Deutschlands längster Tag Rudolf Augstein über die Verschwörer des 20. Juli 1944

er Krieg Hitlers und der Krieg chen. Elser, von der sten Stelle des Mannes der Wehrmacht waren ein und Gestapo befragt, sagte: getroffen worden und Dderselbe Krieg. Wer Hitler in den „Wenn sie mich erwi- konnte danach nur Arm fallen wollte, mußte ihn töten. schen, dachte ich, muß noch mit Morphium Wer das vorhatte, mußte bereit sein, ich eben die Strafe auf existieren. auch selbst zu sterben. mich nehmen.“* Wahr ist, er hat die- Dazu war Gelegenheit, aber es fehl- Sicherlich waren tau- sen Hitler-Krieg nicht te den Deutschen, außer vielleicht ei- send bis zehntausend gewollt, dachte aber ner Handvoll, an der nötigen Kamika- Deutsche, Männer und niemals an Verschwö- ze-Gesinnung, wie sie ehedem die Ja- Frauen, während des rung. Juwelen und Bil- paner aufbrachten und neuerdings ara- Krieges mit regime- der waren ihm ebenso bische Rebellen aufbringen. feindlichen Tätigkei- wichtig wie der – miß- Keine Geschichtsschreibung kommt ten beschäftigt. Die lungene – Aufbau sei- um die unbequeme Tatsache herum, schließlich das Atten- ner . Zwei daß nur der Schreiner Johann Georg tat 1944 ausführten, seiner höchsten Unter- Elser Hitler ernsthaft und planvoll waren Berufsoffiziere gebenen begingen nach dem Leben trachtete. Er war ein des Heeres und 1939 Selbstmord, Ernst akribischer und konsequenter Alleintä- fröhlich in den schon Udet, der Jagdflieger, ter. bei Beginn verlorenen und Hans Jeschonnek, Vom 5. August bis zum 6. Novem- Krieg hineingeritten. Alleintäter Elser der Chef seines Stabes. ber 1939 hielt er sich, wie er aussagte, Von der Marine war Planvoll und akribisch Die Art, wie Hitler „30- bis 35mal“ nachts im Saal des ohnehin nichts zu er- seine höchsten Offizie- Münchner Bürgerbräukellers auf. Am warten. Sie hatte die Schmach von 1918 re behandelte, war schmachvoll. Aber Abend des 8. November, während der noch im Gehirn und schämte sich der alle wollten sie in den Krieg, alle, nur alljährlichen NSDAP-Veranstaltung damaligen Meutereien. Und Görings nicht die von ihm bereits verabschiede- zum Gedenken an den Marsch auf die Luftwaffe? ten, wie etwa der Ludwig Feldherrnhalle 1923, explodierte der Der „Eiserne“ war beim Marsch auf Beck, eher ein Denker als ein Täter, ein günstig angebrachte Sprengkörper. die Feldherrnhalle an der empfindlich- angesehener Mann. Er sollte nach Hit- Aus ungeklärten Gründen hatte aber lers Tod Reichsstatthalter werden, starb Hitler, der regelmäßig teilnahm, den * Elser bekam im KZ Sachsenhausen eine eigene aber, nachdem der befohlene Selbst- Werkstatt eingerichtet, in der er seine Fähigkei- Saal vorzeitig verlassen, angeblich, um ten fortentwickeln konnte – sicher eine Idee mord mißlungen war, durch die Hand seinen Sonderzug nach zu errei- Himmlers. Im April 1945 wurde er ermordet. eines Feldwebels. „Speer-Baracke“ in der Wolfschanze nach dem Attentat: „ . . . vergeßt mir den Keitel nicht“ Hitlers militärischer Höhepunkt war sein Frankreich-Feldzug 1940. Der stärkte die an ihm Zweifelnden, auch der spätere Attentäter Graf Stauffen- berg lobte ihn damals. Wie verkommen die hohe Generalität war, bewies zum Beispiel der „Sichel- schnitt“-General Erich von Lewinski, adoptierter von Manstein, Sohn eines Generalmajors. Der „Sichelschnitt“ durch Frankreich war Mansteins Erfin- dung. Er galt als der operative Kopf Hit- lers, solange es um Angriff ging. Als er, auf dem Wege zum Marschall- stab, die Krim eroberte, mußte er sich mit dem Nationalökonomen und Juri- sten Otto Ohlendorf darüber auseinan- dersetzen, wie weit das Operationsge- biet reiche und wo das Hinterland be- ginne, in dem der 34 Jahre alte Kom- mandeur der SS-Einsatzgruppe D seine „Säuberungen“ durchführen könne. Die 11. Armee Mansteins stellte Ohlendorf „Sichelschnitt“-General Manstein an der Front (1942): Was ist mit den Uhren?

Der große Manstein und Man war dem „jüdischen Bolschewis- der kleine Ohlendorf** re- mus“ auf der Spur, und da man ihn nicht sidierten in der Hauptstadt fand, weil es ihn nicht gab, wurden Juden der Krim, Simferopol. Der zu Bolschewiken umfunktioniert. Generaloberst pflegte aber Es kann nur verwundern, daß die ehr- keinerlei persönlichen Ver- geizigen Berufsoffiziere und Revanche- kehr mit der SS-Polizei, Generäle Hitlers den Krieg in seinen schließlich war er kein Na- Konsequenzen erst erkannten, alser ganz zi, obwohl er einen Befehl sichtbar, auch für die Öffentlichkeitsicht- zur „harten Sühne am Ju- bar, verloren war. Sie wollten die Wahr- dentum“ gebilligt hatte. heit nicht sehen. , Chef des Wollte er etwas von Ohlen- Generalstabs des Heeres, hatte noch dorf, so schickte er den 1941 in seinem Tagebuch vermerkt, bin- Ortskommandanten, was nen 14 Tagen habe man die Sowjetunion den ohnehin mürrischen geschlagen. Vor dem Nürnberger Ge- SS-Mann erbitterte. richt bekannte er später, er selbst habe Ohlendorf genehmigte Hitler sagen hören: „Meine wirklichen sich die Bosheit, Mansteins Absichten werden Sie nie erfahren.“ Nazi-Größen mit Kriegsbeute* Wunsch nach den Uhren So war es. Hitler hatte keinen Gesamt- Jüdische Barschaft gegen Quittung pedantisch per Regie- plan für seinen Angriffskrieg. Er hat den rungsdekret abzufertigen. einen Fehler gemacht, einen solchen zu für den Abtransport Lastwagen und Ben- In seiner Antwort an „Armee- beginnen. Durchaus mußte er Dänemark zin zur Verfügung. Dafür wollte Man- oberkommando 11“ schreibt er: und Norwegen überfallen, um Churchill stein aber belohnt werden. Ohlendorf strategisch zuvorzukommen. Grübelnd Durch einen Anruf des Ortskommandan- ließ allein auf der Krim an die 23 000 Ju- saß ein verzweifelter Hitler damals auf ei- ten von Simferopol erfuhr ich, daß der den ermorden. Da er aber vorGericht die nem Stühlchen. Admiräle und Generäle Herr Oberbefehlshaber die aus der Ju- Rolle der Armee genau ausbreitete, wäre flößten ihm Adrenalin ein. denaktion noch vorhandenen Uhren für er von den Amerikanern beinahe noch dienstliche Zwecke der Armeeanfordert. Warum brauchte er Norwegen? Weil begnadigt worden. Natürlich behauptete Ich übergebe hiermit der Armee 120 Uh- er das schwedische Erz brauchte. Schwe- Manstein später, von der Ausrottung der ren, die inzwischen durch Reparatur ge- den lieferte dem Reich im Januar 1940 Juden nie etwas gehört zu haben. Sonst brauchsfähig geworden sind. Es befin- fast die Hälfte des nötigen Eisenerzes. hätte er diese „Schweinerei“ abgestellt. den sich noch etwa 50 Uhren in Repara- Ohne Erz kein Krieg. Wollte man mit Seinerzeit aberkamihmlediglich die Idee tur, von denen ein Teil wiederhergestellt Hitler Frieden schließen? In London zu fragen, was mit den Uhren der angeb- werden kann. Sollte die Armee die restli- nicht, in Paris nicht. Die erlösende Idee: lich „Umgesiedelten“ geschehen sei? chen Uhren noch brauchen, bitte ich um Manstein mit seinem „Sichelschnitt“, Besseres hatte er damals wohl nicht zu Mitteilung. Ohlendorf. SS-Oberführer. dem Operationsplan für den Frankreich- tun. Feldzug. Da auch die jüdische Barschaft von der In Paris glaubte der Generalstabschef * 1944 in den Tresorräumen der Reichsbank 11. Armee ins Auge gefaßt wurde, ver- Gamelin, man müsse Hitler nachHolland in Berlin. Goebbels (2. v. l.), Funk (r.), Ohlendorf (2. v. r.). wies Ohlendorf ölig auf die Reichskredit- und Belgien locken, weil diese beiden ** Ohlendorf selbst wurde gegen Ende des Krie- kasse. Der Armee zahle man selbstver- Länder ihm als Neutrale bessere Dienste ges, gewissermaßen im Nebenberuf, noch Staats- ständlich Rubel aus, „gegen Quittung“. leisten könnten. Das war nicht nach Hit- sekretär im Reichswirtschaftsministerium, wo er Wie konnte es zu dieser grauenhaften lers und erst recht nicht nach Englands für einen gewissen Ludwig Erhard ein Forschungs- stübchen einrichtete, damit der die Nachkriegs- Symbiose zwischen dem deutschen Heer Geschmack. Noch war England der zeit vorbereiten konnte. und Hitlers Mord-Maschinerie kommen? Hauptgegner. Aber Hitler fühlte sich als

34 DER SPIEGEL 28/1994 der Mittelpunkt der Welt. Immerhin Bevor sein ehrlicher Rüstungsmini- Schmundt, Hitlers Chefadjutant. Mit kommt ihm der Gedanke, auch die So- ster Fritz Todt bei einem Flugzeugab- seiner Hilfe hatte Tresckow vergebens wjetunion zu erledigen, mit der er 1939 sturz ums Leben kam, riet er Hitler zu versucht, Chef der künftigen Abteilung einen Pakt geschlossen hatte, vielleicht einem Verhandlungsfrieden, aber wer für psychologisch-politische Kriegfüh- um die Chefs der Wehrmacht über seine hätte noch mit ihm verhandeln wollen? rung zu werden und somit Zugang zu wahren Absichten zu täuschen. Churchill? Keinesfalls. Roosevelt stand Hitler zu erhalten. Damit hätte er Gele- Der Überfall auf die Sowjetunion 1941 hinter Churchill. Stalin? Der am wenig- genheit zum Attentat bekommen. Der war der erste als „Blitzkrieg“ konzipierte sten. Hitler war zum Outlaw geworden, uns schon von seiner Uhren-Jagd be- Feldzug, den Hitler ohne nennenswerte von der Völkergemeinschaft geächtet. kannte und inzwischen zum General- Einwände von seiten des deutschen Ge- Er mußte und wollte siegen oder ster- feldmarschall beförderte Manstein, die- neralstabs durchführte, obwohl bereits ben. ser arrogante Nicht-Nazi, bezweifelte in in den ersten Kriegsmonaten deutlich Sieg oder Niederlage, das hätte einen einem Votum die nationalsozialistische wurde, welche Orgie der Zerstörung Hit- Einzeltäter sowenig stören dürfen, wie Gesinnung Tresckows. Ein schäbiges ler damit anzettelte. Daß er diesen Krieg es den Johann Georg Elser gestört hat. Verhalten. anfing, ist logischer als manchmal darge- Als Stauffenberg seine Bombe in der stellt. Hier standen sich zwei betrogene Führer-Baracke abgestellt hatte, kann Betrüger gegenüber. In Stalin sah Hitler Den siegreichen Führer er seinen Offizierskameraden Schmundt nicht den Ideologen, sondern den östli- umzubringen nicht übersehen haben. Aber hier ging chen Imperator (mit arischen Ohrläpp- es ums Ganze. chen). Es lag in Hitlers, nicht in Stalins schien unmöglich Wer sich am Widerstand nicht betei- Natur, den sperrigen und gefährlichen ligt hat, kann deswegen nicht gescholten Partner einfach anzufallen. Henning von Tresckow, Generalmajor werden. Ein Volk von Märtyrern waren Viele, wie etwa der Staatssekretär im und wohl der „moralischste“ der hohen auch die Deutschen nicht. Und doch Auswärtigen Amt Ernst von Weizsäk- Aktiven, riet dem Ordonnanzoffizier machte man sich in der Spitze des Er- ker, hielten diesen Überfall für falsch, Eberhard von Breitenbuch, der Zugang satzheeres um Friedrich Fromm, die in ebenso die Admiralität. Aber man konn- zum Führerhauptquartier hatte, Hitler der Bendlerstraße residierte, Gedan- te mit Hitler ja nicht mehr ernsthaft dis- mit der Pistole zu erschießen. ken, wie der Krieg schnell zu beenden kutieren, der diesen Gegner unterschätz- Den strahlend siegreichen Führer um- und Hitler zu beseitigen sei. te und auf das Überraschungsmoment zubringen schien unmöglich. Allein 1943 entstand so die abenteuerliche, setzte. technisch schien es fast undurchführbar. nahezu clowneske Idee, einen „Walkü- Der „Blitzkrieg“ stellte sich als ein Seit Elsers Attentat wurde der Führer re“ genannten Plan von Hitler absegnen Phantom heraus. Zwar wütete die deut- scharf bewacht. zu lassen, angeblich, um den Ausnah- sche Kriegsmaschinerie äußerst erfolg- So sind die Skrupel der Attentäter des mezustand auszurufen, wenn die Millio- reich, aber sie erreichte das Ziel nicht. 20. Juli gut zu verstehen. Unter den vier nenheere der in Deutschland zur Arbeit Der von Hitler insgeheim bewunderte beim Attentat in der Wolfschanze Getö- gezwungenen Ausländer den Aufstand Stalin sollte ja hinter den Ural geworfen teten befand sich auch General Rudolf proben sollten. In Wahrheit aber woll- werden, aber das wußte der Diktator ten die Verschwörer dem Hitler- zu verhindern. Die Deutschen muß- Regime ein Ende machen und die ten zurück. Die Generalität machte noch verbliebenen Streitkräfte zu Hitler keine Vorwürfe, sondern hielt Friedensverhandlungen mit den ihm sogar zugute, daß er durch seine Feinden im Westen oder Osten nut- Befehle die Front stabilisiert hatte. zen. Auch seine Feinde mußten das wi- Abenteuerlich war dieser Plan derwillig anerkennen. aus mehreren Gründen:

Hitler-Attentäter Olbricht, Stauffenberg, Mertz von Quirnheim, Haeften: „In Berlin muß gehandelt werden“

DER SPIEGEL 28/1994 35 i Man hätte von den Alliierten scharf machen und dieses nicht schwerlich bessere Bedingun- seinem Adjutanten überlassen gen erlangen können, weil wollte, obwohl der nicht drei, diese durch wechselseitiges sondern zehn Finger hatte, ent- Mißtrauen aneinander ge- spricht seinem herrisch-elitären schmiedet waren, in ihrem Wesen. Stefan George hatte er Mißtrauen gegen das Deut- im schweizerischen Minusio sche Reich aber einig. mitbegraben, den Krieg Hitlers i Gegen einen lebendigen Hit- gegen das gesamte Ausland ler hätten die Regimegegner mitgewollt. Die Generäle sich nicht durchsetzen kön- nannte er gelegentlich „Tep- nen. Sogar Stauffenberg hätte pichleger“. es, wäre am 20. Juli wieder ir- Minuten vor der Explosion gend etwas dazwischenge- reichte er einem wortlosen Hit- kommen, nicht noch einmal ler wortlos seine Hand mit den versucht. drei Fingern. i Stauffenberg war als Seele Ob er wirklich geglaubt hat- der Verschwörung in der te, daß er Hitler getötet habe, Bendlerstraße unentbehrlich. wie er nach seiner Rückkehr in Doch nur er, der in Afrika die Bendlerstraße beteuerte, Schwerstverwundete, kam als muß dahingestellt bleiben. Nur Vortragender bei Hitler in dank seiner herrischen Persön- Betracht. Oberst Stauffenberg (l.), Hitler* lichkeit durchquerte er in Ra- i Ein toter Hitler wäre mora- Ein Coup, der nicht gelingen konnte stenburg nach der Tat die bei- lisch ein Erfolg gewesen. Ob den Sperrkreise und gelangte und wie die Alliierten das honoriert Komplizen zogen sich in den Aufent- zu seinem Flugzeug. Eine verlorene Sa- hätten, bleibt sehr die Frage. Denn: haltsraum des Keitel-Bunkers zurück. che hätte er nie verloren gegeben. Sein i Auch der zivile Kopf der Verschwö- Man hat wohl hieraus die Legende Leben sah er ohnehin als verwirkt an. rung, Leipzigs früherer Oberbürger- konstruiert, das Attentat hätte ge- Praktisch veranlagt war er auch. Hatte meister Carl Friedrich Goerdeler, klappt, wenn die „Mittagslage“ im üb- noch wenige Wochen vorher alles nach wollte die „Judenfrage“ lösen, in Ka- lichen Bunkerraum stattgefunden hät- der Normandie gestarrt, wo die Landung nada oder Südamerika, und „dem te. Sie fand nun aber stets in der Eisenhowers beinahe an einem widrigen deutschen Volk die Führung“ des eu- nicht verbunkerten (Hitler sah nur Wind gescheitert wäre, so ließ Stauffen- ropäischen Blocks sichern. Kolonien mühsam), der sogenannten Speer-Ba- berg nach gelungener Invasion bei Hen- brauche man nicht aus wirtschaftli- racke statt, 300 Meter von Hitlers Bun- ning von Tresckow anfragen, ob das At- chen Gründen, sondern um der deut- ker entfernt. tentat jetzt, da der Krieg sich seinem En- schen Seele zu schmeicheln (1941!). Nur zu gut kann man die Nervosität de näherte, noch stattfinden solle. Oberst Stauffenberg wäre ohne seine der beiden Attentäter nachfühlen, nicht Graf Lehndorff von Gut Steinort über- gebieterische Haltung wohl gar nicht aber so ganz, was dann passierte. Die brachte ihm die berühmte Antwort: Zeitzünder der beiden Sprengkörper waren nämlich unterschiedlich einge- Das Attentat muß erfolgen, couˆte que Er reichte stellt, der eine mit einer Verzögerung couˆte. Sollte es nicht gelingen, so muß einem wortlosen Hitler von 10 Minuten, der andere mit einer trotzdem in Berlin gehandelt werden. Verzögerung von 30 Minuten. Warum Denn es kommt nicht mehr auf den prak- wortlos die Hand diese nicht mehr erklärlichen 20 Minu- tischen Zweck an, sondern darauf, daß ten Unterschied? Und warum hatte die deutsche Widerstandsbewegung vor erst zum Tatort durchgedrungen. Am 20. Stauffenberg nur einen Sprengkörper in der Welt und vor der Geschichte unter Juli gegen zehn Uhr war er mit sei- seiner Aktentasche? Einsatz des Lebens den entscheidenden nem Adjutanten, Oberleutnant Werner Stauffenberg war Wurf gewagt hat. Al- von Haeften, auf dem Flugplatz des kein Artillerist. Man les andere ist dane- ostpreußischen Rastenburg gelandet. muß, wie Joachim Fest ben gleichgültig. Haeften hatte die beiden Sprengsätze in in seinem glänzend ge- seiner Tasche, Stauffenberg seine Papie- schriebenen neuen Bei Stauffenberg re. Beide Taschen sollten vor der „Mit- Buch anmerkt, „wohl hatte es länger gedau- tagslage“ im Führerhauptquartier ausge- eine unzureichende ert, bis er sich das ver- tauscht werden. Kenntnis der Wir- brecherische Wesen Haeften hielt sich, so gut er konnte, in kungsweise solcher des Hitler-Regimes der Nähe seines schwerbeschädigten Explosivstoffe anneh- eingestand. Dann aber Vorgesetzten. Sie erfuhren, daß die men“. Der zweite ließ er nicht mehr lok- „Mittagslage“ wegen des angekündigten Sprengkörper wäre au- ker. Mussolini-Besuchs vorverlegt worden tomatisch mit in die Seine ohnehin wun- war, auf 12.30 Uhr. Luft gegangen, wenn dersam verlaufene Der 20. Juli war ein heißer Tag. Stauf- der erste zündete, und Reise zur Wolfschanze fenberg bat, sich frisch machen und das die Wirkung wäre hatte noch einen wei- Hemd wechseln zu dürfen. Die beiden nicht zweifach, son- teren Schönheitsfeh- dern ein Vielfaches ge- ler. Der 36jähri- wesen. ge Stauffenberg war * Am 15. Juli 1944 im Hauptquartier Wolfschan- ze, mit Konteradmiral von Puttkamer und General- Daß Stauffenberg Generaloberst Fromm (1944) durch seine Energie feldmarschall Keitel. die Zündung selbst Spur verwischt und seine Tüchtigkeit

36 DER SPIEGEL 28/1994 Chef des Stabes beim Oberbefehlshaber des Ersatzheeres, dem Generaloberst Friedrich Fromm, geworden, der jeman- den brauchte, der die Arbeit tat. Der große, schwere Mann behauptete von „Wem gehört sich selbst, daß er schlau sei und immer richtig liege. Nur Fromm konnte die Aktion „Wal- küre“ auslösen, und auch nur dann, der Widerstand?“ wenn Hitler handlungsunfähig oder tot wäre. Mit Fromm aber konnte man nicht Das Stauffenberg-Attentat und die Last der doppelten Vergangenheit rechnen. Zu General Olbricht, seinem Stellvertreter, hatte er vor dem Attentat ängst sind Diffamierung und Heroi- staat verführerisch waren und blieben, zwar halb im Scherz gesagt: „Na, wenn sierung der Männer des 20. Juli 1944 gewiß nicht. Gleichwohl erscheint das ihr schon euern Putsch macht, dann ver- L einer abgewogenen Betrachtung des gescheiterte Bombenattentat, so geßt mir wenigstens den Wilhelm Keitel Widerstands gegen den Nationalsozialis- schreibt der Publizist und Hitler-Bio- nicht“, den er haßte. Am 20. Juli arg- mus gewichen. graph Joachim Fest in seinem neuen wöhnte er schnell, daß Hitler gar nicht Dem Regime trotzten Sozialdemokra- Buch, aus dem der SPIEGEL Auszüge tot sei, und ließ sich in das Zimmer seines ten, Kommunisten und Christen eben- druckt (Seite 42), als „symbolische Tat“. Adjutanten Bartram unter Mitnahme ei- so, wie, allerdings zumeist erst sehr viel Dennoch droht bei der 50. Wieder- ner Flasche Cognac abführen. später, nationalkonservative Kräfte aus kehr des 20. Juli Streit. Politiker be- Der lange Tag wurde immer bleierner. Adel und Bürgertum. Doch nur drei Wi- mächtigen sich des historischen Ge- Nach seiner Ankunft im Berliner Bend- derstandskreise fanden in einer für Hit- denktags, den das vereinte Deutschland lerblock rannte Stauffenberg von Tele- ler gefährlichen Weise zusammen: als Ost und West verbindendes Ereignis fon zu Telefon. Da gab es eine Schieße- i die deutschnationale Gruppe um den begehen könnte. rei, bei der die Verschwörer hoffnungs- ehemaligen Leipziger Oberbürger- Eine Kontroverse ist darüber ent- los in der Minderheit waren. Fromm, meister Carl Goerdeler und den zu- brannt, wer und wie geehrt werden soll. Der Kanzler, Sinnstifter aus Überzeu- gung und Neigung, will ein historisches Machtwort sprechen. Am 20. Juli wird Helmut Kohl die of- fizielle Rede in der Berliner Gedenk- stätte Deutscher Widerstand halten. Er düpierte damit den frisch gekürten Bun- despräsidenten Roman Herzog, der auf seine „erste große Bewährungsprobe“ (Herzog) gehofft hatte. Kohl-Vertraute berichten, daß er schon als Oppositionsführer Publizisten und Intellektuelle gedrängt habe, „das Thema ,Widerstand‘ konservativ zu be- setzen“. Kein Wunder, daß einige Hin- terbliebene der Widerständler befürch- ten, da werde das Erbe einseitig verein- nahmt. Kohl stehe, kritisiert etwa Clarita von Trott zu Solz, Witwe des im August 1944 hingerichteten NS-Opponenten Adam von Trott zu Solz, „für eine be- Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin: „Niemanden ausgrenzen“ stimmte politische Strömung“. Er reprä- sentiere nicht die Vielfalt des Wider- plötzlich wieder Oberbefehlshaber des rückgetretenen Generalstabschef des stands. Rosemarie Reichwein, deren Ersatzheeres, wollte seine Spur verwi- Heeres, , der es um den Mann, der Pädagoge Adolf Reichwein, schen. Er ließ die ihm bekannten Rädels- Erhalt Deutschlands als europäischer im Oktober 1944 in Plötzensee gehenkt führer kurzerhand exekutieren: General Großmacht ging; wurde, wirft dem Kanzler vor, mit dem Olbricht, Oberst Stauffenberg, Oberst i der „Kreisauer Kreis“ des Grafen Gedenken Wahlkampf zu treiben: „Es Mertz von Quirnheim und Oberleutnant Helmuth James von Moltke, dessen gibt viele, die nicht hingehen wollen, von Haeften. idealistische Vordenker sich am wei- weil Kohl spricht.“ Aber die Lauen pflegt der Herr auszu- testen vom Herrenmenschentum der Der Historiker Peter Steinbach, Lei- speien aus seinem Munde. Fromm kam in Nazis entfernten; ter der Gedenkstätte in Berlin, beklagt Haft und wurde im März 1945 umge- i der militärische Widerstand mit den „eine unheimliche Politisierung“. Daß bracht, einzige Vergünstigung: Er wurde Verschwörern Claus Schenk Graf von die Bundeswehr 140 Soldaten im Bend- nicht gehenkt, sondern erschossen. Für Stauffenberg und seinem Vertrau- lerblock, wo Stauffenberg und seine immer lag er nun richtig. ten Generalmajor Henning von Mitstreiter nach dem Attentat erschos- Ob Stauffenberg vor seiner Erschie- Tresckow, die Hitler beseitigen und sen wurden, das Gewehr präsentieren ßung noch gerufen hat: „Es lebe das heili- den Krieg beenden wollten. lassen will, empfindet der Wissenschaft- ge Deutschland!“, ist nicht gesichert. Demokraten waren die Männer des ler als makaber. Vielen Angehörigen Aber diese Apotheose hätte zu ihm ge- 20. Juli, für die Führergedanke, Volks- der Opfer, so Steinbach, werde es „kalt paßt. gemeinschaft und autoritärer Stände- den Rücken runterlaufen“.

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