363 89-95 Lange 24.01.2000 17:41 Uhr Seite 89 Die politische Nr. 363/Februar 2000 Meinung Impulse der Versöhnung werden durch afrozentristische Parolen übertönt Südafrika unter Druck Rolf Lange An Wochenenden pflegte Patrick „Terror“ ökonomischen Disparitäten beseitigt und Lekota das Rugby-Stadion aufzusuchen, um soziale Gerechtigkeit realisiert würde. Der gemeinsam mit den primär weißen Zu- African National Congress (ANC) als größte schauern den Spielern auf dem Rasen zuzu- Regierungspartei hatte sich mit dem „Wie- jubeln. Der ANC-Politiker Lekota, der sich deraufbau- und Entwicklungsprogramm“ seinen furchterregenden Spitznamen beim (RDP) das ehrgeizige Ziel gesetzt, innerhalb Fußballspielen erworben hatte, war Regie- weniger Jahre entscheidende Fortschritte rungschef der südafrikanischen Provinz auf dem Weg zu sozialer Gerechtigkeit und Free State. Er wusste um die Sportbegeiste- verbesserten Lebensbedingungen für die rung, die nahezu alle seine Landsleute, bislang diskriminierten Bevölkerungsteile gleich welcher Hautfarbe, teilten. So nutzte zu machen: Bis 1999 sollten eine Million er Sportveranstaltungen, um eine gemein- Wohnungen gebaut, 2,5 Millionen Haus- same Identität der Südafrikaner zu fördern halte elektrifiziert und zwei Millionen Ar- und für die nationale Aussöhnung zu de- beitsplätze geschaffen werden. Doch die monstrieren. Ebenso hielt es sein Partei- Euphorie machte rasch der Ernüchterung freund und Präsident Nelson Mandela – Platz: Zwei Jahre später wies die Bilanz le- nun, am 11. Februar seit zehn Jahren in Frei- diglich 12 000 Wohnungen und 300 000 heit –, indem dieser mit Vorliebe die Elektrifizierungen auf, zudem war die Ar- „Springboks“, die mittlerweile multieth- beitslosigkeit um eine halbe Million gestie- nische Fußballnationalmannschaft Südafri- gen. kas, anfeuerte. Eine unmittelbare Wende ist nicht in Sicht. Das war in den Jahren 1994 und 1995. Auf- Während es sich die Regierung zum Ziel bruchstimmung und Optimismus hatten setzte, bis 2000 ein Wirtschaftswachstum weite Teile der Bevölkerung erfasst. Nach von sechs Prozent zu erreichen, halten Ex- den ersten demokratischen Wahlen war die perten einen Anstieg von weniger als einem politische Wende vollzogen, jetzt galt es, ge- Prozent sowie ein weiteres Ansteigen der Ar- meinsam an einer friedlichen und versöhn- beitslosigkeit für realistisch. Der Aufbau ar- lichen Zukunft zu bauen. beitsintensiver Klein- und Mittelbetriebe, Indes war allen Beteiligten klar, dass eine etwa in der Landwirtschaft, geht zu langsam Versöhnung nur gelingen konnte, wenn die voran. Darüber hinaus dämpft die Militanz durch die Apartheid geschaffenen sozio- der Arbeiterschaft, die häufig auch aus po- 89 363 89-95 Lange 24.01.2000 17:41 Uhr Seite 90 Die politische Meinung Rolf Lange litischen Gründen streikt, die Investitions- Für den ANC stellte dies insofern eine Her- bereitschaft ausländischer Unternehmen. ausforderung dar, als er befürchten musste, Auch Gewalt und Kriminalität wirken sich dass radikale Kräfte, die der Bevölkerung nachteilig auf die Wirtschaftsentwicklung scheinbar eingängige Rezepte für den sozia- aus. len und wirtschaftlichen Aufschwung prä- Angesichts ausbleibender rascher Erfolge sentierten, an Zulauf gewinnen und zu ei- ist die Stimmung gedämpft. Schwarze Süd- ner ernsthaften politischen Konkurrenz afrikaner warten ungeduldig auf Besserung werden könnten. und verlangen, mehr und gezielter geför- Mandelas Nachfolger als ANC-Chef, Thabo dert zu werden. Weiße Südafrikaner fürch- Mbeki, reagiert auf diese Entwicklung, in- ten in diesem Zusammenhang, Nachteile zu dem er anders als dieser nicht die nationale erleiden, und noch immer wirkt die alte Aussöhnung in den Mittelpunkt seiner Poli- Schwarz-Weiß-Dichotomie nach. tik stellt. Symbolhaft beschwört Mbeki viel- mehr die „African Renaissance“ und kreiert damit eine afrozentristische Politikstrate- Regierung ohne Opposition? gie, die darauf gerichtet ist, die bislang be- Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung nachteiligten Schwarzen besonders zu för- befassten sich Experten im In- und Ausland dern. Dies findet seinen Ausdruck zum Bei- zunehmend skeptisch mit der Stabilität der spiel in einer Bestimmung, der zufolge pri- Demokratie. In diesem Zusammenhang vate Unternehmer von Staats wegen ver- wurden auch die Auswirkungen der Krise pflichtet werden, vermehrt Schwarze ein- auf das Parteiensystem diskutiert. Würden zustellen beziehungsweise auszubilden. radikale Kräfte verstärkten Zulauf bekom- Hintergrund dieser Politikstrategie ist der men? Oder könnten demokratische Oppo- Versuch, Stimmenverluste in Richtung der sitionsparteien schlüssige Konzepte präsen- revolutionären Linken durch Zugewinne tieren und damit ihre Stellung im „neuen aus dem afrikanistischen Lager zu kompen- Südafrika“ festigen? Wie würde der ANC auf sieren. solche Entwicklungen reagieren? Tatsächlich sah sich der ANC, der bei den Interne Kritik Wahlen 1994 über 62 Prozent der Stimmen erhalten hatte, schon bald verstärktem Mit Kritik sah sich die Partei auch von Sei- Druck ausgesetzt. Insbesondere aus Reihen ten ihrer eigenen Repräsentanten auf Pro- der South African Communist Party (SACP) vinzebene konfrontiert. Zahlreiche Provinz- und des Gewerkschaftsverbandes COSATU, premierminister forderten weiterreichende mit denen er seit den Jahren des Befreiungs- politische Kompetenzen sowie eine ver- kampfes verbündet war, wurde heftige Kri- mehrte Autonomie für ihre Subsysteme, tik geäußert. Während der ANC für markt- während die Parteiführung auf Bundes- wirtschaftliche Instrumente eintrat, forder- ebene dahin tendierte, politische Entschei- ten die revolutionär ausgerichteten Kom- dungen „von oben“ zu delegieren und da- munisten und Gewerkschafter Verstaatli- mit für landesweit einheitliche Standards zu chung und Arbeitsplatzgarantien, um der sorgen. Einige dem ANC angehörende Pro- hohen Beschäftigungslosigkeit Herr zu wer- vinzpremiers forderten „maximum powers den. to be able to govern“, weil sie die Meinung 90 363 89-95 Lange 24.01.2000 17:41 Uhr Seite 91 Die politische Südafrika unter Druck Meinung vertraten, der Wohnungsbau, die Lösung so- lich der Eigentumsrechte und der Stellung zialer Probleme und die regionale Wirt- der Justiz „weiterentwickelt“ werden. schaftsförderung ließen sich besser von der Vor diesem Hintergrund ist es um so wich- zweiten Regierungsebene aus bewerkstel- tiger, dass in Südafrika eine handlungs- ligen. Daraufhin sorgte der ANC auf Bundes- fähige Opposition als Korrektiv gegenüber ebene jedoch dafür, dass per Verfassungs- einer potenziell allmächtigen Regierung klausel ein Prinzip der „kooperativen Regie- aufgebaut wird. Wie stehen die Chancen rung“ eingeführt wurde, das der Zentral- hierfür? regierung die Möglichkeit gibt, ihren Ein- fluss auf untergeordnete Regierungsebe- Vereinnahmende Koalition nen noch zu verstärken. Bisher ist es der ANC-Führung gelungen, in- Festzuhalten ist zunächst, dass eine wir- nerparteiliche Kritiker zu disziplinieren, wo- kungsvolle parlamentarische Opposition in bei sie auch zu verfassungsrechtlich be- Südafrika weder zu Zeiten der Apartheid denklichen Mitteln griff. So setzte sie die noch nach der politischen Wende existent komplette Regierung der Provinz Free State war. In den Verhandlungen um den politi- ab und enthob sie ihrer Parteiämter, weil Pa- schen Übergang hatten die National Party trick Lekota Korruptionsvorwürfe gegen des Expräsidenten de Klerk und der ANC als Funktionäre seiner Partei erhoben und dar- Kompromisslösung eine zeitlich begrenzte über hinaus einen der weißen Bevölkerung Machtteilung der einflussreichsten Parteien gegenüber zu versöhnlichen Kurs einge- vereinbart. So wurde die neue Regierung schlagen hatte. aus ANC (62 Prozent), NP (zwanzig Pro- zent) und Inkatha Freedom Party (zehn Pro- zent), einer die Partikularinteressen der Drohende Verfassungsänderung Zulu repräsentierenden Partei, gebildet. Während Anfang 1999, wenige Monate vor Diese Regierung verfügte über 377 der 400 den zweiten demokratischen Wahlen, Stim- Parlamentssitze. menverluste zwar nicht auszuschließen wa- Den beiden kleineren in der Regierung ver- ren, so galt es doch als sicher, dass der ANC tretenen Parteien kam folglich eine Zwitter- seine absolute Mehrheit im Bund und den stellung als „Opposition in der Regierung“ meisten Provinzen würde verteidigen kön- zu. Die IFP unter Führung des Zulu-Chiefs nen. Die Partei selbst gab sich zuversicht- und Innenministers Mangosuthu Buthelezi lich und strebte eine Zwei-Drittel-Mehrheit verstand es, durch eine Mischung aus Ko- an, was politische Beobachter mit Sorge er- operation und Verweigerung diese Rolle füllte. Zwar ist es zweifellos legitim, dass ohne großen Ansehensverlust bei ihren An- eine Partei bestrebt ist, so viele Stimmen wie hängern auszufüllen. So erwarb sich Buthe- möglich zu erzielen. Jedoch fürchten nicht lezi einerseits Verdienste, weil es ihm als In- nur politische Konkurrenten des ANC, dass nenminister gelang, die politische Gewalt, dieser bei einer Zwei-Drittel-Mehrheit will- die nicht zuletzt aus Rivalitäten zwischen kürlich die Verfassung ändern könnte. Nah- ANC- und IFP-Anhängern resultierte, ein- rung erhalten solche Befürchtungen etwa zudämmen. Andererseits machte er seine durch Äußerungen von ANC-Funktionären, oppositionelle Haltung gegenüber dem die Verfassung solle zum Beispiel hinsicht- ANC deutlich, indem er etwa den Auszug 91 363 89-95 Lange 24.01.2000 17:41 Uhr Seite 92 Die politische Meinung Rolf Lange seiner Partei aus der ANC-dominierten Ver- Die schlichte Umbenennung in New Natio- fassunggebenden Versammlung
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