Konstruktion von Weiblichkeit im Werk von Betty Paoli anhand ausgewählter Gedichte, Novellen und Artikel

Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Master of Arts (MA)

an der Karl Franzens Universität Graz

vorgelegt von Katharina FEEST

am Institut für Germanistik Begutachterin: Priv.-Doz. Dr. Alice Le Trionnaire-Bolterauer

Graz, 2015

Ehrenwörtliche Erklärung

Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen inländischen oder ausländischen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht. Die vorliegende Fassung entspricht der eingereichten elektronischen Version.

Graz, Oktober 2015 ______Katharina Feest

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Es wird darauf hingewiesen, dass in der vorliegenden Arbeit nur die männliche Form verwendet wird. Die weibliche Form ist dabei selbstverständlich immer mitgemeint. Diese Variante wurde gewählt, um die Lesbarkeit zu garantieren.

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung ...... 6

2 Eine kurze Beschreibung des Zeitalters des Biedermeier ...... 8

2.1 Frauen im Biedermeier ...... 12

2.2 (Schul-)Bildung von Mädchen zur Zeit des Biedermeier ...... 14

2.3 Schreibende Frauen im Biedermeier ...... 18

2.4 Literatur zur Zeit des Biedermeier ...... 24

2.4.1 Biedermeiernovellistik ...... 26

3 Betty Paolis Leben ...... 34

4 Untersuchung ausgewählter Werke ...... 38

4.1 Die Lyrik...... 39

4.1.1 Politische Lyrik? – „Der Minotaurus“ ...... 42

4.1.2 Weibliche Lyrik? ...... 45

a) „Ich“...... 46

b) „Kein Gedicht“ ...... 50

c) „Wandlung“ ...... 53

d) „An ***“ ...... 56

e) „47.“ [Lied] ...... 58

4.1.3 Ergebnisse Lyrik ...... 61

4.2 Die Feuilletons ...... 62

4.2.1 Betty Paoli und die Presse ...... 62

4.2.2 Zuwendung zu politischen Themen ...... 64

4.2.3 Betty Paoli und die „Neue Freie Presse“ ...... 65

4.2.4 Untersuchung der Texte...... 66

a) „Eine Zeitfrage“ ...... 68

b) „Über weibliche Erziehung“ ...... 71

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c) „Wissen ist Macht“ ...... 74

4.2.5 Ergebnisse Feuilletons ...... 77

4.3 Die Novellen ...... 78

4.3.1 Vorbemerkungen ...... 78

a) „Die Ehre des Hauses“ ...... 82

Die Schönheit, der Schmerz und der Stolz ...... 86

Die Liebe ...... 88

b) „Honorine“ ...... 90

Die Schönheit und der Schmerz ...... 92

Die Liebe und die Abhängigkeit ...... 94

Die versteckte „Frauenfrage“...... 95

c) „Leonore“ ...... 97

Die äußere und die innere Schönheit ...... 98

Die Leidenschaft und die Liebe ...... 99

Die versteckte „Frauenfrage“...... 102

4.3.2 Ergebnisse Novelle ...... 102

5 Zusammenfassung ...... 106

6 Literaturverzeichnis ...... 109

6.1 Primärliteratur ...... 109

6.2 Sekundärliteratur...... 110

6.3 Internetquellen: ...... 116

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1 Einleitung

Der Begriff des „Biedermeier“ weckt in der heutigen Vorstellung gemeinhin Bilder von Idylle, Friedfertigkeit und Beschaulichkeit. Dabei handelt es sich sicherlich um Ideen, die von den bildenden Künsten geprägt wurden. Kunstvoll-üppige Blumenbouquets oder rosige Mädchen-Wangen eines Portraits von einem Maler wie etwa Ferdinand Georg Waldmüller (1793 – 1865) tauchen vor dem inneren Auge auf. Es ist eine Idylle voller Lieblichkeit und Geborgenheit, die hier gezeigt wird und noch heute die Vorstellung von der Biedermeierzeit prägt. Diese heile Welt ist jedoch nur eine scheinbare. Parallel zum Begriff des Biedermeier existiert auch die Bezeichnung des „Vormärz“. Beide Begriffe umspannen zwar die Zeit von 1815 bis 1848, sind jedoch nicht deckungsgleich. Denn während man mit „Biedermeier“ eine kulturell geprägte Haltung meint, verweist „Vormärz“ auf eine konkrete politische Zeit, die durch Zensur und totale Staatsüberwachung durch Kanzler Metternich geprägt war. Die Repression durch den Staat drängte die Menschen in jenen Quietismus, der heute als Biedermeier gelobt wird.1 Nicht umsonst sieht Schneider die Salonkultur des Biedermeier mit ihrem Hang zur Musik und Theaterleidenschaft als „Symptom einer Fluchtbewegung in den unpolitischen Freiraum der Innerlichkeit“2. Träger des Biedermeier war das Bürgertum, dessen Kern die Familie darstellte. Im Bürgertum herrschten klare gesellschaftliche Vorstellungen, wie eine solche Familie auszusehen und zu funktionieren hatte: Der Mann als Familienoberhaupt verließ das Heim, um sich der Erwerbstätigkeit zu widmen, während die Frau zu Hause blieb, um für Haushalt und Kinder Sorge zu tragen. Während die Knaben von einem Hauslehrer unterrichtet wurden oder eine Schule besuchten, wurden Mädchen zu Hause von Gouvernanten darin unterwiesen, wie sie sich als zukünftige Damen des Hauses zu verhalten hatten. Öffentliche und private Sphäre waren also klar aufgeteilt.

Diese Zeit des Biedermeier bzw. des Vormärz ist das Zeitalter der Betty Paoli (1814 – 1894). Paoli war nicht nur eine bei ihren Zeitgenossen beliebte Autorin von Liebeslyrik und Novellen, sondern auch eine bekannte Feuilletonistin. Das Besondere an ihrem Leben war jedoch, dass sie entgegen der damaligen Konventionen unverheiratet und kinderlos war und sich mit ihrem Beruf als Schriftstellerin selbst erhielt. Sicherlich auf ihrer Biografie basierend,

1 Ronald Schneider: Im Schatten der Restauration: Das literarische ‚Biedermeier‘. In: Geschichte der deutschen Literatur. Vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Bd. 1/2. Hrsg. von Viktor Žmegač. Weinheim: Beltz Athenäum Verlag 1996. (= Studienbücher Literaturwissenschaft. 1.), S. 258. 2 Vgl. ebda. 6 spielt Weiblichkeit in allen ihren Werken eine wesentliche Rolle. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit soll die These untersucht werden, in wie weit Weiblichkeit im Werk Betty Paolis zum Tragen kommt und ob Weiblichkeit in jeder der von ihr behandelten Gattung dieselbe Rolle spielt bzw. ob jede Gattung als Plattform für dieselbe Darstellung von Weiblichkeit dienen kann. Es stellen sich also auch die Fragen, inwieweit Betty Paolis Leben als Frau außerhalb der gängigen gesellschaftlichen Norm stattfand und welche Ansichten sie zur Stellung der Frau in ihrer Zeit im Allgemeinen hatte. Gibt es emanzipatorische Forderungen nach einer Gleichstellung der Frau in ihren Werken? Oder noch konkreter formuliert: Wie konstruierte Betty Paoli Weiblichkeit in den unterschiedlichen, von ihr behandelten Gattungen, genauer in ihren Gedichten, Essays und Novellen? Um diese Fragen beantworten zu können, wird in dieser Arbeit zu Beginn ein Überblick über soziale, gesellschaftliche und bildungspolitische Verhältnisse im 19. Jahrhundert bzw. in der Epoche des Biedermeier im Speziellen gegeben. Dabei wird besonderes Augenmerk auf die Situation der Frau zu dieser Zeit gelegt, allem voran in den Bereichen der schulischen und häuslichen (Aus-)Bildung von Mädchen und der möglichen Betätigungsfelder für Frauen. Da mit Betty Paoli eine Schriftstellerin im Zentrum dieser Masterarbeit steht, wird auch auf schreibende Frauen sowie auf die Literatur zur Zeit des Biedermeier mit Fokus auf Biedermeiernovellistik eingegangen. Da Betty Paolis Biografie für ihr Werk ausschlaggebend zu sein scheint, wird eingangs ihr Leben, das beinahe das gesamte 19. Jahrhundert umspannte, beschrieben. Die Untersuchung der oben erwähnten Thesen und Fragen zur Konstruktion von Weiblichkeit im Werk Paolis erfolgt schließlich anhand ausgewählter Beispiele.

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2 Eine kurze Beschreibung des Zeitalters des Biedermeier

Für die Jahre von 1815 bis 1848 sind die beiden Begriffe „Biedermeier“ und „Vormärz“ nebeneinander existent und bezeichnen eben denselben Zeitabschnitt, wenn auch mit einem Unterschied: bezeichnet der eine Begriff, nämlich Biedermeier, „eine kulturell geprägte“ Attitüde, so steht der andere, also Vormärz, für „eine durch eine bestimmte politische Situation charakterisierte Lebenshaltung“.3 Dieser Begriff des „Biedermeier“ ist mit dem Bild der Idylle, der Friedfertigkeit und Beschaulichkeit verknüpft, was am Einfluss der bildenden Künste und vor allem der Malerei liegt, die das Porträt einer gesunden Welt ohne Spannungen vermittelt. Jedoch trügt der Schein, denn es gab zu dieser Zeit massive Spannungen, die sich im Laufe des 19. Jahrhunderts immer mehr zuspitzten. Eine besondere Stellung in Zeiten dieser Spannungen hatte die Stadt Wien. 1815 geschah hier beim Wiener Kongress Weltpolitik und so wurde die Stadt interessant. Die Wiener Bevölkerung galt „als gutmütiges, biederes und gastfreies Volk, das einen großen Hang zum Wohlsein hatte.“4 Tatsächlich war in Wien zu dieser Zeit aber keine homogene Bevölkerung zu finden, denn hier lebten „Ungarn, Polen, Serben, Kroaten, Griechen, Türken usw.", die untereinander ihre Sprachen, im allgemeinen Gebrauch aber Deutsch sprachen, wohingegen in gehobenen Kreisen Französisch und Italienisch gesprochen wurde. Titel und Würden waren in Wien wichtig und so wurde besonders der Kaiser als Vorbild beachtet: „Schon vom Kaiser ging aller Konservatismus, alle Furcht vor dem Neuen aus, die in irgendeiner Weise für die Zeit des Biedermeier charakteristisch ist.“5 Nichtsdestotrotz „vollzogen sich [in der Epoche des Biedermeier] enorme Veränderungen im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereich, die schließlich zur Revolution 1848 führten“6. Dem entgegen neigte die Literatur dazu, diese Zustände zu verharmlosen und ignorierte die aufkommenden Probleme, die sich aus der veränderten Sozialstruktur ergaben. Die soziale Situation war kritisch und verschärfte sich in den 30er- und 40er-Jahren des 19. Jahrhunderts infolge hoher Arbeitslosigkeit und der daraus resultierenden Prostitution sowie des Bettlertums immer mehr, ohne Hoffnung auf Besserung, denn es „erfaßte kaum jemand

3 Im Folgenden wird – wenn nicht anders angegeben - zur sozialpolitischen Lage der folgende Beitrag herangezogen: Robert Waissenberger: Biedermeier und Vormärz – Sinnesart einer Zeitspanne. In: Bürgersinn und Aufbegehren. Biedermeier und Vormärz in Wien. 1815 – 1848. Katalog zur 109. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, Karlsplatz, Im Künstlerhaus, Karlsplatz 5, 17. Dezember 1987 bis 12. Juni 1988. Wien: Jugend und Volk 1988, S. 302 – 313, S. 302. Nur direkte Zitate werden extra angeführt. 4 Ebda. 5 Ebda. 6 [Anonym:] Kapitel 15: Alltag in der Stadt. In: Bürgersinn und Aufbegehren, S. 547. 8 die gesellschaftliche Wirklichkeit“, die nicht beachtet, sondern allenfalls „als lästig“ empfunden wurde. So kam es aufgrund ständiger Teuerungen, die aus Missernten, Viehseuchen in Russland und politischen Unruhen in Galizien resultierten, zu Lebensmittelkrawallen und wegen der Ansicht, dass die allzu rasche Industrialisierung und Technisierung die „eigentliche Ursache des Ruins“ waren, zu Maschinenstürmen in Betrieben. Dem sollten staatliche Zwangsmaßnahmen entgegenwirken, wirkliche soziale Hilfe, die das Problem an der Wurzel lösen sollte, gab es allerdings nicht. Diese sozialen Probleme sowie die prekäre Wohnsituation in Wien spitzten sich immer weiter zu und gipfelten schließlich nach den Notjahren 1845 bis 1847 in der Revolution von 1848. Dem liegt auch die Einstellung der Politik des „System Metternich“ zugrunde: Aufgrund der Französischen Revolution, „unter deren Eindruck man in ganz Europa stand“, wurde alles, was auch nur den Anschein einer Revolution, eines Aufruhrs oder einer Reform machte, zurückgewiesen, wobei hier von vornherein eine Politik der Defensive praktiziert wurde. Man wollte einen „totalen Polizeistaat“, dessen wichtigstes Machtmittel die Zensur war, mit deren Hilfe man schon von vornherein quasi präventiv jeden Gedanken im Keim ersticken wollte, der dem Regime gefährlich werden konnte. Der Zensur unterlagen also nicht nur literarische Produkte, sondern auch Schriftliches wie Geschäftsschilder und Grabinschriften. Dadurch wurde auch der geistige Fortschritt der Gesellschaft behindert, da zum Beispiel Bücher und Schriften aus dem Ausland nicht ins Land kamen. Als Gegenmaßnahme wurden „Lesegesellschaften“ und „Lesekabinette“ gegründet, wo man doch noch an solch „extravagante“ Literatur herankommen konnte. Das vorherrschende Gefühl zur Zeit des Biedermeier war wohl das, einem ungewissen Schicksal unterworfen zu sein. Man setzte zum Beispiel Zahlen, die einem im Traum erschienen waren, in der „Lotterie“, was aber nur die „heiteren Seiten“ der Ungewissheit darstellt. Tatsächlich war die Angst ein bezeichnendes Gefühl, was wohl an der generellen unsicheren Zeit lag. Dabei war die Quintessenz: man sei dem Schicksal ausgeliefert und es gäbe keine Möglichkeit, sich dagegen aufzulehnen. „Die Lebensangst war allgemein und prägte sich deutlich in die herrschende Mentalität.“7 Die Adeligen hatten die Auswüchse der Französischen Revolution intensiver erlebt, so war es von ihrem Standpunkt aus notwendig, dass jegliche Art von Revolution oder Erneuerung verhindert wird, wenn es eben mit Staatsgewalt, also Polizei, sein musste. Folglich scheint es logisch, dass Waissenberger das Biedermeier als eine Geisteshaltung bezeichnet, deren Ursachen tatsächlich in der politischen Situation zu finden sind, aber auch

7 Ebda. 9 in einer Grundstimmung, die er der „Wiener Veranlagung“ entsprechen sieht: eine Mischung aus Weltschmerz und Melancholie, die von Schwärmertum bis zum Lebensüberdruss und Todessehnsucht reicht. Als einfachste Form einer solchen Mentalität definiert er die „Tränenseligkeit“8: dass man bei jeder Gelegenheit in Tränen ausbricht, sei es aus Gründen der Freude oder sei es aus Trauer. Auf jeden Fall gilt das unüberwindbare Schicksal als eine vorgegebene Instanz, die zumeist von Standesdünkel, Erziehung und „Sitte“ repräsentiert wird: Der Mensch des Biedermeier erscheint nicht als Kämpfer, sondern als Dulder. Das ist der Grundton, der ihn einstimmt. Immer ist er auf Ausgleich und Kompromiß gerichtet, der zwischen dem Ideal und dem Tatsächlichen gefunden werden muß. Auf einen Kampf um die Verwirklichung des Ideals wurde aber gleichsam schon von vornherein verzichtet.9

Im Zentrum der geistigen Haltung der Menschen des Biedermeier stand Bescheidenheit in Bezug auf sich selbst: Man sollte „das Laute, Dämonische und den Zug zu Größe“ von vornherein ablehnen. Kennzeichnend für die Mentalität des Biedermeier sind „Melancholie, Sehnsüchte und unerfüllte Wünsche“10, Leidenschaften sollten gebändigt werden. „Groß im Entsagen und Erdulden“ und eine mangelnde Bereitschaft, Entscheidungen zu treffen, erachtet Waissenberger nicht nur für die Epoche des Biedermeier, sondern darüber hinaus auch für das Wesen des Wieners als charakteristisch.

Das herrschende „System Metternich“ wurde hingenommen, da vor allem das Bürgertum mit diesem den Wunsch nach politischer Ruhe teilte. Der „Bürger“ wollte seinen bescheidenen, aber gemütlichen Wohlstand genießen und sich nicht mit utopischen „Forderungen liberaler Natur“11 befassen, zumal ja ohnedies die Frage bestand, ob Probleme überhaupt zu lösen wären. „Als die Revolution ausbrach, machte man sich freilich darüber so genau keine Gedanken. Solches kommt letzten Endes wie ein Naturereignis und reißt mit.“12 Um sich vor eben diesem Sturm zu schützen, zog man sich in die eigenen vier Wände, in die Häuslichkeit zurück. So sieht Mittendorfer den „Kern dessen, was ‚Biedermeier‘ genannt wird“, im Haus wachsend.13 Von der politischen Entwicklung des Wiener Kongresses enttäuscht, zogen sich die Bürger aus der „restaurativen Öffentlichkeit“ in den häuslichen Bereich zurück, um sich

8 Ebda, S. 312. 9 Ebda. 10 Ebda. 11 Ebda. 12 Ebda. 13 Vgl. Konstanze Mittendorfer: Stichworte zur Biedermeierzeit: „Haus“ und „Häuslichkeit“. In: Bürgersinn und Aufbegehren, S. 563. 10 dort, „gleichsam in einer Kompensationshandlung aus überschüssiger Gestaltungsenergie“, dem Privaten zu widmen.14 Das Bürgertum war also von der Politik ausgeschlossen und enttäuscht und brachte nunmehr all seine Energien für die Bereiche der Kunst, Musik oder Literatur auf.15 Die Kritik ist sich in der Beurteilung dieser Entwicklung uneinig: Während die einen die „Beschränktheit“ der biedermeierlichen Haltung diffamieren, schätzen die anderen deren heimelige Bequemlichkeit.16 Auf jeden Fall scheint es notwendig, zuerst den Rückzug auf die Häuslichkeit zu erwähnen. „Vormärz und Biedermeier gelten weithin als jene Epoche, in der die Familie einen besonders hohen Stellenwert im Leben der Gesellschaft einnahm.“17 Ehmer führt an, dass „‚das gewöhnliche, ordnungsgemäße Leben eines Wiener Bürgers‘ als harmonische Verbindung von Arbeit, Stammtisch und Familie“ gesehen wird.18 Aber dieser Rückzug in die Familie bzw. die Hinwendung ins Private erfolgte nicht allein aufgrund des Ausschlusses von öffentlichen Tätigkeiten, sondern auch aus sozialökonomischen Gründen bzw. Strategien: Durch die betriebene Heiratspolitik und die Pflege sozialer Kontakte wollte man sich wirtschaftlich absichern und „stabile soziale Kontakte“ aufbauen, um damit eine Art „zweiter Gesellschaft“ abseits der Öffentlichkeit und Politik zu konstruieren, denn, da das Kapital und auch das Know-how an seine Besitzer gekoppelt war, waren gute persönliche Bindungen die hoffnungsvolle Basis für einen wirtschaftlichen Erfolg, weswegen wichtige Funktionen in einer Firma oftmals an Familienmitglieder und enge Vertraute übergeben wurden.19

Die Verheiratung der Töchter war gut geeignet, zwischen Unternehmerfamilien stabile Beziehungen herzustellen oder sich in weitere soziale Kreise zu integrieren: Angehörige der höheren Bürokratie, Professoren des Polytechnikums, Ärzte oder Rechtsanwälte waren angestrebte ‚Partien‘.20

Im Gegensatz dazu steht die familiäre Entwicklung in den unteren sozialen Schichten: Die Handwerker, Handarbeiterinnen und Tagelöhner waren zwar die Mehrheit, jedoch war für sie die Biedermeierzeit alles andere als idyllisches Familienleben.21 Das Konstrukt „Familie“ begann sich in diesen Schichten tatsächlich aufzulösen, denn immer mehr Menschen lebten als Lehrling oder Dienstbote nicht mit der eigenen Familie zusammen, sondern im Haushalt

14 Vgl. ebda. 15 Vgl. ebda. 16 Vgl. ebda. 17 Josef Ehmer: Der Wandel der Familienstruktur im Wiener Biedermeier. In: Bürgersinn und Aufbegehren, S. 548. 18 Vgl. ebda. 19 Vgl. ebda. 20 Ebda. 21 Vgl. ebda, S. 548 f. 11 des Dienstgebers bzw. fand sich auch das Modell des Bettgehers oder Untermieters, der ein unsicheres Leben in ärmlichsten Verhältnissen führte.22 Ehmer, der die Familienstruktur zur Zeit des Biedermeier statistisch untersuchte, stellt fest, dass in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts das „Heiratsalter stieg, der Anteil der Verheirateten sank, und die Zahl derjenigen, die ohne eigene Familie in fremden Haushalten mitlebten,“ zunahm, während parallel dazu die „Verschlechterung der Heiratsmöglichkeiten stieg“ und „auch der Anteil der unehelichen Geburten“ zunahm.23 Im Vormärz kam knapp die Hälfte aller in Wien geborenen Kinder unehelich zur Welt, was aus der fälschlichen Annahme resultierte, dass alleinstehende Frauen dann später im Alter wenigstens eine Unterstützung durch ihre Kinder hätten, wenn sie schon nicht heiraten konnten.24 Allerdings war es für Frauen, die bei ihren Dienstgebern lebten, nicht möglich, ein Kind aufzuziehen, so wurden Kinder im Gebärhaus zur Welt gebracht und, sofern sie überlebten, ins Findelhaus und dann weiter zu Zieheltern aufs Land gebracht.25 Ehmer bringt es wie folgt auf den Punkt: „In einer Zeit, der ein idyllisches Familienleben nachgesagt wird, bekam rund ein Fünftel aller Neugeborenen ihre [sic!] Eltern nie zu Gesicht!“26 Diese Strukturen prägten das soziale Leben bis in die 1860er Jahre. „Erst in der Gründerzeit zeichnete sich eine Trendumkehr ab.“27

2.1 Frauen im Biedermeier

Allerdings wurde das Bürgertum mit all seiner Häuslichkeit zur Zeit des Biedermeier ohne Zweifel als führende soziale Schicht in den Vordergrund gestellt, da es die bürgerliche Schicht war, die nach sozialen und politischen Reformen drängte. Federführend dabei waren Fabrikanten und Manager der aufstrebenden Wirtschaft, naturwissenschaftliche Gelehrte und Techniker, die anstelle politischer Revolution grundlegende Reformen suchten.28 Geprägt waren diese Bestrebungen unter anderem auch von der oben erwähnten sozialen Unsicherheit, die mit der Industriellen Revolution einherging, und der Trennung von beruflichen und privaten Räumlichkeiten. Also gelangte das viel zitierte „traute Heim“, die bürgerliche Wohnung, als gemütlicher Rückzugsort in den Fokus des sozialen Lebens.29 Herrscherin

22Vgl. ebda. 23 Vgl. ebda. 24 Vgl. ebda. 25 Vgl. ebda. 26 Ebda. 27 Ebda. 28 Vgl. Ingeborg Weber-Kellermann: Frauenleben im 19. Jahrhundert: Empire und Romantik, Biedermeier, Gründerzeit. München: Beck 1983, S. 46. 29 Vgl. ebda. 12 darüber war die „gute Hausfrau“30. Zum einen gab es zwar die „biedermeierliche Handwerkerfrau“, die in den arbeitsteiligen Prozess voll eingebunden war und somit auch im öffentlichen Leben stand, da sie ja zum Beispiel mit Händlern um etwas feilschen musste,31 zum anderen entwickelte sich immer mehr der Typus der Hausfrau, deren Hauptaufgabe das „Innere der Familie“ war, wobei Putzen, die Erziehung der Kinder, Kochen und Einmachen sowie Handarbeiten zu ihren Haupttätigkeitsfeldern zählten, während sie sich von der öffentlichen Gesellschaft und den Angelegenheiten des Mannes weitgehend zurückhielt.32 Hausfrau zu sein wurde „Beruf und Sendung“ der biedermeierlichen Frau, sie war „bieder und von rastloser Tätigkeit“.33 Den Haushalt und den Typ der nicht großbürgerlichen Hausfrau betreffende Stichworte dieser Zeit sind „Sparsamkeit“ und „hausbacken“, bedingt durch die tatsächlichen Bedingungen der Zeit. Diese Hausfrauentugenden wandelten sich zu generellen weiblichen Tugenden des Biedermeier.34 So wurde oft auch im Übereifer, dieser Tugend entsprechen zu wollen, quasi über das Ziel hinausgeschossen und mehr als notwendig geputzt, gekehrt und gewischt, sodass eigentlich dieser „Tätigkeitszwang“ die Frauen an der Entfaltung anderer Fähigkeiten hinderte. Vor allem war es der Hang zum Selbermachen, der die vorbildliche Hausfrau des Biedermeier nicht nur Zeit, sondern auch Kraft kostete, aber Selbstgemachtem wurde höhere Wertigkeit beigemessen.35 Mit der Entwicklung der Konsummöglichkeiten wurde einiges an Arbeiten im Haushalt erleichtert bzw. entfiel unter Umständen vielleicht sogar ganz, und es wurde im Zuge der dadurch frei werdenden und mehr zur Verfügung stehenden Zeit eine bessere und weniger oberflächliche Mädchenerziehung gefordert, doch war es immer noch oberstes Ziel, ein Mädchen gebührlich und günstig zu verheiraten, damit es versorgt war.36 Da viele Mädchen schon sehr jung, im Alter von ca. 16 oder 17 Jahren, meist an gut situierte Männer in ihren Dreißigern verheiratet wurden, galt ihre „naive Kindlichkeit“ als besonderer Charme und intellektuelles Niveau war weder erforderlich noch ging es ab.37 Die jungen Frauen hatten sich um den Haushalt zu kümmern, wobei eben dem Selbstgemachten bei einer „guten Hausfrau“ eine besondere Stellung zukam.

30 Ebda, S. 48. 31 Vgl. ebda. 32 Vgl. ebda, S. 49. 33 Vgl. ebda, S. 60. 34 Vgl. ebda, S. 49. 35 Vgl. ebda. 36 Vgl. ebda, S. 56. 37 Vgl. ebda. 13

„Frauen waren Töchter oder Ehefrauen und hatten, wenn sie nicht den unteren sozialen Schichten angehörten, keinen Beruf, es sei denn, sie wurden nicht geheiratet.“38 In diesem Fall mussten sie sich, wenn sie nicht als erwerbsloses Anhängsel „Tante“ in der Familie bleiben konnten, ein Ein- und Auskommen suchen und wurden oftmals im charakteristisch weiblichen Beruf der Gouvernante fündig.39 Geber bezeichnet dies als „Verlegenheitsberuf“, was die Unannehmlichkeit und Peinlichkeit dieser Situation verdeutlicht. Eine weitere Möglichkeit war es, Klavierunterricht zu geben, um damit das finanzielle Ausgedinge zu finden, was bei Frauen zur Zeit des Biedermeier gebilligt wurde.40 Generell galt das Klavier als „geselliges Instrument“ und auch wenn es zuvor ein Privileg der adeligen Schicht war, so lernten die Mädchen einer Biedermeier-Familie selbstverständlich Klavierspielen, auch, um beim Tanz begleiten zu können.41 Der Zugang für Frauen zur Berufswelt war ein „schichtenspezifisches Problem“, denn während die Mehrheit der Frauen als Dienstmädchen, am Land oder in Fabriken als Arbeiterinnen arbeiten musste, um ein Auskommen zu finden, war es für die bürgerliche Schicht nicht schicklich, einem Beruf nachzugehen.42

2.2 (Schul-)Bildung von Mädchen zur Zeit des Biedermeier

Aus eben diesem Grund der „Unschicklichkeit“ war es nicht gutgeheißen, dass Frauen einen Beruf ergreifen, und somit gab es also keine Notwendigkeit, Mädchen eine bessere Schul- bzw. Ausbildung zukommen zu lassen. Frauen bzw. Mädchen war der Zugang zu öffentlichen höheren Bildungseinrichtungen zur Zeit des Biedermeier nicht erlaubt, womit ihnen auch die damit in Zusammenhang stehenden Berufe verschlossen blieben.43 Dieser Sachverhalt sowie der historisch durch zahlreiche Kriege bedingte Überschuss an ledigen bürgerlichen Frauen bilden den Kern der so genannten „Frauenfrage“ des 19. Jahrhunderts,44 auf die in Kapitel 4.2 der vorliegenden Arbeit näher eingegangen wird.

38 Eva Geber: „Mir aber ward solch sanfte Milde von der Natur nicht eingeflößt.“ In: Betty Paoli. Was hat der Geist denn wohl gemein mit dem Geschlecht? Hrsg. von Eva Geber. Wien: Mandelbaum Verlag 2001, S. 11. 39 Ebda. 40 Vgl. Weber-Kellermann, Frauenleben im 19. Jahrhundert, S. 60. 41 Vgl. ebda. 42 Vgl. Sigrid Schmid-Bortenschlager: Österreichische Schriftstellerinnen 1800 – 2000. Eine Literaturgeschichte. Darmstadt: WBG 2009, S. 38. 43 Ebda. 44 Vgl. Karin S. Wozonig: Die Literatin Betty Paoli. Weibliche Mobilität im 19. Jahrhundert. Wien: Löcker 1999. (= Sonderpublikationen der Grillparzer-Gesellschaft. 4.), S. 117 f. 14

Das heißt allerdings nicht, dass zur Zeit des Biedermeier Mädchen überhaupt keine Erziehung erhielten, ganz im Gegenteil. „‚Biedermeierlich‘ erscheint die gesteigerte Aufmerksamkeit für die Erziehung des Kindes innerhalb der Familie; im [sic!] ‚vormärzlicher‘ Unterdrückung werden die bildungspolitischen Inhalte vorgegeben und beschränkt.“45 Außerdem wurde aufgrund der zunehmenden Wichtigkeit der Pädagogik die Familie immer mehr für das „Erlernen der von der Gesellschaft geforderten Verhaltensweisen“ verantwortlich, wohingegen die Schule die Berufsausbildung übernahm. Daraus ergibt sich, wie bereits oben erwähnt, die Aussichtslosigkeit auf eine berufliche Karriere für Frauen, wenn den Mädchen der Zugang zu öffentlich höheren Bildungseinrichtungen nicht gestattet wurde. Vor der Industrialisierung wuchsen die Kinder in der Haushaltsgemeinschaft auf, die Erlebnis- und zur gleichen Zeit Erziehungswelt für sie war. Das bedeutet, dass das Kind „durch Mit-Tun, durch Mitarbeit“46 lernte und so kontinuierlich in die Welt der Erwachsenen hineinwuchs. Mit der Industrialisierung kam auch die Trennung in private und berufliche Sphäre: um zu arbeiten, ging man aus dem Haus. Kinder konnten nicht mehr durch „unmittelbare Anschauung und Nachahmung in der Familie lernen“, die „Ausbildung [wurde] in die Institution Schule verlagert“47. Die Gesellschaft reagierte auf diesen Verlust einer Funktion der Familie mit einer stärkeren Emotionalisierung des Familienlebens. Kinder galten nicht mehr als „Miniatur-Ausgabe“ Erwachsener, und so zeigten sich im Biedermeier erstmals Ansätze einer speziellen Kindermode und ein breit gefächertes Angebot von Kinderspielzeug, wie zum Beispiel Puppenstuben und -küchen für Mädchen oder Pferdegespanne und Soldatenausrüstung für Knaben, quasi als Vorbereitung auf die späteren Rollen als Hausfrau bzw. Familienoberhaupt. Allerdings machte es einen Unterschied, aus welcher sozialen Schicht ein Kind stammte. „Die Lebensbedingungen der Unterschichten ließen kaum Raum für eine Erziehung im Sinne einer neuen pädagogisch orientierten Sicht des Kindes.“48 Denn während ein Mädchen aus einer gehobeneren Gesellschaftsschicht mit dem Puppenservice seine zukünftige Rolle als „Dame der Gesellschaft“ übte, „war für ein gleichaltriges Mädchen aus der Unterschicht die Führung des Haushaltes anstrengende Arbeit.“49 Oft mussten die ältesten Mädchen auf jüngere Geschwister aufpassen, während die Eltern arbeiten gingen, oder sie mussten selbst zum

45 Zur bildungspolitischen Situation bezieht sich diese Arbeit im Folgenden – wenn nicht anders angegeben – auf Gertrude Langer-Ostrawsky: Erziehung und Schule (Biedermeier und Vormärz). In: Bürgersinn und Aufbegehren, S. 568 – 572. Nur direkte Zitate werden extra angeführt. 46 Ebda, S 568. 47 Ebda. 48 Ebda, S. 572. 49 Ebda, S. 568. 15

Familieneinkommen beitragen, indem sie arbeiten gingen. Dem entgegenzuwirken versuchten so genannte „Kinderbewahranstalten“, die sich um Kinder zwischen zwei und fünf Jahren kümmerten, während deren Eltern arbeiten gingen. Diese „Kinderbewahranstalten“ waren jedoch auch darauf bedacht, aus den Kindern autoritäts- und gottgläubige Staatsdiener zu formen. Diesen Zweck hatten auch Kinderbücher, die eben zur Zeit des Biedermeier ihre erste große Blüte erlebten und zum einen Tugenden wie „Wahrhaftigkeit, Hilfsbereitschaft, Mildtätigkeit, Religiosität“ und zum anderen auch Sachwissen vermitteln sollten, denn seit der Zeit der Aufklärung war man davon abgegangen, rein religiöse Inhalte zu vermitteln. Was die Bildung der Mädchen (in Wien) zur Zeit des Biedermeier betrifft, so waren diese seit der Schulreform unter Maria Theresia den Buben gleichgestellt: Für beide galt die Schulpflicht zwischen sechs und zwölf Jahren sowie die so genannte „Sonntagsschule“, also der Wiederholungsunterricht am Sonntag. Hauslehrer unterrichteten Kinder der gehobenen Mittelschicht, was auch ein Statussymbol war, das nach außen hin „Reichtum und Bildungswillen“50 signalisierte. Aber auch im Bereich der Privaterziehung unterschied sich die Bildung von Jungen, welche vom Hauslehrer unterrichtet wurden, von der der Mädchen, die von einer Gouvernante in Haushalts- und Gesellschaftskenntnisse eingewiesen wurden. Als Vorbild für diese Art der Erziehung fungierte, wie in anderen Bereichen auch, der Adel. In adeligen Häusern war die Begegnung der Eltern mit ihren Kindern allerdings äußerst reduziert, meist auf eine Stunde am Tag und auf das sonntägliche Mittagessen. Bildungsmöglichkeiten für Mädchen, die über die Schulpflicht der Volksschule hinaus gingen, gab es nicht, denn „eine bessere Ausbildung für Mädchen galt im allgemeinen als unnötiger Luxus“, der nur in Privatlehranstalten zu haben war, mit Ausnahme zweier öffentlicher Lehranstalten für Mädchen in Wien. Das waren das 1786 gegründete Zivil- Mädchenpensionat und das 1775 gegründete Offizierstöchter-Institut, in denen zukünftige Lehrerinnen und Erzieherinnen ausgebildet werden sollten, die allerdings nur Töchtern von Offizieren bzw. Staatsbeamten offen standen. Höhere Bildungsinstitutionen, wie zum Beispiel ein Gymnasium, blieben Mädchen prinzipiell nicht zugänglich, denn eine „höhere Bildung widersprach den für das weibliche Geschlecht akzeptierten und geforderten Bildungsinhalten“51. Eine „richtige Mädchenerziehung“ hatte es zum Ziel, eine Hausfrau zu formen, die zum einen dem Haushalt vorstehen, die Dienstboten anleiten und eine Wirtschaft führen konnte und zum anderen sich auch in der Gesellschaft standesgemäß zu benehmen

50 Ebda, S. 569. 51 Ebda. 16 wusste und in angemessenem Ton eine Unterhaltung führen sowie außerdem ihrem Gatten „eine hingebungsvolle, verständige Gefährtin“52 sein konnte. Dies galt für Mädchen aller Gesellschaftsschichten, wobei der Fokus je nach Standeszugehörigkeit anders gesetzt wurde, entweder auf dem „hauswirtschaftlichen Aspekt“ oder auf „sozialen Kompetenzen“, also auf der Rolle als „Dame der Gesellschaft“53. „Prinzipiell galt aber für das gesamte Schulsystem des Vormärz, daß eine weiterführende Bildung für den Großteil der Kinder nicht möglich war und auch nicht gewünscht war.“54 Außerdem konnte das Bildungssystem zu dieser Zeit seine Aufgabe, also die (Aus-)Bildung der Kinder, ohnedies nur mangelhaft ausführen, denn aufgrund der unter der Führung Metternichs politisch motivierten geistigen Isolation vom Ausland, des zensurbedingten Mangels an Lehrbehelfen, unzureichend qualifizierter Lehrer und der ungenügenden finanziellen Ausstattung war dies schlichtweg nicht möglich. Vom aufstrebenden Bürgertum ausgehend kam es zu dieser Zeit zu einer gesteigerten Aufmerksamkeit für die spezifischen Eigenschaften des Kindes betreffend die Ausbildung, im „Adel blieben traditionelle Erziehungsmuster relativ lange erhalten, doch blieb auch er nicht unbeeinflußt vom bürgerlichen Bildungskonzept.“55 Die „Politische Schulverfassung“ von 1805 setzte es sich zum Ziel, „recht herzlich gute, lenksame und geschäftstüchtige Menschen“56 aus den Kindern zu machen. Auch hier zeigt sich, dass die Einstellung des Biedermeier eine vermeidende war, denn aufgrund der Forderungen der Französischen Revolution war das herrschende System darauf bedacht, allenfalls aufkeimende revolutionäre Anflüge bereits im Keim zu ersticken. Ziel war es nicht, Kinder zu selbständig denkenden, verantwortungsbewussten Menschen zu machen, sondern es genügte, die Arbeitsamkeit und Disziplin zu fördern; vor zu viel an Bildung wurde gewarnt. Unter diesen Umständen wurde auch wieder der Einfluss der Kirche auf die Bildung gestärkt. Konnte sich eine Familie keinen Privatunterricht leisten, so erhielten Kinder ihre Bildung in Trivial-, Haupt- oder Normalschulen. Diese Schultypen waren schon in der „Allgemeinen Schulordnung“, die von 1774 bis 1869 Gültigkeit hatte, festgelegt worden und waren jeweils auf eine Bevölkerungsschicht abgestimmt. So sollten die Kinder der Arbeiterklasse, die in Trivialschulen gingen, während der Dauer der ein- oder zweijährigen Ausbildung lediglich in

52 Ebda. 53 Ebda. 54 Ebda, S. 572. 55 Ebda. 56 Bericht über das österreichische Unterrichtswesen. Aus Anlaß der Weltausstellung 1873, Wien 1873, I. Teil, S. 26, zit. nach Langer-Ostrawsky, Erziehung und Schule. In: Bürgersinn und Aufbegehren, S. 569. 17

Religion, Lesen, Schreiben und Rechnen unterrichtet werden und man sollte darauf achten, dass sie nur lernten, was ihrer „Schicht und ihren Verhältnissen genau“57 entsprach. „Jedes überflüssige Wissen war zu vermeiden.“58 Deswegen wurden diese Kinder auch von schlecht ausgebildeten und deswegen ebenso schlecht bezahlten Lehrern, die kein gutes soziales Ansehen genossen, unter anderem mit Hilfe von Prügelstrafen unterrichtet; in den größeren Städten Österreichs wurden so genannte Hauptschulen eingerichtet, deren Lehrer dementsprechend besser ausgebildet waren; in den so genannten Normschulen, die nur in den Landeshauptstädten zu finden waren, wurden nicht nur Kinder unterrichtet, sondern auch Lehrer ausgebildet. Die oft gehörte Schulpflicht für „Mädchen und Knaben, bemittelte und arme, von Antritt des 6. bis zur Vollendung des 12. Jahres“ 59 war also anfangs eine gute Absicht, setzte sich aber nur schwer durch, da viele Eltern auf die Arbeitskraft ihrer Kinder nicht verzichten konnten. Weitere Probleme stellten nach Ausfall der unentgeltlichen Armenschulen 1820 die Bezahlung des Schulgeldes, das sich viele Eltern nicht leisten konnten, sowie die immer mehr zunehmende Kinderarbeit in Fabriken dar.

2.3 Schreibende Frauen im Biedermeier

Seit sich ab Beginn des 18. Jahrhunderts der Literaturmarkt dem sich etablierenden Bildungsbürgertum öffnete, ergab sich eine zwiespältige Situation für Schriftstellerinnen. Grundsätzlich konnte das Schreiben den Frauen nicht länger verwehrt werden. Sollte es eine Frau tatsächlich wagen, ihren Lebensunterhalt mit der Schriftstellerei verdienen zu wollen, riskierte sie es, ihre Geschlechteridentität aufzugeben, denn die Autorschaft war bis dahin den Männern vorbehalten.60 Die Voraussetzungen für Frauen, mit dem Schreiben zu beginnen, waren vielfältig. So nennt Tebben Milieu, Erziehung und Ausbildung sowie Wegbereiter als ausschlaggebende Faktoren. Ebenso zahlreich und unterschiedlich waren die Beweggründe, mit der Schriftstellerei zu beginnen: Berufung, therapeutische Funktion oder auch emanzipatorische Motive sind hier zu benennen.61 Produzierten Frauen Literatur, auch auf die Gefahr hin, in den Augen der Öffentlichkeit ihre Tugendhaftigkeit und Schicklichkeit einzubüßen, so hielt sich lange Zeit die offenbar „von Naturgesetzen abgeleitete Formel

57 Ebda. 58 Ebda. 59 Ebda, S. 570. 60 Vgl. Karin Tebben: Vorwort. In: Beruf: Schriftstellerin. Schreibende Frauen im 18. und 19. Jahrhundert. Hrsg. von Karin Tebben. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1998. (=Sammlung Vandenhoeck.), S. 7. 61 Vgl. ebda, S. 8 f. 18

‚Frauenliteratur = Unterhaltungsliteratur = minderwertige Literatur‘“62. Scheinbare Auswege aus dieser Situation waren es, Briefe zu schreiben – eine Praxis, die vor allem in der Romantik sehr beliebt war – oder aber auch die Verwendung eines Pseudonyms, wie es ja auch bei Betty Paoli der Fall war, bzw. die anonyme Veröffentlichung von Literatur. Dies war allerdings wiederum mit Problemen verbunden, denn publizierte eine Autorin anonym, war dies gleichzusetzen mit einer Verleugnung ihrer Identität; publizierte sie unter ihrem Namen, handelte sie sich eventuell Anfeindungen gegen ihre Person als Schriftstellerin ein.63 Es stand den Autorinnen der Zeit also eine im 19. Jahrhundert vehement vertretene, strikte dualistische Einteilung der Geschlechter im Weg, und, sollten sie es wagen, diese Gendergrenze zu überschreiten, mussten sie damit rechnen, in den Augen der Öffentlichkeit etwas moralisch Verwerfliches getan zu haben.64 So dominierte auch die Ansicht, dass Frauen als „schöne Seelen“ sich poetisch ohnedies nur im Dilettantismus äußern könnten und somit ihre Werke für die private Sphäre und keinesfalls für die Öffentlichkeit gedacht wären.65 Dabei wurde ihnen zugestanden, einzelne lyrische Werke in diversen Zeitschriften, Kalendern und Musenalmanachen oder auch anlässlich von Dichterwettbewerben zu verfassen, jedoch war es für sie problematisch, solche Werke gesammelt in einem Buch herauszubringen.66 Wenn Lyrikerinnen geduldet waren, dann musste ihre Lyrik der Vorstellung entsprechen, dass ihre Poesie „unverstellte“ Weiblichkeit und „spontane Artikulation des Naturschönen“67 wäre. In diesem Sinne war auch „Poesie als Medium intimer Selbstaussprache“68 möglich. Einen Widerspruch dazu bildete die Idealvorstellung des 19. Jahrhunderts von der bürgerlichen lesenden Frau, die in der darstellenden Kunst häufig zu finden ist und die zeigt, dass Frauen als Rezipientinnen in einer passiv-empfangenden Rolle nicht nur geduldet, sondern sogar erwünscht und geschätzt waren, jedoch keinesfalls als aktiv und kreativ schaffende Produzentinnen.69 Unter diesem Aspekt wird klar, dass Betty Paoli eine Ausnahmeerscheinung ihrer Zeit war, erschien doch schon ihr erster, von ihren Zeitgenossen vielgelobter Gedichtband „Gedichte“ bereits 1841, als sie 29 Jahre alt war. Im Gegensatz dazu

62 Ebda, S. 14. 63 Vgl. ebda, S. 25. 64 Vgl. Brunhilda Wehinger: „Die Frucht ist fleckig und der Spiegel trübe“. Lyrikerinnen im 19. Jahrhundert. In: Frauen Literatur Geschichte. Schreibende Frauen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Hrsg. von Hiltrud Gnüg und Renate Möhrmann. 2., vollst. neu bearb. und erw. Aufl. Stuttgart. Metzler 1999, S. 299. 65 Vgl. ebda. 66 Vgl. ebda, S. 300. 67 Ebda, S, 300 f. 68 Ebda, S. 301. 69 Vgl. ebda. 19 steht zum Beispiel Annette von Droste-Hülshoff, die erst im Alter von 41 Jahren ihren ersten Lyrikband veröffentlichte.70

Trotz widriger Arbeitsbedingungen wuchs der Anteil an Frauen in der Literatur im deutschsprachigen Raum seit dem späten 18. Jahrhundert stark an.71 Allerdings war Literatur in diesen Breiten schon immer auch ein politisches Instrument, was an der fehlenden nationalstaatlichen Einheit lag, und war somit dem männlichen Bereich vorbehalten.72 Aus diesem Grund ergibt sich die Verdrängung der Frauen aus der Literatur, um dadurch die „Schaffenskraft als männliche Domäne im deutschsprachigen Bereich“ zu verstärken und zu erhalten.73 Jedoch kam den Frauen eine wichtige Funktion „in den romantischen Zirkeln, in denen die Literaturgeschichtsschreibung ihren Anfang hat“, zu, wie zum Beispiel neben den Übersetzertätigkeiten Bettina von Arnims oder Dorothea Schlegels auch deren eigene literarische Produktivität.74 Gepflegt wurde die Literatur vor allem in den Salons, in denen sich in der Häuslichkeit des Großbürgertums das kulturelle Leben entwickelte, zumeist unter Leitung und Schirmherrschaft der Hausfrau. Sie fungierten als Sammelstelle für die Intellektuellen des 19. Jahrhunderts und wurden in großen Städten wie vor allem Wien und Berlin geführt.75 Dies war möglich, weil die Ehemänner der Frauen zum Beispiel als Bankiers, Privatiers oder Ärzte die nötige finanzielle Grundlage schufen.76 Großen Einfluss darauf nahmen jüdische Intellektuelle aufgrund ihres beachtlichen Anteils an der intellektuellen Oberschicht in Wien sowie aufgrund ihrer Beziehungen zu wirtschaftlich einflussreichen Persönlichkeiten im Ausland, wobei die „Pflege des Sozialprestiges“ hingegen Sache der Ehefrauen war, die oftmals auch überdurchschnittlich gut gebildet waren.77 Diese Kombination aus Reichtum und Intellekt führte dazu, dass in den Salons nicht nur die Reichen zusammenkamen, sondern alles, was Rang und Namen hatte.78 So lernte auch Betty Paoli im Salon von Henriette Wertheimer bedeutende Künstler ihrer Zeit kennen.

70 Vgl. ebda. 71 Schmid-Bortenschlager, Österreichische Schriftstellerinnen 1800 – 2000, S. 17. 72 Vgl. ebda. 73 Vgl. ebda, S. 16 f. 74 Vgl. ebda, S. 19. 75Vgl. Josef Halper: Vorwort. In: Betty Paoli: Die schwarzgelbe Hyäne. Eingeleitet und ausgewählt von Dr. Josef Halper. Graz, Wien: Stiasny 1957. (=„Das österreichische Wort“-Bücherei. 19.), S. 9. 76 Vgl. ebda. 77 Susanne Walther: Der „Zweite Adel“. Kultur und Gesellschaft vor 1848. In: Bürgersinn und Aufbegehren, S. 314. 78 Vgl. ebda. 20

Mit der Pariser Revolution von 1830 wurde auch im deutschsprachigen Raum mehr Anspruch auf politische, religiöse und moralische Freiheit erhoben, wobei vor allem von Frauen für Frauen Selbständigkeit statt Unmündigkeit in der Ehe verlangt sowie Kritik an der unzulänglichen Bildungsmöglichkeit für Mädchen geübt wurde, was auch im damals recht gut etablierten Genre des Romans ausgedrückt wurde.79 Als Folge dessen sieht Tebben es als logische Konsequenz, dass diese Schriftstellerinnengeneration „den Zorn der Literaturkritiker herausforderte“80. Und auch wenn später den Frauen trotz ihres „kleineren Gehirns durchaus achtenswerte Leistungen auf dem Gebiet der Lyrik und des Romans“ zugestanden wurden, so blieb das Genie männlich.81 Unter diesem Aspekt muss auch Grillparzers Lob für Betty Paoli als „erster Dichter“ gesehen werden. Ein neues, bürgerliches Familienideal entstand, in dessen Rahmen die Frau für das Innere des Hauses und die „Rekreation“ zuständig war, ganz im Gegensatz zur „Kreation“ der Männer. So sollten Frauen nicht etwas komplett Neues schaffen, sondern für die „physische und psychische Wiederherstellung der Kräfte ihrer Ehemänner“ zuständig sein. Eben aus diesem Grund, dass Frauen nicht für den öffentlichen, politischen Bereich zuständig sein konnten, konnten sie auch nicht „politisch“ schreiben, also wurden sie „in den Bereich der Trivialliteratur abgeschoben, die aus dem Kanon ausgeschieden werden kann“82. Gerade zur Zeit des Biedermeier wurde so aufgrund der politisch-restriktiven Situation eine besondere Art der Prosa zu einem regelrechten Verkaufsschlager: Es handelte sich hierbei um Romane mit wenig Tiefgang, dafür mit viel Gefühl und Happy End ohne großen Wirklichkeitsbezug.83 Dies führte auch dazu, dass Literatur zunehmend als Entertainment mit großem Wertschöpfungspotential angesehen wurde.84

Zwar setzte ab der Mitte und vor allem gegen Ende des 19. Jahrhunderts – auch aufgrund der Frauenbewegung – ein Umdenken ein, das zu einer positiveren Grundstimmung gegenüber Produkten von Künstlerinnen führte. Dennoch waren vor allem Frauen, die das Schreiben professionell betrieben, nach wie vor nicht vollends anerkannt, was ihr Leben und die Sicht, die sie auf sich selbst hatten, beeinflusste.85 Zum Beispiel war unter diesen Umständen ein künstlerisches Produkt einer Frau weniger wert, folglich wurde der Urheberin auch weniger

79 Vgl. Karin Tebben: Soziokulturelle Bedingungen weiblicher Schriftkultur im 18. und 19. Jahrhundert. Zur Einleitung. In: Beruf: Schriftstellerin, S. 31 f. 80 Vgl. ebda, S. 33. 81 Vgl. ebda, S. 34. 82 Schmid-Bortenschlager, Österreichische Schriftstellerinnen 1800 - 2000, S. 19. 83 Vgl. Tebben, Soziokulturelle Bedingungen. In: Beruf: Schriftstellerin, S. 35. 84 Vgl. ebda. 85 Vgl. ebda, S. 39. 21 bezahlt als ihren männlichen Kollegen, wodurch sich neben finanziellen auch psychische Probleme ergeben konnten.86 Wie aus der Biografie Betty Paolis ersichtlich, übte sie anfangs den strapazierenden und unleidlichen Verlegenheitsberuf der Gouvernante aus. Sie repräsentiert aber auch den im 19. Jahrhundert häufigen Typus der Schriftstellerin, die für Geld schreibt, was zu dieser Zeit eine der wenigen Möglichkeiten für Frauen war, überhaupt Geld zu verdienen.87 Freilich traf dieser Umstand, mit dem Schreiben Geld verdienen zu müssen, nicht nur auf Schriftstellerinnen, sondern auch auf ihre männlichen Autoren-Kollegen zu, jedoch findet sich bei den Schriftstellerinnen eher ein offeneres Eingeständnis dieser Motivation zum Schreiben, wo hingegen bei den männlichen Autoren die Inspiration oder der Geniegestus als „Notwendigkeit“ im Vordergrund steht.88 Außerdem gilt es zu beachten, dass – wie bereits erwähnt – Frauen der Zugang zu öffentlich höheren Bildungseinrichtungen zur Zeit des Biedermeier ja nicht frei zugänglich war, womit ihnen auch die damit in Zusammenhang stehenden Berufe im bürgerlichen Milieu verschlossen blieben. Die vielzitierte Häuslichkeit konnten sich im Laufe des 19. Jahrhunderts aber immer weniger Ehemänner leisten, so gesehen war es in einigen Fällen wohl auch für verheiratete und dadurch theoretisch eigentlich finanziell abgesicherte Ehefrauen eine wirtschaftliche Entscheidung, Schriftstellerin zu werden.89 Unterstützt wurden Autorinnen bei ihrer Arbeit zum Beispiel vom Verein der Wiener Schriftstellerinnen und Künstlerinnen in Form eines Pensions- oder Hilfsfonds.90

Österreichische Autorinnen haben besonders innerhalb der deutschsprachigen Literatur schon seit dem 18. Jahrhundert eine Sonderstellung. Denn während es in Norddeutschland aufgrund der aufklärerischen Einstellung sehr wohl anerkannte Schriftstellerinnen gab, trafen Autorinnen in Österreich bzw. in der Habsburgermonarchie zur selben Zeit aufgrund der starken gegenreformatorischen Bewegung Autorinnen auf kein „positives Klima“.91 Erst im 19. Jahrhundert lässt sich die Existenz von Autorinnen auf dem Literaturmarkt in Österreich- Ungarn verorten. Eine der ersten war Betty Paoli, die eben bereits bzw. gerade zu Lebzeiten große Erfolge vor allem als Lyrikerin feierte.92

86Vgl. ebda. 87 Vgl. ebda, S. 37. 88 Vgl. ebda. 89 Vgl. ebda, S. 69. 90 Vgl. ebda, S. 70. 91 Vgl. ebda, S. 8. 92 Vgl. ebda, S. 9. 22

Ebenso zu erwähnen ist Marie von Ebner-Eschenbach, die im Übrigen eine Freundin Paolis war, was allerdings nur auf der kulturellen, literarischen Ebene zu bewerkstelligen war, da die sozialen Unterschiede allein der Herkunft der beiden Frauen wegen – einerseits eine altehrwürdige Adelsfamilie, andererseits verarmtes Bürgertum – schier unüberbrückbar schienen.93 Was die beiden außerdem vereinte, ist das Verständnis von Literatur und Schreiben als ästhetischem Prozess, als Selbstverwirklichung in der Kunst, die sie sich beide erkämpfen mussten.94 Außerdem haben sie noch gemeinsam, dass sie entgegen dem damals üblichen Usus keiner bürgerlichen oder proletarischen Frauenbewegung angehörten, diese jedoch goutierten.95 Die meisten Schriftstellerinnen des 19. Jahrhunderts schlossen sich solchen Vereinigungen an und stellten ihre Literatur bzw. ihr Werk in den Dienst der emanzipatorischen Bestrebungen, ausgelöst von einer „Unzufriedenheit mit der Weiblichkeitsrolle, die die Gesellschaft für sie vorgesehen“ hatte.96 Trotzdem findet sich häufig eine ambivalente Einstellung: Einerseits wird gegen diese aufgezwungenen Rollenklischees rebelliert, andererseits aber doch auch darauf eingegangen bzw. bilden diese klischeehaften Zuschreibungen sogar die Basis, wie sich bei der Bearbeitung der Feuilletonbeiträge Paolis zeigen soll.97 In der Lebensführung sind das Rauchen und ihr Leben als unverheiratete Frau, beides zur Zeit des Biedermeier eher unschickliche Tatbestände, eine Art der Rebellion gegen diese Zuschreibungen. Als ledige Frau ist Betty Paoli entgegen der üblichen bürgerlichen Rollenmodelle als Ehefrau und Mutter für ihr finanzielles Auskommen selbst verantwortlich, was ihr zum Großteil durch ihre Arbeit als Gesellschafterin, aber vor allem in späteren Jahren auch durch ihre Arbeit als Journalistin bzw. Autorin gelingt. Das Schreiben ist für Paoli also nicht nur Mittel zur Selbstverwirklichung, sondern dient auch dem ganz profanen Gelderwerb.98 Das lässt sich an unterschiedlichen Texten Paolis erkennen: Sie hat nicht nur Lyrik, sondern auch Sachtexte wie zum Beispiel Berichte und Kritiken für Zeitungen geschrieben, um so am intellektuellen Diskurs ihrer Zeit teilzuhaben, was angesichts der mangelnden Bildung von Frauen als besondere Herausforderung gesehen werden kann.99 Die Grundlage dazu mussten sich viele Autorinnen der Habsburgermonarchie im mühevollen Selbststudium durch die Lektüre diversester Bücher selbst aneignen.100

93 Vgl. ebda. 94 Vgl. ebda, S. 10. 95 Vgl. ebda. 96 Vgl. ebda. 97 Vgl. dazu Kapitel 4.2.4 der vorliegenden Arbeit. 98 Vgl. ebda, S. 13. 99 Vgl. ebda, S. 14. 100 Vgl. Christa Gürtler, Sigrid Schmid-Bortenschlager: Eigensinn und Widerstand. Schriftstellerinnen der Habsburger Monarchie. Wien: Ueberreuter 1998, S. 7. 23

2.4 Literatur zur Zeit des Biedermeier101

Diese Zeit des Biedermeier ist grundlegend von zwei philosophisch-kulturellen Denkmodellen geprägt: einerseits der Restauration (mit ihren traditionellen Werten) und andererseits der Aufklärung (mit ihrem Fortschrittsgedanken, der entweder zur Revolution oder zur Resignation führte). In der Literatur bedeutet das auf der einen Seite die Gruppierung von Autoren, die sich aus einer konservativen Grundgesinnung heraus einerseits voll zur Restauration bekannten oder – gemäßigter – sich lediglich mit der revolutionären Gegenseite nicht anfreunden konnten, bzw. auf der anderen Seite die Gruppe von Autoren, die sich aufgrund einer fortschrittlichen, aufgeklärteren Denkweise in die Rolle der Revolutionäre gedrängt sahen. Trotz solch unterschiedlicher Ausgangspunkte waren sich die Autoren der Zeit einig, dass Literatur einer universalen geistig-politischen Zielsetzung folgen und vor allem eine ästhetische Orientierung haben sollte, nämlich die Darstellung der empirischen und sozialen Wirklichkeit der Gegenwart. Sie grenzten sich damit beide klar von den vorangegangenen Epochen der Klassik und der Romantik ab. Dennoch waren die Zielsetzungen komplett unterschiedlich. Die konservativ orientierten Autoren bevorzugten ein Weltbild, das die von Gott gesetzte Ordnung (der christliche „ordo“-Gedanke) als grundlegend erachtete. Jedoch konnten auch sie sich des Eindrucks der dazu widersprüchlichen Signale ihrer Zeit nicht entziehen, wodurch ein „alle Autoren charakterisierendes Krisenbewußtsein“102 entstand, auf das entweder mit totalem Rückzug in einen Bereich, in dem „ordo“ noch Geltung hatte, oder aber mit dem „kompromißlosen Kampf“ gegen alles dem „ordo“-Gedanken Entgegengerichtete reagiert wurde. An den entgegengesetzten Strömungen der Klassik und Romantik kritisierten die konservativen Autoren, dass sie die Revolution aufgrund ihrer subjektiven Einstellung und ihres Verhaftetseins an ästhetischen Prinzipien nicht nur nicht verhindert, sondern gar befürwortet hätten. Was in ihren Augen gefragt war, war eine neue Wirklichkeit und eine neue Ordnung, die allerdings immer im Sinne des „ordo“ gesehen wurde und sich diesem Modell gänzlich unterordnete. Es entstand eine „‚restaurierte‘ Wirkungsästhetik“, in der Stoffe und Gattungen beliebig kombiniert werden konnten, Rhetorik im Mittelpunkt stand und alle möglichen Stile früherer Epochen nach Geschmack verknüpft werden konnten, was man jedoch nicht als ein Nachahmen empfand, sondern „als ein durch den Historismus beeinflußtes

101 Im Folgenden beruft sich diese Arbeit auf Schneider, Im Schatten der Restauration, S. 231 – 276, weswegen nur direkte Zitate extra angeführt werden, wenn nicht anders angegeben. 102 Ebda, S. 232. 24

Mannigfaltigkeitsideal“103. Die konservativ orientierten Autoren wiesen also keinen für alle gleichermaßen kennzeichnenden Stil auf und unterschieden sich in ihren ideologischen und ästhetischen Idealen und Forderungen von ihrem Gegenstück, nämlich den liberal- revolutionären Autoren. Trotzdem haben sie eine gemeinsame „weltanschauliche“ und „ästhetische Grundorientierung“ und werden deswegen unter dem Sammelbegriff „Biedermeier“ zusammengefasst.

Das Hauptaugenmerk der literarischen Produktivität lag auf der Lyrik bzw. auf lyrischen Formen wie zum Beispiel der Ballade oder der Versepik, die sich mit der ausgehenden Romantik aller möglichen Stile vom barocken Pathos bis hin zur romantischen Stimmungsmalerei bedienen konnten. Als Beispiel nennt Schneider die Balladenform, die allerdings mit Problemen zu kämpfen hatte: zum einen gegen das eindeutige Absinken in die Trivialform und zum anderen gegen die eigene Auflösung von innen, verursacht durch „episierende Breite, Detailrealismus und aufdringliche Lehrhaftigkeit“104.Es gestaltet sich allerdings schwierig, den Wert der Biedermeier-Lyrik gerecht zu messen, erschwert durch die Sichtweise auf Lyrik, denn „wie schon zu Zeiten des Rokoko“ wurde sie als „Medium geselliger Verständigung und Erheiterung“ gesehen, weswegen oft „allzu rasch“ gefertigte Texte im Freundeskreis rezipiert wurden, was sie an Qualität einbüßen lassen konnte.

Wie schon zuvor galt auch im Biedermeier das Drama als Königsdisziplin in der Literatur, hatte aber auch mit einer „epochentypische[n] Gestaltungsproblematik“ zu kämpfen. Schneider nennt hier zum Beispiel ein weithin schematisches Formverständnis, stilistische Diskontinuität und althergebrachte Rhetoriktradition sowie die von der konservativen Seite ausgesprochene Forderung nach Allgemeingültigkeit und Lehrhaftigkeit. Betty Paoli selbst schrieb keine Dramen, übersetzte jedoch aus dem Französischen oder auch aus dem Russischen Dramen für Wiener Bühnen. An den Theatern gerne gespielt wurden Rühr- und Schau-Stücke (Schicksalsdramen und Historiendramen) und Salondramen (oft aus dem Französischen übersetzte Konversationslustspiele). Diese Dramen hatten je nach Gattung einem klaren Schema zu folgen: Tragödien folgten einem „hohen“ Stil mit kunstvoller Rhetorik und einer Darbietung, die einer solchen entsprach, Komödien folgten einem „mittleren Stil“ mit natürlicher Mimik und gehobener Prosasprache, wobei im Lustspiel inhaltlich kein Platz für Problematisierungen war.

103 Ebda, S. 233. 104 Ebda, S. 238. 25

Einen Spezialfall des Dramas stellt die Wiener Posse dar, die im Gegensatz zu den oberwähnten Dramenformen einen stärkeren Aktualitätsbezug und eine sozialpsychologische Ventilfunktion hatte, weswegen sie es sich auch erlauben konnte, die Gesellschaft und die aktuelle Zeit zu kritisieren. Ihre Wurzeln hat die Posse in der Alt-Wiener-Volkskomödie, deren Grundlage französische Vorlagen und die Typen sind, die bereits im 18. Jahrhundert ausgefeilt waren, nämlich das Zauberspiel, das Lokalstück, das Besserungsstück und die „mythologische Karikatur“, die für die Bühnen in den Vorstädten Wiens geschrieben wurden. Die bekanntesten Vertreter der Wiener Posse sind wohl Ferdinand Raimund (1790 – 1836) und Johann Nestroy (1801 – 1862). Im 19. Jahrhundert finden sich Frauen als Autorinnen in allen Zweigen der Literatur, nicht nur in der Prosa und Lyrik, sondern ebenso im Drama, wo sie zwar reichlich produktiv waren, jedoch kaum aufgeführt bzw. veröffentlicht wurden, schließlich wurde diese Disziplin ja immer noch als höchstmögliche Kreation angesehen und somit war es auch den Männern vorbehalten, darin zu brillieren.105 Außerdem von Frauen oft bediente Formen sind journalistische Genres und der Roman in Form von Liebes- und Familiengeschichten, wobei zu bedenken ist, dass sich in dieser Zeit auch das althergebrachte Modell von Liebe und Ehe ändert und freie Partnerwahl gefordert wird, wobei Romane bei der Verbreitung dieser Idee einen wesentlichen Beitrag haben.106

2.4.1 Biedermeiernovellistik

Im Laufe des Biedermeier setzte sich die Prosa gegenüber der Poesie immer mehr durch, was vor allem unter wirtschaftlichen Aspekten zu sehen ist, wobei sich besonders die Novelle über Journale und Almanache, die im Biedermeier regelrecht boomten, bis hin zu Taschenbüchern einem vorwiegend bürgerlichen Publikum erschloss und gut verkaufen ließ.107 Lukas sieht im Biedermeier sogar die „Konstitutionsphase der neuen Gattung der ‚Novelle‘“108, wobei er dieser Gattung vor allem in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine große Heterogenität und keine eindeutigen gattungsspezifischen Merkmale zuspricht. Im Gegensatz zur Poesie erwartete sich das Lesepublikum von Prosa „Lebendigkeit und Aktualität, praktische Bildung und amüsante Unterhaltung“109, Kriterien, die sich dann auch in anderen Prosaformen

105 Vgl. Schmid-Bortenschlager, Österreichische Schriftstellerinnen 1800 - 2000, S. 66. 106 Vgl. ebda, S. 66 f. 107 Vgl. Schneider, Im Schatten der Restauration, S. 233. 108 Wolfgang Lukas: Novellistik. In: Zwischen Restauration und Revolution. 1815 – 1848. Hrsg. von Gert Sautermeister und Ulrich Schmid. München, Wien: Carl Hanser Verlag 1998. (=Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. 5.), S. 251. 109 Schneider, Im Schatten der Restauration, S. 233 f. 26 wiederfanden, wie zum Beispiel in Reisebericht, Rede, Brief und Feuilleton. Aber diese Anforderungen wurden auch an die poetische Prosaform gerichtet, welche sie daraufhin in der biedermeierlichen Gesellschaftsnovelle verwirklichte, die folgende Charakteristiken aufwies: erzählender Charakter, ein Angebot an theoretischen und praktischen Informationen und Belehrungen, ästhetische Reize und Rhetorik, ironisches Spiel mit dem Erzählinhalt.110 Die Novelle fand beim österreichischen Publikum in Zeiten des Biedermeier wohl deswegen großen Anklang, da es mit ihr und durch sie „die Erfüllung von Hoffnungen erlebte“111, was unter anderem auch durch die Mangelhaftigkeit der an sich im Deutschen zur Zeit des Biedermeier jungen Gattung „Novelle“ bedingt war. Himmel kritisiert das Fehlen einer Idee, Inkonsequenzen im Erzählen und am Aufbau sowie den Stil, gibt aber auch zu bedenken, dass eine Abgrenzung der Gattung Novelle aufgrund der äußeren Form nicht möglich ist, denn es gab zu jeder Zeit eine eigene Vorstellung davon, was eine Novelle denn sei, und darüber hinaus auch Abweichungen davon, die an jedem einzelnen Autor bzw. jeder Autorin lagen, so auch im Biedermeier. Ein erkennbares Kriterium der Novelle, mit dem sie sich zumindest an ihrem Höhepunkt zur Zeit des Biedermeier thematisch abgrenzen und identifizieren lässt, ist für Himmel ein zentraler Konflikt, von dem aus eine einsträngige Handlung ausgeht. Bevorzugt finden sich Motive der vaterländischen Geschichte sowie Elemente aus Sagen, wodurch ein Übergang zur späten Romantik deutlich wird. Ebenso zentrale Themen sind Initiation und Paarfindung bzw. auch schon bestehende Ehen, wobei sich dieser Typ Novelle erst ab den 1820ern etabliert.112 Lukas stellt fest, dass die in den Novellen dargestellten Liebesbeziehungen und deren Problematiken im Laufe des Biedermeier immer mehr trivialisiert und verharmlost werden und die Protagonisten nicht mehr aktiv werden, um ihre Beziehung auch zu verwirklichen, jedoch die Herkunft – bezogen auf die biologischen Eltern und Vorfahren – immer wichtiger wird.113 Im Laufe der 1830er Jahre wird auch eine pessimistische Haltung, die Glück, Sinn und das Leben im Allgemeinen betrifft, immer deutlicher, wobei die äußeren Bedrohungen hier nicht mehr vom Magisch-Okkulten ausgehen, wie dies zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch der Fall war, sondern aus dem Alltäglich-Realistischen kommen und ihre Manifestation in kriminellen Verbrechen, tragischen Zufällen und Beziehungsproblemen, oftmals ausgelöst durch Dreiecks-Verbindungen, finden.114 Die neue pessimistische Sichtweise auf Liebe und

110 Vgl. ebda, S. 234. 111 Im Folgenden beruft sich diese Arbeit auf Hellmuth Himmel: Probleme der Biedermeiernovellistik. In: VASILO 12, Folge 1/2 (1963), S. 36. Nur direkte Zitate werden extra angeführt, wenn nicht anders angegeben. 112 Vgl. Lukas, Novellistik, S. 258. 113 Vgl. ebda, S. 259. 114 Vgl. ebda, S. 265 f. 27

Erotik sieht diese nicht mehr als ‚rücksichtslose Neigung‘ wie zum Beispiel zur Zeit eines Werthers an, sondern als veraltetes Modell, das zwar positiv gewertet werden kann, wenn man sich an ‚wirklichen Verhältnissen’ orientiert, oder eben auch negativ, wie im kampflosen Resignieren von jungen Liebenden ob der widrigen Umstände, die ihrerseits nicht nur von außen, sondern auch von innen, also bereits in den Protagonisten vorhanden, sein können.115 Das liegt daran, dass sich zwischen das Subjekt und das Fühlen die Reflexion schiebt und somit der unmittelbare Lebensgenuss zerstört wird, was oftmals von einer ironisch- distanzierten Erzählhaltung begleitet wird.116 Parallel dazu wird das ultimative Glück zunehmend nicht mehr in Liebesbeziehungen gesehen, sondern in anderen Werten, wie zum Beispiel Macht und/oder Geld.117 Ab den 1840er Jahren finden sich vermehrt sogenannte Dorfgeschichten und soziale Novellen, die den Fokus der Novelle auf das Volk lenken und ein ethnologisches Interesse bekunden, wodurch ländliche Gebiete, das jüdische Ghetto, die proletarische Arbeiterschicht und auch exotische Gegenden vermehrt dargestellt werden.118 Generell nimmt die Exotik als Motiv in den Novellen des Biedermeier eine besondere Stellung ein; hier ist vor allem Italien hervorzuheben, was unter anderem sowohl an den politischen Absichten Österreichs an Italien lag als auch an der verstärkten Bearbeitung von Novellen aus dem romanischen Sprachraum, die bereits seit 1800 erfolgte, was sich auch an vermehrten Übersetzungen zeigt.119 Von diesen bearbeiteten Novellen aus dem romanischen Sprachraum kommt wohl auch die Zweiteiligkeit der Geschichte, wo nach dem Teil mit Rache, Verfeindung und Zweikampf durch Leidenschaft im zweiten Teil die Versöhnung folgen kann. Reisen hatte zur Zeit des Biedermeier eine andere Bedeutung als heutzutage, vor allem passierte es nicht so mühelos und bequem wie in modernen Zeiten. Da galt „schon der Besuch eines großen Badeortes“ als die Berührung mit einer fremden und noch dazu gefährlichen Welt. Exotik verbreiteten nicht nur Orte wie Schottland, Spanien, Polen oder Korsika, für Österreichs Novellistik galt eben auch das eigene Land als exotisch. Als Modelle dafür gelten Heines „Reisebilder“ und Laubes „Reisenovellen“, ebenso sind wohl Betty Paolis Reiseberichte zu verstehen, die sie im Wiener „Lloyd“ veröffentlichte.

115 Vgl. ebda, S. 267. 116 Vgl. ebda, S. 268 f. 117 Vgl. ebda, S. 270. 118 Vgl. ebda, S. 271 f. 119 Vgl. Himmel, Probleme der Biedermeiernovellistik, S. 37. 28

Interessanterweise kommt das „Land“ bzw. Landleben in der Literatur von Frauen im Biedermeier eher selten vor, wenn, dann im Sinn von „Sommerfrische“, was diese Literatur zu einer städtisch orientierten macht.120 Das ethnologische Interesse der Novellen am Volk war manchmal auch mit der Schilderung einer kriminellen Handlung verbunden, wobei die kriminelle Handlung als Abweichung von der bürgerlichen Norm zu sehen ist.121 Lukas weist darauf hin, dass dies vor allem ab den 1840er Jahren auf ein neues psychologisches Interesse schließen lässt, das sich aber nicht mehr nur im individuellen Wahnsinn manifestiert, sondern vielmehr als Sozialpsychologie erscheint, in deren Mittelpunkt „soziale Interaktionen und deren Auswirkungen auf das Individuum und seine Psyche“122 stehen. Nach Bietak ist das Grundthema der Biedermeiernovelle die „Sinnlosigkeit“ des Einzellebens, gemessen am Sinn des universalen Lebens, was für Himmel allerdings nur die Lust am Abenteuer und am Schaurigen ist, und so stellt für ihn das Phantastische in den Novellen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht etwa wie bei Bietak eine überwundene „Krise des Autors unter dem Gleichnis etwa des lebensgierigen Abenteurers“ dar, sondern ist für ihn lediglich eine „Weiterentwicklung des phantastischen Geschmacks“.123 Andere Motive, die sich in der Biedermeiernovellistik finden, sind zum Beispiel die Hybris, wo Größenwahn, Überheblichkeit oder Snobismus zum Abkommen von der goldenen Mitte führen und dadurch „zerstörende Mächte“ herbeirufen, was zum einen ein „reines Naturereignis“ sein kann, so wie in Paolis „Gelübde“, aber auch menschliches Schaffen, zum Beispiel das eigenmächtige Handeln der Hauptfigur, das dann in eine zuvor nicht kalkulierte Richtung bzw. gar nicht kalkulierbare Richtung gelenkt wird. Ein Beispiel hierfür ist ein Racheplan. Für Lukas stellt die Normierung des Individuums ein sozialgeschichtlich bedeutendes Thema dar, wobei er anmerkt, dass solche Normierungsprozesse vor allem gerne an Frauen und Kindern geschildert wurden, da diese als der Natur näher stehend verstanden wurden.124 Diese Normierungen passieren dann aufgrund von Einschränkungen der Gesellschaft, wie zum Beispiel durch Benimm-Regeln oder das Unterdrücken spontaner Gefühlsregungen, bis schließlich vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Prototyp des gezügelten,

120 Vgl. Schmid-Bortenschlager, Österreichische Schriftstellerinnen 1800 – 2000, S. 68. 121 Vgl. Lukas, Novellistik, S. 274 f. 122 Ebda, S. 275. 123 Zit. nach Himmel, vgl. ebda, S. 38. 124 Vgl. Lukas, Novellistik, S. 276. 29 kontrollierten, uneitlen und seine erotische Bedürfnisse unterdrückenden Helden typisch wird.125

Formal findet sich am Beginn einer Biedermeiernovelle öfters eine allgemeine Einleitung, was als Überbleibsel der anfänglichen Rahmenform gesehen werden kann, jedoch wurden mit dem Schwinden der obligatorischen Rahmen andere Einsatztypen gebräuchlich,126 wie - der alte, epische Einsatz („In … lebte um …. ein …“), - der dramatische Einsatz (der direkter Einstieg in ein Gespräch), - der subjektive oder autobiografische Einsatz (als Reisebericht, am Beginn einer Bekanntschaftsnovelle) und - der objektive, umweltschildernde Einsatz. Um die diversen Möglichkeiten eines Einstiegs zu verdeutlichen, seien hier noch der Stimmungseinsatz, der eine Verknüpfung aus subjektivem und objektivem Einsatz darstellt (wie in Stifters „Brigitta“), die Möglichkeit des Einsetzens einer Briefform (wie in E.T.A. Hoffmanns „Sandmann“) oder der Einsatz mittels längerer Vorgeschichte erwähnt. Die älteren Formen der Novelle haben die längere Vorgeschichte, die meistens dazu dient, dass die Hauptfiguren besser verstanden werden, nicht. Himmel kritisiert die „Langatmigkeit“ eines solchen Einsatzes, der die Novelle an sich „zu erschlagen“ droht, räumt ihr aber durchaus Legitimation ein, wenn es sich bei den Hauptfiguren um „Sonderlinge“ handelt, denn „die übersteigerte Individualität ist nämlich für das Biedermeier bald lächerlich, bald gefährlich; lächerlich wo sie noch einer Änderung fähig scheint, gefährlich, wo sie ein ganzes Leben bestimmt.“127 Am Schluss soll die Einordnung des Individuums in die Gesellschaft stehen. Der Prozess dahin passiert motiviert durch ein „individuelles Streben“, das „die Welt der subjektiven Vorstellung anpassen möchte“, was sich auch in der Liebe wiederfindet, wo die Kraft und Energie „Leidenschaft“ genannt werden. Die Ehe ist ein „Sieg der sozialen über die individuell gerichteten Kräfte“, wobei allerdings diese individuellen Kräfte im Laufe eines sozial angepassten Lebens mit Ehe und Elternschaft immer wieder durchbrechen können. Nach Himmel wird „Glück“ als das Stichwort der Romantik in Bezug auf die oberwähnten individuell gerichteten Kräfte schon in den 1830ern als „Schwärmerei“ der Romantik abgetan. Die romantischen Begriffe der „Geist-Natur“ im Gegensatz zum irdisch-häuslichen Glück finden im Biedermeier parallele bzw. weiterentwickelte Entsprechungen in der „großen Welt“ des Ehrgeizes gegenüber der „kleinen Welt“ des Bürgers. Ist nun eine Frauenfigur

125 Vgl. ebda, S. 276 f. 126 Vgl. Himmel, Probleme der Biedermeiernovellistik, S. 40. 127 Ebda, S. 40. 30

Gegenstand einer Novelle, so wird sie, wenn sie der „großen Welt“ zugeordnet ist, als „herzlose, verschwendungssüchtige Kokette“ gezeichnet, die durchaus auch dämonische Züge aufweisen kann und durch und durch von animalischem Begehren gelenkt ist. Ist sie der „kleinen Welt“ zugeordnet, so ist sie bereit, Opfer zu bringen, um durch zumindest Verzicht oder aber – dramatischer – auch durch den eigenen, freiwilligen Tod dem Geliebten die Karrierebahn in die große Welt zu ebnen, wie zum Beispiel in Paolis „Das Mädchen von San Giorgio“ (1846). Romantiker sind in den Augen des Biedermeier Schwärmer, vor allem dann, wenn nicht maßgehalten, sondern über die Stränge geschlagen wird, oder aber auch, wenn das schöpferische Genie über das tatsächlich Geschaffene gestellt wird. Allerdings ist die Begeisterung für Musik und Kunst im bürgerlichen Rahmen unbedenklich und wird dann positiv gewertet. Negativ betrachtet wird eine Überschätzung der Kunst, der das Biedermeier das tatsächlich Gute im Leben gegenüberstellt. In diese Dichotomie lassen sich laut Himmel auch der Schwärmer gegenüber dem Menschen, der zielbewusst und sozial engagiert ist, oder der Liebhaber gegenüber dem Ehemann und Vater einordnen. Der Schwärmer gilt als wenig angenehme Gestalt, die obendrein dazu noch inkonsequent zu sein scheint. Aber auch der sozial tätige Mensch ist nicht ohne Vorsicht zu genießen, denn er kann auch Gefahr laufen, dass sich eben genau diese „bürgerliche Tugend“ in „Selbstzufriedenheit“ verwandelt. Himmel sieht die biedermeierliche Gesellschaftskritik als Selbstkritik, denn die Beständigkeit, die als ein Kennzeichen der Epoche des Biedermeier gilt, ist fragwürdig, so wie zum Beispiel die Institution der Ehe, die ja an sich als Gegenstück zur romantischen Schwärmerei und „Liebesverklärung“ positiv gewertet, jedoch in den Novellen bei ehelichen Krisen als negativ und als Vorwurf gewertet wird. Zum Vorschein kommt die ganz und gar unromantische und undämonische „Lebenslüge“: „Häufig geht eine später unhaltbare Ehe nach biedermeierlicher Auffassung aus falschen Voraussetzungen bei Verlöbnis und Gattenwahl hervor.“128 So zeigt sich in den Novellen des Biedermeier des Öfteren dasselbe Muster: Der „Leidenschaft“ wird misstraut und die Eltern haben Recht, wenn es um die Wahl des Ehepartners/der Ehepartnerin geht, außer, sie haben finanzielle Beweggründe der biedermeierlichen Vernunft vorgereiht; jedoch kommt es vor, dass die finanzielle Absicherung, die den Eltern vorschwebt, sich in eine „unerträgliche seelische Belastung verwandelt“, und die Novelle zeigt, dass die Ehe nicht unbedingt ein wirkliches Lebensziel ist. Überdies findet sich das Motiv der Prüfung, ob es Liebe ist oder bloß Leidenschaft, vielleicht sogar noch von bloßen Äußerlichkeiten motiviert: So kann es sein,

128 Ebda, S. 43. 31 dass eine hübsche Protagonistin sich verschleiert und angibt, tatsächlich hässlich zu sein, oder dass ein Bräutigam nur dann willkommen ist, wenn er nicht nach dem finanziellen Polster der Braut fragt, oder dass ein Witwer sich von der toten Frau die zweite Frau aussuchen lässt, damit die zweite Ehe genauso glücklich wird wie die erste. Diese Motive sind für Himmel Zeichen dafür, dass die Romantik in den 1840er Jahren des Biedermeier wieder etwas aufgewertet wurde. Das Thema der Entsagung war ein besonders wichtiges Thema für die Literatur des Vormärz in Österreich, so zum Beispiel die Entsagung des Älteren zugunsten des Jüngeren oder die Entsagung der Liebe generell. Ein weiteres Motiv der Novelle des Biedermeier ist – nach Himmel – die Enttäuschung und als Spezialfall die Liebesenttäuschung des Helden, der viel zu hohe Ansprüche an die Frau stellt oder in der Liebe quasi den Beweis und die Bekräftigung der eigenen Werte und der eigenen Existenz sucht und somit durch seine Selbstüberheblichkeit Schuld auf sich lädt. So soll der Mensch des Biedermeier „das Rechte und Gute“ wirklich wollen, denn das ist das Ideal gegenüber der Schwärmerei: „Die Synthese aus idealem Wollen und realem Dasein ist das Maß des Biedermeiermenschen.“129 So soll man das Gute und Rechte erst erkennen und dann wirklich wollen. Aber ohne sozialen Kontakt ist das alles nichts wert. Sobald der Biedermeiermensch in sozialen Kontakt mit anderen eintritt, wird das reale Dasein positiv gewertet. Deswegen sind konventionskonforme Novellen-Enden, in denen die Helden heiraten, eine Familie gründen oder ihre Güter bewirtschaften, nicht als spießbürgerliche oder gar banale Enden zu werten, sondern als Aufwertung des Daseinsentwurfes. Ein Beispiel für solch eine Erhöhung des Daseinsentwurfes ist Paolis Novelle „Aus den Papieren eines deutschen Arztes“ (1844), in der die Heldin über den Tod des Liebhabers derart unglücklich ist, dass sie nur mehr den eigenen Tod als Ausweg sieht. Da begegnet ihr ein alter Mann, von dem sich herausstellt, dass es der Vater des toten Liebhabers ist, und der sie vom Selbstmord abhält. Daraufhin widmet sie sich der Wohltätigkeit, was den Eintritt in eine Begegnung mit der Gesellschaft, also mit sozialen Kontakten, darstellt, durch den ihr Daseinsentwurf aufgewertet wird – dies noch einmal verstärkt durch die soziale Tätigkeit. Als Gegenbeispiel dazu sei Paolis Novelle „Die Brüder“ (1847) erwähnt, in denen einer der Brüder seinen Daseinsentwurf nicht durch sozialen Kontakt oder Entsagung positiv aufwerten kann – er begehrt die Frau seines Bruders – und dann von der Autorin tatsächlich in den Freitod geschickt wird. Dies wirkt wie ein Ersatz für die Entsagung der Frau, die er nicht haben kann bzw. darf. Zu berücksichtigen gilt allerdings, dass er sich erst nach dem

129 Ebda, S. 47. 32

Seitensprung umbringt, so gesehen ist es laut Himmel keine echte Entsagung, sondern gelogen. Dies entspricht auch der Lebenslüge des Biedermeier, wie etwa in Paolis „Honorine“ (1844), die ihre glückliche Ehe die ganze Zeit nur vorspielt.

Die Biedermeiernovelle bemüht sich durch die Entsubjektivierung der dargestellten Konflikte und Krisen zur Wahrheit zu gelangen. Das kann auf unterschiedliche Arten stattfinden, wie zum Beispiel durch den guten Zuspruch eines „gereiften Menschen“, wodurch die Wahrheit nicht nur für die krisengeschüttelte Hauptfigur Gültigkeit erlangt, sondern auch für den Leser. Es führt allerdings zu Problemen, wenn diese zentrale Figur nicht auf den Zuspruch einer weiseren Figur reagiert und stattdessen an ihren eigenen Anschauungen festhält. Dann muss zumindest für den Leser eine Art Moral geschaffen werden, was zum einen durch eine andere Figur der Novelle passieren kann – Himmel nennt diese den Räsoneur – oder zum anderen durch den Autor selbst, der mit seiner Autorität moralisierend hinter dem Sprecher steht. Selten passiert es durch die bloße Schilderung von Ereignissen, denn es passt nicht zum Rationalen des Biedermeier, schließlich könnte ein solches Ereignis vom Rezipienten genauso subjektiv wie objektiv gelesen werden. Aus diesem Grund arbeiten die Novellenschriftsteller im Biedermeier tatsachenunterstützt, nämlich mit Begebenheiten, die in der Novelle als Realität erachtet werden.

Während in der Romantik noch die Liebe mit der Poesie gleichgesetzt wurde, ist im Biedermeier die Liebe nicht Poesie des Lebens, da die Freude und der Schmerz in der Liebe endlich sind, aber Poesie ist unendlich, denn sie ist der Glaube an das Göttliche und Unendliche. Allerdings bedarf es eines „Lehrmeisters“ dafür, also passiert dies nur im zwischenmenschlichen Kontakt, an gesellschaftlichen und sozialen Berührungspunkten, an denen man wachsen bzw. eine Lehre daraus ziehen kann. Für Himmel lässt sich daraus der Schluss ziehen, dass Einsamkeit unglücklich macht. Ebenso unglücklich wird man, wenn man aufgrund von Äußerlichkeiten die falsche Entscheidung trifft, weshalb in einigen Biedermeiernovellen das Motiv des plötzlich wieder sehenden Blinden zu finden ist. Kompliziert wird es in puncto Leidenschaft, denn Leidenschaft als solche ist schädlich und schlecht, jedoch wird differenziert zwischen böser Leidenschaft (Eifersucht) und edler Leidenschaft (gläubige Liebe), wobei böse Leidenschaft, also Eifersucht und damit verbundenes grundloses Misstrauen, ebenso in eine Ehekrise führen bzw. ein Paar ins Elend stürzen kann wie grundloses Vertrauen.

33

Noch ein Motiv des Biedermeiers ist der oben bereits erwähnte Wahn bzw. die Wahnsinnstat (zum Beispiel jemanden getötet zu haben), was den Figuren die Möglichkeit gibt, großherzig zu verzeihen. Dieser Wahn wird allerdings zur Zeit des Biedermeier – ungleich der Romantik – nicht als Ursprung bzw. Quelle der Kreativität gesehen, sondern nur als destruktive Kraft, die bürgerliche Ideale zerstört.

3 Betty Paolis Leben

Über Betty Paolis Geburtsjahr gibt es zweierlei Angaben: entweder wird ihr Geburtstag mit dem 30.12.1814 oder dem 30.12.1815 erwähnt. Auch über ihre Herkunft sind die Quellen sich nicht einig. Sprechen Brinker-Gabler und das ÖBL von Paoli als unehelicher Tochter einer Belgierin und eines ungarischen Edelmannes130, wird an anderer Stelle von ihrem Vater als Arzt in Wien gesprochen,131 wobei hier von ihrem Stiefvater die Rede sein könnte. Einige Einträge zu ihrer Person lassen ihre Herkunft ganz außer Acht und beschränken sich allein auf ihren literarischen Werdegang und ihr Werk. Jedoch ist die frühe Zeit ihrer Kindheit und Jugend prägend für Paolis weiteres Leben und ausschlaggebend für ihren literarischen sowie persönlichen Werdegang. Getauft wird sie auf die Vornamen Barbara Elisabeth, genannt Babette.132 Ihr Stiefvater stirbt, als sie zwei Jahre alt ist, wobei die Familie zu diesem Zeitpunkt finanziell gut versorgt ist.133 Doch das ändert sich später. Aus mehreren Quellen ist zu erfahren, dass ihre Mutter sich verspekuliert bzw. das Vermögen durch mehrere Umzüge bedingt verloren oder aber auch verspielt hat.134 Deswegen muss Paoli bereits im Alter von fünfzehn Jahren das Auskommen für sich selbst und auch für ihre Mutter finden, indem sie Stunden gibt und Übersetzungen macht, bis sie schließlich eine Anstellung als Gouvernante bei einer russischen Familie nahe der polnischen Grenze findet.135 Als ihre Mutter „krank vor Heimweh“ wird, die Dienstgeber Paoli aber nicht aus dem Vertrag entlassen wollen, fliehen

130 Vgl. Gisela Brinker-Gabler (Hrsg.): Deutsche Dichterinnen vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Frankfurt/ Main: Fischer Taschenbuch-Verlag 1979; ÖBL Österreichisches biographisches Lexikon 1815 – 1950. Graz, Köln: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, S. 11 f.; beide online im Internet: http://www.onb.ac.at/ariadne/vfb/bio_paoli.htm [Stand: 2015-03-23] 131 Vgl. Elisabeth Friedrichs: Die deutschsprachigen Schriftstellerinnen des 18. und 19. Jahrhunderts: Ein Lexikon. Stuttgart: Metzler 1981, S. 99. 132 Vgl. Geber, Sanfte Milde, S. 12. 133 Vgl. ebda. 134 Vgl. ebda. 135 Vgl. ebda. 34 sie mit Hilfe von Schleppern über die Grenze, wo die Mutter schließlich stirbt und Betty im Alter von sechzehn Jahren allein für sich sorgen muss.136 Paoli findet eine neue Stelle bei einer polnischen Adelsfamilie, bei der sie bis 1835, also bis sie ca. 21 Jahre alt ist, bleibt. In dieser Zeit schreibt sie auch ihre ersten Gedichte, die 1832 in der „Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur und Mode“ erscheinen.137 Nach ihrer Rückkehr nach Wien verdient sie ihr Geld wiederum mit dem Geben von Stunden und Übersetzungen, jedoch erscheint 1841 – sie ist 27 Jahre alt – ihr erster Gedichtband „Gedichte“, der ihr bereits erste Erfolge einbringt und ihr die Tür zum Salon von Henriette von Wertheimer öffnet, bei der sie eine Anstellung als Gesellschaftsdame findet und Persönlichkeiten wie Adalbert Stifter, oder kennen lernt.138 Da sie darum bemüht ist, sich einen neuen Namen zu schaffen bzw. sich in der Salon- Gesellschaft Wiens einen guten Namen zu machen, veröffentlicht sie die Gedichte unter dem Namen Betty Paoli.139 Halper nennt einen Brief Paolis, in dem sie unter anderem erwähnt, dass erst der Gefallen, den man an ihren Gedichten fand, in ihr den Wunsch auslöste, sich „einen von keinem Schatten verdunkelten Namen selbst zu schaffen, daß über diesem mein wahrer vergessen werde.“140 Offenbar belastet es sie sehr, dass sie eigentlich ein uneheliches Kind ist und man darüber Bescheid weiß. Interessant ist es außerdem, dass sie sehr wohl Gedichte ihrer Mutter widmet, nicht jedoch ihrem Vater.141 1843 wird Betty Paoli Vorleserin bei Fürstin Maria Anna von Schwarzenberg in Wien, was für sie einen enormen gesellschaftlichen Aufstieg bedeutet, vor allem, wenn man bedenkt, dass sie sich als Sechzehnjährige allein und nahezu mittellos im Ausland zurechtfinden musste, denn bei der Fürstin von Schwarzenberg lernt sie nicht nur weitere wichtige Persönlichkeiten kennen, sondern kann sich auch mit Kultur und Politik auseinandersetzen oder sogar mit der Fürstin gemeinsam auf Reisen gehen, die sie nach Hamburg, Helgoland, Paris und Berlin und unter anderem in die Salons von Bettina von Arnim oder Rahel Varnhagen führen.142 Sie selbst schreibt später über diese Zeit: „Es ist wenig Gutes in mir, dessen Ausbildung ich nicht ihr [i.e. der Fürstin Schwarzenberg] verdanke. Was die

136 Vgl. ebda. 137 Vgl. ebda. 138 Vgl. ebda, S. 13 ff. 139 Vgl. Halper, Vorwort, S. 18. 140 Ebda. 141 Vgl. ebda. 142 Vgl. Geber, Sanfte Milde, S. 16. 35

Erziehung in mir versäumte, hat der Verkehr mit diesem ganz großen und reinen Charakter nachgeholt.“143 Es gilt zu bedenken, dass der Beruf der Gesellschafterin bzw. Vorleserin eine ständige Präsenz von Paoli fordert und nur wenig Raum für Abgrenzung und Eigenes zulässt, weshalb sie sich 1846 vom Sohn der Fürstin einen längeren Urlaub finanzieren lässt, da sie sich selbst als „unzumutbar“ ob einer psychischen Krankheit deklariert.144 Diese Reise führt sie erstmals nach Italien und die Reiseberichte darüber erscheinen rund dreißig Jahre später im „Lloyd“.145 Zu dieser Zeit verschärft sich die politische Lage in Wien und auch Betty Paoli fordert ein Ende der Zensur und dafür eine liberale Verfassung und Pressefreiheit; als jedoch 1848 die Revolution in Wien ausbricht, ist sie wie auch andere bürgerliche Intellektuelle über die Grausamkeit und Brutalität entsetzt und fordert die Entwaffnung der Studenten. Ebenso wenig hat sie eine Beteiligung des Proletariats erwartet.146 Im April desselben Jahres verstirbt ihre Dienstgeberin und mittlerweile wohl auch Freundin, die Fürstin Schwarzenberg, wodurch sich Paoli ohne gesichertes Einkommen in einer misslichen Lage mitten in der Revolution wiederfindet, denn was jetzt gefordert ist, ist zeitkritischer Journalismus und politische Lyrik, die Paoli jedoch ablehnt.147 Ihre Liebeslyrik ist in diesen Zeiten hingegen gar nicht gefragt, ebenso wenig wie Dienste als Gesellschafterin, denn die adeligen Familien „verlassen Wien oder halten sich gesellschaftlich bedeckt“148. Um diesem üblen Zustand zu entgehen, entscheidet sich Betty Paoli, erneut eine Reise zu machen, wobei es vielleicht auch eine Rolle spielen könnte, dass sie bereits als junges Mädchen mit ihrer Mutter öfters umgezogen ist, um „einer schwierigen Lebenssituation zu entkommen“.149 Damit ist Paoli allerdings ganz klar als Ausnahme zu verstehen, denn, dass eine alleinstehende bürgerliche Dame in der ersten Hälfte der 19. Jahrhunderts allein verreist, ist ungewöhnlich. Obwohl Mobilität generell zu dieser Zeit gebräuchlich ist, ist sie lediglich Männern vorbehalten, und zwar zum einen für berufsbedingte Reisen und zum anderen als Bildungsreisen, ähnlich jenen des Adels.150 Im speziellen Fall Betty Paolis ist anzumerken, dass sie eben gerade aufgrund der Tatsache, dass sie unverheiratet und nicht Mutter ist – und damit eigentlich keine Verpflichtungen hat –, wohl auch einen Status „als schöpferischer

143 Ebda, S. 19. 144 Vgl. ebda, S. 16 f. 145 Vgl. ebda. 146 Karin S. Wozonig: Die andere Bildungsreise: Mobilität und Politik im Leben der Autorin Betty Paoli (1814 – 1894). In: Migration und Reisen. Mobilität in der Neuzeit. Hrsg. von Elena Taddei u.a. Innsbruck: Studien Verlag 2012. (=Innsbrucker Historische Studien. 28.), S. 201. 147 Vgl. ebda. 148 Ebda. 149 Vgl. ebda. 150 Vgl. ebda. 36

(geschlechtsneutraler) Geist“151 hat, der es ihr wiederum erlaubt, sich überhaupt und dann noch dazu allein auf Reisen zu begeben. Von dieser Reise nach Zerbst (Deutschland) berichtet sie dann in Form von „Deutschen Briefen“ an einen anonymen Freund im Feuilleton der „Presse“, wodurch sich auch ihre neue Einkommensquelle auftut, nämlich der Journalismus.152 Paoli wird aber noch immer vom Sohn der Fürstin Schwarzenberg, Friedrich von Schwarzenberg unterstützt und kann es sich sohin leisten, längere Reisen auch nach Deutschland und Frankreich zu unternehmen.153 In Deutschland wird sie Gesellschafterin der Gräfin Bünau bei Dresden und behält die Stelle, bis diese heiratet, kehrt danach wieder nach Wien zurück, sieht sich nach der Revolution aber mit einer Gesellschaft konfrontiert, die den „Luxusartikel“ Gesellschaftsdame nicht mehr benötigt, und absolviert so ihr letztes Engagement als solche 1852 im Alter von 38 Jahren bei der Gräfin Bagréeff-Speransky, bei der sie jedoch nicht glücklich ist, da die Gräfin selbst Ambitionen als Literatin hat, jedoch kein Talent dazu.154 Zum Glück für Paoli ist sie finanziell nicht mehr von solch einer Anstellung abhängig, da sie als Lehrerin für Stilistik und Literaturgeschichte gefragt ist und sich zudem bereits einen Ruf als Journalistin und Feuilletonistin erarbeitet hat.155 Ihr Fachbereich ist das Kulturressort und sie verfasst Rezensionen über Theateraufführungen, bildende Kunst und Literatur gleichermaßen für Zeitschriften wie die „Neue Freie Presse“ oder auch die „Münchner allgemeine Zeitung“, außerdem ist sie unter dem Pseudonym „Branitz“156 als Übersetzerin für das Theater tätig.157 1855 findet Paoli Unterkunft im Hause der Ida Fleischl-Marxow, die eine Freundin wird und bei der sie bis zu ihrem Tod bleiben kann und „alle Annehmlichkeiten des Familienlebens ohne Verpflichtungen“ findet.158 Ihr widmet sie auch ihren Gedichtband „Neueste Gedichte“, der 1870 erscheint.159 Sie ist „leidenschaftliche Raucherin“, was wohl als Ausdruck der Emanzipation zu sehen ist, wenn man zum Beispiel auch an George Sand, mit der Paoli auch

151 Ebda, S. 202. 152 Vgl. ebda. 153 Vgl. Geber, Sanfte Milde, S. 17 f. 154 Vgl. ebda, S. 18. 155 Vgl. ebda. 156 Das geistige Wien: Künstler- und Schriftsteller-Lexikon. Hrsg. von Ludwig Eisenberg und Richard Groner. Wien: C. Daberkow’s Verlag 1889-1893. Online im Internet: http://www.onb.ac.at/ariadne/vfb/bio_paoli.htm [Stand: 31.3.2015] 157 Vgl. Marianne Nigg: Biographien der österreichischen Dichterinnen und Schriftstellerinnen: Ein Beitrag zur deutschen Literatur in Österreich. Korneuburg: J. Kühkopf’s Buchhandlung 1893, S. 24. Online im Internet: URL: http://www.literature.at/viewer.alo?objid=12226&viewmode=fullscreen&scale=2.5&rotate=&page=26 [Stand: 2015-03-27] 158 Vgl. Halper, Vorwort, S. 21. 159 Vgl. Hans-Heinz Hahnl: Hofräte, Revoluzzer, Hungerleider: vierzig verschollene österreichische Literaten. Wien: Wiener Journal 1990, S. 98. 37 das eine oder andere Mal verglichen wurde, denkt, denn das Rauchen war eine ganz und gar unweibliche Tätigkeit, die zu der Zeit den Männern vorbehalten war.160 Zu Lebzeiten untersagt sie es, dass eine Biografie über sie erscheint, da sie der Meinung ist, „Biographien noch lebender Personen müssten entweder lügen – oder lückenhaft sein und seien entweder ein Zeichen persönlicher Überheblichkeit oder dienten lediglich der Befriedigung der „Neugier und Klatschsucht der plumpen Masse.“161 Ein bisschen Eitelkeit dürfte allerdings dabei gewesen sein, als sie dem Publizisten und Schriftsteller Leopold Kompert (1822 – 1886) autobiografische Notizen zukommen lässt und ihn beauftragt, wenn schon eine Biografie über sie geschrieben werden müsse, dann „ein Bild der geistigen Persönlichkeit“ darzustellen.162 Wie sehr „die“ Paoli zu Lebzeiten bekannt und verehrt wird, zeigt der Besuch des Wiener Bürgermeisters zu Ehren ihres siebzigsten Geburtstages.163 Trotzdem stirbt sie relativ einsam „nach qualvoller Krankheit in den Morgenstunden des 5. Juli 1894“ in Baden bei Wien.164

Es ergibt sich aus dem oben Erwähnten, dass Paolis Leben, wie von Geber bezeichnet, „ein Leben des Quand-Même“, des Trotzdem war, denn obwohl sie eigentlich keine regelmäßige Ausbildung erhalten hatte, wurde sie immer wieder als hochgebildet bezeichnet; obwohl sie selbst über kein Vermögen verfügte, galt sie trotzdem als begehrenswerte Partie; obwohl sie über ihr Elternhaus nur vage Auskünfte gab und durch ihren Künstlernamen ihre familiären Wurzeln eigentlich zu verschleiern versuchte, spielte sie selbst in der Gesellschaft eine wichtige Rolle und obwohl in der Zeit nach Metternich hauptsächlich Männer den Ton in der Presse angaben, schrieb sie über Frauenfragen in diversen Feuilletons.165

4 Untersuchung ausgewählter Werke

Der folgende Teil der vorliegenden Arbeit beschäftigt sich mit der Untersuchung der Konstruktion von Weiblichkeit im Werk Betty Paolis. Es soll anhand ausgewählter Gedichte,

160 Vgl. ebda. 161 Vgl. Halper, Vorwort, S. 22 f. 162 Vgl. ebda, S. 22. 163 Vgl. ebda, S. 21. 164 Ebda, S. 22. 165 Vgl. Geber, Sanfte Milde, S. 10 f. 38

Feuilletonbeiträge und Novellen gezeigt werden, wie die Autorin Weiblichkeit konzipiert und ob es je nach Gattung zu unterschiedlichen Ausformungen von Weiblichkeit kommt.

4.1 Die Lyrik

Betty Paoli veröffentlichte sechs Gedichtbände. Die ersten vier, nämlich „Gedichte“ (1841), „Nach dem Gewitter“ (1843), „Neue Gedichte“ (1850) und „Lyrisches und Episches“ (1855), erschienen in Erstauflage in Pesth (Budapest) im Verlag Gustav Heckenast, wobei die ersten drei zwischen 1845 und 1856 jeweils eine zweite Auflage in Leipzig im Verlag Georg Wigand erfuhren.166 Der Band „Neueste Gedichte“ erschien 1870 in Wien im Verlag Carl Gerold’s Sohn und „Gedichte“ posthum 1895 in Stuttgart beim Verlag der J.G. Cotta’schen Buchhandlung. Paoli schrieb verschiedenste Arten von Gedichten, darunter Naturgedichte, Liebesgedichte, lehrhafte Gedichte, Gedichte an Personen sowie philosophisch-künstlerische Gedichte, die allesamt in der klassischen Schiller-Nachfolge gesehen werden müssen.167 Drofenig ordnet Paolis Gedichte in vier Gruppen ein, und zwar in - Liebes- und Bekenntnisgedichte (wobei eine Unterscheidung nicht immer eindeutig zu treffen ist und sich die beiden Themenbereiche oftmals überschneiden), - Gedichte an Personen, - lehrhafte Gedichte und - allgemeine Betrachtungen. Drofenig stellt fest, dass die Gruppe der Liebesgedichte, unter der alle Gedichte, die im weitesten Sinne von Liebe handeln, subsummiert sind, die größte Gruppe darstellt.168 Diese Einteilung scheint schlüssig und zielführend zu sein und wird deswegen in dieser Arbeit beibehalten, wobei der Fokus auf der Gruppe der Liebes- und Bekenntnisgedichte liegt. Diese Kategorie scheint nicht nur am vielversprechendsten für die Analyse von Konstruktion von Weiblichkeit, sondern bietet auch einen Rahmen für Paolis subjektive Darstellung von Weiblichkeit. Auch ist das lyrische Ich meistens eindeutig als weiblich zu identifizieren, auch wenn es lediglich „quasi persönliche“ Aussagen macht und tatsächlich autobiografische Informationen nur selten und wenn, dann nur vorsichtig herausgelesen werden können, wie es zum Beispiel in „Kein Gedicht“169 der Fall ist, dessen Adressat wohl ein Geliebter Paolis aus

166 Vgl. Maria Drofenig: Betty Paolis lyrische Gedichte. Graz, Univ., Diss. 1934, S. I. 167 Vgl. Schmid-Bortenschlager, Österreichische Schriftstellerinnen 1800 – 2000, S. 40. 168 Vgl. Drofenig, Betty Paolis lyrische Gedichte, S. 1. 169 Betty Paoli: Kein Gedicht. In: B.P.: Gedichte. Pesth: Heckenast 1841, S. 63 – 67. 39 längst vergangenen Jugendtagen ist. Liebe ist generell von großer Bedeutung in Paolis Lyrik.170 Dabei wirft sie jedoch selten einen romantisch-verklärten Blick auf Liebe. Meist werden Enttäuschung oder unerfüllte Liebe thematisiert, die nicht zum rechten Zeitpunkt sein kann oder sein darf.171 Generell wird bei der Lektüre von Paolis Gedichten eine „ziemlich skeptische bis pessimistische Weltanschauung“172 offensichtlich, ausgedrückt durch Doppeldeutigkeiten und Gegensätzlichkeiten, meist untermauert mit Bildern aus der antiken griechischen oder auch indischen Mythologie sowie Bildern aus der Natur. In ihren Liebesgedichten liest Halper „die Pflicht der Geheimhaltung und den Schmerz der Trennung“ sowie – seiner Meinung nach passend zum Jahrhundert und zur Person Paolis – Melancholie und Pessimismus, Todessehnsucht und Glück aus tiefer Liebe.173 Interessant ist die Deutung Halpers, der Paolis „Liebeslaute“ als „echt weiblich“ deutet und bei Paoli trotz ihrer Kinderlosigkeit eine Mütterlichkeit spürt.174

Paolis erstes Gedicht „An die Männer unserer Zeit“ erschien in der „Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode“ am 25. August 1832 unter dem Namen Betty Glück in der Zeit ihrer Anstellung bei einer polnischen Adelsfamilie in Galizien, bei der sie nach dem Tod ihrer Mutter bis 1835 tätig war. Der erste Gedichtband „Gedichte“ folgte nach ihrer Rückkehr nach Wien und begründete, wenn auch nicht unumstritten, ihren Ruf als Lyrikerin. Einerseits finden Paolis Verse insbesondere bei Frauen Anerkennung, da sie ganz unverblümt und selbstbewusst von Liebe handeln, andererseits wird ihr vorgeworfen, durch eben diese Offenheit das Geheimnis der Weiblichkeit zu entzaubern.175 Darüber hinaus wird Paoli von Zeitgenossen kritisiert, durch ihre fortwährende Bemühung um Emanzipation die „Weiblichkeit“ zu entweihen. Zu jener Zeit sollten die Frauen sittsam, fromm und demütig sein, ein Bild, das Paoli mit ihren Gedichten keinesfalls repräsentierte.176 Auch tat Paoli diesen Vorwurf als Torheit ab und antwortete darauf: „Unweibliche Idee? Wie ihr doch töricht sprecht / Was hat der Geist denn wohl gemein mit dem Geschlecht?“177 Für Wozonig fordert die Lyrik Betty Paolis die Freiheit des Subjekts und somit auch die Freiheit von

170 Schmid-Bortenschlager, Österreichische Schriftstellerinnen 1800 – 2000, S. 39. 171 Vgl. ebda. 172 Ebda. 173 Vgl. Halper, Vorwort, S. 26. 174 Vgl. ebda, S. 27. 175 Vgl. Geber, Sanfte Milde, S. 13 f. 176 Vgl. Hahnl, Hofräte, Revoluzzer, Hungerleider, S. 95. 177 Notiz aus Betty Paolis sogenanntem „Tagebuch“. Betty Paoli: Tagebuch 57. In: B.P.: Gedichte. Pesth: Heckenast 1841, S. 178. 40 politischen Repressionen und der Zensur, ohne dabei explizit politische Literatur bzw. Tendenzlyrik zu sein.178

Paoli galt im Revolutionsjahr 1848 bereits als etablierte und bekannte Autorin vor allem spätromantischer Lyrik,179 mit einem Formbewusstsein und einer Bandbreite an Inhalten, die sie „einsam [a]n der Spitze der österreichischen literarischen Szene der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die noch von vaterländischen Balladen Schillers geprägt war“, stehen ließ.180 Das Jahr 1848 markierte sicherlich einen bedeutsamen Wendepunkt in Betty Paolis Leben. Nicht nur die politische Situation, auch der sich aufgrund neuer Produktionsmöglichkeiten verändernde literarische Markt stellten Paoli vor neue Herausforderungen.181 Wurden ihre Gedichte, die zuerst in Magazinen und Almanachen und eben erst später in eigenen Gedichtbänden erschienen, vor 1848 in den Salons der Wiener Oberschicht gelesen, wie etwa im Salon von Henriette Wertheimer,182 so sah Paoli ihre Existenz und ihre Lyrik nun durch die sozialen und politischen Umwälzungen und ein neues Leseverhalten bedroht. Paoli erkannte, wie sie in einem Brief an ihren Freund Adalbert Stifter schrieb, dass in Zeiten wie diesen wohl nur Zeitungen und Pamphlets gelesen würden, jedoch keine Lyrik.183 Adelige Familien brauchten nun keine Gesellschafterinnen mehr und die literarischen Salons verschwanden ebenso wie der Markt für Liebesgedichte. Folglich wandte sich Paoli der Presse zu.184 Beeinflusst vom Aufschwung der Frauenbewegung, widmete sie sich nun dem noch jungen, bürgerlichen Zweig des Journalismus, was in Kapitel 4.2 der vorliegenden Arbeit behandelt wird.

178 Vgl. Karin S. Wozonig: „Emanzipation des Geistes!“. Die Dichterin und Journalistin Betty Paoli und Ernst von Feuchterslebens Seelendiätetik. In: Vor Freud. Therapeutik der Seele vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. Hrsg. von Carlos Watzka. Tagungsband der „Wiener Gespräche zur Sozialgeschichte der Medizin". Wien: Verl.-Haus der Ärzte 2008. (=Wiener Gespräche zur Sozialgeschichte der Medizin. 7.), S. 146. 179 Vgl. Karin S. Wozonig: Betty Paoli, Poetess and Journalist. Writing in the Year of the Revolution 1848. In: The Other . The Culture of Biedermeier Austria. Österreichisches Biedermeier in Literatur, Musik, Kunst und Kulturgeschichte. Österreichisch-amerikanisches Symposion, veranstaltet von der Grillparzer-Gesellschaft (Wien) und der Grillparzer Society of America, der City University of New York (CUNY) und dem Österreichischen Kulturinstitut New York vom 25. bis 27.3.1999 in New York City. Hrsg. von Robert Pichl und Clifford A. Bernd. Wien: Lehner 2002. (=Sonderpublikation der Grillparzer-Gesellschaft. 5.), S. 85. 180 Gürtler, Schmid-Bortenschlager, Eigensinn und Widerstand, S. 15. 181 Vgl. Wozonig, Poetess and Journalist, S. 87. 182 Vgl. ebda, S. 85. 183 Vgl. ebda, S. 89. 184 Vgl. ebda. 41

4.1.1 Politische Lyrik? – „Der Minotaurus“

Anders als befreundete Dichter wie oder Alfred Meister weigerte sich Paoli stets, politische Gedichte zu schreiben, auch wenn sie deswegen oft kritisiert wurde.185 Das lag an ihrer festen Vorstellung, dass Politik und Kunst nicht zu vereinen seien und Kunst, insbesondere Lyrik, nicht als Mittel zum Zweck gesehen werden dürfe. Paoli vertrat die Auffassung, dass Kunst, wo immer sie etwas anderes sein musste als das Beste und Höchste des Intellektuellen und Spirituellen, aufhörte, Kunst zu sein, was Paoli zu einer Verfechterin der Selbständigkeit von Kunst machte.186 Trotz allem war Paoli politisch gut informiert und auch nicht um einen politischen Kommentar verlegen, wie sich aus dem Briefwechsel mit Fürst von Schwarzenberg herauslesen lässt.187 Ihre vorrangige Hinwendung zu (Liebes-)Lyrik bedeutete auch nicht, dass Paoli sozialpolitische Fragen generell gänzlich unbehandelt ließ. Sie schloss sich zwar weder dem Naturalismus noch dem aufkommenden Realismus an, weil sie der Auffassung war, dass in diesen Strömungen das Wesen der Kunst nicht ausreichend verwirklicht werde, trotzdem behandelte sie aktuelle sozialpolitische Themen auch in ihrer lyrischen Arbeit, wie zum Beispiel im Gedicht „Der Minotaurus“.188 Dabei ging es ihr aber – anders als in der Agitationslyrik ihrer Kolleginnen Bertha von Suttner oder Minna Kautsky – nicht um die agitatorische Vermittlung idealer Werte und neuer Ideen, wie etwa der Frauenemanzipation, der Friedensbewegung oder des Sozialismus. Dennoch prangert sie in diesem Gedicht die sozialen Missstände ihrer Zeit an und setzt den Minotaurus, die „menschenverschlingende Bestie der Antike“ dem „menschenverschlingende[n] soziale[n] Elend der Gegenwart“ gleich.189 Um dieses Bild der zerstörenden Bestie darzustellen, wählt Paoli Begriffe aus der Mythologie. Dabei rekurriert sie auf die Sage von Theseus, der den Minotaurus, eine stierähnliche Bestie, die in einem Labyrinth auf Kreta ihr Unwesen trieb, besiegt haben soll.

Der Minotaurus190

Die Mythe lehrt: von Theseus Hand Ward jenes Ungethüm bezwungen, Das, unersättlich, gierentbrannt, Die Opfer ohne Zahl verschlungen, Die in des Labyrinth's Verließ Athen, ihm zum Tribute, stieß.

185 Vgl. ebda, S. 91. 186 Vgl. ebda, S. 91f. 187 Vgl. ebda, S. 92. 188 Vgl. ebda. 189 Vgl. Schmid-Bortenschlager, Österreichische Schriftstellerinnen 1800 – 2000, S. 39. 190 Betty Paoli: Der Minotaurus. In: B.P.: Neueste Gedichte. Wien: C. Gerold’s Sohn 1870, S. 6 ff. 42

Das heißt, Paoli zieht Parallelen zwischen dieser griechischen Sage und den Problemen ihrer Zeit und stellt fest, dass der Minotaurus, so weit allgemein bekannt ist, zwar von Theseus besiegt worden ist, jedoch angesichts der offensichtlichen Umstände bzw. Missstände im Land wohl wieder auferstanden sein muss, wenn auch unter anderem Namen, nämlich als „Elend“ (Z. 18). Die soziale Situation ist folglich ebenso brutal, wie der schreckliche Minotaurus, dem als Opfergabe alle neun Jahre sieben junge Männer und Jungfrauen geopfert werden mussten. Dementsprechend werden Begriffe wie „Elend“, „Gift“ und der „lebend’ge Tod“ (Str. 4) verwendet.

Erstanden ist es von den Todten, Und fordert mit erneuter Wuth Den Zoll von unserm Fleisch und Blut.

Im dunkeln Labyrinth nicht mehr, Es hauset jetzt in uns'rer Mitte! […] Das Elend wird es heut genannt!

Das Elend, der lebend'ge Tod, Sein Gift in jeden Tropfen mischend, […] Das Elend, grimm, erbarmungslos, Der Sünde tück'scher Bund'sgenoß!

Das durch den wiedergekehrten Minotaurus verkörperte Elend stiftet nun Männer gleichermaßen wie Frauen und Kinder zu Gewalt und Unredlichkeit an, wobei den Frauen der Ratschlag erteilt wird: „Gebrauche deinen Reiz als Waffe!“ (Z. 28). Interessanterweise lässt sich hier eine Verbindung zu den Feuilletonbeiträgen Paolis erkennen, in denen sie an mehreren Stellen kritisiert, dass den Mädchen ihrer Zeit keine gute Ausbildung zuteil wird, und stattdessen eine Erziehung forciert wird, die ihnen beibringt, sich im heiratsfähigen Alter mit allen weiblichen Reizen einen Mann zu „angeln“.191 Das Gedicht beinhaltet außerdem eine religiöse Komponente, wenn in Strophe vier der Minotaurus bzw. das Elend als „Der Sünde tück'scher Bund'sgenoß!“ beschrieben wird.

Dem Manne ruft es lockend zu: »Seh' Jeder selbst, was er erraffe!« Der Jungfrau: »Hold und schön bist du! Gebrauche deinen Reiz als Waffe!« O Gott, noch mehr! wie oft entweiht Die Unschuld es der Kinderzeit!

191 Vgl. Betty Paoli: Eine Zeitfrage. In: Was hat der Geist denn wohl gemein mit dem Geschlecht? Hrsg. von Eva Geber, S. 83. [ursprünglich: Neue Freie Presse, 4.11.1865, S. 1] 43

Schon längst beschränkt sich der Einfluss des Monsters nicht mehr nur auf sein Labyrinth, denn es wütet in ganz Europa (Str. 6), das heißt alle Bürger sind betroffen: „Der Minotaurus, wüthend blind, – / Europa jetzt sein Labyrinth!“ Die vorletzte Strophe ist ein Appell an die Verantwortlichen, den „Rath der Weisen“, also die Mächtigen und Reichen, sich jetzt nicht von den Opfern abzuwenden, sondern Mitgefühl zu zeigen und sie zu beschützen.

Die ihr im Rath der Weisen sitzt, Und ihr, die Mächtigen, die Reichen, Gedenket ihrer Qual! beschützt Die Opfer, die verzweiflungsbleichen!

In der letzten Strophe werden die Lesenden noch einmal direkt angesprochen („Wißt ihr, wohin der Lauf uns führt?“, Z. 43). Es wird prophezeit, dass der Kampf Arm gegen Reich keinen Gewinner kennt, denn wo es kein Erbarmen gibt, gibt es auch kein Recht (Z. 46). Der Lösungsvorschlag: Die Reichen sollen das Lösegeld für die Armen und sich selbst bezahlen. Danach endet das Gedicht, ohne einen konkreten Vorschlag zu machen, welche Form das Lösegeld annehmen könnte und ob damit nur ein Sinnbild gemeint ist oder ob es auf eine tatsächliche finanzielle Abgeltung anspielt. Durch die Wahl des Wortes wird jedoch eine Kriminalisierung bzw. ein Verbrechen impliziert, das gerade im Gange ist.

Zum Kampf der Reichen und der Armen? Weh' euch, wenn diesen ihr erkürt! Kein Recht gilt da, wo kein Erbarmen. O zahlt, von milderm Geist erhellt, Für sie und euch das Lösegeld!

Dieses Gedicht Betty Paolis stellt also ein Beispiel ihrer politisch motivierten Lyrik dar. Es ist ein Aufruf an die Mächtigen der Zeit, die unerträgliche Situation für alle in Europa aufzuhalten. Das aus der griechischen Sage bekannte Monster steht symbolisch für die sozialen Probleme der Zeit. Die enormen industriellen und wirtschaftlichen Neuerungen und Wandlungen bedingten eine veränderte Sozialstruktur. Aufgrund der damit einhergehenden hohen Arbeitslosigkeit besonders in den 1830er und 1840er Jahren des 19. Jahrhunderts spitzte sich die soziale Situation zu und kulminierte schließlich in der Revolution im Jahre 1848. Staatliche Zwangsmaßnahmen sollten zwar Maschinenstürmen in Betrieben, Lebensmittelkrawallen und politischen Unruhen entgegenwirken, doch wirkliche soziale Lösungsmodelle gab es nicht. Österreich galt in der Zeit von 1815 bis 1848, also in der Ära Metternichs, als „politisch borniert, wirtschaftlich rückständig, ethnisch, geographisch und 44 geschichtlich heterogen und daher freilich auch schwer verwaltbar.“192 Es konnte quasi als negatives Musterbeispiel in Europa dienen. An dieser Stelle muss allerdings noch einmal erwähnt werden, dass politische Lyrik nicht zu Paolis Hauptwerk zu zählen ist, wofür sie von Dichterkollegen, wie eingangs erwähnt, auch kritisiert wurde. Typisch für sie ist das Verharren im Allgemeinen. Paolis Gedicht wird nicht konkret und könnte genauso gut auf eine andere prekäre politische Situation umgelegt werden. Diese Form der Sozialpoesie steht wie auch die Agitationslyrik generell im Gegensatz zur gesellschaftlich akzeptierten oder zumindest hingenommenen Form der sonst gebräuchlichen Lyrik von Frauen, nämlich der oben erwähnten Selbstaussprache des weiblichen Subjekts.193

4.1.2 Weibliche Lyrik?

Wie bereits angedeutet, erntete weibliche Lyrik im Biedermeier, so auch jene Betty Paolis, harsche Kritik. Jedoch wird im Falle Paolis die Intensität ihrer Gedichte positiv erwähnt. So spricht schon zu Paolis Lebzeiten Eisenberg ihrer Lyrik im Gegensatz zu ihren Novellen eine „bedeutende Individualität“ zu, die mit unglaublicher Intensität eine große „Herzens- und Lebenstäuschung“ und einen enormen Schmerz verarbeite und erkenne: „Nur inneres Erlebnis, nur innere Stimmung wurde ihr zum Gedicht und ihr Innenleben kam zu so mächtigem Ausdruck, dass Grillparzer sie den ‚ersten Lyriker Österreichs‘ nannte.“194 Halper meint sogar aus ihren Gedichten herauslesen zu können, dass sie geliebt haben muss, „denn nur eine wirklich Liebende kann diese Töne anschlagen, nur eine wirklich Liebende kann solche Worte finden.“195 Dabei gilt es, den Aspekt nicht aus den Augen zu verlieren, dass die authentische Selbstaussprache in der Lyrik besonders gerne Frauen zugesprochen wurde und wird.196 Das gilt auch für das 19. Jahrhundert, das – wenn überhaupt – eher bereit war, Frauen als empfindsame Lyrikerinnen zu akzeptieren. Doch gerade bei Paoli findet sich eine Formstrenge, die „dem üblichen Klischee von der sentimentalen Frau so gar nicht entspricht“197. Wie sie sich diese Sicherheit und das Können im Umgang mit Sprache und Form angeeignet hat, ist aufgrund ihrer mangelhaften Ausbildung als Kind bzw. als Mädchen

192 Schneider, Im Schatten der Restauration, S. 256. 193 Vgl. Wehinger, „Die Frucht ist fleckig und der Spiegel trübe“, S. 310. 194 Das geistige Wien, Online im Internet: http://www.onb.ac.at/ariadne/vfb/bio_paoli.htm [Stand: 2015-03- 31]. 195 Halper, Vorwort, S. 26. 196 Vgl. Wehinger, „Die Frucht ist fleckig und der Spiegel trübe“, S. 299. 197 Gürtler, Schmid-Bortenschlager, Eigensinn und Widerstand, S. 15. 45 schwer erklärbar. Gürtler und Schmid-Bortenschlager führen Paolis Sprachgewandtheit jedoch auf ihre Anstellung als Gesellschaftsdame und Vorleserin bei der Fürstin von Schwarzenberg zurück.198 Interessant ist darüber hinaus, was die Autorin selbst bezüglich ihrer literarischen und lyrischen Bildung in einem ihrer Briefe an Leopold Kompert, mit dem sie vor allem eine jahrelange Brieffreundschaft verband, sowie über ihre ersten Versuche als Lyrikerin zu sagen hat: „Doch bemerkenswert bleibt immerhin, daß ich selbst damals, obgleich ich von den Regeln der Metrik keine Ahnung hatte, sie gewissermaßen erriet und mir in dieser Hinsicht keinen Verstoß zu Schulden kommen ließ.“199 Dieses Zitat belegt, dass Betty Paoli zumindest im Bereich der Lyrik keine fundierte Bildung erhalten hatte. Auch wenn ihr solch grundlegendes Wissen fehlte, schrieb sie diese Fertigkeit nicht ihrem Gefühl zu, sondern mutmaßte, dass sie es gut erraten hatte. Obwohl sich Paoli im Laufe ihres Schaffens viel Wissen in autodidaktischen Studien aneignete und als Schriftstellerin weitgehend akzeptiert und anerkannt war, blieb sie dennoch bis an ihr Lebensende auf die finanzielle Unterstützung ihrer Freundinnen und Gönnerinnen angewiesen.200

a) „Ich“

Das exemplarischste Gedicht von und über Betty Paoli ist wohl „Ich“201, in dem Paoli das lyrische Ich explizit und gar nicht verborgen sehr viel von sich preisgeben lässt:

Ich

Ich kann, was ich muß! o seltnes Geschick! Ich will, was ich muß - - o doppeltes Glück.

Mein Herz ist an Stärke dem Felsen gleich, Mein Herz ist, wie Blumen, sanft und weich.

Mein Wesen gleicht Glocken von strengem Metall: Schlag kräftig d'ran, gibt es auch kräftigen Schall.

Mein Geist stürmt auf eiligem Wolkenroß hin; Mein Geist spielt mit Kindern mit kindlichem Sinn.

Ich weiß, was ich will! und weil ich es weiß, Drum bann' ich's zu mir in den magischen Kreis.

Ich weiß, was ich will! das ist ja die Kraft,

198 Vgl. ebda, S. 15 f. 199 Drofenig, Betty Paolis lyrische Gedichte, S. V. 200 Vgl. Gürtler, Schmid-Bortenschlager, Eigensinn und Widerstand, S. 16. 201 Betty Paoli: Ich. In: B.P.: Gedichte. Stuttgart: Cotta 1895, S. 11. 46

Die sich aus dem Chaos ein Weltall entrafft.

Ich weiß, was ich will! und wenn ich's erreich', Dann gelten der Tod und das Leben mir gleich.

In jeder Strophe und in fast jeder Zeile, ja sogar im Titel, ist das lyrische Ich präsent, entweder direkt in der ersten Person Singular als deutliches „Ich“ oder im Dativ „mir“ bzw. auch als Possessivpronomen „Mein“. Es stellt sich selbst mit Hilfe der wiederholten Anapher in den Mittelpunkt und macht explizit, laut und provokativ auf sich aufmerksam, was in krassem Gegensatz zu der im Biedermeier gesellschaftlich üblichen Auffassung von Weiblichkeit steht, die dem weiblichen Ich in der Subjektposition Schweigen zuordnet.202 Auf den ersten Blick ist bereits in den ersten zwei Zeilen eigentlich alles Ausschlaggebende über das lyrische Ich gesagt: Es geht dem lyrischen Ich ausgesprochen gut, schließlich hat es alles, was ein Mensch zu wünschen vermag: Es hat eine besondere Begabung („seltenes Geschick“, Z. 1) sowie die Freude daran, diese Begabung nutzen zu können bzw. zu müssen („doppeltes Glück“, Z. 2). So entsteht der Eindruck einer ausgesprochen glücklichen Situation. Dennoch hat es auch den Anschein eines Zwanges, der sich erst bei genauerem Hinsehen ergibt. Zweimal liest man „muß“ (Z. 1 und 2), was Zweifel an der glücklichen Situation aufkommen lässt, da es vielmehr wie eine (versteckte) Verpflichtung wirkt. Die weiteren sechs Strophen dienen der detaillierten Illustration der Aussage der ersten Strophe, wobei die zweite, dritte und vierte Strophe Gegensätzlichkeiten ausdrücken, indem die Eigenschaften des lyrischen Ichs aufgelistet werden: ein Herz stark wie ein „Felsen“, dabei aber nicht eiskalt oder unbeugsam, sondern „sanft“ und „weich“ wie eine Blume; mal stürmt es auf einem „Wolkenroß“ hoch am Himmel, vielleicht eine Metapher für geistige Höhenflüge, hat seine (intellektuellen) Kräfte aber durchaus unter Kontrolle, wenn es mit den Kindern spielt. Vor allem: Es kann kindlich sein. Dabei wird auch eine Dreiteilung deutlich: In der zweiten Strophe beschreibt das lyrische Ich sein Herz, in der dritten seinen Charakter und in der vierten Strophe seinen Geist, sein Denken. Es handelt sich also um ein Ich voller Selbstbewusstsein und Stärke. Die letzten drei Strophen werden gleich einem Schlagen mit der Faust auf den Tisch mit den Worten „Ich weiß“ eingeleitet, wodurch das (weibliche) lyrische Ich sich in einer Linie als denkendes Ich, das heißt also als ein traditionell männliches Ich inszeniert. Dieses traditionellerweise als männlich gesehenes Denken muss sich das weibliche Ich erst magisch „zubeschwören“. Dann erst erlaubt es ihm die Formgebung, also die Kraft, etwas (kreativ) zu erschaffen. Diese

202 Vgl. Wehinger, „Die Frucht ist fleckig und der Spiegel trübe“, S. 306. 47

Möglichkeit der Formgebung steht im Gegensatz zum unreflektierten Sich-Aussprechen der weiblichen Gefühle, die sonst in weiblicher Lyrik zu vermuten ist. Durch die Positionierung der Worte „Ich weiß, was ich will!“ jeweils am Anfang der Verszeile, die mit einem Rufzeichen grafisch hervorgehoben sind, entsteht eine Dominanz des männlich gesetzten Geistes.203 Schließlich hebt das lyrische Ich sogar den Tod auf. Diese spätromantische Idee ist voller Pathos: Das Leben und der Tod sind gewissermaßen gleichgültig. So entsteht das Bild der Grenzenlosigkeit, denn zu wissen, was man kann, lässt dem lyrischen Ich de facto alles möglich erscheinen. Dennoch lässt sich hier auch eine Unsicherheit in der eigenen Zuerkennung der „männlichen“ Eigenschaften erkennen. „Ich weiß, was ich will! und wenn ich’s erreich‘“ verrät eine gewisse Skepsis der eigenen Stärke gegenüber. Von einem vielschichtigen Charakter zeugt aber vor allem die widersprüchliche Beschreibung, die eine Dichotomie zwischen typisch weiblichen und typisch männlichen Zuschreibungen deutlich macht. Da stehen Stärke, Strenge, aggressives In-Besitz-Nehmen („entrafft“, Z. 12) sowie Materialien wie Felsen und Metall weiblichen Eigenschaften und Zuschreibungen wie Weichheit, Blume, Naivität („kindlicher Sinn“, Z. 8) und Chaos gegenüber und geben so dem weiblichen lyrischen Ich ein für die Zeit des Biedermeier neues Selbstverständnis; nämlich eines, das männliche ebenso wie weibliche Eigenschaften in sich tragen kann. So wird das im 19. Jahrhundert vorhandene konstruierte Bild von Weiblichkeit als „weich“, „naiv“ und „sanft“, dem Schweigen verpflichtet und der privaten Sphäre zugehörig, deutlich in Frage gestellt. Drei Mal liest man also „Ich weiß, was ich will!“: Mit diesen wiederholten Worten sind die letzten drei Strophen eingeleitet und wirken dadurch wie ein beschwörender Zauberspruch. Die Zauberformel wird darüber hinaus vom Bild des Bannens in den magischen Kreis, in dessen Zentrum die Dichterin steht, ergänzt. Auf diese Weise entsteht eine Zuschreibung zur weiblich-magischen Sphäre. Interessant ist die Sichtweise auf die letzten beiden Strophen, die ein hymnisches Bild der Dichterin und der Dichtkunst als eine in ihr wirkende Schaffenskraft zeichnen, was durch den reflexiven Bezug hervorgehoben wird („Die sich aus dem Chaos ein Weltall entrafft“, Z. 12).204 Ebenso auffallend ist die Verwendung des Wortes „entrafft“ statt etwa „erschafft“, das gleichermaßen ins Reimschema passen würde. Durch das mit „entrafft“ mitklingende

203 Vgl. Schmid-Bortenschlager, Österreichische Schriftstellerinnen 1800 – 2000, S. 40. 204 Vgl. ebda, S. 41. 48 negative Bedeutungsspektrum wird jedoch eine gewisse Brutalität und Gefährlichkeit des Daseins als Dichterin evoziert.205 Für die letzte Zeile ergeben sich laut Schmid-Bortenschlager zwei mögliche Lesarten: Zum einen ist das der Triumph der gottähnlichen Dichterin – vielleicht auch der Triumph über die herrschenden Sichtweisen und Zustände ihrer Zeit, das zu machen und zu können, was sie will –, zum anderen lässt sich in Verbindung mit der ersten Strophe eine gewisse Resignation, ausgelöst durch „die Anpassungsleistung, die das gesellschaftliche ‚Müssen‘ in ein subjektives ‚Wollen‘ transportiert hat“206, erkennen. Auch verdeutlicht die erste Strophe den inneren Zwang des kreativen Geistes quasi „schreiben zu müssen“. Im Gesamteindruck spiegelt das Gedicht das starke Selbstbewusstsein eines weiblichen lyrischen Ich deutlich wider. Durch die gegenüberstellende Beschreibung der gegensätzlichen Eigenschaften, die jeweils männliche bzw. weibliche Zuschreibungen darstellen, ist es zwar nicht als eindeutig weiblich zu identifizieren, sehr wohl aber als solches zu deduzieren. Hinzu kommt der Umstand, dass es sich bei dem Gedicht um keine anonyme Veröffentlichung handelt und die Autorin sehr wohl bekannt war. Auch wird ein Bild einer starken weiblichen Persönlichkeit voller Selbstsicherheit gezeichnet, die entgegen den Erwartungen der biedermeierlich vordefinierten Vorstellungen vom Frau-Sein auch starke, männliche Attribute in sich vereint. Es ist ein Versuch, die Notionen von „Weiblichkeit“ zu erweitern, wobei Betty Paoli gleichzeitig auf diese Notionen („weich“, „sanft“, „Blume“ etc.) bezogen bleibt. Man könnte Paoli nun den Vorwurf einer gewissen „Halbherzigkeit“ machen, jedoch gilt es zu bedenken, dass sie als Kind ihrer Zeit die biedermeierlichen Muster wohl verinnerlicht hat.

Das Besondere am lyrischen Werk Paolis ist auch die Offenheit, mit der sie das lyrische Ich sprechen lässt. In dem oberwähnten Gedicht „Ich“ war der Gefühlsausdruck für die damalige Zeit noch einigermaßen tolerierbar. Handelte es sich jedoch um ein richtiges Liebesgedicht mit einer echten Offenbarung der Gefühle und Leidenschaften, bestand das Risiko eines Aneckens. Auch wenn es Frauen ob ihrer klischeehaften und rollenbezogenen Zusprechung zur naturbezogenen und gefühlsbetonten Seite zugestanden wurde, Gedichte zu schreiben, so stellte die Offenheit, mit der Paoli in ihrer Lyrik ihre Gefühle darstellte, doch einen regelrechten Affront gegen die Normen der Öffentlichkeit und ihre Moralvorstellungen dar. Doch gerade diese Offenheit bezüglich ihrer „Liebesleiden und Liebesfreuden“207 in ihren Gedichten scheint es gewesen zu sein, die ihr Beliebtheit und Lob gleichermaßen wie Kritik

205 Vgl. ebda. 206 Ebda. 207 Drofenig, Betty Paolis lyrische Gedichte, S. 209. 49 einbrachte. So wurde in der „Illustrierten Zeitung“ aus dem Jahr 1846 eine „Entweihung des Weibes“ festgestellt, da Paoli „den Schleier vom Geheimnis“ riss. Dennoch wurde ihrer Poesie eine überwältigende Wahrheit nachgesagt, wie etwa in der „Zeitung für die elegante Welt“ 1844, die die Echtheit und Innigkeit der Verse lobte. Anders die Zeitschrift „Iris“ 1851, die Paoli zwar eine gewisse Phantasie bestätigte, jedoch kritisierte, dass „die eigentlichen Tiefen der Kunst“ nicht ergründet werden können.208

b) „Kein Gedicht“

Aus dem Gedicht mit dem widersprüchlichen Titel „Kein Gedicht“ 209 geht klar hervor, dass das lyrische Ich ein weibliches ist. Es stellt sich als starke Frau vor, die Schwierigkeiten aus eigener Kraft und Stärke überwinden kann. Der eigentümliche Titel wurde wahrscheinlich deswegen ausgewählt, weil das Gedicht ein lyrisches Verarbeiten Paolis Lebens und der ihr in den Weg gestellten Hindernisse mit autobiografischem Inhalt ist, also weil der Inhalt zu wenig „lyrisch“ ist. Das zuvor erwähnte Gedicht „Ich“ oder andere Gedichte mit Titeln wie „Bekenntnis“ oder „An ***“ vermitteln den Eindruck, dass ein unmittelbares Gefühl zum Ausdruck kommt, wo hingegen in diesem Fall „ein Protokoll des Lebens der Dichterin vorliegt“210. So wird zum Beispiel beim hier behandelten „Kein Gedicht“ bereits in der ersten Strophe durch die Formulierung „andern Frauen“ (Z. 2) klar, dass das lyrische Ich eindeutig ein weibliches ist:

O wäre mir das heitre Los gefallen, Das still beglückend andern Frauen fällt, In schirmender Beschränkung hinzuwallen Durch eines engen Kreises kleine Welt;

Jedoch wird bereits beim Lesen der zweiten Hälfte der ersten Strophe unmissverständlich klar, was das lyrische Ich von den Geschlechtsgenossinnen und deren Lebensentwürfen bzw. von den Realisierungen derselben hält: Das weibliche Leben wird als eine Beschränkung oder Einschränkung auf einen „engen Kreis“ (Z. 4) beschrieben, in dem man abgeschirmt „hinwallt“ – ein Begriff, der eher Passivität als eine aktive Lebensführung impliziert und in

208 Vgl. ebda, S. 202. 209 Betty Paoli, Kein Gedicht, S. 63 ff. 210 Karin S. Wozonig: Self-fashioning und Anekdote. Betty Paoli und ihre Biographien. In: Der Dichter und sein Germanist. Symposium in Memoriam Wendelin Schmidt-Dengler. Hrsg. von Stephan Kutz, Michael Rohrwasser und Daniela Strigl. Wien: new academic press 2012, S. 100. 50 dem ein negativer Unterton von „dahindämmern“ mitschwingt. Durch die Wortwahl drängt sich der Eindruck von Grenzen und einer (intellektuellen) Beschränktheit auf, vor allem, wenn in der zweiten Strophe von „ahnungsloser Unbefangenheit“ (Z. 8) die Rede ist. Deutlich wird, dass das Leben des lyrischen Ichs absolut nichts mit der üblichen Sichtweise von Frau und der herkömmlichen zeitgenössischen weiblichen Lebensführung gemein hat. Verdeutlicht wird das in Strophe drei:

Doch anders hat sich mein Geschick gewendet, Ein Kampfplatz nur war meine Lebensbahn; Der Kindheit Blütenruh ward mir entwendet Und hingeopfert einem eitlen Wahn!

In der siebenten Strophe betont das lyrische Ich, dass es sich selbst durchs Leben schlagen musste, ohne die Hilfe von Freunden. Die Zeile „Was ich bedurfte, mußt‘ ich selbst erringen,“ beschreibt hier die Selbständigkeit, mit der sich das lyrische Ich selbst versorgt hat – anders als verheiratete Frauen, die durch die Ehe versorgt waren. Diese Selbständigkeit ist jedoch mit der Vorstellung von Weiblichkeit zur Zeit des Biedermeier gänzlich unvereinbar.211 Auffällig ist dabei auch die Erwähnung der Notwendigkeit, für den Lebensunterhalt selbst aufkommen zu müssen, die wohl darin gründet, dass Paoli – wie in den Kapiteln 3 bzw. 4.2.1 dieser Arbeit gezeigt wird – zeitlebens unter einem ständigen Rechtfertigungszwang ihre Schriftstellerei, allen voran ihre journalistischen Ambitionen betreffend, stand und als Grund dafür eben immer wieder die Notwendigkeit, auf diese Weise ein finanzielles Auskommen finden zu müssen, angab. Als Kontrapunkt dazu stehen die „Schwingen“, womit die Schwingen des Dichters, also die künstlerische Arbeit als Poetin gemeint sein könnten:

Was ich bedurfte, mußt' ich selbst erringen, Auskämpfen selber jeden herben Streit, Und drückend lasteten auf meinen Schwingen Die schweren Fesseln der Notwendigkeit.

Am bezeichnendsten sind wohl in der achten Strophe die Zeilen „Mein Unglück läßt sich in zwei Worte fassen: / Ich war ein Weib und kämpfte wie ein Mann!“, in der das lyrische Ich explizit seine Stärke, die der eines Mannes ebenbürtig ist, betont. Dabei wird auch der Zwiespalt, der Paolis Leben prägte, deutlich: Zum einen hatte sie wohl die Stärke bzw. die Willenskraft eines Mannes, zum anderen war sie dabei aber immer noch „Frau“. Für Treder ist „Kein Gedicht“ „eine Aktualisierung des romantischen Androgyn-Gedankens für den

211 Vgl. Wozonig, Die Literatin Betty Paoli, S. 157. 51 privaten Binnenraum“212, der allerdings zur Zeit der Erscheinung des Gedichtes revolutionär war, weil er auch politische Aspekte in sich birgt, wenn etwa die Zuschreibungen zu Weiblichkeit und die fremdbestimmte Rolle der Frau im Biedermeier berücksichtigt werden. Weiters sieht Treder darin auch keinen Rollentausch zwischen Mann und Frau, sondern die „Erweiterung der Weiblichkeit durch das männliche Prinzip“213, und zwar durch das Handeln und die Aktivität („kämpfte wie ein Mann!“, Z. 32). In der darauffolgenden neunten Strophe werden Eigenschaften und Aktivitäten, die sonst männliche Zuschreibungen sind, genannt. So stehen Begriffe wie zum Beispiel „Schlacht“ und „Wehr“ (Z. 33) für eindeutig männliche Attribute ebenso wie Zuschreibungen auf der geistigen, intellektuellen Ebene, wie in der darauffolgenden Zeile: „Erwarb mein Geist sich Schärfe, Kraft und Licht“. Für Treder ist auch das eine Erweiterung der Weiblichkeit durch das männliche Prinzip, was aber nicht ohne Konsequenzen bleibt: „Doch blütenlos blieb meine ernste Seele - / Im Waffenkleid pflegt man der Blumen nicht.“ An dieser Stelle offenbart sich ein weiterer Grund dafür, wieso dieses Gedicht eigentlich „Kein Gedicht“ ist, wie der Titel es bereits angekündigt hat: Das lyrische Ich, das der Leserschaft als weibliches begegnet, dargestellt im Waffenkleid, entspricht nicht dem sonst traditionell in der Lyrik besungenen „schöne[n] Geschlecht“ und ist ganz und gar nicht in die üblichen biedermeierlichen Schemata von Weiblichkeit einzuordnen. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, ist es keine schöne, sondern eine „ernste Seele“, kein schönes Objekt, weswegen das Gedicht eigentlich auch kein solches sein kann, da die ästhetischen Ansprüche, die die Dichterin an die Lyrik stellt, nicht erfüllt werden. In den darauffolgenden Strophen neun und zehn wird eine Liebe mit unglücklichem Ausgang geschildert, die sich das lyrische Ich in seiner Jugend erhofft hatte, die aber aus ungenannten Gründen nicht realisiert wurde und so in Enttäuschung und dauerhaftem Schmerz mündete, sodass es im weiteren Leben überhaupt nicht mehr lieben konnte („Mein Herz, gleichwie die Toten, schwer und kalt“, Z. 44). Hier finden sich also Elemente eines Liebesgedichtes – einmal mehr mit tragischem Ausgang. Der Geliebte ist zu spät gekommen. Am Lebensabend („Und nun, da schon mein bess'res Teil im Grabe“, Z. 49), wo nun alle Kräfte aufgebraucht sind und das lyrische Ich nichts mehr will und nichts mehr braucht, kommt der Geliebte, dargestellt mit dem Bild des Lichtschimmers in der Dunkelheit, gleichsam ein Heilsbringer („Tritt deine Liebe leuchtend zu mir hin!“, Z. 56). Doch nun ist er weder erwünscht noch wird

212 Uta Treder: Das verschüttete Erbe. Lyrikerinnen im 19. Jahrhundert. In: Deutsche Literatur von Frauen. Zweiter Band. 19. und 20. Jahrhundert. Hrsg. von Gisela Brinker-Gabler. München: C.H. Beck 1988, S. 38. 213 Ebda. 52 er gebraucht. Das lyrische Ich musste sein Leben lang schmerzvoll damit zurechtkommen, alleine zu sein. Die Liebe bei Betty Paoli ist in diesem Fall nicht realisierbar. Die folgenden drei Strophen dienen der genaueren Beschreibung der widrigen Lebensumstände des lyrischen Ichs und schließen mit der Conclusio, dass es intellektuell gebildet, aber durch die äußeren Umstände emotional verkümmert ist: „Zum Forschen, zum Erkennen mag es taugen; / Allein zum Lieben und zum Küssen nicht!“ Diese Position der enttäuschten und unglücklichen Geliebten ist für das Werk Paolis typisch. Drofenig zählt die verschiedenen Motive, die Paoli in ihren Liebesgedichten verwendet, auf.214 Darunter finden sich alle Phasen und verschiedenste Aspekte von Liebe und Verliebtheit. So reicht die Palette von der Angst, sich zu verlieben über die Auswirkungen, die die Liebe mit sich bringt, die Bedeutung von Liebe, Bestand von Liebe gegenüber Freundschaft bis hin zu unglücklicher Liebe und Trennung, die mit Schmerzen verbunden ist. Auch findet sich in dem oberwähnten Gedicht das Motiv der zu spät gekommenen Liebe, die nicht mehr Erfüllung finden kann, da sich das lyrische Ich schon am Lebensabend befindet. Auffallend dabei ist die Darstellung der Selbstbestimmtheit und Selbstkenntnis des lyrischen Ichs, das im Gegensatz zum im 19. Jahrhundert herrschenden Bild von Weiblichkeit steht. Dies wird etwa ersichtlich, wenn das lyrische Ich den zu spät kommenden Geliebten bewusst ablehnt, was als eigenständige Entscheidung eines starken, unabhängigen Charakters gedeutet werden kann, der fähig ist, für sich selbst zu entscheiden. Darüber hinaus muss die romantische Vorstellung bedacht werden, dass der Künstler auf Liebe und Beziehungsglück zu Gunsten der Kunst verzichten muss. Dabei trifft dieser Verzicht auf Liebe bzw. eine verlorene Liebe traditionell die Frau stärker als den Mann. Im Falle Betty Paolis lässt sich dieses Gedicht zudem wie eine Entschuldigung lesen: Das lyrische Ich ist so hart geworden, weil durch die äußeren Umstände bedingt kein typisches „Weiberschicksal“ mit Ehe und Mutterschaft für sie möglich war.

c) „Wandlung“

Paolis Gedichte sind sicherlich der Tradition der Romantik verhaftet, denn wiederholt ist von Gefühl, Stimmung und Liebe zu lesen.215 Überhaupt wurden von Lyrikerinnen des 19. Jahrhunderts gerne bestehende rhetorische Elemente der Romantik weitergeschrieben. Die Lyrik vor allem der Spätromantiker stellt ein Reservoir aus Topoi und Motiven (zum Beispiel

214 Vgl. Drofenig, Betty Paolis lyrische Gedichte, S. 1. 215 Vgl. Elisabeth Klaus, Ulla Wischermann: Journalistinnen. Eine Geschichte in Biographien und Texten. 1848 – 1990. Wien, Berlin: LIT Verlag 2013. (=Journalismus: Theorie und Praxis. 18.), S. 39. 53

Nacht, Mond, Seele, Musik etc.) zur Verfügung, das stark an Stimmung und Gefühl appelliert und von den Lyrik-Rezipientinnen begeistert aufgenommen wird. Betty Paoli steht in dieser Tradition, beherrscht sie und nutzt sie. Das lyrische Ich tritt nun quasi in einen Dialog mit einem Du, also der Leserin. Als Beispiel für ein der Spätromantik verhaftetes Liebesgedicht wird in der vorliegenden Arbeit „Wandlung“ bearbeitet.

Wandlung216

Willst du erschaun, wie viel ein Herz kann tragen, O blick in meins! So reich an Wunden, vom Geschick geschlagen, War wohl noch keins. Doch mitten in den wütendsten Orkanen Erhob ich mich Und schritt dahin auf fernen Bahnen - Wie stark war ich.

Wie ward mir doch nun so mit einem Male Die Kraft geraubt? Es trotzte mutig dem Gewitterstrahle Mein stolzes Haupt, Doch als du zu mir sprachst mit leisen Grüßen: »Ich liebe dich!« Da sank ich still und weinend dir zu Füßen - Wie schwach bin ich!

Im Gedicht selbst sind formal sowie inhaltlich „Wandlungen“ ersichtlich. In der ersten Strophe entsteht eine Entwicklung aus dem Elend („Wunden“, Z. 3; „Orkanen“, Z. 5) hin zur Stärke, während sich in der zweiten Strophe eine Bewegung in die entgegengesetzte Richtung von der Stärke („Kraft“, Z. 10; „mutig“, Z. 11) hin zu Schwäche vollzieht. Diese Auf-und-ab- Bewegung spiegelt den nicht linearen Verlauf eines Lebens voller Höhen und Tiefen wieder, der sich auch in der Länge der Zeilen zeigt: Auf eine lange Zeile mit fünf Hebungen folgt jeweils eine kurze mit lediglich zwei Hebungen. Jeweils vier solcher Zeilen-Paare ergeben eine Strophe. Grafisch ergeben sich weitere Spiegelungen bzw. Symmetrien, wie zum Beispiel die Wahl der Satzzeichen in den jeweils zweiten Zeilen der Strophen, wo ein Rufzeichen in der ersten Strophe einem Fragezeichen in der zweiten Strophe gegenübersteht, oder in der jeweils vorletzten Zeile einer jeden Strophe, die mit einem Gedankenstrich enden. Solche Parallelen finden sich auch in den letzten Zeilen der beiden Strophen, die den jeweiligen Zustand des lyrischen Ichs feststellen („Wie stark war ich.“, Z. 8; „Wie schwach

216 Betty Paoli: Wandlung. In: B.P. Gedichte. Pesth: Heckenast 1841, S. 18. 54 bin ich!“, Z. 16). Inhaltlich zeichnet das lyrische Ich in der ersten Strophe ein Bild von einer starken Frau. Auch unter widrigen Umständen bzw. gerade unter widrigen Umständen entfaltet es seine Stärke, erhobenen Hauptes, festen Schrittes, „stark“ (Z.8) und „stolz“ (Z. 12). Der Wendepunkt des Gedichts tritt in der zweiten Strophe zutage. Mit dem Auftritt des Geliebten, eines unbestimmten Dus („Doch als du zu mir sprachst mit leisen Grüßen: / „Ich liebe dich!“, Z. 13 f.), das noch nicht einmal besonders laut, vehement oder gar mit Gewalt in Erscheinung treten muss, um die Welt und das Wesen des lyrischen Ichs sowie dessen Sicht auf sich selbst zu ändern. Wenn es um Liebe geht, kann das lyrische Ich schwach sein. Sein Zusammenbruch erfolgt in den letzten zwei Zeilen der zweiten Strophe. Ganz dem Erscheinungsbild von Weiblichkeit im 19. Jahrhundert entsprechend, findet das lyrische Ich in all seiner Emotionalität („weinend“, Z. 15) seine ihm angestammte Position zu Füßen des Geliebten – gar nicht mehr stark, sondern ganz schwach (Z. 16). In diesem Gedicht zeigt sich einmal mehr ein weibliches Ich, das durch widrige Umstände („wütendsten Orkanen“, Z. 5), die ihm in seinem Leben wiederfahren sind, von einem „Weiberschicksal“ ferngehalten wurde. Erst dadurch kommt es zu einem „männlichen“ Verhalten („stark“, Z. 8; „Kraft“, Z. 10; „mutig“, Z. 11), was nicht ausschließlich negativ gesehen wird. Das lyrische Ich beschreibt diese Eigenschaften durchaus mit Bewunderung, jedoch ist es nicht „das Wahre“. Somit finden sich auch in diesem Gedicht Zweifel an einer zugewiesenen Rolle, die nicht vollständig den Normen des 19. Jahrhunderts entspricht. Weiters zeigt dieses Gedicht auch eine offenherzige Darstellung von Gefühlen, die, wie bereits erwähnt, Betty Paoli auch auf negative Reaktionen stoßen ließen. Das lyrische Ich berichtet freimütig von seinem Innenleben und legt sein Herz nicht nur einem Du, sondern der gesamten Leserschaft offen dar (Z. 1 f.). Dabei ist erneut auffallend, dass auch hier im lyrischen Ich männliche Zuschreibungen zu finden sind. So beschreibt es sich zum Beispiel als derart „stark“ (Z. 8), dass es einem Orkan trotzen kann und offenbart damit eine zur Zeit des Biedermeier sicherlich „unweibliche“ Eigenschaft. Doch damit nicht genug: In den ersten vier Zeilen entsteht sogar der Eindruck, das lyrische Ich sei ein Kriegsheld, geschlagen und gezeichnet von Wunden eines Kampfes, einer Schlacht. Deutlich ist auch die Aktivität des lyrischen Ichs zu erkennen, das sich trotz seiner eindeutigen Weiblichkeit keineswegs passiv verhält, sondern sich aktiv erhebt und trotzt. Dieses Bild wird jedoch in der zweiten Strophe revidiert. Durch das Auftauchen des Geliebten, des Du, entwickelt sich das lyrische Ich zu einem den Konventionen des 19. Jahrhunderts entsprechenden weiblichen Wesen, das sich schwach und still verhält.

55

d) „An ***“

Wesentlich unverblümter, die Darstellung des Seelenlebens und der Empfindungen eines lyrischen Ichs betreffend, ist das Gedicht „An ***“217. Wer der Adressat dieser zwei Strophen sein sollte, ist unbekannt, aber zweifelsohne handelt es sich hierbei um ein Liebesgedicht, gerichtet an ein unbekanntes, geheimnisvolles Du. Die Gefühle, die das lyrische Ich empfindet, scheinen so übermächtig, dass es sie nicht in Worte fassen kann („Wie süß du meiner Seele bist, / ich weiß es nicht zu sagen!“, Z. 1 f.). Dies erscheint allerdings widersprüchlich, schließlich stehen diese Zeilen am Anfang eines Gedichtes.

Wie süß du meiner Seele bist, Ich weiß es nicht zu sagen! Was still in meinem Innern sprießt, Will nicht an's Licht sich wagen.

Im zweiten Teil der ersten Strophe wird ein biedermeierlicher Liebesmythos bedient, indem der Frühling als Bild für die Liebe dient, der wieder „neues Leben“ weckt, wie eben der Frühling die Blumen wieder blühen lässt.

Vom Lenze, der in meiner Brust Geweckt ein neues Leben, Vermag ich, wollend und bewußt, Den Schleier nicht zu heben.

Bemerkenswert ist die Selbstsicherheit, mit der das lyrische Ich diese Liebe geheim hält: „Wollend und bewußt“ lüftet es den Schleier nicht, sondern behält das Geheimnis seiner Liebe. Wie bereits am Anfang dieser Arbeit erwähnt, war Betty Paoli stets der Meinung, dass Biografien von Berühmtheiten im Allgemeinen und von Schriftstellern im Speziellen, die noch zu Lebzeiten erschienen, ein Ausdruck von Eitelkeit sind. Sie selbst hatte zu Lebzeiten niemals etwas von sich selbst preisgegeben und wollte auch nach ihrem Tod Gewissheit über die Darstellung ihrer Person haben, weshalb sie – wie eingangs bereits erwähnt wurde – ihren Freund Leopold Kompert mit dem Verfassen ihrer Biographie beauftragte und ihm Informationen über sich zukommen ließ. In der zweiten Strophe wird bereits zu Beginn klar, dass das lyrische Ich sich weder gegen seine Gefühle für den Geliebten noch gegen eine Öffentlichmachung dieser Gefühle wehren möchte, denn diese Liebe ist ohnehin offensichtlich. Und wieder findet sich der Frühling als Metapher für die Liebe.

217 Betty Paoli: An ***. In: B.P.: Neue Gedichte. 2., verm. Aufl. Pesth: Heckenast 1856, S. 98 – 99. 56

Es sei! Wozu versucht ich auch Ihn absichtsvoll zu lüften? Du merkst den warmen Frühlingshauch An seinen linden Düften.

Im letzten Abschnitt der zweiten Strophe wird impliziert, dass das Liebespaar vielleicht sogar die Nacht miteinander verbracht hat. Einen Hinweis darauf gibt, dass der Geliebte in den „feuchten Augen“ des lyrischen Ichs den Sonnenaufgang sieht.

In meinen feuchten Augen siehst Du Licht des Morgens tagen – Wie süß du meiner Seele bist Brauch' ich dir nicht zu sagen!

Die Beziehung scheint von Gegenseitigkeit geprägt zu sein, die ein Zuviel an Worten überflüssig macht. Erklärungen oder Liebesbeweise sind nicht notwendig. Formal ist dieses zweistrophige Gedicht regelmäßig aufgebaut: Auf eine Zeile mit vier Hebungen folgt eine kürzere mit drei Hebungen, die im Kreuzreim stehen. Der Zeilenstil und die einfache Syntax, aus der die Sätze bzw. Verse bestehen, vermitteln eine formale Einfachheit, wie sie auch im Volkslied zu finden ist. Die Autorin bedient sich nicht nur der äußeren Form der in der Romantik beliebten Volksliedstrophe, sondern auch romantischer Topoi, wie zum Beispiel „Seele“ (Z. 1 und 15), „Frühlingshauch“ (Z. 11) und „Augen“ (Z. 13), die als Spiegel zur Seele gelten. Wozonig sieht die Rolle der Liebeslyrik des 19. Jahrhunderts als eine besondere: Die Lyrik hat die Aufgabe, die „verdrängte, gesellschaftlich nicht sanktionierte erotische Leidenschaft aufzufangen.“218 Das lyrische Ich in diesen Gedichten soll dem Publikum einen Gegenvorschlag zur herrschenden Geschlechterordnung und zu idealisierten Familienvorstellungen bieten. Das macht es, indem es „einen Diskurs erotischer Autonomie und unvernünftiger Geschlechtsliebe ohne Fortpflanzungsabsichten anbietet.“219 Diese Liebe bleibt unerfüllt, denn nur so kann sie ihre Wirkung entfalten. Würde sich diese Liebe erfüllen, so müsste dies den Normen und gesellschaftlichen Vorstellungen entsprechend in der Ehe passieren, wodurch ihre Wirkung verloren ginge. Deswegen sind zentrale Themen der Liebeslyrik des Biedermeier unerfüllte Liebe, Verzicht, Entsagung oder sogar der Tod der Angebeteten. Im Mittelpunkt steht das lyrische Ich, das geliebt hat – nicht verliebt ist. „Das männliche lyrische Ich des Biedermeiergedichts verzichtet auf die Liebeserfüllung, die in Ehe

218 Karin S. Wozonig: Liebeslyrik und Biedermeierprosa. Bürgerliche Familienkonzepte bei Betty Paoli (1814 – 1894). In: Journal of Austrian Studies, Vol. 48, No. 1. University of Nebraska Press: Lincoln 2015, S. 83 f. 219 Ebda, S. 84. 57 und Fortpflanzung münden müsste, und bewahrt sich so stellvertretend für den Leser die Leidenschaft.“220 Betty Paoli hat eine andere Sichtweise auf die Dinge. Lindner gesteht den Dichterinnen des 19. Jahrhunderts im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen reife Liebesbeziehungen zu. Lindner stellt fest, dass das Liebesobjekt der Lyrikerinnen „keine unschuldigen Jünglinge, sondern seelenverwandte Partner“221 sind, die die gleichen Erfahrungen gemacht haben wie sie selbst. Es wird also eine gewisse Gleichwertigkeit der Partner vorausgesetzt, die eine Basis für die Beziehung bildet. Im Gedicht „An ***“ von Paoli scheint dies tatsächlich der Fall zu sein. Es ist die sichere, feste Stimme eines weiblichen Ichs, das sich seiner Liebe bzw. der des Geliebten bewusst und sicher ist. Hier ist keine Spur von Herzschmerz, Unglück oder Trennung zu finden. Es besteht eine Einigkeit bzw. sogar eine Einheit der Liebenden, die keiner Worte bedarf. Das weibliche lyrische Ich ist auch in diesem Gedicht nicht nur ein schönes Objekt, das, wie sonst im Biedermeier üblich und akzeptiert, besungen wird, sondern ein selbstbewusstes Individuum.

e) „47.“ [Lied]

Im Gegensatz zu „An ***“ steht das folgende Lied (Nr. 47) aus dem Lyrikband „Gedichte“ (1842). Nicht nur selbstbewusst, sondern auch offenherzig die innere Gefühlslage preisgebend, schreibt Betty Paoli vom Ende einer Liebe. Das lyrische Ich ist sich nicht mehr der Liebe des Geliebten sicher. Dieser Abschiedsschmerz ist die Wurzel für das Gedicht. In den fünf Strophen zu je vier Zeilen des liedhaften Gedichtes finden sich sechs Fragen, die eine Antwort fordern. Interessant dabei ist das Selbstbewusstsein, mit dem das lyrische Ich diese Fragen stellt. Es mag Trauer und Schmerz empfinden, jedoch lässt es sich nicht in die Ecke des Schweigens drängen, sondern stellt seine Fragen stolz und hocherhobenen Hauptes. Es ist nicht passiv oder still leidend und erduldend. Es spricht und zwar von sich selbst und seiner Gefühlswelt.

47. [Lied]222

Mein ganzes Sein Ist e i n e Wunde!

220 Ebda. 221 Martin Lindner: „Noch einmal“: Das tiefenpsychologische und künstlerische Konservieren der Erinnerungen an den „Liebesfrühling“ in Liebeslyrik-Zyklen 1820 bis 1860. In: Zwischen Goethezeit und Realismus. Wandel und Spezifik in der Phase des Biedermeier. Hrsg. von Michael Titzmann. Tübingen: Niemeyer 2002. (= Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur. 92.), S. 58. 222 Betty Paoli: 47. [Lied]. In: B.P.: Gedichte. Pesth: Heckenast 1842 , S. 56 f. 58

Gedenkst du mein Zu dieser Stunde?

Fühlst du den Kuß, Den ich dir sende? Den Abschiedsgruß Vor nahem Ende?

Und ahnst du, sprich! Die Glut der Seele, Mit der ich dich Dem Herrn empfehle?

Und weißt du auch, Daß, was ich singe, Ein Opferhauch, Den ich dir bringe?

In wilder Pein Flammt meine Wunde! Gedenkst du mein Zu dieser Stunde?

Formal besteht dieses Gedicht aus fünf Strophen zu je vier Zeilen, die jeweils zwei Hebungen vorweisen. Die sich daraus ergebende schwebende Betonung verleiht dem Gedicht einen natürlichen Eindruck. Dieser spiegelt wiederum einen volksliedhaften Charakter wider, der dem Titel des Gedichtes („Lied“) entspricht, wie es auch die Mehrstrophigkeit und der Aufbau von jeweils vier Zeilen in einer Strophe tun. Jeder Strophe ist ein „Bereich“, ein „Ort“ zugeordnet. In der ersten Strophe liegt der Fokus auf der Wunde bzw. dem Schmerz des lyrischen Ichs, der gleichsam als ein Teil des Körpers des lyrischen Ichs gesehen werden kann. Dieser Schmerz ist so übermächtig, dass bereits in der zweiten Strophe der Abschiedsgruß erfolgt. Offenbar gibt es keine positive Lösung dieses Schmerzes. In der dritten Strophe findet sich die Religiosität („Seele“, Z.10; „Dem Herrn“, Z. 12), die in der vierten Strophe eine Abwandlung durch das Opfer („Opferhauch“, Z. 15) erfährt, das die schmerzhafte Situation vielleicht als „aufgehoben“ sehen möchte, wenn man bedenkt, dass Reinigungsrituale und Bräuche oftmals mit Rauch durchgeführt werden. In der letzten Strophe „flammt“ die „Wunde“ vor Schmerzen („wilder Pein“, Z. 17). Das Gedicht schließt also im Fegefeuer oder vielleicht sogar in der Hölle. Ein oftmals bei Paoli auftretendes Motiv ist die Liebe, die das lyrische Ich dem Geliebten quasi als Opfer darbringt. So ist auch in diesem Lied in der vierten Strophe vom „Opferhauch“ die Rede. Ein weiterer Ansatz versteht diese „Opfer“ in der Lyrik Paolis bzw. weiblicher Dichterinnen generell als

59 die Kunst selbst, die dem Geliebten hingegeben wird.223 Die Kunst dient nach Lindner demnach einmal mehr als Rechtfertigungsgrund, als angeblicher „Notbehelf und Surrogat“224 für ein Leben abseits der normierten Vorstellungen und Zuschreibungen des Biedermeier. Denn weibliche Dichterinnen brauchen zwar ebenso wie männliche Dichter die Einsamkeit, wie es auch von der Gesellschaft akzeptiert wurde, müssen „aber noch sorgfältiger den Eindruck vermeiden, daß sie letztlich aus freien Stücken auf Ehe und soziale Integration“ verzichten.225 Als Entschuldigung dafür steht quasi das Kunstwerk als Opfer für den Geliebten. Drofenig bemerkt außerdem, dass Paoli in ihrem lyrischen Werk besonders oft Superlative, Vergleiche, hier vor allem oftmals die Natur, Mythologie oder Bibel betreffend, sowie Bilder verwendet hat, wobei ihrer Meinung nach gerade die Anhäufung von Metaphern, die als für die Lyrik Paolis charakteristisch gesehen werden kann, heute den Eindruck einer eher mühsamen Lektüre erweckt.226 Bei genauerer Untersuchung der von Paoli verwendeten Bilder stellt sich jedoch heraus, dass diese besonders im frühen Werk vermehrt auftreten, wobei hier folgende Metaphern präferiert werden: „Opferherd“, „Opferhauch“ (im oberwähnten Lied Z. 15), „Lebensmeer“, Hoffnungs- bzw. Leitstern oder auch der Kranz als Symbol für Liebe, Glück oder Ruhm.227 Der Gebrauch von Superlativen tritt häufig auf, wenn Paoli das Seelenleben, das Fühlen und das Selbst thematisiert. So finden sich wiederholt Formulierungen wie „im Innersten“, „im tiefsten Innern“ oder „innerst Selbst“, was Drofenig als wenig abwechslungsreich kritisiert.228 Auch ist in dem oben erwähnten Lied eine Zuspitzung auf den Schmerz erkennbar, die durch grafische Mittel, wie die gesperrte Schreibung von „e i n e“ und das Rufzeichen am Ende dieses Satzes, verstärkt wird. Das heißt, nichts anderes ist mehr möglich, als diesen Schmerz zu fühlen („Mein ganzes Sein / ist e i n e Wunde!“, Z. 1 f.). Ebenso charakteristisch für die Lyrik Paolis wird das Zusammensetzen von Wörtern gesehen, wie zum Beispiel „Erkenntnisschmerz“, „Liebeswacht“ oder „Schicksalswunde“, wobei der Eindruck einer krampfhaft gesuchten Neuzusammensetzung entsteht.229

223 Vgl. Lindner, „Noch einmal“, S. 59. 224 Ebda. 225 Vgl. ebda. 226 Vgl. Drofenig, Betty Paolis lyrische Gedichte, S. 15 f. 227 Vgl. ebda, S. 194 f. 228 Vgl. ebda, S. 191 f. 229 Vgl. ebda, S. 20. 60

4.1.3 Ergebnisse Lyrik

Die Untersuchung der bearbeiteten Gedichte Betty Paolis zeigt deutlich, dass in ihrer lyrischen Arbeit vorwiegend ein weibliches Ich im Zentrum steht. Das Bild von Weiblichkeit, das gezeichnet wird, ist ferner kein den tradierten Zuschreibungen des Biedermeier angepasstes, sondern zeigt eine starke, weibliche Persönlichkeit, die zu ihren Gefühlen – positiven ebenso wie negativen – steht und diese auch einer Öffentlichkeit, also den Rezipienten, offenbart. Nicht nur eine erste Verliebtheit bzw. bestehende junge Liebe wird dargestellt, wie zum Beispiel in „An ***“, sondern auch der Abschiedsschmerz einer zu Ende gegangenen Liebe wie etwa in „Wandlungen“. Das weibliche lyrische Ich spricht von starken Emotionen wie Liebe, Entsagung und Sehnsucht. Neben der Darstellung von Liebe in allen Facetten sind die Gedichte quasi ein Kanal für Paolis eigene Selbstdarstellung, die sie selbst als Subjekt zeigt. Sie ist daher nicht bloß das schöne Objekt einer Fremdzuschreibung. Dies wird vor allem bei „Ich“ und „Kein Gedicht“ ersichtlich, die ein lyrisches Ich in Gestalt einer starken, selbstbewussten und aktiven Frau zeigen. Die Gedichte zeichnen das Bild eines lyrischen Ichs, das kreativ, aktiv und autonom ist. Es trifft seine Entscheidungen in allen Belangen selbst. Fliedl sieht den Idealtyp der schreibenden Frau zur Zeit des Biedermeier dann verwirklicht, wenn eine „Balance von Männlichkeit und Weiblichkeit“230 gegeben ist, und zwar am besten dergestalt, dass einerseits die künstlerische Kompetenz und andererseits ein intakter Geschlechtscharakter, also ein Leben, das dem Bild der Weiblichkeit des 19. Jahrhunderts entspricht, vorhanden ist. Resultierend aus diesen beliebigen Zuschreibungen von männlichen (also kreativ-schaffenden) und weiblichen Eigenschaften ergibt sich ein „quasi asexuelles Künstlerstereotyp“, das die beiden oppositionellen Punkte „Natur“ und „Talent“ in sich verschmelzen lässt. Auch Betty Paoli passt in dieses Schema. Auf den ersten Blick erfüllt sie die klischeehaften biedermeierlichen Anforderungen an Weiblichkeit, indem sie ihre Gedichte mit Emotionalität und Darstellungen aller Arten von Liebe füllt. Auf den zweiten Blick wird jedoch klar, dass Paoli als weibliche Dichterin diesen biedermeierlichen Konventionen widerspricht, indem sie selbst aktiv tätig ist. Außerdem beschreibt sie das in ihren Gedichten ganz eindeutig weibliche lyrische Ich mit durchaus männlichen Attributen, was ebenfalls als nicht regelkonform gesehen werden kann. Darüber hinaus scheint Betty Paolis Leben als

230 Konstanze Fliedl: Auch ein Beruf. „Realistische“ Autorinnen im 19. Jahrhundert. In: Deutsche Literatur von Frauen. Zweiter Band. 19. und 20. Jahrhundert. Hrsg. von Gisela Brinker-Gabler. München: C.H. Beck 1988, S. 77. 61 alleinstehende, unverheiratete, kinderlose Frau der Grund dafür zu sein, dass sie sich Zeit ihres Lebens für ihre schriftstellerische Arbeit rechtfertigen musste. Das Gedicht „Der Minotaurus“ wurde für die vorliegende Arbeit ausgewählt, um zu zeigen, dass Betty Paoli sich zwar dagegen gewehrt hat, ihre Lyrik in einen anderen Dienst als den der Poesie zu stellen. Sie beweist mit diesem Gedicht jedoch, dass sie über die sozialpolitischen Umstände ihrer Zeit gut informiert war und sich auch nicht scheute, sich eine eigene Meinung zu bilden und diese kund zu tun. Dies ist vor allem in ihren Feuilletonbeiträgen deutlich zu erkennen. Dennoch war der Fokus ihre Lyrik betreffend ein anderer, was der überwiegende Anteil an Liebeslyrik verdeutlicht. Popularität erlangte Paoli durch diese „Weltschmerz-Dichtung“231 mit ihrer weiblichen Sichtweise.

4.2 Die Feuilletons

4.2.1 Betty Paoli und die Presse

Die von Helene Bettelheim-Gabillon eingeleiteten und herausgegebenen Texte Betty Paolis sind 1908 als „Betty Paolis Gesammelte Aufsätze“ im Verlag des Literarischen Vereins in Wien erschienen. In der Einleitung macht die Herausgeberin deutlich, dass es sich dabei um eine Sammlung von Texten handelt, die die Autorin selbst zu Lebzeiten mit dem Wunsch, sie nach ihrem Tode zu veröffentlichen, zusammengestellt hat.232 Interessant dabei ist die Bemerkung Bettelheim-Gabillons, dass dies Texte seien, die Paoli „aus Hunderten“, die sie „seinerzeit des Broterwerbs halber schreiben mußte“, wählte.233 Dies untermauert nicht zuletzt die Behauptung, dass sich Paoli vor allem aus finanziellen Gründen dem Journalismus zuwandte und sich eigentlich nicht als Journalistin, sondern trotz allem noch als Schriftstellerin sah und folglich auch als solche von der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Zu bedenken gilt hier, dass der Journalismus von 1750 bis 1850 in der Pressegeschichte mit dem Begriff des „schriftstellerischen Journalismus“ benannt wird, was verdeutlicht, dass es zu dieser Zeit keine strikte Trennung zwischen Schriftstellerei und Journalismus gab. Dementsprechend arbeiteten freie Schriftsteller für Zeitschriften und beeinflussten diese,

231 Wozonig, Liebeslyrik und Biedermeierprosa, S. 82. 232 Vgl. Helene Bettelheim-Gabillon: Einleitung. In: Betty Paolis gesammelte Aufsätze. Hrsg. von Helene Bettelheim-Gabillon. Wien: Verlag des Literarischen Vereins in Wien 1908. (=Schriften des Literarischen Vereins in Wien. 9.), S. V. 233 Vgl. ebda. 62 wobei sich im Laufe der Zeit immer mehr Frauen einbrachten.234 Weiters ist zu beachten, dass der Journalismus im Gegensatz zur Lyrik zur Zeit des Biedermeier als wenig beachtenswert galt und so vor allem Dichterinnen mit einem Rechtfertigungszwang konfrontiert waren.235 Dem Argument, allein aus finanziellen Gründen heraus zum Journalismus „getrieben“ worden zu sein und von der Bestimmung her aber eigentlich Schriftstellerin zu sein, ist nicht völlig zu trauen. Dagegen spricht, dass sie – wie oben erwähnt – ihre Texte posthum veröffentlicht wissen wollte. Dies wäre wohl nicht der Fall gewesen, wären ihr diese Themen bzw. Arbeiten nicht wichtig gewesen; schließlich hatte sie nach ihrem Tod keinen finanziellen Vorteil mehr von der gesammelten Veröffentlichung. Eine weitere Rolle spielten die gesellschaftlichen Konventionen nach der missglückten 48er- Revolution. Vor allem ab den 1850ern wurde der Journalismus wieder als „Männersache“ gesehen.236 Für Frauen gab es im 19. Jahrhundert lediglich die Möglichkeit in feministischen Zeitschriften – vielfach ohne Bezahlung – zu publizieren. Diese Praxis blieb bis zum Ende des 19. Jahrhunderts bestehen, wobei noch einmal erwähnt werden soll, dass Berufstätigkeit für Frauen zu dieser Zeit generell nicht vorgesehen war und wenn doch, dann nur in ausgewählten Berufssparten, allen voran im Bereich der Erziehung.237 Darüber hinaus muss auch das Schreib- und Redeverbot für Frauen an öffentlichen Orten bedacht werden.238 Eine Möglichkeit, dennoch journalistisch tätig zu sein, bestand darin, unter einem männlichen Pseudonym zu schreiben oder in für Frauen vorgesehenen Sparten wie dem Kunstresort zu arbeiten. Widmeten sich Journalistinnen hingegen aktuellen Themen, galten sie als „Emanzipierte". So gebrandmarkt wurden sie mit ihren Anliegen und Beiträgen an den Rand der Gesellschaft geschoben, wodurch sie an Gehör und an Einfluss verloren.239 In dieses Schema passt auch Betty Paoli, die vor 1848, also in der Zeit der strengen Zensur, für die „Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode“ Theaterrezensionen verfasste,240 wie es von der Gesellschaft gebilligt wurde. Überhaupt schrieb sie vor allem Rezensionen und Kritiken von Büchern, Theaterstücken sowie Kunst im Allgemeinen, aber auch Portraits bzw. Würdigungen von Schauspielerinnen und anderen Künstlerinnen, wobei sie in ihrer Kritik oftmals harsch sein konnte. Ein Umstand, der sicherlich dazu beitrug, dass

234 Vgl. Klaus, Wischermann, Journalistinnen 1848 – 1990, S. 21. 235 Vgl. Karin S. Wozonig: Betty Paoli, Journalistin. In: Was hat der Geist denn wohl gemein mit dem Geschlecht? Hrsg. von Eva Geber. Wien: Mandelbaum Verlag 2001, S. 66. 236 Vgl. Wozonig, Die Literatin Betty Paoli, S. 42. 237 Vgl. ebda. 238 Vgl. Wozonig, Betty Paoli, Journalistin, S. 74. 239 Vgl. Wozonig, Die Literatin Betty Paoli, S. 42. 240 Vgl. ebda, S. 43. 63 sie „zu einer wichtigen kritischen Instanz in der Wiener Gesellschaft ihrer Zeit wurde.“241 Jedoch brach Paoli aus diesem für Frauen als geeignet betrachteten Bereich der Kunstbesprechungen bald aus und begann sich zu aktuellen politischen Themen zu äußern, in späteren Jahren vor allem zur sogenannten „Frauenfrage“.

4.2.2 Zuwendung zu politischen Themen

Bedingt durch die Flucht vor ihrer prekären persönlichen Situation nach dem Tod ihrer Dienstgeberin, der Fürstin von Schwarzenberg, im Frühjahr 1848 und dem politisch instabilen Zustand in Wien nach der Märzrevolution im selben Jahr fand sich Betty Paoli bald in Zerbst in Deutschland wieder, von wo aus sie für die Zeitung „Die Presse“ in den sogenannten „Deutschen Briefen“ an einen ungenannten Freund von ihrem selbst gewählten Exil berichtete.242 Die Briefform erlaubte ihr eine subjektive Berichterstattung, die durch die Platzierung auf der ersten Seite – sichtbar abgetrennt von der restlichen politisch objektiven Berichterstattung durch einen Strich – unterstützt wurde. Diese Briefe Paolis zeigen ihre gemäßigt konservative Einstellung, die wahrscheinlich geprägt war von ihrem Leben als Gesellschaftsdame der Fürstin von Schwarzenberg und die ihr nicht zuletzt den Spitznamen „schwarz-gelbe Hyäne“ einbrachte – ein Hinweis auf die Farben der Flagge des österreichischen Kaisertums.243 Paoli erhoffte sich von der Reise, die – wie sie erwähnt – nicht ohne Kritik geblieben ist, Erholung von den politischen Wirren Wiens, die sie seelisch wohl schwer getroffen haben mussten. Denn auch wenn es von ihren Zeitgenossen als „Tollkühnheit“ bezeichnet wurde, in so instabilen Zeiten das Heim zu verlassen, sah Paoli allein „das freie Gewölbe des Himmels als ein sicheres Dach“.244 Mit ihrer Einstellung, dass die neue, „mißverstandene Freiheit“ nach der Revolution der Willkürherrschaft vor der Revolution ähnelte, bot Paoli einen Gegenpart zur eher liberalen Einstellung der Zeitung. Ihre Haltung, die von manchen als „reaktionär“ verstanden wurde, erklärt sich durch ihre Loyalität gegenüber ihren adeligen Dienstgeberinnen und Förderern und durch ihr grundsätzliches „Misstrauen gegenüber dem ‚Volk‘“.245

Bereits 1848 veröffentlichte Paoli vier Feuilletons, in denen sich ihre oben erwähnte, zunehmend konservative Haltung gegenüber der politischen Situation jener Zeit erkennen

241 Ebda, S. 72. 242 Vgl. Wozonig, Die andere Bildungsreise, S. 201 f. 243 Vgl. ebda, S. 202. 244 Vgl. ebda. 245 Vgl. ebda, S. 202 f. 64 lässt.246 War sie zu Beginn noch von der Revolution begeistert oder ihr zumindest positiv gesonnen, änderte sich ihre Einstellung, als sie die Brutalität der Märzaufstände 1848 selbst miterlebte.247 Trotzdem profitierte sie vom Umbruch. Die zahlreichen Neugründungen von Zeitungen zu dieser Zeit, die durch die von der Revolution durchgesetzte Liberalisierung erfolgten, ermöglichten Paoli, ihrer journalistischen Tätigkeit verstärkt nachzugehen und ein gesichertes finanzielles Auskommen zu finden.248 Dennoch blieb der Journalismus für Paoli nur Broterwerb, die Lyrik aber sah sie als eigentliche Möglichkeit, sich literarisch zu entfalten und selbst zu verwirklichen.249 Klaus und Wischermann sprechen Paoli einen bedeutenden Anteil an der Herausbildung des journalistischen Genres in der österreichischen Zeitungslandschaft zu, besonders als Chefin des Theater- und Kunstreferats des Wiener „Lloyd“ (ab 1853) und als einflussreiche Literatur- und Kunstkritikerin.250 Tatsächlich hat Paoli sich vor allem nach der Revolution 1848 vermehrt mit den Ressorts Kunst und Gesellschaftskritik befasst, was zuvor aufgrund der Zensur unter dem Regime Metternichs nicht uneingeschränkt möglich war. Hervorzuheben ist hier, dass sie es ganz nach ihrem Vorbild, der französischen Feuilletonistin und Frau des Gründers der Zeitung „La Presse“, Delphine Girardin, als ihre Pflicht sah, als Chronistin in ihren Feuilletons „Bericht über den Stand der Dinge in sittlichen Fragen“251 abzuliefern. Dabei vertrat sie klar ihre eigene Meinung und gab sogar Vorschläge und Anweisungen zur Verbesserung der herrschenden Situation, was sie ebenso wie die Tatsache, dass sie für diese Arbeit bezahlt wurde, von ihren Kolleginnen unterschied. In dieser Hinsicht bemerkenswert ist auch Paolis Bestreben, Verträge mit Zeitungen zu fixieren, was als „Ausbruch aus der normierten weiblichen Erwerbstätigkeit“252 gesehen werden kann.

4.2.3 Betty Paoli und die „Neue Freie Presse“

1864 wurde die „Neue Freie Presse“, ein Medium des liberalen Bürgertums, gegründet, das später, um mit den Worten Stefan Zweigs zu sprechen, als „einziges publizistisches Organ hohen Ranges“ in der österreichisch-ungarischen Monarchie tituliert werden kann.253 Die darin herausgegebenen Feuilletons bezeichnete Zweig als „ein besonderes Heiligtum“,

246 Vgl. Klaus, Wischermann, Journalistinnen 1848 – 1990, S. 40. 247 Vgl. ebda. 248 Vgl. ebda. 249 Vgl. ebda. 250 Vgl. ebda. 251 Wozonig, Die Literatin Betty Paoli, S. 44. 252 Ebda, S. 42. 253 Vgl. ebda, S. 65. 65 inhaltlich gesehen als „gediegenste[n] und vollendetste[n] Aufsätze über Dichtung, Theater, Musik und Kunst“.254 Auch Betty Paoli war des Öfteren für die „Neue Freie Presse“ tätig und befasste sich, wie in der vorliegenden Arbeit noch gezeigt werden wird, vor allem auch mit frauenpolitischen Fragen, wie zum Beispiel der Forderung nach einer besseren (Aus-)Bildung für Mädchen oder der Möglichkeit der Erwerbstätigkeit für unverheiratete Frauen. Beides waren nicht nur Themen, die sie aus ihrem eigenen Leben kannte, sondern die die Formierung der Frauenbewegung Ende des 19. Jahrhunderts stark beeinflussten.255 Zwar anerkannte sie die „klassische Vorstellung von einem ‚weiblichen Geschlechtscharakter‘“256, was sie jedoch nicht dazu veranlasste, auch politische Ziele für Frauen zu fordern. Diese an sich widersprüchliche Haltung bezeichnet Wozonig als Paolis Strategie: Indem sie die biedermeierlichen Einteilungen und Zuschreibungen zu männlichen und weiblichen Rollen beibehält und sogar unterstützt, kann sie ihre Texte „an so prominenter Stelle“257 wie dem Feuilleton auf Seite 1 der „Neuen Freien Presse“ veröffentlicht wissen. Dadurch entfalten ihre Texte erst auf den zweiten Blick ein „revolutionäres Potential der Forderungen“258. So forderte sie im gesellschaftspolitischen Bereich u.a. auch das Recht, sich seinen Ehepartner selbst aussuchen zu dürfen, und war der Meinung, dass Vernunftehen, die lediglich einer finanziellen Versorgung der Eheleute bzw. einem der beiden Ehepartner dienen sollten, einem erfüllten Eheleben widersprachen. Dies brachte ihr den Ruf ein, „die erste und zugleich bedeutendste Feuilletonistin Wiens“259 zu sein, die sich mit Ernsthaftigkeit der Themen Bildung und Frauenemanzipation annahm und „eine sehr freimütige Kritik der Gesellschaft und ihrer Sitten“260 bot. Auch Bettelheim- Gabillon lobt den Stil Paolis ebenso wie ihren untrügerischen, „prophetische[n] Blick für alles Echte und Gesunde“ und ihr empathisches, mitfühlendes Wesen.261

4.2.4 Untersuchung der Texte

Im Folgenden sollen drei Texte Betty Paolis untersucht werden. Dabei handelt es sich um Feuilletonbeiträge, die sie im Laufe der Jahre für die „Neue Frei Presse“ verfasste und in denen sie sich der Frauenfrage annahm. Die Texte sind nicht in der oben erwähnten

254 Vgl. ebda. 255 Vgl. Klaus, Wischermann, Journalistinnen 1848 – 1990, S. 40. 256 Ebda, S. 41. 257 Wozonig, Betty Paoli, Journalistin, S. 76. 258 Ebda. 259 Wozonig, Die Literatin Betty Paoli, S. 130. 260 Ebda. 261 Vgl. Bettelheim-Gabillon, Einleitung, S. V. 66

Sammlung, die von Bettelheim-Gabillon herausgegeben wurde, abgedruckt, jedoch werden sie in dieser Sammlung als zu einem späteren Zeitpunkt noch zu veröffentlichende erwähnt, und zwar unter der Überschrift „Zur Frauenfrage“.262 Die Feuilletonbeiträge, die Gegenstand dieser Arbeit sein sollen, sind: „Eine Zeitfrage“, „Über weibliche Erziehung“ sowie „Wissen ist Macht“. Alle drei befassen sich mit der sogenannten „Frauenfrage“. Darunter versteht man das gesamteuropäische Problem des Überschusses an ledigen bürgerlichen Frauen besonders ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, dessen Wurzeln vor allem in historischen Ereignissen wie Kriegen und Revolutionen, in denen zahlreiche junge Männer starben, zu finden sind.263 Das Resultat waren Witwenschaft, Ehelosigkeit und das Alleinsein von jungen Frauen, die sozial nicht abgesichert waren. Das kontinuierliche Wachstum des Bürgertums, das gleichzeitig mit der Verdrängung von Klerus, Adel und Großbürgertum passierte, sowie die sich ausbreitende Industrie mitsamt ihren Arbeitskräften führte zu sozialen Konflikten, allen voran durch die Verarmung der arbeitenden Schicht, was wiederum vermehrte Protestbereitschaft zur Folge hatte.264 Dieser Umstand des Überschusses an Frauen wäre durch die Zulassung von Frauen zum Arbeitsmarkt lösbar gewesen, jedoch stellten sich hier einige Hindernisse in den Weg, die vor allem mit den tradierten Wertvorstellungen und Einteilungen in männliche und weibliche Sphäre zu tun hatten.265 Wollte man davon abkommen und Frauen auch arbeiten lassen, so hieße das gleichzeitig auch, dass der bis dahin tradierte und gelebte Wertekanon obsolet würde. Dies beinhaltete auch, Frauen ihre Eigenständigkeit zugestehen und ihren Status dem der Männer angleichen zu müssen, vor allem in Bereichen der Bildung, der Politik und eben auch am Arbeitsmarkt.266 Das Problem, das sich aus dem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts herrschenden Frauenüberschusses in der Bevölkerung ergab, war nun ein doppeltes: Zum einen ließ sich die Formel „Weiblichkeit = Mütterlichkeit“ nicht zufriedenstellend auflösen, da es – bildlich gesprochen – nicht für jeden Topf einen Deckel gab. Das bedeutet also, dass nicht jede Frau im heiratsfähigen Alter einen Mann finden, heiraten und eine Familie gründen konnte. Zum anderen war „die patriarchale Ordnung in höchstem Maß gefährdet“267, falls man dieses althergebrachte Familienmodell auflöste. Alleinstehende Frauen erfuhren durch ihre totale

262 Vgl. ebda, S. 299. 263 Vgl. Wozonig, Die Literatin Betty Paoli, S. 117. 264 Vgl. Klaus, Wischermann, Journalistinnen 1848 – 1990, S. 21. 265 Vgl. Wozonig, Die Literatin Betty Paoli, S. 118. 266 Vgl. ebda. 267 Ebda. 67

„Funktionslosigkeit“268 gesellschaftlich gesehen einen Ausschluss aus dem öffentlichen Bereich, was zu einem existenziellen Problem für sie wurde. Da hauptsächlich Frauen aus dem Bürgertum betroffen waren, bemühten sich vor allem bürgerliche Frauen um eine bessere Mädchenerziehung, die Eingliederung der Frauen in die Arbeitswelt und somit um die Lösung der Frauenfrage.269 Die Dringlichkeit der Lösung dieser Situation war Betty Paoli vielleicht auch durch eigene Erfahrung bewusst und sie widmete sich in ihren Feuilletons vor allem ab den 1860er Jahren vermehrt diesem Thema.

a) „Eine Zeitfrage“

Betty Paolis erster Beitrag für die „Neue Freie Presse“ erschien am 4. November 1865, ein Jahr nach der Gründung des Blattes, unter dem Titel „Eine Zeitfrage“. Oftmals thematisiert Paoli in ihren Feuilletons die (Aus-)Bildung und Erziehung von Mädchen, den Zugang von Frauen zur Arbeitswelt bzw. generell eine andere Sichtweise auf Frauen. So auch in ihrem ersten Feuilletonbeitrag, der direkt auf der ersten Seite der Neuen Freien Presse erschien und inhaltlich die Forderungen des Ersten Frauenkongresses, der zuvor in Leipzig stattgefunden hatte, behandelte. Es stellt sich heraus, dass Paolis Einstellung zur Frauenfrage eigentlich keine kämpferische ist. Die der Frau von der Gesellschaft zugewiesene Stellung wird von ihr nicht kritisch betrachtet, sondern gilt für Paoli als naturgegeben. Allerdings scheint ihr diese Position der Frau nur in Ehe und Mutterschaft nicht zielführend oder praktisch zu sein, weshalb es ihrer Meinung nach schon allein die Vernunft – eine offenbar über allem stehende Instanz – gebietet, dass sich früher oder später etwas ändern muss. Alles nur eine Frage der Zeit, also „Eine Zeitfrage“.270 Um dies zu untermauern, stellt sie bereits am Anfang klar, dass es sich hierbei nicht um „törichte und unsaubere Emanzipations-Gelüste“271 handelt, sondern um ein Menschenrecht, und zwar jenes, das es allen erlaubt, „die [ihnen] verliehenen Fähigkeiten zu ihrem eigenen wie zum Nutzen der Gesamtheit zu verwerten“ (Zf, 80). Diese Einstellung verdeutlicht allerdings das Problem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Es herrscht der noch von der Aufklärung geprägte Gedanke, dass alle Menschen von Natur aus gleich

268 Ebda, S. 119. 269 Vgl. ebda, S. 119 f. 270 Vgl. Geber, Sanfte Milde, S. 36. 271 Betty Paoli: Eine Zeitfrage. In: Was hat der Geist denn wohl gemein mit dem Geschlecht? Hrsg. von Eva Geber. Wien: Mandelbaum Verlag 2001, S. 80 – 87. [Im Folgenden mit Sigle Zf und einfacher Seitenzahl zitiert.] 68 sind und zur selben Zeit auch ungleich.272 Letztes meint die Ungleichheit von Männern und Frauen. Auch die sonst so kritische Betty Paoli ist schlussendlich nur ein Kind ihrer Zeit, das sich diesen Widersprüchlichkeiten nicht entziehen kann. So argumentiert sie einerseits für eine natürliche Weiblichkeit und meint, dass kein „zurechnungsfähiges weibliches Wesen“ (Zf, 81) gegen sein „Herz“ und gegen sein „Naturell“ (Zf, 81) freiwillig um das Recht auf Arbeit kämpfen wolle, wenn es die Aussicht auf den „Hafen einer beglückten Häuslichkeit“ (Zf, 81) habe. Andererseits gibt es für viele Frauen aber keinen anderen Ausweg als zu arbeiten bzw. ihr eigenes Geld durch Arbeit zu verdienen, wenn sie nicht verhungern wollen, wie Paoli überspitzt formuliert. Das Idealbild von Weiblichkeit, das Paoli hier entwirft, basiert auf einer angenommenen und zugeschriebenen Natürlichkeit, der gemäß die Frauen eine Bestimmung haben, die sich in Ehe, Mutterschaft und Häuslichkeit entfaltet und nun von den widrigen Umständen des Frauenüberschusses bedroht wird. Gleich zu Beginn des Artikels werden die wohl üblichen Vorurteile und Klischees, wie zum Beispiel die Bestimmung der Frau als getreue Ehegattin, Hausfrau und Mutter, die Eingrenzung ihrer Sphäre auf das Häusliche, die Einbußen ihrer weiblichen Reize, also dessen, was Weiblichkeit ausmacht, bei Ausübung einer anderen als einer hausfraulichen Tätigkeit, als „sattsam bekannt“ (Zf, 80 f.) abgetan. Darüber zu diskutieren scheint beinahe Zeitverschwendung zu sein. Eine andere Lesart der Überschrift erlaubt es auch, „Eine Zeitfrage“ als Thematisierung der Probleme der Zeit zu sehen. Paoli macht in ihrem Text klar, dass sich die Umstände geändert haben, und das nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer. Die Zeiten sind schwieriger geworden. Aufgrund „einer ungeheuren Konkurrenz und gesteigerte[r] Bedürfnisse“ (Zf, 82) ist es keineswegs einfach, seine Existenz lediglich durch Heirat zu sichern, wobei dies für Frauen und Männer gleichermaßen Gültigkeit hat. Dieses Problem besteht, so Paoli, vor allem für die Mittelklasse. Den höheren Ständen spricht sie dieses Problem, da diese ihrer Ansicht nach materiell ausreichend versorgt sind, ebenso ab wie der Volksschicht, in der Heirat als „eine Association von Arbeitskräften“ (Zf, 82) gesehen wird. Die betroffene Schicht ist folglich die des Bürgertums. Interessant ist die Verteidigung der ledigen bürgerlichen Männer, die Paoli unternimmt. Sie zeigt vollstes Verständnis dafür, dass sich junge Männer nicht leichtfertig zum Heiraten entschließen und es bevorzugen – sofern sie selbst nicht vermögend sind –, wenn die Zukünftige aus einer wohlhabenderen Familie stammt als sie selbst. Die Selbständigkeit der Frauen hingegen würde es dem Mann ermöglichen, „frei nach seinem Herzen“ (Zf, 87) eine

272 Vgl. Wozonig, Die Literatin Betty Paoli, S. 122. 69

Gattin zu wählen und nicht „aus gemeinen Motiven“ (Zf, 87) heraus. Paoli strebt hier also das im Biedermeier verklärt betrachtete Bild der Liebesheirat an. Kein Mann müsse mehr eine junge Frau aussuchen, die er nicht liebt, nur um finanziell abgesichert zu sein. Die Wurzel des Problems liegt für Paoli allerdings nicht nur in der Veränderung der ökonomischen Bedingungen ihrer Zeit, sondern hauptsächlich in der mangelhaften Erziehung der Mädchen des bürgerlichen Mittelstandes, die nur darauf ausgerichtet ist, ihnen beizubringen, sich einen Ehemann zu „angeln“, nicht jedoch, wie man seinen Lebensunterhalt alleine bestreitet. Paoli nennt es eine „Dressur“ (Zf, 83), die einer gewissen Doppelmoral nicht entbehrt. Denn zum einen sollen Mädchen zu Anstand ohne Koketterie erzogen werden, zum anderen sollen sie jedoch alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um einen Mann zu „erbeuten“ (Zf, 83). Durch diese auf Ehefrau und Mutter hindressierte Rolle befinden sich viele Frauen in einer Notsituation, denn dass es „zu diesem Ende noch eines anderen Willens als bloß ihres eigenen bedarf“ (Zf, 83), wird oftmals nicht bedacht. Scheitern sie, enden diese Frauen als Klotz am Bein ihrer Familie „oder lassen sich ins Joch der Dienstbarkeit […] beugen“ (Zf, 84). Zwar ist eine Anstellung als Gesellschafterin oder Erzieherin wohl als Berufstätigkeit zu werten, aber in den Augen Paolis nicht erstrebenswert. Gesellschafterinnen sind „so ziemlich aus der Mode gekommen“ (Zf, 84) und nicht alle Frauen eignen sich als Erzieherin, nur weil es die patriarchale Rollenzuweisung so von ihnen erwartet. Etwas sarkastisch konstatiert Paoli, dass das Los der Mädchen aus der unteren Schicht nur „minder beklagenswert“ ist, denn „der Mangel an Bildung [lässt] sie ihre Lage nicht ganz so übersehen“ (Zf, 85). Hier kommt Paolis eigenes Vorurteil gegenüber den unteren Gesellschaftsschichten zum Ausdruck, die sich förmlich glücklich schätzen können, dass sie zu ungebildet sind, um ihre missliche Lage ganz zu erfassen. Das eigentliche Problem sieht Paoli in der geringen Auswahlmöglichkeit an Berufen für Frauen. Sie gibt zu bedenken, dass es „Not, Elend und Laster“ (Zf, 86) immer geben wird, aber dennoch soll man dagegen kämpfen, und zwar indem man Frauen neue Erwerbsquellen erschließt. Etwas resignativ, aber wohl realistisch gestaltet sich das Schlusswort in diesem Artikel: „Keine Macht der Erde vermag die Stellung der Frauen plötzlich umzugestalten: Sie ist die natürliche Folge einer verkehrten Erziehung, die es ganz unterlässt, sie [die Frauen] für das praktische Leben auszubilden“ (Zf, 86).

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b) „Über weibliche Erziehung“ 273

Dieser Feuilletonbeitrag ist am 4. Juni 1869 ebenfalls in der „Neuen Freien Presse“ erschienen. Selbstverständlich ebenfalls auf der ersten Seite. Vermehrt sieht Paoli ein soziales Problem in unversorgten bürgerlichen Frauen und erkennt die Wurzel des Problems abermals in der ungenügenden und qualitativ schlechten Ausbildung von Mädchen; den Unterricht von Mädchen bezeichnet sie als „leeres Scheinwesen“ (wE, 96).274 Sie kritisiert das bestehende System, indem sie feststellt, dass in der Mädchenerziehung Fertigkeiten, die das Denk- und Urteilsvermögen steigern, nicht berücksichtigt werden. Oftmals genügt es offenbar, so Paoli, Fremdsprachen der Aussprache wegen zu lernen und nicht, um mit anderen Kulturen in Kontakt zu treten, oder Literaturgeschichte inklusive vorgefertigter Meinung darüber zu pauken statt die Werke selbst zu studieren – alles, damit sich eine junge Frau am Teetische nicht vollends blamiert, sondern sich beweisen bzw. profilieren kann, denn offenbar erwartet die Gesellschaft nichts anderes von ihr (wE, 96). Dies stellt für Paoli nicht nur eine Form von Eitelkeit, sondern eine regelrechte Gefahr dar. Dass Frauen aufgrund ihrer Ungebildetheit nicht in der Lage sind, sich mit Hilfe ihres Verstandes eine eigene Meinung zu bilden, treibt Frauen in die Abhängigkeit von der männlichen Umgebung und deren Urteil.275 Unter den Journalistinnen des 19. Jahrhunderts finden sich Persönlichkeiten wie etwa Mathilde Franziska Anneke276 (1817 – 1884), die mit ihrem zweiten Ehemann Fritz Anneke in Köln die „Neue Kölsche Zeitung“, die sich speziell an Arbeiter richtete, herausgab und sich für diverse frauenpolitische Themen – u.a. für das Frauenwahlrecht – einsetzte; Louise Otto277 (1819 – 1895), die als angesehene Journalistin in ihrer eigenen „Frauen-Zeitung“ und anderen Zeitungen die in der Französischen Revolution erkämpften Rechte auf Freiheit und Gleichheit auch für Frauen forderte; oder die radikal-demokratische Publizistin Louise Aston278 (1814 – 1871), die mit ihrer Zeitschrift „Der Freischärler“ das politische Geschehen mit bissigem Humor scharf kritisierte. Frauen, die sich nach Mitte des 19. Jahrhunderts ins politisch- journalistische Terrain begaben, vertraten meist fortschrittliche, wenn nicht sogar radikale

273 Betty Paoli: Über weibliche Erziehung. In: Was hat der Geist denn wohl gemein mit dem Geschlecht? Hrsg. von Eva Geber. Wien: Mandelbaum Verlag 2001, S. 95 – 103. [Im Folgenden mit Sigle wE und einfacher Seitenzahl zitiert.] 274 Zum Schulwesen im 19. Jahrhunderet bzw. zur Mädchenbildung vgl. auch Kapitel 2.2 der vorliegenden Arbeit. 275 Vgl. Wozonig, Die Literatin Betty Paoli, S. 125. 276 Vgl. Klaus, Wischermann, Journalistinnen 1848 – 1990, S.47 f. 277 Vgl. ebda, S. 53 ff. 278 Vgl. ebda, S. 33 ff. 71

Standpunkte, oft polemisch oder satirisch verpackt.279 So schreibt zum Beispiel auch Betty Paoli mit spitzer Feder und spricht den Leser mit „Beruhige dich, lieber Leser!“ (wE, 95) direkt an, nachdem sie naturwissenschaftliche Bildung für Mädchen gefordert hat. Dennoch zeigt sich erneut ihre gemäßigte Einstellung, die jeder radikal-feministischen Forderungen entbehrt, wenn sie mit den klischeehaften Zuschreibungen zu Frauen argumentiert: Mädchen sollen in Physik gebildet sein, damit sie „in Haus und Küche“ als Hausfrauen vernünftig und praktisch handeln können, damit sie eine „rationelle Lebensordnung“(wE, 99) etablieren und nicht „engste, dumpfigste Stuben ihrer Wohnung zu Schlafzimmern“ (wE, 99) bestimmen, damit sie ihrer Familie nicht ungesundes, gehaltloses Essen servieren und damit sie nicht aufgrund von naturwissenschaftlicher Ungebildetheit ihren kranken Kindern „heimlich Mittel von absoluter Schädlichkeit“ (wE, 99) verabreichen, was eventuell sogar – wie laut Paoli jeder Kinderarzt (hier bezieht sie sich auf eine männliche höhere Instanz) bestätigen könne – den Tod nach sich ziehen könnte. Das sind alles Fehler, die Frauen aufgrund ihrer schlechten Ausbildung in dem ihnen zugestandenen Wirkungsbereich, nämlich der Versorgung der Familie und des Haushaltes, passieren können. Paoli relativiert ihre Forderung allerdings und gibt zu bedenken, dass Frauen deswegen nicht gleich ein Medizinstudium absolvieren müssen; es reiche das Wissen eines Gymnasialschülers über Physik und Chemie, das die Unwissenden bzw. Ungebildeten „aus den Banden das Aber- und Wunderglaubens […] erlösen“ (wE, 100) könnte. Paoli setzt damit die Naturwissenschaften einem Heilsbringer gleich, auch wenn sie schreibt, dass lediglich die Erkenntnis dazu im Stande ist, „aus der knechtischen Abhängigkeit von einem überkommenen Wahn“ (wE, 100) zu befreien. Weiters stellt Paoli fest, dass die Umwandlungen auf religiösem Gebiet durch die Entdeckung und Erforschung der Naturwissenschaften nicht aufzuhalten sind und dass Frauen davon nicht ausgeschlossen werden sollen, da sie dies von den Ehemännern und Söhnen entfernen würde (wE, 100). Paoli untermauert ihre Argumente mit der Feststellung, dass das Ansehen einer Familie darauf beruht, welches Ansehen „das Weib als Gattin und Mutter genießt“ (wE, 101). Wie könnte man es folglich einer Frau verwehren, sich weiterzubilden? Interessant ist hier die umgekehrte Argumentation, nämlich dass der Bildungsgrad der Ehefrau und Mutter Einfluss darauf hat, wie der Ehemann und die Söhne in weiterer Folge gesehen werden. Männer werden hier also als Spiegelbild der intellektuellen Fähigkeiten ihrer Frauen betrachtet. Wozonig untersucht parallel dazu Paolis erstes veröffentlichtes Gedicht „An die Männer unserer Zeit“, welches 1832 in der „Wiener Zeitung“ erschienen ist. Auch in diesem Gedicht wird die Frau als

279 Vgl. Schmid-Bortenschlager, Österreichische Schriftstellerinnen 1800 – 2000, S. 39. 72

Spiegel ihres Mannes dargestellt. Auch in diesem Fall erweist es sich für sie als logische Konsequenz, dass Frauen besser ausgebildet werden müssen.280 Im selben Artikel nimmt Paoli ihren Kritikern auch gleich den Wind aus den Segeln, indem sie auf die ihr lächerlich erscheinende Frage eingeht, ob zu viel Bildung die Liebenswürdigkeit von Frauen schmälert, was sie verneint. Liebenswürdigkeit sei eine Gabe, die man entweder habe oder eben nicht, unbeeinflusst vom Ausmaß der Bildung. Ebenso erörtert wird die Frage des Zeitmanagements, denn es scheint den Kritikern auch fragwürdig, ob genug Zeit bleibt, eine ordentliche Hausfrau zu sein, wenn diese sich dem naturwissenschaftlichen Studium widmet. Darauf kontert Paoli, dass sich bereits gut gebildete Mädchen auf die Disziplin, die sie mit dem naturwissenschaftlichen Studium gelernt haben, stützen können, was nur Positives zur Folge hat, da logisches Denken vor Planlosigkeit bewahrt (wE, 102). Außerdem sollten erwachsene Frauen ihre Zeit besser nutzen als „sich in unnützen Besuchen herumzutreiben, […] geistlose Romane zu lesen, Teppiche zu sticken, […] und allerhand niedliche Sachen anzufertigen, die schöner und billiger in dem nächsten besten Laden feilgeboten werden“ (wE, 102). Mit diesen Worten stellt Paoli eigentlich nicht nur alles in Frage, sondern an den Pranger, was eine bürgerliche, ehrbare Frau im 19. Jahrhundert ausmacht. Paoli fordert stattdessen etwas pathetisch „Edles an die Stelle des Frivolen zu setzen, Nichtiges aufzugeben, um Wesentliches zu gewinnen“ (wE, 102). Der Stellenwert, den sie dabei der Bildung und den Naturwissenschaften beimisst, ist unverkennbar ein hoher. Dementsprechend beschreibt sie Wissen als „Waffe“ und liefert gleich, so wie es ihre Art ist, einen Verbesserungsvorschlag mit: Betty Paoli fordert ein Gymnasium für Mädchen nach dem Modell der bereits bestehenden Knabengymnasien, das auch finanziell schlechter gestellten Mädchen die Möglichkeit bieten soll, ihre Zukunft positiv zu gestalten. Dadurch könnten sie zum Beispiel gut ausgebildete Lehrerinnen werden, die im Gegensatz zu den schlecht ausgebildeten Gouvernanten stehen, die den Mädchen selbst nichts beibringen könnten. Paoli gesteht eine Differenzierung im Lehrplan zu. Nämlich sollte das Hauptaugenmerk bei Mädchen auf eine naturwissenschaftliche und kulturgeschichtliche Bildung gelegt werden, Mathematik sollte nur zum Zweck der geistigen Kräftigung betrieben werden und die klassischen Sprachen sollten nur als freiwilliger Kurs angeboten, aber nicht verpflichtend sein (wE, 102). Das Vorbild zu diesem Modell findet sie wieder einmal im Ausland, genauer in Frankreich, wo – und damit nimmt Paoli Stellung zu einem zeitgenössisch aktuellen politischen Thema – die „Errichtung von Gymnasien für die weibliche Jugend“ (wE, 102) diskutiert wird.

280 Vgl. Wozonig, Die Literatin Betty Paoli, S. 124. 73

Zum Abschluss des Beitrages scheint es, als würde Paoli Kritiken, die gegen sie persönlich gerichtet sein könnten, von vornherein abwehren wollen, indem sie noch einmal mit der offensichtlich misslichen Lage und der Notwendigkeit von Verbesserung argumentiert: „Einer im Wesen der Verhältnisse liegenden Notwendigkeit kann sich niemand auf Dauer entziehen“ (wE, 102). Doch erwartet sie Veränderungen nicht so schnell, da das Unterrichtsministerium von allen Ministerien am wenigsten Geldmittel zur Verfügung gestellt bekommt (wE, 103). Damit formuliert sie eine direkte politische Kritik, die vor 1848 nicht denkbar gewesen wäre.

c) „Wissen ist Macht“ 281

Unter dem plakativen und wenig Raum für Spekulationen über den Inhalt lassenden Titel „Wissen ist Macht“ erschien am 16. Dezember 1869 ein weiterer Feuilletonbeitrag zur Frauenbildung in der „Neuen Freien Presse“, auch diesmal auf der ersten Seite, wieder visuell abgetrennt durch einen Strich, quasi in einem „Gehege für die persönliche Meinung des Autors“282. Inhaltlich gesehen ist dieser Beitrag eigentlich eine kommentierende Nacherzählung eines Berichtes des französischen Reisenden C[élestin] Hippeau. Hippeau berichtete in einem Beitrag vom amerikanischen Schulwesen, das laut Paoli nur Vorzüge hat. So kann es auf außerordentliche Unterstützung sowohl von Seiten der Regierung als auch von Seiten privater Personen verweisen, und auch auf das Recht aller auf Bildung, wobei Paoli hier deutlich herausstreicht, dass dies für Arme ebenso gültig ist wie für Reiche, für Mädchen ebenso wie für Knaben, und dass der Besuch der Schulen darüber hinaus unentgeltlich ist. Die Tugend der Nordamerikaner unterstreicht sie mit dem Argument, dass es in den Vereinigten Staaten kein „geregeltes Gemeinwesen“ (WiM, 105) in einer Stadt gibt, so lange nicht eine Schule, eine Kirche und eine Zeitung gegründet worden sind. Nach Paolis Ansicht sollte, wie mit den vorangegangenen beiden Feuilletonbeiträgen gezeigt und von ihr immer wieder gefordert wurde, das heimische Bildungswesen reformiert werden. Im Beitrag „Wissen ist Macht“ wird das amerikanische System zum Vorbild erhoben, in dem, anders als hierzulande, alle Kinder und im Besonderen Mädchen ganz selbstverständlich zu höherer Schulbildung zugelassen werden, ungeachtet „des Geschlechts, der Lebensstellung [und] der Abstammung“ (WiM, 104).

281 Betty Paoli: Wissen ist Macht. In: Was hat der Geist denn wohl gemein mit dem Geschlecht? Hrsg. von Eva Geber. Wien: Mandelbaum Verlag 2001, S. 104 – 112. [Im Folgenden mit Sigle WiM und einfacher Seitenzahl zitiert.] 282 Wozonig, Die Literatin Betty Paoli, S. 58. 74

Dabei ist ein weiterer interessanter Punkt die Koedukation von Mädchen und Buben, die im 19. Jahrhundert in Amerika schon Usus war, während hierzulande alleine schon die Vorstellung davon Mütter dazu brachte, sich zu „bekreuzigen“ (WiM, 105). Paoli argumentiert mit der „bedeutenden Ersparnis an Zeit, Geld und Kraft“ (WiM, 105), die solch eine Koedukation bringen würde, denn dadurch würde ein natürlicher Wetteifer in den Kindern angestachelt werden, der sie anspornt und „eine reine, uneigennützige Liebe zum Studium“ (WiM, 105) evoziert, die ein ganzes Leben lang bleibt. Ebenso würden Buben durch den Umgang mit Mädchen in ihrem Verhalten gezügelt werden, wie auf der anderen Seite die Mädchen durch den Umgang mit Knaben die Fertigkeit erhalten würden, „Besseres zu suchen, als nur die Befriedigung ihrer Eitelkeiten“ (WiM, 106). Hier kann eine Parallele zum Feuilletonbeitrag „Über weibliche Erziehung“ gezogen werden, in dem Paoli anprangert, dass Fremdsprachen lediglich aus Eitelkeit gelernt würden, und nicht, um tatsächlich mit anderen Kulturen in Kontakt zu treten. Paoli relativiert allerdings sogleich jeden Hoffnungsschimmer für eine Einführung solcher Schulen mit gemischtem Unterricht auch in Europa, da hier „das Weib von seiner Geburt an eine so untergeordnete Stellung ein[nimmt], dass der Knabe das Mädchen nicht als ebenbürtig betrachten kann“ (WiM, 106). Dies wird konstatiert, ohne eine Ursache oder Begründung dafür zu liefern. Weiters stellt Paoli in diesem Feuilleton fest, dass die Frauen in Amerika einen ganz anderen sozialen Status haben als jene in Europa. Sie kritisiert dabei durchaus, dass in Amerika „dem weiblichen Geschlecht Zugeständnisse [gemacht werden], die nicht selten das Maß des Vernünftigen überschreiten“ (WiM, 106 f.), da sie oft Vorrechte erhalten, und Vorrechte lehnt die Autorin ohnedies von vornherein ab. Paoli strebt also nach Gleichstellung. Dennoch betont sie die positiven Effekte. So lernen amerikanische Buben angeblich schon früh Respekt vor und Rücksicht auf Frauen zu haben, so dass das weibliche Geschlecht anders als die Europäerinnen nicht gezwungen ist, sich durch Koketterie Geltung zu verschaffen (WiM, 106). Interessant ist der kritische Blick Paolis auf die Frauen Europas, die sie in „zwei Rangklassen“ (WiM, 107) teilt, nämlich einerseits jene Frauen, die zwar verheiratet sind, aber eigentlich nur bessere Sklavinnen darstellen – Paoli nennt sie Odalisken, also Haremssklavinnen –, denen alle Aufgaben aufgelastet werden, und andererseits „allerliebste unnütze Dinger“ (WiM, 107), die sie durch eben diese Definition entsubjektiviert, zum Objekt macht, die bloß hübsches Zierrat zur Ergötzung in müßigen Stunden sind. Diese Einteilung, diese beiden Möglichkeiten von Weiblichkeit, sind laut Paoli auch die Gründe dafür, dass

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Söhne keinen Respekt vor ihren Müttern haben können und von Anfang an „die Frauen als untergeordnete, rechtlose Wesen“ (WiM, 107) sehen. Warum das so ist oder was dagegen getan werden kann, dazu liefert Paoli in diesem Text keine Lösungen. Sie macht nur die Einwände gegen Koedukation zunichte. Dass auch die mangelnde Intelligenz der Frauen, was ja in Europa zur Zeit des Biedermeier die vorherrschende Meinung über das weibliche Geschlecht war, kein Argument ist, lässt sich Paoli über Umwege direkt aus Amerika bestätigen. So lässt sie den Leiter eines amerikanischen Colleges dem französischen Reisenden Hippeau erklären, dass er in seiner Laufbahn schon „häufig“ intelligente Mädchen gesehen habe (WiM, 108). Und jene, die auch lernwillig sind, solle man lernen lassen, damit sie „eine unabhängige, ehrenvolle Existenz“ (WiM, 109) begründen können. Dennoch lässt sich auch hier Paolis gemäßigte Einstellung erkennen, da sie zwar das angeführte amerikanische Beispiel als Vorbild angibt, jedoch nicht ad hoc die radikale Umsetzung fordert, wodurch sie keine „unmittelbare Bedrohung für die patriarchale Ordnung“283 darstellt. Sie erhofft sich lediglich Veränderung in Sachen Mädchenbildung und Frauenfrage für die Zukunft, wobei sie keinen bestimmten Zeitpunkt nennt. Klar ist nur: Im Moment ist es undenkbar.284 Darüber hinaus forderte Betty Paoli den Zugang zu Hochschulen für Frauen,285 die begabt und willig sind zu studieren (WiM, 108). Das im 19. Jahrhundert vorherrschende Gegenargument, dass Frauen zu unintelligent seien, um sich einem Studium widmen zu können, tut sie als Vorurteil ab und erklärt, dass das Frauenstudium ausprobiert werden müsse, um zu zeigen, dass Frauen ein Hochschulstudium absolvieren können.286 Auf diese Art wären auch reiche Frauen in ihrer Freizeit sinnvoll beschäftigt und unversorgte Frauen aufgrund der besseren Bildung unabhängig.287

283 Ebda, S. 127. 284 Vgl. ebda, S. 128. 285 Frauen waren bis 1897 nicht zum Studium an einer Österreichischen Hochschule zugelassen. Im Vergleich dazu durften Frauen in Zürich bereits 1867 an einer Universität ein reguläres Studium nicht nur absolvieren, sondern sogar abschließen. Erst 1900 war es Frauen erlaubt, als ordentliche Hörerinnen am Medizinstudium teilzunehmen. Oktavia Aigner-Rollett promovierte 1905 als erste Frau an der medizinischen Fakultät an der Universität in Graz. (Vgl. online im Internet: URL: https://koordination-gender.uni-graz.at/de/geschichte/ [Stand 2015-10-06].) 286 Vgl. Wozonig, Die Literatin Betty Paoli, S. 127. 287 Vgl. ebda, S. 132. 76

4.2.5 Ergebnisse Feuilletons

Das Frauenbild, das in den Feuilletonbeiträgen Betty Paolis gezeichnet wird, ist ein traditionelles, den Werten des 19. Jahrhunderts verhaftetes, beeinflusst von tradierten Werten und der Einteilung in eine männliche und eine weibliche Sphäre. Die Grenzen sind eindeutig gezogen. Auch ist für Paoli klar, dass eine junge Frau geheiratet und somit versorgt sein möchte, so wie es ihrem Naturell entspricht. Dagegen wettert sie nicht. Zu vermuten ist allerdings, dass diese Zugeständnisse an ein traditionell weibliches Rollenbild Taktik sind. Sie erlauben es Betty Paoli, ihre Gedanken und Forderungen im Feuilleton der „Neuen Freien Presse“ zu artikulieren, ohne die Grenzen des Anstößigen zu überschreiten. Sich als radikale „Emanze“ zu präsentieren, hätte ihre Chance auf Veröffentlichung geschmälert oder gar zerstört. Dennoch verlangt sie auf Basis der biedermeierlichen Rollenzuschreibungen Bildung für Mädchen. Als Rechtfertigung dient ihr dabei die Vernunft. Paoli argumentiert oftmals mit Prinzipien, die keinen Widerspruch erlauben, nämlich mit der Notwendigkeit und der Vernunft. Dadurch kann Gegenargumenten aus dem Bereich der Religion oder auch jenen, die auf Zuschreibungen zu den Geschlechtern – bzw. besonders des weiblichen Geschlechts – begründet sind, schon im Vorhinein der Wind aus den Segeln genommen werden. Paoli kritisiert die mangelhafte Ausbildung von Mädchen und liefert auch Verbesserungsvorschläge, darunter vor allem naturwissenschaftliche Bildung für Mädchen aus dem Mittelstand, damit diese vernünftig zu handeln lernen. Darüber hinaus postuliert sie freien Hochschulzugang für Frauen, damit die gut situierten, verheirateten Damen ihre Freizeit vernünftig verbringen, statt die Zeit mit unsinniger Handarbeit oder Besuchen zu vertrödeln, und die minder Bemittelten eine Basis für die Berufstätigkeit erhalten. Diese Forderungen nach einem Zugang zu Bildung, Hochschule und zum Arbeitsmarkt für Mädchen und Frauen macht Paoli, ohne dabei auf einer prinzipiellen Gleichstellung von Frauen und Männern zu bestehen. Ihre zentrale Forderung dafür basiert auf der materiellen Notwendigkeit und der Lösung für dieses soziale Problem der so genannten „Frauenfrage“.288 Auf dem Umweg über Lösungsvorschläge für konkrete Probleme thematisiert Betty Paoli auch die soziale Gemachtheit von Weiblichkeit und Männlichkeit.289 Es ist die unterschiedliche und oft

288 Vgl. Wozonig, Die Literatin Betty Paoli, S. 136. 289 „On ne naît pas femme, on le devient.“ – 1949 formuliert Simone de Beauvoir in ihrem Werk „La Deuxième Sexe“ ihre These der Gemachtheit des weiblichen Geschlechtes: Man wird nicht als Frau geboren, sondern erst dazu gemacht. Männer setzen sich selbst als das Eine, das Subjekt, während Frauen in die Kategorie des Anderen, des Objekts, gedrängt werden bzw. sich in diese Kategorie drängen lassen. Eine Auflösung dieser Konstruktion sieht Beauvoir u.a. in der wirtschaftlichen Emanzipation der Frau, die sie unabhängig von 77 fehlende Bildung, die Frauen zu dem macht, was sie sind oder zu sein scheinen. Eine bessere und angeglichenere Ausbildung würde – so die Vermutung – die Unterschiede zwischen Mann und Frau nivellieren. Frauen würden zu selbständig denkenden und selbst Geld verdiebnenden Mitgliedern der Gesellschaft werden und nicht als vom Mann zu beschützende Wesen betrachtet werden. Paoli wehrt sich immer wieder gegen das Vorurteil der angeborenen intellektuellen Differenz von Frauen und Männern, mit dem Frauen stigmatisiert und von der öffentlichen Sphäre weg in die Privatheit und Unsichtbarkeit gedrängt werden, indem sie Bildung und Arbeitsmöglichkeiten fordert. Ihre Beweggründe dafür dürften wohl ihre eigenen Erfahrungen als alleinstehende bürgerliche Frau sein. Wozonig beschreibt Paoli selbst als ein ihren Feuilletonbeiträgen immanentes Argument, denn als Frau und Journalistin ist Paoli das lebende Beispiel dafür, als Frau dazu fähig zu sein, in der Öffentlichkeit ihre Meinung zur Frauenfrage selbständig zu formulieren und zu veröffentlichen, wobei „sie das vernunftbegabte weibliche Wesen, das durch das Schicksal an der Erfüllung ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter gehindert wurde“290, verkörpert. Um selbst gehört und nicht marginalisiert zu werden, muss Paoli das Kunststück gelingen, die herrschende bürgerliche Geschlechterordnung und die zugeschriebene „natürliche“ Unzulänglichkeit „der Frau“ nicht zu hinterfragen, sich dabei aber auf die seit der Aufklärung herrschende Meinung der Gleichheit aller Menschen zu berufen.291 So argumentiert sie mit den positiven Auswirkungen auf die bürgerliche Gesellschaft und betont etwa den Vorteil für Haushalt und Kinder, wenn Mütter in Physik oder allgemein in den Naturwissenschaften gebildet sind, denn der soziale Rang einer Frau ergebe sich innerhalb der Familie aus ihrer reproduktiven Kapazität.292

4.3 Die Novellen

4.3.1 Vorbemerkungen

Im Folgenden werden Novellen aus dem dreibändigen Sammelwerk „Die Welt und mein Auge“, das in der Originalausgabe 1844 bei Heckenast in Pesth erschienen ist, behandelt. An

männlicher Dominanz machen soll. (Vgl. Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau. Rowohlt: Reinbeck bei Hamburg 1968, S. 10 ff.) 290 Wozonig, die Literatin Betty Paoli, S. 144. 291 Vgl. ebda, S. 143 f. 292 Vgl. ebda, S. 149. 78 dieser Stelle ist anzumerken, dass Betty Paoli vor allem in den letzten Jahren wiederentdeckt wurde. Zahlreiche Publikationen zeugen davon, wobei hier vielleicht Karin S. Wozonig mit ihrem Blog „Karin schreibt“293 als eifrigste „Wiederentdeckerin“ zu nennen ist. In diesem Zusammenhang sind auch zahlreiche Nachdrucke nicht nur der Novellen, sondern generell des gesamten Werks Betty Paolis hervorzuheben, die in der online-Buchhandlung Amazon zu horrenden Preisen angeboten werden. Die Herkunft dieser Nachdrucke, die zumeist aus dem amerikanischen Raum stammen, ist allerdings fragwürdig, weshalb sie für diese Arbeit nicht verwendet werden können, und stattdessen die digitalisierte Version von „Die Welt und mein Auge“ der Toronto Universität294 herangezogen wurde.

Paoli veröffentlichte – abgesehen von der dreibändigen Sammlung „Die Welt und mein Auge“ – noch zahlreiche weitere Novellen: „Clary“ etwa erschien zwischen 19.5.1837 und 16.6.1837 in 13 Ausgaben der „Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode“. In der Zeitschrift „Iris“ wurden „Ein einsamer Abend“ (1842), „Bekenntnisse“ (1843), „Auf- und Untergang“ (1844), „Merced“ (1845) sowie „Das Mädchen von San Giorgio“ (1846) abgedruckt. „Die Brüder“ (1847) wurde als Rheinisches Taschenbuch herausgegeben. Die Novelle „Anna“ (1857) wurde im Feuilleton einer Zeitung veröffentlicht, deren Titel sich nicht erhalten hat.295 Was die dreibändige Novellen-Sammlung „Die Welt und mein Auge“ betrifft, sind die Widmungen der Autorin interessant, denn Paoli spricht sie richtungsweisenden Persönlichkeiten, die sie in ihrem Leben getroffen hat, zu. Der erste Band ist Frau von Goethe „als Zeichen inniger Huldigung“ 296 gewidmet, der zweite Band hat keine Widmung und der dritte Band ist Frau Henriette von Wertheimer „als Zeichen treuer herzlicher Neigung“297 gewidmet, bei der Paoli wie bereits eingangs erwähnt als Gesellschaftsdame tätig war und in deren Salon sie viele bedeutende Literaten und Künstler traf. Betty Paoli schrieb insgesamt 13 Novellen, deren Hauptfiguren zumeist Frauen sind. Himmel verweist darauf, dass es „in der Natur der Dinge“ liegt, dass Paoli ihre Novellen und die Figuren, die sie darin erschafft, aus dem „Blickwinkel der Frau“ sieht, und bestätigt ihr Talent

293 Vgl. http://karin-schreibt.org/tag/betty-paoli/ [Stand: 2015-06-01] 294 Vgl. https://archive.org/details/dieweltundmeinau01paoluoft[Stand: 2015-03-31], https://archive.org/details/dieweltundmeinau02paoluoft[Stand:2015-03-31] und https://archive.org/details/dieweltundmeinau03paolu oft [Stand: 2015-03-31]. 295 Vgl. Veronika Greiner: Die Welt und mein Auge. Betty Paoli und die Vormärznovelle. Wien, Univ., Dipl.-Arb. 2013, S. 16. 296 Betty Paoli: Die Welt und mein Auge. Erster Theil. Heckenast: Pesth 1844, o.S. 297 Betty Paoli: Die Welt und mein Auge. Dritter Theil. Heckenast: Pesth 1844, o.S. 79 zur „Gestaltung weiblicher Charaktere oft ungewöhnlicher Art“.298 Auch Rabitsch erklärt Paolis Affinität zu weiblichen Charakteren damit, dass Paoli als Autorin die weibliche Psyche vertrauter ist als die des Mannes.299 Dieses Argument ist allerdings kritisch zu betrachten, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass Paoli zeit ihres Lebens ihre Novellen immer als reinen Broterwerb abgetan und sich von ihren Novellen distanziert hat. Diese Begründung findet sich an mehreren Stellen einer Ausrede gleich.300 Dementsprechend kritisch begegnet Wozonig Paolis Novellen, die sie als kapitalistisches Produkt abtut und als „Beispiel für die novellistische Massenproduktion der Zeit“301 sieht. Folglich ist es ihr unmöglich, eine weibliche Intention herauszulesen. Auch wenn nicht Betty Paolis ganze Leidenschaft und all ihr Herzblut in diese Arbeiten geflossen sind, so darf dennoch nicht ihre Bedeutung für die Literaturgeschichte übersehen werden, weil ihre Novellen eben als typische Beispiele dieser Gattung, wie sie im 19. Jahrhundert produziert wurden, zu lesen sind. Darüber hinaus sah Paoli in späteren Jahren selbst ihre Novellen als unendlich langweilig und als eine längst vergangene Jugendarbeit an.302 Die Abwertung des eigenen schriftstellerischen Schaffens muss jedoch sicherlich im Kontext des 19. Jahrhunderts gesehen werden. Diese Diffamierung des eigenen Werkes ist nämlich nicht nur bei Paoli, sondern generell bei Schriftstellerinnen dieser Zeit zu finden – sei es aus gesellschaftlichen Konventionen heraus oder um einer (allzu strengen) Kritik zu entgehen.303 Daraus ergibt sich, dass diese Bescheidenheitsbekundung und die Herabsetzung der Novelle als minderwertige Gattung – aus welchen Gründen auch immer – zu den Standarderklärungen der Schriftstellerinnen gehörte.304 Auch ist zu hinterfragen, ob Paolis Ausrede, die Novellistik sei „nur“ ein Broterwerb, in Anbetracht der Widrigkeiten, die weibliche Schriftstellerinnen im 19. Jahrhundert erfahren haben, der Realität standhalten kann. Es stellt sich nämlich die Frage, ob es im 19. Jahrhundert für eine Frau tatsächlich einfacher war, ihren Lebensunterhalt mit dem für sie wenig angesehenen Beruf der Schriftstellerei zu verdienen als mit weitaus akzeptierteren Tätigkeiten wie etwa als Gesellschaftsdame oder Erzieherin.305

298 Vgl. Himmel, Probleme der Österreichischen Biedermeiernovellistik, S. 52. 299 Vgl. Aurelia Rabitsch: Betty Paoli als Epikerin. Graz, Univ., Diss. 1972, S. 10. 300 Vgl. Halper, Vorwort, S. 28. 301 Wozonig, Die Literatin Betty Paoli, S. 159. 302Vgl. Bettelheim-Gabillon, Einleitung, S. LXXXIX. 303 Vgl. Agnes Brunnauer: Losgelöst und festgeschrieben. Frauenbilder in ausgewählten Novellen vom Bürgerlichen Realismus bis zur Gegenwart. Salzburg, Univ., Diss. 2010, S. 80 f. 304 Brunnauer spricht dabei sogar von einem „ursprünglichen Novellenmerkmal“. Vgl. Brunnauer, Losgelöst und festgeschrieben, S. 81. 305 Vgl. ebda, S. 84. 80

Wie eingangs bereits erwähnt, veränderten sich im 19. Jahrhundert die Lebensbedingungen der Menschen tiefgreifend und rapide, wodurch sich eine erweiterte Diskrepanz zwischen der männlichen und der weiblichen Sphäre ergab – eine Entwicklung, die sich besonders im gehobenen Mittelstand deutlich ausmachen lässt.306 Männer hatten an diesen Modernisierungsvorgängen eher Anteil als Frauen, da Männer bedingt durch ihr Tätigkeitsfeld vermehrt in der Öffentlichkeit standen und aktiv an dieser teilhaben konnten. Frauen hingegen blieben trotz aller ökonomischen und gesellschaftlichen Veränderungen an die traditionelle Sphäre der Privatheit gebunden.307 Auch blieb die Berufstätigkeit für Frauen aus dem gehobenen Bürgertum „weitgehend verpönt“, sodass sich Frauen aus den oberen Schichten aufgrund der Etikette zu Langeweile und Untätigkeit gezwungen sahen.308 Lediglich Frauen aus den unteren Schichten waren aus Not zur Arbeit genötigt. Diese Entwicklung hatte zur Folge, dass Frauen des wohlhabenderen und gebildeteren Bürgertums zu den eigentlichen Literaturträgern wurden, und zwar sowohl aktiv als auch passiv, da die Männer beruflich beschäftigt waren. Frauen im 19. Jahrhundert waren also die hauptsächlichen Produzentinnen und Rezipientinnen von Literatur. Dementsprechend orientierte sich der Literaturmarkt dieser Zeit auch an seiner Leserschaft, was „frauenspezifische“ Inhalte zur Folge hatte. Diese Literatur erfüllte also den Zweck, den Leserinnen entweder Trost, Rat, Hilfe oder zumindest Ablenkung zu bieten.309 „Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die vor allem für Frauen schreiben, passen sich in ihren literarischen Produkten dem vermeintlichen Wertesystem ihres Zielpublikums bewußt oder unbewußt an“310, konstatiert Häntzschel. Das trifft wohl auch auf Betty Paolis Novellen zu. Die fiktive Welt in ihren Novellen ist aber oftmals in einen historischen oder exotischen Kontext eingebettet, jedoch wird sie „von der eigenen begrenzten häuslichen Erfahrungswelt überlagert.“311 So spielt zum Beispiel der erste Teil von „Die Ehre des Hauses“ Ende des 18. Jahrhunderts, der zweite Teil setzt jedoch 1810 an – also 34 Jahre vor dem Erscheinen dieser Novelle. Auf die für das 19. Jahrhundert aufgrund der begrenzten Reisemöglichkeiten als exotisch zu wertenden Schauplätze wird weiter unten eingegangen.

306 Vgl. Günter Häntzschel: Für „fromme, reine und stille Seelen“, Literarischer Markt und ‚weibliche‘ Kultur im 19. Jahrhundert. In: Deutsche Literatur von Frauen. Zweiter Band. 19. und 20. Jahrhundert. Hrsg. von Gisela Brinker-Gabler. München: C.H. Beck 1988, S. 119. 307 Vgl. ebda. 308 Vgl. ebda, S. 120. 309 Vgl. ebda, S. 121. 310 Ebda, S. 127. 311 Ebda. 81

a) „Die Ehre des Hauses“

Die erste Novelle in der oben erwähnten dreibändigen Novellensammlung ist „Die Ehre des Hauses“. Mit einem Umfang von 268 Seiten wird der typische Novellen-Rahmen einer per definitionem „kurzen Erzählung“ deutlich gesprengt. Auch wurde „Die Ehre des Hauses“ in Zeitungen als Roman angekündigt, jedoch als Novelle verlegt, was als Zeichen dafür gedeutet werden kann, dass der Roman zur Zeit des Biedermeier nicht so beliebt war wie die Gattung der Novelle. Trotz des großen Umfangs finden sich in „Die Ehre des Hauses“ einige novellentypische Merkmale. Die einsträngig aufgebaute Geschichte behandelt den Ruin eines schottischen Adelsgeschlechts. Dass die Handlung in Schottland angesiedelt wurde, mag zum einen daran liegen, dass im Biedermeier exotische Schauplätze beliebt waren. Zum anderen dienten exotische Schauplätze Paoli dazu, jeglichen Zusammenhang mit der habsburgischen Regierung und dem Regime Metternich zu umgehen.312 Das für Himmel charakteristischste Merkmal einer Novelle, nämlich der zentrale Konflikt, ist in „Die Ehre des Hauses“ das Verbrechen, das Sir Richard an seinem Bruder begangen hat. Dieser Konflikt, der eigentlich zwischen zwei Männern besteht, hat seine Wurzeln zwar in der Vergangenheit, wirkt jedoch bis in die Zukunft. Obwohl der Konflikt vordergründig zwischen den beiden männlichen Protagonisten besteht, betrifft er auch die Frauenfiguren in dieser Geschichte, allen voran Lady Maria Brandon. Die Handlung ist linear und generationenübergreifend. So ist der Ursprung aller Probleme in einer Vergangenheit, die nicht explizit Teil der Novelle ist, zu finden, denn die Familie Brandon hat sich schon Generationen zuvor in eine finanzielle Notlage gebracht. Die Erzählung setzt 1784 nach dem Tod Lord Henrys, des Vaters der gegensätzlichen Brüder James und Richard, ein. Der Erstgeborene, James, steht für die ehrenvolle Abstammung, die für ihn alles bedeutet; Richard hingegen verkörpert eine bürgerliche Tüchtigkeit.313 Er möchte den totalen finanziellen Ruin abwenden, indem er an der Börse spekuliert, was ein für James undenkbares Unterfangen ist, dem er letztendlich widerstrebend zustimmt. Hier ist die typische Zweiteiligkeit der Novelle gegeben. Im ersten Teil stehen die Verfeindung der Brüder Brandon und der perfide Plan Richards im Mittelpunkt, seinen Bruder in den finanziellen Ruin zu treiben, um sich so an den Zurückweisungen seiner Eltern zu rächen und selbst der Lord zu werden.

312 Vgl. Alice Bolterauer: Das Geld, die Liebe und die Kunst oder Kein Pariser Leben. Drei Erzählungen von Ignaz Castelli, Betty Paoli und Adalbert Stifter. In: ÖGL mit Geographie. Österreich in Geschichte und Literatur 50 (2006), H. 4 (343), S. 228 f. 313 Vgl. Wozonig, Liebeslyrik und Biedermeierprosa, S. 94. 82

Der zweite Teil der Novelle präsentiert allerdings nicht die in diesem Genre sonst übliche Versöhnung. Zwar versucht die weibliche Protagonistin Maria ausgleichend einzugreifen, es gelingt ihr aber nicht. Im Gegenteil: Die für ihren Onkel, Lord James, einzige Möglichkeit, das Verbrechen seines Bruders gesühnt zu sehen – nämlich die Hochzeit von Maria und seinem Sohn Francis, dem rechtmäßigen Erben –, stürzt Maria in ihr persönliches Unglück. Marias Beziehung zu Francis scheitert letztendlich nicht nur daran, dass beide ja eigentlich zwangsverheiratet werden sollen, sondern auch an der mangelnden Kommunikation. Maria und Francis sprechen nicht miteinander im festen Glauben, dass der jeweils andere ganz bestimmt anderer Meinung ist. So hält Francis sein Liebesgeständnis Maria gegenüber zurück, während Maria gleichzeitig davon überzeugt ist, dass er sie gar nicht liebt. Die arrangierte Ehe der beiden impliziert auch eine Sozialkritik an den üblichen Heiratsstrategien der Biedermeierzeit. In den Gesellschaftsromanen der Zeit wird häufig Kritik an den Institutionen Ehe und Militär geübt. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts werden zudem die sozialen Missständen und schlechten Arbeitsbedingungen angeprangert.314 Auch wird in „Die Ehre des Hauses“ das Thema der „Lebenslüge“315 aufgegriffen: Die Verlobung zwischen Maria und Francis geschieht aus den falschen Gründen heraus, nämlich, um ein Verbrechen, das sie nicht begangen haben, zu sühnen bzw. um den guten Namen Brandon zu bewahren. Aufgrund dieses Umstandes kann ihre Verbindung auch nicht glücklich werden. Hand in Hand geht damit das Motiv der Entsagung. Nicht nur Maria ist bereit, auf ihre wahre Liebe zu Arthur, dem sie versprochen war, zu verzichten. Auch ihr Sohn Benjamin wählt den Freitod, bevor er seiner Geliebten bzw. deren und seiner Familie Schande bereitet. Halper argumentiert etwas unscharf, dass viele Schicksale des 19. Jahrhunderts wie in der Prosa zu dieser Zeit endeten, nämlich im Selbstmord. Das ist für ihn darauf zurückzuführen, dass die Menschen damals zwar noch gottgläubig, aber keiner Religionsgemeinschaft zugehörig waren, was eine gewisse pessimistische Weltanschauung und Todessehnsucht mit sich führt.316 Dazu kommen sicherlich politische Enttäuschung und eine schlechte wirtschaftliche Entwicklung.

Die Ablösung des Helden von der Familie gelingt in den Texten des Biedermeier laut Wünsch nicht mehr, der Held kann der Herkunftsfamilie nicht entkommen.317 Dies ist auch in Betty

314 Schmid-Bortenschlager, Österreichische Schriftstellerinnen 1800 – 2000, S. 67. 315 Himmel, Probleme der Österreichischen Biedermeiernovellistik, S. 43. 316 Vgl. Halper, Vorwort, S. 28 f. 317 Vgl. Marianne Wünsch: Struktur der „dargestellten Welt“ und narrativer Prozeß in erzählenden „Metatexten“ des „Biedermeier“. In: Zwischen Goethezeit und Realismus. Wandel und Spezifik in der Phase des Biedermeier. Hrsg. von Michael Titzmann. Niemeyer: Tübingen 2002. (= Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur. 92.), S. 271. 83

Paolis „Die Ehre des Hauses“ der Fall. Der Titel impliziert bereits, dass es sich nicht nur um die Ehre eines Einzelnen handelt, sondern dass ein ganzes Kollektiv damit verbunden ist. Keinem der Protagonisten gelingt die Trennung von der Familie, da sie allesamt dem guten Namen und der Ehre verhaftet sind, allen voran James und Maria. Am ehesten schafft es noch Richard, der aber körperlich so darunter leidet, seinem Bruder dermaßen geschadet zu haben, dass er vorzeitig stirbt. Auch Lady Helene Brandon zerbricht an den Folgen des mutmaßlichen Bankrotts, der ihren Mann, Lord James Brandon, nach ihrem Tod dazu bewegt, die Dienerschaft zu entlassen und mit dem einzigen Sohn Francis Richtung Norden zu ziehen, wo sie als Bauern leben. Interessant dabei ist, dass Helene immer wieder versucht hat, ihren Mann vor seinem Bruder zu warnen. Da sie ihre „Abneigung, die sie von je her gegen Richard empfunden hatte“318, nicht mit rationalen Argumenten belegen kann, sondern immer nur auf ihr „dunkles unerklärbares Gefühl“ (E, 25), das sie „im innersten Herzen“ (E, 28) fühlt, verweist, schenkt ihr Mann dieser „gewöhnliche[n], nur selten lang dauernden Weiberlaune“ (E, 28) keinen Glauben. Hier wird nicht nur eine Zuschreibung von spezifischen Eigenschaften wie Gefühl, Empfindungen und Irrationalität zur Sphäre der Weiblichkeit sichtbar, sondern auch eine Verallgemeinerung von Eigenschaften, die anscheinend Frauen üblicherweise eigen sind („gewöhnliche“), deutlich. In diesem Zusammenhang ist auch eine scheinbar unscheinbare Episode am Anfang der Novelle interessant: Lady Helene Brandon erzählt ihrem Mann von einem „Spaziergang in den nahen Wald“ (E, 30) mit dessen Bruder Richard, bei dem sie einer Zigeunerin begegnen, die in Richards Hand liest, dass er der zukünftige Lord Brandon sei – ungeachtet der Tatsache, dass er lediglich der zweitgeborene Sohn ist. Helenes „helle[r] Geist“ lässt sie natürlich nicht an die Wahrsagerei glauben, jedoch spricht die Reaktion ihres Schwagers Bände, aus dessen „Augen ein Blitz [fuhr], der erschreckend in meine Seele drang.“ (E, 31) Es ist also wieder nicht der Geist, der Ort des Denkens, der Bereich der „ratio“ und der Logik, sondern die Seele, der Ort des Glaubens, der der Frau hier zugesprochen wird. Dennoch wird Helene von der Autorin eine gewisse Klugheit zugesprochen. Ihr „heller Geist“ steht aber im Gegensatz zu Gelehrtheit, wie an anderer Stelle bereits erwähnt wurde. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die kontrastierende Beschreibung von Männlichkeit. Lord James Brandon rechtfertig seine Handlung, nämlich seinem Bruder eine große Summe für Spekulationen an der Börse gegeben zu haben, indem er sagt: „Weil ich kein Weib bin, das, leichtsinnig und gedankenlos […] sich um die Zukunft wenig kümmert.“

318 Betty Paoli: Die Ehre des Hauses. In: B.P.: Die Welt und mein Auge. Erster Theil. Pesth: Heckenast 1844, S. 1 - 268, S. 25. [Im Folgenden mit der Sigle E und einfacher Seitenzahl zitiert.] 84

(E, 27) Aus dieser Gegenüberstellung der Männlichkeit geht die negative Zuschreibung zu Weiblichkeit als leichtsinnig und gedankenlos im Gegensatz zur Männlichkeit als bedacht und verantwortungsvoll hervor. Nicht nur die männliche Figur wird durch diese Aussage Lord James‘ beschrieben, sondern Weiblichkeit generell. Überhaupt sind die Frauenfiguren in „Die Ehre des Hauses“ oftmals mit Gefühlen umschrieben. So ist Lady Helene von ihren Empfindungen „überwältigt“ und „heftig ergriffen“ und hat nach eigenen Angaben auch aus Liebe geheiratet, da sie um die prekäre finanzielle Lage der Brandons Bescheid wusste.

Betty Paoli beschreibt in ihren Novellen ein traditionelles Bild der Geschlechterrollen. Das bedeutet, dass in ihren Erzählungen die patriarchale Sichtweise des 19. Jahrhunderts vorherrscht und sich die Frauenfiguren dieser Männerdominiertheit unterordnen. Die Geschlechterordnung wird anhand der Figur der Lady Helene deutlich. Sie warnt ihren Mann mehrmals davor, das verbliebene Vermögen aufs Spiel zu setzen, jedoch ist er anderer Meinung. Wie selbstverständlich beugt sie sich ihm: „Ebenso wie es meine Pflicht war, dich zu warnen, kommt es mir nun auch zu, mich deinem Willen zu unterwerfen, da du auf deiner Meinung beharrst.“ (E, 33) Selbst als alles verloren ist, verliert Lady Helene kein Wort darüber, sondern stellt sich den Konsequenzen. Weiters wird Lady Helene als eine der „wenigen Frauen“, die wissen, wann es genug ist, charakterisiert, denn „ihre Gefühle bezwingend“ (E, 32) ist sie bereit zur Unterwerfung, wie es von der Gesellschaft erwartet wird. Darüber hinaus wird sie als sanftmütig und milde geschildert und erträgt die Launen ihres gereizten Gatten „still und ergeben“ – Ausdrücke von Passivität. Sie selbst unternimmt nichts, fügt sich der Entscheidung und der Übellaunigkeit ihres Ehemannes, passt sich ihm ganz an und ordnet sich ihm unter, wird unsichtbar und verschwindet schließlich ganz. Dies geschieht, nachdem die Nachricht, dass alles Vermögen an der Börse verloren ist, in Form einer Krankheit, die zuerst nur „ihre Wangen immer bleicher“ (E, 38) werden ließ, bis sie schließlich „todtenbleich“ (E, 39) ist. In dem Moment, als klar wird, dass tatsächlich alles verloren ist, „stieß [sie] einen dumpfen Seufzer aus; jeder Bewegung unfähig stand sie bleich […] ein schmerzlich schönes Niobenbild“ (E, 41) da, was wiederum verdeutlicht, dass Weiblichkeit mit den für das 19. Jahrhundert typischen Attributen versehen wird: Passivität, Stille und Schönheit. Darüber hinaus wird Weiblichkeit auch mit Religion verknüpft, wenn Lady Helene auf ihren Mann mit „Märtyrinnigkeit“ (E, 43) einspricht. Sie bietet ihrem Mann einen Ort von „Trost und Mitgefühl“ (E, 43), während er sie als „armes Kind!“ und „reiner Engel“ (E, 43) bezeichnet. Selbst im Sterben sieht Helene aus „wie ein höheres Wesen, das den Ruf der verschwisterten Engel schon von fernher vernimmt“, „ihr […] Haar floß wie eine

85 goldne Glorie um ihr Haupt“ (E, 44) und sie versichert ihrem Ehemann, dass es nichts Schrecklicheres in ihrem Leben hätte geben können, als ihm nicht begegnet zu sein. Weiblichkeit wird hier mit Heiligkeit gleichgesetzt. Darüber wird die Frauenfigur über die des Mannes definiert, wenn etwa klar wird, dass sie ohne ihn nicht glücklich geworden wäre. Die Geschehnisse wirken sich nicht nur bei Lady Helene, sondern bei sämtlichen Figuren körperlich aus und schlagen auf deren Gesundheit. Das heißt also, die äußeren Einflüsse haben dramatische Auswirkungen auf die Existenz aller Figuren.

Die Schönheit, der Schmerz und der Stolz

Generell werden die Frauen in „Die Ehre des Hauses“ (bzw. in den Novellen Paolis im Allgemeinen, wie sich in dieser Arbeit noch zeigen wird) als über die Maßen attraktiv beschrieben. So ist Lady Helene selbst am Totenbett noch überirdisch schön, mit „süßen Lippen“ und „strahlendem Lächeln“ (E, 47). Auch im Sterben schwindet ihre Schönheit nicht, sondern „verklärte und vergeisterte sich“ (E, 47). Die Beschreibung von äußerer Schönheit der weiblichen Figuren ist in den Novellen Betty Paolis sehr umfangreich, so als wäre Schönheit schon ein Charakterzug für sich und für Frauen unabdingbar. Immer wieder wird an den verschiedensten Stellen der Geschichte die Schönheit der Protagonistinnen erwähnt und ausführlich beschrieben. Sie sind besonders schön, von „Anmuth“ und „holder Schönheit“ (E, 28). Maria etwa ist derart schön, dass selbst die neidvollste Nebenbuhlerin nichts dagegen sagen kann. „Mein Gott, wie schön sie ist!“ (E, 74), ruft ein Freund Arthurs aus, als er sie erblickt. Die Figur der Maria wird somit als überaus hübsch geschildert, wobei ihr Äußeres interessanterweise dem der Autorin ähnelt: ein „blendend“ heller Teint mit „jungfräulichem Ausdruck“, „das glänzend schwarze Haar, das dunkle Sonnenauge, das antike Profil einer Römerin.“ (E 72 f.) Maria ist so schön, dass sie es nicht nötig hat, sich zu schmücken. „[Ihre Kleidung] zeigte von mehr Stolz als Eitelkeit; in ruhigem Bewußtsein ihrer Schönheit schien sie jede Beihilfe des Putzes verschmäht zu haben.“ (E, 73) Mehr noch als schön wird Maria als stolz beschrieben: „Lady Maria, die bisher ruhig und ziemlich gleichgiltig zugehört hatte, richtete sich bei diesen Worten empor und sagte mit dem Trotz eines verzogenen Kindes, doch zugleich mit dem Stolz einer edlen Seele…“ (E, 77). Doch offenbar kann Maria gar nicht anders, denn sie hat von Natur aus eine ausgeprägte Persönlichkeit: „[Die Herzogin Belfield] unterlag überdieß, Maria gegenüber, jenem Einfluß, den starke Seelen auf gewöhnliche Menschen fast unwillkürlich ausüben.“ (E, 77) Darüber hinaus wird Maria an mehreren Stellen als „kräftig“ bezeichnet, allerdings nur, was ihr Gemüt

86 bzw. ihre Natur betrifft. Dies ist nicht mit körperlicher Stärke zu verwechseln, denn die Frauen in Betty Paolis Novellen sind (körperlich) stets zart und schwach und oftmals einer Ohnmacht nahe. Diese Zuschreibungen untermauern die Vorstellung von Frauen als dem „schwachen Geschlecht“. Doch die Figur der Maria ist nicht nur positiv gezeichnet. Sie wird auch als „ein rasches, unbesonnenes Kind, das so viel Nachsicht in Anspruch nimmt“ (E, 77), gezeichnet. Trotz all ihrer Schönheit, Aufrichtigkeit, Ehrenhaftigkeit und Tugendhaftigkeit ist den Frauenfiguren in Paolis Novellen das Glück nicht sicher. Die Liebe ist stets mit Leiden und Unglück verbunden. In diesem Zusammenhang sind bei Paoli Verbindungen voller Schmerz und Schönheit zu finden. So auch in „Die Ehre des Hauses“, wo Lady Helene nicht nur als „schmerzlich schön“ (E, 40) beschrieben wird, sondern darüber hinaus auch noch von ihrem Ehemann verlangt, seinen Schmerz mit ihr zu teilen: „Warum willst du mir meinen Theil an deinem Schmerz verweigern?“ (E, 43) Aus diesem Ertragen und Hinnehmen der Schmerzen erfolgt eine Heroisierung der Frauenfiguren. Sie sind derart stark, dass sie sogar das ertragen können. Dadurch erfahren sie eine positive Wertung ihres Charakters.319 Brunnauer sieht das Thema Schmerz bei Betty Paoli „autobiographisch motiviert“, da sie ihre eigene Familie sehr früh verlor und sie nicht durch eine eigene ersetzen konnte.320 Die Verbindung von Schönheit und Schmerz gründet in der im Biedermeier beliebten Philosophie Schopenhauers, in dessen pessimistischem Weltbild Leid und Schmerz als zentrale Themen stehen.321 Schicksal und Charakter gelten als gegeben und unveränderlich. In Paolis Novellen resultiert dies in Passivität, die vor allem den Frauenfiguren eigen ist. Der Schmerz muss für ein höheres Gut, nämlich die Familienehre, still ertragen werden. Vor allem Maria in „Die Ehre des Hauses“ hat dieses Prinzip verinnerlicht und verlangt es auch von ihrem Sohn. Benjamin verliebt sich in Miss Lavinia, die er auch heiraten möchte. Eine Verbindung der beiden ist in Lady Marias Augen jedoch unmöglich, ist Miss Lavinia doch die Tochter Lady Hallingtons, deren erste Ehe geschieden wurde. Sie gilt deswegen als von der Gesellschaft ausgeschlossen, ebenso wie ihre Tochter. In mehreren Szenen versucht Maria Benjamin dieses Prinzip von Familienehre, das über persönlichem Glück steht, zu erklären. Benjamin jedoch kritisiert: „Du weißt um die Bitterkeit dieses Kelches, und willst deinen Sohn zwingen, ihn bis auf den letzten Tropfen zu leeren? […] Du stehst jetzt da, innerlich verödet mit gebrochenem Herzen, mit zerstörter Seele [… ] du hast dich für einen Wahn

319 Vgl. Brunnauer, Losgelöst und festgeschrieben, S. 87. 320 Vgl. ebda, S. 88. 321 Vgl. ebda, S. 86 f. 87 geopfert, und für welchen Lohn?“ (E, 247). Die destruktive Kraft des Schmerzes geht deutlich daraus hervor. Mit dem Schmerz ist auch der Stolz verbunden, der ein weiteres wichtiges Element bildet, das die Frauenfiguren in Betty Paolis Novellen kennzeichnet. Besonders in „Die Ehre des Hauses“ wird klar, wie wichtig Stolz und Ehre sind. Beide verändern radikal das Leben von Lady Maria, die dem guten Namen und der Ehre ihr Liebesglück hingibt. Dabei gilt zu beachten, dass Maria und auch andere Protagonistinnen dieses Opfer nicht aufgrund einer Art Schwäche von oben – also von den Männern – quasi aufgezwungen bekommen. Sie trifft die Entscheidung dazu, die Schuld der ersten Generation – also ihres Vaters – zu sühnen, selbst. Dabei hat sie das System von Stolz und Familienehre ebenso verinnerlicht wie ihr Onkel James. Sie schwört ihm, ihr Möglichstes dafür zu tun, auch wenn ihr später doch Bedenken kommen, ihr eigenes Leben für die Familie aufzugeben und ihren ungeliebten Cousin Francis zu heiraten. Dennoch gebietet es ihr Stolz, sich diesem Vorschlag nicht zu entziehen, was den Zusammenhang zwischen Charakter – Stolz – Opfer verdeutlicht. Später rechtfertigt sie sich gegenüber ihrem Sohn: „Nein, ich habe mich keinem Menschen geopfert, sondern einem Namen, einer Idee, dem allmächtigen Wort Familienehre.“ (E, 167) Interessant ist, dass mit der Einlösung des Versprechens eine positive Wertung von Weiblichkeit einhergeht, denn dadurch, dass Maria an ihrem Versprechen festhält, wird sie als loyal und treu gezeichnet.

Die Liebe

Interessant an den Novellen Paolis ist die Tatsache, dass die Liebe, wenn sie auch meistens schmerzlich ist, das einzig erstrebenswerte Ziel für die Menschen bzw. für die Frau im Speziellen ist. Das höchste Gut für Frauen scheint dementsprechend die Freiheit zu sein, und zwar jene Freiheit, die es ihnen erlaubt, sich frei für die Liebe zu entscheiden.322 Dies impliziert eine Auswahlmöglichkeit von Lebensentwürfen, die jedoch in Paolis Novellen nicht gegeben ist. Anders als in ihren Feuilletons, in denen sie zur Lösung der Frauenfrage bessere Ausbildung und Zugang zum Arbeitsmarkt für Frauen fordert, ist es für die Protagonistinnen ihrer Novellen undenkbar, nicht die Liebe und eine damit verbundene Ehe und Mutterschaft als Ziel zu sehen. Brunnauer sieht diese Diskrepanz zwischen Novellen- Ideal (also der Liebesheirat) und Feuilleton-Forderung (Bildung und Berufsmöglichkeit für Frauen) im echten Leben Betty Paolis begründet.323 Paoli ist den Rollenzuschreibungen der

322 Vgl. ebda, S. 88. 323 Vgl. ebda, S. 89. 88

Biedermeierzeit verhaftet und weiß um den gesellschaftlich akzeptierten Lebensentwurf einer Frau. Dieser blieb ihr selbst verwehrt bzw. lehnte sie ihn bewusst ab. Daraus kann gefolgert werden, dass Betty Paoli sich selbst als Ausnahme aus dem allgemein gültigen Kontext sah. Auch in der Novelle „Die Ehre des Hauses“ bietet Paoli am Rande eine ehrbare Lösungsmöglichkeit für jene Frauen an, denen Heirat und Mutterschaft verwehrt bleibt. Gezeigt wird diese an der Figur der französischen Tante Marias, Mademoiselle Sophie de Iumiège. Diese wird als „vortreffliches Mädchen voll Sanftmuth und Güte“ geschildert, jedoch „sieht sie ein wenig einer Soeur grise gleich“ (E, 75). Das heißt, Mademoiselle Sophie wird also von Anfang an in den religiösen Kontext eingeordnet. Sophie steht Maria, deren Mutter bereits verstorben ist, als Anstandsdame, Beraterin und Freundin bei. Nach Marias Hochzeit mit Francis, von der sie Maria abrät, sieht Sophie ihre Arbeit einerseits als gegenstandslos und andererseits als getan an und zieht sich ins Kloster zurück. In dieser scheinbaren Nebenfigur wird also eine Frau gezeichnet, die einen typischen alternativen Lebensweg von alleinstehenden Frauen ohne jeglichen eigenen Familienverband wählt: das Leben als Nonne. In dem Brief, den die verzweifelte Maria an ihre Tante schreibt, wird aber deutlich, dass dieses Los gar nicht so schrecklich anmutet, wie es scheint und einer unglücklichen Ehe vorzuziehen ist. Denn das Ideal ist allemal eine Liebesheirat. Kritisch an den Novellen Paolis kann gesehen werden, dass sie keinen alternativen Lebensweg für Frauen anbieten. Die herrschende Ordnung basiert unhinterfragt auf dem patriarchalen System und frau hat sich darin einzugliedern bzw. gliedert sie sich einfach darin ein, weil es ihrem Charakter und natürlichem Wesen entspricht. Auch in ihren Feuilletons bildet das Rollenbild des 19. Jahrhunderts die Grundlage, auf der kleine Veränderungen – aber nur da, wo sie notwendig sind – vorgenommen werden sollen. In ihren Novellen beschreibt Paoli also oftmals allgemeine klischeehafte Bilder von Weiblichkeit. Es handelt sich dabei um biedermeierliche Vorstellungen von „Frau“, die sie ihre Figuren verkörpern lässt. So erklärt Maria in „Die Ehre des Hauses“, wieso sie ihrem Vater nicht schon eher von ihrem Verehrer, Lord Arthur, erzählt hat: „Ach Gott! weil ich ein Mädchen bin!“ (E, 85) Offenbar haben alle Mädchen Geheimnisse vor ihren Vätern. Weiters begründet Maria: „Du hättest dann glauben können, deine Tochter sei falsch und zaghaft wie die übrigen Frauen“ (E, 85), womit implizit Frauen im Allgemeinen die Charakterzüge Falschheit und Zaghaftigkeit zugesprochen werden. Eine Begründung oder ein Beweis für diese irrationale Zuweisung scheint nicht notwendig.

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Am Ende einer Novelle folgt klassischerweise die Einordnung des Individuums in die Gesellschaft. Doch im Fall dieser Novelle ist das nicht möglich. Die Figuren sind dermaßen in sich verhaftet und mit einem sturen Charakter ausgestattet, dass eine Annäherung an die anderen bzw. ein Kompromiss nicht machbar ist. Dem Sittenbild der Ehre hörig, ist ein Umdenken nicht möglich. Der einzige Ausweg, der bleibt, ist der Tod. Sterben Lady Helene, Sir Richard und Lord James eines natürlichen Todes, der zwar durch den zentralen Konflikt bedingt ist, begeht Benjamin Selbstmord. Für ihn ist das Glück mit individueller Entscheidungsmöglichkeit gleichgesetzt, was aber im Rahmen der Familienehre undenkbar ist. Die einzige freie Entscheidungsmöglichkeit, die er für sich selbst sieht, ist die über sein Fortleben. Unklar ist, wie Lady Maria stirbt. Der letzte Satz „Zwei Tage darauf war Lady Brandon eine Leiche“ (E, 268) lässt vermuten, dass sie an ihrem Kummer zugrundegeht. Es stellt sich auch nicht die Frage, ob es hätte anders laufen können, denn für Maria (ebenso wie für die übrigen Protagonisten) wäre es nicht in Frage gekommen, anders als nach dem strengen Ehrenkodex zu handeln und zu leben, auch, wenn das für sie ein glücklicheres Leben bedeutet hätte.

b) „Honorine“

Den Auftakt des zweiten Bandes der Novellensammlung „Die Welt und mein Auge“ bildet „Honorine“. Mit einem Umfang von 122 Seiten entspricht die Erzählung dem üblicherweise erwarteten Rahmen einer Novelle eher als die im ersten Band publizierte romanhafte Erzählung „Die Ehre des Hauses“. Inhaltlich thematisiert „Honorine“ ebenfalls das Scheitern einer Ehe, jedoch hat dies nun andere Ursachen: Der Ehemann deckt eine frühere Beziehung seiner Frau auf. Zwar bemühen sich beide Seiten, wieder zueinander zu finden, dies erweist sich aber als unmöglich.

Auch in dieser Novelle finden sich typische Novellenmerkmale, wie zum Beispiel Exotisches. Die Geschichte spielt durchwegs im nicht-österreichischen Ausland. Zu Beginn lebt der deutsche Maler Walther L. als gefeierter Künstler in Rom. Die Stadt bildet hier den Rahmen, um die herausragende Stellung Walthers zu unterstreichen, denn Rom gilt als „Versammlungsort der Künstler aller Nationen“324 und Walther als einer der bedeutendsten unter ihnen. Bald jedoch fasst der Maler den Entschluss, nach Paris zu gehen. Zwar wollte er

324 Betty Paoli: Honorine. In: B.P.: Die Welt und mein Auge. Zweiter Theil. Pesth: Heckenast 1844, S. 1 – 122, S. 3. [Im Folgenden mit der Sigle H und einfacher Seitenzahl zitiert.] 90 ursprünglich in Spanien die alten Meister studieren, jedoch verwirft er diesen Plan aufgrund des Bürgerkrieges. Hier baut Betty Paoli in einer scheinbar harmlosen Novelle eine politische Gegebenheit ein. In Paris trifft Walther auf eine geheimnisvolle junge Frau, die sich als die Titelheldin Honorine (Petrowska) herausstellt. Honorine stammt ursprünglich aus Polen, musste aber aus politischen Gründen mit ihrem Vater und ihrem kleinen Bruder fliehen. Der Vater stirbt – ähnlich wie Paolis Mutter im richtigen Leben – an den Strapazen der Flucht aus Polen. Weitere Schauplätze dieser Novelle sind die Schweiz und Venedig. Venedig widmet der Erzähler eine längere Passage, um den Zauber dieser Stadt zu erklären: „Venedig! du einzige geliebte Stadt! […] wenn es ein Asyl gibt, in dem bedrängte Herzen ihre Bürden von sich werfen, so bist du es.“ (H, 64) Darüber hinaus wird eine Parallele zwischen Venedig, Liebe und Schmerz gezogen: „Dich [Venedig] liebt man nicht, wie eine schöne Stadt, sondern wie einen hohen Menschen, der viel gelitten hat, so viel, daß er jeden fremden Schmerz verstehen, zu heilen weiß.“ (H, 64) Aus dieser Perspektive scheint Venedig der ideale Ort für Honorine zu sein, um ihre Vergangenheit zu bewältigen und ihr Glück zu finden. Formal gesehen ist auch „Honorine“ zweiteilig aufgebaut. Nach dem ersten Teil, in dem die Paarfindung des Künstlers Walther und der Titelheldin Honorine als zentrales Motiv steht, erfolgt die Wende bei einer zufälligen Begegnung mit Lord Chartrey, der sich als Honorines frühere Liebschaft entpuppt. Der durch diesen tragischen Zufall eingeleitete zweite Teil beinhaltet zwar auch die Versöhnung bzw. den Versuch, als Paar wieder zu funktionieren, jedoch scheitert dieser. Die Dreieckskonstellation Walther – Honorine – Chartrey (also eigentlich Honorines Vergangenheit) kann trotz Walthers Beteuerungen und Bemühungen nicht positiv aufgelöst werden. Am Schluss erfolgt auch in dieser Novelle keine Einordnung des Individuums in die Gesellschaft. Paolis Novelle nimmt erneut einen tragischen Ausgang. Die Verfehlungen Honorines in der Vergangenheit scheinen dermaßen destruktiv und unverzeihlich zu sein, dass die Protagonistin am Ende stirbt. In ihrem Abschiedsbrief an Walther schreibt sie, sie wolle sterben wie ein Schwan: alleine, ohne Zeugen. Doch begeht sie nicht Selbstmord, was unter Umständen eine noch größere Verfehlung dargestellt hätte. Honorine stirbt an gebrochenem Herzen: „Ich tödte mich nicht, sondern ich sterbe; […] Aus meinem geheimsten Wesen, das ich nicht geschaffen, quillt das Gift, von dem mein Blut gerinnen, mein Pulsschlag stocken wird.“ (H, 118) Auch hier wird das Motiv der „Lebenslüge“ deutlich. Die Institution Ehe mit ihrer scheinbaren Beständigkeit wird entlarvt. Immerwährende Liebe gibt es nicht, weil keine Liebe so unerschütterlich ist, dass sie am Ende nicht doch zum Scheitern verurteilt ist. So auch bei Walther und Honorine, die beide eine Liebesenttäuschung erfahren. Zwar hat Honorine von

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Anfang an damit gerechnet, dass sich ihre Vergangenheit dem Glück in die Quere stellen wird, dennoch hat sie ihren Gefühlen nachgegeben. Ihr bleibt als logische Konsequenz nur die Entsagung (in Form ihres Todes), die sie Walther gleich einem Geschenk darbietet: „Mit meinem Tod erkaufe ich Dir das Recht mich wieder zu lieben.“ (H, 118) Von Beginn ihrer Beziehung an wehrt sich Honorine beständig gegen Walthers Werben, bis sie schließlich doch nachgibt. Diese Zurückhaltung und Zaghaftigkeit scheinen jedoch mit ein Grund dafür zu sein, dass Walther Honorine gleichsam auf ein Podest stellt und sie als das reinste Wesen sehen lässt. Durch die daraus resultierende Glorifizierung Honorines stellt Walther unrealistische Ansprüche an seine Partnerin, was eine Form der Hybris darstellt, die schließlich die zerstörenden Mächte (also die schicksalshafte Begegnung mit Lord Chartrey im Foyer der Oper) hervorruft. Die Beziehung ist also von Anfang an zum Scheitern verurteilt.

Die Schönheit und der Schmerz

Auch Honorine ist wie schon Lady Maria in „Die Ehre des Hauses“ charakterisiert durch ihre äußere Schönheit, die vielfach thematisiert wird. Honorine wird „von außerordentlicher Schönheit“ (H, 12) geschildert: „Ihre Schönheit war eben so eigenthümlich, wie ausgezeichnet. Beinahe zu groß für eine Frau, beinahe zu schlank für solche Größe, verliehen ihr doch eben diese Fehler im Verein mit der blendenden Weiße ihres Teints, Ähnlichkeit mit einer Lilie.“ (H, 12) Doch diese Schönheit ist bei Paoli nicht ungetrübt: „So viel verschwiegener Schmerz und verachtender Stolz malte sich auf den bewunderungswürdigen Zügen.“ (H, 19) Im Gegensatz zu Honorines äußerer Schönheit steht die Schäbigkeit ihres Wohnhauses in einem Pariser Vorort. „Das Haus war unansehnlich, der kleine Hof dunkel und schmutzig, und seiner [Walthers] Fantasie wollte es nicht eingehen, daß ein Engel […] sich ein so schlechtes irdisches Absteigequartier gewählt habe.“ (H, 17) Interessant ist auch Walthers sich verändernde Einschätzung Honorines. Er hält sie anfangs für wenig ehrenhaft und schicklich, da er sie doch bei ihrer ersten Begegnung abends alleine auf der Straße antrifft. Jedoch revidiert er seine Meinung, nachdem er einen Dankesbrief an Honorine findet: „Wäre sie denn wirklich so gut, wie sie schön ist?“ (H, 16) Hier wird ein direkter Zusammenhang von äußerer Schönheit und inneren Werten ersichtlich. Walther argumentiert auch mit ihrer Schönheit, als er Honorine drängt, ihm zu erlauben, sie wieder besuchen zu dürfen: „Ihre Furcht ist unbegründet. Sie sind zu bewunderungswürdig schön, als daß man sich in Sie verlieben könnte, wie in eine hübsche Frau.“ (H, 30) Honorine ist offenbar zu

92 schön für die Liebe. Walther erkennt aber nicht nur Honorines äußere Schönheit, sondern leitet davon auch ihre Herkunft, die wohl adelig sein muss, ab: „Aus der Sorgfalt, mit der sie selbst in ihrer Zurückgezogenheit die Schönheit ihres prachtvollen Haares und ihrer marmorgleichen Hände pflegte, war zu entnehmen, daß sie von Jugend auf daran gewöhnt worden sei, ihrer Person jene Beachtung zu schenken, welche nur Frauen aus höheren Ständen auf sich verwenden.“ (H, 33) Auffällig an der Beschreibung von Schönheit ist wie schon bei Maria in „Die Ehre des Hauses“ das schwarze Haar und der blasse Teint, die eine Ähnlichkeit mit der Autorin erkennen lassen. Durch Umstände, die zu Beginn weder Walther noch dem Leser bekannt sind, ist Honorine nun aber gezwungen, in einer „Umgebung zu leben, die ihren Sinn für Schönheit und feinen Lebensgenuß unaufhörlich verletzen“ (H, 33) – eine Entwicklung, die ihr „schmerzlich“ sein muss, wie Walther vermutet. Hier lässt sich ein direkter Zusammenhang zwischen Schönheit – und zwar jener der Umgebung – und vermeintlich glücklichem Leben erkennen. Die Schönheit Honorines bleibt auch in Zeiten großen Schmerzes im Zuge des nahenden Beziehungsendes bzw. Honorines Tod Thema: „Das weiße Nachtgewand floß in weichen Falten um die rührend schöne Gestalt; das schwarze Haar umwogte sie, aufgelöst wie ein Trauerschleier.“ (H, 89) Diese Verbindung von Schönheit, Schmerz und dem unentrinnbaren Schicksal zeigt sich auch im Vergleich mit einer „marmorne[n] Trauergestalt auf einer Gruft“ (H, 90) oder in der Schilderung „Schmerzvoll und ernst, doch leuchtend und erhaben, stand sie vor ihm. […] Sie glich einer büßenden Heldin […] und heilig war ihre Abkunft.“ (H, 101) Interessant ist, dass Paoli in dieser Novelle eine positive Wertung von seelischem Schmerz unternimmt. Diese zeigt sich deutlich in der Schilderung der Veränderung von Honorines Wesen auf der Hochzeitsreise. Die neuen Eindrücke der Reise helfen, „Honorines früheren Trübsinn zu verscheuchen.“ (H, 67) Schmerz wird hier als einengende, aber notwendige Hülle geschildert, in deren Inneren sich eine Entwicklung vollzeiht: „Wie der Schmetterling seine Hülle, so durchbrach die angeborene Lieblichkeit und heitere Anmuth ihres Wesens jede Verpuppung des Schmerzes.“ (H, 67) Die Figur der Honorine ist zwar schön, aber anders als Maria in „Die Ehre des Hauses“ nicht so stolz gezeichnet. Während sich Maria ganz über die Ehre definiert, scheint Honorines Würde aufgrund der Geschehnisse in ihrem Leben, die sie aus Not dazu drängten, sich Lord Chartrey als Mätresse zu verpflichten, bereits gebrochen zu sein. Der Stolz spielt damit in dieser Novelle keine so gewichtige Rolle wie in der oben behandelten „Die Ehre des Hauses“. Wenn Honorine sagt: „Ehre und Tugend verstummten in meiner Brust“ (H, 96), bedeutet das auch, dass sie keinen Anspruch an Ehre mehr stellt, was vielleicht auch daran liegt, dass sie

93 nach dem Tod ihres Vaters und ihres Bruders eigentlich für niemanden mehr sorgen muss und auch niemandem mehr Rechenschaft ablegen muss, außer sich selbst.

Die Liebe und die Abhängigkeit

Wie auch die anderen Heldinnen in Paolis Novellen ist die Figur der Honorine als Frauenfigur flach und beinahe klischeehaft gezeichnet. Honorine sucht ganz den gesellschaftlichen Konventionen des 19. Jahrhunderts gemäß ihr Glück in der Ehe und bindet sich dadurch finanziell und emotional an ihren Mann Walther. Diese emotional-psychische Abhängigkeit wird in „Honorine“ besonders deutlich. Für den Erzähler ist klar, dass es nicht notwendig ist, „daß eine Frau die Beschäftigungen ihres Gatten theile, aber Sinn und Interesse muss sie dafür haben, wenn er sich nicht trostlos allein fühlen soll.“ (H, 68) Daraus ergibt sich, dass die Ehefrau ihren Ehemann emotional unterstützen soll. Honorine entspricht dieser Forderung vorbildlich und identifiziert sich ganz mit Walthers Werk: „Ich liebe Deine Bilder, als hätte ich sie selbst gemalt.“ (H, 69) Nach der Wende im zweiten Teil der Novelle ist die Beziehung von Walther und Honorine fragil. Die Fassade ihrer Liebe hat Risse bekommen und bröckelt, wie auch die einst prächtigen Paläste Venedigs, die symbolisch für die Vergänglichkeit ihrer Liebe stehen. Durch die Fixierung Honorines auf Walther sind keine anderen Interessen ihrerseits vorhanden, womit auch kein anderer Ausweg als der Tod offen ist. Diese Fixierung auf die Partnerin ist auch in der Figur von Walther zu finden. Schon in Paris ist es er, der Honorine drängt, ihm zu erlauben, sie weiterhin besuchen zu dürfen – selbst wenn sich dies bei einer alleinstehenden Dame nicht schickt. Auch fleht er Honorine förmlich an, sie zu heiraten, obwohl sie zu bedenken gibt, dass sie seiner „nicht würdig“ (H, 57) sein könnte. Doch Walther ist von der Vorstellung, die er von Honorine konstruiert hat, geblendet und dementiert: „Weiß ich nicht, dass noch kein reineres Weib über diese dunkle Erde ging?“ (H, 57) Himmel sieht in Walther das Motiv des wahnsinnigen Ehemannes.325 Wahnsinnig deshalb, weil er seine Ehefrau auf ein allzu hohes ideelles Podest hebt, was für Himmel eine Form des Wahns darstellt, da Walther an einem subjektiven und deswegen unsozialen Weltbild verzweifelt festhält. Dieser Wahn verstärkt auch den zentralen Konflikt, der sich aus der früheren Beziehung Honorines zu Lord Chartrey ergibt: Auf ein allzu hohes Podest gehoben, ist die Fallhöhe umso größer.

325 Vgl. Himmel, Probleme der Biedermeiernovellistik, S. 52. 94

Die Liebe und die emotionale Abhängigkeit veranlassen Honorine dazu, alles für Walther zu tun: „Um ihm Freude zu machen, zwang sie sich zum Lächeln.“ (H, 67) Honorine gibt die ihr zugesicherte Stelle als Harfenistin einer schwedischen Gräfin und damit auch die Möglichkeit, selbst für ihren Lebensunterhalt und ihre gesicherte Existenz aufkommen zu können, für Walther auf. Sie heiratet Walther und folgt ihm nach Venedig, wo sie ihn unterstützt, indem sie ihn arbeiten lässt. Hier zeigt sich die Zuweisung von Arbeit und Aktivität zu Männlichkeit im Gegensatz von Schweigen und Passivität zu Weiblichkeit. Aus Liebe zu Walther begleitet Honorine ihren Gatten in die Oper, obwohl sie auf dramatische Musik stets sehr emotional reagiert: „Walther […] ruhte nicht eher, bis Honorine ihm zu Liebe den Wunsch aussprach, dieser Vorstellung beizuwohnen.“ (H, 70) In der Oper kommt es zur schicksalhaften Begegnung mit Chartrey, die eine Wende markiert und den zweiten Teil der Novelle einleitet. War der erste Teil noch geprägt vom Zueinanderfinden der beiden Hauptfiguren, behandelt der zweite Teil quasi das Gegenteil davon, nämlich die gegenseitige Entfremdung der Eheleute. Die Liebe der Eheleute zueinander wird zwar nicht angezweifelt, jedoch wird eine klare Unterscheidung zu Glück gemacht: die beiden können sich weiterhin lieben, aber sie werden miteinander nicht mehr glücklich sein können, was wiederum die Verbindung von Liebe und Schmerz verdeutlicht. Walther sieht die Verfehlung Honorines nicht als Resultat einer (finanziellen) Notsituation, sondern bei Honorine selbst. Aber auch Honorine sieht sich selbst als Entehrte und als Lügnerin. Ihr war von Anfang an bewusst, dass sie aufgrund ihrer Verfehlung in der Vergangenheit beziehungsuntauglich ist und sieht sich selbst als unwürdig und „nicht werth“ (H, 70) Walthers Frau zu sein. Die Abhängigkeit Honorines von Lord Chartrey ist rein finanzieller Natur, jedoch umso existentieller. Denn aufgrund ihrer ungenügenden Ausbildung war sie nicht in der Lage, ihren Bruder und sich selbst zu erhalten, wie im Folgenden dargestellt wird.

Die versteckte „Frauenfrage“

Interessant an der Novelle „Honorine“ ist die Thematisierung der ungenügenden Mädchenerziehung. In einer nach außen hin scheinbar harmlosen Novelle verpackt Betty Paoli in der Vergangenheit ihrer Titelheldin eine fundamentale Kritik am herrschenden Ausbildungssystem des 19. Jahrhunderts. Zu bedenken gilt hier, dass diese Novelle bereits 1844 erschienen ist, also vier Jahre vor der Revolution und somit noch zur Zeit der Zensur Metternichs. In der „Beichte“, in der Honorine ihrem Ehemann Walther erklärt, woher sie

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Chartrey kennt, gibt sie die Schuld an ihrer Misere ihrer ungenügenden Ausbildung, die sie daran hinderte, einer Erwerbstätigkeit nachgehen zu können: Der Tod meines Vaters hatte mich und Hippolyte in der gänzlichen Hilflosigkeit zurückgelassen; dennoch verlor ich nicht den Muth, ich wollte ja gern arbeiten, und die Verpflichtung, die ich übernommen hatte, für meinen Bruder zu sorgen, war so heilig, daß mir schien, der Himmel m ü s s e mir helfen, sie zu erfüllen. Es kam anders; mit Schrecken gewahrte ich, daß ich meine Fähigkeiten überschätzt hatte, daß die wenigen Talente, die ich besaß, allenfalls zu meinem Zeitvertreib dienen könnten, ohne mir jedoch von wahrem Nutzen zu sein. Vergebens bot ich meine Dienste als Musiklehrerin an; ich war zu jung, zu wenig bekannt, um Schüler zu finden. […] Ich nahm meine Zuflucht zu weiblichen Arbeiten, doch meine Ungeübtheit, mein geringes Geschick machte alle meine Anstrengungen fruchtlos. Wenn ich auch Tag und Nacht am Stickrahmen saß, konnte ich doch nicht die Hilfe dessen erschwingen, was unsere nothwendigsten Bedürfnisse dringend erheischten. (H, 91 f.)

In der Folge wird Honorine zwar eine für Frauen im 19. Jahrhundert angemessene Stelle als Gesellschafterin angeboten, jedoch lehnt sie diese ab, da sie dafür ihren kleinen Bruder in Pflege geben müsste. Honorine sieht aber ihren Lebenssinn in der Pflege des Bruders. Zur selben Zeit bekommt sie auch das Angebot Lord Chartreys, seine Mätresse zu werden, was sie anfangs – selbstverständlich – ausschlägt. Honorine arbeitet weiterhin als Stickerin: „Uebung hatte meine Geschicklichkeit vermehrt, ich vermochte wenigstens so viel zu erschwingen, als jeder Tag forderte.“ (H, 94) Dabei gilt es zu bedenken, dass die Arbeitslosigkeit eine alleinstehende Frau im 19. Jahrhundert besonders hart traf, denn „der Sozialdefekt eines unverheirateten Mannes ist weit geringer als der einer unverheirateten Frau, da dem Mann der öffentliche Bereich unabhängig von seinem familiären Status zur Verfügung steht.“326 Dann folgt der ausschlaggebende Schicksalsschlag in Honorines Leben: „Von dem Uebermaß der Anstrengung erkrankten meine Augen […]; denn ein dunkler Schleier lag für mich über alle Gegenstände gebreitet; […] ich konnte nichts als die Hände in den Schoß legen, und verzweifeln.“ (H, 94) Da begegnet sie erneut Chartrey, dessen Angebot sie schließlich vor allem wegen ihres kranken Bruders annimmt. Es gilt zu betonen, dass Honorine nach dem Tod ihres Vaters sehr wohl bereit war, den Lebensunterhalt für sich und für ihren jüngeren Bruder mit Arbeit zu bestreiten. Ihre ungenügende Ausbildung und die Beschränkung auf eine reduzierte Auswahl einiger weniger, als angemessen geltender Berufe verhinderten aber ihre Unabhängigkeit und Selbständigkeit. Trotz allem wäre aber die eigentliche Erfüllung Honorines Glücks im Dienen der Familie (die in diesem Fall nur noch aus einem Bruder besteht) zu finden. Die Bedeutung einer selbständigen Tätigkeit und einer sinnvollen Beschäftigung für Frauen abseits von profaner Existenzsicherung wird deutlich, wenn die

326 Wozonig, Die Literatin Betty Paoli, S. 149. 96

Autorin Honorine sagen lässt: „Thätigkeit und ernstes Streben begannen mich mit dem Leben und mit mir selbst zu versöhnen.“ (H, 100) Weiters benützt Betty Paoli die Figur des Walther, um die große Affinität der Frauen zur Handarbeit zu kritisieren: Walther wußte es ihr Dank, daß er sie nicht arbeitend fand; er hatte eine wahre Idiosynkrasie gegen die sogenannten fleißigen Frauen, die auf einen Stickrahmen herabgebeugt, sich Teint und Haltung verderben, keinen Antheil an dem Gespräch nehmen, von lauter Zählen und Nachrechnen der Stiche nicht dazu kommen, andre als zerstreute, gedankenlose Antworten zu geben, und dieß Alles um ein Sophakissen oder ein paar Pantoffel zu sticken. (H, 36)

Durch Walther übt Paoli also Kritik an „fleißigen Frauen“ und an dem für Frauen vorgesehenen reduzierten Tätigkeitsbereich, wie sie es sonst mit eigener Stimme erst Jahre nach der Revolution in den 1860ern in den Feuilletonbeiträgen der „Neuen Freien Presse“ machen wird.

c) „Leonore“

Im letzten Teil der dreibändigen Novellensammlung „Die Welt und mein Auge“ steht erneut eine Novelle um eine Frauenfigur im Mittelpunkt. „Leonore“ entspricht mit einem Umfang von 101 Seiten dem einer Novelle. Inhaltlich befasst sich auch diese Geschichte mit der Liebe in einer Dreiecks-Konstellation bzw. mit dem Scheitern einer Liebe, jedoch anders als zuvor mit versöhnlichem Ausgang.

Formal gesehen erfüllt „Leonore“ die Ansprüche an eine Novelle des 19. Jahrhunderts. Die Einleitung präsentiert dem Leser einen Salon einer bürgerlich anmutenden Wohnung in – wie sich später zeigen wird – London, einem für die Zeit des Biedermeier exotischen Schauplatz. Danach folgt die Beschreibung des Äußeren und der inneren Aufgewühltheit einer jungen Frau, die sich als Titelheldin Leonore herausstellt. Als weiteres Novellen-Merkmal lässt sich ein zweiteiliger Aufbau erkennen. Der erste Teil beinhaltet die Beschreibung Leonores und den Besuch ihres alten Freundes Alfred. Durch die Schilderung der vergangenen drei Jahre in Leonores Leben erfährt der Leser, wie es zum Bruch mit ihrer Ziehfamilie – den Gurnetts – gekommen ist. Darüber hinaus erfährt man von Leonores Beziehung zu Edgar, den sie ungeduldig erwartet. Der Wendepunkt wird durch einen Abschiedsbrief, den Edgar Leonore zukommen lässt, eingeleitet. Auf diesen ersten Teil der Novelle, der geprägt ist vom Zerwürfnis Leonores mit Lady Gurnett und der Trennung von Edgar, folgt im zweiten Teil die 97

Versöhnung Leonores mit ihrer Vergangenheit. Diese ist allerdings nur mit der Hilfe ihres Freundes Alfred Barney möglich, der die gekränkte und aufbrausende Leonore vor weiteren Blamagen rettet. Schließlich erfolgt in dieser Novelle auch die Eingliederung des Individuums in die Gesellschaft: Leonore heiratet Alfred und geht mit ihm nach Kanada. Nicht nur das Ziel Kanada und der Schauplatz London machen die exotischen Elemente dieser Novelle aus. Die Titelheldin selbst stammt eigentlich aus Spanien. Leonore ist die Tochter des spanischen Grafen Don Ramon und seiner Frau Estevania de Solis. Nach dem politisch motivierten Tod des Vaters mussten Leonore und ihre Mutter aus Spanien fliehen und alle Güter zurücklassen. In Frankreich stirbt Leonores Mutter an den Strapazen der Flucht in einem für sie fremden Land und macht sie so mit nur zwölf Jahren zur Waisen. Diese Geschichte lässt Ähnlichkeiten zum Leben der Autorin erkennen, deren Mutter – wie bereits anfangs erwähnt – in Polen verstorben ist.

Die äußere und die innere Schönheit

Interessanterweise ist auch in dieser Novelle eine deutliche äußere Ähnlichkeit zwischen der Protagonistin und der Autorin zu entdecken: „Das Gesicht war länglich, schmal und vornehm, der Teint etwas südlich, die Stirne hoch und frei, die großen dunklen Augen von ungemeiner Schönheit. […] Das nachtschwarze, glänzende Haar fiel in langen Locken auf den zarten, schlanken Hals nieder.“327 Aber nicht nur äußerlich ähnelt die Figur der Leonore der Autorin. Wie auch Betty Paoli ist Leonore Waise und erhält sich selbst durch eine kreative Tätigkeit. Während Betty Paoli schreibt, findet die Figur der Leonore ein Auskommen, indem sie Blumenbilder (ein beliebtes Sujet der bildenden Künste zur Zeit des Biedermeier) malt und unter dem Künstlernamen Ellen Carrey verkauft. Das Innere der weiblichen Figuren spiegelt sich auch in dieser Novelle im Äußeren wider, wenn Leonore ein „Ausdruck von Leidenschaft und Seelengewalt“ (L, 3) attestiert wird. Ebenso ist in dieser Novelle eine Verbindung von Schönheit und Schmerz zu erkennen, nämlich in einem stolzen Zug um Leonores Lippen, der wohl von einem schmerzhaften Erlebnis herrührt. So wird schon auf den ersten beiden Seiten der Erzählung ein ausführliches Bild einer Frau geschaffen, die sich später als Titelheldin Leonore herausstellen wird. Diese anfängliche Schilderung verweist darauf, dass in der Vergangenheit der Titelheldin offenbar etwas passiert sein muss (daher der schmerzliche Zug im Gesicht) und sich der Leser noch auf

327 Betty Paoli: Leonore. In: Betty Paoli: Die Welt und mein Auge. Bd. 3. Pesth: Heckenast 1844, S. 1 – 102, S. 4. [Im Folgenden mit der Sigle L und einfacher Seitenzahl zitiert.] 98 mehr gefasst machen muss, denn Leidenschaft und Seelengewalt gehören nicht zu den Eigenschaften, die Frauen im 19. Jahrhundert traditionell zugeschrieben werden. Ebenso wie Leonore wird auch Edgar als schön geschildert „Seine Schönheit, der Adel seines Wesens, Alles bis auf die Vornehmheit seiner Erscheinung hatten einen tiefen Eindruck auf mich [Leonore] gemacht.“ (L, 38) Doch obwohl Leonore und Edgar beide attraktiv und adelig sind, sind sie dennoch zu unterschiedlich, um gemeinsam das Glück finden zu können. Denn ganz anders als Edgar wird Leonores Charakter als heißblütig und aufbrausend geschildert. Auch kann diese äußere Schönheit Edgars nicht mit der wahren Schönheit Alfreds konkurrieren. Alfreds Schönheit findet sich nämlich nicht in Vornehmheit oder Äußerlichkeiten, sondern in seinem Inneren: „Die ganze Schönheit seiner Seele malte sich in seinen Zügen und veredelte sie bis zur Verklärung.“ (L, 92) Im Gegensatz dazu hat Edgar das Nachsehen: „Edgar‘s Bild sank neben dieser edelreinsten Gestalt zur leeren Nichtigkeit herab.“ (L, 92) Die Liebesprüfung, ob es sich bei seiner Zuneigung um wahre Liebe oder bloße Leidenschaft handelt, besteht Edgar nicht. Alfreds ehrenvolle Absichten und seine aufrichtige Liebe zu Leonore tragen den Sieg davon.

Die Leidenschaft und die Liebe

In dieser Novelle wird das Motiv der Liebesprüfung aufgegriffen. Der Zufall bringt Leonore und Edgar zueinander: Eines Tages läuft Leonore in Gedanken vor Edgars Kutsche, die er nicht mehr rechtzeitig bremsen kann. Leonore ist nicht ernsthaft verletzt, aber offenbar unter Schock, also begleitet der Gentleman sie nach Hause. Wie auch schon Honorine lehnt Leonore weitere Hilfe ab: „Meine Wohnung ist nicht mehr fern; ich hoffe sie allein erreichen zu können.“ (L, 36) Edgar drängt sich jedoch regelrecht auf, um auf Leonore – die ihm durch ihren Akzent als mit London nicht vertraut scheint – sicher nach Hause zu geleiten. Der Frau wird die Selbständigkeit regelrecht entzogen. In der Folge ist es auch Edgar, der den Briefwechsel mit Leonore forciert und die Initiative für ein Wiedersehen ergreift. Schließlich folgt ein Brief, „in welchem er mir seine Leidenschaft […] offen gestand.“ (L, 39) Dieser Brief stellt das erste Anzeichen dafür dar, dass hier das Motiv der Liebesprüfung eingeführt wird. Dabei soll sich herausstellen, ob es sich bei den Gefühlen Edgars um wahre Liebe oder bloße Leidenschaft handelt. Leonore wird schon bald bewusst, dass Edgar ihr zwar Leidenschaft, aber nicht Liebe entgegenbringt. So wird er mit der Zeit immer kühler, streitet sich mit ihr, versetzt sie des Öfteren und erscheint schließlich gar nicht mehr. Gegen Schluss der Novelle wird dem Leser der Grund dafür offenbart: Edgar ist der Ziehschwester Leonores

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– Flora Gurnett – begegnet und hat sich in diese verliebt. Flora ist für Edgar eine wesentlich bessere Partie als Leonore, deren Beziehung er bis dato auch geheim gehalten hat, denn Flora kommt aus den richtigen Kreisen und ist ebenso vermögend. Auch würde Edgars Onkel diese Verbindung gutheißen. Vor allem aber passen ihre Wesensarten zusammen. Dies ist für Edgar der ausschlaggebende Punkt, sich endgültig von Leonore zu distanzieren. So schreibt er in seinem letzten Brief: „Wir taugen nicht für einander. Die sturmvolle Glut Ihres Wesens würde mich immer nur stören und ängstigen; die nordische Kälte des meinigen würde Sie tausend Mal verletzen.“ (L, 56) Hier wird die klischeehafte Zuschreibung von Heißblütigkeit zur Frauenfigur der exotischen Spanierin Leonore deutlich. Leonore und Edgar durchleben gemeinsam eine „emotionale Extrembeziehung, aus der sich beide Liebende zu ihrem eigenen Schutz lösen müssen, um an anderer Stelle lebbare Beziehungen zu setzen.“328 Eine leidenschaftliche Beziehung gilt im Biedermeier nicht als erstrebenswert. Eine allzu leidenschaftliche und wilde Verbindung darf nicht sein und muss einer weniger leidenschaftlichen und vernünftigeren Verbindung weichen, sonst droht dem Paar Wahnsinn oder gar Tod.329 Die Entsagung der wilden, leidenschaftlichen Beziehung passiert zugunsten des Individuums und ist auch in ihm begründet, so wie es in „Leonore“ heißt: „Die Nothwendigkeit unserer Trennung ist in unserer innersten Natur begründet.“ (L, 55) Daraus ergeben sich zwei Typen von Figuren, und zwar einerseits die der Leidenschaftlichen, die grundsätzlich nicht zu einer Entsagung bereit sind, und andererseits die Leidenschaftslosen, die ohnehin Entsagung praktizieren.330 Lukas stellt fest, dass diese Figurentypen als regelrechte Charaktertypen gezeichnet werden, wobei gerade die Leidenschaftlichen als extreme Individualisten und Entsagungsgegner konzipiert werden. Sie sind in der Regel durch und durch Egoisten, die nur ihren eigenen Wünschen folgen, sie leben im Moment ihrer Emotionen und sind durchaus auch zu Aggressionen bereit, wie zum Beispiel Leonore.331 Im Gegensatz dazu steht die Entsagung als Wille zur überindividuellen Unterwerfung, wobei hier eine Unterwerfung unter gesellschaftliche, allgemein verbindliche Normen gemeint ist, die zuvor aber schon verinnerlicht worden sein müssen.332 (Hier ist Maria in „Die Ehre des Hauses“ als Beispiel anzuführen.) Diese Haltung ist allerdings nicht unproblematisch, wie Lukas feststellt, denn durch die sozialen Veränderungen zur Zeit des Vormärz und des

328 Wolfgang Lukas: ‚Entsagung‘ – Konstanz und Wandel eines Motivs in der Erzählliteratur von der späten Goethezeit zum frühen Realismus. In: Zwischen Goethezeit und Realismus: Wandel und Spezifik in der Phase des Biedermeier. Hrsg. von Michael Titzmann. Tübingen: Niemeyer 2002. (= Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur. 92.), S. 136. 329 Vgl. ebda. 330 Vgl. ebda, S. 137. 331 Vgl. ebda. 332 Vgl. ebda, S. 137 f. 100

Biedermeier, die mit dem Verschwinden der Ständegesellschaft einhergehen, ergeben sich Probleme mit den neuen Werten und Normen.333 Das bezieht sich allerdings meistens auf bürgerliche Figuren. Diese leidenschaftlichen Figuren in der Literatur sind daher zumeist Adelige, die an einem altmodischen Werte- und Verhaltenskodex festhalten und dadurch für das Publikum interessant werden.334 Diesen adelig-leidenschaftlichen Figuren stehen meist bürgerlich-entsagende Figuren gegenüber, wie etwa Alfred und Flora in „Leonore“. Jedoch können diese Figuren auch auf einer brüderlichen Ebene geliebt werden und stehen daher für eine erotische Beziehung nicht zur Verfügung; Erfüllung findet sich nur in Leidenschaftlichkeit und Ungezähmtheit.335 In Zusammenhang mit Liebe und Leidenschaft lassen sich noch weitere Zuschreibungen und verallgemeinernde Beschreibungen von Weiblichkeit ausmachen: „Sie wissen nicht, wie wir Frauen sind: wir weinen oft, wo ein Mann gar keinen Grund zur Traurigkeit sähe; wir überschätzen kleine Liebesbeweise und ebenso dünkt uns die geringste Vernachlässigung ein unverantwortlicher Frevel.“ (L, 34) Hier wird Frauen im Allgemeinen eine hohe Emotionalität attestiert, die in der aufbrausenden Gestalt der Leonore ein plakatives Beispiel findet. Als die Situation nach Leonores unangemeldetem Besuch bei ihrer ehemaligen Ziehfamilie – den Gurnetts – eskaliert, ist es Alfred, der sich rettend vor sie wirft, indem er als Grund für Leonores Erscheinen angibt, dass sie seine Verlobte sei. Nur der edle Charakter Alfreds kann Leonore aus ihrem Dilemma, in das sie ihre eigene Heißblütigkeit gebracht hat, befreien. „Sie sind der reinste, edelste der Menschen!“ (L, 43), erkennt Leonore zwar schon zu Beginn, aber erst am Ende der Novelle begreift sie seinen wahren Edelmut und vor allem seine wahre Liebe zu ihr, die schließlich die Leidenschaft übertrumpft. Leonore sieht Alfred „zu hoch für ihre Liebe“ (L, 43) und findet sich selbst seiner unwürdig. Alfred jedoch versichert ihr seine wahre Liebe, die er bereits seit Jahren für sie empfindet. Leonore heiratet ihn schließlich und geht mit ihm nach Kanada, wo sie ein neues Leben erwartet. Die Hinwendung von Edgars Leidenschaft zur wahren Liebe Alfreds passiert mit Hilfe des Schmerzes, den die Protagonistin (ähnlich wie Honorine) durchleben muss: „Ihre Seele schwang sich von Schmerz und Leid zu der reinsten Liebeshöhe empor.“ (L, 102)

333 Vgl. ebda, S. 138. 334 Vgl. ebda. 335 Vgl. ebda. 101

Die versteckte „Frauenfrage“

Wie schon in „Honorine“ verarbeitet Betty Paoli auch in dieser Novelle das Thema der Frauenfrage. Dabei steht das Schicksal der Leonore quasi exemplarisch für das Frauenschicksal alleinstehender und auf sich allein gestellter jungen Frauen. Die bereits erwähnten Ähnlichkeiten zu Betty Paolis eigenem Leben sind nicht von der Hand zu weisen. Durch die Prüfungen, die das Leben für Leonore bereit hält, ist sie gezwungen, arbeiten zu gehen: „Ich mußte arbeiten, um zu leben.“ (L, 30) Jedoch gestaltet sich die Suche nach einer geeigneten Stellung schwierig: „Nun begann eine schwere trübe Zeit für mich; die Halbheit meiner Erziehung machte sich mir nur allzufühlbar.“ (L, 30) Wie schon erwähnt übt Paoli durch die Figur der Leonore Kritik an der Bildungssituation des 19. Jahrhunderts: „Wäre ich reich gewesen, so hätte, das Wenige, was ich wußte, vollkommen hingereicht […] da ich aber darauf angewiesen war, mir durch meine Talente meinen Lebensunterhalt zu erwerben, bemerkte ich bald mit Schrecken, wie wenig ausgebildet diese waren.“ (L, 30) Leonore spielt zwar Klavier und Harfe, zeichnet und malt, jedoch nach eigenen Angaben dilettantisch. „Mit qualvoller Beschämung“ wird ihr bewusst, dass sie sich „die Gelegenheit, etwas Tüchtiges zu lernen, hatte entgehen lassen.“ (L, 31) Leonore wird wie bereits erwähnt Blumenmalerin. Es gelingt ihr, sich mit ihrer kreativen Arbeit selbst zu erhalten, etwas Geld anzusparen und eine Wohnung in London zu mieten. Diese Selbständigkeit darf aber – ähnlich wie in den Feuilleton-Beiträgen Paolis, die ca. zwanzig Jahre später erschienen sind – nicht als erreichtes Ziel der Frau missverstanden werden. Die eigentliche Erfüllung des Lebensplanes einer Frau sieht Paoli nach wie vor in der Erfüllung traditioneller Muster und Werte, allen voran in der Ehe. Leonores Schicksal löst sich noch diesen Erwartungen, die die Gesellschaft des 19. Jahrhunderts an die Frauen stellt, gemäß auf. Leonore heiratet Alfred, der sie aufrichtig liebt. Somit findet auch sie ihre Bestimmung als Ehefrau an der Seite ihres Mannes.

4.3.2 Ergebnisse Novelle

Formal weisen die in dieser Arbeit behandelten Novellen mit Ausnahme der Überlänge von „Die Ehre des Hauses“ die Merkmale einer Biedermeiernovelle auf. Die zweiteilige Novellenform, die von der Romantik übernommen wurde, ist mit ihrem jeweiligen Wendepunkt zu erkennen. Auch liegt Paolis Novellen die allwissende Sichtweise eines auktorialen Erzählers zugrunde, der gut über das Seelenleben seiner Figuren sowie über die Gegebenheiten im exotischen Ausland des 19. Jahrhunderts Bescheid weiß. Die Geschichten

102 sind meist mit epischer Distanz mehrere Jahrzehnte in der Vergangenheit bzw. im Ausland angesiedelt, möglicherweise, um aufgrund dieser Distanz zumindest versteckt Kritik üben zu können und der Zensur zu entgehen. So erwähnt Paoli beinahe unauffällig quasi als Randnotiz politische Ereignisse wie den Warschauer Aufstand in „Honorine“ oder den Spanischen Bürgerkrieg in „Leonore“. Oberflächlich betrachtet stellen Paolis Novellen nicht unbedingt literarische Höchstleistungen dar, jedoch sind sie als typische Novellen, wie sie im 19. Jahrhundert bei einem großen Publikum beliebt waren, zu sehen. Davon zeugt auch die Veröffentlichung in diversen populären Zeitschriften des 19. Jahrhunderts. Sprachlich gesehen ist für Halper ganz klar, dass sich Paoli, die sich selbst vordergründig als Lyrikerin sah, auch in ihrer Prosa um „schöne Sprache“ bemüht hat.336 Die Frauenfiguren in Paolis Novellen zeigen sich von einer sehr traditionellen Seite. Wie in ihren Feuilletonbeiträgen wird auch in den Novellen „das Konzept der Geschlechtscharaktere […] nicht grundsätzlich hinterfragt.“337 Vielmehr zeigt sich bei der Lektüre von Betty Paolis Novellen die Konstruktion von Weiblichkeit betreffend eine Abbildung biedermeierlicher Normen und tradierter Werte des 19. Jahrhunderts. Dies findet sich in der Schilderung der Äußerlichkeiten als schlank, zart, wie Marmor, bleich etc. ebenso wie in der Darstellung der Persönlichkeit, die allerdings reduzierter ausfällt. Lediglich Leonore erfährt eine stärkere Charakterzeichnung, wohl aufgrund ihrer Exotik als Spanierin. In Paolis Novellen werden verschiedene Varianten weiblicher Lebensläufe durchgespielt und diskutiert.338 Sowohl in „Leonore“ als auch in „Honorine“ ist Vergangenheitsbewältigung ein zentrales Motiv, jedoch in verschiedenen Ausführungen. Honorine muss einen aus materieller Not begangenen Fehler verarbeiten, während Leonore nur in der wahren Liebe des Richtigen über die Enttäuschung einer Liebe zu einem moralischen Schwächling hinwegkommen kann.339 Das Happy End der „Leonore“ entspricht den Strukturen eines Trivialromans, denn nach dem Wetteifern von „Leidenschaft“ gegen „wahre Liebe“ kann sich das konventionelle Liebesprogramm durchsetzen.340 Im Vergleich dazu muss auch Maria in „Die Ehre des Hauses“ einen Fehler der Vergangenheit verarbeiten, jedoch mit dem Unterschied, dass sie diesen nicht selbst verursacht hat.

336 Vgl. Halper, Vorwort, S. 29. 337 Wozonig, Liebeslyrik und Biedermeierprosa, S. 99. 338 Vgl. Fliedl, Auch ein Beruf, S. 78. 339 Vgl. ebda. 340 Vgl. ebda, S. 79. 103

Die Autorin bedient sich also in ihren Novellen althergebrachter Muster – sowohl den Aufbau der Geschichten als auch die Charakterzeichnungen betreffend. Hier wird der Unterschied zu Paolis Liebeslyrik deutlich, in der sie das lyrische Ich als selbständige, starke und kreativ schaffende Frau darstellt. Die Novellen und ihre Frauenfiguren bieten keine solchen Lebensentwürfe an; lediglich Leonore ist als Malerin schöpferisch tätig und für ihr eigenes finanzielles Auskommen verantwortlich. Die beiden Hauptfiguren Maria und Honorine sind wie auch die Nebenfigur der Lady Helene nicht nur finanziell (also existenziell) von ihren Ehemännern abhängig, sondern auch emotional. Der Wunsch nach Lebens- und Liebesglück ist bei allen Frauenfiguren der hier bearbeiteten Novellen gegeben. Die Erfüllung sollte mittels Ehe, Mutterschaft und Häuslichkeit passieren. Dass diese Wünsche keine Erfüllung finden und die Beziehungen zum Scheitern verurteilt sind, kann als Kritik an überkommenen Beziehungsvorstellungen gedeutet werden. Die Definitionen von „Männlichkeit“ und „Weiblichkeit“ sind problematisch geworden, was den bis dahin gültigen Ehemodellen die Basis nimmt und diese missglücken lässt.341 Dennoch bleibt es Ziel der Frauen, einen Mann zu finden. Das ist in der Novellenwelt Paolis ganz natürlich. Die Frau ordnet sich nicht nur dem Mann unter, sondern der ganzen Familie bzw. dem ganzen biedermeierlichen System: „Erst an der Seite eines geliebten Mannes scheint ein Leben sinnvoll zu sein, wobei die erfüllte und glückliche Liebe natürlich nur in der Ehe möglich ist.“342 Andersherum ist allerdings keine Ehe ohne Liebe möglich, was sich u.a. in „Die Ehre des Hauses“ zeigt. Marias und Francis‘ Beziehung ist von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil ihr Ausgangspunkt nicht die wahre Liebe ist. Folglich bilden Liebe und Stolz die beiden Spannungspole in den Novellen Paolis, wobei die Liebe immer als das Hauptziel und eigentlicher Lebenssinn der weiblichen Figuren gesehen wird.343 Rabitsch sieht Betty Paolis Talent in der „Seelenzeichnung“, vor allem der weiblichen Figuren ihrer Novellen.344 Auch ist sie der Auffassung, dass Paoli „die Vorgänge in der Frauenseele […] minutiös“ schildert, was als „Beitrag zum Verständnis der Frau“ gesehen werden könne.345 Dabei scheint Rabitsch zu entgehen, dass Paoli bei ihren Frauenfiguren immer wieder auf dieselben Gestaltungsmuster zurückgreift, weshalb sich die Charaktere stark ähneln, allem voran das Aussehen betreffend. Diese Arbeit zeigt, dass die Frauencharaktere in den hier behandelten Novellen relativ flach gestaltet sind und idente Charakterzüge aufweisen. So kommen alle Frauenfiguren aus

341 Vgl. Bolterauer, Das Geld, die Liebe und die Kunst, S. 229. 342 Brunnauer, Losgelöst und festgeschrieben, S. 85. 343 Vgl. ebda. 344 Rabitsch, Betty Paoli als Epikerin, S. 175. 345 Vgl. ebda. 104 derselben Schicht, nämlich dem Adel, und haben auch dasselbe Verständnis von Schlüsselbegriffen wie Liebe, Schmerz und Ehre. Auch wenn die auslösenden Konflikte unterschiedlichen Ursprungs sind, bleiben die Reaktionen der Frauen dieselben. Wie in „Die Ehre das Hauses“ ist auch in „Honorine“ die Angst vor dem Urteil der Gesellschaft vordergründig. Maria fürchtet die Entwertung des guten Namens Brandon, Honorine fürchtet die Entwertung ihrer Liebe durch Walther, wenn denn die Wahrheit aus der Vergangenheit auftauchen sollte. Was allen untersuchten Frauenfiguren jedoch gemein ist, ist die fast ausschließlich positive Wertung ihrer Eigenschaften – der inneren ebenso wie der äußeren. Allen voran ist hier die Schönheit der Protagonistinnen zu nennen, die zwar nicht unbedingt detailreich, aber überaus häufig geschildert wird. Die Frauenfiguren sind immer schön – in jungen ebenso wie in reiferen Jahren, ja sogar noch am Totenbett. Schönheit scheint ein den Frauen innewohnendes Merkmal zu sein. So zeigt sich in „Die Ehre des Hauses“ die Schönheit selbst noch bei der sterbenden Lady Helene, und die junge Lady Maria bezaubert ebenso mit ihrer dunklen Schönheit alle, wie auch Leonore mit ihrer aufregenden exotischen Schönheit alle fasziniert. Weiters werden die Frauenfiguren als mild und sanftmütig, still und tugendhaft, unschuldig und ehrbar beschrieben – allesamt traditionelle weibliche Tugenden. Davon ausgenommen ist Leonore, deren Heißblütigkeit aber durch ihre spanische Herkunft implizit „entschuldigt“ wird.

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5 Zusammenfassung

Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde anhand ausgewählter, konkreter Beispiele gezeigt, wie die Autorin Betty Paoli in ihrem Werk Weiblichkeit konstruiert. Nach Darlegung grundlegender Gegebenheiten des 19. Jahrhunderts das gesellschaftliche Leben, die unterschiedliche Ausbildung von Knaben und Mädchen sowie das Leben der Frauen im Speziellen betreffend, erfolgte ein Einblick in die Literatur des Biedermeier mit Fokus auf die Gestaltung von Novellen. Da das Leben der Betty Paoli eine unmittelbare Auswirkung auf ihre Arbeit als Schriftstellerin hatte, wurde auch ihre Biografie kurz skizziert. So sprengte Betty Paoli mit ihrer für damalige Verhältnisse unkonventionellen Lebensart zahlreiche gesellschaftliche Grenzen der bürgerlichen Ordnung. Nicht nur verfügte sie über ein fundiertes Wissen, das sie sich in mühevollem Eigenstudium selbst angeeignet hatte, auch war sie unverheiratet und kinderlos. Sie reiste viel und vor allem alleine und rauchte Zigarren – ein damals allein Männern vorbehaltenes Laster. Am auffälligsten ist jedoch, dass Betty Paoli sich mit ihrer Arbeit finanziell selbst erhalten konnte. Zum einen gelang ihr dies durch „angepasste“ Tätigkeiten, die Frauen dieser Ära zugebilligt wurden, wie es ihre Engagements als Gouvernante, Vorleserin, Übersetzerin, Nachhilfelehrerin oder auch Gesellschafterin zeigen. Zum anderen sorgte sie jedoch – ganz entgegen der Norm – durch ihre schriftstellerische Tätigkeit für ihren Unterhalt. Galt ihre Vorliebe dem gesellschaftlich einigermaßen akzeptieren Verfassen von Lyrik, schrieb sie doch auch zahlreiche Novellen und Feuilletonbeiträge. Diese Betätigung als Journalistin kann im 19. Jahrhundert geradezu als „exotisch“ eingeordnet werden. Fest steht jedoch: Betty Paoli war bereits zu ihren Lebzeiten berühmt, vor allem für ihre Lyrik. Dies änderte sich jedoch aus nicht zu erschließenden Gründen und das Werk der Autorin versank mehr oder weniger in der Unbekanntheit. Lediglich einige vereinzelte Diplomarbeiten widmeten sich Paoli. Seit in den 1980er Jahren Schriftstellerinnen in den Fokus der Frauenforschung geraten sind, hat sich jedoch viel getan. Zwar bezeichnete Brunnauer die Sekundärliteratur Paoli betreffend 2010 noch als „überschaubar“, aber gerade in den letzten fünf bis sieben Jahren hat die Literatur Paolis einen Aufschwung erfahren, wobei hier vor allem die Arbeit Karin S. Wozonigs zu erwähnen ist, die sich für ein Wiederentdecken Paolis engagiert.

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Bei der Untersuchung der ausgewählten Gedichte, Feuilletonbeiträge und Novellen Paolis wurde ersichtlich, dass Paoli je nach Gattung unterschiedliche Typen von Weiblichkeit konstruiert. So bietet Betty Paolis von der Spätromantik beeinflusste Lyrik alternative Konzepte von Weiblichkeit, die im Gegensatz zu gängigen biedermeierlichen Vorstellungen von Bürgerlichkeit und Familie stehen. In diesen Gedichten ist das lyrische Ich zumeist als starke, weibliche Persönlichkeit auszumachen, die sich der geläufigen gesellschaftlichen Norm des 19. Jahrhunderts mit ihren tradierten Werten nicht unterwirft. Das Besondere daran ist nicht nur, dass das lyrische Ich zu seinen Gefühlen steht, sondern auch, dass es diese ungeniert öffentlich macht. Diese Offenheit brachte der Dichterin zu Lebzeiten vielfach Kritik ein. Diese Gedichte können quasi als ein Kanal für Paolis Selbstdarstellung als Subjekt gesehen werden. Als Dichterin ist sie nicht bloß das schöne Objekt einer Fremdzuschreibung. Dem Leser präsentiert sich damit eine Alternative zu den herrschenden Geschlechterrollen in Gestalt eines lyrischen Ich, das eine starke, selbstbewusste und aktiv schaffende Frau ist. Die Zeitgenossen Paolis konnten sich darüber hinaus in ihrer eigenen Person von der Realisierung dieser Alternative ein Bild machen.

Eine ganz andere Konstruktion von Weiblichkeit ergab sich bei der Untersuchung der Feuilletonbeiträge Paolis für die „Neue Freie Presse“. Die Essays zeigen ein traditionelles, den Werten des 19. Jahrhunderts verhaftetes Frauenbild. Paoli plädiert zwar für eine bessere Ausbildung von Mädchen und für den freien Zugang zum Arbeitsmarkt für Frauen, jedoch nur, um so eine Lösung für das sozialökonomische Problem der sogenannten „Frauenfrage“ finden zu können. Das heißt, für Betty Paoli war die Frauenfrage eine rein ökonomische. Sie forderte keine radikal-emanzipatorischen Umwälzungen und akzeptierte den „natürlichen Geschlechtscharakter“ der Frau als gegeben. Man kann also von einer Erweiterung des Bildes von „Weiblichkeit“ im herrschenden Geschlechterdiskurs sprechen. Diese gemäßigte Einstellung verschaffte Paolis Beiträgen den prominenten Platz auf der ersten Seite der „Neuen Freien Presse“. Wahrscheinlich wusste Paoli aus eigener Erfahrung am besten, welche Probleme es mit sich brachte, das Leben als alleinstehende Frau meistern zu müssen. Folglich ist anzunehmen, dass sie Änderungen und Verbesserungen nur verhalten und gesellschaftskonform forderte, um sicherzustellen, dass ihre Ideen in den herrschenden (männlichen) Diskurs eingegliedert wurden.

Die genauere Betrachtung dreier ausgewählter Novellen Paolis zeigte unterdessen Konformität in mehreren Belangen. So erwies sich die äußere Form der Novellen (mit

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Ausnahme des größeren Umfanges von „Die Ehre des Hauses“) als für das 19. Jahrhundert typisch. Hierzu sind etwa der zweiteilige Aufbau mit Wendepunkt, das Spiel mit der Exotik oder der auktoriale Erzählstil zu zählen. Auch zeigte sich die Konstruktion von Weiblichkeit als den Normen des 19. Jahrhunderts angepasst. Wie in den Essays wird auch in Paolis Novellen die „natürliche“ Geschlechterordnung nicht hinterfragt. Das Glück liegt ganz klar in den Institutionen Ehe und Mutterschaft. Dass dies eine (emotionale und finanzielle) Abhängigkeit bedeutet, ist irrelevant. Wenn diese gesellschaftlich gesetzten Ziele nicht zufriedenstellend erreicht werden können, bleibt für die Protagonistinnen als Ausweg nur der Tod. Auch sind die Frauenfiguren der bearbeiteten Novellen eher flach geschildert und zeichnen sich hauptsächlich durch ihre Schönheit aus. Auffällig dabei ist, dass die Protagonistinnen allesamt eine starke äußere Ähnlichkeit mit der Autorin aufweisen. Der Stolz der Frauenfiguren lässt sich auf die gesellschaftlich gesetzten Vorstellungen dessen, was „redlich“ und „ehrenhaft“ ist, zurückführen. Interessant ist die am Rande formulierte Kritik an mangelnder Bildung und an der Unzugänglichkeit des Arbeitsmarktes für Frauen in den Novellen „Leonore“ und „Honorine“, in der Paoli die Frauenfrage an fiktiven Beispielen konkretisiert.

Zusammenfassend lässt sich folglich die eingangs formulierte These, ob Weiblichkeit in Paolis Werk eine Rolle spielt mit einem „Ja“ beantworten. Wie angenommen zeigte sich, dass Weiblichkeit in den verschiedenen von Paoli bedienten Gattungen unterschiedlich dargestellt wird. Wird in den Gedichten ein starkes, selbständiges weibliches lyrisches Ich präsentiert, finden sich in den Novellen Darstellungen von Weiblichkeit, die dem gesellschaftlich normierten Kodex entsprechen. Auch die Feuilletonbeiträge, die durchaus Veränderung für Frauen fordern, basieren auf einem Weiblichkeitsbild, das die tradierten Werte des 19. Jahrhunderts widerspiegelt.

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6 Literaturverzeichnis

6.1 Primärliteratur

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BETTY PAOLIS GESAMMELTE AUFSÄTZE. Hrsg. von Helene Bettelheim-Gabillon. Wien: Verlag des Literarischen Vereins in Wien 1908. (=Schriften des Literarischen Vereins in Wien. 9.)

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BRINKER-GABLER, Gisela (Hrsg.): Deutsche Dichterinnen vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuch-Verlag 1979.

BRUNNAUER, Agnes: Losgelöst und festgeschrieben. Frauenbilder in ausgewählten Novellen vom Bürgerlichen Realismus bis zur Gegenwart. Salzburg, Univ., Diss. 2010.

BÜRGERSINN UND AUFBEGEHREN. Biedermeier und Vormärz in Wien. 1815 – 1848. Katalog zur 109. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, Karlsplatz, Im Künstlerhaus, Karlsplatz 5, 17. Dezember 1987 bis 12. Juni 1988. Wien: Eigenverlag der Museen der Stadt Wien [u.a.] Volk 1988.

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DROFENIG, Maria: Betty Paolis lyrische Gedichte. Graz, Univ., Diss. 1934.

EHMER, Josef: Der Wandel der Familienstruktur im Wiener Biedermeier. In: Bürgersinn und Aufbegehren. Biedermeier und Vormärz in Wien. 1815 – 1848. Katalog zur 109. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, Karlsplatz, Im Künstlerhaus, Karlsplatz 5, 17. Dezember 1987 bis 12. Juni 1988. Wien: Jugend und Volk 1988, S. 548 – 551.

FLIEDL, Konstanze: Auch ein Beruf. „Realistische“ Autorinnen im 19. Jahrhundert. In: Deutsche Literatur von Frauen. Zweiter Band. 19. und 20. Jahrhundert. Hrsg. von Gisela Brinker-Gabler. München: C.H. Beck 1988, S. 69 – 85.

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GEBER, Eva: „Mir aber ward solch sanfte Milde von der Natur nicht eingeflößt.“ In: Betty Paoli. Was hat der Geist denn wohl gemein mit dem Geschlecht? Hrsg. von Eva Geber. Wien: Mandelbaum Verlag 2001, S. 7 – 65.

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