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Wie viel Zukunft steckt noch in ?

36 managermagazin 9/2006 Unternehmen Siemens

SIEMENS Der rigorose Umbau des Industrie- konzerns sorgt intern für Auseinandersetzungen. Kann Vorstandschef Kleinfeld seinen Kurs fortführen? Oder setzen sich die Bewahrer im Aufsichtsrat durch? FOTOS: KAY NIETFELD/PA/DPA, PR (2)

Zukunftsfeld Energie: Siemens baut ein Geothermie- Kraftwerk, das Strom und Wärme aus der Tiefe holt (ganz oben), stellt Windkraftanlagen her (oben) und produziert in der historischen Peter-Behrens- Halle (links) die größte Gasturbine der Welt Unternehmen Siemens

Revolutionär: Siemens-Chef baut radikal um Bewahrer: Oberaufseher Heinrich v. Pierer will mehr Achtsamkeit

n kühnem Schwung streben Eisen- IT-Dienstleisters SBS ungewiss (siehe bis hinein in die Spitze. Aufsichtsrats- träger zur Decke, durch mannigfach Kasten Seite 42) – aus der Kommunika- chef Heinrich v. Pierer (65) fürchtet, Iunterteilte Fenster strömt Tageslicht tionsindustrie verabschiedet sich der dass Kleinfeld mit seinem Hauruck- in den gigantischen Raum. Bei ihrem Konzern wohl endgültig. Gut 13 Milliar- Management – wie bei der Com-Spar- Bau 1908 war die Peter-Behrens-Halle den Euro Umsatz werden voraussicht- te – den gesamten Konzern überfordert. in Berlin eine der modernsten Fabriken lich aus der Bilanz verschwinden. Schon gab es vom Aufsichtsrat die An- ihrer Zeit. Hier wurden damals die fort- Verspielt Siemens seine Zukunft? Wie sage, dass solche Parforceritte künftig schrittlichsten Turbinen der Welt gefer- will der Industriekrösus diesen Ader- zu unterbleiben hätten. tigt – Antriebe für die Kriegsflotte von lass an Hightech kompensieren? Wo Immerhin hatte das Kontrollgremium Kaiser Wilhelm. stecken die neuen großen Chancen? der Entsorgung der margenschwachen Anno 2006 wirkt der Bau wie ein Selbst intern herrscht inzwischen Un- Com-Sparte zugestimmt – was im Kon- Relikt früher Industriearchitektur. Auf einigkeit über den Kurs des Konzerns – zern auch nicht unumstritten ist. Nur öldurchtränkten Holzbohlen stehen ar- chaische Maschinen, bohren, fräsen, FOTOS: J. BUSCHMANN/SV-BILDERDIENST, ARNE WEYCHARDT/WIRTSCHAFTSWOCHE drehen an riesigen Rohlingen aus Me- 140 tall. Immer noch stellt Siemens in den Vergebliche Mühen historischen Mauern Schaufelräder her Ob Übernahmen oder Verkäufe – die Siemens-Aktie – mittlerweile für die Stromerzeugung. entwickelt sich seit dem Amtsantritt von 130 Fast scheint es, als symbolisiere die Klaus Kleinfeld schlechter als der Dax. Produktion in dem denkmalgeschützten 27. Januar 2005 = 100 120 Ensemble die Siemens AG von heute. Dax Seit Vorstandschef Klaus Kleinfeld (48) Siemens 110 Mitte Juni verkündet hat, den Bereich Kommunikationsnetze in ein Joint Ven- 100 ture mit Nokia auszugliedern, gilt das 159 Jahre alte Unternehmen etlichen Beob- 90 achtern als traditionelles Industriekon- 30.3.2005 7.6.2005 13.7.2005 21.12.2005 27.4.2006 19.6.2006 30.6.2006 glomerat mit dem Charme von gestern. Kauf von Handy- Kauf von Verkauf der Kauf von Ankündigung Kauf von Das Handygeschäft abgestoßen, die Flender geschäft VA Tech produktnahen Diagnostic des Nokia- Bayer 80 an BenQ Dienste von Products Siemens- Diagnostics Netze ausgegliedert, der Verkauf der abgegeben SBS Joint -Ventures Kommunikationssysteme für Unterneh- 70 men beschlossen, das Schicksal des 27. Januar 2005 Quelle: Thomson Financial, Datastream August 2006

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Zukunftsfeld Medizin: Detailgetreue Auf- nahmen vom schlagenden Herzen (ganz oben) liefert der Computertomograf Soma- tom Definition (links), der im Siemens- Werk Forchheim montiert wird (oben) weil die Geschäftsbereiche im April Wachstumsfantasien hervor (siehe Gra- men, wenn sie in verbrauchernahen 2007 auf Biegen und Brechen ihre Ge- fik Seite 38). Nicht einmal die rund Märkten schnell auf technologische Ent- winnziele erreichen müssten, entledige neun Milliarden Euro teure Einkaufs- wicklungen reagieren müssen. Ein be- sich Kleinfeld der Kommunikations- tour des neuen Konzernlenkers regte redtes Beispiel liefert der Com-Bereich: sparte, lautet die Kritik. So modele er die Kauflust der Investoren bisher an. Obwohl die Kommunikationstechnik einen der wenigen deutschen Hightech- Unverständlich für Kleinfeld. „Wir eine Zukunftsbranche par excellence ist, Hoffnungsträger zu einem langweiligen sind hervorragend aufgestellt, um von scheiterten die Münchener kläglich. So Hersteller von Anlagegütern um. den Megatrends unserer Zeit zu profi- gesehen, stiftet die von Kleinfeld betrie- Anderen geht der Umbau zum Infra- tieren“, prophezeit er Siemens eine bene Konzentration auf Produkte mit strukturanbieter nicht schnell genug. glänzende Zukunft. Die Überalterung langen Lebenszyklen durchaus Sinn. Sie monieren, die neue Strategie werde der Bevölkerung und die Verstädterung Fraglich bleibt indes, ob sich Siemens nicht konsequent genug umgesetzt. Den der Erde ließen den Konzern in den auch ohne Kommunikationstechnik zum Siemens-Konzern gehörenden nächsten Jahren doppelt so schnell noch als Hightech-Unternehmen profi- Industriesparten fehle es an kritischer wachsen wie das globale Bruttosozial- lieren kann. Treiben doch Vernetzung Masse und Wachstumsvisionen. Weite- produkt. und Digitalisierung auch in den tradi- re große Zukäufe seien nötig, um den Doch die Argumentation überzeugt tionellen Geschäftsfeldern die Innova- Umsatzverlust auszugleichen. noch nicht. Selbst unter den Topleuten tion. Die Medizintechnik etwa will Turbinen, Züge, Leuchtkörper – in der des Konzerns ruft Kleinfelds Mega- mit einer elektronischen Patientenakte Tat mutet das Produktspektrum von trends-Mantra bisweilen genervtes punkten.

Siemens nach der Auflösung des einst Augenrollen hervor. Natürlich brauchen Laut Kleinfeld kein Problem für Sie- FOTOS: JAN GREUNE, KURT FUCHS, PR größten Konzernbereichs Com nicht ge- alte Menschen mehr Medizintechnik, mens – auch ohne Com: „Wir sind und rade aufregend an. Ob Energie, Indust- und Riesenstädte benötigen Strom und bleiben ein Hightech-Unternehmen.“ rie, Medizin, Transport oder Beleuch- Transportmittel. Aber ob und wie Sie- Die IT-Branche liefere ohnehin vor al- tung, alle verbliebenen Arbeitsgebiete mens von diesen langfristigen Entwick- lem Standardkomponenten. „Die setzen operieren in reifen Märkten mit weni- lungen profitieren kann, wird auf dem wir in unsere komplexen Systeme ein gen kapitalstarken Mitbewerbern. Markt erst noch ausgefochten. und veredeln sie mit Ingenieurkunst“, Bei den Anlegern ruft der Infrastruk- Fest steht allerdings, dass die Mün- schwärmt der Technikfan: „Solche intel- turanbieter Siemens denn auch keine chener immer dann Probleme bekom- ligenten Lösungen sind viel innovativer

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WACHSTUM DRINGEND GESUCHT Siemens-Chef Klaus Kleinfeld stärkt die dynamischen Bereiche des Elektrokonzerns. Der Rest darf mitlaufen, solange er keine bösen Überraschungen bereitet.

Arbeitsgebiet Umsatz 2005 Zukunftschancen Kleinfelds Zukäufe

ENERGIE 12,3 Mrd. Euro +++ Dauerhaft starkes Wachstum dank effizien- Power Machines (Jahresumsatz bei ter konventioneller Kraftwerke und Übernahme 520 Mio. Euro), Kühnle, guter Angebote bei erneuerbaren Energien; Kopp & Kausch (270 Mio. Euro), Boom bei Windkraft. Wheelabrator (137 Mio. Euro)

MEDIZINTECHNIK 7,6 Mrd. Euro +++ Alternde Bevölkerung steigert Nachfrage; CTI Molecular Imaging (315 Mio. breites Produktspektrum von Vorsorge bis Euro), Diagnostic Products Therapie; begrenzte Gesundheitsbudgets, (377 Mio. Euro), Bayer Diagnostics harter Preiskampf mit GE, Philips. (1,43 Mrd. Euro)

AUTOMATISIERUNG 21,1 Mrd. Euro ++ Boom dank Industrialisierung in China, Robicon (92 Mio. Euro), Flender Indien, Nahost; stark konjunkturabhängig; (1 Mrd. Euro), VA Tech (3,9 Mrd. Euro), langfristig hohes Wachstum bei Wasser- Electrium (109 Mio. Euro) technik zu erwarten.

VERKEHR 13,8 Mrd. Euro + Automobiltechnik branchenbedingt kein keine großer Wachstumstreiber; derzeit gute Nachfrage bei Bahntechnik, aber häufig technische Probleme.

BELEUCHTUNG 4,3 Mrd. Euro + Technisch hervorragend, keine marktbedingt jedoch nur langsames Wachstum zu erwarten.

als PC oder Handys, und sie machen Umsatz wuchs seit dem Jahr 2000 um Bis Jahresende liefert Med 150 der je rund Siemens einmalig.“ 50 Prozent. zwei Millionen Euro teuren Anlagen aus Kommt die Frage auf Hightech made „Innovationen prägen uns“, wirbt – und GE hat kein vergleichbares Gerät by Siemens, sprudelt es nur so aus Reinhardt und dimmt zum Beweis das im Angebot. In der Magnetresonanz- Kleinfeld heraus: Die Computertomo- Licht in dem futuristisch blau schim- tomografie, der zweiten großen bild- grafen, deren chipbeladene Innereien mernden Vorführraum der Med-Zent- gebenden Medizintechnik, gelang den mit Fliehkräften wie im Formel-1-Boli- rale in Erlangen. Auf dem Bildschirm Erlangern bereits 2005 der Sprung an den herumwirbeln; die rot glühenden dreht sich dreidimensional ein schla- die Spitze. Und auch bei IT-Lösungen im Schaufeln der Gasturbinen, die bei gendes Herz. Ein Mausklick blendet Gesundheitswesen gelten sie als führend. 1250 Grad Hitze rotieren; die Filtra- den zuckenden Muskel aus, nur die Prächtige Aussichten für Med, glaubt tionssysteme, die stinkende Kloaken in Adern bleiben sichtbar. Einmal zoomen, die Konzernführung. Kein Bereichs- Trinkwasser verwandeln. und ein Blick zeigt, ob ein in das Gefäß chef durfte deshalb mehr Geld für Doch wie gut die Zukunftschancen für eingesetztes Stent-Gitter noch freien Firmenübernahmen ausgeben als Rein- den Mischkonzern tatsächlich stehen, Blutfluss ermöglicht. hardt. Doch große Übernahmen wie lässt sich weder aus der jugendlichen Das detaillierte Bild produziert die zuletzt Bayer Diagnostics (Kaufpreis: Begeisterung des Vorstandschefs noch jüngste Errungenschaft von Med – der 4,2 Milliarden Euro) muss die Organi- aus den Warnungen der Pessimisten Computertomograf Somatom Defini- sation erst einmal verdauen. Dabei kur- ablesen. Jedes der fünf großen Arbeits- tion. Dank neuer Technologie – statt ei- sieren bereits Spekulationen, Med wolle gebiete (siehe Kasten oben) muss einzeln ner kommen zwei Röntgenquellen zum sich auch die Diagnostiksparte von nachweisen, wie viel Innovation, Dyna- Einsatz – arbeitet das Gerät so schnell, Schering einverleiben. mik und Profitabilität in ihm steckt. dass sogar ein hektisch pumpendes Zudem zeigte Med in der jüngsten Herz ohne Gabe von Betablockern exakt Quartalsbilanz Schwächen. Der Umsatz DAS MEDIZINISCHE WUNDER abgebildet werden kann. Ideal für Un- sank in den drei Monaten zum 30. Juni Die Medizintechnik (Med) gilt intern als tersuchungen im Notfall. um 4 Prozent – offiziell wegen des star- Benchmark. Seit Jahren liefert Bereichs- Mit dem Somatom Definition könnte ken Wachstums im Vorjahreszeitraum. vorstand Erich Reinhardt (59) regel- es Med gelingen, dem Erzrivalen Gene- Der Rückgang könnte auch die Auswir- mäßig Gewinne am oberen Ende der ral Electric (GE) die Marktführerschaft kung des verschärften Wettbewerbs in Zielmarge von 11 bis 13 Prozent. Der bei Computertomografen abzujagen. der Branche sein.

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klärt: „Siemens ist in der Industrieauto- Aktion Sorgenkind matisierung in vielen Bereichen tech- nisch ganz weit vorn.“ Der angeschlagene IT-Dienstleister SBS soll im Konzern bleiben Selbst die Konkurrenz zollt fast schon ehrfürchtig Respekt. „Siemens hat in un- Das Problem: Ganz neue Töne erhalten bleibe. Der Grund ist politisch: serer Branche beinahe so viel Macht wie schallen zum Thema SBS aus der Die Sparte soll nach einer Ende 2005 Microsoft in der Computerwelt“, raunt Chefetage von Siemens: „Wir brauchen mit der Bundesregierung geschlossenen der Manager eines Wettbewerbers: „Die IT-Kompetenz im Haus“, kommentiert Grundsatzvereinbarung gemeinsam mit können Industriestandards setzen.“ Al- Vorstandschef Klaus Kleinfeld Fragen zur IBM die nicht militärische Kommunika- lerdings nur in Europa. Auf dem riesigen Zukunft des hauseigenen Dienstleisters. tions- und IT-Infrastruktur der Bundes- US-Markt dominieren Konkurrenten Bisher war der Bereich mit seinen wehr übernehmen. Der mit 6,65 Milliar- wie Rockwell und Honeywell. 39 000 Computerspezialisten als den Euro dotierte Outsourcing-Vertrag In China, Indien und Nahost schreien maroder Übernahmekandidat gehandelt über zehn Jahre – bekannt als Herkules- die Unternehmen nach Ausrüstungen worden – erst Mitte August kursierten Projekt – liegt dem politisch engagier- aus Deutschland – ein Boom, der nun wieder Gerüchte über einen Verkauf des ten v. Pierer sehr am Herzen. schon Jahre anhält. Doch die Automati- Geschäfts an einen europäischen Zum anderen erklärt Kleinfeld selbst: sierungsbranche ist extrem zyklisch, Konkurrenten. Das Geschäft mit IT-Ser- „Kein Unternehmen hängt stärker von IT und die nächste Delle kommt bestimmt. vices steckt tief in den roten Zahlen; ab als Siemens.“ Diese Aufgabe könne Flaut die Nachfrage ab, könnte die das Ziel von 5 Prozent Umsatzrendite für also nicht einfach nach außen gegeben Marge von zuletzt 12,3 Prozent merklich das Frühjahr 2007 scheint unerreichbar. werden. Deshalb soll nun – erstens – die sinken – eine Gefahr, der A&D-Chef Mittlerweile verlautet jedoch aus dem auf die operativen Bereiche verteilte Helmut Gierse (56) durch stärkeren Konzern, SBS-Bereichsvorstand IT-Kompetenz bei SBS gebündelt IT-Einsatz und ein breites Wartungs- Christoph Kollatz habe bei den jüngsten werden. Zweitens wird die Sparte näher angebot entgegenwirkt. Deshalb dürf- Quartalsgesprächen eine überzeugende an das Siemens-Geschäft geführt; ein te A&D auch weiterhin eine Cash- Strategie vorgelegt, und dies zähle Team von „50 anerkannten Topleuten“ maschine für Siemens bleiben – nicht mehr als die Marge. Entscheidend werde arbeite daran. euphorisierend, aber grundsolide. im April 2007 sein, wie sehr sich die Die Lösung: Organisatorisch könnte Deutlich mehr Spannung steckt in der Leistung des IT-Geschäfts verbessert die neue SBS als interner Dienstleister Sparte Industrielösungen (I&S), die aus habe und nicht die pure Zahl. aus dem operativen Geschäft von den Komponenten von A&D unter- Der Deal: Zur Erklärung des Sinnes- Siemens herausgelöst werden. Sie schiedlichste Angebote bastelt: Ge- wandels kursieren zwei Versionen. Zum würde dann zu einem eigenen Segment sichtsscanner für die Sicherheitskon- einen berichten intime Kenner des Unter- unter den sogenannten „other trolle in Flughäfen zum Beispiel. Das nehmens von einem Kuhhandel zwischen operations“, zu denen derzeit etwa System für die City-Maut in London Kleinfeld und Aufsichtsratschef Heinrich Siemens Financial Services zählt. Eine oder Anlagen zur Verflüssigung von v. Pierer. Der Oberaufseher habe der elegante Lösung, denn auf die Margen in Gas, das so auf Schiffe verladen werden Auflösung des Com-Bereichs nur unter diesem Sonderbereich achten die kann. Schöne Wachstumsraten – in den der Bedingung zugestimmt, dass SBS Finanzanalysten längst nicht so streng. letzten beiden Jahren gut 20 Prozent pro Jahr – bringt I&S die Wassertechno- logie. Durch den Kauf von US Filter vor zwei Jahren stieg Siemens in diesem Wie Siemens werben GE und Philips beitsgebiet Industrie derzeit massenhaft essenziellen Infrastrukturbereich an die mit einer Angebotspalette von Präven- verkauft. 28 Prozent Umsatzzuwachs Weltspitze auf. tion über Diagnose bis zur Therapie. verzeichnete die Sparte Automation & Das Sammelsurium diverser Lösun- Und das in einem Markt, der theore- Drives (A&D), die rund 137 000 Produkte gen lässt sich indes nur schwer mana- tisch hohe Dynamik verspricht, prak- vom Elektromotor über Spannungs- gen, weshalb die Gewinne unbefriedi- tisch aber weltweit mit knappen Ge- schützer bis zur Steckdose in Wenge- gend ausfallen. Doch Kleinfeld glaubt sundheitsbudgets konfrontiert ist. holz-Design herstellt, im dritten Quartal an die Zukunft von I&S. Er stützte die Preiskampf, Innovationsdruck, In- des Siemens-Geschäftsjahres. Der An- Sparte mit Käufen wie zuletzt VA Tech. tegrationswehen – Med hat mit den bieter industrieller Komplettlösungen Die A&D-Produkte sind vielfach Herausforderungen eines hart um- I&S (Industrial Solutions & Services) Marktführer, die Industrielösungen von kämpften Geschäfts zu tun. Und doch präsentierte gar 59 Prozent Plus. Der Ge- I&S chancenreich – das Gebiet Indust- wecken die Hightech-Produkte aus bäudeausrüster Siemens Building Tech- rie hat trotz der Schwäche des Gebäude- Franken schöne Zukunftsfantasien. nologies (SBT) indes schwächelte mit ausrüsters SBT große Perspektiven. 4 Prozent – trotz weltweiten Baubooms. DER INDUSTRIELLE KERN Es muss also etwas dran sein an DIE ENERGIEQUELLE Schwerer vorstellbar dagegen sind die den Schalttafeln und Getrieben. Richard Auf den ersten Blick sehen die Schaufeln technischen Raffinessen der Steuerun- Tamworth, Branchenanalyst bei Markt- der Gasturbine aus wie elegant gebo- gen, Sensoren und Anlagen, die das Ar- forscher Frost & Sullivan, jedenfalls er- gene Metallstücke – nicht wie Hightech-

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Zukunftsfeld Automatisierung: Steuerungen von Siemens regeln die Produktion bei VW (links); ein Verkehrsleitsystem für das Ruhr- gebiet vermindert Staus (ganz oben); Funk- chips optimieren den Güterfluss (oben)

Produkte im Wert eines Mittelklasse- dritte große Spieler – von der Ressour- Energieverteilung jüngst ein Wachstum wagens. Erst unter der Lupe erkennt cenverknappung profitieren. Kurzfristig von gut 80 Prozent. Schnell schließt der das Auge den feinen Flaum, der sich punktet Bereichschef Voges mit der runderneuerte Bereich zu Marktführer durch einen speziellen Bedampfungs- Spartechnologie bei konventionellen ABB auf, auch dank der Übernahme des prozess auf der Oberfläche bildet. Diese Kraftwerken sowie neuen Methoden bei Stromgeschäfts von VA Tech. fellartige Schicht aus Kristallen schützt der Kohleverflüssigung, die Siemens Gute Marktposition, intelligenter Ener- vor Hitze und ermöglicht den Betrieb mit der Schweizer Sustec zukaufte. Auf giemix, exzellente Wachstumschancen – bei höheren Temperaturen, was wie- Dauer gewinnt er mit der Ausrichtung auch in Zukunft kann die Energiesparte derum den Wirkungsgrad steigert. auf Windenergie. einer der großen Umsatz- und Gewinn- „Wir produzieren an den Grenzen des Die Übernahme von Bonus Energy bringer von Siemens bleiben. Machbaren“, schildert Klaus Voges (58), 2004 katapultierte Siemens in die Top- Chef des Bereichs Energieerzeugung liga der Anbieter von Alternativtech- DAS TRANSPORTPROBLEM (PG), stolz die Leistungen seiner Mate- nologien. Der Absatz von Windrädern Trotz zunehmender Mobilität – das Ar- rialforscher, Thermodynamiker und verdoppelte sich im vergangenen Quar- beitsgebiet Transport nimmt viel zu we- Brennertechniker. Experten sehen die tal. Die Werke in Dänemark werden für nig Tempo auf. Der Automobilzulieferer Gas- und Dampfturbinen von Siemens 50 Millionen Euro erweitert, in den USA VDO wächst zwar dank Innovationen als global überlegen bei Effizienz und entsteht eine neue Fabrik. wie der Piezo-Einspritzpumpe oder Umweltfreundlichkeit. Die Umstellung auf den neuen Ener- neuartiger Displaytechniken im Bran- Langfristig gesehen allerdings sind giemix indes kostet. Zudem generieren chenvergleich ganz ordentlich. Die Gasturbinen Auslaufmodelle. Die fossi- Windkraftanlagen geringere Gewinne große Dynamik sehen Analysten aber len Brennstoffe gehen aus. Alternative als das traditionelle Geschäft mit kon- nicht. „VDO kann langfristig weder den Energiequellen werden wichtiger und ventionellen Kraftwerken. Folge: Die Wachstums- noch den Gewinnerwar- bescheren der Ausrüsterbranche riesi- Marge fiel zuletzt mit 8,1 Prozent unter tungen von Siemens genügen“, konsta- ges Wachstum. die Zielgröße. tiert Bernd Laux von der Investment-

Davon profitiert am meisten der Da trifft es sich gut, dass das zweite bank Cheuvreux. Er rechnet mit einer FOTOS: PR (3) Marktführer GE, aber Siemens kann Standbein des Arbeitsgebiets Energie Ausgliederung der Sparte, die kaum auch als Nummer zwei im Oligopol boomt. Weil die Stromnetze weltweit Berührungspunkte mit den anderen Energieerzeugung – Alstom ist der marode sind, verzeichnete der Bereich Bereichen aufweist.

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Einen Abschied von der Sparte Trans- Siemens zum Teil an kritischer Masse, portation Systems (TS) indes können dominieren einheimische Konkurren- sich selbst kreative Branchenexperten ten: GE in der Medizintechnik und bei kaum vorstellen. Wer sollte den Herstel- Energie, Rockwell und Honeywell in ler von Zügen und Signaltechnik kaufen? der Automatisierungstechnik. TS agiert in einem extrem schwierigen Um die Platzhirsche auf ihrem Terrain Markt und erzielt eine mickrige Marge angreifen zu können, muss sich Siemens von 1,8 Prozent – und das, obwohl Sie- in den Vereinigten Staaten vergrößern, mens bei den hoch technisierten Stell- und zwar kräftig. So richtig dicke Bro- werken Weltmarktführer ist. cken müssten die Akquisitionen sein, Ein Grund für die miserable Perfor- weiß Kleinfeld: Johnson & Johnson in mance: Trotz zunehmender Standar- der Medizintechnik zum Beispiel. Oder disierung muss in der Bahnindustrie Rockwell in der Fertigungsindustrie. noch immer jeder Auftrag als individu- Oder Honeywell, der führende Anbieter elle Sonderanfertigung ausgeführt wer- in der Prozessindustrie, den vor Jah- den. Dabei drohen unzählige Risiken. ren schon einmal der damalige Vor- Kommt schlechtes Projektmanagement steher v. Pierer als Übernahmeziel an- dazu, ist der Profit schnell dahin. visiert hatte. Heute, als Aufsichtsratschef, gehen DAS HELLE LICHT v. Pierer die Umbaupläne seines Nach- hingegen wirft regelmäßig be- folgers viel zu weit. Und er weiß die neidenswert gute Margen ab und spielt Mehrheit des Kontrollgremiums hinter mit vielen Innovationen technologisch sich. Die Aufseher halten die Kräfte in der ersten Liga. Doch Wachstumsra- der Organisation Siemens bereits heute ten, wie sie Kleinfeld in Zukunft bei Sie- für überstrapaziert. Zu viel habe der mens realisieren will, gibt der Markt für Vorstandschef in den gut 18 Monaten Beleuchtung schlicht nicht her. Insider seit seinem Amtsantritt schon entsorgt spekulieren deshalb auf einen Börsen- und zugekauft. Jetzt müsse erst ein- gang des für sich sehr gut aufgestellten mal Schluss sein mit dem hektischen 4,3-Milliarden-Euro-Geschäfts. Aktionismus. Während die einen Kleinfeld als über- STREIT UM DIE ZUKUNFT eifrigen Macher bemäkeln, fragen sich Erstklassige Technologie, gesunde Mar- andere Kritiker, ob der ehemalige Unter- gen und langfristig starkes Wachs- nehmensberater mehr könne, als in Con- tum – alle drei Kriterien für eine rosige sultant-Manier eine Reißbrettfirma zu Perspektive erfüllen bei Siemens die entwerfen. In der Tat muss sich erst Arbeitsgebiete Medizintechnik, Indust- noch weisen, ob die zahlreichen Port- rieautomatisierung und Energie. foliomaßnahmen der jüngsten Zeit lang- Geht es nach Kleinfeld, konzentriert fristig Erfolg zeigen. Derweil stärkt die sich der Konzern genau auf diese Zu- bescheidene Bewertung des Aufbruchs kunftsbereiche – und zwar mit aller durch die Börse die Skeptiker. Macht. Schon wird im Vorstand geläs- Die konservativen Kräfte warnen tert, demnächst ziehe die Konzernzent- auch vor einer Überlastung der noch im- rale wohl von München ins Frankenland mer grundsoliden Kasse des Konzerns. um. Sind doch in der Region Nürn- So monieren Experten den Abfluss von berg/Erlangen alle drei Hoffnungsträger Cash in der Hochkonjunktur. Weitere zu Hause. kostspielige Umbauten und Akquisitio- Kleinfelds Blick allerdings geht viel nen könnten die finanzielle Seriosität weiter – nämlich ins Ausland: „Damit des Unternehmens gefährden; zumal Siemens in den nächsten 160 Jahren Siemens stets billig abgebe und über- gedeiht, müssen wir uns international teuert einkaufe. verstärken.“ Auch in Asien und den Bewahrer gegen Revolutionäre – in USA will der ambitionierte Konzernchef der Konzernspitze wird ein Richtungs- in den Kernfeldern in Toppositionen kampf ausgetragen. Längst geht es nicht vorrücken. In China muss Siemens mehr um das persönliche, schon länger dabei allerdings gegen die Konkurrenz eher kühle Verhältnis zwischen Klein- aggressiver Angreifer auftrumpfen. feld und seinem Chefaufseher. Es geht Klar sieht der Amerika-Kenner auch um viel mehr: um die Zukunft von Schwächen in den USA. Dort fehlt es Siemens. Eva Müller

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