Frühe Farbfilmverfahren und ihr Einsatz durch die NS-Propaganda 1933 – 1940

Magisterarbeit im Fach Geschichte

an der Leibniz-Universität Hannover

vorgelegt von

Dirk Matthias Alt Märchenweg 26 30938 Burgwedel

Prüfer: Prof. Dr. Füllberg-Stolberg

Hannover, August 2007

0 Inhalt

I. Einleitung

I.1 Der Farbfilm: Kinotechnische Sensation der 30er Jahre S. 5 I.2 Entwicklungsperspektiven des Mediums Film und die Farbfilmdebatte der 30er Jahre S. 6 I.3 Geschichte der frühen Farbkinematographie in Europa und den USA S. 8 I.3a Additive und subtraktive Verfahren S. 8 I.3b Kolorierung und Virage S. 8 I.3c Frühe additive Verfahren S. 9 I.3d Rasterverfahren S. 11 I.3e Subtraktive Zweifarben-Verfahren S. 11 I.3f Triumphzug von Drei-Farben-Technicolor in den USA und Großbritannien S. 12 I.3g Die Entwicklung in Deutschland S. 13 I.4 Der Untersuchungszeitraum 1933 bis 1940 S. 14 I.5 Zum Begriff des Kulturfilms S. 16 I.6 Zum Begriff des Propagandafilms S. 17 I.7 Vorgehensweise und Fragestellungen S. 18

II. Anfang und Übergangslösung: Das Agfa-Bipack-Verfahren

II.1 Technik und Entwicklungsgeschichte des Agfa-Bipack-Verfahrens S. 21 II.2 Die ersten Kulturfilme in Ufacolor S. 22 II.3 „Potsdam, eine Farbenstudie von Bauten und Gärten“ S. 24 II.4 „Das Deutsche Erntedankfest auf dem Bückeberg“ S. 27 II.5 „SA marschiert“ – Rätsel um ein Fragment S. 29 II.6 Die Ufacolor-Filme des Auslandsdeutschen Adolf Rheinboldt S. 30 II.7 Weitere Kulturfilmtitel in Ufacolor S. 31 II.8 Die biologischen Kulturfilme in Ufacolor S. 32 II.9 Versuche im Spielfilm-Genre S. 33

1 III. Die enttäuschte Hoffnung: Siemens-Berthon-Opticolor

III.1 Technik des Siemens-Berthon-Opticolor-Verfahrens S. 36 III.1a Vorgeschichte der Linsenrastertechnik S. 36 III.1b Prägung und Funktionsweise des Linsenrasters S. 37 III.1c Überwindung der Kopier- und Wiedergabeprobleme S. 38 III.2 Erprobung unter Vorbehalten S. 40 III.3 Startschuss für Opticolor: „Das Schönheitsfleckchen“ S. 44 III.4 Leni Riefenstahl bei Siemens – Hans Ertl und der Farbfilm S. 46 III.5 Der verschollene Bilanzfilm: Svend Noldans „Deutschland“ / „Vier Jahre Hitler“ S. 47 III.6 Hans Ertls „Tag der Deutschen Kunst 1937“ S. 52 III.7 Der verschollene Reichsparteitagsfilm – Carl Junghans’ „Nürnberg 1937“ S. 57 III.8 Weitere Spielfilmvorhaben mit Siemens-Berthon-Opticolor S. 59 III.9 Das Farbfilmprojekt „Italienreise 1938“ S. 61 III.10 Das Aus für Siemens-Berthon-Opticolor S. 62

IV. Weitere Additiv-Verfahren: Der Agfa-Linsenrasterfilm – Leydechrom – Kämpfer / Schattmann

IV.1 Der Linsenraster-Kinofilm der Agfa S. 65 IV.2 Zwischenspiel von Leydechrom S. 66 IV.3 Das Kämpfer- / Schattmann-Verfahren S. 68

V. Zeichentrickaufnahmen mit Ufacolor und Gasparcolor

V.1 Die deutsche Zeichentrickproduktion 1933-1940 S. 71 V.2 Das Gasparcolor-Verfahren: Technik und Entwicklungsgeschichte S. 72 V.3 Realfilme nach dem Gasparcolor-Verfahren S. 74 V.4 Abstrakte Werbefilme nach dem Gasparcolor-Verfahren S. 75 V.5 Nationalsozialistische Tendenzen im Werbetrickfilm der 30er Jahre S. 76 V.6 Rundfunk-Propaganda in Ufacolor S. 77

2 V.7 Neuerung im Beiprogramm: Farbige Zeichentrickfilme ohne Werbeauftrag S. 79 V.8 „Musterbetrieb A.G.“ S. 80 V.9 „Panik durch Ping-Pong“ S. 83 V.10 „Vom Bäumlein, das andere Blätter hat gewollt“ S. 84 V.11 „Eine entzückende Tierfabel“: „Der Störenfried“ S. 86

VI. Die Wahl zwischen Pantachrom und

VI.1 Technik des Agfa-Pantachrom-Verfahrens S. 89 VI.2 Ufa-Farbfilmversuche nach dem Pantachrom-Verfahren S. 91 VI.3 „Bauerngymnastik“ S. 95 VI.4 Technik und Entwicklungsgeschichte des Agfacolor-Verfahrens S. 99 VI.4a Agfacolor: ein Produkt zur Lösung aller farbfotographischen Probleme S. 99 VI.4b Chromogene Entwicklung dank diffusionsechter Farbstoffe S. 99 VI.4c Umweg über den Umkehrfilm S. 101 VI.5 Interesse der Ufa am Agfacolor-Verfahren S. 102 VI.6 Praktische Erprobung S. 104 VI.7 Ufa-Farbfilm-Offensive im Sommer 1939 S. 105 VI.7a Maßnahmen und Filmvorhaben S. 105 VI.7b „Kadetten“ S. 107 VI.7c „Frauen sind doch bessere Diplomaten“ S. 109 VI.7d „Aus der Welt der Farben“, „Bunte Kriechtierwelt“ S. 111 VI.7e „Thüringen, das grüne Herz Deutschlands“ S. 112

VII. Farbfilm um jeden Preis? – Schlussfolgerungen und Ausblick

VII.1 1933 – 1935: Reserviertes Abwarten in der Farbfilmfrage S. 114 VII.2 1936: Das Jahr der Farbfilmeuphorie S. 116 VII.3 1937 – 1939: Forcierte Lösungssuche S. 119 VII.4 Ausblick in die 40er Jahre: Agfacolor während des Zweiten Weltkriegs S. 121 VII.5 Schlussbemerkung S. 122

3 VIII. Anhang

VIII.1 Filmographie 1931 – 1940 S. 124 VIII.2 Quellen- und Literaturverzeichnis S. 135 VIII.3 Abbildungsverzeichnis S. 138

4 I. Einleitung

I.1 Der Farbfilm: Kinotechnische Sensation der 30er Jahre

Im April 1938 fanden in dem Filmpalast der Urania in Wien jeden Tag zwei Aufführungen der Propagandafilme „Deutschland“ (Svend Noldan / 1937) und „Nürnberg 1937“ (Carl Junghans / 1937) unter dem Programmtitel „Großdeutschland“ statt. Die Besonderheit dieses Programms bestand darin, dass es sich um Farbfilme handelte. Ein Rezensent der Kleinen Volks-Zeitung beschrieb sein Kinoerlebnis folgendermaßen: „Die herbe Schönheit deutscher Landschaft zog in unvergleichlichen Stimmungsbildern an den Augen der Beschauer vorüber. Man erfreute sich an dem zarten Grün des Frühlings, bewunderte die rosenfarbenen Blüten- bäume und genoss den Anblick der zahllosen Seen, die insbesondere der märkischen Land- schaft ihr eigenartiges Gepräge geben. Der Unterschied zwischen den gezeigten Bildern und den gewohnten grauen Tönen des Normalfilms ist ein ganz gewaltiger. Erst die Farbe, so erkannte man deutlich, rückt den Gegenstand der Darstellung in unmittelbare Lebensnähe, und darum war es auch begreiflich, dass die Zuschauer sich nicht so sehr im Kino, als vielmehr in unmittelbarer Wirklichkeit fühlten, dass sie beim Erscheinen des Führers und der in prachtvoller Ordnung aufmarschierenden SA.-Truppen in Begeisterungsstürme ausbrachen, weil sie in diesem Fall den Atem des Lebens verspürten!“1 Zu dem Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels waren farbfotographische Drucke noch eine Seltenheit und das Kinoprogramm überwiegend schwarz-weiß. Dem farbigen Film kam ein Sensationswert zu, der erst vor dem Hintergrund der fast ausnahmslos schwarz- weißen Bildmedienlandschaft jener Zeit nachempfindbar wird. Vielfach überliefert sind die verblüfften zeitgenössischen Reaktionen auf die Farbe, das Erstaunen über den ungewohnt wirklichkeitsnah abgebildeten Aufnahmegegenstand, und der Zauber, den die filmge- stalterische Neuerung nicht nur durch die nunmehr möglich gewordenen Effekte, sondern bereits durch ihr bloßes Vorhandensein auf die Betrachter ausübte. Es verwundert nicht, dass die nationalsozialistische Propaganda versuchte, den Sensationswert des Farbfilms, den „Atem des Lebens“, wie der Rezensent blumig formulierte, für ihre Zwecke nutzbar zu machen. Zwar lag die Anziehungskraft des Farbfilms zunächst einmal in seinem Neuheitswert. Darüber hinaus begann sich aber bereits in diesem frühen Stadium der Eindruck von der Unzulänglichkeit des vorherrschenden Schwarz-Weiß-Films durchzusetzen. Dr. Victor Conrad Alberti, der Experimente mit dem Linsenrasterverfahren bei

1 Großdeutschland. In: Kleine Volks-Zeitung, 3. April 1938. 5 der Ufa beaufsichtigte, sah bereits 1933 voraus: „Wenn der wirklich einwandfreie Farbfilm zu einem marktfähigen Verfahren entwickelt sein wird, wird das Publikum ihn kategorisch als farbigen Tonfilm verlangen und den schwarzweißen Tonfilm ebenso ablehnen, wie man im allgemeinen den stummen Schwarz-Weiß-Film nicht mehr sehen kann.“2 Obwohl von der nahezu ausnahmslosen Umstellung vom Schwarz-Weiß- auf den Farbfilm erst rund zwanzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges die Rede sein konnte, war die Tendenz zum Farbfilm bereits in den 30er Jahren technischen Hürden und geschmacklichen Einsprüchen zum Trotz offensichtlich geworden. Von Adolf Hitler, der spätestens Mitte der 30er auf diese Entwicklung aufmerksam geworden war und sich eine farbige Neuverfilmung der „Nibelungen“ ( / 1925) wünschte3, berichtete Joseph Goebbels nach einer Unterredung über Filmfragen im November 1941: „Er sieht im Farbfilm überhaupt die filmische Zukunft.“4

I.2 Entwicklungsperspektiven des Mediums Film und die Farbfilmdebatte der 30er Jahre

Als in den Jahren 1929 bis 1931 die deutsche Kinoindustrie in einem Kraftakt die Umstellung vom Stumm- auf den Tonfilm vollzog, endete die 35jährige Ära des (mit experimentellen Ausnahmen) stummen Kinos. Im Bewusstsein dieser die Filmgestaltung augenblicklich und von Grund auf ändernden Umwälzung beurteilte man die Entwicklung des zum Tonfilm gereiften Mediums keineswegs als abgeschlossen. Ton – Farbe – Plastik5: In diesen drei vom Stummfilm ausgehenden Evolutions- schritten sah das vorherrschende Modell die ästhetische Vervollkommnung des Films. Nach der ersten Revolution durch die Einführung des Tons, erwartete man vom Farbfilm nun eine zweite. Obwohl auch auf dem Gebiet des dreidimensionalen Films bereits praktische

2 Dr. Victor Conrad Alberti: Die technischen und künstlerischen Voraussetzungen für die Herstellung farbiger Kulturfilme. In: Kinotechnische Rundschau des Film-Kurier, 13. Mai 1933. 3 „Der Führer hat die Absicht, einen neuen `Nibelungen´-Tonfilm drehen zu lassen. Der soll ganz monumental werden. Lehrstoff für Schulen. Ein Standardwerk. Womöglich schon in Farbe.“ Eintrag vom 31. Dezember 1936. In: Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Teil I. Aufzeichnungen 1934 – 1941. Band 3/II. März 1936 bis Februar 1937. Herausgegeben von Elke Fröhlich. München 2001. S. 310f. 4 Eintrag vom 22. November 1941. In: Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Teil II. Diktate 1941 bis 1945. Band 2. Oktober bis Dezember 1941. Herausgegeben von Elke Fröhlich. München 1996. S. 344. Dass Hitler auch bei diesem Anlass wieder Bezug auf sein „Nibelungen“-Projekt nahm, bestätigt den Eindruck, dass er dieses in farbiger Fassung geplant hatte. 5 So zusammengefasst zum Beispiel durch den Vize-Präsidenten der Reichsfilmkammer Hans Weidemann am 4. August 1936 anlässlich der Berliner Uraufführung des ersten deutschen Farb-Kurzspielfilms „Das Schönheitsfleckchen“ (Rolf Hansen): „[...] niemand kann heute die Zeit abschätzen, wann zu Bild, Ton und Farbe die Plastik treten wird.“ Hans Weidemann im Ufa-Pavillon: Farbfilm ist Glaubenssache. In: Film-Kurier, 5. August 1936. 6 Versuche unternommen wurden (so konnte im Dezember 1937 mit „Zum Greifen nah“, produziert von der Boehner-Film, Dresden, „der erste plastische Werbe-Tonfilm“6 in vorgestellt werden), blieb der Farbfilm das vorherrschende filmische Problemthema seiner Zeit, wobei sich die widerstreitenden Auffassungen in kontrovers geführten Diskussionen um das Für und Wider der Farbe niederschlugen. Die Farbfilmdebatte der 30er Jahre behandelte ihren Gegenstand vor allem unter drei Gesichtspunkten: einem ästhetischen, einem technisch-innovativen und einem wirtschaftlichen. Besonders hitzig und zum Teil hochtheoretisch wurde die Debatte unter ästhetischen Vorzeichen geführt: inwieweit nämlich die Farbe neue künstlerische Möglichkeiten eröffnete bzw. den Film zum Kitsch (Negativschlagwort der Warner) herabwürdigte. Einig war man sich in der Vorbedingung einer weitgehenden technischen Perfektion des Farbfilms: Man forderte unaufdringliche, geschmackvolle, naturwahre Farbfilme in Abgrenzung zur abgelehnten Kategorie der Buntfilme, als welche vor allem amerikanische Technicolor- Produktionen deklassiert wurden. Enger noch als die ästhetische müssen die technische und die wirtschaftliche Frage im Zusammenhang mit dem internationalen Wettlauf zu einem praktikablen und leistungsstarken kinematographischen Farbverfahren gesehen werden. Der Farbfilm deutscher Produktion sollte dabei nicht nur als Symbol des filmischen Fortschritts im speziellen und des tech- nischen im allgemeinen, sondern auch als nationale Errungenschaft gelten können, und sich in seiner speziell deutschen Prägung gegen ausländische Konkurrenzverfahren durchsetzen. Letzter Prüfstein (neben der erreichten Farbqualität) war dabei die Frage der Wirtschaftlich- keit, an der zum Beispiel das 1936/37 zur Markteinführung veranschlagte Siemens-Berthon- Opticolor-Verfahren letztlich scheiterte. Als irreführend mag empfunden werden, dass in zeitgenössischen Diskussionsbei- trägen fast immer von dem Farbfilm die Rede ist, obgleich es stattdessen eine kaum über- schaubare Vielzahl technisch zum Teil hochverschiedener Verfahren gab, die sich den Problemen der farbigen Aufnahme und Projektion auf unterschiedliche Weise annäherten und dabei untereinander Vorzüge und Nachteile aufwiesen. Zwar können die 30er Jahre als das entscheidende Jahrzehnt für den Durchbruch des farbigen Films angesehen werden, doch reicht die Geschichte des Farbfilms deutlich weiter zurück. Um eine Einordnung der deut- schen Entwicklung und den Vergleich mit dem Ausland zu ermöglichen, ist daher an dieser Stelle eine geschichtliche Betrachtung des Mediums Farbfilm angebracht.

6 Zum Greifen nah. Ufa-Palast am Zoo. In: Film-Kurier, 6. Dezember 1937. 7 I.3 Geschichte der frühen Farbkinematographie in Europa und den USA

Die folgende Überblicksdarstellung möchte schlaglichtartig die wichtigsten Eckdaten der Geschichte des farbigen Kinofilms in Europa und den USA bis Anfang der 40er Jahre nennen. Diese setzte mit weit über das experimentelle Stadium hinausführenden Schritten bereits vor dem Ersten Weltkrieg ein, wobei die meisten Verfahren kurz- oder längerfristig aufgrund ihrer mangelnden Marktfähigkeit scheiterten.

I.3a Additive und subtraktive Verfahren

Zum besseren Verständnis soll ein grundlegender technischer Sachverhalt an dieser Stelle bereits zur Darstellung kommen, nämlich die Unterteilung in additive und subtraktive Verfahren (altmodisch: in Farblicht- und Farbschicht-Verfahren), die für das Verständnis der frühen Farbkinematographie von besonderer Bedeutung ist. Unter den subtraktiven Verfahren versteht man solche, die auf chemischen Wege ein farbiges Negativ- / Positiv-Bild auf dem Filmmaterial erzeugen: Aus diesem Grund werden sie auch als chemische Verfahren bezeichnet. Das Prinzip der subtraktiven Farbmischung basiert auf den Grundfarben Gelb, Purpur / Magenta und Blaugrün / Cyan. Im Gegensatz dazu funktionieren die optischen Verfahren nach dem Prinzip der additiven Farbmischung (Grundfarben: Grün, Rot, Blau), d.h.: unter Verwendung schwarz-weißen Filmmaterials und Zuhilfenahme von Aufnahme-

8 und / oder Wiedergabe-Filtern, sowie gegebenenfalls speziellen Projektoren und Leinwänden. Während moderne Farbfilme (ab den 50er Jahren) ausschließlich nach dem subtraktiven Prinzip arbeiten, gab es in der ersten Jahrhunderthälfte zahlreiche als vielversprechend bewertete Versuche, mit additiven Verfahren zu einer praktikablen Farbkinematographie zu gelangen.

I.3b Kolorierung und Virage

Zwar nicht von Farbfilmen im Sinne einer naturgetreuen Farbwiedergabe, wohl aber von Buntfilmen kann praktisch von Beginn des Filmzeitalters die Rede sein. Bereits der fran- zösische Filmpionier Georges Méliès verstärkte die grelle Wirkung seiner häufig bizarren Kurzfilme durch deren manuelle Kolorierung7. Zunächst in Paris, dann in London entstanden Kolorier-Ateliers, in denen die Handkolorierung als Kunst und Präzisionshandwerk verfeinert wurde. Später wurde dieser mühsame Prozess der Einzelbild-Nachbearbeitung durch halb- automatische Verfahren wie den Handschiegl-Prozess und das Schablonenverfahren (zum Beispiel Pathécolor) erleichtert. In den 20er Jahren gewann die Viragetechnik gegenüber der Kolorierung an Beliebtheit. Die Virage bestand darin, schwarz-weiß gedrehtes Filmmaterial monochrom einzufärben, wobei, wie Gert Koshofer beschreibt, je nach Aufnahmegegenstand bzw. Schauplatz die angemessene Farbe gewählt wurde: „Blau für Nacht, Kälte oder die christliche Seefahrt, Grün für Natur – natürlich besser ohne Darsteller! –, Gelb für Zimmerbeleuchtung oder Abendszenen, und Rot schließlich für Gefahr, Feuer und Liebe (was ja manchmal dramaturgisch auch in einer Szene zusammentreffen konnte).“8

I.3c Frühe additive Verfahren

Das erste farbkinematographische Verfahren, das in großem Maßstab zur Aufnahme und Vorführung eingesetzt wurde und somit als markttauglich gelten konnte, war das auf zwei Farben beschränkte additive Kinemacolor-Verfahren. Ausgehend von den Forschungser- gebnissen Edward Turners und Marshall Lees entwickelten der Engländer G. A. Smith und der Amerikaner Charles Urban eine Technik, die trotz ihrer Beschränkung auf Grün und Rot eine bereits erstaunlich naturnahe Farbwiedergabe ermöglichte. Notwendig sowohl für die

7 Vgl. Koshofer, Gert: Color. Die Farben des Films. Berlin 1988. S. 7. Einleitung von Raymond Borde. 8 Koshofer. Color. S. 18. 9 Aufnahme als auch für die Wiedergabe von Kinemacolor-Filmen war ein in ein Rot- und ein Grünfilter aufgeteiltes Filterrad vor dem Objektiv der Kamera bzw. des Projektors. Am 26. Februar 1909 fand im Londoner Palace Theater die erste öffentliche Vorführung von Kurzfilmen nach dem Kinemacolor-Verfahren statt, die möglichst „bunte“ Sujets wie Landschaften, Feste, Militärparaden, Modenschauen beinhalteten. Noch im gleichen Jahr folgten Vorführungen in Berlin, Paris und New York. Zwei Jahre später war Kinemacolor nicht länger ein bestauntes Experiment, sondern wurde bereits zur Dokumentation von Großereignissen wie der Krönung des englischen Königs George V. herangezogen, die 1911 von zwei Dutzend Kameramännern gefilmt und in einem zweistündigen Dokumentarfilm festgehalten wurde. Noch einmal eine halbe Stunde länger war der am 2. Februar 1912 in der Londoner Scala uraufgeführte Film „The Durbar of Delhi“ über die Indienreise George V., der das ganze folgende Jahr Kinosäle in der britischen Hauptstadt füllte9. Eine Reihe meist kurzer Kinemacolor-Spielfilme („Mephisto“ (GB 1912), „The scarlet letter“ (David Miles / USA 1913)) fand ihren Höhepunkt in dem abendfüllenden „The world, the flesh and the devil“ (F. Martin Thornton / GB 1914). Von der ehemals großen Zahl Kinemacolor-Filme ist nur ein Bruchteil meist in Form von Fragmenten erhalten geblieben10. Charles Urbans ehrgeizige Expansionspläne11 erlitten einen schweren Rückschlag, als sein Unternehmen 1915 einen Patentstreit gegen den Erfinder William-Friese Greene verlor. William Friese-Greene und dessen Sohn Claude Friese-Greene hatten das Kinemacolor- ähnliche additive Biocolour-Verfahren zur Praxisreife ausgebaut, das hauptsächlich für Dokumentarfilme herangezogen wurde. Unter den zahlreichen Imitationen und Weiterent- wicklungen des Kinemacolor-Verfahrens, die in den Jahren vor und nach dem Ersten Welt- krieg in Erscheinung traten, soll an dieser Stelle noch das erstmals dreifarbige Gaumontcolor- Verfahren der Gaumont Gesellschaft in Paris erwähnt werden, mit dem unter anderem 1919 die Siegesparade der französischen Streitkräfte dokumentiert wurde12.

9 Vgl. Koshofer. Color. S. 23. 10 Einen Überblick über die weltweit verstreuten Kinemacolor-Zeugnisse bietet die dem Filmpionier Charles Urban gewidmete Internet-Präsenz http://www.charlesurban.com im Abschnitt „Sources“. Stand: Juni 2007. 11 Bereits 1910 hatte Urban in Pennsylvania die Kinemacolor Company of America gegründet. Vgl. Koshofer. Color. S. 23. 12 Vgl. Koshofer. Color. S. 24. 10 I.3d Rasterverfahren

In den 20er Jahren erschienen verstärkt sogenannte Rasterverfahren auf dem Markt: additive Techniken, die neben den erwähnten Aufnahme- und Projektionsfiltern ein schwarz-weißes Filmmaterial mit einer speziellen korn-, linien- oder linsenartigen Prägung verwendeten. Das französische Kornrasterverfahren der Gebrüder Lumière, Cinécolor, stellte die Übertragung ihrer erfolgreichen Autochrome-Fototechnik auf das Kinoformat dar. In Großbritannien fand das nach dem französischen Fotografen Louis Dufay benannte Linien- rasterverfahren Dufaycolor in den 30er Jahren sowohl im Amateur- als auch im Dokumentar- und Spielfilmbereich Anwendung. In Deutschland wurde 1936 die Entwicklung des nur kurzlebigen Linsenrasterverfahrens Opticolor stürmisch begrüßt. Die Rasterfilme stellten die technisch aufwendigsten Ausprägungen der additiven Farbfilmtechnik dar. Im Laufe der 30er Jahre stellte sich heraus, dass sie aufgrund ihrer hohen Materialkosten und ihres erforderlichen Zubehörs wirtschaftlich nicht mit den subtraktiven Techniken konkurrieren konnten.

I.3e Subtraktive Zweifarben-Verfahren

Der Weg zum subtraktiven Drei-Farben-Film führte über die zahlreichen auf zwei Farben beschränkten Systeme, die in den 20er Jahren vor allem in den USA die Farbkinematographie dominierten. Das bekannteste Zwei-Farben-Verfahren ging auf die Technicolor Motion Picture Corporation zurück, die 1915 von Herbert Kalmus in Boston, Massachusetts gegründet wurde. Ingesamt entwickelte Kalmus’ Firma drei Zwei-Farben-Verfahren, den Technicolor-Prozess Nr 1 bis 3, von denen der erste noch additiv13, die folgenden subtraktiv funktionierten. Unter Verwendung des Technicolor-Prozesses Nr. 2 entstanden Einzelszenen aus den klassischen Hollywood-Stummfilmen „Ben Hur: A Tale of the Christ“ (Fred Niblo / 1923) und „The Ten Commandments“ (Cecil B. DeMille / 1923), sowie der Kassenschlager „The Black Pirate“ (Roy William Neill / 1925). Die dritte Evolutionsstufe des zweifarbigen Technicolor-Verfahrens kam zum ersten Mal für den Stummfilm „The Viking“ (Roy William Neill / 1928) zum Einsatz und wurde bis in die frühen 30er vorzugsweise für Revue- und Broadway-Spektakel wie „On with the Show“14 (Alan Crosland / 1928), „Gold Diggers of

13 Der einzige komplett in diesem Verfahren gedrehte Spielfilm war „The Gulf between“ (Wray Bartlett Physioc / 1917). 14 „On with the show“ konnte zugleich für sich als ersten abendfüllenden Spielfilm werben, der seinen Zuschauern neben der Farbe auch Ton bot. 11 Broadway“ (Roy Del Ruth / 1929), „Whoopee!“ (Thornton Freeland / 1930) und „The King of Jazz“ (John Murray Anderson / 1930), sowie Zeichentrickfilme genutzt. Mit Technicolor konkurrierten zahlreiche andere subtraktive Zweifarben-Verfahren, darunter das von William Van Doren Kelley in New York vertriebene Prizmacolor- Verfahren15, das sowohl in den USA als auch in Großbritannien Anwendung fand. Ein anderes amerikanisches Verfahren, Multicolor, wurde ab 1928 durch den Millionär und Filmregisseur Howard Hughes gefördert. Als eine Folge der Wirtschaftskrise verschwanden jedoch Anfang der 30er zahlreiche Zweifarbenverfahren und die dahinterstehenden Firmen von der Bildfläche.

I.3f Triumphzug von Drei-Farben-Technicolor in den USA und Großbritannien

Allgemein wird die Einführung des dreifarbigen Technicolor-Prozesses Nr. 4 im Mai 1932 als Durchbruch für die Farbkinematographie betrachtet. Grundstein des nachhaltigen Erfolges war die komplizierte Konstruktion der sogenannten Drei-Streifen-Strahlenteilerkamera: Hinter ihrem Objektiv ermöglichte ein halbdurchlässiges Prisma die Belichtung dreier deckungsgleicher Farbauszüge, aus denen in den Technicolor-Labors schließlich der farbige Filmstreifen gewonnen wurde. Die Kosten des Herstellungsprozesses erhöhten sich noch dadurch, dass speziell ausgebildete Kameramänner und Farbberater der Technicolor-Gesellschaft nötig waren, um die unnatürlich satten Farben zu erzeugen, die das Markenzeichen von Technicolor wurden. Nach anfänglicher Zurückhaltung der Produktionsfirmen entstanden zunächst Zeichentrick- filme von Walt Disney, dann der mit einem Oscar ausgezeichnete Kurzfilm „La Cucaracha“ (Lloyd Corrigan / 1934) und schließlich als erster abendfüllender Spielfilm „Becky Sharp“ (Rouben Mamoulian / 1935) in Drei-Farben-Technicolor. In den folgenden Jahren stieg die Zahl der in Technicolor produzierten Spiel- und Dokumentarfilme stetig an. Ähnlich wie vor ihm Charles Urban mit seiner Natural Color Kinematography Company beabsichtigte auch Herbert Kalmus, die Vormachtstellung von Technicolor international auszubauen. Bereits 1936 entstand mit „Wings of the Morning“ (Harold Schuster) der erste britische Technicolor-Spielfilm, dessen Aufnahmen zur Entwicklung noch in die USA geschickt werden mussten. Ab 1937 stand die Tochterfirma Technicolor Limited in Harmondsworth, West Drayton, zur Verarbeitung britischer Technicolor-Filme zur

15 Wie der Technicolor-Prozess Nr. 1 war auch Prizmacolor zunächst ein additives Verfahren gewesen. 12 Verfügung16. Zu einer französischen Niederlassung des Technicolor-Konzerns kam es vor Kriegsausbruch nicht mehr, ein erstes Filmprojekt blieb unbeendet17. In den USA und Großbritannien entstanden während des Zweiten Weltkrieges eine große Zahl Unterhaltungs-, aber auch Dokumentar- und Propagandafilme im Technicolor-Verfahren18.

I.3g Die Entwicklung in Deutschland

Den Beginn des deutschen farbigen Kinofilms markiert die Uraufführung des Ufa-Kulturfilms „Bunte Tierwelt“ (Dr. Ulrich K. T. Schulz) am 10. Dezember 1931. Obwohl auch in Deutschland bereits vor dem Ersten Weltkrieg in Farbfilmfragen geforscht worden war und in den 20er Jahren eine ganze Reihe experimenteller, zumeist additiver Verfahren der Presse vorgestellt wurden19, erscheint dieses Stichdatum sinnvoll, da der im nur zweifarbigen Ufacolor-Verfahren gedrehte Film mit jedem Kinoprojektor ohne komplizierte Zusatzaus- rüstung abgespielt werden konnte und so flächendeckend zur Vorführung kam. Bei Machtergreifung der Nationalsozialisten stand der deutschen Filmindustrie neben dem Ufacolor- auch das soeben eingeführte und (zunächst) nur für (Zeichen–) Trickaufnah- men geeignete Gasparcolor-Verfahren zur Verfügung, und damit zwei Techniken, die im Rahmen ihrer systembedingten Beschränkungen bei geschickter Handhabung befriedigende Resultate zu kalkulierbaren Herstellungskosten zeitigten, ohne aber das Farbfilm-Problem befriedigend lösen zu können. Im Gegensatz zur Kinoindustrie waren dem Film-Amateur zu diesem Zeitpunkt bereits Realaufnahmen in weitgehend natürlicher Farbwiedergabe möglich: Seit August 1932 stand der in den Wissenschaftlichen Zentrallaboren der Agfa in Wolfen bei Bitterfeld entwickelte Agfacolor-Linsenraster-Schmalfilm zur Verfügung, dem im Mai 1937 die Markteinführung von Agfacolor-Neu im 16-mm-Format folgte. Die überwiegende Mehrheit aller aus der NS- Zeit überlieferten farbigen Schmalfilme wurden entweder auf Agfacolor-Neu- oder dem 1935 eingeführten Kodachrome-16-mm-Material gedreht, das durch die Eastman Kodak Company weltweit vertrieben wurde.

16 Vgl. Koshofer. Color. S. 66. 17 Der Film trug den Arbeitstitel „Main Streets of Paris“. Vgl. Koshofer. Color. S. 70. 18 Als bekannteste britische Propaganda-Spielfilme in Farbe wären „The Life and Death of Colonel Blimp“ (Michael Powell / Emeric Pressburger / 1943) und „This Happy Breed“ (David Lean / 1944) zu nennen, während in den USA Kriegsmelodramen wie “Captains of the Clouds” (Michael Curtiz / 1942), „Crash Dive“ (Archie Mayo / 1943) oder „Cry Havoc“ (Richard Thorpe / 1944) entstanden – von einer Vielzahl farbiger Front- Reportagen (inszeniert durch John Ford, John Houston, William Wyler u.a.) ganz zu schweigen, die allerdings für die Kinoauswertung von Kodachrome-16-mm auf Technicolor kopiert wurden. 19 Gert Koshofer nennt das Jan-Szczepanik-Verfahren, den zweifarbigen Busch-Farbenfilm und das Horst- Verfahren, die additiv funktionierten (Color. S. 25ff.), und die subtraktiven zweifarbigen Werbefilme der Sirius- Farbenfilm-Gesellschaft Berlin, die 1930 auf deutschen Kinoleinwänden gezeigt wurden (Color. S. 45f.). 13 Als Durchbruch in der Farbkinematographie beworben wurde dagegen das von Siemens & Halske in Zusammenarbeit mit dem Rohfilmhersteller Perutz entwickelte Siemens-Berthon- oder kurz: Opticolor-Verfahren, das jedoch an dem mit ihm verbundenen hohen technischen und finanziellen Aufwand scheitern sollte. Am 4. August 1936 in Berlin mit einem ersten farbigen Kurzspielfilm „Das Schönheitsfleckchen“ (Rolf Hansen) vorgestellt, entstanden nach diesem Verfahren in der Folgezeit eine Reihe von Propaganda- filmen, bis es 1938 aufgegeben wurde. Die Agfa befand sich zu diesem Zeitpunkt in der Ausarbeitungsphase zweier hoffnungsvoller Verfahren, des Agfa-Pantachrom- und des nach dem Prinzip des gleichna- migen Schmalfilms funktionierenden Agfacolor-Verfahrens. Im Sommer 1939 konnte das letztere der Ufa übergeben werden, die ihrerseits im Juli mit den Aufnahmen zum ersten abendfüllenden deutschen Farbspielfilm „Frauen sind doch bessere Diplomaten“ ( / 1941) begann. Dem erst über zwei Jahre später uraufgeführten Film gingen die ersten in Agfacolor gedrehten Kulturfilme voran, von denen wiederum „Bunte Kriechtierwelt“ (Wolfram Junghans / 1940) und „Thüringen, das grüne Herz Deutschlands“ (Carl Hartmann / 1940) als die frühesten gelten. In der zweiten Kriegshälfte sollten neben einer größeren Zahl farbiger Kulturfilme noch acht weitere Farbspielfilme folgen: „Die goldene Stadt“ (Veit Harlan / 1942), „Das Bad auf der Tenne“ (Volker von Collande / 1943), „Münchhausen“ (Josef von Baky / 1943), „Immensee“ (Veit Harlan / 1943), „Opfergang“ (Veit Harlan / 1944), „Die Frau meiner Träume“ (Georg Jacoby / 1944) und „Kolberg“ (Veit Harlan / 1944), sowie der allerdings vor Kriegsende nur in Prag uraufgeführte „Die Große Freiheit Nr. 7“ (Helmut Käutner / 1944).

I.4 Der Untersuchungszeitraum 1933 bis 1940

Der Untersuchungszeitraum dieser Arbeit liegt in den Jahren zwischen 1933 und 1940, also in der Zeitspanne von der nationalsozialistischen Machtergreifung bis zur Marktführerschaft des Agfacolor-35-mm-Materials, das sich schließlich als das deutsche Farbfilmverfahren gegen die konkurrierenden Techniken durchsetzen konnte. Dabei ist es schwer möglich, exakt zu datieren, wann die Agfa ihre Zielvorgabe erreicht hatte, mit Agfacolor ein allgemein praktikables und vor allem marktfähiges Drei- Farben-Verfahren für Kultur- und Spielfilme einzuführen. Nicht mit einem publizistischen Paukenschlag wie im Fall des Siemens-Berthon-Opticolor-Verfahrens, sondern in vergleichs-

14 weise unauffälligen Schritten hielt Agfacolor Einzug in die Lichtspieltheater, beginnend mit minutenlangen Werbefilmen, gefolgt von den ersten (immer noch unter einer Viertelstunde Spielzeit bleibenden) Kulturfilmen, und fand schließlich seinen sichtbarsten Ausdruck in der Uraufführung des ersten abendfüllenden deutschen Farbspielfilms „Frauen sind doch bessere Diplomaten“ im Oktober 1941. Doch auch dieses späte Datum, häufig zum Anfangspunkt der deutschen Farbfilmära erklärt, erscheint eher willkürlich in Anbetracht der Tatsache, dass die Kinoauswertung des längst fertiggestellten Films aus qualitativ-ästhetischen Einwänden heraus hinausgezögert worden war und erst ermöglicht wurde, als Filmproben des zweiten Ufa-Films in Agfacolor, „Die goldene Stadt“, die Güte des technisch inzwischen optimierten Verfahrens unter Beweis gestellt hatten. Daher erscheint es sinnvoll, den Blick stattdessen auf den Verlauf der farbkinemato- graphischen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zu lenken, die, nach der ein ganzes Jahrzehnt hindurch dauernden Phase auseinanderstrebender und miteinander konkurrierender Techniken, mit der Auswertung des Agfacolor-Verfahrens zu einem Abschluss kamen. In den Jahren 1939/40 erfolgte die Umstellung der deutschen Filmindustrie auf Agfacolor – in dem Sinne, dass zwar nicht (wie beim Übergang vom Stumm- zum Tonfilm) die neue Technik die alte (also Schwarz-Weiß) ablöste, sondern dass Agfacolor an die Stelle der nunmehr überholten Konkurrenzverfahren trat. Während Agfacolor im Spielfilmbereich erst mit dem farbtechnischen Triumph von Harlans „Die goldene Stadt“ (deutsche Uraufführung im November 1942) den endgültigen Durchbruch feiern konnte, etablierte sich das neue Verfahren im dokumentarischen Bereich bereits erheblich früher. Tatsächlich gab es trotz mangelhafter Lichtempfindlichkeit und mancher technisch noch ungemeisterter Herausforderung bereits Mitte 1939 wenigstens für dreifarbige Realaufnahmen kein ernstzunehmendes Konkurrenzverfahren mehr. Das Wegfallen anderer Techniken, deren Nebeneinander so charakteristisch für die Jahre bis 1939 ist, kennzeichnet das Ende einer Phase der Suche nach technischen Lösungen, die im Mittelpunkt meiner Untersuchung stehen soll. Der langsame Übergangsprozess macht dabei die Berücksichtigung sowohl der ersten Kurzfilme in Agfacolor als auch der letzten beispielsweise nach dem Gasparcolor-Verfahren gedrehten Filme notwendig, die noch 1940/41 in die Kinos kamen: beispielsweise „Der Störenfried“ (Hans Held / 1940) oder „Die Wiesenzwerge“ (Gerhard Krüger / 1941).

15 I.5 Zum Begriff des Kulturfilms

Der überwiegende Teil der in dieser Arbeit zusammengetragenen Filmtitel lässt sich unter dem zeitgenössischen und bis in die 50er Jahre hinein gebräuchlichen Oberbegriff des Kulturfilms subsumieren. Als Genrebezeichnung verschwommen, dient er vielmehr zur Charakterisierung im weitesten Sinne nicht-fiktionaler filmischer Spielarten: Kunst-, Architektur-, Natur-, Landschafts- und Industriefilm, Reisereportage, Aktualitätenschau und schließlich auch Kriegsberichterstattung. Peter Zimmermann und Kay Hoffmann weisen darauf hin, dass „der didaktisch ambitionierte Kulturfilm, der in den 20er und 30er Jahren meist als Vorfilm im Kino eingesetzt wurde, zunehmend inszenierte Spielhandlungen integrierte und sich in weiten Teilen zu einer semidokumentarischen Mischform entwickelte, gegen die dann einerseits der Dokumentarfilm als `Tatsachen- oder Wirklichkeitsbericht´ und andererseits der nüchterne didaktische Lehrfilm abgegrenzt wurden.“20 Entgegen dieser durchaus sinnvollen Unterscheidungen blieb der „Kulturfilm“ aber im Jargon der Fachpresse zur NS-Zeit allgemeingültiger Sammelbegriff für „naturwissenschaft- liche und technische, feuilletonistische und zeitgeschichtlich wichtige, politische und unpolitische“ nicht-fiktionale Filme, deren gemeinsame Eigenschaft und Zielsetzung nach Dr. Nicholas Kaufmann, 1943 Leiter der Kulturfilmabteilung der Ufa, darin bestünde, „das Leben und seine vielfältigen Erscheinungen, die Natur und ihre den Menschen immer wieder zu neuer und weiterer Ergründung reizenden Gesetze aufzudecken, die Menschen zu erfreuen und zu erbauen und ihre Kenntnisse zu vermehren zu Nutz und Frommen des deutschen Volkes und der Welt.“21 Wie breit das Themenspektrum des Kulturfilms gefächert war, lässt sich an den Filmzusammenstellungen für die erstmals im September 1941 in München abgehaltene Reichswoche für den deutschen Kulturfilm demonstrieren, in deren Rahmen in den Folgejahren sogar Zeichentrickfilme wie Hans Fischerkoesens „Verwitterte Melodie“ (1943) oder „Armer Hansi“ (Gerhard Fieber, Frank Leberecht / 1943) gezeigt wurden. Ich wende die Bezeichnung „Kulturfilm“ auf all jene nicht-fiktionalen Kurzfilme an, seien es Städte-, Tier- oder Parteifilme, die bei den sogenannten Kulturfilmabteilungen der deutschen Produktions-

20 Zimmermann und Hoffmann: Die Kulturfilm-Debatte zur Zeit des Nationalsozialismus und die Rechtfertigungsliteratur nach 1945. In: Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland. Band 3. `Drittes Reich´ 1933-1945. Herausgegeben von Peter Zimmermann und Kay Hoffmann. Stuttgart 2005. S. 26. 21 Nicholas Kaufmann: Das Kulturfilmschaffen der Ufa. In: Die Ufa. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte des deutschen Filmschaffens. Herausgegeben von Hans Traub im Auftrag der Universum-Film Aktiengesellschaft. Berlin 1943. S. 183. 16 gesellschaften Universum-Film AG (Ufa), Terra-Film AG, Tobis-Filmkunst GmbH und Bavaria-Filmkunst GmbH, oder durch eigenständige Kulturfilmproduzenten (z.B. Riefenstahl-Film GmbH, Boehner Film, Naturfilm Hubert Schonger, Atelier Svend Noldan etc.) entstanden sind.

I.6 Zum Begriff des Propagandafilms

Auch die unter (Film-)Historikern keineswegs einheitliche Verwendung der Bezeichnung „Propagandafilm“ macht eine klärende Vorbemerkung nötig. Das in der Nachkriegszeit analog zur Vorstellung des monolithischen Führerstaates etablierte Diktum von der ideologisch einheitlich ausgerichteten Dokumentarfilmproduktion des Dritten Reiches22 scheint dabei die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dessen Filmerbe zu erschweren. Hilmar Hoffmann, der den Dokumentarfilm „ab 1933 [...] eindeutig [...] als einseitiges Funktionsmittel der Propaganda“ qualifiziert, mehr noch: in ihm ein „nationalsozialistisches Organ“, ein „Parteiorgan“ sieht, unterstellt folgerichtig allen Spielarten des dokumentarischen Films, dass „deren Tendenz dem höheren ideologischen Zweck verpflichtet“ sei, „selbst da, wo die Ideologie nicht expressis verbis als solche zum Vorschein kommt. Sie ist implizit aber in jedem Meter Film vorhanden.“23 Die französischen Filmkritiker Francis Courtade und Pierre Cadars widmen sich in ihrer „Geschichte des Films im Dritten Reich“ zwar einigen prominenten abendfüllenden Vertretern des propagandistischen Kulturfilms, sehen darüber hinaus aber „keinen Sinn, sich im einzelnen mit der Unzahl von mehr oder weniger ernstzunehmenden Dokumentarfilmen auseinanderzusetzen, die nach 1933 in Deutschland entstanden.“24 Demgegenüber fordern Peter Zimmermann und Kay Hoffmann eine Hinwendung „von der Gleichschaltungs- und Propaganda-These zur differenzierten Erforschung dokumentarischer Genres“, und kommen zu dem Schluss: „Der dokumentarische Film des `Dritten Reichs´ war vielfältiger, widersprüchlicher und in weiten Teilen weniger

22 Peter Zimmermann benennt die exkulpierende Funktion der damit verknüpften, „vielfach abgeleiteten These von der Verführung des deutschen Volkes durch die NS-Propaganda“. (Peter Zimmermann: Faschismus und Moderne. Perspektivenwechsel in der historischen Forschung. In: Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland. Band 3. S. 17.) 23 Hoffmann, Hilmar: `Und die Fahne führt uns in die Ewigkeit´. Propaganda im NS-Film. Frankfurt am Main 1988. S. 126. 24 Courtade, Francis und Cadars, Pierre: Geschichte des Films im Dritten Reich. München 1975. S. 279. 17 propagandistisch, als es das kritische Stereotyp wahrhaben möchte.“25 – In diesem Sinne soll anstelle moralischer Bewertungsversuche die sachliche Auseinandersetzung mit den Filmen und ihren formalen, inhaltlichen und ästhetischen Besonderheiten, sowie die Darstellung ihres Entstehungshintergrundes geleistet werden. Es soll erstmals der Versuch gemacht werden, die im Untersuchungszeitraum hergestellten Farbfilme nach Möglichkeit in ihrer Gesamtheit zu erfassen und auf politische Tendenzen und Wirkungsabsichten hin zu untersuchen. Dabei wird schnell deutlich werden, dass nur eine kleine Anzahl der in der folgenden Arbeit dargestellten Filme zu Propagandazwecken entstanden sind: Misst man beispielsweise die nach dem Agfa-Bipack-Verfahren hergestellten Tierdokumentationen an der Zahl der im gleichen Verfahren gedrehten Propagandafilme, so ergibt sich ein Verhältnis von 4:1 zugunsten der Tierfilme. Bezüglich farbiger Filme tritt aber noch ein anderer Aspekt hinzu: dass nämlich (abhängig davon, wie vollkommen die farbliche Wiedergabe im Vergleich zu ausländischen Produktionen gemeistert wurde) das Medium Farbfilm als solches bereits einen Propaganda- wert darstellte, der Farbfilm also sowohl Objekt als auch Träger nationalsozialistischer Propaganda sein konnte. Aus diesem Grund können die farbigen Filme, die im national- sozialistischen Deutschland produziert wurden, auch dann nicht vollständig losgelöst von ihrer politischen Qualität betrachtet werden, wenn sie so harmlose Kostüm- und Tanz- Szenarien zum Inhalt haben wie etwa F.B. Niers „Karneval“ (1935).

I.7 Vorgehensweise und Fragestellungen

Daraus folgt, dass eine auf ideologische Inhalte beschränkte Untersuchung zu kurz greift: Die Erwähnung auch von Filmen, die inhaltlich kaum Rückschlüsse auf ihren zeitgeschichtlichen Entstehungshintergrund zulassen, scheint mir zur Darstellung des Gesamtzusammenhangs unerlässlich, da sie den Prozess des deutschen Strebens nach einem praktikablen Farbfilmver- fahren als dessen oftmals experimentelle Produkte veranschaulichen. Aus diesem Grund verzeichnet die angehängte Filmographie sämtliche farbig produzierten deutschen Filmtitel zwischen 1931 und 1940 (reine Werbefilme und Schmalfilme ausgenommen), die sich im Laufe meiner Recherchen eruieren ließen. Während farbige Werbefilme in gezeichneter Form als besonders populäre Ausprägung des Zeichentrickfilms in den 30er Jahren zur Darstellung

25 Peter Zimmermann und Kay Hoffmann: Von der Gleichschaltungs- und Propaganda-These zur differenzierten Erforschung dokumentarischer Genres. In: Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland. Band 3. S. 47. 18 gelangen werden, habe ich den schwer überschaubaren Amateurfilmbereich, in dem bereits vor 1933 farbige Schmalfilme im 16-, später auch 8-mm-Format Verbreitung fanden, gänzlich ausgeklammert, da diese fast ausschließlich von Privatpersonen genutzten Fabrikate für die Anwendung durch die Kinoindustrie nicht in Frage kamen. Zur besseren Identifizierung sämtlicher Filmtitel werden diese bei ihrer Erstnennung stets mit Angabe von Regisseur und Entstehungsjahr versehen, soweit diese bekannt sind – vorausgesetzt, beides ist nicht aus dem Zusammenhang zu schließen. In den Fällen, in denen sich Filmkopien erhalten haben und gesichtet werden konnten, habe ich von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, andernfalls mich bemüht, den ungefähren Inhalt verlorener Filme zu rekonstruieren, wobei angesichts der Quellenlage Lücken unvermeidlich sind. Aufbau und Gliederung der Arbeit folgen im wesentlich der Chronologie, in der die einzelnen parallel existierenden oder einander ablösenden Farbfilmverfahren ihre Marktein- führung erlebten. Dieser technikgeschichtliche Ansatz erscheint deswegen sinnvoll und notwendig, da ohne Schilderung der technischen Hintergründe, der Pionierleistungen und auch der Irrtümer, die Geschichte des frühen Farbfilms gar nicht darstellbar ist. Über die theoretischen Grundlagen der Verfahren und ihre chemische und technische Realisierung gibt es zahlreiche Veröffentlichungen26. Ich beschränke den diesbezüglichen Anteil meiner Arbeit daher auf einen einleitenden Abschnitt zum jeweiligen Verfahren, der in allgemein verständlicher Form dessen Funktionsweise und Entwicklungsgeschichte zusammenfasst. Im abschließenden Kapitel soll eine Überblicksdarstellung gegeben werden, die auch dem Einfluss der ausländischen Erfolge auf dem Farbfilmgebiet, namentlich Technicolor, Rechnung trägt. Im Vordergrund der Untersuchung stehen die Fragen, welchen Gebrauch die nationalsozialistische Propaganda von den zur Verfügung stehenden Verfahren machte, welcher Stellenwert dem damals revolutionärem Medium des farbigen Films beigemessen wurde und welche besonderen Wirkungsabsichten sich an die Einführung des Farbfilms knüpften. Zur Beantwortung dieser Fragen ausgewertet wurden die Jahrgänge 1931-40 des Film-Kurier, die Ufa-Vorstandsprotokolle aus dem gleichen Zeitraum, das Betriebsarchiv der ehemaligen Filmfabrik der Agfa in Wolfen, der Bestand „Siemens-Berthon-Verfahren“ im Archiv der Firma Siemens und der Bestand „Reichsfilmkammer“ im Bundesarchiv. Zum

26 Eine umfassende Darstellung vor allem der deutschen Verfahren bietet: Schmidt, Richard und Kochs, Adolf: Farbfilmtechnik. Eine Einführung für Filmschaffende. Schriftenreihe der Reichsfilmkammer, Band 10. Berlin 1943. Als Standardwerk zum Thema Farbfilm ist das bereits zitierte „Color. Die Farben des Films“ von Gert Koshofer zu nennen. Wertvolle Ergänzungen zu den Agfa-Fabrikaten bieten die vom Industrie- und Filmmuseum Wolfen herausgegebenen Hefte „Aus der Geschichte“, vor allem Heft 4, 8, 11. 19 Eruieren und Abgleichen von Filmtiteln und Stabangaben habe ich daneben die durch das Deutsche Filminstitut – DiF e.V. und Cinegraph – Hamburgisches Zentrum für Filmstudien e.V. erstellte Datenbank „Deutsche Filmographie II“ genutzt, die bei jetzigem Stand etwa 38.000 Kurz- und Dokumentarfilme umfasst.

20 II. Anfang und Übergangslösung: Das Agfa-Bipack-Verfahren

II. 1 Technik und Entwicklungsgeschichte des Agfa-Bipack-Verfahrens

Der hauptsächlich unter dem werbewirksamen Namen Ufacolor27 bekannt gewordene Agfa- Bipack-Zweifarbenfilm war in seiner Darstellung auf nur zwei Grundfarben beschränkt: Blaugrün und Rotorange. In der Bipack-Aufnahmetechnik erfolgte die gleichzeitige Belichtung von zwei schwarz-weißen Einzelfilmen in der Kamera, aus denen die beiden Farbauszüge gewonnen wurden: So nahm der erste Film (Frontfilm) die grünblauen, der zweite Film (Rückfilm) die rötlichen Lichtanteile des jeweiligen Motivs auf28. Anschließend wurden diese Farbauszüge auf einen beidseitig mit fotografischen Emulsionen beschichteten Positivfilm, den sogenannten Dipo-Film, beidseitig aufkopiert. Somit funktionierte das Agfa-Bipack-Verfahren vom Prinzip ähnlich wie zahlreiche andere subtraktive Zweifarben-Verfahren seiner Zeit, von denen das erfolgreichste und bis heute bekannteste das Zweifarben-Technicolor-Verfahren war. Die offensichtlichen Unzulänglichkeiten der Darstellung, die sich aus der Beschränkung auf zwei Grundfarben ergaben, schlugen sich nieder in „Verfälschungen und Lücken in der Farbwiedergabe“, wie Gert Koshofer ausführt: „Reines Blau fehlte, der Himmel wirkte daher etwa grünlich; Pflanzengrün erschien nur bräunlich (also immer etwas herbstlich), Rot kam rosaorange, Weiß bläulich. Eine echte Reproduktion von Violett, Purpur, Gelb, Gelbgrün und Tiefschwarz war unmöglich. Wichtig war aber die Tatsache, dass mit dem Zweifarbensystem der Hautton recht zufriedenstellend wiedergegeben werden konnte.“29

Die im Februar 1930 im Zentrallabor der Agfa aufgenommenen Arbeiten am Bipack- Verfahren wurden mutmaßlich angestoßen durch die Vorführung von US-amerikanischen Filmen im Multicolor-Verfahren in deutschen Kinos30. Nach Ablauf eines Jahres hatten die in

27 Die Auswertung des Verfahrens erfolgte größtenteils über die Kultur-, sowie die Werbefilm-Abteilung der Ufa. Der Ufa-Vorstand hatte sich bereits im Mai 1930 auf die Vorspann-Bezeichnung Ufacolor festgelegt. Vgl. Bundesarchiv Berlin (BA), Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1027 b, Nr. 637 vom 14. Mai 1930. 28 Eine die Bipack-Technik veranschaulichende Abbildung ist im Kapitel über das Agfa-Pantachrom-Verfahren, S. 90, zu finden. 29 Koshofer. Color. S. 37. 30 Das durch den amerikanischen Multimillionär Howard Hughes finanzierte zweifarbige Multicolor-Verfahren verband die Bipack-Aufnahmetechnik mit dem Dipo-Kopiermaterial. Die Ufa zeigte 1929 Interesse an dem Verfahren. So wurde erwogen, Teile des (nicht realisierten) Filmprojekts „Von Zantens glückliche Zeit“ in Multicolor zu drehen. (BA Bestand R 109 I / 5393: Schreiben der Produktion an Direktor Correll vom 21. und Direktor Grieving (Ufa) vom 28. Oktober 1929.) Ehrhard Finger weist auf den Zusammenhang zwischen der als akzeptabel bewerteten Qualität der Multicolor- Filme und den Beginn der Entwicklungsarbeiten in der Filmfabrik Wolfen hin. Vgl. D. Ch. Ehrhard Finger: Zum 21 Wolfen ausgearbeiteten Versuchsfilme die Güte des amerikanischen Vorbildmaterials eingeholt. Das Zweifarben-Verfahren hatte gegenüber den Rasterfilmen den Vorteil der unkomplizierteren Kopienherstellung und bot im Vergleich zu etwa Siemens-Berthon- Opticolor oder dem Pantachrom-Verfahren das deutlich lichtempfindlichere Aufnahme- material: So belief sich der zur Aufnahme erforderliche Mehrbedarf an Licht gegenüber des Schwarz-Weiß-Films auf nur 30%31. Weiterhin war eine Projektion in jedem Kino ohne kostspielige Zusatzvorrichtungen möglich. Diese Eigenschaften waren ausschlaggebend dafür, dass der Bipack-Zweifarbenfilm über den verhältnismäßig langen Zeitraum (von 1931 bis 1939) angewandt wurde. In diesem Zeitraum wurden insgesamt 1,8 Millionen Meter Filmkopien nach dem Verfahren von der Kopieranstalt Afifa ausgeliefert32. Überlegungen, den „Bi-“ zum „Tripack“ weiterzuentwickeln, also drei Farbauszüge aufzunehmen und zwecks Wiedergabe des ganzen Farbspektrums deckungsgleich zu kopieren, wurden bereits in einem frühen Stadium verworfen. Als der Klub für Kamera- technik und die Schriftleitung der Kinotechnik am 3. Mai 1933 einen gemeinsamen Abend im Berliner Efa-Atelier veranstalteten, erteilte Dr. von Bieler von der Agfa-Filmfabrik Hoffnungen auf das „Tripack-Verfahren“ eine Absage, da „auf der letzten Schicht ein sehr unscharfes Bild entstehen“ würde, „welches für die Anforderungen an den Farbenfilm nicht ausreichen würde und deshalb noch weniger Erfolgsaussichten bieten würde als das Zweifarbenverfahren.“33 Wegen mangelnder Schärfe erklärte die Reichsstelle für Unterrichts- film das Bipack-Verfahren im Oktober 1935 auch als für das 16-mm-Format ungeeignet34. Noch bis 1937 wurden in Wolfen Arbeiten zur Optimierung des Verfahrens durchgeführt.

II.2 Die ersten Kulturfilme in Ufacolor

Während die Werbefilmindustrie vom Agfa-Bipack-Verfahren umfassenden Gebrauch machte, erschienen Kulturfilme nach dem Verfahren nur vereinzelt und unregelmäßig.

Geburtstag des deutschen Farbkinofilms. In: Die Filmfabrik Wolfen – Aus der Geschichte, Heft 11. Herausgeber: Industrie- und Filmmuseum Wolfen e.V. Wolfen o. J. S. 20. Auch Dr. Richard Schmidt gesteht im Jubiläums-Buch der Ufa rückblickend ein, dass das Bipack-Verfahren „amerikanische Vorbilder hatte“. Dr. Richard Schmidt: Die Technik in der Ufa. In: Die Ufa. S. 195. 31 Vgl. A. v. Biehler: Über die Agfa-Bipack-Kinematographie. In: Veröffentlichungen des Wissenschaftlichen Zentral-Laboratoriums der Photographischen Abteilung – Agfa – Band III. Herausgegeben von der I.G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft. Leipzig 1933. S. 228. 32 Dr. Richard Schmidt: Die Technik in der Ufa. In: Die Ufa. S. 195. 33 Das neuzeitige Aufnahmematerial / Ein K.f.K.-Abend. In: Film-Kurier, 4. Mai 1933. 34 Finger: Zum Geburtstag... In: Die Filmfabrik Wolfen – Aus der Geschichte, Heft 11. S. 22. 22 „Bunte Tierwelt“, unter der Regie des profilierten Tierfilmers Dr. Ulrich K. T. Schulz in Hagenbecks Tierpark in Stellingen abgedreht, erlebte als erster nach dem Agfa-Bipack- Verfahren hergestellter Kulturfilm am 10. Dezember 1931 seine Uraufführung. Ihm sollten vor Machtergreifung der Nationalsozialisten noch drei weitere Ufa-Kulturfilme mit ähnlich programmatischen Titeln folgen: „Wasserfreuden im Tierpark“ (1931), „Herbst in Sanssouci“ (1932) und „Rhythmus und Tanz“ (Wilhelm Prager / 1932). Der letztere, eine „fesselnde Darstellung der Körperbildungsarbeit in der Jutta-Klamt-Schule“, berichtete „von der gymnastischen Schulung des Körpers, der Lockerung und Disziplinierung durch Übungen im Zeitmaß, der Entwicklung zum rhythmischen Begreifen der Bewegung bis zur tänzerischen Durchgestaltung gegebener Bewegungsthemen“35 – Inhalte also, die in den Folgejahren zur Stilisierung nationalsozialistischer Körperideale breiten Raum im Kulturfilmbereich einnehmen sollten. Darüber hinaus erschien im Januar 1932 „Wäsche – Waschen – Wohlergehen“ (Johannes Guter) in den Kinos, eine ungewöhnliche Mischung aus Kultur-, Spiel- und abendfüllendem Werbefilm (für Persil), der als erster deutscher Film mit einer Spielhandlung farbige Sequenzen integrierte. 1932/33 drehte die Svensk Filmindustri in Stockholm nach dem Agfa-Bipack-Verfahren einen Kurzfilm über die schwedische Hauptstadt („Stockholm in Farben“ / „Stockholm i Färger“), der in seiner Besprechung durch den Film-Kurier als „Beweis an das Ausland“ gewertet wurde, „dass die rastlose Arbeit an der Vervollkommnung filmtechnischer Einzelheiten in Deutschland nach wie vor in ungestörter Weise weiter betrieben wird“36. 1933/34 entstanden die ersten beiden farbigen Propagandafilme des NS-Regimes unter der Regie von Kurt Waschneck: „Potsdam“ und „Das Deutsche Erntedankfest auf dem Bückeberg“. Nach Boguslaw Drewniak wurden beide Filme auch ins Ausland exportiert37. Der Filmpionier Kurt Waschneck, der in der ersten Hälfte der 30er bei zahlreichen Kulturfilmen nach dem Agfa-Bipack-Verfahren als Produktions- bzw. Herstellungsleiter in Erscheinung trat, kann mit einigem Recht als entscheidende Triebkraft hinter der praktischen Anwendung der Zweifarben-Technik gelten. Waschneck, geboren am 4. Mai 1882, gründete bereits im Oktober 1906 gemeinsam mit seinem Vater das Kino „Die weiße Wand“ in Leipzig, der eine zweite Gründung in Zeitz und eine dritte in Solingen folgen sollte. Vor dem Ersten Weltkrieg gründete Waschneck eine Filmfabrik in Barmen und beteiligte sich an der Errichtung der Kopieranstalt der Projektions-A.G. Union in Berlin. Während des Krieges war er beim Film- und Bildamt tätig, um 1921 dann die Aktiengesellschaft für Film-Fabrikation,

35 Rhythmus und Tanz / Beiprogramm des Universums. In: Film-Kurier, 4. Mai 1932. 36 Deutscher Farbenfilm über Stockholm. In: Film-Kurier, 20. Mai 1933. 37 Vgl. Drewniak, Boguslaw: Der deutsche Film 1938 – 1945. Düsseldorf 1987. S. 665. 23 Afifa, ins Leben zu rufen. Neben seiner Funktion als Direktor dieses „größte[n] und modernste[n] Kopierwerk Europas“38 war Waschneck Träger zahlreicher Ehrenämter, darunter Landesarbeits- amtsrichter, Handelsrichter, Gutachter und Sachverständiger für das Filmwesen und bis etwa 1932 Vorsitzender des Verbandes der deutschen Kopieranstalten. Sein Bruder Erich Waschneck feierte sowohl in der Weimarer Republik als auch im Dritten Reich Erfolge als Regisseur. 1940 drehte er den antisemitischen Historienfilm „Die Rothschilds. Aktien auf Waterloo“, 1944 den Preußen-Film „Die Affäre Roedern“. Hinter der Kamera stand sowohl bei „Potsdam“ als auch bei „Das Deutsche Erntedankfest auf dem Bückeberg“ Gotthardt Wolf39, der, die späteren biologischen Kulturfilme ausgenommen, nahezu bei allen Filmen nach dem Agfa-Bipack-Verfahren als Kameramann firmierte.

II.3 „Potsdam, eine Farbenstudie von Bauten und Gärten“

„Potsdam“, seinerzeit angekündigt als „farbige Studie über die baulichen Sehenswürdigkeiten und Kunstdenkmäler Potsdams, über die Herrlichkeiten seiner Umgebung und des Schlosses und die großen Parkanlagen von Sanssouci mit ihren berühmten Plastiken“40, kann als Beispiel für subversive filmische Propaganda betrachtet werden. Der Film beginnt mit einem Panoramablick über die Havel. Der Off-Kommentar beschreibt Potsdams „schöne Lage“ und seine „geschichtliche[n] Sehenswürdigkeiten“, die die Stadt zum beliebten Ausflugsziel machten. Aus der Ferne erfasst die Kamera aus dem Stadtpanorama herausstechende Sehenswürdigkeiten (Nikolaikirche), dann blühende Obstgärten, in denen ein alter Mann Enkel und Hund spazieren führt. Auf der Havel manövrierende Sportboote belegen den Sprecher-Kommentar, der Potsdam als „Zentrum für Wasserfahrten und Wassersport“ ausweist. Grachten und Gräben (der ehemalige Stadtkanal)

38 Kurt Waschneck 50 Jahre! In: Film-Kurier, 30. April 1932. 39 Die Schreibweise des Namens variiert. Er wird auch als Wolf Gotthard(t) aufgeführt, Gotthardt Wolff oder sogar Gerhard Wolff. 40 Farbenkulturfilm über Potsdam. In: Film-Kurier, 25. Oktober 1934. 24 bilden den Motivübergang von der Peripherie ins Stadtinnere. Das Brandenburger Tor am Luisenplatz (Kommentar: „Monumentale Torbauten führen in die alte Königsstadt.“) bildet den Auftakt der Sehenswürdigkeiten im Stadtzentrum, die nun nacheinander abgearbeitet werden. Die Soldatenstandbilder auf der Schlossbrücke sind Anlass zur Feststellung des Kommentators: „Potsdam war das Sinnbild preußisch-deutscher Disziplin, aber ebenso ist Potsdam Ausdruck für die Künste des deutschen Königshauses und eine Stätte fürstlicher und bürgerlicher Baukultur.“ Es folgen Ansichten des Alten Marktes und der Nikolaikirche (Kommentar: „ein Meisterwerk Schinkels“), des Alten Rathauses, der Marstall (untermalt mit einer an militärische Märsche anklingenden Bläsersequenz), das Denkmal General Friedrich Wilhelm von Steubens (Kommentar: „der die Armee Washingtons im amerikanischen Freiheitskampf nach preußischem Muster ausbildete“), der alten Gewehrfabrik, der Hauptwache, des Militärwaisen- und des Schauspielhauses, der Heiliggeistkirche und der Russischen Kirche. Der nächste Filmblock ist Potsdams Schloss- und Gartenanlagen gewidmet. Die Musikuntermalung nimmt barocke Züge an, und der Sprecher vermeldet: „Die künstlerisch bedeutendsten Bauten sind die der großen Könige: Friedrich Wilhelm I. und Friedrich der Große.“ Mit Paukenschlag und Fanfare werden Garnisonkirche und das königliche Stadtschloss in Szene gesetzt, dann folgen beschauliche Parkaufnahmen aus Sanssouci: Figurenensembles, Ausflügler, erbauliche Hintergrundklänge; eine lorbeerbekränzte Jünglingsstatue, die ihr Schwert in der Hand wiegt, wird aus der Untersicht ins Licht gerückt. Schloss Sanssouci erscheint – Kommentar: „Der König selbst entwarf den ersten Plan“, woraufhin ein Bauentwurf zu sehen ist. Die Musik, während der Ansichten der Alten Mühle und des Ruinenberges noch im Hintergrund, wechselt bei den sich anschließenden Aufnahmen des Neuen Palais erneut zu Fanfaren, Kommentar: „ein Repräsentationsbau, der nach dem Willen des Königs Europa die ungebrochene Kraft Preußens nach dem Siebenjährigen Krieg bewies.“ Eine Statue Friedrichs II. wird von der Kamera zunächst in der Totale, dann im Brustbild erfasst, und der Sprecher erklärt mit ergriffenem Unterton: „Vieles ist noch vom Geiste des großen Königs erfüllt... des großen Preußen, dessen Geist weiterlebt im deutschen Volke, bis in unsere Tage...“ – Bei anschwellender Musik blendet das Bild auf den Vorplatz der Garnisonkirche um: In der Totale ist Hitler an der Spitze der Prozession zu sehen, die sich durch die Menschenmenge auf das Kirchenportal zubewegt: „... bis in unsere Tage“, fährt der Sprecher fort, „da der Führer in diesem Geiste am Tage von Potsdam den Bund schloss...“ Eine zweite Aufnahme (und zugleich Schlusseinstellung des Films) zeigt Reichspräsident Hindenburg, der von einer Tribüne herab grüßend den Vorbeimarsch der

25 Reichswehr abnimmt. Der Sprecher beendet seinen Satz: „... den Bund mit dem unsterblichen Eckehard des deutschen Volkes.“ Filmende. Diese pathetische Schluss-Sequenz bezieht ihre hauptsächliche Wirkung aus der emphatischen Sprecherstimme. Die beiden Aufnahmen vom Tag von Potsdam wirken dagegen statisch und beliebig. Hitler verschwindet in der ihm gewidmeten Einstellung praktisch in der umgebenden Menschenmenge. Bei der Aufnahme Hindenburgs wird im linken Bildrand aufdringlich mit einem Stuhl hantiert. Die Erklärung dieser offensichtlichen Mängel liegt wahrscheinlich darin, dass der Ufa- Stab unter Waschnecks Leitung am 21. März 1933 weniger die Absicht verfolgte, das sorgfältig arrangierte Großereignis mit dem Agfa-Bipack-Verfahren umfassend zu dokumentieren, sondern zunächst lediglich Material für eine noch unbestimmte spätere Auswertung sammelte, wie auch aus dem Bericht des Film-Kurier zur Uraufführung des Films im November 1934 hervorgeht: Dort heisst es, „die einzigen farbigen Filmaufnahmen des verstorbenen Reichspräsidenten Generalfeldmarschall von Hindenburg [...], die je gemacht worden sind, [...] entstammen dem wertvollen Studienmaterial, das unter der technischen Leitung von Kurt Waschneck [...] am Tage von Potsdam [...] hergestellt wurde und zeigen in besonders gut gelungenen natürlichen Farben den greisen Heerführer in der Uniform eines Generalfeldmarschalls mit dem Band des Schwarzen-Adler-Ordens und dem Marschallstab bei der denkwürdigen Abnahme des Vorbeimarsches.“41 Es lässt sich also vermuten, dass der Film „Potsdam“ erst konzipiert wurde, als das Waschneck-Material durch den Tod Hindenburgs am 2. August 1934 einen besonderen historischen Wert erhielt. Die Veröffentlichung der Aufnahmen dürfte maßgeblich mitbestimmt worden sein durch die Pressekampagne, die den verstorbenen Reichspräsidenten noch einmal als Feldherrn und Staatsmann lautstark feierte, während Hitler im Hintergrund das freigewordene Amt des Reichspräsidenten mit dem des –kanzlers in seiner eigenen Person unter dem neuen Titel Führer und Reichskanzler vereinigte und damit den letzten formalen Schritt zur Alleinherr- schaft machte. So eignete sich das scheinbar unpolitische Stadt-Portrait für eine Propaganda, die den Geist von Potsdam, die Versöhnung der alten mit der neuen Ordnung, ein letztes Mal beschwor. Auf betont unaufdringliche Weise präsentiert Waschneck das nationalsozialistische Deutschland im Einklang mit seiner Vergangenheit, die in den Baudenkmälern Potsdams sinnfällig zum Ausdruck kommt. In dieses Konzept fügt sich auch das ungewöhnlich sparsam eingesetzte Parteisymbol ein: Beiläufig führen eingangs die drei Sportboote der Kamera nicht nur ihre Wendemanöver, sondern auch die an ihnen befestigten Hakenkreuzfähnchen vor. An

41 Farbige Filmaufnahmen von Hindenburg. In: Film-Kurier, 2. November 1934. 26 späterer Stelle, im Hintergrund der Marktszene, schiebt ein kleiner Junge mit Fähnchen in der Hand seinen Holzroller vor sich her und belegt damit die Aussage des Films, dass in der alten Königsstadt Jung und Alt vom Geist des Nationalsozialismus ergriffen sind.

II.4 „Das Deutsche Erntedankfest auf dem Bückeberg“

Mit dem Kurzfilm „Das Deutsche Erntedankfest auf dem Bückeberg“ dokumentierte der Ufa- Kulturfilmstab den am 30. September 1934 zum zweiten Mal abgehaltenen Reichsbauerntag bzw. die Massenveranstaltung zum sogenannten Reichserntedankfest. Im Gegensatz zum subtileren „Potsdam“ enthielt dieser Film manifeste NS-Propaganda. Von dem ursprünglich 264 Meter langen Streifen ist ein Fragment von etwa siebeneinhalb Minuten Länge überliefert, das lange Zeit fälschlich auf 1937 datiert wurde42. Der Film, der bei einer ausserordentlich kurzen Laufzeit zwei verschiedene Ereignisse an verschiedenen Schauplätzen dokumentiert, wirkte vermutlich bereits in seiner integralen Fassung nicht sehr geschlossen – das Fragment demzufolge umso weniger. Das erste Drittel zeigt einen Festakt vor der Kaiserpfalz in der Reichsbauernstadt Goslar, an den sich dann die Massenkundgebung auf dem Bückeberg bei Hameln anschließt. Der dazwischen entstehende Bruch wird durch den Off-Kommentar überbrückt. Verklammert wurden die beiden Blöcke vermutlich durch Texttafeln, von denen nur die einleitenden erhalten sind, da die letzten Minuten des Films fehlen. Die erste Sequenz zeigt Hitlers Eintreffen an der Kaiserpfalz, laut Sprecher- Kommentar, „um die Abordnungen der Reichsbauernschaft zu empfangen“. Tatsächlich sieht man ihn aber einen Offizier mit Handschlag begrüßen und anschließend mit ausgestreckter Rechten einen Vorbeimarsch von Reichswehr-Abteilungen abnehmen. Die zweite Filmhälfte zeigt ausführlich den Einmarsch der Fahnen- und Standartenträger durch die Gasse, die die Zuschauermassen auf dem Bückeberg bilden: Die Kamera befindet sich dabei auf der Höhe und seitlich der Ehrentribüne, auf die sich der Strom der Braunhemden zubewegt, und schwenkt zunächst mit den Standartenträger-Kolonnen mit, bis die über dem Menschenmeer wehenden Flaggen sichtbar werden, die die Abmessungen des Veranstaltungsfeldes kenntlich machen, um in einer zweiten Einstellung in entgegengesetzter Richtung, d.h.: entgegen der Marschrichtung zu schwenken, bis die das Feld begrenzenden Fahnen auf der gegenüberlie- genden Seite erkennbar werden – so dass die Zuschauermenge auf der riesigen Fläche des

42 Vgl. Erntedankfest ohne Leni. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20. November 2002. 27

Kundgebungsgeländes einmal eindrucksvoll in ihrer Gesamtheit erfasst ist. Hitler, in respektvollem Abstand gefolgt von seiner Entourage, darunter Goebbels, wird von der Menge mit begeisterten Ovationen gefeiert und grüßt beim Durchschreiten des sogenannten Führerweges nach beiden Seiten. Mit dieser Einstellung endet das Fragment. Die fehlenden Minuten lassen sich aus zeitgenössischen Zeitungsberichten rekonstruieren: Der Film fand seinen Höhepunkt und endete mit einem Ausschnitt aus der Hitler-Rede, wobei es sich um den ersten im Farbfilm veröffentlichten Redemitschnitt Hitlers gehandelt hat. Neben dem Führerkult und dem Fahnenrausch, der den meisten Reportagen von NS- Massenveranstaltungen gemein ist, besteht das Hauptanliegen des Films in der Darstellung der Bauernschaft. Sämtliche Besucher sowohl auf dem Schauplatz in Goslar als auch auf dem Bückeberg, die von der Kamera eingefangen werden, stellen im nationalsozialistischen Sinne bäuerliche Archetypen dar. In der Kaiserpfalz-Szene erscheinen die Bauern und Bauersfrauen mit Kopf- und Halstüchern, Strohhüten, sowie mit blumengeschmücktem Erntegerät und Wanderstock in Reih und Glied gemeinsam mit den Fahnenträgern der SA angetreten. Das Soldatische der Pose wird betont, wenn die Kamera drei in Reihe stehende junge Männer im Profil fixiert: den Blick starr geradeaus, Spaten und Harken wie Gewehrkolben auf den Boden gestützt. Der erste Auftritt Hitlers, der in der Totale zwischen den Reiterstandbildern 28 Friedrichs II. und Bismarcks hindurchschreitet, wird umrahmt von zwei Großaufnahmen eines älteren Bauern mit grauem Schnurrbart, schwarzem Filzhut und einer Blume daran. Tatsäch- lich scheint es sich um zwei unterschiedliche Personen zu handeln. Aufgrund der großen Ähnlichkeit im Erscheinungsbild legt der Film aber nahe, es werde die Reaktion ein und derselben Person auf das Erscheinen Hitlers gezeigt: Die Mimik des Mannes in der ersten Einstellung drückt eine gespannte Erwartungshaltung aus, die zweite Einstellung zeigt dann den andächtigen Gruß, der Hitler gilt. Einen ähnlichen dramaturgischen Effekt wendet Waschneck in der zweiten Filmhälfte an: Hier ist es ein junges blondes großäugiges Mädchen, das atemlos den Hals reckt, als ein Fanfarenstoß den Auftritt Hitlers in der Menschenmenge ankündigt. Die Bückeberg-Szene beinhaltet zwischen dem Einmarsch der SA-Kolonnen und Hitlers Gang durch die Menschenmenge ein längeres Segment, in dem die verschiedenen Trachten der Kundgebungsteilnehmer vorgestellt werden, darunter „Spreewälderinnen“, „Bückeburgerinnen“, „Lindhorster Bauerntracht“, „Mädchen aus dem Hanauer Land in Baden“ und „die Burschen dazu“ (Kommentar). Diese Trachtenszene erntete beim Rezensenten des Film-Kurier Anerkennung für ihre Farbwiedergabe, dagegen wurde allerdings bemängelt: „Das Blau des Himmels ist kein Himmelsblau und das Rot der Hakenkreuzfahnen ist ein anderes als in der Wirklichkeit. Mit gutem Grund hat man davon Abstand genommen, den Führer bei seiner Rede in Farbfilm-Großaufnahme zu zeigen.“43

II.5 „SA marschiert“ – Rätsel um ein Fragment

Rätsel gibt ein im Bundesfilmarchiv unter dem Archivtitel „SA marschiert“ erhaltenes und auf 1933 datiertes Fragment auf, das nach dem Agfa-Bipack-Verfahren hergestellt wurde. Das knapp einminütige Fragment (24 m) enthält mit Marschmusik vertonte Aufnahmen eines Fahnenzuges der SA auf dem nächtlichen Triumphmarsch durch das Brandenburger Tor. Aufgrund der sauberen Bildführung kann vermutet werden, dass es sich hierbei nicht um Reportageaufnahmen, sondern um eine Nachstellung des historischen Marsches vom 30. Januar 1933 (möglicherweise sogar vor Studiokulissen) handelt. Auffällig ist die gute Ausleuchtung der Szenen und die überraschend naturgetreue Farbgebung, da die Kulisse weder Blau- noch Grün-Töne aufweist. Da die Entstehung dieses Materials bislang im Dunkeln liegt, bleibt die Frage offen, ob es sich dabei um das Fragment eines farbigen

43 Die Ufa zeigt Kulturfilme. In: Film-Kurier, 13. Dezember 1934. 29 Kulturfilms über die SA oder auch um Testaufnahmen für eine mögliche Farbszene in einem der frühen Parteispielfilme handelt.

II.6 Die Ufacolor-Filme des Auslandsdeutschen Adolf Rheinboldt

Im Frühjahr 1934 löste der in der Schweiz tätige auslandsdeutsche Produzent und Regisseur Adolf Rheinboldt mit dem schriftlichen Ersuchen an die Direktion der Ufa, die Produktion von Filmen nach dem Agfa-Bipack-Verfahren zu forcieren, und dem Vorschlag, von ihm in der Schweiz gedrehte Filmtitel in ihr Vertriebsprogramm zu übernehmen, heftigen Wider- stand aus. Wegen des fordernden Stils wurde Rheinboldts Vorstoß als Anmaßung aufgefasst und dementsprechend beantwortet. Interessant ist der lückenhaft überlieferte Briefwechsel zum einen deswegen, da es sich bei den Rheinboldt-Filmen um Aussenseiter-Produktionen handelt, die kaum anderswo erwähnt sind, zum anderen, weil selten so unmissverständlich die Gründe formuliert wurden, die in den Augen der Ufa-Direktion gegen eine stärkere Nutzung des Zweifarben-Verfahrens sprachen, wie in dem Antwortschreiben an Adolf Rheinboldt vom 23. März 1934. 1933 hatte Rheinboldt nach eigener Aussage im Auftrag des Berner Bundes44 einen längeren Kulturfilm „Die Schweiz“ nach dem Agfa-Bipack-Verfahren hergestellt, der sich aufgrund diverser Aufnahmefehler als Misserfolg herausstellte45. Wie aus einem Schreiben an den Schriftsteller Paul Altheer aus Zürich hervorgeht, der über die Aktivitäten Rheinboldts Erkundigungen einziehen wollte, stand man letzteren bei der Ufa von Anfang an mit Skepsis gegenüber: „Er [Rheinboldt, Anmerkung D.A.] ist wiederholt auf die praktischen Widerstände aufmerksam gemacht worden, die seiner geradezu fanatischen Idee, Farbenfilme herzustellen, in Bezug auf das allgemeine Geschäft entgegenstehen.“46 In ihrem achtseitigen Antwortschreiben an Rheinboldt erteilte die Ufa-Direktion zunächst dessen Hoffnungen bezüglich der Lizenzierung von ihm hergestellter Farbfilme bzw. auf Aufträge zur Herstellung weiterer Farbfilme eine Absage. Gegen die Aufnahme einer Massenproduktion von Ufacolor-Filmen gewandt heißt es in dem Schreiben: „Wir stehen auf dem Standpunkt, dass der Farbfilm erst dann eine Aussicht hat, die Massen zu erobern, wenn eine naturgetreue Wiedergabe natürlicher Farben möglich ist. [...] Unsere Ansicht begründet sich auf die Tatsache, dass die mit ungeheurem Reklame- und sonstigen Mitteln in die Welt

44 Vgl. BA, Bestand R 109 I / 5393: Schreiben der Ufa an Adolf Rheinboldt, 23. März 1934. S. 1. 45 Vgl. BA, Bestand R 109 I / 5393: Schreiben der Ufa an Paul Altheer, 18. April 1934. S. 2. 46 BA, Bestand R 109 I / 5393: Schreiben der Ufa an Paul Altheer, 18. April 1934. S. 3. 30 gesetzten Versuche amerikanischer Filmfirmen, mit dem Farbenfilm die Welt zu erobern, gescheitert sind, weil diese Farbenfilme die von uns, und wie es scheint, von der Mehrheit des Publikums gestellten Forderungen bezüglich Naturtreue der Farben nicht erfüllten. Wir wollen durchaus nicht bestreiten, dass es wahrscheinlich unmöglich ist, Farben jemals im Film sklavisch natürlich wiederzugeben. Wir behaupten lediglich, dass, solange dies auch wenigstens nicht annähernd erreicht wird – und zwar nicht nur für Kulturfilme, sondern auch für Spielfilme jeder Art – es nicht möglich und daher geschäftlich nicht zweckmäßig ist, die Farbenfilm-Fabrikation in großem Masse [sic] aufzunehmen. [...] Was die Vollwertigkeit unseres Verfahrens anlangt, so sind die Ansichten darüber naturgemäss [sic] verschieden. Unserer Ansicht nach ist unser Verfahren für ganz bestimmte Zwecke, zu der z.B. die Verfilmung gewisser Kulturfilm-Themata gehört, das unerreicht Beste, und das berechtigt uns und auch Sie, für solche Zwecke nach diesem Verfahren zu arbeiten. [...] Die Übernahme einiger von Ihnen hergestellter Farbenfilme in unser deutsches Verleihgeschäft bedauern wir, nicht durchführen zu können – nicht aus dem Grunde, weil sie uns nicht gut genug sind, sondern aus dem Grunde, weil wir mehr als 2 oder 3 Kultur-Farbenfilme kaufmännisch in unserem deutschen Verleih nicht verantworten können.“47 Welche anderen Filme Rheinboldt neben dem erwähnten „Die Schweiz“ mit dem Agfa-Bipack-Verfahren drehte, bleibt offen. Lediglich ein nur 120 m langer Film über die nationalsozialistische Auslandsschule in Genua48 findet Erwähnung, bei dem es sich um einen Farbfilm gehandelt haben dürfte. Diesbezüglich verwies die Ufa Rheinboldt weiter an Oberregierungsrat Arnold Raether im Propagandaministerium49, ohne dass eine daraus folgende Auswertung des Films in deutschen Kinos bekannt geworden wäre.

II.7 Weitere Kulturfilmtitel in Ufacolor

Eindeutige Propagandafilme wie „Das Deutsche Erntedankfest auf dem Bückeberg“ sollten in Ufacolor nach 1934 nicht mehr entstehen. 1936 fanden bei der Ufa Aufnahmen zu einem Kulturfilm statt, in dessen Mittelpunkt Trachten und Nationaltänze u.a. siebenbürgischer, dänischer, französischer, irischer, bulgarischer und rumänischer Tanzgruppen standen50. 1937

47 BA, Bestand R 109 I / 5393: Schreiben der Ufa an Adolf Rheinboldt, 23. März 1934. S. 4ff. 48 BA, Bestand R 109 I / 5393: Schreiben Adolf Rheinboldt an Direktor Meydamm, 20. April 1934. 49 BA, Bestand R 109 I / 5393: Schreiben Direktor Meydamm an Adolf Rheinboldt, 24. April 1934. 50 Trachten sollten sich noch in der Agfacolor-Ära als Aufnahmeobjekte einer auffälligen Beliebtheit erfreuen. Hermann Hacker, der als Beobachter des Abendblatts die Dreharbeiten zu „Musik und Tanz der Nationen“ verfolgte, äusserte die Befürchtung: „Hoffentlich kommen uns die nächsten Farbfilme nicht dauernd mit 31 erschien der unter dem Produktionstitel „Musik und Tanz der Nationen“ auf 500 Meter konzipierte Kurzfilm in den Kinos vermutlich als: „Die Kunst, vergnügt zu sein“. Am 27. Mai 1937 erfuhr auf einer gemeinsamen Veranstaltung durch die Deutsche Kinotechnische Gesellschaft und die Deutsche Gesellschaft für Stereoskopie im Berliner Haus der Technik ein Kurzfilm über die Reichsgartenschau in Dresden seine Uraufführung, der das 3D-Verfahren mit dem Zweifarbenfilm kombinierte51. Bei den weiteren in der zweiten Hälfte der 30er Jahre produzierten Kulturfilmen nach dem Agfa-Bipack-Verfahren handelte es sich um Tierfilme. Unter dem Leiter der biologi- schen Kulturfilmabteilung der Ufa Dr. Ulrich K. T. Schulz entstanden zwischen 1936 und 1938 sechs Filme, die sich fast ausschließlich mit dem Leben unter der Meeresoberfläche auseinandersetzten52: „Tiergarten des Meeres“ (1936), „Bunte Fischwelt“ (1936), „Hochzeiter im Tierreich“ (1938), „Tintenfische“ (1938), „Farbenpracht auf dem Meeresgrund“ (1938) und „Vom Hauswirt und Mieter auf dem Meeresgrund“ (1938) (Regie bei allen Titeln Ulrich K. T. Schulz – bis auf „Bunte Fischwelt“ und „Hochzeiter im Tierreich“, Regie: Wolfram Junghans). Die vier letztgenannten Filme wurden aus dem ca. 8.000 Meter Farbaufnahmen umfassenden Material kompiliert, das der Kulturfilmstab im Februar und März 1938 in Neapel gedreht hatte53.

II.8 Die biologischen Kulturfilme in Ufacolor

Von diesen biologischen Kulturfilmen haben sich die Titel „Tiergarten des Meeres“, „Bunte Fischwelt“, „Hochzeiter im Tierreich“ und „Vom Hauswirt und Mieter auf dem Meeres- grund“ im Bundesarchiv erhalten. Dr. Ulrich K. T. Schulz, der, sofern er nicht selbst Regie führte, die Herstellung sämtlicher Filme überwachte, verdient Beachtung nicht nur als Pionier des Tierfilms und profiliertester Genre-Regisseur in den 30er und 40er Jahren, sondern kann auch als derjenige Ufa-Regisseur gelten, dessen Filmographie die mit Abstand größte Zahl an Farbfilmen aufweist (sowohl nach dem Agfa-Bipack- als auch nach dem Agfacolor- Verfahren). Bei den zweimonatigen Arbeiten in der Meeresbiologischen Station am Golf von Neapel dürfte es sich um das umfangreichste Farbfilm-Projekt der Ufa-Kulturfilmabteilung in den 30er Jahren gehandelt haben. Ursprünglich war geplant, das Material auf drei Filme

Kostümen aus vergangenen Jahrhunderten [...].“ Und du mein Schatz fährst mit... Kreuz und quer durch die Filmstadt Neubabelsberg. In: Abendblatt, 5. September 1936. 51 Vgl. Koshofer. Color. S. 46. 52 Lediglich „Hochzeiter im Tierreich“ enthält darüberhinaus Aufnahmen aus dem Berliner Zoo und Hagenbecks Tierpark. 53 Vgl. Ufa Kulturfilmstab filmte in Neapel Todesfallen und Verdunklungsmanöver auf dem Meeresgrund. In: Film-Kurier, 21. Mai 1938. 32 aufzuteilen, aus denen schließlich vier wurden. Für den Film „Tintenfische“ war zunächst der martialische Titel „Kampf ums Dasein auf den Meeresgrund“ vorgesehen.54 Während der teilweise vor der Küste Helgolands gedrehte „Tiergarten des Meeres“ wie auch „Vom Hauswirt und Mieter auf dem Meeresgrund“ nur selten ideologisch gefärbte Kommentare aufweisen, bestätigen dagegen „Bunte Fischwelt“ (Produktionstitel: „Farbige Fischehen“55) und „Hochzeiter im Tierreich“, was Kerstin Stutterheim als politische Funktion der Tier- und Naturfilmsujets zur NS-Zeit erkannt hat: die Vermittlung von „Gesellschafts- modelle[n], die quasi als Zeichensystem dem Zuschauer eine beruhigende Bestätigung oder einen didaktischen Verweis auf seine eigene Situation im System geben.“56 Letzteres ist bei diesen beiden Titeln ganz klar dahingehend der Fall, dass der Sprechertext auf penetrante Weise geschlechterpolitische Botschaften transportiert. Die beiden Junghans-Filme präsentieren gezielt Beispiele für männliche und weibliche Tiere der gleichen Spezies, bei denen das männliche Tier im Erscheinungsbild das weibliche an Größe und Farbigkeit übertrifft, sei es Molch, Löwe, Paradiesfisch oder Pfau. So stellt der Sprecher, auf dieses Missverhältnis beharrlich hinweisend, bezüglich des Fellkleides eines männlichen Mantelpavians die Vermutungen an: „Ist er [der Mantel, D.A.] nur der beredte Ausdruck männlicher Kraft? Ist er der Gradmesser für die Gesundheit und Vollkommenheit seines Trägers?“ (Kommentar „Hochzeiter im Tierreich“) Sinnfällig schildert „Bunte Fischwelt“ die Entfaltung des Männlichen anhand der Färbung von Kampffischen, wenn es heißt: „Die Farben sind noch matt: Erst in der Erregung der Kampf- und Liebesspiele werden sie leuchten.“ Im Sinne einer Gesetzmäßigkeit wird am Beispiel des Diamantfasans postuliert: „Er, der Mann, kann sich den oftmals wohl gefahrbringenden Luxus einer solch auffälligen Buntheit leisten. Die Henne aber, die Mutter kommender Generationen, muss vor allem geschützt und unscheinbar sein.“ (Kommentar „Hochzeiter im Tierreich“) – Eindeutiger können Rollenbilder mit Hilfe von Tieraufnahmen kaum vermittelt werden.

II.9 Versuche im Spielfilm-Genre

Zur Herstellung eines kompletten abendfüllenden Spielfilms wurde das Agfa-Bipack- Verfahren bezeichnenderweise nur ein einziges Mal herangezogen: Ausgerechnet an die

54 Vgl. Ufa Kulturfilmstab filmte in Neapel Todesfallen und Verdunklungsmanöver auf dem Meeresgrund. In: Film-Kurier, 21. Mai 1938. 55 Vgl. Kulturfilme im Werden / Biologischer Film – farbig. In: Film-Kurier, 28. Februar 1936. 56 Kerstin Stutterheim: Natur- und Tierfilme. In: Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland. Band 3. S. 158. 33 Prabhat-Studios in Bombay lieferte die Agfa 1933 Material für den ersten indischen Farbspielfilm „Sairandhri“ (Rajaram Vankudre Shantaram), dessen Kopien bei der Afifa hergestellt wurden57. Auf Agfa-Materialien entstand drei Jahre später auch eine Farbszene in der ansonsten schwarz-weißen britischen Opernverfilmung „I Pagliacci“ (Karl Grune / 1936), die im Filmvorspann nach ihrem Aufnahmeverfahren allerdings als Chemicolor ausgegeben wurde. Zwar muss der häufig geäusserten Annahme, das Agfa-Bipack-Verfahren sei in Deutschland für Spielhandlungen nicht verwendet worden58, widersprochen werden, doch handelt es sich bei den wenigen Versuchen, die gewagt wurden, um Experimente, bzw. Nischenprodukte. Als erste farbige Szene in einem deutschen Spielfilm wäre eine Varieté- Sequenz in dem Melodram „Der rote Reiter“ (Rolf Randolf / 1934) zu nennen: Nach der Buchvorlage von Franz Xaver Kappus erzählte der (verschollene) Film die tränenreiche Geschichte eines ehemaligen Weltkriegssoldaten mit dem titelgebenden Spitznamen, der aufgrund seiner äusserlichen Ähnlichkeit mit einem gefallenen Kameraden in dessen Rolle schlüpft und Gefühle für dessen Verlobte entwickelt. In einer Nebenrolle zu sehen war Veit Harlan, der später als Regisseur der NS-Propagandafilme „Jud Süß“ (1940) und „Kolberg“ (1944) in die deutsche Filmgeschichte eingehen sollte. Dass die farbige Einlage nicht nur Zustimmung auslöste, demonstriert die kritische Bemerkung eines Rezensenten, der im Film- Kurier mahnte, man solle „die Scheinwerfer-Spielereien nicht übertreiben und nicht die Farbe wegen der Farbe verwenden.“59 Am 20. März 1936 (immerhin vier Monate vor Rolf Hansens „Das Schönheitsfleckchen“, der als erster deutscher Farbspielfilm überhaupt beworben wurde60) erlebte F. B. Niers knapp zwanzigminütiger, ausschließlich im Studio entstandener Pantomimenfilm „Karneval“ im Ufa-Palast am Zoo seine Uraufführung. Das „Farbfilmwerk, das viel Widerspruch und viel Beifall fand“61, muss bereits zu diesem Zeitpunkt wie ein Anachronismus erschienen sein: Nur mit Musik untermalt rangen vor der barocken Pappmaché-Kulisse Venedigs galante Tänzer und mit falschen Nasen, falschen Bärten und falschen Bäuchen ausstaffierte Bösewichter um die Gunst der weiblichen Hauptfigur und zitierten so unfreiwillig die zweifarbigen Revue-Filme, die im Hollywood der ausgehenden 20er und beginnenden 30er Jahre so zahlreich produziert worden waren. Seine im Film-Kurier

57 Finger: Zum Geburtstag... In: Die Filmfabrik Wolfen – Aus der Geschichte, Heft 11. S. 21. 58 So zum Beispiel D. Ch. Ehrhard Finger einleitend zu seiner Filmographie der „auf Agfa-Materialien hergestellte[n] Zweifarbenfilme“. (Finger: Zum Geburtstag... In: Die Filmfabrik Wolfen – Aus der Geschichte, Heft 11. S. 57.) 59 Der rote Reiter. In: Film-Kurier, 2. Februar 1935. 60 Vgl. Kapitel III: Siemens-Berthon-Opticolor. 61 Film-Kurier, 21. August 1936. 34 geäusserte Absicht, unter dem Titel „Phantasien im Bremer Ratskeller“ einen Märchenstoff in Ufacolor zu verfilmen, konnte Nier offenbar nicht mehr verwirklichen62. Ein solcher Märchenfilm entstand dagegen 1937 nicht bei der Ufa, sondern bei der Tobis, weswegen das Agfa-Bipack-Verfahren auch nicht Ufacolor genannt, sondern (nach der Verleihfirma Tobis-Rota- / Rota-Film Verleih AG, Berlin) unter der Bezeichnung Rotacolor geführt wurde. Fritz Genschows und Renée Stobrawas heute verschollene erste Version von „Rotkäppchen und der böse Wolf“63 nahm dramaturgisch das Erzählkonzept des Märchenfilm-Klassikers „The wizard of Oz“ (Victor Fleming / USA 1939) vorweg, in dem sie die Grimmsche Vorlage als Traum der Hauptfigur farbig in einen schwarz-weißen Rahmen einbettete, und wurde bei seiner Premiere im November 1937 im Ufa-Pavillon Berlin als erster deutscher farbiger Märchen-Tonfilm gefeiert. „Gerade dieses Zweifarbensystem, das die Tobis ausprobierte, erschien uns die beste Lösung für einen farbigen Märchenfilm, denn es bot nicht `zu grelle Farbenharmonien´“, berichtete Regisseur Fritz Genschow Waldemar Lydor vom Film-Kurier: „An sich verlangt ein Märchen geradezu nach farbiger Darstellung, denn dadurch kann die Unwirklichkeit des Geschehens noch mehr betont werden. Jedoch nur, wenn die Farben nicht übersteigert und grell durcheinander flimmern, sondern vielmehr harmonisch abgetönt und, je nach dem Inhalt der Szenen, auf einen bestimmten Grundton angestimmt werden. – Wir haben auch, um den Zuschauer allmählich an die Farbe zu gewöhnen, eine Rahmenhandlung geschaffen, die schwarz-weiß gedreht wurde. Vom realen heutigen Geschehen blendet allmählich das Bild zur unwirklichen bunten Märchenwelt über und dann wieder zurück in die `rauhe´, farblose Wirklichkeit.“64 – In diesem Kontext wurde auch die Verwendung des Zweifarbenfilms von der Fachpresse übereinstimmend gelobt.

62 Film-Kurier, 21. August 1936. 63 1953 legten Genschow und Stobrawa ein Remake mit schwarz-weißer Rahmenhandlung und Farbteil in Agfacolor vor. Auch diese Version gilt heute als verschollen. 64 Rotkäppchen bunt in schwarz-weißem Rahmen. In: Film-Kurier, 2. November 1937. 35 III. Die enttäuschte Hoffnung: Siemens-Berthon-Opticolor

III.1 Technik des Siemens-Berthon-Opticolor-Verfahrens

III.1a Vorgeschichte der Linsenrastertechnik

Das Siemens-Berthon-Opticolor-Verfahren, auch Siemens-Berthon-, Berthon-Siemens- Verfahren oder schlicht Opticolor genannt, war ein dreifarbiges additives Linsenraster- verfahren, das in sechsjähriger Entwicklungszeit zwischen 1930 und 1936 gemeinsam durch die Firmen Siemens & Halske AG, Berlin, und Otto Perutz GmbH, München, erarbeitet wurde. Bei Filmen nach dem Linsenrasterverfahren erfolgte die Aufnahme durch ein dreifarbiges Filter (in den Grundfarben der additiven Farbmischung: Rot – Grün – Blau) auf einen schwarz-weißen Film mit besonderer Rasterung, der nach dem für Schwarz-Weiß-Filme üblichen Umkehrverfahren entwickelt und anschließend (erneut mit Hilfe eines Filters) farbig projiziert werden konnte. Die Linsenrastertechnik gilt als Erfindung des Franzosen Rodolphe Berthon, der sie in Zusammenarbeit mit dem Elsässer Albert Keller-Dorian zum farbkinema- tographischen Verfahren ausbaute. Ausgehend von Arbeiten R. E. Liesegangs und Jan Szczepaniks zur Aufzeichnung von Farbwerten auf einen Schwarz-Weiß-Film entwickelte Berthon 1908 die grundlegende Technik eines in die Blankseite des Filmmaterials eingeprägten Linsenrasters, das durch ein Streifenfilter belichtet wurde65. Nachdem dem Graveur Keller-Dorian mit Hilfe von Walzen aus dem Textilgewerbe die Herstellung von derart gerasterten Kinomaterialien gelungen war und sich Berthon und Keller-Dorian ihr Verfahren 1914 patentieren ließen, dauerte es noch bis zum Jahr 1923, dass in Paris erstmals Farbkinofilme nach dem Linsenrasterverfahren zur öffentlichen Vorführung kamen66. Bis Mitte der 30er Jahre galt das Linsenrasterverfahren in Fachkreisen als eine der aussichts- reichsten Techniken zur Lösung der Farbfilmproblematik, doch trotz diesbezüglicher Bemühungen der Société du films en couleurs Keller-Dorian und der amerikanischen Tochter Keller-Dorian Color Film Corporation verhinderten technische Hürden vor allem bei der Kopierbarkeit die Produktion von Großfilmen nach dem Verfahren67. Der erste marktfähige

65 Finger: Zum Geburtstag... In: Die Filmfabrik Wolfen – Aus der Geschichte, Heft 11. S. 28f. 66 Finger: Zum Geburtstag... In: Die Filmfabrik Wolfen – Aus der Geschichte, Heft 11. S. 29. 67 Gert Koshofer berichtet beispielsweise von unbenutzten Farbteilen des französischen Stummfilms „Napoléon“ (Abel Gance / 1926) und Experimenten der Paramount mit Linsenrasterfilmen in der ersten Hälfte der 30er. Vgl. Color. S. 33f. 36 Linsenrasterfilm für Amateure erschien 1928 bei Kodak68. 1932 folgte die Agfa mit Agfacolor-Linsenrastermaterialien im 16-mm-Format. 1930 erwarb ein Schweizer Konsortium namens Opticolor-Gesellschaft Glarus die Rechte zur Auswertung des Linsenraster-Verfahrens. Über diese Gesellschaft gelangten die Lizenzen in den Besitz der Firmen Siemens & Halske und Perutz, die die Ausarbeitung ihres Verfahrens auf dieser Grundlage nach der Kopier- und Vorführtechnik (Siemens) und der Filmherstellung (Perutz) untereinander aufteilten69.

III.1b Prägung und Funktionsweise des Linsenrasters

Das Linsenraster des Siemens-Berthon-Opticolor-Films ordnete jeweils 24 mikroskopisch kleine zylinderförmige Linsen auf einem Millimeter Filmstreifen an. Die Linsen wiesen einen gleichförmigen Krümmungsradius von 32/1000 Millimeter auf und wurden durch Zwischenräume mit einer Vertiefung von 4/1000 Millimeter voneinander getrennt70. Die Prägung des Zelluloid wurde durch Metallwalzen mit entsprechender Oberflächen-Rillung bei vollkommener Dunkelheit vorgenommen, um die Beschädigung der lichtempfindlichen Schichten zu vermeiden. Dr. von Oven, technischer Direktor bei Perutz, der sich bereits 1927 in Paris vom Stand des Linsenrasterfilms in Kenntnis gesetzt hatte, erinnerte sich im August 1936 an den Beginn der Arbeiten: „Unserer Firma [...] fiel zunächst die Aufgabe zu, für den Farbfilm ein Aufnahmematerial zu schaffen, das ein sehr hohes Auflösungsvermögen, eine hervorragende Feinkörnigkeit und eine ganz bestimmte Farbenempfindlichkeit besitzt. Aber bis das Filmmaterial die notwendigen Eigenschaften hatte, vergingen Jahre.“ Im Laufe der photochemischen Entwicklung standen zahlreiche Hürden: So führten Versuche zur Steigerung der Materialempfindlichkeit zu einem Film von stark begrenzter Haltbarkeit. Dr. von Oven: „In Kühlkästen ließ er sich drei Wochen lang aufbewahren und in heiße Länder konnte man ihn nur im Eisschrank mitnehmen.“ Frühe Testaufnahmen wiesen bei der Projektion charakteristische Mängel auf: „Durch den geringen Belichtungsumfang ergaben sich zu schwarze, tiefe Schatten ohne Zeichnung und ohne Farbe. Helligkeitsunterschiede in einzelnen aufeinanderfolgenden Bildern führten zu einem

68 Es handelte sich um den 16-mm-Schmalfilm Kodacolor Lenticular. Vgl. Finger: Zum Geburtstag... In: Die Filmfabrik Wolfen – Aus der Geschichte, Heft 11. S. 28. 69 Vgl. Siemens-Archiv, Bestand 35/65 Ls 888, „Das Berthon-Siemens-Farbfilm-Verfahren 1934-1939“, Paul Storch: Das Berthon-Siemens-Farbfilmverfahren. In: Siemens Zeitschrift. Heft 9. September 1936. Herausgeber: Siemens & Halske AG, Siemens-Schuckertwerke AG. S. 330. 70 Vgl. Wie geht das mit dem Farbfilm eigentlich zu? Wir fragten Dr. v. Oven, der das Verfahren entdeckt und ausgebaut hat. In: Abendblatt, 18. August 1936. 37 Flackern.“ Bezogen auf den Stand vor 1932 räumte Dr. Oven ein: „Wir überlegten damals mehr als einmal, ob wir die Sache nicht ganz aufgeben sollten.“ Da die Dicke der lichtempfindlichen Filmschicht auf 8/1000 Millimeter beschränkt war, wurden zur Filmherstellung Präzisionsgießmaschinen notwendig. Die diesbezüglichen Ausführungen von Ovens vermitteln einen Eindruck von dem aufwendigen Verfahren: „Die Maschinen wurden durch freistehende Fundamente von den Erschütterungen des Gebäudes isoliert [...]. Komplizierte elektrotechnische Hilfsmittel drücken die Spannungsschwankungen des elektrischen Netzes auf Bruchteile von weniger als 1% herab, um den genauen Lauf der Maschinen in den fast dunklen Arbeitsräumen zu gewährleisten. Modernste Klimaanlagen regeln die Temperatur und den Feuchtigkeitsgehalt der Luft in diesen Räumen.“71 Auf dieses Material konnte unter Vorsatz des Streifenfilters vor das Objektiv aufgenommen werden, ohne dass etwa eine spezielle Kamera notwendig gewesen wäre. Allerdings wurde zur Aufnahme aufgrund des Filtervorsatzes die zwei- bis dreifache Lichtmenge gegenüber dem Schwarz-Weiß-Film notwendig.72 Die Schwärzung des Aufnahmefilms erfolgte entsprechend der durch die Filtersegmente auf den Film fallenden grünen, roten und blauen Lichtstrahlen: Die Zylinderlinsen registrierten die Farbtöne des Aufnahmeobjekts nach ihren Helligkeitswerten sowie nach ihrem Anteil an den Grundfarben der additiven Farbmischung. Bei der Projektion war der Filmstreifen entsprechend seiner Transparenz durchlässig für Lichtstrahlen, die von den Linsen nach ihrem Helligkeitswert auf das zugehörige Filtersegment abgelenkt wurden: Auf diese Weise entstanden farbige Lichtstrahlen, die auf der Leinwand zur farbechten Wiedergabe des Aufnahmegegenstandes zusammengeführt wurden73. Diesen Vorgang veranschaulichen die Abbildungen IV. und V. auf S. 39.

III.1c Überwindung der Kopier- und Wiedergabeprobleme

Das schwerwiegendste Hindernis, das der Einführung von Kinofilmen nach dem Linsenraster- verfahren bislang entgegengestanden hatte, waren die unüberbrückbar scheinenden Schwierigkeiten beim Kopiervorgang gewesen. Deren Überwindung gelang den mit den

71 Wie geht das mit dem Farbfilm eigentlich zu? Wir fragten Dr. v. Oven, der das Verfahren entdeckt und ausgebaut hat. In: Abendblatt, 18. August 1936. 72 Vgl. Siemens-Archiv, Bestand 35/65 Ls 888, „Das Berthon-Siemens-Farbfilm-Verfahren 1934-1939“, Storch, Siemens Zeitschrift, S. 332. 73 Vgl. Siemens-Archiv, Bestand 35/65 Ls 888, „Das Berthon-Siemens-Farbfilm-Verfahren 1934-1939 Storch, Siemens Zeitschrift, S. 330/331. 38 39 optischen und feinmechanischen Erfordernissen des Verfahrens befassten Siemens- Technikern schließlich mit der Entwicklung einer eigenen Kopiermaschine74, die nicht nur den Kopiervorgang innerhalb von 24 Stunden75 bewältigte, sondern auch einen besonders hervorstechenden Vorzug mit sich brachte: So war während der Herstellung der Kopie die Angleichung von Farbstimmungen bei aufeinanderfolgenden Einstellungen (die bei Aussenaufnahmen beispielsweise durch die wechselnden farbigen Lichtanteile des Sonnenlichtes unterschiedlich ausfallen) mittels einer sogenannten Steuereinrichtung möglich geworden. In der Siemens-Zeitschrift wurde ausgeführt, dass „durch eine sinnreiche Konstruktion die in das Projektionsobjektiv eingebauten Filterzonen mehr oder weniger abgeblendet werden“ können. „Wenn also [...] auf die am Mittag aufgenommene Szene eine abends aufgenommene folgt und diese durch den plötzlichen Übergang infolge der Einstellung unserer Augen rötlich wirkt, so kann die unnatürlich wirkende Stimmung durch ein Abblenden der Rotzone dem Auge angepasst werden. Auf diese Weise kann man Szene für Szene durch das sogenannte Steuerdreieck auf eine richtige Farbstimmung einstellen.“76 Dieser Prozess ließ sich für die Anfertigung der Theaterkopien maschinell durchführen. Um die Qualität der Farbwiedergabe zu erhöhen, wurden bei Siemens ausserdem spezielle Theaterlampen und –schirme für die Aufführung von Opticolor-Filmen geschaffen. Die für das Verfahren optimierten Projektionsschirme hatten eine Oberfläche aus geriffeltem Aluminium, die wiederum eine eigene Linsenrasterung mit ca. einer Million Linsen auf 1m² Projektionswand aufwies77. Nichtsdestotrotz ging man am Ende der Entwicklungsarbeiten von einem zur Vorführung benötigten Lichtbedarf aus, der, bedingt durch den obligatorischen Filter vor dem Bildwerfer, zwölf- oder sogar fünfzehnmal höher lag als beim Schwarz-Weiß- Film78.

III.2 Erprobung unter Vorbehalten

Die von Siemens und Perutz auf dem Gebiet des Farbfilms geleisteten Fortschritte erfuhren durch die deutsche Kinoindustrie von Anfang an eine weitgehend zurückhaltende Beurteilung,

74 Vgl. Siemens-Archiv, Bestand 35/65 Ls 888, „Das Berthon-Siemens-Farbfilm-Verfahren 1934-1939“, Storch, Siemens Zeitschrift, S. 333. 75 Vgl. Koshofer. Color. S. 36. 76 Siemens-Archiv, Bestand 35/65 Ls 888, „Das Berthon-Siemens-Farbfilm-Verfahren 1934-1939“, Storch, Siemens Zeitschrift, S. 333. 77 Vgl. Siemens-Archiv, Bestand 35/65 Ls 888, „Das Berthon-Siemens-Farbfilm-Verfahren 1934-1939“, Storch, Siemens Zeitschrift, S. 334. 78 Vgl. Koshofer. Color. S. 36. 40 die wesentlich mit Vorbehalten gegen die beschriebenen technischen Erfordernisse des Linsenraster-Prinzips zusammenhingen. Die Zusammenarbeit zwischen Siemens und der Ufa in der praktischen Erprobung des Verfahrens verlief dabei für beide Seiten unbefriedigend. Zwar erwog die Ufa 1934 den Wechsel vom bislang genutzten Agfa-Bipack-Verfahren zu Siemens-Berthon-Opticolor: So äusserte der Vorstand im Oktober 1934 die Absicht, zur Parallelvorführung mit dem Ufacolor-Film „Potsdam“ einen Vergleichsfilm nach dem Siemens-Berthon-Opticolor- Verfahren herzustellen, dessen Finanzierung Siemens überlassen bleiben sollte79, und offensichtlich entstand daraufhin ein kurzer Demonstrationsfilm, in dem Hilde Hildebrandt, bekannte Nebendarstellerin der 30er Jahre, zu sehen war80. Jedoch sprach sich der Ufa- Vorstand noch im November 1934 für die Beibehaltung des Zweifarbenfilms und gegen die Einführung des Linsenrasterverfahrens aus, nachdem die damit verbundenen Mehrkosten bekannt geworden waren81. Daraufhin trat Siemens zur Realisierung eines Kurzspielfilms mit zusammen, in dessen Ateliers „Das Schönheitsfleckchen“ (Rolf Hansen / 1936) entstand. Der 1875 geborene Froelich hatte nach seinem Studium der Elektrotechnik bei Siemens gearbeitet, bevor er um die Jahrhundertwende beim Filmpionier Oskar Messter mit dem noch in seinen Anfangsjahren befindlichen Medium in Berührung gekommen war. Während des Ersten Weltkrieges hatte er als Front-Kameramann bei der Messter-Wochenschau gearbeitet, 1920 dann mit der Froelich Film GmbH seine eigene Produktionsfirma gegründet. Auf die filmgeschichtliche Bedeutung von Froelichs Film „Die Nacht gehört uns“ (1929), der als einer der ersten deutschen Tonfilme entstand, und der damit verbundenen Pionierleistung wurde im Zusammenhang mit Froelichs Engagement für den Farbfilm sieben Jahre später wiederholt hingewiesen. Die Ufa, nun scheinbar um ihre Beteiligung an einem etwaigen Erfolg des Verfahrens besorgt, erblickte in dieser Zusammenarbeit einen Affront und wandte sich im Juli 1935 mit einem Beschwerdeschreiben an das Siemens-Aufsichtsratsmitglied Staatsrat Dr. v. Stauss82. Anderthalb Monate später war das Bemühen der Ufa offenkundig, die Geschäftsbeziehungen zu Siemens zu verbessern: Nun wurde auch eine Kostenbeteiligung an der Weiterentwicklung des Verfahrens für den Fall in Aussicht gestellt, dass Siemens der Ufa ein vorrangiges Nutzungsrecht für mindestens drei Jahre einräumte83. Ferner forderte die Ufa die Übertragung

79 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1029 c, Nr. 1030 vom 2. Oktober 1934. 80 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1031a, Nr. 1103 vom 23. August 1935. 81 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1029 c, Nr. 1043 vom 23. November 1934. 82 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1030 b, Nr. 1091 vom 2. Juli 1935. 83 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1031a, Nr. 1103 vom 23. August 1935. 41 eines deutschlandweiten Vertriebsmonopols für Opticolor-Vorführzubehör und die Abwicklung von 80% aller nach dem Verfahren gefertigten Kopien bei der Afifa, während intern die Einschätzung geäussert wurde, “dass das Siemens-Farb-Verfahren technisch noch nicht endgültig durchentwickelt ist, wenn es auch einen höheren Stand der Entwicklung als das Agfa-Verfahren zeigt.“84 Trotz weiterer Verhandlungen zwischen Siemens und der Ufa kam kein Vertrag zustande. Am 13. März 1936 lud Siemens schließlich Vertreter der Reichsfilmkammer, der Tobis und der Ufa zu einer Besichtigung zunächst der Froelich-Ateliers und dann der dort entstandenen Opticolor-Aufnahmen bei Siemens. Die diesbezügliche Aktennotiz der Ufa weist aus, dass die Mehrzahl der Gäste erhebliche Einwände gegen die Einführung des Verfahrens äusserten und dabei übereinstimmend als Gründe angaben: 1. die zwecks Umbau der Kinotheater notwendigen Investitionen von durchschnittlich 4.000 Reichsmark („Bei 5000 deutschen Theatern ergibt sich also die Notwendigkeit einer Investition von 20 Millionen.“), und 2. eine generelle Verteuerung der Produktion um etwa 50 Prozent aufgrund des gestie- genen Rohfilmpreises (für das Linsenrastermaterial der Firma Perutz)85. An den gezeigten Aufnahmen wurden darüber hinaus „noch erhebliche Schwächen“86 konstatiert, und im Vorstandsprotokoll vom 17. März 1936 geurteilt: „Ein nennenswerter Fortschritt konnte beim Siemens-Verfahren nicht festgestellt werden. Die teilnehmenden Herren der Tobis zeigten gleichfalls keine besondere Interessennahme an dem Verfahren.“87 Zu einer gegenteiligen Auffassung war dagegen die siebenköpfige Delegation der Reichsfilmkammer gekommen, die das Siemens-Berthon-Verfahren in einer Grundsatz- besprechung am 25. März als „das farblich bisher beste und verfahrensmäßig einfachste“88 bewertete und daher dessen Förderung beschloss. Am 17. Juni schließlich überzeugte sich Dr. Goebbels bei Siemens persönlich vom Stand der Entwicklung. Neben ihm nahmen auch der Gastgeber Dr. Karl Friedrich von Siemens, der Produzent Carl Froelich, sowie der Präsident der Reichsfilmkammer, Prof. Lehnich, und Vizepräsident Hans Weidemann an einer Vorführung des ersten Opticolor-Kurzspielfilms „Das Schönheitsfleckchen“ teil. Goebbels, der die Zweifarbenfilme nach dem Agfa-Bipack-Verfahren als unzureichend angesehen

84 Mit dem „Agfa-Verfahren“ könnte das Linsenraster-Konkurrenzprodukt der Agfa (siehe Kapitel IV.1) oder auch das bereits im Test befindliche Agfa-Pantachrom-Verfahren (siehe Kapitel VI.) gemeint sein. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1031a, Nr. 1112 vom 1. Oktober 1935. 85 BA, Bestand R 109 I, 1007 / a, Aktennotiz “Betr. Besichtigung der Siemens-Farbfilm-Aufnahmen im Froelich-Atelier und Vorführung von Farbenfilmen bei Siemens am 13.3.1936”. S.2. 86 Ebd. 87 BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1031b, Nr. 1148 vom 17. März 1936. 88 BA, Bestand R 56 VI / 34, Handakten des Vize-Präsidenten der Reichsfilmkammer Hans Weidemann, Akte 125. 42 hatte89, zeigte sich tief befriedigt über die technische Leistung durch Siemens: „Nun sind wir auch da soweit. Weiter noch, als beim Anfang beim Tonfilm. Ich gebe Anweisung, damit an die Öffentlichkeit zu gehen.“90 Für den 24. des Monats veranlasste das Propagandaministerium nun die Einberufung einer Sitzung der Reichsfilmkammer zur Frage der allgemeinen Einführung des Siemens- Berthon-Opticolor-Verfahrens in Deutschland. Bei Bekanntwerden äusserte der Ufa-Vorstand noch einmal schwerwiegende Bedenken und die Befürchtung, „bei Einführung des Siemens- Farb-Systems würde [...] zufolge der besonderen Theater-Vorführungsgeräte die Internationa- lität des deutschen Films gefährdet sein.“91 Zu diesem Zeitpunkt stand bereits fest, „dass es der Wunsch des Propaganda-Ministeriums ist, den Siemens-Film als deutschen Farb-Film während der Olympiade zu zeigen.“92 Die Ufa erklärte sich bereit, zu diesem Zweck den Ufa- Pavillon in Berlin zur Verfügung zu stellen, der für den Betrag von 20.000 Reichsmark von Siemens farbfilmtauglich gemacht wurde93 - nachdem eine Intervention der Ufa bei der Reichsfilmkammer zugunsten der Konkurrenzverfahren der Agfa ergebnislos geblieben war94. Im unmittelbaren Vorfeld der Bekanntmachung des Verfahrens kam es im Juli 1936 zur Auseinandersetzung zwischen Siemens und Perutz über die eigenmächtige Benennung des Verfahrens als Siemens-Berthon-Opticolor durch Siemens und das weitgehende Verschwei- gen der Beteiligung von Perutz an den Entwicklungsarbeiten der zurückliegenden Jahre. Am 15. Juli wurde bei Verhandlungen von Vertretern von Siemens, Perutz und Reichsfilmkammer vereinbart, zugunsten von Perutz nachträgliche Änderungen an der in Vorbereitung befind- lichen Pressekampagne und dem als Vorprogramm zum „Schönheitsfleckchen“ konzipierten Dokumentarfilm über die Entstehungsgeschichte des Verfahrens vorzunehmen. Das Protokoll verzeichnet über den Besuch einer Perutz-Delegation beim Beauftragten der Reichsfilmkam- mer für den Farbenfilm Dr. Schwarz, dass dieser „bereits in der letzten Sitzung am 13.7. ungehalten darüber“ war, „dass Siemens überall den Franzosen Berthon über Gebühr herausstellt. Er erklärte sich damit einverstanden, dass wir [Perutz, Anmerkung D.A.] [...] bei Siemens vorstellig werden, dass der Name Berthon weniger stark in Erscheinung tritt, dagegen Perutz für seine 6jährige Mitarbeit entsprechend einzusetzen ist.“95 Der Streit um die Benennung veranschaulicht das Bemühen der Reichsfilmkammer, das Verfahren der

89 So vermerkte er anlässlich einer Filmsichtung am 12. März 1936: „Ein neuer Farbenfilm der Ufa. Noch nicht gut gelöst.“ In: Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Teil I. Band 3/II. S. 39. 90 Eintrag vom 18. Juni 1936. In: Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Teil I. Band 3/II. S. 109. 91 BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1031b, Nr.1168 vom 23. Juni 1936. 92 Ebd. 93 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1031b, Nr. 1175 vom 5. August 1936. 94 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1031b, Nr.1169 vom 30. Juni 1936. 95 Fünfseitige Perutz-Aktennotiz „Farbfilm-Verhandlungen in Berlin (Fortsetzung 1)“ vom 16. Juli 1936, S. 1. Original befindlich im Archiv Gert Koshofer, Kopie im Besitz des Verfassers. 43 Öffentlichkeit als originär deutsches vorstellen zu wollen. Gleichwohl blieb die von Siemens gewählte Bezeichnung Siemens-Berthon-Opticolor bestehen und führte in der Presse zu regelmäßigen Erwähnungen der Forschungsarbeiten Berthons, während der Anteil Perutz’ ausserhalb Münchens nur geringen Widerhall fand.

III.3 Startschuss für Opticolor: „Das Schönheitsfleckchen“

Am Dienstag, dem 4. August 1936, vier Tage nach Beginn der Olympischen Sommerspiele in Berlin, fand die Uraufführung des nur halbstündigen Spielfilms „Das Schönheitsfleckchen“ im Ufa-Pavillon statt. Zum Auftakt spielte das von Wolfgang Zeller dirigierte Ufa-Sinfonie- orchester Händels „Julius Cäsar“-Ouvertüre. Anschließend hielt Hans Weidemann, Vizeprä- sident der Reichsfilmkammer, eine Rede, die er nach dem Bericht des Film-Kurier mit dem Hinweis begann, „dass er nicht das Wort nehme, um ein Farbfilmsystem besonders zu propagieren. Nicht um die Frage des Systems handele es sich, sondern vielmehr darum, den Farbfilm ganz allgemein in den Vordergrund der Betrachtungen zu stellen und ihm den Weg zu ebnen [...]. Bei der Vorführung des Siemens-Films handele es sich um nichts anderes, als um ein Beispiel dafür, wie weit das deutsche Farbfilmschaffen heute schon vorgedrungen ist. [...] Die Vorführung solle daher beweisen, dass wir dem internationalen Ringen um den Farbfilm gleichwertige deutsche Arbeiten entgegensetzen können, sie sollte die Überzeugung geben, dass sich der Farbfilm über alle technischen, wirtschaftlichen und künstlerischen Bedenken hinweg durchsetzen wird, weil die Technik aus dem Laboratorium herausgetreten ist und nunmehr nach praktischer Vollendung drängt.“96 Vor dem Hintergrund dieses „internationalen Ringens“ lenkte Weidemann die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer vor allem auf wirtschaftliche Aspekte: „Eins steht fest: Der Farbfilm kommt, gleich, von welcher Seite. Man darf sich keiner Täuschung hingeben, dass andere Völker mit allen zur Verfügung stehenden Kräften bemüht sind, den Farbfilm vordringen zu lassen und ihm Weltgeltung zu geben. [...] Wenn nun heute bei uns dem Farbfilm mit Misstrauen und Pessimismus begegnet wird, so möge man nicht vergessen, dass man beispielsweise in Amerika schon ernsthaft mit einer umfangreichen Farbspielfilm-Produktion beschäftigt ist. Das mag zu denken geben und mag klarstellen, dass man dort also keineswegs ängstlich oder misstrauisch ist: auch wir dürfen es darum nicht sein, denn – bedenkt man die wirtschaftliche Seite – so sei es immerhin

96 Hans Weidemann im Ufa-Pavillon: Farbfilm ist Glaubenssache. In: Film-Kurier, 5. August 1936. 44 besser, Deutschland nähme die Beträge für die Lizenzen ein als jene Staaten, in denen man weniger pessimistisch urteilt.“97 Bei „Das Schönheitsfleckchen“, der in den folgenden Wochen im Beiprogramm zu dem schwarz-weißen Kulturfilm „Die Kopfjäger von Borneo“ (Victor von Plessen / 1936) gebracht wurde, handelte es sich um einen reinen Atelierfilm, der auf Aussenaufnahmen völlig verzichtete. Intrigen, Romanze und Eifersucht standen im Vordergrund dieser Verfilmung von Alfred de Mussets Geschichte „La Mouche“. Mit Lil Dagover in der Haupt- rolle als Madame Pompadour, Wolfgang Liebeneiner und Aribert Wäscher zeigten sich in dem Rahmen dieses Kostümreigens eine ganze Reihe bekannter Schauspieler zum ersten Mal in Farbe ihrem Publikum. Auf eine ausgeklügelte Handlung war zugunsten der reinen (Farb-) Wirkung scheinbar verzichtet worden. So erkannte der Rezensent des Film-Kurier unumwun- den den Hauptzweck des Films darin, „die Öffentlichkeit auf das bisher Erreichte aufmerksam zu machen und ihre Bedenken und Zweifel weitestmöglich zu zerstreuen“, zollte jedoch auch den „frohe[n] Bilder[n] voller prächtiger Farbaufteilung“ Beifall: „ein höfisches Fest zumal ist von fast überwältigendem Eindruck durch den Reichtum der Farbtöne, die sich dem Auge bieten und erkennen lassen, dass hier wirklich ein neues, unglaublich weitgreifendes Mittel künstlerischer Formgebung im Film geschaffen wurde, - geschaffen wurde in deutschen Laboratorien und in Zusammenarbeit deutscher Techniker und Künstler.“98 Die Wormser Zeitung stellte anerkennend heraus, „wie himmelweit diese Farbgebung von den aufdring- lichen, aufgewalzt kolorierten Filmtönen entfernt ist, wie wir sie aus Versuchen kennen, die zum Teil aus Amerika herübergekommen sind.“99 – Wie verhältnismäßig gute Farbwirkung „Das Schönheitsfleckchen“ mit dem Siemens-Berthon-Opticolor-Verfahren erzielte, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen. Der Demonstrationsfilm im Barockgewand gilt als verschollen. Mit der Entscheidung, „Das Schönheitsfleckchen“ im festlichen Rahmen als kulturelles und öffentliches Ereignis (und im Rahmen der Olympiade nicht zuletzt auch dem Ausland) zu präsentieren, waren die Würfel gewissermaßen für das Siemens-Berthon- Opticolor-Verfahren gefallen, und trotz der rhetorischen Relativierung, die Hans Weidemann in seiner Rede zur Uraufführung vornahm, hatte man sich von Seiten des Propagandaminis- teriums auf das Verfahren festgelegt. So ist auch zu erklären, dass, wie aus der Perutz- Aktennotiz über die Farbfilmverhandlungen vom Juli 1936 hervorgeht, bereits zu diesem Zeitpunkt von Seiten der Reichsparteileitung die Absicht bestand, „einen Teil des Nürnberger

97 Hans Weidemann im Ufa-Pavillon: Farbfilm ist Glaubenssache. In: Film-Kurier, 5. August 1936. 98 Das Schönheitsfleckchen. Der erste deutsche Farbspielfilm. In: Film-Kurier, 5. August 1936. 99 Wohin strebt der Farbfilm? In: Wormser Zeitung, 27. Juli 1936. 45 Parteitags 1936 auf Farbenfilm zu drehen. Die NSV will ausserdem einen Film mit Aussenaufnahmen herstellen.“100

III.4 Leni Riefenstahl bei Siemens – Hans Ertl und der Farbfilm

Anfang September 1936 folgte Leni Riefenstahl einer Einladung von Siemens in ein Spandauer Atelier, wo ihr und ihrem Begleiter, dem Kameramann Hans Ertl, das Siemens- Berthon-Verfahren vorgestellt wurde. In seinen Teil-Memoiren „Meine wilden dreißiger Jahre“ berichtet Ertl von dem Verlauf des Treffens: „Leni, die von all den technischen Dingen nicht viel verstand, die man uns nach der Projektion weitschweifig erklärte, zeigte sich trotzdem sehr interessiert und bat die Herren, mich in die ganze Materie soweit einzuweihen, dass sie nach der endgültigen Fertigstellung des Olympiafilms mit mir zusammen eventuell einen großen Farbfilm nach dem Siemens-Berthon-System drehen könnte. Die Herren waren über das Resultat unserer Zusammenkunft sehr erfreut, denn Leni Riefenstahl war für sie eine zugkräftige `Lokomotive´, die ihnen, wie sie glaubten, im Ernstfall alle Bedenken aus dem Weg räumen konnte, die hohe Parteidienststellen vielleicht noch gegen die offizielle Einfüh- rung dieses deutsch-französischen Farbfilmverfahrens haben mochten.“101 Ein Riefenstahl-Farbfilmprojekt kam zwar nicht zustande, doch sollte Ertl, der in den folgenden Wochen durch den Siemens-Forschungsleiter in Berlin Dr. Edgar Gretener mit der Technik des Verfahrens vertraut gemacht wurde, 1937 zum gefragtesten Farbfilm-Kamera- mann Deutschlands aufsteigen. Der zu diesem Zeitpunkt 28jährige war über Umwege zum Film gekommen: Seine Erfolge als Bergsteiger (unter anderem Erstbegehung der Königsspitz- nordwand 1930) hatten die Aufmerksamkeit Dr. Arnold Fancks erregt, der ihn zur Mitarbeit an dem Abenteuerfilm „SOS Eisberg“ (1932, in der Hauptrolle Leni Riefenstahl) verpflichtete. Nachdem sich Ertl als Autodidakt das Handwerk des Kameramanns angeeignet hatte, lieferte er 1934 mit einem Werbefilm für Garmisch-Partenkirchen als Austragungsort der Winterolympiade den Beweis für sein Talent ab und filmte auf der internationalen Himalaja-Expedition des gleichen Jahres. Diese ersten Erfolge glückten ihm ohne etwa eine Protektion durch Dr. Fanck oder Leni Riefenstahl. Mit Riefenstahl begann er erst anlässlich

100 Fünfseitige Perutz-Aktennotiz „Farbfilm-Verhandlungen in Berlin (Fortsetzung 1)“ vom 16. Juli 1936, S. 5. Original befindlich im Archiv Gert Koshofer, Kopie im Besitz des Verfassers. Das NSV-Projekt wurde unter dem Titel „Der Steppke“ in Angriff genommen. Auf diesen wenigstens in Schwarz-Weiß-Fassung fertiggestellten Film existieren Hinweise in den Akten Hans Weidemanns. (BA, Bestand R 56 VI / 34, Handakten des Vize-Präsidenten der Reichsfilmkammer Hans Weidemann, die Akten 72 / 73 / 106.) 101 Ertl, Hans: Meine wilden dreißiger Jahre. Bergsteiger, Filmpionier, Weltenbummler. München 1982. S. 230. 46 des Reichsparteitagsfilms „Tag der Freiheit“ (1935) eine sich im folgenden Jahr auf Riefenstahls Olympia-Filmprojekt ausdehnende Zusammenarbeit. Nach Ertl fand der Riefenstahl-Besuch bei Siemens während des Nachdrehs von Aufnahmen für die klassischen Sportfilme „Olympia, 1. Teil – Fest der Völker“ und „Olympia, 2. Teil – Fest der Schönheit“ (beide 1938) statt. In einem 1938 erschienen Artikel des Völkischen Beobachters sollte Ertl sein Interesse am Farbfilm etwas vordatieren, indem er berichtete, er sei, „vom allgemeinen Farbfilmtaumel der letzten Jahre erfasst, [...] auf der Suche nach einem für den Kameramann aussichtsreichen Verfahren zuerst auf Siemens gestoßen und habe dort teilweise ganz aussergewöhnlich schöne Farbfilmstreifen gesehen“102. Und weiter: „Nach Beendigung meiner Olympiaverpflichtungen hängte ich die Schwarz-Weiß-Film-Arbeit an den Nagel, verschrieb mich der Farbfilmsache und fing wie einst ganz von vorne an. Von größter Wichtigkeit ist für uns die Arbeit draussen in der Natur, die in ihren Stimmungen die beste Farbenharmonielehre gibt und stets die Farbenzusammenstellung trifft. Hier lernt man auch die entscheidende Tatsache begreifen, dass die grundsätzliche Umstellung des künstlerischen Sehens von Schwarz-Weiß auf Farbe das Wichtigste ist.“103 Diese Erkenntnisse gewann Ertl im Laufe seiner Studienzeit mit Siemens-Berthon-Opticolor, zu dessen praktischer Erprobung er noch im Oktober 1936 zum Großglockner fuhr, denn „das Frühlingserwachen im bayrischen Alpenvorland bot herrliche Motive und Möglichkeiten, dem noch etwas komplizierten Farbverfahren optimale Resultate abzuluchsen.“104

III.5 Der verschollene Bilanzfilm: Svend Noldans „Deutschland“ / „Vier Jahre Hitler“

Im gleichen Zeitraum, in dem Hans Ertl mit Natur- und Landschaftsaufnahmen in Siemens- Berthon experimentierte, wurde der Kulturfilmregisseur und –produzent Svend Noldan mit der Herstellung eines Opticolor-Films mit dem schlichten Titel „Deutschland“ betraut. Svend (eigentlich: Heinrich August) Noldan (bzw. das Atelier Svend Noldan, Berlin) gehörte in den 30er Jahren zu den Größen der Kulturfilmszene. Seine Karriere hatte 1920 in der Trickfilm- abteilung der Ufa begonnen, erste Regiearbeiten datieren von Mitte der 20er. Noldan, der zu diesem Zeitpunkt noch der künstlerischen Avantgarde, z.B. den Dadaisten John Heartfield und Geroge Grosz nahestand und mit dem progressiven Theaterregisseur Erwin Piscator

102 Gert Sachs: Dem Farbengroßfilm eine Gasse! Deutsche Technik triumphiert / Unterredung mit dem Kameramann Hans Ertl. In: Völkischer Beobachter, 30. Januar 1938. 103 Ebd. 104 Ertl. S. 239. 47 befreundet war105, steuerte bereits 1933 Trickaufnahmen für die Mischung aus Spiel- und Kulturfilm „Blut und Boden. Grundlagen zum Neuen Reich“ (Rolf von Sonjevski-Jamrowski) bei. Als Spezialist für Kartentricks zeichnete Noldan für entsprechende Sequenzen in Fritz Hipplers Propagandafilmen „Feldzug in Polen“ (1940) und „Der ewige Jude“ (1941) verant- wortlich. Seine größte (und auch letzte große) Regiearbeit vor 1945 war der international gelaufene Propagandafilm „Sieg im Westen“ (1941) über den Frankreichfeldzug. In der Nachkriegszeit produzierte die Svend Noldan Film Westberlin landwirtschaftliche Filme über Schädlingsbekämpfung mit Titeln wie „Herr über das Unkraut“ (1952), „Ungräser – Geißeln des Ackerbaus“ (1963), „Standfest bis zur Ernte“ (1966) oder „Obst und Wein – unkrautrein“ (1969). „Deutschland“ war der einzige Farbfilm, den Noldan im Dritten Reich inszenierte. Hans Ertl, der Noldan bei einem Aufenthalt im Spandauer Siemens-Atelier kennen lernte, gibt an, der Film sei zunächst für ein ausländisches Publikum, nämlich für die Weltausstellung in Paris konzipiert worden, und sollte „entgegen den sonstigen Gewohnheiten und Weisungen von Dr. Goebbels keinerlei aufdringliche Nazipropaganda enthalten“106. Im Austausch über ihre bisherigen Erfahrungen mit Siemens-Berthon-Opticolor waren sich Noldan und Ertl scheinbar sympathisch und beschlossen die Zusammenarbeit. Ertl berichtet: „Noldan, dem meine Aufnahmen von pflügenden Bauern mit Pferden oder Ochsengespannen, vom einfachen Sämann, der aus dem Schurz den Samen in die frisch aufgebrochene Erde wirft, von Schäfern mit ihrer Herde, von bunter, trocknender Wäsche im Frühlingswind gegen die noch verschneiten Berge, von Chiemsee-Fischern und spielenden Kindern gut gefallen hatten, bat mich um Überlassung derselben und um meine weitere Mitarbeit an dem Weltausstellungsfilm – nach einem genau festgelegten Programm. Ich sagte zu, denn nun war ja die Gelegenheit geboten, nicht nur fürs Archiv zu arbeiten, sondern für ein internationales Publikum und eine Premiere in Paris.“107 Leider verzichtet Ertl darauf, das von ihm erwähnte Programm zu beschreiben, nach dem die Dreharbeiten zu „Deutschland“ fortgeführt wurden. Neben ihm waren auch Herbert Behrens-Hangeler und der Kulturfilmproduzent Otto Trippel an den Aufnahmen beteiligt. Obwohl „Deutschland“ – wie mit einer Ausnahme alle weiteren Filme nach dem Siemens-Berthon-Opticolor-Verfahren – als verschollen gilt, lässt sich ausgehend von den überlieferten Rezensionen ein recht klares Bild des Filminhalts nachzeichnen und auf dieser Grundlage entgegen der oben zitierten Einschätzung Ertls schließen, dass es sich – wie der

105 Vgl. Peter Zimmermann und Kay Hoffmann: Bekannte Regisseure zwischen Avantgarde, Sachlichkeit, Idyllik und Propaganda. In: Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland. Band 3. S. 118. 106 Ertl. S. 240. 107 Ebd. 48 Alternativ-Titel „Vier Jahre Hitler“ auch nicht anders nahelegt – um einen eindeutig national- sozialistischen Propagandafilm gehandelt hat, der die landschaftlichen Schönheiten Deutsch- lands als Hintergrund abbildete, vor dem die ersten vier Jahre von Hitlers Kanzlerschaft auf den propagandistischen Effekt hin bilanziert wurden. So bezeichnete ein Rezensent den Film als „Großbildbericht über die Aufbauleistung des Reiches in den Jahren seit der Machter- greifung. Eindringlich zeigt er, wie die grauenhafte Millionenarmee der Arbeitslosen aus der Systemzeit dank dem gigantischen Vierjahresplan immer kleiner wird und schließlich zur Gänze verschwindet. Da sehen wir die Mietskasernen unter der Spitzhacke fallen und gesunde Wohnsiedlungen ihrerstatt erstehen, die Jugend des Führers tummelt sich in Zeltlagern und die Mädel tanzen ihre Reigen, der Reichsarbeitsdienst erobert Land und vor unseren Augen ersteht gleichsam ein ganzes Land neu.“108 Die Einbettung der politischen Botschaft in landschaftliche Stimmungs- und Städtebilder kommt auch in dem Artikel der Reichspost aus Wien zum Ausdruck, in dem es heißt: „Mit den Augen des Künstlers gesehen, enthüllt sich zunächst der Reiz alter deutscher Städte und die Schönheit der Landschaft zwischen den sanft gewellten Dünen der Ostsee und den ragenden Felsschroffen der Alpenberge. Die leuchtenden Bilder erschließen die Seele der Landschaft und der Menschen, die sie bewohnen und die in ihrer Natur jenes besseren Lebens würdig sind, das ihnen die Missgunst der Völker verwehren wollte, bis ihnen ein Führer erstand, der ihrem Leben wieder Schönheit und Würde geben konnte.“109 Gestalterische Merkmale des Films waren der Verzicht auf einen Sprecherkommentar zugunsten einer reinen Musikvertonung durch Walter Gronostay und die Verwendung farbiger Trickzeichnungen, die „den Neubau des Reiches, den Arbeitsdienst, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die Erziehung der Jugend“110 veranschaulichten. Noldan, der für seine Animations-Sequenzen bekannt war, führte diese in „Deutschland“ zum ersten Mal farbig aus.

Als Schwerpunkte der Darstellung überliefern die Filmrezensionen: - Klein- und Altstadtromantik - Landschaftsbilder mit Reichsautobahn, Landwirtschaft und romantisch verklärter Feldarbeit111 - Kindererziehung bis zur Eingliederung in BDM und Hitlerjugend - soziale Bauprojekte112

108 Farbtonfilm „Großdeutschland“. In: Neuigkeitsweltblatt, 6. April 1938. 109 Welturaufführung des Farbentonfilms „Großdeutschland“ in Wien. In: Reichspost, 4. April 1938. 110 Farbenfilm „Deutschland“ erfolgreich uraufgeführt. In: Film-Kurier, 24. August 1937. 111 Vgl. Ertl. S. 240. 112 Vgl. Farbtonfilm „Großdeutschland“. In: Neuigkeitsweltblatt, 6. April 1938. 49 - Freizeitgestaltung und Ausflüge in die Natur („sonngebräunte Gestalten bei Spiel, Tanz und fröhlichem Badetreiben“113) - KdF-Schifffahrt - Industrieaufnahmen - Volksfeste mit der Zurschaustellung traditioneller Trachten und Tänze - NS-Massenkundgebungen („Bilder von der Maifeier“114, wahrscheinlich im Berliner Olympiastadion am 1. Mai 1937) - NS-Massenorganisationen (HJ, Reichsarbeitsdienst)

113 „Großdeutschland“. Welturaufführung von Farbentonfilmen. In: Kleine Volks-Zeitung, 3. April 1938. 114 Farbenfilm „Deutschland“ erfolgreich uraufgeführt. In: Film-Kurier, 24. August 1937. 50 Seine Uraufführung erlebte die „Filmkomposition“115 „Deutschland“ als zweiter nach dem Siemens-Berthon-Opticolor-Verfahren hergestellter Film nicht auf der Weltausstellung in Paris, sondern auf der Biennale in Venedig am 23. August 1937. In einem auf Farbfilm abgestimmten Tagesprogramm war „Deutschland“ nachmittags um 16.30 Uhr im Filmpalast am Lido zur Vorführung veranschlagt und wurde um 21.15 Uhr gefolgt von dem Ufacolor- Kurzfilm „Bunte Fischwelt“ und dem Technicolor-Spielfilm „A star is born“ (William L. Wellmann / USA 1937)116. Im Hotel Excelsior richtete der Präsident der Reichsfilmkammer Prof. Dr. Lehnich im Anschluss an die Vorführung von „Deutschland“ eine Pressekonferenz zum Thema Farbfilm aus. Der Präsident der Biennale Graf Volpi di Misurata richtete Anerkennungstelegramme an Reichsminister Dr. Goebbels und Karl Friedrich von Siemens, um diese zum Stand des deutschen Farbfilmverfahrens zu beglückwünschen117.

115 Münchner Tagung der DKG: Farbfilmerlebnis und Ausblick. In: Deutsche Filmzeitung Nr. 5/1938. 116 Vgl. Abbildung VI.: Tagesprogramm vom 23. August 1937, Original im Archiv Gert Koshofer, Kopie im Besitz des Verfassers. Der Berichterstatter des Film-Kurier nutzte die Vergleichsmöglichkeit zwischen dem Siemens-Berthon- Opticolor- und dem Technicolor-Verfahren, um „besonders hinsichtlich einiger sonnenbeschienener Landschaftaufnahmen“ die bessere Farbqualität von Opticolor festzustellen. (Farbenfilm „Deutschland“ erfolgreich uraufgeführt. In: Film-Kurier, Di, 24. August 1937.) 117 Vgl. Farbenfilm „Deutschland“ erfolgreich uraufgeführt. In: Film-Kurier, 24. August 1937. 51 Doch auch in Paris wurden der Noldan-Film und das zugrundeliegende Verfahren gewürdigt: Unter den insgesamt 42 Auszeichnungen, die durch die internationale Jury an die deutsche Filmindustrie verliehen wurden, befanden sich zwölf Mal der Grand Prix, acht Ehrendiplome und 22 Goldmedaillen. Einen Grand Prix erhielt (unter anderem neben Riefenstahls „Triumph des Willens“ (1935) und dem ebenfalls von Noldan hergestellten „Was ist die Welt?“ (1933)) auch „Deutschland“118. Dagegen lassen sich lediglich zwei öffentliche Vorführungen des Films im Inland nachweisen, die beide in München stattfanden: die erste im Rahmen der Sondertagung der Deutschen Kinotechnischen Gesellschaft im Januar 1938 in den Kammerlichtspielen (begleitet von Ertls „Tag der Deutschen Kunst 1937“), die andere im März 1938 im Festsaal des Deutschen Museums (begleitet, wenigstens ausschnittweise, von Carl Junghans’ „Nürnberg 1937“). Über einen längeren Zeitraum lief der Film nur in der Wiener Urania unter dem Programmtitel „Großdeutschland“ im April 1938. Auf diese Veranstaltung soll an späterer Stelle eingegangen werden. Im März 1938 wurde ausserdem eine um zehn Minuten kürzere Schnittfassung des Films unter dem Titel „Bilder aus Deutschland“ zensiert.

III.6 Hans Ertls „Tag der Deutschen Kunst 1937“

Den Auftrag, den 1937 zum ersten Mal abgehaltenen Tag der Deutschen Kunst in München mit Siemens-Berthon-Opticolor zu dokumentieren, erhielt Hans Ertl noch während seiner Mitarbeit an „Deutschland“. In München, der viertgrößten deutschen Stadt, die ausserdem seit 1934 den Ehrentitel Hauptstadt der Bewegung trug, war im Oktober 1933 der Grundstein für das Haus der Deutschen Kunst gelegt worden, in dem nun, im Juli 1937, die erste „Große Deutsche Kunstausstellung“ eröffnet wurde, der am gleichen Ort noch sieben weitere (bis einschließlich 1944) folgen sollten. Als Höhepunkt der Eröffnungsfeierlichkeiten fand am 18. Juli 1937 der unter der Oberleitung der Münchner Akademieprofessoren Hermann Kaspar und Richard Knecht gestaltete Festzug „Zweitausend Jahre deutsche Kultur“ statt: drei Kilometer lang, dreißig geschmückte Wagen mit Darstellungen der deutschen Kulturepochen von der germanischen Frühzeit über Barock, Klassik, Romantik bis zur Gegenwart umfassend, 500 Reiter, 2000 weibliche und 2500 männliche Statisten aufbietend, darunter Abteilungen von

118 Preisverleihung in Paris / Der deutsche Film erhielt 42 Auszeichnungen. In: Film-Kurier, 29. Dezember 1937. 52 Wehrmacht, SA, SS und anderen Parteigruppierungen119. Bereits anlässlich der Grundstein- legung am 15. Oktober 1933 hatte München einen Festzug gesehen, der unter der Oberleitung des Bildhauers und Akademieprofessors Josef Wackerle zusammengestellt worden war und den Titel „Glanzzeiten Deutscher Kultur“ getragen hatte120. 1937 wurde der Tag der Deutschen Kunst am Freitag, dem 16. Juli, im Kongreßsaal des Deutschen Museums durch den Gauleiter Adolf Wagner eröffnet. Das anschließende Wochenende bot ein reiches Programm an Festivitäten, darunter Reden, Presseempfänge, Opern- und Theateraufführungen. Sonntag Mittag folgte die Einweihung des Hauses der Deutschen Kunst und die Eröffnung der 1. Großen Deutschen Kunstausstellung durch Hitler, der zu diesem Anlass eine grundsätzliche kulturpolitische Rede vor allem gegen die sogenannte „Entartete Kunst“121 hielt. Am Nachmittag um 15:30 Uhr begann der Festzug, der, vom Prinzregentenplatz kommend, das Haus der Deutschen Kunst und auf seinem Weg durch die Innenstadt die Stationen Siegestor, Odeonsplatz, Karolinenplatz, Königsplatz, Karlsplatz, Marienplatz, Max-Joseph-Platz passierte und am Maxmonument seinen Endpunkt erreichte122. Für das Publikum waren am Rande der Wegstrecke zahlreiche Tribünen mit Sitz- und Stehplätzen errichtet worden. Die sogenannte Führertribüne befand sich am Odeonsplatz nahe der Feldherrenhalle. Mit Hilfe von drei Kameras123 hielt Ertl sowohl eine Auswahl der im Haus der Deutschen Kunst ausgestellten Gemälde und Plastiken als auch den Festzug am 18. Juli auf etwa 3000 Meter Siemens-Berthon-Linsenrasterfilm fest, die zunächst nur für Archivzwecke bestimmt waren, dann aber doch zu einem 800 Meter langen Film zusammengefasst wurden124. Im Stadtarchiv Nürnberg hat sich eine Kopie von „Tag der Deutschen Kunst 1937“ erhalten, die damit als die einzige bekannte Kopie eines Films nach dem Siemens-Berthon- Opticolor-Verfahren gelten kann. Da das Vorführzubehör unauffindbar ist, kann die Kopie nur in schwarz-weißer Form genutzt werden. Der etwa halbstündige Film lässt sich in vier Abschnitte untergliedern, die jeweils beinhalten: 1. das festlich geschmückte München 2. das Haus der Deutschen Kunst

119 Vgl. Mario-Andreas von Lüttichau: `Deutsche Kunst´ und `Entartete Kunst´: Die Münchener Ausstellungen 1937. In: Die `Kunststadt´ München 1937. Nationalsozialismus und `Entartete Kunst´. Herausgegeben von Peter- Klaus Schuster. München 1987. S. 88f. 120 Vgl. Von Lüttichau. S. 84. 121 Nur einen Tag später fand die Eröffnung der Ausstellung „Entartete Kunst“ durch den Präsidenten der Reichskammer der Bildenden Künste Adolf Ziegler statt. Vgl. Von Lüttichau. S. 88. 122 Vgl. Abbildung 10 bei von Lüttichau, S. 90. 123 Vgl. Münchner Sondertagung der Deutschen Kinotechnischen Gesellschaft. In: Film-Kurier, 24. Januar 1938. 124 Vgl. Münchner Tagung der DKG: Farbfilmerlebnis und Ausblick. In: Deutsche Filmzeitung Nr. 5/1938. 53 3. die Ausstellung im Haus der Deutschen Kunst 4. den Festzug

Der Großteil der Laufzeit entfällt dabei auf den vierten Abschnitt125. Unterlegt ist der Film ausschließlich mit der Musik Hans Eberts. Ertl leitet den durchaus konventionellen, aber sorgsam komponierten Prolog seines Films mit langsam abgeschwenkten Panoramaaufnahmen des Münchner Umlandes ein, die dann auf die Dächer der bayrischen Hauptstadt umblenden. Auf Altstadtansichten folgt eine Montage aus Obersichtaufnahmen des Stadtverkehrs, die in rascher Folge ineinander übergeblendet werden, wobei Passanten, Straßenbahn und Pkw mehrfach ihre Bewegungs- richtung von links nach rechts verkehren: der Seheindruck suggeriert modernes Großstadt- leben. Dann erst erscheinen Straßenschmuck und Beflaggung im Bild, in denen die Kamera minutenlang schwelgt. Eine bevorzugte Perspektive, die sich auch im weiteren Verlauf des Films nachweisen lässt, bildet Flaggen und Wimpel vor dem sommerlichen Himmel ab, was den Schluss zulässt, dass sich hierdurch ursprünglich besonders gute Farbwirkungen erzielen ließen. Schnell fällt auf, dass Ertl den Bildsymbolen Fahne, Hoheitsadler und Hakenkreuz eine viel größere Bedeutung beimisst als dies beispielsweise in den Ufacolor-Filmen Kurt Waschnecks der Fall war: Bei Ertl fungieren sie mehrfach als Überleitung von einer Szene oder einem Schauplatz zum nächsten. Allein das an dieser Stelle vorgestellte Ensemble zweier Hakenkreuzwimpel, die eine Fahne mit dem stilisierten Zunftwappen der Kunst- und Handwerksmaler flankieren, wird von der Kamera bis zum Filmende noch drei weitere Male in nahezu identischer Weise festgehalten. Bevor ein Wimpel mit dem Zunftwappen zum zweiten Filmabschnitt überleitet, stellt Ertl zwei Straßenszenen einander in Obersichtauf- nahmen gegenüber: zunächst das ungeordnete, in alle Richtungen wimmelnde zivile Leben; dann eine Kolonne des Reichsarbeitsdienstes, die zackig ihre Spaten schultern. Ertl begnügt sich nicht damit, das Haus der Deutschen Kunst, d.h.: den Säulengang zur Straßenseite hin, in zahlreichen Perspektiven zu zeigen, sondern bemüht sich auch, diese Aufnahmen in einen übergeordneten Zusammenhang zu stellen, indem er die Pläne des Bauwerks der Gedenktafel seines Urhebers Paul Ludwig Troost gegenüberstellt. Ein Schwenk an den Säulen hinab blendet schließlich über in eine überdimensional erscheinende Büste Adolf Hitlers126 – dazu ertönt, in getragener Fassung, ein Motiv des Badenweiler Marsches,

125 Der Lauflänge des vierten Abschnitts mit 14:35 Minuten stehen die drei vorhergehenden Abschnitte mit insgesamt 13:08 Minuten gegenüber. 126 Es handelt sich vermutlich um die Ferdinand Liebermann-Büste, die auch im Rahmen der Ausstellung zu sehen war. 54 das an zwei signifikanten Stellen wiederholt werden wird. Eine in die Mauer eingelassene Tafel hält den Hitler-Ausspruch fest: „Kunst ist eine erhabene und zum Fanatismus verpflichtende Mission“ – der bildlich in darauffolgenden weiteren Aussenaufnahmen des Gebäudes unterstrichen wird. Dann erscheinen die zum Empfang Hitlers vor dem Gebäude angetretenen Parteiformationen: Dessen Auftritt, begleitet vom Badenweiler in pompöser Version, beschränkt sich auf eine einzige längere Einstellung, die ihn von hinten zeigt, gemeinsam mit Göring die Stufen zum vor dem Eingangsportal aufgestellten Rednerpult emporsteigend, Gauleiter Adolf Wagner und August von Finck zunächst mit ausgestreckter Rechter, dann mit Handschlag begrüßend. Eine zweite Einstellung am Schluss des dritten Abschnitts wird Hitler dann aus gleicher Entfernung beim Verlassen der Ausstellungsräume zeigen, während auf weitere Auftritte der NS-Prominenz, Ansprachen, öffentliche Huldigungen etc. verzichtet wurde. Der dritte Abschnitt des Films umfasst in statischen Bildern eine Auswahl der repräsentativen Malerei und Plastik, die 1937 im Haus der Deutschen Kunst ausgestellt wurde. Als Motivthemen der im Eröffnungsjahr ausgestellten Gemälde zählt Mario-Andreas von Lüttichau „Landschaften, Stilleben, Tierbilder[n], Portraits, zu Allegorien erhobene[n] akademische[n] Akte[n], Darstellungen aus dem Alltag der deutschen Bauern“ auf, „in vielen Varianten das Thema der Mutter als Ursprung und Garantie der artreinen Rasse“, „Industrie- landschaften, Bilder aus dem Bereich des Sports oder Darstellungen gestählter und von der Witterung gegerbter Männer in naturnahen Berufen, etwa Jäger, Holzfäller, Hirte“127. Lüttichau weist auch darauf hin, dass zwei in den Nachfolgeausstellungen dominante Inhalte, nämlich aufdringliche Nacktdarstellungen und Bilder von Krieg und Soldatentum, 1937 noch kaum vertreten waren. Er resümiert: „Bis auf die propagandistischen Bildthemen und wenige meist großformatige Verherrlichungen der Parteigrößen zeigte diese Schau eine handwerklich brave, recht konservative Malerei“128, der im Bereich der Plastik 200 Werke, „vornehmlich Portraitköpfe, nackte Figuren und zahlreiche Tierdarstellungen“129 gegenüberstanden. Über die Auswahl der Exponate, die Ertl für die Aufnahmen traf, berichtet dieser in seinen Memoiren: „Glücklicherweise hatte ich die Möglichkeit, ganz frei zu arbeiten – ohne irgendeine Auflage von Seiten der Reichspropaganda-Leitung – , so dass ich monumentale `Buntbildschinken´ von Gauleitern oder den Superkitsch eines Wiener Malers, der Hitler als Gralsritter hoch zu Roß in silberner Rüstung zeigte, ausklammern konnte.“130

127 Von Lüttichau. S. 88. 128 Von Lüttichau. S. 89. 129 Von Lüttichau. S. 91. 130 Ertl. S. 242. 55 Augenfällig ist, dass Ertl die Malerei stärker gewichtet als die Plastik: So folgen auf Josef Thoraks eingangs gezeigte „Kameraden“ nur fünf weitere Skulpturen, denen Nahaufnahmen von insgesamt 39 Gemälden entgegenstehen. Dabei fasst Ertl die Kunstwerke zwar nicht durchgängig, aber zumindest streckenweise thematisch zusammen: auf vier aneinandergereihte Gemälde zur Parteigeschichte (Hermann Otto Hoyer: „Am Anfang war das Wort“, Elk Eber: „Appell am 23. Februar 1933“, Heinrich Knirr: „Der Führer“) folgt ein Komplex mit Industrie- und Landschafts-Malerei (Otto Diez: „Fichtelgebirgslandschaft“) und zahlreiche Darstellungen des Bauernalltags (Franz Xaver Strahl: „Arbeit“, Julius P. Junghanns: „Niederrheinisches Weidebild“, Thomas Baumgartner: „Bauern beim Essen“), darunter auch Portrait-Bildnisse (Franz Eichhorst: „Bauernfrau“). Zum Ende der Werkschau hin gibt Ertl noch einmal eindeutig propagandistischen Bildmotiven den Vorzug, wenn den Betrachter die markig überzeichneten Gesichter eines Marine-, eines Luftwaffen- und eines Wehrmachtsoldaten fixieren (Ferdinand Spiegel: „Triptychon: Flieger, Landsoldat, Marine“), gefolgt von einem SS- und einem RAD-Mann („Triptychon: SA-Mann, SS-Mann, Arbeits- dienst“ des gleichen Malers). Metaphyisch-mythologisierende Darstellungen bleiben in Ertls Auswahl ebenso weitgehend unberücksichtigt (Ausnahmen: Richard Klein: „Das Erwachen“, Adolf Ziegler: „Die vier Elemente“) wie Büsten oder Portraits politischer Größen (Ausnahmen: das Knirr-Portrait und die Liebermann-Büste Hitlers). Der vierte und wie bereits erwähnt längste Abschnitt des Films dokumentiert ausschnittweise den Festzug durch die Münchner Innenstadt, wobei sich Ertls Aufnahmestab auf drei Standorte verteilt hatte: die erste Kamera am Königsplatz, deren Postierung auf der Propyläen ruhig geschwenkte Überblicksaufnahmen ermöglichte, die zweite am Karlsplatz, und die dritte am Maximiliansplatz gegenüber der Oper. Als einziges Aufnahmeobjekt sei an dieser Stelle das überdimensionale Modell des Hoheitsadlers herausgehoben, dem anschei- nend übergeordnete Bedeutung zukommt. Ihm werden allein vier Aufnahmen gewidmet: Darüberhinaus nimmt die Kamera, als er das Karlstor passiert, sogar in einer (nachträglich inszenierten) Fahrt dessen Perspektive ein. Daneben ist bemerkenswert, dass die Aufnahmen des Festzugs die einzigen im Film enthaltenen sind, in denen einzelne Personen (und zwar kostümierte Komparsen) wenigstens halbnah von der Kamera erfasst werden. Dies geschieht eher zufällig und scheint dem ansonsten konsequent verfolgten Konzept Ertls zuwiderzu- laufen, Einzelpersonen auszuklammern und dagegen den Ornamenten von Marschformatio- nen und Zuschauermengen den Vorzug zu geben. Den Schlusspunkt der Aufnahmen vom Festzug bildet der Zug der SA, während der Badenweiler Marsch ausgespielt wird. Eine

56 zweite Wandinschrift mit dem Hitler-Zitat: „Kein Volk lebt länger als die Dokumente seiner Kultur“, schließt den Rahmen des Films. Uraufgeführt wurde „Tag der Deutschen Kunst 1937“ im Rahmen der Tagung der Deutschen Kinotechnischen Gesellschaft in München im Januar 1938. Die Farbfilmvorfüh- rung am 22. Januar stieß offensichtlich auf großes Interesse, denn die 600 Plätze umfassenden Kammerlichtspiele waren überfüllt, so dass einige Besucher sich mit Stehplätzen begnügen mussten. Eingeleitet durch Vorträge von Dr. von Oven, Perutz, und Direktor Storch, Siemens, wurde zunächst der Ertl-Film, anschließend Svend Noldans „Deutschland“ gezeigt131. Besonderes Lob zollte die Fachpresse Ertls „geschickt aufgebaute[r] Reportage“132 für die gelungenen Überblendungen in der ersten Filmhälfte und die angeblich ohne zusätzliche Ausleuchtung vorgenommenen Innenaufnahmen im Haus der Deutschen Kunst. Weitere öffentliche Vorführungen des Films sind nicht bekannt geworden.

III.7 Der verschollene Reichsparteitagsfilm – Carl Junghans’ „Nürnberg 1937“

Über den sogenannten „Reichsparteitag der Arbeit“, der vom 7. bis 12. September stattfand, entstand mit Siemens-Berthon-Opticolor der einzige farbige Reichsparteitagsfilm überhaupt. Regie führte Carl Junghans, prominenter Kultur- und Spielfilmregisseur der 30er Jahre. Stärker noch als Svend Noldan hatte Junghans zur Zeit der Weimarer Republik Kontakte zur politischen Linken gepflegt. Zeitweise selbst KPD-Mitglied, verbrachte er Anfang der 30er ein Jahr in Moskau, nachdem er als Regisseur 1928 Wahlfilme für die Kommunisten133 und 1929 die sozialkritische Milieustudie „So ist das Leben“ inszeniert hatte. Nach Machtergrei- fung der Nationalsozialisten wurde er nichtsdestotrotz mit einer ganzen Reihe propagandisti- scher Filmaufträge betraut, ohne dass den Resultaten die gewünschte Zustimmung ausgesprochen wurde: Sein Film über den Spanischen Bürgerkrieg „Die Geißel der Welt“ (1937) musste durch Fritz Mauch, Paul Laven und Joaquin Reig umgearbeitet werden, bevor er als „Helden in Spanien“ (spanische Fassung: „Espana Heroica“, 1938) aufgeführt werden durfte. Federführend sollte Junghans auch bei dem Parteifilm „Jahre der Entscheidung“ sein, den an seiner statt Hans Weidemann und Lothar Bühle im Jahr 1939 fertigstellten. Junghans’

131 Vgl. Münchner Tagung der DKG: Farbfilmerlebnis und Ausblick. In: Deutsche Filmzeitung Nr. 5/1938. 132 Ebd. Auch der Film-Kurier hob diese beiden Punkten hervor. (Vgl. Münchner Sondertagung der Deutschen Kinotechnischen Gesellschaft. In: Film-Kurier, 24. Januar 1938.) 133 den abendfüllenden Film „Weltwende“, sowie den Wahlspot „Was wollen die Kommunisten?“; Vgl. Zimmermann und Hoffmann: Bekannte Regisseure... In: Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland. Band 3. S. 126. 57 Karriere erreichte einen Tiefpunkt, als sein Spielfilm „Altes Herz geht auf die Reise“ (1938, nach dem Roman von Hans Fallada) verboten wurde. Als Konsequenz daraus emigrierte er zunächst nach Frankreich, 1940 dann in die USA. Zu dem Film „Nürnberg 1937“ überlieferte Honorarlisten weisen auch Hans Ertl als Kameramann aus134, dessen Memoiren eine Teilnahme an den Dreharbeiten aber verschweigen. Die Uraufführung des Reichsparteitagsfilms erfolgte am 10. März 1938 im Festsaal des Deutschen Museums in München vor ausverkauftem Haus und 2700 Besuchern135: diese Sondervorführung war die größte von Siemens-Berthon-Opticolor-Filmen überhaupt und wirkte auch als aufsehenerregendste Werbeveranstaltung für das Verfahren. Projiziert wurde auf eine Spezial-Leinwand mit den Abmessungen 9,6 x 7,2 Meter, also einer Gesamtfläche von ca. 70 m², und damit auf die „größte Münchner Projektionswand im geschlossenen Raum und auch die größte Fläche, die seither zu diesen Farbfilmvorführungen verwendet wurde“136, wie es im Münchner Anzeiger hieß, oder sogar „die größte Kinofläche Deutschlands“137, wie die Münchner Neuesten Nachrichten verkündeten. Redner an diesem Abend war Dr. Gretener, vorangegangen war eine Pressekonferenz der Reichspressestelle der NSDAP am 8. März, in der sich Dr. von Oven zu den wirtschaftlichen Fragen des Verfahrens geäussert hatte138. Die Angaben über die vorgeführte Filmfassung widersprechen einander: Während der Münchner Stadtanzeiger vom 12. März keinen Zweifel daran lässt, dass ein vollständiger Film vorgestellt wurde139, ist im Bericht des Film-Kurier vom 15. März nur von einem Teil des Reichsparteitagsfilms die Rede140. Fand der Film bereits in Münchner Zeitungen Beifall, so waren die österreichischen Pressestimmen noch um einiges überschwänglicher, als der Film zwei Wochen nach seiner Münchner Premiere gemeinsam mit Svend Noldans „Deutschland“ unter dem Programmtitel „Großdeutschland“ in dem Filmtheater der Wiener Urania aufgeführt wurde: Propaganda- Einsatz für die am 10. April stattfindenden Wahlen zum Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich. Übereinstimmend lobten die Journalisten die Inszenierung der gemeinsamen Übung von Wehrmacht und Luftwaffe als „Manöverbilder von hinreißender Dynamik“141,

134 Vgl. BA, Bestand R 56 VI / 34, Handakten des Vize-Präsidenten der Reichsfilmkammer Hans Weidemann, Akte 56. 135 Vgl. Farbfilm im Deutschen Museum. In: Film-Kurier, 15. März 1938. Dem Münchner Anzeiger zufolge bot der Festsaal dagegen überhaupt nur 2400 Sitzplätze. Vgl. Farbenwunder auf dem Riffelschirm. In: Münchner Anzeiger, 9. März 1938. 136 Farbenwunder auf dem Riffelschirm. In: Münchner Anzeiger, 9. März 1938. 137 Kommt der Farbenfilm? Der gegenwärtige Stand des Verfahrens. In: Münchner Neueste Nachrichten, 9. März 1938. 138 Vgl. Farbenwunder auf dem Riffelschirm. In: Münchner Anzeiger, 9. März 1938. 139 Vgl. Mängel beseitigt: Der deutsche Farbenfilm. In: Münchner Stadtanzeiger, 12. März 1938. 140 Vgl. Farbfilm im Deutschen Museum. In: Film-Kurier, 15. März 1938. 141 Großdeutschland. Welturaufführung von Farbentonfilmen. In: Kleine Volks-Zeitung, 3. April 1938. 58 und die farbigen Aufnahmen Hitlers, dessen Rede als dramaturgischer Höhepunkt den Schluss des Films bildete142. Einig waren sich die Rezensenten auch darin, dass der Reichsparteitags- film im Vergleich zu Noldans „Deutschland“ als „der geschlossenere, packendere, dramatischere“143 gelten konnte. Im Kleinen Volksblatt stand zu lesen: „Es gibt darin Bilder der Paraden, die selbst die virtuose Bilddramatik Leni Riefenstahls im `Triumph des Willens´ in den Schatten stellen, dies im wörtlichen Sinne, denn die neue ruhige und realistische Farbgebung, die wir bisher gerade als Beeinträchtigung der Lebensechtheit werten mussten, entpuppt sich hier eindeutig als Bereicherung des Filmeindrucks. Der Höhepunkt des Films ist eine Kampfübung. Fast vom ersten bis zum letzten Bild begleitete unvorstellbarer Beifall die Bilder. In der Tat vermittelte dieser Film Eindrücke, wie wir sie bisher überhaupt nicht kannten. Wie die Panzerwagen prasselnd durch die Wälder brechen, wie die Kampfwagen, von Infanteristen gefolgt, über das Übungsfeld hinrasen, wie die Luftgeschwader über den wolkigen Himmel hinbrausen, die bunten Fahnen und Standarten, unvergesslich schöne Bilder des Führers und seiner Getreuesten – dieser Film ist das stärkste künstlerische und dramaturgische Erlebnis der Wiener Filmgemeinde seit Jahren!“144

III.8 Weitere Spielfilmvorhaben mit Siemens-Berthon-Opticolor

Während die NS-Propagandafilmmaschinerie im Jahr 1937 umfassenden Gebrauch vom Opticolor-Verfahren gemacht hatte, ging die Arbeit an weiteren Spielfilmen seit dem „Schönheitsfleckchen“ kaum voran. Bereits vor der Premiere des „Schönheitsfleckchens“ hatte Carl Froelich der Wormser Zeitung gegenüber angekündigt, er arbeite bereits an einem neuen Film nach dem Verfahren, und zwar dem abendfüllenden Spielfilm „Wenn wir alle Engel wären“: „`Hier in diesem Film, in dem ich jetzt mittendrin bin, wird sich erst richtig erkennen lassen´, sagt Froelich, `wo wir in Deutschland mit dem Farbfilm stehen. Denn in diesem neuen Film wird die Natur zur Geltung kommen. Was wir anstreben ist, mit den technischen Mitteln einer reproduzierten Farbe, genau wie beim reproduzierten Ton, vollendete Natürlichkeit, Naturwahrheit zu

142 Welche der zahlreichen Hitler-Reden für den Film ausgewertet wurde, lässt sich aufgrund der Rezensionen nicht beantworten. Vgl. Welturaufführung des Farbentonfilms „Großdeutschland“ in Wien. In: Reichspost, 4. April 1938. 143 Der deutsche Farbfilm marschiert. In: Das kleine Volksblatt, 3. April 1938. 144 Ebd. 59 erzielen.´“145 – „Wenn wir alle Engel wären“, eine Ehekomödie mit Paraderolle für Heinz Rühmann, erschien allerdings im Oktober 1936 nur schwarz-weiß in den deutschen Kinos. Zwar hatte im Kreis der Reichsfilmkammer bereits Ende März 1936 Einigkeit dahingehend geherrscht, „dass so schnell wie möglich ein Farbfilm hergestellt werden soll, der bereits, wenn auch kein Standardwerk, so doch ein Pionierwerk bedeuten muss, also sowohl farblich wie künstlerisch hervorragend sein muss.“146 Doch erwiesen sich die Überlegungen zur Umsetzung dieses Vorhabens in der Realität als nicht tragfähig, denn man war davon ausgegangen, dass, „je größer die künstlerischen und wirtschaftlichen Erfolge jedes einzelnen Farbfilms sein werden, so größer wird die Zahl der sich auf den Farbfilm umstellenden Lichtspieltheater, sodass die Einführung des Farbfilms nicht auf einmal, sondern mit der kulturellen Veränderung und wirtschaftlichen Amortisation im Theater Schritt halten wird.“147 Noch 1936 zeigte sich aber, dass die Produktionsfirmen vor dem riskanten Projekt, ein solches Pionierwerk zu finanzieren, zurückschreckten – zumal es den Siemens-Technikern nicht gelang, Schwarz-Weiß-Kopien nach Siemens-Berthon-Opticolor- Filmen mit der erforderlichen Gleichmäßigkeit herzustellen148. Andernfalls wäre wenigstens möglich gewesen, einen Siemens-Berthon-Spielfilm in einigen wenigen Farbfilm-Kinos mit dem erforderlichen Zubehör farbig und in allen übrigen Kinos schwarz-weiß auszuwerten. So bereitete sich die Spielfilmindustrie mit gewissenhaften Farbfilmtests auf die Einführung des Verfahrens vor, zu der es nie kommen sollte. Die erwähnten Tests bestanden darin, dass Schauspieler durch statische Probe- und Nahaufnahmen auf ihre Farbfilmtauglich- keit hin geprüft wurden. Zu diesem Zweck entstand das Projekt eines Werkfilms unter dem Arbeitstitel „Die Probeaufnahme“149, bei dem Viktor de Kowa Regie führte. An den Kamera- arbeiten beteiligt war auch Hans Ertl, der die Farbfilmtests als „ausgesprochene Schnapsidee“ bezeichnete, „die nur Unruhe bei den Darstellern auslöste“150. Über die Aufnahmeserie berichtet Ertl: „Da tanzten sie an, die Stars der damaligen Zeit: die Geschwister Höpfner, Lida Baarowa, Lil Dagover, Heli Finkelzeller, Willy Birgel, der Schauspieler Schönhals und Karl

145 Wohin strebt der Farbfilm? In: Wormser Zeitung, 27. Juli 1936. 146 BA, Bestand R 56 VI / 9, Handakten des Vize-Präsidenten der Reichsfilmkammer Hans Weidemann, Akte 125, Vermerk über die Besprechung am 25. März 1936, Farbfilm betreffend. 147 BA, Bestand R 56 VI / 9, Handakten des Vize-Präsidenten der Reichsfilmkammer Hans Weidemann, Akte 125/126, Vermerk über die Besprechung am 25. März 1936, Farbfilm betreffend. 148 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1033 a, Nr. 1271 vom 30. November 1937, Nr. 1291 vom 1. März 1938, Nr. 1292 vom 8. März 1938 und Nr. 1307 vom 6. Mai 1938. 149 Wahrscheinlich wurde ein Teil des Materials sogar zu einem Kurzspielfilm verarbeitet. In dem Ufa- Vorstandsprotokoll vom 30. November 1937 wird der Titel „Das Kollier“ von Viktor de Kowa erwähnt. Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1033 a, Nr. 1271 vom 30. November 1937. 150 Ertl. S. 242. 60 Ludwig Diehl, um nur einige zu nennen; und dazu Komparsen und Komparsinnen, die sich durch den Farbfilm einen gewaltigen Sprung in die große Karriere erhofften.“151

III.9 Das Farbfilmprojekt „Italienreise 1938“

Das letzte propagandistische Großereignis, zu dessen Dokumentation Opticolor herangezogen wurde, war Hitlers Italienreise im Mai 1938. Unter den rund dreißig uniformierten Film- und Bildberichterstattern befand sich auch der von Schwarz-Weiß-Dreharbeiten in der Schweiz für diesen „staatspolitisch wichtigen Farbfilm-Einsatz“152 abkommandierte Hans Ertl, der gemeinsam mit zwei mitreisenden Siemens-Technikern in Opticolor drehen sollte. In seinen Erinnerungen gibt Ertl eine Episode vom Empfang Hitlers durch Mussolini in Rom in lebendiger Weise wieder: „Ich stand mit meiner Handkamera schussbereit links auf der breiten Freitreppe, die zum Quirinal führt, als Hitler von rechts unten mit großem Gefolge durch ein Spalier italienischer Schwarzhemden schritt, um dem Duce seine Aufwartung zu machen. Der Diktator des neuen Italien ließ seinen Gast fast bis an die Treppe herankommen, um dann – wie bei einer gut einstudierten Verdi-Oper – die Säulenhalle zu verlassen und mit großer Geste nach vorne zu gehen. Ich riss meine Kamera hoch, als der Duce herankam, und ließ das Federwerk laufen. Förmlich elektrisiert durch das leise Surren des Geräts schritt Mussolini – nun ganz großer Mime – direkt auf mich zu, erhob den rechten Arm zum Faschistengruß, blieb mit gewinnendem Lächeln – in Großaufnahme – einen Augenblick dicht vor mir stehen, und schritt dann weiter auf Hitler zu, während ich hinter meiner Kamera hervor ein `mille grazie´ stammelte und die historische Begegnung der beiden `Cäsaren´ mit meinen letzten Filmmetern festhielt.“153 Neben Empfängen und Aufmärschen wurde auch das Manöver der italienischen Streitkräfte in Furbara farbig gefilmt, doch nie zu dem geplanten Farbfilm über Hitlers Italienreise verarbeitet. Beim Transport der mit den empfindlichen Filterlinsen versehenen Aufnahmekameras hatten diese nämlich unbemerkt Schaden genommen, so dass nach Rückkehr der Berichterstatter nach Berlin im Siemens-Farbfilmlabor mit Schrecken die Fehlerhaftigkeit des belichteten Materials festgestellt wurde. Ertl hat der Nachwelt die bizarren Folgen überliefert: „Sämtliche Aufnahmen aus den großen Kameras, die von den

151 Ertl. S. 242. 152 So zitiert Ertl das Telegramm der Reichspropagandaleitung Film, das ihn bei Dreharbeiten zu dem Skifilm „Liebesbriefe aus dem Engadin“ (Luis Trenker, Werner Klingler / 1938) erreichte. Ertl. S. 247. 153 Ertl. S. 250/51. 61 beiden Siemens-Technikern bedient wurden, waren unbrauchbar, weil sich die Dreizonenfilter infolge der laufenden Erschütterungen während der Autoreise verdreht hatten. In der Praxis sah das so aus, dass bei der Vorführung im Kino die Szenen in ihren Komplementärfarben, also farbverkehrt, erschienen und fast wie eine futuristische Vision wirkten. Alle Personen – Hitler und Mussolini nicht ausgenommen – hatten violett-blaue Gesichter und sahen aus wie Gespenster in einem Horror-Spektakel.“154 – Immerhin verbreitete der Wochenschau-Beitrag über die Italienreise „als Clou meine Großaufnahme vom Duce – aus meinem Buntfilm auf Schwarzweiß umkopiert“155.

III.10 Das Aus für Siemens-Berthon-Opticolor

Nach Hans Ertls Darstellung war das vollständige Scheitern dieses Filmprojekts ausschlaggebend dafür, dass das Siemens-Berthon-Opticolor-Verfahren aufgegeben wurde156. Zwar kann gemutmaßt werden, ob diese Episode dazu beitrug, dass Reichspropaganda- ministerium und Reichsfilmkammer die Geduld mit Siemens-Berthon verloren – ungleich stärker dürfte allerdings die Tatsache ins Gewicht gefallen sein, dass man der praktischen Einführung des Verfahrens in den Theaterbetrieb seit der Premiere des „Schönheitsfleck- chens“ kaum näher gekommen war. Zwar besaß man eine ganze Reihe vorführfertiger Kurzfilme, ohne dass jedoch die Möglichkeit bestand, diese ausserhalb von Sondervorfüh- rungen zu zeigen. Da weder von Siemens noch von staatlicher Seite ein ausreichender Anreiz geboten worden war, fehlten die für Linsenraster-Vorführungen eingerichteten Lichtspiel- häuser. Mitte 1938 mussten Siemens und Perutz aufgeben. Am 27. Juni 1938 richtete die Siemens-Direktion ein Schreiben an die Agfa, in dem dieser die Offenlegung der bei Ausarbeitung des Opticolorverfahrens gesammelten Forschungsergebnisse angeboten wurde. Das Schreiben enthielt auch eine unmissverständ- liche Schuldzuweisung für den Misserfolg des Verfahrens: „Leider finden unsere Bestrebungen [...] bei der deutschen Film-Industrie keine genügende Unterstützung. Die Ufa will an die Herstellung von Spielfilmen nur herantreten, wenn das Risiko praktisch auf unserer Seite liegt. Bei dieser Sachlage und der an sich ungewissen Zukunft des Farbfilms

154 Ertl. S. 252. 155 Ebd. 156 „Offiziell wurde das Siemens-Berthon-Verfahren nach dieser – technisch gesehen – geradezu lächerlichen Panne von Dr. Goebbels kurzerhand als untauglich erklärt und befohlen, dass die Firmen Siemens und Perutz alle Patente auf diesem Gebiet an die Agfa abzugeben hätten.“ (Ertl. S. 252.) 62 überhaupt haben wir uns dazu entschlossen, die Entwicklungsarbeiten am Linsenrasterfilm einzustellen [...].“157 In Folge der eingestandenen Niederlage des Siemens-Berthon-Verfahrens wurde einen Monat später, am 27. Juli, eine Krisensitzung im Reichspropagandaministerium einberufen. Anwesend waren Vertreter der Ufa, der Tobis, der Agfa und der Reichsfilmkammer, sowie der Siemens-Direktor Storch und Dr. v. Oven von den Perutz-Werken. Im Namen seines Vorgesetzten verlangte Staatssekretär Karl Hanke vom Propagandaministerium von den Anwesenden bezüglich der unbefriedigenden deutschen Farbfilm-Situation Rechenschaft. Eine Aktennotiz aus dem Betriebsarchiv der Agfa-Filmfabrik Wolfen zitiert ihn folgender- maßen: „Der Herr Minister hat mich beauftragt, Ihnen mitzuteilen, dass er über den langsamen Fortschritt der Arbeiten am deutschen Farbenfilm beunruhigt ist und befürchtet, dass uns das Ausland auch hier zuvorkommen wird. Er ermahnt Sie durch mich, Ihre Anstrengungen in dieser Hinsicht zu steigern. Sollte einer der Herren hierzu irgendwelche Erklärungen abgeben wollen, so bin ich bereit, diese anzuhören.“158 – Direktor Storch von Siemens & Halske nutzte die Gelegenheit, um den Vorschlag einer Zusammenarbeit zwischen Siemens und der Agfa ins Spiel zu bringen: Dabei sollte der Versuch unternommen werden, wenigstens „einen Teil des Verfahrens [Opticolor; Anmerkung D.A.], nämlich die Aufnahme und das Kopieren dadurch zu retten“, dass der inzwischen von der Agfa entwickelte subtraktive Umkehrfilm Agfacolor als Positivfilm zur Herstellen von Kopien nach Siemens- Berthon herangezogen würde: „Nach unserer Auffassung hätte das ein sofort fertiges, theaterreifes deutsches Farbenverfahren ergeben.“159 Mit dieser Idee war die Firma Siemens erstmals im Februar 1938 an die Agfa herangetreten160, ohne damit Interesse wecken zu können: Die Agfa hatte nämlich sowohl ihre Erfahrungen mit dem Linsenraster-Verfahren gesammelt als auch ein eigenes Kombinations- verfahren mit Linsenraster entwickelt (Pantachrom), das zu diesem Zeitpunkt noch als

157 Schreiben der Siemens & Halske Aktiengesellschaft vom 27. Juni 1938 an die Direktion der IG Farbenindustrie AG, zu Händen des Herrn Direktor Dr. Gajewski. Abgedruckt in: Die Filmfabrik Wolfen – Aus der Geschichte, Heft 11. Herausgeber: Industrie- und Filmmuseum Wolfen e.V. S. 46. 158 Betriebsarchiv der Agfa in Wolfen, Bestand A 1589, Aktennotiz zur Besprechung über Farbenfilm im Propaganda-Ministerium am 27. Juli 1938, S. 1. 159 Betriebsarchiv Wolfen, Bestand A 1589, Aktennotiz zur Besprechung über Farbenfilm im Propaganda- Ministerium am 27. Juli 1938, S. 2. 160 Vgl. Betriebsarchiv Wolfen, Bestand A 6133, Abschrift Telefonat mit Herrn Pingel von Siemens am 25. Februar 1938. 63 besonders aussichtsreich angesehen wurde161. Zudem wurde das Siemens-Berthon-Opticolor- Verfahren von den Wolfener Farbfilmspezialisten intern als minderwertig erachtet162. Bei der Sitzung im Propagandaministerium rechtfertigte Dr. Lummerzheim von der Agfa die Ablehnung des Siemens-Vorschlags, indem er zu bedenken gab: „Es gibt bei derartig großen Problemen eine Fülle von Möglichkeiten, auf Teilgebieten rasch etwas zu ernten. Solche Vorschläge tauchen bei uns fast täglich auf. Ihre Annahme würde eine Zersplitterung der Kräfte bedeuten, die die Erreichung des Endziels ganz wesentlich hinausschieben würde. Wir halten es daher für richtiger, mit allen verfügbaren Kräften an dem Ziel zu arbeiten, das wir uns gesetzt haben [gemeint ist hier das Negativ-Positiv-Verfahren Agfacolor; Anmerkung D.A.].“ Diese Argumentation wirkte scheinbar auf Hanke ebenso überzeugend wie auf Bürgermeister Dr. Winkler und Oberregierungsrat Arnold Raether (Reichspropagandaleitung) bei einer zweiten Zusammenkunft, die am 12. August im kleineren Kreis folgte. Damit war der Vorstoß des Siemens-Direktors als gescheitert zu betrachten. Niemand vom Propagandaministerium war im Spätsommer 1938 mehr bereit, für Siemens-Berthon-Opticolor Partei zu ergreifen. Nichtsdestoweniger erhöhte sich mit der Schließung der Siemens-Farbfilmlabors der Druck auf die Agfa, Opticolor schnellstmöglich durch ein höherwertiges Farbfilmverfahren zu ersetzen.

161 Vgl. Betriebsarchiv Wolfen, Bestand A 6133, Nachricht Dr. Miller an Gajewski betreffs Telefonat des Herrn Pingel von Siemens am 25. Februar 1938 mit Herrn Otto. 162 Im Betriebsarchiv Wolfen hat sich die vernichtende Bewertung von Siemens-Berthon-Opticolor-Filmen durch Dr. Rahts erhalten, hier ein Auszug: „Die Farbwiedergabe war nicht gut, allgemein waren die Farben zu blass, was zweifellos an den verwendeten zu hellen Filtern lag. Gelb fehlte vollkommen. Dadurch war auch in vielen Fällen das Rot und das Grün schlecht wiedergegeben. Besonders das Rot der Fahnen war im Ton nicht richtig. [...] Die Schärfe war nicht gut.“ Betriebsarchiv Wolfen, Bestand A 6134, Aktennotiz zur Vorführung des neuesten Berthon-Siemens-Filmes vom 27. August 1937 von Dr. Rahts. 64 IV. Weitere Additiv-Verfahren: Der Agfa-Linsenrasterfilm – Leydechrom – Kämpfer / Schattmann

IV.1 Der Linsenraster-Kinofilm der Agfa

Parallel zum Siemens-Berthon-Opticolor-Verfahren strebte auch die Agfa einen farbigen Kinofilm auf Grundlage des Berthonschen Linsenrasterverfahrens an. Im Mai 1935 begannen diesbezügliche Arbeiten als Weiterentwicklung des erfolgreichen Agfa-Linsenrasterschmal- films163, der seit August 1932 für Filmamateure im Handel erhältlich war und bis zur Ablösung durch den subtraktiven Agfacolor-Neu-Mehrschichtenfilm 1937 produziert wurde. Er stellte zwar nicht den ersten Schmalfilm auf Linsenrasterbasis dar (die Eastman Kodak Company hatte bereits 1926 ihren Kodacolor Lenticular-Schmalfilm herausgebracht) , konnte aber immerhin als das Material mit der in der Geschichte der Kinotechnik feinsten Rasterung gelten164. Im November 1935 soll bei der Ufa ein kurzer Versuchsfilm nach dem Agfa-Linsen- rasterverfahren entstanden sein165. Eine bedeutendere Rolle spielte die Weiterentwicklung der Linsenrastertechnik jedoch für das Pantachrom-Verfahren, das diese nämlich auf komplizierte Weise mit dem (von Ufacolor bekannten) Bipack-System und dem (von Gasparcolor bekannten) Silberfarbstoff-Bleichverfahren kombinierte, um zu subtraktiven Kopien zu gelangen, die ohne die für Linsenrasterfilme geltenden Beschränkungen vorführbar waren. So wurden zwar bei der Agfa immer wieder Atelier-166 und Freilicht-Testaufnahmen167 nach dem Linsenrasterverfahren durchgeführt, doch dienten diese in erster Linie der Verbesserung des Linsenraster-Frontfilms, der für das Pantachrom-Verfahren verwendet wurde168. Im Frühjahr 1938 brach die Agfa die Arbeiten am reinen Linsenrasterverfahren ab169. Ausschlaggebend für die Einstellung des Verfahrens dürfte die Tatsache gewesen sein, dass die Markteinführung des Siemens-Berthon-Opticolor-Films an den im vorigen Kapitel dargelegten Hindernissen gescheitert war. In der Folge wandte sich die Agfa der Entwicklung

163 Vgl. Finger: Zum Geburtstag... In: Die Filmfabrik Wolfen – Aus der Geschichte, Heft 11. S. 39. 164 Vgl. Finger: Zum Geburtstag... In: Die Filmfabrik Wolfen – Aus der Geschichte, Heft 11. S. 37. 165 Vgl. Finger: Zum Geburtstag... In: Die Filmfabrik Wolfen – Aus der Geschichte, Heft 11. S. 39. 166 Vgl. Betriebsarchiv Wolfen, Bestand A 11442, Monatsbericht der Wissenschaftlichen Abteilung Nr. III / 1936, S. 5. 167 Vgl. Betriebsarchiv Wolfen, Bestand A 11443, Monatsbericht der Wissenschaftlichen Abteilung Nr. IX / 1937 für die Zeit vom 1. bis 30. September 1937, S. 3. 168 Zum Agfa-Pantachrom-Verfahren siehe Kapitel VI. 169 Vgl. Finger: Zum Geburtstag... In: Die Filmfabrik Wolfen – Aus der Geschichte, Heft 11. S. 39. 65 subtraktiver Farbfilmverfahren zu und beschritt damit den Weg, der letzten Endes zum Erfolg führen solle.

IV.2 Zwischenspiel von Leydechrom

Bemerkenswert ist dieses von der Firma Leydechrom GmbH, Schmidt und Leyde, ausgewertete Additiv-Verfahren vor allem deswegen, weil es trotz seines geringen Bekanntheitsgrades für Einzelszenen einer Großproduktion herangezogen wurde: für „Robert Koch – Bekämpfer des Todes“ (Hans Steinhoff / 1939) nämlich. Tatsächlich fanden einer Meldung des Film-Kurier zufolge im Oktober 1936 unter der Leitung des Geschäftsführers von Leydechrom, Emil Leyde, in Venedig, in Chioggia und am Gardasee Dreharbeiten zu einem farbigen Kurzfilm mit dem Titel „Oberstdorf und seine Bergwelt“ statt170. Die Aufnahmen dürften in Eigenproduktion entstanden sein171 - allerdings hatte die Leydechrom GmbH am 12. Mai 1936 vor Drehbeginn einen Lizenzvertrag mit der Tobis bezüglich der Auswertung eines Kurzfilms nach ihrem Verfahren geschlossen172. In der Folge verschob sich der Ablieferungstermin bis 1937. Ein zweiter Kulturfilm nach dem Leydechrom-Verfahren, der 1937 in Arbeit gewesen sein soll173, ist namentlich nicht überliefert. Immerhin schien den Verantwortlichen der Tobis das Verfahren zu einem Einsatz für ihren Großfilm der Saison 1939/40 geeignet, das Arzt-Portrait „Robert Koch, der Bekämpfer des Todes“, den Hans Steinhoff („Hitlerjunge Quex“) nach Hellmuth Ungers Koch- Biographie „Roman eines großen Lebens“ inszenierte. Mit Emil Jannings in der Titelrolle hochkarätig besetzt, stand die „Robert Koch“-Produktion am Anfang einer ganzen Welle von großangelegten Ausstattungsfilmen, die Biographien von Protagonisten der deutschen Geschichte behandelten: „Friedrich Schiller“ (Herbert Maisch / 1940), „Bismarck“ (Wolfgang Liebeneiner / 1940), „Friedemann Bach“ (Traugott Müller / 1941), „Andreas Schlüter“ (Herbert Maisch / 1942), „Rembrandt“ (Hans Steinhoff / 1942), „Diesel“ (Gerhard Lamprecht / 1942), oder auch, um das fragwürdigste Filmbeispiel aus diesem Themenkreis zu nennen, der -Film „Carl Peters“ (Herbert Selpin / 1941).

170 Vgl. Deutsche Firma drehte Farbfilme in Italien. In: Film-Kurier, 13. Oktober 1936. 171 Vgl. BA, Bestand R 109 I, 1007/a, Mappe “Farbfilm Allgemeines”, Mitteilung von Dr. Keil an Herrn Dr. Müller-Beckedorff, Patentabtlg., Berlin, 29. Januar 1937. 172 Vgl. BA, Bestand R 109 I, 1007/a, Mappe “Farbfilm Allgemeines”, Mitteilung von Dr. Keil an Herrn Dr. Müller-Beckedorff, Patentabtlg., Berlin, 20. Oktober 1937. 173 Ebd. 66 Die Wirkungsweise von „Robert Koch, der Bekämpfer des Todes“ als nationalsozia- listischer Tendenzfilm, die an dieser Stelle nur kurz umrissen werden soll, ist bereits Gegenstand diesbezüglicher Untersuchungen geworden174. Wie der Filmtitel darlegt, ist das Selbstverständnis Kochs weniger das eines Forschers als das eines Kämpfers, wobei die Dialoge die militärische Dimension dieses Kampfes unterstreichen. „Wo steckt der Feind, wie sieht er aus, mit welchen Waffen kann ich ihn bekämpfen?“, lautet die Eingangsfrage Kochs, und als sie schließlich gelöst ist, triumphiert er: „Ich kenne jetzt den Feind. Jetzt kann ich die Waffe schmieden, die ihn schlägt. Und wenn ich einmal falle, so werde ich diese Waffe weitergeben in die Hände derer, die nach uns kommen. Der Kampf beginnt und wird nicht eher enden, bis nicht der Feind besiegt ist!“ Sein Assistent Fritz, ein idealistischer junger Arzt, bezahlt den gemeinsamen Forschungserfolg mit dem Leben, nachdem er sich unwissentlich mit der Tuberkulose infiziert hat. Er stirbt mit den Worten: „Das ist der Sieg“ auf den Lippen. In seiner Schluss-Rede ruft Koch die Jugend zur Fortführung seines Kampfes auf: „Wenn einmal die Fackel aus unseren Händen gleitet, reißt ihr sie wieder hoch und tragt sie in den neuen, schöneren Tag hinein!“ Dieser Appell weist unübersehbar über den Kampf gegen die Tuberkulose hinaus und kann ebenso gegen andere Feindbilder gerichtet sein, die der Film aufbaut: die religiösen Fanatiker etwa, die Koch in seinem Wirken als Provinzarzt behindern und in seinen Augen „ein Krebsschaden“ sind, „den man ausbrennen müsste.“ Bemerkenswert ist auf der anderen Seite, dass die weitgehende Negativzeichnung des Demokraten und Koch- Widersachers Rudolf Virchow am Ende zugunsten einer Versöhnung zwischen beiden aufgehoben wird. Die Verwendung von Leydechrom für „Robert Koch, der Bekämpfer des Todes“ beschränkte sich auf lediglich zwei Einstellungen und ist dabei ein seltenes Beispiel für den suggestiven Einsatz der Farbe: Es handelt sich um zwei Mikroaufnahmen von Tuberkulose- befallenem Lungengewebe, das Koch gegen Ende des Films Virchow und der skeptischen Ärzteschaft als Beweis seiner Theorie vorführt, die Krankheit werde durch einen Bazillus verursacht. Die zweite Probe, die durch das Mikroskop besehen wird, macht dabei aufgrund ihrer Behandlung mit Farbstoffen den vormals verborgenen Krankheitserreger sichtbar. Dieser Enthüllungsmoment, dramaturgisch bedeutend als unumstößlicher Beweis für die Richtigkeit der Kochschen Theorie, wurde in der ursprünglichen Version durch die Verwen-

174 Zu „Robert Koch, der Bekämpfer des Todes“ siehe auch: Giesen, Rolf und Hobsch, Manfred: Hitlerjunge Quex, Jud Süß und Kolberg. Die Propagandafilme des Dritten Reiches. Dokumente und Materialien zum NS-Film. Berlin 2005. S. 218ff. Kanzog, Klaus: `Staatspolitisch besonders wertvoll´. Ein Handbuch zu 30 deutschen Spielfilmen der Jahre 1934 bis 1945. München 1994. S. 194ff. Courtade, Francis und Cadars, Pierre: Geschichte des Films im Dritten Reich. München 1975. S. 85ff. 67 dung der Farbe um einen überraschenden optischen Effekt ergänzt. Zu beachten wäre auch, dass diese in der überlieferten Schwarz-Weiß-Fassung weniger hervorstechende Szene von langer Hand vorbereitet wird, denn bereits eingangs erläutert Koch dem jungen Fritz das Mikroskop, wegen dessen Gebrauch Koch als „Mikrobenjäger“ verschrieen ist, als ein wundersames Instrument, das der Forschung neue Wege eröffnen wird: „Das sag ich dir, mein Junge, mit dem Ding, da geht dir eine völlig neue Welt auf. [...] Ich brauche nämlich so viel Licht wie nur irgend möglich, damit ich das finden kann, was ich suche. Ach Gott, Junge, wenn mir das gelingt, wirst du Dinge sehen, die vor uns kein menschliches Auge gesehen hat.“ In gewisser Weise löste die Szene der Sichtbarkmachung des Krankheitserregers eben dieses Versprechen durch den Neuheitswert einer erstmals farbigen Mikro-Aufnahme ein.

IV.3 Das Kämpfer- / Schattmann-Verfahren

Die ergebnislose Erprobungsgeschichte eines anderen Additiv-Verfahrens weist einen gewissen Kuriositätswert auf, der es erwähnenswert macht: Gemeint ist das Kämpfer- / Schattmann-Verfahren, das die Tobis in den Jahren 1937 bis 1939 auf Tauglichkeit für den Kinoeinsatz testete, ohne dass jemals ein danach hergestellter Film zur öffentlichen Vorführung gelangt wäre. Das Kämpfer- / Schattmann-Verfahren (auch Farbfilmverfahren Kämpfer, Kämpfer- oder Schattmann-Verfahren genannt) verwendete zur Aufnahme handelsübliches Schwarz- Weiß-Filmmaterial, das nach dem Prinzip der Strahlenteilung belichtet wurde. Der fertige Film konnte ohne spezielles Zubehör projiziert werden. Als Erfinder kann Albert Schattmann gelten. Im März 1936 schloss dieser einen Gesellschaftsvertrag mit dem Unternehmer Adolf H. Kämpfer, dem er die kommerzielle Auswertung des Verfahrens überließ – eine Fehlent- scheidung mit weitreichenden Folgen, denn Kämpfer erwies sich als Hochstapler, der die vorgeblich zum Zweck des Farbfilm-Projekts eingeholten Gelder veruntreute, indem er sie stattdessen vorrangig zur Finanzierung des eigenen Glasgeschäftes nutzte. Ein fünfseitiges Manuskript, das Schattmann im Mai 1940 gegen ein Honorar von 500 Reichsmark für die Tobis verfasste175, die zu diesem Zeitpunkt ihre praktischen Versuche längst abgebrochen hatte, gibt Aufschluss über die Misserfolgsgeschichte eines Verfahrens, dessen Anfänge durchaus vielversprechend bewertet wurden.

175 Vgl. BA, Bestand R 109 I, 1007/a, Mappe “Farbfilm Allgemeines”, Aktennotiz „Betrifft: Farbfilmverfahren Schattmann, Berlin, 15. April 1940“. 68 Im August 1937 konnte Kämpfer nämlich Oberregierungsrat Arnold Raether von der Reichspropagandaleitung und Reichsfilmdramaturg Ewald v. Demandowski von der Tobis einen 400 m langen Versuchsfilm vorführen, den Schattmann hergestellt hatte und „der diesen Herren ausgezeichnet gefiel“176. Raether und v. Demandowski kündigten ausserdem eine positive Berichterstattung beim Propagandaministerium an, das daraufhin Gutachten über das Verfahren einholte. Eine weitere Vorführung des Verfahrens veranlasste laut Schattmann den Regisseur Hans Zerlett über die Äusserung, „er wolle seinen nächsten Film `Es leuchten die Sterne´ nach meinem Verfahren drehen.“177 Hinter den Kulissen kam es zu ersten Auseinandersetzungen zwischen Schattmann und Kämpfer, der sich bei den zurückliegenden Patentanmeldungen ohne Wissen des anderen als Miterfinder hatte eintragen lassen. Bei diesem und weiteren Anlässen gelang es Kämpfer, die Fortführung des Arbeitsverhältnisses zu erpressen, indem er drohte, andernfalls die Patentanmeldungen verfallen zu lassen178. In der Folge fehlten Schattmann ausreichende Mittel, um seine Arbeiten zum Ziel zu führen. Ein von Kämpfer eingestellter optischer Berater, Prof. Picht, lieferte unzulängliche Strahlenteilerobjektive, mit denen Kämpfer Dreharbeiten zu einem zweiten, von der Tobis finanzierten Demonstrationsfilm vornahm: „Trotz Pichts und meiner Warnung drehte Kämpfer mit diesen unbrauchbaren Objektiven im Februar `38 den `Akademie Ball´ in der Musikhochschule, wozu die Tobis die Beleuchtung stellte. Kämpfer machte diese Aufnahmen, er war des Misserfolgs sicher, aus Geldschwierig- keiten. Um diese zu beheben wandte er sich an Tinius [Fritz Tinius, einer von Kämpfers Investoren; Anmerkung D.A.] mit der unwahren Erklärung: `Der Herr Reichsminister wolle diesen Akademie-Ball im Farbfilm sehen´, und er Kämpfer benötige zur Durchführung dieser Aufnahmen dringend Geld. Den größten Teil des erhaltenen Geldes verwendete er für sich persönlich. Die unbrauchbaren Aufnahmen führte Kämpfer im Prop. Minist. nur vor, um von dort neue Gelder zu erhalten. Die Schuld am Misslingen der Aufnahmen gab er Prof. Picht.“179 Trotz weiterer misslungener Versuche kam im Sommer 1938 ein von der Tobis finanziertes Farbfilmprojekt zustande, für das zunächst im Juli und August Aussenaufnahmen vorgenommen wurden, denen im November Studiodreharbeiten folgten. Das Resultat war ein Fehlschlag: „Herr Raether lehnte es ab, diesen Film, der natürlich die bekannten Fehler

176 BA, Bestand R 109 I, 1007/a, Mappe “Farbfilm Allgemeines”, fünfseitiger Bericht Albert Schattmanns an die Tonbild-Syndikat A.G. Berlin, 6. Mai 1940, S. 1. 177 BA, Bestand R 109 I, 1007/a, Mappe “Farbfilm Allgemeines”, fünfseitiger Bericht Albert Schattmanns an die Tonbild-Syndikat A.G. Berlin, 6. Mai 1940, S. 2. 178 Ebd. 179 BA, Bestand R 109 I, 1007/a, Mappe “Farbfilm Allgemeines”, fünfseitiger Bericht Albert Schattmanns an die Tonbild-Syndikat A.G. Berlin, 6. Mai 1940, S. 3. 69 aufwies, dem Herrn Reichsminister [gemeint ist Dr. Goebbels; Anmerkung D.A.] vorzuführen. Kämpfer erklärte Herrn Raether, er werde sich von anderer Seite einen großen Kredit beschaffen, um einwandfreie Apparate anschaffen zu können. Mit diesem werden er für den Herrn Reichsminister einen Großfilm schaffen.“180 Nach diesem Debakel nahm die Tobis Abstand vom Kämpfer- / Schattmann- Verfahren. Das Geschäftsverhältnis zwischen Kämpfer und Schattmann endete im Frühjahr 1940, als Schattmann gegen Kämpfer Strafanzeige stellte.

180 BA, Bestand R 109 I, 1007/a, Mappe “Farbfilm Allgemeines”, fünfseitiger Bericht Albert Schattmanns an die Tonbild-Syndikat A.G. Berlin, 6. Mai 1940, S. 4. 70 V. Zeichentrickaufnahmen mit Ufacolor und Gasparcolor

V.1 Die deutsche Zeichentrickproduktion 1933-1940

Zeichentrickfilme als harmlose Beiprogrammware, vergleichsweise primitiv gezeichnet und bewegt, jedoch nicht ohne Originalität, hatten sich bereits auf den Leinwänden der Weimarer Republik etabliert181. Bis in die 40er Jahre hinein blieb der Zeichentrick allerdings vorrangig an den Werbeauftrag gekoppelt. Gemeinsam war den Werbe- und Beiprogramm-Trickfilmen, dass sie selten überhaupt die Zehn-Minuten-Marke erreichten. Von einer großangelegten Zeichentrick-Produktion, wie sie zu diesem Zeitpunkt in Amerika bestand, war die deutsche Filmindustrie in den 30er Jahren weit entfernt. Dass von nationalsozialistischer Seite keine Berührungsängste bestanden, Zeichentrick mit explizit politischen Botschaften zu beschicken, belegt etwa der schwarz-weiße antisemitische Hetzfilm „Kaufmann, nicht Händler“ (Ernst Kochel / 1936), in dessen Animationssequenzen sich karikierte Juden wie Raubvögel aus heiterem Himmel auf deutsche Fabriken, das deutsche Justizwesen, Privathaushalte etc. stürzen. Ähnlich zu bewerten sind die Sachtrick-Sequenzen, die Svend Noldan beispielsweise für „Der ewige Jude“ (Fritz Hippler / 1941) anfertigte. Die frühesten erhaltenen Farbtrickfilme (Virage) datieren noch aus der Kaiserzeit182. In den 20ern kursierten handkolorierte Kopien von Werbetrickfilmen wie „Schokoladenliebe“ (Hans Fischerkoesen / 1922) oder den Walter-Ruttmann-Filmen „Der Sieger“ (1922) und „Spiel der Wellen“ (1926). Bereits 1929 traf die Ufa zum Zweck der Herstellung von Farbtrickfilmen ein Abkommen mit der Firma Heine, welche die Filme nach eigenem Verfahren anfertigte183. Anfang der 30er kam die Einführung des Agfa-Bipack-Verfahrens (Ufacolor) vor allem der Verbreitung des farbigen, realen wie gezeichneten Werbefilms zugute. So berichtete der Film-Kurier im April 1932: „Farbenfilm ist stark gefragt, und zwar nicht nur von Stofffirmen, Konfektionshäusern usw., für die die farbliche Wiedergabe ihrer Artikel ja naturgemäß von außerordentlichem Werbewert ist, sondern auch von anderen Branchen, wie z.B. der Zigarettenindustrie, von der die Farbe mehr als charakteristische

181 Zum Beispiel in Form kurzer Märchenfilme wie „Münchhausens Abenteuer auf der Reise nach Russland“ (E. Kneiß / 1925) oder den meist von Tierfiguren handelnden Filmen Paul N. Peroffs: „Die Meistersinger“ (gemeinsam mit Leon Malachowski / 1930), „Der quakende Narr“ (1930), „Russische Symphonie“ (1930) oder „Geistergeschenke / Teddy’s Abenteuer“ (1931). 182 Im Bundesarchiv überliefert sind beispielsweise „Prosit Neujahr 1910!“ (Guido Seeber / 1910) und „Die gestohlenen Kirschen“ (1914), die (zum Teil) viragiert sind. 183 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1027 b, Nr. 570 vom 23. Oktober 1929 und Nr. 572 vom 28. Oktober 1929. 71 Werbenote eingesetzt wird.“184 Anfang 1934 beschrieb ein Artikel in der gleichen Zeitschrift „die gebräuchlichste Art der zur Zeit hergestellten Werbefilme: Teils mit einem Szenarium, teils mit Trickzeichnungen in Schwarz-weiß- oder Farbenausführung unterhält man das Publikum für einige Minuten, um dann als des Rätsels Lösung geschickt den Namen des Artikels zu präsentieren.“185 Daran zeigt sich, wie gängig der Gebrauch von Farbe und Zeichentrick für die Werbefilm-Produzenten war. So geht auch die Mehrheit aller farbigen Zeichentrickfilme der 30er Jahre auf die Werbefilmabteilung beispielsweise der Ufa zurück oder die zahlreichen Werbefilmateliers wie die Zorn & Tiller GmbH, das Atelier Walter Born, Erich Bahr, die Tolirag Ton- und Lichtbildreklame AG, die Commerz-Film AG oder die Gasparcolor Werbefilme GmbH. Sie entstanden zumeist nach dem zweifarbigen Agfa- Bipack- oder dem dreifarbigen Gasparcolor-Verfahren. Erste Zeichentrickfilme nach dem Agfacolor-Verfahren wurden 1939/40 gefertigt, beispielsweise der im Insektenreich spielende vierminütige Ufa-Werbefilm „Der Bach Vo“ (1940). Im folgenden sollen aber jene Zeichentrickfilme betrachtet werden, die nach dem Agfa-Bipack- und dem Gasparcolor-Verfahren entstanden. Die technischen und entwick- lungsgeschichtlichen Hintergründe des Agfa-Bipack-Verfahrens wurden bereits in Kapitel II dargelegt. Nachfolgend vorgestellt wird das Gasparcolor-Verfahren, das beinahe ausschließlich für Animationsfilme angewendet wurde.

V.2 Das Gasparcolor-Verfahren: Technik und Entwicklungsgeschichte

Das auf den aus Ungarn stammenden Arzt und Chemiker Dr. Bela Gaspar zurückgehende Gasparcolor-Verfahren war ein im Gegensatz zu Ufacolor dreifarbiges Farbfilmverfahren, das ausschließlich zur Kopienherstellung herangezogen werden konnte, da es aufgrund seiner geringen Lichtempfindlichkeit für Realaufnahmen ungeeignet war. Bei Gasparcolor handelte es sich um ein sogenanntes Silberfarbstoff-Bleichverfahren, das für seine Farbstabilität bekannt war186. Obwohl die Bezeichnung Silberfarbstoff-Bleichverfahren vermutlich erst Mitte der 30er Jahre durch Dr. Gerd Heymer, Mitarbeiter im Wissenschaftlichen Zentrallabor der Agfa in Wolfen, geprägt wurde187, reichen die Wurzeln des Verfahrens viel weiter zurück.

184 Werbefilmmarkt gut / Fast nur Tonfilme – Farbenfilm stark gefragt. In: Film-Kurier, 7. April 1932. 185 Neue Werbefilme der Ufa. In: Film-Kurier, 5. Februar 1934. 186 Vgl. Koshofer. Color. S. 49. 187 Vgl. Koshofer, Gert: Farbfotografie. Band 1. Alte Verfahren. München 1981. S. 163. 72 Basierend auf fotographischen Verfahren der Farbstoffausbleichung, die seit den 1880er Jahren praktisch erprobt und weiterentwickelt wurden, diente beim Silberfarbstoff- Bleichverfahren das unter einer farbigen Kopiervorlage belichtete Silber in der fotografischen Emulsionsschicht des Kopiermaterials dazu, den Ausbleichprozess im sogenannten Bleichbad zu steuern: Im Verhältnis zur Silberdichte wurden dabei die im Material eingelagerten Farbstoffe soweit ausgebleicht, d.h.: abgebaut, bis ein Positiv in den Farben der Kopiervorlage entstanden war188. 1930 gründete Dr. Gaspar in Berlin seine Gasparcolor Naturwahre Farbenfilme GmbH, die von der I.G. Farbenindustrie mit Rohmaterial beliefert wurde. Als solches diente der sogenannte Agfa Tripo-Film189, eine Weiterentwicklung des für Zweifarben-Filme benutzten Dipo-Films, dessen Vorderseite die purpurnen und gelben Farbstoffe, und dessen Rückseite die blaugrünen enthielt. Eine erste Vorstellung des Verfahrens fand auf der Sitzung der Deutschen Kinotechnischen Gesellschaft am 25. Oktober 1933 in Berlin statt. Die hervorragende Eignung des Materials für Nicht-Real-, d.h. also: Zeichentrick- und Anima- tionsfilme, wurde schnell erkannt: Der Aufnahmevorgang erfolgte dabei mittels eines grünen, eines roten und eines blauen Filters. Die Negative der so erzeugten Farbauszüge wurden auf den Tripo-Film kopiert und nach dem Silberfarbstoff-Bleichverfahren entwickelt. Das Verfahren Dr. Gaspars, der 1934 die Firmenniederlassung Gasparcolor Limited in London gründete190, fand über Deutschland hinaus Anwendung hauptsächlich durch die Werbefilmindustrie, der zu diesem Zeitpunkt in Europa führenden Herstellerin von Zeichen- trickfilmen. In England entstanden die viel beachteten Animationsfilme Georg Pàls „Ship of the ether“ (1934), „The magic atlas“ (1935) und „On parade“ (1936) im Gasparcolor- Verfahren, in Frankreich „Les deux amies (de votre beauté)“ (1936), „Naissance de Vénus“ (1936), „Ètoiles nouvelles“ (1937) und „Palette d’artiste“ (1938), die der Trickfilmregisseur Alexander Alexeieff gestaltete. In Deutschland fand das Verfahren nicht nur für eine ganze Reihe Werbefilme Anwendung, sondern auch für die ersten nicht zu Werbe-, sondern zu Unterhaltungszwecken konzipierten farbigen Zeichentrickfilme. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in Europa emigrierte Dr. Gaspar zunächst nach Belgien, dann über England in die USA, wo ihm aufgrund der dort dominierenden farbkine- matographischen Verfahren nachhaltiger Erfolg verwehrt blieb191.

188 Vgl. Koshofer. Farbfotografie. Band 1. S. 157ff. 189 Vgl. Koshofer. Color. S. 49. 190 Vgl. Koshofer. Color. S. 50. 191 Vgl. Koshofer. Color. S. 171. 73 V.3 Realfilme nach dem Gasparcolor-Verfahren

Obwohl im Mittelpunkt unserer Betrachtung der farbige Zeichentrickfilm steht, sei im Zusammenhang mit dem Gasparcolor-Verfahren auch auf dessen experimentelle Anwendung für Realaufnahmen hingewiesen. Am 8. Dezember 1935 gelangte im Berliner Nollendorf- Palast als erster nicht-animierter Gasparcolor-Film in Deutschland der Kurzfilm „Pictures on the Thames“ im Rahmen einer dem internationalen farbigen Werbefilm gewidmeten Sonderveranstaltung zur Aufführung und erregte aufgrund seiner Farbenqualität Aufsehen. Dieser Realfilm war mittels eines neuartigen Bipack-Aufnahmeverfahrens nach Gasparcolor entstanden, das die Forschungsabteilung der britischen Gasparcolor Limited entwickelt hatte192. Gasparcolor-Realaufnahmen fanden auch in dem mit Zeichentrickszenen gemischten britischen Werbefilm „Rainbow dance“ (Len Lye / 1936) Verwendung193. 1938 wurde auch in Deutschland ein Verfahren nach dem Prinzip der Strahlenteilung angewandt, das mit einem einzigen Negativ Realaufnahmen mit Gasparcolor ermöglichte194, und dieses wiederum für eine Reihe Werbefilme benutzt. Als „der erste deutsche dreifarbige Werbespielfilm“ wurde im Rahmen einer Vorführung der Epoche-Gasparcolor-Film-A.G. im Berliner Luxor-Palast „Erinnerungen vor dem Spiegel“ angekündigt, in dem Hilde von Stolz und Erich Fiedler „charmant die Vorzüge einer Hautcreme demonstrierten“195. Darüberhinaus drehte die Epoche-Gasparcolor-Film-A.G. im Sommer 1938 in Berlin unter der Regie von Ulrich Kayser einen etwa 300 Meter langen Revuefilm mit dem Titel „Singende, klingende, farbige Harmonika“, der im Bundesarchiv nicht überliefert ist. Über die Dreharbeiten, die im Tobis-Lignose-Atelier in der Müllerstraße stattfanden, berichtete der Film-Kurier: „Man vermeidet ein Zuviel an Farbe, ja, man stuft die einzelnen Farbkomplexe auf das genaueste ab, um eine zwar farbige, aber doch nicht `knallige´ Atmosphäre zu schaffen. Wochenlang hat man sich mit der Farbgebung der Kostüme beschäftigt, fast alle Kleider der Tänzerinnen und Darsteller, die Krawatten und Hemden der Männer, die Farbe des Hintergrundes und die Schwärzen der Schatten wurden auf das sorgfältigste aufeinander abgestimmt. [...] Über den Inhalt des Films ist zu sagen, dass eine ganze Reihe bekannter Künstler und Darsteller in ihm erscheinen werden. Vorerst ist Grock zu nennen, der neben einer Rolle als Harmonikaspieler auch einen Teil der Musik selbst komponiert hat. Weiter tritt Hermann Schittenhelm, der Akkordeonvirtuose auf, Trossinger mit seinem großen Orchester,

192 Vgl. Koshofer. Color. S. 50f. 193 Vgl.Koshofer. Color. S. 51. 194 Diese knappe Beschreibung ist dem Artikel „Epoche dreht farbigen Revuefilm / Grock und 3 Ruhlands vor der Kamera“ im Film-Kurier, 30. August 1938, zu entnehmen. 195 Werbefilme am Sonntag. In: Film-Kurier, 4. April 1938. 74 die 3 Ruhlands, bekannt aus ihren kabarettistischen Vorträgen, Margit Symo, Lou Basler, die Zigeunerkapelle Barkosz und andere.“196 Diesem „heiteren Spiel zwischen Berlin und Buenos Aires“197, dessen Uraufführung für November 1938 angekündigt wurde, folgten anscheinend keine weiteren Spiel- oder Kulturfilmversuche nach dem Gasparcolor-Verfahren mehr.

V.4 Abstrakte Werbefilme nach dem Gasparcolor-Verfahren

Größere Aufmerksamkeit in der deutschen Fachpresse erregten die Gebrüder Fischinger mit ihren in abstrakten Formenspielen schwelgenden Farbstudien. Oskar Fischingers zum Venusberg-Ballett aus Richard Wagners „Tannhäuser“ inszenierter Experimentalfilm „Kreise“ (1934 / in der Werbefassung: „Alle Kreise erfasst Tolirag“) gilt als erster nach dem Gasparcolor-Verfahren in Deutschland hergestellter Kinofilm. Ihm ließ Oskar Fischinger „Komposition in Blau“ (1935) und seine gegenständlicheren Werbefilme für die Tabakmarke Muratti folgen. Ebenfalls im Gasparcolor-Verfahren drehte Fischingers jüngerer Bruder Hans 1938 seinen „Tanz der Farben“. Als einen „der zukunftsreichsten Avantgardisten in Deutsch- land“ stellte 1934 der Film-Kurier Oskar Fischinger vor und dessen Film „Kreise“ als „ein großes Farb-Licht-Opus“, einen „Vorstoß [...] in das Gebiet des absoluten Films und zugleich ein Vergleichs- und Studierwerk [...], das die Erkenntnis fördert und den Weg ebnet, der zur abstrakten Filmkunst führt. [...] Die absolute Filmkunst beginnt bei der rein optischen Gestal- tung mit Licht, Farbe, Bewegung, Ton und Form, eine nichtreale Welt muss gestalterisch, schöpferisch erschlossen werden.“198 So überschwängliches und keineswegs vereinzeltes Lob für einen avantgardistischen Film überrascht rückblickend in Anbetracht der Tatsache, dass die nationalsozialistische Kulturpolitik die Deklassierung der abstrakten Kunst als entartet betrieb und die Galerien von selbiger gesäubert wurden. Tatsächlich stellte der Werbefilm noch bis Ende der 30er Jahre eine kulturelle Nische dar, in der Einzelfälle abstrakter und experimenteller Kunst geduldet wurden, wie Ingrid Westbrock aufzeigt. Einen Grund für „die Tolerierung abstrakt-psychede- lischer Effekte im Film“ sieht sie in der „mystisch-naturhafte[n] Interpretation von Lichtpro- jektion sowie der Vorstellung von einer den Urkräften verhafteten Klang- und Lichtkunst [...], welche dem nationalsozialistischen Mystizismus entsprachen“, einen anderen in den

196 Epoche dreht farbigen Revuefilm / Grock und 3 Ruhlands vor der Kamera. In: Film-Kurier, 30. August 1938. 197 Ebd. 198 Film-Kurier, 1. Oktober 1934. 75 „psychologischen Grundsätzen der Werbelehre“, die eine „modern[e], weltoffen[e], technologisch[e]“199 Ausrichtung der Werbefilme erforderlich machten.

V.5 Nationalsozialistische Tendenzen im Werbetrickfilm der 30er Jahre

Nicht zuletzt aufgrund der nur bruchstückhaften Überlieferung ist die aufgeworfene Frage nach nationalsozialistischen Tendenzen für die Gesamtheit der in den 30er Jahren hergestellten Werbefilme – seien es nun Trick- oder Realfilme, schwarzweiße oder farbige – kaum zu beantworten. Für die von putzigen Tier- und Pflanzenfiguren bevölkerte Fabelwelt der schwarz-weißen wie auch der farbigen Werbetrickfilme können jedoch bestimmte Stilmerkmale festgehalten werden, die ihre Ausrichtung an den ideologischen und ästhetischen Normen des Nationalsozialismus erkennen lassen. Viele gezeichnete Werbefilme kennzeichnet eine militaristische Bildersprache, die das beworbene Objekt in Reih und Glied angetreten präsentiert und kraftvoll in Marsch setzt, um seine Funktionstüchtigkeit unter Beweis zu stellen. Dieses Motiv begegnet dem Zuschauer beispielsweise in dem Gasparcolor-Film „Das Waschgespenst“, in dem die aus den Persilwer- ken ausrückenden Waschmittelpakete gegen ihren Widersacher, das titelgebende Gespenst, in den Kampf ziehen, oder in „Die Schlacht um Miggershausen“ (Georg Woelz / 1937), von dem noch zu sprechen sein wird. Ein anderes wiederkehrendes Motiv sind gleichgeschaltete Tanz- und Bewegungsabläufe von Trickfiguren z.B. im Sinne einer Volksgymnastik, wie sie etwa vom knorrigen Baummann und den kleinen Blumenmädchen in dem Ufa-Film „Morgen- stunde“ (Werner Kruse / 1938) zur Anleitung aus dem Volksempfänger praktiziert wird. Ein expliziter, über den Werbegegenstand hinausweisender Zeitbezug, zum Beispiel die Darstellung von Parteisymbolen u.ä., wurde von den Zeichnern allerdings übereinstimmend vermieden200.

199 Westbrock, Ingrid: Der Werbefilm. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte des Genres vom Stumm- zum frühen Ton- und Farbfilm. Hildesheim 1983. S. 82f. 200 Es sei darauf hingewiesen, dass im Online-Findbuch des Bundesfilmarchivs „Deutsche Animationsfilme von 1909 bis 1945“, bearbeitet von Doris Hackbarth und Roswitha Müller, Berlin 2006, eine Inhaltsangabe für den Gasparcolor-Werbefilm der Ufa „Der Gesang des Kragenknopfes“ (Hans Fischerkoesen / 1936) enthalten ist, die in den Beinen des auftretenden Kragenknopf-Männleins ein Hakenkreuz zu erblicken meint. Diesen Seheindruck habe ich bei Sichtung der Kopie nicht bestätigt gefunden: Da die Deutung der übereinandergeschlagenen Beinchen der Trickfigur als Hakenkreuz zumindest fraglich ist, kann in meinen Augen hier von einem signifikanten Ausnahmefall nicht die Rede sein. Das Online-Findbuch„Deutsche Animationsfilme von 1909 bis 1945“ ist abrufbar unter der URL: http://www.bundesarchiv.de/findbuecher/Filmarchiv/Deutsche Animationsfilme/index.htm (Stand: August 2007). 76 V.6 Rundfunk-Propaganda in Ufacolor

Als besonders interessantes Beispiel für die politische Mobilisierung des Werbefilms soll die 1937/38 bei der Commerz-Film AG, Berlin, entstandene Serie von drei Rundfunk- Werbefilmen an dieser Stelle genauer untersucht werden. Die nach dem Agfa-Bipack- Verfahren hergestellten Filme trugen im einzelnen die Titel: „Und es beginnt ein neuer Tag“ (1937), „Die Schlacht um Miggershausen“ (Georg Woelz / 1937) und „Hansemanns Traumfahrt“ (Georg Woelz, Gerd Krüger / 1938). „Und es beginnt ein neuer Tag“ ist nicht überliefert. „Die Schlacht um Miggershausen“ behandelt zunächst das Thema Rundfunk und Landwirtschaft, während in „Hansemanns Traumfahrt“ der Unterhaltungsaspekt des Rundfunkprogramms, sowie die zugrunde liegende Technik im Vordergrund stehen. Protagonist in „Die Schlacht um Miggershausen“ ist ein freundliches kleines Volksempfänger-Männchen, das (aus einer nicht näher bestimmten Zentrale) ausgeschickt wird, das abgelegene Bauerndorf Miggershausen für den Rundfunk zu gewinnen und auf diese Weise die kläglichen Ernteerträge der Miggershausener Landbevölkerung zu erhöhen. Denn dort liegt einiges im Argen: Das Vieh leidet unter Krankheiten und schlechter Futterversorgung, die Nutzpflanzen unter Schädlingsbefall, und die in einer Wirtschaft versammelten Bauern sperren sich gegen die Modernisierung der Landwirtschaft. Zum Eingreifen entschlossen macht sich das Volksempfänger-Männchen auf den langen und beschwerlichen Weg, dessen erste Teilstrecke noch mit einer futuristischen Hochbahn zurückgelegt werden kann, bevor der Umstieg auf eine altmodische Dampflok und schließlich auf einen Heuwagen notwendig wird. Endlich am Ziel wird dem Volksempfänger-Männchen ein feindseliger Empfang bereitet: Kaum lässt es ein paar Töne auf der Mundharmonika erklingen, wird es mit Wasser übergossen, vom Hund ausgebellt und mit der Mistgabel attackiert. Der Ruf nach Verstärkung, in Briefform an den allgegenwärtig den Äther durchziehenden Funkwellen befestigt, bleibt nicht ungehört, und aus den Fabriken der Stadt setzt sich ein Strom von Volksempfänger-Männchen im Gleichschritt auf Miggershausen in Marsch. Am Ziel angelangt wird die militärische Erstürmung des Dorfes vor den ungläubigen Augen seiner Bewohner in Angriff genommen, bis die weiße Fahne über den Häusern weht. Nachdem die Volksempfänger die Besetzung der einzelnen Bauernhöfe eher mit List denn mit Gewalt vollzogen haben, erteilen sie der staunenden Landbevölkerung Ratschläge, wie die Arbeitsvorgänge beschleunigt und die Produktion gesteigert werden kann: Die Tiere zeigen schwanzwedelnd ihre Zustimmung. Auf dem Dorfplatz hält ein Volksempfänger-Männchen eine zündende Rede und appelliert an seine Zuhörer: „Miggershausener, seid gescheit!

77 Verschließt euch nicht der neuen Zeit! [...] Behaltet uns als Freunde drum und kehrt schnell euren Beutel um. Für wenig Geld, auf Raten schon, erwerbt ihr uns und unsren Ton. Nehmt teil, in jedem Falle, am Rundfunk, alle – alle!“ – Nachdem zuvor der Informationsteil des Rundfunkprogramms im Vordergrund stand, wird am Schluss der Unterhaltungsaspekt betont: So klopft die ganze Bauernfamilie beim Mittag den Orchestertakt aus dem Volksempfänger mit, ein junges Paar träumt vom gemeinsamen Hof, ein kleines Mädchen von Märchenfiguren, und der Großvater von Tänzerinnen, die ihre Beine schwingen. Ähnlich wie der früher entstandene „Musterbetrieb A.G.“ (Paul Peroff, Gert Binding, Curt Dahme / 1936), von dem noch zu sprechen sein wird, präsentiert auch „Die Schlacht um Miggershausen“ ein Vorher-Nachher-Szenario mit einer Wende zum Besseren, zur „neuen Zeit“. Während aber der gesellschaftliche Fortschritt in „Musterbetrieb A.G.“ in einem Akt der Erneuerung von oben durchgesetzt wird, ist der technische Fortschritt in „Die Schlacht um Miggershausen“ mit erheblichen Widerständen konfrontiert, die erst gebrochen werden müssen: mit einer Strategie, die Zwang und Überredung miteinander verbindet. Als feindliche Armee verschaffen sich die Volksempfänger zunächst gewaltsamen Eintritt in die Ortschaft, die damit unter ihrer Besatzung steht. Zum Ziel führt aber erst die anschließende massierte Propaganda-Kampagne, die den Miggershausenern die Vorteile der „neuen Zeit“ vor Augen führt und sie schlussendlich für den Rundfunk einnimmt. Dass sie von dieser Entwicklung profitieren, verdeutlicht am Ende die Umbenennung des Dorfes in Frohenhausen; die Tatsache, dass sie zu diesem Glück gezwungen werden musste, bleibt aber bestehen. Ähnlich bieder gezeichnet wie „Die Schlacht um Miggershausen“ erzählt „Hansemanns Traumfahrt“ die Geschichte eines kleinen Jungen, dem sein Aufsatzthema „Was weiß ich vom Rundfunk?“ Kopfzerbrechen bereitet. Im Traum erscheint ihm das Rundfunkmännchen, das ihn mit sich ins Haus des Rundfunks nach Berlin nimmt, wo Hanse- mann die Aufnahme und Verbreitung einer Rundfunksendung auf kindgerecht-märchenhafte Weise vorgeführt wird – so dass er, als er erwacht, seinen Aufsatz sofort in Angriff nehmen kann und zur Mutter einen neuen Herzenswunsch äussert: einen Rundfunkempfänger! Zielgruppe des Films ist unverkennbar das jüngste Publikum, für das dieser Stoff auch in Buchform (als „Hansemanns Traumfahrt, ein Märchen vom Rundfunk“ von Ines Mosig) aufbereitet wurde. Hansemann weiß offensichtlich deswegen vom Rundfunk nichts, weil seine Familie keinen Empfänger besitzt. Die Sendungsinhalte, die beispielhaft vorgestellt werden, entstammen dabei nur zum Teil dem Kinderprogramm: wohl die „Märchenstunde aus Köln“ und die „Kinderstunde aus München“; die Wetternachrichten, die Zeitansage und die Kleinhandelspreise dürften Hansemann jedoch weniger interessieren. Der Rundfunk

78 begeistert ihn vor allem durch die schmissige Musik der Blaskapelle, die er auf ihrem Weg durch den Äther begleitet. Aus der eher betulichen Umsetzung stechen jene Szenen hervor, in denen die verwendeten Märchenmotive mit dem sehr gegenwartsbezogenen Handlungsgegenstand aufeinanderprallen: So ist es humorig zu verstehen, wenn sich das Rundfunkmännchen, eigentlich ein Zwerg mit Bart und Zipfelmütze, in ein Propellerflugzeug verwandelt, das im Sturzflug hinabstößt, um den fallenden Hansemann aufzufangen. Befremdlich wirkt eine Szene, die das Rundfunkprogramm „Kleinhandelspreise“ bildlich darzustellen versucht. Darin tritt eine Gemeinschaft von Äpfeln auf, die aus ihrer Mitte einen aussondern, der verschimmelt ist: Das verkümmerte kleine Kerlchen wird vom gesunden Artgenossen per Fußtritt entsorgt.

V.7 Neuerung im Beiprogramm: Farbige Zeichentrickfilme ohne Werbeauftrag

So selbstverständlich Zeichentrick auf dem Werbefilmmarkt eine herausragende Rolle spielte, so selten und vereinzelt waren dagegen bis Ende der 30er eigenständige Zeichentrickfilme deutscher Herkunft auf den Kinoleinwänden zu sehen. Als anschauliches Beispiel für einen frühen Versuch, einen längeren farbigen Trickfilm losgelöst vom Werbeauftrag zu produzieren, und die Schwierigkeiten, eine solche Produktion in der ersten Hälfte der 30er auf den Weg zu bringen, soll zunächst das Ufa-Projekt „Tilo Voss“ dargestellt werden, das sich zwischen November 1934 und September 1935 in Vorbereitung befand, bevor man es fallen ließ. „Tilo Voss“ ging zurück auf die Vorschläge und Entwürfe des Zeichners Otto Waffenschmied, der für die Titelrolle einen Fuchs vorgesehen hatte. Waffenschmied war Herausgeber der im Farbdruck erscheinenden Bildergeschichten der Zeitschrift „Dideldum“, die zeitweise unter Hinweis auf ihren Haupt-Vertriebspartner als „Karstadts Kinder- Magazin“ untertitelt war. Nachdem dem Ufa- Vorstand im Dezember 1934 ein durch die

79 Werbefilm-Abteilung hergestellter Probestreifen vorgeführt worden war, wurde zunächst eine gründliche Prüfung des Projekts beschlossen201. Im Vordergrund stand dabei die Frage, ob auf Grundlage der Waffenschmied-Entwürfe einer oder gleich mehrere Filme hergestellt werden sollten: Während man für einen einzigen Titel in der Länge von 250 Metern Produktionskos- ten von 20.000 Reichsmark kalkulierte, ging man davon aus, die Kosten für insgesamt drei Filme um pro Titel jeweils 3.000 Reichsmark senken zu können. Das geschäftliche Risiko erschien den Verantwortlichen jedoch zu groß: „Da diese Märchentrickfilme einen Versuch, neuartige Beiprogrammfilme herzustellen, bedeuten, soll zunächst trotz der dann wegfallen- den Fabrikationsersparnis [...] nur ein Film in Angriff genommen werden.“202 Die Vorarbeiten zum Film zogen sich hin. Im April 1935 wurde die Kostenkalkulation für das Projekt auf 32.000 Reichsmark nach oben korrigiert203. Daneben trugen offensichtlich künstlerische Differenzen zwischen Waffenschmied und der Ufa zum Scheitern des Projektes bei204. Der ursprünglich für das Verleihprogramm 1935/36 vorgesehene205 Film wurde schließlich unter dem Hinweis aufgegeben, dass „nach den jetzigen Vorschlägen Waffen- schmieds [...] der Film die doppelte Länge erhalten und den 3-4fachen Betrag der genehmig- ten Kalkulation kosten“206 würde.

V.8 „Musterbetrieb A.G.“

Nachdem der Film-Kurier bereits im Oktober 1934 „für staatliche Institutionen“207 hergestellte Propagandafilme nach dem Gasparcolor-Verfahren angekündigt hatte, fand am 6. September 1936 im Rahmen der Tagung des Amtes „Schönheit der Arbeit“ auf dem Reichsparteitag die Uraufführung des Gasparcolor-Films „Musterbetrieb A.G.“ statt. Gezeigt wurde der Film im Ufa-Palast in Nürnberg im Doppelprogramm mit dem Realfilm „Wir und das Werk“. Der Gauleiter von Franken Julius Streicher nutzte den Anlass zu einer Kampfrede gegen den Marxismus und dessen Versprechen, „mit der Errichtung einer `Diktatur des Proletariats´ und mit der Vernichtung dessen, was aus Jahrhunderten organisch geworden ist,

201 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1029 c, Nr. 1046 vom 7. Dezember 1934. 202 Ebd. 203 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1030 a, Nr. 1075 vom 14. April 1935. 204 „Herr Correll legt in der Angelegenheit Waffenschmied nochmals dar, dass das zuerst von Waffenschmied ausgearbeitete Manuskript nicht genügend Einfälle aufwies. Das Manuskript wurde sodann auf die amerikanische Groteske umgestellt. In der jetzigen Fassung ist es brauchbar.“ BA, Bestand R 109 I, Ufa- Vorstandsprotokolle, 1030 b, Nr. 1078 vom 07. Mai 1935. 205 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1029 c, Nr. 1046 vom 7. Dezember 1934. 206 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1031 a, Nr. 1106 vom 6. September 1936. 207 Das Gasparcolor-Verfahren. In: Kinotechnische Rundschau des Film-Kurier, 20. Oktober 1934. 80 das ewige Glück, das Paradies zu erlangen. Die Folgen eines solchen Wahnsinns haben wir in Deutschland erlebt, und wir erleben es heute wieder bei anderen Völkern. Wir erinnern uns an jenes Druckerzeugnis, das dem deutschen Arbeiter sagte: Wenn Ihr Revolution gemacht habt, seid Ihr die Herren und die anderen sind die Knechte; Ihr werdet an der blauen Riviera spazieren gehen, in Luftschiffen fahren und glücklich sein! [...] Der deutsche Arbeiter aber erlebte seine größte Enttäuschung, das deutsche Volk den größten Betrug. Und doch wurde in jener dunklen Zeit der Nationalsozialismus geboren und dem deutschen Volke der Mann gegeben, der mit der göttlichen Kraft, die aus ihm wirkt, das Volk zum Heil zu führen vermag. Der Nationalsozialismus schuf wieder die Achtung vor der Arbeit, vor jeder Arbeit. [...] Wir können allerdings nicht von heute auf morgen Fabriken einreißen und Neubauten an ihre Stellen setzen. Aber es genügt schon, wenn der Betriebsführer mit dem Herzen bei der Sache ist und die Arbeiter den guten Willen sehen. Wer Nationalsozialist sein will, der helfe mit, dass die Arbeitsstätten schön sind und die Arbeit die Achtung bekommt, die sie verdient.“208 Um diesen Gedanken zu propagieren, bevölkerten die Macher von „Musterbetrieb A.G.“ das titelgebende Unternehmen mit Tierfiguren aus dem Repertoire des bereits erwähnten Paul Peroff. Peroff, neben Curt Dahme und Gert Binding für „Musterbetrieb A.G.“ verantwortlich, gehörte seit Ende der 20er Jahre zu den meistbeschäftigten deutschen Trickfilmzeichnern. Neben Zeichentrickfilmen für Kinder wie „Willis Zukunftstraum“ (1928) und „Willi Schmierfinks Abenteuer“, gestaltete er Zeichentrick-Sequenzen für die mit realen Tieraufnahmen gemischten Kulturfilme „Beschwingte Ehen“, „Ganz wie bei uns – unvollkommene Ehen“ und „Menschen sehen dich an“ (alle Wilhelm Prager / alle 1930) und für die Lehrfilme „Der gläserne Motor“ (mit Hans Fischerkoesen / 1931) und „PS“ (mit Wolfgang Kaskeline und Bernhard Huth / 1932). Für den Heimverleih gestaltete er in den 30er Jahren mehrere Kurzfilmreihen auf 16 mm: „Afrika lacht“ (1931), „Die geknipste Jungfrau“ (1931), „Die lustigen Streiche von Fritz und Franz“, „Die Tierwelt lacht“ (1936). In der (zunächst vermeintlichen) „Musterbetrieb A.G.“ sind Kater, Schwein, Giraffe, Nilpferd tätig; den Betrieb führt in Gestalt eines Zigarrerauchenden Elefanten das Zerrbild des kapitalistischen Industriekapitäns. Die Firma steht offenbar vor dem Konkurs: Die Gebäude sind verfallen, laufend treffen Reklamationen ein. Misstrauisch beäugt der Elefant auf seinen Überwachungsgängen die wenig motivierte Arbeiterschaft. Diese unerfreuliche Situation schlägt ausgerechnet in dem Moment in ihr Gegenteil um, als in Form einer eleganten weißen Katzendame eine neue Sekretärin auf der Bildfläche erscheint und durch ihre bloße Präsenz

208 Zwei Uraufführungen in Nürnberg: Wir und das Werk / Musterbetrieb A.G. In: Film-Kurier, 7. September 1936. 81 eine Verbesserung der Arbeitsatmosphäre bewirkt. Dies beginnt im Kleinen: Durch ein geöffnetes Fenster gelangt frische Luft in das Direktionsbüro, das im nächsten Schritt weiß tapeziert, mit Gardinen und Blümchen so freundlich erscheint, dass der bereits resignierende Elefant neue Zuversicht gewinnt. Eine Rauferei zwischen seinen Arbeitern auf dem Fabrikhof nimmt er dann zum Anlass, den ganzen Betrieb umzukrempeln: Diesen Prozess versinnbild- licht eine Flutwelle, die das Fabrikgelände überrollt. Nachdem dann die Wasser zurückgegangen und die Wolken gewichen sind, erstrahlt anstelle der alten eine zeitgemäß moderne Industrieanlage, geometrisch angelegt, mit sauberen Grünflächen und Sonnenschein. Nilpferd, Schwein, Giraffe, Kater und Katzendame gönnen sich nun in ihrer Pause unter Sonnenschirmen ein kühles Bier oder treiben Betriebsgymnastik. Als das Signal zur Arbeit ruft, marschiert die Belegschaft geschlossen in die Fabrik. Abgeschlossen wird die Wandlung des Unternehmens zum zukunftweisenden Musterbetrieb durch ein Betriebsfest, wobei in der Schlusseinstellung die bunten Reflexe des Feuerwerks am nächtlichen Himmel die Worte „Kraft durch Freunde“ formen – dahinter erscheint im rotierenden roten Sonnensymbol das Logo der KdF-Organisation. Der Rezensent des Film-Kurier hielt anlässlich der Uraufführung des Films den Hinweis für notwendig, „Musterbetrieb A.G.“ sei nicht „nach bekannten amerikanischen Mustern gemacht“, sondern „echt deutsch“, vor allem „der herzliche Humor und die Laune, mit der der Schlendrian und die Verwahrlosung [...] geschildert ist. Recht köstlich wird der frische Wind und der neue Geist gemalt, der aus dem `Saustall´ einen Musterbetrieb werden lässt, in dem alles fleißig schafft und herzlich lacht.“209 So geschlossen und geradlinig wie hier nahegelegt, ist der Film aber nicht gelungen: Die ohnehin dünne Handlung verliert sich in nicht immer zündenden optischen Einfällen, und die Figur der Katzendame, augenscheinlich den neuen Geist verkörpernd, ist nichts anderes als die plumpe zeichnerischer Übertragung der Metapher von der Schönheit der Arbeit in ein tierisches Trickfiguren-Ensemble. Daneben dürfte die Verwendung von Parteisymbolen in einem Zeichentrickfilm als einmalig anzusehen sein.

209 Zwei Uraufführungen in Nürnberg: Wir und das Werk / Musterbetrieb A.G. In: Film-Kurier, 7. September 1936. 82 V.9 „Panik durch Ping-Pong“

Einen besonders eigentümlichen Propaganda-Trickfilm zeichnete Walter Born 1938 für die Deutsche Film-Herstellungs- und Verwertungs-GmbH, die ein Jahr zuvor als parteieigene Produktionsgesellschaft gegründet worden war. „Panik durch Ping-Pong“ wurde der vierminütige Gasparcolor-Streifen betitelt, der vordergründig eine geschmackliche Belehrung über die Gestaltung von Vorgärten enthält, mit der Parole „Macht unsre Straßen gitterfrei“ aber die Abgabe des für die Rüstungsindustrie bedeutenden Rohstoffs Metall zu fördern bezweckte. Bemerkenswert sind Machart und Konzept des Films, der auf originelle und temporeiche Weise die Zerstörungslust (und nebenbei auch die sexuelle Komponente) des Hollywood-Spektakels „King Kong“ (Merian C. Cooper, Ernest B. Schoedsack / USA 1933) persifliert und sich so spürbar vom harmlos-süßlichen deutschen Zeichentrick-Durchschnitt abhebt. Von einem durchweg gereimten Kommentar begleitet, erzählt Born die Geschichte des titelgebenden Affen, einer zwar eher ulkigen als bedrohlichen Erscheinung, die aber Angst und Schrecken verbreitet, als sie unbeabsichtigterweise auf die Stadtbewohner losgelassen wird. Ping-Pong entwickelt in der Jagd auf selbige eine große Dynamik: Erst nachdem er einige Verwüstungen angerichtet, eine Straßenbahn zu Schrott gefahren und von einer erzürnten Hausfrau Prügel mit dem Teppichklopfer bezogen hat, sehnt sich der entlaufene Affe wieder in seinen Käfig zurück, den er plötzlich ausgerechnet in einem Zaungitter auszumachen meint, das einen Vorgarten von der Straße abtrennt! Bereits kurz zuvor wurde die Aufmerksamkeit des Zuschauers beiläufig auf eine besonders extravagante schmiedeeiserne Zaunkonstruktion gelenkt, an der sich ein alter Mann auf der Flucht vor Ping-Pong derart verhakt, dass er seinen Rauschebart am Zaun zurücklassen muss – Sprecherkommentar: „Es hat das Gitter solcherart, wie es verdient nun selbst ’n Bart.“ Auch das Zaungitter, hinter dem der Affe, seiner Freiheit überdrüssig, Zuflucht sucht, kann höchstens als besserer „Affenstall“ gelten, und damit ist die Notwendigkeit von Metallzäunen generell in Frage gestellt: „Muss man denn wohnen hinter Gittern, behängt mit Schnörkeln und mit Flittern? Und welche komische Facon? Wir sind doch schließlich kein Ping-Pong! Der Fortschritt greift, so Knall auf Fall, auch nach Ping-Pongs gefundenem Stall. Durch dies erschröckliche Erlebnis kommt er sogar zu dem Ergebnis, dass Gitter in den besten Fällen sich störend in den Weg nur stellen.“ Und anstelle der unfreundlichen Gitterzäune erblüht vor den Hausfassaden ein bunter und gepflegter Vorgarten neben dem anderen.

83 V.10 „Vom Bäumlein, das andere Blätter hat gewollt“

Eine der wenigen antisemitischen Darstellungen im deutschen Zeichentrickfilm erschien 1940 in „Vom Bäumlein, das andere Blätter hat gewollt“, den Heinz Tischmeyer nach einer Märchenerzählung des Dichters Friedrich Rückert inszenierte. Produziert wurde der nur acht Minuten lange Streifen von der Firma Naturfilm Hubert Schonger, die, 1923 in Berlin gegründet, zunächst schwerpunktmäßig Natur- und Volkstums-Sujets (z.B.: „Naturkunde aus dem deutschen Wald“ (1923), „Wisent in Not“ (1924), „Schlesierland“ (1926), „Landwirt, schütze dein Eigentum“ (1926)) finanziert hatte, wobei manche Titel („Schaffendes Volk – fröhliches Volk“, „Sonnenmenschen“ (beide 1924)) eine völkische Grundtendenz suggerie- ren. In die Reihe der Produktionen Hubert Schongers gehören auch frühe Bildberichte aus dem Lager der extremen politischen Rechten: etwa „Parteitag der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei in Nürnberg, 20. und 21. August 1927“ (Julius Lippert / 1927), der als erster Reichsparteitagsfilm überhaupt gilt, „Der Stahlhelm ehrt Hindenburg“ (1927) oder „Ostpreußische Stahlhelmtagung am 2. und 3. Juni 1928“ (1928). Im Vorfeld der Kanzler- schaft Hitlers häuften sich im Programm rechts-nationale Propagandafilme wie „Wille und Wehr“ (1932), „Unsere Zukunft liegt in Deutschland“ (1932), „Ein Volk erwacht“ (Hubert Schonger / 1932) und „Hakenkreuz am Stahlhelm“ (1933). In der zweiten Hälfte der 30er wandte sich Hubert Schonger dem jungen und jüngsten Kinopublikum zu, für das er neben einer langen Reihe von Puppentrickfilmen mit der Hohnsteiner Puppenbühne (inszeniert durch Max Jacob: „Die blaue Blume im Zauberwald“ (1937), „Kasper kauft ein Haus“ (1937), „Kasper und der Waldgeist“ (1937), „Der Goldschatz der Sioux-Indianer“ (1939), „In der Höhle des Wetterriesen“ (1941)) auch klassische deutsche Märchenstoffe produzierte: „Tischlein deck dich, Esel streck dich, Knüppel aus dem Sack“, „Schneeweißchen und Rosenrot“ (beide von Alfred Stöger / 1938) „Der Wolf und die sieben Geißlein“ (Kurt Niele, Hans Strohbach / 1939), „Der standhafte Zinnsoldat“ (Gustav Stiefel / 1940) nach Hans Christian Andersen, „Das tapfere Schneiderlein“ (Hubert Schonger / 1941) und „Wundervolle Märchenwelt. Der kleine Häwelmann“ (1942) nach Theodor Storm. Die Forcierung einer Märchenfilm-, sowie einer auf Märchenstoffe angewandten Zeichentrickproduktion Ende der 30er war dabei maßgeblich dem Erscheinen des damals sensationellen Walt-Disney-Films „Snow white and the seven dwarfs“ (David Hand / 1937) geschuldet, des weltersten abendfüllenden Farbzeichentrickfilms, und dessen widersprüchlicher Bewertung in Deutschland: Einerseits erregten Technik und Erzählweise des Films Verblüffung und Bewunderung, andererseits wurde er abgelehnt, da er weder der Grimmschen Vorlage noch

84 den Bedürfnissen eines kindlichen Publikums gerecht würde. Hubert Schonger, der in Reaktion auf den amerikanischen Film umgehend eine deutsche Fassung von „Schneewitt- chen und die sieben Zwerge“ produzierte (Carl Heinz Wolff / 1938), sprach sich im Film- Kurier zwar für eine zeitnahe Inszenierung von Märchenstoffen aus, zog jedoch im gleichen Atemzug klare Grenzen: „In diesem Sinne ist jedes Märchen politisch ausrichtbar, ohne dass man die Dichtung vergewaltigt und etwa, wie es mir zum Schneewittchen-Film vorgeschlagen wurde, der bösen Stiefmutter jüdische Züge verleiht.“210 Genau diese für den Schneewittchen-Stoff abgelehnte jüdische Karikatur erscheint als kalkuliertes Schreckbild für kindliche Zuschauer in Tischmeyers „Vom Bäumlein, das andere Blätter hat gewollt“: Man darf annehmen, dass die Rückert-Vorlage eben aufgrund der antisemitischen Implikation für den Zeichentrickfilm ausgewählt wurde. Im Mittelpunkt der Handlung steht ein kleines Nadelbäumchen, das seine Nadeln sehnlichst gegen ein imposante- res Blätterkleid eintauschen möchte. Drei Mal wird ihm dieser Wunsch erfüllt, und es erhält in rascher Folge Blätter aus Gold, aus Glas und aus Laub: Die goldenen Blätter raubt ein Jude, die gläsernen zerbrechen im Sturm, das Laub schließlich wird von einer Ziege verspeist. Am Schluss des Films erhält das kahle Bäumchen die ursprünglich verschmähten Nadeln zurück, mit denen es sich nunmehr begnügt. – Der räuberische Jude erfüllt in Tischmeyers Darstel- lung sämtliche Klischees: Bucklig und mit Zahnlücke durchschleicht er im Watschelgang den Wald, verdächtig Umschau haltend, den Diebessack über der Schulter, und wird von einer empörten Amsel ausgeschimpft, die den Raub der goldenen Blätter nicht verhindern kann. „Vom Bäumlein, das andere Blätter hat gewollt“ war der vermutlich zweite Farbtrickfilm der Naturfilm Hubert Schonger nach einer immerhin zwanzigminütigen Verfilmung des „Struwwelpeter“ (1938). Animationstechnisch ist Tischmeyers Film als dürftig zu bezeichnen, da das in weiten Teilen unbewegte Szenario wie ein abgefilmtes Märchenbuch wirkt. Ein Rezensent des Film-Kurier überliefert einen Eindruck von einer Berlin Sonderveranstaltung mit Märchenfilmen im Ufa-Pavillon, bei der „Vom Bäumlein, das andere Blätter hat gewollt“ gemeinsam mit den Schwarz-Weiß-Filmen „Die Sterntaler“, „Kasper bei den Wilden“ und „Der süße Brei“ gezeigt wurde: „Große Stimmung bei den Kleinen. Beifall schon, wenn´s nur dunkel wird. Lebhaftes Mitgehen bei jedem Scherz und jeder traurigen Szene. Dankbarkeit schon dafür, dass sich auf der Leinwand etwas regt. Den Anfang machte `Vom Bäumlein, das andere Blätter hat gewollt´, ein farbiger Zeichentrickfilm nach dem Gedicht von Friedrich Rückert. [...] Die einfache und klare Darstellung wurde von den Kindern gut verstanden; eine

210 Unterredung mit Hubert Schonger: Nur Familienväter sollten Märchenfilme drehen / Disneys „Schneewittchen“ ist ein Erwachsenen-Erfolg / Wir brauchen Märchenfilme für Kinder. In: Film-Kurier, 7. Dezember 1938. 85 warme Frauenstimme sprach die Worte des Gedichts.“211 Der Film erhielt das Prädikat „volksbildend“. 1940/41 sollte bei der Naturfilm Hubert Schonger nach der harmlosen Kinderbuch- vorlage von Ernst Kreidloff mit „Die Wiesenzwerge“ (Gerhard Krüger) ein weiterer Farbtrickfilm entstehen, bei dem es sich neben „Der Störenfried“ (Hans Held) um einen der letzten Zeichentrickfilme nach dem Gasparcolor-Verfahren (Uraufführung: März 1941) gehandelt hat.

V.11 „Eine entzückende Tierfabel“212: „Der Störenfried“

Im November 1940 uraufgeführt, hat der von der Bavaria produzierte „Störenfried“ neben „Die Schlacht um Miggershausen“ und „Vom Bäumlein, das andere Blätter hat gewollt“ das Bild vom NS-Zeichentrickfilm am nachhaltigsten geprägt. Zu seiner Entstehungszeit fand der Film starke Beachtung als „neuerliche[r] Vorstoß“, „dem selbstständigen farbigen Zeichen- trickfilm Daseinsberechtigung in Deutschland zu verschaffen.“213 Für sein Erstlingswerk wurde Hans Held, der 1936 mit Arbeiten auf dem Gebiet des farbigen Zeichentricks begonnen hatte, mit üppigen Vorschusslorbeeren bedacht, indem man ihn als einen „Meister des Zeichentricks“214 würdigte und auch den Vergleich mit Wilhelm Busch nicht scheute215. „Der Störenfried“, zunächst unter dem Titel „Einigkeit macht stark“ angekündigt, erzählt von einem räuberischen Fuchs, der ein Hasenkind entführt, um es zu verspeisen, woraufhin ihm die übrigen Waldbewohner geschlossen den Krieg erklären. Der Film beginnt mit biederer Märchenbuch-Idylle: Die drei Häschengeschwister verlassen Hand in Hand ihr Häuschen, um Ballettschritte zu üben. Ihr Vater absolviert zum Rundfunkempfänger sein morgendliches Gymnastikprogramm. Ähnlich reizend und friedfertig die weiteren Tierfiguren: das putzige Eichhörnchen, ein furchtsamer Hamster, Frau Elster und ein klappriger Rabe als Ordnungshüter. Erst nach etwa einem Drittel der Laufzeit werden die beiden wehrhaften Tierarten vorgestellt: Die Igel sind militärisch durchorganisiert, draufgängerische Kerls mit verwegenen Schnurrbärten, Stiefeln, abnehmbaren Rückenpan- zern und Pickelhauben. Mittels Morseapparat stehen sie in Verbindung mit einem Wespen-

211 Wundervolle Märchenwelt / Ufa-Pavillon. In: Film-Kurier, 21. September 1940. 212 Die Kulturfilme der Bavaria 1940-41. In: Film-Kurier, 30. August 1940. 213 Rund um den Trickfilm / Seine verschiedenen Erscheinungsformen in Europa und Amerika. In: Film-Kurier, 28. September 1940. 214 Hermann Jockisch: Hans Held / Ein Trickfilmzeichner. In: Film-Kurier, 24. Juli 1940. 215 Ebd. 86 stamm, der noch einen weit darüber hinaus gehenden Grad der Technisierung erreicht hat. Diesen Wespen, die wohl als bizarrste deutsche Trickfilmerfindung ihrer Zeit betrachtet werden können, ermöglicht erst ein Flugapparat, genannt „die Wespe, Modell 40“, den Aufstieg in die Luft: Dabei handelt es sich um einen künstlichen Hinterleib mit ausfahrbarem Maschinengewehr und einen maschinenbetriebenen Flügelaufsatz, der auf den Rücken geschnallt wird. Vom „Wespenhorst Bullenwiese“ ausschwärmend führen sie den Kampf gegen den Fuchs aus der Luft, in V-Formation anfliegend, ihr Ziel anvisierend und dann senkrecht in die Tiefe stürzend, um den Gegner am Erdboden unter Feuer zu nehmen: Diese Szenen orientieren sich nicht nur an entsprechenden Wochenschau-Aufnahmen, sondern sind sogar mit den Originalgeräuschen von Stuka-Motoren und Sirenen untermalt. Daneben gibt es noch weitere Anspielungen auf die Gegenwart des Jahres 1940 zu entdecken: Als Beispiel sei nur das Plakat „Achtung! Feind hört mit“ genannt, das in der Nachrichtenabteilung der Igel- Kompanie hängt und das als Feind natürlich den Fuchs abbildet. Aus dem Reineke Fuchs der Tierfabel ist bei Held ein Unhold geworden, der sich zunächst noch durch aufrechten Gang und Bekleidung (roter Frack, Kniebundhosen und mit lässig umgeworfenem Schal) den Anschein der Zivilisation gibt. Am Schluss aber, wenn die Bestie in ihm zu Tage tritt, wirft er die Kleider von sich und bewegt sich auf allen Vieren voran. Interessant ist, dass es weder die Igel noch die Wespen sind, die ihn letztlich zur Strecke bringen oder, wie es in der Ankündigung des Film-Kurier hieß: „seinem Parasiten- leben ein Ende“ 216 setzen. Eine fette Henne dient als Lockvogel, und der anstürmende Fuchs wird von den Waldbewohnern unter einem herabstürzenden Felsbrocken begraben. Auf diese Weise erfüllt sich die Prophezeiung der alten Eule, die der versammelten Tiergemeinde geweissagt hatte: „Wenn ihr alle einig seid, werdet ihr den Fuchs besiegen.“ Es scheint naheliegend, dass Held in „Der Störenfried“ eine Übertragung des Gedankens der Volksgemeinschaft auf ein Märchenszenario beabsichtigte. Wenn Igel- und Wespenverbände aber als Soldaten und die Gemeinschaft der übrigen Waldbewohner als Zivilisten anzusehen sind, besteht trotz ihrer Interaktion im Schlusskampf gegen den Fuchs eine scharfe Trennlinie zwischen diesen Gruppen, die sich am deutlichsten an der Tatsache ablesen lässt, dass in kaum einer Sequenz Vertreter der einen mit Vertretern der anderen Gruppe gemeinsam in einer Einstellung zu sehen sind: Als Ausnahme ist die Szene zu nennen, in der die Hasenkinder nach dem Überfall durch den Fuchs einem der Igel begegnen, der sich eben im Bach wäscht, sowie eine Szene im Hauptquartier der Igelkompanie, in der auch der Rabe anwesend ist. Als die Igel sich am Schluss per Katapult auf den Fuchs abfeuern

216 Die Kulturfilme der Bavaria 1940-41. In: Film-Kurier, 30. August 1940. 87 lassen, bleiben die anderen Waldbewohner, die den Abschuss in Gang setzen, ausserhalb des Bildes. Fragt man nach dem Grund hierfür, scheint am naheliegendsten die Vermutung, dass Held selbst befürchtete, der Kontrast zwischen den klassischen Tierfiguren und seinen zeitgemäßen Neuschöpfungen könnte zu stark auffallen und der Wirkung des Films abträglich sein. „Der Störenfried“ besitzt eine Sonderstellung als der einzige offen militaristische Zeichentrickfilm, der während des Krieges in Deutschland produziert wurde. Zieht man den Vergleich zu den zahlreichen US-amerikanischen Propaganda-Cartoons, die nach der deutschen Kriegserklärung wie am Fließband in den Zeichentrick-Studios Walt Disneys, bei Twentieth Century-Fox oder Warner Bros. entstanden217, muss man immerhin anerkennen, dass sich der Hans-Held-Film sowohl zeichnerisch als auch inhaltlich auf höherem Niveau bewegt.

217 Z.B.: „Education for death – The making of the nazi“ (Clyde Geronimi / 1943), „Der Fuehrer’s face“ (Jack Kinney / 1942) oder „The Spirit of `43“ (Jack King / 1943) , die beiden letztgenannten mit Donald Duck in der Hauptrolle. 88 VI. Die Wahl zwischen Pantachrom und Agfacolor

Pantachrom und Agfacolor – beides Farbfilmverfahren der Agfa, die zwischen 1936 und 1939 als aussichtsreich bewertet wurden, endlich die Produktion farbiger Großfilme in Deutschland zu ermöglichen. Dabei wurde das technisch deutlich aufwendigere Pantachrom-Verfahren längere Zeit als Hoffnungsträger der Wolfener Farbfilmwissenschaftler um Prof. John Eggert und Dr. Gerd Heymer von der Wissenschaftlichen Abteilung der Agfa betrachtet. Das zukunftsweisende Agfacolor-Verfahren dagegen, für das die Technisch-Wissenschaftliche Abteilung verantwortlich zeichnete, weckte bei seiner ersten Vorstellung im Oktober 1936 große öffentliche Erwartungen, obwohl seine Anwendung zu diesem Zeitpunkt noch auf Schmalfilm und Kleinbildfotografie beschränkt war. In der Folgezeit wurden beide Verfahren parallel weiterentwickelt und traten bald in offene Konkurrenz zueinander: Nachdem die Agfa ursprünglich in enger Zusammenarbeit mit der Ufa die Einführung von Pantachrom angestrebt hatte, wurde intern zunehmend die Überlegung laut, stattdessen dem in Aufnahme und Verarbeitung unkomplizierteren Agfacolor-Verfahren den Vorzug zu geben. Im folgenden soll die Entwicklung nachgezeichnet werden, die im Frühsommer 1939 nach langwierigem Abwägen und zahlreichen Versuchsfilmen zur Entscheidung zugunsten von Agfacolor führte.

VI.1 Technik des Agfa-Pantachrom-Verfahrens

Unter der Bezeichnung „Agfa Pantachrom“ wurde in den Forschungslaboratorien der Agfa in Wolfen ein Verfahren ausgearbeitet, dessen Entwicklung bereits Anfang 1930 im Zusammenhang mit der Arbeit am Agfacolor-Linsenrasterschmalfilm angestoßen wurde. Der Grundidee nach kombinierte das Agfa-Pantachrom-Verfahren eben die vom Schmalfilm bekannte Linsenrastertechnik mit dem Bipack-Verfahren, das Ufacolor zugrunde lag. Der Bipack des Pantachrom-Verfahrens bestand aus einem orthochromatisch sensibilisierten (d.h.: für blaues und grünes Licht empfindlichen) Linsenrasterfilm als Frontfilm und einem panchromatisch sensibilisierten (d.h.: für das gesamte sichtbare Farbenspektrum empfindlichen) Schwarz-Weiß-Film als Rückfilm. Während der Frontfilm zur Aufnahme des blauen und grünen Lichtanteils diente, wurde der Rotauszug auf dem Rückfilm aufgenommen218. Für die Aufnahme verwendet wurde ein Gelb-Purpur-Gelb-

218 Vgl. Gert Heymer: Farbenfilm nach dem Silberfarbbleichverfahren. In: Veröffentlichungen des Wissenschaftlichen Zentral-Laboratoriums der Photographischen Abteilung – Agfa – Band IV. Herausgegeben von der I.G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft. Leipzig 1935. S. 184. 89 Streifenfilter vor dem Kameraobjektiv. Entgegen des üblicherweise für Linsenrasterfilme verwendeten Blau-Grün-Rot-Filters bewirkte der Gelb-Purpur-Gelb-Filter, dass der rote Lichtanteil auf den Rückfilm durchfallen und als Teilbild aufgenommen werden konnte. Erste Versuchsaufnahmen nach dieser Technik wurden von der Wissenschaftlichen Abteilung unter Eggert und Heymer im August 1932 vorgenommen und demonstrierten die dem Agfacolor- Linsenrasterschmalfilm gegenüber gesteigerte Lichtempfindlichkeit des neuen Verfahrens219. Als Kopiermaterial für die Farbauszüge wurde der sogenannte „Tripo(film) III“ verwendet, der nach dem Silberfarbstoff-Bleichverfahren bearbeitet wurde. Über den Schichtaufbau des Materials und dessen Verarbeitung im Bleichbad kam es zum Patentstreit mit Dr. Gaspars Gasparcolor Naturwahre Farbenfilme GmbH, zu der ansonsten aber nicht nur gute Geschäfts-, sondern auch Arbeitsbeziehungen bestanden: So belieferte die Agfa die Gasparcolor-Gesellschaft mit Rohmaterial, während diese Kopien von Pantachrom-Filmen herstellte. Als Resultat der Verarbeitung entstand ein subtraktiver Dreifarbenfilm, der mit jedem Theaterprojektor vorführbar war. Die Bildschärfe, die trotz Verwendung der Bipack- Technik erreicht wurde, war dem ursprünglichen Agfa-Bipack-Verfahren (Ufacolor)

219 Vgl. Finger: Zum Geburtstag... In: Die Filmfabrik Wolfen – Aus der Geschichte, Heft 11. S.41. 90 überlegen220. Ähnlich wie bei Gasparcolor lag auch die Stärke des Pantachrom-Verfahrens sowohl in der Leuchtkraft seiner Farben als auch in deren Stabilität: So zeigen die als Einleger dem sechsten Band der „Veröffentlichungen des Wissenschaftlichen Zentral-Laboratoriums der Photographischen Abteilung – Agfa“ beigefügten Positive nach dem Pantachrom-Verfahren auch nach fast siebzig Jahren noch satte Farben, während im Vorgängerband ausgestellte Proben nach dem Agfacolor-Verfahren längst ausgeblichen sind. Ehrhard Finger weist ausserdem auf die bemerkenswerte Haltbarkeit der Kopien „selbst nach 200 Projektionsdurchläufen“ 221 hin.

VI.2 Ufa-Farbfilmversuche nach dem Pantachrom-Verfahren

Erprobt wurde das Pantachrom-Verfahren in enger Zusammenarbeit zwischen der Agfa und der Ufa, in deren Ateliers im April 1935 erstmals Werbeaufnahmen nach dem Pantachrom- Verfahren versucht wurden222. Im März 1936 fanden bei der Kulturfilmabteilung der Ufa, die zu diesem Zeitpunkt bereits reichliche Erfahrung mit der Anwendung der Bipack-Technik gesammelt hatte, Versuchsaufnahmen von farbigen Fischen statt, die, wie im Monatsbericht der Wissenschaft- lichen Abteilung der Agfa festgestellt wurde, “jedoch zu knapp belichtet“ waren, „da zur Schonung der Tiere nur mit einer kleinen Bogenlampe gearbeitet wurde.“223 Als die Afifa am 13. März einen Großversuch mit Agfa-Bipack unternahm, fertigte ein Kamerateam der Agfa von den gleichen Szenen Aufnahmen nach dem Pantachrom-Verfahren an224. Im April folgten weitere Versuche von Seiten der Agfa (Agfa-Modenschau) und der Ufa (Aufnahmen einer Silvesterfeier)225. Zu diesem Zeitpunkt bereitete die von Seiten der Ufa mit Pantachrom betraute Herstellungsgruppe Dr. Brauer das Projekt eines Kurzspielfilms vor, für den zunächst der Titel „Ersatz-Tenor“ und das noch recht bescheidene Budget von 35.000 Reichsmark

220 Vgl. John Eggert, Gert Heymer: Das Agfa-Pantachromverfahren. In: Veröffentlichungen des Wissenschaftlichen Zentral-Laboratoriums der Photographischen Abteilung – Agfa – Band VI. Herausgegeben von der I.G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft. Leipzig 1939. S. 63. 221 Finger: Zum Geburtstag... In: Die Filmfabrik Wolfen – Aus der Geschichte, Heft 11. S. 47. 222Finger: Zum Geburtstag... In: Die Filmfabrik Wolfen – Aus der Geschichte, Heft 11. S. 42. 223 Betriebsarchiv Wolfen, Bestand A 11442, Monatsbericht der Wissenschaftlichen Abteilung Nr. III / 1936 für die Zeit vom 1. bis 31. März 1936, S. 7. 224 Ebd. 225 Vgl. Betriebsarchiv Wolfen, Bestand A 11442, Monatsbericht der Wissenschaftlichen Abteilung Nr. IV / 1936 für die Zeit vom 1. – 30. April 1936, S. 6. 91 vorgesehen war226 (zum Vergleich: R.B. Niers Ufacolor-Ballettfilm „Karneval“ hatte 32.000 Reichsmark gekostet227). Als sich im Sommer 1936 abzeichnete, dass die Einführung des Siemens-Berthon- Opticolor-Verfahrens als deutsches Farbfilmsystem bevorstand, verzichtete der Ufa-Vorstand darauf, einen Demonstrationsfilm nach dem Pantachrom-Verfahren zu Vergleichszwecken vor der Reichsfilmkammer vorzuführen. In den Ufa-Vorstandsprotokollen wird die Entschei- dung damit begründet, dass es sich hierbei „nur um aneinandergereihte Probeaufnahmen“ gehandelt habe, „während Siemens mit dem Froehlich-Pompadour-Film ein fertiges Filmwerk zeigt, dem die Agfa-Probestücke keinesfalls gewachsen sind.“228 Gleichzeitig intensivierte man aber die gemeinsamen Vorbereitungen, dem Siemens-Berthon-Demonstrationsfilm baldmöglichst einen Pantachrom-Film entgegensetzen zu können: Dafür kam nach Einschätzung des Ufa-Vorstandes nur ein Kurzspielfilm-Projekt in Frage, inhaltlich „ein moderner Gesellschafts-Sketch [...], nachdem den bisherigen Versuchsfilmen `Karneval´ und `Pompadour´ usw. stets historische Sujets zugrunde lagen. Es ist z.ZT. das Singspiel `Das Quartett´ von Hans Reimann als Stoff für den Farben-Kurzfilm in Aussicht genommen worden, der im Kostüm spielt.“229 Über die Aufteilung der Produktionskosten zwischen Ufa und Agfa wurde mit dem Ergebnis verhandelt, dass die Ufa sich mit 30% bis zu 50.000 Reichsmark an dem Kurzspielfilm beteiligen wollte230. Der Drehbeginn, der für September 1936 festgesetzt war, wurde jedoch erst auf Mitte Oktober, dann laufend weiter verschoben. Im Monatsbericht der Wissenschaftlichen Abteilung wurde als Erklärung genannt, dass die Möglichkeit der Herstellung einer ausreichenden Kopienanzahl durch die Afifa noch nicht gegeben sei und „der Misserfolg des Siemensfilms unmittelbare Gegenmaßnahmen nicht mehr so dringend erscheinen“231 lasse. Von Seiten der Ufa reagierte man dagegen verstimmt auf die Verzögerung: In einem Schreiben an die IG Farbenindustrie vom Februar 1937 beklagte der Generaldirektor der Ufa Ludwig Klitzsch ein „sehr bedeutendes, propagandistisch, künstlerisch, technisch und finanziell in gleichem Maße bedauerliches Vakuum“ in der Zusammenarbeit mit der Agfa. „Aufgrund Ihrer zuversichtlichen Einstellung und mit Rücksicht auf die Ihnen bekannten Bemühungen um die Propagierung eines anderen deutschen Farbenfilm-Systems hielten wir

226 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1031b, Nr. 1157 vom 24. April 1936 und Nr. 1166 vom 12. Juni 1936. 227 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1031b, Nr. 1142 vom 21. Februar 1936. 228 BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1031b, Nr.1169 vom 30. Juni 1936. 229 Ebd. 230 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1031b, Nr. 1172 vom 22. Juli 1936. 231 Betriebsarchiv Wolfen, Bestand A 11442, Monatsbericht der Wissenschaftlichen Abteilung Nr. VII-VIII / 1936 für die Zeit vom 1. August bis 15. September 1936, S. 6. 92 die energische Durchführung der Versuche, die schleunigste Fertigstellung unserer Einrichtungen und die Vorführungen gelungener Ergebnisse für selbstverständlich und notwendig. Insbesondere rechneten wir damit, schon in der Produktionsplanung für das Verleihjahr 1937/38 einen oder mehrere Pantachrom-Filme berücksichtigen zu können.“232 Diese Hoffnung sollte unerfüllt bleiben, obwohl im Februar 1937 die Arbeiten nach dem Pantachrom-Verfahren bei der Ufa wieder aufgenommen wurden. Da die Testaufnahmen technisch unbefriedigend ausfielen233, musste auch das Spielfilm-Projekt vorerst zurückgestellt werden. Zu diesem Zeitpunkt waren durch Ufa und Afifa bereits 200.000 Reichsmark in Pantachrom-Tests und Fabrikationsanlagen investiert worden234. Im Juli 1936 hatte der Ufa- Vorstand den Bau eines Farbfilm-Versuchsgebäudes in Babelsberg entschieden, in dem vorrangig das Pantachrom-, gegebenenfalls aber auch andere Farbfilmverfahren erprobt werden sollten235. Das sogenannte „Farbhaus“ wurde 1937 in Betrieb genommen. Pantachrom-Tests wurden ab Mai 1938 auch im Ufa-Farbfilmatelier Dönhoffplatz durchgeführt236. Ab Oktober 1937 wurden die Arbeiten aus einem gemeinsamen Pantachrom- Konto über 200.000 Reichsmark gespeist, an dem Ufa und Agfa gleichermaßen mit 50% beteiligt waren und das für einen Vorbereitungszeitraum von 16 Monaten ausgelegt war237. Aus den Aufzeichnungen der Wissenschaftlichen Abteilung der Agfa geht hervor, dass die fortgesetzten Probeaufnahmen hinsichtlich Schwankungen der Farbsättigung höchst unterschiedlich ausfielen. Ende Juli 1937 wagte man sich an einen Kurzfilm unter dem Projekttitel „Es weihnachtet sehr“, zu dem an zwei Aufnahmetagen 600 Meter Material belichtet wurden238. Als „völlig theaterreif“239 wurde aber erst das Resultat einer Testaufnahme vom März 1938 angesehen, bei der Varietészenen mit Rahmenhandlung im Werbefilmatelier der Ufa gedreht worden waren240. Dr. Heymer berichtete Anfang Mai 1938,

232 Betriebsarchiv Wolfen, Bestand A 6134, Schreiben Herr Klitzsch, Generaldirektor Ufa, an Herrn Direktor Otto, IG Farbenindustrie, vom 9. Februar 1937, S.2. 233 Vgl. Betriebsarchiv Wolfen, Bestand A 11443, Monatsbericht der Wissenschaftlichen Abteilung Nr. I-II / 1937 für die Zeit vom 16. Januar bis 28. Februar 1937, S. 3f, und Monatsbericht Nr. IV-V / 1937 für die Zeit vom 1. April bis 15. Mai 1937, S. 4. 234 Vgl. Betriebsarchiv Wolfen, Bestand A 6134, Schreiben Herr Klitzsch, Generaldirektor Ufa, an Herrn Direktor Otto, IG Farbenindustrie, vom 9. Februar 1937, S. 1. 235 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1031b, Nr. 1173 vom 27. Juli 1936. 236 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1033 a, Nr. 1317 vom 21. Juni 1938. 237 Ebd. 238 Vgl. Betriebsarchiv Wolfen, Bestand A 11443, Monatsbericht der Wissenschaftlichen Abteilung VII-VIII / 1937 für die Zeit vom 1. Juli bis 31. August, S. 5. 239 Betriebsarchiv Wolfen, Bestand A 5633, Dr. Heymer: Bericht vom 3. Mai 1938 über den Stand der Arbeiten am Pantachromverfahren bei der Ufa (zum Besuch am 29. April 1938 in Berlin), S.1. 240 Vgl. Betriebsarchiv Wolfen, Bestand A 11443, Monatsbericht der Wissenschaftlichen Abteilung III / 1938 für die Zeit vom 1. bis 31. März 1938, S. 6. 93 dass die Ufa nunmehr täglich etwa 50 Meter nach dem Pantachrom-Verfahren aufnehmen, sowie die dreifache Menge an Kopierfilm verarbeiten würde241. Im März 1938 stellte Dr. Schmidt dem Ufa-Vorstand in Aussicht, die Erprobungsphase des Pantachrom-Verfahrens könne nunmehr abgeschlossen und zur praktischen Anwendung im Kultur- und Werbefilmbereich übergegangen werden242. In der Frage der Anwendungsbereiche des Pantachrom-Verfahrens standen auch erstmals Farbaufnahmen für die Wochenschau zur Debatte, die man aber noch für verfrüht hielt243. Im Juli genehmigte der Ufa-Vorstand die Herstellung des ersten Kulturfilms nach dem Pantachrom-Verfahren, „Bauerngymnastik“ (Hans von Passavant), von dem noch zu sprechen sein wird. Im November, als 170.000 Reichsmark aus dem Pantachrom-Konto aufgewendet worden waren, zog der Ufa-Vorstand eine positive Bilanz vom Stand der Arbeiten: „Wenn auch die Qualität des Technicolor-Verfahrens z.Zt. natürlich noch nicht erreicht ist, so berechtigt das bisher erzielte Ergebnis aber zu der Annahme, dass die noch bestehenden Schwierigkeiten überwunden werden. Die vorhandenen Einrichtungen für die Farbfilm- Negativ-Bearbeitung genügen für das nächste Jahr; die Vorrichtungen der Positiv-Bearbeitung müssen jedoch noch weiter ausgebaut werden. Es müssen deshalb weitere Mittel zur Verfügung gestellt werden. [...] Die I.G. Farben soll veranlasst werden, auch für die kommende Zeit einen weiteren Betrag in gleicher Höhe wie die Ufa zu leisten, damit die Arbeiten durchgeführt werden können, die erforderlich sind, um das Verfahren so weit zu entwickeln, dass es auch für Spielfilme verwendet werden kann. [...] Die weiteren Versuchsarbeiten sollen vorerst die Herstellung farbiger Kulturfilme zum Ziele haben.“244 So schien die Produktion an Farbfilmen nach dem Pantachrom-Verfahren in der zweiten Jahreshälfte 1938 endlich anzulaufen. Ende des Jahres erschienen in den Kinos die ersten Pantachrom-Werbefilme, z.B. die Realfilme „4711“ und „Wählen Sie!“ für Kleiderstoffe, sowie zwei Trickfilme für Bergmann-Zigaretten von Ewald von Tresckow bzw. Hans Fischerkoesen245. Im Winter 1938/39 drehte der Ufa-Kulturfilmstab Aufnahmen zu einem Filmprojekt über Thüringen, der wohl der zweite Kulturfilm nach dem Pantachrom- Verfahren geworden wäre246, und auch die biologische Kulturfilmabteilung der Ufa begann

241 Vgl. Betriebsarchiv Wolfen, Bestand A 5633, Dr. Heymer: Bericht vom 3. Mai 1938 über den Stand der Arbeiten am Pantachromverfahren bei der Ufa (zum Besuch am 29. April 1938 in Berlin), S.2. 242 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1033 a, Nr. 1295 vom 18. März 1938. 243 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1033 a, Nr. 1317 vom 21. Juni1938. 244 BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1033 b, Nr. 1343 vom 29. November 1938. 245 Ehrhard Finger zählt in seiner Filmographie nachfolgend fünf weitere Werbefilm-Titel auf, die 1938/39 zur Kinoauswertung gelangten: „Fakir-Wunder“, „Nordsee“, „BBC-Kühlschrank“, „Shell“ und „Chlorodont“. Vgl. Finger: Zum Geburtstag... In: Die Filmfabrik Wolfen – Aus der Geschichte, Heft 11. S. 58. 246 Im Pantachrom-Bericht Nr. 19 vom 16. März 1939 werden Skilaufszenen aus diesem Filmprojekt erwähnt, die die Vermutung nahelegen, dass der Pantachrom-Kulturfilm nach dem gleichen Manuskript entstand, welches 94 mit Dreharbeiten zu Tier- und Pflanzenfilmen, die Dr. Ulrich K.T. Schulz noch Ende Juni 1939 im Film-Kurier ankündigte247, als die Ufa längst von Pantachrom auf Agfacolor umgeschwenkt war. Im Ufa-Vorstandsprotokoll vom 18. April wurde im Zusammenhang mit der Einführung des Pantachrom-Verfahren der Mangel an Aufträgen für farbige Kulturfilme angesprochen. Zugleich wurde (ein letztes Mal) die Absicht geäussert, einen farbigen Kurzspielfilm nach dem Pantachrom-Verfahren herzustellen248.

VI.3 „Bauerngymnastik“

Das größte nach dem Pantachrom-Verfahren realisierte Filmprojekt (Produktionstitel: „Körperschule des Landvolks“) entstand in der Ufa-Herstellungsgruppe Dr. Nicholas Kaufmann im Auftrage des Reichsnährstands, von dessen Seite ein Betrag von 25.000 Reichsmark zu den Produktionskosten beigesteuert wurde249. Regie führte der auf Blut-und- Boden-Sujets spezialisierte Hans von Passavant, der bereits 1933 an „Blut und Boden. Grundlagen zum Neuen Reich“ (Rolf von Sonjevski-Jamrowski) und „Altgermanische Bauernkultur“ (Walter Ruttmann) beteiligt gewesen war, 1935 den Spielfilm „Die Saat geht auf“ und 1939 den Kurzfilm „Kampf um den Boden“ inszenierte. Der Film „Bauerngymnastik“ stellte die Aktivitäten der Reichssportschule des Reichsnährstandes vor, die Reichsbauernführer Richard Walther Darré 1936 in der im 14. Jahrhundert erbauten Burg Neuhaus nahe Wolfsburg gegründet hatte. Dort stand neben weltanschaulicher Indoktrination die Bewegungslehre Dr. Rudolf Bodes im Mittelpunkt eines für männliche und weibliche Jugendliche zusammengestellten Lehrplans. Dr. Bode250, der Neuhaus leitete, vertrat ein Konzept, das vollständige Körperbeherrschung durch Volkstänze, Bewegungsspiele und

auch für den nur wenig später entstandenen Agfacolor-Kulturfilm „Thüringen, grünes Herz Deutschlands“ (Carl Hartmann / 1940) benutzt wurde. Vgl. Betriebsarchiv Wolfen, Bestand A 5633, Pantachrom-Bericht Nr. 19 vom 16. März 1939, S. 2. Im Industrie- und Filmmuseum Wolfen haben sich Proben einer Positiv-Kopie erhalten, die mit großer Wahrscheinlichkeit eben diesen Aufnahmen entstammen. Die im Hartmann-Film enthaltenen Szenen sind ähnlich, aber nicht identisch. 247 Vgl. Dr. Ulrich K.T. Schulz: Aus der Geschichte des biologischen Kulturfilms. In: Film-Kurier, 28. Juni 1939. 248 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1033 b, Nr. 1363 vom 18. April 1939. 249 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1033 b, Nr. 1322 vom 20. Juli 1938. 250 Bode warb in den 20ern für die Verbindung von Bewegung und Musik und begründete zu diesem Zweck den Bode-Bund (Bund für rhythmische Leibeserziehung e.V.) in München. Dort existiert auch nach wie vor die 1911 gegründete Bode-Schule in der Nähe von Schloss Nymphenburg. 95 gymnastische Übungen aller Art herbeiführen und die bei der Feldarbeit erworbenen Haltungsschäden u. ä. ausgleichen sollte. Von der ideologischen Ausrichtung der Burg Neuhaus legt ein 1940 im Niederdeutschen Heimatkalender erschienener Artikel von Karl August Rust Zeugnis ab, der weitschweifig ausführt: „Wir wissen heute, dass alle völlig verstädterten Familien zum Tode verurteilt sind, und dass sich die Großstädte nur durch den Zustrom gesunden Blutes vom flachen Lande her zu halten vermögen. Das nationalsozialistische Deutschland weiß um den Segen des reinen Blutes und kennt die Gefahren der Entartung. [...] Überraschend und zugleich alarmierend waren [...] die Ergebnisse der ärztlichen Untersuchungen an den zum Wehrdienst ausgehobenen Jugendlichen, bei denen die Landjugend gegenüber der Stadtjugend besonders schlecht abschnitt. Bei einem besonders großen Teil der Untersuchten vom Lande wurden z.B. Fußschäden und eine starke Verkrümmung des Rückgrates

96 festgestellt. Das ist auch verständlich. Denn Bauernarbeit ist erdverbunden, schwer und derb; sie macht die Glieder schwerfällig und oft sogar verkrampft. [...] Der Mensch auf dem Lande hat [...] Kraft und Stärke genug. Bei ihm kommt es darauf an, diese in körperliche Gewandtheit, in geistige und seelische Beschwingtheit umzuwandeln. Burg Neuhaus hat eine Methode entwickelt, bei der diese Forderungen in überraschend kurzer Zeit erfüllt werden. Mit dieser Gründung will der Reichsbauernführer der deutschen Landjugend nicht eine Ablenkung bieten oder etwa `Sportskanonen´ heranbilden. Nein, Neuhaus ist deshalb gegründet, um daran mitzuarbeiten, der Landbevölkerung die Leibesübungen wieder vertraut zu machen und eine dem Landvolk artgemäße Gymnastik zu entwickeln, damit eine Landjugend herangebildet wird, die jenes alte, ewig gültige Gesetz zur immer wieder lebendig werdenden Wirklichkeit werden lässt: `Adel kommt vom Bauern her.´“251 Es darf vermutet werden, dass in Neuhaus auch rassenpolitische Ziele verfolgt wurden. Rust formuliert sie folgendermaßen: „Der Gedanke der Auslese ist dem Bauern aus der Tierzucht geläufig und selbstverständlich. Und wie steht es hiermit bei den Landmenschen? Über die Leibesübungen wollen wir auch bei uns selbst zu dieser selbstverständlichen Erkenntnis kommen. Nicht mehr Geldbeutelerwägungen sollen das Ausleseprinzip sein, sondern das vom Führer aufgestellte Idealbild der germanischen Menschen. Bei Leibes- übungen lassen sich Leistung und Schönheit verwirklichen, es zeigt sich der körperliche und seelische Wert eines Menschen. Hier kann sich gutes Blut beweisen! Hier gesundet der ganze Mensch mitsamt dem Erbgut, das er trägt. Hier binden sich gute Anlagen von Mann und Frau, und aus der Bindung guter Anlagen entsteht das rassisch hochwertige Kind. So kommen wir über Leibesübungen zur Blutspflege!“252 Im Mai 1939 erschien eine ganzseitige Variation dieses Artikels, in dem die rassenpolitischen Inhalte abgeschwächt waren, mit dem Hinweis auf „Bauerngymnastik“ im Film-Kurier, ohne dass aus selbigem ersichtlich wäre, in welchem Verhältnis der Verfasser zu der Ufa-Produktion bzw. zur Burg Neuhaus stünde253. Immerhin vermitteln Rusts Ausführung einen Eindruck von der propagandistischen Stoßrichtung des Streifens, der als verschollen gilt. Während die Werbefilme nach dem Pantachrom-Verfahren in großer Kopienzahl hergestellt wurden254, ist es unwahrscheinlich, dass „Bauerngymnastik“ eine größere Verbrei-

251 Karl August Rust: Die Harmonie von Körper, Geist und Seele. Artgemäße Leibesertüchtigung durch die Reichsschule des Reichsnährstandes Burg Neuhaus. In: Niederdeutscher Heimatkalender 1940. Hannover 1940. S. 66/67. 252 Rust. Die Harmonie von Körper, Geist und Seele. S. 68/69. 253 Vgl. Karl August Rust: Deutsche Bauernjugend auf Burg Neuhaus. Ein farbiger Kulturfilm der Ufa über sportliche Ertüchtigung in der Reichsschule des Reichsnährstandes. In: Film-Kurier, 3. Mai 1939. 254 Ehrhard Finger nennt 98 Kopien von „4711“ und 200 Kopien des Zigaretten-Werbefilms. Vgl. Finger: Zum Geburtstag... In: Die Filmfabrik Wolfen – Aus der Geschichte, Heft 11. S. 47. 97

tung erfuhr. Zwar wurde vorab vielfach über die Produktion berichtet, jedoch sind mir keine Aufführungsrezensionen bekannt geworden. Die Dreharbeiten fanden vom 18. August bis 1. September 1938 statt, und zwar im einzelnen vom 18. bis 28. August in Königsberg, sowie vom 29. August bis 1. September in Rauschen. In Königsberg nahmen 250, in Rauschen 40 Schüler der Burg Neuhaus an den Dreharbeiten teil255. Die erste Aufnahmephase in Königsberg ist vor dem Hintergrund der „Ostschau“ des Reichsnährstands zu sehen. Die Abfolge der Darbietungen, die die Gruppe aus Neuhaus präsentierte und die in dem Film sehr wahrscheinlich dokumentiert wurde, reichte von Gymnastik mit Stäben, Bällen und Eisenkugeln über Bodenturnen bis zu Nordischem Tanz und Volkstänzen. Als begleitende Musik wurden Kompositionen von Franz Schubert, Hartwig Weber und Rudolf Bode selbst gespielt256.

255 Vgl. Mitteilungen der Reichsschule des Reichsnährstandes Burg Neuhaus, Folge 1, April 1939. S. 20. 256 Ebd. 98 VI.4 Technik und Entwicklungsgeschichte des Agfacolor-Verfahrens

VI.4a Agfacolor: ein Produkt zur Lösung aller farbfotographischen Probleme

Beim Agfacolorfilm handelte es sich um ein subtraktives Mehrschichtenmaterial, dessen Besonderheit darin bestand, dass es im Gegensatz zu den Farbfilmverfahren, von denen bislang die Rede war, nicht allein für den Bereich des farbigen Kinofilms entwickelt wurde, sondern sich durch eine universale, d.h.: sowohl farbfoto- als auch -kinematographische Anwendbarkeit auszeichnete. Das ehrgeizige Ziel bestand darin, auf Grundlage ein und desselben Verfahrens sämtliche Probleme zu lösen, die der Verbreitung der farbigen Fotografie und Kinematographie bislang im Wege gestanden hatten. Zu diesem Zweck sah ein Stufenplan zunächst die Einführung eines Agfacolor-Umkehrfilms als 16-mm-Schmalfilm und für die Kleinbildfotografie vor, dem dann die Entwicklung von Negativ-/Positiv-Material im 35-mm-Format für die Kinoindustrie folgen sollte. Als letzter Entwicklungsschritt angestrebt wurde der fotografische Negativfilm und das zugehörige Papier für Farbabzüge. Die Markenbezeichnung Agfacolor ist also als Sammelbegriff für eine ganze Produktpalette zu verstehen, die, nach dem gleichen chemischen Verfahren entwickelt, ab 1936 sukzessive ihre Markteinführung erlebte. Einschränkend muss aber darauf hingewiesen werden, dass von der Markenbezeichnung bereits zuvor für gänzlich anders geartete Materialien Gebrauch gemacht worden war: Bereits 1932 wurden unter dem Namen Agfacolor das fotografische Kornrasterverfahren und der 16-mm-Linsenrasterschmalfilm der Agfa vermarktet. Um den subtraktiven Farbfilm sichtbar von den älteren Rastermaterialien abzugrenzen, erhielt er zunächst die Bezeichnung Agfacolor-Neu. Diesen Zusatz führte er aber nur bis 1938257. Angemerkt sei an dieser Stelle noch, dass bis heute, d.h.: bis zur Ablösung der analogen durch digitale Aufnahmemedien, fast alle moderne Farbfilme nach dem Prinzip des subtraktiven Mehrschichtenfilms funktionieren.

VI.4b Chromogene Entwicklung dank diffusionsechter Farbstoffe

Ausgearbeitet wurde das Verfahren durch Dr. Wilhelm Schneider und Dr. Gustav Wilmanns von der Technisch-Wissenschaftlichen Abteilung der Agfa auf Grundlage der 1911/12 erteilten Reichspatente Dr. Rudolf Fischers, der als technischer Betriebsleiter der Neuen

257 Vgl. D. Ch. Ehrhard Finger: Das Agfacolor Neu-Verfahren. In: Die Filmfabrik Wolfen – Aus der Geschichte, Heft 8. Herausgeber: Industrie- und Filmmuseum Wolfen e.V. Wolfen o. J. S. 15. 99 Photographischen Gesellschaft die Herstellung von subtraktiven Mehrschichtenfilmen mit drei für die Grundfarben Gelb, Purpur und Blaugrün empfindlichen Emulsionen vorgeschlagen hatte. Der Vereinigung dreier solcher Emulsionen auf einem Filmträger standen aber lange Zeit chemische und technische Probleme entgegen. Entscheidend für deren Überwindung war die Fixierung von sogenannten Farbkupplern: Substanzen, die selbst farblos waren, aber die chromogene (farbgebende) Entwicklung beförderten. Diese Farbkuppler mussten diffusionsfest in die jeweiligen Schichten eingelagert sein, was bedeutete, dass eine Diffusion (also ein Übertreten) von einer Einzelschicht in die benachbarte ausgeschlossen wurde. Die Suche nach solchen diffusionsechten Substanzen blieb über einen Zeitraum von zwanzig Jahren erfolglos, bis Dr. Wilhelm Schneider 1933 bei Arbeiten an eigentlich für Schwarz-Weiß-Filme gedachten Entwicklersubstanzen praktisch als Nebenresultat erfolg- reiche Versuche zur Fixierung von Farbstoffen vorweisen konnte und damit die Entwick- lungsarbeiten seiner zuvor mit Farbfotografie gar nicht befassten Abteilung initiierte. 1935 gelang den Chemikern der Technisch-Wissenschaftlichen Abteilung die Substituierung der Farbkuppler mit langkettigen Kohlenwasserstoffen und dadurch die Herbeiführung der angestrebten Diffusionsechtheit258. Zusätzlichen Ansporn zur Ausarbeitung des Verfahrens gab mutmaßlich die Markteinführung des amerikanischen Kodachrome-Verfahrens, der als subtraktiver Mehrschichtenfarbfilm auf den gleichen Grundlagen wie Agfacolor entwickelt worden war. Mit den nun forcierten Bemühungen um die subtraktive Lösung zeichnete sich die Richtungsentscheidung zuungunsten der additiven Verfahren ab, auf deren Gebiet259 die Agfa seit Ende der 20er Jahre geforscht hatte. Diese Umorientierung begründeten Schneider und Wilmanns 1937 in einer Darstellung des Agfacolor-Verfahrens wie folgt: „Alle auf dem additiven Prinzip beruhenden Farbverfahren leiden [...] an schlechter Lichtausnutzung bei Aufnahme und Wiedergabe, da schon theoretisch an jeder Stelle nur ein Drittel des einfallen- den Lichtes zur Wirkung kommen kann; der effektive Wert liegt noch ungünstiger. Infolge- dessen hat sich die Agfa bemüht, ein neues Verfahren zu entwickeln, das [...] diese Nachteile nicht zeigt; man hat sich dem subtraktiven Prozess zugewendet, da [...] ein derart farbiges

258 Vgl. Finger: Das Agfacolor Neu-Verfahren. In: Die Filmfabrik Wolfen – Aus der Geschichte, Heft 8. S. 9f. 259 genauer: auf dem Gebiet des Linsenraster- und des englischen Linienrasterfilms der Firma Dufaycolor Limited, mit der man 1935/36 in Lizenzverhandlungen stand. Vgl. Finger: Das Agfacolor Neu-Verfahren. In: Die Filmfabrik Wolfen – Aus der Geschichte, Heft 8. S. 9. 100 Bild keinerlei Lichtverluste bei der Projektion gegenüber einem schwarzweißen Silberbild aufweist.“260 Das Resultat der Entwicklungsarbeiten war ein Dreischichtenfilm, auf dessen Träger sich eine rotsensibilisierte, eine grünsensibilisierte und eine unsensibilisierte (blauempfind- liche) Emulsion befanden261, in denen die Farbkuppler blaugrüne, purpurne und gelbe Farbstoffe entwickelten. Der Gegensatz zum Kodachrome-Verfahren bestand darin, dass die Farbkuppler bereits im Material enthalten waren, während sie beim Kodachrome-Film erst während der chemischen Entwicklung hinzugegeben wurden.

VI.4c Umweg über den Umkehrfilm

Im Oktober 1935 fiel die Entscheidung, die bereits begonnene Ausarbeitung des Negativ- /Positiv-Prozesses zu unterbrechen und das Verfahren zunächst als Umkehrfilm für das 16- mm-Format und die Kleinbildfotografie auszuwerten262. Nachdem drei Monate später Versuche gelungen waren, den Mehrschichtenfilm zu gießen, kam es zu einer ersten Vorstellung des neuen Verfahrens vor der Fach- und Tagespresse263. Im Sommer 1936 konnte zu Anlass der Olympischen Spiele in Berlin mit umfangreichen Testaufnahmen im Kleinbild- und Schmalfilmformat begonnen werden. Unter der Bezeichnung Agfacolor-Neu erlebten die Farbumkehrmaterialien für Kleinbild-Fotografie und 16-mm-Schmalfilm ihre erste öffentliche Vorführung am 17. Oktober 1936 im Haus der Deutschen Presse in Berlin – keine drei Monate nach der aufsehenerregenden Pressekonferenz am 6. August 1936, in der das Siemens-Berthon- Opticolor-Verfahren zu dem deutschen Farbfilmverfahren erklärt worden war. Obwohl zu diesem Zeitpunkt lediglich Schmalfilmproben nach dem neuen, neben Siemens-Berthon- Opticolor so unkompliziert zu handhabenden Verfahren präsentiert werden konnten, stellte sich bereits die Frage nach einer Anwendung des Agfacolor-Verfahrens in der Kinoindustrie, wie sie auch Dr. John Eggert im Rahmen seiner Begleitvorträge vom 17. Oktober in Aussicht gestellt hatte264.

260 Wilhelm Schneider, Gustav Wilmanns: Agfacolor-Neu. In: Veröffentlichungen des Wissenschaftlichen Zentral-Laboratoriums der Photographischen Abteilung – Agfa – Band V. Herausgegeben von der I.G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft. Leipzig 1937. S. 29. 261 Schneider, Wilmanns: Agfacolor-Neu. In: Veröffentlichungen des Wissenschaftlichen Zentral-Laboratoriums der Photographischen Abteilung – Agfa – Band V. S. 30 262 Vgl. Finger: Das Agfacolor Neu-Verfahren. In: Die Filmfabrik Wolfen – Aus der Geschichte, Heft 8. S. 12. 263 Vgl. Koshofer, Gert: Farbfotografie. Band 2. Moderne Verfahren. München 1981. S. 38. 264 Vgl. Finger: Das Agfacolor Neu-Verfahren. In: Die Filmfabrik Wolfen – Aus der Geschichte, Heft 8. S. 16. 101 Die Markteinführung des Farbdiafilms im November 1936, dem 1938 ein Kunstlichtfilm folgte265, revolutionierte die Kleinbild-Fotografie in Deutschland und zog, nachdem die anfängliche publizistische Zurückhaltung überwunden war, auch den Durch- bruch der gedruckten farbigen Fotografie nach sich266. Bei Markteinführung kosteten 36 Aufnahmen 3,60 Reichsmark einschließlich Entwicklung267. Im Januar 1937 wurden bereits annähernd 600 belichtete Kleinbildfilme von der Phototechnischen Zentrale der Agfa in Berlin mit befriedigenden Ergebnissen entwickelt268. Der ursprünglich für Ende Oktober 1936 vorgesehene Markteinführungstermin des 16-mm-Schmalfilms verschob sich aufgrund der zu starken Körnigkeit erster entwickelter Versuchsfilme. Erst ein halbes Jahr später, im Mai 1937, konnten die Filme ausgeliefert werden269. 1938 wurde die Lichtempfindlichkeit des Materials gesteigert, 1939 folgte ein Agfacolor-Schmalfilm im 8-mm-Format. Währenddessen waren in den Agfa-Laboratorium die Arbeiten am Negativ-/Positiv- Prozess bereits im Mai 1936 wieder aufgenommen worden270.

VI.5 Interesse der Ufa am Agfacolor-Verfahren

Dass die aufsehenerregende Vorstellung des Agfacolor-Neu-Schmal- und Umkehrfilms eine Signalwirkung auf die Kinoindustrie hatte, obwohl diese Materialien zur Herstellung von Kinofilmen nicht genutzt werden konnten, lässt sich am Vorstandsprotokoll der Ufa vom 20.

265 Negativfilme und zugehöriges Fotopapier konnten im Oktober 1942 auf der Fachtagung „Film und Farbe“ in Dresden vorgestellt werden. Ihre Markteinführung verzögerte sich jedoch bis in die Nachkriegszeit. 266 Im Gegensatz zu den 1910er und 20er Jahren, in denen es eine durchaus rege Publikationstätigkeit im farbfotographischen Bereich gegeben hatte (beispielsweise die aufwendigen Bildermappen mit statischen Landschafts- und Städteaufnahmen, die im Verlag Carl Weller, Berlin, erschienen), waren gedruckte Farbfotos in der ersten Hälfte der 30er die Ausnahme. 1937-39 machten dann vor allem vier Einführungswerke in die Farbfotografie den Anfang (und lösten eine ganze Lawine an Ratgeber-Literatur zum Thema aus): „Das farbige Leica-Buch“ von Anton F. Baumann, München 1937, und „Foto in Farben“, herausgegeben von Hans A. Kluge, Zwickau 1938, die beide Farbdrucke nach dem Kodachrome-Verfahren präsentierten, „Agfacolor, das farbige Lichtbild“, herausgegeben von Eduard von Pagenhardt, München 1938, und Hans Windisch: „Schule der Farbenfotografie“, Harzburg 1939. Anfang der 40er Jahre erschienen auch propagandistische Farbfoto- Bildbände wie zum Beispiel „Nach den glücklichen Inseln“ von Karl Busch, Berlin 1940, über KdF-Reisen, das Industrie-Buch „Im Kraftfeld von Rüsselsheim“ von Heinrich Hauser, München 1940, oder das von Paul Friedrich Höhne herausgegebene „Unsere Wehrmacht im Kriege – Farbaufnahmen der Propagandakompanien“, Berlin 1941. Agfacolor bewirkte einen regelrechten Boom der Farbfoto-Bildbände, der bis etwa 1943 anhielt. Zu Agfacolor-Bildband-Publikationen siehe: Koshofer. Farbfotografie. Band 2. S. 43, 46f. Auch die überlieferten Bildarchive der beiden bekanntesten Farbfoto-Chronisten des Dritten Reiches, Hugo Jäger (ab 1937) und Walter Frentz (ab 1939), entstanden auf Agfacolor-Umkehr- bzw. (ab 1942 zumindest im Falle von Frentz) auf Agfacolor-Negativfilm. Zu Frentz siehe: Das Auge des Dritten Reiches. Hitlers Kameramann und Fotograf Walter Frentz. Herausgegeben von Hans Georg Hiller von Gaertringen. Berlin 2006. 267 Gert Koshofer nennt als Vergleich den Preis für eine Kodachrome-Patrone mit 18 Aufnahmen, die 6,50 Reichsmark kosteten. Vgl. Koshofer. Farbfotografie. Band 2. S. 41. 268 Vgl. Finger: Das Agfacolor Neu-Verfahren. In: Die Filmfabrik Wolfen – Aus der Geschichte, Heft 8. S. 16. 269 Ebd. 270 Ebd. 102 Oktober 1936 ablesen: „Dieses neue Agfa-Verfahren hat mit dem Pantachrom-Verfahren der Agfa nichts zu tun. [...] Die sehr einfache Entwicklung des Aufnahmefilms liefert unmittelbar und ohne Vorsatzlinsen ein fertiges Bild. Die Aufnahme erfolgt mit Normal-Kamera und Normal-Belichtung. Das neue Verfahren ist hinsichtlich Farbwiedergabe, Schärfe und Gleichmäßigkeit dem Pantachrom-Verfahren überlegen. Die Kopienherstellung ist noch nicht befriedigend gelöst; es besteht aber hierfür gute Aussicht. [...] Die von der Ufa vorgesehenen Farbfilmbauten in Babelsberg brauchten bei Einführung des Agfa-Color-Systems keine Änderung zu erfahren.“271 – Die Nachricht von der öffentlichen Vorführung des neuen Verfahrens weckte aber nicht nur Hoffnungen, sondern war auch Anlass zu Irritationen auf Seiten der Ufa, der die Agfa-Arbeiten am Mehrschichtenfarbmaterial bislang unbekannt gewesen waren. In der Annahme, das Pantachrom-Verfahren sei damit hinfällig, wurde der Beschluss getroffen, die Umstellung der Aufnahmeapparate und die Einrichtung von Kopiermaschinen, sowie die laufenden Filmvorbereitungen einstweilig zurückzustellen, bis eine Vergleichsvorführung zwischen Pantachrom- und Agfacolor-Aufnahmen stattfinden konnte: „Über die praktische Mitarbeit der Ufa an dem neuen Verfahren soll umgehend mit der Agfa eine Vereinbarung getroffen werden; die Agfa soll uns in den Stand setzen, mit Schmalfilmaufnahmen zu Studienzwecken nach dem neuen Verfahren sofort zu beginnen.“272 Bei einem Besuch von Prof. Eggert und Dr. Heymer in Neubabelsberg im Januar 1937 wurde ihnen gegenüber die Unzufriedenheit der Ufa-Verantwortlichen über den Stand des Pantachrom-Verfahrens und den Verlauf der Zusammenarbeit zum Ausdruck gebracht. Dr. Heymer erkannte den Anlass hierfür in dem von der Ufa gezogenen Schluss, „dass wir nämlich beabsichtigten, das Pantachromverfahren zu verlassen zugunsten des Agfacolor-Neu. [...] Nachdem wir erkannt hatten, wo der Grund für die offensichtliche Verstimmung zu suchen war, blieb nichts anderes übrig als die Gründe für die Verzögerung der Arbeiten am Pantachromverfahren offen darzulegen und ebenfalls erneut zu betonen, dass der Termin für das Erscheinen eines Negativ-Positiv-Verfahrens mit Agfacolor Neu noch in keiner Weise festgelegt werden kann.“273 Nach der Klärung dieses Sachverhaltes konzentrierte man sich bei der Ufa zunächst auf die praktische Anwendung des Pantachrom-Verfahrens, während in Wolfen die Weiterentwicklung beider Verfahren parallel vorangetrieben wurde. Angesichts innerhalb kürzerer Zeit erzielter Fortschritte bei der Ausarbeitung des Agfacolor-Negativ-Positiv-

271 BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1031b, Nr.1190 vom 20. Oktober 1936. 272 Ebd. 273 Betriebsarchiv Wolfen, Bestand A 5633, Dr. Heymer: Bericht vom 19. Januar 1937 über einen Besuch bei der Ufa in Neubabelsberg am 13. Januar 1937, S. 1/2. 103 Prozesses stellte sich aber tatsächlich immer drängender die Frage, ob nicht das komplizier- tere Kombinationsverfahren Pantachrom aufgegeben und alle Kräfte stattdessen auf das Agfacolor-Verfahren konzentriert werden sollten.

VI.6 Praktische Erprobung

Ein erster Versuchsfilm mit Spielhandlung im 35-mm-Format wurde durch den Ufa- Kameramann Alexander von Lagorio im Sommer 1937 auf Agfacolor-Umkehrfilm hergestellt274. Zur gleichen Zeit nahm Kurt Skalden Aufnahmen für ein Reichsautobahn- Filmprojekt275 vor, für das testweise sowohl Pantachrom- als auch Agfacolor-35-mm-Material herangezogen werden sollte276. Für seine Versuche sollten Skalden, der bereits 1933 Erfahrungen mit dem Linsenraster-16-mm-Schmalfilm der Agfa gesammelt hatte277, 1000 Meter Agfacolor-Film zur Verfügung gestellt werden. Einwände dagegen erhoben aber die Agfa-Direktoren Otto und Uhl, die bei minderwertigen Resultaten Skaldens auch eine schlechte Bewertung ihrer noch nicht praxisreifen Farbfilmverfahren befürchteten. Dr. Miller von der Filmfabrik Wolfen sprach sich dagegen für die Versuchsaufnahmen durch Skalden aus, indem er zu bedenken gab, das Resultat der Aufnahmen könne „eventuell als erster Versuch eines farbigen Kinefilms nach unserem Agfacolor-Neu-Verfahren für späterhin gewisse historische Bedeutung erlangen.“278 Die Befürchtungen hatten allerdings größeres Gewicht, so dass das Projekt (wenigstens farbig) nicht zustande kam279. Ein großes Versuchsfilmprojekt mit Agfacolor-Negativmaterial wurde erst 1938 initiiert: Im Spätsommer begannen unter der Regie von Carl Hoffmann die Dreharbeiten zu dem Kurzspielfilm „Ein Lied verklingt“. Über diesen halbstündigen Film, in dessen Hauptrol- len Irene von Meyendorff, Gustav Waldau und Otto Wernicke zu sehen waren, ist nur wenig bekannt. Die Uraufführung fand als geschlossene Veranstaltung am 18. April 1939 im Berliner Capitol statt. Am gleichen Tag noch fand der Film ein kritisches Echo in der Ufa- Vorstandssitzung, bei der die Farbwiedergabe als „bestenfalls“ mit dem „Stande des

274 Überliefert ist lediglich der Titel „Die Postkutsche“. 275 nicht eruiert. 276 Vgl. Betriebsarchiv Wolfen, Bestand A 6133, telefonische Mitteilung von Herrn Dir. Uhl, Berlin SO 36, vom 6. Juli 1937. 277 Vgl. Kurt Skalden stellt sich vor. In: Film-Kurier, 19. August 1933. 278 Betriebsarchiv Wolfen, Bestand A 6133, Schreiben Dr. Miller an Direktor Uhl vom 7. Juli 1937. 279 Vgl. Betriebsarchiv Wolfen, Bestand A 6133, Schreiben Dr. Miller an Direktor Uhl vom 7. Juli 1937, Mitteilung von Dr. Mertelsmann an Direktor Uhl vom 21. Juli 1937. 104 Technicolor-Verfahrens von vor 10 Jahren“280 vergleichbar angesprochen wurde. Diese im Grunde vernichtende Bewertung der Farbqualität mag auch auf den Unmut darüber zurückzuführen sein, dass die Agfa die Arbeiten an dem Versuchsfilm weitgehend eigenmächtig und ohne Beteiligung der Ufa hatte durchführen lassen. Nichtsdestotrotz, so hielt man fest, böte das Agfacolor-Verfahren „eine brauchbare Basis“, auf der „nunmehr beschleunigt praktische Versuche“ erfolgen sollten281. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass die Kapazitäten der Ufa nicht für Testaufnahmen nach beiden Farbfilmverfahren, Pantachrom und Agfacolor, ausreiche. Scheint zu diesem Zeitpunkt noch Unsicherheit bestanden zu haben, welchem Verfahren der Vorzug zu geben war, so herrschte zwei Wochen später Klarheit: Am 5. Mai 1939 beschloss der Ufa-Vorstand die Herstellung eines Kurzfilms und, was entschei- dender war, die Vorbereitung eines abendfüllenden Farbspielfilms nach dem Agfacolor- Verfahren282. Wann genau und auf welcher Grundlage die Entscheidung für Agfacolor und gegen Pantachrom getroffen wurde, lässt sich nicht exakt rekonstruieren. Einem überschwänglichen Schreiben der Agfa-Direktoren Otto und Uhl an die Direktion der Ufa vom 25. Mai ist zu entnehmen, dass die Einführung von Agfacolor in die deutsche Filmindustrie unter dem Eindruck der Vorführung des Hoffmann-Films am 18. April beschlossen worden sei283; das zu dieser Auffassung im Widerspruch stehende zitierte Ufa- Vorstandsprotokoll legt eher den Schluss nahe, dass bei der Entscheidung für das Agfacolor- Verfahren die im Vergleich zu Pantachrom einfachere Handhabung des Dreischichten- Materials ausschlaggebend war. Von einer Kinoauswertung des Kurzspielfilm „Ein Lied verklingt“ wurde jedenfalls abgesehen.

VI.7 Ufa-Farbfilm-Offensive im Sommer 1939

VI.7a Maßnahmen und Filmvorhaben

Nachdem die Entscheidung zugunsten des Agfacolor-Verfahrens gefallen war, ging man bei der Ufa mit großer Eile zur praktischen Anwendung über. Eine wichtige Voraussetzung dafür war die Tatsache, dass die Afifa ab Mitte Juni 1939 in den Stand gesetzt war, sowohl die Entwicklung des Agfacolor-Negativfilms als auch die Kopienherstellung vornehmen zu

280 BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1033c, Nr. 1363 vom 18. April 1939. 281 Ebd. 282 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1033c, Nr. 1365 vom 5. Mai 1939. 283 Vgl. Betriebsarchiv Wolfen, Bestand A 5633, Schreiben der Direktoren Otto und Uhl der I.G. Farben an die Direktion der Ufa vom 25. Mai 1939. 105 können284. Von ebenso großer Bedeutung war die Frage der Rohfilmversorgung durch die Agfa: Im Juli vereinbarte die Ufa mit dem Generalvertrieb für Agfa-Filmmaterialien, der Walter Strehle GmbH, eine wöchentliche Lieferung von 10.000 Meter Agfacolor-Negativ- und 20.000 Metern Agfacolor-Positivfilm285 zum Preis von 1,50 Reichsmark pro Meter Negativfilm und 0,80 Reichsmark pro Meter Positivfilm286. Im August wurden der Walter Strehle GmbH für den Zeitraum von Anfang September des laufenden bis Ende Oktober des kommenden Jahres ein Gesamtbedarf der Ufa von 340.000 Meter Agfacolor-Negativ- und ca. 3.000.000 Meter Agfacolor-Positivfilm für Spielfilm- als auch Kultur- und Werbefilmvor- haben in Aussicht gestellt287. Gleichzeitig stattete die Ufa ihre Kultur- und Werbefilmabtei- lung mit Zubehör für Aufnahmen nach dem Agfacolor-Verfahren aus, vor allem Stufenlinsen- lampen. Die Kosten betrugen für die Kulturfilmabteilung 48.600, für die Werbefilmabteilung 15.000 Reichsmark288. Einer der ersten praktischen Schritte bestand in der Anordnung durch den Ufa- Vorstand, kurzerhand den Schluss des im Dreh befindlichen Spielfilms „Kadetten“ (Karl Ritter) in Agfacolor, statt wie geplant schwarz-weiß herzustellen. Als erstes Spielfilm- Großprojekt nach dem Agfacolor-Verfahren wurde der geplante Kostüm- und Revuefilm „Frauen sind doch bessere Diplomaten“ ins Auge gefasst, der besonders für die Erstanwen- dung des Farbfilmverfahrens geeignet schien. Um das Risiko eines Komplettfehlschlags zu minimieren, wurde zunächst beschlossen, den Film zugleich nach dem Agfacolor-Verfahren und schwarz-weiß zu drehen; die Mehrkosten wurden mit 200.000 Reichsmark veranschlagt. Dem Regisseur sollte „wegen der richtigen Farbwirkung [...] auf alle Fälle ein Maler bei der Herstellung“289 zur Seite gestellt werden. Daneben wurden die Kultur- und die Werbefilmabteilung angehalten, unverzüglich mit Dreharbeiten auf Agfacolor-Material zu beginnen290. Ein erster Kulturfilm nach dem Agfacolor-Verfahren sollte vom Wartburgfest im Juni 1939 angefertigt werden291. Im Vorstandsprotokoll der Ufa vom 12. Juli ist ausserdem die Absicht formuliert, das große kulturpolitische Ereignis des Sommers, den Festzug zum Tag der Deutschen Kunst 1939, mit rund 1000 Meter Agfacolor-Material zu dokumentieren – allerdings mit dem Zusatz, dass

284 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1033 c, Nr. 1370 vom 8. Juni 1939. 285 Vgl. Betriebsarchiv Wolfen, Bestand A 5633, Schreiben der Walter Strehle GmbH an die I.G. Farbenindustrie betreffs Lieferung von Agfacolor-Film vom 22. Juli 1939. 286 Vgl. Betriebsarchiv Wolfen, Bestand A 5633, Aktennotiz vom 5. Juni 1939 über die Besprechung in der Filmfabrik am 2. Juni 1939, S. 2. 287 Vgl. Betriebsarchiv Wolfen, Bestand A 5633, Schreiben der Walter Strehle GmbH an die I.G. Farbenindustrie betreffs Verkaufsmöglichkeiten von Agfacolor-Rohfilm vom 10. August 1939. 288 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1033 c, Nr. 1380 vom 8. August 1939. 289 BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1033 c, Nr. 1370 vom 8. Juni 1939. 290 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, Nr. 1369 vom 1. Juni 1939. 291 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1033 c, Nr. 1370 vom 8. Juni 1939. 106 „eine Ausnutzung dieser Aufnahmen als Beiprogrammfilm [...] deswegen noch nicht möglich“ sei, „weil die erforderliche Menge Positivfilm von der Agfa noch nicht geliefert werden kann.“292 Mitte Juli wurden bereits vier farbige Kulturfilme für das Programm 1939/40 in Aussicht gestellt, im einzelnen: „Grünes Herz“ (Projekttitel für den Landschafts- film „Thüringen, das grüne Herz Deutschlands“), „Ur und Rind“, „Menschenaffen im Zoo München“293 und ein noch unbetitelter biologischer Kulturfilm, bei dem es sich vermutlich um „Bunte Kriechtierwelt“ (Wolfram Junghans / 1940) gehandelt haben dürfte294. Die Vorstandsprotokolle legen Zeugnis von einer fieberhaften Eile ab, mit der die Farbfilm-Aktivitäten der Ufa in den Monaten Juni bis August 1939 vorangetrieben wurden. Hinter den zahlreichen genannten Projekten, von denen schlussendlich nur ein Teil realisiert bzw. in den Kinos ausgewertet wurde, ist die Absicht klar zu erkennbar, nun endlich und ohne weiteren Zeitverlust eine umfangreiche deutsche Farbfilm-Produktion in Gang zu setzen. Tatsächlich stand die Ufa unter einem ganz konkreten Zeit- und Erfolgsdruck: Zwar hatte sie sich das Agfacolor-Verfahren vorerst gesichert, doch nur in Form einer einjährigen Karenzzeit, nach deren Ablauf das Verfahren auch anderen deutschen (und ausländischen) Filmproduzenten zur Verfügung stehen würde. Vereinbart war ein Saisonvorsprung bis zum 1. August 1940, und es ist naheliegend, dass die Direktion der Ufa die Absicht hatte, das Verfahren bis zum Ablauf der Frist in möglichst großem Umfang auszuwerten.

VI.7b „Kadetten“

Dass dabei teilweise überstürzt gehandelt wurde, belegt das gescheiterte Vorhaben, dem deutschen Publikum das Agfacolor-Verfahren erstmals in Form einer farbigen Schlussszene des Preußenfilms „Kadetten“ präsentieren zu wollen. „Kadetten“ war einer der Großfilme der Saison 1939/40 und sollte seine Uraufführung in festlichem Rahmen auf dem Reichsparteitag in Nürnberg erhalten, wo etwa 100 der mitwirkenden Jugendlichen, ausnahmslos Schüler der Nationalpolitischen Erziehungsanstalt Potsdam, „in der Uniform des Films unter Vorantritt einer Musikkapelle in friderizianischer Tracht in Nürnberg aufmarschieren“295 sollten. Regie führte der auf militaristische Sujets spezialisierte Routinier Karl Ritter, der zuvor neben

292 BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1033 c, Nr. 1377 vom 12. Juli 1939. 293 Von den Filmen „Ur und Rind“ und „Menschenaffen im Zoo München“ fehlt jeder weitere Hinweis. Es ist in der Folgezeit kein farbiger Kulturfilm erschienen, der einem dieser Titel zugeordnet werden könnte, so dass vermutet werden kann, dass die so bezeichneten Projekte nicht verwirklicht wurden. 294 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1033 c, Nr. 1377 vom 12. Juli 1939. 295 BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1033 c, Nr. 1381 vom 15. August 18939. 107 zahlreichen anderen Titeln den Spionagefilm „Verräter“ (1936), die Weltkriegsfilme „Patrioten“ (1937), „Unternehmen Michael“ (1937), „Urlaub auf Ehrenwort“ (1937) und den Fliegerfilm „Pour le mérite“ (1938) inszeniert hatte. „Kadetten“ sollte, so schilderte Ritter dem Film-Kurier, „mein Pimpfenfilm“ werden, „von dem ich immer gesprochen habe. Ich bin nun auf dem Umweg über Friedrich den Großen zu ihm gekommen. Im Grunde ist das gleichgültig. Jungen sind damals nicht anders gewesen als heute. [...] Ich will es – mit Jungen von heute – den Jungen von heute zeigen, und sie sollen vor der Leinwand sitzen und das Gefühl haben: die sind genauso wie wir. Der Film soll zeigen, wie ein Pimpf zu sein hat.“296 Das von Karl Ritter und seinem bewährten Mitarbeiter Felix Lützkendorf verfasste Drehbuch bediente sich der angeblich authentischen Geschichte aus Siebenjährigen Krieg von „zweihundert kleinen Kadetten [...], die bei der Besetzung durch die Russen verschleppt wurden und dabei Unsagbares erdulden mussten. Es waren nur die neun- bis elfjährigen aus dem Kadettenkorps, die den Russen in die Hände fielen und, entgegen allen Gesetzen des Völkerrechts und der Menschlichkeit, als Kriegsgefangene mitgenommen wurden. Ein Jahr lang zogen sie mit dem russischen Korps durch West- und Ostpreußen, hilflose Kinder, denen man zumutete, sich zu guter letzt von den russischen Offizieren adoptieren zu lassen.“297 Neben einer überflüssigen Frauenrolle fügte Ritter in der Gestalt des zunächst in russische Dienste übergelaufenen Rittmeisters von Tzülow (Matthias Wieman) eine Heldenfigur hinzu, die sich rechtzeitig auf ihre Tugenden zurückbesinnt, den Kindern die Flucht ermöglicht und schließlich das eigene Leben für ihre Rettung opfert. Neben der klar antirussischen Stoßrichtung des Films, der die Kosaken als trunk- und feiersüchtige Soldateska von unberechenbarer Brutalität zeichnet, steht die Verherrlichung der preußischen Erziehung im Vordergrund, die zu brechen sich die Russen als erklärtes Ziel gesetzt haben. Der Versuch scheitert natürlich: stattdessen bewähren sich die Kadetten in einem Schluss- kampf auf Leben und Tod gegen die erdrückende Übermacht der russischen Truppen. Aufgrund seiner politischen Tendenz erschien der fertiggestellte Film nach Abschluss des Hitler-Stalin-Pakts nicht mehr opportun und verschwand über zwei Jahre im Archiv, bis er im Dezember 1941 schließlich uraufgeführt wurden konnte. Dies war freilich im Frühsommer 1939 noch nicht absehbar, und so begrüßten die Agfa-Direktoren Otto und Uhl die Entscheidung, „Kadetten“ mit einer Farbszene zu veredeln, ausdrücklich in ihrem Schreiben an die Ufa, in dem sie ihren Dank aussprachen „für die rasche Aufnahme des Verfahrens in einer Form, die uns ganz besonders glücklich zu sein scheint. Inzwischen haben

296 Kadetten / Ausschnitt aus dem neuen Karl Ritter-Film. In: Film-Kurier, 22. März 1939. 297 Ritters nächster Ufa-Film „Kadetten“ / Unterhaltung mit Felix Lützkendorf. In: Film-Kurier, 25. Februar 1939. 108 wir Ihnen die ersten Lieferungen in Agfacolor-Film gemacht, und wir zweifeln nicht daran, dass die Ergebnisse, die Sie erzielen werden, Ihren wie unseren Wünschen voll und ganz entsprechen.“298 Das Gegenteil sollte der Fall sein: Bei Vorführung einer Rohkopie der im Mai abgedrehten Farbszenen erwiesen sich diese als qualitativ unbefriedigend299. Am 2. August entschied der Ufa-Vorstand, anstelle der farbigen die schwarz-weiße Drehfassung zu verwenden300. Auch bei der Agfa räumte man ein, dass „das bisherige Ergebnis der in der Ritter-Produktion der Ufa nach dem Agfacolor-Verfahren hergestellten Szenen [...] leider sehr viel zu wünschen übrig“301 ließ. Den Grund für das enttäuschende Resultat machte man in dem Versuch aus, „Szenen, die in jeder Beziehung auf Schwarzweiß-Photographie eingestellt sind, farbig zu drehen, zumal, wenn ausserdem noch durch das Drehbuch bedingt, besonders ungünstige Lichtverhältnisse hinzukommen.“302 Zu vermuten ist, dass die Aufnahmen durch den „Kadetten“-Kameramann Günther Anders ausgeführt worden waren; der Wunsch- Kandidat der Wolfener Farbfilm-Spezialisten, Alexander von Lagorio, war nicht an den Dreharbeiten beteiligt worden. Welche Szenen farbig gedreht wurden und wie oft die Aufnahmen mit negativem Ergebnis wiederholt wurden, kann nicht genau beantwortet werden. Die tatsächliche Schlussszene des Films, eine Parade der Kadetten in strahlendem Sonnenschein, scheint jedenfalls perfekt für das in der Aufnahmeempfindlichkeit noch beschränkte Agfacolor- Verfahren geeignet gewesen zu sein. Wahrscheinlicher ist, dass daneben aber auch ein Teil der vorhergehenden Schlachtszene mit Agfacolor-Material gedreht wurde, in der Qualm und Pulverdampf eine einwandfreie Aufnahme erschwert haben dürften.

VI.7c „Frauen sind doch bessere Diplomaten“

Massivere Komplikationen ergaben sich noch bei der Produktion des Revuefilms „Frauen sind doch bessere Diplomaten“, mit dessen Dreharbeiten am 26. Juli 1939 begonnen wurde. Zu diesem Zeitpunkt wurden die Kosten bei einem 51 Tage umfassenden Drehplan auf 1.455.000 Reichsmark geschätzt. Als Vergleichswert wurde angegeben, dass man bei

298 Betriebsarchiv Wolfen, Bestand A 5633, Schreiben der Direktoren Otto und Uhl der I.G. Farben an die Direktion der Ufa vom 25. Mai 1939. 299 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1033 c, Nr. 1376 vom 4. Juli 1939. 300 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1033 c, Nr. 1379 vom 2. August 1939. 301 Betriebsarchiv Wolfen, Bestand A 5633, Aktennotiz vom 5. Juni 1939 über die Besprechung in der Filmfabrik am 2. Juni 1939. 302 Ebd. 109 schwarz-weißer Umsetzung des gleichen Drehbuchs von nur 850.000 Reichsmark Produktionskosten ausgegangen wäre303. Am 20. Oktober waren statt der vorgesehenen 51 bereits 66 Drehtage für den Film notwendig gewesen, 14 weitere wurden noch bis zur Beendigung der Arbeiten in Aussicht gestellt. Die dadurch verursachte Kostenerhöhung wurde auf etwa 50.000 Reichsmark geschätzt304. Anfang November, zwei Wochen später, mussten abermals 14 weitere Drehtage bis zur Fertigstellung angesetzt werden. Nun war von einer Kostenerhöhung von 150.000 bis 200.000 Reichsmark gegenüber der ursprünglichen Kalkulation die Rede. Auch wurde eingeräumt, dass eine Fertigstellung vor Dezember nicht möglich sein würde305. Am 30. November beschloss der Ufa-Vorstand wegen der nötigen Drehverlängerung eine Gagenerhöhung für Regisseur Georg Jacoby um 10.000 und Hauptdarstellerin Marika Rökk um 15.000 Reichsmark306. Ein Indiz dafür, dass man davon ausgegangen war, die im August kalkulierte Drehzeit nicht wesentlich zu überschreiten, ist die bereits im Sommer 1939 angelaufene Werbekam- pagne für den Film. So berichtete am 30. August der Film-Kurier mit einer ausführlichen Handlungsangabe, allerdings ohne Hinweis darauf, dass „Frauen sind doch bessere Diploma- ten“ in Farbe hergestellt würde307. Von Seiten der Filmfabrik in Wolfen vermutete man, der Einsatz von Agfacolor sei von der Ufa als „große Überraschung“308 gedacht. Zwar gelang es, den Film bis Jahresende 1939 abzudrehen, doch war das Ergebnis so unbefriedigend, dass umfangreiche Nachaufnahmen notwendig wurden, mit denen man im Juli 1940 begann. Dadurch wurde eine erneute Aufwendung von 450.000 bis 475.000 Reichsmark erforderlich309. Von einer schnellen Beendigung der Arbeiten konnte aber auch im Sommer 1940 keine Rede sein: Zum einen zogen technische Schwierigkeiten weitere Verzögerungen nach sich, fehlerhafte Emulsionen verursachten bei der Entwicklung eine Schlierenbildung310 und schadhafter, weil zulange gelagerter Rohfilm wies kleine blaue Flecken311 auf. Zum anderen entstanden die Nachaufnahmen vom Sommer 1940 auf einem Material, das eine höhere Empfindlichkeit als das im Vorjahr verwendete aufwies: Als

303 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1033 c, Nr. 1379 vom 2. August 1939. 304 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1033 c, Nr. 1390 vom 20. Oktober 1939. 305 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1033 c, Nr. 1392 vom 1. November 1939. 306 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1033 c, Nr. 1395 vom 30. November 1939. 307 Exekutionsarmee gegen Roulette! Die einzige Homburger Spielbank im Ufa-Film „Frauen sind doch bessere Diplomaten“. In: Film-Kurier, 30. August 1939. 308 Betriebsarchiv Wolfen, Bestand A 5633, Schreiben von Gajewski an Prof. Krauch vom 10. Januar 1940. 309 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1034 a, Nr. 1420 vom 11. Juli 1940. 310 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1034 a, Nr. 1422 vom 31. Juli 1940. 311 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1034 a, Nr. 1427 vom 25. September 1940. 110 Resultat zeigten die neuen Aufnahmen eine andere Farbgebung, so dass sie sich nicht ohne weiteres mit den alten zusammenschneiden ließen312.

VI.7d „Aus der Welt der Farben“, „Bunte Kriechtierwelt“

Zwar gelten die jeweils knapp 13-minütigen Streifen „Bunte Kriechtierwelt“ und „Thüringen, grünes Herz Deutschlands“ als die ersten Erzeugnisse der Ufa-Kulturfilmabteilung nach dem Agfacolor-Verfahren, doch sollte der Vollständigkeit halber auf einen früheren Film verwiesen werden, der allerdings (ähnlich wie der Kurzspielfilm „Ein Lied verklingt“) nur in geschlossenen Veranstaltungen gezeigt wurde: „Aus der Welt der Farben“ (Kurt Stefan / 1939). Als „ein Beitrag zur Berufserziehung und zur Fortbildung im graphischen Gewerbe“ entstand dieser teils schwarz-weiße, aber überwiegend farbige Kulturfilm im Sommer 1939 in Zusammenarbeit der Ufa mit den Druckfarbenwerken Springer & Möller und zeigte „neben einer wissenschaftlich-technischen Erfassung der Materie zahlreiche farbige Aufnahmen aus dem Schaffen des Chemikers und des Facharbeiters. [...] Die Quelle der natürlichen Farbstoff- gewinnung wird vermittelt, und Trickaufnahmen zeigen den weiten Weg von den in der Steinkohle aufgespeicherten Sonnenenergien bis zu den zahlreichen bunten Farbstoffen, die wir heute verwenden.“313 „Aus der Welt der Farben“ wurde als Lehrfilm im Graphischen Gewerbe eingesetzt, aber nicht im Beiprogramm ausgewertet. Erwähnung verdient der Film auch als eine frühe farbige Kameraarbeit Hans Bastaniers, der 1942 als PK-Berichterstatter314 den Krieg in Russland mit Agfacolor dokumentieren sollte. Größere Bekanntheit als „Aus der Welt der Farben“ erreichten die beiden obengenan- nten Titel: „Bunte Kriechtierwelt“, unter dem Projekttitel „Bunte Lurche und Kriechtiere“315 mit einem Budget von 19.000 Reichsmark hergestellt316, enthielt größtenteils statische Aufnahmen diverser Frosch-, Kröten-, Eidechsen- und Schlangenarten mit besonders gelun- genen Szenen von der Eiablage und dem Schlüpfen der Jungtiere. Erwähnenswert ist der im Vergleich mit anderen Tierfilmen der Ufa weitgehend sachliche Sprecherkommentar. Geschickt kaschiert wurde die Tatsache, dass der Film innerhalb von 70 Tagen zum überwie-

312 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1034 a, Nr. 1422 vom 31. Juli 1940. 313 Aus der Welt der Farben / Ein Farbfilm über die Herstellung von Druckfarben. In: Film-Kurier, 31. August 1939. 314 PK: Propaganda-Kompanie. 315 Der Film wurde auch bekannt unter den Alternativtiteln „Bunte Lurch- und Kriechtierwelt“ und „Kaltblütige Sippschaft“. 316 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1033 c, Nr. 1378 vom 25. Juli 1939. 111 genden Teil im Studio entstand, wo mit 35.000 Watt Lampenlicht ein Terrarium von 1½ m² Größe ausgeleuchtet wurde. Regisseur Wolfram Junghans berichtete dem Film-Kurier auf anschauliche Weise von den durch die geringe Lichtempfindlichkeit des Agfacolor-Materials erschwerten Aufnahmebedingungen: „`Die erste große Schwierigkeit lag darin, [...] sowohl die Menschen als auch die Tiere an die barbarische Hitze der Lampen im Atelier zu gewöhnen.´ [...] Kaum waren sie (die Lampen; Anmerkung D. A.) eingeschaltet, begann auch schon die Erde des kleinen Landschaftsausschnittes so zu rauchen, dass es unmöglich war, auch nur eine Sekunde ein Tier daraufzusetzen. So ging es also nicht. Licht wieder aus. [...] Der ersten missglückten Aufnahme folgten wochenlange Versuche. Immer und immer wieder wurde mit Thermometern und Wassercuvetten herumjongliert. Immer und immer wieder wurde das Licht gemessen. Endlich gelang es Erichhans Foerster (Kamera; Anmerkung D. A.), bei Glühlampen erfolgreich zu arbeiten, deren Licht jedoch, sowohl der Wärme als auch der Farbe wegen, noch gefiltert werden musste. Trotzdem konnte man den Tieren das Licht nur ganz kurze Zeit zumuten, `sonst hat eben ganz einfach meine Eidechse gestreikt!´“317

VI.7e „Thüringen, das grüne Herz Deutschlands“

Der erste Landschaftsfilm nach dem Agfacolor-Verfahren unterscheidet sich von dem Großteil der späteren durch seinen touristischen Werbeauftrag, der ihn als Projekt der Vorkriegsmonate ausweist: Es kann gemutmaßt werden, dass annähernd der komplette Film (ausgenommen die Wintersport-Szene) im Sommer 1939 abgedreht wurde. Als roter Faden durch die rasche Abfolge diverser Stadt- und Landschaftsbilder verwendet Regisseur Carl Hartmann eine Touristengruppe, die im Mercedes Benz-Reisebus auf ihrem Weg durch Thüringen ist. Im einzelnen zeigt der Film: - den Reisebus auf der Reichsautobahn, - Landschaften, ein Hirte mit Schafsherde, - Feldarbeit, Straßenszenen in einem Bauerndorf, - das Staatsbad Salzungen mit Tänzerinnen und Vergnügungen im Freibad, - die Burgen Wachsenburg, Kranis, Wartburg, Schwarzburg, - Stadtansichten von Altenburg, Gotha und Weimar, - Wintersportaktivitäten - und den Blumenmarkt in Erfurt;

317 Wie ein Farbkulturfilm der Ufa entstand: 35000 Watt Lampenlicht auf eine Landschaft von 1½ Quadratmeter. In: Film-Kurier, 8. Februar 1941. 112

Insgesamt lässt die Verbindung von Volkstumsdarstellungen und Tourismuswerbung den Film wenig einheitlich erscheinen. Besonders auffällig wird der Werbeaspekt, wenn beispielsweise Reiseprospekte vor der Kamera ausgebreitet oder die Skilaufszenen in eine (nachsynchronisierte und umso weniger natürlich wirkende) Unterhaltung der Touristen einmontiert werden, um unter Beweis zu stellen, dass Thüringen auch in der Wintersaison die Reise lohnt. Die bevorzugten Bildthemen des Kulturfilm-Genres stehen unkommentiert daneben: das idyllische Nebeneinander von Mensch und Tier auf den Straßen des Bauerndor- fes, die offenen Fenster eines Klassenzimmers, durch die der Gesang eines Kinderchors tönt: „Thüringer Land, mein Heimatland...“ Die einzige unverdeckte NS-Propaganda ist in der Aufnahmefolge aus Weimar enthalten, zu der es im Sprecherkommentar heißt: „Die Stadt, die in früheren Zeiten Wohnstätte unserer Dichter Schiller und Goethe war, beherbergt heute oft den Führer auf seinen Reisen durch Thüringen.“ – Dabei erfasst ein Kameraschwenk, untermalt durch den Badenweiler Marsch, die Fassade des 1938 von Hermann Giesler neugestalteten Hotels „Elephant“, das Hitlers Stammresidenz in Weimar war, den Führerbalkon mit Hoheitsadler und Hakenkreuzfahne und schließlich zwei SS-Wachen, die den Eingang flankieren. Neben „Bunte Kriechtierwelt“ erfuhr auch der erste Landschaftsfilm nach dem Agfacolor-Verfahren seine Uraufführung als deutscher Farbfilmbeitrag auf der Filmfestwoche in Venedig im September 1940.

113 VII. Farbfilm um jeden Preis? – Schlussfolgerungen und Ausblick

Zeichnet man die Geschichte des deutschen Farbfilms in den 30er Jahren nach, so ergeben sich drei voneinander abgrenzbare Phasen, die im folgenden auch unter Berücksichtigung der ausländischen, namentlich der amerikanischen Entwicklung dargestellt werden sollen. Unstrittig ist, dass gerade der Siegeszug des dreifarbigen Technicolor-Verfahrens ab 1935 einen großen Einfluss auf die Entwicklung in Deutschland ausübte. In ihrem Streben nach Vorherrschaft auch auf dem europäischen Markt hatte die Technicolor Motion Picture Corporation erstmals 1929 Kontakte nach Deutschland geknüpft318. 1935 verhandelte die Ufa mit Vertretern der Technicolor in London bezüglich einer Übernahme des Verfahrens. Diese mit den mir zur Verfügung stehenden Quellen nicht in der erforderlichen Tiefe darstellbaren Vorgänge lassen nur Vermutungen über die Gründe für das Scheitern der Verhandlungen zu: Zweifellos spielten die beträchtlichen Lizenzkosten ebenso eine Rolle wie die Tatsache, dass in Deutschland gedrehtes Technicolor-Material zunächst in der britischen Entwicklungsanstalt hätte verarbeitet werden müssen – wahrscheinlich verboten aber auch politische Gründe die Übernahme eines ausländischen Verfahrens.

VII.1 1933 – 1935: Reserviertes Abwarten in der Farbfilmfrage

Während die gesellschaftliche Atmosphäre im Deutschland der 20er Jahre dem Farbfilm gegenüber aufgeschlossen gewesen war und für die Kinoindustrie kaum geeignete Experimental-Verfahren wie der Szczepanik-, der Busch- oder der Horst-Farbenfilm mitunter verfrühte Sensationsmeldungen produzierten, schien das allgemeine Interesse am Farbfilm in den frühen 30er Jahren einer weitgehenden Ernüchterung Platz gemacht zu haben. Daran änderte sich auch durch die Einführung des deutschen Zweifarbenfilms Ufacolor / Agfa- Bipack nur wenig, und faktisch spielte Farbfilm für die deutsche Kinoindustrie bis Mitte der 30er Jahre keine Rolle. Lediglich im Werbefilmbereich, farbiger Zeichentrick eingeschlossen, konnte sich das Agfa-Bipack-Verfahren durchsetzen. Daneben trat es mit einer gewissen Regelmäßigkeit bei der Kulturfilmherstellung in Erscheinung: Die uns überlieferten Propagandafilme in Ufacolor, der Stadtfilm „Potsdam“ und die Reportage über „Das Deutsche Erntedankfest auf dem

318 Vgl. BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1027 b, Nr. 585 vom 2. Dezember 1929. 114 Bückeberg“, sollten als Randerscheinung dieser Kulturfilmproduktion nicht überbewertet werden. Zudem stellt sich bezüglich beider Filme die Frage, inwieweit sie aus der Eigenini- tiative Kurt Waschnecks hervorgegangen sind, der als Direktor der Afifa-Kopieranstalt in solchem Umfang an der Gesamtproduktion und dem Vertrieb von Filmen nach dem Agfa- Bipack-Verfahren beteiligt war, dass letzteres in der Presse auch als das „Waschneckver- fahren“319 betitelt wurde. Falls es in Waschnecks Absicht lag, mit seinem Erntedankfest-Film weitere zweifarbige Aktualitätenberichte anzuregen, so hatte er damit keinen Erfolg. Übereinstimmung herrschte darüber, dass das Agfa-Bipack-Verfahren zur Anwendung im Spielfilmbereich nicht in Frage käme. In Fachkreisen erwartete man dagegen die Einführung des Farbfilms in die Kinoindustrie für die nähere Zukunft „voraussichtlich als Linsenraster- Dreifarbenfilm“320, ohne dass man sich dabei unter einen erklärten Zeit- und Erfolgsdruck setzte. Über den Stand der Forschungsarbeiten in den Laboratorien der Agfa und von Siemens drangen kaum Vorab-Informationen an die Öffentlichkeit. Sucht man nach Gründen für das weitgehende Desinteresse am Agfa-Bipack- Verfahren im speziellen wie auch am Farbfilm als solchen, so mag mutmaßlich „ein deutscher Hang zum Perfektionismus“321 (Gert Koshofer) größere Spielfilmversuche mit Agfa-Bipack verboten haben. Nicht weniger hinderlich dürfte aber auch das in der Fachpresse mit großer Häufigkeit auftretende Feindbild des US-amerikanischen Zweifarbenfilmes gewesen sein. 1930 noch hatte der Ufa-Vorstand die Aufnahme des Broadway-Musicals „Sally“ (John Francis Dillon / 1929, deutscher Titel: “Cilly”) in ihren Verleih trotz der durch die Produk- tionsfirma First National erhobenen „aussergewöhnlich hohen Leihmiete“ für notwendig gehalten, da „die Ufa es sich nicht entgehen lassen kann, diesen ersten in Deutschland erscheinenden Farbtonfilm in ihren Theatern herauszubringen und zu zeigen.“322 Die Bewertung durch die Fachpresse dagegen war eine mehrheitlich negative: Größter Feind des Farbfilms sei die Farbe, hieß es 1933 beispielsweise in einem „Die kulturellen Möglichkeiten des Farbenfilms“ überschriebenen Artikel im Film-Kurier, der sich im speziellen über die amerikanischen Zweifarbenfilme ausließ: „Man hatte beim Betrachten dieser Filme den Eindruck, als hätten eigens für diesen Zweck angestellte Leute weiter nichts zu tun gehabt, als jeden einzelnen Gegenstand der Dekoration daraufhin zu untersuchen, ob er

319 Vgl. Film-Kurier, 21. August 1936. 320 Dr. Victor Conrad Alberti: Die technischen und künstlerischen Voraussetzungen für die Herstellung farbiger Kulturfilme. In: Film-Kurier, 13. Mai 1933. 321 Koshofer. Color. S. 46. 322 BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1027 b, Nr. 613/4 vom 10. März 1930. 115 für einen Farbenfilm auch farbig und bunt genug sei323. Bunte Möbel, bunte Lampions, bunte Luftballons, bunte Papierschlangen, bunte Kleidung und andere bunte Requisiten reichten nicht aus, es wurde sogar die Natur, die scheinbar zu farblos war, ins Atelier verpflanzt. Man war mit der Absicht ins Atelier gegangen, einen Farbenfilm zu drehen, und das Endergebnis war dann ein bunter Film. [...] Aus den amerikanischen Farbenfilmen haben wir jedenfalls gelernt, wie man es nicht machen soll.“324 Obwohl vorrangig gegen das marktbeherrschende Technicolor-Zweifarbenverfahren gerichtet, lehnte die Kritik häufig aber auch solche Farbfilmverfahren ab, die im benachbarten Ausland Aufmerksamkeit erregten. Beinahe hämisch liest sich die Berichterstattung des Film- Kurier über das dem französischen Film „Les jeunes filles à marrier“ (Jean Vallée / 1935) zugrundeliegende Francità-Verfahren, „das in seiner Aufnahme- wie in seiner Wiedergabe- technik von höchster Einfachheit ist. Es ist rein optischer Natur, erfordert keinerlei besondere Filmstreifen... und es ist auch danach. Dieser erste Versuch eines `genial-einfachen´ Farbver- fahrens könnte geradezu als eine Anti-Farbenfilmpropaganda gelten. Die Qualität der Farben im einzelnen sowie die Gesamtwirkung sind absolut unzureichend und unterbieten das meiste, was man in den letzten Jahren an Farbfilmversuchen zu sehen bekam.“325 Solange im Ausland kein offensichtlicher Durchbruch in der Farbkinematographie gelungen war, schien man dem Farbfilm in Deutschland von staatlicher Seite nur wenig Interesse entgegenzubringen. Wenn sich dann ab 1935 bei den führenden Stellen in Reichs- filmkammer und Propagandaministerium ein Bewusstsein für die Notwendigkeit forcierter Bemühungen zur Weiterentwicklung und Verbreitung des Farbfilms bildete, so darf vermutet werden, dass dies auch unter dem Eindruck der erstmals dreifarbigen Technicolor-Filme und in Reaktion auf die damit veränderte internationale Farbfilm-Situation geschah.

VII.2 1936: Das Jahr der Farbfilmeuphorie

Zwei Ereignisse veränderten die Situation im Jahr 1936 grundlegend: Zum einen die Propagierung des Siemens-Berthon-Opticolor-Verfahrens als das deutsche Farbfilmverfahren, und zum anderen die Vorstellung der subtraktiven Agfacolor-Mehrschichtenmaterialien,

323 Eine unverkennbare Polemik gegen die sogenannten Farbberater, die im Auftrag der Technicolor Motion Picture Corporation Filmsets, Kostüme und Kameraarbeit überwachten, um auf diese Weise die bestmögliche Farbqualität zu erzielen. 324 Die kulturellen Möglichkeiten des Farbenfilms. In: Kinotechnische Rundschau des Film-Kurier, 15. April 1933. 325 Französischer Farbfilm. In: Film-Kurier, 1. Juli 1935. 116 deren einfache Handhabung die von nun an massenhafte Verbreitung farbiger Dias und 16- mm-Schmalfilme ermöglichte. Diese beiden von massiven Pressekampagnen begleiteten Neuerungen führten zur Einschätzung von 1936 als „Jahr des Farbfilmstarts“326. Noch im Oktober 1935 hatte sich der Verfasser eines „Farbfilm oder nicht? Unsere Meinung“ überschriebenen Grundsatzartikels im Film-Kurier nicht gescheut, einen Mentalitätsgegensatz zwischen dem farbfilmbegeisterten US-amerikanischen und dem deutschen Publikum zu konstruieren, denn das letztere sähe „in der Farbphotographie weniger künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten als im Schwarz-Weißfilm. [...] Der Farbfilm scheint uns mehr eine Angelegenheit der äußerlichen Effekte zu sein und darin mag er den Ambitio- nen eines gewissen Teils der amerikanischen Produktion (in Sensations- und Ausstattungs- filmen) sehr entgegenkommen. In Deutschland sind die rein künstlerischen Voraussetzungen für ihn andere, weniger günstige.“327 Dieser grundsätzlichen Behauptung, Farbfilm sei dem deutschen Publikum wesensfremd und darum nicht gefragt, trat Hans Weidemann bei seiner Rede zur Uraufführung des „Schönheitsfleckchens“ energisch entgegen, indem er den Farbfilm zur „Glaubenssache“ erklärte: „Es hat keinen Zweck, den Kopf in den Sand zu stecken und sich dem Vordrängen des Farbfilms aus pessimistischen Erwägungen heraus zu verschließen. Farbfilm ist Glaubenssache, und nur mit gläubigem Herzen wird man kleinliche Bedenken überwinden können.“328 Dieses Bekenntnis zum Farbfilm war ausdrücklich auch das Bekenntnis zu einem deutschen Farbfilm, als welcher Siemens-Berthon-Opticolor trotz seiner französischen Wurzeln der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Das Verfahren sollte sich nicht nur auf dem deutschen Markt etablieren, sondern auch international in Konkurrenz zu Technicolor treten329. Daher dürfte die im Sitzungsprotokoll der Zusammenkunft in der Reichsfilmkammer vom 25. März 1936 geäusserte Annahme, Siemens habe einen Entwicklungsvorsprung vor ausländischen, namentlich französischen und amerikanischen Verfahren, ganz erheblich zur Entscheidung beigetragen haben, das Verfahren schnellstmöglich öffentlich zu propagieren330.

326 1936 – das Jahr des Farbfilmstarts. Zwei Verfahren ringen um die Vormachtstellung. In: Film-Kurier, 31. Dezember 1936. 327 Farbfilm oder nicht? Unsere Meinung. In: Film-Kurier, 24. Oktober 1935. 328 Hans Weidemann im Ufa-Pavillon: Farbfilm ist Glaubenssache. In: Film-Kurier, 5. August 1936. 329 Die Neue Augsburger Zeitung titelte beispielsweise am 9. März 1938: „Der beste Farbfilm der Welt. Der deutsche Farbfilm schlägt den amerikanischen aus dem Feld.“ 330 Im Protokoll heißt es: „Es kann angenommen werden, dass der Entwicklungsstand der übrigen deutschen und ausländischen Verfahren, soweit sie hier bekannt sind, zur Zeit keine ernstliche Konkurrenz für das Siemens- Verfahren bedeutet. [...] Herr Dr. Grassmann berichtet, dass das Siemens-Verfahren völlig patentrein ist, und dass Frankreich und Amerika im Hinblick auf die Überlegenheit dieses deutschen Verfahrens bereits finanziell daran beteiligt seien. Die guten Auslandsbeziehungen von Siemens werden den Auslandsabsatz des Farbfilms fördern.“ BA, Bestand R 56 VI / 34, Handakten des Vize-Präsidenten der Reichsfilmkammer Hans Weidemann, Akte 126. 117 Der betonte Antagonismus zu Technicolor drückte sich nicht zuletzt in der beständig wiederholten Beteuerung aus, die zurückhaltenden Farben von Opticolor unterschieden sich wohltuend von den aufdringlichen Farben der amerikanischen Konkurrenz. Die Opticolor begleitende Werbekampagne mit Berichterstattung in Fach- und Tagespresse, sowie im Rundfunk331, schürte die Erwartungen in der Öffentlichkeit, ohne dass der erste Kurzspielfilm nach dem Verfahren überhaupt flächendeckend zu sehen gewesen wäre. Wohlweislich verzichtete man auf Bekanntgabe eines Zeitplans, in dessen Rahmen die phantomhaft im Raum schwebende Farbfilmumstellung vollzogen werden sollte, und so entstand die paradoxe Situation, dass über künstlerische und kitschige Farbfilmgestaltung, Farbenlehre und Farbharmonie, kurz: viel über das Thema Farbfilm publiziert wurde, ohne dass jedoch Farbfilme in den deutschen Kinos in größerer Zahl (zumindest nicht Siemens- Berthon) zu sehen gewesen wären. Nichtsdestoweniger lässt sich der Beginn der Farbfilmpro- paganda auf den Sommer 1936 datieren. Die begleitende Diskussion über die künstlerisch richtige und schöne Farbgestaltung in Film und Fotographie sollte bis zum Ende des Dritten Reiches (und darüber hinaus) andauern. Die in der zweiten Jahreshälfte 1936 einsetzende Produktion farbiger Propagandafilme in Opticolor, die erst mit dem gescheiterten Projekt um Hitlers Italienreise im Mai 1938 eingestellt wurde, kann im Grunde als logische Folge der Ausrufung von Siemens-Berthon zum deutschen Farbfilmverfahren betrachtet werden. Auf interessante Weise spiegelt der Kommentar Otto Lins-Morstadts im Völkischen Beobachter vom 9. August 1936 die Entdeckung der Propagandawirkung farbiger Filmszenen wieder. Lins-Morstadt, vom „Schönheitsfleckchen“ unbeeindruckt, stellte die grundsätzliche Frage nach der Verwen- dungsmöglichkeit des Farbfilms und schlug vor, „während der Olympischen Spiele Versuche mit Freiaufnahmen im Rahmen der Wochenschau“ anzustellen: „Nicht, um möglichst viel leuchtende Farben festzuhalten, sondern, sagen wir, dort, wo bestimmt die besten Lichtver- hältnisse sind – also bei den Regatten in Kiel -, Aufnahmen zu machen und zuerst gedeckte Farben zu bringen, die der Beschauer kaum merkt. Das Weiß der Segel und die feinen Nuancierungen des Meeres werden bei den an sich sehr reizvollen Bildern eine wertvolle Bereicherung der Wirkungen sein, die die ruhigen Flächen von Segel und Meer hervorrufen. Wenn dann bei der Siegerehrung die Fahnen an den Masten in leuchtenden Farben erscheinen, ist die Wirkung des Farbenfilms eine doppelte.“332

331 Zu hören war Hans Weidemann im Gespräch mit Carl Froelich über „Die filmkünstlerische Seite des Farbfilms“. Vgl. BA, Bestand R 56 VI / 34, Handakten des Vize-Präsidenten der Reichsfilmkammer Hans Weidemann, Akte 99. 332 Otto Lins-Morstadt: Ein neues Werkzeug ist geschmiedet. In: Völkischer Beobachter, 9. August 1936. 118 VII.3 1937 – 1939: Forcierte Lösungssuche

Schnell wurde offensichtlich, dass die hohen Erwartungen, die durch die Farbfilmkampagne geweckt worden waren, mit dem Siemens-Berthon-Verfahren nicht würden eingelöst werden können. Die Ernüchterung um Siemens-Berthon-Opticolor läutete eine dritte Phase ein, in der forciert, schließlich fieberhaft nach Lösungsmöglichkeiten für das Farbfilmproblem gesucht wurde. Dabei wirkte ab Sommer 1936 zunächst die verschärfte Konkurrenz zwischen Agfa und Siemens antreibend für die weitere Entwicklung: Während bei Siemens die Optimierung des Linsenrasterverfahrens angestrebt wurde, sodass bei Uraufführung von Svend Noldans „Deutschland“ im Sommer 1937 „von einem neuen, verbesserten Berthon-Siemens- Verfahren“333 die Rede sein konnte, gab die Uraufführung des „Schönheitsfleckchens“ auch in der Zusammenarbeit von Ufa und Agfa den Anstoß zu verstärkten Bemühungen, die Praxisreife des Pantachrom-Verfahrens unter Beweis zu stellen. Wie sich aus den Ufa- Vorstandsprotokollen schließen lässt, erfuhren Vorschläge zur Herstellung kostspieliger Kurzfarbspielfilme nunmehr größere Akzeptanz als dies noch vor Kinoeinsatz des „Schönheitsfleckchens“ der Fall gewesen war. Neben der Ufa intensivierte auch die Tobis ihre Bemühungen um den Farbfilm, die sich zum einen in der Förderung des Kämpfer- Schattmann-Verfahrens niederschlugen, und zum anderen die Produktion des ersten farbigen Kinderfilms „Rotkäppchen und der böse Wolf“ in Rotacolor (Agfa-Bipack) und die experimentelle Verwendung von Leydechrom-Aufnahmen für ihren Großfilm 1939 „Robert Koch, der Bekämpfer des Todes“ nach sich zogen. Dem gestiegenen Interesse am Farbfilm trug daneben auch die wachsende Zahl farbiger Zeichentrickfilme Rechnung. Wie bescheiden nahmen sich diese Versuche aber gegen die spektakulären Erfolge aus, die Technicolor nicht nur in den USA, sondern ab 1937 auch in Großbritannien feiern konnte: Nachdem in Amerika bereits 1934/35 über ein Dutzend kurzer Spielfilme (darunter „La cucaracha“ von Lloyd Corrigan, der 1935 mit einem Oscar als bester Kurzfilm ausge- zeichnet wurde) sowie Farbszenen schwarz-weißer Langfilme (“Kid Millions” (Roy del Ruth / 1934), “The little colonel” (David Butler / 1935) u.a.) nach dem Verfahren entstanden waren, stieg nun auch die Zahl der abendfüllenden Technicolor-Produktionen von Jahr zu Jahr an. 1937 festigte der erste britische Technicolor-Spielfilm „Wings of the morning“ (Harold D. Schuster) den Einfluss des Verfahrens in Großbritannien.

333 Siemens-Berthon verbessertes Farbfilmverfahren. Svend Noldas „Deutschland“-Film wird in Venedig am kommenden Montag aufgeführt. In: Film-Kurier, 20. August 1937. 119 Die abendfüllenden Spielfilme, die zum großen Teil wenigstens in Sondervor- führungen auch in Deutschland gezeigt wurden („Wings of the morning“ beispielsweise als „Die Zigeunerprinzessin“), riefen widersprüchliche Pressereaktionen hervor. Auf der einen Seite wurden gegen die mitunter unnatürlich grellen Technicolor-Farben die gleichen ästhetischen Kategorien ins Feld geführt, derer man sich schon zur Abwertung der Zweifarbenfilme bedient hatte, zum anderen die Leistungen aber durchaus anerkannt, wenn nicht sogar bestaunt, wie der Film „Ramona“ (Henry King / 1936), durch den sich der Rezensent des Film-Kurier „in einen farbigen Himmel“334 versetzt fühlte. Interessant ist auch, dass Goebbels in seinem Tagebucheintrag vom 25. Februar 1937 bei der Sichtung des Technicolor-Films „The Garden of Allah“ (Richard Boleslawski / 1936) den Farbfilm als Zeiterscheinung behandelt, statt den Eindruck einer deutsch-amerikanischen Konkurrenz- situation zu vermitteln. Die Farbfilmtechnik, schreibt Goebbels, sei „heute so weit, dass sie erträglich wird. Bald werden wir nur noch Farbfilme kennen. Das geht so rapid wie beim Tonfilm.“335 Die Formulierung gibt Anlass zu der Vermutung, dass sich Goebbels im Frühjahr 1937 des Rückstandes der deutschen Entwicklung im Vergleich zu Technicolor noch nicht bewusst war. Als er diesen jedoch erkannte, begann er, Druck auf die Produktion auszuüben, ohne dabei den erhofften schnellen Durchbruch erzielen zu können: Vom April 1939 datiert seine Klage, „die Vorbereitung des Farbfilmverfahrens“ ginge „nur sehr langsam vor sich“, und sein diesbezüglicher Vorsatz: „Ich werde nun mit aller Energie dahintersitzen, evtl. einen besonderen Verantwortlichen dafür einsetzen.“336 In den Jahren 1938/39 lässt sich der zunehmende Erfolgsdruck auch an den Ufa-Vorstandsprotokollen ablesen. Inwieweit er die Entwicklung bei der Agfa beeinflusste, ist schwer zu beantworten: Das abrupte Ende der Arbeiten am Pantachrom-Verfahren zugunsten von Agfacolor ausgerechnet nach den ersten praktischen Erfolgen legt aber den Schluss nahe, dass man sich auch bei der Agfa gezwungen sah, alle Kräfte zur schnellstmöglichen Lösung zu konzentrieren. Als dann endlich im Frühsommer 1939 Agfacolor in die Produktion der Ufa Einzug hielt, wurde dies von einer Fülle von Maßnahmen begleitet, deren Ziel schnellstmögliche Resultate im Spiel- als auch Kulturfilmbereich sein sollten. Am Beginn der Agfacolor-Ära standen Enttäuschungen, Verzögerungen, kostspielige Nachaufnahmen, Reklamationen von Filmmaterial. Die Presse musste noch zwei Jahre warten, bis sie das Agfacolor-Verfahren

334 Ramona. In: Film-Kurier, 10. März 1937. 335 Eintrag vom 25. Februar 1937. In: Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Teil I. Band 3/II. S. 397. 336 Eintrag vom 22. April 1939. In: Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Teil I. Aufzeichnungen 1934 – 1941. Band 6. August 1938 bis Juni 1939. Herausgegeben von Elke Fröhlich. München 1998. S. 324. 120 anlässlich der Premiere von „Frauen sind doch bessere Diplomaten“ am 31. Oktober 1941 zum deutschen Farbfilmverfahren ausrufen durfte.

VIII.4 Ausblick in die 40er Jahre: Agfacolor während des Zweiten Weltkriegs

Nachdem zum 1. August 1940 das Reservatjahr der Ufa für Agfacolor abgelaufen war, wurden auch alle anderen deutschen Produktionsfirmen in den Stand gesetzt, von dem Verfahren Gebrauch zu machen. Priorität vor allen anderen Anwendungsbereichen hatte die Spielfilmherstellung: Während 1941 bei der Ufa die Dreharbeiten zu Veit Harlans „Die goldene Stadt“ stattfanden, stellte die Bavaria die Schluss-Szene ihres Fußballfilms „Das große Spiel“ (Robert A. Stemmle / 1942) in Agfacolor her. 1942 begann die Tobis mit der Herstellung ihres ersten Farbspielfilms „Das Bad auf der Tenne“, bei der Ufa standen dagegen mit „Münchhausen“ der Jubiläumsfilm zum 25jährigen Bestehen der Produktionsgesellschaft und die von Veit Harlan zeitgleich abgedrehten Melodramen „Immensee“ (nach Theodor Storm) und „Opfergang“ (nach Rudolf G. Binding) auf dem Plan. 1943/44 entstand „Die Große Freiheit Nr. 7“ bei der Terra, Georg Jacoby stellte für die Ufa den Revuefilm „Die Frau meiner Träume“ her und Veit Harlan den monumentalen Kostüm- und Ausstattungsfilm „Kolberg“, der als einzig explizit politischer Farbspielfilm der NS-Zeit in die deutsche Filmgeschichte einging. Die Produktionen „Das Hofkonzert“ (Paul von Verhoeven / Tobis), „Ein toller Tag“ (Oscar Fritz Schuh / Ufa) und „Die Fledermaus“ (Geza von Bolvary / Terra) wurden erst nach Kriegsende durch die Defa fertiggestellt und ausgewertet. Auch der erste Agfacolor-Spielfilm der Wien-Film „Wiener Mädeln“ (Willi Forst) erlebte erst 1949 seine Uraufführung. Neben diesen prestigeträchtigen Farbspielfilme entstanden laufend Kultur- und Werbefilme auf Agfacolor-Filmmaterial, wobei die farbige Werbefilmproduktion nach Ausrufung des Totalen Krieges im Frühjahr 1943 gedrosselt wurde. Bis 1945 entstanden mindestens 30 kurze Agfacolor-Kulturfilme hauptsächlich mit Tier- und Landschaftssujets, darunter jedoch auch eine Reihe Propagandafilme. Daneben belieferte die Agfa Partei- und Wehrmachtsstellen mit Farbfilmmaterial: Im Spätsommer 1940 ging in Zusammenarbeit von Ufa, OKW, OKH und Heeresfilmstelle das erste Propagandafilmprojekt nach dem Agfacolor-Verfahren in Produktion337. Später stellte die eigens zu diesem Zweck gegründete Produktionsgesellschaft Mars-Film neben schwarz-

337 Vgl.: BA, Bestand R 109 I, Ufa-Vorstandsprotokolle, 1034 a, Nr. 1429 vom 9. Oktober 1940. 121 weißen auch farbige Lehr- und Ausbildungsfilme für die Wehrmacht her. Anlässlich Hitlers Geburtstag am 20. April 1941 begann zudem die Deutsche Wochenschau GmbH mit Farbauf- nahmen durch ausgewählte Kameramänner der Propagandakompanien (Walter Frentz, Hans Bastanier, Gerhard Garms, Hans Ertl u.a.), die im sogenannten PK-Archiv zwecks späterer Auswertung gesammelt wurden338. Aus dieser Quelle wurde die 1944/45 in vier Ausgaben erschienene Farb-Auslandsmonatsschau „Panorama“ kompiliert.

VIII.5 Schlussbemerkung

Betrachtet man heute, aus einem zeitlichen Abstand von siebzig Jahren und länger, farbige Filmaufnahmen aus den 30ern, so ist man häufig über die erreichte Farbgüte und die im Vergleich zum gewohnten Schwarz-Weiß-Bild gesteigerte Wirklichkeitsnähe überrascht. Man mag sich daraufhin verwundert fragen, warum es, wenn doch bereits im Jahr 1933 ein farbiger Reichsparteitagsfilm möglich gewesen wäre, noch bis 1937 dauerte, bevor ein solcher entstand. Der Hauptgrund dafür ist in den damaligen Qualitätsansprüchen zu sehen, die eine zu große Rolle spielten, als dass von einem Streben nach Farbfilm um jeden Preis die Rede sein könnte. An den neuralgischen Punkten der Geschichte des deutschen Farbfilms zeigt sich, dass die Entwicklung eines finanziell trag- und vor allem Dingen zukunftsfähigen Verfahrens, das auch in der Anwendung möglichst handhabbar sein sollte, stets Vorrang vor schnellen, jedoch kurzlebigen Erfolgen hatte. Hätte von staatlicher Seite die Absicht bestanden, Farbfilme in den deutschen Kinos zu erzwingen, hätte sich im Sommer 1938 die Möglichkeit vom Kombinationsverfahren Siemens-Berthon / Agfacolor-Umkehrfilm angeboten. Dass man die Zielvorgabe auch trotz des steigenden Erfolgsdrucks nicht aus den Augen verlor, beweist die Aufgabe des Panta- chrom-Verfahrens, mit dem man bereits in der ersten Jahreshälfte 1939 Kulturfilme in den Kinos hätte vorführen können. Ebenso hätte deutlich vor „Frauen sind doch bessere Diplo- maten“ ein abendfüllender Farbspielfilm befohlen und (wenn auch mit ungewissen Erfolgsaussichten) ausgeführt werden können. Der staatliche Einfluss kannte also Grenzen. Angesichts der Risikoscheue der Ufa- Vorsitzenden und ihrer Vorliebnahme mit endlosen Versuchsreihen anstatt öffentlicher

338 Vgl. Koshofer. Color. S. 95. 122 Kinoauswertung, dürfte der Druck von oben aber die praktische Lösung der Farbfilmfrage in der Phase 1937-39 erheblich beschleunigt haben. Die letztlich ohnehin geringe Zahl farbiger NS-Propagandafilme aus den 30er Jahren ist in der Überlieferung auf eine unbedeutende Menge weniger hundert Meter zusammen- geschrumpft. Während die Farbspielfilme der Jahre 1941-45 vielfach Beachtung gefunden haben, ist die Farbfilmgeschichte der 30er Jahre bislang von der Forschung vernachlässigt oder vorrangig unter technikgeschichtlichen Gesichtspunkten erörtert wurden. Die NS- Propagandafilme nach dem Siemens-Berthon-Verfahren „Deutschland“, „Tag der Deutschen Kunst 1937“, „Nürnberg 1937“ sind, da verschollen oder nur schwarz-weiß überliefert, kaum bekannt. Der Verlust ist bedauerlich, denn gerade diese Filme hätten Zeugnis von der Bemühung ablegen können, mit der Farbe auch eine neue ästhetische Qualität für den NS- Propagandafilm zu erobern. Sie hätten unter Beweis gestellt, dass der NS-Propagandafilm in jener noch heute als suggestiv empfundenen Schwarz-Weiß-Ästhetik keineswegs seine endgültige Ausprägung gefunden hatte, sondern danach strebte, mit der Farbe ein neues die Sinne überraschendes und einnehmendes Wirkungsmoment in seinen Dienst zu stellen.

123 VIII. Anhang

VIII.1 Filmographie 1931 – 1940

Da keine Gesamtlisten über farbig produzierte Filme aus den 30er Jahren existieren und auch die überlieferten Zensurkarten in dieser Hinsicht nicht in allen Fällen verlässliche Informa- tionen enthalten, kann die folgende Filmographie keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhe- ben. Es wurde aber der Versuch unternommen, an dieser Stelle sämtliche Filme, die aufgrund zeitgenössischer Quellen als Farbfilme identifiziert werden konnten bzw. farbig oder mit Farbteilen überliefert wurden, zusammenzutragen. Ausgenommen von der Bemühung um Vollständigkeit habe ich den schwer überschaubaren Bereich der kurzen Werbefilme, der sich (von der fraglichen Relevanz für das Thema dieser Arbeit abgesehen) aufgrund der schlechten Überlieferungslage auch nur schwerlich rekonstruieren lassen würde. So werden an im folgenden filmographische Angaben lediglich zur kleinen Zahl jener Werbekurzfilme nachgereicht, deren Titel in den vorangegangenen Kapiteln genannt wurden, und diese ausserdem als Werbekurzfilme kenntlich gemacht. Gleiches gilt für Fragmente. Der Gliede- rung der Arbeit folgend habe ich die Realfilme, geordnet nach ihrer Entstehungszeit, unter dem technischen Verfahren zusammengefasst, das zur Herstellung herangezogen wurde. Eine Ausnahme stellen die Zeichentrickfilme dar, die ich in einem gesonderten Abschnitt aufführe. Ein hinter den Filmtitel gesetztes Sternchen * soll besagen, dass es sich nicht um einen kom- plett farbigen, sondern schwarz-weißen Film mit einer oder mehreren farbigen Szenen handelt. Konnte ein Film gesichtet werden, so findet sich im Anschluss an die filmographischen Daten eine in Klammern gesetzte Anmerkung der Quelle, von der die Sichtungskopie bezogen wurde, sowie die ergänzende Angabe, falls der Titel nur als Fragment erhalten ist. Abschließend hinzugefügt wurde die Angabe der Seite(n), auf der bzw. auf denen der betreffende Titel in der vorliegenden Arbeit Erwähnung gefunden hat.

Filme nach dem Agfa-Bipack-Verfahren:

Bunte Tierwelt (1931) Regie: Ulrich K. T. Schulz Kamera: Gotthardt Wolf Musik: Dr. Ludwig Brav Produktion: Universum Film AG, Berlin Länge: 469 m S. 13, 23

Wasserfreuden im Tierpark (1931) Produktion: Universum Film AG, Berlin Länge: 244 m S. 23

124 Wäsche – Waschen – Wohlergehen * (1932) Regie: Johannes Guter Produktion: Universum Film AG, Berlin Kamera: Karl Puth / Farbteil: Gotthardt Wolf Musik: Walter Winning Darsteller: Paul Henckels, Grete Reinwald, Hedwig Wangel, Fritz Alberti, Ida Wüst, Lotta Spira; S. 23

Rhythmus und Tanz (1932) Regie und Buch: Wilhelm Prager Musik: Walter Schönberg Produktion: Universum Film AG, Berlin Länge: 353 m S. 23

Herbst in Sanssouci (1932) Produktion: Universum Film AG, Berlin Länge: 240 m S. 23

„SA marschiert“ (Archivtitel) (1933) Länge des Fragments: 24 m (Bundesarchiv-Filmarchiv (BA-FA) - Fragment) S. 29

Potsdam, eine Farbenstudie von Bauten und Gärten (1934) Regie: Kurt Waschneck Musik: Hans Ebert Produktion: Universum Film AG, Berlin Prädikat: Volksbildend Länge: 301 m (BA-FA) S. 23ff, 41, 114

Das Deutsche Erntedankfest auf dem Bückeberg (1934) Regie: Kurt Waschneck Kamera: Gotthardt Wolf Produktion: Universum Film AG, Berlin Originallänge: 264 m Länge des Fragments: 228 m (BA-FA - Fragment) S. 23f, 27ff, 31, 114f

125 Der rote Reiter * (1934) Regie: Rolf Randolf Produktion: Rolf-Randolf-Film-GmbH, Berlin Drehbuch: Max Wallner und Hans Vietzke nach dem Roman von Franz Xaver Kappus Kamera: Hugo von Kaweczynski / Farbteil: Gotthardt Wolf Musik: Fritz Wenneis Darsteller: Ivan Petrovich, Camilla Horn, Friedrich Ulmer, Marie-Louise Claudius, Veit Harlan, Kurt Verspermann; Länge: 2534 m S. 34

Karneval (1935) Regie: F. B. Nier Produktion: Robert-Neppach-Filmproduktion GmbH, Berlin / Universum Film AG, Berlin Kamera: Gotthardt Wolf Musik: Robert Schumann Darsteller: Ursula Deinert, Rudolf Lingner, Enno Ligner, Fred Becker, Kurt Lenz; Länge: 506 m (BA-FA) S. 18, 34f, 92

Tiergarten des Meeres (1936) Regie: Ulrich K. T. Schulz Produktion: Universum Film AG, Berlin Kamera: Gotthardt Wolf Musik: Rudolf Perak Sprecher: G. H. Schnell Länge: 406 m (BA-FA) S. 32f

Bunte Fischwelt (1936) Regie: Wolfram Junghans Produktion: Universum Film AG, Berlin Leitung: Dr. Ulrich K.T. Schulz Kamera: Marcel Bohnen / Gotthardt Wolf Musik: Fritz Steinmann Länge: 363 m (BA-FA) S. 32f, 50

Die Kunst, vergnügt zu sein (1937) Produktion: Universum Film AG, Berlin Länge: 349 m S. 32

126 Reichsgartenschau 1937 (1937) S. 32

Rotkäppchen und der böse Wolf * (1937) Regie: Fritz Genschow, Renée Stobrawa Produktion: Tobis-Melofilm GmbH, Berlin Länge: 1089 m S. 35, 119

Hochzeiter im Tierreich (1938) Regie: Ulrich K. T. Schulz, Wolfram Junghans Produktion: Universum Film AG, Berlin Kamera: Walter Suchner Musik: Hans Ebert Länge: 377 m (BA-FA) S. 32f

Tintenfische (1938) Regie: Ulrich K. T. Schulz Produktion: Universum Film AG, Berlin Länge: 395 m S. 32f

Farbenpracht auf dem Meeresgrund (1938) Regie und Buch: Ulrich K. T. Schulz Produktion: Universum Film AG, Berlin Länge: 370 m S. 32

Vom Hauswirt und Mieter auf dem Meeresgrund. Ein Film aus dem Golf von Neapel. (1938) Regie: Ulrich K. T. Schulz Produktion: Universum Film AG, Berlin Kamera: Walter Suchner Musik: Franz R. Friedl Länge: 370 m (BA-FA) S. 32f

127 Ausländische Produktionen (mit Szenen) nach dem Agfa-Bipack-Verfahren:

Stockholm i Färger (Stockholm in Farben) (1932) Produktionsland: Schweden Produktion: Svensk Filmindustri, Stockholm S. 23

Die Schweiz (1933) Produktionsland: Schweiz Regie und Produktion: Adolf Rheinboldt, Zürich S. 30f

Sairandhri (1933) Produktionsland: Indien Produktion: Prabhat Films Regie: Rajaram Vankudre Shantaram S. 34

I Pagliacci * (1936) Produktionsland: England Produktion: Trafalgar Film Productions Ltd. Regie: Karl Grune S. 34

Filme nach dem Siemens-Berthon-Opticolor-Verfahren:

Das Schönheitsfleckchen (1936) Regie: Rolf Hansen Produktion: Froelich-Film GmbH, Berlin Drehbuch, Produktion und künstlerische Oberleitung: Carl Froelich Musik: Hansom Milde-Meißner Darsteller: Lil Dagover, Susi Lanner, Wolfgang Liebeneiner, Olga Limburg, Leopold von Ledebur, Edith Oss; Länge: 799 m S. 14, 34, 41, 43ff, 60, 63, 117ff

Der Steppke (1937) Regie: Dr. Herbert Brieger S. 46

Deutschland (1937) Regie: Svend Noldan

128 Produktion: Atelier Noldan, Berlin Kamera: Hans Ertl, Otto Trippel, Herbert Behrens-Hangeler Musik: Walter Gronostay Länge: 935 m (Alternativfassung „Bilder aus Deutschland“: 606 m) S. 5, 47ff, 59, 119, 123

Tag der Deutschen Kunst, München 1937 (1937) Regie: Hans Ertl Produktion: Siemens & Halske AG, Berlin Länge: 797 m (Stadtarchiv München) S. 52ff, 123

Nürnberg 1937 (1937) Regie: Carl Junghans Produktion: Siemens & Halske AG, Berlin Musik: Eberhard Glombig Länge: 693 m S. 5, 52, 58ff

Das Kollier (1937) Regie: Viktor de Kowa S. 61

Zeichentrickfilme nach dem Agfa-Bipack- und dem Gasparcolor-Verfahren:

Das Waschgespenst (Werbekurzfilm) (1930er) Bild: Gasparcolor Länge: 110 m (BA-FA) S. 76

Kreise (Titel der Werbefassung: Alle Kreise erfasst Tolirag; Experimentalfilm / Werbekurzfilm) (1934) Regie: Oskar Fischinger Produktion: Oskar Fischinger / Tolirag (Ton- und Lichtbildreklame AG), Berlin Bild: Gasparcolor Länge: 59 m S. 75

Muratti greift ein (Werbekurzfilm) (1934) Regie: Oskar Fischinger Produktion: Tolirag (Ton- und Lichtbildreklame AG), Berlin

129 Bild: Gasparcolor Länge: 74 m S. 75

Komposition in Blau (Experimentalfilm / Werbekurzfilm) (1935) Regie und Produktion: Oskar Fischinger Bild: Gasparcolor Länge: 108 m (www.youtoube.com) S. 75

Der Gesang des Kragenknopfes (Werbekurzfilm) (1936) Regie: Hans Fischerkoesen Produktion: Universum Film AG, Berlin Bild: Gasparcolor Länge: 67 m (BA-FA) S. 76

Musterbetrieb A.G. (1936) Regie: Paul Peroff, Gert Binding, Curt Dahme Produktion: Amt „Schönheit der Arbeit“ der N.S.G. „Kraft durch Freude“ in der Deutschen Arbeitsfront Bild: Gasparcolor Länge: 320 m (Deutsche Kinemathek, Berlin) S. 78, 80ff

Die Schlacht um Miggershausen (1937) Regie: Georg Woelz Produktion: Commerz-Film AG, Berlin Musik: Karl Sczuka Bild: Agfa-Bipack Länge: 358 m (BA-FA) S. 76ff, 86

Und es beginnt ein neuer Tag (1937) Produktion: Commerz-Film AG, Berlin Bild: Agfa-Bipack Länge: 272 m S. 77

Hansemanns Traumfahrt (1938) Regie: Georg Woelz, Gerd Krüger

130 Produktion: Commerz-Film AG, Berlin Musik: Karl Sczuka Bild: Agfa-Bipack Länge: 383 m (BA-FA) S. 77ff

Morgenstunde (Werbekurzfilm) (1938) Regie: Werner Kruse Produktion: Universum Film AG, Berlin Länge: 60 m (BA-FA) S. 76

Panik durch Ping-Pong (1938) Produktion: Deutsche Film-Herstellungs- und Verwertungs-GmbH der NSDAP, Berlin Bild: Gasparcolor Länge: 120 m (BA-FA) S. 83

Der Struwwelpeter (1938) Produktion: Naturfilm Hubert Schonger, Berlin Länge: 590 m S. 85

Tanz der Farben (Experimentalfilm / Werbekurzfilm) (1939) Regie: Hans Fischinger Bild: Gasparcolor Länge: 156 m S. 75

Vom Bäumlein, das andere Blätter hat gewollt (1940) Regie: Heinz Tischmeyer Produktion: Naturfilm Hubert Schonger, Berlin Bild: Gasparcolor Länge: 201 m (BA-FA) S. 84ff

Der Störenfried (1940) Regie: Hans Held Produktion: Bavaria-Filmkunst GmbH, München Musik: Gottlieb Leuchs Bild: Gasparcolor

131 Länge: 342 m (BA-FA) S. 15, 86ff

Die Wiesenzwerge (1941) Regie: Gerhard Krüger Produktion: Naturfilm Hubert Schonger, Berlin Musik: Richard Ralf Bild: Gasparcolor Länge: 360 m S. 15, 86

Realfilme nach dem Gasparcolor-Verfahren:

Erinnerungen vor dem Spiegel (Werbekurzfilm) (1938) Produktion: Epoche-Gasparcolor-Film AG S. 74

Singende, klingende, farbige Harmonika (1938) Regie: Dr. Ulrich Kayser Produktion: Epoche-Gasparcolor-Film AG Kamera: Dr. Asche Musik: Rudolf Perak S. 74f

Filme nach dem Leydechrom-Verfahren:

Oberstdorf und seine Bergwelt (1937) Regie: Emil Leyde Produktion: Leydechrom GmbH Länge: 405 m S. 66

Robert Koch, der Bekämpfer des Todes * (1939) Regie: Hans Steinhoff Produktion: Tobis-Filmkunst GmbH, Berlin Produzent: Emil Jannings Buch: Walter Wassermann und Lotte Neumann nach dem Roman von Hellmuth Unger Kamera: Fritz Arno Wagner Musik: Wolfgang Zeller Darsteller: Emil Jannings, Werner Krauß, Viktoria von Ballasko, Raimund Schelcher; Länge: 3098 m (BA-FA) S. 66ff, 119

132 Filme nach dem Agfa-Pantachrom-Verfahren:

4711 (Werbekurzfilm) (1938) Produktion: Universum Film AG, Berlin S. 94

Thüringen (1938) Produktion: Universum Film AG, Berlin S. 94

Bauerngymnastik, erster und zweiter Teil (1938) Regie: Hans von Passavant Produktion: Universum Film AG, Berlin Buch: Hans von Passavant, M. H. v. Busseck S. 94ff

Frühe Filme nach dem Agfacolor-Verfahren (bis 1940):

Die Postkutsche (1937) Kamera: Alexander von Lagorio (Agfacolor-Umkehrfilm) S. 104

Ein Lied verklingt (1939) Regie: Carl Hoffmann Produktion: Meteor-Film GmbH, Berlin Drehbuch: Hanns Marschall Kamera: Hans Bastanier Musik: Rudolf Perak Darsteller: Irene von Meyendorff, Helmut Hofmann, Gustav Waldau, Otto Wernicke, Klaus Pohl; Länge: 800 m S. 104f, 111

Aus der Welt der Farben * (1939) Regie: Kurt Stefan Produktion: Universum Film AG, Berlin Buch: Wilhelm Weber, Emil Andres, Kurt Stefan Kamera: Hans Bastanier Musik: Walter Schütze Länge: 1250 m S. 111

133 Bunte Kriechtierwelt (Kaltblütige Sippschaft) (1940) Regie: Wolfram Junghans Produktion: Universum Film AG, Berlin Buch: Ulrich K. T. Schulz Kamera: Erichhans Foerster Musik: Hans Ebert Länge: 374 m (BA-FA) S. 14, 107, 111ff

Thüringen, das grüne Herz Deutschlands (1940) Regie: Carl Hartmann Produktion: Universum Film AG, Berlin Buch: Ernst Dahle Kamera: Gerhard Beißert Musik: Hans Ebert Länge: 367 m (BA-FA) S. 14, 95, 107, 111ff

Frauen sind doch bessere Diplomaten (1939-41) Regie: Georg Jacoby Produktion: Universum Film AG, Berlin Buch: Karl Georg Külb Kamera: Konstantin Irmen-Tschet, Alexander von Lagorio Bauten: Erich Kettelhut Schnitt: Erich Kobler, Margarete Noell Musik: Franz Grothe Darsteller: Marika Rökk, , Aribert Wäscher, Erika von Thellmann, Hans Leibelt, Carl Kuhlmann, Erich Fiedler; Länge: 2477 m S. 14f, 106, 109f, 121f

134 VIII.2 Quellen- und Literaturverzeichnis

a) Quellen

Betriebsarchiv der Agfa in Wolfen: Bestand Gajewski / Kleine (im einzelnen die Aktensignaturen: A 1589, A 5633, A 6133, A 6134); Monatsberichte der Wissenschaftlichen Abteilung (Januar 1933 bis Dezember 1933, Januar 1936 bis Januar 1937, Januar 1937 bis März 1938);

Bundesarchiv Berlin: Bestand R 109 I: Ufa-Vorstandsprotokolle 1929 – 1941; Bestand R 109 I: Patentangelegenheiten der Ufa und der Tobis- Filmkunst GmbH zum Thema Farbfilm (im einzelnen die Aktensignaturen: 1007/a, 1707, 5008, 5031, 5119, 5209, 5234, 5285, 5288, 5289, 5393); Bestand R 56 VI: Handakten des Vize-Präsidenten der Reichsfilmkam- mer Hans Weidemann;

Archiv Gert Koshofer, Bergisch-Gladbach: Materialien zum Siemens-Berthon-Opticolor- Verfahren aus dem Firmennachlass der Otto Perutz GmbH, München;

Siemens-Archiv München: Bestand 35/65 Ls 888: „Das Berthon-Siemens-Farbfilm- Verfahren 1934 – 1939“;

b) Zeitschriften und Periodika

Abendblatt vom 18. August und 5. September 1936.

Deutsche Filmzeitung, Nr. 5 / 1938.

Dideldum, Heft 14 / 1935.

Die Filmfabrik Wolfen – Aus der Geschichte, Heft 4 / 8 / 11. Herausgeber: Industrie- und Filmmuseum Wolfen e.V. Wolfen o. J.

Der Film-Kurier und Kinotechnische Rundschau des Film-Kurier, Jahrgänge 1931 – 1941.

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20. November 2002.

Das kleine Volksblatt vom 3. April 1938.

Kleine Volks-Zeitung vom 3. April 1938.

Mitteilungen der Reichsschule des Reichsnährstandes Burg Neuhaus, Nr. 1 / April 1939.

Münchner Anzeiger vom 9. März 1938.

135 Münchner Neueste Nachrichten vom 9. März 1938.

Münchner Stadtanzeiger vom 12. März 1938.

Neue Augsburger Zeitung vom 9. März 1938.

Neuigkeitsweltblatt vom 6. April 1938.

Niederdeutscher Heimatkalender 1940. Hannover 1940.

Reichspost vom 4. April 1938.

Siemens Zeitschrift, Heft 9 / September 1936.

Völkischer Beobachter vom 9. August 1936 und 30. Januar 1938.

Wormser Zeitung vom 27. Juli 1936.

c) Literatur

Das Auge des Dritten Reiches. Hitlers Kameramann und Fotograf Walter Frentz. Herausgegeben von Hans Georg Hiller von Gaertringen. Berlin 2006.

Courtade, Francis und Cadars, Pierre: Geschichte des Films im Dritten Reich. München 1975.

Drewniak, Boguslaw: Der deutsche Film 1938 – 1945. Düsseldorf 1987.

Ertl, Hans: Meine wilden dreißiger Jahre. Bergsteiger, Filmpionier, Weltenbummler. München 1982.

Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland. Band 3. `Drittes Reich´ 1933-1945. Herausgegeben von Peter Zimmermann und Kay Hoffmann. Stuttgart 2005.

Giesen, Rolf und Hobsch, Manfred: Hitlerjunge Quex, Jud Süß und Kolberg. Die Propagandafilme des Dritten Reiches. Dokumente und Materialien zum NS-Film. Berlin 2005.

Hermann, Michael: Festzüge am `Tag der Deutschen Kunst´. Nationalsozialistischer `Feierkult´ mit besonderer Berücksichtigung der filmischen Umsetzung. Magisterarbeit an der Ludwig-Maximilians-Universität München 1994.

Hoffmann, Hilmar: `Und die Fahne führt uns in die Ewigkeit´. Propaganda im NS-Film. Frankfurt am Main 1988.

Kanzog, Klaus: `Staatspolitisch besonders wertvoll´. Ein Handbuch zu 30 deutschen Spielfilmen der Jahre 1934 bis 1945. München 1994.

Koshofer, Gert: Color. Die Farben des Films. Berlin 1988.

136 Koshofer, Gert: Farbfotografie. Band 1: Alte Verfahren. Band 2: Moderne Verfahren. Band 3: Lexikon der Verfahren, Geräte und Materialien. München 1981.

Koshofer, Gert: Die Agfacolor Story. In: Weltwunder der Kinematographie. Beiträge zur Kulturgeschichte der Filmtechnik. Fünfte Ausgabe. Herausgegeben von Joachim Polzer. Potsdam 1999.

Die `Kunststadt´ München 1937. Nationalsozialismus und `Entartete Kunst´. Herausgegeben von Peter-Klaus Schuster. München 1987.

Schmidt, Richard und Kochs, Adolf: Farbfilmtechnik. Eine Einführung für Filmschaffende. Schriftenreihe der Reichsfilmkammer, Band 10. Berlin 1943.

Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Teil I. Aufzeichnungen 1934 – 1941. Band 2/II – 9. Herausgegeben von Elke Fröhlich. München 1998 – 2006.

Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Teil II. Diktate 1941 bis 1945. Band 1 – 15. Herausgegeben von Elke Fröhlich. München 1993 – 1996.

Die Ufa. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte des deutschen Filmschaffens. Herausgegeben von Hans Traub im Auftrag der Universum-Film Aktiengesellschaft. Berlin 1943.

Veröffentlichungen des Wissenschaftlichen Zentral-Laboratoriums der Photographischen Abteilung – Agfa – Band III., IV., V., VI. Herausgegeben von der I.G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft. Leipzig 1933, 1935, 1937, 1939.

Weltwunder der Kinematographie. Beiträge zur Kulturgeschichte der Filmtechnik. Sechste Ausgabe: Aufstieg und Untergang des Tonfilms. Herausgegeben von Joachim Polzer. Potsdam 2002.

Wenzl, Guido: Die Anfänge des farbigen Kinofilms in Deutschland, unter besonderer Berücksichtigung des Agfacolor-Verfahrens und der ersten farbigen Spielfilme. Zweibändige Diplomarbeit an der Ludwig-Maximilians-Universität München 1991.

Westbrock, Ingrid: Der Werbefilm. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte des Genres vom Stumm- zum frühen Ton- und Farbfilm. Hildesheim 1983.

d) Film-Datenbanken

Deutsches Filminstitut – DiF e.V. / Cinegraph – Hamburgisches Zentrum für Filmstudien e.V.: "Deutsche Filmographie II: Kurz- und Dokumentarfilme von 1921 bis 1945“.

Findbuch des Bundesarchiv-Filmarchivs „Deutsche Animationsfilme von 1909 bis 1945“, bearbeitet von Doris Hackbarth und Roswitha Müller, Berlin 2006. (Im Internet abrufbar unter der URL: http://www.bundesarchiv.de/findbuecher/Filmarchiv/Deutsche Animationsfilme/index.htm – Stand: August 2007.)

137 VIII.3 Abbildungsverzeichnis

Titelbild: Montage unter Verwendung eines Standbilds aus dem Film „Das Deutsche Erntedankfest auf dem Bückeberg“, enthalten auf der DVD „Das Dritte Reich in Farbe“ (Michael Kloft / 1999 / Spiegel TV History)

1. Vergleichsschema additive und subtraktive Farbmischung 2. Portrait Kurt Waschneck, abgedruckt im Film-Kurier, 30. April 1932: „Kurt Waschneck 50 Jahre!“ 3. Standbild aus dem Film „Das Deutsche Erntedankfest auf dem Bückeberg“, enthalten auf der DVD „Das Dritte Reich in Farbe“ (s.o.) 4. Schema der Funktionsweise des Siemens-Berthon-Opticolor-Verfahrens, abgedruckt im Film-Kurier, 31. Dezember 1936: „1936 – Das Jahr des Farbfilmstarts / Zwei Verfahren ringen um die Vormachtstellung“ 5. Schema der Funktionsweise des Siemens-Berthon-Opticolor-Verfahrens auf Grundlage von Abbildung 3 6. Veranstaltungsprogramm der Biennale 1937, Archiv Gert Koshofer 7. Urkunde Grand Prix für das Siemens-Berthon-Opticolor-Verfahren, Siemens-Archiv, Ordner „Berthon-Verfahren / Kinotechnik / Farbfilm – Das Berthon-Siemens-Farbfilm- Verfahren 1934-1939“, Bestandssignatur: 35/65 Ls 888 8. Zeichentrickfigur Tilo Voss, abgedruckt in Dideldum, Heft 14/1935, S. 3 9. Schema der Bipack-Aufnahme-Technik, angelehnt an die Abbildung „Filmführung in einer Bipackkamera“ bei D. Ch. Ehrhard Finger: Das Agfa Bipack-Zweifarbenverfahren (Ufacolor). In: Die Filmfabrik Wolfen – Aus der Geschichte, Heft 11, S. 17 10. und 11. Abbildungen aus dem Film-Kurier, 3. Mai 1939: „Deutsche Bauernjugend auf Burg Neuhaus. Ein farbiger Kulturfilm der Ufa über sportliche Ertüchtigung in der Reichsschule des Reichsnährstandes.“ 12. Die Burg Neuhaus heute, Aufnahme des Verfassers

138 Anmerkungen 2010

S. 21 Aufgrund der sauberen Bildführung kann vermutet werden, dass es sich hierbei […] um eine Nachstellung des historischen Marsches vom 30. Januar 1933 (möglicherweise sogar vor Studiokulissen) handelt. – Nachstellung ja, aber gewiss nicht im Studio. S. 35, 119, 125 „Rotkäppchen und der böse Wolf“ – Der richtige Titel dieses Films lautet „Rotkäppchen und der Wolf“ (Erstzensur: Nr. B.58198 vom 15.12.1937). Unter diesem Titel ist eine vollständige Kopie im Bundesarchiv überliefert. Die Bezeichnung Rotacolor für das Farbverfahren ist im Zusammenhang mit diesem Film nicht nachweisbar. S. 53 Im Stadtarchiv Nürnberg hat sich eine Kopie von „Tag der Deutschen Kunst 1937“ erhalten… – Gemeint ist das Stadtarchiv München. – Da das Vorführzubehör unauffindbar ist, kann die Kopie nur in schwarz-weißer Form genutzt werden. – Es handelt sich nicht um eine Linsenraster-, sondern um eine normale Schwarz-Weiß-Kopie. Das zugrundeliegende Nitromaterial wurde kassiert. (Dank für diese Auskünfte an Elisabeth Angermair, Stadtarchiv München.) S. 82 „Kraft durch Freunde“ – Kraft durch Freude! S. 86 Ernst Kreidloff – Ernst Kreidolf! S. 111, 133 Die Farbteile in „Aus der Welt der Farben“ wurden nach dem Pantachrom-Verfahren und nicht auf Agfacolor gedreht, auch wenn die nach Mitte 1939 hergestellten Kopien sicherlich auf Agfacolor-Positivfilm gezogen wurden. S. 120 Die abendfüllenden Spielfilme, die zum großen Teil wenigstens in Sondervorführungen auch in Deutschland gezeigt wurden… – In Deutschland wurden im Vergleich mit dem europäischen Ausland eine auffallend geringe Zahl britischer und amerikanischer Technicolor-Filme gezeigt. S. 121 Neben diesen prestigeträchtigen Farbspielfilme[n] entstanden laufend Kultur- und Werbefilme auf Agfacolor-Filmmaterial, wobei die farbige Werbefilmproduktion nach Ausrufung des Totalen Krieges im Frühjahr 1943 gedrosselt wurde. – Die farbige Werbefilmproduktion wurde bereits 1941/42 gedrosselt. S. 121-122 Später stellte die eigens zu diesem Zweck gegründete Produktionsgesellschaft Mars-Film neben schwarz-weißen auch farbige Lehr- und Ausbildungsfilme für die Wehrmacht her. – Die einzigen beiden mir bislang bekannt gewordenen Farbfilme der Mars-Film GmbH fallen nicht in die Kategorie Lehrfilme.

139 S. 127 Reichsgartenschau 1937 – Die betreffende (erste) Reichsgartenschau fand nicht 1937, sondern 1936 in Dresden statt. Einen Farbfilm mit diesem Zensurtitel hat es nie gegeben, sondern vermutlich lediglich einige vorführbereite Probeaufnahmen, als deren Hersteller die Boehner-Film GmbH in Frage kommt.

Zuletzt möchte ich folgenden Personen danken, die 2006/2007 meine Recherchen zu der vorliegenden Magisterarbeit unterstützt haben: Elisabeth Angermair / Stadtarchiv München, Ulrich Birkholz, Gabriel Genschow, Roland Foitzik / Bundesarchiv-Filmarchiv, Prof. Dr. Claus Füllberg-Stolberg / Leibniz-Universität Hannover, Manfred Gill / Betriebsarchiv der Agfa im Industrie- und Filmmuseum Wolfen, Anke Hahn / Stiftung Deutsche Kinemathek, Peter Hartl / Redaktion Zeitgeschichte des ZDF, Dr. Michael Hermann (Aurich), Dr. Cornelia Kemp / Deutsches Museum München, Gert Koshofer (Bergisch Gladbach), Bernd Riemann (Wolfsburg), Manfred Romboy (Wesseling), Dr. Karl Stamm (Bonn), Dr. Peter Stettner / Kulturarchiv der FH Hannover, Hans-Gunter Voigt / Bundesarchiv-Filmarchiv, und Dr. Frank Wittendorfer / Siemens-Archiv.

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