R. Schlaffer U.A. (Hrsg.): Wolf Graf Von Baudissin

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R. Schlaffer U.A. (Hrsg.): Wolf Graf Von Baudissin Rudolf J. Schlaffer, Wolfgang Schmidt. Wolf Graf von Baudissin 1907-1993: Modernisierer zwischen totalitärer Herrschaft und freiheitlicher Ordnung. München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 2007. X + 265 S. broschiert, ISBN 978-3-486-58283-3. Reviewed by Detlef Bald Published on H-Soz-u-Kult (December, 2007) Zum 100. Geburtstag wird Wolf Graf von Bau‐ schlands, besonders in Bezug auf die Wehrmacht, dissin (1907-1993) vom Militärgeschichtlichen den Neuanfang einzuleiten. Jede Tradition eines Forschungsamt (Potsdam) mit einem Sammel‐ sozialen oder politischen Sonderstatus sollte mit band gewürdigt – endlich, könnte man gleich an‐ einer rechtsstaatlichen Verankerung des Militärs schließen, nimmt die Bundeswehr Kenntnis von verhindert werden. Die Werte der Verfassung einem der wichtigsten Generale und politischen standen der traditionalistischen Vorstellung eines Persönlichkeiten ihrer nun fast sechzigjährigen „Staates im Staat“ wie in Weimar entgegen; es Geschichte. Der Band konnte erscheinen dank ei‐ sollte offene gesellschaftlich-militärische Bezie‐ nes aktiven Engagements der beiden Herausgeber hungen geben. Rudolf J. Schlaffer und Wolfgang Schmidt, deren So grundsätzlich Graf Baudissin diese Ent‐ Verdienst für diesen Anstoß zur Erforschung von scheidung zur Integration des Militärs in die de‐ Biographie und Werk des Grafen Baudissin her‐ mokratische Politik und in die pluralistische Ge‐ auszustellen ist. sellschaft einforderte, so sehr stieß er bereits in Graf Baudissin zählt zu den großen demokra‐ der vom Kanzleramt beauftragten geheimen Pla‐ tischen Reformern der Bundesrepublik. Sein nungsgruppe ehemaliger Generale, im Oktober Name steht für die Reform des weiten Bereichs 1950 im Kloster von Himmerod arbeitend, auf der Politik, der mit Militär zu tun hat. Ohne ihn Granit. Die tatsächlich „bahnbrechende Qualität“ wäre die Militärgeschichte nach 1945 – die Konsti‐ des Reformkonzepts, in der Institution staatlicher tution der Bundeswehr und der Primat der parla‐ Macht „grundlegend Neues“ wagen zu müssen, mentarischen Politik – anders verlaufen. Er setzte fand keine Zustimmung bei den Militärs (Claus mit dem Begriff des „Staatsbürgers in Uniform“ von Rosen, S. 204f.). Vielmehr wurde die traditio‐ und dem Modell der „Inneren Führung“ der Bun‐ nalistische Politik sowohl von militärischen Krei‐ deswehr die Leitlinie der Orientierung, um hin‐ sen als auch von verschiedenen Politikern ver‐ sichtlich der militaristischen Vergangenheit Deut‐ stärkt unterstützt. Ihre Vorbilder blieben Reichs‐ H-Net Reviews wehr und Wehrmacht. Darin liegt der Keim, war‐ die Problematik ihrer (Ver-)Bindung zur Wehr‐ um es der Bundeswehr so schwer fällt, die Größe macht verharmlost. der Leistung von Graf Baudissin anzuerkennen. Die philosophische und protestantische Weite Inhaltlich fnden sich die Auswirkungen die‐ des gebildeten, aus altem preußischen Adel stam‐ ser Vergangenheitspolitik noch im amtlich voran‐ menden Offiziers fndet in dem Sammelband gestellten Grußwort von Bundesminister Franz Jo‐ einen angemessenen Platz, um notwendige Facet‐ sef Jung, der erneut an der politisch von Anbe‐ ten zur biographischen Abrundung zu geben ginn an geförderten Legende der Bundeswehr (Klaus Naumann, S. 37ff., Angelika Dörfler-Dier‐ strickt, „eingedenk der moralischen und politi‐ ken, S. 55ff., Horst Scheffler, S. 69ff., Eckart Hoff‐ schen Katastrophe von 1945“ sei in Himmerod mann, S. 81ff.). Wichtig für die Aussagen dieser 1950 die reformerische „Grundorientierung“ der Beiträge ist, den Wertehorizont dieser Persönlich‐ Bundeswehr festgelegt worden (S. VII). Obwohl keit auszuleuchten, der neben dem historischen zeithistorisch diese Früh- und Vorgeschichte mi‐ Wurf der deutschen Militärreform noch manche nutiös mit dem entgegengesetzten Ergebnis re‐ Impulse zur Analyse der Sicherheitspolitik zu ver‐ cherchiert ist, muss die offiziöse politische Lesart danken sind. Auf die „Ambivalenz der Atomwaf‐ vom demokratischen Gründungskompromiss fe“ hatte Graf Baudissin bereits als aktiver Gene‐ auch in einem anderen Beitrag herhalten, in dem ral hingewiesen, als die Bonner Sicherheitspolitik es heißt: „Im Ergebnis definierten Baudissin und die Abschreckung durch die Ausstattung der Bun‐ Foertsch das ‚Innere Gefüge’“, und weiter wird deswehr mit Atomwaffen nachdrücklich zu ga‐ suggeriert, Foertsch habe eine „demokratische Er‐ rantieren glaubte (Frank Nägler, S. 151ff.). Ihn ziehung“ für die Bundeswehr angestrebt (Dieter hatte die Sorge umgetrieben, mit einer solchen Krüger, Kerstin Wiese, S. 101). Die Autoren weisen Verteidigungsdoktrin die Welt zu vernichten und hier nicht darauf hin, dass der ehemalige General mit Atomwaffen weder eine verlorengegangene Foertsch einer der prominentesten NS-Ideologen Freiheit noch ein Territorium zurück zu gewin‐ der Wehrmacht war und mit dem Modell des „In‐ nen. Krieg (mit Atomwaffen) biete nur noch den neren Gefüges“ (von 1942) genau jenes militäri‐ Weg in die gegenseitige Vernichtung – von da an, sche Milieu der Wehrmacht in der Bonner Repu‐ so ein bekanntes Zitat des Grafen, herrsche Fried‐ blik für die „neue Wehrmacht“ wieder beleben hofsruhe. wollte – und natürlich schärfster Gegner von Graf Nach einigen Jahren in Funktionen der NATO Baudissin war. übernahm Graf Baudissin Lehraufträge an der Zum Gehalt des Bandes jedoch zählt, dass er Universität Hamburg zur Bündnis- und Verteidi‐ darüber hinaus fachlich angelegt und historisch gungspolitik sowie zur internationalen Abrüstung fundiert ist. Entsprechend wird über die 1950er- und Rüstungskontrolle. Schließlich war es ihm Jahre in einem weiteren Beitrag zutreffend geur‐ vergönnt, dort sein Lebenswerk im Jahr 1971 mit teilt, die Militärreform sei „zu großen Teilen ein der Gründung des Instituts für Friedensforschung Placebo für die Truppe“ gewesen und sollte die und Sicherheitspolitik abzurunden, an dem über Gesellschaft beruhigen (Rudolf J. Schlaffer, S. 147). Militär („Innere Führung“) ebenso wie über inter‐ Es ist bemerkenswert, dass der interne Streit im nationale Sicherheits- und Abrüstungspolitik ge‐ Militär um Tradition und Legitimierung seit Jahr‐ forscht wurde. Zu diesen Themen vermisst man zehnten vehement geführt wird und noch in der allerdings weitere Beiträge in diesem Sammel‐ Veröffentlichung dieses Sammelbandes in der Ge‐ band, ebenso Hinweise auf Publikationen dieses genwart zu spüren ist. Auch die Geschichte der Instituts wie auf einschlägige Literatur zur Mili‐ Bundeswehr wird immer wieder glatt poliert und tärreform überhaupt. 2 H-Net Reviews Der Sammelband über Graf Baudissin bringt vielerlei neues Material, zumal am Militärge‐ schichtlichen Forschungsamt entsprechende Quellen des Bundesarchivs ausgewertet wurden. Das ist ohne Frage zu würdigen. Die meisten Bei‐ träge bieten auch notwendige Erweiterungen des Kenntnisstandes. Bedauerlich bleibt der Zu‐ schnitt, der wohl auf den „amtlichen“ Blickwinkel auf die Vergangenheit zurückgeht. Daher die Am‐ bivalenz – im Untertitel manifest, Graf Baudissin als „Modernisierer“ und dann nur „zwischen“ den Epochen des Nationalsozialismus und der frei‐ heitlichen Ordnung der Bundesrepublik zu apo‐ strophieren (inhaltlich etwa als „halber“ Demo‐ krat beziehungsweise Traditionalist? Oder nur von 1945-1949?). Graf Baudissin war der Spiritus rector der Militärreform der Bundeswehr – ein‐ zigartig in der deutschen Geschichte des Militärs des 20. Jahrhunderts. If there is additional discussion of this review, you may access it through the network, at http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/ Citation: Detlef Bald. Review of Schlaffer, Rudolf J.; Schmidt, Wolfgang. Wolf Graf von Baudissin 1907-1993: Modernisierer zwischen totalitärer Herrschaft und freiheitlicher Ordnung. H-Soz-u-Kult, H- Net Reviews. December, 2007. URL: https://www.h-net.org/reviews/showrev.php?id=22124 This work is licensed under a Creative Commons Attribution-Noncommercial-No Derivative Works 3.0 United States License. 3.
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