die Studie Gestaltungsfragen der Lyrik be- zeichnete Curt Hille als „methodisches Musterbeispiel für derartige kritische Stiluntersuchungen“, Richard Newald hingegen meinte, dass das „Werk“ nicht nur „keinen Anspruch auf strenge Wissenschaftlichkeit machen darf“, sondern auch dass die „Verfasserin für Philologie keinOrgan, für die historische Entwicklung kein Verständnis“ habe und ihre „Technik“ ein „Geheimnis“ bleibe, das von „Wünschelruten“geführt zu sein scheint. Hille:Marianne Thalmann, Gestal- tungsfragen der Lyrik [Rez.](1926), Sp.341;Newald:Marianne Thalmann, Gestaltungsfragen der Lyrik [Rez.] (1926), S. 114–115. –Über Henrik Ibsen schrieb Heinrich Lützeler,dass Thalmann den Autor „[m]it einer staunenswerten Kraftdes Verstandes und des Wortes, mit scharfem Blick für den typischen Ein- zelzug und die Ausdruckwerte der Form“ begreife, Ernst Alker wiederum stellte fest, dass „[d]ie Art ihrer Arbeit“ Thalmannzu„einer gewissen Einseitigkeit“, zum „Dogma“ nötige. Lützeler:Marianne Thalmann, Henrik Ibsen [Rez.] (1928), S. 221;Alker:Marianne Thalmann, Henrik Ibsen [Rez.] (1929), S. 487. 144 III. Marianne Thalmann (1888 –1975) zunächst an ihrer Habilitationsschrift Der Trivialroman und der romanti- sche Roman von 1923 und anschließendanDie Anarchie im Bürgertum von 1932. Abgeschlossen wird das Kapitel mit Einblicken in Thalmanns letzte Jahre an der Wiener Universität und ihren Weggangindie USA.

III.1.Darstellung statt Erkenntnis? – Der Trivialroman und der romantischeRoman. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der Geheimbundmystik (1923)

In seiner Analyse des als geistesgeschichtliche Gründungsschriftgehan- delten Buchs Hamann und die Aufklärung (1911) von Rudolf Unger konstatierte Klaus Weimar,dass Unger „mit erstaunlicher Konsequenz nichts anderes als eine Kräftegeschichte“ entwirft, d.h. „eine Welt, die, für sich genommen, anschaulich macht, was Hölle sein könnte“.20 Weimar folgte in seiner aufschlussreichen, sprach- und stilanalytischen Lektüre von Ungers Text einem Hinweis in einerweiteren geistesgeschichtlichen Gründungsurkunde, nämlich Friedrich Gundolfs Buch Shakespeare und der deutsche Geist,das im selben Jahr erschienen war.Darin betonte Gundolf:„Darstellung, nicht bloß Erkenntnis liegt uns ob,[…] weniger die Zufuhr von neuem Stoff als die Gestaltung und geistige Durchdringung des alten.“21 Ist die Geistesgeschichtealso bloß eine Frage der Darstellung und nicht der Erkenntnis?Und ist es notwendig, die historische Referenz, um die es den Vertretern der Geistesgeschichte ausdrücklich nicht ging, auch für die wissenschaftliche Lektüre zu sistieren, um die durchweg hochmetaphorischen Texte einer wissenschaftlichen Analyse überhaupt erst zugänglich zu machen?Zweifellos zeigt eine „solche zugegebenerma- ßen oblique Lektüre“22,wie sie Klaus Weimar vorgenommen hat, dass Ungers hochgelobte Schrift23 nichts anderes vorführtals eine „gespensti- sche[ ]und beklemmende[ ]Vision“, in der „ein krampfhafter Betrieb statt [findet],schiere Prozessualität, ein ständiges Wirken, Ringen und

20 Weimar:Das Muster geistesgeschichtlicher Darstellung (1993), S. 93. 21 Gundolf: Shakespeare und der deutsche Geist (1911), S. VI–VII. 22 Weimar:Das Muster geistesgeschichtlicher Darstellung (1993), S. 93. 23 Noch 1958 nannte Paul Kluckhohn Ungers Buch „die beste und tiefsteDarstellung des dt. Geisteslebens der vorklassischen Zeit“. Kluckhohn:Geistesgeschichte (1958), S. 538. III.1. Darstellung statt Erkenntnis? 145

Kämpfen“ von „farb- und gestaltlose[n] Kräfte[n],Bewegungen,Fakto- ren“, von „körper- und sprachlose[n] Subjektivitäten“.24 Auch Marianne Thalmanns Habilitationsschrift Der Trivialroman und der romantische Roman (1923) kann rhetorisch und stilistisch der Geis- tesgeschichte zugeordnet werden. GleichzuBeginn der Einleitung,inder Thalmann vorgibt, einen Überblicküber die Entwicklung der geheimen Orden und Gesellschaften in der zweitenHälfte des 18. Jahrhunderts zu geben, stößt man als Leser auf eine Textwelt, in der sich allesscheinbar unkontrolliert bewegt:Eswird „gestiegen“, „erstanden“, „um sich ge- griffen“, „hineingeraten“, „verzweigt“, „gehäuft“, „erfaßt“, „ins Leben getreten“, „aufgetaucht“,„übernommen“,„vergrößert“ und „zugeströmt“. Undwas sich bewegt, die zugehörigen grammatischen Subjekte, verstärken noch den Eindruckdes historisch, geographischund sozial nichtFassbaren: Bei den grammatischen Subjekten handelt es sich nämlich um „eine Reihe neuer Führer“, die „Maurerei“, die „Rektifikation der Logen“, die „Be- wegung“ selbst, „Sekten“ sowie „Magierund Scharlatane“. Undwohin bewegensich diese entpersonalisierten Subjekte?Nicht an einen be- stimmten Ort, sondernin„eine Zeit heftiger Gärungen“, in „eine ge- heimnisvollere und ekstatischere Vergesellschaftung“, in „ein ausgesprochen geheimnisvolles Fahrwasser“, in einen „Zauberkessel von Mystik und Ei- gennutz“. Undfragt man sich noch,umwenigstens einenüberprüfbaren Anhaltspunktzuhaben, wie sich diese form- und zeitlosen Wesen bewegen, so findet man die Auskunft: „wie rascheMeteore“.25 Führt man diese Art der Lektüre, die hier im Detail nur den ersten Absatz des Buchs umfasst, weiter,sofällt auf, dass sich Thalmann die gesamteStudie hindurch einer derartigen Wissenschaftssprache bedient. Zwar klingt der Anspruch der Arbeit, den Thalmann im Vorwort for- muliert, noch vergleichsweise profan;sie möchte „einen Querschnitt durch den Trivialroman des 18. Jahrhunderts“ ziehen, um „das breite Feld bloßzulegen, das für romantische Ideen vorbereitet war“. Um die „Dar- stellung einer chronologischen Entwicklung innerhalb der Produktion der einzelnen Schriftsteller“ geht es ihr dabei aber ausdrücklichnicht. (Thal- mann 1923, Vorwort, o.P. )Auch ob sich die besprochenen Schriftsteller der

24 Weimar:Das Muster geistesgeschichtlicher Darstellung (1993), S. 93. 25 Alle Zitate:Thalmann:Der Trivialroman und der romantische Roman (1923), S. 1. –ImFolgenden im Fließtext zitiert als (Thalmann 1923, [Seitenabgabe]). – Thalmann arbeitet nicht nur mit einer hochmetaphorischen Sprache, sondern vielfach auch mit Veränderungen im Schriftbild. Diegroße ZahlanKursivie- rungen aus dem Original wirdinden Zitaten beibehalten. 146 III. Marianne Thalmann (1888 –1975)

Romantik (Brentano, Hoffmann, Eichendorff, Novalis, Schlegel, Tieck) tatsächlich mit dem Trivialroman auseinandersetzten, ist dabei nicht von Belang. In Thalmanns Textwelt sind es nämlich nicht historischeFiguren, die denken, handeln, schreiben und kritisieren, sondern entweder die von ihr identifizierten literarischen Motive oder ein überindividueller ,Geist‘, der sich der Autoren als(willenlose) Ausdrucksmittel bedient. So erscheint dieser ,Geist‘ oftmals als einziger Faktor,der auch als Akteur auftritt. Ausgestattet mit Bezeichnungen wie „Gier nach Wundersamem“, „Ruf nach kosmischen Zusammenhängen“u.v.a. durchdringt er die jeweilige „li- terarische Produktion“, die sich wehr-, weil akteurlos„dieser neuen Welle nicht entziehen konnte“. (Thalmann 1923, 2–3) Mitdem festen Glauben an diese die Texte beherrschende Kraft durchforstet Thalmann über 150 Trivialromane und fast ebenso viele ro- mantische Romane nach Ausdrucksspuren des jeweiligen ,(Zeit-)Geistes‘. Dabei stellt sie dreierlei fest. Zunächst, dass es der Trivialroman des 18. Jahrhunderts war,indem als erstes „ein ewiger Gedanke der Menschheit: [d]ie Sehnsucht nach dem Irrationalen“ –zwar „übertüncht und verzerrt“,aber doch –zum literarischen Ausdruck kam. (Thalmann 1923, 316–317) Zweitens, dass sich „die dämonische Fruchtbarkeitdes Trivialromans“ vor allem „in jenem Zweig [zeige],der aus dem Bundes- wesen entsprang“ (Thalmann 1923, 55 und 316): Aufdem „Wege der großen, wundersamenGemeinsamkeit“sei es nämlich erst möglich gewesen, dass das „Grauen der Seele“, das die ganze Menschheit erfasst habe, auch literarisch „geboren“wurde. Drittens –und in einem einfachen Umkehr- schluss daraus folgend –geht Thalmann davon aus, dass sich der ro- mantische Roman nicht aus der Weiterentwicklung des klassischen Kunstromans, sondern in seiner „metaphysischen Kraft“ (Thalmann 1923, 55) aus der „Transsubstantiation der Motive“ (Thalmann 1923, 318)des Trivialromans speise. Dievon Thalmann vorgenommene Inventarisierung und Aufzählung einer Vielzahl von Motiven und Stoffen im trivialen Bundesroman des 18. Jahrhunderts verschwimmt dabei –inAusblendung von historischen Abläufen sowie von Schreib-, Bildungs- und Einflusskontexten der je- weiligen Autoren –zueiner schonungslos teleologischen Massenbewegung, die, um dem „Rationalismusder Jahre“ (Thalmann 1923, 3) zu ent- kommen, der Spitze der antiaufklärerischen Weltsicht, der Romantik, entgegenläuft. So erklärt sie, dass die „Dämonie des Alltags“, die den ro- mantischen Roman insgesamt kennzeichne, aus der „Intrigue des Bundes- romans“entstandensei. (Thalmann 1923, 318) Denn wie der Trivialroman setze der romantische Roman auf das Geheimnis als zentrale Motivation III.1. Darstellung statt Erkenntnis? 147 der Handlung, im Unterschied zu diesem verzichte er aber auf dessen rationale Auflösung, auf dessen vernünftige Entwirrung und Erklärung, was alleinschon zu der für den romantischen Roman charakteristischen „Dämonisierung der Ereignisse“führe. (Thalmann 1923, 115) Das Auf- nahme-, Weihe- und Versammlungszeremoniell der geheimen Gesell- schaften im Trivialroman findet Thalmann in der „Einkehr […] in die Untiefe des eigenen Selbst“ wieder,wobei die „Häufung der Gefahren am Wege zur Weihe“, die der Held im Bundesroman zu überwinden hat, von den „Qualen romantischerSelbstzergliederung und Ironie“, wie Thalmann es nennt, „umgesetzt und überstrahlt“ werde. (Thalmann 1923, 318) Aus der „listenreichen Führung“des Bundes, die den trivialen Helden über Irr- und Umwege zum Zielbringe, werde Thalmannzufolge das „romantische[] Schicksal“; und die Gegensatzpaar- bzw.Gegenspielerkonstellation des Bundesromans werde in der Romantik aufgelöst in einen harmonischen „Ring der Erlösung“.Aus der „Nekromantie des Trivialromans“ strebe man in der Romantik zur „weißen Magie“, zur „überirdischen Auflösung seines Grauens“ und seine „zwiespältige Seele“sei Sinnbild der„endlich gefundene[n] prima materia aller alchymistischenAnstrengungen“. (Thalmann 1923, 319) Die„Geister- undBundesfurcht“,die im Tr ivialroman denersten„primi- tivenAnsatzeines Grauensvor demUnbekannten“darstelle,verwandle sich in derRomantikzum „beseelte[n] Bangen vordem objektlosenFremden“. Insgesamtentzaubere sich diegesamte Bundessymbolik,vor allemdie „al- chymistische Stoffverwandlung“und die„Wundersehnsuchtaller geheimen Gesellschaften“,wie Thalmann abschließend behauptet, in der„romanti- schenEinkehr in denKatholizismus“. Die„wunderlichen blauen undroten Gradeder Orden“ verklären sich dabeiinder „Hierarchieder Kirche“und die„Weisheit desMeistersinder Verwandlungder Hostie“: „Unddamit war fürdiese Dichterdas Ordenswesenals Ausgangspunktund derKatholizismus als Ende gegeben.“(Thalmann1923, 320–321) Das größte Augenmerkwidmet Thalmann aber der „romantischen Entfaltung der Geniusgestalt“, einerFigur, die sie in verschiedenen Aus- prägungen sowohl im Trivialroman als auch im romantischen Roman identifiziert. Beim Genius handelt es sich um jene Figur des Bundesro- mans, die dem Helden beigestellt ist, um –unerkannt –dessen Hand- lungen den Absichten der geheimen Gesellschaftunterzuordnen, der er selbst angehört. Thalmann bezeichnet den Genius als „das gestaltende Prinzip“des Romans, als „menschliche Wiedergeburt des Bundeswillens“, die, „wie es der Zweck eben erfordert“, entwederals „Schützer“ oder„Zer- störer“, als „Versucher“ oder „Seelenfänger am Wege des Helden steht“. Zu finden sei die Figur des Genius in nahezu allen Trivialromanen des 148 III. Marianne Thalmann (1888 –1975)

18. Jahrhunderts:Während Cajetan Tschinks Geschichte einesGeistersehers (dt. 1790–1793)und Carl Friedrich August Grosses Der Genius (1791– 1794) das „strengste Paradigma der Verwendung“ böten, d.h. den Genius „einem deutlich umschriebenen Bund […],dessen Interessendas Buch beherrschen“, zuordnen, fänden sich „Schattierungen“ dieser Figur in Benedicte Nauberts Hermann von Unna (1788), in Ignaz Aurelius Feßlers Marc-Aurel (1789–1792) und in Lörincz Gindls Die Schlangenritter (1799) ebenso wie in –bis heute –anonymen, nur einmal aufgelegten Büchern wie dem Nonnenschauerroman BlutendeGestalt mit Dolch und Lampe (o.J.). (Thalmann 1923, 94–95) Interessant für Thalmann ist der Genius deshalb, weil er,wie sie betont, in seiner „Doppelrolle“als Vertreter eines Bundes und Begleiter des Helden als erste literarische Figur den „Schein dämonischer Gespaltenheit“ auf- weise. (Thalmann 1923, 94) So gebe der „Umstand der Allgegenwärtigkeit, der immer fühlbaren geheimnisvollenMacht […] dem Genius etwas Gottähnliches“. (Thalmann 1923, 96) Auch, dass er als der „große Ver- hüllte“ in wechselnden, in den Logenfarben Rot, Weiß und Schwarz ge- haltenen Kostümen, „allwissend“und „[g]eheimnisvoll“ immer „wie aus der Erde geschossen“ auftrete, verleihe dieser Gestalteinen „über- menschliche[n]Zauber“.(Thalmann1923,97und 99) Er habeden „Glanz fremder Herkunft“(Thalmann 1923, 102), sein Gesicht zeige die „Züge des disharmonischen Menschen“ und sein „beherrschende[r] Blick“ sei der des „Magiers“, der im Betrachteten das „Gefühl des Erstarrens, des Beherrschtwerdens“ auslöse. (Thalmann 1923, 100–101) Er trete auf als jemand, der „unabhängig von Speise und Trank, vergeistigt wie der Fakir“ sei und die „Kunst […],unedle Metalle in Gold zu verwandeln“, be- herrsche. (Thalmann 1923, 103) Doch obwohl dem Genius eine Vielzahl „dämonische[r] Attribute“ (Thalmann 1923, 101) beigegeben sind, breche laut Thalmann doch „immer wieder die Aufklärerfratze hinter dem zeit- losen Kleide des Wunders hervor“ (Thalmann 1923, 99). Denn all die übermenschlichen Eigenschaften, die ihm im Laufe der Romanhandlung zugeschrieben werden, erhaltenamSchluss, wie im Trivialroman üblich, eine rationale Erklärung und werden als Schein entlarvt, wodurchder Roman mit einer „Wendung ins beruhigend Liebliche“ ende. (Thalmann 1923, 96) Damit sei der Genius, in dessen „Handdie Fäden geheimer Führung zusammen[zu]laufen“scheinen (Thalmann 1923, 95), doch nur eine „menschliche Figur des 18. Jahrhunderts“,die, so Thalmann, kühl gesehn nichts anderesist als der vom Verstand-und Vernunftkreis aus beherrschte Sinnenmensch, der dualistischeMensch, dessen Disharmonie III.1. Darstellung statt Erkenntnis? 149

wederLeid noch Erleben erlöst haben, deren Schwergewicht vom Verstande nach einer Richtung hin [der des Bundes, E.G.] einfach zweckmäßigbestimmt wird. (Thalmann1923, 101) Trotz der Demaskierung der Geniusfigur in, wie Thalmannesausdrückt, das aufklärerische „Nikolospieldes biederenBürgers“ (Thalmann 1923, 104) sieht sie doch gerade in ihr „das ausgeprägt disharmonische Gutdes Trivialromans“, nach dem der romantische Roman in der Entwicklung zweier typisch romantischer Gestalten greife:Aus dem Genius des Bun- desromans, diesem„hochentwickelte[n] Verführer“, werdeinder Romantik sowohl„der Fremde, der Unbekannte“als auch der „metaphysische Künstler“. (Thalmann 1923, 264) So ist der fremde Maler in E.T.A. Hoffmanns Die Elixieredes Teufels (1815/16) laut Thalmann eine „[k]lare Bundesroman- erscheinung“: „hager[ ]“, „vonungesagtemAlter,imwundersam ge- bauschten […] Mantel, mehr Geisterfürst als Mensch“. Thalmann verweist aber auch auf viele andereromantische Figuren von „unerforschte[r] Herkunft“: Wie der Geniusdes Trivialromans erscheinensie zum Beispiel in Novalis’ Die LehrlingezuSais (entst. 1798/99), in Achim von Arnims Die Kronenwächter (1817/1854) und in E.T.A. Hoffmanns Die Brautwahl (1819–1821) in einem „wunderlichen Kleide“und sind von „märchen- hafte[m] Alter“. Auch der bestechende und fixierende Blick des Genius finde sich nach Thalmann bei nahezu allen Romantikern, in Novalis’ Heinrich von Ofterdingen (entst. 1800) ebenso wie in Ludwig Tiecks Die Geschichte des Herrn William Lovell (1795/96) und Friedrich de la Motte Fouqués Der Zauberring (1813). Verwandelt habe sich aber die Gespal- tenheit der Figur:Hatte der Genius des Trivialromans durch äußere Umstände die Doppelrolleals Emissär des Bundes und Begleiter des Helden, so wird der Unbekannte im romantischenRoman zum „Typus starker,innerer Schwankungen“. (Thalmann 1923, 267–268) Insgesamt werden die Figuren verstärkt psychologisch erfasst. So rücke das „un- heimliche Lachen“ des Geniusimromantischen Roman an das „wahn- sinnige Gelächter der Irren“heran (Thalmann 1923, 271) und seine Verwandlungsfähigkeit –eine der „fruchtbarsten Eigenschaften für die Romantik“ –gewinneüberhaupt ein Eigenleben:Zwar seien von den „alten Verwandlungskünsten des Genius“ noch die „wechselnden Er- scheinungsformen ein und derselben Romanperson“ geblieben, aber häufig werde aus der Maskierung wie bei Friedrich Schlegels Lucinde (1799) „eine fortwährende, geistige Abspaltung“. (Thalmann 1923, 272–273) Die romantische Vereinnahmung des „grauenvolle[n]Fremde[n]“, so Thal- mann resümierend, werdedadurch abgeschlossen, dass er „dem Helden 150 III. Marianne Thalmann (1888 –1975) nicht mehr als losgelöste, selbständige Gestalt gegenüber[tritt],sondernals Abspaltung seines eigenen Ich“. (Thalmann 1923, 275) Diezweite romantische Figur,die aus dem Genius des Bundesromans entstand, sieht Thalmann im romantischen Künstler.Diesen definiert sie als „Verklärung des weisen Magiers“, als eine Gestalt, die „die eigentliche Kunst des Maurers, die Baukunst, Astronomie, Geometrie, Ton-, Dicht-, Scheidekunst, die Kunst des Herrschens“ übe. (Thalmann 1923, 265)Der romantischeKünstler stehe wie die Geniusfigur „über den Menschen“, aber „nicht mehr als Bote einer unbekannten Macht, sondern kraftseines bildenden Willens, als Schaffender“; er sei „vollendeter Weiser –Meister, Magier“. Alsliterarische Beispiele nennt Thalmann Ludwig Tiecks Figur des AndreaCosimo, der,wie es bei Tieck heißt, aus Lovell, „diesem selt- samenSteine, Funken zu schlagen“ gedenke,weiters den „abenteuerliche[n] Eremit[en] […],der auch Maler ist“,inTiecks Franz Sternbalds Wande- rungen (1798) und die Künstler,die in Novalis’Roman Heinrich von Ofterdingen als „Wahrsager und Priester,Gesetzgeber und Aerzte“be- schrieben werden.Die „größte Kraftihrer Seele“ haben die Romantiker aber laut Thalmann in eine weitere Umwertung dieser Künstlererschei- nungen gelegt, nämlich in die „Beseelung“, in die Verwandlung des Genius ins Genie. Diese erfolgte, so Thalmann, indem der „Künstler […] der Gottheit näher gerückt“ wurde, und zwar „durch jene letzte Weisheit, die der gebundene Sinn der Laien Wahnsinn nennt“. So tragen alle roman- tischen Künstler „etwas anscheinendIrres an sich“, dieses sei aber nichts Negatives, sondern es führe im Gegenteil zur „höchste[n] dämonische[n] Harmonie“, da es der „wiederholt betonten Auffassung der Romantik […], daß Wahnsinn göttliche Torheit sei“, entspräche. Damit seien diese Künstler nicht wie im Trivialroman nur vorgetäuschte, sondern „wahre Eingeweihte“: „Die prima materia ist ihnen bekannt, sie kennen das letzte Geheimnis, den Stein der Weisen […].“ (Thalmann 1923, 282–283) Dieses letzte Geheimnis, die „überirdische Erlösung“,liege für Tieck, Schlegel und Novalis in der „weiße[n] Magie“, die laut Thalmann fol- genden Zweck hat:„VomGrauen des Dualismus in die Harmonie mit sich und den Dingenwachsen, seine Seele den Gegenständen mitteilen,ist wahrhafte Transsubstantiation, ist das edelste Geheimnis aller Magier.“ Die literarischen Beispiele, die Thalmann anschließendandiese Erklärung bringt, beziehen sich auf Friedrich Schlegel, der in Lucinde das „Chaos der streitenden Gestalten“ durch eine „Magie der Freude“ auflösen wollte, und auf Ludwig Tiecks Roman Franz Sternbalds Wanderungen,indem das Geheimnis des wahnsinnigen Malers, das dieser seinen Lehrlingen mitgibt, schlicht laute:„mit sich zufrieden sein“. (Thalmann 1923, 287–288) III.1. Darstellung statt Erkenntnis? 151

Dieüber 300 Seiten umfassenden Ausführungen zu den motivge- schichtlichen Beziehungen zwischen Trivialromanund romantischem Roman versieht Thalmann durchgehend mit einerKritik der Wertschät- zung, die der akademische Betrieb der Aufklärung und der Klassik ent- gegenbringt. So lehnt sie die AuffassungFritz Gieses, Schüler von Wilhelm Wundt und Professor für Psychologie an der Technischen Hochschule Stuttgart, dass „erstinGoethes Meister […] dieselben Personen in neuer Gestalt auftreten“ (Thalmann 1923, 104), ebenso ab wie die Einschätzung des Germanisten und Freimaurerforschers Ferdinand Josef Schneider,dass Friedrich Schillers Roman Der Geisterseher (1787–1789) eine prototypi- sche Funktion für den romantischenRoman habe.26 Ohne daraufeinzu- gehen, dass Schillers Roman vor dem Großteil der von ihr angeführten Trivialliteratur erschienen ist, sieht Thalmann in Der Geisterseher lediglich einen „Versuch des Dichters […] in den Bahnen einer bereits bestehenden Gattung“ (Thalmann 1923, 272). Überhaupt relegiert Thalmann den „vorromantischen Kunstroman“27 in die Peripherie einer für den roman- tischen Roman unbedeutenden Übergangsstation:Ersei „nichtAnreger und Erfinder,sondern nur Durchgang“für die „Sehnsucht nach dem Irra- tionalen“, für die „Dämonieder Romantiker“ gewesen (Thalmann 1923, 316–317), da er keine„Bereicherung oder Umwertung der einzelnen Fak- toren“, die bereits im Trivialroman vorhanden gewesen seien, darstelle. (Thalmann 1923, 171–172) Sein einziges Verdienst für die Romantik habe er laut Thalmann als „Veredler der Form“ geleistet:Wenn die „wis- senschaftliche Forschung […] zwischen beiden vor allemimmer die künstlerischen Gegensätze“betone und „den Trivialroman in die Niede- rungen deutscherUnterhaltungsliteratur als geschäftstüchtige Ausgeburt einer sensationslustigenZeit“ verweise, dann habesie, so Thalmann, übersehen, dass es das „Rohmaterial“ der Trivialromane und nicht der Kunstromane war,andem „das romantische Interesse“ gelegen sei. (Thalmann 1923, 316–317) Diese Einschätzung Thalmanns zielt zweifellos auf eineAufwertung des Trivialromans als Gegenstand des literaturwissenschaftlichen Interes- ses. Dabei ging es Thalmann jedoch nicht darum, den Trivialroman selbst

26 Thalmann bezieht sich auf Giese:Der romantische Charakter (1919);Schneider: DieFreimaurerei und ihr Einfluß auf die geistige Kultur in Deutschland am Ende des XVIII. Jahrhunderts (1909). 27 So der Titel des zwischen die beidenTeile zum Trivialromanund zum romanti- schen Roman eingeschobenen kurzen Kapitels über Goethe, Hippel, Jung-Stilling, Schiller und Wieland. 152 III. Marianne Thalmann (1888 –1975) in den Mittelpunkt eines eigenen Forschungsunterfangens zu stellen, wie es die Trivialliteraturforschunginden 1960er und 1970er Jahren in Form einer Sozialgeschichte der Literatur oder einer Lesestoffanalyse unternahm. Thalmann interessierte der Trivialroman einzig und allein als „Vorläufer des romantischen Romanes“: „Wollte man ihn an sich betrachten“, wäre er, wie Thalmann sich ausdrückt, „nur ein trüber Tümpel unterirdisch sich regender Kräfte“. (Thalmann 1923, 157) Thalmanns teleologisch ausgerichtete Betrachtungsweise des Trivial- romans auf den romantischen Roman warvor allem ein Unterfangen, mit dem sie den romantischen Roman an die Spitze des literaturgeschichtlichen Epochenkanons zu setzen trachtete: Es ist ohne Berechtigung den klassischen Roman einschränkungslos als Vor- bild und absolute Höheder Entwicklunganzusehen. Ich lehne daher im Rahmen dieserArbeitwertende Klassifikation für Klassik und Romantik, sei es „reif und unreif“,wie K. Joël […] oder „vielseitig und einseitig“ wie Chr. Touaillon […] es tut,28 vollständig ab. […] Er [der klassische Roman, E.G.] ist nur ein Vermittler,ein Bindeglied in der Kette der Entwicklung […]. (Thalmann1923, 172) Als Pionierin der Trivialliteraturforschung kann Thalmann also nicht gelten.29 Zwar hat sie 1923 den Begriff ,Trivialroman‘ als Fachterminus in die Wissenschaftsspracheeingeführt30 und die beachtliche Anzahl von über 150 Unterhaltungsromanen einer wissenschaftlichen Analyse unterzogen, aber ihr Blick auf diese Romane war klar auf deren Bedeutung für die romantische Literatur fokussiert. Thalmanns wissenschaftliches Interesse bezog sich also nicht (wie das von Christine Touaillon), obwohl die Auf- nahme des Begriffs ,Trivialroman‘inden Haupttitel ihrer Arbeit das na- helegt, auf die Erforschung eines vom zeitgenössischen Wissenschaftsbe-

28 Gemeint sind Touaillon:Der deutsche Frauenroman des 18. Jahrhunderts (1919); Joël:Nietzsche und die Romantik (1905). 29 In den einschlägigen LiteraturlexikawirdThalmann als Begründerin der akade- mischen Trivialliteraturforschung angeführt, vgl. u.a. Kellner:Trivialliteratur (1984), S. 449. 30 Vgl.Greiner:Die Entstehung der modernen Unterhaltungsliteratur (1964), S. 16: „Erstdurch Marianne Thalmann ist der Begriff ,Trivialroman‘zur Bezeichnung dieses gesamten Literaturkomplexes [der Ritter-, Räuber- und Schauerromane, E.G.] eingebürgert worden.“ –Kreuzer:Trivialliteratur als Forschungsproblem (1967), S. 172:„Der Ausdruck Trivialliteraturist seit 1855 belegt und seit 1923, seit einer Arbeit Marianne Thalmanns über die Geheimbundromane des 18. Jahrhunderts, terminologischerBesitz der neuerendeutschen Literaturge- schichte.“ Ähnlich Schulte-Sasse:Trivialliteratur (1984), S. 562. III.1. Darstellung statt Erkenntnis? 153 trieb ausgeschlossenen bzw.marginalisierten Bereichs.31 Vielmehr lässt die prominente Setzung des Begriffs ,Trivialroman‘ daraufschließen, dass sich Thalmann einerStrategiebediente, die darauf abzielte, als Frau mit einem Randforschungsgebiet eher habilitiert zu werden als mit einem Thema, das im Zentrum des germanistischenInteresses standund somit von Männern besetzt war.Tatsächlich untersuchte Thalmann durch ihre Präferenz der Romantik aber ein Forschungsgebiet, dessen literaturwissenschaftlicher Attraktivitätswert in den 1920er Jahren derart hoch war,dass Julius Pe- tersen in seiner Studie Wesensbestimmungder deutschen Romantik von 1926 feststellen konnte,dass „die heutige Literaturgeschichte beinahe mit Ro- mantikforschung gleichgesetzt werden kann“32,und Paul Böckmannin seinem Aufsatz „Ein Jahrzehnt Romantikforschung“ von 1933konsta- tierte, dass die Romantik „zu einem der lebendigsten Bereiche der neueren Literaturwissenschaftgeworden“33 sei. In der Germanistik des 19. Jahrhunderts, in der –zumindest rück- blickend –philologische Exaktheit, Quellen- und Textkritik die Arbeits- weise der Forscherbestimmten, war die Klassik paradigmatisch als Hö- hepunktliterarischen Schaffens und damit auch als bevorzugter Gegenstand literaturwissenschaftlicher Anstrengung gesetzt worden. Der Romantik widmete man sich (mit Ausnahme Rudolf Hayms und Jakob Minors), wenn überhaupt, nur als zusätzlicher Kontextinformation zur Goethe-Forschung.34 In der zwischen 1890 und 1914 beginnenden Los- lösung von dem nun als ,positivistisch‘ diskreditierten Methodenideals wurde die Epoche der Romantikaber zu einem Gegenstand, mit dem man in der „Überwindung von ,Historismus‘, ,Relativismus‘ und fachwissen- schaftlichem ,Spezialistentum‘sowie im Bruch mit ,Intellektualismus‘ und ,Mechanismus‘“35 zu einer neuen überrationalen Weltsicht zurückzukehren hoffte, nämlich „zu Seele und Mystik, zu Symbol und Metaphysik,zu Intuition und Kosmologie, zu Geheimnisund Mythos, zu Geist und Überpersonalität“36.Dabei waren die zeitgenössisch zahlreichen litera- turwissenschaftlichen Unternehmungen zur Romantik, die als Symptom

31 Zu den Anfängen akademischer Trivialliteraturforschung vgl. Schenda:Volk ohne Buch (1970);Schulte-Sasse:Trivialliteratur (1984). 32 Petersen:Wesensbestimmung der deutschenRomantik (1926), S. 2. 33 Böckmann:Ein Jahrzehnt Romantikforschung (1933), S. 47. 34 Zu Minors Romantikeditionen und der Romantikauffassung der Scherer-Schule vgl. Elkuß: Zur Beurteilung der Romantik und zur Kritik ihrer Erforschung (1918). 35 Klausnitzer:Blaue Blumeunterm Hakenkreuz (1999), S. 32. 36 Mahrholz:Deutsche Literatur der Gegenwart(1930), S. 92. 154 III. Marianne Thalmann (1888 –1975) wie auch als Mitträger des in den 1910er und 1920er Jahren vielfach konstatierten Zerfalls des Methoden- und Wertekanons des Fachs gesehen werden können, vielfältig bis zur Gegnerschaft.37 In der Zeit zwischen 1900 und 1933 lassen sich drei Hauptrichtungen der germanistischen Romantikforschung unterscheiden:38 Am wirk- mächtigsten erwiesen sich die Programmeder sogenannten Geistesge- schichte,die „in Aufnahme von lebensphilosophischen Ideen und Diltheys Konzept einer,verstehenden Geisteswissenschaft‘die Rückführung auf und Deutung literarischer Werke aus Konditionen eines allgemeinen,epo- chen-, national- oder generationsspezifisch gedachten ,Geistes‘ prakti- zierten“39 und die sich in Opposition zur relativ nüchternen und exakten Schreibweise der Philologie des 19. Jahrhunderts durch einen stark bild- haften und überhöhtenStil auszeichneten und Quellenangaben oftmals als nutzloses Beiwerk betrachteten.40 Zu ihren wichtigsten germanistischen Vertretern zählten Rudolf Unger,Hermann August Korff, Friedrich Gundolf und Paul Kluckhohn, die sich mit Konzepten der Problem-und Ideengeschichte auseinandersetzten, sowie Oskar Walzel und Fritz Strich, die formalanalytische und stiltypologische Forschungsprogramme entwi- ckelten.Inder Geistesgeschichte ging man –inAnlehnung an Wilhelm Diltheys Baseler Antrittsvorlesung von 186741 –für die Zeit zwischen 1770 und 1800 von einer kontinuierlichenliteratur- und kulturhistorischen Entwicklungaus;dabei handelteessich um eine Auffassung,die unter dem Schlagwort ,Deutsche Bewegung‘ vor allem eine „kontinuierlicheund in Opposition zur westeuropäischenAufklärung verlaufende Entwicklung des deutschen Geistes“42 behauptete.

37 Bezeichnenderweise nahm Julius Petersen in seinem Buch Wesensbestimmung der deutschen Romantik von 1926 am Beispiel der zeitgenössischenRomantikfor- schung auch „zu den methodologischen Auseinandersetzungen der geisteswis- senschaftlichen Krisis,durch die das Gebiet der Literaturgeschichte besonders in Mitleidenschaftgezogen wird, Stellung“. Petersen:Wesensbestimmung der deutschen Romantik (1926), S. VII. 38 Zum Folgenden vgl. v. a. Klausnitzer:Blaue Blume unterm Hakenkreuz (1999), S. 31–79. 39 Klausnitzer:Blaue Blumeunterm Hakenkreuz (1999), S. 37. 40 Am konsequentesten zeigen diese Ablehnung der Philologie die Texte Friedrich Gundolfs, der programmatisch auf Fußnoten insgesamt verzichtete. 41 Dilthey: Diedichterische und philosophischeBewegunginDeutschland 1770– 1800 [1867] (1961);vgl. auch Dilthey:Das Erlebnis und die Dichtung [1906] (2005). 42 Klausnitzer:Blaue Blumeunterm Hakenkreuz (1999), S. 37. III.1. Darstellung statt Erkenntnis? 155

DiezweiteHauptrichtungder Romantikdeutungen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts kann in der stammeskundlichen Literaturge- schichtsschreibung Josef Nadlers gesehen werden. Sowohl in seiner Studie Die Berliner Romantik von 1920als auch im drittenBand seiner Litera- turgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften,dessen zweite Auflage unter dem Titel Der deutsche Geist 1924 erschien, widmete sich Nadler ausführlich seiner Auffassungder deutschen Romantik. In seiner historisch, geographischund ethnologisch strukturierten Literaturbetrachtung, die die deutscheKulturgeschichte in drei große Entwicklungslinien, nämlich die der „Altstämme“ (Alemannen, Franken, Thüringer,Bayern), die der „Neustämme“ (Meißner,Sachsen, Schlesier,Brandenburger,Altpreußen) und die des „bayerisch-österreichischenSüdens und Südostens“ teilt, kam sowohlder Klassik als auch der Romantik eine besondere Bedeutungzu. Beide stellten für Nadler „Höhe- und Endpunkt der bislangseparat ab- laufendenwest- und ostdeutschen ,Vorgänge‘“43 dar.Sohabe die Weimarer Klassik die eigenständige Entwicklungder ,Altstämme‘ abgeschlossen und die Romantik als „Krönung des ostdeutschen Siedelwerkes“ eine Kultur- erneuerungsbewegungvollendet, in der sich das ostdeutsche „Siedelvolk“ die Kultur der ,Altstämme‘ angeeignet und „nach der Verdeutschung des Blutes und der Erde“ auch die „Verdeutschung der Seele“ vollbracht habe.44 In diesem Sinne stelltenKlassik und Romantik für Nadler den „Doppel- gipfel der deutschenKultur“ dar und ermöglichten dadurch in weiterer Folge „die endgültige Verschmelzung der Volkshälften zum modernen deutschen Staat“.45 Als dritte Richtung sind Entwürfe sozialhistorischer und soziologischer Romantikforschung zu nennen. Zum einen handelt es sichdabei um Studien, die an den kulturhistorischenArbeiten Karl Lamprechts orientiert sind, wie zum Beispiel jene Paul Merkers, der 1921 verkündete, dass nun „soziale ProblemeimVordergrund des Interesses stehenund neben der unbestreitbaren Bedeutung der Einzelpersönlichkeit in Weltanschauung und Praxis das Eigenleben der Masse zu einem nichtzuübersehenden Faktor geworden ist“46,aber auch jene Fritz Brüggemanns, der geistesge- schichtliche und sozialhistorische Literaturbetrachtung zu vereinen such-

43 Klausnitzer:Blaue Blumeunterm Hakenkreuz (1999), S. 61. 44 Nadler:Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften. Bd. 3 (1918), S. 9. 45 Klausnitzer:Blaue Blumeunterm Hakenkreuz (1999), S. 62. 46 Merker:Neue Aufgaben der deutschen Literaturgeschichte (1921), S. 52. 156 III. Marianne Thalmann (1888 –1975) te.47 Danebenbegründete Levin L. Schücking mit seiner Soziologie der literarischen Geschmacksbildung das Programmeiner sozial differenzierten Rezeptionsgeschichte.48 Diesen Ansätzen gelang es jedoch nicht–oder nur in geringem Maß–,den inneren Kreis der Universitätsgermanistik zu beeinflussen. Thalmann setzte 1923 mitihrer Habilitationsschrift in Darstellung, Methodeund Erkenntniswillenauf alle drei derdurchwegheterogenen Ansätzezur germanistischenRomantikforschung. Mit ihrerWürdigung romantischer Aufklärungsfeindlichkeit,ihren Bemühungen,die deutsche Klassik nurals „Vermittler“ und„Bindeglied in derKette derEntwick- lung“(Thalmann 1923,172)zusehen, ihrersemantischüberladenen Spracheund ihrenungenauen Autoren-,Titel- undJahresangaben49 ist Thalmann derGeistesgeschichtezuzurechnen.AnNadlers Konstruktion wiederum ist fürdie Einschätzungvon ThalmannsStudie dreierleivon Bedeutung:Zum einenteilte Thalmann mitNadlerdie Auffassung, dass dieeigentliche Religion derDeutschen unddamit auch derRomantik der Katholizismussei;zum anderen istesgeradeNadlers „Ideevon derna- tionalen Bildungsarbeit[…] alsWesen derRomantik“,auf dieThalmann im Zuge ihrerVerteidigung derdeutschenRomantik gegenderen Defi- nition als„Absterben antikenGeistes“oderals „geistigen Niedergang“ ausdrücklichverweist (Thalmann1923, 75);und gleichzeitig kann die Aufnahme trivialerLiteraturineine akademischeArbeitals Würdigung desvon Nadler postulierten breitenLiteraturbegriffsgesehen werden.50 Die sozialgeschichtliche,imzeitgenössischenwissenschaftlichenFeld weitgehendwirkungslos gebliebene Variante möglicherRomantikbe- trachtungmarkiert Thalmann nur im Titel. Die prominenteSetzungdes

47 Vgl.u.a.Brüggemann:PsychogenetischeLiteraturwissenschaft(1925). 48 Schücking:Die Soziologieder literarischen Geschmacksbildung (1923); ders.: Literaturgeschichte und Geschmacksgeschichte (1913). 49 Diehier verzeichneten Titel, Autorennamen und Erscheinungsdaten zu den von Thalmann besprochenen Romanen findensich nicht oder nur fragmenthaftin ThalmannsHabilitationsschrift,sie wurden von mir nachgetragen. 50 Da bei Nadler Völker und nichtIndividuenals Träger der Geschichte gesetzt wurden, verloren ästhetische Kriterien ihre Bedeutung bei der Auswahl der als forschungsrelevant einzustufenden Texte;Nadler sah keinen „Grund“, „der eine Wissenschaftvon den literarischen Denkmälern zwingen könnte, sich gegen- ständlich auf eine Auswahl aus den Texten zu beschränken“; vielmehr vertraterdie Auffassung, dass, „wenn es eine Wissenschaftvon den literarischen Denkmälern geben soll, dieseWissenschaftdie Gesamtheit der Denkmäler als Form und als Inhaltzum Gegenstande nehmen muß“. Nadler:Die Wissenschaftslehre der Li- teraturgeschichte (1914), S. 26 und S. 29. III.1. Darstellung statt Erkenntnis? 157

Begriffs ,Trivialroman‘verweistzwar aufdie zeitgenössisch im Entstehen begriffene Erforschung vonDistributionswegen,Publikumswirkungund sozialerVerortung derLeserschaft,die,dasie nichtauf ästhetische Aspekte alsAuswahlkriterium angewiesen ist, gerade anhand trivialerMassenli- teraturerprobtwurde. Im Buch selbstgingThalmann aber nicht darauf ein.51 Trotz der Vereinigung der zeitgenössisch zerklüfteten literaturwissen- schaftlichen Forschungsansätze oder aber geradewegen der Uneindeu- tigkeit der methodischen Zuordnung widmete die akademische Fachöf- fentlichkeit der HabilitationsschriftMarianne Thalmanns –ganz im Unterschied zu ihren anderen, in den 1920er und 1930er Jahren veröf- fentlichten Büchern–so gut wie keine Aufmerksamkeit. Weder Josef Nadler,umdessen Interesse sich Thalmann auch persönlich bemühte,52 noch die Literatursoziologen haben sich zu ihrem Buch geäußert. Der einzige Fachvertreter,der die Studie rezensierte, war Rudolf Unger,der ihr in seinen Forschungsberichten zur Romantik zweimal einigewenige Zeilen widmete. Darin würdigte er Thalmanns „literargeschichtliche Arbeits- weise“, die es ihr ermöglicht habe, ihren „Gegenstand unter dem Aspekt eines fortlaufenden, sozusagennur durch gewisse Stromschnellen oder Stauwehre in seiner kontinuierlichen Bewegung veränderten Flusses“ zu sehen.53 Es fehlte ihm aber die „Synthese“54,d.h.eine „weitere geistesge- schichtliche Auswertung und Vertiefung der Ergebnisse“55,sodass er das Buch trotz der geistesgeschichtlichen Kontinuitätsannahme wieder in die Nähe der ,alten‘ Philologie rückte und als „ungemein fleißige[]und zum Nachschlagen oder als Vorarbeit sehr nützliche[ ], aber doch etwas re- pertorienhafte[ ]Analyse“56 bezeichnete. Voneinem Vertreter dieser,alten‘ Philologie ist ebenfallseine Einschätzung erhalten. August Sauer,der Studien- und Generationskollege von Jakob Minor,des einzigen univer- sitären Romantikforschers des 19. Jahrhunderts, stand dem Buch aber – trotz der Anempfehlungseines Freundes und Thalmanns Grazer Univer-

51 EineeingehendeKritik (bzw.Verurteilung) von Thalmanns Studie hinsichtlich der Erforschungtrivialer Literatur findet sich bei Voges:Aufklärung undGeheimnis (1987), S. 285–289. 52 Brief von Thalmann an Nadler vom 20. März 1923;ÖNB, Handschriften- sammlung, 409/30–1. 53 Unger:Vom Sturm und Drang zur Romantik (1928), S. 151. 54 Unger:Vom Sturm und Drang zur Romantik (1928), S. 151. 55 Unger:Vom Sturm und Drang zur Romantik (1928), S. 73. 56 Unger:Vom Sturm und Drang zur Romantik (1928), S. 151. 158 III. Marianne Thalmann (1888 –1975) sitätslehrers Bernhard Seuffert –mit Unverständnis gegenüber.Am 29. April 1923schrieb er an Seuffert: Freilich das überaus fleißige Buch beruht nach meiner Meinung auf einer falschen Voraussetzung;für den jungen Tieckund E.Th.A. Hoffmann mag es richtig sein, aber derübrige Roman der Romantiker hat andere Quellen. Je- denfallsist der [!]Aperçu überspannt.57 Das von August Sauer mit beiläufiger Geringschätzung konstatierte ,überspannte Aperçu‘ gehörte aber zu einer Wissenschaftsauffassung, in der im engen Zusammenschluss von Rhetorik und Weltsicht, von Dichtung und Wissenschaftdie Möglichkeit zur Erkenntnis komplexer Sachverhalte gesehen wurde (und diebereits zeitgenössisch heftiger Kritik ausgesetzt war)58.Die Idee bestandinder Annahme, dass nicht nur der Inhalt, sondern auch ästhetischeKriterien zur wissenschaftlichen Erkenntnis notwendig seien;dass es auch in wissenschaftlichen Texten einen engen „Zusammenhang zwischen Kunstform und Weltanschauung“59 gebe;und schließlich dass für „den reinen Gelehrten- und Schulmeistertyp, den Typ des Nichtkünstlers in jedem Sinne, dem die Erforschung der Begriffe und Tatsachen mehr bedeutet als die Erspürung des menschlich-künstlerischen Wertes im Werk, […] das tiefere Leben im Kunstwerk ewig Hekuba bleiben“60 werde. Insgesamt lässt sich für die 1920er Jahre innerhalb der

57 Briefvon Sauer an Seuffert vom 29. April 1923;ÖNB, Handschriftensammlung 423/1–624. 58 Vgl.u.a.den –die zeitgenössischewissenschaftliche Rhetorik verteidigenden – Aufsatz von Friedrich Kuntze:Vom Stilwandel in der modernen wissenschaftlichen Methodik und von dessen Verständnisschwierigkeiten (1925). –Thalmanns ebenfalls geistesgeschichtlich gesinnter Freund und Kollege Herbert Cysarz, der selbst ein Meister des manieristischen Stils war,hatte sich vom Sauer-SchülerGeorg Stefansky sagen lassen müssen,dass seine Habilitationsschriftden „Gipfelpunkt des Subjektivismus“ darstelle und „unerträgliche sprachliche Fehlbildungen“ enthalte. Stefansky:Die Macht des historischen Subjektivismus (1924), S. 166– 167. –Nichtsdestotrotz konnte auch Cysarz in seiner Besprechung von Thalmanns Arbeit Henrik Ibsen, ein Erlebnis der Deutschen nichtumhin, „[z]ahlreiche wirre, darunter unlogische Stellen“ zu beanstanden und ihre Ausdrucksweise als „im- pressionistisches Flimmern“ zu bezeichnen.Cysarz:Jahrhundertwende und Jahrhundertwehen (1929), S. 759. 59 Wundt: Literaturwissenschaftund Weltanschauungslehre (1930), S. 414. 60 Sarnetzki:Literaturwissenschaftund die Dichtung und Kritik des Tages (1930), S. 450. III.1. Darstellung statt Erkenntnis? 159

Geistesgeschichte eine Überblendung von Kunst und Wissenschaft,61 eine „Verschmelzung derkritischenund derdichterischenSphäre“62 feststellen.63 Nicht von ungefähr findet sich die verbreitetste, wenn auch nicht markierte Rezeption von Thalmanns Der Trivialroman und der romantische Roman nichtinnerhalbdes wissenschaftlichen Feldes, sondern in einem Roman, nämlich in Thomas Manns Der Zauberberg von 1924. „Ichweiß noch genau“, schriebMann 1937 an Joseph Warner Angell, „daßdamals, von unbekannter Seite, eine Schriftüber Freimaurertum an mich gelangte, die ich für die maurerischen Gespräche zwischenNaphtaund Settembrini benutzte […].“ „[W]as Titel und Verfasser betrifft“, setzte Manns „Ge- dächtnis“ aber„vollkommen aus“.64 Erst 1980 wies Scott H. Abbott nach, dass es sich bei der Studie um Thalmanns Habilitationsschrifthandelte, die Mann im Juni oder Juli 1923, als er gerade an dem Unterkapitel „Als Soldat und brav“ schrieb, erhalten haben musste.65 Tatsächlich finden sich in ebendiesem Kapitel, kurznachdem Naphta in einem Gespräch mit Castorp Settembrini zum ersten Malexplizit als Freimaurerbezeichnet,66 zahlreiche begriffliche, stilistische und inhaltliche Übernahmen aus Thalmanns Buch. Eingewobensind diese Übernahmen in die durchaus satirisch-pointierten Erläuterungen zum Geheimbundwesen, die der „verzweifelt-geistreiche[ ]

61 Zu ,Wissenschaftskunst‘ und ,Kunstwissenschaft‘ vgl. Osterkamp:Friedrich Gundolfzwischen Kunst und Wissenschaft(1993). 62 Die„Wissenschaftskünstler“ stehen für die „Verschmelzung der kritischen und dichterischen Sphäre“, sie nehmen an einem „Prozeß“teil, „der die Grenzen zwischen Wissenschaftund Kunst verwischt, den Gedankenerlebnishaftdurch- blutet, die Gestalt vergeistigt“, so Thomas Mann 1922 im ersten seiner Briefe aus Deutschland. Mann: Briefe aus Deutschland [I] (2002), S. 568. –Zuden Über- schneidungen in institutioneller Hinsichtander Münchner Germanistikvgl. Osterkamp:„Verschmelzung der kritischen und der dichterischen Sphäre“ (1989); zum Verhältnis von literaturwissenschaftlicher Geistesgeschichte und Gegen- wartsliteratur am Beispiel von Thomas Mann vgl. Martus:Die Geistesgeschichte der Gegenwartsliteratur (2009). 63 Zu diesem Vorstellungskomplex hat sich Thalmann bereits in den 1920er Jahren auch in dem jungen Medium Radio geäußert. Thalmann: Nietzsche als Dichter (1926). –Zum Überschneidungsphänomen von Kunst und Wissenschaftaus der Perspektive der Literatur vgl. Behrs:Der Dichter und sein Denker (2013);Nebrig: Disziplinäre Dichtung (2013). 64 Wysling (Hg.): Thomas Mann 1889–1917 (1975), S. 546 (Brief von Mann an Angell vom 11. Mai 1937). 65 Abbott:„Der Zauberberg“ and the German Romantic Novel(1980). 66 Mann:Der Zauberberg [1924] (2002), S. 764. Schon davor sindvereinzelt An- spielungen auf Settembrinis Zugehörigkeit zu den Freimaurern zu finden;der Begriff ,Freimaurer‘ fällt hier aber zum ersten Mal. 160 III. Marianne Thalmann (1888 –1975)

Reaktionär“67 Naphta seinem –nicht zu vollkommenem Verständnis ge- langendem –Zuhörer Hans Castorp gibt.Bereits Naphtas Erklärung des Aufnahmezeremoniells in eine Loge lässt deutlich die Vorlage erkennen:Es ist die Rede von „allerlei Gängen“ und „finsteren Gewölben“, durch dieder Neuling „mitverbundenen Augen“ geführt wird, und von einem mit „gespiegeltem Licht erfüllte[n] Bundessaal“, in dem „die entblößte Brust“ des Novizen „angesichts eines Totenkopfes und dreier Lichter“ „mit Schwertern“ bedroht wird.68 Bei Thalmann finden sich dieselben Be- standteile des Aufnahmerituals:„dunkle Gänge“, „dunkle[ ]Gewölbe“ und der „hell erleuchtete[ ]Bundessaal“ (Thalmann 1923, 79), das „Anzünden der drei Lichter“ und der „Totenkopf“ (Thalmann 1923, 77) und schließlich auch die von Degen bedrohte „entblößteBrust“ (Thalmann 1923, 80). Dievon Thalmann betonten „Pflichten der Verschwiegenheit und des Gehorsams“ (Thalmann 1923, 76) kehren in Manns Roman als „Verschwiegenheitund Gehorsam“69 ebenso wörtlich wieder wie ihre Aussage „Der Bund ist nie etwas Beschauliches, sondern immer etwas stark Organisatorisches“ (Thalmann 1923,78), die bei Mann folgendermaßen klingt:„Ein Bund ist niemals etwas Beschauliches, sondern immer und seinem Wesen nach etwas in absolutem Geist Organisatorisches.“70 Von den vielen weiteren Zitaten71 seien zunächstnoch zwei hervorgehoben:Die Hierarchie einer Loge beschreibt Thalmann als Abfolge von „Lehrling, Geselle, Meister“ (Thalmann 1923, 121);bei Mann heißt es, dass eine Loge der „Rangstufenordnung von Lehrling, Geselle und Meister“72 ge- horcht;schließlich ist die letzte Übernahme, die sich im Roman finden lässt, als einzige nicht in Naphtas Rede enthalten, sondern findet sich in Settembrinis Aussage, „daß die Kunst des freien Maurers Regierungskunst ist“73,die exakt Thalmanns Feststellung „Die Kunst des freien Maurers war Regierungskunst“ (Thalmann 1923, 77) entspricht.

67 Wysling (Hg.): Thomas Mann 1889–1917 (1975), S. 457 (Brief von Mann an Paul Amann vom 25. März 1917). 68 Mann:Der Zauberberg [1924] (2002),S.766. 69 Mann:Der Zauberberg [1924] (2002),S.766. 70 Mann:Der Zauberberg [1924] (2002),S.767. 71 Nach Hinweisen bei Abbott:„Der Zauberberg“ and the German Romantic Novel (1980);Benzenhöfer:Freimaurerei und Alchemie in Thomas Manns,Zauberberg‘ (1985);Scheer/Seppi:Etikettenschwindel?(1991) findetsich eine fast vollständige Auflistungder Übernahmenaus Thalmanns HabilitationsschriftimStellen- kommentar der FrankfurterAusgabevon MannsWerken.Mann:Der Zauberberg. Kommentar von Michael Neumann (2002), S. 235, S. 324–333 und S. 335. 72 Mann:Der Zauberberg [1924] (2002),S.768. 73 Mann:Der Zauberberg [1924] (2002),S.777. III.1. Darstellung statt Erkenntnis? 161

Thalmanns Habilitationsschrift74 war Manns „wichtigste Quelle für Naphtas Perspektive auf die Freimaurerei“75,aus ihr stammt„fast alles[…], was Naphta zu Freimaurern und Rosenkreuzern,Alchimie und Hermetik zu sagen weiß“76.Die Bemerkungen Settembrinis zum Geheimbundwesen hingegenbeziehen sich –mit Ausnahme des obenerwähnten Zitats–auf andere Quellen.77 Diese Aufteilung ist durchausder Figurenkonzeption geschuldet, vertritt doch Naphta einebetont antiaufklärerische, irrationale Auffassungdes Freimaurertums, wie sie ihre Hochblüte gegen Ende des 18. Jahrhunderts hatte und wie sie von Thalmann mit einiger Bestimmtheit beschrieben wird.SeinideologischerWiderpart Settembrini bezieht sich als Angehöriger einer fortschritts- und vernunftgläubigen Weltauffassung aber auf die lange Tradition der von verklärter Mystik und Irrationalität freien Form des Geheimbundwesens. Gleichzeitig erfährt in der betreffenden Freimaurerpassage auch die Figur Hans Castorp eine Präzisierung. Naphta beschreibt die Alchimieals Stoffverwandlung und Stoffveredlung, Transsubstantiaton, und zwar zum Höheren, Steigerung also, –der lapisphilosophorum, das mann-weibliche Produkt aus Sulfur und Merkur,die res bina, die zweigeschlechtliche prima materiawar nichts weiter,nichts Geringeresals das Prinzip der Steigerung, der Hinauftreibung durch äußere Einwirkung, –magische Pädagogik,wenn Sie wollen.78 Er setzt damit Hans Castorps Bildungsweg in Analogie zur alchimistischen Verwandlung.79 Das Lungensanatorium wirddabei, wie Mann selbst formulierte, zur „hermetische[n]Retorte, in der ein schlichter Stoff zu ungeahnter Veredlung empor gezwängt und geläutert wird“80.Naphtas „magische Pädagogik“81 ist aber nichts anderes als die stark komprimierte

74 In der Sekundärliteratur zu Thomas Mann wird Thalmanns Studie fälschlicher- weise als Dissertation bezeichnet. Vgl. u.a. Scheer/Seppi:Etikettenschwindel? (1991), S. 56;Mann:Der Zauberberg. Kommentar von Michael Neumann (2002), S. 97. 75 Mann:Der Zauberberg. Kommentar von Michael Neumann (2002), S. 324. 76 Mann:Der Zauberberg. Kommentar von Michael Neumann (2002), S. 97. 77 So u.a. auf Wichtl:Weltmaurerei, Weltrevolution, Weltrepublik (1919). –Zu Manns Freimaurer-Quellen vgl. neben den bereits erwähnten Forschungstiteln auch Nunes:Die Freimaurerei (1992). 78 Mann:Der Zauberberg [1924] (2002), S. 770. 79 Vgl. dazu Mann:Der Zauberberg. Kommentarvon Michael Neumann (2002), S. 330–331. 80 Mann:Vom Geist der Medizin [1925] (2002), S. 1001. 81 Mann:Der Zauberberg [1924] (2002), S. 770. 162 III. Marianne Thalmann (1888 –1975)

Zusammenziehung dreier Passagen aus Thalmanns Habilitationsschrift;82 auch das für den Zauberberg zentrale Thema der Androgynie ist bereits bei ihr vorgeprägt.83 Thomas Mann bezeichnete seine Arbeitsweise1945 als „höheres Ab- schreiben“84 ;und tatsächlich sind die Übernahmen aus Thalmanns Studie derart präzise in den Roman eingearbeitet, dass sie mit diesem ver- schmelzen und, wenn überhaupt, erst nach eingehender Suche kenntlich gemachtwerden können. Das hat neben inhaltlichen vor allemauch sti-

82 Bei diesen drei Passagen handelt es sich um folgende:(1) „Vor allem erfaßtdie Romantik die Magie in zwei wichtigenGrundbegriffen: Symbol und Stoffver- wandlung […].“ –(2) „Zunächst dem Gold stand das Elixier im Mittelpunkt alchymistischer Betriebe. Dieses Elixier,Magisterium oder lapis philosophorum, wie es verschiedentlich genannt wird, war ein chemisches Präparat von unbedingter Verwandlungskraft. Es konnte Kiesel in Edelsteine, Kranke gesund, Eisen zu Gold machen, verjüngen, geistig erheben. Klar ist so viel, daß seine Kraftunbedingt nach oben ging, vom Minderen zum Höheren. Im Stein der Weisen [lapis philosopho- rum, E.G.] drückte sich demzufolge der Glaube an durchäußere Einflüsse bedingte Höherentwicklung aus. Für die Romantik wird es nicht unwesentlich erscheinen, daß der alchymistische Herstellungsprozeß als ein geschlechtlicher gedacht war,wie ja sexuelle Motive in der alchymistischen Literaturansich nicht seltensind. Die primamateria wird als zweigeschlechtlich aufgefaßt. Dieüblige [!]Darstellung ist der ,Rebis‘ (res bina), ein Mensch mit männlichem und weiblichemKopf,oder Mercurius, der den Stab mit den zwei antagonistischen Schlangenträgt.Erst dieser hermaphroditischenErscheinung legte die Alchymie die höchste Kraftder Transmutationbei.“ –(3) „Und aus dem zweigeschlechtlichen Stein der Weisen, dem philosophischen Produktaus dem weiblichen Prinzip des Merkurund dem männlichendes Sulphur steigtder Romantiker zur seelischen Hermaphrodisis. Was der androgyne Mensch, der typisch romantische berührt, wird Gold. Seine zwiespältige Seeleist die endlich gefundeneprima materia aller alchymistischen Anstrengungen.“ Thalmann:Der Trivialroman und der romantische Roman (1923), (1) S. 317, (2) S. 290, (3) S. 319. 83 Vgl.die oben zitierte Passage (S. 319) und:„Nureine Gestalt ist ins Edlere ge- stiegen: Der weiblicheGenius. Er erscheint psychologisch vertieft. Warder Emissär eine Figur mit dem Doppelgesicht, eine Erscheinung von disharmonischer,dua- listischer Veranlagung, Ehrfurcht und Grauen erweckend, so wird die Frau in Mignon ein androgynes Wesen. Ihr Dualismus wird naturwissenschaftlich aus- gedrückt:Sie ist ein Gemenge von weiblichem Fühlen und männlicher Geste – ein Zwittertypus der Pubertätsjahre. Dieser Geist der Spaltung ist bereits in der al- chymistischen Literatur vorgebaut. Der Lapis philosophorum ist ein Produkt des weiblichen Mercur und des männlichen Sulfur –also ein Zwitter.Keine Polarität ohneDualität. Undsowar das alchymistische Gesetz der Polarität symbolisch bereits das Gesetz der Bisexualität.“Thalmann:Der Trivialroman und der romantische Roman (1923), S. 172. 84 Mann:Briefe. Bd. 2(1963), S. 470 (Brief von Mann an Theodor W. Adornovom 30. Dezember1945). III.1. Darstellung statt Erkenntnis? 163 listischeGründe. Wie Thalmanns Text ist auch Naphtas Redemetapho- risch stark aufgeladen und rhetorisch überakzentuiert;sie besteht aus einer Anhäufung maurerischerTermini und ist voll mit Konnotationen, die auf rational nichtfassbare Zusammenhänge des Geheimbundwesens mit mystischen Vorgängen verweisen. Dabei muten Naphtas„Begriffskaska- den“ wie „Wortjongliererei“ an;sie rufen nicht Verständnis, sondern,wie Rainer Scheer und Andrea Seppi mit Recht betonten, eine „Art Verne- belungseffekt“ hervor;teilweise sind seine Aussagen auch „schlichtweg falsch“.85 Um historischeVerifizierbarkeit oderpädagogische Schlichtheit geht es also in der Naphta-Passageebenso wenig wie in Thalmanns Buch. Während der besondereStil bei Thalmanneinem Erkenntnisinteresse geschuldet ist, das nicht auf geschichtliche Überprüfbarkeit setzt, sondern auf eine bestimmte Art der Darstellung, die einen Mehrwert an Bedeutung erzielen soll, hängt Naphtas Rhetorik mit der Figurenkonstellation im Roman zusammen. Seine Rede hat, wie Mann selbst bemerkte, die Funktion, den „radikale[n] und überpointierte[n] Charakter der Diskus- sion“ mit Settembrini herauszustreichen und ihrer beider Zeichnung als „Extremisten“ zu betonen.86 Ob die Darstellung der Freimaurerei sachlich korrekt ist, spielte dabeikeine Rolle;insofernhat Mann Thalmanns Studie auch nicht aufgrund ihrer historischen Glaubwürdigkeit als Quelle ver- wendet,sondern aufgrund der Illustration einer Vielzahl von literarischen Freimaurermotiven der Romantik. Wenn bereits kurz nach Erscheinen des Romans Einspruch gegen Manns Darstellungdes Geheimbundwesens – gerade auch gegen diejenige, die sich auf Thalmannbezieht –erhoben wurde,87 so berührt das also wederdie Zielsetzung von Manns literarischem Werk noch von Thalmanns wissenschaftlicher Studie.88 Neben den Diskussionen über das Wesen der Freimaurerei ist es vor allem die Epoche der Romantik, die zeitgenössischzueinem vielfach

85 Scheer/Seppi:Etikettenschwindel?(1991), S. 64. 86 Ballin:Thomas Mann und die Freimaurer (1930), S. 242 (Brief von Mann an Fritz Ballin vom 15. Mai 1930). 87 Vgl. u.a. Janssen:Thomas Mann und die Freimaurer (1961);Ballin:Thomas Mann und die Freimaurer (1930);Grützmacher:Thomas Mann und das Frei- maurertum (1927). 88 Zu Manns Anleihen bei ihrer Habilitationsschrift hat sich Thalmann nicht ge- äußert. Bemerkenswerterweise hat sie aber in Bezugauf Jakob Wassermanns li- terarische Texte mehrfach dessen „Materialausbeutung“ und „Welt aus zweiter Hand“ kritisiert, in der das „Mein und Dein vielfach mehr als fließende Grenzen“ habe. Thalmann:Wassermanns Caspar Hauser und seine Quellen (1929), S. 208; dies.: Jakob Wassermann (1933), S. 133–134. 164 III. Marianne Thalmann (1888 –1975) umkämpften Gegenstand von (zumeist konservativ-politischen) Weltan- schauungsfragen avancierte. Sowohl Schriftsteller wie Hugo von Hof- mannsthal in seiner berühmtem Rede „Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation“ (1927) oder Rudolf Borchardtinseinem –ebenfalls im Münchner Auditorium Maximumgehaltenen–Vortrag „Schöpferische Restauration“ (1927) als auch Wissenschaftler wie Friedrich Meinecke in Weltbürgertumund Nationalstaat (1907) oder CarlSchmitt in Politische Romantik (1919) artikuliertenihre politischen Ansichten mit Blick auf die Romantik.89 Thalmann selbst hat ihr ParadestückinSachen Weltsicht, Dichtung und Wissenschaftaber nicht anhand der Erforschung der Ro- mantik geliefert, sondern neun Jahre nach ihrer Habilitationsschriftin einem Buch über das Drama des 19. und frühen 20. Jahrhunderts.

III.2. Konservativ-pessimistische Zeitdiagnose einer Intellektuellen – Die Anarchie im Bürgertum. EinBeitrag zur Entwicklungsgeschichtedes liberalen Dramas (1932)

Eine konservative Gesellschaftskritik mit antimodernem Gestus und ka- tholischer Stoßrichtung übte Thalmann in ihrer Studie Die Anarchie im Bürgertum von 1932. Dabei leistete sie weniger einen Beitrag zur Ent- wicklungsgeschichte des liberalen Dramas,wie es im Untertitel heißt;viel- mehr fungieren ausgewählteDramen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts bei Thalmann als Quellen für eine durchweg antidemokratische und an- tiliberale Gesellschaftsstudie des städtischen Bürgertums. WasThalmann in ihrem Buch vorführt, ist eine unaufhaltsame Verfallsgeschichte bür- gerlicher Lebensformen, deren Niedergang sie zum einen als gegeben hinnimmt:„In der Entfernung von heute istesein historisch gewordener Zustand, der für uns die Urzüge der Bourgeoisie trägt und in der Ge- samtentwicklung des deutschen Bürgertums eine Endstufe darstellt, ein in Schönheit Zerschellen alter Formen.“90 Zum anderen schreibt sie diesen Verfall der zunehmenden Wahl- und Entscheidungsfreiheit in Fragen der Lebensführung zu:„Daß Möglichkeiten vom Gesetz zur Gesetzlosigkeit fortschreiten, ist ein Faktum.“ (Thalmann 1932, 5) Die „Anarchie“,die im

89 Zur politischen Romantikrezeptionimliterarischen und wissenschaftlichen Feld vgl. Steiger:„Schöpferische Restauration“(2003);Klausnitzer:Blaue Blume un- term Hakenkreuz (1999);Kurzke:Romantik und Konservatismus (1983). 90 Thalmann:Die Anarchie im Bürgertum (1932), S. 6–Im Folgenden im Fließtext zitiert als (Thalmann 1932, [Seitenabgabe]). III.2. Konservativ-pessimistische Zeitdiagnose einer Intellektuellen 165

Titel genanntwird, istfür Thalmann also das Resultat eines politischenDe- mokratisierungs- undEgalisierungsprozesses, der,daerdie „Überprüfung aller absoluten Werte“hervorrufe, zu einer „Anarchie vonKräften [führe],die für einen Aufbau nicht mehr in Form sind“. (Thalmann 1932,7) Schuld am Niedergangeines zuverlässigen Wertesystems ist laut Thalmann der Liberalismus, dessen „entscheidende[n] Gesellschaftszu- stand“ sie im „Kapitalismus“ sieht und den sie als „Entwerter“ entlarvt, „der mit seinen Schlagwortenvon Frieden, Freiheit, Gleichheit bei Ungleichheit des Besitzes,Toleranz und Demokratiealles Absolute an Gewicht verrin- gert“. Das führe einerseits dazu, dass „alle Belange vom Denkenuner- bittlich durchsetzt werden, genau so wie frühere Zeiten sie der Gefühls- durchblutung ausgesetzt haben“,andererseits zu einer auf Profit eingestelltenkaufmännischen Weltsicht,die den liberalen Menschen mit seiner „mitreißende[n]Diesseitigkeit“ zum „Optimisten der höchsten Rentabilität“ mache. (Thalmann 1932, 5) Mitdiesem „industrielle[n] Impuls“ und dem darin begründeten „Rationalismus neuester Observanz“ gehe das „philosophische Staunen über die Welt“ ebenso verloren wie der „Gefühlssturm des deutschen Idealismus“.Von aller geistigen Leistungs- fähigkeit des Menschenbleibe nur das „Produktionsgebiet des technolo- gischen Intellekts“ übrig, das allein schon einen Untergang kennzeichne, denn, so Thalmannweiter:„[J]ede Technik führt uns an den brüchigen Rand einer Kultur […].“ (Thalmann 1932,6) Unter diesen kultur- und gesellschaftspessimistischen Voraussetzungen widmetsich Thalmann zunächstder Bildung (und dem Verfall) des Paares als „erste[n] Grundstein der Vergesellschaftung“. Dabei lässt sie keinen Zweifel an ihrer Befürwortung der Konvenienzehe:Dieses „ehemals ge- sicherteGefüge“, das auf der Autoritätder Vorfahren gegenüber ihren Nachkommen beruhte, „vom Gedanken der Orthogenese getragen“ wurde und die „Organisationshöhe der Familie zum Ziel“ hatte, war,soThal- mann, nämlich nicht nur eine „biologische Höchstleistung“, sondern hatte auch eine „ersichtliche wohlhabende Heiligkeit“. Dennwenn sich die – aufgrund der Vertrauenswürdigkeit ihrer biologischen Anlage und zur „Sicherung des Kapitalzuwachses“ –zusammengefügten Ehepartner nach der klar verteilten „Über-und Unterordnung“und dem „Begriff des Sa- kraments und des heiligen Standes“ verhielten, dannwar diese „Ehe alten Stils“ der Garant für eine unendlich viele Generationenübergreifende, stabile Gesellschaftsordnung.ImLaufe des 19. Jahrhunderts regte sich laut Thalmann aber ein „Zeitwillen“, in dem der „Zweifelander gewollten und vorbestimmten Geschlechterfolge“ hereinbrach und der „Glaube an die unlösliche Gemeinschaft von zwei Menschenund ihren Nachkommen 166 III. Marianne Thalmann (1888 –1975) belächelt“ wurde. (Thalmann 1932, 7–8) Schuld an dieser „Wertum- kehrung“ (Thalmann 1932, 9) sei die „Skepsis der freien Kritik mit ihrer Anbiederung an das Seiende“ (Thalmann 1932, 7) gewesen. Diese habe nämlich die „Gefühlslücke […] zwischen Interessensgemeinschaftund Liebe, zwischen zweckhafter Sexualität und schweifender Erotik“ entdeckt und dementsprechend die Ehe„nach der Mode ab[ge]lehnt, die ,keine Herzen braucht‘ (Raimund, Bauer als Millionär)“. Diese skeptische, einem neuen „sentimentalischen Selbstbewußtsein“ geschuldete Sicht bedeutete Thalmann zufolge aber nichts anderes als eine vollkommene „Verkennung des Sinnhaften“, eine „Entartung der sakralen Gemeinschaftsformen“ (Thalmann 1932, 9), und hatte mit ihrer „Überschätzung von momen- tanen Glückseinsätzen“ (Thalmann 1932, 10) nicht nur die Legitimierung des Ehebruchs(als verständliche erotische Forderung), die Feindschaftder Geschlechter(im Versuch, neue, auf physiologischer Grundlage aufgebaute Machtverhältnisse zu schaffen) und das Ende der sicheren und ,heiligen‘ Idee der Mutterschaft(in der Verabschiedung generativer Erwägungen und der Tolerierung außerehelicher Kinder) zur Folge, sondern überhaupt die Auflösung aller normativen Ordnungen und Bindungen. In seiner sozialen Stabilität ähnlich brüchig wie das im Laufe des 19. Jahrhunderts „zerrissen[e]“, ursprünglich aber „gottgesetzte Verhältnis von Mann und Frau“ schätzt Thalmannden Zusammenhalt der Genera- tionen im liberalen Bürgertum ein. Im Sinne des vierten Gebots, dieser „ersten normativen Regelung, der Jahrhunderte gedient haben“, seien Vater und Sohn, so Thalmann, „gleichartig gedachte Tr äger einer geschichtlichen Volleistung“ gewesenund hätten durch die Generationenfolge die „Gleichzeitigkeit von Endlichkeit und Unendlichkeit“ garantiert. (Thal- mann 1932, 17–18) Die „schwüle[…]Selbstgefälligkeit des Liberalismus und das Ausbeuterdogma des Sozialismus“ hätten dieses Gebot aber zu Fall gebracht(Thalmann 1932, 19), da beide, obwohl scheinbar konträr ge- schaltet, nicht mehr das durch den Respekt vor den Vorfahren ermöglichte „geschichtliche Kontinuum“ würdigten (Thalmann 1932, 24), sondern nur noch nach dessen (sittlichem, sozialem oder wirtschaftlichem)Wert für den Einzelnen, den Erben, fragten.Die Konzentration auf den Erben bedeutete laut Thalmann nichts anderes, als dass ein „Programm der ab- steigenden Linie“ eingeleitet wurde. (Thalmann 1932, 21) Ob im Natu- ralismus mit seiner Idee der „Stigmatisierung der Seelen durch die Kör- peranlage“ (Thalmann 1932,20), ob in den Milieutheorien, in denen Alt und Jung durch das „politische[ ]Gegensatzpaar […] reaktionär und freiheitlichliberal“ ersetzt wurden, oder aufgrund des durch die zeitge- nössische Unterrichtspolitik hervorgerufenen „ungeheure[n]Bildungs- III.2. Konservativ-pessimistische Zeitdiagnose einer Intellektuellen 167 vorsprung[s]“ der Jugend:Immer ging es, wennman Thalmann glaubt, um die ,Entzweiung von Vater und Sohn‘. (Thalmann 1932,23–24) Den „letzten Schritt“ der „Entwertung der Familiengemeinschaftalten Be- standes“sieht die Verfasserin schließlich in Freuds Psychoanalyse und dessen „pathologischer Überbetonung der Beziehungenvon Mutter und Sohn im Inzest“. Übrig bleibe in dieser„psychologisch übersättigten Zeit“ nur die „krankhafte Seite“: legitim der „Emporkömmling“, der Snob,der auf seine „Vergangenheitslosigkeit“ poche; illegitim der uneheliche Sohn als „erste[r] offene[r] Ankläger“des Bürgertums. (Thalmann 1932, 24–25) Positiv wirdnichts gewendet in Thalmanns Analyse, vielmehr verhängt sie über das 19. Jahrhundert ein (moralisch) niederschmetterndes Urteil:„Das Jahrhundert reißt nieder,legt den Acker brachund überläßtihn einem neuen Sämann. Daß es ihn nicht hatte, ist ein Faktum. Daß es darum wußte, ist ein anderes Faktum.Und daß es sich selbst verneinte, ist seine sittlicheFrivolität.“ (Thalmann 1932,22–23) Literarisch zeige sich diese „Vernachlässigung der Volkssubstanz“ (Thalmann 1932, 19) vor alleminjenem Bild, das im Liberalismus von der Jugend gezeichnet wurde. VonLudwig Anzengruber,der in Der Gwis- senswurm (1874) alle zwölf Kinder der Bäuerinmit verkrüppelten kleinen Fingern ausstattet, über Otto Ludwigs Die Makkabäer (1854) und Arnolt Bronnens Vatermord (1920), in denenBrüderpaaren aufgrund verschie- dener Erbanlagen in Rivalität ausbrechen, bis hin zu Franz Werfel, der seinen Protagonisten in Paulus unter den Juden (1926) nichtnur an einer schiefen Schulter leidenlässt, sondernüber ihn auch noch sagt, es „plag[e] ihn der Ehrgeiz“91 (Thalmann 1932, 26): Überall erkenne man die Parole „Jugend ist Krankheit“, die Schnitzler in Der Rufdes Lebens (1906) aus- gegeben habe.92 Dabeisei diese kranke Jugend aber „eher gefährdet, als gefährlich“;sie leide an dem „Problem des in die Jahre kommenden Thronfolgers“, daran,dass „noch die Welt sie nichtzum Dienst berief“93,

91 Thalmann verzichtetinDie Anarchie im Bürgertum –wie auch in ihren anderen Texten –auf präzise Quellenangaben. Im ersten Bild von Paulus unter den Juden heißtes: „Er neidet dir deinen silbernen Panzer,Frisius!Abererist zu engbrüstig für ihn und trägt eine schiefe Schulter durchs Leben. Dafür plagt ihn der Ehrgeiz, Schauspielerzuwerden und vor dem Cäsar unerträumt zu glänzen.“ 92 In Schnitzlers Der Ruf des Lebens (III/3) lautet die Passage:„Wissen Sie, Herr Doktor,was ich mir oftdenk’…ob das Jungsein nicht überhaupt eine Art von Krankheit ist.“ 93 Thalmannzitiert hier Friedrich Hebbels Genoveva (1843, II/4): „Seine Krankheit ist /Die Jugend, die in ihrer Krafterstickt, /Weil noch die Welt sie nicht zum Dienst berief.“ 168 III. Marianne Thalmann (1888 –1975) woraus sich literarischdas „Draufgängertum oder eine Flucht vor dem Unbekannten“ entwickelthabe. (Thalmann 1932, 27) Geeint sei diese zerrüttete Jugend nur in ihrer Ablehnung der durch ihre Väter und Lehrer repräsentierten Welt, durch die Erkenntnis von Frank Wedekinds Marquis von Keith,„daß ich in bürgerlicher Atmosphäre nichtatmen kann“.94 Zum Aufbau und zur Produktivität sei sie nichtmehr bereit, vielmehr huldige sie in einer Art „Sturmlaufen gegen das Normative“ dem, wie Thalmann sich ausdrückt, „Edelanarchismus der Begierden“und dem „Nihilismusder Tat“. Ohne Zieloder Ordnung, aber mit einem „Viel an Schauspielertum“ stelle die liberale Jugend „ihr Blickfeld auf einen einzigen Begriff ein: Erleben“, wobei diese „Erlebnisphilosophie“, so Thalmann, nichts anderes sei als die „Psychologie der Ermüdeten, die sich am Subjektivismus zer- rieben haben“. (Thalmann 1932, 28–29) Dieeinzige„große[ ]ganzheitliche[ ]Vorstellung“, die das sich selbstzersetzende Bürgertum noch retten hätte können, sieht Thalmann im GlaubenanGott. Doch mit seiner Ausrichtung auf Arbeit und Erfolg, Fleiß und Wohlstand, Vernunftund Rechtschaffenheit, mit seiner Hul- digung des Begreiflichen und Erträglichen, sei der Bürger der „geborene Ketzer“ geworden. Er habe die Gottesperson zunächstsäkularisiert und in den liberalen, diesseitigen Denkbereich eingereiht,umsie dann –ge- meinsammit dem Adel –als illegitimen Machthaber abzusetzen. In diesem Auflösungsprozess habe sich die „Idee des richtenden Gottes“ am längsten gehalten, doch selbst diesem trat man nicht mehr dienendoder in Demut gegenüber,sondern man behielt ihn –integriert in die liberale Rechtsan- schauung –nur noch als „parlamentarische[n] Machthaber“. Demgemäß instrumentalisierte der Bürger in einem „überhebliche[n] Vertraulich- keitsverhältnis“Gott als beratenden, vernunftgeleiteten und liberalen Gesprächspartner,bei dem er „sein Konto[hatte],andem er zu- und abschreibt“. (Thalmann 1932, 30–31) Mitzunehmender Hinwendung zum Diesseits als einzig ausschlaggebenderKategorie wurde aber selbst dieser nur noch fragmentarisch vorhandeneGott als (gesellschaftlich ordnungsstiftende) „Erfindung“ betrachtet. (Thalmann 1932, 32) Diese Verweltlichung und Profanisierung der Religion paarte sich im Bürgertum, so Thalmann weiter,mit einem „Mangel fester Anschauungen“, der „Tatsache eines labilen Gewissens“ und einer „Himmelfahrt der Instinkte“, wodurch nicht nurdie Frage nach ,Gutund Böse‘ obsolet wurde, sondern –

94 Im ersten Aufzug von Der Marquis von Keith (1901)heißt es:„Meine Begabung beschränkt sich auf die leidige Tatsache, daß ich in bürgerlicher Atmosphäre nicht atmen kann.“ III.2. Konservativ-pessimistische Zeitdiagnose einer Intellektuellen 169 im Namen der persönlichen Freiheit –überhaupt alle „jenseitigen Siche- rungen“ verloren gegangen seien. (Thalmann 1932, 34–35) Mitder Degradierung jenseitiger Heilslehrenbleibe dem liberalen Bürger nur noch das „Warenhaus der Erde“, das Glück zu versprechen im Stande sei. Nicht mehr in der Besinnung auf Ewigkeiten, sondern im „Auskosten der Augenblickswerte“, in der „kurzfristige[n] Spekulation des Erfolgs“ und in der „zweckmäßigen Ausbeutung der Welt“ sieht Thalmann die Zielrichtung des liberal-bürgerlichen Strebens. Dabei sei dieser Bürger vor allem auf weltliche Macht und die „preziöse[ ]Ausprägung der Pflichten gegen sich selbst“ aus:Als Egoist und Selbstliebhaber verliere er sich in der „Unersättlichkeit“ und sammle alles, ob Baustile, Stimmungen oder Liebschaften, um es für die „Zweckmäßigkeit seines Wohlbefindens“ zu adaptieren.(Thalmann1932, 36–37) DieKonzentration auf das oberflächlich Dekorative, auf die Sensation, führe gemeinsammit der Ausschaltung jeglicher „kosmische[r] Ordnung“ einerseits zu einer uner- hörten Verlustangst, die den Menschen „bis zur größten Schmerzemp- findlichkeit“ zerreibe;andererseitsdazu, dass „[j]edeEinheit des Lebens zerfällt“. Der Bürger,der sich selbst fremd wird, der nur noch –wie Hofmannsthals Andrea in Gestern –„grenzenlose Weiten“ um sich sieht, versuche sich in psychologische „Hilfskonstruktionen“ zu retten. So verlege er in seinem Hang zur Selbstbespiegelungden „Herrschersitz“ vom Jenseits über die „Erdenkruste […] ins Unbewußte“ und mache sich –mit Freuds Unterstützung –selbst zum Neurotiker. (Thalmann 1932, 38–39) Trotz Einsamkeit und der „Unfähigkeit, Wurzeln zu fassen“, erkläre der liberale Bürger „das Wort Mensch“ zur einzigen Antwort auf die Frage „nach den Zusammenhängen mit der Welt“. Gerade darin aber,dass sich die bür- gerlichen Individuen nicht mehr als Familie, nicht mehr als Vater,Mutter, Bruder,Schwester,Sohn oder Tochter begreifen können, sondernnur noch als „Menschen“, erkenntThalmann das „[V]erkünden [der] Masse“.Einer Masse freilich, die sich aus beziehungslosen Egomanen zusammensetze und gegen die nicht anzukommensei, ohne auf die letzte „Möglichkeit einer Erlösungaus dem Subjektiven“,auf den Krieg, zurückzugreifen, denn, so Thalmann, Fritz von Unruhs EinGeschlecht (1917) zitierend: „Von jeder Einzelgier hat uns das Feuerbad des Kriegs geheilt […].“ (Thalmann 1932, 39–40) Der ,natürliche‘, alltäglicheTod hingegen könneden bürgerli- chen Menschen in seiner selbstverliebten Ichbezogenheit nicht mehr irri- tieren. In einem „Risikohandel[ ]mit der Ewigkeit“ habe der liberale Mensch den Todnämlich „wieein rechtschaffenes Du dem eigenen Ich gegenüber[ge]stell[t]“, um „in der Kampfpose gegen ihn die Verschiebung 170 III. Marianne Thalmann (1888 –1975) der Machtverhältnisse von Diesseits und Jenseits auszufechten“. Dabei habe der Bürger „mit der Schleuderkraftseiner Schlußfolgerungen“ dem Todzunächst seinen Sinn für Gerechtigkeit abgesprochen, da er weder zwischen Reich und Arm, Erfolg und Misserfolg noch zwischen Schuld und Unschuld zu unterscheiden im Stande sei. (Thalmann 1932, 41–42) Danach habeerseine Todesfurcht mit der Entwertung der Unsterblichkeit bekämpft:„Wer keiner Zukunftverpflichtet ist,gibt keinen Einsatz für die Ewigkeit.“ In einer „Mixtur aus Neugierde und Ästhetizismus“ sei an- schließend noch die Memento-Mori-Tradition der sakralen Aufmachung der Leiche dahingehend genützt worden,dass durch die pompöse Ge- staltung des Begräbnisses wieder die bürgerlichen Werte Erfolg und Geld zum Ausdruck kämen:„Der Todist nicht mehr gleich, er nimmt den einen nicht wie den andern, er ist ein Toderster bis dritter Klasse mit ver- schiedenen Orchestern.“ (Thalmann 1932, 43–44) Ganz und gar ent- machtet habe der liberale Bürger den Todaber,soThalmann resümierend, durch die Erörterung der Frage des Selbstmords. In seinem uneinge- schränkten Subjektivismus habe der Bürger den Selbstmord nämlich nicht mehr als abzulehnenden Akt gegen die Allmacht Gottes angesehen, son- dern im Gegenteil als Beweis der „Steigerung seinereigenen Leistungsfä- higkeit“: Wie in GerhardHauptmanns VorSonnenaufgang (1889) berau- sche er sich nunmehr an dem „Bewußtsein,esinder Hand zu haben“. (Thalmann 1932, 45) Im „Preissturz aller Werte“ (Thalmann 1932, 45) bleibe nur noch das Leben als ernst zu nehmende Kategorie.Doch nicht das „kämpfende Le- ben“, nicht „Pflicht, Volk, Vaterland“ (Thalmann 1932, 46–47), sondern das vom Liberalismus versprochene bequeme und gleichzeitig interessante Leben, die „Behaglichkeit des genußreichen Augenblicks“ (Thalmann 1932, 48) werdezum höchsten Gut. Die ausschließliche Konzentration auf die Gegenwart sei dabei nur ein „Mittel, sich vor dem zu bewahren, was die Menschen am heftigsten packt und verstört:Erinnerung“ (Thalmann 1932, 51), weshalb „das Unhistorische zur Göttin der Demokratie“ (Thalmann 1932, 48) ausgerufen und aus dem „Erlebnis der Zeit die Richtung und das ethische Bezogensein auf ein Vergangenes und ein Kommendes“ ausgeschaltet werde. (Thalmann 1932, 49–50) Wasübrig bleibe, seien laut ThalmannSpieler und Räsoneure;eine Rolle zu haben, Akteur zu sein, werde uninteressant. Schnitzlers „hochmütige[s] Wort“: III.2. Konservativ-pessimistische Zeitdiagnose einer Intellektuellen 171

„Zu Stimmungen neig ich,nicht zu Taten“95,werde zum Motto dieses „übersättigten Bürgertums“ (Thalmann 1932, 51–52), das in seiner Be- ziehungs- und Maßstabslosigkeit nichtsanderes herbeiführe als das „Zer- reißen von Gemeinschaften“, das „Verwirtschaften von Volkssubstanz“. (Thalmann 1932, 47) Das letzte Kapitel in Thalmanns Studie beschäftigt sich mit der Pro- blemstellung von „Masse und Staat“.Ineiner Zusammenschau der bis- herigen Erörterungen zur Paarbildung, zum Generationsbegriff, zur Ju- gend, zum Gotterlebnis, zum liberalen Bürger,zum Todund zum Leben entwirftsie dabei das Bild eines (staatspolitischen) Untergangsszenarios, das sowohl von Linksund Rechts, von Reich und Arm als auch von Kommunisten und Kapitalisten getragen werde. Egal, ob Adel, Bürgertum oder Proletariat:Geld bestimme den „opportunistische[n] Zuschnitt der Zeit“ (Thalmann 1932, 52). So sei das „plötzliche Wuchern der sozialen Fragen“ (Thalmann 1932, 52) im 19. Jahrhundert allein damit zu erklären, dass die Menschen nicht mehr an Einteilungskategorien wie „Geburts- verpflichtungen“, „geschichtliche Sendung“ oder „erworbene[ ]Fähig- keiten“ interessiert seien, sondern nur noch an einem „mehr oder weniger an Kapital“. (Thalmann 1932, 53–54) Der Angriff auf das Kapitalwerde nämlich,soThalmann, „aus dem Geiste derer geformt, die ihrerseits wieder Kapitalisten werden möchten“. (Thalmann 1932, 55) Darüber hinaus führe der „Verzicht auf die Bewertung des historischen Ranges“ zum einen dazu, dass nur noch Geld die „bourgeoise Fassung des Bürgerstolzes“ be- stimme;zum anderen auch zur Ersetzung der Stände durch Klassen, was aber nichts anderes bedeute als eine „Verarmungdes reichgegliederten Volksbegriffes“: „Was früherhoch und niedrig vom Standpunkt des Ge- blüts und der Arbeitsleistung schien, ist nun hoch und niedrig vom Standpunkt der flüssigen Barmittel […].“ (Thalmann 1932, 53–54) Ähnlich reduziert schätztThalmann den bürgerlichen Blick auf den Staat ein:Dieser werdedort, wo sich die „Geldmonomanen wie die Kommu- nisten“, die „Rechten und […] Linken des bürgerlichen Parlaments“ treffen, zu einer„Institutionvon relativer Kreditfähigkeit, aus der man sein Kapital aus Belieben herauszieht oder hineinstopft“. (Thalmann 1932, 55) Vollkommen selbstzerstört habe sich das Bürgertum aberdurch seine Verabschiedung der ,dynastischen Idee‘ und durch seine Implementierung des Staats als „Verstandesangelegenheit,der die Revolution die allgemeinen

95 Diesen Satz sagt die mit „Held“ bezeichnete Figur des Marionettentheaters in Schnitzlers Burleske Zum großen Wurstel,die als dritter Einakter den Abschluss seiner 1906 erschienenen Trilogie Marionetten bildet. 172 III. Marianne Thalmann (1888 –1975)

Richtlinien gegebenhat“. Damit habedas Bürgertumnämlich nicht nur den (für eine funktionierende Gemeinschafterforderlichen) „Kreis der nationalen Bedingtheit“ überschritten, indemessich „international“ wähnte, sondern sich außerdem der „Masse Mensch“ hingegeben,bei der freilich immer die Gefahr bestehe, dass sie „im Aufruhr“ alles „zertrüm- mert“. (Thalmann 1932, 56–57) Dabei könne dieser untergehenden Gesellschaftin ihrem „Totentanz“selbst der auf Zusammenhalt eingestellte „rassenmäßige Volksbegriff“ nicht mehr helfen, da es sich bei diesem, so Thalmann in einer bemerkenswerten Verkennung der realpolitischen Lage, um „eine Gemeinschaftsform [handle],für die innerhalb der liberalen Spannungen kein Raum ist“.(Thalmann 1932, 57–58) Viel eher zeige die „Enteignungder Probleme“, die „Bolschewisierung aller […] bürgerlichen Formen“, dass „die liberale Welt ihre Grenzen hinüber zum Sozialismus“ verschiebenwerde, weshalb,soThalmann in ihrem Schlusssatz, von der bürgerlichen Gesellschaftnichts übrig bleiben werdeals ein „unvergäng- liches und furchtbares Plakat:Ausverkauf der Werte“. (Thalmann 1932, 61) Diese furiose und politisch dem konservativ-nationalen Lager nahe- stehendeUntergangsargumentation96 versieht die promovierte und habi- litierte (universitäralso doppelt beglaubigte) Germanistin Thalmann an keiner Stelle mit methodisch-theoretischen Erläuterungen zu ihrem (lite- ratur-)wissenschaftlichen Verfahren. Dabei umfasst die Textgrundlage der Studie ein breites Spektrum an Dramen,das von Ferdinand Raimund, Franz Grillparzer,Georg Büchner,Friedrich Hebbel, Ludwig Anzengruber über Ernst von Wildenbruch, Arthur Schnitzler,GerhartHauptmann, Hermann Bahr,Hugo von Hofmannsthal bis hin zu Franz Werfel, Walter Hasenclever,Reinhard Sorge, Ernst Toller und Arnolt Bronnen, also bis in die unmittelbare Schreibgegenwart Thalmanns, reicht. So unterschiedlich diese Texte in ihrer stilistischen, rhetorisch-argumentativen, historischen und politisch-gesellschaftlichen Anlage auch sind, Thalmann bringt sie auf einen einfachen und unterschiedslos gemeinsamen Nenner,indemsie „[j]edes Drama der nachromantischenZeit“ zu einem „ausgesprochen bürgerliche[n] Gefüge“ erklärt. (Thalmann 1932, 7) Literarischen Eigen-

96 Thalmann vertrat mit ihren antiliberalen,antiparlamentarischen und antidemo- kratischen Ausführungen Positionen,die unter dem weiten Begriff der ,Konser- vativen Revolution‘ zusammengefasst werden können. Zur konservativen Kul- turkritik in der Weimarer und Ersten Republik vgl. die –ideologisch ihrem Gegenstand zwar nahestehende, aber dochbrauchbare –Studie und Material- sammlung von Mohler/Weißmann:Die Konservative Revolution in Deutschland 1918–1932 (2005). III.2. Konservativ-pessimistische Zeitdiagnose einer Intellektuellen 173

wert erhaltendiese ,bürgerlichen Gefüge‘nicht;vielmehr spielen sie nur noch als Stichwortgeber und „Belege für gesellschaftliche Tatbestände“97 eine Rolle, was Thalmann–in ihrem einzigen Satzzum Verhältnis von Geschichte und Literatur –inwissenschaftlich naiv anmutender Schlichtheitbegründet:„Daß aber der Künstler den Stoff wählt, liegtdarin beschlossen, daß die Zeit ihn gewählt hat.“ (Thalmann 1932, 11) Naiv war diese Literaturauffassung, nach der literarische Texte nur noch als Schreibanlass mit Illustrationswertfungierten,jedochkeineswegs. Vielmehr entsprach sie einerForderung des wissenschaftlichen Feldes, nach der die einzelnen Forschungsdisziplinen nichtmehr nur von ,sich selbst‘, sondernganz allgemein vom ,Leben‘ zu handeln habensollten.98 Mitder Professionalisierung und Spezialisierung der Literaturwissenschaftbzw. -geschichte an den Universitäten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war deren Selbstanspruchals Instanzmit Welterklärungskompetenz, die ihr als Teil der allgemeinen (voruniversitären) (Kultur-)Geschichte noch zu- gesprochen worden war,zurückgegangen.99 In Auseinandersetzung mit den ersten professionalisierten, also universitär-diszipliniertenliteraturge- schichtlichen Arbeitsweisen, die man ab der Jahrhundertwende nach- träglich als ,positivistisch‘ zu simplifizieren geneigt war,etablierte sich ab den 1910er Jahren aber eine Schar von Germanisten,die in unterschied- lichsten Konzepten (zumeist unter dem Label ,Geistesgeschichte‘) den Kompetenzbereich der Germanistik wieder auf alle kulturell-gesellschaft- lichen Belange auszuweiten gesinnt war.100 Orientierte sich die Universi- tätsgermanistik bei ihrer Etablierungabder Mitte des 19. Jahrhunderts am Wissenschaftsideal der Klassischen Philologie, so war es ab den 1880er Jahren, als die Naturwissenschaften die Führungsrolle im Wissenschafts- system zu übernehmen begannen,101 die Philosophie, die –imSinne

97 So Heinrich Lützeler in seiner Rezension von Thalmanns Die Anarchie im Bür- gertum. Lützeler:Probleme der Literatursoziologie (1932), S. 477. 98 Damit rekurrierte man auf „jene Bildungspotentiale […],die den Neuaufbau der deutschen Universität nach 1800 begleitet hatten:Wissenschaftsollte nicht nur Kenntnisse über Gegenstände und Methoden vermitteln, sondern Charakterbil- dung, Erziehung auch für das alltägliche Leben deseinzelnen Individuums be- fördern“. Kolk:Reflexionsformel und Ethikangebot (1993), S. 42. 99 Zur Literaturgeschichte als Teil der allgemeinen Geschichte vgl. Fohrmann:Das Projektder deutschen Literaturgeschichte (1989). 100 Rainer Rosenberg meinte, dass es der Geistesgeschichte auch tatsächlich gelang, die „Kompetenz für Weltanschauungsfragen“ in den Geisteswissenschaften zurück- zuerlangen. Rosenberg:Literaturwissenschaftliche Germanistik (1989), S. 23. 101 Vgl. dazu Stichweh:Zur Entstehung des modernen Systemswissenschaftlicher Disziplinen (1984). 174 III. Marianne Thalmann (1888 –1975) verstärkter Abgrenzungsbemühungen zwischen Geistes- und Naturwis- senschaften –zur „für Erkenntnistheorie zuständigen Grundlagendiszi- plin“102 erhobenwurde.103 Gerichtet war diese Hinwendung zur Philoso- phie immer auch gegen den philologischen Betriebinder Germanistik, der mit seiner Idealisierung von Gelehrsamkeit, Tatsachenforschung und wissenschaftlicher Redlichkeit aber nie –trotz vielfacher Bekundungen des Gegenteils in den 1910er,1920er und 1930er Jahren –104 als ernst zu nehmende Ausrichtung der Literaturwissenschaftabgelöst wurde.105 Thalmanns Text ist vor diesen Grenzausweitungs- und Verschie- bungsbemühungen in der Germanistik zu betrachten. Als wissenschaftli- che Referenzen für ihre Studie verweist Thalmannauf keinen einzigen germanistischen Philologen; die Arbeiten von Wilhelm Scherer,Erich Schmidt, Jakob Minor,August Sauer,Richard Moritz Meyer und anderen zur Literatur des 19. Jahrhunderts fehlen völlig. Dafürfinden sich im Literaturverzeichnis (nicht im Text, da Thalmann Friedrich Gundolfs Praxis der Fußnotenverweigerungfolgt) soziologische und philosophische Standardwerke wie Georg Simmels Soziologie (1908), ArthurLieberts Die geistige Krisis der Gegenwart (1923) und Ludwig von Mises’ Liberalismus (1927), aber auch politisch einschlägige Studien wie Die Bedeutung der WirtschaftimphilosophischenDenken des 19. Jahrhunderts (1921) des konservativ-antidemokratischen Soziologen und ,Lebensphilosophen‘ Hans Freyer sowie Luxus und Kapitalismus (1913) des zunächst marxisti- schen, später nationalkonservativen und nationalsozialistischen Kapitalis- muskritikers und Staatswissenschaftlers Werner Sombart.106 Thalmanns Erkenntnisinteresse lag nicht in der Erforschung der Literatur,war nicht an

102 Dainat:Deutsche Literaturwissenschaftzwischen den Weltkriegen (1991), S. 601. 103 Vgl.Sauerland:Paradigmawechsel unter dem Zeichen der Philosophie (1993). 104 Einen guten Überblick über das Ausmaß des Selbsterklärungsbedürfnisses in der Germanistik zu dieser Zeitgebenzwei Bibliographien, zum einen Dainat:Lite- raturwissenschaftliche Selbstthematisierungen1915–1950 (2003);zum anderen Dainat/Fiedeldey-Martyn:Literaturwissenschaftliche Selbstreflexion 1792–1914 (1994). 105 Vgl.Barner:Zwischen Gravitation und Opposition (1993);Dainat:Überbietung der Philologie (1993). 106 Dass sichThalmann auf die sich universitär gerade profilierende Soziologiestützt, entspricht der Einschätzung des Wiener Germanisten und sozialdemokratischen Lehrers Oskar Benda, der die Literatursoziologie in den 1920er Jahren zum Teil dem konservativen (rechten) Lager zurechnet. Benda:Der gegenwärtige Stand der deutschen Literaturwissenschaft(1928), S. 20–25. –Thalmann selbst firmiert bei Benda aufgrund ihrer Studie Gestaltungsfragen der Lyrik (1925) unter „Formaläs- thetischeLiteraturforschung“. Ebd.,S.43. III.3. Wiener Karriere und Weggang in die USA 175

Autoren, Schreibbedingungen, Rezeptions- oder Editionsverfahren ge- knüpft, zielte also insgesamt nicht auf die Etablierung der Verfasserinim Feld der Philologie. Vielmehrist der Text durch eine (Selbst-)Transkription in zumindestein anderes Feld motiviert:indie konservativeKulturkritik, die Kulturphilosophie, das gehobene Feuilleton;107 also in das wilde, aber renommeeträchtigeFeld der Welterklärungs- bzw.Weltanschauungstexte, das zeitgenössisch auch viele anderegermanistische Kollegen wie Herbert Cysarz, Rudolf Unger,FriedrichGundolf,HarryMaync, Franz Koch, Max Kommerell,HermannAugust Korff und Oskar Walzel bedienten.108 Thalmann führte damit ein Vorgehen weiter, das bereits in ihrer Habili- tationsschriftangelegt war,das der Literatur die denkbar schwächstePo- sition als Anlass beimaßund als letzte Dekompositionserscheinung der germanistischen Geistesgeschichte gelesen werden kann.109

III.3.Wiener Karriere und Weggangindie USA

DieStudie Die Anarchie im Bürgertum war Thalmanns letzteVeröffent- lichung, bevor sie nach achtjähriger Privatdozentinnentätigkeit zum Wintersemester 1933 die Wiener Universität verließ und in die USA emigrierte. An der Wiener Germanistik war mit der Berufung Josef Nadlers 1931 ein erklärter Gegner der Geistesgeschichte und –wie sich innerhalb kürzester Zeit herausstellen sollte –auch ein Gegner Marianne Thalmanns zum Leiter der neugermanistischen Abteilung bestimmt worden. Hatte sich Thalmann wenige Jahre zuvor noch um eine Nähe zu Nadler bemüht, ihm 1923 ihre Habilitationsschrift Der Trivialromanund

107 Richard Newald stellte schon in Bezug auf Thalmanns Text Gestaltungsfragen der Lyrik (1925) fest, dass Thalmanns„Schreibart […] subjektiv“ sei, sie eine „Neigung zu phrasenhaften Bildungen“ und „bildhaftunverständlichenSätzen“ habe;ihre Studie „geistreich, mit einem andern Wort journalistisch“, also „nicht mehr als eine Plauderei“ sei. Newald:Marianne Thalmann, Gestaltungsfragen der Lyrik [Rez.] (1926), S. 114–115. 108 Franz Schultz bemerkte bereits fürdie Zeit ab 1890, dass nunmehr „die ,Welt- anschauung‘, die von Scherer und den seinen in Verruf getan war,das Objekt der literaturwissenschaftlichenBehandlung wurde“. Schultz:Die Entwicklung der Literaturwissenschaftvon Herder bis Wilhelm Scherer (1930), S. 42. 109 Albert Köster konstatierte 1922, dass es sich bei der Geistesgeschichte um eine „Zeitkrankheit“ handle, die dazu führe, dass „jeder Hans und jede Grete durch ihre spielerei mit ein paar problemen und begriffen ein kleiner Dilthey und durch die verhunzung unserer muttersprache schon ein kleiner Simmel zu sein“ meinte. Köster:Kurt Gassen, Sybille Schwarz [Rez.] (1922), S. 150. 176 III. Marianne Thalmann (1888 –1975) der romantische Roman mit der Bitte um positive Aufnahme nach Fribourg in der Schweiz geschickt110 und 1926 in ihrer Rezension der zweiten Auflage der Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften den gewagten Versuch einer Einigungder verschiedenen literaturwissen- schaftlichen Richtungen unternommen, indem sie Nadler einfach zu ei- nem Vertreter der Geistesgeschichte erklärte111 (was Nadler wenig gefallen haben dürfte), so zeigte sich 1933, als es darum ging, Thalmannden Titel eines außerordentlichen Professors zu verleihen, dass Nadler nicht geneigt war,auf Thalmanns wissenschaftliche Annäherungsversuche einzugehen. Thalmann hatte seit ihrer Habilitation im Juli 1924 jedes Semester zumindest eine Lehrveranstaltung abgehalten,112 eine nichtunbeträchtli-

110 Briefvon ThalmannanNadler vom 20. März 1923;ÖNB, Handschriftenab- teilung, 409/30–1. 111 Thalmann:Josef Nadler,Literaturgeschichteder deutschen Stämmeund Land- schaften [Rez.] (1926). 112 WiSe1924/25: Geheime Gesellschaften des 18. Jahrhunderts als literarische Mittler zwischen Barock und Romantik;SoSe1925:Herders völkergeschichtliche Studien, Übungen (Einführungindie methodische Formbetrachtung an Hand ausgewählter Lyrik);WiSe1925/26:Bundschuhbewegung (die soziale Frage des 16. und 17. Jahrhunderts), Übungen (TragischeFormen und Lustspielformen der Aufklärungszeit);SoSe1926:Von Ibsen zu Strindberg;WiSe1926/27:Einfüh- rungindie Aufgaben und Methoden der neueren Literaturgeschichte, Übungen (Diegestaltende Kunst in lyrischen Übersetzungen und Nachdichtungen);SoSe 1927:Georg Büchnerals Dramatiker;WiSe1927/28:Der österreichische Vor- märz, Stilanalytische Übungen(Novellen des österreichischen Vormärz);SoSe 1928:Problemgeschichtedes Dramasim19. Jahrhundert;WiSe1928/29: Die literarischenAuswirkungen dergeheimenGesellschaftenim18. Jahrhundert, Übungen(E.T.A. Hoffmanns„Nachtstücke“); SoSe 1929:Werkund Persönlichkeit Hölderlins,Übungen (Entwicklung derdeutschen Ballade);WiSe1929/30:Ge- schichte der Lyrik von Hölderlin bis George, Übungen zur Einführung in die methodische Betrachtung (Meisternovellen des 19. Jahrhunderts);SoSe1930: Jean-Paul-Probleme, Übungen (Gestaltanalyse von Jean Pauls unsichtbarer Loge); WiSe1930/31:Das deutsche Lustspiel vom Sturm und Drang bis zur Romantik, Übungen (Das moderne Lustspiel: Eulenberg, Sternheim, Kaiser); SoSe1931: Wiener Impressionismus,Übungen (Gestaltungsfragen der Lyrik, an modernen Gedichtreihen);WiSe 1931/32: Romantische Lebensformen im Ausdruck des 19. Jahrhunderts, Übungen(Die romantische Novelle);SoSe1932:Die Struktur der modernenKomödie, Übungen (Entwicklung der Ballade);WiSe 1932/33: VonHebbelzuToller, Übungen(Gestaltanalytische Untersuchungen an ausge- wähltenDramen);SoSe1933: Werk undGestalt F. Hölderlins,Übungen (Groß- stadtlyrik). Vgl. ÖffentlicheVorlesungen an derUniversitätzuWien1924/25 – 1933. III.3. Wiener Karriere und Weggang in die USA 177

che Anzahlanwissenschaftlichen Veröffentlichungen113 vorgelegt und war seit April 1929–auf Empfehlung Paul Kluckhohns –imGenuss einer ständigen Renumeration für ihre Lehrtätigkeit.114 Im Frühjahr 1933 stellte das Professorenkollegium der philosophischen Fakultät außerdem den Antrag, Thalmann (als ersterFrau an der WienerGermanistik) den Titel eines außerordentlichenProfessors zu verleihen. Dabei handelte es sich um einen Usus im österreichischen Universitätssystem, der dazu diente, einem Privatdozenten symbolisch (nichtpekuniär und unabhängig von einer Professur) Anerkennungzuzollen.115 Nadler nutzte die dafür anberaumte Sitzung am 25. März 1933 jedoch nicht, um über Thalmanns Qualifi- kationen zu beraten, sondern um den von ihm präferierten, um zehn Jahre jüngeren Privatdozenten HansRupprich, dessen Leistungen eigentlich nicht zur Debatte standen, in den Vordergrund zu spielen:116 Sollte man

113 Neben den fünf selbständigen Publikationen, die bis 1933 erschienen (Probleme der Dämonie in Ludwig Tiecks Schriften [1919], Der Trivialroman des 18. Jahr- hunderts und der romantische Roman [1923], Gestaltungsfragen der Lyrik [1925], Henrik Ibsen, ein Erlebnis der Deutschen [1928], Die Anarchie im Bürgertum [1932]), regte Thalmann außerdem die Übersetzung von Rilkes Duineser Elegien ins Polnische an, wofür sie ein Vorwort verfasste (Thalmann:Wste˛p [1930]), veröffentlichte Aufsätze u.a. zu ,, JohannWolf- gang Goethe und Thomas Mannsowie zahlreiche Rezensionenzuliterarischenund wissenschaftlichen Texten. Eine (nicht vollständige) Bibliographie ihrer Schriften findet sich in:Thalmann:Romantik in kritischer Perspektive (1976), S. 193–196. 114 Laut §18der Habilitationsnorm vom 2. September 1920 und der Durchfüh- rungserlässe vom 2. September 1920 (Zl. 13937), vom 19. Oktober 1920 (Zl. 20764) und vom 8. April 1929 (Zl. 7984-I/2) war es möglich, normalerweise unbesoldete Privatdozenten unter der Voraussetzung sozialer Bedürftigkeit für ihre Lehre zu entgelten. Vgl. Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Inneres und Unterricht vom 2. September 1920 betreffend die Zulassung und die Lehrtätigkeit der Privatdozentenanden Hochschulen (Habilitationsnorm)(1920), S. 1646. – Sitzungsprotokolle und Dekrete bezüglich der „ständigen Unterstützung“ Thal- manns vgl. UAW, Phil. Fak.,Zl. 594 ex 1928/29, Zl. 752 ex 1931/32, PA 3433 Marianne Thalmann. 115 In §20der Habilitationsnorm vom 2. September 1920 heißt es diesbezüglich: „FürPrivatdozenten […] kann vom Professorenkollegium die Verleihung des Titels eines außerordentlichen […] Professors als Anerkennung ihrer akademi- schen Wirksamkeitbeantragt werden.“ Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Inneres und Unterricht vom 2. September 1920 betreffend die Zulassung und die Lehrtätigkeit der Privatdozenten an den Hochschulen (Habilitationsnorm) (1920), S. 1646–1647. 116 MitAusnahme von HansRupprich hat Nadler nicht nur Marianne Thalmann, sondern alle „Schüler seiner Vorgänger Brecht und Kluckhohn […] wenig [ge]schätzt[ ], ja teilweise sogarbehindert“. Meissl:Germanistik in Österreich (1981), S. 481. 178 III. Marianne Thalmann (1888 –1975)

Thalmann, deren Arbeiten zweifellos „geistvoll“, aber doch etwas „zu systematisch“ und „methodisch nicht sehr befriedigend“ seien, den Titel verleihen, dann dürfe man, so Nadlerinden Sitzungsprotokollen, Rupprich, der nicht nur „[p]hilologisch und geistesgeschichtlich vorzüg- lich“ arbeite, sondern sich auch noch durch seine „[b]escheidene Art“ auszeichne, nichtübergehen. Der „Titel für Thalmann“ könne, so Nadler weiter,zwar „verantwortet werden“, aber da dieser „die Reise zu einer Professur ausdrücken“ soll (die, wie Nadler anklingen ließ, für Thalmann nicht in Frage kam), ließesich nur die „gleichzeitige Eingabe für beide“ rechtfertigen.117 Nadler umging mit seiner Argumentation geschickt die übliche Vorgehensweise der Fakultät, nach der ein Privatdozent mindestens sechs Jahre habilitiert sein musste, bevorihm der Titel eines außeror- dentlichen Professors verliehen wurde (Rupprich hatte erst 1929die Venia Legendierhalten).118 Gleichzeitig setzte er damit auch den Privatdozenten Hermann Menhardt zurück, der –gemäß der üblicherweise nach Jahren bemessenenReihenfolge –der nächste Anwärter gewesenwäre.119 Auf- grund der Unterstützung, die Nadler von DietrichKralik und Rudolf Much erhielt, blieben die vorsichtigen Einwände Eduard Castles, der eine „Kränkung“des Zurückgesetzten befürchtete, und des Mineralogen Emil Dittler,der „zu bedenken [gab],daß in der Fakultät Schwierigkeiten entstehen werden“, wirkungslos; der Antrag Nadlers, nicht nur für Thal- mann, sondern auch für Rupprich den Titel zu beantragen, wurde ange- nommen.120 Im daraufhin angefertigtenKommissionsbericht für das

117 Protokoll der Kommissionssitzung betreffend Verleihung des Titels einesExtra- ordinarius an Privatdozentin Dr.MarianneThalmann vom 25. März 1933 (Vorsitzender:Dekan Heinrich Srbik);UAW,Phil. Fak.,Zl. 668 ex 1932/33, PA 3433 MarianneThalmann. 118 Diezumindest sechs verlangten Privatdozentenjahre beruhten nicht auf einem Erlass, sondernnur auf einemRichtwert des Ministeriums, wurden aber bislang – mit Ausnahme von Herbert Cysarz, der bereits 1926, vier Jahre nachseiner Ha- bilitation, tit. a.o. Professor wurde –immer bei der Verleihung des Titels be- rücksichtigt. Zum Vergleich die anderen in den 1920erund 1930er Jahren an der Wiener Germanistik mit dem Titel eines a.o. Professors versehenen Wissen- schaftler:Dietrich von Kralik, Habilitation 1914, tit. a.o. 1922;Anton Pfalz, Habilitation 1919, tit. a.o. 1925;Franz Koch,Habilitation 1926, tit. a.o. 1932; Edmund Wießner, Habilitation 1927, tit. a.o. 1933;Walter Steinhauser,Habi- litation 1927, tit. a.o. 1934. 119 HermannMenhardthabilitierte sich 1928 bei Konrad ZwierzinainGraz, ließ seine Venia Legendi nach Wien übertragen und erhielt dort 1934 den Titel eines au- ßerordentlichen Professors. 120 Protokoll der Kommissionssitzung betreffend Verleihung des Titels einesExtra- ordinarius an Privatdozentin Dr.Marianne Thalmann vom 25. März 1933 III.3. Wiener Karriere und Weggang in die USA 179

Ministerium kam Nadler aber –trotz seines Erfolgs unter den Kollegen – nicht umhin,Thalmanns„ahistorische[]Auswertung des Materials“ zu kritisieren und gegen Rupprichs außerordentliche„wissenschaftliche Würdigkeit“ zu setzen.121 Das Ministerium ließ sich von Nadlers Ansinnen jedoch nichtbeeindrucken:Thalmann erhielt den Titel mit Dekret vom 15. Juli 1933;122 Rupprich musste ein Jahr länger warten und wurde erst 1934 zum außerordentlichen Titularprofessor ernannt.123 Thalmann hatte zu diesem Zeitpunkt aber schon die Zusage für eine dreijährige Gastprofessur am Wellesley CollegeinMassachusetts, einem der renommiertesten Frauencollegesinden USA. Bereits im Juli 1932hatte das Neue Wiener Journal berichtet, dass sich Thalmannmit der Leiterin des dortigen German Department Natalie Wipplinger getroffen hatte,die ihr den –vermutlich durch Walther Brecht vermittelten –124 Rufüberbracht hatte.125 Thalmann ließ sich für das Studienjahr 1933/34 von der Wiener Universität beurlauben,126 woraufhin das Ministerium die Vergütung ihrer Lehre nichtnur für die Zeit ihrer Auslandstätigkeit aussetzte, sondern überhaupt strich.127 „[V]eranlasst durch die aussichtslosen Verhältnissein Österreich“128 bzw.weil sie sich an der Wiener Universität, wie Elise

(Vorsitzender:Dekan HeinrichSrbik); UAW, Phil.Fak.,Zl. 668 ex 1932/33, PA 3433 MarianneThalmann. 121 Kommissionsbericht vom 13. Mai 1933 (Referent:Nadler);UAW,Phil. Fak., Zl. 668 ex 1932/33, PA 3433 Marianne Thalmann. 122 Brief desMinisteriums für Kultus und Unterricht an das Dekanat der philoso- phischen Fakultät vom 15. Juli 1933;UAW,Phil. Fak.,Zl. 668 ex 1932/33, PA 3433 MarianneThalmann. 123 ÖStA, AVA, Unterricht Allgemein, Universität Wien, Philosophie Professoren, MCUZl. 11234 ex 1934 u. Zl. 17085 ex 1934, PA Hans Rupprich. 124 „Daß Mar. Thalmann an das beste Women College nach USA geht, haben Sie wahrscheinlich schon gehört. Ich war zufällig in der Lage, dies zu vermitteln. Ich bin für sie recht froh darüber.“ Brief von Walther Brecht an Franz Koch vom 9. Februar 1933;Adalbert-Stifter-Institut des Landes Oberösterreich, Nachlass Franz Koch. 125 [Anonym:] Oesterreicherin als Universitätsprofessorin in Amerika (1932). 126 Thalmann stellte den Urlaubsantrag am 4. Juli 1933;beschlossen wurde die Be- urlaubung in der Sitzung des Professorenkollegiums derphilosophischen Fakultät am 8. Juli 1933;UAW,Phil. Fak.,Zl. 975 ex 1932/33, PA 3433 Marianne Thalmann. 127 Brief desMinisteriums für Kultus und Unterricht an das Dekanat der philoso- phischen Fakultät vom 2. September 1933;UAW,Phil. Fak.,Zl. 975 ex 1932/33, PA 3433 Marianne Thalmann. 128 [Anonym:] MarianneThalmann. In:Frauen-Rundschau (1951), S. 4. 180 III. Marianne Thalmann (1888 –1975)

Richter bemerkte, „gar nicht nach Wunsch durchbringen konnte“129,blieb Thalmann in den USA. Sielehrte am Wellesley College zunächstals As- sociate Professor,ab1940 als Full Professor of German, emeritierte ebendort 1953 und verbrachte ab 1962 ihre letzten Lebensjahre in München, wo sie am 5. Oktober 1975 starb.130 In ihrer Wiener Zeit hatte sich Thalmann zunehmend der politischen Rechten zugewandt;als „leidenschaftliche Deutschnationale“131 war sie zeitweilig Vorsitzende im großdeutsch ausgerichteten Ständebund deutscher Frauen in Österreich,132 Mitglied des deutsch-arischen Reichsverbandes deutscher Frauenvereine,133 Aktivistin der Nationalen Frauen- und Grenz- landbewegung134 und bei der Nationalratswahl1930 in Wien Kandidatin für die politisch-militante Gruppierung der österreichischen Heimwehr, den ,Heimatblock‘.135 Undauch mit der Emigration, bei der es sich trotz anderslautenderAussagen keinesfalls um eine politisch oder ,rassisch‘ be-

129 Richter:Summedes Lebens [1940] (1997), S. 137. –Von Elise Richter stammt auch der einzige mir bekanntezeitgenössische Hinweis auf ThalmannsHomo- sexualität. Richter schrieb,dass man Thalmann „perverse Neigungen nachsagte“ (ebd.). In allen anderen durchgesehenen Briefen undDokumentenspielt dies keine Rolle, was mit der in den 1920er und 1930er Jahren noch vorherrschenden An- schauungzutun haben mag, dass Frauen, die sich der Wissenschaftwidmen, nicht auch noch Ehefrauen und Mütter sein dürfen. Homosexuelle Beziehungen scheinen dieser ,Zölibatsregel‘für ,gelehrte Frauen‘, die eigentlich einer patriar- chalen Gesellschaftsauffassung entsprang, nicht widersprochen zu haben. 130 Zu den Angaben die akademische Position Thalmanns am WellesleyCollege betreffendvgl. WellesleyCollege Archive, Biographical Files Marianne Thalmann. 131 Richter:Summe des Lebens [1940](1997), S. 137. 132 Planer (Hg.): Das Jahrbuch der Wiener Gesellschaft(1928).–Der Ständebund gehörte dem deutschnational ausgerichteten Reichsverband deutscher Frauenvereine an. Urban:Die Entwicklung der österreichischen Frauenbewegung (1930), S. 61. 133 Vgl.den Brief von Marianne Thalmann an Josef Nadler vom 20. Oktober1926, in dem sie Nadler um seine Schriften für die vom „Reichsverband“ gegründete „erste deutsche Bücherei für berufstätige Frauen in Wien“ bittet und als „Vorsitzende“ unterschreibt; ÖNB, Handschriftensammlung, 409/30–2.–Der Reichsverband deutscher Frauenvereine wurde 1923 als „Zusammenschlußdeutsch-arischer Frauenvereine“ gegründet. Gehmacher:„Völkische Frauenbewegung“ (1998), S. 39. 134 Nach eigenenAngaben von Thalmann in:Kosch:Deutsches Literatur-Lexikon. Bd. 2(1930), Sp.2695. 135 [Anonym:] DieWahlbewegung (1930); auch nach eigenen Angaben von Thal- mannim„Faculty Questionaire“ vom September 1946;Wellesley College Archive, Biographical Files Marianne Thalmann. –Zum Heimatblockvgl. Nimmervoll: Der Heimatblock im Nationalrat der Ersten österreichischen Republik (1993). III.3. Wiener Karriere und Weggang in die USA 181

gründete handelte,136 änderte sie die Richtungihrer (nicht nur wissen- schaftlich bekundeten) Weltanschauungnur bedingt. So hielt sie zu den jüdischen Wissenschaftlern, die 1933 aus Deutschland in die USA flohen, bewusstAbstand137 und tat noch Anfang der 1960er Jahreihre antisemi- tischen Ansichten kund.138 Eine explizite Konzession der Wissenschaftlerin an den Nationalsozialismus lässtsich jedoch nicht finden, auch veröf- fentlichte sie nach Die Anarchie im Bürgertum keinenpolitischen Text mehr (zwischen 1934 und 1945publizierte Thalmann nur drei Aufsätze, die in amerikanischen Zeitschriften erschienen)139.

136 In seiner Rezension von Thalmanns Studie über Johann WolfgangGoethe von 1948 zählte Theodor Schultz Thalmann „zu jenen armen vertriebenen Men- schenkindern, denen es erst durch das Ende des Krieges möglich geworden ist,zu ihrer ursprünglichen Heimat zu sprechen“.Schultz: Marianne Thalmann, J.W.Goethe. Der Mann von fünfzig Jahren [Rez.] (1949). –Das International Biographical DictionaryofCentral European Emigrés verzeichnet Thalmann ebenfalls als vom Nationalsozialismus vertriebeneWissenschaftlerin.Strauss/Rö- der(Hg.): International Biographical Dictionary of Central European Emigrés 1933–1945. Bd. 2.2 (1983), S. 1161. –Und Frank-Rutger Hausmann zählte Thalmann noch 2006 zu jenen Wissenschaftlern der Wiener Germanistik, die 1938 „Opfer der Rassen- und Beamtengesetze“ wurden. Hausmann:Irene Ranzmaier,Germanistik an der Universität Wienzur Zeit des Nationalsozialismus [Rez.] (2006). 137 Als die deutsch-jüdische Germanistin Melitta Gerhard mit Unterstützung des Emergency Committee in Aid of Displaced German Scholars für das Studienjahr 1934/35 ans WellesleyCollege kam, schrieb Thalmannanihren ehemaligen Wiener Studienkollegen und den späteren nationalsozialistischen Germanistik- professorinBerlin, Franz Koch:„Ich muss Ihnen auch mitteilen, dass Sie in Berlin jedenfalls Melitta Gerhard aufsuchen wird,die ein Jahr als visiting professor hier war.Sie wissen, Amerika will immereinen kleinen Flüchtling.Nur wenn sich Gerhard auch nicht so fühlt, so sieht sie doch genügend jüdisch aus und ist in Kiel von der Dozentur enthoben. Seien Sie ihr gegenüber reserviert, denn sie berichtet alles nachWellesley–ich meine vorsichtig über alle meine Äußerungenüber Betrieb, Judenfrage, Dep. hier.“ Brief von ThalmannanKoch vom 6. Juni 1935; Adalbert-Stifter-Institut des Landes Oberösterreich, Nachlass Franz Koch. –Für den Hinweis auf diesen Brief danke ich Sebastian Meissl, Wien. 138 Wie sich Grace Dingee, eine ehemalige Studentin am Wellesley College,erinnert, hat sich Thalmann noch kurz vor ihrer Rückkehr nach Europa dahingehend ge- äußert, dass die „Massen von Juden“ in Österreich einen kulturellen und wirt- schaftlichenNiedergang herbeigeführt hätten. E-Mail von Grace Dingee an Eli- sabeth Grabenweger vom 19. September 2012. 139 Thalmann:Weltanschauung im Puppenspiel von Doktor Faust (1937);dies:Jean Pauls Schulmeister (1937);dies:Hans Breitmann (1939). –Die von Thalmann publiziertenRezensionen sind hier nicht berücksichtigt. 182 III. Marianne Thalmann (1888 –1975)

Nach 1945, als sie wieder in Deutschland zu veröffentlichen begann, konzentrierte sie sich –wie in ihren erstenwissenschaftlichen Studien – nahezu ausschließlichauf die Erforschung der Romantik, der sie zwölf ihrer insgesamt 16 selbständigen Publikationen widmete.140 In den USA avan- cierte sie inzwischen zu einer nicht unbeachteten Wissenschaftlerin:1949 wurde sie als Vertreterin der US-amerikanischen Germanistik zu den umfassenden Feierlichkeiten anlässlich Goethes 200.Geburtstags nach Deutschland entsandt,141 im Wintersemester 1950/51 war ihr als erster Frau gestattet, an der HarvardUniversity einen Vortrag für Graduate Students zu halten,142 außerdem war sie Mitglied der Modern Language Association of America (MLA) und der American Association of University Professors (AAUP).143 Thalmanns nationalkonservativ-elitäre Wissen- schaftsauffassung der späten 1920er und frühen 1930er Jahre geriet in Vergessenheit, sodass sie sich in den 1960er Jahren auch wieder im deutschsprachigen Raum etablieren konnte, wo siemit ihrer Ausgabe der Werke Ludwig Tiecks (1963–1966)144 zu einem „Geheimtipp für eine Generation jüngererWissenschaftler(innen), die nach 1968den Anschluß an die internationale Forschung suchte“145,avancierte.

140 Nach Die Anarchie im Bürgertum (1932) folgten Thalmann:J.W.Goethe. Der Mann von fünfzig Jahren (1948);dies:Ludwig Tieck. Der romantische Weltmann aus Berlin (1955);dies:Ludwig Tieck. „Der Heilige aus Dresden“ (1960); dies: Das Märchen und die Moderne (1961);dies:Romantik und Manierismus(1963); dies:Romantiker entdecken die Stadt (1965);dies:Zeichensprache der Romantik (1967);dies:Romantiker als Poetologen (1970);dies:Die Romantikdes Trivialen (1970);dies:Provokation und Demonstration in der Komödie der Romantik (1974);dies:Romantik in kritischer Perspektive (1976). 141 Wellesley College Archive, Biographical Files Marianne Thalmann. 142 [Anonym:] MarianneThalmann (1951). 143 In der US-amerikanischenFachgeschichtsforschung wird Thalmann heute jenen „exile scholars who had amajor impactonthe development of in the United States“ zugerechnet;diese Einschätzungerfolgtjedoch nach wie vor unter der Annahme, es handle sich bei Thalmann um eine geflohene jüdische Wissenschaftlerin. Gelber:Dowden/Werner, , Jewish Critics [Rez.] (2005), S. 763. 144 Tieck:Werke in vier Bänden (1963–1966). 145 Stephan:Vorwort (2003), S. 10. –Missverständlich und nicht ganz korrektauch hier die biographischen Angaben zu Thalmann, die laut Stephan „nach 1945 aus dem amerikanischen Exilnach Europa zurückkehrte“ (ebd.). IV.Deutsche Philologie als Germanen-und Volkskunde–Lily Weiser (1898–1987)

Diedritte und letzte Wissenschaftlerin, die sich in der Ersten Republik an der Wiener Germanistik habilitierte, war Lily (eigentlich:Elisabeth) Weiser.Weiser studierte ab Wintersemester 1917/18Philosophie und Deutsche Philologie in Wien, widmete sich aber bereits ab dem fünften Semester nicht mehr der deutschsprachigen Literatur,sondern spezialisierte sich auf altnordische Philologie und germanischeAltertumskunde und absolvierte ihre Seminarübungen vor allem bei dem Altgermanisten Rudolf Much. Nach Aufenthalten in Schweden und Norddeutschland konzen- trierte sich ihre Forschungstätigkeit auf die deutsche und nordische Volkskunde und Mythologie–ein Bereich, den ihr Lehrer Much seit Beginn des 20. Jahrhunderts für sich und sein Fach zu beanspruchen in- teressiert war.Demgemäß promovierte sie 1922 auch nicht zu einem primär germanistischen Thema, sondern mit der Arbeit Jul. Weihnachts- geschenke und Weihnachtsbaum.Eine volkskundlicheUntersuchung ihrer Geschichte,die sowohl von Rudolf Much als auch von dessen volkskund- lichem Kontrahenten Arthur Haberlandt begutachtetwurde und die 1923 bei Friedrich AndreasPerthes inStuttgart auch als Buch erschien.1 Nach ihrer Promotion reiste Weiser durch Italien, Deutschland und Skandinavien,unterrichtete für ein Semester an einer Wiener Mädchen- mittelschule,war Privatlehrerin in Schweden, besuchte Tagungen (vor allem des Verbandes der deutschen Vereine für Volkskunde)und hielt ihre ersten Vorträge.2 Außerdem knüpfte sie wissenschaftliche Kontakte, die sich in der Folgezeit als akademisch günstig erweisensollten:sozum BeispielzuViktor Geramb in Graz, der zu ihrem Beraterinakademischen und wissenschaftlichen Belangen avancierte,3 und Eugen Fehrle in Hei-

1Weiser:Jul (1923). 2ZuStudienverlauf, Forschungsreisen und Vorträgen vgl. den eigenhändigen Le- benslauf von Lily Weiser vom 6. November 1926;UAW,Phil. Fak.,Zl. 267 ex 1927/27, PA 3686 Lily Weiser. 3Vgl. die Briefe von Lily Weisers an Viktor Geramb;Privatbesitz. –Für diesen Hinweis und die Bereitstellung der Brieftranskriptionen danke ich Tunja Sporrer, Graz. 184 IV.Lily Weiser (1898 –1987) delberg, der sie 1927gleich zur Mitherausgeberin seiner neu gegründeten Oberdeutschen Zeitschriftfür Volkskunde machte. Währenddieser Zeit verfasste Weiser auch ihre nächste größere Arbeit, die sich nicht –wie ihre Dissertation–mit einem in der zeitgenössischen Forschung zwarpopulären,fachpolitisch aber leichtgewichtigen Thema beschäftigte, sondern mit einem Forschungsgebiet, das den Nerv der Much’schen Altertums- und Germanenkunde traf, in den nächsten Jahren das unangefochteneZentrum der Interessen seiner Schüler bildete und in weitererFolge vor allem die vor,imund nach dem Nationalsozialismus außergewöhnliche Karriere von zwei weiteren Much-Schülern, nämlich die von Otto Höfler und , begründete. Es handelt sich dabei um das 1927 erschienene Buch Altgermanische Jünglingsweihen und Männerbünde. EinBeitrag zur deutschen und nordischen Altertums- und Volkskunde4,das Weiser am 6. November 1926 an der Universität Wien auch als Habilitationsschrifteinreichte.5 Das darauffolgende Verfahren zur Erteilung der Venia Legendi war innerhalb weniger Monate abgeschlossen (Weiser erhielt die Lehrbefugnis mit ministeriellem Beschluss vom 4. Au- gust 1927)6 und zeitigte keine offensichtliche genderpolitische, dafüraber eine universitäts- und fachpolitischnicht zu unterschätzende Besonderheit: Weiser wurde nicht, wie in der älteren Abteilung der Germanistik mitt- lerweile üblich, die Venia für Älteredeutsche Sprache und Literatur oder für Germanische Sprachgeschichte und Altertumskunde erteilt, sondern für Germanische Altertums- und Volkskunde. Damit war die Lehrbefugnis der Much-Schülerin Weiser die erste überhaupt, bei der Volkskunde auch no- minell im Titel aufschien. Personell war die Volkskundefreilich an der Universität Wien schon davor vertreten, jedoch nichtvon einem Ger- manisten, sondern von dem erwähnten Privatdozenten Arthur Haberlandt, der als Prüfer bei Volkskunde-Rigorosen fungierte und formal eine Lehr- befugnis für Ethnographie innehatte.7 Weisers weitere Karriere an der Universität Wien war nur von kurzer Dauer.Sie lehrte im Sommer 1928 für nur ein Semester ,Deutsche

4Weiser:Altgermanische Jünglingsweihen und Männerbünde (1927). 5Habilitationsgesuch von Lily Weiser vom 26. November 1926;UAW,Phil. Fak., Zl. 267 ex 1927/27, PA 3686 Lily Weiser. 6Briefdes Bundesministeriumsfür Unterricht an das Dekanat der philosophischen Fakultät vom 4. August 1927;ÖStA, AVA, Unterricht allgemein,Universität Wien, Philosophie Professoren, MCU Zl. 2957 ex 1927, PA Lily Weiser. 7Bockhorn:Von Ritualen, Mythen und Lebenskreisen (1994), S. 482. IV.Lily Weiser (1898 –1987) 185

Volkskunde‘ und ,Volkskundliche Übungen‘,8 heiratete daraufhin den norwegischen Philosophieprofessor Anathon Aall, zog mit ihm nach Oslo und bekam drei Kinder.9 Siebeschäftigte sich weiterhin mit volkskund- lichen Themen, erhielt 1933für ihren Aufsatz „Derseelische Aufbau re- ligiöser Symbole“10 die „Goldmedaille des Königs“ der Universität Oslo11 und veröffentlichte u.a. 1937 die methodischeGrundlagenarbeit Volks- kunde und Psychologie,inder sie, wie bereits in ihrer Habilitationsschrift, auf die völkerpsychologischenSchriften Wilhelm Wundtsrekurrierte und sich für volkskundliche Fragestellungen von der historisch-philologischen Herangehensweise der Germanistik distanzierte.12 Institutionell in Er- scheinung trat sie aber erst wieder nach dem Todihres Mannes 1943:als „Mitarbeiterinund Vertrauensfrau“13 der von der SS geführten Wissen- schaftsorganisation Ahnenerbe. Dort wurde sie im Juni 1943 in die ,Lehr- und Forschungsstätte für indogermanische Glaubensgeschichte‘ berufen,14 auch aufgrund „ihre[r] alten persönlichen und wissenschaftlichen Bezie- hungen zu Prof.Otto Höfler“15,der seit 1937 „mit größtem Erfolg […] die vom Ahnenerbe betreute Kulturarbeit der SS“16 organisierte. DieVeniaLegendi an der Universität Wien,wosie ab Wintersemester 1930 in den Vorlesungsverzeichnissen als beurlaubt geführtwurde,war aufgrund der Nichtabhaltungvon Lehrveranstaltungen inzwischen erlo- schen,17 was Weiser 1935 schriftlich mitgeteilt wurde.18 IhrerNach-

8Deutsche Volkskunde las Weiser vor 117 Hörern, Volkskundliche Übungen vor 23 Hörern:Die Hörerzahlen sind einem Brief der Wiener Universitätsquästur an Richard Meister vom 8. Juni 1935 entnommen; UAW, Phil. Fak.,o.Z.,PA 3686 Lily Weiser. 9Vgl. dazu Niem:Lily Weiser-Aall 1898–1987 (1998), S. 27–28. 10 Weiser-Aall:Der seelische Aufbau religiöser Symbole (1933). Vgl. auch dies.:Zum Aufbau religiöser Symbolerlebnisse (1934). 11 Niem:Lily Weiser-Aall 1898–1987 (1998), S. 29. 12 Weiser-Aall:Volkskunde und Psychologie (1937). 13 Bockhorn:„Mitall seinen völkischen Kräften deutsch“ (1994), S. 570;ders.:Der Kampf um die „Ostmark“(1989), S. 35 (Anm. 60). 14 Wallnöfer:Spirituelles, Mythologisches, Psychologisches (2008), S. 71. 15 Brief von SS-Hauptsturmführer Fritz Schwalm (Rasse- und Siedlungshauptamt der SS) an Lily Weiser-Aall vom 10. April 1943;zit. n. Wallnöfer:Spirituelles, Mythologisches, Psychologisches (2008), S. 75. 16 Brief von Walther Wüst (ForschungsgemeinschaftDeutsches Ahnenerbe)an Heinrich Himmler vom 15. Oktober 1937;zit. n. Kater:Das „Ahnenerbe“ der SS 1935–1945 (2006), S. 138. 17 Das entsprach §21der Habilitationsnorm von 1920. Vollzugsanweisung des Staatsamts für Inneres und Unterricht vom 2. September 1920, betreffend die 186 IV.Lily Weiser (1898 –1987) kriegskarriere in Oslo tat jedoch weder der Verlust der Venia noch ihre Tätigkeit für das Ahnenerbe einen Abbruch:1946 wurde sie Kuratorin des neu gegründeten Instituts für Norwegische Ethnologische Forschung, stieg in leitende Position auf und ging ebendort 1968 in Pension.19 An Weisers Habilitierung an der Wiener Germanistik 1927 ist zu- mindest zweierlei bemerkenswert:Zum einen, dass das Thema ihrer Habilitation nicht an der Peripherie des wissenschaftlichen Interesses an- gesiedelt war (wie es bei Christine Touaillon und zum Teil auch bei Ma- rianne Thalmann in der neueren Abteilung der Fall war), sondern in dessen Zentrum, d.h. dass mit Weiser in der Altgermanistik eine Frau die zeit- genössisch meist diskutierte Frage der Germanenkunde, nämlich die nach den Männerbünden, als erste bearbeitete;zum anderen und damit zu- sammenhängend, dass ein wesentlicher Schritt in der Disziplingenese der Volkskunde, nämlich die offizielle Benennung einer Lehrbefugnis, eben- falls an Weisers Habilitation hing. Damit stellt sich die Frage, warum in einer Zeit, in der es an der Wiener Germanistik an Privatdozentenund Habilitationen wahrlichnicht mangelte, gerade eine Frau diese wissen- schaftspolitisch wichtige Position einnehmen konnte. Um diese Frage zu beantworten, wird im Folgenden zunächst auf die fachinterne Konstella- tion (Much-Schule, Germanistik und Volkskunde, Verfasstheit der Alt- germanistik), in der die Habilitation stattfand, eingegangen. Danach wird anhand von Weisers wissenschaftlichen Arbeiten, vor allem ihrer Disser- tation und ihrer Habilitationsschrift, ihr Verständnis von germanistischer Volkskunde untersucht und daraufhin analysiert, wie das Motiv der Männerbünde in der Germanenkunde verhandelt wurde. In einer Zu- sammenschau dieser Aspektewerden schließlich Ideologien und Netz- werke, Konkurrenz- und Machtverhältnisse im Bereich der Volkskunde an der Wiener Universität betrachtet, um die Position Weisers in dem zuvor beschriebenenSubfeld der Germanistik zu bestimmen.

Zulassungund die Lehrtätigkeit der Privatdozenten an den Hochschulen (Habi- litationsnorm) (1920), S. 1647. 18 Briefdes Dekans Dietrich von Kralik an Lily Weiser vom 12. Juli 1935;UAW,Phil. Fak.,PA3686 Lily Weiser. 19 Niem:Lily Weiser-Aall 1898–1987 (1998), S. 30. IV.1. Altertums- und Germanenkunde 187 IV.1. Altertums- und Germanenkunde – Rudolf Much (1862–1936)

Bei Rudolf Much, in dessen Gravitationsbereich Weiser studierte, pro- movierte und sich habilitierte,handelte es sich um einen Germanisten, der dem zeitgenössischen Bedürfnisnach einer lebensumfassenden, deutsch- nationalen Ausrichtung des wissenschaftlichen Feldes und seiner Akteure entsprach.20 Am treffendsten, wenn auch –nicht nur genrebedingt –ohne kritischeDistanz, formulierte dies 1937 sein erfolgreichster Schüler Otto Höfler in einem Nachruf.Höfler nenntMuch darin„eine scharf geprägte Führergestalt“ der „deutsche[n] Germanistik“ und bezeichnet ihn als „Philologe[n] von jener Art, deren Hochbildwir in JAKOB GRIMM verehren“.21 Der Vergleich mit Jacob Grimm bedeutete für Höfler,dass RUDOLF MUCH […] einer von denen [war],die sich nicht nur um Worte und Wörterbemühen, sondern die nach demlebendigen Logos forschen und ihm als ganze Menschen durch ein vike¸m verbunden sind. Unddas sollte ja der Sinn unsererWissenschaft sein. MUCH hat den Logos nicht im Abstrakten gesucht, sondern in denDingen. […] Damit aber ist ihm seine Philologie in notwendiger Entwicklung zu einem lebendigenTeil derGeschichte geworden.Ineiner Epoche, deren Geisteswissenschaft sonstmeist geblendet war von den abstrakten Erkennt- nisidealen des sog. „naturwissenschaftlichen“ Denkens, ist MUCH unbeirrt Historiker geblieben. Ihm warGermanistik zuletzt die Wissenschaft von den Germanen und vom deutschen Volk.22 Wenn Höfler 1937 wieder auf Jacob Grimm, einen der ,Gründungsväter‘ der Universitätsgermanistik, rekurrierte, die ,abstrakte‘ Naturwissenschaft in der Philologie anprangerte und wie selbstverständlich die Much’sche Germanistik als „Wissenschaftvon den Germanen und vom deutschen Volk“ definierte, dann ist zunächstanWilhelm Scherers Grimm-Buch von 1865/1885 zu denken.23 Diehier auf Much angewendeten Charakteristika

20 Explizit zu Rudolf Much, dessen Forschungstätigkeit und -erfolg einiges über den ,deutschen‘ Geisteszustand im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts aussagen, gibt es wenig Sekundärliteratur. Das ist umso bedauerlicher,als es gerade anhand seiner Person möglich wäre,darzustellen, wie die ,alldeutschen‘ Intellektuellen agierten, ohne damit in das Dilemmazugeraten, seine Tätigkeit ausschließlich auf den nachkommenden, staatspolitischen Nationalsozialismus beziehen zu müssen. Much starb am 8. März 1936, also zwei Jahre vor dem ,Anschluss‘ Österreichs. 21 Höfler:Rudolf Much [Nekrolog] (1937), S. VII. 22 Höfler:Rudolf Much [Nekrolog] (1937), S. VII–VIII. 23 Scherer:Jacob Grimm (1865);ders.:Jacob Grimm (1885). –Für diesen Hinweis danke ich Werner Michler,Salzburg. 188 IV.Lily Weiser (1898 –1987) der Forscherpersönlichkeit von Jacob Grimm wurden nämlich nichtvon Höfler selbst entworfen, sondern waren –auch wenn Höfler ihn mit keinem Wort erwähnte –über Scherer vermittelte Topoi der Grimm-Re- zeption, die dessen Auffassung als Gründungsfigur der Germanistik über Jahrzehnte hinweg prägten. Diese Topoi lauteten:Deutsche Philologie und Altertumskunde als Liebe zur Nation;Jacob Grimm als „Genie der Combination“ versus Carl Lachmann als „Genie der Methode“ (d.h. der exakten philologischen Herangehensweise);24 Beschäftigung mit deutscher Mythologie und der Geschichte der deutschen Sprache als Historiographie des deutschen Volkes.25 Gleichzeitig und damit zusammenhängend verweist der Nachruf auf den disparaten Zustand der Altgermanistik im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Muchs Förderer an der Wiener Germanistik –sein Doktorvater,Habilitationsgutachterund der Kollege, der Much institu- tionell erst ,gemacht‘ hat –war Richard Heinzel, der von 1873 bis 1905 in Wien den planmäßigen Lehrstuhl für die ältere Abteilung innehatte. Heinzel konnte sich aber ganz im UnterschiedzuMuch mit den „[r]omantische[n],nationalistische[n] Neigungen, wie sie sich bei den norddeutschen Begründern der deutschen Philologie finden“26,nie an- freunden. Vielmehr „protestierte“ er,wie Josef Körner 1935 (also nur zwei Jahre vor dem Nachruf Höflers) festhielt, „je und je dagegen,daß man den Beruf des Germanisten mit germanischem NationalgefühlinBeziehung setze;erwollte nicht,die Wissenschaftzum Patriotismus mißbrauchen‘“.27 Aufdiese Weise war Heinzel, so Körner weiter,auch keine „schwärmerische Andacht […] zum deutschen Altertum“gegeben,erhabe nicht „große Zusammenhänge“ hergestellt, „wo ihm kein vollständiges Material vor- lag“.28 Vielmehr,und hier ein weiterer Punkt der Unterscheidung, habe HeinzelinAnlehnung an Wilhelm Scherer„seine Arbeitsweise gerne der naturwissenschaftlichen Methode analog gestaltet“, aber nicht wie dieser „im allgemeinendoch nur die historische Methode auf die Philologie übertragen“, sondern tatsächlich „die naturwissenschaftlichen Methoden

24 „Lachmann ist ein Genie der Methode wie Jacob Grimm ein Genie der Combi- nation.“ Scherer:Jacob Grimm (1865), S. 49. –Inder zweiten Auflage heißt es: „Er [Lachmann, E.G.] war ein Genie der Kritik wie Jacob Grimm ein Genie der Combination.“ Scherer:Jacob Grimm (1885), S. 90. 25 Zu Wilhelm Scherers Grimm-Bild und dessenNachwirkungen vgl. Wyss:Die wilde Philologie (1979), v. a. S. 1–22. 26 Körner:Deutsche Philologie [1935], S. 71. 27 Körner:Deutsche Philologie [1935], S. 72. 28 Körner:Deutsche Philologie [1935], S. 71. IV.1. Altertums- und Germanenkunde 189 des Zählens, Messens und Wägens“ angewendet, um „Kategorien“ zu finden, „welche eine ganz mechanische, die Willkür möglichst ausschlie- ßende Einordnungder Tatsachen zulassen“.29 Wenn hier fast zeitgleichdie beiden Wiener AltgermanistenRudolf Much und Richard Heinzel mit denselben Attributen porträtiert wurden, diese aber mit grundsätzlich anderenVorzeichen versehen waren,dann lässt sich zunächst feststellen, dass eine Auseinandersetzung um die Definiti- onsmacht über Gegenstand und Methode des älterenFachs stattfand. Tatsächlich beschäftigte sich Heinzel fast ausschließlich mit der Literatur des 8. bis 15. Jahrhunderts und versuchte nur einmal, in seiner Arbeit Über den Stil der altgermanischen Poesie von 1875, aus der Literatur eine Ge- schichteder Nationalität abzulesen, weigerte sich sonstaber,aus Hel- densagenoder anderen literarischen Texten realhistorischeSachverhalte zu erschließen.30 Das Forschungsgebiet Muchs sah ganz anders aus. Much spezialisierte sich von Beginn an auf deutscheAltertums- und Germa- nenkunde, legte seinen Forschungszeitraum also mehrere hundert Jahre früher an, und widmeteseine wissenschaftliche Aufmerksamkeit weniger der Spezifität von Literatur als dem historischen Aussagewert von „Wörter[n] und Sachen“31. Nachdem im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts die Fächertrennung der Germanistik in eine neuere und eine ältere Abteilung nominell fest- geschrieben worden war,stellte sich nicht nur für die neuere, wie schon oft angemerkt wurde,32 sondernauch für die ältere Abteilung die Frage, auf

29 Körner:Deutsche Philologie [1935],S.72–73. Zu Heinzels ,objektiver‘ Ar- beitsweise vgl. auch Schmidt:Die literarische Persönlichkeit (1909), S. 189– 190. –Helmut Birkhanund Peter Wiesinger,zwei Schüler von Otto Höfler, tradieren bis heute dessen (von Much übernommene) Auffassung, dass die Er- kenntnis der Aussichtslosigkeit einer solchen Arbeitsweise Heinzel 1905 in den Selbstmord getrieben habe. Wiesinger/Steinbach:150 Jahre Germanistik in Wien (2001), S. 49;Birkhan:„Altgermanistik“und germanistischeSprachwissenschaft (2003), S. 146 (Anm. 106). –Dazu muss bemerkt werden, dass Höfler 1901 geboren wurde, beim TodHeinzels also vier Jahre alt war,und Wiesinger und Birkhannicht einmal in die Nähe einer Zeitzeugenschaftkommen. 30 Am auffälligsten ist diese Haltung in HeinzelsArbeit Beschreibung der isländischen Saga von 1880, in derdie Sagassystematisch zerlegt und beschrieben,aber keine Aussagen über deren historische Entstehungoder Entwicklung getroffen werden. Auffällig ist das deshalb,weil gerade die (isländischen) Sagas bei Much als Aus- kunftsmaterial über das Germanentumherhalten mussten. 31 So der Titel der 1909 von Rudolf Much gemeinsam mit seinem ehemaligen Studienkollegen Rudolf Meringer und dem Romanisten Wilhelm Meyer-Lübke gegründeten Zeitschrift, in der auch der Nachruf Höflers erschien. 32 Vgl. Kap. I. 190 IV.Lily Weiser (1898 –1987) welche Prinzipiensich ihre Wissenschaftberufen sollte und wann ihr Gegenstand anzusetzen sei. Bezugspunkt war auch hier Wilhelm Scherer bzw.seine Auffassung vom Wesen und von der Geschichte der Deutschen Philologie. Scherers Ansatz der Germanistik als Wissenschaftist im wei- testen Sinne als ein integrativerzubezeichnen.33 Er entwarf das „Programm einer exakten Geschichtswissenschaftder Nation und ihrer Literatur“34, verband also die naturwissenschaftlichen, vermeintlich unhintergehbaren Idealeder ,strengen‘ Schule seines Lehrers Carl Lachmann mit einem historischen Verständnis, das auch größere und entferntere Zusammen- hänge fassbar machte, und verknüpfte diese wiederum mit einem natio- nalpolitischen Blick auf die deutschsprachige Literatur und Sprache.35 Scherer, der vor allem von Vertretern der Geistesgeschichte abwertend als ,Positivist‘ bezeichnet wurde, versuchte viel eher,die sich im Zuge der Professionalisierung der Universitätsgermanistik getrennten Sphären des wissenschaftlichen, das hieß zeitgenössischphilologischen Arbeitens (Edition, Kommentar, Kritik) wieder mit einem Synthesen ermöglichen- den historischen Blick zu verbinden;jedoch nicht ohne dies dem Pro- gramm einer „nationale[n] Ethik“ zu unterwerfen.36 Scherers Entwurfder Deutschen Philologie als Wissenschaftwurde – obwohl eindeutig mehrdimensionalkonzipiert –von Kollegen und Schülern oftmals nur punktuell übernommen und stark gemacht. Richard Heinzelkonnte von all dem nur der auf Exaktheit und Nüchternheit ausgelegten,philologischen bzw.den Naturwissenschaften angelehnten Seite etwas abgewinnen, entsprachalso dem zeitgenössischen Positivismus- Vorwurf weitaus mehr als sein Freund und Vorgänger aufdem Wiener Lehrstuhl, Wilhelm Scherer.37 Am wenigsten interessierte HeinzelScherers

33 Scheres Wissenschaftsauffassung kann hier nur stark verkürzt dargestellt werden. Vgl.zum Folgendenu.a.Scherer:Briefe und Dokumente aus den Jahren 1853– 1886(2005); Michler:Lessings „Evangelium der Toleranz“ (2003);Müller: Wilhelm Scherer (2000);Michler:Anden Siegeswagen gefesselt (1996);Höpp- ner:Das „Ererbte, Erlebte und Erlernte“ im Werk Wilhelm Scherers (1993). 34 Michler: An den Siegeswagen gefesselt(1996), S. 237. 35 So kam es auch, dass Scherer Vorwürfe entgegengebrachtwurden,die einander eigentlich ausschließen:die des kleinkrämerischen ,Positivisten‘, die des unge- nauen ,Feuilletonisten‘, die des preußisch-deutschen ,Nationalideologen‘ und die des ,Judenfreundes‘, der dem Ansehen der deutschen Nation schade. Vgl. Michler: An den Siegeswagen gefesselt (1996);ders.:Lessings„Evangelium der Toleranz“ (2003). 36 Scherer:Zur Geschichte der deutschen Sprache (1868), S. VIII. 37 Heinzel musste sich dafür von Scherer zwar freundlichen, aber doch eindeutigen Hohngefallen lassen. Vgl. Michler:Anden Siegeswagen gefesselt (1996), S. 237. IV.1. Altertums- und Germanenkunde 191

Auffassungvon der Deutschen Philologie als „Tochter des nationalen Enthusiasmus“, als „bescheidene pietätvolle Dienerin der Nation“.38 Mit Heinzels Interpretation der Wissenschaftsauffassung Wilhelm Scherers wurde auch das Wiener Programmdes planmäßigen Lehrstuhls für das ältere Fach, den er als Erster nach der Fächertrennung innehatte, für Generationenvorgegeben:Ihm folgten 1905Josef Seemüller und 1912 Carl von Kraus;beide wurden nach dem Auswahlkriterium der ,strengen‘ Philologie berufen.39 Der Teil der Germanistik, der sich mit deutscher Altertumskunde und Mythologie beschäftigte, sich also nicht der Philologie verschrieb,sondern auf Jacob Grimm als Historiker des deutschen Volkes mit „Mut des Fehlens“40 rekurrierte, blieb in Wienaber nur innerhalb der planmäßigen Professur ausgespart. Durch die Förderung und Beförderung Rudolf Muchs ab Ende des 19. Jahrhunderts etablierte sich nämlich ein kultur- geschichtlichund ethnographisch orientierter Forschungszweig, der in den folgenden Jahrzehnten zusehends an Einfluss gewinnen und in den 1920er

38 Scherer:Wissenschaftliche Pflichten (1894), S. 1. 39 Seemüllers Berufungfolgte der Absicht, einen „philologisch geschulten Germa- nisten“ zu gewinnen,wobei sich, wie es im Kommissionsbericht heißt, Seemüllers Arbeiten besonders durch „Ernst und Gründlichkeit“ sowie „eine ruhige und klare Darstellung“auszeichnen. Kommissionsbericht [Mai/Juni 1905],[Referent:Jakob Minor];UAW,Phil. Fak.,Zl. 3529 ex 1904/05, PA 3135 Josef Seemüller.–Über von Kraus heißtesimBericht der Berufungskommission, dass mit seiner An- stellung der „Zusammenhang mit der großen Vergangenheit der Altgermanistik an unserer Universität gewahrt“ bleibe, da „wiederum ein Schüler Heinzels auf dessen Lehrstuhlberufen“ werde. Außerdem, dass Kraus’„gesamteForscherarbeit“ ge- kennzeichnet sei „von Wissen und Gewissenhaftigkeit“ und „durch vorzüglich ausgebildete Methoden, wobei mühsamgewonnenes Material und Handwerks- zeug“ immer eine große Rolle spielten. Kommissionsbericht vom 4. Juli 1912; ÖStA, AVA,Unterricht allgemein, Professorenund Lehrkräfte:Anstellungen, Rang, Entlassung1912–1914, MCU Zl. 3349 ex 1912. –Zuden Berufungs- verhandlungen vgl. auch Kap. I.1. 40 „,Man muß auch den Mutdes Fehlens haben‘, sagt Jakob Grimm, und es bedarf der ,Hypothesen‘.“ Scherer:Wissenschaftliche Pflichten(1894), S. 3. –Vgl. auch ders.:Jacob Grimm (1885), S. 328–329:„,Wer nichts wagt, gewinnt nichts‘, sagte Jacob Grimm einmal, ,und man darf mitten unter dem Greifen nach der neuen Frucht auch den Muth des Fehlens haben.‘ Das war der rechte Grundsatz für einen Entdecker,und es ist der rechte Grundsatz für jeden, der in die Entwickelung einer Wissenschaftdurch neue Gedanken einzugreifen hat. Wie weit wären wir zurück, wenn Jacob Grimm nicht den Muth des Fehlens gehabt hätte, wenn er in der Grammatik jeden Punct hätte sicherstellen, in den Rechtsalterthümern auf die Publication aller Weisthümer warten, in der Mythologie keinen Schritt ins Un- gewisse wagen wollen.“ 192 IV.Lily Weiser (1898 –1987) und 1930er Jahren auch die am Philologiemodell orientierte Altgerma- nistik in seinen Bann ziehen sollte.41 Rudolf Much promovierte 1887bei Richard Heinzel mit der Arbeit Zu Deutschlands Vorgeschichte,habilitierte sich sechs Jahre später mit den drei Abhandlungen „Die Germanen am Niederrhein“,„Goten und Ingwäonen“ und „Die Südmark der Germa- nen“, die er 1893unter dem Titel Deutsche Stammsitze auch als Buch veröffentlichte. Seine im selben Jahr verlieheneVenia Legendi lautete auf Germanische Sprachgeschichte und Altertumskunde.42 1899 beantragte Ri- chard Heinzel, dem PrivatdozentenRudolf Much nicht nur den Titel eines außerordentlichenProfessors zu verleihen, sondern für ihn auch ein wirkliches Extraordinariat einzurichten.43 Bezugnehmend auf die finan- zielle Lage des Staates verlieh das Ministerium Much 1901 jedoch nur den Titel eines Extraordinarius, der im Unterschied zum wirklichen Extraor- dinariat nichtmit einer Besoldung verbunden war.44 Richard Heinzelließ sich davon nicht beirren und reichte bereits ein Jahr später mitdem Hinweis, dass die Angelegenheit „nicht jene Erledigung gefunden hat, welche die Unterzeichneten und das Professoren-Kollegium angestrebt hatten“, einen neuerlichen Antrag ein.45 Diesen ignorierte das Ministerium vorerst, das Professorenkollegium der philosophischen Fakultät wandte sich mit demselben Anliegen jedoch abermals an die Unterrichtsbehörde und daraufhin wurde Rudolf Much 1904 zum wirklichen Extraordinarius

41 Der Vertreter der planmäßigenordentlichen Professur für das ältere Fach, Dietrich von Kralik, sah 1939 selbst im einen Beweis für „das unentwegte Fortbestehen einer germanisch-deutschenKontinuität“. Kralik:Die geschichtli- chen Züge der deutschenHeldendichtung (1939), S. 22–23. –Zur Rezeption der germanischen Kontinuitätstheorieinder Wiener Mediävistik vgl. Meissl:Wiener Ostmark-Germanistik (1989), S. 143–144. 42 Zum Habilitationsverfahren von Rudolf Much vgl. UAW, Phil. Fak.,Zl. 426 ex 1892/93, PA 2681 Rudolf Much. 43 Bericht der philosophischen Fakultät an das Ministerium für Kultus und Unter- richtvom 14. Februar 1900;ÖStA, AVA, Unterricht allgemein,Universität Wien, Philosophie Professoren, MCU Zl. 816 ex 1900, PA Rudolf Much. 44 Beschluss Kaiser Franz Josephsvom 3. November 1901 und Berichtdes Minis- teriums vom 18. Oktober 1901;ÖStA, AVA, Unterricht allgemein, Universität Wien, Philosophie Professoren, MCU Zl. 33075ex1901, PA Rudolf Much. 45 Bericht Richard Heinzels, WilhelmMeyer-Lübkes u.a. an das Ministerium für Kultus und Unterricht vom 6. November 1902;ÖStA, AVA, Unterricht allgemein, Universität Wien, Philosophie Professoren, MCUZl. 36854 ex 1902, PA Rudolf Much. IV.1. Altertums- und Germanenkunde 193 für GermanischeSprachgeschichte und Altertumskunde ernannt.46 Bereits zwei Jahre später,imOktober1906, wurde Much schließlich auch eine ordentliche Professur ad personam verliehen.47 Das bedeutete, dass das Ministerium zwar keineVerpflichtung hatte, nach dem Ausscheiden Muchs die Stelle nachzubesetzen, er selbst aber den Inhabernder plan- mäßigenLehrkanzeln gleichgestellt war.Somit war innerhalb weniger Jahre neben der philologischund mediävistisch orientierten Professur für das ältere Fach ein zweitesOrdinariat installiert worden, das allein mit der Person Rudolf Much seine Ausrichtung fand. Biszuseiner Emeritierung1934 widmete Much seine wissenschaftliche Aufmerksamkeitnahezu ausschließlich der Germanenkunde, einem Thema, mit dem sich deutschsprachigeGelehrte und Dichter seit der Wiederentdeckung von im 15. Jahrhundert in unter- schiedlichenAusformungen immer wiederbeschäftigt hatten.48 In An- knüpfung an die romantischenVolkstums- und Brauchtumsforschungen von Jacob Grimm, an Karl Müllenhoffs Deutsche Altertumskunde (1870– 1900) und an Kaspar Zeuß’ Die Deutschen und die Nachbarstämme (1837) ging es Much um eine Aufwertung der Germanenals Volksgemeinschaft, um eine antidemokratische Etablierungeines bäuerlichenund kriegeri- schen Ständegedankens,umdie ideologisierende „Ausweitungdes Deut- schen zu einer umfassenden Bestimmung des Germanischen“49 und schließlich um die Postulierung einer antichristlichen, sprachlich-kultu- rellen germanischen Kontinuität bis in die Gegenwart.50 So versuchte er zum Beispiel zu beweisen, dass der Name ,Germanen‘ nicht aus dem Römischenoder Keltischen abzuleiten sei, wie bisher an- genommen wurde, sondern tatsächlich auch einen germanischen Ursprung

46 Bericht des Ministeriumsfür Kultus und Unterricht vom 21. August 1904;ÖStA, AVA, Unterricht allgemein, Universität Wien, Philosophie Professoren,MCU Zl. 31392 ex 1904, PA Rudolf Much. 47 Beschluss Kaiser Franz Josephs vom 30. Oktober 1906;ÖStA, AVA, Unterricht allgemein,Universität Wien, Philosophie Professoren, MCU Zl. 41722 ex 1906, PA Rudolf Much. 48 Germania-Kommentare gab es u.a. von Konrad Celtis (der 1500 an der Universität Wiendie erste Vorlesung über die Germania gehalten hatte), Johann Gottfried Herder,Jacob Grimm, Adolf Holtzmann und Karl Müllenhoff. Vgl. See:Deutsche Germanen-Ideologie (1970). 49 Meissl:Wiener Ostmark-Germanistik (1989), S. 142. 50 Zur Bestimmung der germanischen Kontinuitätstheorie vgl. Höfler:Das ger- manische Kontinuitätsproblem (1937);See:Kontinuitätstheorie und Sakral- theorie in der Germanenforschung(1972). 194 IV.Lily Weiser (1898 –1987) habe.51 In einem anderen Aufsatz, der den programmatischen Titel „Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte“52 trägt, bemühte er sich, das erste Auftretender Germanen auf 225 v. Chr., also um mehr als ein Jahrhundert als bis dahin geltend, vorzuverlegen, was zeitgenössisch des- halb bedeutsam erschien,weil damit auch die „Anfänge deutscher Ge- schichteüberhaupt“53 früher anzusetzen seien. Breiter angelegt ist Muchs Buch Deutsche Stammeskunde,das 1900 zum ersten Malund 1920 bereits in dritter Auflage erschien. Darin entwickelte er seine Ansicht von einer eigenen nordischen „Rasse“54,inder er den Grundstock des indogerma- nischen „Urvolkes“ sah.55 Dieses wie auch die ersten ,echten‘ Germanen, bei denen es sich laut Much um „das rassenreinste aller indogermanischen Völker“56 handelte, siedelte er in Mitteleuropa und Südskandinavien an. Darauf aufbauend entwarf Much ein Panorama der einzelnen, von ihm angenommenen Germanenstämme,57 um schließlich auf die Herausbil- dung des „deutschenVolksstammes“ näher einzugehen, der in Muchs Weltbild noch in der Gegenwart des frühen 20. Jahrhunderts bestand.58 Als Grundlagesolcher Forschungendienten neben Tacitus’ Germania,deren Neueditionund -kommentierung Much selbst 1936abschloss,59 auch Mythen,Sagen, Märchen und Brauchtumsüberlieferungen des ganzen, als germanisch angenommenen Europa. Ausdiesen Texten wurden religi- onsgeschichtliche und volkskundliche Befunde erstellt, sie wurden also

51 Much:Der Name Germanen(1920). 52 Much:Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte (1925). 53 Kraus:Rudolf Much [Nekrolog] (1936), S. 36. 54 Diese zeichnete sich bei Much durch den „blonde[n] Typus“ aus. Much:Deutsche Stammeskunde (1920), S. 14. 55 Much:Deutsche Stammeskunde (1920), S. 8–20. 56 Much:Deutsche Stammeskunde (1920), S. 25. 57 Much:Deutsche Stammeskunde (1920), S. 65–131. 58 Much:Deutsche Stammeskunde (1920), S. 132–137. Bei Much ging es immer – ähnlich wie bei August Sauers stammeskundlichem Konzept einer Literatur ,von unten‘ –umdie Herausbildung einer völkischen Identität, die jenseits von Klas- sengrenzen etabliert werden sollte, also um eine volksnahe, antimoderne, anti- urbane und heimatverbundene Weltsicht. WasSauer aber dazu diente, das ab- strakte Konzept der Nation zu vermeiden, erfuhr bei Much eine striktgermanisch- deutsche Ausrichtung. 59 Much:Die Germaniades Tacitus(1937). –Seinen Kommentar zur Germania des Tacitus, hinter der,soKlaus von See, „ob gewollt oder ungewollt[,] das Schema des Vergleichs von junger,unverbrauchter,unverdorbener Kultur und alter,überzi- vilisierter,erschlaffter Kultur“ stehe,weitete Much in „ebenso alberne[r] wie un- verfrorene[r] Interpretation“ zu unverhohlen antirömischen Affekten aus. See: Deutsche Germanen-Ideologie (1970), S. 11–12. IV.1. Altertums- und Germanenkunde 195 nicht in ihrer literarischen oder gattungsmäßigen Eigenart betrachtet, sondernals treue Wiedergabe realer Verhältnisse gelesen. Much, dessen ganze „Hingebung“, wie Dietrich von Kralik 1932 formulierte, der „Ergründung und Erfassungdes germanischenMenschen, des germanischen Lebens selbst“ galt,60 hatte wie alle Germanenkundler das Problem, dass die Quellenlage mehr als dürftig war und zahlreiche Leer- stellen aufwies. Diese Leerstellen wurden aber durch gewagte Hypothesen, strategische Ableitungen und ein ideologisches Profil, das im Zweifel immer für die germanische Tradition sprach, überbrückt.61 Eine solche Arbeitsweise blieb zeitgenössisch zwar nichtunwidersprochen,62 tat dem akademischen und außerakademischen Erfolg Rudolf Muchs aber keinen Abbruch:Erwar wirkliches Mitglied der Österreichischen Akademieder Wissenschaften in Wien,woerauch als Obmann der prähistorischen Kommission und Obmann-Stellvertreter der Kommission für das Baye- risch-österreichische Wörterbuch fungierte;erwar Mitgliedder Deutschen Akademie und der Gesellschaftfür Anthropologie in München, der König- lichen Wissenschaftsgesellschaft in Uppsala, der Deutschen Gesellschaftfür Vor- und Frühgeschichte in der Tschechoslowakei und der Wiener Prähis-

60 Kralik:Rudolf Much zum 70. Geburtstage (1932), S. 364. 61 In den Nachrufen heißt es lobend, dass Much „[m]it großem Nachdrucke […] die Bündigkeitseiner theoretischen Deduktion [verfocht],daß von vornherein nur mit germanischer Herkunftzurechnen ist“. Kralik:Rudolf Much [Nekrolog] (1936), S. 296. –Und angesichts des Mangels an Quellen wirdMuchs „außerordentliche Kombinationskraft“ betont, durch die es ihm möglich gewesen sei, Erklärungenzu finden, „ohne eineinziges Buch aufzuschlagen“. Höfler:Rudolf Much [Nekrolog] (1937), S. IX und S. XII. 62 Am nachdrücklichsten kritisierteder Verfasser des Etymologischen und des Ver- gleichenden Wörterbuchs der gotischen Sprache (1923/1924), der deutsche Linguist SigmundFeist, Muchs Thesen, woraufhinMuch ihn mit äußerst scharfen, anti- semitischen Polemiken bedachte. Vgl. Lund:Germanenideologie im National- sozialismus(1995), S. 46–47und S. 97–99. –Ein Teil der Wiener Altgermanistik führt diese Fehde bis in die jüngste Zeit fort:Helmut Birkhanversah seine Wiener Habilitationsschrift Germanen und Kelten bis zum Ausgang der Römerzeit noch 1970 mit der Widmung „Dem Andenken Rudolf Muchs“, dem er attestierte,„in allen wissenschaftlichenBelangen völlig objektiv“ ans Werk gegangen zu sein. Die Gegnerschaftdes jüdischen Wissenschaftlers Feist zu Much erklärte Birkhan mit dessen „germanophober Einstellung“.Birkhan:Germanen und Kelten bis zum Ausgang der Römerzeit (1970), S. 55–56. –Ein weitererWiener Höfler-Schüler, , griff im Jahr 2000 Allan A. Lund für dessen kritische Aus- einandersetzung mit Muchs Germanenforschungan, was ihm wiederum einen wohlwollenden Kommentar Birkhans verschaffte. Reichert:Allan A. Lund, Die ersten Germanen [Rez.] (2000), bes. S. 145–149;Birkhan: „Altgermanistik“ und germanistische Sprachwissenschaft(2003), S. 158 (Anm. 145). 196 IV.Lily Weiser (1898 –1987) torischen Gesellschaft. Außerdem erhielt er 1934das Komturkreuz des österreichischen Verdienstordens und 1952 als einziger Germanist neben Richard Heinzeleine Büste im Arkadenhofder Universität Wien. Ideologisch und realpolitisch war Much in nahezu alle rechten und antisemitischen Unternehmungen verstrickt, die die späte Monarchie, die Erste Republik und der österreichische Ständestaat zu bieten hatten. Der „erste tatsächliche Antisemitunter den Wiener Germanisten“63 war seit seiner Jugend Anhänger Georg Schönerers, des radikal antisemitischen Vorsitzenden der österreichischen ,DeutschnationalenBewegung‘und der ,Alldeutschen‘,64 bildete „mit seiner Familie eine frühe Zelle der österrei- chischen NS-Bewegung“ und förderte an der Universität „die Ausschaltung der hitlerfeindlichen Fraktion“.65 Währendseiner Studienzeit wurde Much Mitglied der Wiener Burschenschaft Thuringia,66 und als es nach dem Ende der Monarchie darumging, einen strategischen und machtpoliti- schen Ausgleich zwischen Vertretern des katholischen und Vertretern des großdeutschen Lagers zu erzielen, trat Much der 1919offiziell gegründeten Deutschen Gemeinschaft bei, die sich an einem gemeinsamenFeindbild, das aus Sozialdemokratie und Judentum bestand, orientierte.67 Bei der Deut- schen Gemeinschaft handelte es sich um eine schwarz-braune,„nach Ritual und Geheimhaltung streng hierarchische[ ]Organisation, die zunächst den schlichten Zweck verfolgt[e],staatliche Posten zwischen nationalen und katholischen Bewerbern aufzuteilen“68.Zuihren Mitgliedern gehörten neben Rudolf Much u.a. der Wiener Kardinal Friedrich Gustav Pichl, die Politiker Engelbert Dollfuß und Arthur Seyß-Inquart sowie die Univer- sitätsprofessoren Othmar Spann, Oswald Menghin, Alfons Dopsch und Wilhelm Czermak.69 Fachintern zählte Much ab 1926 zu den Förderern des Akademischen Vereins der Germanisten in Wien,einem Studentenverein, der 1895gegründet worden war und 1899 seine Satzungdahingehend geändert hatte, dass „nur Deutsche“ aufgenommen werden konnten.70

63 Michler:Lessings „Evangelium der Toleranz“ (2003), S. 156 (Anm. 20). 64 Vgl.Höfler:Rudolf Much [Nekrolog] (1937), S. XIV.ZuSchönerer vgl. Wladika: Hitlers Vätergeneration(2005), S. 95–298. 65 Meissl:Germanistik in Österreich (1981),S.485. 66 Grimm/Besser-Walzel: Die Corporationen (1986), S. 335. 67 Vgl. Rosar:Deutsche Gemeinschaft(1971). 68 Meissl:Germanistik in Österreich (1981),S.485. 69 Meissl:Germanistik in Österreich (1981),S.494 (Anm. 71). 70 Satzungen des Akademischen Vereins der Germanisten in Wien vom 7. November 1899;UAW,Phil. Fak.,Zl. 2894 u. Zl. 3103 ex 1899/1900, Senat, S. 164.72 (Akademischer Verein der Germanisten in Wien). IV.2. Volkskunde existiert nur als Germanenkunde 197

1925, als Muchs Sohn Wolf Isebrand Obmann des Vereins war,wurden – 28 Jahre nach Einführung des Frauenstudiums–Frauen von der Mit- gliedschaftexplizit ausgeschlossen und auch bezüglich der völkischen Zulassungsbestimmungen wurde eine Vereindeutigung vorgenommen: „nur Deutsche (Arier)“71.

IV.2. Volkskunde existiert nur als Germanenkunde– Jul. Weihnachtsgeschenke und Weihnachtsbaum (1923)

In Nachrufen,Würdigungsredenund selbst in Lexikoneinträgenwurde immer wieder Rudolf Muchs Bedeutung für die volkskundlichen For- schungen an der Universität Wien hervorgehoben. Wirftman aber einen Blick in sein Publikationsverzeichnis72,soscheint es, als hätte er sich für volkskundlicheThemen überhaupt nicht interessiert, und auch in seiner über vierzig Jahre andauernden Lehrtätigkeit an der Universität Wien findet sich nur eine einzige Veranstaltung,die volkskundlich genannt werden kann:ImSommersemester 1906, und dann wieder im Sommer- semester1913, las er über „Das deutsche Haus“.73 Damit ist aber auch schon angegeben, was Much unter Volkskunde verstand: Für ihn war Volkskunde nämlich kein Fach, das einer eigenen Disziplin bedurfte, sondern ein integrierter Teil der Deutschen Altertumskunde, die freilich mit seiner Person an der Universität Wien schon vertreten war.74 Damit einhergehend galt es für Much, nur eine Version der Volkskunde zu stärken, nämlich die deutsche.75 Mitden konkurrierenden Wiener Ethnologen (und auch mit den Geschichtswissenschaftlern) hatte Much jedoch auch etwas gemeinsam,nämlich eine historischeWeltauffassung, die mit dem

71 Satzungen des Akademischen Vereins der Germanisten in Wien vom 17. Oktober 1925;WStLA,M.Abt. 119, A32:92/1926 (Akademischer Verein der Germanisten in Wien). 72 Verzeichnis der Schriften von Rudolf Much (1932). 73 Öffentliche Vorlesungen an der K.K. Universität zu Wien (1897–1918). 74 Daher kommt auch die Einschätzung von volkskundlicher Seite, „that Much contributed little to the development of the discipline“. Bockhorn:Wien, Wien, nur Du allein (2004), S. 61. 75 Dass Much seine einzige volkskundlicheLehrveranstaltung über „Das deutsche Haus“ hielt, kann auch als Würdigung des zeitgenössisch wichtigstendeutschen Volkskundlers Wilhelm Heinrich Riehl gesehen werden, der das „deutsche Haus“ zu seinen Forschungsschwerpunkten zählte. –Für diesen Hinweis danke ich Anna- Maria König, Wien. 198 IV.Lily Weiser (1898 –1987)

Schlagwort ,Kontinuität‘ operierte. „Wandel“ war für diese Forschungs- bereiche, wie Hermann Bausinger 1971 treffend bemerkte, „eine eher störende Kategorie“. Vielmehr setzten sie „Kulturkonstanz“und „konti- nuierliche Tradition“als unhintergehbare Voraussetzungen, sodass es ihnen möglich war,„spärlicheBelege über Jahrtausende hinweg“ zu verbinden. Bei dem Germanisten Much und seinen Schülern bezeichnete „Kontinuität in erster Linie Fortdauer der ,völkischen‘ Substanz, es ging um die ger- manische Kontinuität“.76 Dieser Wissenschaftsauffassung folgte auch Lily Weiser.Inder Ein- leitung ihrer bei Much eingereichten Dissertation Jul. Weihnachtsgeschenke und Weihnachtsbaum von 1923 schrieb sie, sie wolle herausfinden,ob„es ein heidnisch-germanisches Fest [gegeben habe],das vom Christenfest aufgesogen wurde“ und ob „die volkstümlichen Bräuche“ rund um das Weihnachtsfest „römisch-antiken“, „christlichen“ oder germanischen „Ur- sprunges“ seien.77 DiesoformuliertenForschungsfragen waren Programm: Vorallem versuchte Weiser zu beweisen oder zumindest zu plausibilisieren, dass das zeitgenössische Weihnachtsfest mit seinen verschiedenen Brauch- elementen in direkter (wenn auch nichtunbedingt offensichtlicher) Linie von Fruchtbarkeitsriten und Totenzauberritualen einer vorchristlich-ger- manischen Zeit abzuleitensei. Zu diesem Zweck weist sie im ersten, mit „Jul“ überschriebenen Ab- schnitt ihrer Dissertationzunächst die Ansicht des Sozialdarwinisten Alexander Tille und des Historikers Gustav Bilfinger zurück, dass die volkstümlichenBräuche rund um das Weihnachtsfestvon alten Jahres- anfangsfesten stammen.78 Gemäß ihrer Forschungsprämisse gibt sie als Grund dafür an, dass der Jahresanfang für ein deutsches Fest keine Be- deutung habenkönne, weil das Zelebrieren desselben„spezifisch-orien- talisch“ sei. Da bei den „germanischen Jahreszeiten […] ein bestimmter Neujahrstag als scharfer Einschnitt“ generell fehle, sei, so Weiser,„jener Behauptung, daß die Volkstümlichkeit unseres Weihnachtsfestes durch die Übertragungder alten Neujahrsfeste zu erklären sei, die Grundlage ent- zogen“. Vorallem stellt sie fest, dass sich die zeitgenössisch große Bedeu- tung des Weihnachtsfests überhaupt nur erklären lasse, wenn es das „Erbe eines heidnisch-germanischen Festes angetreten hätte“. Damit setzt Weiser

76 Bausinger:Volkskunde [1971],S.77–78. 77 Weiser:Jul (1923), S. 2. –ImFolgenden im Fließtext zitiert als (Weiser 1923, [Seitenangabe]). 78 Bilfinger:Untersuchungen über die Zeitrechnung der alten Germanen. Teil 2 (1901);Tille:Geschichteder deutschenWeihnacht (1893). IV.2. Volkskunde existiert nur als Germanenkunde 199 gleich zu Beginn ihrer Arbeit die eigentliche Forschungsfrage als Ergebnis fest. Underst von dieserprogrammatischen Setzungaus funktionieren die weiteren, durchweg spekulativen Ableitungen, denn „ein solchesFest“,so Weiser weiter, „ist uns […] aus dem altnordischen bekannt, das Julfest“. (Weiser 1923, 3–4) Anhand von Wortuntersuchungen und etymologischen Erklärungen kommt sie zum einem zu dem Schluss, dass Julbereits vor Einführung des Christentums bei den Nord-und Ostgermanen nicht nur eine winterliche Jahres-,sondern auch eine Festzeit bezeichnete, zum anderen leitet sie aus ihren sprachgeschichtlichen Analysen auch die Annahmeab, dass „die Grundbedeutungdes Festnamens Julals Zauberfest […] wahrscheinlich erscheint“ (Weiser 1923, 10). Um bestätigen zu können, dass „die Feier des alten Julfestes […] in Fruchtbarkeits- und Seelenzaubern“ (Weiser 1923, 18) bestand, zieht Weiser sowohlaltnordischeSagas als auch „mehrere Gruppen heute noch fortlebender,sehr altertümlich anmutenderGe- bräuche“ (Weiser 1923, 12) heran. Dabei achtet sie bei den literarischen Quellen wederauf eine spezifische Literarizität nochauf deren Überlie- ferungsgeschichte, was dazuführt, dass sie ohneUmwege direkte Ver- gleiche und Gleichsetzungenmit weihnachtlichen Sitten in Norwegen und Schweden ziehen kann. Dass sie dabei auf zeitgenössischeSitten eingeht und diese als zuverlässige Quellen für ein germanischesJulfest verwendet, erklärt Weiser damit, dass „die alten Germanen keinen festen Priesterstand“ kannten und deshalb „das Alte ruhig fort[lebte],auch wenn Neues ent- stand“. Darüber hinaus konnte das Christentum,das laut Weiser „mit Erfolg“ nur „gegen die hohe Mythologie“ gekämpfthatte, diesen Ge- bräuchen auch gerade wegen ihresKultcharakters und ihrer Zugehörigkeit zur „niedere[n]Mythologie“ nichts anhaben. (Weiser 1923, 18) Weniger um die titelgebenden „Weihnachtsgeschenke“als um die Frage, „ob man auch in Deutschland Spuren einesheidnisch-germanischen Festes auffindet, dessen Erbe unsere Weihnachten übernehmen konnten“, geht es im zweitenAbschnitt der Dissertation. In Ermangelung eines einzelnen großen Fests betrachtet Weiser eine ganze Reihe heute „noch lebender Gebräuche“, die „nicht aus dem Christentum erklärt werden können“und „besonders altertümlichanmuten“.(Weiser 1923, 19) Dazu zählt sie u.a. die Nikolausaufzüge sowie die Umzüge der Klöpfler,An- glöcklerund der Perchten. Nach kurzenErklärungen dieser Sitten macht sich Weiser daran, die jeweiligen kulturellen Überformungen durch das Christentum abzutragen bzw.–wenn vorhanden –deren ,Fehlinterpre- tation‘ als antiken Kultus zurückzuweisen. Wasnach diesem Vorgang der 200 IV.Lily Weiser (1898 –1987)

Dekonstruktion übrig bleibt, identifiziert sie –inErmangelung histori- scher Quellen –als heidnisch-germanisch. So weist sie zum Beispiel darauf hin, dass die in den österreichischen Alpenländern vorkommenden Perchtenumzüge zwar eine deutliche Par- allele zum antiken Artemis-Kult aufweisen, da es sichinbeiden Fällen um Fruchtbarkeitsrituale handle und die „Nymphen“, die Artemis begleiten, „unseren Wind-, Wald-, Vegetations- und Hausgeistern“, als die die um- herziehenden Menschen verkleidet sind, „ganz genau“ entsprechen. Doch trotz dieser Ähnlichkeit kann es sich, so Weiser,bei den Perchtenumzügen nicht um die christianisierte Variante des antiken Artemis-Kults handeln, da es einen wesentlichen Unterschied gebe:„[B]ei uns [ist] die Anführerin dieser Dämonen, Perchta, […] keine Göttin,sondern selbst Dämon […].“ (Weiser 1923, 15–16) Überhaupt sei Perchta „eine der schwierigstenGestalten des germa- nischen Volksglaubens“, weshalb die „Ansichten“ über sie auch „sehr verschieden“ seien. (Weiser 1923, 43) Bilfinger sah in Perchta, wie Weiser ausführt, eine Art Ursprungsfigur des späten Mittelalters, aus der die „Gottheiten der Zwölfnächte“ entstandenseien und die sich aus der Sitte des Neujahrstischsentwickelt habe, weshalb sie „nichts Urgermanisches“an sich habe, sondern als„Art Neujahrsfee“ vom Kalendenfest abstamme. Dem hält Weiser entgegen, dass der Perchtentisch (die Sitte, der Perchta in der Nacht vom 6. Jänner einen gedeckten Tisch hinzustellen) nicht vom Kalendenfest abstammen könne, da „an den römischen Kalenden […] die Gerichte […] von den Menschen verzehrt wurden“, „[b]ei den Germanen“ aber „der in der […] Perchtennacht gedeckte Tisch die Nacht über un- berührt für unsichtbare Gäste stehen bleiben“sollte. Zum anderen argu- mentiert Weiser anhand einer Art Abfolgemodusder Götterentstehung: Denn Götter „entstehen zwar […]auf sehr früher religiöserEntwick- lungsstufe aus magischen Riten, aber eine Mahlzeit ist kein magischer Ritus, sondern ein Opfer, und der Empfänger muß vor der Darbringung bestehen“. Wenn also Bilfinger die Perchta und den Perchtentisch mit den römischen Kalendensitten gleichstellt, dann vollzieht er in der Logik der Weiser’schen Argumentation nureine erneute „interpretatio romana“,die ihren Ursprung im 6. Jahrhundert bei Caesarius von Arles habe. In Wirklichkeit handle es sich beim Perchtentisch nämlich um einen „Geis- tertisch der Germanen“, was neben dem Ausschluss der bisherigen ,fal- schen‘ Auffassungen auch daraus ersichtlich sei, dass der Perchten- als Geistertisch im Unterschied zu den „Kalendenschmäuse[n]“, die „aus den Städten stammten“, eine„bäuerliche Sitte“ war.(Weiser 1923, 44–45) IV.2. Volkskunde existiert nur als Germanenkunde 201

Ähnliche Verfahren wie bei der Perchta und dem Perchtentisch wendet Weiser in diesemKapitel auch auf die „allgemeineeuropäische Spukzeit von November bis Ende Januar“ an, die „in sonderbarem Gegensatz zum christlichen Freudenfest“ stehe, ferner auf die „Einführung der langen und so strengen Adventszeit“, die sie als „Versuchder Kirche, den einheimi- schen Aberglauben“ zu bändigen,interpretiert, und dazu auf das „Datum des Allerseelenfestes und […] des Nikolausfestes“, das ihr „aus christlichem Gutnicht erklärbar“ scheint. Ausder Zusammenschau all dieser Indizien schließtWeiser das Kapitel zwar mit dem Eingeständnis,dass „auf die Frage, ob es auch auf südgermanischemBodenein heidnischesFest im Winter gegeben habe, noch keine Antwort gegeben werden“ könne. Sie stellt aberauch die Vermutung an, dass die –hier skizzierten –„Tatsachen“, die sich „ausden mit den Perchtenläufen zusammenhängendenVorstel- lungskreisen“ ableiten lassen, „für die Annahmeeines solchen Festes, das seinem Inhalt nach wie das alte Julfest aus Fruchtbarkeits- und Toten- zaubern bestanden haben dürfte, in Betracht kommen“. (Weiser 1923, 50) Dem Unterfangen der Studie, das der meisten Umgehungen bedarf, nämlich auch den Weihnachtsbaum auf germanischen Ursprung zurück- zuführen, widmet sich Weiser im dritten und letzten Teil ihrer Arbeit. Die vorhandenen literarischen und historischen Quellen, dievom 17. bis zum 20. Jahrhundert reichen, bereiten im Rahmendieser Aufgabe jedoch einige Schwierigkeiten:Darin erscheint der Weihnachtsbaum zum einenals re- lativ junger Brauch (das erste Zeugnis findet sich um 1600 in der Beckschen Chronik aus dem Elsass);zweitens wird er nicht als Volkssitte, sondern als aus städtischem Gebiet kommend dargestellt (von wo er sich erst langsam und Anfang des 20. Jahrhunderts noch nicht überall auf dem Land ver- breitet habe);und drittens wird er nicht mit bäuerlichen,sondern aus- schließlich mit sozial höhergestellten Kreisen(Bildungsbürgertum, Ari- stokratie) in Verbindung gebracht. Weiser zollt dieser Sachlage zwar Respekt, meint aber zum einen, dass damit noch nichtdie Abstammung des Weihnachtsbaums geklärt sei, da ihn die Quellen „ohne deutliche Beziehung zu einer öffentlichen Religion, ohne deutliche Beziehungzum Volks- und Aberglauben“ verhandeln, dass sie also „eine[ ]gewisse[ ] Unsicherheit“ gegenüberder Herkunftdieses Brauchs zeigen. (Weiser 1923, 51) Zum anderen ist sie der Ansicht, dass es möglich sei, den Weihnachtsbaumtrotz seiner Darstellungals junge, urbane, elitäre An- gelegenheit auf eine Volkssitte zurückzuführen. Dafür bedürfe es nur des Beweises, dass „unabhängig von dem städtischen Weihnachtsbaum[…] in dem breiten Strom der Volksüberlieferungen auch sonst Ansätze vorhan- den sind, die zu einem Weihnachtsbaum hätten führen können“.Dabei 202 IV.Lily Weiser (1898 –1987) würde die „Einzigartigkeit der Sitte“ freilich wegfallen und es müssten mehrere ,Wurzeln‘ ausgemachtwerden können. (Weiser 1923, 53) Eine dieser Wurzeln sieht Weiser in der ländlichen Sitte des Maibaums, der „in allen seinenFormen alsFrühlings-, Ernte-, Bau- und Brautmai […] auffallende Ähnlichkeit“ mit dem Weihnachtsbaum zeige:Beide seien mit Bändern, Früchten, oftauch mit Lichtern geschmückt. Doch obwohl eine gemeinsameVerbreitung und ähnliche Handhabung„in so verschiedenen Gegenden […] Anhaltspunkte [gäben],daß beide Bäume zusammenge- hören könnten“, so zeige sich auf den ersten Blick keine „innere Ver- wandtschaft“ der beiden Bräuche, da sich beim Weihnachtsbaum zunächst „keine[ ]Beziehung zum Volksglauben“ausmachen lasse (im Gegensatz zum Maibaum,der die „Vegetationskraftund Fülle,den Vegetationsdä- mon dar[stelle]“, das „Gedeihen“ sichere und „Geister“ vertreibe). „Ge- wißheit“, dass auch der Weihnachtsbaumeinem Volksbrauch entstamme, bringe, laut Weiser,die Analyse schwedischer und norwegischer Bräuche. (Weiser 1923, 59–60) Zu diesen zählt sie zum Beispiel die schwedische Sitte, zu Weihnachten Bäume im Hofaufzustellen. Vorallem im „Julrönn“, einer geschmückten Eberesche, die über die gesamte Julzeit auf dem Misthaufen verbleibe, zeige sich „das Mittelglied zwischen dem Wintermai und dem eigentlichenWeihnachtsbaum“. Das schließt Weiser aus der Zusammenschau folgender Beobachtungen:Zum einen werde im nor- wegischen Telemarken ebenfalls eine Eberesche benützt, aber als tatsäch- licher,d.h.imHaus aufgestellter Weihnachtsbaum, zum anderen sei die Eberesche bei den Germanen immer schon heilig gewesen, da an ihr der Glaube hing, dass sie „gegen alle Arten bösen Zaubers schütze, daß sie gegen Krankheiten helfe und […] besonders geeignet sei, Kraftund Fülle zu mehren“. Dadurch, dass man „die seit jeher bei den Germanen heilige Eberesche […] zu Weihnachten in die Stube holte“, entwickelte sich eine „Art Weihnachtsbaum“, der „im Volk und nicht in der Stadt“ entstanden sei. (Weiser 1923, 61–62) Komplizierter wirdder Fall, wie soll es auch anders sein, jedoch auch diesmal für die ÜberlieferunginDeutschland.79 Hier geht Weiser zunächst von dem Brauch der Lebensrute aus. Darunter versteht sie das Berühren oder Schlagen eines Tiers, von Menschen oder Bäumen mit einem (Se- gens-)Zweig, dessen „Lebenskraft“ dadurch übertragenwerden soll. Da- durch dass diese Sitte, wie der Maibaumselbst, „Fruchtbarkeit, Gesundheit und Glück“ sichere, sei sie Weiser zufolge mit diesem inhaltlich identisch.

79 Soweit sich das aus der Arbeit erschließen lässt, verstand Weiser unter Deutschland einfach den gesamten deutschsprachigen Raum. IV.2. Volkskunde existiert nur als Germanenkunde 203

Ausdieser Erkenntnis konstruiert Weiser den ersten, wenn auch nicht unmittelbar einleuchtenden Zusammenhang des Maibaumsmit den deutschen Weihnachtssitten, denn:Den gleichenSegenszweig, der auch für die Lebensrute verwendet werde, „findet man in der Hand unsrer Weih- nachtsgestalten, des Nikolo und seiner Angehörigen,bei den Perchten- läufern“. (Weiser 1923, 63) Um aber tatsächlich zu einem Baum,der als Schmuck zu Weihnachten im Hausaufgestellt wird, zu gelangen, bedarf es noch einiger weiterer Wendungen. Weisers in dieser Hinsichtnächstes Anliegen bestehtdarin, auch die Weihnachtszweige in Deutschland mit der Lebensrute, d.h. vor allemmit einem Aberglauben, in Verbindung zu bringen. Sowohl für den städtischen als auch für den ländlichenBereich findet sie ab dem 15. Jahrhundert Belege,dass zu Weihnachten die Räume mit Zweigen geschmückt werden, die allesamt mit dem „Glauben an eine gute Vorbedeutung“verbunden seien. DieVermutung, dass diese Zweige „ursprünglich nicht als leerer Festschmuck“ galten, sieht Weiser gestützt durch die Verwendung von „seit alters heilige[n]Holzarten“, wie der Mistel, der Eberesche und dem Wacholder,oder der Verwendung von „durch Wärme zum Grünenoder Blühen gebrachte[n] Zweige[n]“, die „für die Segenswirkung besondersgeeignet“ erscheinen. Währenddas „Ent- stehen“ der Mistel laut Weiser bereits „von den keltischen Druiden Göttern zugeschrieben“ wurde,zeige sich die Bedeutung der Eberesche in ihrem Namen:Die Eberesche heißt im Rheinischen auch noch ,quike‘ und im Englischen ,quickbeam‘ (,quicken‘ bedeutet im Mittelhochdeutschen ,le- bendig machen, beleben, erwecken, erfrischen‘).80 (Weiser 1923, 65–66) Wie es aber dazu kam, dass auch „der Baum als göttliches Wesen, und nicht nur der Segenszweig, vom Landvolk ins Haus geholt wird“, dafür findet Weiser im deutschsprachigen Raum weder eine plausibleAbleitung noch einen Beleg. (Weiser 1923, 67) Vielmehr behilftsie sich mit einem, nicht weiter begründeten Exkurs über „kaukasische Parallelsitten“. So er- fährt man, dass die Tscherkessen „zugleich mit unseremWeihnachtsfest ein Fest zu Ehren des Sozeris“, „desBeschützer[s] des Ackerbaus, der Familie und des Wohlstandes“,feiern,und dass sie dafür „als Abbild dieses Gottes“ einen Holzstamm mit sieben, mit Lichtern geschmückten Ästen im Haus aufstellen. Das Ritual, das die Ernte des kommenden Jahrs sichernsoll, bestehe aus einem Gebet und einer „Art Tanz um den Baum“. Dassdieses Ritual dem des Maifests ähnlichist, und vor allem dass die „Segenswirkung, die man sich von diesem als Gott verehrten Baum erwartet“, „genau die-

80 Vgl. Lexer:Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. Bd. 2(1876), Sp.325;Müller (Hg.): Rheinisches Wörterbuch. Bd. 6(1944), S. 1342. 204 IV.Lily Weiser (1898 –1987) selbe“ ist, dieauchder Brauch desMaibaumsbringen soll (Weiser1923, 68– 69), siehtWeiserendlich alsBeleg dafür, dass „eineWurzeldes Christbaumes auf den eigentlichen Maibaum zurückgeht“ (Weiser 1923, 67).81 Trotz all der Um-und Abwege, die Weiser in diesem Kapitel be- schreitet, bleibt der Beweis für den germanischen Ursprung des Weih- nachtsbaums in Deutschland aus. Vielmehr behilftsich Weiser in ihrer,die DissertationabschließendenZusammenfassung damit, ihn letztendlich, wenn auch nicht unbedingt beabsichtigt, doch auf das Christentum zu- rückzuführen, indem sie bemerkt, dass „[d]er Wintermai in seinen ver- schiedenen Formen […] durch christliche Anregungen[…] zum Weih- nachtsbaum in unseremSinne“ wurde. (Weiser 1923, 74) Rudolf Much gefiel die Arbeit seiner Schülerin. In seinem Gutachten vom 13. Juni 1922 attestierte er Weiser,„[o]hne Voreingenommenheit“ ans Werk gegangen zu sein, er lobte die „überzeugende[ ]Kraftihrer Argu- mentation“ und ihr „kritisches Urteil“.82 Fünf Jahre später,inseinem Vorschlag, Weiser zu habilitierten, bezeichneteMuch die Arbeit sogar als „das Beste, was bi[s]her über diesen Gegenstand geschrieben worden ist“83. Diese überaus positive BeurteilungMuchs verwundert nicht, enthält Weisers Arbeit doch alle Bestandteile einer deutschenVolkskunde, wie sie Much vorschwebte:Durch ihre Verwendung etymologischer Erklärungen und sprachgeschichtlicher Ableitungen legte Weiser die Nähe ihrer,wie es im Untertitel heißt, VolkskundlichenUntersuchung zur Germanistik fest. Gleichzeitig ging sie davon aus, dass skandinavische Quellen –obdiese nun aus Texten oder ,gelebtem Brauchtum‘ bestanden –für den ,Germanen- beweis‘ herangezogen werden können, was der Annahmeder Germanen- kundler entsprach, dass alles ,Nordische‘ auch ,germanisch‘ ist. Neben der voraussetzungslos angenommenen germanischenKulturkontinuität war die Vereinnahmung der nordischen Tradition nämlich die zweite Setzung, ohne die eine derartige Beweisführung, bei der es –trotz Fehlens zuver- lässiger Quellen über Jahrhunderte hinweg –umden Zugang zum ,Ur-

81 Darauf, dass es sich dabei aber nicht um die erwünschte abergläubische Erklärung für die Weihnachtsbäumeimdeutschsprachigen Raum handelt, geht Weiser nicht direkt ein. Man findet nur eine kurze, in diese Richtungweisende Bemerkung, nämlich dass „[b]ei unseren abgeschliffenen und durch das Christentum beein- flußten Sitten […] jener Glaubeandie im Baume anwesende Gottheit ge- schwunden“ sei. Weiser:Jul (1923),S.69. 82 Beurteilung der Dissertation der cand. phil. Elisabeth Weiser von Rudolf Much vom 13. Juni 1922;UAW,Phil. Fak.,Rigorosenakt 5387 Elisabeth Weiser. 83 Kommissionsbericht über das Habilitationsgesuch von Dr.Lily Weiser vom 26. Mai1927;UAW,Phil. Fak.,Zl. 267 ex 1926/27, PA 3686 Lily Weiser. IV.2. Volkskunde existiert nur als Germanenkunde 205 sprünglichen‘, zum ,Urgermanischen‘ ging, nicht möglich.84 Zuletzt entzog Weiser mit ihrer akademischen Arbeit die zeitgenössisch äußerstpopuläre Beschäftigung mit deutschen Alltagsbräuchen dem Dilettantismusdiskurs, gegen den sich Much immer wieder zur Wehr setzte.85 Auch der Zweitgutachter,der Ethnologe Arthur Haberlandt, beurteilte die Arbeit äußerst positiv,erunterstrich Weisers „gründliche[ ]Beherr- schung der Litteratur“ und hob ihre „stets logische und klare Vergleichung“ hervor.86 In der von Michael Haberlandt, dem Vater Arthur Haberlandts, herausgegebenen Wiener Zeitschriftfür Volkskunde zeitigte die Dissertation ebenfalls eine kurze Notiz. Darin wird aber weniger die akademische Leistungals vielmehr die ,Alltagstauglichkeit‘ der Arbeit gelobt, wenn es heißt, dass „[b]ei dem regen,gerade heute in Deutschland hinsichtlich […] seiner alten Bräuche zeigenden Interesse“ das Buch „dem Gelehrten wie dem Laien […] besondersauch dannwillkommen sein wird, wenn es sich darum handelt, bei Weihnachtsfestlichkeiten einschlägiges Stoffgebiet zu verwerten“.87 Lily Weiser selbst setzte sich mit dem ThemaWeihnachten ihr ganzes Leben langauseinander.Inihrer Publikationsliste finden sich bis in die 1960er Jahre –neben ihrer Dissertation –zehn Aufsätze, ein Lexikonartikel und vier Rezensionen dazu.88 Vor1945 ging es ihr darin, auch wennsie anders als die ihr nachfolgenden Much-Schüler ab und an Zweifel an- meldete,89 doch zumeist um eine „germano-esoterische Psychologisie- rung“, also um eine antichristliche „Neudeutung kultureller Erscheinun-

84 Vonden Germanenkundlern wurde auch deshalb alles ,Nordische‘als ,germanisch‘ angenommen, weil die Skandinavier auf bedeutend mehr schriftliche Quellen zurückgreifen konnten. Umgekehrt war das jedochnicht unbedingt der Fall. Vgl. See:Das ,Nordische‘ in der deutschen Wissenschaftdes 20. Jahrhunderts (1983); ders.,Deutsche Germanen-Ideologie (1970). 85 Vgl. u.a. Much:Mondmythologie und Wissenschaft (1941/1942). 86 Gutachten von Arthur Haberlandt über die von cand. phil. vorgelegte Dissertation von Elisabeth Weiser vom 15. Juni.1922. UAW, Phil. Fak.,Rigorosenakt 5387 Elisabeth Weiser. 87 [Anonym:] Lily Weiser,Jul [Rez.] (1923), S. 96. 88 Verzeichnisse von Weisers Publikationen finden sich bei Niem:Lily Weiser-Aall 1898–1987 (1998), S. 46–52; Kvideland:Lily Weiser-Aall 85 Jahre (1983), S. 256–261. 89 In ihrem Beitragzur Festschriftvon John Meier meinte sie 1934, dass der Weihnachtsbaum„weder ein Wintermai noch einübelabwehrender Baum“ sei. Im Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens von 1941 führte Weiser die weih- nachtlichenBräuche aber wieder auf altgermanischeZeit zurück. Weiser:Zur Geschichte des Weihnachtsbaumes (1934), S. 8; dies.: Weihnacht (1941). 206 IV.Lily Weiser (1898 –1987) gen“.90 Diese Umkodierung europäischer Bräuche war,wie auch die Re- zension in der Zeitschrift für Volkskunde nahelegt, nicht nur ein akade- misches Interesse, sondern vor allem auch ein zeitgenössisches Bedürfnis, das darauf abzielte, den Lebensalltag im ,alldeutschen Haus‘ zu gestalten. Nach 1945 änderteWeiser nicht ihren Forschungsschwerpunkt, nurdessen Vorzeichen, indem sie –zumindest nach außen –die „germanischen Wurzeln […] []kappt[e]“91 und sich auf weihnachtliche Spezial- und Einzelerscheinungen wie das Weihnachtsstroh, die Weihnachtsziege oder die Weihnachtskarten konzentrierte.

IV.3.ArchaischePotenzfeiernals Ursprung derdeutschen Kultur – Altgermanische Jünglingsweihenund Männerbünde (1927)

Anders als das Weihnachtsthema, das Lily Weiser nicht nur in ihrer Dis- sertation behandelte, sondern das auch in ihren weiteren Forschungen über Jahrzehnte hinwegimmer wiederkehrte,zeugt die Wahl ihres Habilitati- onsgebiets AltgermanischeJünglingsweihen und Männerbünde nicht unbe- dingt von einem nachhaltigem Interesse der Wissenschaftlerin. VorEr- langung der Venia Legendi1927 beschäftigte sich Weiser nicht mit diesem Thema, sondern mitFragender Brauchtumspflege, der bäuerlichen Sitten und mit dem germanischen Volksglauben und übersetze volkskundliche Arbeitenaus dem Schwedischen.Aber auch nach ihrer Habilitation ver- folgte Weiser dasMännerbundthema,obwohldieseszusehends an Attrak- tivitätgewann, nichtmit eigenen Forschungen weiter.Inihrer Veröffent- lichungsliste, die immerhin bis 1976 reicht, findensich dazu nur zwei Rezensionen:1932 zu Kurt Meschkes Schwerttanz und Schwerttanzspiele im germanischen Kulturkreis und 1934 zu Otto Höflers Kultische Ge- heimbünde der Germanen.92 Trotzdem ist es gerade ihre Habilitations- schrift, die von allen Veröffentlichungen Lily Weisers fachgeschichtlicham interessantesten erscheint und die sowohl zeitgenössischals auch in der Forschungsliteraturdie meisten Reaktionen hervorrief.93 Doch worum

90 Wallnöfer:Spirituelles, Mythologisches, Psychologisches (2008), S. 74. 91 Niem:Lily Weiser-Aall 1898–1987 (1998), S. 15. 92 Weiser:Kurt Meschke, Schwerttanz und Schwerttanzspieleimgermanischen Kulturkreis [Rez.] (1932);dies.:Otto Höfler,KultischeGeheimbünde der Ger- manen [Rez.] (1934). 93 Vgl.u.a.die weiter unten zitierte Literatur,außerdem (in Auswahl) Much:Lily Weiser,Altgermanische Jünglingsweihenund Männerbünde [Rez.] (1928);Peu- ckert:Geheimkulte(1951). –Der antisemitische und faschistische Religionswis- IV.3. Archaische Potenzfeiern als Ursprungder deutschen Kultur 207 ging es bei diesem Thema überhaupt?Und welchen Stellenwert hatte es in der Germanistik der späten 1920er und der 1930er Jahre? In ihrerHabilitationsschriftmöchteWeiser, wieder HerausgeberEugen Fehrle in seiner Einführung derDruckfassungschreibt, derFrage nachgehen, „obund inwieweitdie über dieganze Erde verbreiteten Jünglingsweihenund Männerbünde denGermanen bekanntwaren“94.Außerdemwillsie her- ausfinden, ob mandie „Spuren“ der„altgermanische[n]Überlieferung […] alsGrundlageder neuerendeutschenund nordischen Volkssittenansehen“ darf.(Weiser 1927,11) In drei AbschnittengehtWeiserzunächst auf „Männerbünde undJünglingsweihen beiden Tiefkulturvölkern“ ein, im zweitenTeil, demHauptteil,konzentriertsie sich aufdas eigentliche Thema „AltgermanischeMännerbünde undJünglingsweihen“, um abschließend „Schichten derÜberlieferung“zuanalysieren,zudenen siezum Beispiel den Schwerttanzzählt.Als QuellendienenWeiser, wieschon beiihrer Disser- tation,altnordischeSagas,diesmal aber auch,vor allemfür denHauptteil, die Germania desTacitus bzw. derenAuslegungen (und Übersetzungen) von Eduard Schwyzer undHeinrichSchweizer-Sidlersowie vonEugen Fehrle.95 WährendWeiser in ihrer Promotionsschriftnoch an sprachge- schichtliche und etymologische Forschungen anknüpfte, stellt sie nun fest, dass sie „mit der philologisch-historischen Methode […] nicht weiter kommenkann“. Als Grund dafür gibt sie die „Beschaffenheit der litera- rischen Quellen“ an, deren „Motive […] gewöhnlich als Motive der Phantasie“ gesehen werden, denen laut Weiser aber vielmehr „wirkliches und zwar religiösesLeben zu Grunde liegt“. Dievon ihr benutzten Texte sieht Weiser demnach nicht als Resultat der literarischen„Fabulierkunst“, sondern deutet sie als Geschichtsschreibung. Jedoch, und das macht für Weiser den interpretatorischen Reiz aus, handle es sich bei den „Motive[n] des alten Erzählstoffes […] um Dinge, die zur Entstehungszeit dieser Berichte im wesentlichen überwunden waren und daher schon damals

senschaftler Mircea Eliade lobte Weiser noch 1961, dass sie die „Rituale der germanischen Männerbünde […] auf so glänzende Weise“ untersucht habe. Eli- ade:Das Mysterium der Wiedergeburt (1988), S. 157. –Für diesen Hinweis danke ich Werner Michler,Salzburg. 94 Weiser:Altgermanische Jünglingsweihen und Männerbünde (1927), S. 7. –Im Folgenden im Fließtext zitiert als (Weiser 1927, [Seitenangabe]). 95 Schwyzer/Schweizer-Sidler:Tacitus’Germania (1923). –Die Germania-Edition von Eugen Fehrle erschien zwarerst 1929, FehrlesÜbersetzungen warenWeiser aber zugänglich und bilden die Grundlage ihrer Interpretationen,Weiser selbst scheint des Lateinischen unkundig gewesen zu sein. Weiser:Altgermanische Jünglingsweihenund Männerbünde (1923), S. 33 (Anm. 18). 208 IV.Lily Weiser (1898 –1987) nicht mehr ganz verstanden wurden“. (Weiser 1927, 10 –11) Mansieht, es geht Weiser erneut um eineverschüttete, überformte (Ur-)Bedeutung, die es freizulegen gilt. Tatsächlich stammen die vorhandenen literarischenQuellen aus- schließlich aus dem 12. bis 15. Jahrhundert, nur Tacitus’ Germania von 98 n. Chr.bildet eine Ausnahme. Diedazwischen liegende Lücke von über tausend Jahren ist aber gerade die Zeit, die Weiser interessiert, denn diese bestimmt sie mit Andreas Heusler nicht nur als altgermanische Zeit, sondern auch als nicht-christlichen, nicht-römischenKulturbegriff: Es geht ihr um „[d]as von der Kirche und antiker Bildung nicht greifbar bestimmte Germanentum“ (Weiser 1927, 10). Neben Heusler,dem „wohl bedeutendstenRepräsentanten der deutschsprachigen Nordistik jener Jahrzehnte“96,rekurriert Weiser in ihrem Beitrag zur deutschen und nor- dischen Altertums- und Volkskunde,soder Untertitel der Arbeit, sowohl auf die Germanisten Karl Müllenhoff und Rudolf Much sowie den Ethno- logen Arthur Haberlandt als auch auf Jakob Wilhelm Hauers ekstatischen Religionsbegriff, Wilhelm Wundts völkerpsychologische Schriften, Arnold van Genneps Les rites de passage,Heinrich Schurtz’ Altersklassenund Männerbünde,Hutton Websters Studien zu Geheimbünden in ,primitiven‘ Gesellschaften und Lucien Lévy-Bruhls Das Denken der Naturvölker.97 In Fußnoten verweist sie aber auch auf den Psychoanalytiker Theodor Reik, der „die unterbewußten Vorgänge im Seelenleben der Primitiven“ als Grundlageder „Pubertätsweihen“ sieht und diese wiederum als „feindliche Handlungen der Väter gegen die Jungen“ deutet. (Weiser 1927, 22–23)98 Soweit zum wissenschaftlichen Kontext der Arbeit. Weiser geht im ersten Teil ihrer Habilitationsschriftganz selbstverständlich und deshalb ohne Erklärung von der Vorstellung der „Tiefkulturvölker“99 aus, dieihr

96 Engster:Germanisten und Germanen (1986), S. 71. 97 Zu Weisers disziplinenübergreifendem Ansatz vgl. See:Das ,Nordische‘ in der Wissenschaftdes 20. Jahrhunderts (1983), S. 29–32. 98 Vgl.Reik:Die Pubertätsriten der Wilden (1915/1916);ders.:Probleme der Re- ligionspsychologie(1919). –Weiser ist mit Reiks Interpretation freilich nicht ganz einverstanden und degradiert die Psychoanalyse zu einem wissenschaftlichen Fundbüro oder,wenn man so will, zu einerQuellensammlung der Seele, wennsie schreibt, dass man „zwischen dem reichen Tatsachenmaterial, das die Freud’sche Schule für das Verständnis des primitiven Menschen bietet, und ihren Deutungen scheiden“ muss. Weiser:AltgermanischeJünglingsweihen und Männerbünde (1923), S. 23 (Anm. 18). 99 Unter ,Tiefkulturvölker‘ verstand man, zumindest theoretisch, nicht ein be- stimmtes Volk und auch keine bestimmte Zeit, sondern eine soziale Entwick- lungsstufe im Bereich der materiellen Kultur.Nach dieser Vorstellung sind Tief- IV.3. Archaische Potenzfeiern als Ursprungder deutschen Kultur 209 dazu dienen, die Jünglingsweihen, die, wie sie behauptet, bei „fast allen Völkern“ vorkommen, in ihren „Haupterscheinungen“zuskizzieren. (Weiser 1927, 12) Anhand GennepsWerk Les rites de passage (1909) ordnet sie den Jünglings- oder Pubertätsweihen drei Hauptteile zu. Dererste besteht aus dem Ritus der Trennung, bei dem der Knabe von seiner Mutter und seiner früheren Umgebung separiert wird. Darauf folgen die Riten der Zwischenzeit, in denendieser „an geheiligter Stelle“, an einem „Geister- platz“, verschiedene Prüfungen bestehen, Quälereien erdulden muss, in die religiösen und staatlichen Überlieferungen seiner Gemeinschafteingeweiht wird,Disziplin und Gehorsam lernt, kultische Tänze auszuführen hat, beschnittenwird und vor allem ZugangzuGeisternund überirdischen Kräften findet. Der Jünglingist in dieser Zwischenzeit, die einen„Aus- nahmezustand“ darstellt, „allen Einwirkungen geheimnisvoller Mächte preisgegeben“ und hält „Verbindung mit dem Weltgeist“. (Weiser 1927, 15) Der letzte Teil besteht aus Weihe- und Anschlussriten, in denen der Knabe stirbt, als Jüngling wiedergeboren wird (bzw.sein Todund seine Auferstehung symbolisch inszeniert werden),umdanach wieder in die Gesellschaft integriert zu werden. Diese Isolierung des Jungen dauert laut Weiser „zwischeneinigen Monaten und mehreren Jahren“ und hat na- türlich die Funktionden Knaben „zum Manne“ zu machen. (Weiser 1927, 12–13) AufGennep beziehtsich Weiser deshalb,weil er,wie sie betont, eine „ganz neue psychologischeGrundeinstellung den Initiationsriten gegen- über“ an den Taglegt und „dasreligiöse Moment“, das den „Hauptbe-

kulturvölker nicht mehr wie die Naturvölker vollständig von der Natur abhängig, sondern haben gelernt, auf diese einzuwirken, sie haben das Pflanzensammeln zum Ackerbau und die Jagd zur Viehzucht entwickelt. Sie wissen aber noch nichts von Metallbearbeitung wie die ,Mittelkulturvölker‘ oder von der Schrift, die erst die ,Hochkulturvölker‘ erfinden. Dieser Begriff ist, wie weiter unten gezeigt wird, jedoch keineswegs egalitär gemeint, sondern beruht im Gegenteil auf einer Kopplungvon Evolutionsbiologie und Rassismus. DieEinteilung in Naturvölker und Halbkulturvölker (Tiefkulturvölker,Mittelkulturvölker,Hochkulturvölker) stammt von dem Geographen Friedrich Ratzel (1844–1904). –Weiser selbst möchte, wie sie schreibt, durch die Verwendung der Bezeichnung „Tiefkulturvolk“ zum einen das Wort „primitiv“ weitestgehendvermeiden, zum anderen kann sie mit „Tiefkulturvolk“ eine ArtZwischenstadium zwischen Natur und Kultur be- zeichnen, um das es ihr geht. Diese „Tiefkulturvölker“ dienen Weiser dazu, „das Wesen“ der Jünglingsweihen und Männerbünde zu bestimmen, und diese Be- stimmungwiederum „als breite Unterlage für die Untersuchung und Fragestellung für die altgermanische Zeit“ zu verwenden. Weiser:Altgermanische Jünglings- weihen und Männerbünde (1923), S. 12. 210 IV.Lily Weiser (1898 –1987) standteil der Knabenweihe“ ausmache, hervorhebt. Weiser ist nämlich der Ansicht, dass eine Interpretation dieser Weihen, vor allem der Über- gangsriten, „nicht nach den logischen Gesetzen der heutigenDenkweise erfolgen kann“, sondern „von dem prälogischen und mystischen Zustand der Primitiven ausgeh[en]“ muss. (Weiser 1927, 14–15) Es geht Weiser um die „Erlebnisse[],die jene Übergänge in der menschlichen Seele […] auslösen“, um „ein Berührtwerden oder Ergriffensein von einer über- menschlichenMacht“, das einen „Wendepunkt“, eine „innere Umwand- lung“ im Leben des Knaben vollzieht. Der „Kern dieser Erlebnisse“ ist ihres Erachtens also „ekstatischer Art“. (Weiser 1927, 17)100 Neben der religiösen Komponente verleihen die Initiationen aber auch soziale Rechte,haben also gemeinschaftsbildende Funktion. In der „Blü- tezeit der Stammesweihe“ war die Führung des Stammesund die der Weihen, so Weiser,inden Händen der Ältesten,der Stamm bestand „aus allen initiierten Männern, eingeteilt in die Klassen der Junggesellen, ver- heirateten Männer und der Alten, und bildet[e] so in seiner Gesamtheit eine Gesellschaft“. Im Laufe der Zeit, d.h. mit dem Wachsen der Bevöl- kerung, mitzunehmendem Ackerbau und anderen kulturellen Errun- genschaften zeigten sich aber Weiser zufolge „verschiedene Verfalls- und Entwicklungserscheinungen“ dieser Initiationen und Weihen.Diese führten dazu, dass im Unterschied „zur äußerlichen Gemeinschaft“eines Stammes verstärkt die innere Gemeinschaft, also eine „seelische Ver- wandtschaftals Bundesmacht“, hervortrat. Dieser „große[ ]innere[ ] Fortschritt“ war laut Weiser aber freilich nur „bei religiös hochbegabten Völkern“ möglich und hatte, darauf will sie hinaus, einen Grund:nämlich, dass sich „ein Führer über den Stamm erhebt“. DieFolgender Installierung eines „Führers“, der auch die Jünglingsweihen durchzuführen hatte, zeigten sich laut Weiser darin, dass aus „Altersklassen“„geheime Gesell- schaften“ wurden, dass die „Grundlage einer Art Gefolgschaft“geschaffen wurde und dass sich die einzelnen Gesellschaften zu „religiösenBruder- schaften“, „Sozialen Klubs“ oder „Berufsverbänden“ entwickeln konnten, dass es also zu einer Art Arbeitsteilung kam. (Weiser 1927, 24–25) Demnach waren die Jünglingsweihen, das ergibt sich aus Weisers Aus-

100 Nachdem Weiser klargestellt hat, dass es sich bei Jünglingsweihen vor allem um religiöse und psychische Phänomene der Ekstase handelt, bringt sie verschiedene Beispiele von Stammesweihen aus Sibirien, Neuguinea, Afrika, von den Tungusen, den Burjaten und den „Fitischi-Insulanern“ [!]. Diese Beispiele, die sie allesamt nichtmit Quellen versieht, zeigen, dass die Bezeichnung ,Tiefkulturvölker‘, ob- wohl theoretisch scheinbar wertfrei entworfen, doch nur auf bestimmte Gegenden und Menschen angewendet wird. IV.3. Archaische Potenzfeiern als Ursprungder deutschen Kultur 211

führungen, die Grundbedingung allen sozialen Zusammenlebens, der Errichtung von differenziertenGemeinschaften und auch von Staaten. Ideologisch und politischbedeutsam werden WeisersAusführungen am Schluss des erstenTeils. Dort behauptet sie, dass, „gleichgültig, welche Entwicklungdas Staatsleben nimmt“, die „psychischen Kräfte“, die die ursprünglichen Jünglingsweihen in einem Volk freigesetzthaben, immer bestehenbleiben, sodass „ohnehistorischen Zusammenhang[…] jederzeit aus sich selbst heraus neue Verbände [ge]schaffen“ werden können. (Weiser 1927, 26–27) Diese angenommenen, ahistorischen und bei allen Völkern verbrei- teten „psychischenGrundlagen der Übergangsriten und -weihen“ sind es auch, die die Voraussetzung für den zweiten Teil der Arbeit bilden,denn aus ihnen schließt Weiser,dass man „die Frage“, ob „auch die alten Germanen eine Initiation und mit ihr in Verbindung kultische Verbände besessen“ hatten, „mit ja beantworten“ muss. Nachdem Weiser diesesProblem durch einen –auf der Konstruktion von Tiefkulturvölkern beruhenden –Ana- logieschluss für sich gelöst hat,widmet sie sich dem Punkt, „[w]ie […] diese Einrichtung in altgermanischer Zeit beschaffen war“. (Weiser 1927, 28) Dafür betrachtetsie sowohl„Südgermanische Bünde und Weiheriten“ bei den Chattenund Hariern als auch die „NordischeÜberlieferung“, hier vor allem die Berserker,die aber,wie Klaus von See 1981 nachgewiesen hat, überhaupt nie existiert haben.101 Für den Südenbezieht sich Weiser –in Ermangelung anderer Quellen –ausschließlichauf die Germania des Ta- citus und zwar nur auf die Kapitel 13, 20, 31, 38 und 43, da sich dort, wie Weiser betont, „eindeutigeZeugnisse über Jünglingsweihen,Altersklassen und Verbände bei den alten Germanen“findenlassen. (Weiser 1927, 31) Zunächst sucht Weiser aus verstreuten Textpassagen Hinweise und Eigenschaften zusammen, die ihres Erachtens eine altgermanische„Jung- mannschaft[…] ziemlich deutlich hervortreten“ lassen. Aus Kapitel20 liest sie, dass Kinder aus verschiedenen sozialen Schichten gemeinsam aufwuchsen, nackt gingen und erst im Jünglingsalter nach Knechten und Freien getrennt wurden;der Freie erhielt daraufhin eine Waffe. Kapitel 13 wiederum zeigt Weiser,dass der Knecht zu Hause blieb und der Freie fortzog, und in Kapitel 38 wird davon berichtet,dass die freien Sweben eine besondere Haartracht hatten. Ausdiesen kurzen und teilweise weit aus- einanderliegenden Bemerkungen schließt Weiser,dass es bei den alten Germanen erstens einen Männerbund, und zwar den der Jungmannschaft, gab;zweitens, dass es sich bei der Überreichungder Waffe um „einefei-

101 See:Exkurs zum Haralskvaedi:Berserker (1981). 212 IV.Lily Weiser (1898 –1987) erliche Angelegenheit“ handelte, „die den jungen Mann zum Staatsbürger“ erhob;drittens, dass sich dieser durch seine Kleidung und sein Haar von den anderen unterschied;und viertensschließlich, dass „die jungen Männer einen Verband stets kampfbereiter Krieger“ bildeten, wie es bei „Völkern, die häufig Krieg führen“, eben immer der Fall gewesen sei. (Weiser 1927, 32) Als Beispiel behandelt Weiser zunächst die „Chattenkrieger“, die in Kapitel 31 der Germania beschriebenwerden:Diese lassen sich Haar und Bart wachsenund schneiden sie erst, wenn sie einen Feind getötet haben, Ähnliches gilt für einen eisernen Ring, den sie tragen müssen und von dem sie auch erst nach der Tötung eines Feindes befreit werden. DieChatten eröffnen alle Kämpfe, sind unverheiratet und kämpfen, bis sie sterben oder alt sind.102 Diese „mitgeteilten Tatsachen“ sind laut Weiser in ihrer „Be- deutung für die germanische Jünglingsweihe noch nicht klar gewürdigt worden“. Die „Sitte, in dem verwilderten Zustand zu verharren“, wie auch das Tragen des Rings deutet Weiser mit Karl Müllenhoff so, dass sich die Krieger damit „weihen,und zwar,wie man annehmen muß, dem Kriegs- oder Totengotte;bei den Chatten war es Wodan“. (Weiser 1927, 34–35) Wie diese Weihe aussah, und dass es sich beim Haarewachsenlassen um den zweiten Teil, den Hauptteil der Jünglingsweihe, also um die Zwischenzeit, handelt, sieht Weiser durch Parallelstellung zweier Grimm’scher Märchen, nämlich „Des Teufels rußiger Bruder“ (Nr.100) und „Der Bärenhäuter“ (Nr.101), als bewiesen an. In beiden Märchen geht ein armer Soldat einen Bund mit dem Teufel ein, der ihm verspricht, reich zu werden, wenn er ein paar Jahre in der Hölle ausharrt und sich weder wäscht noch die Haare schneidet. Der Teufel, dem sich die Soldaten weihen, ist Weiser zufolge Wodan, durch den Vertrag mit ihm„sindalle diese Menschen ineinem Ausnahmezustand und gehören einer anderen Welt als der gewöhnlichen

102 Der lat. Text lautet:„Et aliis Germanorum populis usurpatum, raro et privata cuiusque audentia, apud Chattos in consensum vertit, ut primum adoleverint, crinem barbamque summittere, nec nisi hostecaeso exuere votivum obligatumque virtuti oris habitum. super sanguinem et spolia revelant frontem,seque tum de- mum pretia nascendi rettulisse dignosque patria ac parentibus ferunt;ignavis et imbellibusmanet squalor.fortissimus quisque ferreum insuper anulum(ignomi- niosum id genti)velut vinculum gestat, donec se caede hostis absolvat. plurimis Chattorum hic placet habitus, iamque canent insignesethostibus simul suisque monstrati.omnium penes hos initia pugnarum;haec prima semper acies, visu nova;nam ne in pace quidem cultu mitiore mansuescunt. nulli domus aut ager aut aliqua cura:prout ad quemque venere, aluntur,prodigi alieni,contemptores sui, donec exsanguissenectus tam durae virtuti impares faciat.“ Schwyzer/Schweizer- Sidler:Tacitus’Germania (1923), S. 74–75. IV.3. Archaische Potenzfeiern als Ursprungder deutschen Kultur 213

an“, und das „bewußt geübte Vernachlässigen des Körpers ist eine weit- verbreitete Übung zur Herbeiführung ekstatischer Zustände“. Damit hat manes„beiden Chattenmit einemReste höchst altertümlicher Religions- form zu tun“,bei derdie „Zugehörigkeit zuranderen Welt […]auf eksta- tischemWege[…] angestrebt wurde“.Mit diesen Erläuterungen hatWeiser alle Zutatenzusammen,umfestzustellen,dass„[a]us demGesagten[…] klar [wird],daß dieChatten eine Jünglings- undMännerweihebesessenhaben, diewie dieausgebildeteWeihe drei Teileumfaßt“ –erstens:Trennung, Wachsenlassender Haare; zweitens:Verharren im Verwilderungszustand, Lehr- undProbezeit im Krieg; drittens:Haar- undBartscheren als An- gliederung an dievollberechtigtenMänner. (Weiser1927, 36) Damit aber nicht genug.Für Weiser machen ihreeigenen Konstruk- tionen und Hypothesenschließlich außerdem noch „den Eindruck, als ob es sich bei den lebenslänglichen Kriegern um einenMännerbund handle, der,wie von den nichtzivilisierten Völkern her bekannt ist, die Jüng- lingsweihe ausführte“. Genauer:Der „Bericht des Tacitus“ sei so aufzu- fassen, dass das Volk der Chatten „einen kriegerischen Männerbund mit religiöser Grundlage besaß, der die Jünglings- und Männerweihe und damit die Ausbildungder Jünglinge zu volltauglichenStaatsbürgern übernahm“. In dieser Logik macht Weiser einzig die „religiöse Bedeutung des Chattenbundes“ Sorgen, die in der Germania „nicht so ganz offen zu Tage“ tritt wie angeblich alles andere,die anhand der Märchen „aber leicht erschlossen werden“ konnte. (Weiser 1927, 38) Ähnlich geht Weiser mit dem 43. Kapitel von Tacitus’Schriftum, in dem er über die Harier schreibt, dass sie wildund stark waren, schwarze Schilder besaßen, ihre Körper bemalten,nur in der Nacht kämpften und „durch das unheimliche düstere Aussehen ihres Totenheeres Schrecken“ erregten.103 Weisers Interpretation ist folgende:Beim nächtlichen, kör- perbemalten „Auftretender Harier“ handelt es sich „nicht um eine ein- malige Kriegslist, sondern um einen feststehenden Brauch“, wonach„ihm eine Vereinbarung zu Grunde“ liegt, „eine Art Verpflichtung oderVer- löbnis“,das „sowohl untereinander“ als auch „gegenüber den Mächtender

103 Der lat. Text lautet:„Ceterum Harii super vires, quibus enumeratos paulo ante populos antecedunt, truces insitae feritati arte ac tempore lenocinantur:nigra scuta, tincta corpora;atras ad proelia noctes legunt ipsaque formidine atque umbra feralis exercitus terrorem inferunt […].“ Schwyzer/Schweizer-Sidler:Tacitus’ Germania(1923), S. 96–97. –Karl Müllenhoff erklärte „feralis exercitus“ als „Gespensterheer“; Fehrle bezog „feralis exercitus“ auf „terrorem“, übersetzte also: „wie wenn sie ein Totenheer wären“. Weiser:AltgermanischeJünglingsweihen und Männerbünde (1927), S. 39 (Anm. 28). 214 IV.Lily Weiser (1898 –1987)

Geisterwelt, deren Rolle sie spielten“, galt. (Weiser 1927, 39–40) Es ist also nach Weiser „wahrscheinlich“, dass neben den Chatten auch „die Harier einen religiösen Verband gebildet haben“. Unddasie außerdem „die Kerngruppe“ des Heers darstellten, „läßt sich schließen, daß sie auch die Jungmannschaftfeierlich weihten“. (Weiser 1927, 41–42) Zusammen- gefasst lässt sich sagen, dass Weiser aus vereinzeltenStellender Germania eine Konstruktion entwirft, nach der die Germanen im 1. Jahrhundert n. Chr.„Kriegerbünde […] mit religiöser Grundlage“ bildeten, diese „die Erziehung der männlichen Jugend in der Hand“ hatten, also differenzierte Männerbünde mit Jünglingsweihen zu ihrem Gesellschaftssystem gehör- ten. (Weiser 1927, 43) Dass Weisers Interpretation der Germania einer Feinanalyse nicht standhält, wurde schon zeitgenössischangemerkt. Jost Trier schriebin seiner Rezension von 1929, dass Weiser „im analogisch erschlossenen, im reich der vermutungen“ verweile und dass „vieles […] mehr geahntals bewiesen“ sei.104 Auch Harald Spehr ging 1931inseinem umfassenden Literaturbericht zum „Frühgermanentum“ auf Weisers Habilitations- schriftein. Er urteilte, dass Weiser „Tacitus […] nach einer kühnen Konjektur ausleg[e],deren Berechtigungman anzweifeln kann“, über- haupt war er der Ansicht, dass „Jünglingsweihe und Männerbundals kultische Einrichtungen […] bei den Germanen keine Rolle gespielt“ haben.105 In der Forschungsliteratur setzen mit Bezug auf Weisers Arbeit in den 1990er Jahren sowohl Allan Lund und Anna Mateeva als auch Mischa Meier auseinander,welche Bewandtnisesmit der lateinischen Text- grundlage hat, über die gerade im Hinblick auf die von Weiser herange- zogenen Stellen bis heute Unklarheit herrscht. Für Lund und Mateeva waren Weisers Interpretationenauf dieser Basis schlicht unhaltbar,Meier setzte in Teilen zu einer vorsichtigen Verteidigung an.106 Für den Erfolg der Germanenkunde der späten 1920er Jahre und der Folgezeit war es aber unerheblich, ob Weisers Germanenauffassung ein Phantasiegebilde dar- stellte oder,wie sie selbst schreibt, einem „Analogiezauber“107 entsprang.

104 Trier:Lily Weiser,Altgermanische Jünglingsweihen und Männerbünde [Rez.] (1929), S. 3–4. 105 Spehr:Literaturberichte. Frühgermanentum (1931), S. 108. 106 Lund/Mateeva:Gibt es in der Taciteischen,Germania‘ Beweise für kultische Geheimbünde der frühen Germanen?(1997);Meier:Zum Problem der Existenz kultischer Geheimbünde bei den frühen Germanen(1999). 107 Dieser Begriff Weisers findetsich in der ZusammenfassungamEnde der Habi- litationsschrift. Weiser:Altgermanische Jünglingsweihen und Männerbünde (1927), S. 84. –Jost Trier hegt in seiner Rezension überhaupt Zweifel, ob Weiser IV.3. Archaische Potenzfeiern als Ursprungder deutschen Kultur 215

Wesentlich für die Germanenkunde Much’scher Prägung war nur,dass Weiser als Erste überhaupt mit diesem „völlig neue[n] Germanenbild“108 hervortrat. MitBlick auf das jeweilige zeitpolitische Milieu lassen sich, wie Klaus von See feststellte, drei verschiedene Germanenbilderinder ,deutschen‘ Wissenschaftdes späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts unterscheiden. Das erste war das von Wilhelm Scherer und dem humanistisch geprägten Bildungsbürgertum, das einem „Fortschrittsoptimismus“ huldigte, „unter dem Eindruck des antiken Barbarenklischees“ entworfen wurde und den Germanen vor allem „ungebärdige[]Urwüchsigkeit“attestierte. Das zweite war mit der Lebensreformbewegung der Jahrhundertwendeeng verbunden und von Modernitäts-bzw.Zivilisationskritik sowie von der Suche „nach einer neuen, von Traditionen unbelasteten Unmittelbarkeit“ geprägt. Es entwarfden „nüchtern-ehrlichen, unpathetisch-kargen, aber seelisch rei- chen Germanen der isländischen Sagazeit“.109 Einer der Protagonisten dieses Germanenbilds war Andreas Heusler,der den Germanen „eine beherrschte Ruhe, eine gehalteneVornehmheit“, ihnenkeine Affinität zur Religion, dafür aber „Freidenkertum“ zuschrieb.110 Das dritte Germa- nenbild ist jenes, mit dem Lily Weiser 1927 an die Öffentlichkeit trat. Es konstruiert einen militärisch-heldenhaften Germanentyp,der ekstatische Kulte pflegte und Kriegergemeinschaften einging. Weiser applizierte für diese Sichtweise ein religionsethnographisches Modell auf die Germanen, das Jakob Wilhelm Hauer1923 in seinem Hauptwerk Die Religion. Ihr Werden, ihr Sinn, ihreWahrheit entworfen hatte. In diesem Buch erklärte Hauer das ekstatische Erlebnis zum Ursprung allerReligion und Reli- giosität und schrieb den Männerbünden und Jünglingsweihen eine be- sondere Rolle zu. Neben der Übertragungauf das Germanentum fügte Weiser diesem Modell außerdem noch die Beziehung zu den von ihr an- genommenen militärischen Kern- bzw.Elitetruppen hinzu, was „derger-

hinter ihren eigenen Ergebnissen stand:„[N]icht alles ist geklärt. L.W.wird das selbst am wenigsten glauben.“ Trier:Lily Weiser,Altgermanische Jünglingsweihen und Männerbünde [Rez.] (1929), S. 4. 108 See:Das ,Nordische‘inder deutschenWissenschaftdes 20. Jahrhunderts (1983), S. 30. 109 Alle Zitate:See:Das ,Nordische‘ in der deutschen Wissenschaftdes 20. Jahr- hunderts (1983), S. 37. 110 Heusler:Germanentum (1934), S. 13 und S. 104. 216 IV.Lily Weiser (1898 –1987) manischen Kultur nichtnur einen eminent religiösen, sondern auch einen kriegerischen Charakter“111 verlieh. Weiser selbst baute in ihrer Arbeit keine Brücke zu zeitgenössischen realhistorischenFragen. Eine ,Aktualisierung‘ des Männerbundthemas vollzog erst der nächste Much-Habilitand, Otto Höfler, sieben Jahre später. Höfler übernahm 1934 in seiner Habilitationsschrift Kultische Geheim- bünde der Germanen Weisers methodischePrämissen bis ins Detail, legte seinen Schwerpunkt aber vor allem auf die politischen und völkischen Aspekte und verkündetemit Verweis auf eine angeblich fortdauernde germanische Kultur:„Die eigenste Begabungder nordischen Rasse,ihre staatenbildende Kraft, fand in den Männerbünden ihre Stätte.“112 Mit seiner zu Weiser thematisch parallelen Arbeit wurde Höfler in Wien 1934 zum Privatdozenten für Geschichte der deutschen Sprache und Volkskunde ernannt. Ein weitererMuch-Schüler,RichardWolfram, habilitierte sich 1936 mit der Schrift Schwerttanz und Männerbund für Germanisch-deut- sche Volkskunde. Rudolf Much war es mit seiner ,Männerbundschule‘ Mitte der 1930er Jahre also endgültig gelungen, die Volkskunde in seine, nämlich die german(ist)ische Richtung zu ziehen. Tatsächlich wurde 1939, als man an der Universität Wien die erste systemisierteVolkskundeprofessur in- stallierte, kein Ethnologe berufen,sondern ein treuer Anhänger des „Meisters“113 Much, der Germanenkundler und Skandinavist Richard Wolfram.114

IV.4. Konkurrenzen und Netzwerke

Dass die Volkskunde an der Universität Wienbei ihrer offiziellen Grün- dung 1939 als Germanen-und Männerbundkunde betrieben wurde, war währendder jahrzehntelangen Bemühungen um die Etablierung einer

111 See:Das ,Nordische‘inder deutschenWissenschaftdes 20. Jahrhunderts(1983), S. 31. –Zuden zeitgenössischenGermanenbildern vgl. auch Engster:Germanisten und Germanen (1986), S. 69–93. 112 Höfler:Kultische Geheimbünde der Germanen (1934), S. VIII. 113 Rudolf Much wurde unter den Germanenkundlern „Meister“ genannt. Fehrle (Hg.): Ernte aus dem Gebiete der Volkskunde als Festgabe dem verehrten Meister Much zum 70. Geburtstag(1932);Höfler:Dietrich von Kralik [Nekrolog](1960), S. 47. –Richard Wolfram behauptete in seinem Nachruf, dass Much „seine Freundeund Mitstreiter immernur ,Heerkönig‘ nannten“. Wolfram:Rudolf Much [Nekrolog] (1936), S. 476. 114 Zu den politischen Umständen der Berufung Wolframs vgl. Bockhorn:„Die Angelegenheit Dr.Wolfram,Wien“ (2010). IV.4. Konkurrenzen und Netzwerke 217

eigenen akademischen Volkskunde nichtvon Beginn an vorgezeichnet. Neben der germanistischen Altertumskunde der Much-Schulegab es in Wien noch zwei weitereRichtungen, die seit der Jahrhundertwende und verstärktabden 1920er Jahren um die Volkskunde konkurrierten:die der ,Mythologen‘, die aus Religionswissenschaft, Wagner-Kult und verglei- chender Mythenforschung im Umkreis Leopold von Schroeders, der 1899 als ordentlicher Professorfür AltindischePhilologie und Altertumskunde von Innsbruck nach Wien berufen worden war,entstand;und die der Eth- nographie, deren erster Vertreter Michael Haberlandt war,der sich 1892 in Wien für Ethnographie habilitiert hatte. Alledrei Richtungen wiesen „personell wie ideologisch vielfach Berührungspunkte“115 auf, die sich sowohlinihren Beziehungen zur Anthropologischen Gesellschaft,zum Verein für Volkskunde,zur Jugendbewegung und zum Nationalsozialismus zeig- ten;waren aber, wenn es um die Vertretung der Volkskunde an der Uni- versität Wien ging, erbitterteGegner.116 Den Kampf um die Volkskunde entschied, wie sich zeigen wird, trotz fachlicher und wissenschaftlicher Auseinandersetzungen im Endeffekt doch die Beherrschungder höheren akademischen Kabinettskunst. DieWiener ,Mythologen‘ standen der Much-Schuleinhaltlich und ideologisch sehr nahe, sie beschäftigten sich mit dem ,nordischen Men- schen‘, mit der indogermanischen und altgermanischen Frühzeit und waren auf der Suche nach der „aine[n] deutsche[n] Kultur“ in der Absicht, „ain deutsches Volk werden [zu] wollen“.117 Während jedoch unter den Much-Anhängern die Auffassung vertreten wurde, dass „mythologische Erzählungen […] nur sekundäre Spiegelungen von altertümlichen Kulten geheimnisvoller Bünde“ seien, also „der ekstatische Kult immer die Prio- rität vor der mythischen Sage“ hatte, hing man unter den ,Mythologen‘ „der umgekehrten Überzeugung“ an, dass „allesBrauchtum“ nur ein „se- kundäre[s] Abbild vorher ausgebildeterMythen“ sei.118 Dass „keine der beiden Hypothesen historisch-empirisch zu beweisen war,vor allem die […] Existenz geheimer kultischer Männerbünde in der germanischen Frühzeitnie glaubhaftgemacht werden konnte“119,störte den Streit zwi-

115 Bockhorn:Von Ritualen, Mythen und Lebenskreisen (1994), S. 477. 116 Zur Frühzeit der Volkskunde an der Universität Wien vom Ende des 19. Jahr- hunderts bis 1938 vgl. ausführlich Bockhorn:Von Ritualen, Mythen und Le- benskreisen (1994), S. 477–526;ders.:„Volkskundliche Quellströme“ in Wien (1994). 117 Hüsing:Die deutschen Hochgezeiten (1927), S. XII. 118 Emmerich:Zur Kritik der Volkstumsideologie (1971), S. 153. 119 Emmerich:Zur Kritik der Volkstumsideologie (1971), S. 153–154. 218 IV.Lily Weiser (1898 –1987) schen den beiden Richtungen nicht, im Gegenteil. Am deutlichsten lassen sich Nähe und Distanz der konkurrierendenUnternehmungen an einem Buch zeigen, das der Schroeder-Schüler Georg Hüsing –seines Zeichens „Begründer[]der Wiener Mythologenschule im engeren Sinn“120 –1927 veröffentlichte. Es handelt sich dabeiumHüsings, für die volkskundliche Anhängerschaftwichtige Aufsatzsammlung Die deutschen Hochgezeiten von 1927. Darin vertrat er,wie Lily Weiser in ihrer Dissertation, die Ansicht, dass der „Sinn“ der deutschen Feste wie Weihnachten, Perchtenlaufetc. durch „falsche Ausdeutungen der römischen Kirche“ verloren gegangen sei und „nun neu erschlossen werden“ müsse. Diese Feste waren selbstredend aus der germanischen Vorzeit zu erklären, darin war man sich noch einig. Aber,soHüsing, „[a]uf das entschiedenste müssen wir uns dagegen ver- wahren,daß die deutschenHochgezeiten aus dem Bauernleben hervor- gegangen wären“, vielmehr entstanden sie aus einem –nicht näher be- stimmten –„arischen Mythos“.121 Eine direkte Reaktion Rudolf Muchs darauf findet sich in einem nachgelassenen, posthumveröffentlichten Aufsatz, in dem er fragte, „womit unsere Feste […] zusammenhängen sollen, wenn nichtmit dem Bauernleben […].Wir stoßen dabeijaüberall auf alte Vegetationsriten […].“122 Weisers (und selbstverständlich Muchs) Auffassung, dass deutsches Brauchtum und deutsche Feste auf altgerma- nische Totenkulte und Vegetationsriten zurückzuführen seien, stand Hü- sings Ansicht gegenüber,dass der Mythos der Ursprung alles Brauchtums sei.123

120 Schmidt:Geschichte der österreichischenVolkskunde (1951),S.134. 121 Hüsing:Die deutschen Hochgezeiten (1927), S. 124. 122 Much:Mondmythologie und Wissenschaft(1942), S. 243. 123 Diese Auseinandersetzung zwischen den ,Mythologen‘ und der Much-Schule findetseine ideologische Grundlage in den Schriften des Bonner Germanisten Hans Naumann,der mit Primitive Gemeinschaftskultur (1921) und Grundzüge der deutschen Volkskunde (1922)die in der zeitgenössischen Volkskunde populärsten und einflussreichsten Bücher zur Konstruktioneines ,deutsch-germanischen Volkstums‘ veröffentlichte. Darin unterscheidetNaumann zwischen ,gesunkenem Kulturgut‘ und ,gehobenem Primitivgut‘, um eine klare Grenzezwischen ,geistig aktiver,historisch bewusster und formbildender Oberschicht‘und ,nicht indivi- dualisierter,historisch unbewusster,reflexionsloser Unterschicht‘ zu ziehen. Die Much-Leutehielten Naumann entgegen, dass „das Bild der primitivenGemein- schaftindieser extremen Zeichnung keineswegs richtig“ sei, dass es sich dabeium die „städtisch-hochmütige Betrachtungsweise der ,Geistigen‘“handle und dass es sehr wohl „Volksgut“ gebe, das „direkt aus der primitiven Gemeinschaftstamme []“. Wolfram:Gesunkenes Kulturgut und gehobenes Primitivgut (1932), S. 187– 188. IV.4. Konkurrenzen und Netzwerke 219

Offensichtliche Unterschiede dieser beiden Vertretungsinstanzenger- manischer Kontinuität zeigen sich in ihrem öffentlichenAuftreten bzw.in ihrem ,Sendungsbewusstsein‘. Die ,Mythologen‘ sahen sich –imGegensatz zu den Much-Leuten, die bis 1933/1938peinlichst darauf bedacht waren, nur innerhalb der Grenzen der universitärenWissenschaftzuagieren –als Erzieher und Former der deutschen Jugend. Hüsing und ein weiterer Anhänger Leopoldvon Schroeders, Wolfgang Schultz124,gründeten 1918 den universitären Lehrgang ,Deutsche Bildung‘, der seine Teilnehmer aus Akademikern,Laien und vor allem aus den Jugendbewegungen, besonders dem ,Wandervogel‘, bezog.125 Bei diesemLehrgang ging es darum,wie die nationalsozialistischeZeitschrift Volk und Rasse 1936 anerkennend fest- stellte, „für die völkische deutscheJugend der Bünde und der Studen- tenschaftdie geistigenWaffen fürden Weltanschauungskampf [zu] schmieden“, da „nur das Volk den Anstürmen standhalten werde, das sich seiner rassischen Kraftund seiner völkischen Geschichte ganz bewußt sei“.126 Das Bemühen um eine möglichsthohe Breitenwirkungkann man auch zwei weiteren Vertreternder Wiener ,Mythologen‘ zuschreiben,Karl von Spieß und EdmundMudrak.Spieß, der 1903 in Wien zum Botaniker promovierte, leiteteden Lehrgang ,DeutscheBildung‘ von 1928bis 1938 und holte durch seine Beziehungen zu Josef Strzygowski, der seit 1909 Professor für Kunstgeschichte an der Wiener Universität war,die Kunst- historiker mit ins Boot. Edmund Mudrak, der bei Hüsing und Schroeder studierte und als seine drei Bezugspunkte die Rassenkunde, Wilhelm HeinrichRiehls Volkskunde und Grimms Mythologie ansah, stellteBe- ziehungen zur Stadtverwaltung her:Erwar bis 1943 Beamter im Kul- turamt der Stadt Wien. Bescheiden und nüchtern nimmt sich dagegen die dritte Bewerber- gruppe um die universitäre Volkskunde in Wien aus. Michael Haberlandt studierte bei dem Sprachwissenschaftler Friedrich Müller und dem In-

124 Wolfgang Schultz (1881–1936) studierte KlassischePhilologie in Wien, pro- movierte 1904, musste alsfrüher Nationalsozialist 1923 Österreichverlassen und wurde ohne Habilitation 1934 Professor für Germanische Weltanschauung am Lehrstuhl für Philosophie in München. Vgl. Bockhorn:Von Ritualen, Mythen und Lebenskreisen (1994), S. 496. 125 Bockhorn:Von Ritualen, Mythen und Lebenskreisen (1994), S. 495. 126 [Anonym:] WolfgangSchultz zum Gedächtnis (1936), S. 443. –Die ,Mythologen‘ waren im Nationalsozialismus im ,Amt Rosenberg‘ tätig, während sich die Much- Leute im ideologiebildenden Konkurrenzunternehmen Ahnenerbe hervortaten. Zu dieser Konstellation vgl. Olaf Bockhorn:„Mit all seinen völkischen Kräften deutsch“ (1994). 220 IV.Lily Weiser (1898 –1987) dologen Georg Bühler,promovierte 1882 und wurde 1892 zum ersten Privatdozenten der Ethnographie in Wien ernannt. Er gründete gemeinsam mit Wilhelm Hein, seinem Kollegen an der ethnographischen Abteilung des Naturhistorischen Museums, 1894inWien den Verein für Volkskunde und 1895 das Museum für Volkskunde, gleichzeitig gab er die Zeitschrift für österreichische Volkskunde heraus. Haberlandts Auffassung von ethno- graphischer Wissenschaftbestand in der „vergleichende[n] Erforschung und Darstellungdes VolksthumsinÖsterreich“, wobei er „[e]rsteresdurch die Mittel und Methoden der Wissenschaft“ und „letzteres […] durch die Bergung und Aufsammlung in einem Museum“ zu erreichen trachtete.127 Das bedeutetzum einen, dass diese volkskundliche Richtungdie einzige war,die auch tatsächlich Feldforschung betrieb, d.h. in den österreichi- schen Kronländern und ab 1918 in den österreichischen Bundesländern Hausgeräte, Werkzeuge und Objekte der Volkskunst sammelte (der Be- stand des Museums umfasste 1895 600 Exponate, 1898 bereits 11.000 und noch vor dem Ersten Weltkrieg 25.000).128 Zum anderen waren sie aber auch, im Unterschied zu den Mythologen und der Much-Schule, zu- mindest bis1918, nicht deutschnational orientiert.129 Es ging nicht um einen nordischen Menschen oder eine germanischeKontinuität,sondern um eine Art Fortsetzung der liberalen,verschiedene Nationen integrie- renden Idee der späten Monarchie:Sogab Haberlandt 1927 Österreich, sein Land und Volk und seine Kultur heraus, einen Prachtband, der sich in seiner Anlage am ,Kronprinzenwerk‘ orientierte, aber freilich auf ,Klein-Öster- reich‘ konzentriert war.Weder die Toten- und Vegetationsritenversessen- heit der Much-Schule noch der Mythosglaube der ,Mythologen‘ waren seine Sache,130 dafür ging es dem Ethnographen zu sehr um Realien und weniger um Texte oder nur daraus erschlossenes Brauchtum. MitSchülern Michael Haberlandts, die an der Universität reüssieren konnten, sah es eher schlechtaus. Zwar zählten Rudolf Trebitsch und auch Eugenie Goldstern zu seinen Anhängern, akademisch Fußfassen konnte aber nur sein SohnArthur Haberlandt, der 1911promovierte, bereits 1914

127 Michael Haberlandt: Zum Beginn (1895),S.1. 128 Vgl.Bockhorn:Von Ritualen,Mythen und Lebenskreisen (1994),S.502. 129 Vielmehrwar den „deutschnationalen Kreisen die ,internationale‘, ja ,slawophile‘ Ausrichtung von Verein und Zeitschrifteinigermaßen suspekt“.Bockhorn:Von Ritualen, Mythen undLebenskreisen (1994), S. 504. 130 Michael Haberlandt hielt „schon 1911 den Grundgedanken,daß bei der Entste- hungund Ausgestaltung der Volkskunst die mythische Überlieferung des Volkes beteiligt gewesen sei, für ,vollständig irrig‘“. Bockhorn:Von Ritualen, Mythen und Lebenskreisen (1994), S. 502 (Anm. 282). IV.4. Konkurrenzen und Netzwerke 221

aufgrund seiner Arbeit Die Trinkwasserversorgung primitiver Völker die Venia Legendi für Ethnographie verliehen bekam und 1924außerdem zum außerordentlichen Professor ernannt wurde. Arthur Haberlandt führte Museum, Verein und Zeitschriftseines Vaters weiterund entwickelte 1926 die „Theorie der Lebenskreise“, die er als „Inbegriffder stetigen Erlebnisse einer MenschengruppeinHauswirtschaft, Beschäftigung und geselligem Dasein, aus denen ihre Bräuche, Sitten und Anschauungen erwachsen“,131 bestimmte. Diese „Lebenskreise“, die an das völkerkundliche Kulturkreis- Konzept angelehnt waren, versah er jedochmit einer Weltanschauung, die seinem Vater immer fremdgeblieben war:Abden späten 1920er Jahren insistierte er nämlich zusehends auch auf der „Bedingtheit nach […] Rassenentwicklung“132. Zur offiziellen Vertretung der universitären Volkskunde in Wien wurde bis Mitte der 1920er Jahre trotz vielfacher Bemühungen niemand ernannt. An den Universitäten in Köln,Marburg,Breslau, Heidelberg, Würzburg,Hamburg, Frankfurt am Main, Jena, Königsberg,Basel und Prag gab es schon eigene Lehrstühleoder zumindest Lehraufträge.133 Dass es in Wien bis 1939 nicht zur Einrichtung eines Lehrstuhls kam,lag zu einem Gutteil daran, dass sich die konkurrierenden Unternehmungen gegenseitig in Schach hielten und darauf bedacht waren,dass die jeweils andere Richtungkeine universitärenTitel oder Ämter zugesprochen be- kam, die ihnen selbst verwehrt blieben. Bei diesen Auseinandersetzungen, deren Verlauf im Folgenden in seiner Chronologie skizziert wird, ging es vor allem darum, wer offiziell die Bezeichnung Volkskunde bzw. Deutsche Volkskunde zugesprochen bekam. Lily Weiser war dabei, das soll vorweg- genommen werden, eine KarteimSpiel um die Volkskundedes Altertums- und Germanenkundlers Rudolf Much. Der erste Austragungsort, an dem der Machtkampf zwischen Rudolf Much, den ,Mythologen‘ und der Volkskunde Haberlandt’scher Ausrich- tung zutage trat,war das Habilitationsverfahren Arthur Haberlandts. Am 10. Dezember 1912 reichte dieser ein Gesuch um Verleihungder Venia Legendifür Allgemeine Ethnographie und Ethnologie sowie die Prähistorie der

131 Arthur Haberlandt:Taschenwörterbuch der Volkskunde Österreichs. Bd. 1 (1953), S. 99. 132 Arthur Haberlandt: Die volkstümliche Kultur Europas in ihrer geschichtlichen Entwicklung (1926);zit. n. Bockhorn:Von Ritualen, Mythen und Lebenskreisen (1994), S. 510. 133 Michael Haberlandt:Zur Stellung der Volkskunde im akademischen Unterricht (1926), S. 73–76. 222 IV.Lily Weiser (1898 –1987) außereuropäischen Erdteile ein.134 DieBehandlung des Gesuchs wurde aber von der Kommission, der auch Much angehörte, hinausgezögert:zunächst mit dem Argument, dass es inAnbetracht der erst zwei Jahre zuvor er- folgten Promotion „verfrüht eingereichtwar“, und danach mit der For- derung, dass Arthur Haberlandt mehr wissenschaftliche Publikationen vorzulegen habe.135 Erst bei der dritten Kommissionssitzung am 9. De- zember 1913, also fast ein Jahr nach Antragstellung, wurde schließlich eine Entscheidunggefällt. Diese nun fiel zwar formal zugunsten des Habilita- tionswerbers aus, beinhaltete jedoch wesentliche Einschränkungen. Zum einen wurde der Zusatz Ethnologie sowie die Prähistorieder außereuropäi- schen Erdteile gestrichen, mit der Erklärung, dass „aus den vorliegenden Arbeiten einebesondere ethnologische Betätigung des Petenten noch nicht genügend hervorgeht“136.Zum anderenwurde unter den Kommissions- mitgliedern darüber diskutiert, ob die Venia Haberlandts um den Zusatz Volkskunde erweitert werden sollte. Doch auch das wurde abschlägig ent- schieden, sodass Haberlandts Lehrbefugnisanstatt der beantragten Be- zeichnung Allgemeine Ethnographie und Ethnologie sowie die Prähistorie der außereuropäischen Erdteile schlussendlich stark verkürzt nur auf Ethno- graphie lautete.137 Damit war Arthur Haberlandt 1914mit seiner Habi- litation der offiziellen universitärenZuerkennung der akademischen Volkskunde um keinen Schritt näher gekommen als bereits sein Vater Michael Haberlandt bei seiner Habilitation Ende des 19.Jahrhunderts. Dessen Lehrbefugnis war 1892 nämlich ebenfalls auf Ethnographie fest- gesetzt worden. Mitdiesem Rückschlag ließensich Vater und Sohn Haberlandt von ihren Institutionalisierungsbemühungen um die Volkskunde aber nicht abbringen. Der nächste Versuch erfolgte 1922 mit der Beantragung des Titels eines Extraordinarius und eines eigenen mehrstündigen Lehrauftrags

134 Habilitationsgesuch von Arthur Haberlandt vom 10. Dezember 1912;UAW,Phil. Fak.,Zl. 656 ex 1912/13, PA 1843 Arthur Haberlandt. 135 Berichterstattung über das Habilitationsgesuch des Herrn Dr.Arthur Haberlandt vom 12. Dezember 1913;UAW,Phil. Fak.,Zl. 656 ex 1912/13,PA1843 Arthur Haberlandt. 136 Berichterstattung über das Habilitationsgesuch des Herrn Dr.Arthur Haberlandt vom 12. Dezember 1913;UAW,Phil. Fak.,Zl. 656 ex 1912/13,PA1843 Arthur Haberlandt. 137 DieHabilitation Arthur Haberlandts wurde am 6. Mai1914 vom Ministerium bestätigt. Brief des Ministeriums für Kultus und Unterricht an das Dekanatder philosophischen Fakultät vom 6. Mai 1914, UAW, Phil.Fak.,Zl. 656 ex 1912/13, PA 1843Arthur Haberlandt. IV.4. Konkurrenzen und Netzwerke 223

für Volkskunde für Arthur Haberlandt.138 Während die Auseinanderset- zungen um die Bezeichnung der Venia Legendivon Arthur Haberlandt zwar nicht unbedingt in seinem Sinne verliefen, aber dochrelativ rasch ein Ergebnis zeitigten, so führte dieser erneute Versuch, die universitäre Volkskunde in RichtungEthnographie zu ziehen, zu ungewöhnlichlang- wierigenVerhandlungen und schließlich zur wissenschaftlichen Denun- zierung Arthur Haberlandts, was sich bereits in der erstenSitzung der Kommission am 26.Februar1923 ankündigte:Das einzige Kommissi- onsmitglied, das für Haberlandt eintrat, war der Klassische Philologe Ludwig Radermacher, der es wichtig fand, dass „Volkskundeand.Uni- versität gelesen werde, wie in DeutschlandVk. gelesen wird“. Er äußerte „keine Bedenken gegenLehrauftrag“, da er der Meinungwar,dass das Professorenkollegiumsonst „keinen Ersatz“ gefunden hätte. Dieanderen Professoren bescheinigten Haberlandts Arbeiten aber „große[ ]Flüchtig- keit“ und attestierten ihnen,dass sie in ihrer „historische[n] Zusammen- stellung nichtgenügend“ seien. Am vehementesten gegen Haberlandt tra- ten Rudolf Much und sein Gesinnungsgenosse bei der Deutschen Gemeinschaft,der PrähistorikerOswald Menghin, auf:Much hielt Ha- berlandts Veröffentlichungennicht nur für „nicht reif genug“, sondern bezeichnete sie sogar als „ärgerniserregend“, vor allem beanstandete er,dass Haberlandt „keine histor.und sprachw.Bildung [hatte],die genügte“ – und die in Muchs Verständnis nur ein Germanist aufbringenkonnte. Menghin schlug indieselbeBresche:„In deutscher Volkskunde fehlen ihm die Voraussetzungen […].“ DieVerhandlung wurde daraufhin auf unbe- stimmte Zeit vertagt.139 Biszur nächsten Zusammenkunftverging fast ein ganzes Jahr.Am 22. Jänner 1924beschloss die Kommission, dass ArthurHaberlandt der Titel eines außerordentlichenProfessorsverliehenwerden sollte, über die Verleihung eines Lehrauftrags wurdeaber nicht verhandelt, mit der Be- gründung, dass „bei Abwesenheit v. Much“ keine Entscheidung getroffen werden könne.140 Much schien sich seiner Sachesicher gewesenzusein, denn er hattesich erst am selben Tagfür die Sitzung miteinemSchreiben entschuldigt, in dem er anmerkte, dass er wegen dieser „Zwischenfälle“ für

138 Antrag an das Dekanat der philosophische Fakultät für die Verleihung des Titels eines Extraordinarius an Arthur Haberlandtvom 13. Dezember 1922;UAW,Phil. Fak.,Zl. 378 ex 1922/23, PA 1843 Arthur Haberlandt. 139 Alle Zitate:Protokoll der Kommissionssitzung vom 26. Februar 1923;UAW,Phil. Fak.,Zl. 378 ex 1922/23, PA 1843 Arthur Haberlandt. 140 Protokoll der Kommissionssitzung vom 22. Jänner 1924;UAW,Phil. Fak.,Zl. 378 ex 1922/23, PA 1843Arthur Haberlandt. 224 IV.Lily Weiser (1898 –1987) sein Kolleg „schon so viele Stunden verloren habe“, dass er sich „nicht entschließen“ könne, „ohne zwingende Umstände eine weitereabzusagen“. „Gegen die geplante Titelverleihung habe [er]“, so Much abschließend, „übrigens nichts einzuwenden […].“141 Daraufhin wurde Arthur Haberlandt zwar der Titel eines außeror- dentlichen Professors verliehen,142 aber bezüglichdes Lehrauftrags passierte erneut über ein Jahr lang nichts, bis sich der von Michael Haberlandt,also dem Vater,geleitete Vereinfür Volkskunde der Sache annahm. In einem vierseitigen Brief vom 17. Februar 1925 forderten Michael Haberlandt als Präsident des Vereins, Eugen Oberhummer als Vizepräsident und Josef Weninger als Generalsekretär den damaligenRektor der Wiener Univer- sität, den Juristen Hans Sperl, dazu auf,„für eine angemessene Vertretung der Volkskunde an den Hochschulen Vorsorge zu treffen“. Dabei handelte es sich um einen „Wunsch“, so die Absender weiter,der „schon oftund von sehr beachtenswerten Stellen geäussert“ worden sei. Darüberhinaus wurde betont,dass auch„in studentischen Kreisen selbst der Wunsch seit Jahr und Tagrege ist über Fragen der Volkskunde und des Volkstums überhaupt, wie insbesondere der heimischen deutschen Volkskunde, wissenschaftlichen Aufschluss zu erhalten“. Der Hinweis auf deutscheVolkskunde war dazu geeignet, Rudolf Muchs Aufmerksamkeit zu erregen. Michael Haberlandt war aber klug genug, einen „Lehrauftrag[ ]für Volkskunde mit besonderer Berücksichtigung ihrer Realien“ zu fordern.143 Der Zusatz „mit besonderer Berücksichtigung ihrer Realien“ hatte freilich zu bedeuten, dass der Lehrauftrag eng an das Museum für Volkskunde und somit an Arthur Haberlandt gebunden werden sollte. Undtatsächlich trat die Kommission daraufhin, am 23. Mai1925, erneut zusammen und entschlosssich, Arthur Haberlandt beim Ministe- rium für einen Lehrauftrag für Europäische Volkskunde mit besonderer Be- rücksichtigungihrer Realien in Vorschlag zu bringen. „Europäische“ wurde deshalb eingefügt, da Rudolf Much alles daran setzte, die „deutsche [Volkskunde, E.G.] nicht betont [zu] wissen“; zum einen, weil Arthur Haberlandt, so Much, „nicht in derLage [sei], solch spezialisiertes Gebiet gut zu behandeln“, und zum anderen,weil sonst die Gefahr bestünde, den

141 Briefvon Much an den Dekan der philosophischen Fakultät vom 22. Jänner 1924; UAW, Phil. Fak.,Zl. 378 ex 1922/23, PA 1843 ArthurHaberlandt. 142 Bescheid des Bundesministeriums für Unterricht vom 4. April 1924;UAW,Phil. Fak.,Zl. 378 ex 1922/23, PA 1843 Arthur Haberlandt. 143 Alle Zitate:Brief von Michael Haberlandt, Eugen Oberhummer und Josef We- ninger an den Rektor der Wiener Universität vom 17. Februar 1925;UAW, Universitätskanzlei, Zl. 573 ex 1924/25, PA 1843 Arthur Haberlandt. IV.4. Konkurrenzen und Netzwerke 225

„Weg einem anderen [zu] versperren“.144 ArthurHaberlandt schien nach über drei Jahre andauernden Auseinandersetzungen sein Ziel erreicht zu haben, nur das Ministerium spieltenicht mit und verweigerteimNo- vember 1925 mit Hinweis auf die finanzielle Lage des Staats einen be- zahlten Lehrauftrag.145 Währendsich die Haberlandt-Fraktion noch um einen Lehrauftrag bemühte, hatte sich Rudolf Much schon darum gekümmert,den „ande- ren“, dem „der Weg“ nicht „versperrt“ werden sollte, zu finden. Ganz einfach kann das jedoch nichtgewesen sein, da Much Mitte der 1920er Jahre zwar einen immer größerwerdenden Studierendenkreis um sich scharte,aber erst mit einemeinzigen habilitierten Schüler aufwarten konnte.Dieser Schüler war AntonPfalz, der sich 1919 für Geschichte der deutschen Sprache und der älteren deutschen Literatur habilitiert hatte, mit einer volkskundlichen Ausrichtung der Germanistik abereigentlich nichts anfangen konnte.146 Dessen ungeachtetbeantragte Much (mit Unterstüt- zung von Walther Brecht und Dietrich Kralik) am 5. November 1925, also noch bevor der Lehrauftrag für Arthur Haberlandt offiziell vom Minis- terium abgelehnt worden war,für Pfalz einen systemisiertenvolkskund- lichen Lehrauftrag im Umfang von drei Stunden.147 Diedaraufhin ge- bildete Kommission trat bereits am 27. November1925 zusammen und musste von Much vorher informell zusammengestellt worden sein, denn ihr gehörte kein einziger Vertreter oder Unterstützer der konkurrierenden volkskundlichen Richtungen an. Siebestand zum Großteil aus Muchs KollegenamInstitutfür Germanistik.148 Angesichts dieser Zusammen- setzung verwundertesnicht, dass ohne Diskussion,innur einer einzigen Sitzung, einstimmig beschlossen wurde, für Pfalz einen Lehrauftrag für

144 Alle Zitate:Sitzungsprotokoll vom 23. Mai 1925;UAW,Phil. Fak.,Zl. 607 ex 1925, PA 1843 Arthur Haberlandt. 145 Vgl. Brief des Dekans der philosophischen Fakultät an das Bundesministerium für Kultus und Unterricht vom 14. November 1925;UAW,Phil. Fak.,Zl. 607 ex 1924/25, PA 1843 Arthur Haberlandt. 146 Anton Pfalz hatte sich 1919 mit der Arbeit Suffigierung der Personalpronomina im Donaubairischen, Reihenschritte im Vokalismus habilitiert und beschäftigte sich vor allem mit österreichischen und bayerischen Dialekten. 147 Antrag von Walther Brecht, Dietrich von Kralik und Rudolf Much an die phi- losophische Fakultät vom 5. November 1925;UAW,Phil. Fak.,Zl. 242 ex 1925/ 26, PA 2872 Anton Pfalz. 148 Der Kommission gehörten die Germanisten Robert Franz Arnold, Walther Brecht, Eduard Castle, Max Hermann Jellinek und Rudolf Much sowie der Mineraloge Friedrich Johann Becke, der Romanist Karl Ettmayer,der Linguist Paul Kret- schmer und der Anglist Karl Luick an. 226 IV.Lily Weiser (1898 –1987)

Deutsche Mundartenforschung und Volkskunde zu beantragen.149 Undtat- sächlich bewilligte das Ministerium bereits mit Entscheid vom 11. März 1926 den Antrag der philosophischen Fakultät –von der angespannten staatlichen Finanzlage war nicht mehr die Rede.150 Anton Pfalz, der Dia- lektforscher,war damit der erste offiziell vom Ministerium eingesetzte Lehrende der Volkskunde an der Universität Wien. Dieöffentliche Aufregung über diese wissenschaftlich nicht be- gründbare Entscheidung ließ nicht lange auf sich warten. Michael Ha- berlandt reagierte bereits in der darauffolgenden Ausgabe der Wiener Zeitschriftfür Volkskunde mit einer heftigen Kritik: Es muß dazu nun allerdings zunächst festgestellt werden, daß Prof. Dr.Anton Pfalz im eigentlichen Arbeitsbereich derwissenschaftlichen Volkskunde überhaupt und so auch der deutschen Volkskunde […] bisher mit keiner Leistunghervorgetreten ist. Undwar bisher davon öffentlich abzusehen, daß der genannte Vertreter der Wiener Germanistik in einer ganz auffälligen Oratio pro domo (im Rahmen eines am 24. Februar d. J. im Verein der Germanisten an der UniversitätWien gehaltenen Vortrages) [–] nicht ohne persönlich verletzende Bemerkungen –das wissenschaftliche Zusammenar- beiten mitdem Kreise um das Wiener Museumfür Volkskunde abgetan hat, sofern er sich zu der Behauptung verstieg, nur derGermanist könne in wis- senschaftlichemSinne Volkskundebetreiben, so muß nun doch allen Ernstes die Frage erhoben werden,obLaut- undWortforschung auf demGebiet der österreichischen Mundarten, wie sie dieser Forscher vertritt, als ein „Haupt- gebiet der Volkskunde“ angesehen werden kann.151 Haberlandt bestritt weiters, dass sich „das Arbeitsgebiet der germanischen Philologie auch nur entfernt mit dem Arbeitsgebiet selbst der deutschen Volkskunde, geschweige der Volkskunde überhaupt“ decke, und zielte damit auf dem Umweg über Pfalz auf Much, der in den einzelnen Kommissionssitzungen immer die Ansicht vertreten hatte, dass nur ein philologisch geschulterWissenschaftler auch Volkskundler sein könne. Haberlandt machte sich in seinem Artikel für die Selbständigkeit der Volkskunde als Disziplin stark und erklärte, dass diese „auf dem Gebiet der materiellen Kultur […] vollkommen auf eigenen Füßen steh[e]“, wodurch sie „in Oesterreich zu jener umfassenden und methodisch fundierten

149 Protokoll der Kommissionssitzung betreffenddie Verleihung des Titels eines Extraordinarius und Lehrauftrages an den Privatdozenten Dr.Anton Pfalz vom 27. November 1925, UAW, Phil. Fak.,Zl. 242 ex 1925/26,PA2872 AntonPfalz 150 Briefdes Ministeriumsfür Unterricht an das Dekanat der philosophischen Fakultät vom 26. März 1926;UAW,Phil. Fak.,Zl. 242 ex 1925/26, PA 2872 AntonPfalz. 151 Michael Haberlandt:Zur Stellung der Volkskunde im akademischen Unterricht (1926), S. 75. IV.4. Konkurrenzen und Netzwerke 227

Wissenschaftvom Volke in allen seinen Lebensäußerungender Arbeit, der Kunst, des Brauchtums und der geistigen Ueberlieferungengelangt“ sei.152 Den Haberlandtsnützte dieses letzte Aufbegehren gegen die Über- macht der Germanistik im Bereich der Volkskunde in Wien jedoch nichts mehr.Rudolf Much antwortete daraufmit einer kurzen,nüchternge- haltenenReplik, in der er feststellte, dass „Dr.Pfalz […] anhand von Beispielen gezeigt[habe], daß sprachgeschichtliche, historische und geo- graphische Kenntnisse auf dem Gebiet der volkskundlichenForschung unbedingt nötig sind“, undwennPfalz „gegen den Dilettantismus scharf Stellung nahm […],sowar dies alles sachlich gerechtfertigt“.153 Unter- schreiben ließ Much dieseErklärung, die Vater und Sohn Haberlandtzwar indirekt, aberunübersehbar der Unwissenschaftlichkeit bezichtigte, von einer ganzen RiegeanUniversitätsprofessoren, unter ihnen der Ägyptologe Wilhelm Czermak, der Altgermanist Dietrich von Kralik, der Prähistoriker Oswald Menghin, der RomanistKarl Ettmayer und der Slawist und Al- tertumskundler Carl Patsch. Derletzte Schritt in Sachen Alleinvertretung der Volkskundedurch die Germanistik an der Universität Wien fehlte Much aber noch:Bislang war es keinem der konkurrierenden Unternehmen gelungen, eine Venia Leg- endi für Volkskunde für sich in Anspruch zu nehmen. Much kümmerte sich 1926auch darum. Dievon ihm geförderten, volkskundlich interes- sierten Studierenden waren aber zum großen Teil noch zu jung:Otto Höfler,Robert Stumpfl und Richard Wolfram hatten geradeerst pro- moviert,154 Siegfried Gutenbrunner stand noch am Anfang seines Studi-

152 Alle Zitate:Michael Haberlandt:Zur Stellung der Volkskunde im akademischen Unterricht (1926), S. 75–76. 153 Much u.a.:Erklärung (1927), S. 15. 154 Alle drei promovierten 1926 (im selben Jahr,indem Weiser ihr Habilitations- gesuch einreichte) bei Much und habilitierten sich danach(ebenfalls wie Weiser) zu germanischen Männerbünden. Das Jahr 1926 kann also als Beginn des von Much systematisch und planmäßig betriebenen Aufbaus einer Schule angegeben werden. Otto Höfler schrieb seine Dissertation Über das Genus der deutschen Lehnwörter im Altwestnordischen und Altschwedischen (1926), RobertStumpflüber Das evange- lische Schuldrama in Steyr im 16. Jahrhundert (1926) und Richard Wolfram über Ernst Moritz Arndt und Schweden (1926). –Die Nähe der ,Männerbündler‘ un- tereinander zeigte sich nicht nur in ihrem Forschungsprogramm, sondern auch im privaten Bereich:Soheiratete Otto Höfler 1939 –nach dem tödlichen Ver- kehrsunfall Robert Stumpfls zwei Jahre zuvor –dessen Witwe Hanna Stumpfl,geb. Spitzy. 228 IV.Lily Weiser (1898 –1987) ums.155 So blieb ihm Lily Weiser,die ihre ungewöhnlich dünne, mit 96 Seiten im Vergleichmit allen anderen zeitgenössischen germanistischen Habilitationsschriften um durchschnittlich 250 Seiten kürzere Arbeit156 AltgermanischeJünglingsweihen und Männerbünde am 6. November 1926 als Manuskript im Dekanatder philosophischen Fakultät der Universität Wien einreichte und sogleich mit dem Gesuch verband, ihr die Lehrbe- fugnis für Germanische Altertums- und Volkskunde zu verleihen.157 Dabei handelte es sich um Gebiete, die, wie Much in seinem Bericht betonte, „in gleicherUmgrenzung und Bezeichnung an einer deutschen, der Ham- burger Universität durch eine besondere Lehrkanzel vertreten sind“158.Die zur Beratung eingesetzteKommission bestand erneut, wie es bei Ansuchen von Rudolf Much meist der Fall war,nur aus freundlich gesinnten Kol- legen. Dietrich von Kralik, MaxHermann Jellinek, Paul Kretschmer, Oswald Menghin, Friedrich Johann Becke, Ludwig Radermacher,Alfons Dopsch, Othenio Abel und Anton Pfalz beschlosseninihrer ersten Sitzung am 24. Mai1927 jeweils einstimmig, dass „dasgewählte Fach […] zu den Fachgebietender Fakultät“ gehöre, dass „Frau Dr Weiser für das Hoch- schullehramt persönlich qualifiziert“ sei und dass sie auch „die fachliche Eignung hiezu“ besitze.159 Damit war die Zusammenkunftnach 45 Mi- nuten beendet und Weiser zum Habilitationskolloquium, bei dem Rudolf Much, Dietrich von Kralik und MaxHermann Jellinek als Prüfer fun-

155 Gutenbrunner begann sein Studium im Wintersemester 1925/26 und promovierte 1931 bei Much mit der Arbeit MüllenhoffsAltertumskunde im Lichte der heutigen Wissenschaft. Die Germanen und Kelten. Stammeskunde. 156 Zum Vergleich die Seitenzahlen der anderen Habilitationsschriften, die in den 1920er Jahren an der Wiener Germanistik eingereichtwurden:Christine Tou- aillon:Der Frauenroman des 18. Jahrhunderts (1919), 664 Seiten; Marianne Thalmann:Der Trivialroman und der romantische Roman(1923),326 Seiten; Herbert Cysarz:Deutsche Barockdichtung (1924), 311 Seiten;Heinz Kinder- mann: J.M.R. Lenz und die deutsche Romantik (1925),367 Seiten;Franz Koch: Goethe und Plotin (1925), 263 Seiten;Walter Steinhauser:Die Genetivischen Ortsnamen in Österreich (1927), 213 Seiten;Edmund Wießner:Heinrich Wittenwilers Ring (1931), 345 Seiten. Der einzige Habilitand, dessen Arbeit dünner als 200 Seiten geriet, war Hans Rupprich:Willibald Pirckheimer und Albrecht Dürers erste Reise nach Italien (1930), 137 Seiten. 157 Habilitationsgesuch von Lily Weiser vom 6. November 1926;UAW,Phil. Fak., Zl. 267 ex 1926/27, PA 3686 Lily Weiser. 158 Kommissionsbericht vom 26. Mai1927, UAW, Phil. Fak.,Zl. 267 ex 1926/27,PA 3686 Lily Weiser.–Die Professur für Deutsche Altertums- und Volkskunde in Hamburg hatte seit 1919 der germanophile VolkskundlerOtto Laufferinne. 159 Protokoll der Kommissionssitzung vom 24. Mai 1927, UAW, Phil. Fak.,Zl. 267 ex 1926/27, PA 3686 Lily Weiser. IV.4. Konkurrenzen und Netzwerke 229

gierten,160 und zum Probevortrag mit dem Titel „Zur Psychologie der mündlichen Tradition“zugelassen.161 Undnachdemalles „den gesetzlichen Bestimmungen entsprechend“befunden worden war,bestätigte das Mi- nisterium am 4. August 1927 die Verleihungder Lehrbefugnis an Lily Weiser.162 Rudolf Much konntetrotz des so reibungslos verlaufenden Verfahrensinseinem offiziellen Kommissionsbericht nicht umhin, darauf hinzuweisen, dass mit der Habilitation Lily Weisersbezüglich der Volks- kunde „die Gefahrdes Dilettantismus“ nungebanntsei, weil Weiser „ihre streng wissenschaftliche Schulung auf dem Boden einerälteren, gut aus- gebautenwissenschaftlichen Disziplin gewonnen hat“.163 Diesen Seiten- hieb auf Michael und Arthur Haberlandt wiederholte Much in einer Rezension, die er Weisers Altgermanischen Jünglingsweihen und Männer- bünden am 15. April 1928 in der Oberdeutschen Zeitschriftfür Volkskunde widmete, indem er dort die Ethnographie zur Hilfswissenschaftder Ger- manistikdegradierte.164 Diese akademischen Spitzen waren kurz daraufaber nichtmehr not- wendig.Vielmehr stellte Rudolf Much in den folgenden Jahren den an- deren Volkskundeanwärtern „die Garde der [von ihm, E.G.] germanistisch ausgebildeten Volkskundler gegenüber[ ]“165,die sich allesamt mit dem Thema ,Männerbund‘ beschäftigten:Otto Höflers Habilitationsschrift von 1931 erschien unter dem Titel Kultische Geheimbünde der Germanen, Robert Stumpfl widmetesich 1934 den Kultspielen der Germanen166 und

160 Das Habilitationskolloquium fand am 24. Juni 1927 statt. Sitzungsprotokoll vom 24. Juni 1927, UAW, Phil. Fak.,Zl. 267 ex 1926/27, PA 3686 Lily Weiser. 161 Der Probevortrag fand am 5. Juli 1927 statt. Sitzungsprotokoll vom 5. Juli 1927, UAW, Phil. Fak.,Zl. 267 ex 1926/27, PA 3686 Lily Weiser. 162 Brief desMinisteriums für Kultus und Unterricht an das Dekanat der philoso- phischen Fakultät vom 4. August 1927;UAW,Phil. Fak.,Zl. 267 ex 1926/27, PA 3686 Lily Weiser. 163 Kommissionsbericht vom 26. Mai 1927 (Berichterstatter:Rudolf Much);UAW, Phil. Fak.,Zl. 267 ex 1926/27, PA 3686 Lily Weiser. 164 Much:Lily Weiser,Altgermanische Jünglingsweihen und Männerbünde[Rez.] (1928). 165 Bockhorn:Von Ritualen, Mythen und Lebenskreisen (1994), S. 514. 166 Robert Stumpfl wechselte nach seinem Wiener Studium nach Berlin,blieb der Much’schen ,Männerbundschule‘ aber treu:Erhabilitierte sich 1934 bei Julius Petersen mit der Arbeit Kultspiele der Germanen als Ursprung des mittelalterlichen Dramas (Druck:Berlin 1936) und machte in der Folge in der Theaterwissenschaft Karriere. –Zum Einfluss des germanischen Forschungskonzepts der Much-Schüler auf die Theaterwissenschaftvgl. Kröll:Theater- und Kulturgeschichtsschreibung für eine ,germanische ZukunftEuropas‘ (2009). 230 IV.Lily Weiser (1898 –1987)

Richard Wolframerhielt die Venia Legendi 1936 für seine Arbeit Schwerttanz und Männerbund. AufMuchs Nachwuchsforscher waren weder die Ethnographennoch die ,Mythologen‘ mit eigenen Schülern zu reagieren im Stande, weil ihnen der universitäre Status fehlte. Als Mitte der 1930er Jahre Otto Höfler und Richard Wolfram lautstark die Vertretung der germanistischen Volkskunde im Sinne Muchs übernahmen, war Lily Weiser aber längst in Oslo und kümmerte sich, so hat es den Anschein, nichtmehr um ihren ehemaligen Lehrer und dessen ,Männerbundschule‘. Sieist weder in den Festgaben zu Muchs 70. Geburtstag 1932 mit einer Gratulationsadresse vertreten,167 noch hat sie wie alle anderen ,Männerbündler‘ vier Jahre später einen Nachruf auf ihn verfasst.

167 Als Festschriften sind erschienen:Verzeichnis der Schriften von Rudolf Much (1932);Zschocke: Das urzeitlicheBergbaugebiet von Mühlbach-Bischofshofen (1932);Neustein:Der Mythos der Flaminganten (1932). Resümee

1933 war die erste Phase der Privatdozentur von Frauen an der Wiener Germanistik nach nurzwölf Jahren wieder zu Ende. Lily Weiser war 1928 nach Oslo ausgewandert, Christine Touaillon im selben Jahr gestorben und MarianneThalmann emigrierte 1933 in die USA. Eine Nachfolge oder Kontinuität in der Lehr- und Forschungstätigkeit von Wissenschaftlerin- nen am Institut für Germanistik bildete sich nicht. Erst 1955, mehrals zwanzig Jahre später,wurde mit der Altgermanistin Blanka Horacek erneut einer Wissenschaftlerin die Venia Legendi verliehen. Dass in den 1920er Jahren überhaupt drei Frauen dem Lehrkörper der WienerGermanistik angehören konnten, hing mit einer besonderen Konstellation, d.h. mit der Gemengelage tiefgreifender institutioneller, fachlicher und personalpolitischer Veränderungen zusammen. Geradezu dieser Zeit kam es an der Wiener Germanistik zu einemBruch der pro- fessoralen Erbfolge und des germanistischen Schulzusammenhangs, zu einer krisenhafterfahrenen Konfusionund Differenzierung der wissen- schaftlichen und methodischen Ausrichtung des Fachs, zu einembedeu- tenden Prestigeverlust der Privatdozentur und zu einerVervielfachung der Studierendenzahlen. Das Zusammentreffendieser Veränderungen, die für sich genommen keinenoder nur geringen Einfluss auf die Geschlechter- verteilung an der Universitäthatten, bestimmte, wie gezeigt wurde, durch seine Gleichzeitigkeit die Positionierungsmöglichkeiten und die Aner- kennungvon Frauen im Wissenschaftsbetrieb wesentlich mit. Zunächst ließ sich feststellen, dass die Lehrstuhlbesetzungen an der WienerGermanistik nach einer Konsolidierungsphase, die von 1848 bis 1868 dauerte, einem klaren Berufungsmechanismus folgten. Dabei wur- den sowohl die Professuren für das neuere als auch für das ältere Fach nach denselben Kriterien besetzt:Inbeiden Fachbereichen wurde der Nach- folger vom jeweiligen Vorgänger gezielt ausgesucht, er hatte in Wien oder an einer anderen Universität bei Wilhelm Scherer studiert, musste Österreicher sein und einem von der Fakultät vertretenen Konzept der schulischen Kontinuität entsprechen, das die wissenschaftliche und ethi- sche Ausrichtung auf philologische Prämissen des Fachs mit einschloss. Bis zum Jahr 1912 standen damit alle Berufungen an der Wiener Germanistik im Zeichenselbstverständlicher,d.h.auch konfliktfreier Traditionsbe- 232 Resümee wahrung, die auch ein klares Innen und Außen des akademischenBetriebs definierte. Diese Ordnung der Professorenfolge änderte sich grundlegend, als 1912Jakob Minor,Inhaber der neugermanistischen Professur,starb.In den darauffolgenden äußerst konfliktreichen Verhandlungen um seine Nachfolge entstand eine Art Patt-Situation zwischen Vertretern der phi- lologischorientierten Germanistengeneration,die für die Weiterführung der bisherigen Berufungskriterien eintrat, und Vertretern moderner wis- senschaftlicher Strömungen, die die auf Österreicher und Scherer-Schüler konzentrierten Auswahlmechanismen zu durchbrechen suchten. Darüber hinaus wurden von einzelnen, am Auswahlprozess beteiligten Wissen- schaftlern mit Nachdruck eigene Interessenvertreten, sodass trotz zäher, zwei Jahre dauernder Auseinandersetzungen dem Ministerium kein mehrheitliches Ergebnis übermittelt werden konnte. Schließlich wurde 1914 ein für Fakultät und publizistische Öffentlichkeit überraschender Kompromisskandidat nach Wien berufen:der deutsche Geistesge- schichtler Walther Brecht. Dabei handelte es sich um eine Entscheidung, die innerhalb der Universität und von der Tagespresse, die sich massiv in den Auswahlprozess einschaltete, als Katastrophe und Bankrotterklärung der Wissenschaftwahrgenommenwurde. Tatsächlich beendete die Amtszeit Walther Brechts, der bis 1926die neugermanistischeProfessur in Wien bekleidete, einen Schulzusammen- hang, in dem unter Berufung auf Wilhelm Scherer eine philologisch orientierte und auf Österreich konzentrierteWissenschaftsauffassung vertreten wurde. Walther Brecht selbst hatte, wie die Analyse seiner Pu- blikationen zeigte, in Bezug auf den Widerstreit zwischen Positivismus und Geistesgeschichte kein klar definiertes eigenes wissenschaftliches Profil. Vielmehr lässt er sich als Integrations- und Übergangsfigur in einer Zeit scharferinnerfachlicher Positions- und Generationskonflikte begreifen. Gerade seine Offenheit, was methodischeAusrichtungen und thematische Schwerpunktsetzungen anging, führte aber auch dazu, dass aus seinen Lehrveranstaltungen eine große Zahl späterer Universitätsgermanisten hervorging, die dann sehr unterschiedliche wissenschaftliche Schwer- punkte setzte. Nicht zuletzt ermöglichte Brechts wissenschaftlicheund habituelle Offenheit denn auch die im deutschenSprachraum zeitgenös- sisch singuläre Integration von Frauen in dieUniversitätsgermanistik. Hinzu kam,dass es in der Zeit von Brechts Professur zu einer zu- nehmenden Disproportion von Lehrendenund Lernenden kam:Während sich die Zahl der Studierenden seit der Jahrhundertwende mehr als ver- sechsfacht hatte, blieb die Anzahl der Professuren nahezu gleich.Das be- deutete zum einen, dass die Aufrechterhaltung des laufendenLehrbetriebs Resümee 233 nur aufgrund der Privatdozenten gewährleistet werden konnte, zum an- deren führte diese Disproportion aberauch zu einer klaren Statusschwä- chung dieserakademischenBerufsgruppe. Wardie Privatdozentur bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts eine zeitlich begrenzteÜbergangsphase ge- wesen, auf die mit hoher Wahrscheinlichkeit nach Ablauf weniger Jahre die Professur folgte, so erhielt in den 1920er Jahren nur noch ein Bruchteil der Privatdozenten tatsächlich einen Lehrstuhl. Dass die Privatdozentur im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts keine Aussicht mehr auf eine Univer- sitätskarrieregarantierte,führte zu einem massivenPrestigeverlust, der mitverantwortlich dafür war,dass nun auch Frauen zur Privatdozentur zugelassen wurden. Walther Brechtverließ die WienerUniversität1926 aufgrund der hohen Arbeitsbelastungander Germanistik, woraufhin sein langjähriger Freund und Kollege Paul Kluckhohn seine Nachfolgeantrat. Kluckhohn förderte Brechts Schüler,Privatdozentenund Privatdozentinnen in dessen Sinne weiter und führte einen von Brechts Schülern, Hans Rupprich,zur Habilitation. Habilitationen von Frauen fanden während Kluckhohns kurzer Wiener Amtszeit, die nur bis 1931 andauerte, nicht mehrstatt. Ein klares Ende der Privatdozentur von Frauen lässtsich aber erst mit der Berufung Josef Nadlers imselbenJahrerkennen. Nadler galt als unkollegial und schwierig;tatsächlich versuchte er bereits kurz nach seinem Amts- antritt, die den Extraordinarien vorbehaltenen Proseminare an sich zu ziehen und die Schüler seiner Vorgänger zu behindern. MitAusnahme von Hans Rupprich verließen sie dann auch alle zu Beginn der 1930er Jahre die WienerUniversität. Mitden Anforderungen des Massenstudiumskonnte Nadler jedoch ausgezeichnet umgehen;erhielt seine Vorlesungen in den größten Hörsälen der Universität, und die Attraktivität seiner Lehrver- anstaltungen für Studierende war mit ausschlaggebend dafür, dass 1935das Auditorium Maximum gebaut wurde. Doch obwohl Nadler weit mehr Dissertationen betreute als alle seine Vorgänger,konntesich im neueren Fach während der 14 Jahre seiner Wiener Professur nicht nur keineFrau habilitieren, sondern überhaupt keinWissenschaftler. Dieerste in Wien habilitierteGermanistinwar Christine Touaillon, die im Wintersemester 1897zuden ersten Studentinnen der Universitätge- hörte und ihr Studium 1905bei Jakob Minor abschloss. Touaillon ver- suchte zunächst, an der Universität Graz zur Privatdozentur zugelassen zu werden. Wie die Analyse dieses Verfahrenszeigt, scheiterte ihr Ansinnen nicht nur an der explizit misogynen Haltung der Grazer Fakultät,sondern auch an einem Machtkampf zwischen Universitätund staatlicher Unter- richtsbehörde. Währendman sich staatlicherseits für die Gleichberechti- 234 Resümee gung von Männern und Frauen bei Habilitationsverfahren einsetzte, be- anspruchte die Universität Graz für sich einen Autonomiestatus, der die alleinige Auswahl des akademischen Personals durch die Universität – ungeachtet rechtlicher Vorgaben –mit einschloss. Dass Touaillons An- sinnen in Wien 1921 schließlich Erfolg beschieden war,hing zum einen damit zusammen, dass mit der RomanistinElise Richter 1907 bereits einer Frau an der philosophischen Fakultät die Venia Legendi verliehen worden war,demnach keine grundsätzlich ablehnendeHaltung gegenüber der rechtlichen und politischen Gleichstellung von Frauen und Männern mehr eingenommen werden konnte;zum anderen aber auch mit der Bereitschaft Walther Brechts, Touaillons Habilitationsverfahren zu betreuen. Nicht zuletzt waren auch TouaillonsForschungsthema und Titel der Habilita- tionsschrift Der deutscheFrauenroman des 18. Jahrhunderts entscheidend. So war Literatur von Frauen innerhalb der Deutschen Philologie in Wechselwirkung mit der Professionalisierung des literarischen Feldes ab dem späten 18. und frühen 19.Jahrhundert zunehmend marginalisiert worden. In der universitären Forschung waren Frauen vor allem als Musen, Geliebte und Briefpartnerinnen kanonisierterAutoren oder unter dem Prädikat ,weiblich‘als Gruppe von Eigenschaften, die die ,Natürlichkeit‘ einer Entwicklung anzeigen sollte, präsent. Touaillons wissenschaftliche Spezialisierung bedeutete, dass sie sich nicht in den Kanon der ,bedeu- tenden‘ Forschungsthemen einschrieb und damit nicht mit ihren männ- lichen Kollegen in Konkurrenz trat, was zeitgenössischals durchweg positiv wahrgenommen wurde und zu ihrer Akzeptanz als Privatdozentinbeitrug, ihr es gleichzeitig aber auch verunmöglicht hat, sich außerhalb dieses Nischenthemas zu profilieren. Dieambivalenteste Figur unter den Wiener Privatdozentinnen war Marianne Thalmann,die sich 1924 mit der Arbeit Der Trivialromanund der romantischeRoman ebenfalls für das neuere Fach habilitierte. Thalmann markierte mit der Titelgebung ihrer Habilitationsschriftund der promi- nenten Setzung des Begriffs ,Trivialroman‘, den sie als Fachterminus ein- führte, ebenfalls die Behandlung eines Nischenthemas. Diese wissen- schaftliche Selbsteinordnung Thalmanns mag mit strategischen Überlegungen zur Zulassung von Frauen zur Privatdozentur zu tun gehabt haben. Tatsächlich beschäftigt sich ihr Buch nämlich mit der literarischen Romantik, die in den 1920er Jahren zur meistbehandelten Epoche in- nerhalb der Germanistik avancierte. Darüber hinaus schrieb sie sich mit ihrer Studie in die zeitgenössisch vielbeachtete Auseinandersetzung um eine geistesgeschichtlich ausgerichtete Literaturwissenschaftein, in der davon ausgegangen wurde, dass nicht nur der Inhalt, sondern vor allem die Resümee 235

Darstellung eine besondere Form der Erkenntnis ermöglichte. Diese zwischenKunst und Wissenschaftangesiedelte Arbeit fand ihre stärkste Rezeption demgemäß auch nicht innerhalb des universitären Feldes, sonderninThomas Manns Roman Der Zauberberg von 1924,inden einzelne Passagen der Habilitationsschriftteilweise wörtlichübernommen wurden.Nach ihrer Habilitation konzentriertesich Thalmann auf den innersten Kanonder germanistischenForschungsgegenstände, sie schrieb über Johann Wolfgang Goethe und und näherte sich in Die Anarchie im Bürgertum (1932) den antidemokratischen, ansonsten fast ausschließlichvon Männern getragenen intellektuellen Ideen der ,Kon- servativen Revolution‘. In Wien wurde ihr inzwischen als erster Frau der Titel einesaußerordentlichen Professors verliehen,1933 nahm sie indes einen Rufans Wellesley CollegeinMassachusetts an, wo sie bis zu ihrer Emeritierung1953 als Full Professor of German lehrte. Dieeinzige der drei Privatdozentinnender Wiener Germanistik in den 1920er Jahren, die sich nicht im neueren Fach habilitierte, war Lily Weiser, der 1927 für ihre Arbeit AltgermanischeJünglingsweihen und Männerbünde die Venia Legendi für GermanischeAltertums- und Volkskunde verliehen wurde. Weiser kam aus der Schule des Altgermanisten Rudolf Much, der eine frühe Zelle des akademischen Antisemitismus bildete. Much war daran gelegen, die Germanistik nicht als Literaturwissenschaftzubetrei- ben, sondernals eine an einzelnen Wörtern und archäologischen Gegen- ständen interessierte Germanenforschung, in der es vor allem darum ging, eine seit dem Altertum kontinuierlich bestehende Überlieferunggerma- nischerSitten und Bräuche zu behaupten. Dass große Lücken in der Quellenlage diesem Ansinnen keinenAbbruch taten, zeigte bereits Weisers Dissertationsschrift Jul. Weihnachtsgeschenke und Weihnachtsbaum (1923), in der sie zu beweisen suchte, dass das zeitgenössischeWeihnachtsfest von Fruchtbarkeitsriten einervorchristlich-germanischen Zeitabstammte.Im Zentrum von Muchs wissenschaftlichen und institutionellen Bemühungen stand aberWeisers Habilitationsschrift Altgermanische Jünglingsweihen und Männerbünde,inder sie behauptete, dass jegliche moderneGemein- schaftsbildung ihren Ursprung in germanischen Potenzfeiern hatte. Institutionell von Bedeutung war diese Habilitationsschrift, da sie den jahrzehntelangen Streit um die Vorherrschaft innerhalb der universitären Volkskunde,die Much allein als Germanenkunde betrieben sehen wollte, vorerstbeendete. Diemit Much konkurrierenden Ethnologen hatten je- denfalls das Nachsehen, als der Germanistin Weiser 1927die Venia Leg- endi für Germanische Altertums- und Volkskunde verliehenund somit das erste Malinder Geschichte der WienerUniversität der Begriff Volkskunde 236 Resümee nominell festgeschrieben wurde. Weiser selbst verließ die Universität be- reits 1928, zog nach Oslo und trat erst wieder im Nationalsozialismus als Mitarbeiterin und Vertrauensfrau der ,Wissenschaftsorganisation‘ der SS, des Ahnenerbes,inErscheinung. Die,Männerbundschule‘, als deren erste Habilitandin Weiser fungierte, wurde schließlich mit zahlreichen weiteren, von Much betreuten Habilitationen in den 1930er Jahren zu einer uni- versitätspolitisch mächtigen Ideologie- und Forschungsgemeinschaft. Das 1933 mit Marianne Thalmanns Emigration anzusetzende Ende der universitären Lehrtätigkeit von Frauen an der Wiener Germanistik ging einher mit der zunehmenden Politisierung der Professorenschaft, die spätestens ab Ende der 1920er Jahre überwiegend antisemitische und deutschnationale Ideologien vertrat. Wie Studien zur Wiener Germanistik im Nationalsozialismus zeigen, hatten die Veränderungen der akademi- schen LandschaftimNationalsozialismus auch wesentlichen Einfluss auf die Auswahl der als Mitgliederder Universität akzeptierten Wissen- schaftler. Welche Rolle den Frauen an der Wiener Germanistik dabei zukam, bedürfte einer weiteren Untersuchung. Zum einen war es für Frauen im Nationalsozialismus gerade durch eine explizite ideologische Haltung möglich, universitär Karriere zu machen, zum anderenendete die relative Offenheit der Wiener Germanistik mit Beginn der 1930er Jahre und der gleichzeitig stattfindenden Entdemokratisierung des Universitätsbetriebs. Doch nicht nur über den Status und die Akzeptanzvon Wiener Germa- nistinnen während des Nationalsozialismus fehlen eingehendeAnalysen, sondern auch über die Zeit nach 1945. Besonderes Augenmerk müsste dabei der Rolle und Aufgabe der Privatdozentur gewidmet werden. Er- schwert werden diese Forschungen durch die (damalige) Sammlungspolitik maßgeblicher Archive,die sich vor allem um Nachlässe erfolgreicher Männer bemühten. So warestrotz intensiver Recherchen in verschiedenen Universitäts-, Literatur- und historischen Archiven, in Amtsgerichten, bei noch lebenden Familienangehörigen und in Privatsammlungen nicht möglich, die Nachlässe von ChristineTouaillon und Marianne Thalmann ausfindig zu machen. Interessant wären diese Nachlässe vor allem für ex- plizit biographische Forschungen.Eine multiperspektivisch angelegte Analyse des Wissenschaftsbetriebes der Wiener Germanistik, ihrer Fach- und Institutionengeschichte, wie sie in der vorliegenden Studie unter- nommen wurde, beruhthingegen auf der Zusammenschau einer Vielzahl komplexer Quellen aus unterschiedlichen Sammlungen. Anhang Siglen

AdRArchivder Republik AVA Allgemeines Verwaltungsarchiv BSB BayerischeStaatsbibliothek (München) DLADeutsches Literaturarchiv (Marbach) H.I.N. Handschrifteninventarnummer Jur. Fak. Juristische Fakultät MCU Ministerium für Kultus und Unterricht Med. Fak. Medizinische Fakultät ÖStA Österreichisches Staatsarchiv PA Personalakt Phil. Fak. PhilosophischeFakultät Rez. Rezension SoSe Sommersemester Theol. Fak. Theologische Fakultät UAG Universitätsarchiv Graz UAMUniversitätsarchivMünchen UAWUniversitätsarchiv Wien UB Universitätsbibliothek WiSeWintersemester WStLAWiener Stadt- und Landesarchiv Zl. Zahl Literatur- und Quellenverzeichnis 1. Archivquellen

1.1. Universitätsarchiv Wien

Personalakten der Philosophischen Fakultät: –PA1113 Walther Brecht –PA1843 Arthur Haberlandt –PA3844 Theodor Georg von Karajan –PA2216 Paul Kluckhohn –PA2647 Jakob Minor –PA2681 Rudolf Much –PA2713 Josef Nadler –PA2872 Anton Pfalz –PA3282 WilhelmScherer –PA3328 Erich Schmidt –PA3135 Josef Seemüller –PA3433 Marianne Thalmann –PA3450 Karl Tomaschek –PA3462 Christine Touaillon –PA3686 Lily Weiser Rigorosenakten der PhilosophischenFakultät: –RA4532Marianne Thalmann –RA1887Christine Touaillon, geb. Auspitz –RA5387Elisabeth Weiser Rigorosenprotokolle der Philosophischen Fakultät: –1914–1927 Sitzungsprotokolle des Professorenkollegiums der Philosophischen Fakultät: –1848–1933 Weitere Dokumente: –Verweis für Stefan Hock wegen Vernachlässigung der Amtsverschwiegenheit; Phil. Fak.,Zl. 868 ex 1913/14 –Denkschrift der Privatdozenten derUniversitätWienvom 12. Jänner 1919; Phil. Fak.,S29 Privatdozenten –Kommissionsbericht betreffend die Habilitation von Frauen an der philoso- phischen Fakultät derUniversitätWien vom 21. November 1919;Phil. Fak., S03Frauenstudium (Erlässe) –Akademischer Verein der Germanisten in Wien;Senat, S164.72 240 Literatur- und Quellenverzeichnis

1.2. Andere österreichische Archive und Bibliotheken

Adalbert-Stifter-Institutdes Landes Oberösterreich –Nachlass Franz Koch

Institut für Geschichte der Universität Wien, Sammlung Frauennachlässe –Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit, Zweig Österreich, NL. I/ 39a, 523–1–4

ÖsterreichischeNationalbibliothek –Brief von Christine Touaillon an Elise Richter vom 8. März 1920; Hand- schriftensammlung, Autogr.266/47–1 Han. –Brief von Christine Touaillon an Elise Richter vom 30. Mai 1923;Hand- schriftensammlung, Autogr.266/47–2 Han. –Postkarte von Marianne Thalmann an JosefNadler vom 20. März 1923; Handschriftensammlung, Autogr.409/30–1 Han. –Brief von August Sauer an Bernhard Seuffert vom 29. April 1923; Hand- schriftensammlung, Autogr.423/1–624 Han. –Brief von Marianne Thalmann an Josef Nadler vom20. Oktober 1926; Handschriftensammlung, Autogr.409/30–2 Han.

Österreichisches Staatsarchiv Allgemeines Verwaltungsarchiv: –Unterlagen zur Nachfolge Jakob Minors;MCU, Zl. 32739 ex 1913, Zl. 37083 ex 1913, Zl. 38890 ex 1913, Zl. 39831 ex 1913, Zl. 45157 ex 1913, Zl. 55234 ex 1913 –Unterricht allgemein, Professoren und Lehrkräfte: Anstellungen, Rang, Entlassungen 1912–1914 –Unterricht allgemein, Universität Wien, Philosophie Professoren, PA Walther Brecht –Unterricht allgemein, Universität Wien, Philosophie Professoren, PA Christine Touaillon –Unterricht allgemein, UniversitätWien, Philosophie Professoren, PA Ru- dolf Much Kriegsarchiv: –Nachlass Walther Heydendorff B/844/11

Universitätsarchiv Graz –Habilitationsgesuch und Nachtrag zum Habilitationsgesuch von Christine Touaillon vom 24. und vom 30. Juni 1919;Phil. Fak.,Zl. 1529ex1918/19 –Protokoll der8.ordentlichen Sitzung des Professorenkollegiums der philoso- phischen Fakultätder Universität Graz vom 11. Juli 1919(Schriftführer: Richard Meister);Phil. Fak.,Zl. 1640 ex 1918/19 –Habilitationsausweis derphilosophischen Fakultät derUniversität Graz für das Studienjahr 1919/20;Phil. Fak.,Zl. 2007ex1919/20 –Brief von Otto Glöckel an die österreichischen Universitäten vom 18. Oktober 1919;Rek.,Zl. 474 ex 1918/19 1. Archivquellen 241

–Brief desRektors Cuntz an die theologische Fakultät der Universität Graz vom 30. Oktober 1919; Theol. Fak.,Zl. 73 ex 1919/20 –Protokoll der2.ordentlichen Sitzung des Professorenkollegiumsder rechts-und staatswissenschaftlichenFakultätder UniversitätGraz vom7.November 1919;Jur.Fak.,Zl. 303 ex 1919/20 –Stellungnahme der medizinischen Fakultät der Universität Graz zur Zulassung von Frauen zur Privatdozentur, o.D. [November 1919];Med.Fak.,Zl. 300 ex 1918/19 –Protokoll der2.ordentlichen Sitzung des Professorenkollegiums der theologi- schen Fakultät der Universität Graz vom 24. November 1919(Schriftführer: Anton Michelitsch);Theol. Fak.,Zl. 118 ex 1919/20 –Stellungnahme derphilosophischen Fakultät der Universität Graz zurZulassung von Frauen zur Privatdozenturo.D.[2. Dezember 1919];Phil. Fak.,Zl. 558 ex 1919/20 –Protokoll der3.ordentlichen Sitzung des Professorenkollegiums der philoso- phischen Fakultät derUniversität Graz vom 5. Dezember 1919 (Schriftführer: Franz Faltis);Phil. Fak.,Zl. 580 ex 1919/20 –Brief vonChristine Touaillon an das Dekanat der philosophischen Fakultätin Graz vom 3. Oktober 1920;Phil. Fak.,Zl. 72 ex 1920/21

Wienbibliothek im Rathaus –Nachlass WilhelmBörner –Nachlass Auguste Fickert –Nachlass Rosa Mayreder –Nachlass August Sauer

Wiener Stadt- und Landesarchiv –Akademischer Verein der Germanisten;M.Abt. 119, A32:92/1926

1.3. Archive und Bibliotheken in Deutschlandund den USA

Bayerische Staatsbibliothek München –Nachlass Carl von Kraus

Deutsches Literaturarchiv Marbach –Bestand: Deutsche Vierteljahrsschriftfür Literaturwissenschaftund Geistes- geschichte –Bestand: Paul Kluckhohn –Brief von Heinrich Touaillon an J.-G.-Cotta’sche Buchhandlung Stuttgart vom 11. September 1929

Universitätsbibliothek Heidelberg –Nachlass Lili Fehrle-Burger

Wellesley College Archive –Biographical Files Marianne Thalmann 242 Literatur- und Quellenverzeichnis 2. Gesetzestexte

Verordnung des Ministers für Cultus und Unterricht an die Rectorate sämmtlicher Universitäten vom 6. Mai1878betreffend die Zulassung von Frauen zu Universitäts-Vorlesungen. In: Verordnungsblatt für den Dienstbereich des Mi- nisteriums für Cultus und Unterricht Stk. 11 (1878) Nr.15, S. 47–48. Verordnung desMinisters für Cultus und Unterricht vom 11. Februar 1888be- treffend die Habilitirung [!]der Privatdozenten an Universitäten. In: Reichsgesetzblatt für die im Reichsrathe vertretenen Königreicheund Länder Stk. 6. (1888) Nr.19, S. 41–43. Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Inneres und Unterricht vom 2. September 1920 betreffenddie Zulassung und die Lehrtätigkeit der Privatdozenten an den Hochschulen (Habilitationsnorm). In: Staatsgesetzblatt für dieRepublik Österreich Stk. 124 (1920) Nr.415,S.1643–1647. Verordnung des Bundesministeriums für Unterricht […] vom 23. Mai 1934[…] betreffend die Zulassung und die Lehrtätigkeit der Privatdozenten an den Hochschulen (Habilitationsnorm). In: Bundesgesetzblatt für den Bundesstaat Österreich Stk. 16 (1934) Nr.34, S. 100–101.

3. Vorlesungs- undDissertationsverzeichnisse der Universität Wien

Alker,Lili: Verzeichnis der an der Universität Wienapprobierten Dissertationen 1937–1944. Wien:Kerry1954. [Gebauer,Franz:] Verzeichnis über die seit dem Jahre1872ander philosophischen Fakultätder Universität in Wieneingereichten und approbierten Dissertatio- nen.4Bde.,hg. vom Dekanate derPhilosophischen Fakultät derUniversität in Wien. Wien:Gerold 1935–1937. Öffentliche Vorlesungen an der K.K.Universität zu Wien. Wien:Holzhausen 1897– 1918. Öffentliche Vorlesungen an der Universität zu Wien. Wien:Holzhausen 1919– 1938.

4. Literatur

[Anonym:] HofratProfessorDr. Minor.In: Neue Freie Presse (Nr.17289) vom 10. Oktober 1912, S. 12. [Anonym:] Eine Neuberufung an die Wiener philosophischeFakultät. In: Neue Freie Presse (Nr.17383) vom 14. Jänner 1913, S. 9. [Anonym:] VomWiener germanistischen Seminar.In: Neue Freie Presse (Nr.17384) vom 15. Jänner 1913, S. 6. [Anonym:] DieBesetzung der Lehrkanzel Minors. In: Neue Freie Presse (Nr.17794) vom 10. März 1914(Abendblatt), S. 5. 4. Literatur 243

[Anonym:] Zur Neubesetzung der Lehrkanzel ProfessorMinors. In: Neue Freie Presse (Nr.17795) vom 11. März 1914, S. 9. [Anonym:] Der Nachfolger Minors in Wien. In: Reichspost (Nr.116)vom 11. März 1914, S. 8. [Anonym:] Vereinsvorstand 1917[desAllgemeinen Österreichischen Frauenver- eins].In: Neues Frauenleben 20 (1918) H. 4/5, S. 92. [Anonym:] Verband der akademischenFrauen Oesterreichs [1].In: Neue Freie Presse (Nr.20727) vom 14. Mai 1922, S. 10. [Anonym:] Verband der akademischenFrauen Oesterreichs [2].In: Neue Freie Presse (Nr.20735) vom 22. Mai 1922, S. 5. [Anonym:] Lily Weiser,Jul [Rez.].In:Wiener Zeitschriftfür Volkskunde 28 (1923), S. 96. [Anonym/Verlagsprospekt:] Deutsche Kultur.In: Akademischer Verein der Ger- manisteninWien (Hg.): Germanistische Forschungen.Festschriftanlässlich des 60semestrigen Stiftungsfestes des Wiener Akademischen Germanistenvereins. Wien:Österreichischer Bundesverlag 1925, S. 257–258. [Anonym:] Konferenz über Gleichberechtigung der Frauen in Oesterreich. In: Mitteilungen der Ethischen Gemeinde Nr.11(Mai1927), S. 111–121. [Anonym:] Gedenkfeier für Dr.Christine Touaillon [1].In: Mitteilungen der Ethischen Gemeinde Nr.14(Mai 1928), S. 151. [Anonym:] Gedenkfeier für Dr.Christine Touaillon [2].In: Mitteilungen der Ethischen Gemeinde Nr.15(September 1928), S. 172. [Anonym:] Die Wahlbewegung. In:[Linzer] Tages-Post (Nr.245)vom 21. Oktober 1930 (Mittagblatt), S. 7. [Anonym:] Oesterreicherin als Universitätsprofessorin in Amerika. In: Neues Wiener Journal (Nr.13891) vom 23. Juli 1932, S. 4. [Anonym:] „Volksentscheid“ für einen neuen Hörsaal. In: Wiener Neueste Nach- richten (Nr.3513) vom 23. Dezember 1934, S. 5. [Anonym:] Wolfgang Schultz zum Gedächtnis. In: Volk und Rasse 11 (1936), S. 442–444. [Anonym:] Marianne Thalmann. In: Frauen-Rundschau. Organ des Bundes öster- reichischer Frauenvereine 6(1951), S. 1und S. 4. Abbott, Scott H.:„Der Zauberberg“ and the German Romantic Novel. In: Ger- manicReview 55 (1980) H. 4, S. 139–145. Akademischer Verein der Germanisten in Wien (Hg.): Germanistische Forschungen. Festschriftanlässlich des 60semestrigen Stiftungsfestes des Wiener Akademischen Germanistenvereins. Wien:Österreichischer Bundesverlag 1925. Alker,E[rnst]:Marianne Thalmann, Henrik Ibsen [Rez.].In: Zeitschriftfür deutsche Philologie 54 (1929), S. 487–488. Allmayer-Beck, Johann Christoph:Die bewaffnete Macht in Staat und Gesell- schaft. In:Wandruszka, Adam;Urbanitsch, Peter (Hg.): Die Habsburger- monarchie 1848–1918. Bd.5:Die bewaffnete Macht. Wien:Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1987, S. 1–141. Arnold, Robert Franz:Jakob Minor [Nekrolog].In:Euphorion 20 (1913), S. 789– 801. Arnold, Robert Franz:Christine Touaillon [Nekrolog].In: Die Literatur 30 (1928),S.643–644. 244 Literatur- und Quellenverzeichnis

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Aall, Anathon185 Benda, Oskar 52, 174 Abbott, Scott H. 159 f. Benndorf,Hans95 Abel, Othenio228 Benzenhöfer,Udo 160 Adler,Guido 23, 26, 28 –31 Berthold, Luise 2 Adorno, Theodor W. 162 Berthold, Werner 50 Albrecht, Sophie 104 Beschliesser,Elisabeth 135 Alker,Ernst 143 Besser-Walzel, Leo 196 Alker,Lili1 Bettel,Florian 6 Allmayer-Beck, Johann Christoph 89 Beyer-Fröhlich, Marianne 66 f. Alt, Johannes 73 Bick, Josef 87 Amann,Paul 160 Bilfinger,Gustav 198,200 Andreas-Salomé, Lou 136 Binder,W.80 Angel, Franz 94 Birkhan, Helmut 88, 189, 195 Angell,Joseph Warner 159 Birn, Marco 2 Anzengruber,Ludwig167,172 Birnbaum, Bella 135 Arnim, Achim von80, 90, 149 Bockhorn, Olaf 184 f.,197,216 f., Arnim, Bettina von, geb.Brentano 219–221, 229 130, 135 Böckmann, Paul 153 Arnim, Hans von 23, 26, 30 f. Boden, Petra 73, 79 Arnold, Robert Franz 22, 36, 78, 82, Bodmer, Johann Jakob 105 84, 87, 90, 101,136–138,225 Bogner,Marie 136 Aschkenazy,Amalie 135 Boltzmann,Ludwig 19 Assinger,Thomas 6 Bonitz, Hermann 7f. Auspitz, Leopold 89 Bonk, Magdalena 41, 43, 63, 68, 73 f. Borchardt, Rudolf 62, 164 Baeumler,Alfred 53 Börner,Wilhelm 91, 136 Bahr,Hermann 172 Bourdieu, Pierre1 Ballin, Fritz 163 Bovenschen, Silvia 121, 127 Balter,Sylvia 135 Brachtl, Maria 136 Barner,Wilfried 174 Brecht, Adelheid, geb.Koenen 44 f. Bartels, Adolf 35 Brecht, Erika, geb. Leo 40, 45 f.,51, Bartsch, Karl 8 59, 61, 70, 74 Batsany,Gabriele 135 Brecht, Walther 3, 29–31, 33 f.,36– Bausinger,Hermann 198 53, 55–79, 82, 86, 88, 100 f., Becke, Friedrich Johann 101, 225, 139 f.,142, 177, 179,225,232– 228 234 Becker,Philipp August 23, 26, 29 f. Breitmann, Hans181 Becker-Cantarino, Barbara 127,130 Brentano, Clemens 80, 104, 115,130, Behr,Emilie 135 146 Behrs, Jan159 Brinker-Gabler,Gisela 129 Personenregister 273

Bronnen, Arnolt 167,172 Eberstaller,Hildegard 135 Brüggemann, Fritz 155 f. Ebner-Eschenbach,Marie von 135 Bubenicˇek, Hanna 137 f. Eckert, Brita 50 Büchner, Georg 172, 176 Egglmaier,HerbertH.7,13 Bühler,Charlotte 2 Ehs, Tamara 83 Bühler,Georg 220 Eichendorff,Joseph von 80, 146 Burdach,Konrad 13 Eliade, Mircea207 Bürger,Christa 125 f. Elkuß, Siegbert 153 Burger,Fritz 139 Elster,Ernst 29–31, 33 Bürger,Gottfried August 110 Emmerich, Wolfgang 217 Bürger,Peter 126 Engelbrecht, Helmut 90 Engster,Hermann 208,216 Castle, Eduard 13–15, 21 f.,30, 54, Ettmayer,Karl von 100 f.,225, 227 58, 78, 82, 84–87, 134,178, 225 Eulenberg, Herbert176 Celtis, Konrad 193 Euripides 112 Christen, Ada 134 f. Eybesfeld,Conrad von 11 f. Cohen, GaryB.21 Coronini-Cronberg, Carmen2 Faerber,Sigfrid 8, 14 f.,20–22, 38, Cotta, Friedrich 114 48, 65 Creizenach, Wilhelm33 Fehrle, Eugen183,207,213, 216 Cuntz, Otto 95, 98 Fehrle-Burger,Lili 139 Cysarz, Herbert40, 62 f.,68, 74 f., Feist, Sigmund 195 82, 86, 140, 158, 175,178, 228 Feßler,Ignaz Aurelius 111, 148 Czermak, Wilhelm196, 227 Fickert, Auguste 90 f. Fickert, Emil 90 Dainat, Holger 38, 80, 123–125, 174 Fiedeldey-Martyn, Cornelia 124,174 Dalberg, Heribert 114 Fischer,Karoline Auguste 104,115– Dalcroze, Jaques 117 119, 133 David, Benno von 12 f. Fliedl, Konstanze 6 Dehmel, Richard48 Fliegelmann, Rosa 90 Demant, Karoline 135 Fohrmann, Jürgen 122, 124,173 Dickmann, Elisabeth 2 Francke, August Hermann 106 Diener,Karl 101 Franz Joseph I. 11–13, 15, 39, 192 f. Dilthey,Wilhelm38, 46 f.,67, 74, Freud,Sigmund 167, 169,208 154, 175 Freyer,Hans174 Dingee, Grace 181 Fricke, Gerhard 70 Dittler,Emil178 Friedrichs, Elisabeth 123 Dittmann, Ulrich 41, 62 Fritsch-Rößler, Waltraud122 Dollfuß, Engelbert 196 Fronius, Helen 125 Doppler,Bernhard 135 Fuchs,Heide 7f., 11 Dopsch, Alfons 66, 76 f.,196, 228 Fulda, Ludwig124 Doublier,Gertrud135 Dowden, Stephen D. 182 Gallas, Helga 125 Dressel, Gert 80 Garnier,T.D. 140 Droste-Hülshoff, Annette von 142 Gassen, Kurt 175 Dürer,Albrecht82, 228 Gebauer,Franz 1 Gehmacher,Johanna 180 Ebering, Emil 140 Gelber,Mark H. 182 274 Personenregister

Gellert, Christian Fürchtegott 105 Haider-Pregler,Hilde 84 Gennep, Arnold van 208 f. Hanausek, Gustav 95 George, Stefan 62, 134,142, 176 Handel-Mazzetti,Enrica von 135 f. Geramb, Viktor Ritter von 183 Harders, Levke 2 Gerhard, Melitta 2, 181 Hartl, Robert 66 Gernot, Fritz 136 Hasenclever,Walter 172 Gervinus, Georg Gottfried 131 Hassencamp, Robert 130 Giese, Fritz 151 Hauer,JakobWilhelm208, 215 Gindl, Lörincz148 Hauler,Edmund 101 Gleim, Johann WilhelmLudwig 110 Hauptmann, Gerhart 117, 170, 172 Gleispach, Wenzel 80 Hausen, Karin 104,126 f. Glöckel,Otto 91, 94, 98 f. Hausmann, Frank-Rutger181 Glockner,Hermann 143 Haym, Rudolf 129,140 f.,153 Goedeke, Karl 104 Hayneccius, Martin 66 Goethe, Johann Wolfgang 13, 28, 42, Hebbel, Friedrich 167, 172, 176 49, 56, 64, 70, 108,110,112, 114, Heberdey,Rudolf 94 118, 122, 124, 128,130,140, 151, Heindl, Waltraud 1, 90 153, 177,181 f.,228,235 Heine, Heinrich 51, 142,177 Gohl, Astrid 42 Heinse, Wilhelm41, 45, 51, 110 Goldstein, Fanni 136 Heinzel, Richard 9–11, 13–17, 24, Goldstern, Eugenie 220 33, 90, 188–192,196 Gönner,Rudolf 7 Helmer,Katharina 135 Gottschall, Rudolf 122 f.,129 Henz, Rudolf 66 Gottsched, Johann Christoph 105 Herder, Johann Gottfried 110, 112, Grabenweger, Elisabeth 7, 80, 89 175 f.,193 Greiner,Martin 152 Herzog-Hauser,Gertrud 2 Grienberger,Theodor von 84 Hettner,Hermann 129 Grillparzer,Franz 27, 54, 56, 172 Heusler,Andreas 208,215 Grimm, Horst 196 Heydebrand, Renate von 125 f.,128 Grimm, Jacob 8, 38, 42 f.,187 f., Heydendorff,Walther 89, 91 f.,99 191, 193,212, 219 Hille, Curt 141, 143 Grimm, Wilhelm212 Himmler,Heinrich 185 Grolman, Adolf von131 f.,141 Hippel, Theodor Gottlieb von 118, Groß, Heinrich 122 151 Grosse, Carl Friedrich August 148 Hitler,Adolf 69, 196 Gruber,Christine 84 Hock, Stefan 22, 25 f.,30, 35, 37– Grützmacher,Richard163 40, 82, 84 Gundolf,Friedrich 60 f.,144, 154, Hoffmann, E.T.A. 146,149, 158,176 159, 174 f. Höflechner,Walter51, 99 Gutenbrunner,Siegfried 82, 227 f. Höfler,Hanna, verw. Stumpfl227 Höfler,Otto 82, 184 f.,187–189, Haberlandt, Arthur 183 f.,205, 208, 193, 195 f.,206, 216,227,229 f. 220–225, 227, 229 Hofmann, Elisabeth 2 Haberlandt, Michael 205,217,219– Hofmannsthal, Gerty von 71 222, 224,226 f.,229 Hofmannsthal, Hugo von 40 f.,49, Hacker, Hanna90 53, 58–62, 66, 70, 73, 75, 164, Hacker, Nina 6 169, 172 Hahn, Karl August 8 Hohendahl, Peter Uwe 123 Personenregister 275

Hohlbaum, Robert 35 Kellermann, Hermann 49 Höhne, Steffen 11 Kellner, Rolf 152 Holberg, Eleutherie 128 Kernbauer,Alois 98 Hölderlin, Friedrich 64, 176 Kiesant, Knut 68 Hollmann, Elisabeth 104 Kindermann, Heinz 46 f.,62, 67–70, Holtzmann, Adolf 193 82, 86, 140, 228 Holz, Arno 142 Kirsch, Mechthild 69 Homer 112 Kirschstein, Corinna 28 Hopf,Karl 87 Klausnitzer,Ralf 80, 153–155, 164 Höppner,Wolfgang 20, 29, 55, 70, Klopstock, Friedrich Gottlieb 64 122, 124,190 Kluckhohn, Paul 47, 58, 61, 64, 66 – Horacek, Blanka 4, 231 69, 71, 74–82, 86–88, 92, 144, Horch, Franz 66 154, 177,233 Huber,Therese 104, 135 Knabe, Barbara 104 Huch, Ricarda 135 Koberstein, August 129 Hugvon Hugenstein, Antonie 90 Koch, Franz 70, 82, 86, 140, 175, Humboldt, Wilhelmvon 112–114, 178 f.,181, 228 118 Kofler,Walter 8 Hume, David 109 Kohlund, Johanna 2 Hupka, Josef 81 Kokoschka, Oskar 139 Hüsing, Georg 217–219 Kolk, Rainer 80, 173 Kommerell, Max 175 Ibsen, Henrik 69, 141–143,158, König, Anna-Maria 197 176 f. König, Christoph 38, 41, 58 f. Immermann, Karl 51 Korff,Hermann August 154,175 Ingrisch, Doris 80 Korn, Uwe Maximilian 28 Körner, Christian Gottfried 114 Jacobi, Friedrich Heinrich 114 Körner, Josef 90, 141,188 f. Janssen, Albrecht 163 Kosch, Wilhelm180 Jean Paul 66, 176, 181 Köster, Albert 28 f.,31, 33 f.,46, 66, Jellinek,Felicitas 135 100, 111,175 Jellinek,Max Hermann 31, 83, 87, Kralik,Bertha 2 90, 100 f.,225,228 Kralik,Dietrich von 67, 76 f.,80, 82, Jerusalem, Wilhelm 91, 104 178, 186,192, 195, 216,225, Joël, Karl 152 227 f. Judersleben, Jörg 42 f. Kraus,Carl von 15–20, 23, 25–37, Jung-Stilling, Johann Heinrich 151 39, 44, 46, 60, 62 f.,72f.,83, 191, Junk, Viktor 82, 84 194 Kraus,Karl 19, 35, 40 Kaiser,Georg 176 Krcˇal, Katharina 6 Kalb, Charlotte von 104 Kretschmer,Paul 101, 225,228 Kant, Immanuel 112 Kreuzer,Helmut 152 Karajan, Theodor Georg von 7f. Kriegleder,Wynfrid 84 Karsch,AnnaLouisa 131 Kriss, Rudolf 82 Kater,Michael H. 185 Kröll, Katrin 229 Katz, Martha 136 Kruckis, Hans-Martin 124 Kelle, Carl von 17 Kühn, Friederike Henriette 104 Keller,Gottfried 177 Kulka, Leopoldine 90 276 Personenregister

Kuntze,Friedrich 158 Marggraf,Stefanie97 Kurz,Hermann 69 Marriot, Emil [i. e. Emilie Mataja] 91 Kurz,Isolde 135 f. Martus, Steffen 159 Kurzke, Hermann 164 Mateeva, Anna S. 214 Kvideland, Reimund 205 Maync, Harry131,175 Mayreder,Rosa 91 f.,136 La Roche, Sophie von 103, 106–108, Meier, John 205 126 f.,129 f. Meier, Mischa 214 Lachmann,Carl42–44, 188, 190 Meinecke, Friedrich 164 Lachs,Minna 81 f. Meissl, Sebastian 6, 50, 55, 76, 86 f., Lämmert, Eberhard38 104, 134,177, 181, 192 f.,196 Lamprecht, Karl 155 Meister,Richard 79, 85 f.,94, 185 Lasch,Agathe2 Mendelssohn, Moses115 Lasker-Schüler,Else 136 Mendheim, Max 131 Laube, Heinrich 66 Menghin, Oswald 196, 223,227 f. Lauffer,Otto 228 Menhardt, Hermann 178 Lebensaft,Elisabeth 91 Mereau, Sophie 104, 130, 135 Lebner,Melanie 135 Meringer,Rudolf 90, 189 Leitner,Erich 138 Merker,Paul 133,155 Leitner,Rainer 99 Meschke, Kurt 206 Lenau, Nikolaus 142 Meves, Uwe 7 Lenz, Jakob Michael Reinhold 69, 228 Meyer,Conrad Ferdinand 51–53, 64, Leo, Friedrich 45, 50 75, 142 Lévy-Bruhl, Lucien 208 Meyer,Richard Moritz 35, 174 Lexer,Matthias 9f., 203 Meyer-Lübke, Wilhelm 23, 26, 30 f., Leyen, Friedrich von der 41 189, 192 Lichtenberger-Fenz, Brigitte 80 f. Meysenbug, Malwida von 135 Liebert, Arthur 174 Michel, Hermann 131 Liebeskind, Meta 103 Michelitsch, Anton 95 Liggi, Julia 135 Michler,Werner 6f., 9, 38, 50, 53 f., Liliencron, Detlev von 134 83, 122 f.,187,190, 196 Lindner,Albert70 Miegel, Agnes 135 f. Linsbauer,Karl 95 Minor,Jakob 2, 13–16, 20–26, 28 – Loeper,Gustav von130 31, 33, 35–40, 46–48, 54, 58, Lohmann,Friederike 103 64 f.,70, 77, 82 f.,90, 129, 140, Ludecus, Amalie104 153, 157,174, 191, 232 f. Ludwig, Otto 167 Mises, Ludwigvon 174 Ludwig, Sophie 104 Mohler,Armin 172 Luick, Karl 23, 30 f.,76, 100 f.,225 Möhrmann, Renate 138 Lund, Allan A. 195, 214 Mörike, Eduard64, 142 Lützeler, Heinrich 143,173 Moser, Johann Jacob 66 Möser,Justus 110 Mahrholz, Werner 153 Motte Fouqué, Friedrich de la 149 Maler Müller [i.e. Friedrich Müller] Much,Rudolf 4, 16–18, 23, 25–27, 110 30 f.,39, 66, 76 f.,82f.,101,178, Manheimer,Victor 45 183 f.,186–189, 191–198, 204– Mann, Thomas 62, 159–163, 177, 206, 208,215–230,235 f. 235 Much,Wolf Isebrand 197 Personenregister 277

Mudrak, Edmund 219 Patzelt, Erna 2 Müllenhoff, Karl 13, 42 f.,193,208, Payer von Thurn, Rudolf 68, 82 212 f.,228 Payr,Martina 69 Müller,Dorit 68 Peter,Birgit 69 Müller,Friedrich 219 Petersen, Julius 73, 79, 140,153 f., Müller,Günther 86 f. 229 Müller,Hans-Harald 6, 9, 14, 38, 68, Petsch, Robert 131 f. 122, 190 Peuckert, Will-Erich 206 Müller,Johannes 110 Pfalz,Anton 67, 76 f.,82, 178, 225– Müller,Josef 203 228 Müller-Kampel, Beatrix 99 Pfeiffer, Franz 8–10 Muncker,Franz 62, 73, 139 f. Pfungst, Artur 136 Munz, Helene 90 Pichl, Friedrich Gustav 196 Pichler,Karoline 135 Nadler,Josef 47, 55 –58, 62, 72, 74, Pineau, Léon 141 76, 79, 86–88, 155–157,175– Piorreck, Anna 135 180, 233 Pirckheimer,Willibald 82, 228 Nagl, Johann Willibald 54, 134 Planer,Franz 180 Naubert, Benedicte 104,108–112, Platen, August von 51 129, 148 Plato 112 Naumann, Hans 218 Plotin 70, 228 Neuenhagen, Wilhelmine 104 Polheim, Karl 95 Neumann, Angela 135 Politzer,Antoinette 135 Neumann, Michael 160 f. Posch, Herbert 6, 80 Neustein, Erwin 230 Pranter, Gertraud 135 Newald, Richard 142 f.,175 Prilipp, Beda 131 Niem, Christina 185 f.,205 f. Prutz, Robert 122 f.,128 f. Nietzsche, Friedrich 152,159 Pupini, Therese 135 Nigg, Marianne 122 Nimmervoll, Eduard 180 Rabenlechner,Michaela 136 Nottscheid, Mirko 6, 8f., 14 Radermacher,Ludwig 223, 228 Novalis 80, 90, 146,149 f. Raff, Helene 135 f. Nunes, Maria Manuela 161 Raimund, Ferdinand 166,172 Ranzmaier,Irene 55, 87 f.,181 Oberhummer,Eugen224 Rasp, Dorothea 135 Obermann,Hermine 135 Ratzel, Friedrich 209 Oehlke, Waldemar 131 Rausse, Hubert 131, 143 Oels, David41, 44–46, 48 f.,51, Redlich, Friederike 136 58 f.,65, 70, 74 f. Redlich, Oswald 23, 26, 29 –31, 101 Opitz, Martin 64 Rehm, Walther 73 Osterkamp, Ernst 5, 41 f.,59–62, 73, Reichert, Hermann 195 159 Reifenberg, Benno 50 Ostwald, Wilhelm 33 Reik, Theodor 208 Reinhardt, Max84 Palleske, Emil 129 Richardson, Samuel 107 f. Panoff, Irmgard135 Richter,Elise 2, 99 f.,102, 136 f., Pataky, Sophie 122, 125 180, 234 Patsch, Carl 227 Richter,Myriam 6, 138 278 Personenregister

Ridderhoff, Kuno 130 Schiller, Friedrich 28, 49, 64, 70, 104, Riegl, Alois 142 112–115, 151 Riehl, WilhelmHeinrich 197, 219 Schindel, CarlWilhelm Otto August Riemann, Robert 131 f. von 104, 125 Rilke,Rainer Maria 142,177 Schipper,Jakob 23, 26, 30 Rittershaus, Adeline 2 Schlegel, August Wilhelm110, 114 Robertson, William 109 Schlegel, Dorothea 104,115 Röcke,Werner 5 Schlegel, Friedrich 114 f.,146,149 f. Roethe, Dorothea 44 Schlenkert, Friedrich Christian 111 Roethe, Gustav 41–46, 48–50, 65, Schmidt, Erich 11–15, 20, 23 f., 72, 124, 140 28 f.,33, 35, 37, 39 f.,42, 46, 73, Rohrwasser,Michael 6 78, 108, 124,129 f.,174, 189 Rosar,Wolfgang 66, 77, 196 Schmidt, Julian122 f. Rosenberg, Alfred 69, 219 Schmidt, Leopold 218 Rosenberg, Rainer 173 Schmidt-Dengler,Wendelin 6f., 9, Roth, Joseph 49 f.,65, 68 f. 38, 87, 123 Rothacker,Erich 74, 80 Schmitt, Carl 164 Rousseau, Jean-Jacques 108, 117 Schneider,Eulogius 107 f. Ruck, Nora 6 Schneider,Ferdinand Josef86, 151 Runge, Anita 125 Schnitzler,Arthur 167, 170–172 Rupprich, Hans82, 87, 140,177– Schöck-Quinteros, Eva2 179, 228,233 Schönbach, Anton 11, 14, 90 Schönerer,Georgvon 196 Schoppe,Amalia 135 Saar,Ferdinand von 91 Schröder,Edward 13, 41–46, 65, 72 Sachs, Hans 135 Schröder,Rudolf Alexander 48, 62 Sagar,Maria 104 Schroeder,Leopold von 23, 25 f., Salburg, Edith Gräfin von 135 217–219 Salomon, Ludwig122,130 Schücking, Levin L. 156 Sand, George 135 Schulenburg, Sigrid von der 67 Sarnetzki, Detmar Heinrich 158 Schulte-Sasse, Jochen 126,152 f. Sauer, August 11, 13 f.,22–31, 35 – Schultz, Franz 175 39, 54 f.,57f., 68, 83, 100 f., Schultz, Theodor 181 131–133, 157 f.,174,194 Schultz, Wolfgang 219 Sauerland, Karol 174 Schumann, Andreas49, 122 Schabert, Ina 108 Schurtz, Heinrich 208 Schade, Oskar 9 Schüssel, Therese 136 Schaeffer,Albrecht48 Schütz, Karl Julius 108 Scharfetter,Rudolf 95 Schwalm, Fritz 185 Scheer, Rainer 160 f.,163 Schwarzwald, Eugenie 139 Schelling, Caroline, gesch. Schlegel Schweizer-Sidler,Heinrich 207,212 f. 114, 129 f. Schwyzer,Eduard 207,212 f. Schelling, Friedrich 130 See, Klaus von 43, 193 f.,205,208, Schenda,Rudolf 153 211, 215 f. Scherer,Wilhelm 6, 8–14, 20, 23– Seemüller,Josef 11, 15–18, 23–26, 25, 33, 37 f.,40, 42 f.,46, 54, 78, 54, 82 f.,191 83, 121 f.,141, 153,174 f.,187 f., Seidl, Franziska 2 190 f.,215, 231 f. Seppi, Andrea 160 f.,163 Personenregister 279

Seuffert, Bernhard 13 f.,23f., 26, Thalmann, Marianne 2–5, 62, 68 – 28–32, 35, 37, 39 f.,54, 59, 90, 70, 82, 139–153,156–182,186, 92, 95, 129, 139, 158 228, 231,234–236 Seuse, Heinrich 135 Thoma,Ludwig 48 Seyß-Inquart, Arthur 196 Thon,Eleonore 103 Shakespeare, William 144 Thun-Hohenstein,Leo Graf von 7f. Sieger,Robert 32 Tichy,Marina 1 Simmel, Georg174 f. Tieck, Ludwig 69, 110, 139–141, Sombart, Werner 174 143, 146,149 f.,158,177,182 Sorge, Reinhard172 Tille, Alexander198 Spann, Othmar196 Tille-Hankammer,Edda 2 Spehr,Harald 214 Toller,Ernst 172, 176 Speiser,Wolfgang80 Tomaschek, Karl 8–11, 14, 21, 40, 83 Sperl, Hans 224 Touaillon,Christine 2–4,62, 68 f., Spiegel-Adolf,Anna Simona 2 82, 89–94, 99–121, 126 f.,129– Spieß, Christian Heinrich 111 138, 140,152, 186, 228,231, Spieß, Karl von 219 233 f.,236 Sporrer,Tunja183 Touaillon,Heinrich 90, 138 Srbik, Heinrich von 76 f.,95, 178 f. Trebitsch, Rudolf 220 Stagel, Elsbet 135 Tresenreuter, Sophie 104 Stammler, Wolfgang 133 Trier,Jost 214 f. Stefansky,Georg 158 Trommler,Frank 60 Steiger,Meike 164 Tröthandl-Berghaus, Alice 66 Stein, Charlotte von 114 Tschink, Cajetan 148 Steinbach, Daniel 10, 189 Steiner,Bernhard 140 Uhlirz, Mathilde 99 Steinhauser,Walter82, 178, 228 Ulrich von Lichtenstein 33, 41, 44 Steinmetz, Selma 135 Umlauf, Karoline 135 Stephan, Inge 134, 182 Undset, Sigrid 136 Stern, Julius 131 Unger,Helene 104 Sternheim, Carl 176 Unger,Rudolf 46, 72, 112, 140, 144, 154, 157,175 Sterzinger,Othmar 94 Unruh, Fritz von 169 Stichweh, Rudolf 173 Urban, Gisela 180 Stifter,Adalbert 27, 235 Urlichs, Ludwig von 114 Stockinger,Ludwig28 Storm, Theodor 28 Vischer, Robert 41 Strich, Fritz 52, 154 Voges,Michael 157 Strindberg, August 176 Voigt-Diederichs, Helene 134 Strzygowski, Josef 23, 26, 219 Volkmann, Ernst 67 Stumpfl, Robert 227,229 Voltaire 109 Suttner,Bertha von134 Vulpius, Christian August 111 Swatek, Manuel6 Wackernell, Josef Eduard 14, 54 Tacitus 193 f.,207 f.,211–214 Wagner,Richard 217 Taschwer,Klaus 76 f.,83 Wagner,Zita 136 Tatzreiter,Herbert 84 Wahl, Helmine 104 Thaler,Jürgen7 Waldberg, Max von 13, 100 280 Personenregister

Waldhäusl, Emma 135 Wilbrandt, Adolf 66 Waldinger,Ernst 64 f. Wildenbruch, Ernst von 172 Wallenrodt, Isabella von 104 Wildgans,Anton 134 Wallnöfer,Elsbeth 185,206 Winko,Simone 125 f.,128 Walther von derVogelweide 56 Wipplinger,Natalie 179 Walzel, Oskar 22 –24, 26, 28–31, 47, Wittenwiler,Heinrich 228 52, 75, 83, 115, 131 f.,141 f.,154, Wittlin, Józef 49 f.,65, 69 175 Wladika, Michael 196 Wassermann, Jakob 134, 163 Wobeser,Karoline von 104, 116 Wastl, Helene 2 Wolf, Norbert Christian 41 Weber, Georg 128 f. Wölfflin, Heinrich 142 Weber, Veit [i.e. LeonhardWächter] Wolfram, Richard 82, 184,216, 218, 111 227, 230 Webster,Hutton 208 Wolkan, Rudolf 84 Wechsler,Friederike 135 Wollstonecraft, Mary 118 Wedekind, Frank 168 Wolter, Charlotte 135 Wegscheider,Rudolf 37 Wolzogen, Caroline von 104, 112– Weigel, Sigrid 103 115, 130 Weilen, Alexandervon 13, 22–24, Worringer, Wilhelm 142 30, 36, 83, 90 Wörster,Peter 87 Weimar,Klaus 9, 60, 123, 144 f. Wundt, Max 158 Weinhold, Karl 9f. Wundt, Wilhelm 151,185, 208 Weiser[Aall],Lily 2–4,82, 183–187, Wüst, Walther 185 198–216, 218, 221,227–231, Wysling, Hans159 f. 235 f. Wyss, Ulrich 188 Weißmann, Karlheinz 172 Weizenböck, Roland94 Zawisch-Ossenitz, Carla 2 Weninger,Josef224 Zeidler,Jakob 54, 134 Werfel,Franz 134,167,172 Zeman, Herbert 53–55 Werner,Meike G. 182 Zeuß, Kaspar 193 Werner,RichardMaria 14, 54 Zikulnig, Adelheid 7 Werner,Zacharias 80, 90 Zinke, Alois 94 Wesendonck, Mathilde 135 Zipes, Jack 141 Wettstein, Richard 23, 26 f.,29–31 Zoitl, Helge 80 Wichtl, Friedrich 161 Zottleder,Ernestine 135 Wieland, Christoph Martin 104, 106, Zschocke, Karl 230 126 f.,130, 151 Zwierzina, Konrad 15, 84, 178 Wiesinger,Peter 10, 189 Zycha, Marianne 136 Wießner,Edmund 82, 178,228