Eine Römische Prunklanze Aus Kalefeld, Ldkr. Northeim Michael Geschwinde
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Konrad Theiss Verlag Darmstadt Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte 83, 2014, 107–114 107 Eine römische Prunklanze aus Kalefeld, Ldkr. Northeim Michael Geschwinde Zusammenfassung Vor dem Hintergrund der Entdeckung des römisch-germanischen Schlachtfeldes am Harzhorn wird eine Lanzenspitze, die bereits 1990 in der Nähe gefunden worden war, diskutiert. Wahrscheinlich handelt es sich bei dem ungewöhnlichen Fundstück um eine römische Prunklanze des 3. Jahrhunderts n.Chr. Schlüsselwörter Kalefeld, Harzhorn, Römische Kaiserzeit, Schlachtfeld, Prunklanze A Roman ceremonial lance from Kalefeld, Landkreis Northeim Abstract An unusual lance head is discussed in the light of the recently discovered Roman-Germanic battlefield at Harzhorn. The lance head was found in 1990 near the site of the battlefield. The find is most probably from a Roman ceremonial lance belonging to the 3rd century AD. Keywords Kalefeld, Harzhorn, Roman Period, battlefield, ceremonial lance Am 28. August 1990 wurde bei Kanalbauarbeiten alle Angaben zu den Begleitumständen der Auffin- in Kalefeld, Ldkr. Northeim, im Ortskern an der dung des Objektes entnommen sind. 1993 wurde die Hauptstraße gegenüber dem Parkplatz Gasthaus Lanzenspitze schließlich dem Braunschweigischen Meyer und ca. 3 km südlich des Harzhornes aus ei- Landesmuseum, Abteilung Ur- und Frühgeschichte ner angelieferten Ladung Füllkies eine große eiserne in Wolfenbüttel übergeben. Lanzenspitze ausgelesen. Die auf der Baggerschaufel Obwohl die charakteristische und für eine Sau- liegende Lanzenspitze wurde während des Verfüllens feder unerlässliche Parierstange fehlt, wurde die Ka- des Kanalschachtes entdeckt und stammte entweder lefelder Lanze zunächst als solche angesprochen. aus dem Verfüllkies oder dem Schotter des hier nach Ausschlaggebend war offenbar die auffallende Grö- dem Zweiten Weltkrieg eingebauten Packlagers un- ße des Stückes. Eine Publikation erfolgte nicht. Als ter der Decke der Hauptstraße, in jedem Fall aus se- 2008 unweit der Fundstelle am Harzhorn ein um- kundärer Lagerung. Die Lanzenspitze wurde von den fangreicher Bestand an römischen Militaria entdeckt Findern Mitarbeitern des Wasseramtes übergeben, wurde, stellte sich die Frage, ob die Lanze damit in von diesen wiederum einem Mitarbeiter der Samt- Zusammenhang stehen könnte. Tatsächlich ist es gemeinde Kalefeld, Herrn Dietmar Handtke, der sie möglich, dass die ursprüngliche Fundstelle der Lan- wenige Tage später an die ehrenamtlich Beauftragten zenspitze das Harzhorn ist: Dort befindet sich gegen- für die archäologische Denkmalpflege im Landkreis über dem Hauptkamm eine große Kiesgrube, wo in Northeim, Frau Ursula Werben (Einbeck), weiter- den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts Ma- leitete. Von Frau Werben wurde die Lanzenspitze terial abgebaut wurde, das auch für öffentliche Stra- dem Braunschweiger Bezirksarchäologen Hartmut ßenbaumaßnahmen verwendet wurde (freundliche Rötting übergeben, der ihre Restaurierung in der Mitteilung Herr Kulp, Forstgenossenschaft Harrie- Werkstatt des damaligen Instituts für Denkmalpfle- hausen). Ein Beweis für die mögliche Herkunft des ge in Hannover veranlasste. Frau Werben fertigte Stückes lässt sich nach so vielen Jahren jedoch nicht auch die Fundmeldung sowie ein Protokoll an, dem mehr erbringen. 108 Eine römische Prunklanze aus Kalefeld Abb. 1 Kalefeld, Ldkr. Northeim. Lanzenspitze (Foto: S. Spantikow, Braunschweigisches Landesmuseum; Zeichnung: NLD). Michael Geschwinde 109 Die Lanzenspitze (Abb. 1) besitzt eine Gesamt- länge von 45,5 cm, die größte Blattbreite beträgt 46 mm. Das Blatt erreicht seine maximale Stärke oberhalb des Übergangs zur Tülle bei einem dach- förmigen Querschnitt mit Mittelrippe. Der Durch- messer des Tüllenmundes beträgt 28 mm. Leider sind im Inneren der Tülle keine Holzreste erhalten, die eine AMS-Datierung ermöglichen würden. Auf- fallend ist die aufwendige Verzierung der Tülle durch drei erhabene, durch umlaufende Riefen he- rausgearbeitete Wülste, auf denen ringartig dünnes Kupferblech warm aufgehämmert ist (Abb. 2). Die mit Messing belegten Wülste sind ebenso wie die beiden dazwischen liegenden Felder der Tülle spi- ralig umlaufend tordiert, wobei die erhabenen Bän- der zwischen den Riefen deutlich schmaler sind als auf den beiden Zwischenfeldern. Vor dem Blattan- satz sind noch zwei weitere umlaufende Wulstbän- der angebracht. Auffallend ist der Blattumriss der Kalefelder Lanze: Die Klingen verlaufen absolut geradlinig und erreichen ihre maximale Breite am hinteren Blattende, wo sie scharf abknicken und im 45o-Winkel zum Tüllenansatz laufen. Das hintere Blattende ist also ähnlich dem Heft eines Schwertes ausgebildet. Der Umriss der Lanze ist streng trian- gulär. Diese Form ist bei Lanzen ungewöhnlich und erschwert ein Herausziehen aus einem getroffenen Ziel vor einer erneuten Verwendung. Lange gerade Schneiden sind allgemein ein Kennzeichen von Hiebwaffen wie Schwertern. Direkte Parallelen zu der Lanzenspitze aus Ka- lefeld sind nicht bekannt. Spiralig umlaufende Tül- lenverzierungen sind sehr ungewöhnlich. Vergleich- bar ist der in das 2. / 3. Jahrhundert datierte Aufsatz einer römischen Standarte (FISCHER 2012 Abb. 357) unbekannter Provenienz (Abb. 3), die auch in ihrer Größe dem Kalefelder Stück entspricht (freundlicher Hinweis Th. Fischer, Köln). Messingtauschierungen auf der Tülle gibt es bisweilen in römischen Fund- komplexen aus der Mitte des 3. Jahrhunderts wie aus Eining / Abusina (GSCHWIND 2004 Taf. 75 D24). Vom Harzhorn selbst liegt ein leichter römischer Wurfspeer mit einem warm aufgehämmerten dünnen Messingring vor (GESCHWINDE / LÖNNE 2013 Abb. 2), aber auch eine germanische Lanze, die in ähnlicher Weise verziert ist (GESCHWINDE u. a. 2013 Abb. 27). Bereits 1984 stellte H. Cüppers drei ungewöhn- Abb. 2 Kalefeld, Ldkr. Northeim. Lanzenspit- lich schwere Lanzenspitzen vor, die in Trier und Um- ze, Detail der Tülle (Foto: Ch. Fuchs, NLD). Abb. 3 Unbekannte Provenienz. Aufsatz gebung jeweils als Einzelfund zutage getreten waren eines römischen Feldzeichens. Eisen mit und so viele übereinstimmende Merkmale aufwiesen, Tauschierung und einer Buntmetallmanschet- te zur Be festigung einer Fahne (aus FISCHER dass er sie einer in diesem Raum arbeitenden Werk- 2012 Abb. 357). Ohne Maßstab. 110 Eine römische Prunklanze aus Kalefeld Abb. 4 Trierer Moselbrücke. Lanzenspitze aus Eisen mit Tauschierung (Inv. Nr. EV1978,5. Foto: Th. Zühmer, Rheinisches Landesmuseum Trier). Ohne Maßstab. statt zuwies (CÜPPERS 1984, 296)1. Es handelt sich 2. Lanzenspitze mit Tauschierungen aus Lothringen dabei um folgende Exemplare: (Abb. 5) Das Stück stammt von einem unbekannten Fundort 1. Lanzenspitze mit Tauschierungen aus Trier aus Lothringen. Seine Länge beträgt 40,5 cm (CÜP- (Abb. 4) PERS 1984, 297). Die Tülle ist mit zwei Messingrin- Das Stück wurde unter der Trierer Moselbrücke gen verziert, welche die Inschrift NEMNIANIUS aus dem Fluss geborgen. Der auffällige trianguläre und VENATOR VIVAS tragen. Zwischen den bei- Blattumriss der Trierer und der Kalefelder Lanze den Bändern befindet sich ein kompliziertes Muster sind nahezu identisch. Wichtigster Unterschied zwi- aus messingtauschierten Lamellen und Säulchen. schen beiden Stücken ist die bei der Trierer Lanze Auf dem Blatt ist auf beiden Seiten wiederum ein stärker ausgeprägte Mittelrippe. Der Tüllenmund ist Paar bärtiger Männerbüsten tauschiert. abgebrochen und die erhaltene Gesamtlänge beträgt noch 31,5 cm. Die Lanze ist mit Messing eingelegten 3. Lanzenspitze mit Tauschierungen aus Trier lamellenartigen Eindellungen in Längsrichtung und Fundort ist wiederum die Trierer Moselbrücke. Die zwei Messingringen verziert (KATALOG BONN 2008 Tülle ist beschädigt, die erhaltene Gesamtlänge be- Kat.-Nr. 263). Beide Ringe trugen Inschriften, erhal- trägt noch 38 cm (CÜPPERS 1984, 297). An der Tülle ten ist auf dem oberen ANBIANIONI VIVAS. Bei- ist ein Aufhalter mit einem großen kegelförmigen derseits der Mittelrippe sind Kreisaugen und Halb- Niet und einer Ringhülse montiert. Vor dem Über- kreise tauschiert. Zusätzlich finden sich auf beiden gang zum Lanzenblatt ist die Tülle verziert durch Seiten des Blattes je zwei in Messing und Bronze tau- zwei Wulstringe mit umlaufenden Kerben und einer schierte Darstellungen bärtiger Männer, die Cüppers Doppelkerbe. Der Blattumriss ist nicht streng tri- als Herrscher deutete (CÜPPERS 1984, 296). angulär, die Klingen sind am Übergang zum unte- ren Drittel leicht eingezogen. Die Lanze trägt eine ausgeprägte Mittelrippe. Am unteren Blattende sind 1 Mein herzlicher Dank gilt Dr. Korana Deppmeyer, Rheinisches Lan- desmuseum Trier, die mir die Abbildungsvorlagen zur Verfügung stellte. auf beiden Seiten halbkreisförmige Ausschnitte an- Michael Geschwinde 111 Abb. 5 Lothringen, unbekannter Fundort. Lanzenspitze aus Eisen mit Tauschierung (Inv. Nr. EV1982,54. Foto: Th. Zühmer, Rheinisches Landesmuseum Trier). gebracht, die offenbar zum Einhängen eines Trup- ens, dem antiken Samarobriva, siedelnden Ambia- penzeichens (Wimpel, Bänder, Tier-, Pferdeschweife ner. Wahrscheinlich bezieht sich der auf der Lanze oder Metallzeichen, Glöckchen) bestimmt waren genannte Name auf eine militärische Einheit, die in (CÜPPERS 1984). der Notitia Dignitatum erwähnten equites cataf- ractarii Ambianenses, die zu dem Zeitpunkt dem CÜPPERS (1984, 296) datiert die drei Lanzen in die 2. magister militum praesentalis unterstellt waren Hälfte des 4. Jahrhunderts. Ausschlaggebend hierfür (MIELCZAREK 1993, 77; CHEW 1993, 315). Vermutlich ist die Darstellung der vier bärtigen Männer auf den gehen die im modernen Amiens gefundenen