Kommentare und Berichte 9

Norbert Seitz Nach dem Sepp ist vor dem Sepp: FIFA ohne Zukunft

Was uns allen Anfang Juni geboten ter sich nicht lumpen lässt, schien das wurde, war eine unvergleichliche Pos- Ärgste an Kritik damit überstanden. se auf der Weltbühne des Sports, trick- Solange die fußballseligen Massen reich und maliziös: Ein Absolutist des Quotenrekorde versprachen, kümmer- Verfahrens schmeißt kurzerhand hin, ten ihn zivilgesellschaftliche Protest- kaum dass er dem weltweiten Echauf- demonstrationen wie die der WM-Kri- fement seine schier unerschütterliche tiker in Brasilien oder gegen Katar und Macht durch seine ungerührte Wie- Russland ohnehin nur wenig. derwahl demonstriert hatte. Was der Doch der moralische und juristische Fußball und seine korrupten bis feigen Druck auf die FIFA ließ sich nicht mehr Funktionäre kaum je geschafft hätten, bremsen, erst recht nach dem Schei- erledigte der Potentat handstreich- tern der hausinternen Ethikkommis- artig lieber selbst. „Messias“ und „Teu- sion. Um das hochkorrupte System mit fel“, „Churchill“ und „Patron“, „Nelson seinem postkolonialen Gebaren end- Mandela“ und „Al Capone“ – die Liste lich zur Strecke zu bringen, bedürfte der außerirdischen Titel ließ in diesen es aber nicht nur eines permanenten diabolischen Tagen von Zürich und da- öffentlichen Drucks durch die Medien nach keinen Superlativ vermissen. und Gerichte, sondern auch „durch die 2014 musste Joseph A. Blatter bereits echte Fußballwelt“ (Philipp May), das wegen öffentlicher Anfeindungen auf heißt von Fans und Funktionären. Der eine Ansprache zur Eröffnung der WM Druck durch die Medien und Gerichte in Brasilien verzichten. Nur durch die ist allgegenwärtig, der Widerstand, der Hintertür der VIP-Lounges gelangte von der „echten Fußballwelt“ ausgeht, er verstohlen in die Arenen. Doch der findet indes kaum statt. Die Fans lassen schlaue Fuchs setzte auf die Nachspiel- sich durch die kriminellen Zockereien zeit und das gut gepolsterte Durchsteh- des Männerclans FIFA ohnehin nicht vermögen seiner exotischen Pappen- aus ihrer monomanischen Feierlaune heimer. bringen. Und die Gegenwehr der von Bereits Ende des WM-Jahres schien diesem System profitierenden Funktio- er die Hitze-Kritiker mit der Festle- näre ist nicht mehr als ein laues Lüft- gung der WM 2022 in Katar auf die chen. Scheinheilig und duckmäuse- Vorweihnachtszeit zumindest meteo- risch gerieren sie sich meist, allen vo- rologisch an die Leine gelegt zu haben. ran der größte nationale Sportverband Blatters Rechnung drohte einmal mehr der Welt namens DFB. aufzugehen, wie die eintönig affirmati- ve Reaktion der europäischen Funktio- närs- und Vereinswelt bewies, die seit Die Rolle des DFB der aberwitzigen Terminierung auf die Zeit des Nürnberger Christkind- Mögen DFB-Präsidenten bislang fürch- lesmarktes nur noch die Höhe der Ent- terliche Reaktionäre wie schädigungssummen für den eigenen oder , neoliberale Laden interessierte. Und da ein Blat- Schlitzohren wie Gerhard Mayer-Vor-

Blätter für deutsche und internationale Politik 7/2015 10 Kommentare und Berichte felder oder rheinische Gutmenschen wendigen FIFA-Reform die Rede ist: wie oder Theo Zwanzi- die Neuregelung der Vorstandsvergü- ger gewesen sein, tung, eine Amtszeitbegrenzung der komplettiert derzeit das Tableau als Vorstandsmitglieder, Boniabschaffung mutloser Hasenfuß. Seinen Kommen- für Funktionäre, mehr Transparenz in tar zur Blatter-Ankündigung musste der „Entwicklungshilfe“, Integritäts- man sich auf der Zunge zergehen las- checks für Funktionäre und neue Ver- sen: Es sei „tragisch“ für ihn, Joseph fahren für die Vergabe von großen Tur- Blatter, „dass er es sich nicht erspart nieren. Die mutigen Strukturreformer hat, diesen Weg früher zu wählen.“ sind in Wahrheit verzagte Schadensbe- Wie bitte? Uns, der Welt, dem Fußball grenzer, die um ihre eigenen Pfründe hätte Blatter diesen Weg ersparen sol- fürchten und die Aufklärung lieber der len. Und „tragisch“ ist der überfällige US-Justiz überlassen, als Blatter zu de- Abgang eines fintenreichen Dunkel- nunziatorischen Rundumschlägen zu mannes schon gar nicht zu nennen, der reizen. noch vier Tage zuvor einer empörten Weltöffentlichkeit demonstriert hatte, wo der güldene Hammer hängt: Mit Auch unter Verdacht: Die WM 2006 einem bösen Foul war Wolfgang Niers- bach als neuer deutscher Koalitionär Außerdem droht dem DFB noch ein im Exekutivkomitee zur Begrüßung weiteres Problem – die genauere Über- über die Außenlinie getreten worden. prüfung der WM-Vergabe für 2006 an Er sei, so heißt es, von Blatters Spezi Deutschland: Über das zustimmende ordentlich „zu- Voting der Europäer hinaus wurden sammengefaltet“ worden. damals mehrere Stimmen aus Asien Unvergessen auch Niersbachs ers- benötigt, um den Zuschlag vor Südaf- ter Presseauftritt als neu gewähltes rika zu bekommen. Die Verdachtsmo- FIFA-Exekutivmitglied – die Ernen- mente, wie diese Stimmen nach einer nung schien er noch immer mit einer glorreichen Welttournee Beckenbauers persönlichen Ehre zu verwechseln –, zusammengetrommelt worden sein als er sich damit wichtig tat, zu verkün- sollen, reichen von Waffenlieferun- den, dass die abgebürsteten Europä- gen an die Saudis unter Kanzler Ger- er gegen Blatters Donnergrollen ihre hard Schröder über den Aufstieg des 13 Startplätze für die beiden bevorste- südkoreanischen Autobauers Hyun- henden inkriminierten Weltmeister- dai zum offiziellen WM-Sponsor in schaften sichern konnten. In Russland Deutschland und Zahlungen des Me- 2018 seien es dank eines europäischen dienmoguls Leo Kirch – dessen Kon- Gastgebers sogar „13 plus 1“. zern hatte kurz vor der Abstimmung im Nach Blatters Abgangsankündi- Jahr 2000 in vier Fußballverbänden die gung schlug beim DFB „die Stunde Rechte an Freundschaftsspielen unter der Wendehälse“, welche sich plötz- Beteiligung des FC Bayern erworben –, lich an brutalst möglichem Reform- bis zu jenem zur Legende gewordenen eifer durch niemanden übertreffen las- Charles Dempsey aus Neuseeland, der sen wollten und dafür peinlicherweise vor der Abstimmung den Saal verließ von Bundessportminister Thomas de und damit den Deutschen den Zuschlag Maizière ein offizielles Lob erfuhren. ermöglichte, was Blatter über Jahre zu Doch Niersbachs Forderungskatalog feixenden Bonmots veranlasste. im Brief an die 26 000 Vereine des deut- Dass das frühere FIFA-Exekutiv- schen Fußballs fasst nur zusammen, mitglied Beckenbauer als Pro-Katar- was seit Jahren gebetsmühlenartig und Voter nunmehr Blatter vor dessen vier- aussichtslos immer wieder vorgetragen ter Wiederwahl ein Ehrenzeugnis aus- zu werden pflegt, wenn von einer not- stellte, verwunderte niemanden. Denn

Blätter für deutsche und internationale Politik 7/2015 Kommentare und Berichte 11 die Münchner Ikone, schon immer der Vize-Präsident des Europäischen Par- „billige Jakob“ aller turbokapitalisti- laments, die europäischen Verbände schen Irrwege im Weltfußball, fühl- müssten nun endlich Konsequenzen te sich bereits vorher seinem teuren ziehen. Denn unter dem Walliser Guts- Schweizer Freund verpflichtet, als er herr hätte der „Schwanz“ – gemeint die schwerwiegenden Vorwürfe von sind die afrikanischen und asiatischen Human Rights Watch gegen die skan- Verbände – allzu oft mit dem potenten dalösen Verhältnisse beim Stadion- europäischen Hund gewedelt. bau für 2022 mit jenem Spruch zurück- Europa müsse die Ankerregion für wies, der zum running gag vieler Co- einen neuen Weltverband sein, so medians avancierte: „Ich habe in Ka- Lambsdorff. „Wenn die fünf führen- tar noch keine Sklaven mit Büßerkap- den europäischen Fußballnationen pen und Fußfesseln gesehen.“ Becken- Deutschland, England, Spanien, Frank- bauers Hausverein hatte deshalb auch reich und Italien sich bereit erklären, keine Skrupel, Anfang des Jahres sein den Anker für die neue WFA zu bilden, Trainingslager ausgerechnet in Katar werden in kürzester Zeit die USA, Ja- zu beziehen, um sich auf ein Testspiel pan und Australien dazustoßen. Wenn gegen Saudi-Arabien (!) vorzuberei- dann noch Argentinien und Brasilien ten und seinen Trainer Pep Guardiola mitmachen, ist die Blatter-FIFA sport- kurzzeitig als „WM-Botschafter für Ka- lich und wirtschaftlich am Ende.“ tar 2022“ abzustellen. Auch die Grünen-Vorsitzende Simo- Auf die politischen Verhältnisse dort ne Peter plädierte für einen Gegenver- angesprochen, plädierte der frühe- band zur FIFA. „Wenn die FIFA nicht re Flügelflitzer und heutige FC-Bay- vom Kopf auf die Füße gestellt werden ern-Boss „Kalle“ Rummenigge für die kann, wäre auch die Gründung eines Einrichtung eines Ressorts „Public Af- neuen Fußball-Weltverbands denk- fairs“, um politische Fragen „zu durch- bar, der den Sport in den Vordergrund leuchten“, das heißt um herauszufin- stellt, transparente und werteorientier- den, was über schlichte Nachfragen te Kriterien für die Vergabe von Sport- bei Human Rights Watch oder Amnes- ereignissen erstellt und sicherstellt, ty International zu erfahren wäre, oh- dass Korruption und Geldwäscherei ne dass es aufwändiger Gremien be- zukünftig ausgeschlossen sind“, sag- dürfte. So viel steht zumindest fest: Von te die Grünen-Chefin, die darauf setzt, Deutschland, gar von Bayern, geht die das kreative Momentum zu nutzen, das moralische und geistige Erneuerung jeder Übergangszeit inne wohnt. des Weltfußballs sicher nicht aus. Die- Auflösung und Neugründung hört se aber ist bitter nötig und dürfte den sich zunächst akzeptabel an angesichts Europäern alsbald eine gemeinsame des nicht enden wollenden Sündenre- Agenda abtrotzen. gisters, das mittlerweile sogar bis zu Wahlkampfunterstützung eines FIFA- Funktionärs in Trinidad und Tobago Gründung einer Gegen-FIFA oder Beschwerdeverzichtsprämien für den durch eine Schiedsrichterfehlent- Nachdem der Schweizer Fußball-Papst scheidung geprellten irischen Fuß- Europa praktisch entmachtet hat, um ballverband reicht. Doch Peters Kritik sich über die vergoldeten Stimmen aus riecht eher nach Alternativnobelpreis Afrika, Asien oder der Karibik zum cha- als nach einem realisierbaren Neu- rismatischen Führer küren zu lassen, anfang. Und Lambsdorffs eurozentri- raten Kritiker nunmehr zum europä- scher Unterton ebenso wie sein hartlei- ischen Gegenschlag. So empfahl gleich biges Konkurrenz- und Leistungsden- nach Blatters skandalöser Wiederwahl ken versprechen vor allem eins – neuen Alexander Graf Lambsdorff, liberaler interkontinentalen Ärger. Diesen häu-

Blätter für deutsche und internationale Politik 7/2015 12 Kommentare und Berichte fig aus dem Wege geräumt zu haben, schlag, die Weltmacht FIFA von einem hat sich der selbst ernannte UNO-glei- mafiösen Politbüro in ein besser kon- che Brückenbauer Blatter stets als his- trollierbares straffes Unternehmen, torisches Verdienst zugute gehalten. eine Art FIFA AG, umzuwandeln, Die Aussicht, dass afrikanische und bleibt angesichts der vielfach wider- asiatische Verbände künftig vor kern- streitenden Interessen von über 200 europäischen Fußballinstanzen wie- Mitgliedsverbänden ein frommer, un- der mit ihren Bewerbungsunterlagen erfüllbarer Wunsch von unverbesser- antichambrieren sollen, weil sie den lichen Marktwirtschaftsnostalgikern. Entwicklungstest unter Blatter nicht Das Problem seien „die handeln- bestanden haben, lässt solche Neu- den Figuren“, konstatiert hingegen Evi gründungsvorhaben wie eine Strafak- Simeoni in der „Frankfurter Allgemei- tion gegen den bislang FIFA-gefügigen nen Zeitung“, offenbar auf die reforme- Rest der Welt erscheinen. Sie sollen für rischen Selbstheilungskräfte der FIFA ihre devote Gefolgschaft und Käuflich- hoffend. Doch die Suche unter den keit büßen, obwohl Europa seinerseits gründlich geschmierten Funktionären alles andere als schuldlos an der FIFA- nach einem geeigneten Blatter-Nach- Misere ist, was nicht nur am Beispiel folger gerät schon jetzt zur Farce. DFB gezeigt werden könnte. Die Europäische Fußball-Union Bei einer gewiss wünschenswerten (UEFA) hatte sich für Zürich mehrheit- Zerschlagung des alten FIFA-Macht- lich auf das ridiküle Ansinnen ver- kartells wäre mit einem Rückfall in ständigt, für den jordanischen Heraus- interkontinentale Rivalitäten zu rech- forderer Prinz Ali bin Al Hussein, ein nen. Dabei ist es allzu leicht, das FIFA- „Männlein im Gefüge“, zu stimmen. Grundübel im urdemokratischen Prin- Als Nachfolge-Kandidaten werden zip „ein Land, eine Stimme“ auszuma- mittlerweile nicht nur Wolfgang Niers- chen und den „Globalisierer des Welt- bach vom DFB, sondern auch Michel fußballs“ dafür zu verspotten, sich Platini von der UEFA genannt, einst „dank der Unterstützung solcher Fuß- auf dem Rasen ein quirliger Angriffs- ballgroßmächte wie Fidschi und Erit- held, heute als Funktionär ein beleib- rea“ locker die Macht gesichert zu ha- ter Betonakteur. Die mutige Boykott- ben. Wie aber sollte dieser Grundsatz Idee, wie sie vom britischen Funktio- wieder abgeschafft werden können, när Greg Dyke verfochten wird, um ohne den Zusammenhalt aufs Spiel europäisch geschlossen gegen das zu setzen, nur weil Blatter diesen in Korruptionssystem FIFA vorzugehen, schamloser Weise zu seinem imperia- ist mit dieser UEFA sicher nicht zu len Vorteil ausgebeutet hat? machen. Letztendlich verdienen am hybri- den System Weltfußball zu viele, und Die Gewinne der FIFA-Gigantomanie zwar nicht nur skrupellose Geschäf- temacher und Kriminelle. Selbst quo- Darüber hinaus gibt es auf eine zen- tengeile öffentlich-rechtliche TV-Un- trale Strukturfrage derzeit noch keinen verantwortliche sind unablässig an vernünftigen Vorschlag aus der be- der Expansion des Systems beteiligt, fangenen Funktionärswelt, wie näm- indem sie immer höhere Unsummen lich die FIFA-Gigantomanie zu stop- für Übertragungsrechte zu zahlen pen wäre, über unversteuerte Milliar- bereit sind. Solange aber alle davon den Gewinne einzustreichen, während profitieren, dürfte sich auch am Sys- die Steuerzahler der knebelvertrag- tem FIFA jenseits von Blatter außer ein lich gebundenen Gastgeberländer für paar Kurskorrekturen kaum etwas än- die Rahmenbedingungen aufkommen dern. Nach dem Sepp ist also vor dem müssen. Der angeblich rettende Vor- Sepp.

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