Wir Wollten Die Welt Veraendern.Pdf
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Paul Müller Buchclub Ex Libris Zürich Lizenzausgabe für den Buchclub Ex Libris Zürich 1988 © 1987 Athenäum Verlag GmbH, Frankfurt/M. Alle Rechte vorbehalten Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf fotomechanischem Wege (Fotokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Gesamtherstellung: Bercker, Graphischer Betrieb GmbH, Kevelaer Printed in West-Germany Eingescannt mit OCR-Software ABBYY Fine Reader Vorwort Es ist schwierig, zu einem Erinnerungsband von Paul Müller Einlei- tungszeilen zu schreiben. Denn sein erstes Buch liess bereits erkennen, wie lebendig er berichten kann und wie wenig er also im Grunde der Einführung bedarf. Paul und ich gehören der gleichen Altersschicht an; die beiden Jahre, die er älter ist als ich, ändern wenig an der Gemeinsamkeit de- sen, was wir erlebt haben und was unsere Existenz bestimmt hat. Für uns beide war der Erste Weltkrieg das Ereignis, das unsere Kindheit regiert hat. Beide kamen wir eben deshalb – weil wir künftigen Ge- nerationen ersparen wollten, einen neuen Massenmord, ähnliches Elend und gleichen Hunger durchstehen zu müssen – ganz jung – er als Lehrling, ich als «höherer» Schüler – in die Arbeiterjugendbewe- gung, und zwar in derselben Stadt. Paul Müller ging in die Arbeiter- jugend, die mit der Mehrheitssozialdemokratie liiert war, ich – weil die Empörung über den Mord an Karl Liebknecht und Rosa Luxem- burg mich dahin führte – in die Freie Sozialistische Jugend, die bald zur Kommunistischen Jugend wurde. Beide hatten wir in Karl Feh- ler, einem Klassenkameraden von Paul Müller und einem der eng- sten Bekannten meines Schwagers Ernst Benner und meiner Schwe- ster Ilse, einen gemeinsamen Freund, und wir hörten nicht nur durch ihn immer wieder voneinander, sondern auch deshalb, weil trotz al- ler heftigen parteipolitischen Gegensätze in diesen Jahren die prole- tarische Jugendbewegung sich doch noch als Einheit empfunden hat. Beide waren wir (wie viele unserer Altersgenossen) schon in unserer frühen Jugend in den Gruppen, in denen wir jeweils standen, auf- müpfiger und selbständiger als die meisten, die erst in den späteren Jahren der Weimarer Republik, während ihrer «Stabilisierungsperio- de», in ihre Verbände gekommen sind. So haben wir auch in diesen Jahren zwischen 1918 und 1933 immer wieder voneinander gehört und darüber nachgedacht, was jeweils der andere mache, trotz aller Schranken, die Organisationstreue und Verbandsbarrieren zwischen uns jeweils aufgerichtet hatten. Es bleibt für die, die heute in der Bonner Republik agieren, ob in der sie nun führenden Altersstufe, ob in deren Nachwuchs, wichtig, aus den Erfahrungen dieser unserer Generation zu lernen. Denn das Problem der steten Wiederholung ökonomischer und politischer Krisen ist geblieben. Aus unseren Erfahrungen lernen kann man nur, 5 wenn man unsere Generation wirklich versteht, wenn man also nicht nur weiss, was wir jeweils gedacht, sondern auch, was und wie wir empfunden haben, und wenn man sich nicht nur auf die Kenntnis der äusseren Faktoren dieser Zeit beschränkt. Deshalb war ich Paul Mül- ler dafür dankbar, dass er vor wenigen Jahren den Anstoss dazu gab, eine Ausstellung zur Geschichte der Frankfurter Arbeiterjugendbe- wegung – damals noch gemeinsam mit seinem einstigen Vorbild Georg Stierle, der nun schon einige Zeit tot ist – anzuregen, aus der zwei Bücher hervorgegangen sind, die man auch heute noch lesen sollte.1 Dann kam Paul Müllers erster Erinnungsband.2 Er hat darin gezeigt, dass er eines kann (was ich persönlich übrigens nicht kann), was wichtig ist, um unsere Generation in ihrem Verhalten zu begrei- fen: Er vermag nicht nur unsere Ideen, sondern auch unser Unterbe- wusstsein zu Papier zu bringen, ohne dessen Kenntnis man unsere Reaktionen nicht voll begreifen kann. Um so gespannter bin ich auf diesen zweiten Band seines persönlichen Rückblicks, der sein Erle- ben in der Periode des Faschismus und seiner unmittelbaren Vorbe- reitung schildert. Er wird auch mir viel Neues, sogar an äusseren Tatsachen, brin- gen. Wir wussten zwar nach dem 30. Januar 1933 voneinander, dass wir – wenn auch an verschiedenen Ecken – im Widerstandskampf gestanden haben. Karl Fehler hatte mir über die Form der Arbeit, die Paul Müller vor seiner «Emigration» geleistet hat, immer wieder berichtet; und ich habe ihn – wenn ich jeweils aus dem Reich in die Schweiz kam – mehrmals in St. Gallen, zuletzt wohl 1936, getroffen. Aber nachdem ich selbst zu Beginn des Jahres 1937 in Berlin «hoch- gegangen» war, war der Faden abgerissen. Paul Müller blieb weiter in der Schweiz, während ich von nun an erst im Zuchthaus, dann im «Bewährungsbataillon» 999 steckte. So habe ich ihn dann erst sehr viel später wiedergetroffen, nachdem ich aus der Sowjetischen Besat- zungszone in die Westzone übergesiedelt war. Mein Erlebnishinter- grund blieb also während der Herrschaft des deutschen Faschismus die illegale Arbeit im Reich (die ja auch in der Haft und in der Trup- pe nicht geendet hat). Paul aber arbeitete im Ausland für die gleiche 1 Wolfgang Abendroth u.a., «Arbeiterjugendbewegung in Frankfurt 1904 bis 1945», Giessen, Anabas-Verlag 1982; «Die junge Garde, Geschichte der Arbei- terjugendbewegung in Frankfurt 1904 bis 1945», Giessen, Anabas-Verlag 1983. 2 Paul Müller, «Kindheit und Jugend im alten Frankfurt», Waldemar Kramer- Verlag Frankfurt am Main 1984. 6 Sache, für den Sturz der Nationalsozialisten. Er tat es stets in der Hoffnung, dem Kampf im Reich Hilfe leisten zu können und dem Gezänk der traditionellen organisatorischen «Spitzen» der ins Aus- land Vertriebenen, das sich – wie die Geschichte zeigt; es war nach dem Sieg der Restauration über die Revolution von 1848 nicht an- ders – in jeder Emigration entwickelt, einen Widerpart mit der Hauptvorstellung der Einheitsfront der Arbeiterbewegung entgegen- zustellen. Auch darin stand er gewiss nicht allein, sondern war gleichsam typisch für die Aktivität und das Denken vieler, die nicht in den offiziellen obersten Leitungen ihrer Parteien und Fraktionen standen und noch Erfahrungen aus den ersten Phasen des Wider- standskampfes im Reich mitgebracht hatten. Aber wie das im einzel- nen verlaufen ist, mit welchen Mitteln er sich mit der stetigen Behin- derung durch die Behörden des leider nur in den Vorstellungen sei- ner Regierung ach so «demokratischen» und «neutralen» Gastlandes, der Schweiz, die es aber oft nicht in ihrer Praxis war, die oft genug dem Faschismus Konzessionen machte, herumschlagen musste, das hoffe ich aus diesem Band zu erfahren. Ich weiss von vielen Kamera- den, dass und wie er im permanenten Gegeneinander der Leitungen der Auslandsorganisationen der deutschen Arbeiterbewegung doch für deren Einheit eintreten und seinen Beitrag zu ihrem Kampf lei- sten konnte. So wird dieser Band unzweifelhaft eben dadurch, dass er Paul Müllers persönliche Erinnerungen referiert und – wie er nun einmal schreibt – nicht nur äussere Tatsachen wiedergibt, sondern immer wieder berichtet, was er jeweils dachte, ein wichtiger Beitrag zur Ge- schichte der deutschen Arbeiterbewegung und ihres Kampfes gegen den Faschismus werden. Gewiss, das Dritte Reich ist nicht durch de- ren Widerstandskampf geschlagen worden, sondern durch den äusse- ren Kampf der Alliierten. Das, was dann kam, die Bundesrepublik mit ihrer restaurierten alten Gesellschaft im Westen, die DDR mit ihren Formen des realen Sozialismus im Osten, wurde nicht durch uns, die wir den Faschismus vom ersten Tage an bekämpft haben, geprägt, sondern vor allem durch die Siegermächte. Aber mit der Gesellschaft wurden deren Grundwidersprüche wiederhergestellt (und also auch alle Gefahren ihrer inneren Entwicklungstendenzen). Deshalb bleibt für die Geschichte der Arbeiterbewegung der Tatbe- stand wichtig, dass sie nicht nur für die Historie als abstrakte Wis- senschaft Bedeutung hat, sondern ebenso für den tagtäglichen Kampf um die Sicherung unserer demokratischen Rechte. Die Erin- 7 nerungen von Paul Müller bieten uns dazu einen interessanten und spannenden Quellenband, den vor allem hier in Hessen und in Frank- furt, aber auch in anderen Teilen der Bundesrepublik viele lesen sollten. Frankfurt am Main, den 7. September 1984 Wolfgang Abendroth 8 Wolfgang Abendroth starb, bevor ich meinen Lebensbericht beendet hatte. Ich verlor den Weggefährten und Lehrer. Vor einigen Jahren sprachen er, Karl Retzlaw und ich vor dem Frankfurter Club Voltaire über die November-Revolution 1918. Retzlaw, Gründungsmitglied des Spartakusbundes und der KPD, gab einen leidenschaftlichen Bericht über Verlauf und Hintergründe des 9. November. Wolfgang zeichnete präzise ein Bild über die Ur- sachen der Niederlage der revolutionären Volkserhebung. Scharf kriti- sierte er dabei die böse Rolle, welche mediokre Figuren der damaligen SPD-Führung spielten. Ich berichtete über meine Erlebnisse – ich war noch ein Schuljunge – in den Frankfurter Revolutionstagen. Retzlaw fuhr dazwischen: Wir wollen keine Geschichten, sondern Geschichte hören! Beifall kam auf; ich war zerschmettert! Wolfgang springt ein: «Was der Paul erzählt, ist unerlässliches Material zur Formung eines Geschichtsbildes. Ohne ein solches wäre jede politisch- historische Analyse auf Sand gebaut. Er hat aus seiner damaligen Be- wusstseinslage seine Erlebnisse dargestellt. Diese Aussagen von Zeit- zeugen bleiben wichtig!» Grosser Beifall... Ich war glücklich. Und so war Wolfgang immer! Ein stets hilfsbereiter Freund, aus- gestattet mit viel Geduld und Toleranz. Mit grosser Härte und oft schneidender Schärfe trat er Menschen gegenüber, in denen er dem- agogische