David Bowie in Berlin Von Christian Möller Regie: Thomas Leutzbach Redaktion Im DLF: Klaus Pilger Produktion: WDR 2015
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Sonntag, 08. Januar 2017 (20:05-21:00 Uhr) KW 1 Deutschlandfunk – Feature, Hörspiel, Hintergrund Kultur Ich hab mich nie wieder so frei gefühlt David Bowie in Berlin Von Christian Möller Regie: Thomas Leutzbach Redaktion im DLF: Klaus Pilger Produktion: WDR 2015 M a n u s k r i p t Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - ggf. unkorrigiertes Exemplar 1 Geräusch Bandrücklauf - Atmo Berlin, draußen, nachts: eine stille Straße, von fern manchmal etwas Stadtlärm, Auto, Hund etc.; näher an uns dran, ein klappriges Fahrrad, unregelmäßige Pedaltritte des Betrunkenen, es ist Bowie, auf dem Fahrrad er singt, leicht lallend (aber nicht komödiantisch), etwas vor sich hin, man erkennt es erst nicht, es ist „Heroes“ (All das nach und nach während des folgenden Textes) Erzähler Der Mann auf dem Hollandrad schlingert beim Fahren leicht hin und her. Liegt vermutlich an den vielen Flaschen Kindl, die sie sich im Studio heute genehmigt haben. Was anderes erlauben die da ja nicht. Edu Meyer Das wurde von vorn herein abgelehnt Drogen zu nehmen im Studio. Also das gab es nicht... Bowie singt auf dem Rad „Heroes“ jetzt immer noch lallend verschleift, aber erkennbar Atmo Das Fahrrad knallt hart in ein Schlagloch. Bowie Arrrgh, shit! Potholes, goddamnit! Erzähler Bis halb vier ging heute die Session. Anstrengend, aber hat sich gelohnt. Das Lied, das er dabei geschrieben hat, ist eins seiner besten, das weiß er jetzt schon. 2 Edu Meyer Und wenn ich an den Song jetzt denke, an ‚Heroes’, den alles definierenden Bowie-Berlin-Song, dann muss ich einfach mal feststellen, dass der ziemlich genial ist. Bowie singt „I, I drink all the time”…, nimmt auf dem Fahrrad einen kräftigen Schluck aus der Flasche. Erzähler Nun radelt er nach Hause auf seinem Hollandrad, leicht angeschickert, Holzfällerhemd, Jeans, Schnauzbart. Edu Meyer Also er hatte ein kariertes Hemd an, er sah eigentlich aus wie so ein Arbeiter, nich, aus ner Fabrik. Erzähler Einfach irgend so ein normaler Typ. Edu Meyer Also ganz unspektakulär. Erzähler Ein Typ auf dem Rückweg von der Arbeit. Spätschicht. Leicht einen drin. Er genießt das, hier einfach so ein ein normaler Typ zu sein. Er hat sonst so selten Gelegenheit dazu. Bowie singt aus vollem Hals, mit dieser leicht sich überschlagenden Stimnme „We can be Heroes for ever and ever“, es hallt in der stillen Straße. Irgendwo geht geräuschvoll ein Fenster auf. Berliner Prolet (brüllt): Ruhe da untn! An're Leute müssen morjns früh raus,?! ... Bowie What you say? 3 Atmo Fenster knallt zu Musik David Bowie: „Heroes“ Bowie (wie von Aufnahme, aus Kassettenrekorder abgespielt, mit Tastenklick an/aus – Prinzip zieht sich durch ganze Sendung) I've never felt freer than I did in Berlin. Erzähler: ANSAGE: Ich hab mich nie wieder so frei gefühlt. David Bowie in Berlin. von Christian Mö̈ ller. Musik David Bowie: „Heroes“ Szene Atmo Schritte das Treppenhaus hinauf Erzähler Berlin, August 1976. In einem Haus in der Hauptstraße 155 in Schöneberg zieht ein neuer Mieter ein. Atmo Wohnungstür aufschließen, Schritte hinein Vermieter Na denn, rinspaziert. 4 Claudia Skoda Große Berliner Altbauwohnung. Das war jetzt irgendwie überhaupt nichts Dolles. Irgendwie, ganz normal. Sprecherin Claudia Skoda, Modedesignerin. Seit David Bowies Berliner Zeit mit ihm befreundet. Bowie Thats it? Ja... Vermieter Äh. Yes. Welcome. Bowie Okay. Thanks. Vermieter Fühlensese sich wie zuhause, Mester. Bowie Mester?? Ah it’s mister. Mister....... Historic. Authentic... (unter Folgendem als Atmo Schritte auf knarzenden Dielen in leerer, halliger Wohnung) Claudia Skoda Er hat sich dann also ein Bärtchen stehen lassen, dass man ihn im Gesicht schon gar nicht mehr so gut erkannt hat und wenn er auf der Straße lief, dann hat kein Mensch den erkannt. Erzähler Auch in seinem Mietshaus weiß anfangs keiner, wer er ist. Es ist ein Mann namens David Jones, der hier einzieht. Das steht zumindest auf dem Klingelschild. 5 Szene Vermieter Naja, wenn se noch wat brauchn, sarnse eimfach Bescheid, Mister Jones. Bowie Mister...what? Oh, oh, oh yeah. Allright. Dankeschön. Jim Rakete Der hat in der Hauptstraße gewohnt unter seinem bürgerlichen Namen, niemand hat sich groß geschert. Sprecherin Jim Rakete. Fotograf. Bekannt geworden für seine Porträts von Stars wie Jimi Hendrix, Mick Jagger, Nina Hagen, Iggy Pop - und David Bowie. Jim Rakete Das war der gewaltige Trick, wie er wieder den Tank voll gekriegt hat. Weil ich glaube, dieses Wort „Low“ von seiner einen Platte, das trifft es ganz besonders, weil ich glaube, dass er ziemlich ausgebrannt war, als er nach Berlin kam. Erzähler Rückblende. Ein Jahr vorher. Grammy Awards 1975 He's more than just a rock star. He is the consumate rock performer. He is, of course, David Bowie. Atmo Applaus (läuft unter Text weiter) 6 Erzähler Die Grammy Awards. März 1975 in New York. Der Mann, der gerade auf die Bühne kommt, ist der größte Rockstar auf diesem Planeten - vielleicht sogar noch auf ein paar anderen, man weiß das nicht, immerhin war er mal als Ziggy Stardust im Weltall unterwegs. Musik David Bowie, „Ziggy Stardust“ Erzähler Rote Haare, grüne Augen und ein blaurotes Zickzack-Z quer über das Gesicht geschminkt. Ziggy, der bisexuelle Alien- Rockstar. So kennt ihn jeder in den 1970er Jahren. Eine Kunstfigur, aber für Bowie bald schon mehr. Bowie (aus Kassettenrekorder mit Tastenklick an/aus) Meine ganze Persönlichkeit war davon angegriffen. Sprecherin David Bowie, Interview im Melody Maker, 1977 Bowie Ich dachte, ich kann ihn auch zu Interviews mitnehmen. Warum ihn nur auf der Bühne lassen? Es wurde gefährlich. Ich machte mir Sorgen. Sorgen um meine psychische Gesundheit. Ich war gefährlich nah an der Grenze. Nicht körperlich, aber mental. Erzähler Aber körperlich sieht es auch nicht gerade gut aus. Auf der Bühne bei den Grammys steht ein bleiches Skelett im schwarzen Anzug. Zuletzt, in Los Angeles, hat er sich fast nur noch von Milch, Kokain und Paprika ernährt. Wog nur noch 50 Kilo bei 1,78 Körpergröße. 7 Bowie Auf manches blicke ich heute mit totalem Horror zurück. Es war eine traumatische Zeit. Erzähler Er hat Paranoia-Anfälle. Sieht Raumschiffe, die ihn abholen wollen. FBI-Agenten, die ihn überwachen. Arbeitet gleichzeitig wie ein Blöder. Geht auf Welt-Tournee, überall in riesigen Hallen, vor tausenden Fans. Zwischendrin Zusammenbrüche. Und Momente der Klarheit. Bowie Ich merkte, dass die Umgebung von Los Angeles sehr schädlich war für meine Arbeit. Es inspirierte mich nicht mehr. Deshalb fühlte ich mich auch so klaustrophobisch und von der Welt abgeschnitten. Ich entwickelte eine heuchlerische Einstellung. Es war ein Kampf zwischen Materialismus und Ästhetik. Mein Interesse war nie der Rock'n'Roll, daraus habe ich kein Geheimnis gemacht. Ich war ein mäßig guter Maler, der ein neues Medium finden wollte. Und da war ich nun also, genau im Zentrum von diesem durchgeknallten und schmierigen Rock-Zirkus. Es war wirklich nicht mehr als ein Zirkus. Und ich hätte nicht drin sein sollen. Musik David Bowie „Ziggy Stardust“ kurz wieder hoch Bowie Am Ende meines Aufenthalts in Amerika wurde mir klar. Ich muss experimentieren. Neue Formen des Schreibens entdecken. Eine neue musikalische Sprache entdecken. Das hatte ich mir vorgenommen. Deshalb bin ich nach Europa zurückgekehrt. 8 Musik David Bowie “Ziggy Stardust“ endet mit ‚.. Ziggy played guitar’ Musik David Bowie „A New Career in a New Town“ Berlin Bowie Tour Herzlich willkommen Euch allen zu den Berlin Music Tours. Wir machen heute ne spezielle Tour. Wir folgen nämlich David Bowies und Iggy Pops Spuren in der Stadt. Die sie uns hinterlassen haben. Die sind einige, sie waren einige Zeit hier... Erzähler 1976 bis 1978 lebt David Bowie in Berlin. Sein Kumpel Iggy Pop kommt bald hinterher. Die beiden leben in einer WG in der Hauptstraße 155. Edu Meyer ...aber soviel ich weiß, hat David ihn dann in ein anderes Apartment in dem Haus verwiesen, weil er hat ihm immer den Kühlschrank leergefressen. Sprecherin Edu Meyer. Toningenieur. Arbeitete in den Hansa-Studios in Berlin-Kreuzberg mit David Bowie und Iggy Pop zusammen. Edu Meyer Also David hat Iggy Pop eigentlich immer bisschen von oben herab behandelt, der war so ‚n Adlatus von ihm, so ‚n Anhängsel. Die tauchten da jedenfalls gemeinsam auf und Iggy Pop war also immer dabei irgendwie, also auch im Studio. 9 Erzähler In den Hansa-Studios produzieren sie einige ihrer wichtigsten Alben. Bowie „Low“ und „Heroes“, Iggy „Lust for Life“ und „The Idiot“. Musik David Bowie „Warszawa“ Ihre gemeinsame Zeit hier gehört inzwischen fest mit zum Mythos der Stadt, wie Checkpoint Charlie, Luftbrücke und Mauerfall. Deshalb die „Berlin Bowie Tour“ Popkultur- Sightseeing im klimatisierten Kleinbus-Bus. Rückblick in einer Zeit, als Berlin noch nicht hip war. Sondern schäbig und abgefuckt. Jim Rakete Berlin von damals muss man sich einfach mal imaginieren als einen Ort der Verwahrlosung. Also wir hatten breite Straßen und völlig vernachlässigte Fassaden, auf denen dann die Punks ihre Parolen sprühten und es war einfach ein ziemlich deprimierender Ort eigentlich. Mit Rostlauben, in die irgendwelche Bügel als Antennen gestopft waren. Das war kein bequemes Pflaster Mitte der 70er. Das war jetzt nicht irgendwas, wo man mit Stolz drauf blickt und sagt, das ist aber ne schöne Hometown. Erzähler Aber wer will das auch schon – eine „schöne Hometown“. Aus denen fliehen sie ja alle, aus ihren Städten in Schwaben und Ostwestfalen und sonstwo in der BRD. Wolfgang Müller Ich bin oft in Westberlin auch schon bevor ich da hingezogen bin hingefahren, von Wolfsburg aus. 10 Sprecherin Wolfgang Müller. Künstler, Autor, Musiker. Gründete in den späten 70ern die Band „Die tödliche Doris“. Hat ein Buch über die Subkultur West-Berlins geschrieben. Wolfgang Müller In Westberlin gab es halt einfach alle möglichen Leute zu treffen.