S+F Sicherheit Und Frieden Security and Peace
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Sicherheit und Frieden 2005 4 23. Jahrgang S+F Security and Peace S. 177–241 Herausgeber Schriftleitung Prof. Dr. Pál Dunay, Genfer Zent- Dr. Martina Fischer, Berghof Dr. habil. Michael Brzoska, Prof. Dr. Hans J. Giessmann rum für Sicherheitspolitik, Genf Forschungszentrum für Kon- struktive Konfl iktbearbeitung, Internationales Konversionszen- Prof. Dr. Wolfgang Gessenharter, trum Bonn (BICC) Berlin Redaktion Helmut-Schmidt-Universität, Prof. Dr. Hans J. Giessmann, Dr. Erwin Müller (V.i.S.d.P.) Hamburg Institut für Friedensforschung Susanne Bund Dr. Sabine Jaberg, Führungsaka- und Sicherheitspolitik an der Dr. Patricia Schneider demie der Bundeswehr, Hamburg Universität Hamburg Dr. Thorsten Stodiek Prof. Dr. Charles A. Kupchan, Prof. Dr. Heiner Hänggi, Genfer Zentrum für die Beirat Georgetown University, demokratische Kontrolle der Dr. Alyson Bailes, Stockholm Washington, D.C. Streitkräfte (DCAF), Genf International Peace Research Dr. Martin Kutz, Führungsakade- Institute (SIPRI), Stockholm Kapitän zur See Heinz-Dieter mie der Bundeswehr, Hamburg Jopp, Führungsakademie der Dr. Detlef Bald, München Dr. Krzysztof Ruchniewicz, Bundeswehr, Hamburg Prof. Dr. Joachim Betz, Willy- Brandt-Zentrum für Dr. Erwin Müller, Chefredakteur Universität Hamburg Deutschland- und Europastudien, Andreas Prüfert, Europäische Prof. Dr. Hans-Peter Dürr, Wroclaw Organisation der Militärverbän- Träger des Alternativen Prof. Dr. Susanne Feske, de (EUROMIL), Brüssel Nobelpreises, München Universität Münster THEMENSCHWERPUNKT Die gespaltene Ausrichtung der Bundeswehr – oder: warum sich die Bundeswehr mit der »Inneren Führung« seit 1950 schwer tut Detlef Bald* Abstract: »Innere Führung« is the key word, to differentiate the Bundeswehr from its historic predecessors. The concept to use the constitution’s values and norms in the military today stands for granted in politics and society. But about that in all phases of Bundeswehr there had been heavy disputes. The position of the so called reformers could make its way only hard against that of the traditionalists. In the document of Himmerod from 1950 the foundation’s compromise can already be discovered. This ambivalence of military politics against »Innere Führung« appears again and again as a problem in Bundeswehr’s 50 years of history. The following text examines the secret consultations in autumn 1950.1 Keywords: Innere Führung, Himmeroder Denkschrift, Reformer und Traditionalisten, Gründungskompromiss 1ie deutsch-alliierten Gespräche über Grundzüge der werde seine Sicherheit »nie aus eigener Kraft« gewährleisten, Aufrüstung kamen nach Beginn des Korea-Krieges vo- legten sie den Entwurf für den »Wiederaufbau einer deutschen Dran. Graf Schwerin erhielt Anfang August 1950 von Wehrmacht« als »Kontingent im europäisch-atlantischen Ver- der Hohen Kommission die Zustimmung, das Kabinett kön- teidigungsrahmen« vor.2 Am 17. August stimmte Adenauer in ne offi ziell Fragen der äußeren Sicherheit beraten und Exper- Besprechungen mit den Hohen Kommissaren auf dem Peters- ten der ehemaligen Wehrmacht für die Erarbeitung entspre- berg dem Plan einer europäischen Armee zu. Am 29. August chender Grundlagen heranziehen. Adenauer handelte sofort. wurde in einem Memorandum die politische Linie Adenau- Am 10. August 1950 legten Hermann Foertsch, Adolf Heusin- ers konkretisiert, die »Wiederherstellung der Souveränität« in ger und Hans Speidel für den Kanzler ein Konzept zur äußeren einem »System vertraglicher Abmachungen« zu regeln, um Sicherheit im Bündnis vor. In der Annahme, Westdeutschland die Bundesrepublik an der »gemeinsamen Verteidigung West- europas« zu beteiligen.3 * Dr. phil. Detlef Bald ist Mitglied des Beirats von S+F. Sicherheit und Frieden. Er ist freischaffender Historiker in München. 2 Dokument in Hans Speidel, Aus unserer Zeit. Erinnerungen, Frankfurt/M. 1 Mit freundlicher Genehmigung des C.H. Beck Verlags aus dem Buch von 1977, S. 481 u. S. 495. Detlef Bald, Die Bundeswehr. Eine kritische Geschichte 1955 – 2005, Mün- 3 Dokument in Konrad Adenauer, Erinnerungen 1945 – 1953, Stuttgart 1965, chen 2005, S. 28 ff. S. 358 f. https://doi.org/10.5771/0175-274x-2005-4-177 Generiert durch IP '170.106.40.139', am 29.09.2021, 07:43:30. | Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. S+F (23. Jg.) 4/2005 177 THEMENSCHWERPUNKT | Bald, Die gespaltene Ausrichtung der Bundeswehr Aber noch waren gewisse Hausaufgaben zu erledigen. Die nutzt. Sicherlich war die standesmäßige Privilegierung end- zweite Zusage von McCloy an Adenauer, hochrangige militä- gültig dahin, aber es wurden noch einmal die Regularien der rische Experten zusammenziehen zu können, gewann eben- Vergangenheitspolitik festgehalten, in der Zukunft an eine falls noch im Herbst Bedeutung. Die »Magna Charta der deut- »saubere« Wehrmacht anzuknüpfen. Die Zäsur zum National- schen Wiederbewaffnung« wurde am 6. Oktober 1950 in sozialismus sollte nicht scharf sein, an dem Ziel der »Einstel- Himmerod fertiggestellt.4 Die Abgeschiedenheit der klöster- lung der Diffamierung« der Wehrmacht und der Waffen-SS lichen Umgebung der alten Zisterzienserabtei im Salmtal in wurde festgehalten: An der »Rehabilitierung des deutschen der Eifel schien dem Kanzler geeignet, die Geheimhaltung für Soldaten« durfte nicht gerüttelt werden, im Gegenteil, es wur- die Planung von Streitkräften sicherzustellen. Die politische de eine nationale und internationale Ehrenerklärung einge- Weichenstellung war sensationell genug: Die Militärelite des fordert. Daneben wurde eine entsprechende Lenkung der Ostfeldzugs konnte die Verteidigung Westeuropas mit der Auf- öffentlichen Meinung verlangt. Die alten Sprachfi guren – rüstung der voll demilitarisierten Besatzungszonen West- »Wehrwille«, »Wehrkraft«, »wahres Soldatentum« – wurden deutschlands gemäß der Quintessenz ihrer militär- und sicher- bemüht. Dieses »Ethos der Landesverteidigung muss das ge- heitspolitischen Expertisen aus der Nachkriegszeit verknüpfen. samte Volk erfassen«.11 Der Anspruch auf Rehabilitierung und Ein einzigartiges Panorama tauchte wieder auf. Die operativen auf Ehre der ehemaligen Generale war der Preis, der für ihre Maximen des Generalstabs der vierziger Jahre standen erneut Bereitschaft zur Mitarbeit gezahlt werden sollte. Die Schlag- im Zentrum einer europaweiten »Gesamtverteidigung von worte zur Ehrenrettung des Soldaten waren für die innenpo- den Dardanellen bis nach Skandinavien«. Eine klassische Mas- litische Auseinandersetzung der fünfziger Jahre aktiviert, um senarmee modernen Typs, hoch motorisiert und nach dem die Nürnberger Nachfolgeprozesse der Amerikaner und den Modell eines mobilen Expeditionsheeres, wurde entworfen. Aufsehen erregenden Prozess gegen Manstein 1949 zu be- Die Wehrpfl icht bildete die Basis zur Rekrutierung einer Mil- schweren. Kein Thema erregte die Öffentlichkeit in diesen lionenarmee. Drei Korps zu je vier Divisionen sollten binnen Jahren mehr als der Kampf um die Freilassung des General- kurzem zu drei operativen Armeen mobilisiert werden kön- feldmarschalls und einiger hundert rechtskräftig als Kriegsver- nen.5 Der Kanzler wünschte drei seiner Berater in leitender brecher verurteilter Offi ziere. Im September 1950 bereits, also Funktion in Himmerod: Foertsch, Heusinger und Speidel. Die kurz vor dem Treffen in Himmerod, hatten Heusinger und Auswertung der Kriegführung gegen die Sowjetunion in der Speidel gegenüber einem Vertreter der Hohen Kommission das »Historical Division« bildete den Rahmen für das Militär der Junktim aufgestellt, sollten Todesurteile gegen in Landsberg Zukunft. Heusinger, Stellvertreter von Franz Halder, organi- einsitzende Generale vollstreckt werden, werde es keine Ko- sierte den Transfer der Informationen über Heer und Luftwaf- operation bei der Aufstellung von Streitkräften geben.12 An- fe, die Admiräle Ruge und Otto Schniewind fungierten als fang 1952 saßen noch rund 700 Offi ziere in alliierter Haft. Sie Verbindungsmänner zum »Naval Historical Team«.6 Graf Bau- wurden als so genannte Kriegsverurteilte bezeichnet. Die kol- dissin, als Zeitzeuge »tief beeindruckt«, charakterisierte das lektive Verdammung der Generalität der Wehrmacht konnte vorgelegte Militärkonzept, in dem die »Vorstellungen der Ver- verhindert werden. Die Konfl ikte zwischen dem internationa- gangenheit« die Kategorien des Kriegshandwerks prägten: »In len Bedürfnis nach Gerechtigkeit und der Forderung auf deut- Himmerod bestanden eigentlich kaum Zweifel, dass wir so scher Seite nach einem Schlussstrich und dem Ende der »Sieger- weiter strategisch und operativ und damit eigentlich auch in justiz« traten in dem Medienrummel um Manstein zutage. Er der Struktur und Bewaffnung der zukünftigen Streitkräfte auf nutzte das Verfahren zu einem Plädoyer für die Wehrmacht.13 dem alten Pfad weitergehen sollten.«7 Das Vorbild war, »Krieg Doch noch im Januar 1956 tauchte dieses Junktim bei den führen à la sowjetische Steppe«8 – die Denkschrift wollte Ver- Gründungsfeiern der Marine in Wilhelmshaven auf, als Kapi- teidigung »von vornherein offensiv« und Interventionen im tän zur See Zenker an Bedenken der Offi ziere erinnerte, »ob Hinterland des Gegners mit Atombomben.9 Diese aus dem wir unsere Arbeit aufnehmen dürfen, solange unsere ehema- Geiste des Vernichtungskriegs entworfene Worst-Case-Vertei- ligen Oberbefehlshaber und weitere Kameraden noch in Haft digung erweckte unter den Bedrohungsvorstellungen des Kal- gehalten werden«14. Die Himmeroder Denkschrift bietet ne- ten Krieges keinen Verdacht, »vergangenheitsbelastete Emp- ben dem tonangebenden Bild der Wehrmacht auch exempla-