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Die politische Nr. 363/Februar 2000 Meinung

Impulse der Versöhnung werden durch afrozentristische Parolen übertönt Südafrika unter Druck

Rolf Lange

An Wochenenden pflegte Patrick „Terror“ ökonomischen Disparitäten beseitigt und Lekota das Rugby-Stadion aufzusuchen, um soziale Gerechtigkeit realisiert würde. Der gemeinsam mit den primär weißen Zu- African National Congress (ANC) als größte schauern den Spielern auf dem Rasen zuzu- Regierungspartei hatte sich mit dem „Wie- jubeln. Der ANC-Politiker Lekota, der sich deraufbau- und Entwicklungsprogramm“ seinen furchterregenden Spitznamen beim (RDP) das ehrgeizige Ziel gesetzt, innerhalb Fußballspielen erworben hatte, war Regie- weniger Jahre entscheidende Fortschritte rungschef der südafrikanischen Provinz auf dem Weg zu sozialer Gerechtigkeit und Free State. Er wusste um die Sportbegeiste- verbesserten Lebensbedingungen für die rung, die nahezu alle seine Landsleute, bislang diskriminierten Bevölkerungsteile gleich welcher Hautfarbe, teilten. So nutzte zu machen: Bis 1999 sollten eine Million er Sportveranstaltungen, um eine gemein- Wohnungen gebaut, 2,5 Millionen Haus- same Identität der Südafrikaner zu fördern halte elektrifiziert und zwei Millionen Ar- und für die nationale Aussöhnung zu de- beitsplätze geschaffen werden. Doch die monstrieren. Ebenso hielt es sein Partei- Euphorie machte rasch der Ernüchterung freund und Präsident Nelson Mandela – Platz: Zwei Jahre später wies die Bilanz le- nun, am 11. Februar seit zehn Jahren in Frei- diglich 12 000 Wohnungen und 300 000 heit –, indem dieser mit Vorliebe die Elektrifizierungen auf, zudem war die Ar- „Springboks“, die mittlerweile multieth- beitslosigkeit um eine halbe Million gestie- nische Fußballnationalmannschaft Südafri- gen. kas, anfeuerte. Eine unmittelbare Wende ist nicht in Sicht. Das war in den Jahren 1994 und 1995. Auf- Während es sich die Regierung zum Ziel bruchstimmung und Optimismus hatten setzte, bis 2000 ein Wirtschaftswachstum weite Teile der Bevölkerung erfasst. Nach von sechs Prozent zu erreichen, halten Ex- den ersten demokratischen Wahlen war die perten einen Anstieg von weniger als einem politische Wende vollzogen, jetzt galt es, ge- Prozent sowie ein weiteres Ansteigen der Ar- meinsam an einer friedlichen und versöhn- beitslosigkeit für realistisch. Der Aufbau ar- lichen Zukunft zu bauen. beitsintensiver Klein- und Mittelbetriebe, Indes war allen Beteiligten klar, dass eine etwa in der Landwirtschaft, geht zu langsam Versöhnung nur gelingen konnte, wenn die voran. Darüber hinaus dämpft die Militanz durch die Apartheid geschaffenen sozio- der Arbeiterschaft, die häufig auch aus po-

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litischen Gründen streikt, die Investitions- Für den ANC stellte dies insofern eine Her- bereitschaft ausländischer Unternehmen. ausforderung dar, als er befürchten musste, Auch Gewalt und Kriminalität wirken sich dass radikale Kräfte, die der Bevölkerung nachteilig auf die Wirtschaftsentwicklung scheinbar eingängige Rezepte für den sozia- aus. len und wirtschaftlichen Aufschwung prä- Angesichts ausbleibender rascher Erfolge sentierten, an Zulauf gewinnen und zu ei- ist die Stimmung gedämpft. Schwarze Süd- ner ernsthaften politischen Konkurrenz afrikaner warten ungeduldig auf Besserung werden könnten. und verlangen, mehr und gezielter geför- Mandelas Nachfolger als ANC-Chef, Thabo dert zu werden. Weiße Südafrikaner fürch- Mbeki, reagiert auf diese Entwicklung, in- ten in diesem Zusammenhang, Nachteile zu dem er anders als dieser nicht die nationale erleiden, und noch immer wirkt die alte Aussöhnung in den Mittelpunkt seiner Poli- Schwarz-Weiß-Dichotomie nach. tik stellt. Symbolhaft beschwört Mbeki viel- mehr die „African Renaissance“ und kreiert damit eine afrozentristische Politikstrate- Regierung ohne Opposition? gie, die darauf gerichtet ist, die bislang be- Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung nachteiligten Schwarzen besonders zu för- befassten sich Experten im In- und Ausland dern. Dies findet seinen Ausdruck zum Bei- zunehmend skeptisch mit der Stabilität der spiel in einer Bestimmung, der zufolge pri- Demokratie. In diesem Zusammenhang vate Unternehmer von Staats wegen ver- wurden auch die Auswirkungen der Krise pflichtet werden, vermehrt Schwarze ein- auf das Parteiensystem diskutiert. Würden zustellen beziehungsweise auszubilden. radikale Kräfte verstärkten Zulauf bekom- Hintergrund dieser Politikstrategie ist der men? Oder könnten demokratische Oppo- Versuch, Stimmenverluste in Richtung der sitionsparteien schlüssige Konzepte präsen- revolutionären Linken durch Zugewinne tieren und damit ihre Stellung im „neuen aus dem afrikanistischen Lager zu kompen- Südafrika“ festigen? Wie würde der ANC auf sieren. solche Entwicklungen reagieren? Tatsächlich sah sich der ANC, der bei den Interne Kritik Wahlen 1994 über 62 Prozent der Stimmen erhalten hatte, schon bald verstärktem Mit Kritik sah sich die Partei auch von Sei- Druck ausgesetzt. Insbesondere aus Reihen ten ihrer eigenen Repräsentanten auf Pro- der South African Communist Party (SACP) vinzebene konfrontiert. Zahlreiche Provinz- und des Gewerkschaftsverbandes COSATU, premierminister forderten weiterreichende mit denen er seit den Jahren des Befreiungs- politische Kompetenzen sowie eine ver- kampfes verbündet war, wurde heftige Kri- mehrte Autonomie für ihre Subsysteme, tik geäußert. Während der ANC für markt- während die Parteiführung auf Bundes- wirtschaftliche Instrumente eintrat, forder- ebene dahin tendierte, politische Entschei- ten die revolutionär ausgerichteten Kom- dungen „von oben“ zu delegieren und da- munisten und Gewerkschafter Verstaatli- mit für landesweit einheitliche Standards zu chung und Arbeitsplatzgarantien, um der sorgen. Einige dem ANC angehörende Pro- hohen Beschäftigungslosigkeit Herr zu wer- vinzpremiers forderten „maximum powers den. to be able to govern“, weil sie die Meinung

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vertraten, der Wohnungsbau, die Lösung so- lich der Eigentumsrechte und der Stellung zialer Probleme und die regionale Wirt- der Justiz „weiterentwickelt“ werden. schaftsförderung ließen sich besser von der Vor diesem Hintergrund ist es um so wich- zweiten Regierungsebene aus bewerkstel- tiger, dass in Südafrika eine handlungs- ligen. Daraufhin sorgte der ANC auf Bundes- fähige Opposition als Korrektiv gegenüber ebene jedoch dafür, dass per Verfassungs- einer potenziell allmächtigen Regierung klausel ein Prinzip der „kooperativen Regie- aufgebaut wird. Wie stehen die Chancen rung“ eingeführt wurde, das der Zentral- hierfür? regierung die Möglichkeit gibt, ihren Ein- fluss auf untergeordnete Regierungsebe- Vereinnahmende Koalition nen noch zu verstärken. Bisher ist es der ANC-Führung gelungen, in- Festzuhalten ist zunächst, dass eine wir- nerparteiliche Kritiker zu disziplinieren, wo- kungsvolle parlamentarische Opposition in bei sie auch zu verfassungsrechtlich be- Südafrika weder zu Zeiten der Apartheid denklichen Mitteln griff. So setzte sie die noch nach der politischen Wende existent komplette Regierung der Provinz Free State war. In den Verhandlungen um den politi- ab und enthob sie ihrer Parteiämter, weil Pa- schen Übergang hatten die National Party trick Lekota Korruptionsvorwürfe gegen des Expräsidenten de Klerk und der ANC als Funktionäre seiner Partei erhoben und dar- Kompromisslösung eine zeitlich begrenzte über hinaus einen der weißen Bevölkerung Machtteilung der einflussreichsten Parteien gegenüber zu versöhnlichen Kurs einge- vereinbart. So wurde die neue Regierung schlagen hatte. aus ANC (62 Prozent), NP (zwanzig Pro- zent) und Inkatha Freedom Party (zehn Pro- zent), einer die Partikularinteressen der Drohende Verfassungsänderung Zulu repräsentierenden Partei, gebildet. Während Anfang 1999, wenige Monate vor Diese Regierung verfügte über 377 der 400 den zweiten demokratischen Wahlen, Stim- Parlamentssitze. menverluste zwar nicht auszuschließen wa- Den beiden kleineren in der Regierung ver- ren, so galt es doch als sicher, dass der ANC tretenen Parteien kam folglich eine Zwitter- seine absolute Mehrheit im Bund und den stellung als „Opposition in der Regierung“ meisten Provinzen würde verteidigen kön- zu. Die IFP unter Führung des Zulu-Chiefs nen. Die Partei selbst gab sich zuversicht- und Innenministers Mangosuthu Buthelezi lich und strebte eine Zwei-Drittel-Mehrheit verstand es, durch eine Mischung aus Ko- an, was politische Beobachter mit Sorge er- operation und Verweigerung diese Rolle füllte. Zwar ist es zweifellos legitim, dass ohne großen Ansehensverlust bei ihren An- eine Partei bestrebt ist, so viele Stimmen wie hängern auszufüllen. So erwarb sich Buthe- möglich zu erzielen. Jedoch fürchten nicht lezi einerseits Verdienste, weil es ihm als In- nur politische Konkurrenten des ANC, dass nenminister gelang, die politische Gewalt, dieser bei einer Zwei-Drittel-Mehrheit will- die nicht zuletzt aus Rivalitäten zwischen kürlich die Verfassung ändern könnte. Nah- ANC- und IFP-Anhängern resultierte, ein- rung erhalten solche Befürchtungen etwa zudämmen. Andererseits machte er seine durch Äußerungen von ANC-Funktionären, oppositionelle Haltung gegenüber dem die Verfassung solle zum Beispiel hinsicht- ANC deutlich, indem er etwa den Auszug

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seiner Partei aus der ANC-dominierten Ver- Die schlichte Umbenennung in New Natio- fassunggebenden Versammlung beschloss, nal Party (NNP) mutete jedoch halbherzig deren Aufgabe es war, die (mittlerweile in an. Kraft getretene) endgültige Verfassung aus- zuarbeiten. Buthelezi, einst einer der stärks- Der Weg zu einem neuen Image ten Widersacher des ANC, verstand es auf diese Weise, seine Partei trotz ihrer Koali- Auf dem Weg zu einem neuen Image als tion mit dem mächtigen ANC zu profilieren. multiethnischer Massenpartei setzte die Anders als die IFP ging die National Party NNP in ihrer Hochburg erst- deutlich geschwächt aus der Koalitions- mals einen Nichtweißen in eine heraus- regierung mit dem ANC hervor. Es stellte ragende politische Position. So wurde der sich rasch heraus, dass die NP nicht über die farbige Politiker zum neuen Rolle eines Juniorpartners des ANC hinaus- Regierungschef dieser Provinz gewählt. An- kam. Zwar gelang es ihr gelegentlich, Kabi- ders als sein Vorgänger Hernus Kriel, der in nettsentscheidungen in ihrem Sinne zu be- seiner Politik immer auf die Angst der Min- einflussen und zum Beispiel in der Wirt- derheiten vor der „schwarzen Gefahr“ ge- schaftspolitik den ANC von ihrer Linie zu setzt hatte, bemühte sich Morkel darum, auf überzeugen. Die Früchte dieser Arbeit ern- die schwarze Bevölkerung zuzugehen, etwa tete aber der ANC, der in den Medien für indem er dem ANC in Western Cape ein Ko- seine moderate Wirtschaftspolitik gelobt operationsangebot machte. Hierauf ging je- wurde. Die NP dagegen sah sich dem zuneh- doch der ANC, insbesondere auf Betreiben menden Druck ihrer Anhänger ausgesetzt, Mbekis, der die Mehrheit im Westkap an- die der Partei vorwarfen, sich gegenüber strebte, nicht ein. dem ANC nicht hinreichend durchsetzen zu Das Bemühen der NNP um Profil und ein können. So haftete der NP das Image des neues Image trug keine Früchte – im Gegen- „Jasagers“ an, der dem ANC nicht Substan- teil. Die personellen Veränderungen brach- zielles entgegenzusetzen hatte. Ein eigen- ten der Partei nicht den erhofften Zulauf aus ständiges politisches Profil, mit dem sich auf den Reihen der schwarzen Wähler. Viel- Dauer eine Mehrheit gewinnen ließ, konnte mehr verzeichnete die NNP angesichts des die NP auf diese Weise nicht schaffen. Rückzugs ihrer bei den Weißen beliebten Vor diesem Hintergrund beschloss die Par- Galionsfiguren de Klerk und Pik Botha Sym- tei, ihre Strategie grundlegend zu ändern. pathieverluste. Unter ihrem neuen Vorsit- Sie trat aus der Regierung aus, um in neuer zenden bot die Rolle als Oppositionspartei deutlicher als Partei nur matte, unkoordinierte Oppositi- politische Alternative wahrgenommen zu onsarbeit, die sich darauf konzentrierte, werden. Altgediente Politiker, etwa Exprä- Fehler des ANC anzuprangern, dabei aber sident de Klerk und seine früheren Minister keine Alternativkonzepte anzubieten, die Pik Botha und Hernus Kriel (mittlerweile Re- einer breiten Öffentlichkeit vermittelbar ge- gierungschef in der Provinz Western Cape), wesen wären. zogen sich von ihren Ämtern zurück und Je mehr sich der Eindruck verdichtete, die überließen unbelasteteren Politikern das NNP sei orientierungslos, primär mit sich Feld. Darüber hinaus wurden auch die Sym- selbst beschäftigt und ohne tragfähige poli- bole sowie der Name der Partei geändert: tische Vision, desto mehr erwuchs ihr Kon-

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kurrenz aus den Reihen anderer Oppositi- nelt, hat das Ziel, einen „New South-Africa- onsparteien. Dies betraf insbesondere die nism“ zu schaffen. Sie versteht sich als poli- Democratic Party (DP), die einzige Par- tische Verkörperung des neuen Südafrika lamentspartei, die im „alten Südafrika“ die und will eine liberale politische Plattform Apartheid offen bekämpft hatte. Bei den der Versöhnung für alle Rassen, Ethnien Wahlen 1994 hatte die DP mit nur 1,7 Pro- und Religionen sein. Die UDM setzt sich für zent der Stimmen ein katastrophales Wahl- die Verbesserung der sozialen Bedingun- ergebnis erzielt. Jedoch war es ihr, bedingt gen ein und möchte sozialen Aufstieg „eher durch die Erfolglosigkeit der NP sowie durch Wirtschaftswachstum als durch Um- durch eigenes politisches Geschick, gelun- verteilung“ erreichen. Umfragen zufolge gen, ihre Anhängerbasis zu vervielfachen. war es der UDM bis 1999 gelungen, etwa Pragmatisch orientierte sie sich in ihrer Po- sechs Prozent der Wähler für sich einzuneh- litik auf urbane Zentren, setzte sich dort für men, wobei es sich primär um unzufrie- mehr Autonomie der Kommunen ein und dene ehemalige ANC- und NP-Anhänger profilierte sich als Interessenvertreterin klei- handelte. ner und mittelständischer Gewerbetreiben- Betrachtet man die Entwicklung der Oppo- der. Darüber hinaus verstand sie angesichts sition, so ist festzustellen, dass diese trotz ih- der wachsenden Kriminalitätsrate, sich das rer durch den Seitenwechsel der NNP be- Thema Innere Sicherheit zu eigen zu ma- dingten zahlenmäßigen Aufwertung von 23 chen, was ihr weitere öffentliche Beachtung auf 115 Parlamentssitze noch immer wenig eintrug. Kurz vor den Parlamentswahlen Spielraum hatte für eine nachweisbar er- 1999 galt es als möglich, daß die DP die NNP folgreiche Oppositionspolitik. Zwar erziel- als stärkste Oppositionspartei überflügeln ten mit DP und UDM zwei Oppositionspar- könnte. teien beachtliche Sympathiegewinne bei den Wählern, jedoch gingen diese primär zu Lasten der NNP, so dass innerhalb der Neue Parteigründung Opposition eine Umverteilung stattfand, die Eine weitere Verschiebung im Parteien- dieser insgesamt gesehen aber keinen Zu- system ergab sich mit der Neugründung der wachs an Macht und Einfluss bescherte. United Democratic Movement (UDM), ei- Wenn der Opposition auf Bundesebene ner Partei, die es rasch verstand, öffentliche keine Expansion möglich war, so war es Beachtung zu erzielen. Leitfiguren der UDM aber doch interessant zu untersuchen, ob waren ihr Parteichef Bantu Holomisa, der das im Zuge der Demokratisierung neu ge- ehemals dem ANC angehört hatte, jedoch schaffene föderative System eine Möglich- mit dessen Politik unzufrieden war, sowie keit bot, von der zweiten Regierungsebene sein Stellvertreter , der de her eine effektive Politik gegenüber dem Klerks Chefunterhändler im Demokratisie- ANC zu betreiben. Bislang stellte der ANC rungsprozess gewesen war. Meyer hatte die in sieben der neun Provinzen die Regie- NP verlassen, weil diese sich nicht kon- rung, während in der Provinz KwaZulu-Na- sequent zu einer glaubhaft nichtrassischen tal die IFP sowie in Western Cape die NNP Partei gewandelt habe. Die UDM, deren so- regierte. Da laut Verfassung die ablehnen- ziologische Zusammensetzung auffallend den Voten von mindestens vier Provinzen jener der südafrikanischen Gesellschaft äh- erforderlich sind, um bestimmte durch das

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nationale Parlament beschlossene Gesetze nen oder sich in den Provinzen eine Platt- zurückzuweisen, wurde in Oppositionskrei- form für mehr politischen Einfluss zu schaf- sen diskutiert, ob in zwei weiteren Provin- fen. zen Mehrheiten jenseits des ANC zu erlan- Unterdessen beschlossen ANC und Inkatha, gen seien, die einen derartigen Einfluss auf ihre Koalition auf Bundesebene fortzuset- die Bundespolitik erlaubten. zen. Auch in KwaZulu-Natal entschied man Spekuliert wurde insbesondere auf Macht- sich für eine gemeinsame Regierung. Be- wechsel in den Provinzen merkenswert ist das offensichtliche Bemü- und Gauteng, dem urban-industriellen Bal- hen des ANC um ein gutes Verhältnis zu sei- lungszentrum Johannesburg / Pretoria. Hier nem politischen Partner. In KwaZulu-Natal hatte der ANC bei den zurückliegenden war es keiner der beiden Parteien gelungen, Wahlen lediglich knappe Mehrheiten er- eine regierungsfähige Mehrheit zu gewin- zielt, und ein Machtwechsel galt in diesen nen. Freiwillig verzichtete daraufhin der Provinzen zwar als unwahrscheinlich, aber ANC-Kandidat zu Gunsten des IFP-Vertre- immerhin als denkbar. ters auf den Posten des Premierministers. Politiker beider Parteien lobten ihr Bündnis als Schritt auf dem Weg zu Wohlstand und Die Wahlen von 1999 Frieden. Jegliche Spekulationen über eine gestärkte Wie ist dieser Annäherungskurs nach den Opposition, die die Machtfülle des ANC Jahren erbitterter Rivalität zu erklären? Zum hätte einschränken können, wurden am einen muss dem ANC daran gelegen sein, Wahltag ad absurdum geführt. Gegenüber politische Fortschritte nicht durch unnötige 1994 baute der ANC seine Macht aus, wäh- Provokationen der IFP zu gefährden, deren rend die Opposition stagnierte: Der African Anhängerschaft ein beachtliches Gewalt- National Congress legte 3,7 Prozent zu und potenzial zugeschrieben wird. Zum ande- kam auf 66,35 Prozent. Die Zwei-Drittel- ren entspricht es der Politik Thabo Mbekis, Mehrheit, die zu alleinigen Verfassungs- potenzielle Konkurrenten und Widersacher änderungen berechtigt hätte, hatte er damit „einzubinden“. Es erscheint plausibel, dass denkbar knapp verfehlt. Die Inkatha er- Buthelezi und die IFP auf diese Weise poli- reichte 8,6 Prozent, die DP verfünffachte ihr tisch neutralisiert werden sollen. Ergebnis (9,6), während die NP zwei Drittel ihrer Wählerschaft verlor (6,9). Die neu ge- Verschärfte Tonart des ANC schaffene UDM blieb hinter ihren Erwartun- gen zurück und erzielte 3,4 Prozent der Während sich der ANC der Inkatha gegen- Stimmen. In sieben der neun Provinzen über moderat zeigt, legt er gegenüber NNP hielt der ANC seine absolute Mehrheit und und DP Kompromisslosigkeit an den Tag. konnte darüber hinaus in ebenfalls sieben Beide Parteien bilden in Western Cape eine Provinzen seine Ergebnisse verbessern, dar- Koalitionsregierung. Auf die Tatsache, dass unter auch in KwaZulu-Natal und Western dieser kein einziger schwarzer Politiker an- Cape. Zugleich verloren die IFP und die NP gehört, reagierte der ANC mit einem Boykott hier ihre absoluten Mehrheiten. Damit war der Vereidigungszeremonie. Der ANC be- es der Opposition nicht gelungen, Wähler- zichtigte die Provinzregierung, die Schwar- stimmen aus dem Lager des ANC zu gewin- zen wieder marginalisieren und die Armen

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in der Gesellschaft gängeln zu wollen. Die hen der SACP und COSATU schlagen. Diese verschärfte Tonart ist ein weiteres Indiz für könnten sich aus der Allianz mit dem ANC den afrozentristischen Politikstil des neuen zurückziehen, um eine politische Kraft links Präsidenten, der kurz vor den Wahlen noch von diesem zu etablieren. Der ANC wäre in beklagt hatte, in Südafrika gebe es „zu viel diesem Fall vermutlich auf Koalitionspart- Versöhnlichkeit“. ner angewiesen. Eine derartige Rabulistik versetzt Teile der Denkbar ist indes, dass Mbeki diese bei den Öffentlichkeit ebenso in Sorge wie auch ein Vertretern der weißen Minderheit suchen Positionspapier des ANC, dem zufolge die wird: Wenn Arbeitslosigkeit und soziale Partei die Kontrolle über alle Machtzentren Missstände nicht behoben werden und die gewinnen müsse, dass heißt über „Armee, immer gewalttätigere Kriminalität weiter Polizei, öffentlichen Dienst, Geheimdienst, ansteigt, dann könnte sich der ANC genötigt Gerichtswesen, Staatsunternehmen, öffent- sehen, die Stabilität durch ein Notstands- lich-rechtliches Fernsehen und Radio, No- regime aufrechtzuerhalten. Politische Be- tenbank und so weiter“. Es mag dahin- obachter gehen davon aus, dass dies nicht gestellt bleiben, ob es sich bei diesem be- ohne die Kooperation der Weißen, die nach reits vor der Wahl veröffentlichten Papier le- wie vor Schaltstellen in Bürokratie und Si- diglich um ein taktisches Manöver han- cherheitskräften besetzen, möglich sein delte, das dazu diente, radikale Kräfte wei- dürfte. ter an den ANC zu binden und Abspaltun- Es ist offen, welchen Weg Südafrika in Zu- gen vorzubeugen. kunft einschlagen wird. Sicher ist dagegen, Wird Südafrika zum Einparteienstaat? Ein dass das Land sich nur wird stabilisieren solches Szenario ist vor dem Hintergrund können, wenn es gelingt, die Lebensbedin- der beschriebenen Entwicklung denkbar, gungen zu verbessern, soziale Gerechtigkeit aber keineswegs zwingend. Zwar stagniert zu erreichen und damit in der Bevölkerung die Opposition auf niedrigem Niveau, wäh- die Trägerschichten der Demokratie zu fe- rend der ANC über Politik und Verfassung stigen. Dies erfordert das Mitwirken aller auch ohne Zwei-Drittel-Mehrheit künftig na- Teile der Gesellschaft, und das heißt auch, hezu allein bestimmen kann, jedoch steht dass allen Teilen der Gesellschaft die Mit- Mbeki trotz seiner Mehrheit unter Zug- wirkung möglich sein muss. Insofern wäre zwang. Gelingt es ihm nicht, die drängen- Mbeki gut beraten, als Präsident aller Süd- den sozialen und wirtschaftlichen Pro- afrikaner aufzutreten, den Versöhnungs- bleme zu lösen, wird der Druck von der kurs seines Vorgängers fortzuführen und In- Straße zunehmen. Dann könnte die Stunde tegrationsimpulse zu setzen, statt zu polari- radikalsozialistischer Reformer aus den Rei- sieren.

Ungelöst „Es ist ein großer Irrtum zu glauben, dass Menschheits-Probleme ,gelöst‘ werden. Sie werden von einer gelangweilten Menschheit liegen gelassen.“ Kurt Tucholsky (1890–1935)

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