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CONTUREC 3

Qualität der Stadtlandschaften

Indikatoren, Planung und Perspektiven

Jürgen Breuste (Hrsg.)

Tagungsbeiträge der 2. Tagung des

Kompetenznetzwerkes Stadtökologie CONTUREC am 29. und 30. Juni 2007 in Salzburg

Schriftenreihe des Kompetenznetzwerkes Stadtökologie

Darmstadt 2008

CONTUREC: Schriftenreihe des Kompetenznetzwerkes Stadtökologie Verantwortlich für die Hrsg. Peter Werner – Darmstadt ISSN: 1862-0175 NE: Kompetenznetzwerk Stadtökologie; Werner, Peter [Hrsg.]

Qualität der Stadtlandschaften Indikatoren, Planung und Perspektiven Tagungsbeiträge der 2. Tagung des Kompetenznetzwerkes Stadtökologie CONTUREC am 29. und 30. Juni 2007 in Salzburg ISSN: 1862-0175 NE: Breuste, Jürgen [Hrsg.]

© 2008 Kompetenznetzwerk Stadtökologie

Verantwortlich für die Herausgabe von CONTUREC: Peter Werner Geschäftsstelle des Kompetenznetzwerkes Stadtökologie Institut Wohnen und Umwelt GmbH, Annastraße 15, D-64285 Darmstadt

Umschlag Layout: Sandra Murr, Frankenthal 2, 99182 Ingersleben

Titelfoto: Jürgen Breuste

CONTUREC 3 (2008)

Vorwort Den ersten Themenblock bildeten Vorträge zu Bewertung und Indikatoren der Stadtland- Die Internationale Konferenz „Qualität der schaft. Die Abbildung von Entwicklungen Stadtlandschaft, Indikatoren, Planung und durch stadtökologische Indikatorensysteme Perspektiven“ fand vom 29. bis 30. Juni 2007 bildete aus wissenschaftlicher und Planungs- an der Paris-Lodron-Universität Salzburg in sicht dabei den Schwerpunkt. Österreich als zweite Jahrestagung des Kom- Planungsinstrumente und Praxis bildeten petenznetzwerkes Stadtökologie CONTUREC den zweiten Themenblock. Fragen des EU- statt. Rechts in der Landesplanung, des Boden- Leitung und Organisation oblag dem Lehrstuhl schutzes und des Naturschutzes bzw. des Stadt- und Landschaftsökologie der Universität Schutzes der Biodiversität wurden dazu be- Salzburg (Prof. Dr. Jürgen Breuste) am Fach- handelt. bereich Geographie und Geologie. Die Tagung Der dritte Themenschwerpunkt war Neuen stand unter Schirmherrschaft des Landes und Ansätzen, Ausblicken und Perspektiven der Stadt Salzburg. Mitveranstalter war das gewidmet. Hier konnten Fragen der Schrump- IALE-D Centre for Landscape Research (Ce- fung, der Behandlung abiotischer Faktoren, LaRe). des dynamischen Landnutzungswandels und Die Tagung diente den insgesamt 60 Teilneh- der zu erwartenden Wirkungen des Klimawan- mern aus Polen, Dänemark, Frankreich, der dels auf Städte diskutiert werden. Slowakei, den USA, Deutschland und Öster- Mit Vorträgen zur Salzburger Stadtlandschaft reich als Forum zum wissenschaftlichen Aus- wurde darüber hinaus auch die Gastgeberregi- tausch sowie zur Vorstellung und Diskussion on in stadtökologischer Hinsicht vorgestellt. von aktuellen Forschungsarbeiten und For- schungsansätzen unterschiedlicher stadtöko- Diese Gliederung wurde für den vorliegenden logischer Zugänge zur Qualität der Stadtland- Band nicht in der Stringenz übernommen, da schaft. einzelne Beiträge ergänzend hinzugekommen und andere weggefallen sind. Der nun vorliegende Band CONTUREC 3 ent- hält die wissenschaftlichen Beiträge der Ta- Die lebhafte Diskussion auf der Tagung zu den gung, internationale Forschungsarbeiten und – Vorträgen berührte sowohl Aspekte der Analy- ergebnisse von Wissenschaftlern und Planern. se von Stadtlandschaftsqualität, aber auch Das Thema Qualität der Stadtlandschaft wurde Bewertungsfragen und war insbesondere auf von Wissenschaftlern und Planern als beson- die Ableitung praktischer Konsequenzen für ders interessant angesehen, gilt es doch, mit die Planung ausgerichtet. Dieser CONTUREC- den vorhandenen Möglichkeiten der individuel- Band erlaubt es, die Diskussion über den len Städte eine möglichst hochwertige Qualität Rahmen der Veranstaltung hinaus weiter zu von Stadtlandschaft aus ganz unterschiedli- führen. Dazu soll hiermit aufgefordert werden. cher Perspektive zu erreichen.

Darmstadt im September 2008

Prof. Jürgen Breuste Urban and Landscape Ecology University of Salzburg/Austria Department Geography and

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CONTUREC 3 (2008)

Inhalt

JÜRGEN H. BREUSTE Vorwort zum dritten Heft der Schriftenreihe CONTUREC

QUALITÄT DER STADTLANDSCHAFTEN INDIKATOREN, PLANUNG UND PERSPEKTIVEN

ULRIKE WEILAND & MATTHIAS RICHTER ...... 5 Monitoring und Evaluation der Stadtentwicklung Monitoring and Evaluation of Urban Development

FRANZ DOLLINGER, THOMAS PRINZ & STEFAN HERBST...... 15 Entwicklung von Nachhaltigkeitsindikatoren in grenzüberschreitenden Stadtregionen Developing of sustainability indicators in cross-border urban regions

WOLFGANG SOCHER ...... 25 Die Abbildung von Entwicklungen durch stadtökologische Indikatorensysteme The Illustration of Developments by Urban Ecological Indicator Systems

DAMIAN LOWICKI & IWONA ZWIERZCHOSKA...... 35 Place of urban ecosystems in relation to nature conservation in the Wielkopolska Region Die Stellung der städtischen Ökosysteme im Verhältnis zum Naturschutz in der Wielkopolska-Region

TINA SKUPIN ...... 47 Der post-sozialistische Landnutzungswandel in Städten aus ökologischer Sicht Post socialistic changes from an ecological point of view

PETER WERNER ...... 59 Stadtgestalt und biologische Vielfalt Urban form and biodiversity

JULIANE MATHEY & DIRK RINK ...... 69 Stadtumbau und Freiflächenqualität – Zur Frage der Freiflächenqualität in perforierten Städten Regeneration of Cities and Quality of Open Spaces – On the Question of Open Space Development in Perforated Cities

ANNETT WANIA, MICHAEL BRUSE & CHRISTIANE WEBER ...... 81 Micro-scale simulations of vegetation influence on traffic induced particle dispersion Mikroskalige Simulierung des Einflusses von Vegetation auf die Verbreitung verkehrsbedingter Partikel

JÜRGEN H. BREUSTE...... 93 Conditions and maintenance of street trees and its reflection in the inhabitants mind in the oasis city of Mendoza/Argentinien Zustand und Pflege von Straßenbäumen und deren Wahrnehmung durch Anwohner in der Oasenstadt Mendoza/Argentinien

MANFRED FRÜHAUF & THOMAS S. THIENELT...... 103 Urban lawns as sinks and sources of greenhouse gases – results of investigations in Denver (USA) and Halle (Germany) Urbane Rasenflächen als Senken und Quellen von Treibhausgasen – Ergebnisse der Untersuchungen aus Denver (USA) und Halle (Deutschland)

MARTIN SAUERWEIN & CLEMENS GEITNER...... 117 Urbane Böden – Charakterisierung, Schadstoffbelastung und Bedeutung im städtischen Ökosystem Urban – characterization, pollution and relevance in the urban ecosystem

CONTUREC 3 (2008)

MARTIN SAUERWEIN & INGO REHM ...... 131 Wie können Böden zur Qualität der Stadtlandschaft beitragen? – Entwicklung eines Bodenschutzkonzeptes für die Stadt Jena How can soils contribute to the quality of urban landscapes? – Development of an urban protection concept for the city of Jena

CLEMENS GEITNER, MARKUS TUSCH & JÖRN DITTFURTH ...... 147 Bodeninformation als Grundlage des Bodenschutzes am Beispiel des Fachplans Boden der Landeshauptstadt München Soil Information as Basis for Soil Protection – A „Thematic Soil Plan“ for the City of Munich

THOMAS KEIDEL...... 163 Potenziale historischer naturnaher Stadträume zur Reduzierung des Freizeitverkehrs ins weiter entfernte Stadtumland Potentials of nature near historic urban areas to reduce recreational traffic into areas in farer distances

SABINE PINTERITS ...... 173 Die Salzburger Stadtlandschaften Urban Landscapes of Salzburg City

CONTUREC 3 (2008) Seite 5 bis 13

Monitoring und Evaluation der Stadtentwicklung

Monitoring and Evaluation of Urban Development

ULRIKE WEILAND & MATTHIAS RICHTER

Zusammenfassung Prozesse der Stadtentwicklung zeigen eine hohe Variabilität. Eine längerfristige Stadtentwicklungs- planung ist mit großen Unsicherheiten behaftet, und eine nachhaltige Stadtentwicklungsplanung ist nur realisierbar, wenn unterschiedliche Interessen berücksichtigt und abgewogen werden. These ist, dass eine Stadtentwicklung mit den Elementen (1) Partizipative Zielfindung, (2) Monitoring und (3) Evaluation der Komplexität der Aufgabe am besten gerecht wird. In dem Beitrag werden für die drei Elemente Beispiele dargestellt, die belegen, dass Raum- und Stadtentwicklung zunehmend Elemente eines solchen ‚lernenden’ Systems einsetzen und sich auf diese Weise der Steuerungsmodus der Stadtentwicklung ändert.

Evaluation, Indikatoren, Leitbilder, Monitoring, Nachhaltigkeitsprüfung, Stadtentwicklungsprozesse, Governance, Umweltprüfung.

Summary Processes of urban development show a high variability. Strategic urban planning for longer terms is associated with large uncertainties, and a sustainable strategic urban planning is only feasible if differ- ent interests are considered and balanced. We hypothesize that a strategic urban planning comprising the elements (1) participatory identification of guidelines and objectives, (2) monitoring and (3) evalua- tion cope best with the complexity of the task. In this chapter the elements are characterized by exam- ples confirming that spatial and urban development already elaborate or apply elements of such a ‘learning’ system and thus the governance mode of strategic urban development is changing.

Vielfalt der Stadtentwicklung Darunter werden sowohl Bevölkerungsabnah- men, Wegfall von Arbeitsplätzen, Wohnungs- Die Gleichzeitigkeit einer Vielzahl unterschied- leerstände als auch der Abbau von Versor- licher Prozesse ist charakteristisch für die gungseinrichtungen und Infrastrukturen ver- Stadtentwicklung. Stadtentwicklung hat zwei standen (Gans, 2005). In Europa stehen pros- Bedeutungen: perierende Stadtregionen schrumpfenden Re- (1) Darunter werden zum einen Veränderun- gionen gegenüber, die auf absehbare Zeit gen der Stadtstruktur (z. B. des Bevölkerungs- nicht mit weiterem Wachstum und steigenden aufbaus, der Arbeitsplatzstruktur, der Nut- oder zumindest konstanten Bevölkerungszah- zungsstruktur) bzw. Stadtentwicklungsprozes- len rechnen können (Priebs, 2005; Deutscher se verstanden, die auch räumliche Konse- Bundestag, 2004). Aber auch innerhalb der quenzen haben, z. B. Suburbanisierung, Dein- einzelnen Städte treten Wachstums- und dustrialisierung, Umweltbelastungen. Schrumpfungsprozesse gleichzeitig auf. (2) Zum anderen bezeichnet Stadtentwicklung Die Zunahme des motorisierten Verkehrs führt die Tätigkeiten der Verwaltung und anderer zu den bekannten Überlastungserscheinun- Akteure, mit denen eine Veränderung der oben gen: Staus, Schadstoff- und Lärmbelastungen, genannten Strukturen und Prozesse ange- Zerschneidung von Lebensräumen. Mit stadt- strebt wird; dazu zählt insbesondere die Stadt- strukturellen Veränderungen, wirtschaftsstruk- entwicklungsplanung. Der Begriff der Stadt- turellem Wandel, Bevölkerungs- und Ver- entwicklung ist nicht auf administrative Gren- kehrsentwicklung sowie der Veränderung von zen beschränkt. Er wird hier auf die Stadtregi- Lebensstilen verändern sich auch die charak- on, die Gesamtstadt und Teile davon bezogen teristischen Umweltbeeinträchtigungen in Städ- (vgl. Albers, 2005; Friedrichs, 2005). Der Beg- ten und durch Städte. Der zunehmenden Inan- riff ‚Stadt’ bezeichnet somit in diesem Beitrag spruchnahme unbebauter Flächen durch Sied- Städte und Stadtregionen aller Größenordnun- lungs- und Verkehrsflächen in wirtschaftlich gen. prosperierenden Regionen steht in schrump- fenden Regionen das Brachfallen bisher ge- Neben der zu beobachtenden weltweiten Ver- nutzter Flächen gegenüber. Die Flächeninan- städterung und Urbanisierung treten parallel spruchnahme pro Kopf und pro Arbeitsplatz Schrumpfungen städtischer Siedlungen auf.

5 Ulrike Weiland & Matthias Richter

steigt jedoch in (fast) allen Regionen und mit ist mit einem ‚Top-down-Ansatz’ nicht zu be- ihr die damit verbundenen Ressourcennutzun- werkstelligen. Dazu sind Stadtverwaltungen gen bzw. Umweltbeeinträchtigungen; sie ist strukturell nicht in der Lage, da zu viele unter- von der Bevölkerungsentwicklung abgekoppelt. schiedliche Interessen zu berücksichtigen sind, Führen Schwerindustrie und Kraftwerke heute sie nicht über ausreichende Ressourcen verfü- noch vor allem in Osteuropa, Schwellen- und gen, und zu viele Unsicherheiten über zukünf- Entwicklungsländern zu hohen SO2-, CO2- und tige Entwicklungen und insbesondere über Schwermetallbelastungen, so stellen Ver- unbeabsichtigte Nebeneffekte von Planungs- kehrsemissionen wie NOx und CO in allen entscheidungen bestehen. Regionen, wenn auch in unterschiedlichem In diesem Beitrag wird von der These ausge- Ausmaß, Umweltbelastungen dar. Agglomera- gangen, dass ein ‚lernendes’, iteratives System tionen tragen durch die Emission von Treib- der Stadtentwicklung, in dem eine Überprüfung hausgasen deutlich zum Klimawandel bei. der Zielerreichung erfolgt, am besten in der Die Ausführungen verdeutlichen, dass zwi- Lage ist, die oben genannten Fragen zu be- schen den Städten große strukturelle Unter- antworten. Eine am Leitbild der Nachhaltigkeit schiede mit jeweils eigenen Ausgangssituatio- orientierte Stadtentwicklung benötigt folgende nen, Problemlagen und Entwicklungstrends Elemente: (1) eine abgestimmte und partizipa- bestehen. Städte sind ständig im Wandel be- tive Zielfindung, (2) das Monitoring der real griffene komplexe Systeme, die großräumig ablaufenden Stadtentwicklungsprozesse und wirkenden Einflussfaktoren wie der ökonomi- (3) deren Evaluation bzw. Bewertung. Im Fol- schen, technologischen und demographischen genden werden zur Untermauerung der oben Entwicklung unterliegen. Deren Beeinflussung genannten These Beispiele für die drei Ele- ist wiederum mit lokalen, aber auch mit staatli- mente Zielfindung, Monitoring und Evaluation chen Mitteln nur begrenzt möglich. Eine nach- dargestellt und diese abschließend in einem haltige Stadtentwicklung ist zwar inzwischen zyklischen Modell der Stadtentwicklung ange- ein weithin anerkanntes Leitbild, aber darüber, ordnet. inwieweit und wie dieses Leitbild in Realität umgesetzt werden soll, bestehen unterschied- Leitbilder und Zielfindungsprozesse liche Ansichten. Stadtentwicklung im Sinne von Steuerung setzt Die Verschiedenartigkeit und die Vielschichtig- voraus, dass Leitbilder und Ziele hierfür be- keit der Stadtentwicklungsprozesse einerseits stimmt werden. Leitbilder sind übergeordnete und die Forderung nach einer nachhaltigen und übergreifende Zielkonzepte, die der Steue- Stadtentwicklung andererseits werfen mindes- rung gesellschaftlicher und fachlicher Prozesse tens drei Fragenkomplexe auf: dienen sollen; sie sind idealtypisch und an- schaulich, und sie sollen von einem Gruppen- 1. Was ist eine angemessene Daten- und konsens getragen werden (Dehne, 2005). Nur Informationsgrundlage für eine nachhaltige von einer namhaften Anzahl relevanter Akteure Stadtentwicklung? Wie kann sie geschaf- akzeptierte Leitbilder und Ziele haben in de- fen werden? mokratischen Staaten eine Chance, in Realität 2. Was bedeutet ‚Nachhaltige Stadtentwick- umgesetzt zu werden. lung’ für die jeweilige Stadt? Welches sind Es gibt eine Vielzahl von Leitbildern und Zielen Ziele, die angesichts der gegebenen sozio- auf allen politischen Ebenen für unterschiedli- ökonomischen, sozio-kulturellen, tech- che Themenfelder, die sich zum Teil wider- nologischen Bedingungen und Trends und sprechen oder zwischen den administrativen der gegebenen Umweltsituation für die je- Ebenen nicht immer optimal abgestimmt sind; weilige Stadt erstrebenswert sind? Für sie spiegeln unterschiedliche Interessen wider. wen sind sie erstrebenswert, und wer soll Mit städtebaulichen Leitbildern wird Abhilfe für sie bestimmen? erkannte Missstände oder Visionen von einem 3. Wie können die Ziele einer nachhaltigen besseren Leben konzeptualisiert. Beispiele Stadtentwicklung in Realität umgesetzt sind hierfür das Leitbild der ‚gegliederten und werden? aufgelockerten Stadt’ oder das der ‚Stadt der kurzen Wege’. Eine nachhaltige Raum- und Die eingangs dargestellten Überlastungser- städtebauliche Entwicklung ist ein inzwischen scheinungen und die Komplexität der Frage- im deutschen Planungs- und Baurecht veran- stellung geben Anlass zu der Annahme, dass kertes Leitbild. In der Raumplanung wird mitt- die Verfahren und Instrumente der Stadtent- lerweile von einer prinzipiellen Gleichrangigkeit wicklung für eine Steuerung in Richtung Nach- der sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen haltigkeit der Weiterentwicklung bedürfen. Eine Aspekte ausgegangen und dem Postulat der zielorientierte Steuerung der Entwicklung, ins- nachhaltigen Raumentwicklung ein Integrati- besondere von städtischen Agglomerationen, onsgebot zugesprochen (Krautzberger &

6 Monitoring und Evaluation der Stadtentwicklung

Stemmler, 2006), dem inter- und intragenerative zukünftige räumliche Entwicklungen in Gerechtigkeit als Ziele zugrunde liegen. Bei der Deutschland sowie der Politikberatung. Da die Aufstellung von Raumordnungsplänen darf räumliche Bezugsebene die Kreise und kreis- keine dieser Zieldimensionen ‚weggewogen’ freien Städte sind, liefert die laufende Raum- werden (Stüer, 2005); die gleichen Prinzipien beobachtung Informationen, die auch für die sind in der Bauleitplanung anzuwenden. Die in Stadtentwicklung relevant sind. Gegenstand Kapitel 1 dargestellte Vielfalt von Ausgangssi- der Raumbeobachtung sind alle raumrelevan- tuationen und Entwicklungstrends von Städten ten Lebensbereiche wie z. B. Bevölkerung, hat Konsequenzen für die konkrete Ausgestal- Arbeit, Bildung, Wirtschaft, Freizeit, Flächen- tung des Nachhaltigkeitsleitbildes und somit nutzung, Siedlungsstruktur, Umwelt, Ver- der Ziele der Stadtentwicklung: unterhalb des kehr/Energie und Wohnen (BBR, 2007). Seit breiten ‚Schirmes’ nachhaltiger Raum- und einigen Jahren wird die breit angelegte Raum- Stadtentwicklung muss jede Stadt ihr eigenes beobachtung auf eine nachhaltige räumliche Zielsystem und ihren eigenen Weg für eine Entwicklung fokussiert. Ergebnisse der Lau- nachhaltige Stadtentwicklung finden. fenden Raumbeobachtung werden in Raum- ordnungskatastern und der INKAR-Datenbank

des BBR dargestellt und fließen in Raumord- Monitoring und Indikatoren der Stadtent- nungsberichte und Städtebauliche Berichte auf wicklung Bundesebene ein. Monitoring hat mehrere Funktionen; es dient Die Überwachung erheblicher positiver und der Beobachtung, der Überwachung und auch negativer, vorhergesehener und unvorherge- der Kontrolle von Entwicklungen wie z. B. von sehener Umweltauswirkungen, die voraus- Stadtentwicklungsprozessen. Ziel eines Moni- sichtlich mit der Umsetzung von Plänen und toring ist, Zustände und Entwicklungstrends zu Programmen zu erwarten sind, im Rahmen der erfassen, darzustellen und für Interpretationen Durchführung einer Umweltprüfung nach SUP- zugänglich zu machen sowie planerische und Richtlinie (vgl. Hanusch et al., 2005) soll auch politische Prozesse und Entscheidungen zu zu einer umweltgerechten Stadtentwicklung begleiten und zu fundieren (Birkmann, 2005). beitragen. Diese ‚Überwachung' wird von eini- Die erforderlichen Daten werden in Form von gen Autoren mit ‚Monitoring’ gleichgesetzt (vgl. Indikatoren erhoben. Roder, 2004). Das Monitoring soll Informatio- Indikatoren sind ein seit langem und häufig nen über die tatsächliche Entwicklung der im benutztes Instrument in Raumplanung und Umweltbericht prognostizierten erheblichen Stadtentwicklung. Im Allgemeinen sind Indika- Umweltauswirkungen liefern und so die Lücke toren Parameter, die es erlauben, Aussagen im Planungsprozess zwischen Plan-Annahme, über Sachverhalte zu machen, die nicht direkt Plan-Verwirklichung und Fortschreibung bzw. erfasst werden können. Indikatoren können Änderung des Planes schließen. Auf diese quantitative Daten messen oder qualitative Weise soll der Ungewissheit begegnet werden, Daten abschätzen. Sie können zur Information, mit der jede Prognose behaftet ist (vgl. Bovet & Berichterstattung und Kommunikation oder als Hanusch, 2006; Bunzel, 2006). Bisher liegen Informationsgrundlagen für Entscheidungen Erfahrungen über die Anwendung des Monito- fungieren. Bei der Indikatorenbildung können ring in der Bauleitplanung aus einigen Städten fachspezifische und fachübergreifende bzw. vor (Bunzel & Jekel, 2006). Die Vorgaben der Nachhaltigkeitsindikatorensysteme unterschie- SUP-Richtlinie zum Monitoring lassen den den werden. Mitgliedsstaaten jedoch große Freiheiten bei der Umsetzung der Richtlinie. Da über die Auf europäischer wie nationaler Ebene werden Monitoringergebnisse zwar zu berichten ist, es vermehrt Vorgaben und Beispiele für ein Moni- jedoch keine Verpflichtungen zur Durchführung toring der Raumentwicklung und Umweltsitua- bestimmter Maßnahmen gibt, bleibt abzuwar- tion entwickelt, die auch für die Stadtentwick- ten, welche Folgen die SUP in der Praxis zei- lung relevant sind. Dazu zählen die Raumbeo- gen wird (Bunge, 2005). Die Einführung der bachtung nach § 18 Abs. 5 ROG und das Um- Überwachung potenzieller erheblicher Um- weltmonitoring zur Umsetzung der SUP- weltauswirkungen von Raumplänen ist ein Richtlinie (RL 2001/42/EG), der FFH-Richtlinie Schritt zu einer Wirkungskontrolle von Pla- (RL 92/43/EG) und der Umweltinformations- nung. richtlinie der EU (RL 2003/4/EG) sowie zur Mit einem lokalen Nachhaltigkeitsmonitoring Umweltbeobachtung nach § 12 BNatSchG. Im soll das Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung Folgenden werden einige Beispiele kurz dar- für die lokale Ebene operationalisiert werden gestellt. (vgl. z. B. Heiland et al., 2003; IISD, 2006; UN Die Laufende Raumbeobachtung des Bundes Habitat, 2006; Weiland, 1999 u. 2006). Die nach § 18 Abs. 5 ROG dient der Beobachtung Entwicklung von Nachhaltigkeitsindikatoren und Berichterstattung über gegenwärtige und und die Einführung von entsprechenden Moni-

7 Ulrike Weiland & Matthias Richter

toringverfahren wurden bereits in der Agenda Wiesbaden Nachhaltigkeitsindikatorensysteme 21 gefordert. Nachhaltigkeitsindikatoren unter- entwickelt. (Heiland et al., 2003). In einigen scheiden sich durch ihren Bezug zu den Di- Konzepten wird ein Bezug zur Steuerung der mensionen nachhaltiger Entwicklung von an- Stadtentwicklung hergestellt (vgl. Birkmann, deren Indikatoren; d. h. Nachhaltigkeitsindika- 2004; Gehrlein, 2004; Hartmuth et al., 2006; torensysteme decken sowohl Aspekte der Keiner, 2005; Werheit, 2002). Letzteres wird in wirtschaftlichen und sozialen Situation, der der Praxis – abgesehen von z. B. der Stadt Umweltsituation sowie wesentliche institutio- Heidelberg, die ihr Monitoring für die Stadtent- nelle Aspekte der Stadtentwicklung einschließ- wicklungsplanung einsetzt (Schmaus, 2005) – lich der Verflechtungen zwischen diesen ab. bisher jedoch nur ansatzweise realisiert. Die Verwendung von Nachhaltigkeitsindikato- Mit dem Projekt ‚Städte der Zukunft’ haben ren soll die Selbstregulationsfähigkeit von so- Bundesbauministerium und die Bundesanstalt zialen, ökonomischen und ökologischen Sys- für Bauwesen und Raumordnung eine indikato- temen auf verschiedenen Skalen, einschließ- rengestützte Erfolgskontrolle der Stadtentwick- lich städtischer Siedlungen unterschiedlicher lung angestoßen. Inzwischen liegt ein Kernin- Größenordnungen verbessern. Ein so verwen- dikatorensatz von 20 Indikatoren vor, der in deter Indikator kann charakterisiert werden als mehreren Projekten erprobt wurde und für die „zusammenfassende und synthetisierende kommunale Praxis empfohlen wird. Aus der Größe, die anzeigt, wie gut ein System funkti- Sicht von im Agenda-Prozess involvierten Be- oniert“ (Flowers et al., 2005). Wenn Nachhal- fragten1 besonders relevante Nachhaltigkeits- tigkeitsindikatoren zur Steuerung eingesetzt indikatoren sind in Tab. 1 dargestellt. Die An- werden sollen, benötigen sie einen Bezug zu zahl der für relevant gehaltenen Indikatoren ist Nachhaltigkeitszielen. wesentlich kleiner als die ursprünglich in dem Es gibt zahlreiche Beispiele für ein Monitoring Projekt ‚Städte der Zukunft’ vorgesehene An- mit lokalen Nachhaltigkeitsindikatoren, vor zahl. allem in europäischen und nordamerikani- In der Stadt Leipzig wurden folgende Nachhal- schen Städten (vgl. IISD, 2006). In Deutsch- tigkeitsindikatoren für die Nachhaltigkeitsbe- land haben z. B. die Städte Berlin, Dortmund, richterstattung verwendet (Auswahl, vgl. Tab. Hamburg, Heidelberg, Leipzig, München und 2).

Tab. 1: Relevante Nachhaltigkeitsindikatoren in Wiesbaden

Handlungsfeld Strategien/Ziele Indikatoren Haushälterisches Boden- Wiedernutzung von städtebaulichen Bra- Anteil wieder genutzter städtebaulicher Brach- management chen und leer stehenden Gebäuden flächen Erhaltung und Vernetzung klimawirksamer Grün- und Erholungsausstattung Flächen

Vorsorgender Umwelt- Minderung der Luftschadstoffe und Treib- CO2-Ausstoss schutz hausgase Schutz und Pflege des Grundwassers und Trinkwasserverbrauch privater Haushalte lokaler Wasservorkommen (einschließlich Kleingewerbe) Stadtverträgliche Mobili- Anbindung von Wohngebieten und Arbeits- Anteil der Einwohner im Radius von 300 m zu tätssteuerung stätten an den ÖPNV ÖPNV-Haltestellen Erhöhung der Aufenthaltsqualität für Fuß- Verkehrsopfer im Straßenverkehr gänger-/innen Sozialverantwortliche Woh- Sicherstellung nachfragegerechter Woh- Wanderungssaldo zwischen Kernstadt und nungsversorgung nungsangebote Umland Ressourcenschonender kostenreduzierter Verhältnis der Wohnungsfertigstellungen im Wohnungsbau Geschosswohnungsbau zu Wohnungsfertigst. in Ein- und Zweifamilienhäusern Standortsichernde Wirt- Sicherung der Qualität des Standortes Veränderung der Arbeitslosenquote schaftsförderung Gezielte Standortförderung für umwelt- Unternehmen mit anerkanntem Umweltmana- schonende Betriebe gement

Quelle: Stadt Wiesbaden, 2005

8 Monitoring und Evaluation der Stadtentwicklung

Tab. 2: Indikatoren der Stadt Leipzig zur Nachhaltigkeitsberichterstattung

Soziale Indikatoren Ökonomische Indikatoren Umweltindikatoren Indikatoren zum städti- schen Haushalt Bevölkerung: Wirtschaftskraft / Wert- Fläche und Naturraum: Pro-Kopf-Verschuldung Einwohnerzahl schöpfung: Siedlungs- und Verkehrsfläche Anteil Steuereinnahmen an Wanderungsbilanz Gewerbesteuereinnahmen (SuV) / Einwohner Gesamteinnahmen des Geburten- und Sterbefallbilanz Übernachtungen in Beher- Anteil der SuV an der Gesamt- Verwaltungshaushaltes bergungsstätten fläche Anteil Investitionen am Anteil Kinder Firmenstruktur: Länge revitalisierter Gewässer- Gesamthaushalt Anteil Studierende abschnitte Arbeitsmarkt: Differenz von Gewerbean- und -abmeldungen Klimaschutz: Arbeitslosigkeit Sozialversicherungspflichtig CO2-Emissionen Bildung: Beschäftigte Anteil regenerativer Energien Schulabgänger am Endenergieverbrauch Ausbildungsplätze Stromverbrauch privater Haus- Gesundheit: halte Anteil übergewichtiger Kinder Luft, Wasser, Boden: Anteil Kinder mit Allergien Jahresmittelwert ausgewählter Meldepflichtige Infektions- Immissionen krankheiten Anzahl Straßenbäume Wohnen: … Trinkwasserverbrauch der Kultur: … Haushalte Sicherheit und Ordnung: … Soziale Differenzierung: …

Quelle: Büro der Leipziger Agenda 21, 2004

Die Unterschiede zwischen den in Wiesbaden Evaluation der Stadtentwicklung und Leipzig gewählten Indikatoren spiegeln die Die Evaluation der Stadtentwicklung ist Vor- unterschiedliche sozio-ökonomische Situation aussetzung für ihre zielorientierte Steuerung. beider Städte. In Wiesbaden werden mehr Im Unterschied zu der Auffassung, Evaluation umweltbezogene Indikatoren als relevant er- habe sowohl die Funktion der Analyse als auch achtet, während in Leipzig soziale und ökono- der Bewertung (Wollmann, 2005) – wird in mische Indikatoren überwiegen. Es wird auch diesem Beitrag unter Evaluation allein die Be- deutlich, dass in beiden Indikatorensätzen wertung verstanden, hier insbesondere die nicht klar zwischen verschiedenen möglichen Bewertung stattfindender Stadtentwicklungs- Funktionen von Indikatorensätzen (Analyse, prozesse mit Hilfe von Leitbildern, Zielen und Steuerung, Kommunikation) und folglich zwi- Indikatoren (distance-to-target approach). Sie schen Anzahl und Aggregationsniveau bzw. ist Voraussetzung für die Identifikation der Detaillierungsgrad der Indikatoren unterschie- größten Probleme und für die Bestimmung von den wird. Prioritäten der Stadtentwicklung. Trotz der zahlreichen Beispiele für Nachhaltig- Der Raumordnungsbericht 2005 enthält erst- keitsindikatorensysteme hat sich noch immer mals den Versuch, die Raumentwicklung unter kein methodischer Standard herausgebildet dem Aspekt der Nachhaltigkeit mittels eines (vgl. Weiland, 1999; Heiland et al., 2003), und Kernindikatorensatzes und Zielwerten für die zwischen Anspruch und Wirklichkeit des Indi- einzelnen Indikatoren zu bewerten. Aus den katoreneinsatzes besteht immer noch eine Trends der Raumentwicklung und ‚Nachhaltig- Kluft. Bis heute werden lokale Nachhaltigkeits- keitsdefiziten’ werden wichtige zukünftige indikatorensysteme eher neben weiteren räumliche Herausforderungen abgeleitet (BBR, kommunalen Instrumenten entwickelt und sel- 2006). Mit ca. 40 Nachhaltigkeitsindikatoren ten für eine Steuerung der Stadtentwicklung in zur ökonomischen Wettbewerbsfähigkeit, sozi- Richtung Nachhaltigkeit eingesetzt. Nachhal- alen und räumlichen Gerechtigkeit und zum tigkeitsindikatoren und ein Nachhaltigkeitsmo- Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen nitoring können jedoch nur dann steuernd wir- können die Zielerfüllung bzw. Nachhaltigkeits- ken, wenn sie in ein Managementsystem ein- defizite von Bundesländern, aber auch von gebunden sind und ihre Anwendung die Durch- Regionen und Städten wie Hamburg oder Ber- führung „steuernder Eingriffe“ nach sich zieht. lin festgestellt werden (vgl. Irmen & Blach, Dies können sowohl Maßnahmen und Projekte 1999; Irmen & Milbert, 2002). als auch Zielkorrekturen sein.

9 Ulrike Weiland & Matthias Richter

Im internationalen Kontext sind Nachhaltig- lung verändern. In den letzten 40 Jahren hat keitsprüfungen in Diskussion bzw. Erprobung. sich die Planung von einer hoheitlichen zu Nachhaltigkeitsprüfungen ermöglichen eine einer diskursiven Planung fortentwickelt (Fürst, Beurteilung darüber, inwieweit die aktuellen 2005; Nuissl & Heinrichs, 2006). Das Leitbild Stadt- oder Regionalentwicklungsprozesse mit Nachhaltigkeit und die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitszielen übereinstimmen oder Umweltbelangen wurden in das Planungs- und ihnen zuwider laufen. Sie sind Voraussetzung Baurecht und seine Instrumente integriert. In für die Identifikation der größten Probleme und mehreren aktuellen Diskursen und Projekten für die Bestimmung von Prioritäten für Politik wird den veränderten Rollen und Handlungs- und Planung. Auf der Basis der Ergebnisse möglichkeiten der beteiligten Akteure Rech- einer Nachhaltigkeitsprüfung können neue nung getragen. Unter dem Begriff der ‚Gover- Nachhaltigkeitsziele aufgestellt oder Strate- nance’ wird die Vielzahl unterschiedlicher Ar- gien, Planungsinstrumente und Maßnahmen ten, wie Individuen, öffentliche und private verändert werden. Institutionen ihre eigenen Belange regeln und zwar innerhalb und jenseits staatlicher Steue- In England werden Sustainability Appraisals rung, diskutiert (vgl. Beaumont & Musterd, zur Aufstellung und Änderung regionaler Pla- 2005; Einig et al., 2005; Jessop, 2002). Für die nungsstrategien, lokaler Entwicklungspläne Stadtentwicklung ist insbesondere der Diskurs und ergänzender Planungsdokumente durch- zur ‚neuen städtischen Governance’ (new ur- geführt. Mit Sustainability Appraisals wird Pro- ban governance) relevant (vgl. Hohn & Neuer, zess begleitend analysiert und bewertet, in- 2006). Vermehrt werden Wirkungskontrollen wieweit der betreffende Plan die Ziele einer und Evaluationen von Planungen gefordert. In nachhaltigen Entwicklung erfüllt und dabei alle dem Projekt „Fläche im Kreis – Kreislaufwirt- Nachhaltigkeitsdimensionen abdeckt. Die schaft in der städtischen/stadtregionalen Flä- Durchführung von Sustainability Appraisals ist chennutzung“ wurde das bestehende planeri- vollständig in das Aufstellungs- bzw. Ände- sche Instrumentarium daraufhin untersucht, rungsverfahren der oben genannten Strategien inwieweit es zu einer Steuerung der Flächen- und Pläne integriert. Sie erfolgt mit den glei- inanspruchnahme im Sinne einer Kreislaufwirt- chen Verfahrensschritten und nach der glei- schaft geeignet ist und Empfehlungen ausge- chen Methodik wie Umweltprüfungen, jedoch sprochen, sowohl veränderte Rahmenbedin- sollen über Umweltauswirkungen hinaus auch gungen als auch ergänzende Maßnahmen und mögliche soziale, ökonomische und gesund- neue Instrumente zu schaffen, um das so ge- heitliche Folgen der Umsetzung der oben ge- nannte „30-ha-Ziel“ der Nachhaltigkeitsstrate- nannten Strategien und Pläne ermittelt, be- gie der Bundesregierung zu erreichen (vgl. rücksichtigt und überwacht werden (ODPM, BMVBS & BBR, 2006a; Bunzel & Preuss, 2005). 2006). Auch die Umweltprüfung für Pläne und Pro- Die genannten Ansätze haben eines gemein- gramme (SUP) (vgl. Fischer, 2006; Schink, sam: ihnen liegt ein verändertes Steuerungs- 2005; Uechtritz, 2005) kann als eine Methode verständnis zugrunde. Sie verwenden kein zur Evaluation zukünftiger Stadtentwicklung hierarchisches Steuerungsmodell mehr, son- betrachtet werden. Mit Hilfe der SUP sollen dern gehen davon aus, dass eine langfristige, insbesondere unvorhergesehene negative detaillierte Vorausplanung einer Raum- oder Auswirkungen formeller Pläne frühzeitig er- Stadtentwicklung nicht möglich ist und dass die kannt werden können, um entsprechende Ab- Ergebnisse einer Entwicklung überprüft wer- hilfemaßnahmen in die Wege leiten zu können. den müssen. In diesem neuen Steuerungsmo- Bei der Aufstellung, Änderung und Ergänzung dell wird eine „Steuerung von oben“ mit einer z.B. von Bauleitplänen sind Umweltberichte zu „Steuerung von unten“ verbunden. Eine solche erstellen, die die Ergebnisse der Umweltprü- Steuerungsform im Regelkreis von Planung, fung des Plans beinhalten. Die durch die Be- Umsetzung, Kontrolle und (Gegen-) Steuerung hörde im Umweltbericht ausgewiesenen und wird im betrieblichen Management als Control- mit der Annahme des Plans oder Programms be- 2 ling bezeichnet. Unternehmensführungen er- schlossenen Überwachungsmaßnahmen sind halten durch Controlling führungsrelevante Grundlage einer Überwachung möglicher Um- Informationen für Entscheidungen über Unter- weltauswirkungen der Planumsetzung. nehmensziele und Maßnahmen (Küpper,

2001). Es sollte geprüft werden, inwieweit und Konsequenzen für die Stadtentwicklung unter welchen Bedingungen eine Übertragung Nachhaltigkeitsleitbilder und -indikatoren, die des betrieblichen Controlling auf die Stadtent- Einführung und Weiterentwicklung von Monito- wicklung zu einer nachhaltigen Stadtentwick- ringverfahren und die Einführung von Umwelt- lung beitragen kann. Bei einer Anwendung und Nachhaltigkeitsprüfungen weisen darauf dieses Steuerungsmodells auf die Stadtent- hin, dass sich Raumplanung und Stadtentwick- wicklung würden bisher lineare Entschei-

10 Monitoring und Evaluation der Stadtentwicklung

dungsprozesse zu zyklischen Politik- bzw. für deutsche Städte. Hrsg.: Difu. Berlin. Managementprozessen fortentwickelt (vgl. Birkmann, J. (2004). Monitoring und Control- Weiland, 2001). ling einer nachhaltigen Raumentwicklung. Indikatoren als Werkzeuge im Planungs- Zusammenfassend gibt es also deutliche An- prozess. Dortmund. zeichen für eine bereits stattfindende Verände- Birkmann, J. (2005). Monitoring. In: Akademie rung der Stadtentwicklung und somit Belege für Raumforschung und Landesplanung für die eingangs formulierte These. Zu den drei (ARL) (Hrsg.). Handwörterbuch der Raum- zuvor genannten Fragekomplexen konnten ordnung. Hannover. S. 668-674. erste Antworten gegeben werden. Die Vielfalt BMVBS - Bundesministerium für Verkehr, Bau der zu berücksichtigenden Ausgangssituatio- und Stadtentwicklung (2006). Leitbilder und nen, Trends und Interessen, die Unwägbar- Handlungsstrategien für die Raum- keiten zukünftiger Herausforderungen und die entwicklung in Deutschland. Verabschiedet potenzielle Fehlerhaftigkeit von Richtungsent- von der Ministerkonferenz für Raum- scheidungen legen es nahe, ‚lernende Syste- ordnung am 30.06.2006. Berlin. me’ einzuführen, d. h. Planungs- und Ent- http://www.bbr.bund.de/cln_005/nn_23566/ scheidungssysteme, die jeweils die erreichten DE/Veroeffentlichungen/Sonderveroeffentlic Ausgangssituationen reflektieren und Korrek- hun- turmöglichkeiten vorsehen. gen/Downloads/DL__Leitbilder,templateId=r

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11 Ulrike Weiland & Matthias Richter

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12 Monitoring und Evaluation der Stadtentwicklung

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13

CONTUREC 3 (2008) Seite 15 bis 24

Entwicklung von Nachhaltigkeitsindikatoren in grenzüberschreiten- den Stadtregionen

Developing of sustainability indicators in cross-border urban regions

FRANZ DOLLINGER, THOMAS PRINZ & STEFAN HERBST

Zusammenfassung In den letzten Jahren entwickelte sich die EuRegio Salzburg - Berchtesgadener Land - Traunstein kontinuierlich zu einem gemeinsamen Arbeits-, Wirtschafts- und Lebensraum. Durch die veränderte Bedeutung von politischen und administrativen Grenzen kommt es zu einer schrittweisen räumlichen Ausdehnung funktionaler Verflechtungsräume. Diese Intensivierung grenzüberschreitender Aktivitäten und Verflechtungen führt dazu, dass räumliche Entwicklungsprozesse vermehrt grenzübergreifend analysiert und beobachtet werden müssen. Bei Planungsfragen im Rahmen der Europaregion Salz- burg (Erstellung von Raumordnungsprogrammen sowie Infrastrukturplanung) hat sich gezeigt, dass hinsichtlich grenzüberschreitender Planungsgrundlagen und Raumindikatoren Handlungsbedarf be- steht. Es müssen grenzübergreifende Planungsgrundlagen und Indikatoren entwickelt werden, um überhaupt nachhaltige und aufeinander abgestimmte Planungs- und Umsetzungsmaßnahmen in einer gemeinsamen, funktionalen Region ergreifen zu können. Hoch aufgelöste Planungs- und Entschei- dungsgrundlagen werden mit Methoden der angewandten Geoinformatik entwickelt, um die grenz- übergreifende nachhaltige Raum- und Infrastrukturplanung (z.B. S-Bahn von Salzburg ins Berchtes- gadener Land) zu unterstützen. Dies ist eine bedeutende Grundlage für die Umsetzung einer nachhal- tigen Regionalentwicklung und führt zu einer verbesserten Abstimmung von Siedlungsstruktur und Verkehrsinfrastruktur.

Räumliche Indikatoren, Planungsgrundlagen, Infrastrukturplanung, Euregio, Stadtregion, Nachhaltig- keit

Summary In recent years the EuRegio Salzburg - Berchtesgadener Land - Traunstein developed continuously towards a common space in terms of employment, economy and living. The increase of cross-border activities and linkages leads to the need of transnational analysing and monitoring processes in spatial planning. The spatial implementation of sustainable development strategies - regardless of the admi- nistrative boundaries - is done by evolving transnational spatial indicators at different scales depend- ing on the application. With the objectives of reducing infrastructure expenses and preservation of resources concerning settlement development (smart growth) and energy consumption the information derived from spatially explicit indicators is getting more and more important. High-resolution spatial indicators are developed by means of innovative methods of applied geographic information process- ing in order to support sustainable regional planning activities such as demand-oriented infrastructural planning (e.g. S-Bahn from Salzburg to Berchtesgadener Land). The developed indicators provide the basis for the realisation of sustainable regional planning and the coordination of settlement and infra- structure considering cross-border functional interdependencies of the urban agglomeration of the Salzburg region.

1. Einleitung Eine zukunftsorientierte und grenzübergreifen- de Regionalentwicklung steht vor der Heraus- Seit dem Beitritt zur Europäischen Union im forderung, ökologische, soziale und wirtschaft- Jahr 1995 entwickelte sich die Stadtregion liche Aspekte im Planungsprozess gleicher- Salzburg kontinuierlich zu einem grenzüber- maßen zu berücksichtigen. Dies ist Grundvor- greifenden Wirtschafts- und Lebensraum. Die- aussetzung für die Sicherstellung von Lebens- sem Umstand tragen inzwischen auch die qualität sowie Erfolgsbedingung für den Wett- Landesentwicklungsprogramme von Bayern bewerb unter städtischen Regionen. Die quer- und Salzburg Rechnung, die einen zwischen schnittsorientierte Beachtung dieser Faktoren den beiden Ländern abgestimmten Verdich- erfordert bei der bedarfsorientierten Infrastruk- tungsraum mit einem grenzüberschreitenden turplanung oder der flächenspezifischen Aus- Stadt-Umland-Bereich festlegten. weisung von Nutzungstypen einen großen

15 Franz Dollinger, Thomas Prinz & Stefan Herbst

Koordinierungsaufwand. Dementsprechend groß Leitbildes der Nachhaltigkeit zu registrieren, ist der Bedarf an fundierten Entscheidungs- ihre konkrete Implementierung und „Messbar- grundlagen. Die wachsende grenzüberschrei- machung“ im Planungsprozess steckt jedoch tende Zusammenarbeit in verschiedenen Be- noch im Anfangsstadium. Das Konzept der reichen (Raumordnung, Verkehr, Infrastruktur- Nachhaltigkeit und die Begriffsdiskussionen planung) und die Umsetzung des EuRegio haben Umdenkprozesse in lokalen bis interna- Entwicklungskonzeptes erfordern gemeinsam tionalen Entwicklungsstrategien bewirkt. In erarbeitete und grenzübergreifende Planungs- Städten, Ländern und Regionen haben sich im grundlagen. Für die weitere Entwicklung dieser Zuge der Nachhaltigkeitsdebatte Leitbilder Region ist die Abstimmung räumlicher Strate- hinsichtlich der ökologischen, der ökonomi- gien, Planungen und Planungsgrundlagen von schen und der sozialen Dimension verstärkt großer Bedeutung. etabliert. Da das Konzept der Nachhaltigen Raumentwicklung allgemeiner Natur und sehr Im Rahmen des INTERREG IIIA Projektes abstrakt ist, bedarf es einer Entwicklung von "EuRegionale Raumindikatoren für die nach- räumlichen Messgrößen zur begleitenden Be- haltige Regionalentwicklung" wurden erstmals obachtung und Kontrolle von integrativen grenzübergreifende Entscheidungsgrundlagen Raumentwicklungs- und Planungsprozessen. und hoch aufgelöste Raumindikatoren entwi- Die explizit in der Rio-Konferenz geforderte ckelt, um darauf aufbauend nachhaltige Pla- Entwicklung und Anwendung von Indikatoren nungsmaßnahmen in der Europaregion Salz- zur Beobachtung, Kontrolle und Steuerung von burg konkretisieren zu können. Das For- Entwicklungen und Maßnahmen dieser Nach- schungsstudio iSPACE des Austria Research haltigkeitsziele ist jedoch nicht einfach zu reali- Centers (Projektträger) entwickelte gemeinsam sieren (Prinz, 2007). mit den Projektpartnern Land und Stadt Salz- burg, dem Bayerischen Staatsministerium für Die Nachhaltigkeitsdiskussion wird auf ver- Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Techno- schiedenen Ebenen (Staatengemeinschaft / logie, der Regierung von Oberbayern und dem Land / Region / Gemeinde) mit unterschiedli- Zentrum für Geoinformatik der Universität chen Interessen und Inhalten geführt. Nachhal- Salzburg (Z_GIS) grenzübergreifende Pla- tigkeit soll sich „vor Ort“ wieder finden und in nungsgrundlagen und Raumindikatoren. Das die politischen, administrativen und planeri- Projektgebiet umfasst das Gebiet der EuRegio schen Abläufe integriert werden. Dem explizi- Salzburg - Berchtesgadener Land - Traunstein ten Raumbezug von Entscheidungsgrundlagen und somit auch die Kernstadt Salzburg, deren kommt bei der Konkretisierung einer nachhalti- Stadtgrenze zugleich die Staatsgrenze zwi- gen Siedlungs- und Raumentwicklung auf schen Deutschland und Österreich ist. Über kommunaler aber auch auf regionaler Ebene ausgewählte Projektergebnisse wird in diesem eine besondere Rolle zu. Dieser wird aber bei Beitrag berichtet. den bisher entwickelten Indikatorenansätzen meist vernachlässigt. Zum Beispiel hat die Gerade in der grenzübergreifenden Regional- Österreichische Bundesregierung im Jahre entwicklung und Infrastrukturplanung wird die 2002 eine Strategie zur nachhaltigen Entwick- Analyse und Bewertung räumlicher Prozesse lung beschlossen (Bundesministerium für und Verflechtungen als zentrale Aufgabe be- Land- u. Forstwirtschaft, Umwelt u. Wasser- trachtet. Planungsziel ist es, Siedlungsentwick- wirtschaft, 2002). Diese Nachhaltigkeitsstrate- lungen und infrastrukturelle Einrichtungen gie wurde von einer Arbeitsgruppe aus rund 40 (Grunddaseinsfunktionen) in einer funktiona- Vertretern der Ministerien, Länder und Ge- len, grenzübergreifenden Region vermehrt meinden, Sozialpartner, Interessenvertretun- abzustimmen und gemeinsam zu entwickeln. gen und NGO-Plattformen erstellt und es wur- Am Anwendungsfall der S-Bahn Planung Salz- den konkrete Leitziele diskutiert und formuliert burg-Berchtesgaden wird demonstriert, wie sowie Indikatoren zur Messung der Fortschritte durch den innovativen Einsatz der Geographi- definiert. Dabei wurden pauschale Zielwerte schen Informationsverarbeitung die Abstim- und Indikatoren festgelegt, die in dieser Form mung der regionalen Siedlungsentwicklung mit problematisch sind, weil sie die regionalen bestehenden und geplanten Haltestellen der S- Rahmenbedingungen viel zu wenig berück- Bahn unterstützt werden kann. Dies ist für eine sichtigen (Braumann & Dollinger, 2007). nachhaltige Mobilität in der Europaregion Für die nachhaltige Entwicklung einer Region Salzburg von wesentlicher Bedeutung. ist die Abstimmung räumlicher Strategien und

Entwicklungen von großer Bedeutung und zur 2. Räumliche Nachhaltigkeit Überprüfung werden regionalisierte Indikatoren Jahre nach der Rio-Konferenz und der Brundt- benötigt. Im Falle der hier vorgestellten Infra- land-Kommission sind viele Initiativen und strukturplanung bedarf es der Erstellung von Forschungstätigkeiten zur Umsetzung des grenzübergreifend abgestimmten Planungs-

16 Entwicklung von Nachhaltigkeitsindikatoren in grenzüberschreitenden Stadtregionen

grundlagen und eines Sets an Indikatoren zur Umsetzung von Konzepten, die Erreichung von Umsetzung einer nachhaltigen Regionalent- Zielen und die Erfolgskontrolle. Bei der Kon- wicklung, einer bedarfsorientierten Infrastruk- zepterstellung für Indikatoren besteht die Her- turplanung und einer begleitenden Raumbeo- ausforderung, die Komplexität von Systemen bachtung (Monitoring). zu reduzieren, dass 3. Indikatoren – Konzept und Methodik eine Messbarkeit möglich ist, gleichzeitig je- doch die Zusammenhänge und räumlichen Qualitative Zielvorstellungen und Planungsleit- Wechselbeziehungen in ihren Kernaussagen bilder müssen, wenn sie nicht allgemeine und zu erhalten. abstrakte Vorstellung bleiben sollen, durch Kenngrößen (Indikatoren) unter besonderer Das Beispiel in Abb. 1 zeigt die schrittweise Berücksichtigung der Raumwirksamkeit quanti- Systematisierung der Planungsdimensionen in fiziert werden. Indikatoren sind vereinfachte Teil- und Unterziele und deren Konkretisierung Modelle der Wirklichkeit, die sie beschreibbar, über Indikatoren. Durch diese deduktive Vor- messbar und kommunizierbar machen. Nach gehensweise besteht die Möglichkeit, Ziele dem klassischen Begriffsverständnis stellt ein nachhaltiger Entwicklung ab einer bestimmten Indikator einen Anzeiger zur Abbildung eines Konkretisierungsstufe mittels Indikatoren ope- bestimmten, oft nicht direkt messbaren, kom- rationalisierbar und z.T. messbar zu machen. plexen Sachverhalts dar (SRU, 1998; Birk- Die Abstimmung räumlicher Planung über mann, Koitka, Kreibich & Lienenkamp, 1999; administrative und nationalstaatliche Grenzen Coenen, 2000). Räumliche Indikatoren berück- hinweg stellt sicherlich eine der größten Her- sichtigen besonders die räumliche Verteilung ausforderungen nachhaltiger Raumentwicklung der Datenausprägungen. So ist beispielsweise dar. Basierend auf Datengrundlagen von Sta- die Bevölkerung in einer Gemeinde nicht tistik Austria, Genesis Bayern und SAGIS wer- gleichmäßig auf den gesamten Raum verteilt. den Raumindikatoren für die Europaregion Für räumliche Planungen ist bspw. die Berück- Salzburg und seinen engeren Pendlerverflech- sichtigung der tatsächlichen Verteilung der tungsbereich erarbeitet, die einen klaren Be- Wohnbevölkerung relevant. Räumliche Indika- zug zu vorhandenen raumplanerischen Zielen toren sind unentbehrliche Planungsinstrumente (beispielsweise Salzburger Landesentwick- sowohl auf lokaler, regionaler als auch auf lungsprogramm, Regionalplan Südostoberbay- internationaler Ebene. ern, Landesentwicklungsprogramm Bayern) Indikatoren sind ein wichtiger und integrativer aufweisen. Bestandteil von Konzepten und Programmen 4. Raumbezug von Entscheidungsgrund- zur Unterstützung einer zielgerichteten Raum- lagen entwicklung. Die in Planungskonzepten enthal- ten Strategien und Zielvorgaben werden mit Da für eine integrierte und nachhaltige Regio- Hilfe von Indikatoren operationalisierbar ge- nalentwicklung zahlreiche räumliche Informa- macht. Indikatoren unterstützen die konkreten tionen unterschiedlichster Herkunft benötigt wer-

Abb. 1: Leitbildorientierte Planung mit Hilfe von Indikatoren; Quelle: Prinz 2005 verändert nach Flacke 2004

17 Franz Dollinger, Thomas Prinz & Stefan Herbst

den, bietet sich der Einsatz von Geografischen de einheitliche Schutzkategorien vorhanden: Informationssystemen (GIS) zur Entwicklung die europaweit einheitlichen Natura 2000 Ge- von Indikatoren an. Durch die Zuordnung von biete, unterteilt in Fauna-Flora-Habitat und Daten unterschiedlichster Herkunft zum Faktor Vogelschutzgebiete, Naturschutzgebiete, Land- „Lage im Raum“ in einem GIS, können die schaftsschutzgebiete, Naturparks usw. (vgl. vielseitigen analytischen Funktionen von Geo- Abb. 2). grafischen Informationssystemen genutzt wer- Dem Raumbezug kommt bei der nachhaltigen den. Siedlungs- und Raumentwicklung auf kommu- Eine besondere Herausforderung stellt in dem naler Ebene eine besondere Rolle zu. Dies hier vorliegenden Fall der Aufbau einer grenz- wird aber bei bisherigen Indikatorenansätzen überschreitenden Datenbasis dar, da grenz- meist vernachlässigt. Im Rahmen des INTER- übergreifende Indikatoren eine homogenisierte REG IIIA Projekts wurde ein „dualer“ Nachhal- und abgeglichene Datenbasis erfordern. Dabei tigkeitsindikatorenansatz konzipiert. Raumbe- geht es nicht nur darum, inhaltlich ähnliche zogene Zustände und Entwicklungen werden Datengrundlagen wie zum Beispiel die natur- durch Globalzahlen „messbar“ (für verschiede- schutzrechtlich geschützten Gebiete zu einem ne Ebenen: grenzübergreifende Region / Stadt gemeinsamen Datenbestand zu verbinden, / Stadtteil) und gleichzeitig auch räumlich fein sondern auch um die Herstellung vergleichba- ausdifferenziert lokalisierbar. Dies stellt eine rer Indikatoren mit erheblich unterschiedlicher bedeutende Grundlage für die Umsetzung Quellen- und Bezugsgrundlage. einer zukunftsorientierten Raumentwicklungs- politik dar. Dadurch können regionale und Wichtige einschränkende Faktoren für die Pla- auch standortspezifische Entwicklungen er- nung stellen die rechtlich verbindlich geschütz- fasst und bewertet werden. ten Flächen dar. Dabei sind grenzübergreifen-

Abb. 2: Geschützte Gebiete im Umland der Stadt Salzburg; Quelle: Prinz, Herbst, Spitzer, Eibl, Schöpfer & Bretz 2007

18 Entwicklung von Nachhaltigkeitsindikatoren in grenzüberschreitenden Stadtregionen

Abb. 3: Beispielhaftes demographisches Merkmal der EuRegio in verschiedenen Maßstabsbereichen (Nuts3 - Gemeinde - Raster 250m); Quelle: Prinz, Herbst, Spitzer, Eibl, Schöpfer & Bretz 2007

Dazu wurde in diesem Projekt ein Set an "Eu- In Zusammenarbeit und Abstimmung mit den Regionalen" Raumindikatoren entwickelt, das Projektpartnern erfolgte die Entwicklung eines die gewünschte Information in verschiedenen Sets an grenzübergreifenden Indikatoren auf Raumeinheiten (Nuts3 als europäisch ver- verschiedenen räumlichen Ebenen. In Kapitel gleichbare statistische Regionen, Gemeinden, 5 werden weiterführende Überlegungen zum geografische Raster) bereitstellt (Prinz, Herbst, Einsatz der Indikatoren am Fallbeispiel S-Bahn Spitzer, Eibl, Schöpfer & Bretz 2007. In Abb. 3 angeführt. Bei der Auswahl der relevanten wird die Bedeutung des Maßstabs von räumli- Planungs-Dimensionen und Ziele wurden fol- chen Indikatoren illustriert. gende Entwicklungsprogramme und Planungs- strategien berücksichtigt: Die räumliche Referenz - der Raumbezug - ist für die Operationalisierung von Planungskon- ─ EUREK. Europäisches Raumentwick- zepten und -strategien zur Raumentwicklung lungskonzept (Europäische Kommission, von großer Bedeutung. Je nach Aussageziel 1999) gibt es differenzierte Anforderungen an die ─ EuRegio Entwicklungskonzept (EuRegio räumliche Bezugsebene (Prinz, 2005). Bisher Salzburg - Berchtesgadener Land - Traun- werden räumliche Indikatoren in der Regel als stein, 2001) gering aufgelöste Parameter mit administrati- vem Raumbezug (Gemeinde/Kreise) aufberei- ─ Salzburger Landesentwicklungsprogramm tet. Dies hat zur Folge, dass gerade in sehr 2003 (Land Salzburg, 2003) heterogen genutzten Regionen – wie bei- ─ Landesentwicklungsprogramm Bayern spielsweise Grenzregionen – die an admini- strativen, politischen oder nationalstaatlichen (Bayerische Staatsregierung, 2006) Grenzen orientierte Regionalstatistik häufig zu ─ Regionalplan Südostoberbayern (Regiona- unrealistischen Werten führen kann. Dies birgt ler Planungsverband Südostoberbayern, o. die Gefahr, dass planerisch relevante Informa- J.) tion verdeckt und gemittelt und Risken der Raumentwicklung nicht adäquat erkannt wer- In weiterer Folge wurden die verschiedenen den. So können aus hochaggregierten Daten Planungs-Dimensionen und Zielvorstellungen auf Bezirks- oder Landkreis-Ebene kaum klein- unter besonderer Berücksichtigung der nach- räumige, lokale Aussagen, die weit unterhalb haltigen Raumentwicklung zusammengeführt. dieses Maßstabs liegen, für die großmaßstäbi- Es Bedarf konkreter und operabler Entwick- ge grenzübergreifende Orts- und Regionalpla- lungsziele, die sowohl quantitativ wie auch nung abgeleitet werden. Abb. 3 zeigt ein de- räumlich differenziert belegt werden können mographisches Merkmal für die EuRegio in (vgl. Abb. 1). drei unterschiedlichen räumlichen Detaillie- Eine erste Zusammenstellung von Indikatoren rungsgraden. Während ein kleiner Maßstab zu den Dimensionen Demographie und Öffent- zwar einen groben Überblick gewährt, kommen licher Verkehr mit Orientierung am Fallbeispiel lokale Variationen erst bei z unehmender S-Bahn ist in den Tabellen 1 und 2 wiederge- räumlicher Auflösung der zugrundeliegenden geben. In Zusammenarbeit mit den Projekt- Daten – großer Maßstab – zum Vorschein. partnern erfolgte die Gewichtung in „Kern-“ 19 Franz Dollinger, Thomas Prinz & Stefan Herbst

Tab. 1: Grenzübergreifende Indikatoren zur Dimension Demographie

Ergänzungs- Demographie Kernindikator indikator Bevölkerungsdichte / -verteilung Zahl der Einwohner pro km² / pro Rasterzelle (räumlicher Bezug: Nuts 3- X Gebiete, Gemeinden, 125m / 250m Rasterzelle) Bevölkerungsentwicklung mittelfristig (letzten 5 Jahre) X

Bevölkerungsentwicklung langfristig (letzten 10 / 30 Jahre) X

Unter 6-Jährige Anteil der unter 6-jährigen Wohnbevölkerung an der gesamten Wohnbe- X völkerung je Gemeinde / Rasterzelle Unter 15-Jährige Anteil der unter 15-jährigen Wohnbevölkerung an der gesamten Wohnbe- X völkerung je Gemeinde / Rasterzelle Über 65-Jährige Anteil der über 6- jährigen Wohnbevölkerung an der gesamten Wohnbe- X völkerung je Gemeinde / Rasterzelle Abhängigkeitsverhältnis (Zahl der unter 15-Jährigen + Zahl der über 65-Jährigen) / Zahl der 15-65- X Jährigen * 100

Tab. 2: Grenzübergreifende Indikatoren zur Dimension Öffentlicher Verkehr (Anwendungsfall S-Bahn)

Ergänzungs- Öffentlicher Verkehr (S-Bahn) Kernindikator indikator ÖPNV Erreichbarkeit Anteil der Einwohner innerhalb einer fußläufigen Distanz (500m / 1000m) X zu Haltestellen des öffentlichen Personennahverkehrs (S-Bahn) Bauland im ÖV - Einzugsbereich Wohnbauland innerhalb einer fußläufigen Distanz (500m / 1000m) zu Hal- X testellen des öffentlichen Personennahverkehrs (S-Bahn) in ha

oder „Ergänzungsindikator“. Die Kernindikato- 5. S-Bahn: Grenzübergreifende Infrastruk- ren haben als Grundlage für die Umsetzung turplanung von Entwicklungskonzepten und konkreten Zunehmend regionales und damit auch grenz- infrastrukturellen Planungen eine größere Be- überschreitendes Denken und Handeln sind deutung als die Ergänzungsindikatoren. Die eine unabdingbare Basis für die Bewältigung Ergänzungsindikatoren werden in einem zwei- gegenwärtiger und anstehender Herausforde- ten Schritt entwickelt. rungen, die durch den prognostizierten Anstieg Für die Entwicklung der Kernindikatoren wur- des Verkehrsaufkommens im Großraum Salz- den die notwendigen grenzübergreifenden burg offensichtlich sind. Der Großraum Salz- Datengrundlagen erschlossen und kartogra- burg weist seit Jahren steigende Einwohner- phisch dargestellt. Die zukünftigen Arbeiten und Beschäftigtenzahlen sowie Pendlerströme sehen eine weitere Konkretisierung von Zielen auf. Im Zentralraum Salzburg steht der Ausbau nachhaltiger Raumentwicklung in der Europa- des schienengebundenen Nahverkehrsnetzes region Salzburg mit dem entwickelten räumlich (S-Bahn) an. Ein bedeutendes Ziel nachhalti- expliziten Indikatorenansatz vor. ger Regionalentwicklung ist eine verstärkte Abstimmung von Siedlungsstruktur und Raum- Im folgenden Kapitel wird ein Anwendungsbei- nutzung mit der Verkehrsinfrastruktur. Abb. 4 spiel zur nachhaltigen indikatorengestützten zeigt beispielhaft eine Gegenüberstellung von grenzübergreifenden Infrastrukturplanung (S- den grenzüberschreitenden Flächenwidmun- Bahn) vorgestellt. gen zu den bestehenden und geplanten Halte- stellen im Landkreis Berchtesgadener Land.

20 Entwicklung von Nachhaltigkeitsindikatoren in grenzüberschreitenden Stadtregionen

Abb. 4: Bestehende und geplante Haltestellen des S-Bahn West Astes mit der grenzübergreifend klassifizierten Flächenwid- mung; Quelle: Prinz, Herbst, Spitzer, Eibl, Schöpfer & Bretz 2007

Als konkreter Anwendungsfall konnte im Pro- wo in den Einzugsbereichen die meiste Wohn- jekt die Planung und Bewertung von Bahnhal- bevölkerung erreicht werden kann. Dabei wur- testellen auf Basis eines innovativen Analyse- de ein realitätsnahes Analyseverfahren ge- verfahrens auf der neuen S-Bahnlinie zwi- wählt, das sich an den tatsächlichen Erreich- schen Salzburg und Berchtesgaden unterstützt barkeiten der Haltestellen über existierende werden. Sowohl die zurückzulegenden Fuß- Zufahrten und Wege sowie an den tatsächli- wege – "Stadtregion der kurzen Wege" – wie chen Wohnstandorten der Bevölkerung (bezo- auch die an der Wohnadresse gemeldete gen auf Wohnadressen aus Meldedaten und Wohnbevölkerung wurden in einer grenzüber- punktgenaue Verortung im Einzugsbereich) greifenden Analyse berücksichtigt. Die entwi- orientiert. ckelten Entscheidungsgrundlagen werden in Der Trassenabschnitt der S-Bahn (Golling- ein Haltestelleninvestitionsprogramm des Berchtesgaden) wurde durch eine regelmäßige Landkreises Berchtesgadener Land mit einflie- Kilometrierung der Trasse in Fiktivhaltestellen ßen und somit zur Attraktivität der neuen S- im Abstand von 100, 250 und 1.000 Meter Bahn beitragen. Damit konnte die Zielsetzung (Abb. 5) unterteilt. Somit ist je nach Analyse- der gemeinsamen Grenzregion, ein EuRegio- und Bewertungsmaßstab eine spezifische nales S-Bahnsystem aufzubauen und das Betrachtung und Analyse der Potenziale Modell der kurzen Wege in der Stadtregion durchführbar. Mittels der kartographischen und der fußläufigen Erreichbarkeiten zu reali- Darstellung der ID (Entfernung zum Bahnhof sieren, ein Stück weiter vorangebracht werden. Golling in km) ist immer die räumliche Zuord- Konkret wurden alle Teilabschnitte und mögli- nung zur entsprechenden Potenziallinie mög- chen Haltestellen entlang der Bahnlinie Salz- lich. Für jede fiktive Haltestelle wurde ein 1.500 burg-Berchtesgaden dahingehend bewertet, 21 Franz Dollinger, Thomas Prinz & Stefan Herbst

Meter fußläufiger Einzugsbereich mit drei Ent- dem die Werte für 1.000 und 1.500 m in ein fernungsklassen (Klassenbreite = 500 Meter) Liniendiagramm übertragen und zusammen generiert. Zur Auswertung werden die berech- mit den bestehenden/diskutierten Haltestellen neten Erreichbarkeitsflächen durch eine räum- dargestellt werden. liche Verknüpfung mit den Einwohnerzahlen Um die endgültige optimierte Lage der Halte- verbunden. So erhält jede Erreichbarkeitszone stellen zu fixieren, müssen neben weiteren die Summe der darin gemeldeten Wohnbevöl- Potenzialen (Beschäftigte, Schüler, zentralört- kerung. Nach der Ermittlung der absoluten liche Einrichtungen) verkehrstechnische und Einwohnerzahl (auf Raster- oder Adressbasis) betriebliche Rahmenbedingungen, ÖPNV Ver- erfordert die Potenzialberechnung eine Ge- bindungsfunktionen (Umsteigehaltestellen), wichtung dieser Einwohnerwerte entsprechend verkehrliche Integration etc. Berücksichtigung der Entfernung zur jeweiligen Haltestelle (Ge- finden. Die weiteren Arbeiten sehen die grenz- wichtungswert zwischen 0 und 1). Die Erreich- übergreifende Berücksichtigung von Erreich- barkeitspotenziallinien bilden die graphische barkeitspotenzialen u. a. für Beschäftigte und Umsetzung dieser Potenzialwerte (Abb. 6), in- Schüler vor.

Abb. 5: Regelmäßige Kilometrierung der Trasse; Quelle: Prinz, Herbst, Spitzer, Eibl, Schöpfer & Bretz 2007

22 Entwicklung von Nachhaltigkeitsindikatoren in grenzüberschreitenden Stadtregionen

Abb. 6: Erreichbarkeitspotenziallinie S-Bahn; Quelle: Prinz, Herbst, Spitzer, Eibl, Schöpfer & Bretz 2007

6. Ausblick Literatur In einer Kooperation zwischen Salzburg und Bayerische Staatsregierung (o.J.). Landesent- Bayern wurden umsetzungsorientierte räumli- wicklungsprogramm Bayern 2006. Hrsg. che Entscheidungsgrundlagen entwickelt, um vom Bayerischen Staatsministerium für zukünftig in Fragen der grenzübergreifenden Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und nachhaltigen Regionalentwicklung und Ver- Technologie. München. 204 S. kehrsplanung in der Europaregion Salzburg Birkmann, J., Koitka, H., Kreibich, V. & Lienen- besser zusammenarbeiten zu können. Es wer- kamp, R. (1999). Indikatoren zur Operatio- den wichtige Ergebnisse für die Raumfor- nalisierung des Leitbildes Nachhaltiger schung und die Zusammenführung sowie Nut- Entwicklung. In: Birkmann, J., Koitka, H., zung der Geographischen Informationssyste- Kreibich, V. & Lienenkamp, R. (Hrsg.) Indi- me der Länder Bayern und Salzburg geliefert, katoren für eine nachhaltige Raumentwick- um darauf aufbauend in gemeinsamen Fragen lung. Dortmund (= Dortmunder Beiträge der Raumordnung und in der Raumbeobach- zur Raumplanung 96). S. 14 - 21 tung künftig besser zusammenzuarbeiten. Braumann, C. & Dollinger, F. (2007): Lässt Andererseits stellt das INTERREG IIIA Projekt sich der Flächenverbrauch auf 10% des sehr umsetzungsorientierte Planungsgrundla- Wertes von 2002 reduzieren? Eine Analy- gen zur Verfügung, um die S-Bahn-Halte- se aufgrund von Ergebnissen der Verbau- stellenplanung auf der bayerischen Seite zu ungskartierung 1976-2003 und des Raum- unterstützen und die ÖPNV-Angebote zu ordnungsberichts 2005. SIR-Mitteilungen verbessern. und Berichte, Bd. 33, S. 109-122 EuRegio Salzburg - Berchtesgadener Land - Die vorliegende Arbeit stellt einen speziellen Traunstein (Hrsg.). (2001). EuRegio Ent- Beitrag für die Entwicklung und Anwendung wicklungskonzept. - Salzburg. 637 S. von grenzübergreifenden Nachhaltigkeitsindi- Coenen, R. (2000). Konzeptionelle Aspekte katoren unter besonderer Berücksichtigung der von Nachhaltigkeitsindikatorensystemen. räumlichen Dimension dar. Räumliche Ent- In: ITAS Karlsruhe (Hrsg.). TA-Datenbank- scheidungsgrundlagen für die Umsetzung ei- Nachrichten, Nr. 2, 9. Jahrgang, S. 47 - 53. ner systematisierten und nachhaltigen Raum- Europäische Kommission (Hrsg.) (1999). EU- entwicklung (Siedlungsentwicklung) werden REK. Europäisches Raumentwicklungs- den Entscheidungsträgern bereitgestellt. konzept. Auf dem Wege zu einer räumlich

ausgewogenen und nachhaltigen Entwick-

lung der Europäischen Union. - Luxem-

burg. 87 S.

23 Franz Dollinger, Thomas Prinz & Stefan Herbst

Flacke, J. (2004). GIS-basierte Informationsin- Anschrift strumente zur Unterstützung einer nach- Univ.-Doz. Dr. Franz Dollinger haltigen Entwicklung der Flächennutzung Land Salzburg, Fachreferent Raumforschung in Siedlungs- und Verdichtungsräumen. - und grenzüberschreitende Raumplanung, In: M. Schrenk (Hrsg.). Computergestützte Postfach 527, 5020 Salzburg Raumplanung - Beiträge zum Symposium CORP 2004.- Wien. S. 701 - 705 E-Mail: [email protected] Land Salzburg (Hrsg.) (2003). Salzburger Lan- Mag. Stefan Herbst desentwicklungsprogramm. Gesamtüber- Mag. Thomas Prinz arbeitung 2003. Salzburg (= Entwicklungs- Austrian Research Centers - ARC, Research programme und Konzepte, H. 3). 258 S. Studio iSPACE Bundesministerium für Land- u. Forstwirt- Leopoldskronstraße 30, 5020 Salzburg schaft, Umwelt u. Wasserwirtschaft (Hrsg.) (2002). Österreichs Zukunft Nachhaltig E-Mail: [email protected] Gestalten. Die Österreichische Strategie E-Mail: [email protected] zur Nachhaltigen Entwicklung. - Wien. 78 S. + 44 S. Anhang Prinz, T. (2005). Indikatoren für Raumbeo- bachtung und nachhaltige Raumentwick- lung I – Grundlagen für die Überarbeitung des Sachprogramms Siedlungsentwick- lung und Betriebsstandorte im Salzburger Zentralraum. - Salzburg, unveröffentlicht. Prinz, T. (2007). Räumliche Nachhaltigkeitsin- dikatoren als Planungsgrundlage. Integra- tive Bewertung von Siedlungsflächen in der Stadt Salzburg. Dissertation. Universi- tät Salzburg, unveröffentlicht. Prinz, T., Herbst, S., Spitzer, W., Eibl, C., Schöpfer, E. & Bretz, B. (2007). EuRegio- nale Raumindikatoren für die nachhaltige Regionalentwicklung. Salzburg, 92 S. Prinz, T., Dollinger, F. & Herbst, S. (2007). EuRegionale Raumindikatoren für die grenzübergreifende Infrastrukturplanung. - In: J. Strobl, T. Blaschke und G. Grieseb- ner (Hrsg.). Angewandte Geoinformatik 2007, Wichmann Verlag, Heidelberg, S. 583-588. Regionaler Planungsverband Südostoberbay- ern (Hrsg.). (o.D.). Regionalplan Südost- oberbayern. http://www.regionalsüdostoberbay- ern.bayern.de/regplan/Textuebersicht/textu eb.htm, verfügbar am 12. September 2006. SRU (Der Rat von Sachverständigen für Um- weltfragen) (1998). Umweltgutachten 1998. Stuttgart.

24 CONTUREC 3 (2008) Seite 25 bis 33

Die Abbildung von Entwicklungen durch stadtökologische Indikato- rensysteme

The Illustration of Developments by Urban Ecological Indicator Systems

WOLFGANG SOCHER

Zusammenfassung

® In der Stadt Dresden wurde 1998 das Umweltmanagementsysteme ecoBUDGET eingeführt. Es hatte zum Ziel, den Verbrauch natürlicher Ressourcen in der Stadt zu steuern. Gleichzeitig werden Wech- selwirkungen mit der Stadtentwicklung und der umweltbezogenen Lebensqualität gezeigt. Daraus resultierende Diskussionen in der Politik oder Öffentlichkeit gibt es kaum. Als Ursachen werden so- wohl äußere Bedingungen gesehen, aber auch Schwächen in der Darstellung und Vermittlung durch das Indikatorensystem selbst. Ökosystemare Zusammenhänge oder Konsequenzen der Entwicklun- gen werden nicht ausreichend deutlich. Als mögliche Alternative bzw. Ergänzung zu den traditionellen Indikatoren wird die Nutzung von Struk- turtypen vorgeschlagen. Es steht aber nicht die statistische Auswertung im Vordergrund, sondern der Zustand und die Entwicklung des einzelnen Blocks. Dabei wird der Block als Ganzes gezeigt, sein „Gesicht“. Die wesentlichen Eigenschaften sind auch für den Laien erkennbar. Kausale Zusammen- hänge bzw. Prozesse werden aber nicht sofort deutlich. Die künftige Entwicklung des Blocks könnte mit Hilfe von Szenarien verdeutlicht werden. Weitere Vorteile und Grenzen werden diskutiert.

Stadtlandschaft, Indikatoren, Umweltmanagementsystem, Strukturtypen, Szenarien, Ökosystem

Summary

® In 1998, the City of Dresden introduced the environmental management system ecoBUDGET , which aimed at steering the usage of natural resources in the city. The management system also shows interactions with city development and environmentally based quality of life. However, the level of pub- lic or political response is very low. The reasons for this phenomenon seem to be external effects, but also shortcomings in illustrating developments and communicating them by the indicator system. Ob- viously, intertwined urban processes and their consequences are not sufficiently made clear.. As possible alternative or supplement we suggest the usage of structure types. The goal is not the statistical analysis, but the quality and development of a separate block, by which we want to show the block as a whole, its „face“. In consequence, even laymen will be able to recognize important features, although causal connections or processes will not be perceptible to them immediately. The prospec- tive development of blocks could be illustrated by scenarios. Further advantages and limits will be discussed.

1. Einleitung Verbesserung der Qualität der Stadtlandschaft sein. Die sich gegenwärtig vollziehenden Ver- Indikatorensysteme im Umweltbereich gehören änderungen in den Städten als Ausdruck eines seit einiger Zeit für größere Städte zum Stan- globalen Wandels lassen keine andere Wahl. dard. Durch die mittlerweile mehrjährige Nut- zung lassen sich für einzelne Umweltmedien Doch sind die gegenwärtig für die kommunale Trends ablesen. Praxis verfügbaren Indikatorensysteme über- haupt in der Lage, Qualitäten zu beschreiben In jüngerer Zeit werden die Systeme inhaltlich und vor allem die Wege, wie man zu höherer erweitert, um den Nachhaltigkeitsaspekt mit zu Qualität kommt? Die Erfahrungen in der Stadt erfassen. Ein Versuch eines einheitlichen eu- ® Dresden mit dem System ecoBUDGET (ICLEI, ropäischen Systems, an dem sich auch die 2004) zeigen hier ein sehr differenziertes Bild. Stadt Dresden beteiligt hat, sind die European ® Common Indicators (Ambiente Italia, 2003). Im Dabei ist ecoBUDGET nicht nur ein Indikato- Mittelpunkt dieser Betrachtung soll nicht die rensystem, sondern es dient der Steuerung bloße Beschreibung oder Bewertung von Zu- des kommunalen Verbrauchs an natürlichen ständen stehen, sondern die Bewertung der Ressourcen. Das System beschränkt sich auf Entwicklungen und Schlussfolgerungen für Umweltindikatoren, ist aber grundsätzlich er- aktives kommunales Handeln. Ziel soll die weiterbar. Es ist ein hochgradig politisches 25 Wolfgang Socher

System, denn der Ressourcenverbrauch soll gieträgern oder Nahrungsmitteln). Es erscheint nach ähnlichen Prinzipien wie der kommunale deshalb unmöglich, die städtischen Prozesse Finanzhaushalt gesteuert werden. analytisch abzubilden und daraus Handlungs- empfehlungen abzuleiten. 2. Kennzeichen hoher Qualität von Stadt- Um für die Akteure (vom einzelnen Bürger bis landschaft hin zum Gemeinderat) diese Komplexität Die Stadtlandschaft wird in erster Linie durch durchschaubar und operabel zu machen, muss die Ausformung von städtischen Funktionen sie zuerst wieder reduziert werden. Dazu die- wie Wohnen, Arbeiten, Bewegen, Erholen, nen medienbezogene Indikatoren. Die Kunst Ver- und Entsorgung bestimmt. Diese Funktio- besteht darin, diese Indikatoren in einem nen verändern die natürlichen Gegebenheiten nächsten Schritt wieder in ihren Wechselwir- einer Stadt in erheblichem Maße, indem natür- kungen zu zeigen, so dass Aussagen zu den liche Ressourcen genutzt werden und ver- städtischen Funktionen und deren Nebenwir- schiedenste Nebenprodukte entstehen. Unter kungen möglich sind. Stadtlandschaft ist deshalb ein erweiterter ® Ansatz im Sinne urban landscape zu verste- 3. Einsatz von ecoBUDGET in Dresden hen, wie er von Wu (2006) beschrieben wird. Für eine ausführliche Darstellung von eco- Hohe Qualität von Stadtlandschaft erfordert, BUDGET besteht hier keine Möglichkeit. Für die städtischen Funktionen nicht nur für ihren den Interessierten sei hier nochmals auf ICLEI ursprünglichen Zweck – z. B. Wohnen – zu (2004) verwiesen. Die Übersicht über den optimieren, sondern sie müssen zusätzlich Stand in Dresden ist auf der Website der Lan- möglichst ressourcenschonend ausgestaltet deshauptstadt Dresden (2005) zu finden. eco- werden und dürfen andere Funktionen nicht zu BUDGET ist als Steuerungsinstrument für eine stark einschränken (z. B. Wohnungsleerstand Kommune konzipiert. Es soll nicht nur ein Zu- an stark verlärmten Hauptverkehrsstraßen). stand gezeigt, sondern aus den Entwicklungen sollen Handlungserfordernisse für die Gremien Die städtischen Funktionen sind schon allein der Stadt ableitbar werden. Der prinzipielle bei der Betrachtung ihres eigentlichen Zwecks Ablauf eines Steuerungszyklus ist in Abbildung sehr komplex. Hinzu kommen Verflechtungen 1 dargestellt. mit dem Umland (Pendlerverkehr) bis hin zu weltweiten Verknüpfungen (Import von Ener-

Abb.1: Steuerungszyklus ecoBUDGET®

26 Die Abbildung von Entwicklungen durch stadtökologische Indikatorensysteme

Das inhaltliche Spektrum der Indikatoren um- jährliche Fortschreibung möglich ist. Die Er- fasst fünf Budget-Indikatoren, für die es kom- gebnisse werden dem ebenfalls zweijährlich munalpolitische Zielstellungen gibt. Das sind erscheinenden Faktenbericht Umwelt vorange- stellt. • die spezifische CO2-Emission • die Inanspruchnahme von Siedlungs- und Man kann vom erfolgreichen Einsatz des Sys- Verkehrsfläche, tems sprechen, wenn die Entscheidungsträger den Vorschlägen folgen und die Durchführung • das Restabfallaufkommen pro Einwohner, von Maßnahmen zur Verbesserung der Stadt- • den Chemischen Sauerstoffbedarf von landschaft beschließen. Dies ist jedoch keines- Mischkanalüberläufen in das Gewässer- falls die Regel, so dass der Punkt „Planung system sowie und Umsetzung von Maßnahmen“ einfach • der Anteil Umweltverbund am Modal Split. übersprungen wird. Das bedeutet, das letztlich nur ein Zustand „zur Kenntnis genommen“ Die zweite Gruppe umfasst neun eher klassi- wird. Das ist allerdings ein normaler kommu- sche Umweltindikatoren, sie werden als Ver- nalpolitischer Vorgang nicht nur im Umweltbe- mögensindikatoren bezeichnet. Dieser Gruppe reich, denn fast täglich entstehen Entschei- entstammt auch das Beispiel aus Abb. 2. Die dungsvorlagen für die Gremien. Es ist auch dritte Gruppe umfasst neun Stadtentwicklungs- aus finanziellen Erwägungen heraus unmög- indikatoren. Hier wird versucht, Umweltbelange lich, allen zu folgen. mit Stadtentwicklung bzw. Auswirkungen auf den Menschen zu verbinden. Hierzu zählen die Eine aktive, kommunalpolitisch gewollte Quali- Betroffenheit gegenüber Luft- und Lärmbelas- tätsverbesserung der Stadtlandschaft wird nur tungen, stadtklimatische Auswirkungen oder dann stattfinden, wenn das Ziel und die Not- der Grad der Flächenauslastung. Diese letzte wendigkeit des Handelns deutlich gemacht Gruppe von Indikatoren soll den Blick wieder werden können. Besonders in strukturschwa- verstärkt auf die städtischen Funktionen, hier chen Regionen stehen umweltpolitische Vor- vorrangig Wohnen, lenken. haben in starker Konkurrenz z. B. zur Arbeits- marktpolitik. Das gesamte System wurde 1998 vom Stadt- rat beschlossen. Es konnten nur solche Indika- Es wurde versucht, die Indikatoren in möglichst toren aufgenommen werden, bei denen zu- einfacher und eingängiger Form anzubieten. mindest im Grundsatz die vorgesehene zwei- Ein Beispiel zeigt Abbildung 2.

Abb. 2: Beispiel für Darstellung eines ecoBUDGET - Indikators

27 Wolfgang Socher

Nach fast 10 Jahren Anwendung kehrt Ernüch- einige etwas tiefergehend dargestellt werden. terung ein. Eine politische Diskussion des Ge- Es muss betont werden, dass es sich dabei samtkonzepts findet praktisch nicht statt, öf- nicht um eine systematische Schwächenanaly- fentliche Reaktionen gibt es kaum. Auch bei se handelt, sondern um einen Erfahrungsbe- Grenz- oder Zielwertüberschreitungen für ein- richt aus der kommunalen Praxis. Im Hinter- zelne Indikatoren sind die Reaktionen eher grund geht es immer um die Entwicklung und verhalten. Warum kann ein Umweltmanage- sich daraus ableitende Konsequenzen, nicht ® mentsystem wie ecoBUDGET die gesetzten um die Augenblicksdarstellung eines Zustan- Erwartungen nicht erfüllen? Weshalb bleiben des. negative Entwicklungen ohne Konsequenz bzw. werden auch positive nicht gewürdigt? 4.2 Fachlich begründete Relevanz gegen öf- Sollte die Grundstruktur des Systems ecoBUD- fentliche Wahrnehmung ® GET geändert werden? In letzter Konsequenz: In der öffentlichen Wahrnehmung spielt es Sind Indikatorensysteme überhaupt geeignet, kaum eine Rolle, ob ein Prozess mit sehr kur- eine komplexe stadtökologische Situation für zen charakteristischen Zeiten abläuft oder mit die Öffentlichkeit so darzustellen, dass Anfor- sehr langen. Somit werden auch keine Unter- derungen für eine Stabilisierung oder Verbes- schiede bei etwa notwendigen Regenerations- serung abzuleiten sind? zeiten von Störungen gemacht. Die völlig un- terschiedliche Bedeutung für die Stabilität des 4. Mögliche Ursachen für eine unzurei- Ökosystems wird ausgeblendet. Beispiele chende Wirkung hierfür sind die Konzentration von Luftschad- 4.1 Äußere Einflüsse stoffen an einer Messstelle (kurzfristige Rege- neration) oder die Qualität des Grundwassers Bei der Analyse der Ursachen sollte man zwi- (langfristige Regeneration). Auch unsere Indi- schen äußeren und inneren unterscheiden. katoren geben eine solche Unterscheidung Äußere Ursachen sind die Konkurrenz zu an- nicht her. deren Handlungsfeldern, die derzeit anschei- nend unter größerem öffentlichen Handlungs- 4.3. Widersprüche innerhalb des Umwelt- und druck stehen. Als Beispiele seien genannt: Naturschutzes ─ Standortwettbewerb auf Grund der Globa- Mit zunehmender Aufmerksamkeit für den lisierung. Es herrscht die Meinung vor, Klimawandel rücken auch stadtplanerische dass ambitionierte Umweltziele als Nach- Möglichkeiten zur Reduktion der CO2-Emission teil im Wettbewerb gesehen werden, weil wieder in den Vordergrund. So kann durch die Städte Flexibilität einbüßten. eine kompakte Stadtstruktur mit urbanen Bau- ─ Deregulierung als politisches Ziel soll nicht dichten, wirtschaftlicher Infrastruktur und ver- durch kommunale Vorgaben ausgehöhlt ringertem Verkehrsaufkommen eine durchaus werden. beachtliche CO2-Reduktion erzielt werden (Gassel et. al., 1997). ─ Öffentliche Meinung: Der Umweltzustand hat sich sehr verbessert, eine weitere Ver- Diese Verdichtung kann jedoch mit Maßnah- besserung kostet zuviel. men, die der Adaption an den Klimawandel oder der Verbesserung der Luftqualität dienen, ─ Personal- und Finanzausstattung der in Konflikt geraten. Planerische Ziele wie groß- Kommunen. In den letzten Jahren hat es – zügige Durchgrünung, Freihalten von Luftleit- nicht zuletzt wegen des hohen Schul- bahnen, Vegetationskühlung oder dezentrale denstandes – einen starken Personalab- Niederschlagswasserbewirtschaftung setzen bau gegeben, so dass im wesentlichen nur einer weiteren Verdichtung Grenzen. noch gesetzliche Pflichtaufgaben vollzo- gen werden können. Eine wissenschaftlichen Kriterien standhalten- de, in der kommunalen Praxis einsetzbare ─ Faktor Mensch: Mögliche Risiken werden Lösung für diese Konfliktbewältigung ist nicht verdrängt, Veränderungen des Lebensstils bekannt. In der Außendarstellung werden die- sind unbequem und könnten auch den so- se ungelösten Konflikte sichtbar und als zialen Status beeinträchtigen. Schwäche oder Mangel wahrgenommen. Auch ® Diese Aspekte müssen selbstverständlich be- die ecoBUDGET –Indikatoren, die die ver- achtet werden, sie sind aber unabhängig vom schiedenen Seiten der Thematik sehr wohl gewählten Indikatorensystem und dessen Dar- wiedergeben, stellen hier keine Hilfe dar. stellung. Doch auch in den Indikatorensyste- men selbst liegen Schwächen. Davon sollen

28 Die Abbildung von Entwicklungen durch stadtökologische Indikatorensysteme

Increase in mean

(a) Previous More climate hot weather

Less More cold record hot weather New weather Climate Probabiöity of occurence Probabiöity of occurence

Cold Average Hot

Increase in variance

(b) Previous climate

more More cold hot more weather record cold weather weather New More Climate record hot weather Probabiöity of occurence of occurence Probabiöity Cold Average Hot

Abb. 3: Annahme einer bloßen Mittelwertverschiebung (3a), obwohl die Einzelereignisse stärker streuen (3b) (IPCC, 2001).

4.4 Unkritische Darstellung von Mittelwerten den Faktoren: Zunahme der mittleren Tempe- ratur bei gleichzeitiger Zunahme der Streubrei- Das mittlere Einkommen in einem Land, die te der möglichen Ereignisse. mittlere Lebenserwartung oder auch die mittle- re Konzentration eines Schadstoffes sind Be- Die bloße Darstellung von Mittelwerten in einer griffe, mit denen wir fast täglich konfrontiert Trendkurve würde eine Entwicklung vortäu- werden und auf denen auch politische Ent- schen, die maßgebliche Auswirkungen nicht scheidungsprozesse aufbauen. Den wenigs- vermitteln kann. Selbstverständlich ist es mög- ten, die mit diesen Begriffen operieren, sind lich, hier zusätzlich Fehlerbalken einzutragen. aber die Eigenschaften der zu Grunde liegen- Das trägt aber nicht zum besseren Verständnis den Verteilungen bekannt. Die Möglichkeit von in der Öffentlichkeit bei, sondern verwirrt eher. Fehlentscheidungen, weil z. B. Asymmetrie oder unterschiedliche Varianzen nicht berück- 4.5 Sehr langsam ablaufende Vorgänge sichtigt werden, ist groß. Hier soll das am Bei- Generell gilt große Aufmerksamkeit Vorgängen spiel der Änderung von Verteilungen, die durch mit hoher Dynamik. Langsam ablaufende Pro- den Klimawandel hervorgerufen werden, erläu- zesse, wie Bodenversiegelung oder der Verlust tert werden. Abbildung 3a zeigt nur eine Ver- von Arten werden weniger intensiv wahrge- schiebung des Mittelwertes, wobei die Varianz nommen. Die Brisanz auch kleiner Verände- konstant bleibt. Das entspricht nach unseren rungen über eine längere Zeit wird nicht er- Erfahrungen der Meinung des größten Teils fasst. So wird zwar über den Klimawandel viel der Öffentlichkeit: Ein wenig wärmeres Klima geredet, welche Auswirkungen aber eine etwa könne doch gar nicht schaden! Das aber um vier Grad Kelvin höhere Jahresmitteltem- gleichzeitig die Varianz der Wetterereignisse peratur in der Mitte unseres Jahrhunderts für zunimmt (Abb. 3b), es also neben den wärme- die Stadt Dresden haben kann (Freistaat ren durchaus auch noch kalte Abschnitte ge- Sachsen, 2005), ist weder vorstell- noch ver- ben kann, wird dabei verdrängt. Der Stress für mittelbar. Somit besteht auch keine Bereit- das städtische Ökosystems resultiert aus bei- schaft zum kurzfristigen Handeln. Trotzdem 29 Wolfgang Socher

durchgeführte Maßnahmen werden eher durch fristige Bindung von natürlichen Ressourcen die sich vollziehende Energiepreisentwicklung und Kapital wird bei derartigen Forderungen angestoßen. nicht beachtet. Die Folge wird ein Mehrfaches an Wohnungsleerstand und schlecht ausge- 4.6 Darstellung von Wechselwirkungen nutzter Infrastruktur sein.

Die Berücksichtigung von Wechselwirkungen 5. Lösungsansätze ist sogar im Gesetz zur Umweltverträglich- keitsprüfung (UVPG, 2005) gefordert. Liest 5.1 Grundsätzliche Anforderungen man die entsprechenden Abschnitte in Um- Die angerissenen Beispiele sollten verdeutli- weltverträglichkeitsprüfungen (UVP- chen, dass heute gebräuchliche Indikatoren Gesellschaft, 2006), stellen die oft verwende- und auch darauf aufsetzende Steuerungssys- ten verbal-argumentativen Beschreibungen teme nur unzureichend in der Lage sind, eine eher eine vornehme Umschreibung der Un- Bewertung der Qualitätsentwicklung von urba- kenntnis entsprechender Prozesse dar. Das nen Ökosystemen oder der Stadtlandschaft zu scheint aber den Stand der Erkenntnis wider- ermöglichen. zuspiegeln und weniger die Leistungsfähigkeit der UVP-Gutachter. Um aus einer solchen Bewertung Maßnahmen abzuleiten, bedarf es einiger grundlegender Dabei drängen sich folgende Fragen auf: Wel- Voraussetzungen für ein derartiges System, che Prozesse in der Stadt können zu irrever- wenn es in der Kommunalpraxis Anwendung siblen Änderungen des städtischen Ökosys- finden soll: Die notwendigen Daten müssen mit tems als Ganzes führen? Wo liegen die vertretbarem Aufwand in einem regelmäßigen Schwellen oder kritischen Punkte für derartige Turnus zur Verfügung stehen. Die Aussagen Änderungen? Wie lange können wir strukturel- müssen nachvollziehbar, verständlich und le Fehlentwicklungen (Suburbanisierung) durch lebensnah sein. Die Erkennbarkeit von Zu- höheren Energieeinsatz kompensieren? Dass sammenhängen muss Vorrang vor der Genau- diese Fragen nicht nur akademischer Natur igkeit der Einzelergebnisse haben. Die daraus sind, zeigen regelmäßig die Diskussionen im resultierende mögliche Bandbreite von Ent- Rahmen der Bauleitplanung, wenn es um die wicklungen ist dabei kein Nachteil, sondern Ausweisung neuer Bauflächen im Außenbe- eine logische und zu akzeptierende Folge. reich geht: Von Seiten der Kommunalpolitik Letztlich sind es Anforderungen, die auf werden nur Vorteile im Hinblick auf neue Ar- Transdisziplinarität hinauslaufen (Wu, 2006). beitsplätze oder Zuzug neuer Einwohner ge- sehen. 5.2 Nutzung von Strukturtypen Ein anderes Beispiel ist die Mobilität: Wodurch Bereits seit Ende der 1990er Jahre werden in ist „ortsverträglicher“ oder „sozialverträglicher der Landeshauptstadt Dresden Erhebungen Verkehr“ (Landeshauptstadt Dresden, 1994) von und Beschreibungen auf der Ebene von bestimmt? Wann ist er nicht mehr orts- Strukturtypen eingesetzt (Duhme & Pauleit, verträglich? 1992; Heber & Lehmann, 1993; Wickop et. al., Wachstumsprozesse werden fast immer als 1998). Einheiten auf der Basis statistischer linear und stetig, aber fast nie als nichtlinear Blöcke werden an Hand ihrer baulichen oder wahrgenommen. Daraus ergeben sich Fehl- sonstigen Nutzungsstruktur charakterisiert und einschätzungen insbesondere dann, wenn es vordefinierten Typen zugeordnet. Damit erhält um die Interaktion von Prozessen geht. Ein man einen statistischen Datensatz, der von Beispiel ist die Bevölkerungsentwicklung. Der- seiner Nutz- und Handhabbarkeit zwischen zeit wird in Dresden ein Bevölkerungswachs- gesamtstädtischen Kenngrößen und denen tum registriert, das auch noch mindestens von Einzelobjekten liegt. zehn Jahre anhalten wird. Danach wird ein Derzeit werden Strukturtypen zur Darstellung deutlicher Bevölkerungsrückgang erwartet, die der Versiegelung, der Flächeninanspruchnah- verbreitete demographische Entwicklung im me oder der Ausnutzung vorhandener Bauflä- Osten Deutschlands wird dann auch Dresden ® „einholen“. chen im ecoBUDGET genutzt. Weitere Aussa- gen erfolgen zur Bevölkerungsdichte, erstmals Aus der aktuellen Entwicklung wird jedoch ein liegt auch ein Datensatz zum blockbezogenen hoher Bedarf an zusätzlichen Wohnungen Grünvolumen vor (Meinel & Hecht, 2005). abgeleitet (im Wesentlichen Ein- und Zweifami- lienhäuser). Die durchgeführten Bedarfsrech- Die möglichen Potenziale werden noch nicht nungen zeigen aber, dass das vorhandene ausreichend genutzt. Das scheitert u. a. an der Potenzial (inklusive hohem derzeitigem Woh- Verfügbarkeit weiterer Sachdaten, die sich an nungsleerstand) mehr als ausreichend ist die Strukturtypen ankoppeln lassen. Erste (Landeshauptstadt Dresden, 2007). Die lang- Gespräche mit Versorgungsunternehmen (E-

30 Die Abbildung von Entwicklungen durch stadtökologische Indikatorensysteme

nergie, Gas und Wasser) sind bereits geführt, le Ausgestaltung der Blöcke entscheidet über hier gilt es insbesondere den Datenschutz zu das Verhältnis von Be- und Entlastung. beachten. Dabei steht nicht mehr der einzelne Indikator Neben der statistischen Auswertemöglichkeit im Mittelpunkt, sondern das Zusammenwirken hat auch jeder Block, jede Struktureinheit ein verschiedener Nutzungen auf einer über- „Gesicht“. Ausgehend vom Block als Einzelob- schaubaren Fläche und die sich daraus ablei- jekt sollen Möglichkeiten vorgeschlagen wer- tende Qualität. den, einige der oben geschilderten Nachteile Ein einfaches Beispiel soll diesen Vorschlag von Indikatoren zu vermeiden. Leider sind illustrieren. Mittels GIS wurden die Einwohner- diese Vorschläge nicht mit Instrumenten unter- dichte pro Block und das spezifische Grünvo- setzt und demzufolge auch nicht verwirklicht. lumen pro Block verschnitten. Dabei wurden Sie sind als Anregung an die Wissenschaft zu für die Einwohnerdichte >75 EW/ha Blockflä- verstehen, die Lücke zwischen wissenschaftli- che und für das spezifische Grünvolumen cher Erkenntnis und kommunaler Anwendung >1 m3/m2 Blockfläche jeweils als „hoch“ defi- zu schließen. niert und die beiden Attribute mit UND ver- Jeder Block wird durch seine Nutzung geprägt. knüpft sowie blau eingefärbt (Abbildung 4). Diese Nutzungen können im Sinne des Öko- systems belastend oder entlastend wirken. Beispiele für Belastungen sind Versiegelung, Damit wurden Blöcke in Wohngebieten identifi- Erzeugung von Schadstoffen bzw. Abwärme ziert, wo der oben erwähnte Widerspruch zwi- oder ein erhöhter Oberflächenabfluss. Entlas- schen baulicher Dichte und ökologischer Aus- tungen können mikroklimatischer Ausgleich, gleichsfunktion aufgelöst werden kann. Ein Speicherung von Wasser, Erholungseignung Beispielblock wird sowohl im Luftbild als auch oder Lebensraum für Arten sein. Die funktiona- im Foto dargestellt.

.

Abb. 4: GIS-Verknüpfung von Einwohnerdichte und spezifischem Grünvolumen bei Baublöcken

31 Wolfgang Socher

Einzelblock gedacht sind. Das trifft für Ab- schätzungen und Berechnungen zu, die aus Luftbildern gewonnen werden. Speziell bei Szenarien müssen Wechselwir- kungen zwischen den Blöcken beachtet wer- den, der Gesamtumfang von Stoff- und Ener- gieflüssen muss konsistent sein. Es liegt auf der Hand, dass ein solches Instrument nicht durch eine kommunale Verwaltung aufgebaut werden kann. Die enge Kooperation mit For- schungseinrichtungen ist dafür notwendig.

6. Schlussfolgerungen Es hat sich in Dresden gezeigt, dass vorhan- dene Umweltmanagementsysteme wie eco- ® Abb. 5: Luftbild eines Beispielblocks. (Quelle: Landes- BUDGET mit ihren zu Grunde liegenden Indi- hauptstadt Dresden, Vermessungsamt) katoren die Zielgruppe Öffentlichkeit überfor- dern, wenn es um die Darstellung von Wech- selwirkungen oder Entwicklungsprozessen ® geht. ecoBUDGET muss deshalb um eine Ebene ergänzt werden, die auf Basis der vor- handenen Daten solche abstrakten Prozesse sichtbar und verständlich machen kann. Hierfür wird die Nutzung von Strukturtypen auf Bau- blockebene vorgeschlagen. Qualitäten, Poten- ziale und Risiken können auf dieser Ebene auch für den Laien sichtbar gemacht werden. Die bisher genutzten Modelle zielen mehr auf die Fachöffentlichkeit. Um eine konstruktive Diskussion mit der Öffentlichkeit und der Kommunalpolitik anzustoßen, muss die Art der Darstellung und Kommunikation verändert Abb. 6: Beispiel für bauliche Gestaltung (Foto: Socher) werden. Hier wird die Praxiswirksamkeit stadt- ökologischer Wissenschaft besonders gefor-

dert sein. Fast alle der selektierten Blöcke weisen offene Blockbebauung auf, der Gebäudetyp (fast Literatur quadratischer Grundriss, GFZ bis 1,2) wird Ambiente Italia (2003) European Common „Dresdner Kaffeemühle“ genannt. Die hier Indicators. selektierten Wohnlagen sind sehr begehrt. Auf http://ec.europa.eu/environment/urban/pdf/ dem Foto wird auch deutlich, dass ein großer eci_final_report.pdf Teil des Grünvolumens durch Straßenbäume (aufgerufen 14.10.2007) gebildet wird. Duhme, F. & Pauleit, S. (1992) Strukturtypen- Damit wird Qualität sichtbar und verständlich, kartierung als Instrument der räumlich- die Wissenschaft bleibt latent im Hintergrund. integrativen Analyse und Bewertung der Durch die Verknüpfung von Sachdaten mit den Umweltbedingungen in München, Freising. Blöcken können beliebige Kombinationen er- Freistaat Sachsen (2005) Klimawandel in stellt und auch statistisch ausgewertet werden. Sachsen – Sachstand und Ausblick 2005. Auch nicht so offensichtliche Dinge wie das 1. Auflage. Dresden. 111 S. spezifische Grünvolumen kann sich der Laie Gassel, N., Pielenz, F. & Socher, W. (1997) eher vorstellen, wenn er einen konkreten (viel- CO2 und Raumstruktur. In: Breuste, J. leicht auch „seinen“) Block und Vergleichsmög- (Hrsg.). 2. Leipziger Symposium Ökologi- lichkeiten vor Augen hat. sche Aspekte der Suburbanisierung. Leip- zig. S. 147 – 153. Es ist denkbar, auch Szenarien durch entspre- Heber, B. & Lehmann, I. (1993) Stadtstruktu- chende Änderung der Sachdaten zu rechnen relle Orientierungswerte für die Bodenver- und so eine Entwicklung zu simulieren. (Pauleit siegelung in Wohngebieten. IÖR-Schriften et. al., 2007). Limitierend wirkt die Genauigkeit 05. Institut für Ökologische Raumentwick- der erfassten Sachdaten, die teilweise nur für lung e. V., Dresden. 88 S. statistische Auswertungen, nicht aber für den

32 Die Abbildung von Entwicklungen durch stadtökologische Indikatorensysteme

ICLEI (2004) European ecoBUDGET Pilot Project. http://www.iclei-europe.org/index.php?id =1332 (aufgerufen 14.10.2007) IPCC (2001) Probability of occurrence. http://www.grida.no/climate/ipcc_tar/wg1/i mages/fig2-32s.gif (aufgerufen 14.10.2007) Landeshauptstadt Dresden (1994) Verkehrs- konzept der Landeshauptstadt. Dresden. Dresden. 100 S. Landeshauptstadt Dresden (2005) ecoBUD- GET. http://www.dresden.de/de/08/03/c_015.php (letzte Aktualisierung Okt. 2005; aufgeru- fen 17.10.2007) Landeshauptstadt Dresden (2007). Vorentwurf Flächennutzungsplan. In Vorbereitung. Meinel, G. & Hecht, R. (2005) Bestimmung des baublockbezogenen Grünvolumens für die Fläche der Stadt Dresden auf Basis von Laserscannerdaten. Dresden. Unveröffent- licht. Pauleit S., Gill, S. & Handley, J. (2007) Die Rolle städtischer Grünstrukturen zur Kli- maanpassung von Städten. Vortrag CON- TUREC. Salzburg. UVPG – Gesetz über die Umweltverträglich- keitsprüfung in der Fassung vom 25. Juni 2005 (BGBl. I S. 1757, 2797), zuletzt ge- ändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 21. Dezember 2006 (BGBl. I S. 3316) UVP-Gesellschaft e. V. (2006) http://www.uvp.de/ag_qm/QM_Leitlinien_v ersion1.1_20060911.pdf (aufgerufen 17.10.2007) Wickop, E., Böhm, P., Eitner, K. & Breuste, J. (1998) Qualitätszielkonzept für Stadtstruk- turtypen am Beispiel der Stadt Leipzig. UFZ-Bericht Nr. 14/1998. Leipzig. 156 S. Wu, J. (2006). Landscape ecology, cross- disciplinarity, and sustainability science. Landscape Ecology 21. p. 1–4

Anschrift Wolfgang Socher Umweltamt Landeshauptstadt Dresden PF 10 00 20 D-01001 Dresden E-Mail: [email protected]

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CONTUREC 3 (2008) Seite 35 bis 46

Place of urban ecosystems in relation to nature conservation in the Wielkopolska Region

Die Stellung der städtischen Ökosysteme im Verhältnis zum Naturschutz in der Wielkopolska-Region

DAMIAN ŁOWICKI, IWONA ZWIERZCHOWSKA

Summary Cities are characterized by a high population density and a far-ranging transformation of the original landscape. Given this, cities have a highly significant impact on the structure of the natural landscape in the surrounding region. The type and intensity of that impact depends on city size, urban structure and location. The aim of this paper is to illustrate the diversity that exists among cities in the Wielkopolska Region, taking the above features into account. In addition, the authors have identified the spatial relations between cities and their surroundings. The results may contribute to a better un- derstanding of the influence of urban areas on the surrounding environment; this knowledge is funda- mental for the authorities responsible for environmental protection and spatial planning wishing to optimize their activities. The objects of the study are territorial units treated as areas possessing city status. This approach makes it possible to reveal the influence of local authorities’ policy on urban structure. The Wielkopol- ska Region has been chosen as the study area. The region is characterized by a large number of small cities (12% of all Polish cities). One specific feature of urban areas in this region is that a signifi- cant proportion of the administrative area is given over to extensive forms of land use (e.g. arable land, forests and nature conservation areas). The research addresses the characteristics of environ- mental conditions in urban areas and their vicinity, as well as features such as area, land cover struc- ture and city location. The urban areas were divided initially into 3 groups and then assigned to four geomorphological categories according to their location (flat morainic plateau, undulating morainic plateau, sandur and valley). The urban areas were additionally divided into 3 zones: built-up areas within city boundaries, undeveloped areas within city boundaries, and areas within 10 km of the city boundaries considered to be within the range of the city’s influence. This approach facilitated an analysis and classification of the cities with regard to potential conflicts between a city and its immedi- ate surrounding area. The research was based on a numerical topographical map of Poland with a scale of 1:50,000, and the analysis was carried out on the basis of GIS (GeoMedia Professional 5.2 and ArcGis 9.1). The results show that urban areas located in valleys have a high gradient of land use intensity be- tween the core zone and closer urban fringe. In the second zone there are predominantly semi-natural green areas and/or forests. Different spatial relations exist in cities located on the morainic plateau. The built-up areas border mainly on agricultural areas. Due to the richness of soils, the proportion of forested area in these cities is insignificant. The research showed additionally that larger cities such as Poznań contain a significant share of forests and nature conservation sites. This is due partly to the regulations that confer protected status upon forests located within cities with more than 50,000 in- habitants. The research presented here constitutes the initial stage of a research project being undertaken at the Geography and Geology Department of the Adam Mickiewicz University concerning the relations be- tween cities and ecological corridors in the context of spatial planning.

Wielkopolska Region, Urban ecology, Land use, Gradient analysis, Nature conservation areas.

Zusammenfassung Städte zeichnen sich durch eine große Bevölkerungskonzentration und tief greifende Veränderungen der ursprünglichen natürlichen Landschaft aus. Damit haben sie auch auf die natürliche Struktur der Region einen bedeutenden Einfluss. Art und Intensität dieses Einflusses ist von der Größe der Stadt, ihrer Struktur und ihrer Lage abhängig. Ziel dieses Artikels ist die Darstellung der Differenzierung der Städte in der Wielkopolska-Region hinsichtlich dieser Eigenschaften, sowie die Identifizierung von

35 Damian Łowicki & Iwona Zwierzchowska

bestehenden Stadt- Umlandbeziehungen. Diese Ergebnisse tragen zum Verständnis des Einflusses urbaner Gebiete auf deren Umgebung bei und stellen somit fundamentale Erkenntnisse zur Optimie- rung der Anstrengungen der mit Naturschutz und Raumplanung befassten Behörden dar. Gegenstand der Untersuchung sind städtische Siedlungen. Somit kann auch der Einfluss der Stadt- verwaltung auf die Stadtstruktur erfasst werden. Als Forschungsgebiet wurde die „Wielkopolska- Region“ ausgewählt. Diese zeichnet sich durch eine groβe Zahl kleiner Städte aus (12% aller polni- schen Städte). Ein erheblicher Anteil der administrativen Stadtgebiete wird hierbei von extensiven Nutzungsformen eingenommen (z. B. Acker, Wald, Naturschutzgebiete). Untersucht wurden die Na- turbedingungen in den Städten und ihrer Nachbarschaft. Es wurde dabei sowohl Größe und Lage der Städte als auch deren Nutzungsstruktur berücksichtigt. Die Städte wurden anhand ihrer Größe in drei Gruppen eingeteilt und dann auf Grund ihrer Lage vier geomorphologischen Kategorien (Tal, Flach- moräneplateau, Hügelmoräneplateau, Sander) zugeordnet. Außerdem wurden die Stadtgebiete in drei Zonen unterteilt: bebaute Gebiete, offene Fläche innerhalb der administrativen Grenzen der Stadt und Gebiete außerhalb der administrativen Stadtgrenze bis zu einer Entfernung von 10 km. Diese Vorge- hensweise erlaubte eine Analyse und Klassifizierung der Städte hinsichtlich potentieller Konflikte zwi- schen Stadt und Umland. Für die Untersuchungen wurde die numerische, topographische Karte im Maßstab 1 : 50 000 verwendet, die GIS- gestützt (GeoMedia Professional 5.2 und ArcGis 9.1) analy- siert wurde. Die in Flusstälern liegenden Städte zeichnen sich durch einen groβen Gradienten der Nutzungsinten- sität zwischen bebauten Gebieten und deren direkter Nachbarschaft aus. Diese Nachbarschaft bilden vorwiegend halbnatürliche Grünflächen und Forste. Andere Raumverhältnisse charakterisieren die Städte, die im Bereich des Moräneplateaus liegen. Die den bebauten Gebieten angrenzenden Flä- chen werden zumeist als Ackerland genutzt. Aufgrund der meist fruchtbaren Böden ist der Waldanteil gering. Groβe Städte wie Poznań zeichnen sich außerdem durch einen verhältnismäßig groβen pro- zentualen Anteil an Wäldern und Naturschutzgebieten aus. Zum Teil ergibt sich dies auch aus dem gesetzlich verankerten Schutz der Forste in Städten mit mehr als 50.000 Einwohnern. Darüber hinaus kommen in den groβen Städten noch verschiedene individuelle Naturschutzformen vor, hierbei han- delt es sich meistens um kleinere Gebiete. Die vorgestellten Untersuchungen bilden eine Vorstudie für ein Forschungsprojekt, welches das Ver- hältnis zwischen Städten und ökologischen Korridoren im Raumplanerischen Kontext untersucht und an der Fakultät für Geographie und Geologie der Adam Mickiewicz Universität Poznań durchgeführt wird. Wielkopolska-Region, Städtökologie, Landnutzung, Gradientenanalyse, Naturschutzgebiete.

1. Introduction sources, so that the consequent changes cause biodiversity loss (Alig et al., 2004). Cities constitute a geographical point of con- centration in terms of people and human activ- The Thematic Strategy on the Urban ity (Camagni et al., 2001). Since urban areas Environment was passed in 2006 in the EU are characterized by a high rate of environ- countries, its aim being to improve en- mental change, they have a high impact on the vironmental conditions and the quality of urban regional environmental structure. One of the areas, to ensure a healthy environment for city factors that influence the extent of a city’s foot- inhabitants, and to upgrade the importance of print on the environment is its spatial form and environmental issues in cities. The growing development. The spatial form of a city has prominence of environmental issues in urban been shaped over a long period of time. It is areas draws attention to the role of urban the outcome of the influence of many urban ecosystems as contributing to public health factors, including the physiographical condition and increasing the quality of life of urban of the environment, the economy, communica- citizens (Bolund & Hunhammar, 1999). tions, and defence factors in the past (Maik & Savard et al. (2000) maintain that to protect Zajchowska, 1991). The rapid spatial devel- and enhance urban ecosystems it is necessary opment of cities leads to the dispersion of to act not only within the city boundaries but on buildings and their associated infrastructure, a wider scale in the surrounding neighbour- which in turn contributes to advanced fragmen- hoods. On the regional scale this is reflected in tation of the environment (Kozłowski, 2002). In identifying ecological corridors that connect the consequence, this process is followed by the city with neighbouring environmentally valuable degradation of environmental values and re- areas, whereas within the city it refers to ac-

36 Place of urban ecosystems in relation to nature conservation

tions such as enlarging ecological corridors protected areas. Spatial linkages between (Savard et al., 2000). Kozłowski (1994) claims more natural areas and urbanized areas en- that this approach forms the foundation of pro- able a strengthening of artificial urban green ecological policy in urbanized areas. systems, a greater species assemblage, and an improved functional capacity of such sys- Threats arising from urbanization have been tems (Głowacka, 1991; Szulczewska & Kaftan, identified in Poland, as elsewhere. This is re- 1996). River valleys and areas involving a flected in documents such as the National lower intensity of land use than neighbouring Strategy for Protection and Reasonable Use of areas are elements that fulfil the function of Biodiversity. One of its operational actions in natural linkages (Łukasiewicz & Łukasiewicz, the sphere of building, spatial planning and the 2006). Pauleit (2003) highlighted integrated housing sector is the protection of urban green function of greenspaces. Spatial planninig areas, accomplished within the framework of should combines not only green areas in the master plans and studies and instructions for space but also their function such as recrea- physical development. tion, management or nature conserva-

tion. 2. Connectivity of urban green systems

Different types of built-up areas, the condition 3. Aim of the paper of the surrounding environment and human The aim of the paper is to examine the rela- activity all have diverse impacts on the envi- tionship between urban features such as popu- ronment (Szulczewska & Kaftan, 1996). The lation density, city area, geomorphological degree of influence is expressed in terms of conditions and the transformation of the urban the dimension of spatial changes in the environment on the one hand and their vari- environment, which are related to land use ability regarding distance from city centre to types (Macias, 1996). The distribution of land suburbs on the other. The research results use forms in the city is diverse. It depends in offer a typology of cities in terms of potential great measure on the distance from the city conflicts resulting from location within certain centre (Maik, 1992). As a result of urban environmental conditions, land use structure development and city expansion, the intensity and the share of nature conservation sites. The of land use within city structures is increasing research aims to produce quantifying indica- (Boyce, 1978), and conversion of open spaces tors that enable a formalized comparison of or agricultural areas for urban use occurs different cities. It seeks furthermore to examine outside the city. Moreover, the urban the dynamics of change resulting from urban landscape not only expands at the expense of pressure on green areas that may create eco- agricultural or forested areas within logical corridors. The research may create a administrative city boundaries but extends to basis for further studies in urban spatial struc- the entire surrounding area to a width of at ture and its impact on the regional structure of least 10 km (Breuste, 2004). Urban green green areas. This could feed into further quali- spaces are viewed as the last remnant of tative research. Furthermore, the results may nature in cities (Beatley, 2000) that perform contribute towards identifying the type of im- various ecological, aesthetic and socio-didactic pact of built-up areas on the surrounding envi- functions (Czerwieniec & Lewińska, 1996). ronment, which is fundamental information for Thus, loss and degradation of urban and peri- optimizing administrative authorities’ efforts at urban green spaces could adversely affect dealing with environmental planning in the both ecosystems and human health (Tzoulas, region as well as spatial planning in cities. Korpela 2007). Those fragments of green areas or whole ecosystems that remain within the borders of urbanized areas have been 4. Study area undergoing ecological isolation, affecting the The Wielkopolska Region was chosen as the structure and function of ecosystem (Dale, study area. It is one of 16 administrative re- Brown et al. 2000). As Hodgkison et al. (2007) gions in Poland. Wielkopolska is located in the point out, abundance and species richness in midwestern part of the country, in the western urban areas is determined partly by the nature part of the Polish Lowland, the Wielkopolska of the surrounding landscape, such as the area Lowland. Hypsometrically distinctive geo- of nearby built-up land, native vegetation and graphical units in this region include proglacial the number of connecting streams. For this stream valleys and inter-proglacial stream reason, Stala (1991) points out the necessity of valleys and morainic plateau zones that run maintaining spatial linkages between protected parallel to one another. Viewed from the North, areas in the city with the system of out-of-city

37 Damian Łowicki & Iwona Zwierzchowska

Fig. 1: Locations of urban areas in relation to geomorphological units in the Wielkopolska Region these are the Toruńsko-Eberswaldzka progla- grassland and forests. Thus, it is expected that cial stream valley, the North Wielkopolska mo- the impact of cities on the region’s environ- rainic plateau zone, the Warszawsko-Berlińska mental structure will be diverse. The large proglacial stream valley and the South number of cities and their variability in terms of Wielkopolska morainic plateau zone (Kry- area and population size, together with diverse gowski, 1961).The Wielkopolska Region is environmental conditions, makes the characterized by an atypical settlement struc- Wielkopolska Region an interesting study area. ture resulting from historical conditions. This is reflected in the existence of 109 cities, which is 5. Materials and methods the highest number of cities in any region of The research method is based on the assump- Poland, representing 12 % of all Polish cities. tion that the foundations for the ecological Most of these cities are small in size. The pro- functionality of cities lie in the connection be- portion of inhabitants in Wielkopolska is low tween urban green areas and neighbouring compared with the overall number of citizens in 2 environmental systems. An indicator for this Poland. Average city size is 14 km , which is 2 connection was created on the basis of the 10 km less then the average size of Polish gradient of land cover and the gradient of na- cities. At the same time, low land use intensity ture conservation area from urban centre to can be observed in many cities; this is re- fringe. The objects of the study are territorial flected in the high proportion of nature conser- units treated as areas possessing city status. vation areas as well as of agricultural areas,

38 Place of urban ecosystems in relation to nature conservation

The advantage of such an approach is the landscape values. What those nature conser- ability to reveal the influence of administrative vation sites have in common is the requirement units operating within city boundaries. Cities to prepare a protection plan; this is a binding and their surroundings were divided into three document that must be respected in urban zones: planning at the local level. In addition, the share of contact zone between forms of nature 1. Built-up areas within city administrative conservation within each urban zone was cal- borders consisting of continuous urban culated. This was crucial for analysing the fabric, discontinuous urban fabric, indus- degree of connection between the city and the trial areas, commercial areas, railway ar- regional system of nature conservation. The eas together with a 250 m wide buffer method used for separating the urban zones zone around those areas (city core – so- and the contact zones between them is pre- called city infrastructure) sented in Fig. 2. Three indicators were con- 2. Undeveloped areas within city administra- structed for conducting the analysis. The sum tive boundaries (supplying area – closer of the share of nature conservation forms and suburban zone) the share of length of contact zone between them formed the Nature Conservation Indica- 3. Areas within 10 km of the city boundaries tor (NCI). treated as a zone of the city’s influence (supplying area – further suburban zone). Furthermore, the share of land cover types was calculated for each urban zone using the Based on the numerical Geo-Environmental Corine land cover 2000 database. Land cover Map of Poland, the share of the three most types were weighted according to the intensity rigorous forms of nature conservation was of impact of human activity (Table 1). The sum calculated for each of the urban zones. These of products of land cover types’ share and their are national parks, landscape parks and nature respective weights generated the Land Trans- reserves that are formed mainly for conserva- formation Indicator (LTI). tion purposes to protect environmental and

Fig. 2: Urban zones separation process

39 Damian Łowicki & Iwona Zwierzchowska

Table 1: Degree of human pressure on environment reflected in land cover types established for study purpose

Corine Land Cover Code Type of land cover Weight 121-133 Industrial, commercial or railway areas 5 111 Continuous urban fabric 4 112 Discontinuous urban fabric 3 141-142 Green urban areas 2 221-223 Orchards, plantations 1.8 211-213 Arable land 1.6 241-244 Other agricultural lands 1.4 231 Grassland, pastures 1.2 311-313 Forests (deciduous, coniferous, mixed) 1 321-324 Other forms of vegetation 1 411-423 Wetlands 1 511-512 Water (courses, bodies) 1

By subtracting NCI from LTI it was possible to create the Environment Transformation In- GIS software such as ArcGis 9.1 and GeoMe- dicator (ETI) for each urban zone. The gradi- dia Professional 5.2. were used as a basis for ent of this indicator measured by standard analysing spatial relations and for visualizing deviation shows the degree of city adjustment the results. Additionally, Statistica 7 was used to local environmental conditions. for statistical analysis, including Pearson corre- As a part of the analysis, the relationship be- lation, standard deviation and test t. tween the gradient of the Indicator of Environ- ment Transformation (ETI) and the size of 6. Results urban area, population density and types of 6.1 General geomorphological units were examined. Four types of geomorphological units were taken Average percentages of land cover types and into account. These are flat morainic plateau, nature conservation areas in delimited urban undulating morainic plateau, sandur and valley zones are shown in Table 2. (Fig.1).

Table 2: Average percentages of land cover types and nature conservation areas in cities of the Wielkopolska Region

Land cover type Zone 1 Zone 2 Zone 3 Continuous urban fabric 0.6 - 0 Discontinuous urban fabric 40.5 - 4 Industrial, commercial or railway areas 3.3 - 0.5 Green urban areas 1.3 1.2 0.2 Arable land 32.6 61.2 56.9 Orchard, plantations 0.5 0.9 0.2 Grassland, pastures 7.6 10.8 8.9 Complex cultivation patterns 7.2 8.6 4 Deciduous forests 0.6 1.4 3.4 Coniferous forests 2.1 9 16.1 Mixed forests 0.9 2.6 4.7 Transitional woodland-shrub 0 0.1 0.3 Wetlands 0.4 0.5 0.2 Watercourses 0.1 0.1 0 Water bodies 1.4 2.8 1 Nature Conservation Areas 4.8 5.9 8.4 Land Transformation Indicator 222.3 145.1 149.1 Nature Conservation Indicator 5.3 9.8 10.2 Environment Transformation Indicator 217 135.3 138.9

40 Place of urban ecosystems in relation to nature conservation

The table shows that cities in the Wielkopolska 6.3 Interaction between land cover, nature Region are of an agricultural character. The conservation and geomorphological condi- average share of arable land within urban zone tions 1 – built-up areas – is 32,6 %. The share of The research shows the degree of relation built-up areas within administrative borders is between land cover and nature conservation. A slightly over 27 %, and the average percentage high degree was shown between the share of of industrial, commercial and railway areas is nature conservation sites and the share of 2.2 %. At the same time, the proportion of na- forests and watercourses in all three urban ture conservation areas in cities is significant zones. The larger share of agricultural areas in and this share barely decreases with distance the second zone is related to the lower share from the city centre. However, there is a sig- of nature conservation sites. Similar relations nificant difference in the Nature Conservation exist in the contact zone between urban zones. Indicator between zones 1 and 2. The large The length of contact of nature conservation area of nature conservation sites in the 1st sites between urban zones is longer where zone along with a low indicator of nature con- there are forests and watercourses and shorter servation shows that connectivity between where there is a large share of agricultural nature conservation sites within built-up areas areas. and nature conservation sites outside cities is very limited. The largest share of nature conservation areas Table 3: Standard deviation of indicators used in the study exists in cities located in valleys and lowlands. for each urban zone Their lowest share occurs in the first zone and the highest in the second urban zone. The Standard share of nature conservation areas is three Indicator Zone deviation times smaller in cities located on morainic pla- 1 25 teaus or sandur. In these cities the lowest Land 2 13 share of nature conservation sites occurs in Transformation built-up areas (1st zone) and the highest in the 3 12 further urban fringe outside city boundaries. 1 21 Nature Additionally, in cities located on morainic pla- 2 33 Conservation teaus, connectivity between nature conserva- 3 16 tion areas between all three urban zones is 1 33 smaller. Differences in this respect between Environment 2 39 cities located in valleys and cities located on Transformation morainic plateaus reach 3500 % for the contact 3 19 edge separating zones 1 and 2.

6.2 Diversification of cities in zones 6.4 Gradient from city centre to urban fringe The greatest differences are visible in the sec- The highest gradient in land use intensity re- ond zone – the closer suburban zone. This flected in land cover types is between the first variability between cities measured by stan- and second zones; however, this results from dard deviation arises mainly through differ- the study methods. Surprisingly, there is no ences in the share of nature conservation ar- significant variation between the average share eas. The share varies between 0 % and of nature conservation in all urban zones. This 100 %, while the average is 5.9 %. In this zone results from fact that many cities such as significant differences occur in the share of Stęszew, Puszczykowo, Mosina, Sieraków, agricultural areas (from 5.5 % to 99 %, the Żerków, Pyzdry and Zagórów are located en- average being 61 %), grasslands and pastures tirely or partly within areas designated as na- (share between 0 % and 66 %, average 11 %) ture conservation sites. The differences con- and coniferous forests (from 0 % to 72 %, av- cern the length of the contact zone between erage 9 %). nature conservation sites. The analysis con- A little less diversified is the first urban zone. ducted showed that the length of boundaries The most significant difference appears in the between the first and second urban zones is share of nature conservation areas, which less than on the border between zones two varies between 0 % and 100 %, with the aver- and three. This means that despite the fact that age being 4.8 %. Moreover, similarly to the the city core has a similar share of nature con- second zone, the share of agricultural land servation areas as in the other two zones, the varies from 3 % to 71 %, with an average of connectivity between those areas and other 33 %. The third zone is the least diversified zones is significantly lower and more limited. between cities.

41 Damian Łowicki & Iwona Zwierzchowska

Table 4: Variations in land cover between urban zones 2 6.5 Factors related to the environment trans- and 3 in cities of the Wielkopolska Region. The ”+” sign formation gradient means that the share of particular land cover type is higher in zone 2 than in zone 3, the ”-” sign means it is lower. The analysis showed a statistically important Lack of a sign indicates a lack of significant differences between zones. relationship between the land transformation gradient in urban zones, city areas and popula- tion density (Table 5). Land Cover types Z2/Z3 In cities with a high population density and a large area, gradients in environment transfor- Continuous urban fabric - mation are the highest. This results from sig- Discontinuous urban nificant differences in land cover between the - fabric first and second zone. A greater intensification of land use in large cities exists in the first zone Industrial, commercial, while land cover in zone 2 is minimally trans- - railway areas formed. This gives rise to a high gradient of land transformation between zones 1 and 2 in large cities. A high level of urbanization in zone Green urban areas + 1 is also linked with the larger amount of urban Arable land green areas in zone 2. High population density is a driving force that increases the share of Orchards and + built-up areas in zone 3, resulting from a more plantations rapid development of satellite cities located Grasslands, pastures around larger cities. However, neither popula- tion density nor city area has an influence on the share and connectivity of nature conserva- Complex cultivation + tion areas in each urban zone. patterns The second factor influencing the gradient of Deciduous forests - environment transformation is the geomor- Coniferous forests phology of the area where the city is located Mixed forests - (Table 6). Transitional woodland- The analysis shows statistically important dif- shrub ferences between cities located on the morai- Water bodies + nic plateau (especially flat) and cities located in valleys. The location of city on sandur has no Table 4 shows differences in land cover in influence on the gradient of the environment zone 2 within the city boundary and zone 3 transformation indicator in cities. The variation outside the municipality. It shows that cities of environment transformation indicator for differ from the surrounding areas mainly in cities located in valleys is bigger than for cities terms of the structure of agriculture. Orchards, located on the morainic plateau. This dissimi- plantations and complex cultivation patterns – larity is particularly visible in the case of differ- these are small parcels of land with a pattern ences between zones 1 and 2, as well as be- of mixed crop types – are located mainly in the tween zones 2 and 3; however, the difference second zone. Differences are predominantly is less significant in the second case. The large visible in the case of orchards and plantations, gradient results from the fact that in zone 2 in whereas in the second zone there are 5.5 cities located in valleys, transformation of the times more of them than in the third zone. environment is significantly less than in cities Moreover, there are more water bodies and located on morainic plateaus. fewer areas of mixed and deciduous forests in this zone. Table 5: Statistical relations between urban features and study indicators. Values marked grey mean statistically important interactions (p=0.05)

LTI NCI ETI Z1 Z2 Z3 Z1 Z2 Z3 Z1 Z2 Z3 Ā Population 0.7 0.12 0.21 -0.16 -0.17 0.01 0.64 0.18 0.12 0.47 density Urban area 0.35 -0.26 0.15 -0.02 -0.02 0.03 0.28 -0.07 0.07 0.32

42 Place of urban ecosystems in relation to nature conservation

Table 6: Differences in indicators for cities located in different geomorphological units

LTI NCI ETI Z1 Z2 Z3 Z1 Z2 Z3 Z1 Z2 Z3 Ā Flat morainic plateau 225 148 151 0 1 8 225 146 143 47 Undulating morainic 214 142 145 23 29 18 192 113 127 48 plateau Sandur 211 145 145 4 10 8 207 135 137 43 Valley 224 139 148 12 26 14 212 113 134 56 Average Value 219 143 147 10 17 12 209 127 135 48 Max. Value 337 162 188 109 196 66 337 162 175 115 Min. Value 172 106 118 0 0 0 78 -74 62 16

This emerges from the lesser degree of land lower transformation of zone 2 contribute to a cover transformation and a six-fold higher higher gradient rate. The example of such a share of nature conservation areas in cities city is Piła, whose area of zone 1 in relation to located in valleys. Significant differences can zone 2 is 0.4 (Fig.3-A). This situation exists be noticed especially in the case of transitional mostly in cities located in valleys. woodland shrub, grasslands and pastures, Another reason for a high gradient is the high wetlands and deciduous, coniferous and mixed environmental transformation in zone 1. One forests. It results from the low intensity of hu- example of such a city is Rawicz, where al- man action in river valleys, periodical flooding though the relation of zone 1 to zone 2 is al- and common pasturage of cattle and sheep in most 5, built-up areas are concentrated and those areas. In contrast to morainic areas, have a mainly industrial character (Fig. 3-B). these terrains are not especially valuable for Generally, both these factors occur together. cultivation purposes, so there is less agricul- Puszczykowo (Fig. 3-C) is presented by way of ture land use in all urban zones in valleys. illustration. The lowest gradient occurs in small 6.6 Typology of cities with regard to changes in cities on moraininc plateaus where forestry and gradient from centre to urban fringe leakages in zone 2 are at a low level. One of these cities is Wyrzysk (Fig. 3-D). Another A typology of cities was prepared on the basis situation exists in cases where the transforma- of the gradient of environment transformation tion in zone 1 is small because of the existence indicator. This was done by dividing cities into of water bodies together with accompanying three groups by equal interval. Table 7 shows green areas. Examples are Ślesin and Dolsk that over half the cities have a gradient not (Fig. 3-E and 3-F). exceeding 48.8 points and that only 5.5 % of cities are in the category with the highest gra- 7. Summary dient. 1. The analysis showed that cities in the Table 7: Division of cities in the Wielkopolska Region Wielkopolska Region have a strongly agri- regarding the value of environment transformation indica- cultural character. The share of arable tor land, orchards and plantations, grasslands and pastures and complex cultivation pat- Gradient Gradient value Number of terns is higher in the second – non-built-up class (points) cities urban – zone than outside municipal 1 ≤ 48.8 62 boundaries. Theshare of complex cultiva- tion patterns, that is, land parcels of differ- 2 48.8 ≤ 82.0 41 ent types under 25 ha, both in built-up and 3 ≥ 82.0 6 undeveloped areas, is higher than outside the administrative units of cities. This is The gradient value is formed mostly by differ- because cities represent an outlet for agri- ences in the share of the most intensively used cultural crops and the surrounding areas land cover types in zones 1 and 2. Thus, in the have adapted to supplying these products group of cities with the highest gradient lie (Maik 1992). In addition, croplands in cities mostly cities for which the area of zone 1 in have a mosaic character, with a high pro- comparison to zone 2 is smaller. A larger ad- portion of natural vegetation. ministrative area of city and consequently a

43 Damian Łowicki & Iwona Zwierzchowska

Fig. 3: Examples of cities with the highest (A-C) and the lowest (D-F) gradient of environment transformation. Colours mark the degree of land transformation. For additional explanation, see Table 1

A high share of agricultural use is visible rized by a high rate of human impact in all particularly in cites situated on morainic three zones. This is the effect of a large plateaus. The share of agricultural land is share of agricultural land. As Stala (1978) 25% higher on average than in cities lo- points out, the spatial structure of cities re- cated in valleys. At the same time the lies on abiotic environmental conditions share of grasslands and pastures is two that predefine areas for built-up or open times lower. spaces. In the cities located on morainic plateaus there are fewer natural barriers 2. Due to the dominance of agricultural land, for city development than in the valleys. the share of forests is insignificant. There Therefore, the gradient in cities located in is a correlation between forested areas in valleys is significantly higher. In those cit- zone 2 and the total area of cities. This re- ies, a higher environmental transformation sults from the fact that forests in cities with occurs in zone 3 than in zone 2. more than 50 000 inhabitants are generally protected by law. Thus, in terms of forest 5. The analysis showed that the share of share, larger cities do not differ signifi- nature conservation areas and spatial con- cantly from smaller cities. tact between them in delimited zones is not related to city area or population den- 3. The second zone is the one that differenti- sity, but depends on geomorphological ates cities in Wielkopolska. This variability conditions of the terrain and land cover results from significant differences in the types. In cities located in valleys, the share share of nature conservation areas and the of nature conservation sites and the de- share of length of contact zone between gree of connectivity between them in urban those areas in zones 2 and 3. zones is significantly higher. In the case of 4. The gradient of environmental trans- these cities, the share of nature conserva- formation to a high degree depends on tion areas is higher in the second zone geomorphological conditions. Cities situ- than in the third zone. In cities situated on ated on morainic plateaus are characte- morainic plateaus, connectivity between

44 Place of urban ecosystems in relation to nature conservation

those areas in zone 1 and zone 2 is limited Breuste, J.H. (2004). Decision making, plan- to a large extent. This means that in those ning and design for the conservation of in- cities, designated nature conservation digenous vegetation within urban devel- sites are small and isolated. This may be opment. Landscape and Urban Planning linked with local authority and local com- 68 (4). p. 439–452 munity unwillingness to exclude environ- Camagni, R., Capello, R., Nijkamp, P. (2001). mentally valuable areas from economic Managing Suitable Urban Environments. use. Due to having a small area and/or a In: Paddison, R. (Hrsg.) Handbook of Ur- high spatial isolation, these areas come to ban Studies, Sage Publications. London p. lose their conservation function in favour of 124-140 the recreation function. Czerwieniec, M., Lewińska, J. (1996). Zieleń w mieście, Instytut Gospodarki Przestrzennej i Komunalnej. Warszawa. 82 S. 8. Conclusions Dale, V. H., Brown, S., Haeuber, R. A., Hobbs, In order to achieve a proper functioning of N. T., Huntly, N., Naiman, R. J., Rieb- green areas in cities, it is not enough to desig- same, W. E., Turner, M. G., Valone, T.J. nate nature conservation sites. It is necessary (2000) Ecological principles and guide- to create a coherent system of green areas lines for managing the use of land. through functional and spatial interrelation, Ecological Applications 10. p. 639 - 670 which will guarantee support for strongly ur- Głowacka, I. (1991). Funkcjonalne kryteria banized ecosystems. Particularly “sensitive” oceny terenów otwartych. Człowiek i and, at the same time, the most diversified are Środowisko 15 (3-4). p. 209-220 undeveloped areas within city administrative Hodgkison, S., Hero, J.M., Warnken, J. (2007). boundaries. A study of the environmental The efficacy of small-scale conservation structure of cities’ neighbourhoods can con- efforts, as assessed on Australian golf tribute to their sustainable development. With courses, Biological Conservation 135. p. regard to the great reserve of undeveloped 576-586 areas within core urban zones, there is a need Kozłowski, S. (1994) Droga do ekorozwoju. to examine the possibility of concentrating PWN. Warszawa. 202 S. development in this zone and thereby limiting Kozłowski, S. (2002) Ocena zrównoważonego the process of ”urban sprawl”. This issue is rozwoju (ekorozwoju) w procesie particularly important in the case of cities lo- transformacji polskiej gospodarki: cated in valleys, whose undeveloped zones ekspertyza. Zeszyty Naukowe PAN. have a semi-natural character and which fulfil a Warszawa. 223 S. significant ecological role. Therefore, a more Krygowski, B. (1961). Geografia fizyczna complex approach to spatial planning is nec- Niziny Wielkopolski. Cz. 1. Geomorfologia. essary. Such an approach should include not PWN. Poznań. 203 S. only municipality areas but also have a wider Łukaszewicz, A., Łukaszewicz, S. (2006). Rola scope that embraces landscape aspects on a i kształtowanie zieleni miejskiej: skrypt dla regional scale. Finally, the study presented studentów ochrony środowiska. here should be taken further by research in the Wydawnictwo Naukowe UAM. Poznań. field of spatial structure indicators and their 127 S. diversification within and between cities. Macias, A. (1996). Ocena stopnia antro- pogenicznego przekształcenia terenu

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45 Damian Łowicki & Iwona Zwierzchowska

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46 CONTUREC 3 (2008) Seite 47 bis 57

Der post-sozialistische Landnutzungswandel in Städten aus ökolo- gischer Sicht

Post socialistic land use changes from an ecological point of view

TINA SKUPIN

Zusammenfassung Durch die „Wende“ wurde in den mittel- und osteuropäischen Städten die Stadtentwicklung erheblich diversifiziert und beschleunigt. Auswirkungen auf das urbane Ökosystem wurden bisher kaum in For- schungsarbeiten thematisiert. Die Arbeitsgruppe Geoökologie der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg beschäftigt sich mit diesen Fragestellungen, speziell mit dem Landnutzungswandel, die hierdurch entstehenden Freiflächen sowie deren ökologischen Potenziale vor allem in Hinsicht auf deren Habitatfunktion, Grundwasserschutzfunktion, Funktion als Kohlenstoffsenke. Die vorliegende Publikation stellt Zwischenergebnisse des Forschungsprojektes vor. Untersuchungsgebiete sind die Städte Halle (Deutschland) und Poznan (Polen) als repräsentative Beispiele für unterschiedlich ausgeprägte Transformationsprozesse: Während es in Halle zu einem verstärkten Aufkommen von Freiflächen („Brachen“) kommt, herrschen in Poznan Verdichtungspro- zesse und steigender Druck auf die verbleibenden Frei- und Grünflächen vor. Ökologische Kenngrö- ßen und ökologische Potenziale der urbanen Ökosysteme werden hierbei modifiziert. Als Beispiele werden die Nutzungsänderungen der Stadtteile „Thüringer Bahnhof“, „Neustadt“ (Halle) und „Rataje“ (Poznan) beschrieben, außerdem einige Ergebnisse pedologischer Untersuchungen.

Stadtentwicklung, Stadtökologie, Schrumpfende Städte, Kohlenstoffsenke

Summary Due to the political change at the beginning of 1990s in Middle- and Eastern European countries, city development was diversified and accelerated to a high extend. In scientific works, consequences for the urban ecosystem were rarely discussed. The working group “Geoecology” at the Martin Luther University Halle-Wittenberg (Germany) deals with those issues particularly with regard to the new developing open spaces as well as with their ecological potential in terms of habitat function, protec- tion of , function as a sink for carbon. The paper contains some interim results of the re- search project Research areas are the cities of Halle (Germany) and Poznan (Poland) as representative examples for different transformation processes. While in Halle new open spaces (urban derelict land) emerge, in Poznan we observe an increasing density of buildings and a growing pressure on the remaining open and green spaces. Hereby the ecological parameters and the ecological potentials of the urban ecosystems get altered in different manners. In this paper following examples are presented: the land use changes in the quarters “Thüringer Bahnhof”, “Neustadt” (in Halle) and “Rataje” (in Poznan), furthermore some results of the hydrological and pedological field work.

1. Einführung und Problemdarstellung zielle Faktoren an Wichtigkeit. Generalisierend kann gesagt werden, dass die in Städten oh- Die politische Wende um 1990 in Mittel- und nehin besonders ausgeprägte Flächennut- Osteuropa veränderte nicht nur politische und zungsdynamik nach 1990 eine weitere Be- soziale Bedingungen, sondern auch andere schleunigung und Verschärfung fand. Dies Handlungsfelder, wie zum Beispiel Stadtent- führte zu einer Differenzierung und Diversifizie- wicklung und Stadtplanung wurden im hohen rung der betroffenen Städte. Maß beeinflusst. Während vor 1990 lediglich planwirtschaftliche Gesichtspunkte und Maß- Bisherige Forschungen zu postwendezeitlichen nahmen für die Gestaltung von Städten Rele- Entwicklungen konzentrieren sich in erster vanz besaßen, gewannen in der Folgezeit Linie auf die wirtschaftlichen und sozialen Me- verschiedenste politische, soziale und finan- chanismen und Folgen dieser Entwicklungen.

47 Tina Skupin

Ökologische Fragestellungen wurden erst in Dies gilt für Halle in ganz besonderem Maße. den letzten Jahren aufgegriffen (Deilmann et Seit 1990 ging die Einwohnerzahl von ehemals al., 2005; Westermann & Kowarik, 2006, circa 310.000 auf 234.802 zurück (Stala Sach- Langner & Endlicher [Hrsg.] 2007). Insbeson- sen-Anhalt, Stand 30.06.2007). Gleichzeitig dere existieren nur wenige Studien, die sich stieg die Arbeitslosenrate bis auf 21,5 % mit den Auswirkungen genannter Prozesse auf (ebd.). das urbane Ökosystem beschäftigen. Bei- Besonders manifestieren sich die Auswirkun- spielsweise wurden die Veränderungen in der gen dieser Entwicklungen im Stadtbild der Landnutzung bisher nie auf größeren Flächen Großwohnsiedlungen sowie in den Altindustrie quantitativ erfasst. Eine genauere Kenntnis und Wohnvierteln mit gründerzeitlicher Wohn- des urbanen Ökosystems ist jedoch immanent bebauung. Leerstand, Abriss und verstärktes wichtig. Ein Großteil der (europäischen) Bevöl- Aufkommen von Brachen sind die Folgen. kerung lebt in Städten, und ist somit von Ver- änderungen im urbanen Ökosystem direkt Politisch wurde mit verschiedenen Maßnah- betroffen. men auf kommunaler bis nationaler Ebene versucht, diesem Prozess entgegenzuwirken. Die Arbeitsgruppe Geoökologie der Martin- Trotzdem konnten bisher weder die Leerstän- Luther-Universität Halle-Wittenberg beschäftigt de stabilisiert noch der Bevölkerungsschwund sich mit den Auswirkungen der postsozialisti- – bedingt durch Abwanderung und verstärkt schen Entwicklungen auf das urbane Ökosys- durch den demographischen Wandel – nach- tem. Gegenstand der Forschungen ist zum haltig gestoppt werden. einen die Transformation, die Landnutzungs-

änderungen, vor allem deren Quantifizierung 2.2. Vergleichsuntersuchungsgebiet Poznan und deren Qualität, zum anderen die Dynamik, (Polen) Entstehung und Sukzession von Freiflächen („Brachen“) als ökologisch besonders wertvolle Ebenso wie Halle stellte Poznan bereits in Flächen sowie eine Einschätzung deren ökolo- sozialistischer Zeit ein bedeutendes Handels- gischer Potentiale vor allem auch in Hinsicht und Industriezentrum dar. Anders als in Halle auf die Auswirkungen auf das urbane Ökosys- war die De-Industrialisierung in Poznan nicht tem. In dieser Veröffentlichung wird die metho- flächendeckend, einige Betriebe überlebten dologische Herangehensweise vorgestellt, (Altrock et al., 2005). Aufgrund seiner Vorzüge außerdem Ergebnisse der GIS-gestützten und seiner großen Bedeutung - bedeutender Analyse der Transformationsprozesse sowie Messestandort, Lage zwischen Berlin und ein repräsentatives Leitbodenprofil aus dem Warschau, gut ausgebildete Arbeiterschaft Gebiet „Thüringer Bahnhof“ (Halle). (Urzad Miasta Poznania 2001) wurde Poznan schnell attraktiv für Investoren. Mehrere inter- 2. Untersuchungsgebiete nationale Firmen siedelten sich in Poznan an. Untersuchungsgebiete sind die Städte Halle in Heute ist Poznan eines der stärksten wirt- Ostdeutschland sowie Poznan in Polen als schaftlichen Zentren Polens. Die Arbeitslosig- repräsentative Beispiele für zwei extrem diver- keit ist seit 2004 gesunken und befindet sich gierende Entwicklungen (vgl. Tabelle 1). derzeit auf einem Stand von 2,3 % (Statistical Office Poznan 2008 Stand 03/2008) Auch die 2.1. Untersuchungsgebiet Halle (Deutschland) Bevölkerungsentwicklung blieb stabil. Im Stadtbild dominieren Konzentrationserschei- Halle, gelegen im mitteldeutschen Raum, galt nungen. zu DDR–Zeiten als eines der führenden Wirt- schaftszentren (u. a. als Zentrum des „Che- Als problematisch für die Stadtentwicklung in miedreiecks“) (Walossek, 2006). Nach der Wende Poznan erweist sich die (fehlende) Regulation wurden die ostdeutschen Städte nahezu flä- durch kommunale oder staatliche Akteure auf- chendeckend von Prozessen der De- grund der derzeit herrschenden Gesetzeslage Industrialisierung, Verfall der Innenstädte, ho- in Polen. Dies führt zu einer Flächenbewirtschaf- her Arbeitslosigkeit und hoher Abwanderung tung, die sich beinahe ausschließlich an betroffen. marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten orien- Tab. 1 : Soziale und wirtschaftliche Entwicklungen (eigener Entwurf)

Halle/ Saale (Deutschland) Poznan (Polen) De-Industrialisierung De-Industrialisierung (Beinahe alle Bereiche) (einige Sparten überlebten) Hohe Arbeitslosenzahlen Niedrige Arbeitslosenzahlen Bevölkerungsrückgang Bevölkerungskonzentration Sinkender Wohnungsbedarf Steigender Wohnungsbedarf Leerstand und Abriss Restaurierung und Neubebauung

48 Der post-sozialistische Landnutzungswandel

tiert (also Gewinnmaximierung), nicht jedoch von Geländebegehung und über eine Auswer- an Bedürfnissen der Bevölkerung oder einer tung botanischer sowie bodenkundlicher Lite- planerischen Ordnung (Billert, 2004). ratur. Hieraus ergeben sich als wirtschaftlich-soziale Der zweite Schritt besteht in einer GIS- Hauptprobleme räumliche Segregation sowie gestützten, flächenscharfen, quantitativen so- Wohnraummangel. In den älteren Stadtvierteln wie qualitativen Inventur der städtischen wird kaum in Restaurierungen oder Sanierung Transformationsflächen. Neben der Nutzungs- investiert. Infolgedessen werden diese wegen änderung wurden auch der Versiegelungsgrad des Wohnraummangels zwar bewohnt, ver- sowie der Gehölzbestand aufgenommen. Die wahrlosen jedoch ähnlich wie die vergleichba- ökologischen Qualitäten der Transformations- ren Viertel in Halle. Der Nutzungsdruck auf flächen wurden sowohl durch eine Auswertung Freiflächen, die ohne großen Aufwand großflä- bereits vorliegender Untersuchungen als auch chig erschlossen und gewerblich genutzt wer- mit Hilfe ergänzender eigener Untersuchungen den können, wächst hingegen. ermittelt und definiert. Dies geschah vor allem auf den extensiv beziehungsweise nicht Ursprüngliche Freiflächen oder Erholungsflä- anthropogen genutzten Flächen (Brachen). chen (z. B. Spielplätze) fallen dem zum Opfer, Eine Übersicht über alle ermittelten Parameter vor allem in den Großwohnsiedlungen. Auch zeigt Tabelle 2. die Grünflächen sind von einem stärker wer- denden Nutzungsdruck bedroht. Im dritten und letzten Schritt werden für jeden Transformationstyp ökologische Potenziale

abgeleitet. Solche ökologischen Potenziale 3. Methodik sind nach Scheffer & Schachtschabel (2002) Die Vorgehensweise im Forschungsprojekt (vgl. auch Finke 1996) die Standortfunktion gliedert sich in drei Schritte, die größtenteils (Habitatfunktion), Grundwasserschutzfunktion, aufeinander aufbauen, sich teilweise jedoch klimatische Funktion oder die Funktion als auch überlagern. Kohlenstoffdioxidsenke. Letzteres berücksich- tigt, dass Städte nicht nur CO2-Quelle sind, Der erste Schritt umfasst die Definition und sondern daß Stadtböden auch als CO Senken Ausweisung verschiedener Landnutzungsän- 2 dienen können. Ziel ist eine Generalisierung derungstypen (Transformationstypen) mit Hilfe und das Erstellen von „Steckbriefen“ für jeden Transformationstyp mit typischen ökologischen Potentialen. Aus diesen sollen dann Aussagen für die Auswirkungen der Transformationflä- chen auf die Stadt als urbanes Ökosystem getroffen werden. Zur räumlichen Gliederung des Ökosystems wurde der Stadtstrukturtypenansatz verwendet (z. B. Breuste et al., 2001) Dieser nutzt zur flächenhaften Abgrenzung in Städten ähnliche Landnutzungs-, Bebauungs- und Versiege- lungsstrukturen. Hieraus lassen sich mittels Kausalbeziehungen ökologische Eigenschaf- ten deduktiv ableiten (Sauerwein, 2004, Arlt & Lehmann 2006). Halle als Hauptuntersuchungsgebiet wurde flächendeckend kartiert. Die ökologischen Detailuntersuchungen wurden durchgeführt auf ausgesuchten repräsentativen Brachflächen in den Stadtteilen Thüringer Bahnhof (Altindust- rie sowie Wohnbebauung der Gründerzeit), Silberhöhe (Großwohnsiedlung) sowie Heide (ehemalige Kaserne, Konversionsfläche). Poz- nan dient als Vergleichsuntersuchungsgebiet zur Überprüfung und Evaluierung der Ergeb- nisse. Insbesondere soll überprüft werden, ob und inwieweit sich die in Halle festgestellten Abb.1: Projektaufbau (eigener Entwurf) Ökotypen und Potentiale auf andere Untersu- chungsräume übertragen lassen. Auch in Poz-

49 Tina Skupin

nan wurden - allerdings in reduziertem Um- Auf oberstem Niveau werden die Typen nach fang, sowohl Änderungskartierungen als auch Art und Intensität der heutigen anthropogenen ökologische Untersuchungen durchgeführt Nutzung differenziert; intensiv genutzte Flä- (vgl. hierzu Tab. 2) chen werden der Kategorie I („Keine Brache“), Tab. 2: Übersicht erfasster Parameter extensiv Genutzte der Kategorie II („Brache“) zugeordnet. Hiermit wird sowohl der überra- Halle Poznan genden Rolle des anthropogenen Einflusses in GIS- gestützte Nutzungskartierung X O urbanen Ökosystemen Rechnung getragen, Vegetationskartierung, Artenlisten X X als auch der maßgeblichen Rolle der urbanen Pflanzensoziologische Aufnahmen Brachen. Auf dem zweiten Niveau werden nach Braun Blanquet (1964) X X beide Kategorien anhand ihrer Versiegelung Klimamessungen X – zur Wendezeit unterschieden (1990: Versiege- Bodenwassermessungen X – lung ja/nein). Die Brachen werden zusätzlich Bodenphysikalische Eigenschaften anhand ihrer aktuellen Versiegelung unter- (Leitfähigkeit, Bodenart, Bodenfarbe, schieden (2006: Versiegelung ja/nein). Die Horizontmächtigkeit etc.) X X Versiegelung wurde aus zwei Hauptgründen Bodenchemische Eigenschaften als Unterscheidungskriterium ausgewählt. (KAK, Makronährstoffe, Carbonat, Erstens ist es eine der wichtigsten Stellgrößen, Kohlenstoffgehalte etc.) X X die ökologischen Potentiale werden durch Erläuterung: Änderung der Versiegelung sehr stark beein- flusst. Zweitens war der Stand der Versiege- X = aufgenommen, O = in Teilen aufgenommen, – = nicht lung anhand der Luftbilder problemlos zu er- aufgenommen mitteln, was für andere mögliche Kriterien (z. B. Sukzessionsstufe, Gehölzbestand) nicht 4. Ergebnisse: möglich gewesen wäre. 4.1. Erstellung eines geoökologischen Kartier- 4.2 Landnutzungsentwicklung im Stadtteil Thü- schlüssels für postwendezeitliche Land- ringer Bahnhof nutzungsänderungen. Der Stadtteil Thüringer Bahnhof, auch Rie- Erster Schritt der Arbeit ist eine Typisierung beckviertel genannt, liegt im Zentrum von Halle der Transformationsprozesse und deren Mani- südlich des Hauptbahnhofes. Er umfasst eine festationen im Stadtbereich und daraus die Gesamtfläche von ca. 312 Hektar. Prägend Erstellung eines Kartierschlüssels. Hierbei sind und namensgebend war der Güterbahnhof folgende Überlegungen zu berücksichtigen: „Thüringer Bahnhof“, der von 1890 bis 1991 Der Schlüssel soll nicht nur die heutige Land- die großen Fabriken des Viertels mit dem nutzung, sondern auch die ehemalige Nut- Schienenverkehr verband (Halle, 2007). Die zung, die Entwicklungsdynamik, und darüber Entstehung des Stadtteils geht auf die Indust- hinaus ökologische Gesichtspunkte widerspie- rialisierung zu Beginn des neunzehnten Jahr- geln. Nur auf diese Weise ist nicht nur eine hunderts zurück. Gequert wird das Riebeck- reine Bilanzierung der heutigen ökologischen viertel von der Merseburger Strasse, eine der Potentiale, sondern auch ein Vergleich zwi- Haupteinfallstrassen in Halle. Diese teilt das schen früher und heute sowie eine integrierte Viertel in zwei Einheiten. Westlich der Merse- Auswertung der abgelaufenen Dynamik und burger Strasse findet sich in erster Linie Aussagen zu der Entwicklung ökologischer Wohnbebauung, vor allem alte gründerzeitliche Potentiale möglich. Da für jeden Nutzungstyp Bauten in geschlossener Blockrandbebauung umfangreiche Untersuchungen durchgeführt (Sauerwein & Fornacon, 2002). Hauptsächlich und finanziellen Gründen (Laborkapazität, östlich der Merseburger Strasse liegen die Anwendbarkeit im Gelände etc.) darüber hin- ebenfalls aus der Gründerzeit stammenden aus möglichst einfach sein und möglichst we- Industriegebiete. Diese werden mit wenigen nige Kategorien enthalten. Ausnahmen nicht mehr genutzt. Ausgehend von diesen Prämissen werden in Der Stadtteil Thüringer Bahnhof wurde von den Vorkartierungen typische Nutzungs- und Ent- Transformationsprozessen in einem besonders wicklungsstrukturen bestimmt, und mit den im starken Ausmaß getroffen. Im Sozialismus letzten Kapitel genannten sozialen und wirt- wurden kaum Investitionen in die Bausubstanz chaftlichen Entwicklungen ver- und abgegli- und die Produktionsgeräte getätigt. Die veralte- chen. Gleiche Strukturen werden zu Typen ten Maschinen waren auf dem Weltmarkt nach zusammengefasst und aus diesen ein hierar- der Wende nicht mehr konkurrenzfähig. Folge chischer Kartierschlüssel erstellt (vgl. Abb. 2). war eine flächendeckende Insolvenz beinahe aller Unternehmen.

50 Der post-sozialistische Landnutzungswandel

Abb. 2 : Kartierschlüssel für Nutzungsänderungstypen

Einige Gebäude wurden abgerissen, die Flä- Positive Impulse wurden in den letzten Jahren chen teilweise entsiegelt, viele Gebäude blie- sowohl von kommunaler als auch von wirt- ben jedoch – auch aus Denkmalschutzgründen schaftlicher Seite gegeben, beispielsweise – erhalten. Entsprechend prägen zahlreiche durch die Förderung verschiedener Projekte imposante Industrieruinen heute das Bild im durch das Urban 21 Programm oder die An- östlichen Teil des Viertels. Im westlichen Teil siedelung mehrer überregionaler Firmen (In- werden die Industrieruinen durch Häuserruinen ternetapotheke, PC-Firma). Ein weiteres Pro- abgelöst. Zwar wurden bereits große Investiti- jekt zur Aufwertung des Viertels stellte der Um- onen in dem Viertel getätigt, doch obwohl bau des ehemaligen Güterbahnhofs Thüringer günstig und zentral gelegen herrscht großer Bahnhof zu einem Park dar. Diese als Initia- Leerstand und es gibt kaum eine Strasse, in limpulse gedachten Maßnahmen führten bisher der nicht mindestens ein leer stehendes und jedoch noch nicht im gewünschten Maß zu verfallendes Gebäude steht (Halle 2006). einer nachhaltigen Aufwertung des Viertels.

51 Tina Skupin

Tab. 3: Nutzungsänderung im Stadtteil Thüringer Bahnhof Nutzungsänderungstyp Anzahl Größe ha % Anteil Nutzungs- % Anteil Gesamt- änderungsflächen fläche Kategorie I 1.1.1. Neubebau 30 11,8 14,5 3,8 1.1.2. Vers. PP 13 4,14 5,1 1,3 1.1.3. Unvers. PP 10 2,93 3,6 0,9 1.1.4. Gepfl. Grün 8 7,28 9,0 2,3 1.2.1. Neuversiegelung 2 3,33 4,1 1,1 Gesamt I: 63 29,48 36,3 9,4 Kategorie II 2.1.1. Häuserbrache 50 9,53 11,7 3,1 2.1.2. Versiegelungsbrache 12 3,91 4,8 1,3 2.2.1. Entsiegelung nat. 16 10,18 12,5 3,3 2.2.2. Entsiegelung tech. 29 21,59 26,6 6,9 2.2.1. Verw. Rasen 1 0,59 0,7 0,2 2.2.2. Verw. Park 4 1,45 1,8 0,5 2.2.3. Verw. Garten 2 0,34 0,4 0,1 2.2.4. Bahnbrache 6 4,13 5,1 1,3 Gesamt II: 120 51,72 63,7 16,6 Gesamt I + II 189 81,2 100,0 26,0

Nutzungskartierung auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahn- hofs auf einer Fläche von 5,9 ha. Die luftbildbasierte Kartierung wurde Anfang 2006 durchgeführt und im Herbst desselben Aus alten Grünflächen (Rasen, Park Gärten) Jahres aktualisiert. Insgesamt wurden 189 entstandene Brachen sind selten. Insgesamt Einzelflächen kartiert. umfassen Diese lediglich 2,5 ha. Aufgrund der früheren extrem intensiven anthropogenen Mehr als ein Viertel, 81,2 ha (26 %) des Stadt- Nutzung im Stadtviertel gab es nur sehr weni- viertels „Thüringer Bahnhof“ waren seit 1990 ge Grünflächen (Friedhof, Schrebergärten), einer Nutzungsänderung unterworfen. (vgl. deren Fläche sich seit 1990 kaum verändert Tab. 3). Hierbei entfallen 9,4 % auf Kategorie I, hat. Die verwilderten Flächen umfassen vor die intensiv anthropogen genutzten Flächen, allem kleinere Gärten beziehungsweise die 16,1 % entfallen auf Kategorie II, die extensiv repräsentativen ehemaligen Eingangsberei- beziehungsweise nicht anthropogen genutzten chen der Fabrikgelände. Flächen (Brachen). Räumlich konzentrieren sich die Transformationsflächen vor allem im Alle Zahlen belegen sehr eindeutig eine starke östlichen Teil des Untersuchungsgebietes. Im Tendenz zur Dekonzentration und Entsiege- westlichen Teil, vor allem in den Wohngebieten lung. Lediglich 36,3 % der Transformationsflä- finden sich nur vereinzelt Häuserbrachen. Die chen werden aktuell intensiv anthropogen ge- hohe Zahl leer stehender Häuser legt jedoch nutzt. Insgesamt wurden 41,98 ha (oder den Schluss nahe, dass in den nächsten Jah- 51,7 %) entsiegelt. Hierzu zählen die Katego- ren mit einem verstärkten Aufkommen von rien: Brache auf technogenem Substrat, Bra- Häuserbrachen zu rechnen ist. che auf natürlichem Substrat, unversiegelter Parkplatz sowie Naherholung. Die Neuversie- Bezüglich der Anzahl sind die Häuserbrachen gelung (Versiegelung ehemals unversiegelter mit 50 kartierten Einheiten dominant, vor der Fläche) auf der anderen Seite betrug lediglich Kategorie „Neubebauung“ (30 kartierte Flä- 3,33 ha (4,1 %). chen) sowie „Brache mit technogenem Auftrag“ (29 kartierte Flächen). Bezüglich der Größe do- Ökologische Auswirkungen minieren die ehemals versiegelten Brachen, Durch die Entsiegelung und das Bereitstellen (21,59 ha bzw. 10,18 ha). Auch die neu bebau- von Freiflächen vergrößert sich das Habitat für ten Flächen weisen einen sehr hohen Anteil Tiere und Pflanzen. Die entstehenden Ökosys- auf (11,8 ha). Die Naherholungsflächen um- teme weisen einen hohen Strukturreichtum auf fassen eine Fläche von 7,28 ha. Dieser für und stellen zahlreiche ökologische Nischen für diese Kategorie relativ hohe Wert erklärt sich unterschiedliche Bedürfnisse (Wittig, 1991). Im aus der Anlage des Parks „Thüringer Bahnhof“ Rahmen von (eigenen) Vegetationsaufnahmen

52 Der post-sozialistische Landnutzungswandel

60

50

40

30 Größe (ha)

20

10

0 : . : u P n g I II e e t. h a P rü n t h ten rie I b lu m rie ch na ec o e G e a o g Park rache b l. g g bra n g t b teg u f e es rbrac s u . Rasen . Gar n a p h esamt II K . Vers. e rsi G se lun rw rw a G . Ne .2 Kate u ung e e e 1 G ve l egel g .1 .3. Unvers. PP 4. u si .1 1. . Hä tsie .4. B 1 Ne n 2.2.2. Verw. 2 1.1 1.1 . Ent 2. .1. ersiege 1 . E 2.2.1. V 2.2.3. V 2.1.1. V . 2 . 2 1.2 2 2. .2. 2 .1. 2

Abb. 3: Verteilung der Nutzungsänderungstypen am Standort „Thüringer Bahnhof“ wurden auf 20 Einzelflächen 197 Arten gefun- Halle-Neustadt wurde als reine Großwohnsied- den. Dies entspricht ca. 19 % der Gesamtar- lung konzipiert und stellte ursprünglich das tenausstattung der Stadt Halle (Klotz & Stolle, Prestigeobjekt und die Modellstadt der DDR 2004) dar. Seit der Wende leidet Halle-Neustadt ganz besonders unter dem Bevölkerungsverlust. Wärme- und trockenliebende Arten sind über- (Fliegner, 2006). Ursprünglich ausgerichtet auf durchschnittlich stark vertreten, jedoch nicht etwa 90.000 Einwohner liegt die aktuelle Ein- ausschließlich (vgl. Braun- Blanquet 1964). In wohnerzahl bei 48.931 (Halle, 2007). Um den Senken findet sich vielfach auch Schilf wachsendem Leerstand und damit einherge- (Phragmites australis), eine ausgesprochen hender Verwahrlosung entgegenzuwirken, feuchtigkeitsliebende Art (Ellenberg et al., wurden mit Hilfe des Programms Stadtumbau 2001). Außerhalb dieser Sonderstandorte lei- Ost und Urban 21 große finanzielle Mittel für det die Vegetation jedoch schnell unter Was- Rück- und Umbau bereitgestellt. Mehr als eine serstress aufgrund (der und) des Milliarde Euro wurden für Sanierungs- und geringen Wasserhaltevermögens der Böden. Neubauvorhaben aufgewendet (Halle, 2007). Die Grundwasserneubildung wird (quantitativ) Bis zum Jahr 2004 wurden etwa 1000 Wohn- durch die Transformationsprozesse im Bereich einheiten abgerissen (Fliegner, 2006). Hierbei des Thüringer Bahnhofs positiv beeinflusst, da entstehen große Freiflächen. auf einer größeren Fläche das Wasser frei versickern kann und dem Grundwasser als Ergebnisse der Nutzungskartierung Speisung zur Verfügung steht. In qualitativer Der Bereich der Großwohnsiedlung Halle- Hinsicht besteht die Möglichkeit von Kontami- Neustadt wurde im Jahr 2005 kartiert. Durch nation durch Salze oder Schadstoffe von den Rückbau wurden insgesamt 5,4 ha entsiegelt. Industrieflächen. Der Abriss konzentriert sich auf die westliche 4.3 Flächenentsiegelung im Stadtteil Halle- Neustadt, jenseits der Nietlebener Strasse. Neustadt Hier schrumpft die Stadt Halle an ihrer westli- chen Peripherie. Ein weiteres, geringer ausge- Anmerkung: Die Nutzungskartierung der prägtes Zentrum des Abrisses befindet sich Großwohnsiedlung Halle-Silberhöhe lag zum zwischen Hallorenstrasse und Rennbahnkreuz. Zeitpunkt dieser Veröffentlichung noch nicht in digitaler Form vor. Stattdessen werden an Im Unterschied zum Stadtteil Thüringer Bahn- dieser Stelle die Ergebnisse der Nutzungskar- hof macht sich besonders bemerkbar, dass die tierung in der Halleschen Großwohnsiedlung- Flächen in Neustadt komplett einer Nachbe- Halle- Neustadt vorgestellt. handlung unterzogen wurden. Es wurde in jedem

53 Tina Skupin

Fall humusreicher Boden („Mutterboden“) auf- dass die Großwohnsiedlungen als die mo- getragen und vielfach erfolgte Raseneinsaat. dernsten und somit beliebtesten Wohngegen- den angenommen werden. Infolgedessen wer- Dadurch fallen die Transformationsflächen den die Großwohnsiedlungen weiter verdichtet. optisch nicht so extrem auf wie zum Beispiel im Stadtviertel „Thüringer Bahnhof“, sondern Ergebnisse der Nutzungskartierung: fügen sich harmonisch in das Stadtbild ein.

Bezüglich Biotop- und Habitatfunktion weisen Eine Kartierung der Nutzungsstrukturen fand die Flächen in Neustadt einen geringeren Wert im Sommer 2005 statt. Die Nachverdichtung auf. Ihre Artenvielfalt liegt weit unter der am von Rataje geschieht sowohl durch den Bau Thüringer Bahnhof. Dies ist zu begründen in einzelner Gebäude auf kleineren Freiflächen, der Strukturarmut der homogenen Rasenflä- als auch durch Ausweisung ganzer Flächen als chen sowie in deren anthropogenen Pflege. Baugrund, auf dem dann sehr schnell Häuser hochgezogen werden. Die großflächigen neu 4.4 Flächenversiegelung im Stadtteil Poznan- erschlossenen Flächen befinden sich vor allem Rataje im Norden von Rataje (vgl. Abb. 4). Fast aus- schließlich werden Wohnhäuser gebaut. Ins- Ebenso wie Halle-Neustadt wurde Rataje wäh- gesamt wurden seit der Wende bis 2005 rend der sozialistischen Zeit als Großwohn- 26,6 ha neu erschlossen und versiegelt. siedlung konzipiert. Während Halle-Neustadt jedoch mit Bevölkerungsverlust und Leerstand 4.5. Bodenanalysen kämpft, wächst in Rataje die Wohnungsknapp- In den Jahren 2005 bis 2007 wurden auf re- heit. Dies liegt zum einen an der Bevölkerungs- präsentativen Flächen in Halle und Poznan entwicklung in Poznan, zum anderen auch an Bodenproben aus dem durchwurzelten Bereich fehlenden Alternativen. In Halle wurden auch (bis 30 cm) entnommen. Zusätzlich wurden in in den Innenstadtbereichen zahlreiche Woh- beiden Städten mehrere repräsentative Bo- nungen saniert und stellen somit wieder attrak- denprofile (70 cm bis 1 m Tiefe) angelegt. Ins- tiveren Wohnraum dar (Halle, 2006). Demge- gesamt wurden in Poznan 17 Profile, in Halle genüber geschah dies in Poznan in einem weitaus geringeren Maße (Billert, 2004), so

Abb. 4: Nutzungsentwicklung in Rataje (Bearbeitung: Neubert & Eckert, 2005)

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Tab. 4.: Chemisch-physikalische Kennwerte

Hor. Skelettgehalt PO4 g/kg Untergrenze Humusgehalt Gefüge CaCo3 % Lf µs/ cm Bodenart Farbe cm Bez. % Boden 14 Y1 h1 ein 9,6 136 Su3 48,6 0,02 2,5Y 3/1 28 Y2 h0 ein 7,7 2463 Sl2 56,8 0,02 2,5Y 5/3 55 Y3 h0 kitt - - Su3 22,0 0,02 10YR 2/1 95 Y4 h0 ein 4,9 233 Su3 48,4 0,07 5Y 3/1 >95 Y5 h0 ein 35,9 1808 Su3 27,3 0,00 2,5Y 4/2

41 Profile erstellt, 160 Einzelproben entnom- gangssubstrat wurde nicht erreicht. Das Profil men und auf ihre physiko-chemischen Eigen- besteht (soweit im Aufschluss zu sehen), aus schaften hin analysiert. fünf übereinander gelagerten anthropogenen Kipphorizonten (Y). Der oberste Horizont (Y1) reicht bis in 14 cm Tiefe. Er ist schwach mit Humus angereichert (h1) (BGR, 2005) Im zweiten Horizont (Y2) steigt der Skelettge- halt merklich, die Leitfähigkeit extrem an (2463 µs). Das Skelett besteht in erster Linie aus Bauschutt, Ziegelresten sowie Betonstücken. Im Unterschied zu den übrigen Horizonten, die grau oder schwarz gefärbt sind, weist der zwei- te Horizont gelbe und rötliche Färbung auf. Der dritte Horizont scheint aus Braunkohleres- ten zu bestehen. Die Probe erscheint im nas- sen Zustand tiefschwarz, nach Trocknung erkennt man eine einheitliches Dunkelbraun (10 YR 2/1) (Munsell). Skelettgehalt und Ske- lettgröße gehen merklich zurück. Im vierten Horizont steigt der Skelettgehalt wieder auf etwa 50 % an. Der Horizont weist einen erhöhten Phosphatwert (0,07 g/kg Bo- den) auf.

Der fünfte Horizont (Y5) unterscheidet sich optisch vom Vierten durch weiße Einsprenkel, die dem Boden eine asche-artige Konsistenz verleihen. Die Laboruntersuchungen zeigen, dass es sich bei diesen „Flecken“ um Kalk Abb. 5: Tiefenverteilung handelt. Im Vergleich zu Y4 steigt der Carbo- natgehalt stark an (35,9 %). Auch die Leitfä- Exemplarisch sollen die Bodenverhältnisse an higkeit steigt an (von 233 in Y4 auf 1808 µs). einem Beispiel vorgestellt werden. Im Mai Diese beiden Parameter können auf Translo- 2007 wurde auf einem ausgewählten Grund- kationsprozesse innerhalb des Profils hindeu- stück im Stadtteil Thüringer Bahnhof (Heinrich- ten. Dagegen sprechen zwei Faktoren: Franck-Str.) ein Bodenprofil mit einer Länge von ca. 8 m und einer Tiefe von 1,5 m geöff- Erstens würden sich diese Prozesse in allen net. Die Fläche wurde als zu Kategorie II zu- Horizonten zumindest in Ansätzen wieder fin- gehörig als Entsiegelungsbrache mit techno- den lassen. Dies ist hier nicht der Fall. Wie in genem Substrat zugeordnet (allerdings wurde Tabelle 4 zu sehen, schwanken die Werte sehr die Fläche kurz nach Probenahme erneut ver- stark und weisen keine (erkennbaren) Zusam- siegelt). Tabelle 4 zeigt ausgesuchte Parame- menhänge auf. ter dieses Profils. Zweitens differenzieren die Parameter in ei- Ergebnisse nem gewachsenen Boden nicht nur zwischen den Horizonten, sondern auch (in geringerem Beim vorliegenden Boden handelt es sich um Ausmaß) innerhalb der Horizonte. Wäre also einen - ein tiefgründig anthropogen der hohe Kalkanteil in Y5 auf natürliche Umla- veränderter Boden, auf kalkhaltigem technge- gerungsprozesse zurückzuführen, wäre der nem Lockersubstrat. Das natürliche Aus-

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obere Teil des Horizonts stärker mit Kalk ange- versiegelung und Konzentration. Auch dies hat reichert. Dies ist jedoch nicht der Fall. Der Kalk (negative) Auswirkungen auf die ökologischen verteilt sich gleichmäßig innerhalb des Hori- Flächenpotentiale. zonts. Diese Faktoren beweisen, dass Kalkge- Als Beispiel für die detailökologischen Gelän- halt und Leitfähigkeit nicht durch natürliche dearbeiten wurde ein repräsentatives Boden- Bodenbildungen bedingt wurden, sondern profil mit seinen ökologischen Eigenschaften anthropogen so abgelagert wurden. vorgestellt. Sowohl die geringe Humusanreicherung im Die praktischen Arbeiten (Gelände und Labor) Oberboden Y1 als auch die Leitfähigkeit- und zu dem Forschungsvorhaben sind abgeschlos- Kalkverhältnisse im Horizont Y5 zeigen, dass sen. Derzeit erfolgt eine detaillierte Auswer- sich die Bodenbildung im Initialstadium befin- tung aller Daten, die Ende 2008 in Form einer det. Eine morphologische Ausdifferenzierung Forschungsarbeit (Dissertation) veröffentlicht durch bodenbildende Prozesse hat bisher nicht wird. stattgefunden. Literatur Ökologische Eigenschaften Altrock, U, Güntner, S., Huning, & Peters, D. Ebenso wie die Bodenbildung befindet sich die (Hrsg.) (2005). Zwischen Anpassung und Sukzession in einem frühen Initialstadium. Neuerfindung- Raumplanung und Stadt- Wenige Gräser (Poa spec.), sowie Rude- entwicklung in den Staaten der EU- Os- ralpflanzen (z. B. Artemisia vulgaris) (Ellenberg terweiterung. Reihe Planungsrundschau et al., 2001) wachsen am Rande des Auf- Heft 11. Berlin, 351 S. schlusses, stark beeinträchtigt durch die Bau- Arlt, G., & Lehmann, I. (2006). Zur Bewertung arbeiten. Relevant für das Ökosystem ist nur ökologischer Flächenleistungen in Städten, der oberste Horizont, und innerhalb von die- in: Deutscher Rat für Landespflege. Frei- sem die obersten zehn Zentimeter unter der raumqualitäten in der zukünftigen Stadt- Bodenoberfläche, die mäßig durchwurzelt sind. entwicklung. Schriftenreihe des DRL, Heft Das Milieu des Bodens wird durch den Kalk 78, S. 66-74 bestimmt. Der Carbonatpuffer hält den pH- Billert, Andreas (2004). Stadterneuerungsprob- Wert im neutralen bis leicht basischen Bereich leme in Polen als Folge fehlender Markt- (vgl. Scheffer & Schachtschabel, 2002), was strukturen im Wohnungswesen und unge- eine gute Nährstoffbereitstellung für die Vege- nügendem Planungsrecht- Praxisbericht tation und gute Lebensbedingungen für das und Ausblick. In: Städte im Umbruch Edaphon garantiert. Phosphat als Makronähr- 2/2004. Edition Kirchhoff und Franke, stoff ist in ausreichendem Maß vorhanden. Der Leipzig/Berlin. Boden weist aufgrund des hohen Skelettanteils http://schrumpfende-stadt.de/, sowie des hohen Anteils der Sandfraktion eine Stand 8.11.2004, aufgerufen am gute Infiltrationsfähigkeit auf. Geschmälert wird 26.10.2007. das Habitatpotenzial zum einen durch etwai- BGR – Bundesanstalt für Geowissenschaften gen Wasserstress der Vegetation, wie in Kapi- und Rohstoffe (Hrsg.) (2005). Bodenkund- tel 4.2 beschrieben, zum anderen durch den liche Kartieranleitung. 5. Aufl. Hannover. geringen Humusgehalt, der Nachteile in punkto 438 S. Haltefestigkeit, Wasserhaltefähigkeit sowie Braun-Blanquet, J. (1964). Pflanzensoziologi- Kationenaustausch mit sich bringt. sche Grundzüge der Vegetationskunde. 3.

Aufl. Springer. Wien. 865 S. 5. Resumée und Ausblick Breuste, J., Wächter, M. & Bauer, B. (Hrsg.) In der vorliegenden Veröffentlichung wurden (2001). Konzepte zur Umwelt- und sozial- erste Ergebnisse des Forschungsvorhabens verträglichen Entwicklung von Stadtregio- „Postwendezeitliche Entwicklungen und deren nen. CD-Rom. UFZ-Umweltforschungs- Auswirkungen auf ökologische Potentiale des zentrum. Leipzig. urbanen Ökosystems“ vorgestellt. Präsentiert Deilmann, C., Gruhler, K. & Böhm, R. (2005). wurden Ergebnisse aus den beiden Untersu- Stadtumbau und Leerstandsentwicklung chungsgebieten. Hierbei wurde gezeigt, dass aus ökologischer Sicht. 1. Aufl. München. durch die Postwendezeitlichen Prozesse in 103 S. beiden Städten unterschiedliche Entwicklun- Ellenberg, H. et. al. (2001). Zeigerwerte von gen induziert wurden. In Halle überwiegen in Pflanzen in Mitteleuropa. 3. Aufl. Goltze. beiden vorgestellten Stadtteilen – Neustadt Göttingen. 216 S. und Thüringer Bahnhof Nutzungsänderungen, Finke, L. (1996). Landschaftsökologie. 3. Aufl. die mit einer verstärkten Flächenentsiegelung Westermann. Braunschweig. 245 S. einhergehen. Vor allem am Thüringer Bahnhof Fliegner, S. (2006). Halle-Neustadt – quo vadis entstehen hierbei strukturreiche Ökosysteme. sozialistische Modellstadt?. In: Frühauf & In Poznan - Rataje hingegen überwiegt Neu-

56 Der post-sozialistische Landnutzungswandel

Friedrich (Hrsg.). Halle und sein Umland. Anschrift 2. Aufl. Mdv. S.82-86. Dipl. Geogr. Tina Skupin Halle, Die Stadt (2006). Wandel-Halle-Stadt als Institut für Geowissenschaften Ansichtssache (Das Bildbuch zur Ausstel- Martin Luther Universität Halle-Wittenberg lung). 1. Aufl. Halle. 126 S. Von-Seckendorff-Platz 4 Halle, Die Stadt. www.halle.de. (Aufgerufen am 06120 Halle (Saale) 22.10.2007) Klotz, S. & Stolle, J. (2004). Flora der Stadt E-Mail: [email protected] Halle, 1. Aufl. Calendula-Hallesche Um- weltblätter. Halle 164 S. Langner, M. & Endlicher, W. [Hrsg.] (2007). Shrinking Cities: Effects on urban Ecology and Challenges for urban development. 1. Aufl. Internationaler Verlag der Wissen- schaften. Frankfurt. 161 S. Sauerwein, M. (2004). Urbane Bodenland- schaften – Eigenschaften, Funktionen und Stoffhaushalt der siedlungsbeeinflussten Pedosphäre im Geoökosystem. Habilitati- onsschrift. Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg. Halle 202 S. Sauerwein, M. & Fornacon, C. (2002). Geo- ökologische Kartierung und Verwendung von Stadtstrukturtypen in Halle (Saale). In: Hallesches Jahrbuch für Geowiss. R.A. Bd. S. 24. S. 29-40 Scheffer, F. & Schachtschabel, P. (2002). Lehrbuch der Bodenkunde,15. Aufl. Spekt- rum akademischer Verlag, Heidelberg, 593 S. Stala (Statistisches Landesamt) Sachsen An- halt (2007). http://www.stala.sachsen- anhalt.de/ letzte Aktualisierung 25.10.2007; aufgerufen am 26.10.2007). Statistical Office Poznan. (2008). http://www.stat.gov.pl/poznan/index_ENG_ HTML.htm. (Stand 03/2008; Aufgerufen 3.4.2008.) Urzad Miasta Poznania (Stadt Poznan) 2001. Poznan 2000 Raport o stanie miasta. 150 S. Walossek, W. (2006). Am Anfang standen Salz und Kohle – Etappen der wirtschaftlichen Entwicklung des engeren halleschen Raumes. In: Frühauf & Friedrich (Hrsg.). Halle und sein Umland. 2. Aufl. Mdv. S. 42-49. Westermann, J. & Kowarik, I. (2006). Mecha- nisms of establishment in disused railway areas. In: GDFG Graduiertenkolleg 780/2 „Urban Ecology“ (Hrsg.). Third inter- national conference on urban ecology in Berlin. Berlin. S. 129-131. Wittig, R. (1991). Ökologie der Großstadtflora- Flora und Vegetation der Städte des nord- westlichen Mitteleuropas. 1. Aufl. Fischer. Stuttgart. 261 S.

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CONTUREC 3 (2008) Seite 59 bis 67

Stadtgestalt und Biologische Vielfalt

Urban form and biodiversity

PETER WERNER

Zusammenfassung In der Diskussion um nachhaltige Stadtentwicklung wird immer wieder behauptet, dass die stadtge- stalterische Qualität einer Stadt – kompakt oder zersplittert – die Möglichkeiten für eine nachhaltige Entwicklung stark beeinflusst. Aus diesem Grunde ist die Suche nach einer nachhaltigen Stadtgestalt immer mehr in den Blickpunkt des Interesses gerückt. Es wird als selbstverständlich angenommen, dass die Stadtgestalt einen Einfluss auf die Artenvielfalt einer Stadt ausübt. Allerdings sind dazu bis- her nur wenige Merkmale untersucht worden. Vergleichsstudien zeigten, dass ein Zusammenhang zwischen Artenreichtum bzw. Zusammensetzung von Fauna und Flora und Größe einer Stadt bzw. Anzahl der Einwohner besteht. Stadtgestalt ist aber nicht nur Stadtgröße, sondern umfasst weitere Merkmale, wie Kompaktheit der Siedlungsform, Verteilung von Stadtstrukturen und städtebauliche Dichte. Um der Frage nachzugehen, ob und gegebenenfalls wie die zuletzt genannten Merkmale von Stadtgestalt die biologische Vielfalt beeinflussen, wurden kommunalstatistische Daten und Ergebnisse von Stadtbiotopkartierungen, hier die floristischen Daten der Kartierungen, zueinander in Bezug ge- setzt und analysiert. Einige Ergebnisse dieser Auswertungen werden im Beitrag vorgestellt. Dabei wird auch explizit auf das Problem der schrumpfenden Städte Bezug genommen.

Nachhaltige Stadtentwicklung, Stadtgestalt, kompakte Stadt, Biodiversität, Flora, Neophyten

Summary In discussions about sustainable urban development there is a central premise that the form of a town or a city can affect its sustainability. By this the search for sustainable urban forms became more and more important. It is also clear that urban form has effects on biodiversity. But only few features of urban form were investigated in this context. For example comparative studies of various towns and cities demonstrate that the species richness and the composition of the urban flora depend on city size or population size. However urban form means not only size but also shape, patterns and density. The relationships between species composition and urban shape, patterns and density were analysed using the floristic data lists of urban biotope mappings of German towns and cities. Some results of the relationship between urban form and biodiversity will be presented. The results also underline the problem that the mappings are not standardized adequately and the data often do not allow any clear distinctions between built-up areas and open areas. For these reasons, the presented results about the relationship between urban form and composition of urban flora must be interpreted carefully.

1. Einleitung bebauten Stadtkern charakterisiert ist. Viele Stadt-, Raum- und Umweltplaner, die sich mit Es ist weitgehend anerkannt, dass ein Zu- Fragen der nachhaltigen Stadtentwicklung sammenhang zwischen Stadtgestalt, darge- beschäftigen, sehen in der kompakten Stadt stellt über die Parameter Größe, Dichte und die einzig nachhaltige Stadtform, die es anzu- Kompaktheit, und ökologischen Einflüssen von streben bzw. zu verteidigen gilt. Städten besteht. Von daher überrascht es nicht, dass seit einigen Jahren eine intensive Diese Diskussion hat in den letzten Jahren wissenschaftliche und politische Diskussion eine neue Dimension erhalten, nämlich die über die Bedeutung von Stadtgestalt und Dimension der schrumpfenden Städte, so dass nachhaltiger Stadtentwicklung geführt wird das planerische Idealbild einer kompakten (Jenks & Dempsey, 2005; Williams et al., Stadt nicht nur durch Suburbanisierung und 2003). Im Mittelpunkt steht dabei die Diskussi- Zersiedlung, sondern jetzt auch noch durch on um die kompakte Stadt (Jenks et al., 1996; Schrumpfungsprozesse bedroht wird. Im Fol- Jenks & Burgess, 2000). Als Vorbild für die genden werden nicht das Leitbild der kompak- kompakte Stadt gilt besonders in Europa die ten Stadt und ihre Bedeutung für eine nachhal- historisch gewachsene europäische Stadt, die tige Stadtentwicklung diskutiert, sondern es durch klare bauliche Grenzen und einem dicht werden Ergebnisse präsentiert, die Hinweise

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über den Zusammenhang von Stadtgestalt und sen verwaltet werden. biologische Vielfalt liefern sollen. Die kompakte Für die Beschreibung der biologischen Vielfalt Stadt ist dabei ein wichtiger Ausgangspunkt sind Daten herangezogen worden, die im der Betrachtungen, die durch verschiedene Rahmen von Biotopkartierungen von Städten Formen von Schrumpfung, wie Entdichtung, entstanden sind. In Deutschland sind mehr als Perforation und Reduktion, aufgelöst wird. 220 Biotopkartierungen von Städten durchge-

führt worden (Abb. 1). Fast jede Stadt mit mehr 2. Daten und Methoden als 100.000 Einwohnern hat eine derartige Die hier vorgestellten Ergebnisse basieren auf Kartierung realisiert. Für diese Testuntersu- einer Untersuchung, die als Test durchgeführt chung wurden die Daten von 21 Städten aus- worden ist, um zu prüfen, ob mit Hilfe von ver- gewertet, für die der Autor über vollständige fügbaren biologischen Daten und öffentlich Gesamtflorenlisten aus den Biotopkartierungen zugänglichen Daten der kommunalen Statistik verfügt. Gesamtflorenlisten sind praktisch die – und das ist ein zentrales Anliegen – Zusam- einzigen biologischen Daten, die für jedes menhänge zwischen Stadtgestalt und Biodi- Stadtgebiet vorliegen, in denen Biotopkartie- versität beschrieben und ausgewertet werden rungen durchgeführt worden sind. Die faunisti- können. Das bedeutet hier, es handelt sich um schen Daten der Biotopkar-tierungen sind da- Daten, die im Institut Wohnen und Umwelt gegen weitaus heterogener und für Vergleiche vorliegen bzw. frei nutzbar sind und zum Bei- nicht so gut geeignet. spiel vom Institut im Auftrag des Landes Hes-

Abb. 1: Biotopkartierungen im besiedelten Bereich in der Bundesrepublik Deutschland. Grüne Kreise – aus- gewertete Kartierungen. 60 Stadtgestalt und biologische Vielfalt

Die Florenlisten der Teststädte wurden unter a. Biologische Vielfalt und nachhaltige Stadt- anderem in Bezug auf folgende Merkmale der formen einzelnen Pflanzenarten ausgewertet: Es ist bereits vielfach gezeigt worden, dass ─ Status der Einbürgerung; städtische Räume eine hohe Zahl an Tier- und Pflanzenarten aufweisen und dass pro Quad- ─ Lebensform; ratkilometer in Städten mehr Arten zu finden ─ ökologische Ansprüche (Zeigerwerte nach sind als in landwirtschaftlichen oder forstwirt- Ellenberg); schaftlichen Gebieten (Sukopp & Wittig, 1998; Reichholf, 2007). Es ist auch gut bekannt, dass ─ pflanzensoziologische Einordnung. es eine direkte positive Korrelation zwischen Zur Beschreibung von Stadtgestalt wurden Stadtgröße und Anzahl der Pflanzenarten gibt. Kenndaten ausgewählt, aus denen Stadtgröße, Diese Korrelation zeigen auch die Beispiels- Stadtumriss, städtebauliche Dichte, Heteroge- städte (s. Abb. 2). Der wesentliche Grund für nität der Nutzungen (Alberti, 2000) und Einbet- diese Korrelation ist, dass die Diversität von tung der Siedlungsnutzung in Nutzungen der Habitaten mit der Größe der Stadtflächen zu- Kulturlandschaft ablesbar sind. Hierfür wurden nimmt. Es ist ebenfalls bekannt, dass ein Gra- für die 21 Beispielsstädte folgende Daten aus dient von den Stadträndern zur Stadtmitte der kommunalen Statistik entnommen: festzustellen ist, der eine Zunahme der Nut- zungsintensität verbunden mit einer Abnahme ─ Größe der Gemeindefläche; der Anzahl von Pflanzen- und Tierarten auf- ─ Größe der Siedlungsfläche; weist. Dabei ist zu beachten, dass beides so- wohl Verstädterung als auch eine Zunahme ─ Umfang der verschiedenen Nutzungsarten; von städtischer Nutzungsintensität die Zu- ─ Einwohnerzahl; sammensetzung der Arten verändert. Letztlich ist bekannt, dass die verschiedenen städti- ─ Anzahl von Gebäuden und Wohnungen. schen Nutzungstypen charakteristische Zu- Allein die Form der Stadtgestalt musste aus sammensetzungen von Arten aufweisen. Plänen und Luftbildern entnommen und in Am Beispiel nicht nur von Pflanzenarten lässt stilisierte Karten umgesetzt werden. Es konn- sich zeigen, dass mit zunehmender Urbanisie- ten hierfür keine geeigneten Indikatoren aus rung der Anteil an hemerochoren Arten, das der kommunalen Statistik identifiziert werden. heißt der Anteil von Archaeophyten und Ne- ophyten – nicht selten auf Kosten eines Rück- gangs von einheimischen Arten – zunimmt (Olden et al., 2006). Bei den Pflanzen nimmt

3,05

3,00

2,95

2,90

2,85

2,80

2,75

2,70

2,65 Anzahl der Gefäßpflanzenarten (log10) Gefäßpflanzenarten der Anzahl 2,60

2,55

2,50 0,00 0,50 1,00 1,50 2,00 2,50 3,00 Stadtfläche km² (log10)

Abb. 2: Arten-Areal-Kurven der 21 ausgewerteten Städte (r² = 0,3615, p ≤ 0,003).

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die Zahl derjenigen Arten zu, die einen höhe- urteilen zu können, ist es notwendig die struk- ren Anspruch an Stickstoff, an Licht und Wär- turellen Veränderungen zu erfassen, die durch me haben (Wittig, 2002). Schrumpfungen hervorgerufen werden. Schrumpfungen lassen sich über drei typische Auch wenn recht gut bekannt ist, wie Städte Formen von Veränderungsprozessen be- und Verstädterung Flora und Vegetation beein- schreiben (s. Abb. 3): flussen, so ist doch wenig darüber bekannt, welche Auswirkungen unterschiedliche Sied- ─ Abnehmende Nutzungsintensität lungsstrukturen von Städten auf die Zusam- Die durchschnittliche Zahl von Personen, mensetzung von Flora und Vegetation haben. sowohl von Einwohnern als auch von Be- Es ist also nicht klar, wie das Verhältnis von schäftigten, und der Anteil von mehrge- einer kompakten Stadt zur Artenvielfalt in Be- schossigen Gebäuden nehmen ab. zug zu einer aufgelockerten Siedlungsstruktur ─ Perforation aussieht. Die oben genannten Indikatoren Einzelne bebaute Flächen wandeln sich können benutzt werden, um den Einfluss von unsystematisch und über das ganze unterschiedlichen Stadtstrukturen auf die bio- Stadtgebiet verstreut zu unbebauten oder logische Vielfalt auf der lokalen Ebene abzu- ungenutzten Flächen um. Umfang und schätzen. Die regionale Ebene ist über andere Verteilung dieser Umwandlung kann er- Daten zu erschließen (s. z. B. Kühn & Klotz, heblich variieren. 2006). ─ Reduktion b. Schrumpfende Städte und Stadtgestalt Die ursprüngliche Stadtform wird vom Rande her durch Rückbau größerer Areale Um die potenziellen Wirkungen von schrump- verändert und Freiflächen „dringen“ in die fenden Städten auf die biologische Vielfalt be- ursprünglich bebauten Gebiete ein.

Abnehmende Nutzungsintensität

Perforation

Reduktion

Abb. 3: Drei Typen von städtischen Schrumpfungsprozessen - abnehmende Nutzungsintensität, Perforation und Reduktion.

62 Stadtgestalt und biologische Vielfalt

Tab. 1: Kennzahlen der ausgewerteten Städte. Die Biotopkartierungen, von denen die floristischen Daten stammen, sind in den 1980er und in den 1990er durchgeführt worden. Die statistischen Stadtdaten sind in der Regel aus den entsprechenden Jahren.

Stadt Einwoh- Stadt- Sied- Gebäu- Zahl Neo- Archaeo- Thero- Durch- nerzahl fläche lungs- defläche höherer phyten phyten phyten schnittl. in km² fläche in in km² Pflan- % % % Zeigerwert km² zenarten N

Arnsberg 74.000 193 35 23 664 9,9 12,7 20,5 5,16 Bochum 383.000 145 98 62 457 17,7 14,0 25,2 5,58 Bremerhaven 117.000 78 36 22 762 13,7 16,7 20,1 5,43 Darmstadt 134.000 128 41 24 955 15,0 12,4 24,8 4,77 Dietzenbach 27.000 22 7 5 625 12,2 14,6 25,1 5,08 Essen 620.000 210 137 81 909 18,2 12,8 27,4 5,36 Euskirchen 45.000 140 27 16 544 15,3 19,3 29,6 5,55 Frankfurt 645.000 248 137 77 926 18,0 13,4 28,2 5,24 Hanau 85.000 77 29 18 854 16,3 13,2 25,1 5,24 Heilbronn 121.000 100 33 20 502 14,4 11,8 21,8 5,18 Karlsruhe 268.000 173 77 46 738 18,7 15,4 27,3 5,20 Köln 914.000 405 237 131 922 18,3 12,4 25,3 5,22 Mannheim 296.000 145 79 48 649 17,4 15,6 31,1 5,38 Mörfeld.-Walld. 30.000 44 9 6 761 16,8 15,0 24,7 5,14 Mühlheim 24.000 21 6 4 410 10,5 14,9 17,1 4,93 Neu-Isenburg 35.000 24 8 5 604 14,9 13,7 24,2 5,26 Neumünster 83.000 72 33 22 509 11,8 10,6 20,0 5,14 Rüsselsheim 57.000 58 17 10 730 15,0 16,1 25,4 5,29 Saarlouis 38.000 43 23 14 601 14,3 17,1 27,6 5,21 Wiesbaden 267.000 204 77 40 863 14,0 12,2 21,2 5,52 Wuppertal 385.000 170 80 48 534 16,1 12,0 17,8 5,39

Die ersten beiden Prozesse können zusam- Gebäudeflächen nehmen zwischen 52 % menfassend auch als Entdichtung umschrie- (Wiesbaden) bis zu 70 % (Dietzenbach) ben werden. Für alle drei Prozesse gilt, dass der Siedlungsfläche ein, sie ein Verlust an Kompaktheit bedeuten. ─ ausgewiesene Grünflächen zwischen 2 % Die 21 ausgewählten Beispielsstädte wurden (Dietzenbach) bis zu 16 % (Wiesbaden) entsprechend der Merkmale Nutzungsintensi- der Siedlungsfläche; tät (Einwohner pro Fläche bzw. Verhältnis ─ der Bevölkerungszahl von 24.000 Einwoh- mehrgeschossiger zu niedriggeschossiger nern (Mühlheim/M.) bis zu 914.000 Ein- Bebauung), Perforation (Anteil von offenen wohnern (Köln) und in der Bevölkerungs- Flächen zu bebauten Flächen) und Reduktion dichte von 1.600 Ew/km² (Saarlouis) bis zu (kompakte Stadtformen zu „ausgefransten“ 4.800 Ew/km² (Wuppertal); Stadtformen) geordnet bzw. gruppiert, um über ─ der Bebauungsintensität, ausgedrückt einen Vergleich zwischen den Beispielsstädten durch das Verhältnis von Anzahl der Woh- potenzielle Effekte von Schrumpfungen zu nungen in Gebäuden mit mehr als 3 simulieren. Soweit wie möglich wurden Reg- Wohneinheiten zu denen in Gebäuden mit ressionsanalysen zur Bewertung der Effekte 1 und 2 Wohneinheiten von 0,9 (Mörfel- benutzt. den-Walldorf) bis zu 6,6 (Frankfurt/M.). Zahlen liegen nicht für alle Städte vor. 3. Ergebnisse Die ausgewählten Beispielsstädte variieren in b. Biologische Vielfalt und abnehmende Nut- zungsintensität ─ der Größe der Gebietsfläche von 21 km² (Mühlheim/M.) bis zu 405 km² (Köln); Zur Ermittlung des Zusammenhangs zwischen Nutzungsintensität und biologischer Vielfalt ─ der Größe der Siedlungsfläche von 6 km² wurde die Anzahl der Einwohner pro Sied- (Mühlheim/M.) bis zu 233 km² (Köln) oder lungsfläche sowie die Anzahl der Einwohner zu zwischen 18 % (Arnsberg) und 65 % (Es- den Gebäudeflächen ins Verhältnis zu den sen) der Gebietsfläche; floristischen Indikatoren gesetzt. Die Sied- ─ dem Umfang der Landnutzungen

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Karlsruhe Mannheim Siedlungsfläche 77 km2 80 km2 Einwohnerzahl 268.000 385.000 Bevölkerungsdichte 3,481/km2 4,842/km2 /km2

Abb. 4: Zwei Beispielsstädte, die unterschiedliche Nutzungsintensitäten widerspiegeln lungsfläche stellt in der Statistik der Flächen- die Beziehung Flächengröße und Habitatdiver- erhebung eine Zusammenfassung der vier sität beeinflusst sind. Bodennutzungsarten Gebäude- und Freiflä- chen, Verkehrsflächen, Erholungsflächen und c. Biologische Vielfalt und Perforation Friedhöfe dar, während die hier genannte Ge- Mögliche Wirkungen durch eine Perforation bäudefläche allein die statistisch erfasste Bo- könnten über einen Vergleich der Durchmi- dennutzungsart Gebäude- und Freiflächen schung von Grün- zu Gebäudeflächen unter- meint. Die Ergebnisse zeigen, dass der Anteil sucht werden. Allerdings geben die kommuna- an Neophyten die stärkste Korrelation zu den len Statistiken weder Auskunft über die räumli- oben genannten Indikatoren der Nutzungsin- che Verteilung und jeweiligen Größen der öf- tensität aufweist. Entsprechendes wurde bei fentlichen Grünflächen noch über den Umfang Gradientenanalysen, bei Analysen unter- privater Grünanlagen wieder. Aus diesem schiedlicher Siedlungstypen oder bei Verglei- Grunde kann als ein Indikator nur das allge- chen zwischen Stadtstrukturtypen festgestellt meine Verhältnis von öffentlichen Grünflächen (Pysek, 1998). Die absolute Zahl der Pflan- zur Siedlungsfläche bzw. zur Gebäudefläche zenarten oder Differenzierungen nach Lebens- abgebildet werden. formtypen und nach ökologischen Ansprüchen haben sich bei den Vergleichen als keine signi- In diesem Fall zeigt ein Vergleich zwischen fikanten Indikatoren herausgestellt. Städten der gleichen Größengruppe, dass der Anteil an Pflanzenarten mit höheren Ansprü-

chen an Stickstoff mit einer Zunahme des An- Ein Vergleich zwischen Städten gleicher Grö- teils an Grünflächen ansteigt. Eine Erklä- ßengruppe, die 21 Städte wurden in vier Grup- rungsmöglichkeit für diesen Zusammenhang pen klassifiziert, ergab jedoch keinen Hinweis, ist, dass die Art und Weise der Grünflächen- dass mit reduzierter Nutzungsintensität auch pflege durch die Gartenämter zu diesem Effekt eine Verschiebung in dem Anteil an Neophyten führt. Das würde im Umkehrschluss heißen, festzustellen ist. Die Stadtgröße ist offensicht- wenn in schrumpfenden Städten ein großer lich das Merkmal, welches die anderen Variab- Teil der freiwerdenden Flächen aus dem Grün- len überlagert. Da Einwohnerzahlen in der flächenmanagement herausfallen würde, dass Regel eng mit der Größe von Siedlungs- und dann dieser Effekt nicht mehr festzustellen Gebäudeflächen korrelieren, bedeutet dies, sein dürfte. dass Daten von Untersuchungen, die sich Die vorliegenden Ergebnisse sind nur als Hin- ausschließlich auf Bewohnerzahlen beziehen weise zu verstehen, da die Zahl der Städte in und die dabei nicht gleichzeitig die Flächen- einer Größengruppe nicht groß genug ist, um größe von Siedlungsgebieten beachten, vor auch statistisch abgesicherte Aussagen treffen allem durch Arten-Areal-Relationen bzw. durch zu können.

64 Stadtgestalt und biologische Vielfalt

Abb. 5: Vergleich der Kompaktheit von vier Beispielsstädten, die der gleichen Größenklasse zugeordnet sind, mittels eines einfachen Kompaktheitsindikators. d. Biologische Vielfalt und Reduktion ßenbereich in den Innenbereich hineinragen, sind dagegen als Außenflächen, die nicht zur Zahlreiche Planer sehen in dem Verlust an Siedlungsfläche zählen, ausgespart worden. Kompaktheit einer Stadt auch einen Verlust an Abb. 5 zeigt Beispiele für unterschiedlich kom- umweltverträglicher Nachhaltigkeit. pakte Stadtformen. Um die Wirkungen des Verlustes von Kom- Zur Beurteilung der vorliegenden Stadtformen paktheit in der Stadtform auf die Pflanzenwelt wurde ein sehr einfacher Kompaktheitsindex einer Stadt zu erfassen, sind gegenüber den gewählt. Da ein Kreis die kompakteste Form vorherigen Daten total andere Daten zu ver- darstellt, wurde die Kreisfläche, die maximal in wenden. Im Naturschutz ist vielfach und inten- die Stadtform der geschlossenen Siedlungs- siv die SLOSS-Diskussion – single large or bebauung eingepasst werden kann, als das several small - geführt worden. Als Ergebnis jeweilige Kompaktheitsmaß einer Stadt defi- wird die Ansicht vertreten, dass große, zu- niert (Tab. 2). sammenhängende und Flächen mit einem geringeren Edge-Area-Verhältnis günstiger als Tab. 2: Kompaktheitsindikator für vier Beispielsstädte der Naturschutzgebiete sind als kleine, separierte gleichen Größenklasse. und schmale Flächen (Wilson & Willis 1975). Stadt Einwohnerzahl max. geschlos- Dieses Bild von mehr oder weniger vorteilhaf- sene Kreisflä- ten Raumstrukturen kann auch auf städtische che km² Räume übertragen werden und zwar dahinge- Arnsberg 74.000 2,5 hend, dass große zusammenhängende Stadt- flächen mehr Urbanitätseffekte repräsentieren Darmstadt 134.000 7,1 als kleine zerstreute Siedlungsstrukturen. Neumünster 83.000 10,2 Die Gestaltformen der Beispielsstädte sind in Heilbronn 121.000 15,9 vereinfachte Schwarz-Weiß-Grafiken übertra- gen worden, um so die wesentliche Siedlungs- Diese Zahl wurde wiederum mit den floristi- flächenformen sichtbar und auswertbar zu schen Daten in Bezug gesetzt. Erneut war der machen. Grünflächen, die von Bauflächen Anteil der Neophyten die Größe, die signifikant eingerahmt sind, sind der Siedlungsfläche mit dem Kompaktheitsindex korrelierte. Dage- zugeordnet worden, Grünzüge, die vom Au- gen zeigte beispielsweise der Anteil an Ar-

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chaeophyten oder an Therophyten, letztere gekennzeichnet. Durch einen Vergleich von gelten ebenfalls als ein Indikator für Verstädte- Städten, die sich in diesen Merkmalen unter- rung, keine nennenswerten Korrelationen zum scheiden, können Aussagen darüber gemacht Kompaktheitsindex. werden, welche potenziellen Effekte auf die biologische Vielfalt durch Schrumpfungen ein- Oben ist erwähnt worden, dass in der Stadt- treten können. planung Kompaktheit auch als ein Indikator für Urbanität gesehen wird. In den einleitenden Die bisherigen Testuntersuchungen haben zu Ausführungen ist gezeigt worden, dass der folgenden Ergebnissen geführt: Anteil an Hemerochoren – die Summe von ─ Die Zahl der Pflanzenarten korreliert posi- Archaeophyten und Neophyten – spätestens tiv mit der Größe der Stadtfläche und da- seit Falinski 1971 als ein Maß von Verstädte- mit mit dem Angebot an unterschiedlichen rung betrachtet wird. Die hier vorgestellten Habitaten. Verändert sich mit den Ergebnisse zeigen, dass allein der Anteil an Schrumpfungsprozessen nicht der Grad Neophyten ein sinnvoller Indikator für Verstäd- der Habitatdiversität, dann wird sich auch terung ist.Schlussfolgerungen die Gesamtzahl an Pflanzenarten nicht Die hier vorgestellten Ergebnisse sind im ändern. Rahmen eines Testverfahrens entstanden, bei ─ Ein Rückgang an Dichte bzw. Nutzungsin- dem geprüft werden sollte, inwieweit durch tensität und eine zunehmend perforierte eine Verschneidung von Daten der kommuna- Stadtgestalt werden wahrscheinlich den len Statistik mit Ergebnissen aus Stadtbiotop- Anteil an Neophyten am Gesamtarten- kartierungen Aussagen über die Beziehungen spektrum verringern. Neophyten stellen al- zwischen Stadtgestalt und biologischer Vielfalt lerdings einen wichtigen Anteil des Arten- möglich sind. Ein Vergleich der Florenlisten reichtums einer Stadt, denn sie kompen- aus Biotopkartierungen von verschiedenen sieren quasi den Verlust an einheimischen Städten, die sich in Nutzungsintensität und Arten. Wenn Neophyten und einheimische Kompaktheit unterscheiden, bietet prinzipiell Arten zurückgehen, dann ist zu erwarten, die Möglichkeit diese Zusammenhänge zu dass auch die Gesamtartenzahl rückläufig untersuchen. Ergeben sich sinnvolle Auswer- sein wird. tungsmöglichkeiten, so können die Verfahren auf alle Städte, die Stadtbiotopkartierungen ─ Eine Zunahme an neuen von Grünämtern durchgeführt haben, übertragen werden. gepflegten Grünflächen, zum Beispiel als ein Ergebnis von Perforationsvorgängen, Schrumpfungsprozesse von Städten sind kann zu einem relativen Anstieg an Pflan- durch Entdichtung, das heißt Reduktion von zenarten führen, die bezüglich Stickstoff- Nutzungsintensität und Perforation, und durch versorgung höhere Standortansprüche ha- einen Verlust an räumlicher Kompaktheit, das ben. Durch ein traditionelles Management heißt hier Rückbau von den Ortsrändern her, der Grünflächen kann der Anteil spontan

20,0

18,0 R2 = 0,3054

16,0

14,0

12,0

10,0

8,0 %-Anteil Neophyten

6,0

4,0

2,0

0,0 0,00 0,20 0,40 0,60 0,80 1,00 1,20 1,40 1,60 1,80 kompakte Kreisfläche in km² (log10) Abb. 6: Beziehungen zwischen Kompaktheit und Anteil an Neophyten (r² = 0,3344, p ≤ 0,02). 66 Stadtgestalt und biologische Vielfalt

vorkommender Neophyten reduziert wer- Thomas, R. (ed.) (2002).Sustainable Urban den. Design: An Environmental Approach. Spon Press. London ─ Ein Verlust an Kompaktheit der Stadtform Williams, K.; Burton, E. & Jenks, M. (eds.) kann den „Verstädterungsgrad“ verringern (2000): Achieving Sustainable Urban und so einen Rückgang des Anteils an Form. Spon Press, London Neophyten hervorrufen. Wilson, E. O. & Willis, E. O. (1975). Applied ─ Die Zahl der Neophyten oder besser aus- . In: Cody, M.L. & Diamond, gedrückt der Anteil der Neophyten am Ge- J. M. (eds.): Ecology and evolution of samtartenspektrum von Pflanzen ist offen- communities. Harvard Univerity Press. sichtlich der beste und einfachste biologi- Cambridge (Mass.). pp. 522-534 sche Indikator für den Grad von Verstädte- Wittig, R. (2002). Siedlungsvegetation. Ulmer. rung. Stuttgart

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Univ. Warsz. Warszawa-Bialowieza 27. pp. 15-37 Frey, H. (1999). Designing the City: Towards a More Sustainable Urban Form. Taylor & Francis. London Jenks, M. & Burgess, R. (eds.) (2000). Com- pact Cities: Sustainable Urban Forms for Developing Countries. Spon Press. Lon- don Jenks, M. & Dempsey, N. (eds.) (2005). Future Forms and Design for Sustainable Cities. Architectural Press Jenks, M., Williams, K. & Burton, E. (eds.) (1996). The Compact City: A Sustainable Urban Form? Spon Press. London Küne, I. & Klotz, S. (2006). Urbanization and homogenization – Comparing the floras of urban and rural areas. Biological Conser- vation 127. pp. 292-300 McKinney, M. L. (2004). Correlated non-native species richness of birds, mammals, herp- tiles and : Scale effects of area, hu- man populations and native plants. Bio- logical Invasions 8 (3). pp. 415-425 Olden, J. D.; Poff, N. L. & McKinney, M. L. (2006). Forecasting faunal and floral ho- mogenization associated with human population geography in North America. Biological Conservation 127. pp. 261-271 Pysek, P. (1998). Alien and native species in Central European urban floras: a quantita- tive comparison. Journal of Biogeography 25. pp. 155-163 Reichholf, J. H. (2007). Stadtnatur. Oekom. München Sukopp, H. & Wittig, R. (1998). Stadtökologie. Ein Fachbuch für Studium und Praxis. 2. Aufl. Fischer. Stuttgart

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CONTUREC 3 (2008) Seite 69 bis 80

Stadtumbau und Freiflächenqualität – Zur Frage der Freiflächenentwicklung in perforierten Städten Regeneration of Cities and Quality of Open Spaces – On the Question of Open Space Development in Perforated Cities

JULIANE MATHEY & DIETER RINK

Zusammenfassung In Stadtumbaukonzepten für schrumpfende Städte wird in der Regel davon ausgegangen, dass ein organisierter und kontrollierter Rückzug aus der Fläche machbar ist. Frei werdende Flächen sollen sukzessive (von außen nach innen) in neue Parks, Wald oder wohnungsnahe Grünflächen verwandelt werden. Dies soll auch zu einer besseren Verzahnung randstädtischer Siedlungen mit der umliegen- den Landschaft, zu einer besseren Freiraumversorgung und zu neuen Lagequalitäten in den Innen- städten beitragen. Ein besonderes Ziel ist die Schaffung von Grünverbindungen, die sowohl Naherho- lungs- als auch Naturschutzzielen dienen. Im Zuge des Stadtumbaus entstehen in schrumpfenden Städten allerdings unterschiedlich große Freiflächen bzw. Brachen an praktisch allen Stellen im Stadt- körper, in innerstädtischen Altbaugebieten oft kleine Flächen, in Plattenbaugebieten aber auch größe- re Flächen, die durch systematische Abrisse bzw. Rückbauten frei werden. Es lässt sich beobachten, dass viele Kommunen einen dispersen Rückbau von Quartieren innerhalb bestehender Siedlungen verfolgen. Diese Art des Stadtumbaus stößt aber an Grenzen, wenn sich stetig wachsende „Löcher“ entwickeln und sich städtebauliche Zusammenhänge auflösen. Mit dem fortschreitenden Umbau bzw. Rückbau stellt sich daher das Problem, wie durch Freiraumplanung und Grünflächengestaltung neue städtebauliche Qualitäten geschaffen werden können. Es ist eine entscheidende Frage der Zukunft, wie die massenhaften Brachflächen im Innern der zunehmend perforierten Städte als öffentlich finan- zierbare Räume ansprechend gestaltet werden können, beispielsweise als für Bürger attraktive Suk- zessionsflächen. Im vorliegenden Beitrag wird der Frage nachgegangen, welche Lösungen hierfür bereits existieren und welchen Beitrag sie zur Verbesserung der Lebensqualität in Städten liefern können. Dazu werden aufgrund der besonderen Situation Beispiele aus verschiedenen Städten in Ostdeutschland vorgestellt.

Stadtumbau, schrumpfende Städte, Stadtökologie, Stadtbrachen, Städtische Brachflächen, Land- schaftsarchitektur.

Summary In concepts for city’s regeneration of shrinking cities normally it is assumed, that the reuse of brown- field areas can be carried out in an organised and controlled way. Obsolete areas shall be succes- sively (from the urban fringe to the inner city) transformed into new parks, forests or urban green spaces. This shall contribute to a better connectivity of the urban fringe and the surrounding landscape and also to a better provision with open spaces and to new qualities of life in inner cities. An important aim is the development of green connections, which serve amongst others as areas for local recrea- tion and nature protection. In the course of city’s regeneration in shrinking cities, open spaces or brownfields of various dimensions arise everywhere in the city areas, in historical quarters often smaller areas, in prefabricated high rise estates bigger areas, becoming available by systematic demolition. It can be observed, that municipalities are forced to accept a disperse demolition of quar- ters within existing settlements. This kind of city’s regeneration comes to a limit, when the number of empty plots continuously grows and urban connections get lost. With ongoing regeneration the prob- lem arises, how new urbanistic qualities can be created by open space planning and green space design. It is a determining question for the future, how the mass of brownfields in increasingly perfo- rated city centres can be developed towards attractive and public fundable spaces. This article ex- plores, which solutions do exist until now and how they can contribute to the quality of life in cities. Because of the special situation in Eastern Germany, examples from different cities in this part of Germany will be presented.

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1. Einleitung rungsverluste (BMVBS, 2007). Die Schrump- fung in dieser Dimension und diesem Tempo In der aktuellen Diskussion um schrumpfende ist ein neues Phänomen in Europa. Städte werden die Langfristigkeit und Unum- kehrbarkeit dieses Prozesses betont, der eine Die Schrumpfung knüpft an die schon zu DDR- Abkehr von bisherigen Leitvorstellungen der Zeiten zu beobachtende Schrumpfung an. Die Planung notwendig mache. Außerdem wird DDR hatte während ihrer Existenz zwischen vielfach auf die Fragmentierung bzw. Perfora- 1949 und 1989 etwa 2 Millionen Einwohner tion von Stadträumen verwiesen, die u. a. verloren. Hinzu kamen kommunale Bevölke- durch das Nebeneinander von Schrumpfung rungsverluste aufgrund staatlich geplanter und Wachstum entstanden sei. Im Vorder- Konzentrationsprozesse, so dass in vielen grund der Diskussionen stehen gegenwärtig Städten schon ältere Brachen im Stadtkörper freilich eher wohnungswirtschaftliche und z. T. existierten, die sich vielfach selbst überlassen infrastrukturelle Probleme. Brachgefallene blieben. Gegenwärtig verursachen vor allem Industrieareale und neu entstehende Brachen drei Prozesse die Schrumpfung in Ostdeutsch- in Wohnquartieren werden dagegen eher am land: (1.) die mit der politischen Wende einset- Rande behandelt – sie sind also im wahrsten zende Deindustrialisierung, (2.) die Suburbani- Sinne des Wortes ein „randständiges Prob- sierung bzw. Desurbanisierung der 1990er lem“. Jahre und (3.) der Bevölkerungsrückgang (z. B. Hannemann, 2003a). Schrumpfende Städte sind allerdings kein neues Phänomen, sie wurden bislang nur als 1. Die Deindustrialisierung setzte unmittelbar singuläre oder regional begrenzte Ausnahmen nach der Wende ein, betraf praktisch alle In- angesehen. Ostdeutschland ist davon nun dustriezweige und hatte die folgenreichsten flächendeckend betroffen, wobei diese Ent- Auswirkungen auf die wirtschaftliche Basis wicklung bei Klein- und Mittelstädten eher als ostdeutscher Städte. Auf den Zusammenbruch bei Großstädten zu einer gesamtstädtischen der Industrie gehen im Saldo 70 % der Ar- Bedrohung wird (Leimbrock, 2008). Die beitsplatzverluste zurück (Hannemann, Schrumpfung ist zu einer ernsthaften Heraus- 2003b). So kam es zum Brachfallen vieler forderung für die Stadtplanung und die gesam- Industrie- und Gewerbegebiete, vor allem in- te Regionalentwicklung geworden. Schrump- nerhalb der gründerzeitlichen Stadterweiterun- fung ist in vielen Fällen entweder mit dem gen. Geschätzt sind mehr als 5 %, in Industrie- plötzlichen Brachfallen von nicht mehr benötig- städten bis zu 7-8 % der Flächen im Stadtge- ten Flächen oder mit dem systematischen biet Brachen (eigene Schätzung auf Grundlage Rückzug aus der Fläche als Folge des Stadt- von Daten aus Leipzig), für die es vermutlich umbaus verbunden. Damit stellt sich hier die auch künftig keine Nutzungen geben wird. Frage nach der Qualität und Nutzbarkeit der Damit haben wir es mit völlig neuen Dimensio- (neuen) Freiflächen in einer ganz neuen Di- nen der Entstehung von Brachflächen in den mension: Wie können bzw. sollen diese in den Städten zu tun – ein Prozess, der sich mit dem Stadtkörper integriert werden? Wie können sie Voranschreiten des Stadtumbaus weiter fort- zu einer Aufwertung der betroffenen Wohn- setzen wird. quartiere beitragen? Was sind mögliche Zwi- 2. Anfang bis Mitte der 1990er Jahre stand der schen- und Nachnutzungen? schnelle Ausbau des Wohnungsangebots ganz Im vorliegenden Beitrag werden die Dimensio- oben auf der Prioritätenliste der Kommunalpoli- nen der Schrumpfung und des Leerstands tik. Angesichts der Wohnungsnot in Ost- dargestellt und das Programm „Stadtumbau deutschland und positiver Bevölkerungsprog- Ost“ – das auf diesen Wandel reagiert – vor- nosen wurden sowohl die Sanierung der Alt- gestellt. Außerdem geht es um die Frage, wie städte als auch der Neubau von Wohnungen mit den Freiflächen in perforierten Städten1 vorangetrieben. Gefördert durch Steuererleich- umgegangen wird, welche Lösungen bisher terungen, Abschreibungsmöglichkeiten und existieren und welche aus ökologischer, sozia- staatliche Zuschüsse wurde überall massiv ler und/oder ökonomischer Sicht wünschens- gebaut. Allein zwischen 1991 und 1999 ent- wert sind. Dazu werden Beispiele aus ver- standen 773.368 neue Wohnungen (Experten- schiedenen Städten in Ostdeutschland vorge- kommission, 2000), fast ausschließlich als stellt. Neubauten auf der „grünen Wiese“. Dies führte zu einem Nebeneinander von Schrumpfung 2. Dimensionen der Schrumpfung und des und Wachstum, zur Forcierung von Flächen- Leerstands in Ostdeutschland verbrauch und schließlich – staatlich subventi- oniert – zur Schaffung des Wohnungsüberan- In Ostdeutschland haben ca. 90 % aller Städte gebots, das jetzt – wiederum staatlich subven- mit mehr als 20.000 Einwohnern Bevölke- tioniert – abgebaut werden muss.

70 Stadtumbau und Freiflächenqualität

3. Der Bevölkerungsrückgang in Ostdeutsch- nicht mehr benötigten Wohnungen abgerissen land setzt sich aus der Abwanderung und der werden. Dieses Abrissprogramm wird derzeit natürlichen Bevölkerungsentwicklung zusam- nahezu flächendeckend in Ostdeutschland men. Zwischen 1989 und 2005 sind ca. 1,4 durchgeführt. Mittlerweile sind ca. 350 größere Millionen Menschen aus Ostdeutschland nach Kommunen mit rund 650 Fördergebieten ein- Westdeutschland abgewandert; ohne die Zu- gebunden; das sind ca. drei Viertel aller ost- wanderung von ca. 500.000 Ausländern wäre deutschen Städte und Gemeinden mit mehr als der Wanderungsverlust noch viel größer aus- 10.000 Einwohnern (BMVBS, 2006). Die gefallen (Ragnitz, 2006). Dazu kommt ein na- Mehrzahl der geförderten Kommunen weist türlicher Rückgang der Bevölkerungszahl um einen Leerstand von 10-15 % auf, einige sogar etwa 600.000 infolge des massiven Geburten- über 20 %. Bislang sind etwa 200.000 Woh- rückgangs seit 1990 (ebd.). Insgesamt hat sich nungen abgerissen worden (Stand Ende die Bevölkerung in Ostdeutschland im o.g. 2006), wodurch die Leerstandsquote auf etwa Zeitraum um 11,7 % vermindert. Perspekti- 13 % gesenkt werden konnte. Mittlerweile be- visch ist infolge des demographischen Wan- schränkt sich das Abrissprogramm bei weitem dels mit weiteren Einschnitten zu rechnen. So nicht mehr auf den behutsamen Rückbau, in dürfte sich die Bevölkerungszahl bei anhalten- vielen Städten stehen ganze Quartiere zur den Entwicklungstrends in Ostdeutschland bis Disposition (ebd.). Bisheriger Schwerpunkt des 2050 halbieren. Es wird prognostiziert, dass Stadtumbaus sind am Stadtrand gelegene immer mehr Gemeinden vor allem in Ost-, aber Großwohnsiedlungen. Etwa 40 % der Förder- auch in Westdeutschland einen „Stagnations- gebiete sind vorrangig durch aus der DDR-Zeit oder Schrumpfungspfad“ einschlagen werden stammenden Plattenbauten gekennzeichnet, (Müller & Siedentop, 2004). nur ein Viertel weist Altbauten aus der Zeit bis 1948 auf. Infolge der demographischen Entwicklung und der Abwanderung sowie der Entwicklung auf „Stadtumbau Ost“ ist ganz klar als Konsolidie- dem Immobilien- und Wohnungsmarkt standen rungsprogramm für den lokalen Wohnungs- bis Ende der 1990er Jahre ca. 1 Million Woh- markt gedacht, beinhaltet aber zugleich ambi- nungen leer. Die Leerstände sind aber nur ein tionierte stadtplanerische Zielsetzungen. So Teil des Schrumpfungsproblems, das als viel- wird maßgeblich der Abriss von Wohnungen schichtiger Umbruchprozess begriffen werden gefördert, was aber gleichzeitig mit einer Auf- muss, der ökonomische, soziale und kulturelle wertung der Verbleibebestände, der Infrastruk- Dimensionen einschließt (Benke, 2004). Die tur und des Umfelds, auch durch neue attrakti- vielen Dimensionen des Umbruchprozesses ve Grünstrukturen, einhergehen soll. Ziel ist zeichnen sich in ersten Konturen ab. In Ost- ein integriertes Vorgehen, bei dem wohnungs- deutschland handelt es sich um einen spezifi- wirtschaftliche Probleme mit städtebaulichen schen siedlungsstrukturellen Entwicklungs- Aspekten verknüpft werden. Geplante Abrisse pfad, welcher nur bedingt Vergleichsbeispiele sollen sich, mit Blick auf die Schaffung einer in Westdeutschland findet. Von manchen Auto- nachhaltigen Gesamtstadt, in die Stadtstruktu- ren wird er als „Disurbanisierungsprozess“ ren einbetten und die betroffenen Viertel zu- (intraregionale Dekonzentration von Bevölke- gleich aufwerten (Bernt, 2005). Um die Ver- rung bei insgesamt abnehmender Bevölke- knüpfung von Rückbau-, Umbau- und Aufwer- rungszahl) beschrieben (Siedentop & Kausch tungsmaßnahmen durchzusetzen und sicher- 2003). Angesichts auch langfristig zu erwar- zustellen, dass sich die geplanten Abrisse in tender weiterer Schrumpfungen werden „ver- das jeweilige Stadtgefüge einpassen, wird die nünftige Rückzugsstrategien aus der Fläche“ Vergabe von Fördermitteln mit der Verpflich- gefordert (Herfert 2004). Die Städte müssen tung der Erarbeitung von Integrierten Stadt- sich bereits jetzt mit Funktionsverlusten ausei- entwicklungskonzepten verbunden. Deren Ziel nandersetzen. ist es, „die einzelnen Maßnahmen des Stadt- umbaus aufeinander abzustimmen und zu 3. Das Bund-Länder-Programm „Stadtum- einem zukunftsfähigen, sinnvollen Ganzen zu bau Ost“ verbinden“ (BMVBW, 2001), um dadurch höhe- re städtische Qualitäten zu schaffen. Der In Reaktion auf den Wohnungsleerstand wurde „Stadtumbau Ost“ wurde also mit hohen An- Ende der 1990er Jahre von Bund und Ländern sprüchen – auch hinsichtlich der Schaffung die Expertenkommission „Wohnungswirtschaft- und Gestaltung von Freiräumen – verbunden, licher Strukturwandel in den neuen Ländern“ die inzwischen jedoch stark herunterge- eingesetzt, auf deren Empfehlungen 2001 das schraubt wurden, sowohl von Seiten der För- Programm „Stadtumbau Ost“ vom Bundeska- derpolitik als auch von Seiten kommunaler binett beschlossen wurde. Das Programm ist Fachämter, und es dominiert eindeutig die mit ca. 2,7 Mrd. Euro ausgestattet. Damit sol- Orientierung auf eine schnelle Wohnungs- len bis 2010 rund 350.000 der ca. eine Million marktbereinigung. Mittel für die Nach- oder

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Umnutzung der freigelegten Abrissflächen nur das Wohnumfeld zu verbessern, sondern stehen kaum noch zur Verfügung (Bernt, Nachfrage und Investitionen zu fördern und so 2005); nur in einem Drittel der Fälle werden zu einer Aufwertung ganzer Quartiere beizu- Aufwertungsmaßnahmen, meist Begrünungs- tragen. Die neuen Freiflächen sollen also dabei maßnahmen, vorgenommen. Mehr und mehr helfen, Wohnquartiere zu stabilisieren und dem stellt sich heraus, dass dem Rückbau nach Leerstand entgegenzuwirken, um dadurch dem „Zwiebelringprinzip“ von Außen nach städtebauliche und sozialräumliche Strukturen Innen, der von den meisten Kommunen favori- aufrechtzuerhalten. Freiraumsysteme sollen siert wird, erhebliche Umsetzungsschwierigkei- einen festen Rahmen für die Aufrechterhaltung ten entgegenstehen. Stadtumbaumaßnahmen stadtstruktureller Zusammenhänge bilden können kaum noch in ein städtebauliches Kon- (Schwartz, 2004), zur Verzahnung randstädti- zept eingebettet werden und in vielen Fällen scher Siedlungen mit der umliegenden Land- perforiert die städtebauliche Struktur. Eine schaft und zu einer besseren Freiraumversor- Folge davon ist, dass im Stadtkörper viele gung oder neuen Lagequalitäten in Innenstäd- unzusammenhängende kleinere und größere ten beitragen (BMVBS & Bundestransferstelle, Freiflächen und Brachen entstehen. Vielleicht 2006; Roch & Banse, 2007). Ein besonderes wird deswegen in jeder zweiten Kommune der Ziel ist daher die Schaffung von Grünverbin- Umgang mit Brachen in zentralen und städte- dungen, die sowohl Naherholungs- als auch baulich bedeutenden Lagen als ein gravieren- Naturschutzzielen dienen. des Problem angesehen (BMVBS & BBR, Im Stadtumbau-Programm wird die Schaffung 2007). von Grünflächen vor allem als Teil gestalteri- Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass scher Aufwertungsmaßnahmen gesehen; in die von vielen Städten verfolgte Strategie der seltenen Fällen stehen ökologische oder Na- kontrollierten Schrumpfung bereits an Grenzen turschutzziele im Vordergrund. Neben den stößt, da diese neue Bedarfe nicht berücksich- Ansprüchen seitens der Kommunen hinsicht- tigt, aber mangels gangbarer Alternativen wei- lich Wohnumfeldverbesserung und gesteiger- ter verfolgt wird. Die Gestaltung der schon ter Lebensqualität der Stadtbewohner, spielen vorhandenen und der im Stadtumbau neu ent- auch Forderungen der aktiven Mitgestaltung stehenden Brachflächen schält sich dabei durch Bürger eine stetig wachsende Rolle. Es mehr und mehr als ein wichtiges Problem her- geht nicht mehr länger nur um eine „von oben“ aus, für das aber innerhalb des Programms, gesteuerte Stadtentwicklung, sondern auch um wie oben bereits gezeigt, kaum noch Mittel zur eine engagierte Mitbeteiligung seitens der Verfügung stehen. Anwohner und privater Akteure. Mit dieser Entwicklung werden auch die Ansprüche an im 4. Ansprüche an die neu entstehenden Rahmen des Umbaus neu entstehende Frei- Freiflächen flächen ausgeweitet. Die dauerhafte Umwidmung von Wohn- und Im Zuge des Stadtumbaus avancieren die Gewerbeflächen sowie von Flächen der Infra- neuen Freiräume, als „identitätsstiftende Mo- struktur ist in ihrer Dimension eine neue städ- mente“ für Quartiere, Städte und ganze Regio- tebauliche Aufgabe. An die neuen Freiflächen nen, zu Hoffnungsträgern, „denn, wenn Ge- werden zunächst einmal traditionelle Ansprü- bäude abgerissen und ganze Quartiere zu- che herangetragen; sie sollen vor allem zur rückgebaut werden, bleibt nur noch der Erholung dienen, etwa als kleine Parks, Grün- Frei(werdende)raum, der nun zum städtebau- flächen oder Spielplätze, und ganz allgemein lich prägenden Moment erklärt wird“ (Böhme, zur Verbesserung des Wohnumfeldes beitra- 2007). Zudem ändert sich der Gebrauch von gen. Es werden auch ökologische Ansprüche Freiräumen durch Bevölkerungsabnahme, formuliert, so sollen sie etwa zur Biotop- bzw. Alterung, Heterogenisierung und Vereinzelung, Grünvernetzung und damit auch zum Natur- was zunehmend einzelne Nutzergruppen wie schutz in der Stadt beitragen. Alte, Junge, Singles, Familien, Frauen und Darüber hinaus werden aber auch neue An- Männer, Deutsche und Migranten in den Vor- sprüche gestellt, wovon der wichtigste ist, dass dergrund rückt (Böhme, 2007). Es stellt sich die neuen Freiräume zur Imageaufwertung, zur die Frage, ob man mit traditionellen Angeboten positiven Darstellung des Schrumpfungspro- den neuen differenzierten Nutzungsansprü- zesses und seiner Folgen beitragen sollen. chen überhaupt noch gerecht werden kann. An Angestrebt sind demzufolge nicht nur einzelne deren Stelle treten „stadtungewöhnliche“ Nut- begrünte Parzellen, sondern es herrscht die zungen, wobei Freiflächen als kreative Räume Vorstellung einer „neuen Stadtlandschaft“ vor, begriffen werden. Dazu gehören die Gestal- in der die entstandenen Freiraumelemente tung als Erlebnis-, Kunst- und Naturraum, wie miteinander vernetzt werden (Kunz, 2004). wilde Gärten, Äcker, Eventorte etc. Die neuen Damit ist auch die Hoffnung verbunden, nicht Freiräume eignen sich in besonderer Weise für soziale Begegnungen und bieten die Chance 72 Stadtumbau und Freiflächenqualität

einer bürgerseitig konstruierten, abwechs- dermittel, im Hinblick auf eine angestrebte lungsreichen Stadtkulisse. Dabei spielt auch Revitalisierung ein Abriss der Gebäude und die Sicherheit dieser Flächen eine große Rolle, eine komplette Räumung der Flächen, die im wobei informelle Nutzungen etwa als Müllplatz, Flächennutzungsplan weiterhin als Industrie- Hundewiese, Platz für Drogenhandel, Schlaf- und Gewerbegebiet ausgewiesen blieben. War platz für Obdachlose etc. Probleme bereiten eine erfolgreiche Vermarktung nicht möglich können. oder konnten nur Teilbereiche wieder genutzt werden, so kam es besonders am Stadtrand 5. Strategien und Instrumente zur Freiflä- zu einer ungeplanten Wiedereingliederung der chenentwicklung Flächen in die umgebende Landschaft. Auf großen Flächen konnte so eine ungestörte Die Bandbreite gängiger Folgenutzungen auf Sukzession der Vegetation ablaufen (Abb. 1). Rückbauflächen reicht von der (kompletten) Aus ökologischer Sicht interessant, wird diese Räumung der Brachflächen, über Rückbau mit Entwicklung aber wegen der Dominanz von einfacher Begrünung oder Bewaldungen ohne Allerweltsarten aus Sicht des Naturschutzes genau definierte Nutzungsansprüche bis hin sehr differenziert betrachtet. Umstritten sind zur Entwicklung dauerhafter Grünflächen hierbei auch ästhetische Aspekte, und es fehlt (Parks, Grünzüge, Sport-, Spiel- oder sonstiger nicht selten die Akzeptanz durch die Stadtbe- Erholungsflächen). Die Renaturierung2 solcher wohner. Solche Flächen lösen Ängste aus und Flächen wird insbesondere für die Randberei- erinnern an den Niedergang ganzer Industrie- che der Städte zunehmend ins Auge gefasst. zweige und den damit verbundenen Verlust an Seit einigen Jahren werden besonders in ost- Arbeitsplätzen. deutschen Städten neue Strategien auspro- biert, bei denen mit Zwischennutzungen als temporäres Grün (Erholung, Events, Natur- schutz), aber auch mit unkonventionellen Lö- sungen für dauerhafte Grünflächen, wie der Gestaltung als Ausgleichsflächen, der Umwid- mung zu Landwirtschaftsflächen und Stadtwald sowie mit „Wildnis“ experimentiert wird. Unter- stützt wird die Renaturierung nicht mehr bau- lich genutzter Flächen sowohl durch das Raumordnungsgesetz (ROG 1997) als auch durch das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG 2002). § 2 Abs. 2 Nr. 8 ROG for- dert im Rahmen der Aufzählung der Grundsät- Abb. 1: Brache mit ungestörter Sukzession auf dem ehe- ze der Raumordnung, dass “bei dauerhaft nicht maligen Industriestreifen an der Elbe in Heidenau (Foto: mehr genutzten Flächen … der Boden in sei- M. Arendt) ner Leistungsfähigkeit erhalten oder wieder- hergestellt werden“ soll. § 2 Abs. 1 Nr. 11 des 5.2 Einfacher Rückbau BNatSchG schreibt vor, dass „nicht mehr be- Viele Rückbaumaßnahmen im Rahmen der nötigte versiegelte Flächen […] zu renaturieren Förderung „Stadtumbau Ost“ gestalten sich oder, soweit eine Entsiegelung nicht möglich schon jetzt als problematisch, da sie lediglich oder nicht zumutbar ist, der natürlichen Ent- einfache, teils desolate bzw. ungepflegte Frei- wicklung zu überlassen“ sind. Außerdem flächen hinterlassen, für deren Unterhaltung spricht sich die am 7. November 2007 von der sich niemand zuständig fühlt. In vielen Kom- Bundesregierung beschlossene „Nationale munen lässt sich ein Rückbau oder Teilrück- Strategie zur biologischen Vielfalt“ explizit für bau einzelner Gebäude innerhalb bestehender mehr Grün in Städten aus (BfN 2007). Siedlungen (Plattenbaugebiete, Gründerzeit- Im Folgenden sollen die genannten Beispiele quartiere) verfolgen, bei dem die Häuser zwar für gängige und neue Folgenutzungen städti- abgerissen werden (Abb. 2), die technische scher Brachen näher vorgestellt und deren Infrastruktur jedoch ggf. in der Erde verbleibt städtebaulicher, ästhetischer und ökologischer und verpresst wird und Straßen erhalten blei- Wert beleuchtet werden. ben. Frei werdende Flächen werden meist mit Rasen, manchmal auch mit ein paar Büschen 5.1 (Komplette) Räumung der Brachflächen oder Bäumen am Rand begrünt (Abb. 3). Im Flächennutzungsplan bleiben sie in der Regel Die Folgen der Stilllegungen großflächiger weiterhin als Wohngebiete ausgewiesen. An Industriegebiete besonders Anfang bis Mitte einigen Standorten des Stadtumbaus insbe- der 1990er Jahre sind teilweise bis heute nicht sondere in den Plattenbaugebieten lassen sich städtebaulich befriedigend gelöst. In vielen bereits hektargroße Flächennutzungslöcher im Fällen erfolgte, unter Einsatz massiver För-

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einstmals geschlossenen Stadtgefüge feststel- können. Ein gelungenes Beispiel hierfür ist der len. Oft gelingt es auch nicht, großräumige Grünzug Leipzig-Grünau (Planung und Umset- Grünverbindungen zu schaffen, vielmehr ent- zung 1993-1996), wo die brachliegende Trasse stehen Rückbaubrachen verstreut im Stadtge- einer ehemals geplanten Straße an der Grenze biet. So bleibt der ökologische Wert meist ge- zu ländlichen Gebieten günstige Vorausset- ring und sie haben nur einen eingeschränkten zungen für die Schaffung eines Grünzugs bo- Erholungswert. ten. Nach dem Abriss von Plattenbauten wur- den in dem Gebiet, das sich vorher durch ein Defizit an Grün- und Freiflächen auszeichnete, neue Freizeitmöglichkeiten und Grünflächen mit heimischen Gehölzen geschaffen (Abb. 4). Bei der Planung und Umgestaltung wurden Einwohner und lokale Institutionen einbezogen (URGE-Team, 2004). Solche Grünflächen haben in der Regel einen hohen Wert für Frei- zeitnutzungen (Abb. 5) und können bei ent- sprechender Gestaltung zur ökologischen Aufwertung des Stadtquartiers bzw. des ge- samten Stadtgebiets beitragen. Als problema- tisch kann sich die dauerhafte Erhaltung und Pflege darstellen, wobei mehr und mehr auch Abb. 2: Abriss von Plattenbauten in Dresden-Prohlis auf die Einbeziehung der Anwohner gesetzt (Foto: R. Bendner) wird.

Abb. 4: Neu geschaffene Grünflächen in Leipzig-Grünau (Foto: Stadt Leipzig).

Abb.3: Einfach begrünte ehemalige Brache in Dresden- Prohlis (Foto: R. Bendner)

5.3 Entwicklung dauerhafter Grünflächen Eine Reihe frei werdender Flächen wurden und werden aber auch dauerhaft zu Grünflächen umgewidmet. Größere Brach- oder Abrissflä- chen werden in Grünzüge mit dem Ziel einge- bunden, eine Verbesserung sozialer und öko- logischer Qualitäten zu erreichen und beson- ders am Stadtrand einen Übergang zur Land- schaft herzustellen. Mit der Verbesserung der

Lebensqualität und mit der erwarteten Image- Abb. 5: Öffentliche Kleingärten im Lehne-Voigt-Park in aufwertung wird die Hoffnung verbunden, zur Leipzig (Foto: J. Mathey). Verhinderung von Urban Sprawl beitragen zu

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5.4 Zwischennutzung als temporäres Grün Bei den meisten temporären Grünflächennut- zungen steht die Erholung im Vordergrund. Je Die Reaktivierung von kleineren Häuserbra- nachdem wie diese Flächen gestaltet und ge- chen, die verstreut in ganzen Stadtgebieten nutzt werden, können sie nebenbei oder ge- liegen, durch kommunale Maßnahmen stellt zielt auch einen Wert für die Verwirklichung sich aufgrund der gegebenen Eigentumsver- stadtökologischer Ziele haben bzw. Chancen hältnissen teilweise als schwierig dar. Private für den Naturschutz in der Stadt bieten. Flächeneigentümer fürchten bei „offiziellen“, selbst temporären Freiraumnutzungen bau- 5.5 Gestaltung als Ausgleichsflächen rechtliche Konsequenzen, verbunden mit Die Lenkung von ökologischen Ausgleichs- Wertverlusten ihrer Baugrundstücke. Um die maßnahmen auf innerstädtische Brachflächen Eigentümer zu motivieren, sich ihrer Brachen- ist für Städte eine wertvolle Chance, dem Na- probleme anzunehmen, wurde mit der Gestat- turschutz in urbanen Lebensräumen zur Gel- tungsvereinbarung (Heck, 2005, 2006) ein tung zu verhelfen. Bietet sie doch, angesichts Handlungsinstrument geschaffen, das eine knapper Haushaltskassen, die Gelegenheit, sinnvolle, zeitlich befristete öffentliche Nutzung die aus der Eingriffsregelung (§ 1a Abs. 3 brachliegender Privatgrundstücke unter Erhalt BauGB) resultierende Verpflichtung zur Kom- bestehenden Baurechts regelt. Es wird ein pensation von Eingriffen in die Natur gezielt für Vertrag zwischen Stadt und Eigentümer ge- stadtökologisch orientierte Maßnahmen und schlossen, bei dem Eigentümer ungenutzte zugleich für die Verbesserung der Lebensqua- Grundstücke mindestens fünf Jahre für konkre- lität der Bevölkerung einzusetzen (Mathey et te öffentliche Nutzungen (einfache Grünanla- al., 2003). Allerdings stehen aufgrund schwie- gen, Spielplätze, Nachbarschaftsgärten, riger Eigentumsverhältnisse sowie oft hoher Kunstaktionen usw.) zur Verfügung stellen. Als Vorfinanzierungskosten kaum geeignete Gegenleistung bietet die Stadt an, die Kosten Brachflächen zur Verfügung. Die ökologische für die Gestaltung und für eine begrenzte Be- Aufwertung beinhaltet meist die Durchführung treuung solcher Flächen zu übernehmen sowie von Entsiegelungs- und Begrünungsmaßnah- die Grundsteuer zu erlassen. Dadurch stieg die men. Allerdings stellt sich die Frage, inwieweit Bereitschaft von Eigentümern, Flächen für die Nutzbarkeit für die Stadtbevölkerung ge- unterschiedlichste Nutzungen zeitweise zur währleistet werden kann, wenn es sich um Verfügung zu stellen und damit mehr Chancen Naturschutzflächen handelt. Um Ausgleichs- für individuell gestaltete Lebensräume zu bie- maßnahmen gezielt in die Innenstädte zu len- ten (Heck, 2005, 2006). Vorreiter für temporäre ken, werden in einer Reihe von Städten kom- Freiraumnutzungen mittels Gestattungsverein- munale/interkommunale Flächenpools aufge- barung ist die Stadt Leipzig. Sie verfolgt als baut, die auch Brachflächen mit einbeziehen. zentrales Ziel: „Mehr Grün, weniger Dichte“. In Beispielsweise gibt es in Leipzig einen Stadt- ihren „Leitlinien für die städtische Erneuerung“ ratsbeschluss, der das Ziel formuliert, dass (Stadt Leipzig, 2005) werden unter anderem 50 % der Kompensationsmaßnahmen im eine höhere Quantität und Qualität öffentlicher Rahmen der Eingriffsregelung auf (innerstädti- Grün- und Freiflächen gefordert. Über Gestat- sche) Brachen gelenkt werden sollen (Auskunft tungsvereinbarungen konnten in Leipzig bisher 2 des Leipziger Umweltamtes). Mittlerweile gibt ca. 140.000 m neue Grün- und Freiflächen es auch einen interkommunalen Kompensati- entwickelt werden (Heck, 2005), die ein weites onsflächenpool, in dem ein Großteil der in Spektrum an Zwischennutzungen abdecken Frage kommenden Flächen erfasst ist. Aller- (Abb. 6). dings ist es hier, wie auch in anderen Städten, schwierig, Flächen für eine dauerhafte Begrü- nung zu finden. 5.6 Dauerhafte Umwidmung zu Landwirt- schaftsfläche oder Wald Die städtische oder stadtnahe Landwirtschaft hat durchaus Tradition (Lohrberg, 2000). Ab- hängig von der Art und Intensität der Bewirt- schaftung bieten agrarisch genutzte Räume auch vielfältige Erholungs- und Nutzungsmög- lichkeiten für Stadtbewohner (Lauinger, 2005). Die Diskussion um die verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien und der verstärkte Be- darf an Biomasseproduktion kann für Abriss- flächen in der Stadt eine wirtschaftlich attrakti- Abb. 6: Zwischennutzung als Grünfläche im Leipziger Osten (Foto: J. Mathey). ve Nachnutzungsoption darstellen. Eine aktuell laufende ExWoSt-Studie untersucht die Nut- 75 Juliane Mathey & Dieter Rink

zung städtischer Freiflächen für erneuerbare angelegt (BMVBW & BBR, 2004). In der In- Energien (BBR, 2007). Beispiele für landwirt- nenstadt wird Wald eingesetzt, um Baulücken schaftliche Nutzungen sind die Kurzumtriebs- zu schließen und damit die Illusion von Dichte plantagen in Halle-Neustadt und der Grüne und Kompaktheit aufrecht zu erhalten (z. B. Bogen in Leipzig-Paunsdorf, bei dessen Ge- „Dunkler Wald“ in Leipzig, Abb. 8). Derartige staltung Naturschutzaspekte und Erholungs- Waldflächen werden erst nach einem relativ bedarfe Berücksichtigung fanden (Abb. 7). langen Zeitraum raumwirksam und entspre- Welche landwirtschaftlichen Bewirtschaftungs- chen dann erst den gewohnten Bildern, was formen in Zukunft Nutzungsalternativen für neu zunächst zu Akzeptanzproblemen bei der Be- entstehende Freiflächen im städtischen Be- völkerung führen kann. reich sein können, wird von Flächengröße, Lage der Fläche im Stadtgefüge sowie den Standortvoraussetzungen (z. B. Bodenqualität) abhängen, nicht zuletzt aber auch davon, wel- che Akteure sich für die Bewirtschaftung fin- den. Eine häufig angestrebte Nachnutzungskatego- rie bei Renaturierungsprojekten ist Wald. Wald erfordert nicht zwingend eine Bodenneuord- nung und gewährleistet eine gesicherte lang- fristige Trägerschaft, in der Regel durch die Forstbehörden (BMVBW & BBR, 2004). Die Führung der Flächen im Sinne des Waldgeset- zes beinhaltet im Gegensatz zu konventionel- len Grünflächen deutlich geringere Anlage- und Pflegekosten, eine von gängigen städti- schen Freiräumen abweichende Verkehrssi- cherungspflicht (Haftungsproblem), deutlich geringere Bodenwerte, aber auch neue Nut- zungsmöglichkeiten, da die öffentliche Zugäng- lichkeit erhalten bleibt. Entsprechend dem Ziel eines Rückbaus von außen nach innen erfolgt Abb. 8: „Dunkler Wald“ auf ehemaligen Brachflächen in die Umwandlung in Wald vor allem am Stadt- Leipzig (Foto: I. Hartmann) rand, wodurch eine Verbindung bzw. Verzah- nung mit dem Umland hergestellt werden soll. 5.7 Experiment „Wildnis in der Stadt“ In Schwedt „Am Waldrand“ ist beispielsweise eine Aufforstung von Abrissflächen vorgese- In vielen Fällen läuft die Brachenentwicklung hen; in Weißwasser-Süd wurden forstartig jedoch ungeordnet ab. Je nachdem, wie lange Mischwaldkulturen angelegt, die nach vierjäh- eine Brache ungestört bleibt bzw. in welcher riger Entwicklungspflege an die Forstverwal- Weise sie noch genutzt wird, dominieren un- tung übertragen werden sollen. „Die Wald- terschiedliche Stadien der Vegetationsentwick- stadt“ in Halle-Silberhöhe wird im Randbereich lung mit den daran gebundenen Tierarten. Oft entstehen dadurch ökologisch wertvolle Habi- tatmosaiks (z. B. Wittig & Zucchi, 1993; Rebele & Dettmar, 1996; Kowark, 2004), die Möglich- keiten der Naturerfahrung bieten und wertvolle Erholungs- und Naturerlebnisräume sein kön- nen (Rebele, 2003). In der Stadtumbau- Debatte wird über Wildnis in der Stadt disku- tiert. Hier geht es aber nur teilweise um eine „freie Sukzession“ als ein vollkommenes Sich- Selbst-Überlassen der Flächen, sondern eher um „geordnete Sukzession“, also eine Mi- schung aus gestalteten, teilgepflegten und „wilden“ Bereichen. Die Verwilderung von Bra- chen wird nur akzeptiert, solange sie sich im

vorgegebenen Rahmen bewegt und sich ein- Abb. 7: Landwirtschaftliche Nutzung kombiniert mit Natur- fügt in das Raster neuer Freiflächen (Dettmar, schutz in Leipzig-Paunsdorf (Foto: Stadt Leipzig) 2002). Die „geordnete Sukzession“ entspricht einem vielgestaltigen Habitatmosaik, welches der Großsiedlung und an einen naturnahen gleichzeitig eine gewisse Ordnung ausstrahlt. Laubwald angrenzend als flächige Jungkultur 76 Stadtumbau und Freiflächenqualität

Diese neue Ästhetik findet eher Akzeptanz als langen, stehen etliche Nachteile gegenüber. undurchschaubare Wildnis. Außerdem können Diese bestehen etwa in der Fragmentierung im Vergleich zu herkömmlichen Grünanlagen von städtebaulichen Zusammenhängen, der bei der Gestaltung und Pflege erheblich Kos- Perforation der Stadt und der nicht selten ein- ten eingespart werden. Im Gegensatz zu der geschränkten Nutzbarkeit der neuen Freiflä- hohen Aufmerksamkeit, die dieses Thema in chen. Hinzu kommt, dass diese neuen Freiflä- der (Fach-)Öffentlichkeit genießt, spielt es im chen teilweise noch mit Resten städtischer Stadtumbau bislang kaum eine Rolle und es Infrastruktur durchsetzt sind. Mitunter nehmen finden sich nur wenige Beispiele. Auf einem sie in ihrem Erscheinungsbild auch den Cha- ehemaligen Militärgelände in Dresden-Nickern rakter von Brachen an und tragen somit zur wurde unter Erhalt vorhandener Spontanvege- Stigmatisierung bei. Der Stadtumbau führt tation eine Art „Ruderalpark“ entwickelt, der zwar zu vielen neuen Frei- und Grünflächen, Wildnis und natürliche Sukzession mit einbe- allerdings auch zu einem Verlust an Gestalt zieht (Abb. 9). Allerdings sind der gestalteri- und Nutzungsqualität, gemessen an bestehen- sche Wert und die Nutzungsqualität solcher den Standards und daraus abgeleiteten An- Flächen umstritten und die Akzeptanz bei der sprüchen an Freiflächen. Damit erhält die Frei- Bevölkerung gering (Rink 2004; Heydenreich, raumplanung in schrumpfenden Städten eine 2006). wachsende Bedeutung und wird zu einem der „wichtigsten Instrumente der Stadtentwicklung“ (Kunz, 2004). Im Stadtumbau werden den neuen Freiflächen auch städtebauliche Aufgaben und Funktionen übertragen, es fragt sich aber, ob sie diese auch erfüllen können. Denn es entstehen nicht auf Anhieb die neuen Freiraumqualitäten, die in den integrierten Stadtentwicklungskonzep- ten angestrebt werden. Vieles wirkt vorerst noch wie einzelne Teile eines Puzzles oder Mosaiks, dessen Umrisse noch nicht erkenn- bar sind, oder trägt vorläufigen und vorüberge- henden Charakter. So ist beispielsweise noch nicht klar, was aus den Experimenten mit Suk- Abb. 9: „Geordnete Sukzession“ auf ehemaligem Militärge- zession wird. Vieles mit dem jetzt experimen- lände in Dresden-Nickern (Foto: J. Mathey) tiert wird, wird als Einbuße empfunden; dazu gehören insbesondere Formen der extensiven 6. Fazit: Neue Freiflächenqualitäten durch Pflege, Wildnis und Sukzession. Viele Städte Stadtumbau? werden vorübergehend bzw. auf längere Zeit mit Freiflächen leben müssen, die erst allmäh- Mit dem Stadtumbau hat sich ein neuer Expe- lich ihre ästhetischen Qualitäten ausprägen rimentier- und Möglichkeitsraum in Bezug auf werden (Rink, 2004). Da die Planungspraxis die Gestaltung und Nutzung innerstädtischer weitgehend an den bekannten Freiraumtypen Freiräume geöffnet. Den neuen Möglichkeiten festhält (Rößler, 2007), dürfte trotz finanzieller und Chancen stehen vielschichtige Hemmnis- Restriktionen die dauerhafte Umwandlung se, in erster Linie finanzieller, aber auch recht- nicht mehr für eine Bebauung benötigter Flä- licher Art gegenüber. Sie können nicht allein chen in städtische Grünflächen konventioneller mit herkömmlichen Strategien überwunden Gestalt und Funktion (z. B. Parks, Spiel- und werden, sondern erfordern neue Kooperations- Freizeitanlagen, Kleingärten) die häufigste Art formen. Dies gilt auch für den Umgang mit der Nachnutzung auf innerstädtischen und veränderten Nutzungsanforderungen an Frei- wohnungsnahen Rückbauflächen bleiben. räume. Insgesamt ist eine Bewusstseinsände- Städtische Grünverwaltungen sind jedoch bei rung erforderlich, weg vom Wachstum hin zu sinkendem Budget bereits ohne zusätzliche einer neuartigen Kombination aus Wachstum Rückbauflächen kaum noch in der Lage, die und Schrumpfung. Leitbilder, die auf eine ge- Pflege ihrer Grünflächen abzudecken. Daher gliederte oder fragmentierte Stadtstruktur aus- dürften in Zukunft neue Freiraumtypen neben gerichtet sind, erscheinen eher geeignet, Ori- die bekannten treten, insbesondere solche, die entierungen für die neuen Freiräume abgeben stärker Formen der Sukzession aufweisen. So zu können (Rößler, 2007). lässt sich das Abenteuer Sukzession einer Den Vorteilen des „neuen Grüns“, wie die Ver- wachsenden Zahl von Stadtumbaustädten besserung der Freiflächenausstattung, die voraussagen (Kil 2005, S. 12), verwildern wer- damit verbundene ökologische Aufwertung den sie aber deswegen noch lange nicht. Ein oder die Berücksichtigung von Naturschutzbe- Ergebnis des Stadtumbaus wird sein, dass es

77 Juliane Mathey & Dieter Rink

in den betroffenen Städten mehr Natur geben stelle Stadtumbau Ost (2006). Erster Sta- wird, die sich selbst stabilisiert. Angesichts der tusbericht "Stadtumbau Ost – Stand und gravierenden Veränderungen, denen das Perspektiven". Erkner. Berlin. Stadtbild im Zuge des Umbaus ohnehin unter- BMVBS & BBR (Bundesministerium für Ver- worfen wird, erscheinen diese Veränderungen kehr, Bau- und Stadtentwicklung & Bun- aber eher zweitrangig. Zusammenfassend desamt für Bauwesen und Raumordnung) lässt sich sagen, dass mit dem Stadtumbau (2007). 5 Jahre Stadtumbau Ost – Eine und dem Vorhandensein von mehr Grün nicht Zwischenbilanz. Zweiter Statusbericht der unmittelbar eine Qualitätssteigerung im her- Bundestransferstelle. Bonn. kömmlichen Sinne verbunden sein wird. Die BMVBW (Bundesministerium für Verkehr, Bau- Bevölkerung wird sich an eine neue Qualität und Wohnungswesen) (2001). Wettbewerb der Städte und ihrer neuen Freiräume erst Stadtumbau Ost. Für lebenswerte Städte gewöhnen müssen. Und vielleicht liegt ja das und attraktives Wohnen. Berlin. Neue in einem Perspektivenwechsel, der einen BMVBW & BBR (Bundesministerium für Ver- anderen Blick auf die neuen Freiräume ermög- kehr, Bau- und Wohnungswesen & Bun- licht. desamt für Bauwesen und Raumordnung) (2004). Zwischennutzungen und neue Freiflächen. Städtische Lebensräume der

1 Zukunft. Berlin. Der Begriff „perforierte Stadt“ wird im Sinne von Kil et al. Böhme, C. (2007). Die „grüne“ Stadt – urbane (2003) verstanden als Durchlöcherung der Stadt, ver- bunden mit fortschreitenden Umverteilungsprozessen. Qualitäten durch Freiraumentwicklung. In:

2 Deutsche Zeitschrift für Kommunalwissen- Der Begriff „Renaturierung“ wird hier nicht im engeren schaften. J. 46, Heft 1. S. 5-9. naturschutzfachlichen Sinn verwandt, sondern im Sinne des BMVBW & BBR (2004) werden darunter Stadtum- Broggi, M. F. (1999). Ist Wildnis schön und bauprojekte verstanden, die in ihrer Grundkonzeption „nützlich"? In: Konold, W.; R. Böcker & U. auf eine temporäre oder dauerhafte Umwandlung von Hampicke, (Hrsg.). Handbuch Naturschutz Bauland zu Grün- und Freiflächen angelegt sind. und Landschaftspflege. Ecomed. Lands- berg. S. 1-7. Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) vom Literatur 25. März 2002 (BGBl. I S. 1193), zuletzt Baugesetzbuch (BauGB) in der Fassung der geändert durch Artikel 3 des Gesetzes Bekanntmachung vom 23. September vom 10. Mai 2007 (BGBl. I S. 666). 2004 (BGBl. I S.2414), zuletzt geändert Dettmar, J. (2002). Alternative Wildnis. In: durch Artikel 1 des Gesetzes vom 21. De- Garten + Landschaft. Heft 5. 2002. S. 15- zember 2006 (BGBl. I S.3316). 17. BBR (2007). ExWoSt-Programm. Forschungs- Expertenkommission Wohnungswirtschaftli- projekt „Nutzung städtischer Freiflächen cher Strukturwandel in den neuen Bundes- für erneuerbare Energien“. ländern. Bericht Berlin 2001. Benke, C. (2004). Historische Umbrüche – Gatzweiler, H.-P., Meyer, K. & Milbert, A. Schrumpfungen und städtische Krisen in (2003). Schrumpfende Städte in Deutsch- Mitteleuropa seit dem Mittelalter. In: Städte land? Fakten und Trends. In: Informatio- im Umbruch. Das Online Magazin. Ausg. nen zur Raumentwicklung. Heft 10/11. 1. Berlin. S. 7-14. S. 557-574. http://www.schrumpfende-stadt.de/magazin.- Hannemann, C. (2003a). Zukunftschance htm (Auszug vom 07.09.2007). Schrumpfung – Stadtentwicklung in Ost- Bernt, M. (2005). Vier Jahre „Stadtumbau Ost“. deutschland – eine Skizze. In: Hager, F. & Der schwierige Umgang mit der Schrump- W. Schenkel (Hrsg.). Schrumpfungen. fung. In: Blätter für deutsche und internati- Wachsen durch Wandel. Ideen aus den onale Politik. Natur- und Kulturwissenschaften. Mün- BfN (Bundesamt für Naturschutz) (2007). Nati- chen. S. 99-105. onale Strategie zur biologischen Vielfalt Hannemann, C. (2003b). Schrumpfende Städ- (am 7. November 2007 von der Bundesre- te in Ostdeutschland – Ursachen und Fol- gierung beschlossen). gen einer Stadtentwicklung ohne Wirt- BMVBS & BBR 2006 (Bundesministerium für schaftswachstum. In: Aus Politik und Zeit- Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung & geschichte. Beilage zur Zeitschrift DAS Bundesamt für Bauwesen und Raumord- PARLAMENT. Band 28. S. 3-8. nung) (2006). Stadtumbau Ost – Stand Heck, A. (2005). “STADTHALTEN” – Leipzig. und Perspektiven. Erster Statusbericht der Temporäre Nutzungen in urbanen Bundestransferstelle. Bonn. Räumen. In: Planerin. 01/05. S. 45-47. BMVBS (Bundesministerium für Verkehr, Bau- Heck, A. (2006). Gestattungsvereinbarungen und Stadtentwicklung) & Bundestransfer- als Handlungsinstrument der Stadtent-

78 Stadtumbau und Freiflächenqualität

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79 Juliane Mathey & Dieter Rink

Anschriften Prof. Dr. Dieter Rink Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) Helmholtz Centre for Environmental Research (UFZ) Permoserstr. 15, D-04318 Leipzig Email: dieter.rink@ufz .de

Dr. Juliane Mathey Leibniz-Institut für ökologische Raumentwick- lung e. V. (IÖR) Leibniz Institute of Ecological and Regional Development (IOER) Weberplatz 1, D-01217 Dresden Email: [email protected]

80 CONTUREC 3 (2008) Seite 81 bis 93

Micro-scale simulations of vegetation influence on traffic induced particle dispersion

Mikroskalige Simulierung des Einflusses von Vegetation auf die Verbreitung ver- kehrsbedingter Partikel

ANNETT WANIA, MICHAEL BRUSE & CHRISTIANE WEBER

Summary One oft the main challenges for urban planning is to mitigate the deleterious effects of urbanisation in order to guarantee the quality of life in cities. Air pollution affects health and the quality of life espe- cially in urban areas. Despite tighter emission standards, better air quality monitoring and decreasing levels of pollutant concentration, pollutants emissions won’t fall under certain limits. Additional to emis- sion prevention it is necessary to look for solutions for air pollution compensation in the urban pattern. Urban planning might possibly take action and develop solutions and new planning strategies. In this context urban vegetation plays an important role. Vegetation is known to be an urban element that potentially compensates some environmental draw- backs of urbanisation. Nowadays, city development usually promotes urban green. However, despite the knowledge on the various benefits of urban vegetation, planning uses vegetation above all as an element of urban design and the ecosystem functions are not entirely exploited. We support the idea to improve actual planning practice in order to optimise the impact of vegetation cover in the urban fabric. In our study we concentrate on the effects of urban vegetation on air quality, especially on the disper- sion of pollutants at the street level. Using a three-dimensional microclimate model (ENVI-met®), we evaluate the effects of urban green (such as street trees and hedges) on the distribution of traffic in- duced particles (PM10). We evaluate the effect of different vegetation configurations (different vertical and horizontal densities) in different street canyon configurations. The results show that street vegeta- tion might not only prevent pedestrians from pollutants exposure but also increase the concentration. Purpose of the project is to provide arguments for sophisticated urban green planning. Urban green, air quality, micro-scale simulations, particle dispersion.

Zusammenfassung Die negativen Auswirkungen der Urbanisierung stellen die Stadtplanung heutzutage vor besondere Aufgaben. Ziel einer nachhaltigen Stadtentwicklung ist die Sicherung der Lebensqualität in Städten. Trotz strengerer Emissionsauflagen, besserer Überwachung der Luftqualität und abnehmender Luft- schadstoffkonzentrationen wird sich die Luftqualität weiterhin negativ auf die menschliche Gesundheit auswirken. Neben Strategien zur Vermeidung von Schadstoffemissionen ist es folglich notwendig, nach Kompensationslösungen im städtischen Raum zu suchen. Die Stadtplanung kann diesbezüglich eingreifen und entsprechende Strategien entwickeln. In diesem Zusammenhang ist die städtische Vegetation von zunehmendem Interesse, da sie die negativen Umweltauswirkungen der Urbanisie- rung teilweise kompensieren kann. Stadtgrün wird in der Planung heute allgemein gefördert. Trotz der Kenntnisse über die verschiedenen positiven Effekte wird Vegetation in der Planung nach wie vor vorrangig für die Landschaftsgestaltung verwendet, wobei wenig Vorteil aus den eigentlichen Ökosys- temfunktionen gezogen wird. Wir halten es folglich für notwendig, die aktuelle Planungspraxis zu ver- ändern, um die Funktion der Stadtvegetation innerhalb des städtischen Raumes zu optimieren. Im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung steht der Einfluss von Vegetation auf die Luftqualität und insbesondere auf die Verteilung von Luftschadstoffen im Straßenraum. Unter Verwendung eines dreidimensionalen mikroklimatischen Modells (ENVI-met®) wurde der Einfluss von städtischem Grün (Straßenbäume und Hecken) auf die Verbreitung von verkehrsbedingten Partikeln (PM10) analysiert. Es wurde der Effekt verschiedener Vegetationskonfigurationen (vertikale und horizontale Dichte) in verschiedenen Straßenschluchten untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass durch Straßenvegetation die Schadstoffexposition von Fußgängern nicht nur verringert sondern auch erhöht werden kann. Ziel der Untersuchung ist es, Argumente für eine verbesserte Grünflächenplanung zu liefern. Städtisches Grün, Luftqualität, mikroskalige Simulationen, Partikelverteilung.

81 Annett Wania, Michael Bruse & Christiane Weber

1. Introduction the influence of obstacles like trees, kiosks and cars on the flow (Gayev & Savory, 1999). In Air pollution affects health and the quality of life studies focusing on the dynamics of flows in especially in urban areas. It is estimated that built environments, the influence of street trees more than one billion people are exposed to on ventilation - particularly wind speed reduc- outdoor air pollution annually (UNEP, 2007). tion - was shown to be important (Ries & Eich- Urban air pollution is linked to up to one million horn, 2001). Trees can be considered to be premature deaths and one million pre-natal obstacles but, in contrast to cars, buildings and deaths each year. Traffic-induced emissions other obstacles, they are permeable, i.e. air are major sources of air pollutants in urban flows can penetrate into the tree canopy. Al- areas (Fenger, 1999; Colvile et al., 2001; Ket- though this effect has been described in the zel & Berkowicz, 2004). Despite significant literature, little knowledge exists about its con- reduction of emissions due to technological sequences in built environments and especially improvements, motorized transport has lead to the main influencing parameters. problems of higher vehicular exhaust emis- sions and traffic-induced emissions account for Combining all of these points leads to the fol- up to half of the main urban pollutants (Stan- lowing conclusion: from one perspective, the ners & Bourdeau, 1995; Fenger, 1999). Many ability of vegetation to remove pollutants posi- of the substances that are directly emitted by tively influences air quality, but from another, vehicles or indirectly produced through photo- trees and bushes might inhibit street ventilation chemical reactions represent a serious hazard and locally deteriorate air quality. Based on for human health (Hoek et al., 2000; Dab et al., this knowledge, this study aims to evaluate the 2001). role of urban vegetation objects such as trees and bushes for pollution dispersion in built Although emission levels could be reduced in environments, with specific attention to its role terms of fuel quality and emission reduction in the removal of pollutants and its influence on technologies, they will not fall under certain ventilation. The evaluation is performed using limits and will continue deteriorating the air we computational modelling. This method has the breathe. In this context vegetation gained in- advantage that the influence of governing pa- creasing interest as it can help in reducing rameters can be better evaluated individually, pollutants and there is evidence about the while in field measurements all governing pa- removal of pollutants by plants. The retention rameters are simultaneously operating and it is of particles on plant leaves was demonstrated consequently difficult to determine which pa- with chemical analysis (i.e. analysis of the type rameters are significant or insignificant. In and quantity of substances on plant leaves, complex environments like urban areas it is Freer-Smith et al., 1997; Beckett et al., 1998; nearly impossible to identify similar model ar- Ould-Dada & Baghini, 2001; Thönnessen, eas with the same base conditions (wind flow, 2002; Freer-Smith et al., 2005). The absorption thermal stratification, solar radiation conditions, of gaseous pollutants into the plant tissue has building geometry, and street configuration) been quantified in chamber experiments (Hill, and different vegetation conditions. 1971; Bennett & Hill, 1973).

Urban planning promotes tree plantings in general, even in narrow streets, arguing for the 2. Methods positive effect of urban vegetation in general, 2.1 The ENVI-met model but mainly based on the well known thermal The simulations were carried out using the benefits. However, little is known about the microscale microclimate model ENVI-met ver- influence of the same trees on the air pollution sion 3.0 (Bruse & Fleer, 1998; Bruse, 1999; load in the street. In reality, no official recom- see www.envi-met.com). ENVI-met is based mendations exist on reasonable tree plantings on the fundamental laws of fluid- and thermo- and consequently the choice is mainly influ- dynamics (Computational Fluid Dynamics enced by landscape architectural and horticul- model) and uses the Eulerian approach for the tural aspects as well as arguing for the climatic calculation of mass, momentum, and energy benefits. budgets. The choice of the model for this study However, ventilation is especially disturbed in was mainly influenced by its capability to simu- densely built structures and several studies late the influence of plants on the atmospheric identified problems with ventilation and pollut- conditions in a built environment on a micro- ant dispersion in narrow streets (Oke, 1988; scale. It combines the simulation of processes Gerdes & Olivari, 1999). Some studies cited

82 Mikroskalige Simulierung des Einflusses von Vegetation

Fig. 1: Vegetation scenarios - configuration of model areas: a) vertical cut with trees, b) and c) horizontal cuts of model areas where b) scenario with the continuous row of trees and hedge and c) widely spaced row of trees. 3D view of model areas (as- pect ratio 0.5) with the main vegetation scenarios (d) and detailed views into the canyon (aspect ratio 0.9) (e). induced by the plants metabolism with atmos- 2.2 Model configuration pheric processes happening in the upper at- Street canyon configuration mospheric layer of built microenvironments. To account for vegetation’s influence on atmos- The influence of vegetation cover on the dis- pheric processes, all prognostic equations in persion of traffic-induced particles was simu- the model are extended into the vegetation lated for two intersecting streets flanked by layers using source/sink terms describing heat, continuous buildings on both sides. The model humidity and momentum exchanges. area covers 180x180 m and reaches a vertical Source/sink terms are mainly solved by an height of 72 m. The size of the grid cells was integrated vegetation model. In the model each set to 3 m. Three different street configurations plant is treated as a one-dimensional, perme- were defined. The main parameter that we able column that is subdivided into layers de- used for defining them is the distance between fined by the Leaf Area Density (m2/m3). For the buildings (i.e. the width of the street). An more information on the parameters and equa- important general characteristic of street can- tions, refer to Bruse & Fleer (1998), Bruse yons is their height-to-width (H/W) ratio, where (1999), and the online manual with scientific H is the building height and W is the width of documentation (Bruse, 2007). the street canyon. We have chosen to analyse the pollutant dispersion in one wide or ‘avenue’ canyon (aspect ratio 0.5) and two narrow can- yons (aspect ratios 0.9 and 1.2) (Figure 1 a, b).

83 Annett Wania, Michael Bruse & Christiane Weber

The selection of these aspect ratios was based the source. The two trees were defined in both on research findings on flow fields in street a continuous and a widely spaced row parallel canyons (Ahmad et al., 2005) and typical street to the buildings and the source. The vertical configurations occurring in the city of Stras- and horizontal cuts of the canyons with the bourg (France). According to the latter, streets vegetation scenarios are shown in Figure 1. in densely built-up city districts show a ten- The horizontal cuts (b, c) show the position of dency towards higher aspect ratios and closed sources and the configuration of the hedge and façades. Wide streets (aspect lower than 0.5) tree rows with (b) continuous row and (c) are usually flanked by only a few buildings. In widely spaced row of trees. contrast, higher aspect ratios tend to be flanked by continuously built-up façades. The highest aspect ratio found in Strasbourg is 1.0. This aspect ratio is present in ten percent of the streets. It occurs mainly in areas where most of the population is concentrated like city centres and the residential districts close to the centre. All canyons are symmetric, i.e. same building height on both sides and flat roofs have been assumed. An intersection was chosen in order Fig. 2: Main characteristics of the five defined vegetation to reduce the number of necessary simula- scenarios. tions. Accordingly, only two wind directions were analysed: 180° and 225°. Figure 1 shows Further varying parameters are the leaf area the approaching inflow directions with respect density (LAD) and the crown shape (Figure 3). to the buildings. Accordingly, the 180° direction One of the trees has no distinctive crown and simulates wind flows blowing along the street sparse leaves while the other one is a densely axis and perpendicular to the canyon, while in foliated tree with a distinct crown (Figure 3 b, the 225° direction, the wind blows in an oblique c). Both trees have a leafless base up to 2 m direction. The wind speed at 10 m was set to 1 (Figure 3 a). While the vertical density of the and 3 m/s to simulate a calm situation and a crown of the less densely foliated tree in- situation with a distinct wind. Meteorological creases only slightly between the leaf base parameters for the model initialisation were set and the top, the crown of the very densely to those of a typical mid-latitude summer day. foliated tree is distinct and reaches its maxi- Each simulation was run for one hour. mum density between 6 and 7 m. In each canyon a linear pollutant source is Each vegetation scenario was run for each of situated in the centre or, in the case of the the three aspect ratios with both wind direc- avenue canyon, parallel to the centreline of the tions and both wind speeds. canyon (see Figure 1 b, c). Except from the avenue canyon, the source in each model area 3. Results consists of one single line. The source emits PM10 (particulate matter with a diameter of 10 3.1 Air flow and particle concentration in the µm) at 0.3 m height with a constant rate of situation without vegetation 11.3 µg/(s*m) in all simulation runs. The emis- The climatic conditions within the street can- sion value was taken from the STREET data- yons are primarily controlled by the micro- base (provided by the Alsacian organisation for meteorological effects of urban geometry air quality observation ASPA, 2000) and corre- rather than the mesoscale forces controlling sponds to the emission rate at the morning the climate of the urban boundary layer rush hour (7 - 8 am) for a street with medium (Hunter et al., 1992). Ventilation and conse- traffic flow (10.000 vehicles per day, 4 % heavy quently particle dispersion depend on the air vehicle transport). For the avenue canyon, the flows occurring at different levels within the emission value of each of the two lines was street canyon. They are determined by the accordingly set to half of the total emission local wind field that depends on canyon ge- rate. ometry and the approaching wind flow direction Vegetation scenarios and speed. The wakes around the buildings – the region of flow immediately surrounding a Two different trees with a height of 10 m and a building and following the main recirculation 1.5 m high hedge are used to set up vegetation zone – are disturbed at closer spacing. scenarios (Figure 2). The hedge was defined in a continuous row parallel to the buildings and

84 Mikroskalige Simulierung des Einflusses von Vegetation

Fig. 3: Vegetation objects: a) leaf area density profile of the three vegetation objects (source: ENVI-met plant database), b) example of a sparsely foliated tree, and c) example of a densely foliated tree. Note the LAD profiles do not reflect the physical shape of objects. The main flow outside the canyon is increas- canyons the circulating vortex transforms into a ingly modified and experiences deflection and helical vortex along the length of the canyon wind speed changes with decreasing distance that suppresses ventilation (Nakamura & Oke, to the building structure. Deflection occurs at 1988). With perpendicular inflow in deeper building walls leading to wind speed reduction, canyons, the bulk of the outer flow does not deflection and formation of recirculation re- enter the canyon and is associated with a re- gions. In general, increased turbulence and duced exchange between the canyon and the formation of intermittent vortices occur at the flow outside. Inside the canyon a single cross- corners of buildings (Oke, 1988; Ahmad et al., canyon vortex is established (skimming flow 2005). regime described by Oke, 1988). The secondary flow inside the canyon is char- Reduced wind speed leads to reduced ex- acterised by lower wind speed and down-drafts change and ventilation and the described at the windward wall, reverse flow at the bot- down- and upward flows as well as vortexes tom and updrafts at the leeward wall (Figure are restrained and slowed down. 4). The bulks of downward and upward flows Particle concentrations are a result of the de- are disturbed with increasing aspect ratio. scribed flow conditions. In general, con- Oblique inflow generally leads to better ventila- centrations increase with aspect ratio (Figure tion with lee- and windward regions occurring 5). Besides the volume of the canyon this is on the respective canyon side and a vortex due to the rate at which the canyon can ex- circulating across the canyon. A bulk of down- change air vertically with the ward flow blows air from above inside the can- above roof-level. The highest particle concen- yon at the windward building, crosses the can- trations occur in close vicinity to the source, yon and moves upwards on the opposite side and decrease with increasing distance from the (Figure 4 a - c, g - i). With parallel inflow no source (Figure 5). The highest particle concen- such zones occur and the longitudinal velocity trations, away from the source, are typically component is proportional to the velocity above found in the wake of the upwind walls (lee- the canyon. Perpendicular inflow leads to a ward). These poorly ventilated regions are very homogeneous flow field with generally low characterised by weak mixing of pollutants, velocity. At wide spacing between the canyon resulting in a long residence time for exhaust walls, the down- and upward flows induce ven- emissions and consequently higher con- tilation (Figure 4 d) while at smaller spacing the centration rates. This effect is stronger in the bulk of the outer flow does not enter the can- canyons with ratios 0.9 and 1.2 and visible in yon (Figure 4 e, f). the simulation with oblique inflow before the With increasing aspect ratio, the ventilation is intersection (Figure 5 a - c). Parallel inflow reduced and the described up- and downward promotes particle accumulation (Figure 5 j - l). flows decrease. With oblique inflow in deeper

85 Annett Wania, Michael Bruse & Christiane Weber

Fig. 4: Vertical wind flow (uz) in the three canyons at the higher wind speed (3 m/s) for different inflow directions (section 1 and 2). Blue colours indicate downward flow, green to magenta upward flow. Distance between isolines 0.1 m/s.

Fig. 5: Particle concentration in the calm wind simulation with different inflow directions (section 1 and 2): vertical distribution with oblique inflow (a - c, g - i), perpendicular inflow (d - f), and parallel inflow (j - l). Distance between isolines 0.5 µg/m3. The highest values occur at the intersection Additionally, the higher concentrations after the where the flows and the sources converge and intersection are due to increased deflection, concentrations are generally higher after the turbulence and reduced wind speed in general. intersection (compare Figure 5 a - c with g - i).

86 Mikroskalige Simulierung des Einflusses von Vegetation

Fig. 6: Influence of vegetation on particle concentration for inflow 225° and 1 m/s at 1.8 m height. Comparison between the simulations without vegetation (reference case cref) with the hedge and the four tree scenarios (vegetation scenarios cveg). Red indicates increase and green decrease of concentration induced by vegetation.

Higher wind speed (3 m/s) reduces particle 3.2 Influence of vegetation on particle con- concentrations in general. With oblique inflow centration the effect is stronger at the windward sides and To evaluate the influence of vegetation on before the intersection. High velocity perpen- particle dispersion in the street canyons, the dicular inflow in the two deeper canyons (as- simulation without vegetation (reference) was pect ratio 0.9 and 1.2) leads to a concentration compared to each of the five vegetation sce- increase probably due to reduced exchange narios. The comparison was performed for respectively reduced inflow of air from outside both wind directions and wind speeds and the canyon. This effect is not observed in the focuses on the grid cells at the height of the avenue canyon. human respiratory system that covers the height between 1.2 and 1.8 m. Figure 6 shows the results for the simulation with oblique inflow (225°) and calm wind

87 Annett Wania, Michael Bruse & Christiane Weber

(1 m/s). The results for the scenario with inflow direction of 225°. The sparsely foliated hedges on both sides of the canyon reveals tree rows induce a slight concentration reduc- slight modifications in the canyons with aspect tion after the intersection in the canyons with ratio 0.9 and 1.2 (Figure 6 b, c). Con- aspect ratio 0.9 and 1.2. Rows of densely foli- centrations are slightly reduced in the streets ated trees lead to a concentration increase in after the intersection. No changes occur in the the along-wind street before the intersection avenue canyon (Figure 6 a). The sparsely and in the street with perpendicular inflow. The foliated tree rows induce no changes (Figure 6 effect is weak in the avenue canyon and in- d-e). The highest changes are induced by the creases with aspect ratio. rows of densely foliated trees leading to a con- Figure 7 shows the vertical dimension of the centration increase in general (Figure 6 j -o). effect induced by the continuous rows of The increase is higher before the intersection densely foliated trees that induce concentration and rises with aspect ratio. The effect is changes even in the avenue canyon. The stronger for the continuous row of trees (Figure changes are stronger in the two deeper can- 6 m - o). The higher increase at the source yons (e.g. Figure 7 b - c). Differences are refers to an inhibition of dispersion and conse- higher at the bottom near the source and de- quently inhibition of dilution. Furthermore, the crease with height and distance to the source. increase is higher at the leeward canyon side. The changes are higher in the simulation with For an inflow of 180° the same tendencies oblique wind and in this case, changes are apply but with a different pattern. Modifications smaller at the windward side (Figure 7 a - c, g - concern above all the along-wind street. The i). Perpendicular inflow induces only slight hedge leads to concentration reduction after changes (Figure 7 d-f). At parallel inflow the the intersection in the two deeper canyons and increase occurs only in close proximity to the no changes in the avenue canyon. The differ- source (Figure 7 j - l). ences are higher than in the simulation with an

Fig. 7: Influence of continuous rows of densely foliated trees on particle concentrations (view into the canyons), simulation with wind speed 1 m/s (reference case cref, vegetation scenarios cveg): oblique inflow a - c and g - h, perpendicular inflow d - f, and parallel inflow j - l. Distance between isolines 0.25 µg/m3.

88 Mikroskalige Simulierung des Einflusses von Vegetation

Vegetation might suppress the positive ventila- canyons significant reductions occur close to tion effect of high wind speed observed in the the hedge and tree rows, the disturbance of reference case. With higher wind speed the the flow encroaches on the entire width of the concentration increase induced by trees is deeper canyons. generally higher than in the calm wind simula- Figure 8 shows the changes in wind speed tion. The differences are higher than with calm induced in the canyon with aspect ratio 0.9 by wind after the intersection and smaller before the continuous rows of hedge and the densely the intersection. These observations refer to an and sparsely foliated trees (simulation with attenuation of the ventilating effect of higher 1 m/s). The hedge influences the flow mainly wind speed by vegetation in built environ- within the first 6 m (Figure 8 a - d). Trees lead ments. to a slow down within the crown and a smaller

velocity reduction below the crown (Figure 8 e- 3.3 Influence of vegetation on wind speed l). Their influence affects wind speed up to 12- The observed concentration increase induced 15 m. The changes are higher for the densely by vegetation can be explained by the reduc- foliated trees than for the sparsely foliated tion of wind speed and consequent inhibition of ones that affect wind speed generally very few. ventilation. In general, wind speed reductions The improved ventilation with high wind speed lead to a reduced mixing inside the canyon and is suppressed by tree and hedge plantings. a reduced inflow of fresh air. Velocity reduction The most affected areas are deeper canyons increases with aspect ratio and vegetation and the leeward canyon sides. density. While in the wider

Fig. 8: Influence of vegetation on wind speed in the canyon with aspect ratio 0.9 for the simulation with wind speed 1 m/s (refer- ence case uref, vegetation scenarios uveg). Comparison of the scenarios hedge (a - d), sparsely foliated tree (e - h), and densely foliated tree (i - l) for different approaching inflow directions (continuous row scenarios for both trees).

89 Annett Wania, Michael Bruse & Christiane Weber

Fig. 9: Total deposed particles on a hedge and a densely foliated tree at different wind speeds. Values of hedge/tree in sections 1 and 2 of the canyon with aspect ratio 1.2 (sum of vegetation layers). Simulation with a) and b) oblique inflow, c) perpendicular inflow, and d) parallel inflow.

3.4 Particle removal by plants that in this case the removal rates do not bal- ance the accumulation of particles in the air. To explain the concentration changes induced by vegetation, we analysed the removal rates 4. Discussion for the hedge and the densely foliated tree. Figure 9 shows the different removal rates, The effect of vegetation on particle dispersion which we defined as the cumulated values of was analysed in simplified, symmetric street deposed particle mass during one hour canyons. Some parameters are not included in summed over all vegetation layers with the analysis that might influence the results. LAD > 0. The four diagrams reflect the situa- First, dispersion of pollutants in street takes tion with three different inflow directions (paral- place under joint influence of natural and vehi- lel, perpendicular and two oblique inflows). The cle-induced air motions. Studies have shown removal rates are generally higher for the that turbulence induced by moving vehicles hedge. They are higher in the situations with affects the air flows close to the source and increased particle concentrations, i.e. after the above the road and dominate even over natu- intersection with oblique inflow (b), with per- ral winds (Kastner-Klein et al., 2001). This pendicular inflow (c), and on the leeward side additional turbulence might even reduce pol- in general. The removal rates increase with lutant concentrations at the pedestrian level aspect ratio. (Pearce & Baker, 1997). Second, other canyon parameters like the roof shape, canyon sym- The slightly positive influence of the hedge on metry (e.g. different building heights), or the atmospheric particle concentrations in the canyon length were not investigated. It is esti- deeper canyons can be explained by the ob- mated that the roof shape and canyon symme- served removal rates. Concentrations that try have no significant influence on the ob- usually accumulate after the intersection are served relationship. The length of the canyons already reduced by the hedges before the might be one reason for the insignificant vege- intersection. Accordingly, fewer particles ac- tation influences observed in the avenue can- cumulate after the intersection and particles yon as short canyons are better ventilated due are additionally removed by the hedge rows to vortices at building corners (Ahmad et al., after the intersection. Removal rates are higher 2005). Nevertheless, we expect that this influ- with parallel inflow than with oblique inflow, ence is rather low. Third, no re-suspension is which might be an explanation for higher con- considered in the model although particle centration reduction rates in this inflow simula- deposition and re-suspension may occur simul- tion after the intersection. This effect is not taneously. This would reduce the amount of observed with higher wind speed and it seems deposed particles. However, plants are effec-

90 Mikroskalige Simulierung des Einflusses von Vegetation

tive in trapping particles and re-suspension • Avoid planting of dense trees in deep can- rates are estimated to be relatively low com- yons. pared to the amount deposed (McPherson et al., 1994; Ould-Dada & Baghini, 2001). Finally, Dense plantings of densely foliated trees have the same simulations were run with facades to be avoided in canyons with ratios higher interrupted by spacings of 3 m width (from than 0.5. In such cases, the thermal benefit building bottom to top). These results show a from street trees can be provided by plantings slight improvement of the ventilation but the of very sparsely foliated trees or widely spaced inhibiting effect dominates. rows of trees. At the same time, crown closure should be avoided. Another point of discussion is the used LAD profiles that are based on standard profiles • Plant trees away from building walls. described in the literature that are mostly valu- Planting of trees close to building walls inhibits able for forest trees. The two LAD profiles we the upward flow and mixing of air. used represent willingly two extreme cases and the densely foliated tree corresponds to a • Avoid tree row plantings close to parks or very dense forest stand. However, urban trees unpolluted areas. often stand alone and regularly pruning re- Tree row or hedge plantings that cut or inhibit strains their possible crown extension. Fur- penetration of fresh air from unpolluted or less thermore, pruning leads to increased densifica- polluted areas should be avoided. It is particu- tion of the leaves within a restrained volume. larly important to avoid inhibition of the flow Consequently, it is supposed that LAD profiles close to the bottom. of urban trees are different from those found in forests but evidence is missing. • Apply pruning methods that favour pene- tration of air through tree canopies. 5. Conclusions References The results reveal the effect of vegetation on canyon ventilation and consequently particle Ahmad, K., Khare, M. & Chaudhry, K. K. dispersion. We evaluated the relationship be- (2005). Wind tunnel simulation studies on tween the height-to-width ratio of streets dispersion at urban street canyons and in- flanked by buildings and the vertical and hori- tersections - a review. Journal of Wind En- zontal density of vegetation cover. The results gineering and Industrial Aerodynamics 93. show that particle concentrations increase with p. 697-717 height-to-width ratio and vegetation density. Air Beckett, K. P., Freer-Smith, P. H. & Taylor, G. quality is additionally worsened in configura- (1998). Urban woodlands: their role in re- tions with poor ventilation, such as low wind ducing the effects of particulate pollution. speed, perpendicular inflow, and in deep can- Environmental Pollution 99. p. 347-360 yons. Sparsely foliated trees show no signifi- Bennett, J. H. & Hill., A. C. (1973). Absorption cant effect on particle concentrations. Hedges of gaseous air pollutants by a standardized might be an alternative to trees in deep can- plant canopy. Journal of the Air Pollution yons. They retain not only more particles, as Control Association 23. p. 203-206 they are closer to the source, but may even Bruse, M. (1999). The influences of local envi- reduce concentrations at the human respira- ronmental design on microclimate (in tory tract height. German). PhD thesis. 196 pages. Univer- sity of Bochum. Bochum Our results contradict the general assumptions Bruse, M. (2007). ENVI-met 3. http://www.envi- that are made based on the amount of pollut- met.com/. (Accessed August 2007) ants removed by urban trees (McPherson et Bruse, M. & Fleer, H. (1998). Simulating sur- al., 1994; Nowak, 2006; Escobedo et al., face-plant-air interactions inside urban en- 2008). These studies promote generally dense vironments with a three dimensional nu- urban tree cover that might lead to precipitate merical model. Environmental Modelling overall conclusions, affecting decisions in and Software 13. p. 373-384 planning even of street plantings. We suggest Colvile, R. N., Hutchinson, E. J., Mindell, J. S. to weigh the thermal and air pollution benefit & Warren, R. F. (2001). The transport sec- from trees planted in densely built structures tor as a source of air pollution. Atmosphe- against the loss in ventilation. Such evalua- ric Environment 35. p. 1537-1565 tions can be performed using models like Dab, W., Ségala, C., Dor, F., Festy, B., Lame- ENVI-met. loise, P., Le Moullec, Y., Le Tertre, A., Mé- Based on the outcomes, the following recom- dina, S., Quénel, P., Wallaert, B. & Zmirou, mendations were formulated: D. (2001). Pollution atmosphérique et san- té: Corrélation ou causalité? Le cas de la

91 Annett Wania, Michael Bruse & Christiane Weber

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92 CONTUREC 3 (2008) Seite 93 bis 101

Conditions and maintenance of street trees and its reflection in the inhabitants mind in the oasis city of Mendoza/Argentina.

Zustand und Pflege von Straßenbäumen und deren Wahrnehmung durch Anwohner in der Oasenstadt Mendoza/Argentinien

JÜRGEN H. BREUSTE

Summary Street trees are mostly endangered and often damaged trees in cities. They provide a lot of ecosys- tem services, especially in cities of arid regions where micro-climatic improvements are very welcome and necessary. The investigation was undertaken in an arid oasis city (Mendoza/Argentina). Espe- cially there, their climate improvement and aesthetical values are of high importance. The aim was to determine the composition, the lining conditions and the maintenance of street trees and to compare these results with the reflection of problem reception by the inhabitants. The results show clearly the insufficient maintenance of the tree stock (composition, aging, irrigation, pruning etc.) leading to the existing dramatic bad street tree stock in a city which needs the services of this stock urgently. The problems are not only much too less in the mind of the responsible institutions but also among the inhabitants of the residential areas with these trees. Easy recognisable problems (bad pruning etc.) are more reflected by people than long term problems (e.g. irrigation). There is a different reflection of problems of urban tree stock in social different residential areas, may be related to status, information level and practical involvement. Not only better maintenance of the tree stock but also a clearer reflection of problems by people is urgently necessary providing the much more environmental knowledge by the responsible institutions of the city is needed. A public-private partnership could help to overcome the problems. street trees, vitality, social acceptance of trees, tree assessment, tree maintenance, street tree man- agement

Zusammenfassung Straßenbäume sind die am meisten gefährdeten und oft stark geschädigten Bäume in den Städten. Sie bieten viele Wohlfahrtwirkungen, vor allem in den Städten der ariden Regionen, in denen ihre mik- roklimatischen Verbesserungen sehr willkommen und notwendig sind. Die Untersuchung wurde in der einen ariden Zone, in der Oasenstadt (Mendoza/Argentinien) durchgeführt. Zur Verbesserung des Klimas und wegen ästhetischer Werte sind Straßenbäume dort von besonders großer Bedeutung. Das Ziel war es, die Zusammensetzung, den Zustand und die Pflege von Straßenbäumen zu untersuchen und diese Ergebnisse mit der Problemwahrnehmung der Einwohner zu vergleichen. Die Ergebnisse zeigen deutlich die unzureichende Pflege des Baumbestandes (Zusammensetzung, Alterung, Bewässerung, Baumschnitt etc.), die zu dem gegenwärtig schlechten Zustand führte, und dies in einer Stadt, die der ökologischen Serviceleistungen des Baumbestandes dringend bedarf. Die Probleme des Straßenbaumbestandes werden nicht nur viel zu wenig von den verantwortlichen Insti- tutionen, sondern auch von den Bewohnern wahrgenommen. Leicht erkennbare Probleme (mangel- hafter Baumschnitt etc.) werden stärker wahrgenommen als langfristige wesentlich bedeutendere Probleme (z. B. der Bewässerung). In Wohngebieten unterschiedlichen sozialen Status lässt sich eine unterschiedliche Wahrnehmung der Probleme des Straßenbaumbestandes in Bezug auf den Zustand, den Informationsstand zum Stra- ßenbaumbestand oder die praktische Beteiligung and der Baumpflege feststellen. Nicht nur eine bessere Pflege des Baumbestandes, sondern auch eine klarere Wahrnehmung der Straßenbaum-Problematik ist notwendig. Dazu bedarf es einer verbesserten Umweltbildung durch die zuständigen Organe der Stadt. Eine Partnerschaft zwischen Verwaltung und Bürgern könnte helfen, die Probleme zu überwinden.

Straßenbäume, Vitalität, soziale Akzeptanz und Wahrnehmung der Bäume, Baumbewertung, Baum- pflege, Straßenbaum-Management

93 Jürgen H. Breuste

1. Introduction famous for its urban green and especially live- able because of its urban forest which extends Urban Forestry is a fast developing research over several parks and especially as street tree field. There are a lot of investigations in cities stock along all mayor streets as alleys giving of the nemoral zone but mostly nothing in shadow and improve the urban climate. The tropical cities or cities in arid zones. But espe- urban street tree forest of Gran Mendoza cially in arid zones trees have a high impor- (about 400.000 trees) was planted between the tance for human health and liveability in cities. th beginning and the mid of 20 century and is Besides park trees and trees on private ground now 50 - 100 years old. Its vitality degraded street trees improve the climatic conditions for visible during the last decade (Iglesias 1998). the urban population in arid cities most. These trees are at the same time often less main- tained than other and mostly stressed by envi- ronmental influences and bad maintenance. On the other hand they are accessible and visible for all inhabitants and play an important role as aesthetic elements of their living space. Not very much is known how the population deals with these trees and how their relation to this important part of the urban forest in cities of the arid zone is.

Fig. 2: Inner city street tree alley in Mendoza

The targets of the research are to characterize and evaluate the consistence of the urban street trees and to analyze the actual relation and perspective of the urban dwellers to their urban street tree stock. For these investigations three urban structural units as test units (TU) had been selected. These three urban structural units represent different degrees of built-up densities, of densi- ties of the urban street tree stock, of degrees of environmental stresses to the trees and different socio-economic conditions and func- tionality (city centre, inner city mixed commer- cial and residential area and middle class resi- dential area). The units consist of 9, 11 and 15 blocks/ manzanas (together 35 manzanas), each about 1 – 2 ha and a street length of Fig. 1: Location of the oasis and city of Mendoza/Argentina about 1 to 2 km per area. (scale 0 I------I 100 km)

The analysis of the conditions of urban street

trees was undertaken by a structured visual

interpretation of tree characteristics and envi- 2. Methodology ronmental stresses at the tree sites. 175 of the The research area Mendoza/Argentina: The total 1680 street trees had been selected (5 investigation was undertaken in the river oasis trees randomly per block/manzana) for detailed city Mendoza in Argentine. Mendoza is located investigations. An extended set of date per tree in the Monte semi desert on the eastern slopes had been registered, representing consistency, of the Andes in western central Argentina. vitality, damages, site conditions, stresses Capital Mendoza, the main part of the agglom- (watering, air conditions, pruning, physical eration, has about 1 million inhabitants. It is damages etc.).

94 Conditions and maintenance of street trees and its reflection in the inhabitants mind in the oasis city of Mendoza/Argentina

For investigation of the relation of inhabitants Table 1: Questioning in the three research areas to the street trees in their living surrounding a distri- number of research questioning was used. In all three urban struc- inhabitants bution of questio- area tural units together 120 persons had bee ques- population naires tioned (1.14% of the inhabitants of the investi- TU 1 4,333 43.6 % 51 gated areas), all inhabitants of the selected TU 2 2,535 24.9 % 30 areas. The target of the questioning was to TU 3 3,310 32.5 % 39 define the level of acceptance for the trees in the neighbourhood, the sufficiency, responsibil- total 10,178 100.0 % 120 ity and behaviour to these trees. Source: I.N.D.E.C., Censo 2001

Fig. 3: Climate diagram of Mendoza Legend: columns: precipitation, lower curve: annual minimal temperature, middle curve: annual average temperature, upper curve: annual maximal temperature (Wikimedia 2007)

95 Jürgen H. Breuste

city centre, high built-up TU 1 density > 4 m3/m2

inner city, mixed commer- cial and resi- TU2 dential area, medium built- up density 2-4 m3/m2

middle class residential area, TU 3 low built-up density 1-2 m³/m²

Fig. 4: Test units in Mendoza, Source: google/earth 2007, photos: Breuste 2004, Strasser 2005

Fig. 5: Location of TUs in Mendoza Central

96 Conditions and maintenance of street trees and its reflection in the inhabitants mind in the oasis city of Mendoza/Argentina

3. Results even overaged. The urban street tree stock is by this naturally degrading but mostly without Street tree forest composition: The 48.000 replanting. street trees of Capital Mendoza consist of 75 species of which 5 species represent 86% Municipality (Dirección de Paseos Públicos – (Morus alba sp., Fraxinus excelsior, Fraxinus Departamento de Arbolado Urbano) is respon- americana, Platanus acerifolia, Melia sible for the public tree stock but too less azedarch). All these species are non-native equipped to handle this task properly (person- exotics. No single tree species used as street nel, infrastructure, equipment and financing). tree in Mendoza is native and no from South Many tasks are outsourced to low paid firms America! 50% of the trees come from Asia, with low knowledge. A tree register exists since 26% from Europe and 10% from North Amer- 1987. A digitalization of tree data started in ica (Carrieri 2004). 1995 but is still unfinished. Maintenance: The average trees are 50 years The street tree stock is very different and can old, in some streets also elder than 80 years be structured by using density of canopy layer (Carrieri 2004). 73% are in a mature status or and age structure by 4 main classes (s. Fig. 7).

Composition of the Urban Street Tree Forest in Capital Mendoza

other Ulmus 16% carpinifolia f. umbraculifera Morus alba v. 4% alba 39% Melia azedarach 7% Platanus acerifolia 9%

Fraxinus Fraxinus americana excelsior 10% 15%

Fig. 6: Composition of urban street tree forest in Mendoza Source: Source: Municipalidad de la Capital, Mendoza; Diario Los Andes 2000, in Carrieri 2004, S. 2

3%

26%%

32%

young: dm 0-20 cm middle: dm > 20-50 cm

old: dm > 50-100 cm very old: dm > 100 cm

39%

Fig. 7: Age structure of urban street trees

97 Jürgen H. Breuste

Dense urban tree stock full-size dense trees system, planted in tight rows

Medium density urban tree stock mid-size / young trees, medium density spa- tial distribution

Scarce urban tree stock young, small, aging and/or deteriorated trees by pruning or hostile environment

Very scarce or non-existent urban tree stock very young/thin species irregularly planted, treeless areas

Fig. 8: Urban tree stock classes in Mendoza

The depth of the acequias is about 80 cm. The The irrigation system is essential for the trees. broadness is between 80 cm and 100 cm, up The precipitation rate is only 232 mm/year with to 150 cm. The vertical percolation areas are rain on 53 days (Endlicher 1998). The trees ideal 80 x 80 cm, the horizontal percolation are irrigated for 100 years by a system of areas are ideal 100 x 20 cm). The planting mostly open water channels (acequias) along depth is about 40 cm, new about 70-80 cm). the streets linked with the andine mountain The location of water table is about (ideal) 60 river Mendoza. The actual irrigation system is cm. These necessary conditions of street are not any more sufficient and contributes very mostly nowhere reached. It is possible to de- much to the degradation of the tree stock. termine 3 types of acequias (s. Tab. 2). Since 1998 a new idea of individual irrigation for every separate tree by tubes is in develop- ment (until now only 1600 implemented!).

98 Conditions and maintenance of street trees and its reflection in the inhabitants mind in the oasis city of Mendoza/Argentina

Table 2: Types of acequias in Mendoza (photos Strasser 2005)

Type 1: Acequias completely paved by concrete and/or stones – lowest water permeability, highest mainte- nance costs and more and more distributed, re- placing other types

Fig. 9: Irrigation system of mostly open water channels (acequias) in Mendoza (drawing Strasser 2005)

Type 2: Acequias

Tree vitality: Between 25 and 45% of the tree rough paved by stock is in different way damaged. There are boulders – high clear differences between the 3 research ar- water permeabil- eas: As lesser the building density and ity, high mainte- stresses as better the tree vitality. The most nance necessary, damaging factors are: to small spaces at the tree site (63%), no evaporation reduction by bad consistence plant covers on tree sites (80%), damaging pruning and maintenance (49%) (Most dam- aged trees are located in the city centre), insuf- ficient irrigation by insufficient permeability of the acequias (67%) – especially bad conditions by “clean sealing” in the residential area, 67 – 73% of the channels are polluted. The trees are in a high degree (more than 60%) dam- aged by air pollution caused by traffic. Type 3: Acequias Most damaged trees are located in the city paved by con- centre. It is visible: As the lower the building crete plates or density and stress (by traffic) as better the tree vitality. stones but highly damaged – water The dramatic bad vitality and conditions of permeability by trees are not mirrored by the responsible mu- nicipality. The municipality sees its tree stock cracks, breaks as mostly good. When there is no recognition and holes of the problem no reaction can be expected, even if the situation is dramatic! Reflection of vitality problems by inhabitants: Acceptance of the urban street trees by the inhabitants: More than 54% of the questioned

99 Jürgen H. Breuste

persons are concerned about the trees, espe- 90% don’t see any problems (which exists in cially in a high degree in the mixed area. Dam- reality) with parking cars! (Fig. 12). ages by tree roots are only minor, but more registered in the city centre as problem. Only a minority (less than 10%) supports the neces- production sary enlargement of the tree sites. The im- proper pruning (which is in highest degree in symbol of nature, the city centre) is more reflected in the residen- life tial area (Fig. 10). This shows there a closer without trees it relation and better observation of “their” trees. would be a dessert Between 20-30% wish a better irrigation which reflects the real problem. The pollution of the shadow acequias is also in the residential area more reflected than real in comparison to the two beauty other areas where the degree of pollution is much higher. 93% recognize the real highest 0 5 10 15 20 25 30 35 degree of damages by air pollution in the in % mixed used are. A clear visible number of peo- ple is willing to support the tree maintenance Fig. 12: Expected improvements (all three TU) (Fig. 11). More than 54% of the questioned are con- cerned about the trees, especially in the mixed extension of tree sites built-up area. Only a minority of people (less frequently cleaning of irrigation channels than 10%) support the really necessary enlargement of the tree sites. The improper pest control pruning (which is highest in the city centre) is new planting of trees much more than real expressed as a problem in the residential areas. more irrigation This shows a closer relation to trees in residen- more professionell pruning tial neighbourhood, mirrored also in a more more pruning problematic view on the trees than it is real. Between 20-30% want a better irrigation sys- 0 5 10 15 20 25 30 35 tem which reflects the real problem quit good. in % TU 3 TU 2 TU 1 The pollution of the acequias is in the residen- Fig. 10: Reflection on realized services by street trees tial area more perceived than real in compari- son to the two other areas where the degree of pollution is much higher.

don't know 93% of people recognize the high levels of tree no maintenance damages by air pollution in the mixed used fertilization area.

pruning 4. Discussion and recommendations cleaning of irigation channel The urban street tree forest is a fragile part of maintenance of tree site the urban green, an important value of the irrigation, if necessary oasis town Mendoza. Its degradation is visible

irrigation, frequently and measurable. The reasons for this are in-

sufficient maintenance and attention in daily 0,0 10,0 20,0 30,0 40,0 50,0 urban live. The given improvement of climate

TU 3 TU 2 TU 1 and beautification is understood und accepted

Fig. 11: Reflection on individual maintenance but not linked to sufficient dealing to secure the tree stock for the future. This is in the admini- Acceptance of the street tree forest: 20% of all stration the same as among the inhabitants. questioned persons like Mendoza because of The problem is the neglect in comparison of the green and trees! 66% valued the improve- the valued values of the trees! ment of the climate by trees. For 42% it is a A much better planning and maintenance by symbol of live and nature (34% especially un- the responsible municipality is strongly derline tat without the trees it would be a de- needed. This is: replanting, aged mixed tree sert). Only a minority see dangers by these stock, improvement of irrigation, professional, trees (mostly allergies and braking branches.

100 Conditions and maintenance of street trees and its reflection in the inhabitants mind in the oasis city of Mendoza/Argentina

not damaging pruning, constant monitoring and Strasser (Cespedes), G. (2005). Zustand und information. Akzeptanz des Straßenbaumbestandes von Capital Mendoza. Argentinien. Disser- The only under the semi-arid conditions dis- tation, Salzburg University tributed tree (also a neophyte coming from Wikimedia Foundation (2007): Wikimedia Egypt via Spain) is the Algarrobo (Ceratonia Commons. Climate Diagramms siliqua). While all as street trees planted trees http://commons.wikimedia.org/wiki/Image: needs much water, this tree would grow with Clima_Mendoza_(Argentina). (last visited very less water under natural conditions of the August 28, 2008) oasis, but is not used as street tree.

The environmental education of the urban Anschrift population is still too low and often doesn’t include the relation between resource use (as Jürgen H. Breuste e. g. water and use of cars) and environment Urban and Landscape Ecology (Labitzke & Werner 2000). University of Salzburg/Austria, Department Geography and Geology The differences between the 3 research areas Hellbrunnerstrasse 34 are clear caused by the different intensity of A-5020 Salzburg/Austria land use and stresses. They are also clear Tel: +43/(0)662/8044-5241, Fax: reflected by the inhabitants. In the residential +43/(0)662/8044-525 area exists a higher sensibility for urban trees Email: [email protected] and their problems. This is explained by a closer relation to the trees which are more related to the living space of the inhabitants.

Acknowledgements The author thanks the L.A.H.V. (Laboratorio de Ambiente Humano y Vivienda) in the Centro Regional de Investigationes Cientificas y Tec- nológiacas (CRYCIT) in Mendoza for support and cooperation during the last decade. The practical investigations were very much sup- ported by Gund Strasser, diploma student of the Salzburg University (S. Strasser 2005). References Carrieri, S. A. (2004). La problemática del arbolado urbano en Mendoza. Cátedra de Espacios Verdes, Facultad de Ciencias Agrarias, Universidad de Cuyo, Mendoza, chapter. 6, pp. 1-8. Endlicher, W. (1998). Stadtklima und Luft- hygiene argentinischer Andenrandstädte. Tübinger Geographische Studien 119, p. 325-352 = Tübinger Beiträge zur Geogra- phischen Lateinamerika-Forschung, vol. 15. Tübingen. I.N.D.E.C: Censo de pobulacion de Mendoza 2001. Mendoza Iglesias, R. (1998). Arbolado Público de la Ciudad de Mendoza: Una propuesta para su recuperación., Municipalidad de Mendoza. Mendoza. Labitzke, S. & Werner, J. (2000). Unter- suchung zum Umweltbewusstsein und Verhalten der Bevölkerung von Mendoza/ Argentinien. Report C.R.I.C.Y.T, Mendoza, UFZ Halle-Leipzig, University Leipzig. Municipalidad de la Capital, Mendoza; Diario Los Andes 2000. In Carrieri 2004, p. 2.

101

CONTUREC 3 (2008) Seite 103 bis 116

Urban lawns as sinks and sources of greenhouse gases - results of investigations in Denver (USA) and Halle (Germany)

Urbane Rasenflächen als Senken und Quellen von Treibhausgasen – Ergebnis- se der Untersuchungen aus Denver (USA) und Halle (Deutschland)

MANFRED FRÜHAUF & THOMAS S. THIENELT

Summary Urban lawns are an important component of American urban ecosystems, where they typically occur as monocultures in residential, recreational, and industrial settings. Between April and July of 2005, chamber flux measurements of CO2, CH4, and N2O were carried out on urban lawns in Denver (USA) at 9 different locations. The greenhouse gas fluxes determined illustrate that emis- sion and uptake rates may differ distinctly from natural and agricultural ecosystems. A land cover analysis using remote sensing data estimated that about 41.3 % of the investigation area was covered by urban lawns. This suggests a potentially significant impact of sprawling cities like Denver on regional biogeochemical cycles. In contrast to sprawling Denver, Halle in former East Germany is characterized by a loss of popu- lation. The reconstruction of residential districts created new areas of open space, which may become important sources and sinks for greenhouse gases. But investigations show that areas cleared of buildings and impervious surfaces are of very different quality and that “new” urban soils are usually characterized by a very heterogeneous substratum, very low capacities for nutri- ent and water storage and signs of . Thus, humus content and physical soil prop- erties play a key role when evaluating the ecological qualities of these new urban soils. Future increases in Corg-contents as well as development of vegetation will enhance carbon sequestra- tion in these areas substantially. Urban ecosystems, urban lawns, greenhouse gas fluxes, chamber measurements, carbon diox- ide, methane, nitrous oxide.

Zusammenfassung Urbane Rasenflächen sind ein bedeutender Bestandteil amerikanischer Stadtökosysteme, wo sie häufig als Monokulturen in Wohn-, Industrie- und Naherholungsgebieten vorkommen. Zwischen April und Juli 2005 wurden in Denver an 9 verschiedenen Standorten Kammermessungen durch- geführt, um Gasfluxe von CO2, CH4 und N20 zu bestimmen. Die ermittelten Gasfluxe verdeutli- chen, dass sich Emissions- bzw. Immissionsraten von urbanen Rasenflächen zum Teil stark von natürlichen und agrarischen Ökosystemen unterscheiden. Eine Landnutzungsklassifikation unter Verwendung von Geofernerkundungsdaten kam zu dem Ergebnis, dass ca. 41.3. % des Untersu- chungsgebiets von Rasenflächen bedeckt ist. Dies betont den potentiell grossen Einfluss wach- sender Grossstädte wie Denver auf regionale biogeochemische Kreisläufe. Im Gegensatz zu Denver ist Halle im Osten Deutschlands durch Bevölkerungsschwund während der letzten Jahre charakterisiert. Durch den Umbau von Wohngebieten wurden neue innerstädti- sche Freiflächen geschaffen, die möglicherweise wichtige Quellen und Senken für Treibhausgase darstellen. Erste Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass die entsiegelten Gebiete von sehr unterschiedlicher Qualität sind. Die „neuen“ urbanen Böden sind häufig durch ein sehr heteroge- nes Substratum, niedrige Nährstoff- und Wasserspeicherkapazitäten und Anzeichen von Boden- verdichtung gekennzeichnet. Folglich sind der Humusgehalt sowie die physikalischen Bodenei- genschaften von enormer Bedeutung für das ökologische Potenzial der neuen urbanen Böden. Zukünftige Zunahmen im Corg-Gehalt sowie die Entwicklung der Vegetation werden die Kohlen- stoffsenkenfunktion dieser Gebieten deutlich verbessern.

Urbane Ökosysteme, urbane Rasenflächen, Treibhausgasfluxe, Kammermessungen, CO2, CH4, N2O.

103 Manfred Frühauf & Thomas S. Thienelt

1. Introduction former East Germany. Between 1990 and 2000 some cities have lost more than 20 % Urban settlements cover an estimated 1 - 3 of their population, e.g. the city of Halle (Sta- % of Earth’s land surface and comprise tistisches Landesamt Sachsen-Anhalt, 2006). more than 50 % of the global population As a result of large-scale reconstruction pro- (Shepherd & Jin, 2004; United Nations, grams residential districts have been partly 2004; Earth Institute at Columbia University, replaced by open space, thereby creating 2005). Furthermore, approximately 80 % of (new) urban soils that are possibly important all resources are utilized in urban ecosys- sources and sinks for greenhouse gases. tems, where 78 – 97 % of anthropogenic Studies of the impact of these “new” urban carbon emissions originate (Svirejeva- soils on biogeochemical cycles need to start Hopkins & Schellnhuber, 2005). by analyzing land use changes and open The Denver metropolitan area has been, space development in these regions since and continues to be, one of the fastest grow- 1990, the year of Germany’s reunification ing urban areas in the United States. Bet- and the beginning of drastic socio-economic ween 1990 and 2000, Denver’s population changes. At the same time, investigations of increased by 18.6 % and surrounding sub- soil development and soil properties are urbs experienced similar growth rates (U.S. necessary to determine parameters influenc- Census, 2006). ing biogeochemical processes.

Thus, urban ecosystems cover only a rela- 2. Methods tively small fraction of the global land sur- face, but they are expanding rapidly and due 2.1. Flux measurements in Denver to the intensity of anthropogenic activities Between April and July of 2005, flux meas- increasingly influence biogeochemical cy- urements of CO , CH and N O were carried cles and other ecosystems. This also holds 2 4, 2 out at 9 different locations in the investiga- true for biological sources and sinks of 2 tion area, which covered about 80 km of the greenhouse gases, e.g. soils, which are southwest portion of metropolitan Denver modified by the process of urbanization. (Thienelt, 2007). Each location contained Most research on greenhouse gas fluxes between 2 and 8 measurement sites, which has focused on natural and agricultural eco- were scheduled to be visited at intervals of systems. One reason for this is the hetero- 2-3 weeks. The majority of sites were lo- geneity of urban ecosystems, which has cated in public parks, but athletic fields, a made it difficult to investigate basic ecosys- school, a golf course and a cemetery were tem functions (Pickett et al., 2001). But also among the selected locations. greenhouse gas budgets that exclude urban Gas samples for CH and N O flux meas- areas could be missing important sinks and 4 2 urements were obtained using 6-liter Plexi- sources necessary for accurate biogeo- glas chambers. The chambers were placed chemical modeling (Kaye et al., 2004). on the lawn surface for a total of 30 minutes. Urban lawns are an important component of Glass, gas-tight syringes (10-ml) were used the urban environment. They are ubiquitous to extract gas samples from the chamber in American urban ecosystems, where they headspace, which were analyzed within 24 typically occur as monocultures in residen- hours of withdrawal utilizing gas chromatog- tial, recreational, and industrial settings. Re- raphy. cent estimates found urban lawns to be the Net CO flux (the sum of and largest irrigated crop of the United States 2 photosynthesis) was measured using a 6- (Milesi et al., 2005). Thus, the quantification liter chamber. The air circulated in a closed of greenhouse gas fluxes from urban lawns loop between the chamber and an IRGA (LI- and the investigation of influencing parame- COR, LI-6200). Using this setup, the change ters are of great importance to our under- in concentration of CO within the chamber standing of urban ecosystems in the context 2 was measured over a 3-minute interval. of climate change. Accompanying the chamber work were In contrast to the process of “urban sprawl” measurements of and tem- in the US, some countries are characterized perature, grass cover (type and density), by “shrinking cities” including the region of wind conditions, and cloud cover. Soil mois-

104 Urban lawns as sinks and sources of greenhouse gases

ture was determined using time-domain- 2.2. Remote sensing data analysis (Denver) reflectrometry (TDR Trace, Soil Moisture Remote sensing data consisted of a mosaic Equipment Incorp.). Soil temperature was of merged, true-color, aerial images of the measured at a 5 cm soil depth using a Pt Denver investigation area, dating from April resistance probe. of 2004 (Fig. 3-4). This data was used to

estimate the total area of urban lawns within

the investigation area. Analysis of the re-

mote sensing data was carried out using “Erdas Imagine 8.7” software and employing an unsupervised classification (100 classes).

2.3. Investigations of land use change and soil forming processes in Halle / Ger- many In contrast to the process of urban sprawl, i.e. the rapid spatial expansion of urban set- tlements typical of many urban areas around the world, cities in former East Germany display just the opposite tendency. A drastic demographic change has left its mark espe- Fig. 2-1: Instrument setup during soil gas measure- cially on city districts constructed during so- ments cialist times. Heavy population losses, pri- marily in monotonous high-rise buildings, lead to an ever increasing number of vacant apartments, as the example of Halle’s dis- trict “Silberhöhe” shows (Tab. 2-1).

Tab. 2-1: Population and apartment statistics of Halle-Silberhöhe (Stadt Halle, 2005 – Wohnungsmarktberichte 2001- 2003)

105 Manfred Frühauf & Thomas S. Thienelt

East German counties and cities have re- that urban lawns on average acted as a acted to these developments by clearing source of N2O. large tracts of apartment buildings and rede- veloping these newly created areas of open Kaye et al.(2004) studied gas fluxes from space. urban lawns in Ft. Collins, CO, and found strong peak emissions following spring thaw In the context of a diploma thesis changes in and fertilization, exceeding 100 and 500 µg land use and development of soils and their -2 -1 N2O-N*m *h , respectively. In general, ecological properties since 1990 were inves- -2 -1 emissions larger than 10 µg N O-N*m *h tigated in an apartment complex of Halle’s 2 are reported throughout the year of investi- district “Silberhöhe”. One of the main goals gation. In comparison, maximum fluxes ob- was to estimate the potential of newly cre- served during this study did not exceed 41.1 ated areas of open space as carbon sinks -2 -1 µg N2O-N*m *h , whereas mean flux was as well as for a future use as forests. This -2 -1 7.6 µg N O-N*m *h . was accomplished by carrying out various 2 field and laboratory measurements and Fluxes obtained from shortgrass steppes, mappings of the investigated area. wheat and corn ecosystems are of special interest, because these ecosystems are 3. Results and Discussion most likely to be replaced by sprawling Den- ver, i.e. urban lawns. 3.1. Greenhouse gas fluxes in Denver Mosier et al.(1996) measured mean fluxes Nitrous oxide from unfertilized plots in the Colorado short- N2O fluxes in April and May were variable. grass steppes ranging from 1.3 to 2.5 µg -2 -1 Six out of ten fluxes during this time were N2O-N*m *h , whereas fertilized plots -2 -1 negative, suggesting an uptake of N2O. ranged from 1.9 to 3.0 µg N2O-N*m *h . Starting in June, emissions grew stronger and reached the overall maximum of 41.1 µg Another study found that native shortgrass -2 -1 N2O-N*m *h . Negative fluxes continued to steppes and wheat ecosystems had mean -2 -1 occur throughout the investigated time frame fluxes smaller than 4 µg N2O-N*m *h , with (Fig. 3-1). The mean flux for all sites sam- maximum emission peaks of 15 and 19 µg -2 -1 -2 -1 pled was 7.6 µg N2O-N*m *h , indicating N2O-N*m *h in winter, coinciding with snow-

2 Fig. 3-1: N2O fluxes (µg N2O-N/m *h) from urban lawns

106 Urban lawns as sinks and sources of greenhouse gases

melt and freeze-thaw events. Corn ecosys- tance of soil moisture as a controlling pa- tems displayed maximum emissions of 190 rameter for emissions in grasslands, but -2 -1 and 350 µg N2O-N*m *h following spring also observed that rising summer soil tem- fertilization and the start of irrigation, but peratures favored N2O emissions. As these outside the corn-growing season mean findings suggest, emissions of N2O due to -2 -1 fluxes stayed below 10 µg N2O-N*m *h the re-wetting of dried soils and increased (Kaye et al., 2004). soil temperatures might serve as an expla- nation for stronger emissions in June, follow- In comparison to the results presented by ing the dry period of May and the onset of Kaye et al.(2004), N O fluxes for urban 2 irrigation. lawns in Denver were smaller with regard to average flux and peak emissions. However, A secondary controlling parameter of N2O urban lawns exceeded average emissions emissions may be availability, from wheat ecosystems (Kaye et al., 2004) which influences nitrification and denitrifica- and Colorado shortgrass steppes (Mosier et tion. Brumme et al.(1999) found that fertilizer al., 1996) by at least 90 and 150 %, respec- application on the sites studied seemed to tively. In addition, urban lawns compared to generate pulses of emissions but showed no corn ecosystems in emission strength, ex- long-term effects. Delayed emission re- cept for peak fluxes (Kaye et al., 2004). This sponses of a few weeks after fertilization finding seems most significant considering were observed by Skiba et al.(1996). Addi- that urban lawns were found to be the larg- tionally, the time of application seems to in- est irrigated crop of the U.S. (Milesi et al., fluence annual fluxes. Increased annual N2O 2005). fluxes occurred when fertilizer was applied during warmer months (Machefert et al., Analysis of N O fluxes revealed a statisti- 2 2002). cally significant relation between soil tem- perature and N2O fluxes. Nitrification and Negative fluxes, suggesting an uptake of denitrification, the processes responsible for N2O, were small and were occasionally en- N2O production, display increased process countered throughout the investigation pe- rates with increases in soil temperature. riod. They may be an artifact of methodology Correlations between emissions of N2O and (since concentration change with time was soil temperature have been shown for many small) or chamber design. However, uptake soils in temperate ecosystems, but only of N2O was also reported in various other when other important parameters, such as studies. Glatzel (1999) measured maximum soil moisture and mineral N, were not limited uptake rates in grasslands in excess of 100 -2 -1 (Skiba et al., 1998; Skiba & Smith, 2000; µg N2O-N*m *h , which is an enormous Machefert et al., 2002). increase compared to the maximum uptake of 5.6 µg N O-N*m-2*h-1 observed during this Various studies emphasize the importance 2 study. of soil moisture as a strong influential pa- rameter. Anderson & Levine (1987), for ex- Methane ample, stated that emissions of N2O in- creased noticeably as soil moisture ap- CH4 fluxes in April and May were all but on proached or exceeded field capacity of the one occasion negative, thus, urban soils studied soils, suggesting that denitrification were mainly characterized by an uptake of was mainly responsible for emissions. The CH4. Starting in June until the end of field fact that fluxes of this study showed no clear measurements, flux values showed in- relation to soil moisture may be due to a creased variability, i.e. emission and uptake time delay between production and emis- of CH4 by urban soils were observed (Fig. 3- sion. N2O displays good solubility in water 2). Maximum uptake occurred in early June -2 -1 and therefore might be stored for a longer (-32.5 µg CH4-C*m *h ), whereas maximum time in the soil (Glatzel, 1999). Jørgensen et emission took place in early July (30.4 µg -2 -1 al.(1997) found that peaks of N2O followed CH4-C*m *h ). The mean flux of CH4 for all -2 -1 rainfall events and when soils were re- sites sampled was -1.6 µg CH4-C*m *h , wetted after dry periods. They argued that suggesting that, on average, urban soils infiltrating water created the low oxygen en- functioned as sinks for CH4 . vironment in soils required for the production of N2O. Glatzel (1999) confirmed the impor-

107 Manfred Frühauf & Thomas S. Thienelt

2 Fig. 3-2: CH4 fluxes (µg CH4-C/m *h) from urban lawns

Measurements by Kaye et al.(2004) found Moreover, urban soils proved to be sources CH4 fluxes for urban lawns to be negative of CH4 in 4 out of 10 measurements. Again, throughout the investigation, with a mean this finding seems most relevant considering -2 -1 flux of about -20 µg CH4-C*m *h . In this the spatial extent of urban lawns in the U.S. study, mean flux was comparatively low at -2 -1 Analysis of CH4 fluxes showed a statistically -1.6 µg CH4-C*m *h . However, fluxes -2 -1 significant relation to soil moisture. This ranged from -32.5 µg CH4-C*m *h to 30.4 -2 -1 seems to confirm the importance of this pa- µg CH -C*m *h . About 40 % of fluxes 4 rameter for CH flux. Soils, low in moisture, measured were positive, i.e. net emissions. 4 provide the right environment for CH4 oxida- The average uptake of CH4 was -8.1 µg -2 -1 tion, whereas soils with higher water content CH -C*m *h and therefore more than 50 % 4 provide more anaerobic niches required by lower in comparison to results presented by CH -producing microbes. Furthermore, in- Kaye et al. (2004). 4 creased water content in soils dramatically Unfertilized plots of Colorado shortgrass decreases of oxygen. steppes showed mean CH4 fluxes ranging -2 -1 Mosier et al.(1997) did not report emissions from -20 to -40 µg CH -C*m *h , whereas 4 of CH for Colorado shortgrass steppes, but the mean flux for fertilized plots was -20 µg 4 -2 -1 noted that CH uptake typically decreased CH -C*m *h (Mosier et al.,1996). Kaye et 4 4 with increases in soil moisture. Crill (1991) al.(2004) reported CH4 fluxes between -25 -2 -1 reported that no statistically significant corre- and -45 µg CH -C*m *h for Colorado 4 lation between soil moisture and CH uptake shortgrass steppe ecosystems, whereas 4 was observed, but that results indicated that wheat ecosystems showed about 50 % of moisture did affect uptake rates during at this uptake rate. The uptake in corn ecosys- least part of the year. Strong correlations tems did typically not exceed -20 µg CH4- -2 -1 between soil moisture and CH flux may be C*m *h . 4 hard to determine due to the heterogeneity Compared to the results presented by Kaye of soils. Conditions promoting CH4 oxidation et al.(2004) and Mosier et al.(1996) for Colo- as well as CH4 production can exist in rela- rado shortgrass steppes, uptake rates for tively close proximity within soils. Glatzel urban soils are reduced by as much as 80%. (1999) observed that the 3 maxima of up- Agricultural ecosystems of wheat and corn take and emission of CH4 took place within exceeded urban soils in CH4 uptake as well. the same interval of content

108 Urban lawns as sinks and sources of greenhouse gases

(WFPS 68-75 %), concluding that CH4 emis- values, again for grasslands in Kansas, sions did not require anaerobic conditions were found by Ham & Knapp (1998). Mean -2 -1 throughout the entire volume of soil. This flux was -29 mg CO2-C*m *h (Aug-Nov), could serve as a possible explanation for but values ranged from 137 to -236 mg CO2- -2 -1 CH4 fluxes observed during this study, C*m *h . Fluxes in agricultural ecosystems where emissions and uptake of comparable were measured by Baldocchi (1994). Mean strength occurred at similar soil moisture flux for wheat ecosystems was -558 mg -2 -1 values. CO2-C*m *h (Jun)(range: 196 to -1963 mg -2 -1 CO2-C*m *h ) and for corn ecosystems -2 -1 -329 mg CO2-C*m *h (Jun)(range: 196 to -2 -1 -1473 mg CO2-C*m *h ). The majority of net CO2 fluxes (86 %, n=87) during the investigation period was negative, establishing the sampled urban lawns as a Mean flux for this study of urban lawns was -2 -1 sink for CO2 (Fig. 3-3). The mean flux of all -132.6 mg CO2-C*m *h (range: 271.8 to -2 -1 -2 -1 sites sampled was -132.6 mg CO2-C*m *h . -498.2 mg CO2-C*m *h ). In comparison to Positive fluxes repeatedly occurred in late Kansas grass ecosystems, uptake of CO2 June and during the remaining investigation was approximately 170 to 360 % stronger. period. Maximum values for CO2 uptake Whether this holds true for Colorado short- -2 -1 reached -498.2 mg CO2-C*m *h in late grass steppes needs further investigation. June, whereas emissions reached a maxi- The CO2 uptake of wheat and corn ecosys- -2 -1 mum of 271.8 mg CO2-C*m *h in mid-July. tems exceeded that of urban lawns by a fac- tor of 4 and 2.5, respectively. Kim at al.(1992) found mean fluxes for Statistical analysis of net CO flux revealed grassland ecosystems in Kansas of -52 mg 2 -2 -1 no significant relation to the ancillary meas- CO2-C*m *h (May-Oct) and -47 mg CO2- -2 -1 urements of soil moisture, temperature or C*m *h (Jun-Aug), whereas fluxes ranged -2 -1 LAI over the environmental range of our from 113 to -250 mg CO -C*m *h . Similar 2

2 Fig. 3-3: Net CO2 fluxes (mg CO2-C/m *h) from urban lawns

109 Manfred Frühauf & Thomas S. Thienelt

measurements. Glatzel (1999) found no cor- pends on the type of ecosystems replaced relation between net CO2 flux and daytime by urban land use (Kaye et al., 2004; Pataki soil moisture or temperature for unfertilized et al., 2006). grassland plots and only weak correlations N O emissions from soils are likely to double for fertilized plots. Kleber (1997) reported 2 on a per-m2-basis if Colorado shortgrass that changes in soil temperature and mois- steppe or wheat ecosystems are replaced, ture in grassland soils led to increased soil whereas only small changes in emissions respiration at one site, whereas no changes can be expected from the conversion of corn were detected at another site 100 m away. ecosystems. Due to additional sources Hibbard et al.(2005) analyzed soil respira- within urban ecosystems, e.g. energy and tion data from temperate ecosystems and waste management, which can be expected found soil temperature to be an important to contribute notably, net N O emissions are factor in predicting soil respiration across a 2 likely to surpass emissions from any of the wide range of sites within individual biomes. mentioned ecosystems surrounding Denver. Furthermore, soil moisture improved correla- tions within sites, but not significantly. Ko- The potential for urban soils to function as erner & Klopatek (2002) found that soil res- sinks for CH4 appears limited in comparison piration increased at sites of urban land to wheat, corn or Colorado shortgrass eco- uses (i.e. grass lawns, golf courses, but not systems. In addition, urban soils in this study landfills) with increasing soil moisture, acted as sources of CH4 during 40 % of all whereas soil temperature had no significant measurements. Despite the ability of urban effect. These findings suggest that the com- soils to oxidize CH4, it remains to be investi- plex interactions of parameters influencing gated how efficient this soil sink of CH4 is in the processes of photosynthesis and soil the presence of strong urban sources, such respiration require more sophisticated as landfills and wastewater treatment. means of analysis in order to interpret the result of net CO flux. Similar to N2O, the influence of urban sprawl 2 on regional budgets of net CO flux depends 2 on the ecosystem replaced. In comparison Results of remote sensing data analysis to urban lawns, net uptake of CO by Kan- (Denver) 2 sas grasslands (probably a close proxy to Land cover analysis using remote sensing Colorado shortgrass steppes) was as much data estimated total land surface of the in- as 78 % less. In contrast, other agricultural vestigation area to be 7825 hectares. About ecosystems (wheat and corn) exceeded net 3233 hectares (41.3 %) of this area were uptake of urban lawns by up to a factor of 4. covered by grass, i.e. urban lawns (Fig. 3-4). These figures illustrate, that either increases This confirms the omnipresence of lawns in or decreases in sink strength for CO2 could American urban ecosystems, even though result from a conversion of ecosystems to this figure may be regarded as an upper limit urban use. Whether urban lawns can be due to the fact that areas not covered by considered as sinks of carbon within the ur- infrastructure (housing/roads) or water were ban ecosystem also depends on how much considered to be urban lawns during this energy, i.e. fossil fuels, is spent managing analysis, causing a possible overestimation these lawns. Nowak & Crane (2001) noted of total lawn area. that fossil fuels used to maintain urban vegetation are likely to reverse net effects of Nevertheless, in consideration of the con- sequestration into net emissions of carbon. tinuing process of urban sprawl and the spa- This scenario seems likely for Denver, tial extent of lawns within urban ecosystems, where urban lawns are usually kept in good the measured fluxes illustrate the potential condition by management practices includ- to significantly influence regional budgets of ing significant inputs of water and fertilizer. greenhouse gases. The level of impact de-

110 Urban lawns as sinks and sources of greenhouse gases

Fig. 3-4: Aerial image of the investigation area including results from an unsupervised classification. Green colors depict urban lawns, blue colors depict water, and red and orange colors depict roads and buildings. The image captures 10x10km.

3.2. Results of investigations of land use berhöhe” (total area 204 hectares) it is change and soil forming processes in planned to remove more than 2000 apart- Halle-Silberhöhe ments until 2015 and to develop a “Wald- stadt” (forest city) on an area of 200 hec- Before construction began during the early tares. For this purpose first measures were 1980s, the area of today’s district Silberhöhe taken, e.g. soil recultivation and planting of was mainly characterized by agricultural trees, but quality and objectives of these land use. On a thin cover of or weath- measures varied. ered layer of sandstone, Luvisols and Cam- bisols developed. Corg-contents of these This study’s investigation area is located in soils ranged between 2.5 - 3 %, while A- the southwest of the district Silberhöhe and horizons were 3 to 5 dm thick. encompasses an area of 6.4 hectares. Throughout the entire district, changes in Political changes in 1989/90 were followed population have brought about changes in by strong decreases in population and, in land uses (Fig. 3-5) and have created condi- consequence, the removal of apartment tions for new soil developments. buildings, which has affected about 4 % of Halle’s total apartments. In the district “Sil-

111 Manfred Frühauf & Thomas S. Thienelt

Fig. 3-5: Present land uses in the district “Silberhöhe” (modified; Rossner, 2007)

But the areas cleared of buildings and im- Our investigations show, that some of these pervious surfaces are of very different qual- “new” urban soils are characterized by a ity and the “new” urban soils hardly compare very heterogeneous substratum, vertically to the pre-urban soil conditions (Fig. 3-6). as well as horizontally. The amount of rock Corg-contents of the shallow surface horizons fragments (of allochthone and autochthone are very low and reach only 8 – 20 % (15 - origin) in surface horizons and covering soil 17 t/ hectare) of pre-urban values. surfaces varies considerably (Fig. 3-7).

Fig. 3-6: A typical soil profile after „recultivation” (: syrosem, Rossner 2007)

112 Urban lawns as sinks and sources of greenhouse gases

Fig. 3-7: Percentages of rock fragments in surface horizons of soils in the investigated area (modified; Rossner, 2007) Furthermore, the “new” urban soils usually Other sites have much improved soil proper- have very low capacities for nutrient and ties due to an allochthonous input of humus. water storage and display signs of soil com- Corg-contents in the surface horizons reach paction. Thus, is only moderate 70 – 90 % of pre-urban values. Higher hu- at best. Planted trees and grasses reflect mus contents and thickness combined with variable soil qualities most impressively in a greater homogeneity of soil properties re- so far as well-developed stands of trees al- sult in an overall better soil quality. ternate with sites of “planting failures”.

Fig. 3-8: New open space with homogenous soils and better ecological conditions – higher humus concentrations and thicker humic horizons 113 Manfred Frühauf & Thomas S. Thienelt

These sites offer better conditions for soil ever, net uptake reported for agricultural development as well as for vegetation ecosystems of wheat and corn exceeded growth, especially for trees. Figure 3-8 urban lawns by a factor between 4 and 2.5. shows a site of “new” urban soils created The important controlling factors of gas after the removal of an apartment building. fluxes - soil moisture and temperature - did In May 2007, 20 000 poplars were planted not sufficiently explain the variations in flux on this area of 0.8 hectares and nearly all values. However, when evaluating the sig- saplings have survived. The first “harvest” of nificance of the presented results, the meth- trees is planned to take place in 3 to 4 odology and time length of this study need years, yielding about 40 tons of lumber. As- to be considered. Artifacts influencing suming average water content to be 50 %, chamber measurements cannot be ruled out this resembles a C-sequestration of 20 tons. completely. Furthermore, fluxes outside the This aboveground C-sequestration in bio- investigated time frame (e.g. in response to mass is accompanied by a carbon accumu- freeze-thaw events) may modify results. lation in soils. Currently the A-horizon con- Nevertheless, the complexity of interactions tains ca. 1.6 % C and has a thickness of org with other secondary factors of influence is 25 cm. likely to inhibit strong correlations between The future development of these carbon fluxes and individual parameters. The het- sinks as well as the potential of these sites erogeneity of urban soils can also be ex- as sinks and sources for other greenhouse pected to contribute significantly to the varia- gases is planned to be investigated in an tion of fluxes. extended, interdisciplinary study. In contrast to land use developments in

many other urban areas of the world (e.g. 4. Conclusions Denver), cities in former East Germany dis- Type and intensity of urban land use devel- play very different tendencies, especially in opment as well as natural factors such as districts constructed during socialist times. climate and soil properties modify sinks and Due to significant population decreases, ur- sources of greenhouse gases in multiple ban development is often characterized by ways. These factors also apply to areas of the removal of infrastructure, primarily open space within the urban environment. apartment buildings and roads. Information about the ecological qualities of these recul- Greenhouse gas fluxes estimated from ur- tivated areas can be retrieved from the local ban lawns in Denver, CO, illustrate that soils. Investigations have so far revealed emission and uptake rates may differ dis- that in this context humus content and tinctly from natural and agricultural ecosys- physical soil properties play a key role. Fu- tems. This finding appears most relevant in ture increases in C -contents as well as consideration of the present rapid expansion org vegetation development, focused on recrea- of the Denver Metropolitan Area. Emissions tion and timber production, will enhance of N O from urban lawns were notably 2 carbon sequestration in these areas sub- higher in comparison to other ecosystems. -2 -1 stantially. The mean N2O flux of 7.6 µg N2O-N*m *h was more than 90 and 150 % stronger than Although data presented in this study is of mean fluxes from wheat and Colorado preliminary character, the results have indi- shortgrass steppe ecosystems, respectively. cated that the process of urbanization can- Oxidation of CH4 in urban soils was limited. not be limited to a change in land use only, Uptake of CH4 was on average -8.1 µg CH4- but potentially modifies biogeochemical cy- C*m-2*h-1 and therefore up to 80 % lower cles. Considering the global trends of rapidly than mean uptake of Colorado shortgrass increasing urban populations and expansion steppes. Agricultural ecosystems of wheat of urban lands, emissions from urban eco- and corn exceeded urban soils with regard systems will gain in significance and there- to CH4 uptake as well. In addition, urban fore demand further scrutiny. soils proved to be a source of CH4 during 40 % of all measurements taken. Moreover, urban lawns were a net sink for CO2. Mean -2 -1 flux of net CO2 was -132.6 mg CO2-C*m *h and thus uptake was 170 to 360 % stronger in comparison to Kansas grasslands. How-

114 Urban lawns as sinks and sources of greenhouse gases

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ger Großblockbebauung und ihr ökolo- Address gisches Potential am Beispiel Halle- Prof. Dr. Manfred Frühauf Silberhöhe. Diplomarbeit. Martin-Luther- Dipl.-Geogr. Thomas S. Thienelt Universität Halle Wittenberg. Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Shepherd, J.M. & Jin, M. (2004). Linkages Institut für Geowissenschaften between the built urban environment Von-Seckendorff-Platz 4 and earth’s climate system. EOS, 06120 Halle (Saale) Vol.85, No. 23, 8 June 2004: 227-228. Skiba, U. and Smith, K.A. (2000). The con- Email: [email protected] trol of nitrous oxide emissions from agri- [email protected] cultural and natural soils. Chemosphere – Global Change Science 2: 379–386. Skiba, U.M., McTaggert, I.P., Smith, K.A., Hargreaves, K.J. and Fowler, D. (1996). Estimates of nitrous oxide emissions from soil in the UK. Energy Conversion and Management 37: 1303-1308. Skiba, U., Sheppard, L., Pitcairn, C.E.R., Leith, I., Crossley, A., van Dijk, S., Ken- nedy, V.H. and Fowler, D. (1998). Soil nitrous oxide and nitric oxide emissions as indicators of elevated atmospheric N deposition rates in semi-natural ecosys- tems. Environment and Pollution 102: 457–461. Stadt Halle. (2005). Wohnungsmarktberichte 2001-2003. Statistisches Landesamt Sachsen-Anhalt. (2006). http://www.stala.sachsen- anhalt.de/ Svirejeva-Hopkins, A. & Schellnhuber, H.J. (2005). Urbanised Territories as a Spe- cific Component of the Global Carbon Cycle. PIK-Report No. 94. Thienelt, T.S. (2007). Greenhouse gas flu- xes from urban lawns to the atmosphere in Denver, Colorado. Diplomarbeit. Mar- tin-Luther-Universität Halle Wittenberg. United Nations. (2004). World Urbanization Prospects: The 2003 Revision. New York. U.S. Census. (2006). http://www.uscensus.gov

116 CONTUREC 3 (2008) Seite 117 bis 130

Urbane Böden – Charakterisierung, Schadstoffbelastung und Be- deutung im städtischen Ökosystem

Urban soils – characterization, pollution and relevance in the urban ecosystem

MARTIN SAUERWEIN & CLEMENS GEITNER

Zusammenfassung Auf der Grundlage eines Literaturüberblicks werden Definition und Charakteristika urbaner Böden vorgestellt und diskutiert. Es wird eine Typisierung vorgenommen und die vielfältigen Möglichkeiten ihrer Entstehung und Überprägung aufgezeigt. In Bezug auf die häufig anzutreffende Schadstoffbelas- tung werden die Bandbreite und das Gefahrenpotenzial für den Menschen unter Berücksichtigung verschiedener Wirkungspfade beleuchtet. Schließlich wird auf die Bedeutung urbaner Böden im städ- tischen Ökosystem eingegangen. Dabei spielen die Leistungen der Böden hinsichtlich ihrer ökologi- schen Funktionen, beispielsweise in Bezug auf den Wasserhaushalt, eine zentrale Rolle, die bei ihrer Bewertung zu berücksichtigen sind.

Stadtböden, Bodenbelastung, Schadstoffe, Stadtökologie, Bodenfunktionen.

Summary Based on the relevant literature the definition and characteristics of urban soils are presented and discussed. The urban soils are classified and the variegated options of their genesis and transforma- tions are shown. With regard to the frequently observed pollution the spectrum and the exposure for humans are examined in consideration of different correlations. Finally the importance of soils in the urban ecosystem is presented. Thereby the potential of soils regarding their ecological functions has a central position, e.g. in relation to the water balance and must therefore be considered for the evalua- tion of urban soils.

1. Einleitung ist. Auch die deutsche Klassifikation sollte in Bezug auf die Untereinheiten noch weiter ver- 1.1 Was sind urbane Böden? feinert werden (Komossa et al., 2002; Blume, Böden in Siedlungsgebieten unterscheiden 1997; Bongard & Kneib, 1995). Etwas erstaun- sich in der Regel gravierend von den Böden, lich ist, dass Böden im Siedlungsbereich in welche die Siedlungen umgeben. Dies trifft einigen „gängigen“ deutschen Lehrbüchern zu insbesondere für urbane Landschaften zu, da den Themenfeldern Bodengeographie, Boden- es in ihnen durch meist lang anhaltende, viel- kunde, Stadt- und Landschaftsökologie nicht fältige und intensive anthropogene Überprä- oder kaum behandelt werden (Eitel, 2001; Gisi, gung zu einer markanten Veränderung der 1997; Adam, 1988; Bastian & Schreiber, 1999). bodenbildenden Faktoren kommt (Burghardt, In Anlehnung an Blume (2004) und als „übli- 1996). Die Stadtbodenforschung ist eine ver- che“ Charakterisierung häufig verwendet (z. B. gleichsweise junge Wissenschaftsrichtung. Die Scheffer & Schachtschabel, 2005; Wessolek, ersten Bodenkartierungen in urbanen Räumen 2001; Blume, 1998), können urbane Böden erfolgten Anfang der 1980er Jahre (Blume, (oftmals synonym: urban-industrielle Böden, 1982). Bislang hat sich, sowohl national als Böden städtisch-industrieller Verdichtungs- auch international, noch kein einheitliches räume, Stadtböden, Siedlungsböden) folgen- Kartierungskonzept etablieren können. Dies dermaßen definiert werden als „Gesamtheit führte zu einer Vielzahl von Ansätzen zur Klas- aller Böden der urban genutzten Flächen. Es sifizierung und Typisierung der Böden in urba- sind (z. T. kleinräumig vergesellschaftete) Bo- nen Räumen und zu einer entsprechenden deneinheiten natürlicher, anthropogen umge- Unübersichtlichkeit. Tabelle 1 bietet einen lagerter natürlicher und technogener Substra- Überblick, wie in der nationalen und internatio- te, die durch die anthropogene Überprägung nalen Standardliteratur urbane Böden be- (wie z. B. die Versiegelung) durch intensive zeichnet und charakterisiert werden. Siem Nutzung insbesondere eine Veränderung ihrer (2002), Meuser & Blume (2001) sowie Bullock Eigenschaften aufweisen.“ et al. (1999) weisen darauf hin, dass die inter- nationale Klassifizierung noch unbefriedigend

117 Martin Sauerwein & Clemens Geitner

Den in Tabelle 1 angeführten Zitaten ist ge- Böden in urbanen Landschaften auf unter- meinsam, dass bei den Typisierungs- bzw. schiedliche Weise möglich ist, die bisherigen Klassifizierungsansätzen die Funktionen und Ansätze jedoch nicht zu einer auf der Ökosys- die Bedeutung der Böden als Teil des städti- temtheorie begründeten, nachvollziehbaren schen Geoökosystems gar nicht oder nicht und ökosystemar raumwirksamen Kategorisie- ausreichend berücksichtigt werden. Dies be- rung führen. deutet, dass zwar eine Differenzierung der

Tab. 1: Bezeichnungen und Charakterisierungen urbaner Böden nach nationaler und internationaler Standardliteratur (Sauer- wein, 2006; verändert)

Quelle Bezeichnung Charakterisierung/Gesichtspunkte

AD-HOC ARBEITSGRUPPE Böden urban, gewerb- • „Kartieranleitung Stadtböden“ und entsprechende Klassifizierung BODEN 1994 lich, industriell und steht noch aus montan überformter AD-HOC ARBEITSGRUPPE • Verweis im Literaturverzeichnis auf die Empfehlungen des Flächen BODEN 2005 ARBEITSKREISES STADTBÖDEN DER DBG (1996)

BLUME 1998 Böden städtisch- Unterscheidung von drei Gruppen: industrieller Verdich- • veränderte Böden natürlicher Aufträge tungsräume • Böden anthropogener Aufträge natürlicher Substrate oder Mischun- gen derselben • versiegelte Böden

BURGHARDT 1995, Urbane Böden, Stadt- • Gliederung nach Ablagerungsart, Prozessen der Bodenbildung und BURGHARDT 1996 böden Bodenmerkmalen • Substratgliederung nach Merkmalen der Modifikation durch Substrat- behandlung

BURGHARDT 2002 Stadtböden • Viele Böden stehen am Anfang ihrer Entwicklung • Die Umwelt der Böden hat sich verändert (viele Böden treten als Relikte auf) • Böden aus umgelagerten Horizonten weisen Bodenmerkmale auf, die nicht am Ort entstanden sind (Phänotypen)

CRAUL 1999 Urban Soils • Zunächst Unterscheidung nach „natural“ und „urban made“ • Differenzierungen nach Site Conditions und Soil Conditions (fill, cut, mound or berm)

FAO Bodenkarte der • Durch den menschlichen Einfluss entstandene oder wesentlich um- Welt 1985 (BAILLY & gestaltete Böden NIEDER 2002) • Vier Untereinheiten: Aric, Fimic, Cumulic, Urbic Anthrosol

FIEDLER 2001 Stadtböden (= Urbane • Abteilung der Anthropogenen Böden wird klassifiziert in Terrestrische Böden) Kultosole, Moorkultosole, Bergbauböden (Bergeböden), Auftragsbö- den (Deposole), Versiegelte Böden, Bewässerungsböden und Re- duktosole

HILLER & MEUSER 1998 Urban-industriell verän- • Fünfstufiges Klassifikationsschema zur Eignung als Pflanzenstandort derte Böden

KUNTZE, ROESCHMANN & Abteilung Anthropogene • Gliederung in drei Klassen und zusätzlich ohne Zuordnung in „Anth- SCHWERDTFEGER 1994 Böden (= Kultosole) ropomorphe“ Böden (Auftragsböden/Deposole, Abtragungsbö- den/Denusole, Eindringböden/Intrusole)

KNAUF & MÖBES 1999, Anthropogene Böden • Gliederung der anthropogenen Böden Sachsen-Anhalts in acht MÖBES 2001 Hauptbodenformengruppen, in denen auch Böden in Siedlungsräu- men und aus industriellen Produktionsrückständen eine Berücksichti- gung finden

PIETSCH & KAMIETH 1991 Stadtböden • Böden als Komponenten urban-industrieller Ökosysteme • Nutzungstypen als Bezugsflächen

SCHEFFER & Böden städtisch- • Anthropogene Veränderung der Faktoren der Bodenentwicklung SCHACHTSCHABEL 2005 industrieller Verdich- führen insbesondere zu Auswirkungen auf die Funktionen der Böden tungsräume als Pflanzenstandort, Lebensraum für Organismen, Schadstofffilter, Regulator des Landschaftswasserhaushaltes

SCHWERDTFEGER 1997, Abteilung „Anthropoge- • sieben Klassen SCHWERDTFEGER & ne Böden“ • Hauptgliederungsprinzip: Ziel des menschlichen Handelns URBAN 1997

118 Urbane Böden

1.2 Belastung urbaner Böden durch und für ─ die Bodenchemie (z. B. pH-Wert: steuert den Menschen die Mobilität von Stoffen), Der auf den urbanen Oberflächen agierende ─ die Bodenphysik (z. B. fremde Substrate: Mensch verändert gezielt oder zufällig die Ei- steuern den Wasser- und Lufthaushalt), genschaften der unversiegelten Böden und ─ die Bodenbiologie (z. B. veränderte Le- somit auch ihre Möglichkeit, bestimmte Funkti- bensbedingungen der Bodenlebewesen: onen als Bestandteile des urban-industriellen steuern die Umsetzung organischer Sub- Ökosystems und als Ressource für den Men- stanzen), schen zu erfüllen. Die aus urbanen Nutzungen resultierenden stadtspezifischen Bodenverän- ─ die Ökologie des Standortes (fasst die derungen stellen zum Teil nachhaltige Belas- genannten Bereiche zusammen und be- tungen des Bodens dar. Im Folgenden sollen trachtet den Boden als Basis für Biotope). solche Veränderungen und damit einherge- hende Belastungen kurz skizziert werden. Auch wenn keine offenkundigen Veränderun- Dabei ist generell zu berücksichtigen, dass im gen des Bodens vorzuliegen scheinen, fungiert dieser oftmals doch als "Träger" von Belastun- urbanen Umfeld alle Übergänge von lediglich gering veränderten Böden bis hin zu wirklichen gen, die ebenfalls seine Leistungen im Öko- system und damit seine Nutzungsmöglichkeit Altlasten vorzufinden sind (vgl. Pietsch & Ka- beeinträchtigen. So wird der Boden in urbanen mieth, 1991). Im Hinblick auf die Belastungen können prinzipiell zwei Typen unterschieden Räumen mehr oder weniger unbemerkt über werden, die stofflichen (1) und die bodenstruk- die Jahrzehnte und teilweise Jahrhunderte zur turellen Belastungen (2), wobei sich beide Schadstoffsenke und zu einem Gefahrenpo- auch gegenseitig bedingen: tenzial für die Zukunft. Stoffliche Belastungen von Böden und Grundwasser werden anhand (1) Die meisten der in die Atmosphäre und von Messwerten erfasst und beurteilt, die für Hydrosphäre emittierten Stoffe sowie Stof- sich alleine betrachtet eine hohe Genauigkeit fe aus dem Wirtschaftskreislauf gelangen vortäuschen. Allerdings besteht von der Pro- letztendlich als Ablagerungen in die Li- bennahme über die Analysemethoden bis zur thosphäre bzw. Pedosphäre. Besonders in Interpretation von Messwerten eine große urbane Gebiete werden durch den wirt- Bandbreite von Fehlermöglichkeiten und sons- schaftenden Menschen große Stoffströme tigen Unsicherheiten, so dass die Beurteilung gelenkt, die dort umgewandelt und wieder solcher Ergebnisse mit entsprechender Um- verteilt werden. Sie konzentrieren sich als sicht vorgenommen werden sollte. Nah-Immissionen oft auf Flächen, die für Stoffablagerungen nur begrenzt aufnah- Alle Stoffe bzw. Verbindungen, die in Böden mefähig sind. Zusätzlich können durch be- eingetragen werden, sowohl „natürliche“ (z. B. Chloride, Nitrate) als auch die mehr als stimmte Bewirtschaftungsmaßnahmen so- wie durch Unfälle (Schad-)Stoffe in die 100.000 durch den Menschen geschaffenen Böden gelangen. künstlichen Substanzen, sind potenziell Schadstoffe. Entscheidend ist dabei die jewei- (2) Auch die Struktur von Böden als räumliche lige Dosis-Wirkungsbeziehung. Einige Stoffe Anordnung der festen Bodenbestandteile gelangen in Größenordnungen von mehreren bedingt wesentlich die Eigenschaften und 100.000 t/a in die Umwelt, andere nur in weni- die Entwicklung von Böden. Im urban- gen kg/a (Pietsch & Kamieth, 1991). In Tabel- industriellen Bereich konzentrieren sich le 2 sind Stoffe und Stoffgruppen zusammen- räumlich und zeitlich diverse mechanische gestellt, denen hinsichtlich Bodenbelastungen Einwirkungen auf die Bodenstruktur, die eine besondere Bedeutung zukommt. Darüber beispielsweise zu Umlagerung, Verdich- hinaus gibt es aus humantoxikologischer Sicht tung oder Auflockerung führen. eine Vielzahl von Stoffen, deren Verbreitung und Wirkungspotenzial im Detail noch weiter Stoffliche Einträge und deren Umsetzungen zu untersuchen sind (z. B. Antimon, Selen, sowie mechanische Einwirkungen können die Vanadium, Borate, Bromide, Phtalate, Oktach- Eigenschaften des Bodens maßgeblich verän- lorstyrol, sonstige chlorierte Kohlenwasserstof- dern und zwar im Hinblick auf folgende Berei- fe, Inhaltsstoffe von Wasch- und Reinigungs- che: mitteln, u. a. Tenside und Phosphatersatzstoffe (Bädjer, 2000; Blume, 1998).

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Tab. 2: Stoffe/Stoffgruppen, die für Bodenbelastungen eine besondere Bedeutung besitzen (Sauerwein, 2006)

Stoffe mit nachgewiesenem Gefahrenpotenzial, Stoffe mit nachgewiesenem die weit verbreitet sind und/oder Gefahrenpotenzial, jedoch von besonders nachteilige Wirkungen haben lokaler Bedeutung Arsen, Cadmium, Blei, Zink, Nickel, Aluminium, Kupfer Chrom, Thallium, Beryllium, Kobalt, Uran Salpetersäure/Nitrate Flusssäure/Fluoride, Cyanide Schwefelsäure/Sulfate Ammonium Salzsäure/Chloride Mineralöle PCB/PCT/PCN (polychlorierte Biphenyle, Terphenyle und Naphtali- Nitroaromate, aromatische Kohlenwasserstoffe (insbe- ne), HCB, DDT, PCP, HCH, PAH, leichtflüchtige chlorierte Kohlen- sondere Benzole, Toluole, Naphthaline), Paraquat wasserstoffe (Trichlorethen, Perchlorethen), PCDD/PCDF langlebige Radionuklide Phenole

Im Zusammenhang mit Schadstoffanreiche- • Belastungspfad Boden-Pflanzen-Nahrung- rungen im Boden ist als besonders wichtig Mensch (orale Aufnahme über die Nah- hervorzuheben, dass Böden nicht oder nur rungskette). sehr begrenzt von aufgenommenen Stoffen gereinigt bzw. befreit werden können. Weder Die Bewertung der unterschiedlichen Pfade Versalzungen noch Anreicherungen mit erfolgt stoffspezifisch und hängt im Wesentli- Schwermetallen oder bestimmten organischen chen von dessen Menge und Mobilität ab. Verbindungen lassen sich ohne enormen tech- nisch-chemischen Aufwand aus Böden wieder entfernen (Scheffer & Schachtschabel, 2005; Blume, 2004). Einige organische Verbindun- gen sind kurz- bis mittelfristig (Tage bis Jahre) durch biologische Prozesse abbaubar. Der Stoffaustrag aus Böden erfolgt in der Regel über das Niederschlags- bzw. Sickerwasser. Damit findet eine Belastungsverlagerungen in das Grundwasser oder die Oberflächengewäs- ser (z. B. Chloride) statt (Koch et al., 2004).

Die Gruppe der persistenten, d. h. im Boden Abb. 1: Böden als Belastungsquelle für den Menschen nicht oder nur in langen Zeiträumen abbauba- (Sauerwein & Scholten, 2006) ren, problematischen Stoffe stellt ein wach- sendes Gefahrenpotenzial dar, weil sie sich mit 2. Ökosystemare Funktionen und Bedeu- fortschreitendem Eintrag kontinuierlich anrei- tung urbaner Böden chern. Diese Anreicherung kann zu latenten, Böden dienen Organismen als Lebensgrundla- bei Überschreiten bestimmter Belastungsgren- ge, den Pflanzenwurzeln bieten sie Veranke- zen auch deutlichen Beeinträchtigungen von rung sowie Versorgung mit Wasser, Sauer- Bodenflora und Bodenfauna bis hin zur akuten stoff, Nährstoffen und Wärme. Außerdem regu- Gefährdung des Menschen führen. Die Ge- lieren sie den Wasserhaushalt und filtern, puf- fährdung erfolgt entweder über den direkten fern bzw. eliminieren Schadstoffe, die sonst Kontakt oder über die Nahrungskette bzw. das Organismen schädigen, in Nahrungspflanzen Grundwasser. Im Folgenden sind die unter- gelangen, das Grundwasser oder benachbarte schiedlichen Gefährdungspfade von Boden- Gewässer kontaminieren können (Blume, schadstoffen zum Menschen aufgeführt (vgl. 1998). Diese Erfüllung dieser Funktionen ist in auch Abb. 1): urbanen Landschaften stark eingeschränkt. • Belastungspfad Boden-Luft-Mensch (pul- Böden dienen hier in erster Linie im Sinne monale/direkte Aufnahme), eines Infrastrukturelements als „Unterlage“ für Gebäude, für Industrie- und Gewerbebetriebe, • Belastungspfad Boden-Mensch (ora- für Straßen- und Bahnkörper. Sie sind dann le/direkte Aufnahme), großteils versiegelt, d. h. kaum belebt. Außer- • Belastungspfad Boden-Mensch (kuta- dem werden sie zur Deponierung bzw. Entsor- ne/direkte Aufnahme), gung fester und flüssiger Abfälle benutzt, z. B. als Abraumhalden des Bergbaus, als Bau- • Belastungspfad Boden-Grundwasser- schutt- oder Mülldeponien sowie als Flächen Trinkwasser-Mensch (orale/ indirekte Auf- der Abwasserverrieselung. Es verbleiben somit nahme), oft nur kleine Flächen naturnaher Nutzung als

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Haus- oder Vorgärten, als straßenparallele schwierig, die Bodenfunktionen untereinander Grünstreifen, als Parks und Friedhöfe, als abzuwägen, denn wie oben dargestellt, ist ein Sport- und Spielplätze sowie als Kleingär- urbanes Ökosystem primär zur Nutzung durch ten/Gärtnereien und Flächen landwirtschaftli- und für den Menschen zu verstehen. In den cher Nutzung. Die aufgeführte Differenzierung beiden Beiträgen von Geitner et al. und Sau- findet sich auch im Stadtstrukturtypenansatz erwein & Rehm in diesem Band wird aufge- wieder (Sauerwein, 2006). Diese Flächen zeigt, dass (dennoch) eine Bewertung von bestimmen nun aber weitgehend die Lebens- Stadtböden über die Betrachtung der Boden- qualität der Bevölkerung einer Stadt, weil nur funktionen erfolgen und für die Planung wichti- deren Böden die Entwicklung eines Erholung, gen Input bieten kann. Gesundheit und Anregung spendenden Grüns Abschließend bleibt festzuhalten, dass urbane ermöglichen, und weil diese Böden als Regula- Böden im städtischen Geoökosystem eine tor und Filter einer Grundwassererneuerung zentrale Bedeutung haben, denn sie sind nicht dienen (Blume, 1998). Diesem „scheinbaren“ nur bezüglich des Stoffhaushaltes das Ge- Widerspruch zwischen Stadt und Natur widme- dächtnis der (Stadt-) Landschaftsentwicklung, te sich in den letzten Jahren eine Vielzahl von sondern sie sind als wichtige Schnittstelle zwi- Forschungsarbeiten (Hard, 2001; Breuste & schen den Ökosystemkompartimenten histo- Breuste, 2000; Breuste, 1999). risch, aktuell und zukünftig die Lebensgrundla- Viele Böden städtischer Freiflächen wurden, ge auch für den Menschen. wie oben aufgeführt, im Vergleich zu denen 3. Eigenschaften urbaner Böden prä-urbaner Landschaften seitens des Men- schen so stark verändert, dass sie ihre Funkti- Boden ist neben Wasser und Luft das dritte onen im Landschaftshaushalt bzw. Stadtland- "Umweltmedium", welches als Ökosystem- schaftshaushalt nur noch bedingt auszuüben kompartiment in enger Beziehung und Wech- vermögen. Im Bundesbodenschutzgesetz selwirkung mit den anderen Kompartimenten (BBodSchG, 1998) werden diese Funktionen steht - unabhängig vom Grad seiner anthropo- von Böden systematisiert und als Bodenfunkti- genen Beeinflussung oder Veränderung. Der onen bezeichnet (Tab. 3). Weiter wird darin Boden nimmt dabei eine zentrale Stellung bei formuliert, dass Bodenschutz als Schutz der den Stoffflüssen im Geoökosystem ein, denn Bodenfunktionen zu verstehen ist. In der Pra- er ist nicht nur Senke, sondern gleichzeitig xis stellt sich allerdings schnell heraus, dass auch Umsatzraum und Quelle (Hirner et al., der Schutz einer Bodenfunktion oftmals die 2000). Die Eigenschaften und Reaktionsweise negative Veränderung einer anderen Boden- der Böden im Bezug auf ihre ökologischen funktion bewirkt bzw. Nutzungsfunktionen au- Funktionen hängen maßgeblich von ihrer ßer Betracht gezogen werden müssen. Schützt anthropogenen Überprägung ab, die im Fol- man z. B. Bodenstandorte als Bestandteile des genden in drei Gruppen differenziert wird. Es Naturhaushaltes, so bedeutet dies, dass diese geht dabei im Sinne der Definition „Urbaner Standorte nicht als Fläche für Siedlung oder Böden“ um (1) Veränderungen an natürlich Verkehr in Anspruch genommen werden kön- entstandenen Böden, um (2) Böden nicht- nen (Burghardt, 1999). Gerade stadtökolo- natürlicher Substrate und um (3) versiegelte gisch-planerisch ist es somit außerordentlich Böden.

Tab. 3: Bodenfunktionen nach dem Bundesbodenschutzgesetz (BBodSchG, 1998; verändert)

1. Natürliche Funktionen als a) Lebensgrundlage und Lebensraum für Menschen, Tiere, Pflanzen und Bodenorga- nismen, b) Bestandteil des Naturhaushaltes, insbesondere mit seinen Wasser- und Nährstoff- kreisläufen, c) Abbau-, Ausgleichs- und Aufbaumedium für stoffliche Einwirkungen auf Grund der Filter-, Puffer- und Stoffumwandlungseigenschaften, insbesondere auch zum Schutz des Grundwassers. 2. Funktionen als Archiv... der Natur- und Kulturgeschichte 3. Nutzungsfunktionen als a) Rohstofflagerstätte, b) Fläche für Siedlung und Erholung, c) Standort für die land- und forstwirtschaftliche Nutzung, d) Standort für sonstige wirtschaftliche und öffentliche Nutzungen, Verkehr, Ver- und Entsorgung.“

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3.1 Anthropogene Veränderungen an natürlich ziert werden. In diesem Sinne unterscheidet entstandenen Böden Burghardt (1996) die Veränderungen hinsicht- lich Im Zuge der Siedlungstätigkeit bzw. von Sied- lungserweiterungen können vielfältige Verän- des Stoffbestandes durch: derungen der Pedosphäre erfolgen, die sich über die Veränderung einzelner Bodenparame- • Feststoffaufträge von natürlichen und ter beschreiben lassen. So können beispiels- technogenen Substraten oder Gemengen weise die Skelettgehalte (Korngrößen > 2 mm) aus diesen, durch den Eintrag von Fremdmaterialien signi- • Stoffeinträge, gasförmig, gelöst oder fest fikant erhöht werden (Stasch & Stahr, 2002), aus der Atmosphäre, Produktions- und ebenso die Humusgehalte im Zuge gartenpfle- Siedlungsstätten, Verkehr, Infrastrukturein- gerischer Maßnahmen (Lehmann, 2002). Auch richtungen, die Lagerungsdichte wird häufig verändert; es finden sich je nach Bodenbearbeitung bzw. • Schadstofftransfer, mechanischer Belastung sowohl aufgelockerte • Humusbildung und Grundwasserabsen- als auch verdichtete Böden. Durch das Auf- kung, oder Einbringen von Fremdmaterial entstehen zudem teilweise „neue“ Böden (Fetzer, 2002). des Stoffaustausches zwischen den Sphären Oftmals werden oder wurden bei der Anlage durch: von Siedlungen natürliche Böden überprägt • Klimaveränderung, (Blume, 2004), es kann sich aber auch um Böden handeln, die vorher bereits anderweitig • Bodenverdichtung und Versiegelung, genutzt und mehr oder weniger stark überprägt waren. Dies geschah in Mitteleuropa z. B. oft- • Wassereinzugsgebietsveränderungen, mals bei nachmittelalterlichen Stadterweite- • Veränderungen des Abstandes von Bo- rungen (wie in der Gründerzeit), als (meist) denoberfläche zu Grundwasser, agrarisch genutzte Flächen außerhalb der Städte überbaut wurden. In beiden Fällen kann der Überprägung natürlicher Merkmals- und man die Böden als „prä-urbane“ Böden be- Prozessstrukturen durch: zeichnen (Sauerwein, 1998). Die folgende • anthropogene Raummuster, Zusammenstellung listet auf, in welcher Weise natürliche Böden in Siedlungen verändert wer- • vertikale und horizontale Heterogenisie- den können: rung, • überbaut und überdeckt (Bodenversiege- • anthropogen gesteuerten Reliefwandel, lung), des Zeitraumes ihrer Bildung und der Häufig- • verschüttet (Auffüllung, Aufschüttung mit keit des Flächennutzungswandels, „Kulturschutt“; Materialien: Asche, Müll, der Veränderung der Speicher- und Transfer- Bauschutt, Schlacken), funktionen der Böden für Schadstoffe. • aufgehöht (Auftrag von Bodenmaterial, Zusammenfassend kann man die aus den betrifft z. B. Garten-/Parkböden), genannten Veränderungen resultierenden • abgegraben (Bodenmaterial beseitigt, Bo- Eigenschaften urbaner Böden wie folgt charak- denprofil gekappt durch Bodenabtrag/- terisieren: Es handelt sich oftmals um ein klein- aushub), räumiges Bodenmosaik der städtischen Sied- lungsfläche, das nutzungsbedingt von Meter zu • verdichtet (mechanische Bodenverdichtung Meter sehr stark differenziert sein kann. Bei durch Maschinen, Fahrzeuge, Planierung, fortschreitender Urbanisierung nehmen die Tritt), Eingriffe in die Bodeneigenschaften besonders durch bauliche Maßnahmen, mechanische • ausgetrocknet (Ursache: anthropogene Belastungen sowie Fremd- und Schadstoffein- Grundwasserabsenkung), träge zu, und es kommt zum Rückgang der • umgelagert (Baumaßnahmen), oberflächenbildenden Böden bzw. offener Frei- flächen. Auf den offenen Freiflächen (Vor-, • vermischt (Bodenbearbeitung, Baumaß- Haus-, Kleingärten, Grünanlagen) ist die nahmen), Spannbreite von humusarmen Aufschüttungs- • kontaminiert (Havarien, Leckagen, Immis- böden bis zu dunklen, humus- und nährstoff- sionen, Altlasten, Baumaßnahmen, Auf- reichen Böden (durch intensive, künstliche tausalze). Düngung) sehr hoch (Lehmann et al., 1995). Die Überprägung der urbanen Böden kann Ein Teil der Stadtböden ist aber auch ver- auch in Bezug auf ihre Auswirkungen differen- gleichsweise humusarm, was durch die Besei-

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tigung des Laubs und der Streu (Humusbild- Eigenschaften, gerade in Hinblick auf das ner) durch intensive Pflegemaßnahmen auf Schadstoffpotenzial, nicht gerecht werden. Es den Grünflächen (insbesondere der Parkanla- liegen mittlerweile unterschiedliche Bestim- gen) begründet ist. Die wichtigste physiko- mungsschlüssel vor, mit denen die technoge- chemische Kenngröße - der pH-Wert - liegt bei nen und natürlichen Substrate urban- der Mehrzahl der Stadtböden als Folge von industrieller Böden erfasst werden können kalkreichen Bauschuttresten und aufgewehtem (Schwerdtfeger, 1997; Meuser, 1996). Bei der Staub im neutralen Bereich. Die angesproche- Differenzierung ist vor allem auf folgende ne Entfernung des Falllaubs führt zur Minimie- Merkmale zu achten (in Anlehnung an Hiller & rung des natürlichen jährlichen Nährstoffnach- Meuser, 1998): schubs, wenngleich Bauschutt, Staub und Straßenkehricht diesen teilweise kompensie- • auffälliger Geruch, ren (vor allem Kalzium). Die geringe Humus- • dominierende Farbe des Substrates, auflage, die reduzierte Zahl an Bodenlebewe- sen und die mechanischen Bodenverdichtun- • Festigkeit, Oberflächenbeschaffenheit und gen wirken sich nachteilig auf den Luftaus- innere Struktur des Skelettanteils (Substra- tausch und damit die Durchlüftung der Böden te > 2 mm), aus. Die Reduktion des Porenvolumens senkt • Korngrößenzusammensetzung, zugleich die Wasserspeicherkapazität, so dass plötzlich auftretende große Wassermengen • Carbonatgehalt. (durch Starkregen und versiegelungsbeding- Technogene Substrate (auch „anthropogene ten, erhöhten Oberflächenabfluss) nur zum Teil Gesteine“ – Meuser, 2002) treten häufig nicht im Boden versickern können. Die feinmaterial- als isolierte Monosubstrate, sondern in Ge- reichen, oberflächlich abfließenden Wässer mengeform im Boden auf (Meuser et al., verschlämmen zusätzlich den Porenraum der 1998). Die Zusammensetzung der Gemenge Oberböden. Die Schadstoffbelastung der wechselt horizont- bzw. schichtenspezifisch. Stadtböden kann durch Schadstoffeinträge aus Die Auswertung von ca. 900 Bodenhorizonten der Luft, durch Regen-/Taufall, durch Hoch- aus der Tiefe 0–100 cm im Stadtgebiet von wässer (betrifft insbesondere die Auenböden), Essen ergab, dass ein Drittel aller Bodenhori- durch Altlasten, Auftausalze, Leitungslecka- zonte frei von technogenen Beimengungen gen, Havarien, unsachgemäße Lagerung oder sind (Horizonte natürlicher Pedogenese, um- Überdüngung erfolgen. Belastungsarten kön- gelagerte natürliche Substrate; Hiller & Meuser, nen dabei erhöhte Säureeinträge durch sauren 1998). Eigene Untersuchungen im Stadtgebiet Regen oder Stoffbelastungen durch stadttypi- von Halle führten zu einem ähnlichen Bild sche Schwermetalle (Blei, Kupfer, Zink, Nickel, (Sauerwein, 2006). So sind im Schnitt 40 % Mangan, Cadmium) oder organische Schad- der Bodenhorizonte (ebenfalls bezogen auf stoffe (PAK, PCB) sein (z. B. Heling & Rothe, den ersten Meter) aller im Zeitraum 1999–2003 1990; Henschler, 1993). aufgenommenen Bodenprofile (ohne archäolo- gische Grabungen) frei von künstlichen Bei- 3.2 Böden nicht-natürlicher Substrate mengungen. Dass diese Zahl geringfügig hö- In anthropogen überprägten Stadtböden findet her liegt als in Essen, ist damit zu begründen, man außer umgelagerten natürlichen Fest- und dass hauptsächlich Böden in Siedlungs- und Lockergesteinen eine große Anzahl technoge- weniger in Industriegebieten untersucht wor- ner Substrate, die zuvor unterschiedliche tech- den sind. Durch die im Rahmen einer Diplom- nische Prozesse durchlaufen haben (Blume, arbeit durchgeführte Analyse der anthropogen 1998). Als Hauptkomponentengruppen lassen bedingten Reliefveränderungen im Stadtgebiet sich z. B. Bauschutt, Schlacken, Aschen, Ber- von Halle (Krug, 2002) ließen sich Bereiche gematerial, Müll und Schlämme gegen einan- ausweisen, die künstlich aufgefüllt wurden und der abgrenzen (Hiller & Meuser, 1998). In der damit größtenteils nicht-natürliche, technogene Praxis stellt das Erkennen technogener Sub- Substrate enthalten (hauptsächlich Kippen, strate in Stadtböden den Kartierer häufig vor Halden u. ä.). Nur in weniger als 2 % aller Fälle große Probleme. Nicht zuletzt deshalb finden fanden sich Schichten aus reinen technogenen sich z. B. in Schichtenverzeichnissen immer Monosubstraten (Krug, 2002). Es kann also bei wieder ungenaue Angaben (z. B. Schla- anthropogen überformten Böden in der Regel cke/Asche), die der Vielfältigkeit der Stoffgrup- davon ausgegangen werden, dass als Substrat pen und vor allem ihren unterschiedlichen vorwiegend Gemengeformen vorliegen, was auch durch eine Vielzahl anderer stadtboden- kundlicher Arbeiten bestätigt wird.

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ss bflu cha Da Geringe Luftfeuchte

Geringe Verdunstung

Regenwasser wird schnell abgeführt Hochwassergefahr

Austausch zwischen Versiegelte Fläche Boden und Luft Belastung der Kanalisation ist unterbrochen Durchlüftung und Feuchte Schneller und des Bodens nehmen ab erhöhter Abfluss Schlechte Wuchsbedingungen Minimale Versickerung

Abb. 2: Auswirkungen der Bodenversiegelung auf den Wasserhaushalt (eigene Darstellung)

3.3 Versiegelte Böden dass dem Boden hier auch die Funktion eines Archivs zukommt, in dem jeweils ein Stück In Anlehnung an Wessolek (2001) bedeutet Stadtgeschichte dokumentiert wird. Bodenversiegelung, dass offener Boden ver- dichtet und/oder mit mehr oder weniger im- Beispiel 1: Aufgefüllte Pararendzina (München) permeablen Substanzen wie Asphalt, Beton oder Gebäuden überdeckt wird. Es werden Durch Jahrhunderte lange landwirtschaftliche drei Formen der Versiegelung unterschieden Nutzung ist die Grenze vom humosen Oberbo- (Wessolek, 2001; Blume, 1998): den zu den nur wenig verwitterten Schottern (Cv-Horizont) vergleichsweise scharf ausge- • Vollversiegelung (horizontale und vertikale) prägt (entspricht ehemaliger Pflugtiefe, Ap- z. B. durch Straßen, Plätze, Gebäude, Ka- Horizont, unterer Pfeil). Der humose Oberbo- näle etc., den ist insgesamt auffällig mächtig und mehr- • Teilversiegelung z. B. durch Pflasterung, schichtig, was auf anthropogen bedingten Auf- Gehwegplatten, Rasensteine etc., trag hinweist. Oberhalb des ehemaligen Pflug- horizonts ist zunächst eine kiesreiche Lage • Unterflurversiegelung z. B. durch Tiefgara- (oberer Pfeil), darüber humoses Material auf- gen, Tunnel, Leitungsschächte etc. geschüttet worden. Es handelt sich um natürli- In allen drei Fällen werden die Austauschvor- ches Material, das von einer benachbarten gänge zwischen Boden und Atmosphäre, die sowohl den abiotischen Bereich (wie Versicke- rung oder Verdunstung von Bodenwasser, Luftaustauschprozesse) als auch den bioti- schen Bereich betreffen, stark reduziert oder ganz unterbunden (Abb. 2). Dadurch kann der Boden als Schnittstelle im Ökosystem einen Großteil seiner ökologischen Funktionen nicht mehr erfüllen.

3.4 Beispiele für urbane Böden Im Folgenden werden drei Profile urbaner Bö- den aus München, Wittenberg und Halle vor- gestellt, die unterschiedliche Intensitätsstufen der anthropogenen Überprägung repräsentie- Abb. 3: Aufgefüllte Pararendzina aus carbonatreichem ren. Darüber hinaus belegen sie eindrücklich, Schotter, Ruderalfläche (München).

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Fläche stammen dürfte, auf der ein Parkplatz Stadterweiterung im Ankerviertel. Naturräum- eingerichtet worden ist. Einzelne Ziegelreste lich und auch bezüglich der prä-urbanen Bo- und Glasscherben bis in 50 cm Tiefe belegen denausstattung ist das Ankerviertel durch sei- ebenfalls diese Umlagerungs- und Vermi- ne Lage im Auenbereich der Saale geprägt. schungsvorgänge, die allerdings im Vergleich Unter den anthropogenen Deckschichten sind zu anderen Stadtböden als eher mäßige Auensedimente/Hochwasserabsätze flächen- anthropogene Überprägung einzustufen ist. deckend vorhanden. In ihnen hatte sich ein heute

Beispiel 2: Aufgefüllter Gley (Lutherstadt Wit- tenberg) Die Fläche, die als repräsentativ für die Rand- streifen von Hauptverkehrsstraßen gelten kann, liegt unmittelbar außerhalb der Altstadt am Ring, welchen alle Fahrzeuge benutzen müssen, die nördlich die Altstadt passieren. Recherchiert man in historischen Karten, so kann man erkennen, dass in diesem Bereich ein Bach geflossen ist, der heute nicht mehr sichtbar ist (Rischebach). Das Bodenprofil kann

Abb. 5: Deposol aus Bauschutt über quasi-natürlichem Auenboden (Saale), Vorgarten (Halle/Saale). überdeckter humoser Oberboden (Ah-Horizont, unterer Pfeil) entwickelt. Die Mächtigkeit der anthropogen aufgebrachten Mischsubstrate (oberer Pfeil) beträgt bis zu 1,2 m. Sie sind teilweise von Bauschutt durchsetzt und im oberen Bereich deutlich humos. Die Analyse der Schwermetallgehalte zeigt deutlich erhöhte

Gehalte in diesem Horizont. Für Blei liegen sie Abb. 4: Aufgefüllter Gley (Rischebach), Park (Lutherstadt sogar über den Prüfwerten der UVP- Wittenberg). Verwaltungsvorschrift. Diese Befunde sind als anthropogen überprägter Gley angespro- typisch für eine Vielzahl von Bodenprofilen in chen werden. Die Überprägung besteht darin, den mitteleuropäischen Kernstädten bzw. den dass der ehemalige humose Oberboden (Ah- direkt daran anschließenden Bereichen. Hier Horizont) des Gleys abgetragen und über sei- wurde offenbar Siedlungsbauschutt (ohne nen hellen, von Grundwasser geprägten Un- Anzeichen auf „jüngere“ Beimengungen wie terboden (Go(Gr)-Horizont, unterer Pfeil) eine beispielsweise Plastik, Kronkorken etc.) älteren ca. 60 cm mächtige Aufschüttung (oberer Datums im Zuge der Überbauung des Anker- Pfeil), die mit Ziegelresten und Keramik durch- viertels „genutzt“, um im Auenbereich das Re- setzt ist, aufgebracht und diese mit einem hu- lief zu erhöhen. Die Gehalte im fossilen Ah- mosen Oberbodenmaterial abgedeckt wurde. Horizont sind für Blei und Kupfer etwas höher Die Keramikfunde sind archäologisch in das als im rezenten Ah-Horizont, was auf eine späte Mittelalter datiert, so dass davon auszu- „Vorbelastung“ auch des ehemaligen Auen- gehen ist, dass die Auffüllung in dieser Zeit standortes hinweist. oder später erfolgte. Zudem ist aus der Stadt- historie bekannt, dass der Bach im späten 4. Bodenbildung und Schadstoffeinträge Mittelalter „verschwand“. Vermutlich stammt in urbanen Räumen das humose Material aus dem Bereich der Wie in den vorigen Teilkapiteln aufgezeigt, sind Altstadt und könnte als ehemaliger mittelalterli- die bodenbildenden Substrate in urbanen Öko- cher „Hausmüll“ angesprochen werden. systemen sowohl natürlicher (meist auto- chthon) als auch künstlicher (allochthon) Ge- Beispiel 3: Deposol aus Bauschutt (Hal- nese. Durch ihre physikalischen und chemi- le/Saale) schen Eigenschaften bestimmen diese Sub- Das Bodenprofil befindet sich im Bereich der strate Art, Intensität bzw. Geschwindigkeit der Blockrandbebauung einer gründerzeitlichen Bodenbildung wesentlich mit. Auch andere

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Prozesse der Pedogenese werden vom Men- sich dabei um ungewollte – und oft unbemerk- schen beeinflusst, wodurch es zu einer „urba- te – Nebenwirkungen bestimmter Nutzungen, nen Bodenbildung“ kommt. Im Folgenden sind die im Sinne des Bodenschutzes in Zukunft einige dieser Prozesse und die daraus entste- mehr Beachtung finden sollten. henden Böden aufgeführt (Sauerwein, 2006): Wie einleitend bereits andiskutiert, ist die oft • Humusanreicherung: Es entstehen Rego- hohe Schadstoffbelastung ein wesentliches sole (kalkfrei) und Pararendzinen (kalkhal- Merkmal urbaner Böden. Daraus ergeben sich tig). problematische Folgen, die sowohl qualitativ (z. B. durch Toxizität oder Persistenz) als auch • Carbonatanreicherung, vorwiegend aus quantitativ (z. B. durch Versauerung oder Aus- Bauschutt: Es entstehen schwach bis stark waschung) charakterisiert werden können. alkalische Böden, die entsprechend ihren Beim Eintrag von Schadstoffen können folgen- natürlichen Vertretern als Pararendzinen de grundsätzliche Formen unterschieden wer- bezeichnet werden. den (Sauerwein 2002): • Mischung von Substraten technischen • Der diffuse, weiträumige, relativ gleichmä- Ursprungs mit natürlichem Boden: Es ent- ßige Eintrag in geringen Konzentrationen. stehen Phyrolithe (Phyro: Mischung aus Dazu zählen Massenschadstoffe sowie or- natürlichen und technogenen Substraten). ganische Verbindungen und Schwermetal- • Ablagerungen von Substraten technischen le. Betroffen sind die oberen Bodenschich- Ursprungs (Bauschutt, Aschen etc.): Es ten. entstehen Technolithe. • Der konzentrierte, räumlich und zeitlich • Stauwasserbildung über künstlichen Stau- begrenzte Eintrag. Die Zufuhr in die Böden sohlen: Es entstehen Pseudogleye. ist eher ungleichmäßig, nutzungstypisch und kann alle Bodenschichten/-horizonte • Reduktomorphe Prozesse infolge Sauer- betreffen. stoffzehrung, z. B. durch Methanbildung: Es entstehen Methanosole (gehören zur Eine weiter gehende Differenzierung ergibt Gruppe der Reduktosole). sich, wenn man die Quellen bzw. Eintragspfa- de der Schadstoffe und ihre Folgen genauer Mit den auf diese Weise neu entstandenen ins Auge fasst (alle Daten aus Sauerwein, Böden verändert sich auch ihre ökologische 2002): Leistungsfähigkeit. Dies lässt sich besonders deutlich an den Bodenwasser- und Nährstoff- Deposition von Luftverschmutzungen aus Ge- haushaltseigenschaften belegen, die wiederum werbe, Industrie und Hausbrand (diffuse, eher weitere, über den Boden ablaufende, stoffliche großflächige Einträge). und energetische Prozesse in Stadtökosyste- An „Massenschadstoffen“, die als trockene men steuern (u. a. Infiltrations- und Grundwas- oder nasse Deposition letztendlich wieder in serneubildungspotenzial, Bodenwärmehaus- die Böden gelangen, sind für Deutschland zu halt usw., vgl. Wessolek, 2001; Wessolek & nennen: Facklam, 1997; Taubner & Horn, 1999). Die • Schwefeldioxid, ca. 2,5 Mio. t/a, vorwie- Veränderung der pedoökologischen Eigen- gend aus Kraftwerken, schaften und damit der ökologischen Leis- tungsfähigkeit der Böden ist nur teilweise be- • Stickoxide, ca. 3,1 Mio. t/a, hoher Anteil wusst herbeigeführt, in der Regel handelt es Verkehrsemissionen,

Tab. 4: Charakterisierung der Schadstoffquellen hinsichtlich Dauer, Eintragsform, Konzentration und Wirkungsbereich im Boden (Sauerwein, 2002)

Quelle Dauer Eintragsform Konzentration Kontamination Immissionen sehr lang diffus sehr gering Oberfläche Ablagerung mittelfristig lokal hoch Oberfläche/Tiefe

Kanalisation sehr lang linear hoch Tiefe Defekte Tanks, Leitungen mittelfristig lokal sehr hoch Tiefe Unfälle kurz lokal sehr hoch Oberfläche Bewirtschaftungsmaßnahmen mittelfristig lokal gering Oberfläche

126 Urbane Böden

• Schwebstaub mit anorganischen und or- Art auf bestehenden und ehemaligen Standor- ganischen Inhaltsstoffen. ten von Industrie und Gewerbe setzen sich aus einer Fülle branchenspezifischer Stoffe zu- Während Schwefeldioxid und Stäube bundes- sammen. Je nach Produktionsverfahren muss weit seit Jahren deutlich rückläufig sind, ist die mit unterschiedlichen Schadstoffen gerechnet Tendenz bei Stickoxidimmissionen eher stag- werden. Typische Stoffe oder durchschnittliche nierend bis leicht steigend. Über Luftver- Belastungen können nicht angegeben werden, schmutzungen werden auch Spurenschadstof- da das Spektrum a priori alle Produktionsabfäl- fe, hauptsächlich organische Verbindungen, in le in beliebigen Konzentrationen abdeckt. die Böden eingetragen. Sie sind ähnlich wie die Schwermetalle meist an Staubpartikel ge- Deponien und "wilde" Ablagerungen bunden, werden aber auch durch Niederschlä- (konzentrierte Einträge). Zu den als Altlasten ge aus der Atmosphäre gelöst. In der Bundes- erfassten ehemaligen Altablagerungen kom- republik werden jährlich etwa 1,9 Mio. Tonnen men die noch in Betrieb befindlichen Deponien organischer Verbindungen an die Umwelt ab- und unzählige Kleinstablagerungen, Verfüllun- gegeben. Dabei handelt es sich um tausende gen, Aufschüttungen, die in ihrer flächenhaften Substanzen, die in unterschiedlichen Mengen Ausdehnung in altindustrialisierten Gebieten freigesetzt werden. Viele dieser Verbindungen die verbliebene Restfläche der weitgehend werden in der Atmosphäre abgebaut, stabilere natürlich gelagerten Böden übertreffen können Substanzen gelangen mit dem Staub und den (Sauerwein, 2002). Für die Stadt Halle wurde Niederschlägen in die Böden. Zu diesen Spu- ein Flächenanteil von 15 % abgeschätzt (Krug, renschadstoffen gehört die umfangreiche und 2002). umweltrelevante Gruppe der Kohlenwasser- Aufbringen von "Bodenverbesserungsmitteln“ stoffe, besonders halogenierte Kohlenwasser- (konzentrierter, nutzungstypischer, durch den stoffe. Menschen direkt gesteuerter Eintragspfad). Verkehrsspezifische Immissionen Eine nicht unerhebliche Bedeutung für Schad- auf Straßenverkehrsflächen, Schienenver- stoffeinträge besonders für die bearbeitete kehrsflächen (Einträge sowohl diffus als auch Bodenschicht haben sogenannte Bodenver- konzentriert auf Verkehrsflächen und deren besserungsmittel, die oftmals hohe Schwerme- Randbereiche). Die Verkehrsimmissionen be- tallkonzentrationen aufweisen. Dabei handelt trugen im Jahr 2000 bundesweit rd. 5,3 Mio. es sich häufig um mit Klärschlamm versetzte Tonnen Kohlenmonoxid, rd. 0,6 Mio. Tonnen Mischsubstrate unterschiedlichster Herkunft. Kohlenwasserstoffe, rd. 1,7 Mio. Tonnen Stick- Deshalb kann auch hier keine Pauschalaussa- stoffoxide, rd. 0,1 Mio. Tonnen Schwefeldioxid, ge über Belastungskonzentrationen und/oder 65.800 Tonnen Staub und 1.200 Tonnen Blei. Stoffe gemacht werden. Auf den Straßen wurden 2000 rd. 0,8 Mio. Bodenaustausch mit kontaminierten Substra- Tonnen Auftaumittel eingesetzt (Blume, 2004). ten (konzentrierter Eintrag). Hinzuzurechnen ist noch der nicht näher quan- Aufschüttungen und Verfüllungen als Grün- tifizierbare Einsatz von Herbiziden auf den dungs- und Sicherungsmaßnahmen für Ge- Verkehrsflächen. bäude, Infrastruktureinrichtungen usw. waren Schadstoffe aus Leitungen/Infrastruktur in der Vergangenheit und sind teilweise heute wie Kanalisationssystemen und Gasleitungen noch willkommene Verwendungsmöglichkeiten (Einträge konzentriert und linear in tiefere Bo- (Recycling) für Bodenaushub, Bauschutt und denschichten). Undichte Abwasserleitungen sonstige (Abfall-) Substrate, die nicht selten mit sind ein bisher unterschätztes Problem urba- Schadstoffen kontaminiert sind. ner Boden- und Grundwasserbelastungen. Pro Jahr versickern in Großstädten Millionen von Sedimentation in Gewässern (konzentrierter Kubikmetern belasteter Abwässer, die aus den Eintrag). Haushalten und aus gewerblichen Verarbei- In den Sedimenten stehender und fließender tungsprozessen (Indirekteinleiter) stammen. Gewässer werden schon durch natürliche Pro- Für die Stadt Halle (rd. 240.000 Einwohner) zesse Schadstoffe, insbesondere Schwerme- wurde eine Größenordnung von 800.000 m3 talle, angereichert. Hinzu kommt ein sehr viel pro Jahr ermittelt (Sauerwein, 2006). größerer anthropogener Anteil. Der Abfluss der angeschlossenen Gebiete konzentriert die Ablagerungen und Kontaminationen auf Be- diffuse Immissionsbelastung der Städte auf triebsflächen eine vergleichsweise kleinflächige Schadstoff- (konzentrierte Einträge nicht nur auf die Ober- senke. Die Folge sind Faulschlammbildungen böden, sondern bis in Tiefen von mehreren mit Schadstoffkonzentrationen, die teilweise Metern. Deponieren von produktionsspezifi- den Kriterien einer Einstufung als Sondermüll schen Abfällen; Tanks, betriebsinterne Lei- genügen. Untersuchungen in Halle belegen, tungssysteme etc.). Bodenbelastungen dieser dass eine Vielzahl der städtischen Gewässer-

127 Martin Sauerwein & Clemens Geitner

sedimente mit Schwermetallen belastet ist bezogene Leistungen in Anspruch. Die Diffe- (Heckner, 2003; Winde, 1996). Durch Über- renzierung von „Bodenfunktionen“ ermöglicht schwemmungen können insbesondere die eine Gegenüberstellung des natürlichen Sys- Böden der Auenbereiche ebenfalls kontami- tems Boden mit den zivilisatorischen Nut- niert werden (Winde & Frühauf, 2001). zungsansprüchen des Menschen. Die obigen Ausführungen haben gezeigt, dass aber gera- Die aufgezeigten (Schad-) Stoffakkumulatio- de in urbanen Räumen ein Grundproblem in nen in Böden sind im Unterschied zu den Um- der Konkurrenz einzelner Bodenfunktionen weltmedien Luft und Wasser, zumindest in den besteht. Letztlich ist es eine kommunalpoliti- Anfangsstadien, vom Menschen kaum spür-, sche Entscheidung, inwieweit raum- bzw. so- d.h. fühl-, riech- oder sichtbar. Oftmals werden gar standortbezogen welcher der Bodenfunkti- diese Belastungswirkungen erst dann bemerkt, onen eine höhere Priorität eingeräumt wird. wenn eine Aufrechterhaltung der Bodenfunkti- Dabei sollte aus stadtökologischer Sicht ein onen kaum noch gewährleistet ist (Scheffer & Hauptaugenmerk auf die räumliche Verteilung Schachtschabel, 2005; Fiedler, 2001). Da eine der qualitativen und quantitativen Ausprägung natürliche „Dekontamination” z. B. bei Schwer- der Bodenfunktionen gelegt werden. metallbelastungen aufgrund der in der Regel hohen pH-Werte kaum wirksam wird und eine technische „Reinigung” nur eingeschränkt Literatur möglich und sehr kostenaufwändig ist, muss Adam, K. (1988). Stadtökologie in Stichworten. das ökologische Potenzial der Böden unter Hirt´s Stichwortbücher. Unterägeri. solchen Bedingungen als überaus problema- AD-HOC Arbeitsgruppe Boden (Bundesanstalt tisch eingeschätzt werden. für Geowissenschaften und Rohstoffe Es sind jedoch nicht nur die unmittelbaren (Ed.)) (1994). Bodenkundliche Kartieranlei- Beeinträchtigungen der (in-situ-) Standortei- tung. 4. Aufl. Hannover. genschaften, die dieses „Bodenproblem“ in AD-HOC Arbeitsgruppe Boden (Bundesanstalt städtischen Ökosystemen so brisant machen. für Geowissenschaften und Rohstoffe Einschränkungen oder sogar völliges Außer- (Ed.) (2005). Bodenkundliche Kartieranlei- kraftsetzen der (natürlichen) Bodenfunktionen tung. 5. Aufl. Hannover. in Städten führen auf Grund der „integralen Arbeitskreis Stadtböden der DBG (1996). Ur- Stellung der Böden innerhalb einer Landschaft“ baner Bodenschutz. Berlin. (Haase, 1991) über Modifikationen der Spei- Bädjer, N. (2000). Zum Einfluss der Porosi- cher-, Steuer- und Reglerfunktionen nicht nur tätsmerkmale von Stadt- und Industriebö- zu unmittelbaren Verringerungen des ökologi- den auf die Stoffkonzentration von Sicker- schen Potenzials an der „Verursacherstelle“, wasser: dargestellt am Beispiel von bau- sondern auch zu (negativen) Auswirkungen auf schutt-, aschen-, schlacken- und den Stoff- und Energiehaushalt des gesamten schlammhaltigen Böden. Diss. Essener städtischen Ökosystems (Leser, 1997; Rott- ökolog. Schr. 14. länder et al., 1997). Beispiele dafür sind u. a. Bailly, F. & Nieder, R. (2002). FAO/Unesco, die Beeinträchtigung des Versickerungs- bzw. Bodenkarte der Welt. Handbuch Bodenk. Grundwasserneubildungspotenzials (Taubner Kap. 3.2.7. & Horn, 1999), der mikroklimatischen Situation Bastian, O. & Schreiber, K.-F. (1999). Analyse (Kuttler, 1995) oder des Lebensraumes für die und ökologische Bewertung der Land- städtische Vegetation (Wittig, 1998; Winkler, schaft. Heidelberg/Berlin. 1996) und Fauna (Klausnitzer, 1998). BBodSchG (Bundes-Bodenschutzgesetz) (1998). Gesetz zum Schutz des Bodens. 5. Bodenschutz - Bedeutung von Stadtbö- Beschluss vom 05.02.1998. den für die Planung Blume, H.-P. (2004). Handbuch des Boden- schutzes. Landsberg. Generell besteht ein methodisches Problem Blume, H.-P. (1998). Böden. In: Sukopp, H. & darin, in welchen Maßstäben Qualitäten von R. Wittig (Ed.). Stadtökologie. Stuttgart Böden in Stadtlandschaften auszuweisen, zu u. a. S. 168-185. erfassen und zu bewerten sind. Meist wird der Blume, H.-P. (1997). Reduktosole - eine neue grundsätzliche Ansatz verfolgt, dass der Boden Klasse der deutschen Bodensystematik. Funktionen im Kreislauf der Elemente zwi- Mitt. Dt. Bodenk. Ges. 85. S. 1103-1106. schen abiotischen Komponenten (u. a. Gestei- Blume, H.-P. (1982). Böden des Verdichtungs- nen) und biotischen Komponenten (lebenden raumes Berlin. Mit. Dt. Bodenk. Ges. 33. Organismen) erfüllt und diese aus stadtökolo- S. 269-280. gisch-systemtheoretischer Sicht optimal erhal- Bongard, B. & Kneib, W. D. (1995). Inventari- ten werden sollen. Der Mensch nutzt den Bo- sierung von technogenen Substraten und den und nimmt dabei verschiedene funktions-

128 Urbane Böden

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129 Martin Sauerwein & Clemens Geitner

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130 CONTUREC 3 (2008) Seite 131 bis 145

Wie können Böden zur Qualität der Stadtlandschaft beitragen? – Entwicklung eines Bodenschutzkonzeptes für die Stadt Jena

How can soils contribute to the quality of urban landscapes? – Development of an urban soil protection concept for the city of Jena

MARTIN SAUERWEIN & INGO REHM

Zusammenfassung Mit dem im Folgenden vorgestellten Beispiel steht der Stadt Jena eine erste Grundlage für ein eigenes Bodenschutzkonzept zur Verfügung. Dieses verdeutlicht sowohl die Notwendigkeit des konzeptionel- len Bodenschutzes auf kommunaler Ebene als auch die Möglichkeiten und Schwierigkeiten bei der Konzepterstellung selbst. Vor dem Hintergrund der aktuellen Datensituation konnte vorläufig nur ein Kriterium bewertet und in seiner räumlichen Verteilung als Kartengrundlage für die Planung bereitge- stellt werden. In Form der Naturnähe handelt es sich dabei aus Sicht des Bodenschutzes jedoch um ein sehr wichtiges Kriterium, da der Grad der Naturbelassenheit in der Regel einen guten Indikator für die Erfüllungsgüte anderer Bodenfunktionen darstellt.

Stadtböden, Bodenschutzkonzepte, Bodenschutzgesetz, kommunaler Bodenschutz, Stadtökologie

Summary The presented example is the first basis for a soil protection concept for the city of Jena. This concept clearly reveals both the exigency of communal soil protection as the possibilities and the difficulties at the preparation of a concept. Due to the current data it was only possible to evaluate one criterion and to process it into a map. But this criterion “orientation by nature” is a very important criterion from the view of soil protection, because the degree of natural state is a very good indicator for the level of compliance of the other .

1. Einleitung Um der angesprochenen Problematik entge- genzusteuern, entwickelten einige Kommunen Der Boden spielt als Lebensgrundlage für in den vergangenen Jahren konzeptionelle Mensch, Tier und Pflanze sowie als Medium Ansätze. Mit Hilfe von Bodenschutzkonzepten mit wichtigen Funktionen im Rahmen von können die Bodeneigenschaften bei der räum- Wasser- und Nährstoffkreisläufen eine zentrale lichen Gesamtplanung berücksichtigt werden. Rolle innerhalb des Ökosystems. Er stellt eine Dadurch wird es möglich, sowohl den Anforde- leicht zerstörbare und nicht vermehrbare Res- rungen einer nachhaltigen Umweltpolitik zu source dar. In Zusammenhang mit den hohen entsprechen, als auch einen Beitrag zur Opti- Nutzungsansprüchen der heutigen Industrie- mierung der kommunalen Bauleitplanung zu und Dienstleistungsgesellschaft kommt es leisten. daher häufig zu einem irreversiblen Verlust von wertvollen Bodenfunktionen für künftige Gene- 2. Anlass und Basis der Erstellung eines rationen. Bodenschutzkonzeptes für die Stadt Vor diesem Hintergrund überrascht die Tatsa- Jena che, dass trotz des bundesweiten Ziels der 2.1 Das Schutzgut Boden Sicherstellung eines nachhaltigen Schutzes der Umwelt, die Belange des vorsorgenden In der Wissenschaft stellt der Boden einen Bodenschutzes in den meisten Städten und Untersuchungsgegenstand dar und wird dem- Gemeinden immer noch zu kurz kommen. Die entsprechend umfassend beschrieben. Die Bestrebungen zur Minimierung des Flächen- Definition berücksichtigt sowohl Entwicklung verbrauchs fördern zwar den Bodenschutz in und Zustand des Bodens als auch dessen quantitativer Hinsicht, aber qualitative Aspekte Rolle als Naturkörper im Ökosystem, ein- finden aufgrund fehlender Entscheidungs- schließlich seiner Funktionen und der Sensibili- grundlagen immer noch kaum Berücksichti- tät gegenüber anthropogenen Einwirkungen (s. gung, so dass nach wie vor hochwertige Bö- Brady & Weil, 2002; Scheffer & Schachtscha- den verloren gehen. Auch in Jena besteht bel, 2002). diese Gefahr.

131 Martin Sauerwein & Ingo Rehm

Die Bedeutung des Bodens als Schutzgut wird Daneben betreffen auch Vorschriften außer- allerdings von der rechtlichen Definition des halb des BBodSchG den Bodenschutz. Hin- Bodenbegriffs bestimmt (vgl. Jessen-Hesse, sichtlich der kommunalen Bauleitplanung sind 2002). Umweltpolitik und Gesetzgebung legen insbesondere das Bau- und Raumordnungs- diesbezüglich das Hauptaugenmerk auf die recht, das Naturschutz- und Wasserrecht so- Bodenfunktionen. Das am 01.03.1999 in Kraft wie das UVP-Recht von Bedeutung (vgl. Adler, getretene BBodSchG definiert den Boden als 2001; MRU Sachsen-Anhalt, 1999). Einige „[…] die oberste Schicht der Erdkruste, soweit zentrale Aspekte tauchen teilweise gleich in sie Träger der in Absatz 2 genannten Boden- mehreren Gesetzestexten auf (BauGB funktionen ist, einschließlich der flüssigen Be- 1960/2004, ROG 1997, BNatSchG 2002, WHG standteile (Bodenlösung) und der gasförmigen 1957/2002, UVPG 1990/2005). Bestandteile (Bodenluft), ohne Grundwasser In Form der Strategischen Umweltprüfung und Gewässerbetten“ (BBodSchG, § 2, Abs. 1, (SUP) existiert zudem ein wichtiges, die räum- 1998). Differenziert wird zwischen natürlichen liche Gesamtplanung betreffendes Verfahren, Funktionen, Archivfunktionen und Nutzungs- bei dem eine Abwägung der Bodeneigenschaf- funktionen. ten erforderlich ist (vgl. UVPG 1990/2005). An Rechtliche Grundlagen und kommunale Pla- dieser Stelle wird auf Lambrecht et al. (2003b) nung verwiesen, welche die kommunalen Planungs- und Zulassungsverfahren und deren boden- In Deutschland bildet Artikel 20a GG die recht- schutzrelevante Bezüge im Auftrag der Bund- liche Basis für einen nachhaltigen Schutz der /Länder-Arbeitsgemeinschaft Bodenschutz Umwelt. Demnach hat der Staat die natürli- (LABO) detailliert und übersichtlich zusam- chen Lebensgrundlagen „[…] auch in Verant- mengetragen haben. wortung für die künftigen Generationen […]“ zu Gesellschaftliche Bedeutung schützen (GG, 1949). Im Zuge von Siedlungs-, Gewerbe- und Infra- Die Bedeutung des Bodens trat im Vergleich strukturaktivitäten nimmt die Inanspruchnahme zu anderen Umweltmedien jedoch erst spät in der Böden durch den Menschen stetig zu (Abb. den Vordergrund der umweltpolitischen Dis- 1). Heute werden für diese Zwecke in Deutsch- kussion. Ein eigenständiges, bundesweit ein- land pro Tag ca. 120 Hektar herangezogen, heitliches Regelwerk zum Zwecke des Boden- was in etwa der Größe von 170 Fußballfeldern schutzes existiert seit dem Jahre 1999 in Form entspricht (Umweltbundesamt, 2007). In Thü- des BBodSchG und der BBodSchV. Der Frei- ringen sind es, bezogen auf Daten aus dem staat Thüringen verabschiedete am Jahre 2002, täglich ca. drei Hektar (TLUG. 31.12.2003 ein Landesgesetz zur Ausführung 2007c). Um diesen Trend zu stoppen, strebt der damit verbundenen Vorgaben (Thür- die Bundesregierung eine Reduzierung der BodSchG 2003, § 1). Flächenumwandlung auf 30 Hektar pro Tag bis zum Jahre 2020 an (Bundesregierung, 2002).

Deutschland Thüringen

Abb. 1: Relative Entwicklung der Bodennutzung in Deutschland und Thüringen seit 1992 (verändert nach TLUG, 2006c) 132 Wie können Böden zur Qualität der Stadtlandschaft beitragen?

Die Ressource Boden wird in Zusammenhang Ressource für Bauzwecke. Traditionelle mit den oben genannten Aktivitäten nicht im Hemmschwellen im Umgang mit dem Boden wörtlichen Sinne verbraucht. Sie verbleibt zu sind praktisch nicht mehr vorhanden. Da der Teilen an ihrem ursprünglichen Platz und das Flächenanspruch pro Kopf steigt, wird der ausgehobene Material wird an anderer Stelle Druck auf funktionstaugliche Böden immer wieder abgelagert. In Abhängigkeit von der größer. Nutzungsart kommt es jedoch meist zu negati- ven Veränderungen der Bodeneigenschaften 2.2 Kommunale Bodenschutzkonzepte aufgrund von Erosion oder Verdichtung sowie Das BBodSchG wurde zu dem Zweck verab- durch stoffliche Ein- und Austräge (s. Blume, schiedet, „[…] nachhaltig die Funktionen des 2004; Scheffer & Schachtschabel, 2002; Rö- Bodens zu sichern oder wiederherzustellen“ der, 1997). Eine Einschränkung oder sogar der (BBodSchG, § 1, 1998). Neben der Sanierung Verlust wertvoller Bodenfunktionen ist die Fol- bestehender Altlasten erfordert dies insbeson- ge. Die Beeinträchtigungen treten dabei nicht dere auch effektive vorsorgende Schutzmaß- nur oberflächlich, „[…] sondern im gesamten nahmen. Dem konventionellen kommunalen dreidimensionalen Funktionsraum […]“ auf Flächenmanagement liegt oftmals eine rein (Landeshauptstadt Stuttgart, 2006). Das Re- quantitativ ausgerichtete und damit eine ver- sultat ist eine Verminderung der Bodenqualität, einfachte, zweidimensionale Betrachtungswei- die im Unterschied zur Quantität des Bodens se des dreidimensionalen Funktionsraums praktisch nicht wieder herstellbar ist. Boden zugrunde (Landeshauptstadt Stuttgart, Die beschriebene Problematik findet beim 2006). Böden können jedoch nur dann nach- alltäglichen Umgang mit der Ressource Boden haltig geschützt werden, wenn deren Funkti- jedoch nur selten Beachtung. Böden stellen onserfüllungsgrad (Qualität) bei der Standort- häufig privates Eigentum dar (Blume, 2004). entscheidung berücksichtigt wird. Damit sind sie Teil der ökonomischen Wert- Als Reaktion auf die Vernachlässigung des schöpfungskette, bei der meist nicht die ökolo- Themas Boden in der politischen Umweltdis- gischen Aspekte des Bodens im Vordergrund kussion gingen einige Kommunen daher schon stehen, sondern vielmehr dessen rein quantita- vor der Verabschiedung des BBodSchG zum tive Flächenfunktion für Siedlung, Gewerbe so genannten konzeptionellen Bodenschutz und Infrastruktur (Kübler, 2005). über (Kübler, 2005). Der Begriff war in Laut Mueller (2005) erhalten Böden zudem „im Deutschland erstmals durch die Bodenschutz- krassen Gegensatz zu anderen Umweltmedien konzeption der Bundesregierung im Jahre wie Wasser oder Luft, […] bei weitem nicht die 1985 in den Vordergrund getreten (ebd.). Es allgemeine Wertschätzung und Aufmerksam- folgten entsprechende Programme der Länder keit, die ihnen aufgrund ihrer Bedeutung zu- und auf kommunaler Ebene. kommt“. Die Ursachen sind vielfältig und rei- Als Träger der Bauleitplanung kommt den chen von der Tatsache, dass schädliche Bo- Kommunen dabei die wichtigste Rolle im denveränderungen oftmals nicht einsehbar Rahmen des konzeptionellen Bodenschutzes sind, bis hin zur negativen emotionalen Beset- zu. Kommunale Bodenschutzkonzepte können zung des Bodenbegriffs (s. Blume, 2004; Muel- die jeweiligen lokalen Besonderheiten berück- ler, 2000). sichtigen und dementsprechend abgestimmt Das zentrale Problem besteht jedoch darin, werden. Darüber hinaus besteht die Möglich- dass der Boden in der heutigen urbanen In- keit, sie direkt mit der Flächennutzungspla- dustrie- und Dienstleistungsgesellschaft für nung, welche die Basis für den Umgang mit viele Menschen keine konkrete Alltagsbedeu- der Ressource Boden darstellt, zu verknüpfen. tung mehr besitzt. Vor der Wandlung Deutsch- Bereits 1986 verfügte die Stadt Köln als erste lands vom Agrar- zum Industriestaat zu Beginn Kommune über ein solches Programm (Kübler, des 20. Jahrhunderts stellten Böden noch für 2005). Während die ersten kommunalen Bo- weite Teile der Bevölkerung eine wichtige regi- denschutzkonzepte laut Kübler (2005) jedoch onale Nahrungs- und Erwerbsgrundlage dar noch eher eine Art Ideensammlung bzw. politi- (vgl. Walter, 2003). Aufgrund technischen und sche Absichtserklärungen darstellten, nennen wissenschaftlichen Fortschritts kam es in der die aktuellen Konzepte, wie beispielsweise das Folgezeit jedoch zu einer starken Rationalisie- Bodenschutzkonzept Stuttgart (BOKS) bereits rung des primären Sektors. Heute arbeitet nur konkrete Handlungsziele. Sie stellen den Ent- noch ein geringer Anteil der Bevölkerung in der scheidungsträgern zudem die notwendigen inzwischen hoch produktiven Landwirtschaft Planungsgrundlagen für einen quantitativen und die meisten Lebensmittel werden impor- wie qualitativen und damit nachhaltigen Bo- tiert. Böden dienen vornehmlich nur noch als denschutz zur Verfügung.

133 Martin Sauerwein & Ingo Rehm

3. Bodenschutzkonzept Jena deutschen Ländern ist in Jena aufgrund der verhältnismäßig guten ökonomischen und 3.1 Aktuelle Flächennutzung und Bodenbean- sozialen Situation insgesamt nicht so schnell spruchung mit einem starken Rückgang der Einwohner- Wie bereits angesprochen, geht der größte zahl zu rechnen (vgl. Stadt Jena, 2005). Den- Druck auf funktionstaugliche Böden heute und noch beginnt sich natürlich auch hier der all- in Zukunft hauptsächlich von der Zunahme des gemeine, deutschlandweite demographische Anteils an Bau- und Verkehrsflächen aus. Die- Trend bemerkbar zu machen. Die „prognosti- se weisen nach aktuellen Studien einen Ver- zierte stagnierende bis rückläufige Bevölke- siegelungsgrad zwischen 35 und 63 Prozent rungsentwicklung, wachsende Leerstände in auf (Statistisches Bundesamt, 2007). den Teilmärkten und eine sich verändernde Nachfrageentwicklung nach bestimmten Die im Flächennutzungsplan Jena ausgewie- Wohnformen führen dazu, dass sich das Flä- senen Bauflächen beanspruchen etwa ein chen- und Wohnungsangebot in immer stärke- Fünftel der Gesamtfläche (Abb. 2). Ihr Anteil rem Maße an der zukünftigen Nachfrage orien- liegt somit etwa im Durchschnitt für deutsche tieren muss“ (Stadt Jena, 2005). Dabei spielt Großstädte zwischen 100.000 und 200.000 die Bereitstellung von Flächen für den Eigen- Einwohnern (vgl. u. a. TLS, 2004; Betzholz, heimbau, im Sinne einer aktiven Baulandpolitik 2004). Allerdings ist zu beachten, dass sich die zur Minderung von Abwanderungen in das bebauten Flächen reliefbedingt auf die schma- Umland, eine zentrale Rolle (ebd.). Allein im len Talbereiche entlang der Saale konzentrie- Zuge der städtebaulichen Entwicklungsmaß- ren. Ohne die negative Beeinflussung durch nahme Wohngebiet „Himmelreich“, zwischen anthropogene Nutzung, weist der Boden in der Jenaer Stadtgrenze und dem alten Orts- Form von Auenböden gerade dort eine hohe kern von Zwätzen, entstehen daher bereits natürlich-ökologische Qualität auf. etwa 600 bis 700 Wohneinheiten in Form von Die künftige Entwicklung der Flächennachfra- Mehrfamilien-, Reihen-, Einzel- und Doppel- gesituation hängt insbesondere mit demogra- häusern, auf einer Gesamtfläche von ca. 22 phischen Prozessen zusammen. Im Gegen- Hektar (Stadt Jena, 2007). satz zu vielen anderen Regionen in den ost-

Abb. 2: Prozentuale Anteile der Bodennutzungsarten im Flächennutzungsplan der Stadt Jena (Stadt Jena, 2005, S. 49)

134 Wie können Böden zur Qualität der Stadtlandschaft beitragen?

Als weiteres Problem hinsichtlich der Einhal- Hochfeld, 2004; Hochfeld et al., 2003; BGLA & tung des Flächeneinsparungsprinzips kommt LfU Bayern, 2003; Marks et al., 1992). Be- hinzu, dass potenzielle Investoren laut Bun- darfsanalysen haben gezeigt, dass die natürli- desamt für Bauwesen und Raumordnung chen Bodenfunktionen dadurch „[…] hinrei- (BBR, 2007) die Möglichkeit einer Ansiedlung chend genau klassifiziert werden […]“ können auf freier Fläche häufig der Variante des Um- (Landeshauptstadt Stuttgart, 2006). baus bestehender Areale und Gebäude vor- Über eine gesonderte Bewertung fließt schließ- ziehen. Der Stadt Jena gelang es zwar, zahl- lich noch die Archivfunktion in die Gesamtbeur- reiche versiegelte Flächen einer Umnutzung teilung mit ein. zuzuführen (Umweltamt Jena, 2007). Heute sind jedoch kaum noch geeignete Brachflä- 3.3 Bodenfunktionsbewertung chen vorhanden (ebd.). Ein verstärktes Aus- weichen auf unversiegelte Bereiche wird somit Die Bodenfunktionsbewertung bildet die Basis früher oder später zwangsläufig die Folge sein. „[…] für einen qualitativen, an der differenzier- baren Schutzwürdigkeit der Böden orientierten 3.2 Konzeptziele und Anforderungen vorsorgenden Bodenschutz“ (TLUG, 2006b). Zur Beurteilung der Schutzwürdigkeit wird die Das Hauptziel des vorgelegten Konzepts be- jeweilige Funktionsfähigkeit des Bodens als steht darin, den kommunalen Entscheidungs- Bestandteil des Naturhaushalts sowie seine trägern eine geeignete Grundlage für den Ab- Bedeutung als Archiv der Natur- und Kulturge- wägungsprozess im Rahmen der Bauleitpla- schichte herangezogen. Der Begriff ist abzu- nung bereitzustellen, welche die quantitative grenzen von dem Aspekt der Schutzbedürftig- und qualitative Planbarkeit der Ressource keit, welcher sich laut Adler (2001) aus der Boden ermöglicht. Dadurch ergeben sich be- Empfindlichkeit des Bodens gegenüber nut- stimmte Anforderungen, die das Konzept zu zungsbedingten Belastungsfaktoren ableiten erfüllen hat. lässt. Um das Schutzgut Boden sachgerecht in den Die Bedeutung der Bodenfunktionsbewertung Prozess der Abwägung integrieren zu können, als Bestandteil der Planung ist in den vergan- ist eine Karte erforderlich, welche die Bodenin- genen Jahren kontinuierlich gestiegen (Hoch- anspruchnahme durch eine Darstellung der feld et al., 2003). Heute kann auf eine Vielzahl räumlichen Verteilung der Bodenqualität so- an Methoden zur Beurteilung des funktionalen wohl in quantitativer als auch in qualitativer Leistungsvermögens des Bodens zurückgegrif- Hinsicht planbar macht (Landeshauptstadt fen werden. Bodenbewertungsverfahren müs- Stuttgart, 2006, S. 16). Für ein effektives Pla- sen stets Kompromisse eingehen, „[…] wobei nungsverfahren, bei dem zahlreiche Schutzgü- insbesondere die Forderung nach fachlicher ter abzuwägen sind, wird eine einfache, prakti- Richtigkeit, Vollständigkeit und Differenzie- kable Entscheidungsgrundlage benötigt. Die in rungsfähigkeit einerseits mit den Anforderun- der Regel komplexen ökologischen Sachver- gen an die Praktikabilität andererseits in Kon- halte sind daher zunächst in planerisch ver- kurrenz zueinander stehen“ (Hochfeld, 2004). wertbare Größen zu transformieren. Diesem Zweck dient die Bewertung des Bodens, die in Zur Beurteilung der Bodenfunktionen werden Kapitel 3.3 erfolgt (Bastian & Schreiber, 1999). zunächst die entsprechenden Teilfunktionen Bezüglich der Differenzierung und kartographi- abgeleitet, aus welchen wiederum konkrete schen Darstellung der natürlich-ökologischen Kriterien hervorgehen (Tab. 1). Um einen ein- Qualität hat sich eine fünfstufige Unterteilung deutigen Rechtsbezug sicherzustellen, müssen als sinnvoll erwiesen (vgl. u.a. TLUG 2006b; sich sowohl die Teilfunktionen als auch die Kri-

Tab. 1: Beispiel für die Ableitung von Bodenteilfunktionen und Kriterien aus einer Bodenfunktion gemäß § 2 BBodSchG (verän- dert nach Feldwisch & Balla, 2006, S. 2)

Bodenfunktion gemäß § 2 Bodenteilfunktionen Kriterien BBodSchG Filter und Puffer für anorganische Bindungsstärke des Bodens für sorbierbare Schadstoffe Schwermetalle Filter, Puffer und Stoffumwandler für Bindung und Abbau organischer Funktion als Abbau-, Ausgleichs- organische Schadstoffe Schadstoffe und Aufbaumedium Puffervermögen des Bodens für Säureneutralisationsvermögen saure Einträge

Filter für nicht sorbierbare Stoffe Retention des Bodenwassers

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terien fachlich zweifelsfrei auf die Formulierung ─ fachlich fundiert sind, der Bodenfunktionen im Sinne des § 2 ─ potenziellen Nutzern ohne bzw. mit einem BBodSchG zurückführen lassen (Hochfeld et geringen Aufwand zur Verfügung stehen, al., 2003). ─ aus vorhandenen Karten bzw. Daten ab- Bewertungskatalog der Thüringer Landesan- leitbar sind stalt für Umwelt und Geologie (TLUG) ─ sowie keine kostenintensive Laborarbeit Die TLUG hat für den Freistaat Thüringen ei- erfordern. nen umfassenden Katalog zur Bewertung von Maßgebliche Bodenfunktionen Bodenfunktionen „[…] als Mindeststandard für die Abwägung zum Schutzgut Boden in Pla- Bei der rechtlichen Definition des Schutzguts nungs- und Verfahrenstypen der mittleren und Boden geht es nicht um den Schutz des Bo- unteren Maßstabsebenen […]“ zusammenge- dens um seiner selbst Willen, sondern um den stellt (TLUG, 2006b). Es handelt sich dabei um Schutz seiner Funktionen. Die Bodenqualität eine Entwurfsfassung, die jedoch bereits bei hängt daher von dem Grad der Funktionserfül- Stellungnahmen zu Planungsverfahren von der lung ab. Hinsichtlich der natürlich-ökologischen TLUG angewendet wird (TLUG, 2007b). Die zu Bewertung sind allerdings nur die Bodenfunkti- Grunde liegenden Bewertungskriterien ent- onen nach § 2, Abs. 2, Ziff. 1 und 2 des sprechen dem aktuellen fachlichen Stand BBodSchG maßgebend. Die Nutzungsfunktio- (TLUG, 2006b). Perspektivisch soll der Katalog nen finden indirekt, über die Beeinflussung der als einheitliche Grundlage für Abwägungs- und anderen beiden Funktionen, Berücksichtigung. Entscheidungsprozesse dienen. Eine flächen- In Tab. 2 werden die maßgebenden Boden- deckende Anwendung des Katalogs auf kom- funktionen im Sinne des BBodSchG und die munaler Ebene gewährleistet die Vergleich- entsprechenden Kriterien des TLUG-Katalogs barkeit zwischen den Verfahren der Kommu- gegenübergestellt. Es sind nur diejenigen Kri- nen, was wesentlich zur Rechtssicherheit der terien aufgeführt, für welche in der aktuellen jeweiligen Ergebnisse beiträgt. Somit kann ein Entwurfsfassung bereits konkrete Bewertungs- großes Problem vieler bisheriger Bewertungs- verfahren oder zumindest, wie im Fall der Ar- verfahren von Anfang an vermieden werden chivfunktionen, erste Vorschläge vorliegen. Im (vgl. Hochfeld, 2004). Im Rahmen der Erstel- Katalog wird zwar auch das Kriterium Erosi- lung des Bodenschutzkonzepts Jena kommt onsanfälligkeit durch Wasser behandelt, dieses daher der Katalog zur Bodenfunktionsbewer- zielt jedoch auf die Nutzungsfunktionen des tung der TLUG zum Einsatz. Bodens ab und bildet daher keinen Bestandteil Da die Bewertungsverfahren des Katalogs im des Bodenschutzkonzeptes. Sinne der Einhaltung des Kosten-Nutzen- Aufgrund des Mangels an geeigneten Daten- Verhältnisses keinen zu hohen Zeit- und Kos- grundlagen ist es momentan leider noch nicht tenaufwand verursachen sollen, wurden nach möglich, alle natürlichen Bodenfunktionen und TLUG (2006b) nur diejenigen Datenquellen die entsprechenden Kriterien bei der Erstellung herangezogen, die: des Bodenschutzkonzepts Jena zu berücksich- ─ eine Bewertung der natürlichen Boden- tigen. Das Gleiche gilt für die Rolle des Bodens funktion ermöglichen, als Archiv der Natur- und Kulturgeschichte.

Tab. 2: Gegenüberstellung der Bodenfunktionen gemäß BBodSchG und der entsprechenden Kriterien des TLUG-Katalogs (Datenquellen: BBodSchG, 1998; TLUG, 2006b)

Bodenfunktionen nach § 2, Abs. 2 BBodSchG Kriterien des Bewertungskatalogs der TLUG

Natürliche Lebensgrundlage und Lebensraum für • Besondere Standorteigenschaften: Extremstandorte Menschen, Tiere, Pflanzen und Bodenorganismen • Naturnähe: natürliche Bodenfruchtbarkeit

Bestandteil des Naturhaushalts, insbesondere mit • Wasserspeichervermögen: nutzbare Feldkapazität des Ziff. 1 seinen Wasser- und Nährstoffkreisläufen durchwurzelbaren Bodenraums

Abbau-, Ausgleichs- und Aufbaumedium für stoffliche Einwirkungen auf Grund der Filter-, Puffer- und Stoff- • Bindungsstärke des Bodens für Schwermetalle umwandlungseigenschaften, insb. auch zum Schutz • Sickerwasserverweilzeit: Grundwasserschutzfunktion des Grundwassers • Natur- und kulturgeschichtliche Bedeutung* Ziff. 2 Funktionen als Archiv der Natur- und Kulturgeschichte *noch nicht abgeschlossen

136 Wie können Böden zur Qualität der Stadtlandschaft beitragen?

Bewertung des Kriteriums „Naturnähe“ daher im Folgenden ausschließlich auf die Daten aus der Biotoptypen- und Nutzungsty- Die Datengrundlagen bestimmen die Möglich- penkartierung zurückgegriffen. keiten und Grenzen hinsichtlich der Bodenbe- wertung. Informationen über Bodenfunktionen Das Kriterium „Naturnähe“ steht für den Grad können unter anderem von topographischen, der Naturbelassenheit des Bodens. Es basiert geologischen und bodenkundlichen Karten- auf der Tatsache, dass die natürlichen Boden- werken sowie aus Vegetationskartierungen funktionen, insbesondere die Lebensraumfunk- abgeleitet werden. Eine besondere Rolle spie- tion, von naturnahen Böden in der Regel bes- len in Thüringen darüber hinaus die umfang- ser erfüllt werden können als von Böden, die reichen Bodenschätzungsdaten der Landesfi- durch anthropogene Nutzung überprägt sind. nanzdirektion Erfurt (TLUG, 2006b). Allein die Berücksichtigung der Naturnähe ermöglicht somit bereits eine relativ umfassen- Bei der Auswahl des zur Verfügung stehenden de Beurteilung der natürlich-ökologischen Datenmaterials ist zu beachten, dass die Pla- Funktionsfähigkeit des Bodens (vgl. Lambrecht nungskarte des Bodenschutzkonzeptes und et al., 2003a). Sie kann daher als eine Art folglich auch die kartographischen Grundlagen Hilfskriterium herangezogen werden, wenn die der Bodenfunktionsbewertung eine ausrei- Bewertung anderer Kriterien nicht möglich ist. chende räumliche Genauigkeit aufweisen Die Bewertung erfolgt mit Hilfe der Zuord- müssen. Die Anwendung im Rahmen der Bau- nungstabelle aus dem Katalog der TLUG. Das leitplanung erfordert mindestens einen flä- Kriterium wird in fünf Stufen unterteilt. Der chenscharfen Maßstab von ≥ 1:10.000 (vgl. Wert 5 steht für eine sehr hohe, der Wert 1 für u. a. BGLA & LfU Bayern, 2003). eine sehr niedrige Naturnähe. Als Bewer- In Form der Biotoptypen- und Nutzungstypen- tungsbasis dienen die Biotop- und Nutzungsty- kartierung ist für das Stadtgebiet von Jena eine pen der Biotoptypen- und Nutzungstypenkar- geeignete, im Maßstab 1:10.000 vorliegende tierung. Von diesen kann auf charakteristische Datengrundlage vorhanden. Mit gewissen Ein- Bodeneigenschaften geschlossen werden, die schränkungen kann aus dieser das wichtige aus bodenkundlicher Sicht in Verbindung mit Kriterium „Naturnähe“ abgeleitet werden. Das der Nutzungsart des Bodens zu erwarten sind Kartenwerk entstand in den neunziger Jahren und für den Grad der Naturbelassenheit ste- zu dem Zweck, eine flächendeckende, bun- hen. Es handelt sich also um ein indirektes desweit einheitliche Planungsgrundlage für die Bewertungsverfahren, das von Seiten des Länder, Kommunen und sonstigen öffentlichen Bodenschutzes noch mittels Bodenaufnahmen Planungsträger zu schaffen (BfN, 2002). Es vor Ort überprüft werden muss. Für die natur- basiert auf einer Interpretation von stereosko- schutzfachlich relevanten Flächen erfolgte pisch auswertbaren Farbinfrarotluftbildern und jedoch bereits, im Rahmen der Offenland- auf Daten aus thematischen Karten. Neben der Biotopkartierung in den neunziger Jahren, ein Darstellung der Landschaftselementstruktur entsprechender Abgleich durch den Natur- enthält sie Informationen über standortökologi- schutz (TLUG, 2001). sche Grundlagen, Vegetation, Landnutzung und administrative Festsetzungen. 3.4 Planungskarte „Naturnahe Böden“ Weitere Kartenwerke, aus denen direkt oder in Als Datenquelle diente ein von der TLUG zur Verbindung mit den Klassenzeichen der Bo- Verfügung gestellter Auszug der Biotoptypen- denschätzung grundsätzlich ebenfalls Aussa- und Nutzungstypenkartierung für den Raum gen zur Bodenqualität abgeleitet werden kön- Jena. Nach der Zuordnung der Qualitätswerte nen, liegen im Fall Jena entweder in zu grober erfolgte schließlich noch die Verschneidung Auflösung vor und enthalten daher keine hin- des Datensatzes mit der Jenaer Stadtgrenze, reichend genau verorteten Informationen über welche bereits im Zuge eines Studienprojekts die Bodeneigenschaften (z. B. BGK 1:50.000) am Institut für Geographie digitalisiert worden und/oder decken nur Teilbereiche des Stadt- war, auf Basis des aktuellen Flächennutzungs- gebietes ab (z. B. MMK 1:100.000, BK plans von 2005 (s. Pfeiffer et al., 2007). Das 1:25.000, FSK 1:10.000). Vor dem Hintergrund Endprodukt in Form der Planungskarte „Natur- der Nachvollziehbarkeit des Verfahrens wird nahe Böden“ zeigt Abb. 3 (Rehm, 2007).

137 Martin Sauerwein & Ingo Rehm

Planungskarte Naturnahe Böden

N

Bewertung der Naturnähe

sehr hoch (Stufe 5) hoch (Stufe 4) mittel (Stufe 3)

gering (Stufe 2)

sehr gering (Stufe 1) keine Bewert. (Gewässer)

Bearbeitung: Ingo Rehm (10.08.2007) 012345Kilometer Kartengrundlage: Biotoptypen- und Nutzungstypenkartierung Thüringen 1:10.000

Abb. 3: Planungskarte „Naturnahe Böden“ (aus Rehm, 2007)

Unter Berücksichtigung der Möglichkeit einer vom subjektiven Empfinden des Betrachters einheitlichen Farbgebung im Zuge der Erstel- abhängt. lung weiterer Planungskarten, die andere Bo- denfunktionen abdecken, sowie in Anlehnung 3.5 Perspektiven an die Erkenntnisse aus Farbenlehre und Kar- In Form der Planungskarte „Naturnahe Böden“ tographie, wurde für die Darstellung der Natur- steht den kommunalen Entscheidungsträgern nähe eine bräunliche Farbskala gewählt (vgl. eine erste wichtige Datengrundlage zur Verfü- Crüger, o.J.; Olbrich et al., 2002). Damit weicht gung, auf deren Basis eine Abwägung qualita- sie von der entsprechenden Skala des TLUG- tiver Aspekte des Schutzguts Boden im Rah- Katalogs ab, wo das Hauptaugenmerk auf die men der räumlichen Gesamtplanung ermög- Signalwirkung der Farben Grün, Gelb und Rot licht wird. Da sie jedoch die maßgeblichen gelegt wurde (vgl. TLUG, 2006b). Beide An- Bodenfunktionen im Sinne des BBodSchG sätze besitzen bestimmte Vor- und Nachteile, nicht vollständig abdeckt, sollte als nächster deren jeweiliges Gewicht letztendlich auch

138 Wie können Böden zur Qualität der Stadtlandschaft beitragen?

Schritt die Integration weiterer Kriterien im sprechender Abgleich ist anhand von Informa- Zuge einer Weiterentwicklung des Boden- tionen möglich, die gemäß BBodSchG und schutzkonzeptes Jena angestrebt werden. BBodSchV im Rahmen der Anwendung von Maßnahmen-, Prüf- und Vorsorgewerten erho- Die Beurteilung der Kriterien sollte sich weiter- ben werden (s. BBodSchG § 8, 1998, sowie hin an dem Bewertungskatalog der TLUG ori- BBodSchV § 1, 1999). entieren. Etwaige Verbesserungsvorschläge können zur Optimierung der Praxistauglichkeit Integration der Archivfunktionen der einzelnen Bewertungsverfahren beitragen. Neben den natürlichen Funktionen sind auch Sie sind daher ausdrücklich erwünscht (vgl. die Archivfunktionen des Bodens als Teil der TLUG, 2006b). Verfahren zur Beurteilung von Bodenqualität zu berücksichtigen. Das Verfah- Kriterien, die aktuell noch kein Bestandteil des ren zur Bewertung des entsprechenden Krite- Katalogs sind, sollten mit der TLUG abge- riums „Natur- und Kulturgeschichtliche Bedeu- stimmt werden. tung“ konnte zum jetzigen Zeitpunkt für Thü- In Form des Wasserspeichervermögens ist ein ringen noch nicht abgeschlossen werden Kriterium vorhanden, dass sich als Anzeiger (TLUG, 2006b). Die Beurteilung wird sich nach für die Güte der Ausgleichsfunktion des Bo- TLUG (2006) an den folgenden Eingangsdaten dens im Wasserhaushalt eignet. Demzufolge orientieren: stellt es einen wichtigen Faktor für den Was- ─ Seltenheit (N), serschutz dar. Zu nennen ist unter anderem die Retentionsfähigkeit der Böden bei Hoch- ─ wissenschaftliche Bedeutung für die geo- wasserereignissen. logische, mineralogische und paläontologi- sche Forschung (N), Das Kriterium „Bindungsstärke für Schwerme- ─ Ausprägung und Eigenart der abgelaufe- talle“ fällt nach TLUG (2006b) unter die Boden- nen und ablaufenden pedogenetischen teilfunktion „Puffer- und Filter für anorganische und geogenetischen Prozesse (N), sorbierbare Stoffe“. Diese lässt sich aus me- chanischen und physikalisch-chemischen Bo- ─ Zeugnisse spezieller Bewirtschaftungsfor- deneigenschaften ableiten und beschreibt die men (K), Fähigkeit, „[…] gelöste oder suspendierte Stof- ─ in Böden konservierte Siedlungs- und Kul- fe vom Transportmittel zu trennen“ (ebd.). turreste, welche im Sinne der Denkmal- pflege, der Landeskunde und der archäo- In Bezug zum Grundwasser spielt die so ge- logischen Forschung schützenswert sind nannte Sickerwasserverweilzeit eine zentrale (K). Rolle. Je länger das Wasser im Boden ver- bleibt, desto mehr Schadstoffe können her- [ (N) = Naturgeschichtliche Bedeutung, (K) = Kulturge- ausgefiltert werden. Gemäß TLUG (2006b) schichtliche Bedeutung ] erfolgt die Bestimmung dieses Kriteriums aller- Unter Berücksichtigung der zu Grunde liegen- dings nicht anhand der Bodenschätzungsda- den Eingangsdaten wird deutlich, dass die ten, sondern mittels einer Methodik nach Höl- Bewertung der Archivfunktionen immer eine ting et al. (1995). Die entsprechenden Ein- gewisse subjektive Komponente besitzt. Um gangsdaten sowie das Verfahren zur Berech- den Grad der Objektivität zu maximieren, sind nung der Gesamtschutzfunktion des Bodens Bezugsgrößen notwendig, anhand derer z. B. können dem Bewertungskatalog der TLUG klar wird, ab welchem Anteil ein Boden als entnommen werden (s. TLUG, 2006b). selten einzustufen ist. Von der TLUG werden Vor dem Hintergrund der bereits erläuterten bereits entsprechende Daten zusammenge- Datensituation ist eine großmaßstäbige Beur- stellt (s. TLUG, 2006b). Einige als selten ein- teilung der Sickerwasserverweilzeit als kurz- gestufte Böden finden sich auf der „Vorläufigen fristiges Ziel kaum realisierbar. Dies ist jedoch Liste der besonders schutzwürdigen Böden in im Fall der drei zuvor genannten „Bodenschät- Thüringen“, welche allerdings noch nicht voll- zungskriterien“ möglich. Bisher liegen die Bo- ständig ist (TMLNU, 1997). denschätzungsdaten für das Jenaer Stadtge- Synthese der Bodenteilfunktionen biet allerdings nur in analoger Form vor. Als erster Schritt ist daher eine flächendeckende Auf Basis der Bewertung der einzelnen Krite- Digitalisierung der entsprechenden Datenbe- rien lassen sich Planungskarten erstellen, wel- stände anzustreben. che für jede Bodenteilfunktion die räumliche Verteilung der Bodengüte aufzeigen. Da es Bei der Verwendung der Bodenschätzungsda- aus Sicht der kommunalen Planungspraxis ten ist darauf zu achten, dass sich die Boden- jedoch nicht praktikabel ist, bei jedem Verfah- eigenschaften in der Zwischenzeit infolge von ren sämtliche Teilfunktionen getrennt vonein- anthropogenen Stoffeinträgen stellenweise ander zu berücksichtigen und gegeneinander erheblich verändert haben können. Ein ent- abzuwägen, muss die Anzahl der Karten ver-

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ringert werden. Dies sollte mindestens über ein Höchstmaß an Praktikabilität, da die kom- eine Aggregation zu Bodenfunktionen gemäß munalen Entscheidungsträger, ähnlich wie bei § 2 BBodSchG erfolgen. den anderen Schutzgütern, nur noch eine zent- rale Informationsgrundlage in Form einer Bo- Ähnlich dem bundesweiten Orientierungsrah- denqualitätskarte zu prüfen haben. men der LABO, ist der TLUG-Katalog bereits in diesem Sinne angelegt (s. TLUG, 2006b, Eine zusammenfassende Bewertung ist vor Feldwisch & Balla, 2006). Die Frage der Ge- allem dann sinnvoll, wenn es bei der Planung wichtung der einzelnen Teilfunktionen wird im um Maßnahmen der Ver- und Entsiegelung aktuellen Entwurf der TLUG allerdings nicht geht, welche eine Beeinflussung aller relevan- behandelt. Zu beachten ist, dass einige Krite- ten Bodenfunktionen nach sich ziehen. Den- rien einen Sonderfall darstellen. So deckt bei- noch sind auch Teilkarten bereitzuhalten, für spielsweise das Kriterium „Naturnähe“ allein den Fall, dass aufgrund einer bestimmten Fra- schon weite Teile der Lebensraumfunktion des gestellung nur eine Bodenfunktion von Interes- Bodens ab. Aufgrund der sich zwangsläufig se sein sollte. ergebenden Überschneidung mit anderen Kri- Die einzelnen Bodenfunktionen können über terien sollte es nicht mit in die Synthese ein- verschiedene Ansätze zusammengefasst wer- fließen. den. In Form der Priorisierung einzelner Bo- Zusammenfassende Bodenfunktionsbewertung denfunktionen, dem Maximalwertprinzip und dem Mittelwertprinzip sind nach Feldwisch & Die zusammenfassende Bodenfunktionsbew- Balla (2006) drei Grundmethoden für den Ein- ertung „baut auf der Bewertung einzelner Bo- satz in der Bodenschutzpraxis geeignet. Eine denfunktionen auf und führt diese Einzelbewer- Gegenüberstellung der jeweiligen Vor- und tungen zu einer planerisch verwertbaren Ge- Nachteile macht die Notwendigkeit der Priori- samtaussage zur Bedeutung bzw. Schutzwür- sierung für die kommunale Planung deutlich digkeit des Bodens an einem bestimmten (Tab. 3). Standort zusammen“ (Feldwisch & Balla, 2006). Diese Form der Aggregation ermöglicht

Tab. 3: Vor- und Nachteile der Grundmethoden der zusammenfassenden Bodenfunktionsbewertung (verändert nach Feldwisch & Balla, 2006)

Priorisierung einzelner Bo- Mittelwertprinzip / Summen- Methode Maximalwertprinzip denfunktionen bildung

• Schwerpunktsetzung er- • alle besonders schutzwür- leichtert die zusammenfas- • alle Bodenfunktionsergeb- digen Bodenflächen wer- sende Bewertung nisse werden gleichberech- den gleich-berechtigt be- • Hervorhebung der beson- tigt berücksichtigt rücksichtigt ders bedeutenden Boden- Vorteil funktion stärkt deren Ge- wicht in der Abwägung der anderen Schutzgüter • guter Einzelfallbezug leicht umsetzbar

gut vermittelbar

• Nivellierung des zusam- menfassenden Bewertungs- • Umfang der besonders ergebnisses schutzwürdigen Bodenflä- • inhaltlich abhängige Bewer- chen sehr groß • Aufstellung einer Ziel- tungsergebnisse einzelner hierarchie notwendig (ggf. Bodenfunktionen können Nachteil zusätzlicher Aufwand bei der nicht gemittelt werden lokalen Anpassung) • Gleichstellung aller Bodenfunktionen steht Schwerpunkt- setzung entgegen • ggf. Schwächung der Bodenbelange in der Abwägung durch fehlende Schwerpunktsetzung

140 Wie können Böden zur Qualität der Stadtlandschaft beitragen?

Aus Gründen der Nachvollziehbarkeit des Ver- Im Rahmen einer langfristigen Sicherung der fahrens sollte bei der Erstellung einer entspre- Ressource Boden sollte schließlich ein dauer- chenden Bodenqualitätskarte im Rahmen des hafter Schutz der hochqualitativen Böden in Bodenschutzkonzeptes Jena eine Gleichge- Erwägung gezogen werden, so wie dies be- wichtung aller natürlichen Funktionen ange- reits bei anderen Schutzgütern in Form von strebt werden. Spätestens die Integration der Naturschutzgebieten, Wasserschutzgebieten Archivfunktionen macht jedoch eine Schwer- etc. der Fall ist. Für alle anderen Flächen punktsetzung erforderlich, da die Ansichten könnten im Zuge von Eingriffs- und Aus- bezüglich deren Bedeutung erfahrungsgemäß gleichsregelungen die Instrumente der qualita- weit auseinandergehen. Bei einem strikten tiv-quantitativen Bodenindikation eingesetzt Vorgehen im Sinne des BBodSchG dürften werden. Auf diese Weise wäre es möglich, der eigentlich weder die Archivfunktionen noch die Zunahme der Bodeninanspruchnahme entge- natürlichen Funktionen bevorzugt werden, da genzutreten, ohne die ökonomisch-soziale dort keine der Funktionen gegenüber den an- Entwicklung Jenas zu gefährden. deren hervorgehoben wird (vgl. BBodSchG, Bodenbewusstsein 1998). Allerdings kann im Einzelfall eine Schwerpunktsetzung zu Gunsten der natur- In den Ausführungen wurde deutlich, dass sich und kulturgeschichtlichen Bedeutung aus ge- die Ziele des nachhaltigen Bodenschutzes sellschaftlicher und wissenschaftlicher Sicht letztendlich nicht ohne eine entsprechende durchaus wünschenswert und begründbar Akzeptanz durch die Gesellschaft verwirklichen sein. lassen. Mindestens ebenso wichtig wie rechtli- che Grundlagen und kommunale Planungsver- Qualitativ-quantitative Bodenindikation fahren ist daher eine Aufklärung der Öffentlich- keit über das Thema Boden. Als Ergebnis der zusammenfassenden Boden- funktionsbewertung ermöglicht eine Bodenqua- Das Bodenbewusstsein lässt sich in drei As- litätskarte die quantitativ-qualitative Planbarkeit pekte unterteilen, die in Abb. 4 dargestellt sind. der Ressource Boden. Im Sinne eines nach- Es wird deutlich, dass durch eine entspre- haltigen Bodenschutzes sollte das mittel- bis chende Vermittlung von Wissen über den Bo- langfristige Ziel des Bodenschutzkonzeptes den sowohl die Einstellung als auch das Ver- Jena jedoch darin bestehen, die Bodenbean- halten gegenüber diesem Umweltmedium posi- spruchung darüber hinaus messbar und somit tiv beeinflusst werden können. kontrollierbar zu machen. Ein entsprechender Ansatz wurde bereits im Rahmen des Projekts Das Thema Bewusstseinsbildung trat in der Umweltpolitik spätestens mit dem Umweltpro- BOKS entwickelt (s. Landeshauptstadt Stutt- gart, 2006; Kübler, 2005). Dieser lässt sich gramm der Bundesregierung im Jahre 1971 in prinzipiell auch auf andere Kommunen über- den Vordergrund (Thoenes et al., 2004). tragen und soll daher im Folgenden kurz erläu- tert werden.

emotional-affektive und/oder kognitive Ebene normative Ebene

Bodenwissen Bodeneinstellung

Bodenverhalten

operative Ebene

Abb. 4: Aspekte des Bodenbewusstseins (verändert nach IKU & AHU o.J.)

141 Martin Sauerwein & Ingo Rehm

Die Verabschiedung dieses Programms war 4. Resümee und Ausblick eine Reaktion auf die Erkenntnis, dass sich die Die erarbeitete Planungskarte „Naturnahe moderne Gesellschaft in zunehmendem Maße Böden“ allein kann den maßgebenden Boden- von ihren natürlichen Lebensgrundlagen ent- funktionen im Sinne des BBodSchG nicht ge- fremdet, was letztlich zu einem relativ sorglo- recht werden. Eine Bewertung weiterer Krite- sen Umgang mit den Umweltressourcen führt. rien ist erforderlich. Hierbei sollte aus Gründen In den folgenden Jahren wurden im Rahmen der Praktikabilität auch eine zusammenfas- mehrerer Umweltforen Lösungsansätze disku- sende Bodenfunktionsbewertung in Erwägung tiert, Gutachten in Auftrag gegeben sowie ver- gezogen werden, die alle Einzelbewertungen schiedene Aktionsprogramme, einschließlich für die kommunalen Entscheidungsträger in der in Kapitel 2.2 angesprochenen Boden- einer einzigen Gesamtaussage vereinigt. schutzkonzeption von 1985, beschlossen. Auf einer internationalen Tagung vom 22. bis 25. Ohne die Akzeptanz und Unterstützung von November 1998 wurde in der Evangelischen Seiten der Gesellschaft ist ein nachhaltiger Akademie Tutzing sogar ein Vorschlag für eine Schutz des Bodens letztendlich jedoch nicht internationale Bodenkonvention als „Überein- realisierbar. Im Vergleich zu anderen Umwelt- kommen zum nachhaltigen Umgang mit Bö- medien hat das Thema Boden gerade in Sied- den“ erarbeitet (Held et al., 1998). Eine Boden- lungsgebieten einen großen Nachholbedarf. konvention soll im Gegensatz zu den bisheri- Der Aspekt des Bodenbewusstseins darf daher gen Empfehlungen, wie z. B. die Welt-Boden- nicht unterschätzt werden und ist bei einer Charta der FAO (1981), die Europäische Bo- Weiterentwicklung des Konzepts zu beachten. den-Charta des Europarats (1989) oder die Kapitel 10 bis 14 der Agenda 21 der bereits Der konzeptionelle Bodenschutz und die Bo- denfunktionsbewertung als dessen zentrales erwähnten Rio-Konferenz (1992), konkrete Regelungen sowie einen verbindlichen Cha- Instrument befinden sich noch in einem relativ rakter besitzen (Held et al., 1998). jungen Entwicklungsstadium. Insbesondere die Kommunikation sowie der Erfahrungsaus- Inzwischen gibt es zahlreiche Institutionen und tausch zwischen den verschiedenen Institutio- Initiativen, welche das Ziel verfolgen, die Ak- nen und politischen Ebenen bilden schließlich zeptanz der Gesellschaft gegenüber den Maß- eine zentrale Voraussetzung dafür, dass kom- nahmen des Umweltschutzes zu steigern. Aus munale Bodenschutzkonzepte ihre Ziele errei- Sicht des kommunalen Bodenschutzes sind chen können. Dabei geht es letztendlich um unter anderem die ELSA sowie das ICLEI- nicht weniger als den Erhalt einer lebens- Bodennetzwerk von besonderer Bedeutung, da notwendigen Ressource. die Kommunen dort ihre Strategien und Erfah- rungen auf nationaler und internationaler Ebe- ne untereinander austauschen und somit von- Literatur einander profitieren können (s. ELSA, 2007; Adler, G. (2001). Bodenschutz in der Bauleit- ICLEI, 2007). planung. Vorsorgeorientierte Bewertung. Zur Vermittlung von Bodenwissen steht in BVB-Materialien 6. Erich Schmidt. Berlin: Deutschland heute eine große Menge an ver- Bastian, O. & Schreiber, K.-F. (Hrsg.) (1999). Analyse und ökologische Bewertung der schiedensten Informationsmaterialen zur Ver- fügung. Der Wissenschaftliche Beirat Boden- Landschaft. Spektrum. Heidelberg: schutz des BMU veröffentlichte 2002 die BauGB (1960/2004). Baugesetzbuch (BauGB). Baugesetzbuch in der Fassung der Be- Denkschrift „Ohne Boden – bodenlos“ (s. Grathwohl et al., 2002). Eine umfassende und kanntmachung vom 23. September 2004 wichtige Datenquelle rund um das Thema Bo- (BGBl. I S. 2414), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 21. Dezember den stellt das Internetportal „www.boden- welten.de“ dar, welches im Auftrag des Bun- 2006 (BGBl. I S. 3316). desverbands Boden e. V. und mit Hilfe der BBodSchG (1998). Gesetz zum Schutz vor schädlichen Bodenveränderungen und zur Förderung durch das BMU ins Leben gerufen wurde (BVB, 2007). Für Thüringen hat die Sanierung von Altlasten (Bundes- TLUG eine Wanderausstellung unter dem Mot- Bodenschutzgesetz – BBodSchG). Bun- to „Boden – wertvolle Haut der Erde“ konzi- des-Bodenschutzgesetz vom 17. März piert, die in den öffentlichen Einrichtungen 1998 (BGBl. I S. 502), zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 9. De- aufgestellt werden kann (TLUG, 2007d). Dar- über hinaus gibt es beispielsweise auch Litera- zember 2004 (BGBl. I S. 3214). tur zum Einsatz im Schulunterricht (s. TLUG, BBodSchV (1999). Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung (BBodSchV). Bundes- 2006a). Von Seiten der Stadt Jena könnte zusätzlich eine Aufklärungskampagne, als Teil Bodenschutz- und Altlastenverordnung des Programms der Lokalen Agenda 21, in vom 12. Juli 1999 (BGBl. I S. 1554), geän- Angriff genommen werden. 142 Wie können Böden zur Qualität der Stadtlandschaft beitragen?

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143 Martin Sauerwein & Ingo Rehm

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CONTUREC 3 (2008) Seite 147 bis 161

Bodeninformation als Grundlage des Bodenschutzes am Beispiel des Fachplans Boden der Landeshauptstadt München

Soil Information as Basis for Soil Protection – A „Thematic Soil Plan“ for the City of Munich

CLEMENS GEITNER, MARKUS TUSCH & JÖRN DITTFURTH

Zusammenfassung Als Grundlage für konkrete Maßnahmen des vorsorgenden Bodenschutzes wurde in Zusammenarbeit mit dem Referat für Gesundheit und Umwelt der Landeshauptstadt München ein „Fachplan Boden“ entwickelt. Er folgt dem Leitbild des Münchener Bodenschutzkonzeptes und orientiert sich an den Bodenfunktionen des Deutschen Bodenschutzgesetzes. Für die konkrete Bewertung der Böden wur- den in intensivem Austausch mit den Planungsverantwortlichen Teilfunktionen bzw. Bodenpotenziale festgelegt, die in München von besonderer Relevanz sind. Dann wurden die umfangreichen Daten- grundlagen gesichtet, ausgewählt und für die Bewertung aufbereitet. Die wichtigsten Informationen zu den Bodeneinheiten konnten der Standortkundlichen Bodenkarte 1:50.000 mit Beiheft entnommen werden. In Abhängigkeit von der aktuellen Nutzung wurden einige Bodenparameter geringfügig modi- fiziert. Für die nachfolgende Bewertung konnten weitgehend Algorithmen verwendet werden, die sich in anderen Projekten (z. B. TUSEC-IP) bereits bewährt hatten. Als Ergebnis liegt auf Basis der Baublöcke für die gesamte Fläche des Stadtgebiets mit Versiege- lungsanteilen unter 80 % ein Kartensatz vor, der zehn Einzelkarten mit bewerteten Bodenpotenzialen sowie Karten zu Sonderaspekten (z. B. Versiegelung, Hemerobie) und mit aggregierten Bewertungen enthält. Anhand der Beispiele „Potenzial als Trockenstandort“, „Potenzial als Filter und Puffer für Schwermetalle“ sowie der aggregierten Bewertung der Böden für den Hochwasserschutz werden ver- schiedene Aspekte andiskutiert: der Einfluss naturräumlich bedingter Bodenausstattung, Modifikatio- nen durch den Nutzungseingriff sowie Möglichkeiten und Grenzen aggregierter Bewertung. Angesichts der Datenlage, der nutzungsbedingten Überprägung der Böden und methodischer Verein- fachungen müssen die Ergebnisse im Überblicksmaßstab 1:25.000 als plausibel abgeleitete „Hinweis- karten“ gelten, die zwar eine gute Orientierung für die Einschätzung der Böden in Bezug auf ihre Funktionen bieten, im konkreten Einzelfall aber durch Detailkartierungen ergänzt werden müssen. Vorsorgender Bodenschutz, Bodeninformation, Stadtböden, Bodenbewertung, Bodenpotenziale, Raumplanung, München.

Summary In cooperation with the Department of Health and Environment of the City of Munich a „Thematic Soil Plan“ (Fachplan Boden) was developed as basis for preventive soil protection measures. According to the mission statement of the Munich soil protection concept the Thematic Soil Plan is focussed on the evaluation of soil functions listed in the German Federal Act. A substantial number of data sources were examined for their suitability, selected and edited as input for the evaluation procedure. The most comprehensive information about soil units could be taken from the of Bavaria 1:50,000 (Standortkundliche Bodenkarte). Depending on the current form of land use some basic soil parameters were slightly modified. To a large extent the evaluation could be based on algorithms which, already proved to be of value in other projects (e.g. TUSEC-IP). A set of thematic maps was derived for the entire municipal territory (excluding blocks for which the degree of surface sealing exceeds 80 %). Ten maps of evaluated soil potentials as well as maps showing special characteristics of soils and aggregated evaluation results are included. The procedure is exemplified for two soil potentials and the aggregated evaluation of soil as a factor in flood protection. Several aspects are discussed: How does the natural (soil) environment influence these potentials? How are these potentials altered by anthropogenic changes? What are scopes and limits of aggregated evaluations? Considering the quality of available input data, the relatively unknown impacts of soil alteration due to land use changes and necessary methodological simplifications the presented results are merely „indicative maps“. They provide a decent overview for assessing soils on a target scale of 1:25,000. However, for a particular planning case on a more detailed level the results must be verified and, if necessary, improved with high quality data from field mapping.

147 Clemens Geitner, Markus Tusch & Jörn Dittfurth

1. Einleitung Gründen wäre es lohnenswert, einen genaue- ren Vergleich dieser Einzelarbeiten vorzuneh- Das dem folgenden Beitrag zugrunde liegende men. Dabei sollten die abweichenden Vor- Projekt zielt auf eine Verbesserung des Bo- gangsweisen nicht nur gesichtet, sondern auch denschutzes in der Landeshauptstadt Mün- bewertet werden, um einerseits aus einer vor- chen hin und verknüpft somit die Themenfelder läufigen Synthese gewisse Standards heraus- „Bodenschutz“ und „Stadtböden“ (vgl. z. B. zuarbeiten, andererseits den zukünftigen Op- Blume, 2004; Sauerwein & Geitner, 2008 in timierungsbedarf klar aufzuzeigen. diesem Band). Dem komplexen Thema ent- sprechend, erfolgte die Bearbeitung transdis- Neben den harten Fakten der Bodendaten und ziplinär in intensiver Kommunikation zwischen Bewertungsalgorithmen sollte aber auch die den Fachbereichen Bodenkunde, Geoinforma- übergeordnete Diskussion zum Thema Boden- tik und Stadtplanung. Wichtige Grundlagen, schutz nicht zu kurz kommen. Jede Schutz- was die Inhalte aber auch die Diskussionskul- strategie orientiert sich an gewissen Leitbildern tur betrifft, konnten bereits im Rahmen des und bedient sich dementsprechender Argu- Projektes TUSEC-IP (Technique of Urban Soil mente, oftmals jedoch ohne eine bewusste Evaluation in City Regions – Implementation in Reflexion der zugrunde liegenden Wertmaß- Planning Procedures) gelegt werden, das im stäbe. Eine diesbezügliche Diskussion erweist Rahmen der EU-Gemeinschaftsinitiative IN- sich im Bodenschutz als besonders notwendig, TERREG-III-B „Alpenraum“ durchgeführt und denn zum einen ist der Boden als Schutzgut vom Referat für Gesundheit und Umwelt der noch zu wenig etabliert, zum anderen unter- Landeshauptstadt München initiiert und als scheidet er sich in zentralen Punkten von an- Leadpartner koordiniert worden ist (RGU Mün- deren Schutzgütern wie Flora, Fauna, Wasser chen, 2006). und Luft. Für die Ableitung planungsrelevanter Bodenkriterien ist es beispielsweise nicht un- Dass vor allem in Deutschland in den vergan- erheblich, ob wir den Boden im Hinblick auf die genen Jahren sowohl in der Planungspraxis Erhaltung unserer Lebensqualität bewerten als auch in der Wissenschaft zahlreiche Pro- (z. B. Grundwasserschutz), ob der Arten- und jekte und Untersuchungen zum Thema Boden- Biotopschutz im Vordergrund steht (z. B. Bio- schutz in Stadtregionen durchgeführt wurden, topentwicklung auf Magerstandorten) oder ob ist auf das 1998 erlassene „Gesetz zum wir den Boden selbst in das Zentrum der Be- Schutz vor schädlichen Bodenveränderungen trachtung rücken und beispielsweise seine und zur Sicherung von Altlasten“ (Bundesbo- Natürlichkeit, Seltenheit oder Bedeutung als denschutzgesetz, BBodSchG, 1998) zurückzu- typisches Landschaftselement hervorheben. führen. Im Hinblick auf den vorsorgenden Bo- denschutz fordert es, die „Funktionen des Bo- Auch wenn die Ziele und Verfahren für den dens nachhaltig zu sichern“ und entsprechend Bodenschutz in zahlreichen Fallstudien befrie- „Vorsorge gegen nachteilige Einwirkungen“ zu digend geklärt und erarbeitet werden konnten, treffen (§ 1 BBodSchG 1998). Um diesen An- ist es oftmals ein weiter Weg bis zur Umset- sprüchen in der Planungspraxis gerecht wer- zung ihrer Ergebnisse. Ein erstes Fazit kann den zu können, bedarf es bestimmter Voraus- daher vorweg genommen werden: Trotz noch setzungen, was die Definition der Bewertungs- immer vorhandenem Forschungsbedarf im kriterien, die funktionsbezogenen Bewertungs- Hinblick auf die Genese, Eigenschaften und verfahren und die Datengrundlage betrifft Bewertung von Stadtböden sind in zahlreichen (Geitner et al., 2007a). Für eine Reihe von Städten Verfahren entwickelt worden, die es Städten sind bodenkundliche Grundlagen die- ermöglichen, den Forderungen des Gesetzes ser Art erarbeitet worden, die für die Planung weitgehend gerecht zu werden. Es ist daher in Wert gesetzt werden können, z. B. für Stutt- die Politik gefragt zu zeigen, dass auch ein gart (Holland, 1995; Stahr et al., 2003), Frank- entsprechender Wille besteht, den Boden- furt (Berger, 2000), Halle (Sauerwein, 2002), schutz als eine ernst zu nehmende Entschei- Hamburg (Hochfeld et al., 2003), Berlin (Faen- dungsgrundlage in die Planung zu integrieren. sen-Thiebes et al., 2006) und Osnabrück (Meuser & Greiten, 2006). Die entsprechenden 2. Stadtentwicklung, Bodeninventar und Ausarbeitungen für München liegen in Form Bodenschutz in der Landeshauptstadt interner Gutachten vor (Geitner et al., 2007a, München b, c), Teilaspekte wurden von Tusch et al. 2.1 Aspekte der Stadtentwicklung (2007, 2008) bereits publiziert. In den oben genannten Arbeiten kommen in Abhängigkeit Die Anfänge und ersten planmäßigen Erweite- von der konkreten Themenstellung, dem Bear- rungen der Stadt München fallen in jene Zeit beitungsmaßstab und der Datenbasis unter- der großen Stadtgründungen zwischen dem schiedliche Ansätze und Verfahren zur An- 12. und 15. Jahrhundert, in der die Anzahl der wendung. Sowohl für die weitere praktische Städte in Mitteleuropa von rund 200 auf 3.000 Anwendung als auch aus wissenschaftlichen 148 Bodeninformation als Grundlage des Bodenschutzes

anstieg. Ein erster Stadtplan von München und 2007b). Der durch stetes Wachstum von Wirt- Umgebung liegt aus dem Jahr 1613 vor. Dem- schaft und Bevölkerung bedingte hohe Flä- nach betrug damals die von der Stadtmauer chenbedarf führt nicht nur zu exorbitanten umschlossene Fläche nur rund 2 km2. Direkt Grundstückspreisen in der Innenstadt (im Ein- an den Stadtgraben angrenzend erstreckte zelfall bis zu 45.000 € pro Quadratmeter, Lan- sich die landwirtschaftliche Flur mit intensiver deshauptstadt München, 2004), sondern vor ackerbaulicher Nutzung (z. B. als Krautäcker, allem zu einschneidenden Verlusten landwirt- Hopfengärten), an die sich – etwas stadtferner schaftlich genutzter Böden in den Randberei- – extensive Weiden anschlossen (Landes- chen der Stadt. Der ehemalige Oberbürger- hauptstadt München, 2004). Mit der fortschrei- meister Hans-Jochen Vogel hat bereits in den tenden Ausdehnung der Stadt, die vor allem im 1970er Jahren auf die einseitige Betrach- 19. Jahrhundert an Dynamik gewann und in tungsweise des Bodens mit folgenden Worten den von Max Megele (1951) angefertigten hingewiesen: „Der Grundfehler liegt schon synoptischen „Entwicklungskarten“ für den darin, dass wir den Boden hinsichtlich der Zeitraum von 1808 bis 1958 in fünfundzwan- Preisbildung wie eine beliebige Ware behan- zigjährigen Perioden detailliert dargestellt ist, deln. Das ist er aber nicht. Er ist vielmehr als verlagerten sich auch diese Nutzungsgürtel einziges Gut un-vermehrbar, unverzichtbar, sukzessive nach außen. Das bedeutet, dass unzerstörbar. Niemand kann auch nur eine nahezu alle Böden im heutigen Münchener Minute leben, ohne ein Stück Boden zu benut- Stadtgebiet einst ackerbaulich überprägt wor- zen“ (Landeshauptstadt München, 2004, S. den sind, wenn sie nicht zu skelettreich und 132). Diese Aussage könnte zum Motto des trocken oder zu feucht waren. vorliegenden Projektes erhoben werden, aller- dings mit der kleinen, aber zentralen Korrektur, Die typisch städtische Überprägung der Böden dass Boden doch und zwar in vielfältiger Wei- erfolgte im Wesentlichen erst im 20 Jahr- se zerstörbar ist. Die langjährigen Bemühun- hundert und ist, wenn man von Bodenverlust gen des Referats für Gesundheit und Umwelt durch Überbauung und Versiegelung einmal der Landeshauptstadt München, Worten wie absieht, vor allem durch Umlagerung des Bo- diesen in der täglichen Planungspraxis ent- denmaterials und durch Beimengung von sprechende Taten folgen zu lassen, waren Fremdstoffen geprägt. Ein einschneidendes Anlass, das vorliegende Projekt durchzufüh- Ereignis in diesem Sinne stellen die großflä- ren. chigen Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg dar, die neben der Industrie und der Infrastruktur 2.2 Die Böden im Stadtgebiet vor allem der inneren Stadt galten. Sie führten hauptsächlich im Stadtkern und in den Altstadt- Die natürliche Differenzierung und räumliche randgebieten zu der unvorstellbaren Menge Verteilung der Bodentypen bzw. Bodenformen, von über fünf Millionen Kubikmeter Schutt wie sie in Abbildung 1 nach Standortkundlicher (Klingbeil, 1987). Neben den bekannten Trüm- Bodenkarte von Bayern (Bayerisches Geologi- merbergen im späteren Olympiagelände und sches Landesamt, 1986) und Ergänzungen im Luitpoldpark gelangte rund ein Fünftel die- durch Linder (1998) dargestellt sind, ergibt sich ses Schuttes auf verschiedene kleine Ablage- in erster Linie aus ihrer regionalen naturräumli- rungsstellen und in Keller geräumter chen Einbindung, die im Folgenden in Anleh- Grundstücke, wobei die derart verfüllten Berei- nung an die Publikationen von Michler (1994) che nicht mehr exakt lokalisiert werden kön- sowie Meyer & Schmidt-Kaler (1997) charakte- nen. Eine gewisse Vorstellung, welche Flächen risiert wird. Das gesamte Stadtgebiet liegt im von solchen Schuttbeimengungen betroffen Bereich der so genannten Münchener Schot- sein können, bietet der Falk-Patent-Stadtplan terebene, die sich aus der Vereinigung der von München aus dem Jahr 1949, in dem alle Schwemmfächer im Vorfeld der Jungmoränen Teil- und Totalzerstörungen parzellenscharf der zwei großen Vorlandgletscher von Inn und dargestellt sind. Auch solche Informationen Isar gebildet hat und sich über rund 50 km von können bei der Bodenbewertung in Wert ge- Holzkirchen bis zum Rand des Tertiärhügel- setzt werden. landes erstreckt. Sie ist mit 4 ‰ schwach nach An erster Stelle ist jedoch in Bezug auf die Norden geneigt und dünnt mit zunehmender Stadtentwicklung die Gefährdung der Böden Entfernung von den Endmoränen aus. Unter durch Überbauung und Versiegelung zu nen- den kalkdominierten, meist gut sortierten, nen. Für den Zeitraum von 1993 bis heute ist quartären Schottern liegen die tertiären Sedi- ein durchschnittlicher zusätzlicher „Flächen- mente der Oberen Süßwassermolasse, die als verbrauch“ von 47 ha für Siedlungs- und Ver- Wasserstauer fungieren. kehrsflächen zu verzeichnen (Geitner et al.,

149 Clemens Geitner, Markus Tusch & Jörn Dittfurth

Abb. 1: Karte der potenziell natürlichen Bodenformen (Datenquellen: Bayerisches Geologisches Landesamt, 1986 und Linder, 1998)

So homogen Geologie und Relief des Münch- fluvialen Ablagerungsmilieu heraus und wur- ner Raumes auf den ersten Blick erscheinen den mit Löss überdeckt, aus dem durch späte- mögen, gibt es doch einige lokale Besonder- re Verwitterung (Entkalkung) Lösslehm hervor- heiten, die auch bodenkundlich von Relevanz ging. Die größte dieser Lösslehmdecken (auch sind. So finden sich neben den weit verbreite- als „Lössriedel“ bezeichnet) liegt zwischen ten, jüngsten pleistozänen Schottern der Ismaning und Berg am Laim („Ismaninger Würm-Eiszeit (Niederterrassenschotter) vor Lehmzunge“). Sie bot den Rohstoff für zahlrei- allem östlich, aber auf kleinen Flächen auch che Münchener Ziegeleien, die auf alten Kar- westlich der Isar ältere Schotter der Riss- ten noch verzeichnet sind. Zwei weitere, klei- Eiszeit (Hochterrassenschotter). Sie ragten als nere Lössriedel liegen zum einen zwischen „Inseln“ während der letzten Eiszeit aus dem Forstenried und Pullach am südlichen Stadt-

150 Bodeninformation als Grundlage des Bodenschutzes

rand, zum anderen zwischen Gröbenzell und ser beeinflusste Böden, wo die Schotter auf Aubing am westlichen Stadtrand. wenige Meter ausdünnen und sich somit die Geländeoberfläche dem Grundwasserspiegel Die Differenzierung der Schotterflächen im annähert. Da dies vor allem nach Norden in Münchener Raum spiegelt sich in Höhenunter- Richtung des Tertiärhügellands der Fall ist, schieden von knapp 20 Metern wider. Sie sind finden sich hier ausgedehnte Feuchtstandorte, der Isar zuzuschreiben, die sich in die hoch- die Niedermoorgebiete des Dachauer-, Frei- glazialen Schotterablagerungen mehrfach singer- und Erdinger Mooses. Auch wenn der eingeschnitten hat und dabei zwei Terrassen- Großteil der ehemaligen Feuchtflächen mit einheiten schuf. Die älteste Einheit, auf der ursprünglichen Torfmächtigkeiten bis zu fünf sich auch die Altstadt befindet („Altstadtstufe“), Metern systematisch entwässert und abgetorft besteht aus spätwürmeiszeitlichen Schottern worden ist, sind bestimmte Merkmale der Moo- und erstreckt sich in einem breiten Streifen auf re (Torfanteil) und Gleye (Hydromorphie) den der Westseite der Isar von Thalkirchen in nörd- Böden erhalten geblieben. Im Übergangsbe- licher Richtung. Westlich reicht sie bis zur The- reich zwischen den eher edaphisch trockenen resienwiese, der Standort der Bavaria markiert Standorten der Münchener Schotterebene und mit der hier deutlich erhaltenen Terrassenkan- diesen Feuchtkomplexen befinden sich terrest- te wieder das Niveau der Münchener Schotter- rische Böden (Ackerrendzinen) mit standort- ebene. Die Ablagerungen der Altstadtstufe bedingtem hohem Humusanteil. sind im Gegensatz zur Schotterebene durch die spätglaziale fluviale Dynamik der Isar ge- Diese nur im Überblick skizzierte, naturräum- prägt und dementsprechend mit einer mehr lich bedingte Differenzierung der Böden im oder weniger mächtig ausgeprägten Flussmer- Stadtgebiet von München wurde und wird geldecke versehen, die auf Bodenbildung und kleinräumig durch vergangene und aktuelle Bodeneigenschaften einen wichtigen Einfluss Nutzung mehr oder weniger stark überprägt. hat. Im Holozän schließlich bildete sich die Bei einer Bodenbewertung im Überblicksmaß- eigentliche „Auenstufe“, die im Stadtbereich stab stehen zunächst diese natürlichen Merk- zwischen einem und zwei Kilometern breit ist male im Vordergrund. Denn die anthropogene und auf der sich beispielsweise der Englische Überprägung erfolgte und erfolgt so kleinräu- Garten befindet. Den dort verbreiteten jungen mig, dass sie nur bedingt und stark generali- Auenböden fehlt allerdings die typische fluviale siert mit berücksichtigt werden kann. Die Er- Dynamik, die mit der Isarregulierung (1870 bis gebnisse verstehen sich daher als plausibel 1935) stark zurückgedrängt und mit der Fertig- abgeleitete Hinweise, die bei entsprechenden stellung des Sylvensteinspeichers 1959 fast Planungsentscheidungen im Detailmaßstab ganz unterbunden wurde (Michler, 1994). überprüft und differenziert werden müssen.

Die Münchener Schotterebene bildet die flä- 2.3 Bodenschutzstrategie der Landeshaupt- chenmäßig größte naturräumliche Einheit im stadt und strategische Elemente ihrer Um- Stadtgebiet. Da ihre meist groben, kalkdomi- setzung nierten Schotter nur langsam verwittern und dabei nur sehr geringe Mengen an lehmigem Im Jahr 1996 beauftragte der Stadtrat der Lan- Rückstand freisetzen, sind die Böden in der deshauptstadt München das damalige Um- Regel nur geringmächtig entwickelt, edaphisch weltschutzreferat (heute: Referat für Gesund- trocken und nährstoffarm. Aufgrund wechseln- heit und Umwelt, RGU), ein Bodenschutzkon- der Substratzusammensetzung und unter- zept für die Landeshauptstadt zu entwickeln, schiedlich großem Grundwasserflurabstand das 2000 zur Beschlussfassung bei der öffent- finden sich dennoch verschiedene Bodenfor- lichen Sitzung des Umweltausschusses vorge- men. So treten beispielsweise im gesamten legt wurde (RGU München, 2000). Es folgt südlichen Stadtbereich eher Böden mit größe- dem Leitbild des „dauerhaft nachhaltigen Um- rer Entwicklungstiefe (Parabraunerden) auf, im gangs mit der Ressource Boden zur Sicherung Norden dagegen eher geringmächtig entwi- bzw. Wiederherstellung seiner ökologischen ckelte Böden (Ackerpararendzinen). Grund für Leistungsfähigkeit“ und stellt Leitlinien und diese Differenzierung ist vor allem die Tatsa- Strategien für seine Umsetzung vor. Der vor- che, dass im Süden den groben Schottern liegende Fachplan Boden orientiert sich an zumindest teilweise feinere Sedimente beige- diesen Vorgaben und bietet eine an den Bo- mischt bzw. überlagert sind. denfunktionen ausgerichtete und auf Erkennt- nissen des Projektes TUSEC-IP aufbauende Im Bereich der Stadt München ist die Schot- Bewertung der Böden im Stadtgebiet, die in terebene im Mittel rund 10 Meter mächtig, der einem Satz digitaler Karten und einem erläu- Schwankungsbereich liegt zwischen zwei und ternden Textband dargestellt ist (Geitner et al., 20 Metern. Da die unterlagernden Schichten 2007a). Neben dem Fachplan Boden, der im der Oberen Süßwassermolasse wasserstau- Folgenden detailliert vorgestellt wird, wurden end wirken, finden sich überall dort Grundwas- drei weitere Instrumente zur Umsetzung des 151 Clemens Geitner, Markus Tusch & Jörn Dittfurth

Bodenschutzkonzeptes ausgearbeitet, die an auch die spezifische Datenlage der Stadt Mün- dieser Stelle nur kurz skizziert werden sollen, chen berücksichtigt (Geitner et al., 2007b). weil sie den Fachplan Boden als praxistaugli- che Entscheidungsgrundlage ergänzen bzw. 3. Der Fachplan Boden seine Umsetzung maßgeblich unterstützen. 3.1 Ausgangsfragen und Bewertungskriterien (1) Bodensteckbriefe: Ausgangspunkt für den Fachplan Boden war Sie bieten für die 23 Bodenformen des Stadt- ein konkretes Informationsdefizit in der tägli- gebietes eine tabellarische Zusammenstellung chen Planungspraxis. Es stellten sich immer aller vorhandenen Informationen und Auswer- wieder die folgenden Fragen in Bezug auf den tungen, die der Standortkundlichen Bodenkarte Bodenschutz, die nicht, nur unzureichend oder von Bayern 1:50.000 (Bayerisches Geologi- nur mit unvertretbar großem Zeitaufwand zu sches Landesamt, 1986) und der vorliegenden beantworten waren: Studie entnommen sind (Geitner et al., 2007c). Zudem enthalten sie jeweils Gesichtspunkte • Wo befinden sich im Stadtgebiet von Mün- zum Bodenschutz sowie Empfehlungen für die chen schützenswerte Böden und aufgrund Planung und stellen somit eine zusätzliche, welcher konkreter Eigenschaften und Leis- leicht handhabbare Entscheidungshilfe für den tungen sind diese Böden schützenswert? Planer dar. • Welche (zu planenden) Nutzungen sind für (2) Bodeninformationssystem: welche Böden im Stadtgebiet ökologisch Die kaum überschaubare Fülle vorhandener verträglich? Daten und eine große Differenzierung der Auf- gabenbereiche in größeren Verwaltungseinhei- • Welche und wie viele Böden (Flächen) ten fordert ein gutes Datenmanagement. Denn werden durch welche aktuellen bzw. ge- zu oft kommt es noch immer vor, dass geeig- planten Nutzungen im Stadtgebiet beein- nete Daten zwar prinzipiell vorliegen, deren trächtigt und/oder geschädigt und/oder Existenz einem aktuell darauf angewiesenen zerstört? Sachbearbeiter jedoch nicht bekannt ist. Das Von diesen Fragen ausgehend, wurden in „Fachinformationssystem Boden“ ist daher ein einem ausführlichen Diskussionsprozess mit unverzichtbares Werkzeug, um alle Boden den Planungsverantwortlichen die Kriterien relevanten Basisdaten sowie die Bewertungs- entwickelt, hinsichtlich derer die Böden zu karten des Fachplans Boden sämtlichen städ- bewerten sind, um den spezifischen Zielen und tischen Dienststellen einheitlich zur Verfügung Problemen des vorsorgenden Bodenschutzes zu stellen. Die technische Umsetzung in Form in der Raumplanung der Stadt München best- eines internet-basierten Systems erfolgte möglich gerecht zu werden. Als wesentliche durch die Firma GRID-IT, Innsbruck. Aktuell Themen wurden dabei immer wieder das Bio- wird eine Lösung zur Migration auf das dem- topentwicklungspotenzial (Bereitstellung von nächst eingeführte Betriebssystem „LiMux“ Ausgleichsflächen), das Versickerungspoten- erarbeitet. zial (dezentrale Versickerung und Hochwas- (3) Flächenmonitoring: serschutz) sowie das Potenzial der Böden als Der Verlust von Böden durch Überbauung und Filter und Puffer für Schadstoffe (Grundwas- Versiegelung stellt in der Regel die größte serschutz) genannt. Im Folgenden können die Gefährdung im Siedlungsbereich dar. Somit ist einzelnen Arbeitsschritte der Bodenbewertung der „sparsame Umgang mit Grund und Boden“, nur skizziert werden. Da die Transparenz hin- wie er etwa in § 1a, Abs. 2 BauGB oder § 2, sichtlich Datenverwendung und angewendeter Abs. 2 ROG als ein Grundsatz der Raumord- Verfahren sowie die Diskussion der Unsicher- nung postuliert wird, nicht nur ein allgemeines heiten einen zentralen Bestandteil der Ausar- Ziel der nachhaltigen Siedlungsentwicklung, beitung darstellen, wurde neben den Karten sondern ebenfalls ein essentieller Beitrag zum ein umfassender Textband zum Projektab- Bodenschutz, insbesondere dann, wenn quali- schluss vorgelegt (Geitner et al., 2007a). tative Aspekte des Bodens mit quantitativem Flächenschutz kombiniert werden. Ein Erfolg 3.2 Datengrundlagen und -aufbereitung bei der Reduzierung des Flächenverbrauchs Ein wesentlicher und oft zeitaufwendiger Bear- setzt klar definierte Ziele von Seiten der Politik beitungsschritt ist die Sichtung der Daten- voraus. Ebenso wichtig allerdings ist ein adä- grundlagen, die für die Bodenbewertung rele- quates Instrument, mit dem anhand geeigneter vant sein könnten. Dabei geht es nicht nur Indikatoren die aktuelle Entwicklung erfasst darum, möglichst alle vorhandenen Daten zu und somit der Erfolg der eingeschlagenen erfassen, sondern diese im Hinblick auf ihre Strategien überprüft werden kann. Hierzu liegt bodenkundliche Relevanz, aber ebenso auf ebenfalls ein Konzept vor, das sich an ge- Verfügbarkeit, Geometrie, Maßstab, Erhe- bräuchlichen Standards orientiert, dabei aber bungsart und inhaltliche Differenzierung kri- 152 Bodeninformation als Grundlage des Bodenschutzes

tisch zu prüfen. Unter Berücksichtigung dieser Landesamt für Denkmalpflege, 2006) wurde Gesichtspunkte wurden im Wesentlichen fol- zur Bewertung der Funktion des Bodens als gende Datenquellen verwendet. kulturräumliches Archiv in Wert gesetzt. Bodendaten Zahlreiche Datenquellen, die nicht direkt in das Bewertungsverfahren eingeflossen sind (z. B. Die Abgrenzung der Bodeneinheiten erfolgte Topographische Karten, Geologisch-hydro- anhand der Standortkundlichen Bodenkarte logische Karte, Karten des Arten- und Biotop- von Bayern im Maßstab 1:50.000 (Bayerisches schutzprogramms, Flächennutzungsplan und Geologisches Landesamt, 1986), ergänzt um Landschaftsplan, historische Karten usw.) die Karte der potenziellen Bodenformen nach dienten dem Vergleich oder der Plausibilitäts- Linder (1998), die auf Grundlage von Sekun- prüfung der Bewertungsergebnisse. Auch die därdaten und Experteneinschätzungen eine Ergebnisse kleinflächiger Detailkartierungen zusätzliche Differenzierung der nicht kartierten Münchener Stadtböden (Bayerisches Geologi- Innenbereiche beinhaltet. Für die somit aus- sches Landesamt, 1993; Lehmann, 2001; gewiesenen Bodeneinheiten liegen horizont- Tusch et al., 2005; jeweils 1:5.000) waren als bezogene physikalische und chemische Bo- Referenzmaterial nützlich. denparameter aus dem Beiheft zur Standor- kundlichen Bodenkarte vor, die für die Bewer- Datenaufbereitung und Modifikation der Bo- tung herangezogen werden konnten. Für die denparameter in Abhängigkeit von der Nut- landwirtschaftlichen Flächen wurden ergän- zung zend Übersichtskarten der Finanzbodenschät- In vielen Fällen können die Daten zur Bearbei- zung im Maßstab 1:25.000 verwendet. Von tung nicht direkt so übernommen werden, wie den genannten Bodeninformationen ausge- sie vorliegen. Die Aufbereitung betrifft drei nommen wurden nur solche Bereiche, die in Bereiche, nämlich den inhaltlichen Abgleich, einem Datensatz des Referats für Gesundheit die Aktualisierung und die geometrische An- und Umwelt als Abgrabungs- oder Aufschüt- passung für die Überlagerung der Datenebe- tungsflächen ausgewiesen waren (vgl. Abb. 1). nen in einem Geographischen Informations- Nutzungs- und Versiegelungskarten system. Auch diese Arbeitsschritte sind hin- sichtlich des Zeitaufwands leicht zu unter- Die Realnutzung wurde der Karte der ökono- schätzen. mischen Grundstruktur entnommen und mit detaillierteren Informationen zu den Grün- und In Bezug auf die mehr oder weniger starke Freiflächen, den Gleisanlagen und Flächen mit anthropogene Überprägung der Münchener Straßenbegleitgrün aus der Karte der Oberflä- Böden stellte sich die Frage, ob und wie diese chenstrukturen ergänzt. Zusätzlich erfolgte im Überblicksmaßstab berücksichtigt werden eine Differenzierung der baulichen Nutzungen könnte. Dass es einen systematischen Zu- „Wohnen“ und „sonstige, nicht emittierende sammenhang zwischen Nutzungsform und Nutzungen“ nach dem Grad der Versiegelung Bodenveränderungen gibt, ist zwar bekannt (< 50 % vs. > 50 %). Die Versiegelung wurde und kann entsprechend beschrieben werden der entsprechenden Kartierung von 1994 ent- (Sauerwein, 2002; Blume, 2004), um diese nommen und teilweise auf Basis von Luftbil- Informationen aber in den Bewertungsalgo- dern (GoogleEarth, 2005, 2006) aktualisiert. rithmen verwenden zu können, bedarf es einer eindeutigen Quantifizierung. Diese wurde in Zusätzliche Datenquellen Anlehnung an die Arbeiten von Stahr et al. Eine ganze Reihe weiterer Datengrundlagen (2003) unter Berücksichtigung der Münchener wurde für einzelne Bearbeitungsschritte he- Bodenverhältnisse durchgeführt (Geitner et al., rangezogen, die für das bessere Verständnis 2007a). Demnach wurden in Abhängigkeit von des Verfahrens wenigsten genannt werden den 21 Nutzungskategorien teilweise Zuschlä- müssen. Als elementare Raumeinheit für die ge bei den Bodenparametern Skelettgehalt, Bewertung dienten die rund 10.000 Baublöcke pH-Wert und Humusgehalt bzw. Abschläge bei aus der Stadtgrundkarte. Das Kataster der der Lagerungsdichte vorgenommen. Die Modi- Altlastenstandorte und Altlastenverdachtsflä- fizierung der Werte erfolgte sehr moderat und chen wurde zur einschränkenden Bewertung nur bei den Nutzungen, bei denen die Auswir- der Funktion des Bodens als Lebensraum und kungen auf den Boden als relativ sicher gelten Lebensgrundlage für den Menschen herange- können. Es muss dabei aber betont werden, zogen. Die Karte des Grundwasserflurab- dass hinsichtlich der Verknüpfung von Nutzung stands aus dem Umweltatlas des Referats für und Bodenveränderung noch erheblicher For- Gesundheit und Umwelt bot ergänzende In- schungsbedarf besteht, zumal die historische formationen für alle Bewertungen, die mit dem Dimension des Nutzungswandels mit zu be- Wasserhaushalt zusammenhängen. Die Digita- rücksichtigen ist. le Karte der Bodendenkmäler (Bayerisches 3.3 Bodenpotenziale und Bewertungsvefahren

153 Clemens Geitner, Markus Tusch & Jörn Dittfurth

• Potenzial als Archiv für die Kulturgeschich- Die Bewertung der Böden orientiert sich an te, den Bodenfunktionen, wie sie im Bundesbo- denschutzgesetz (§ 2, Abs. 2 BBodSchG, • Produktionspotenzial für die Landwirt- 1998) aufgeführt sind. Da diese aber inhaltlich schaft. sehr weit gefasst sind, müssen sie für eine Zur inhaltlichen Ergänzung wurden drei weitere konkrete Bewertung deutlich eingegrenzt wer- Karten zu den Themen „Versiegelungsgrad“, den. Dies erfolgt oftmals über die Kategorien „anthropogene Überprägung“ und „Erosions- der „Teilfunktionen“ und „Kriterien“ (vgl. Adhoc- empfindlichkeit“ erstellt. Zudem wurden aggre- AG Boden, 2005, S. 341). Im Folgenden wird gierte Karten entwickelt, in denen Einzelbewer- jedoch in Anlehnung an Hepperle & Stoll tungen im Hinblick auf bestimmte Aussagen (2006, S. 22) der Begriff des „Bodenpotenzials“ zusammengefasst wurden, beispielsweise zu verwendet, als Maß, „mit welchem ein be- den ausgewählten Themen „Biotoppotenzial“, stimmter Boden die genannten Funktionen „Bedeutung für den Hochwasserschutz“ und erfüllen kann“. Folgende zehn Potenziale wur- „Kontaminationsgefahr für das Grundwasser“. den bewertet und unter Verwendung einer Schließlich wurde ein Entwurf für eine Ge- fünfstufigen Skala in Kartenform im Maßstab samtbewertung vorgelegt und diskutiert. 1:25.000 dargestellt: • Potenzial als Lebensgrundlage und Le- Bei der Wahl bestimmter Bewertungsverfahren bensraum für den Menschen, für die jeweiligen Bodenpotenziale spielte die Datenverfügbarkeit eine zentrale Rolle. Im • Potenzial als Trockenstandort (Biotpen- vorliegenden Projekt konnte in vielen Fällen wicklung), auf die im Projekt TUSEC-IP zusammenge- stellten, weiter entwickelten und getesteten • Potenzial als Feuchtstandort (Biotopent- Verfahren der Bodenbewertung zurückgegrif- wicklung), fen werden (Lehmann et al., 2006, vgl. auch • Versickerungspotenzial für Oberflächen- RGU München, 2006). Sie beziehen sich zwar wasser, im Wesentlichen auf den Detailmaßstab, las- sen sich aber bei entsprechender Datenlage • Retentionspotenzial bei Starkniederschlä- auch im Überblicksmaßstab anwenden. Zu- gen, sätzlich kamen Verfahren des Bayerischen • Grundwasserneubildungspotenzial, Geologischen Landesamtes (2003) zur An- wendung. Ergänzende inhaltliche Anregungen • Potenzial als Filter und Puffer für Schwer- wurden den Arbeiten des Umweltministeriums metalle, Baden-Württemberg (1995), von Berger (2000) und Hochfeld et al. (2003) entnommen. • Potenzial als Archiv für die Naturgschichte,

Abb. 2:: Schematischer Ablauf der Bewertung des „Versickerungspotenzials für Oberflächenwasser“ als Aspekt der Funktion „Boden als Bestandteil des Wasserhaushalts“ (modifiziert nach Bayerisches Geologisches Landesamt 2003: 40ff.)

154 Bodeninformation als Grundlage des Bodenschutzes

Der prinzipielle Ablauf des Verfahrens der tung ausgenommen wurden. Böden in diesen Bodenbewertung wird in Abbildung 2 an dem Bereichen müssen zum einen als so stark Beispiel „Versickerungspotenzial für Oberflä- überprägt gelten, dass sie kaum mehr auf der chenwasser“ verdeutlicht. Als Eingangspara- Basis ihrer natürliche Ausstattung verlässlich meter können je nach Verfügbarkeit einfache zu bewerten sind, zum anderen sollten die oder komplexe Bodenmerkmale verwendet wenigen offenen Böden dieser Flächen ohne- werden. Die Verknüpfungsregeln und die je- hin als schützenswert gelten. Im Hinblick auf weiligen Klassenbreiten bzw. Grenzwerte sind die Biotopentwicklung von Trockenstandorten der Literatur zu entnehmen (Müller, 2004; und damit eine Erhöhung der Biodiversität im Lehmann et al., 2006), müssen mitunter aber Stadtgebiet können nur solche Flächen als auf die spezifische Situation einer Beispielregi- wirklich geeignet gelten, die eine sehr gute on angepasst werden (vgl. Geitner et al., oder gute Bewertung aufweisen, im Umkehr- 2007a). schluss kommt den Flächen mit schlechter und sehr schlechter Bewertung ein Potenzial zur 3.4 Beispiele für die Bewertung von Bodenpo- Entwicklung von Feuchtbiotopen zu. Bemer- tenzialen kenswert ist, dass die sehr guten Bewertungen (Grenzwert nFK < 30 mm) auf stark anthropo- Im Folgenden werden ausgewählte Beispiele gen überprägte Flächen wie Gleisanlagen oder von Bewertungskarten aus dem Fachplan Bo- Kiesgruben beschränkt sind. Die Wertestufen den vorgestellt, eine im Überblick für das ge- gut, mittel und schlecht nehmen in etwa glei- samte Stadtgebiet, zwei in der Detailansicht che Flächenanteile ein und verlaufen weitge- der Baublöcke für einen Ausschnitt zwischen hend entlang von Bodenformengrenzen. Die Nymphenburger Park und Olympiapark. Dabei schlechten Bewertungen zeichnen die Lössge- zeigt sich einerseits, wie sich die räumlichen biete, Auen und die Feuchtgebiete im Norden Muster der natürlichen Bodenausstattung in der Stadt nach. Die als gut bewerteten Flächen den Bewertungsergebnissen durchpausen, decken sich mit der Verbreitung der flachgrü- andererseits, wie sich, vor allem durch die digen Ackerpararendzina im nördlichen Stadt- Berücksichtigung von Nutzungsaspekten, Be- gebiet. Um bei dieser insgesamt großen Flä- wertungsergebnisse von Block zu Block än- che eine weitergehende Differenzierung zu dern können. Zudem sollen die nachfolgenden ermöglichen, wurden Informationen zur histori- Erläuterungen zeigen, dass die Bewertungser- schen Verbreitung extensiv genutzter Schaf- gebnisse nie einfach unbesehen verwendet weideflächen herangezogen, durch welche werden dürfen, sondern im Hinblick auf ihrer sich unter anderem die bekannten Kalkmager- Aussagen kritisch betrachtet werden müssen, rasen im Norden von München herausgebildet um sie den Zielen und Wertmaßstäben gemäß haben. Die Überlagerung der Informationen umsetzen zu können. ergab, dass nur die so genannte „Panzerwie- Potenzial als Trockenstandort se“ am nördlichen Stadtrand (Stadtteil Mil- bertshofen) sowohl dem edaphischen als auch Die für Abbildung 3 durchgeführte Bewertung dem Kriterium der historischen Nutzung ge- stützt sich auf die Wasserspeicherfähigkeit des nügte. Bodens, d. h. auf die nutzbare Feldkapazität im Wurzelraum (Bayerisches Geologisches Lan- Bereiche mit einem hohen Potenzial zur Ent- desamt, 2003). Ist diese aufgrund hoher Stein- wicklung derartiger Trockenbiotope sind für die gehalte bzw. technogener Substrate und ton- Planung vor allem im Zusammenhang mit der armer Feinerde sehr gering, tritt in den nieder- Eingriffs-Ausgleichs-Regelung (i. S. v. §§ 18 schlagsfreien Phasen während der Vegetati- und 19 BNatSchG bzw. Art. 6 BayNatSchG) onsperiode edaphisch bedingter Trockenstress von Bedeutung. Deren Erhalt oder Neuschaf- auf. Das wiederum führt zur Begünstigung fung kann zur Kompensation von Eingriffen in trockenheitstoleranter Pflanzen- und Tierge- ökologisch weniger wertvollen Bereichen ange- sellschaften mit einer in der Regel hohen Zahl rechnet werden. Es sei darauf hingewiesen, seltener Arten. dass die Bewertung nur Rückschlüsse auf das Potenzial eines Bodens zur Entwicklung eines Die Bewertungskarte zeigt insgesamt große Trockenbiotops, nicht jedoch auf die gegen- zusammenhängende Flächen einheitlicher wärtige Verbreitung bestimmter Tier- und Bewertung. Mit einer grauen Signatur sind Pflanzengesellschaften zulässt. Bereiche gekennzeichnet, die zu mehr als 80 % versiegelt sind und daher aus der Bewer-

155 Clemens Geitner, Markus Tusch & Jörn Dittfurth

Abb. 3: Bewertung des „Potenzials als Trockenstandort“ als Aspekt der Funktion „Boden als Lebensraum für Tiere, Pflanzen und Bodenorganismen“ (Methodik: modifiziert nach Bayerisches Geologisches Landesamt 2003: 35ff.)

Potenzial als Filter und Puffer für Schwermetal- ergeben sich also allein aufgrund der nut- le zungsspezifischen Überprägung, die bei- spielsweise über den Anteil an technogenem Schwermetalle können im Gegensatz zu orga- Substrat (meistenteils Bauschutt) nicht nur den nischen Schadstoffen im Boden nicht abge- Skelettanteil im Boden erhöht, sondern eben- baut, sondern nur immobilisiert und somit – falls den pH-Wert. Auf diese Weise wirkt sich zumindest vorübergehend – dem Stoffkreislauf der anthropogene Einfluss in Bezug auf die entzogen werden, was für den Grundwasser- Bewertung dieses Bodenpotenzials positiv aus. schutz von großer Bedeutung ist. Die für Ab- bildung 4 durchgeführte Bewertung stützt sich Die nahe liegende Schlussfolgerung, Böden auf die relative Bindungsstärke der Böden für mit einem besonders hohen Filter- und Puffer- Schwermetalle, die in erster Linie vom pH-Wert potenzial für Schwermetalle wären am besten bestimmt und durch hohe Humus- und Tonge- für emittierende Nutzungen geeignet, ist nur halte zusätzlich erhöht wird (Hennings, 2000). eingeschränkt zulässig und erschwert konkrete Planungsempfehlungen. Besonders in grund- Generell weisen die meisten Böden Münchens wassernahen Bereichen ist generell von emit- mittlere Bewertungen auf, da die pH-Werte im tierenden Nutzungen Abstand zu nehmen, schwach alkalischen bis schwach sauren Be- insbesondere da eine Änderung von Freiland reich liegen, die Anteile an Grobboden jedoch hin zu einer baulichen Nutzung meist auch mit hoch und die Tongehalte niedrig ausfallen. Der einer Änderung der Rahmenbedingungen ver- dargestellte Kartenausschnitt zwischen bunden ist (z. B. Abtrag des Oberbodens und Nymphenburger Park und Olympiapark zeigt Umschichtung des Ausgangssubstrats) und eine relativ starke Differenzierung auf Blockba- zuvor rückgehaltene Schwermetalle unter Um- sis, obgleich, außer im nordwestlichen Eck ständen mobilisiert werden könnten. (Parabraunerde), nur eine Bodenform domi- niert (Ackerpararendzina). Die Unterschiede

156 Bodeninformation als Grundlage des Bodenschutzes

Abb. 4: Bewertung des „Potenzials als Filter und Puffer für Schwermetalle“ als Aspekt der Funktion „Boden als Abbau-, Aus- gleichs- und Aufbaumedium für stoffliche Einwirkungen“ (Methodik: Hennings, 2000, vgl. auch Bayerisches Geologisches Lan- desamt, 2003: 46ff.)

Aggregierte Bewertung der Bedeutung von aktuelle Versiegelungsgrad in der Karte mit Böden im Hochwasserschutz aufgenommen. Auch bei dieser zusammenfas- senden Bewertung ergibt sich im Vergleich mit Abbildung 5 zeigt für den bekannten Karten- der Verbreitung der Bodenformen ein unein- ausschnitt das Beispiel einer aggregierten heitliches Bild, das durch die Versiegelungs- Bewertung, bei der die Bewertungen „Versi- grade entsprechend weiter differenziert wird. ckerungspotenzial für Oberflächenwasser“ und Insgesamt liegen die Ergebnisse der Bewer- „Retentionspotenzial bei Starkniederschlägen“ tung im sehr guten bis mittleren Bereich, da die (nach Bayerisches Geologisches Landesamt, typischen Böden der Münchener Schotterebe- 2003; Lehmann et al., 2006) hinsichtlich der ne Infiltration und Versickerung eher begünsti- Bedeutung für den Hochwasserschutz zu- gen. sammengeführt wurden. In der Karte sind jene Flächen hervorgehoben, deren Böden sowohl Für anstehende Planungsentscheidungen zur kurzfristigen Aufnahme von Starknieder- kann der aggregierten Karte rasch die Informa- schlägen als auch als Retentionskörper bei tion entnommen werden, wo die hinsichtlich lang anhaltenden Niederschlagsereignissen Hochwasserschutz günstigen und noch nicht geeignet sind. Während zur Bewertung des oder nur gering versiegelten Böden liegen. Aufnahmepotenzials für Starkregen das Volu- Diese sollten auch in Zukunft wenn möglich men der Grobporen (Luftkapazität) oberhalb unbebaut bleiben. Bei bereits teilversiegelten eines relativen Stauhorizonts betrachtet wird, Flächen ist eine zusätzliche Bebauung zu ver- sind für die zweite Bewertung die hydraulische meiden, da die unversiegelten Bereiche wichtig Leitfähigkeit (kf-Wert) und die nutzbare Feld- zur Aufnahme des Oberflächenabflusses auf kapazität von Relevanz. Als wichtige Zusatzin- dem jeweiligen Block sein können. formation zur Abschätzung der Bedeutung der Flächen für den Hochwasserschutz ist der

157 Clemens Geitner, Markus Tusch & Jörn Dittfurth

Abb. 5: Aggregierte Bewertung der Bedeutung von Böden im Hochwasserschutz basierend auf dem „Versickerungspotenzial für Oberflächenwasser“ und dem „Retentionspotenzial bei Starkniederschlägen“ (Methodik: Bayerisches Geologisches Landesamt, 2003, S. 40ff. und Lehmann et al., 2006)

4. Diskussion und Ausblick ausgewählten Themen sowie den Vorschlag einer Gesamtbewertung vorzulegen. Die Ag- 4.1 Methodische Anmerkungen zum Fachplan gregierungen wurden mit dem Auftraggeber Boden ausführlich diskutiert und bildeten ausdrücklich An einer kleinen Auswahl von Bewertungskar- nur eine Ergänzung zu den Einzelbewertun- ten konnten einige Inhalte des Fachplans Bo- gen, die für die bodenkundlich geschulten Pla- den vorgestellt und hinsichtlich Interpretation ner der Stadt München die primäre Informati- und möglicher Schlussfolgerungen andiskutiert onsquelle darstellen sollen. werden. Die Wahl der Inhalte und ihre Aufbe- Für den konkreten Umgang mit den Bewer- reitung erfolgte in enger Zusammenarbeit mit tungskarten ist es wichtig, ihre Aussageschärfe den Planungsverantwortlichen der Stadt Mün- realistisch einzuschätzen. Aufgrund der Be- chen und könnte für andere Städte anders schaffenheit der Basisdaten hinsichtlich Maß- ausfallen. So wird beispielsweise von Seiten stab und Detaillierungsgrad sowie methodisch der Planer immer wieder der Wunsch geäu- bedingter Vereinfachungen oft sehr komplexer ßert, die Ergebnisse der Bodenbewertung in Zusammenhänge dürfen die dargestellten einer einzigen Karte aggregiert vorliegen zu Ergebnisse nur als plausibel abgeleitete „Hin- haben. Feldwisch & Balla (2006) haben sich weiskarten“ gelten, die im Einzelfall durch De- mit unterschiedlichen Ansätzen zusammenfas- tailkartierungen zu ergänzen sind. Größere sender Bewertungen der Bodenfunktionen Unsicherheiten ergeben sich nicht nur durch befasst. Ein gravierendes Problem bei Gesamt Mittelwertbildung der Profilparameter je Boden- aggregationen ist der Verlust an differenzierter form in den Eingangsdaten, sondern insbe- Information, außerdem setzt jede Zusammen- sondere auch durch die lang anhaltende und fassung eine Gewichtung der Einzelbewertun- immer wieder wechselnde anthropogene Ü- gen voraus, die letztlich eine Frage der Wert- berprägung der Böden. An dieser Stelle liegt maßstäbe ist und somit nicht (alleine) von Sei- generell methodischer Optimierungsbedarf, ten der Wissenschaft beantwortet werden sowohl was die wissenschaftlichen Grundlagen kann. Mit dem Fachplan Boden wurde der Weg als auch die Datenbereitstellung (differenzierte gewählt, neben einer großen Zahl an Einzel- Angaben zur aktuellen und historischen Nut- bewertungen aggregierte Bewertungen zu zung der Parzellen) betrifft. Zudem könnten in 158 Bodeninformation als Grundlage des Bodenschutzes

München durch genauere Daten zum Grund- der Böden erfolgt mit dem Tool ILSE (Informa- wasserstand die Ergebnisse einiger Bewertun- tion on Land and Soil Evaluation, vgl. RGU gen deutlich verbessert werden. München, 2006, S. 20f.), das auch ein Ergeb- nis von TUSEC-IP ist. Auf Grundlage einer Bei der Erstellung der Bewertungskarten wur- differenzierten Interpretation der Bewertungs- de immer wieder die Erfahrung gemacht, dass ergebnisse werden Empfehlungen für die Pla- durch vergleichsweise geringfügige Verände- ner in Form eines Bodenberichtes gegeben, rungen der Algorithmen bzw. der verwendeten der Aussagen dazu enthält, wie Maß und Art Grenzwerte deutlich unterschiedliche Bewer- der Bebauung aus Sicht des Bodenschutzes tungsergebnisse erzielt werden können. Um in zu verändern sind bzw. wie mit dem Boden näherer Zukunft zu einer gewissen Objektivie- während der Baumaßnahme vor Ort umzuge- rung und Standardisierung zu gelangen, ist es hen ist. erstrebenswert, nicht nur die Erfahrungen un- ter vergleichbaren Projekten auszutauschen, Die Einflussmöglichkeit für den v o r s o r g e n - sondern gleiche Datensätze mit unter- d e n Bodenschutz ist in einem Bebauungs- schiedlichen Verfahren zu bearbeiten, wie dies planverfahren gegenwärtig noch als gering zu in einer Pilotstudie von Hochfeld et al. (2002) bewerten. Die bauliche Maßnahme und die durchgeführt worden ist. Mit weiteren Studien entsprechenden Bodenverluste sind in diesem dieser Art sollten gewisse persistente Muster in Planungsstadium in der Regel nicht mehr ab- der Bewertung herauszuarbeiten sein, womit zuwenden. Es sind bestenfalls Einschränkun- die Unsicherheiten hinsichtlich Qualität und gen möglich, die den Umfang der Bodenbeein- Belastbarkeit der Ergebnisse reduziert werden trächtigung vermindern können. Um den könnten. größtmöglichen Nutzen im Sinne des Bodens zu erzielen, empfiehlt es sich daher, so frühzei- 4.2 Anwendungsmöglichkeiten der Bodenbe- tig wie möglich die Interessen des Boden- wertung in der Praxis schutzes im Planungsverfahren geltend zu machen. Dabei kommt es immer besonders Bisher wurde im Rahmen der räumlichen Pla- darauf an, die Bodenbewertung mit Blick auf nung Münchens, also in der Bauleitplanung die jeweils konkret vorliegende Planung diffe- (Flächennutzungsplanung und Bebauungspla- renziert zu interpretieren und den Planern klare nung), der Ebene der Verkehrsplanung sowie praxisbezogene Empfehlungen an die Hand zu der SUP (Umweltbericht) der vorsorgende geben. Bodenschutz untergeordnet behandelt, da außer kleinmaßstäbigen Informationen keiner- Der auf der Grundlage von TUSEC-IP entwi- lei Datengrundlagen vorlagen, mit denen Bö- ckelte Fachplan Boden soll, um eine entspre- den ausreichend in ihrer ökologischen Leis- chende Verbindlichkeit zu erlangen, fachlicher tungsfähigkeit beschrieben und qualifiziert Bestandteil des Landschaftsplans im Rahmen werden konnten. Dies hat sich mit der Durch- der Flächennutzungsplanung werden. Gegen- führung des Projektes TUSEC-IP und der An- wärtig wird eine entsprechende Beschlussfas- wendbarkeit der erarbeiteten Methoden zur sung durch den Münchner Stadtrat vorbereitet. funktionsbezogenen Bodenbewertung grund- Die Lokalisierbarkeit der besonders schutz- legend verbessert. Mit ihnen ist es nunmehr würdigen Münchener Böden bietet ein Instru- möglich, die Qualitäten der urbanen Böden zu ment, mit dem es künftig möglich sein soll, erkennen, darzustellen und in den planeri- Bodenschutzargumente in die Flächennut- schen Abwägungsprozess einzubeziehen. zungsplanung zu integrieren. Böden als Träger wichtiger ökologischer Funktionen müssen, wie Auf der Ebene der Bebauungsplanung werden auch in der städtischen Leitlinie für den Bo- in München, sofern es aufgrund der örtlichen denschutz in München gefordert, gleichberech- Situation und der Informationen aus dem tigt mit den anderen Schutzgütern Wasser, Fachplan Boden sinnvoll erscheint, Bodenun- Luft, Flora und Fauna bei der Erstellung und tersuchungen und Bodenbewertungen nach Fortschreibung von Flächennutzungsplänen, der TUSEC-Methode veranlasst und durchge- bei fachlichen Rahmenplänen, im Umweltmoni- führt. Die Bodenkartierung selbst erfolgt durch toring und in UVP- und SUP-Verfahren be- Ingenieurbüros, die im Rahmen des jeweiligen rücksichtigt werden. Für München sind die Bebauungsplans von der Landeshauptstadt fachlichen Voraussetzungen dafür geschaffen beauftragt werden. Bisher sind die Felderhe- worden und es kommt nun auf den politischen bungen zusammen mit Baugrunduntersuchun- Willen zur Umsetzung an. Von den konkreten gen durchgeführt worden, was sich sowohl aus Erfahrungen wird zu einem späteren Zeitpunkt ökonomischer wie auch aus organisatorischer zu berichten sein. Sicht als sehr günstig erwies. Die Bewertung

159 Clemens Geitner, Markus Tusch & Jörn Dittfurth

Danksagung nen. Entwurf für den Workshop. Bergisch- Gladbach, Herne. 29 S. Die Autoren danken den Mitarbeitern des Re- Geitner, C., Tusch, M. & Dittfurth, J. (2007a). ferats für Gesundheit und Umwelt der Landes- Fachplan Boden der Landeshauptstadt hauptstadt München für ihren unermüdlichen München – Bewertung natürlicher Boden- Einsatz als Leadpartner im EU-Projekt TU- funktionen im Überblicksmaßstab als Bei- SEC-IP sowie für das entgegengebrachte Ver- trag zum vorsorgenden Bodenschutz. Ab- trauen und die stets konstruktive und ange- schlussbericht. Innsbruck, München. 130 nehme Zusammenarbeit in mehreren Folge- S. projekten. Geitner, C., Tusch, M. & Dittfurth, J. (2007b).

Beiträge zur Entwicklung eines Flächen- Literatur und Datenquellen monitoringsystems für die Landeshaupt- AD-HOC-AG Boden – Arbeitsgruppe Boden- stadt München. Abschlussbericht. Inns- kunde der Geologischen Landesämter und bruck, München. 101 S. der Bundesanstalt für Geowissenschaften Geitner, C., Tusch, M. & Dittfurth, J. (2007c). und Rohstoffe in der BRD (2005). Boden- Steckbriefe der Bodenformen für die Lan- kundliche Kartieranleitung (KA5). 5. Aufl. deshauptstadt München. Ein ergänzender Hannover. 438 S. Beitrag zum Fachplan Boden und für das Bayerisches Geologisches Landesamt [Hrsg.] Bodenmontoring. Innsbruck, München. 55 (1986). Standortkundliche Bodenkarte von S. Bayern 1:50.000, München – Augsburg Hennings, V. (Hrsg.) (2000): Methodendoku- und Umgebung incl. Beiheft. Bodenchemi- mentation Bodenkunde - Auswertungsme- sche und bodenphysikalische Analysener- thoden zur Beurteilung der Empfindlichkeit gebnisse. München. 396 u. 75 S. und Belastbarkeit von Böden. Geologi- Bayerisches Geologisches Landesamt [Hrsg.] sches Jahrbuch, Sonderhefte, Reihe G, (1993). Stadtbodenkartierung München- SG1. Hannover. 231 S. Allach 1:5.000. Pilotprojekt. München. Hepperle, E., & Stoll, T. (2006). Ressourcen- Bayerisches Geologisches Landesamt [Hrsg.] plan Boden. Ein Konzept zum planerisch- (2003). Das Schutzgut Boden in der Pla- nachhaltigen Umgang mit Bodenqualität. nung. Bewertung natürlicher Bodenfunkti- Umweltwissen 0633, Bundesamt für Um- onen und Umsetzung in Planungs- und welt. Bern. 298 S. Genehmigungsverfahren. Augsburg, Hochfeld, B., Gröngröft, A & Miehlich, G. München. 62 S. (2002). Klassifikationssystem zur Bewer- Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege tung der Leistungsfähigkeit und Schutz- [Hrsg.] (2006). Karte der Bodendenkmäler würdigkeit der Böden als Entscheidungs- in Bayern. München. hilfe für die Raumplanung unter Berück- BBodSchG – BGBl. I 1998, 502. Gesetz zum sichtigung des Bodenschutzes. Hamburg. Schutz vor schädlichen Bodenveränderun- 164 S. gen und zur Sanierung von Altlasten (Bun- Hochfeld, B., Gröngröft, A. & Miehlich, G. desbodenschutzgesetz). Berlin. (2003). Großmaßstäbige Bodenfunktions- Berger, C. (2000). Bodenbewertung für den bewertung für Hamburger Böden. Verfah- vorsorgenden Bodenschutz. Theoretische rensbeschreibung und Begründung. Ham- Grundlagen und praktische Umsetzung am burg. 81 S. Beispiel des Ostens der Stadt Frankfurt Holland, K. (1995). Die Böden Stuttgarts – am Main. Frankfurt. 424 S. Erläuterungen zur Bodenkarte 1:20.000. Blume, H.-P. [Hrsg.] (2004). Handbuch des Schriftenreihe des Amtes für Umwelt- Bodenschutzes. Bodenökologie und -belastung, schutz, 3/1993. Stuttgart. 240 S. vorbeugende und abwehrende Schutz- Klingbeil, D. (1987). Grundzüge der stadtstruk- maßnahmen. 3. Aufl. Landsberg/Lech. 913 turellen Entwicklung nach dem II. Welt- S. krieg. In: Geipel, R. & Heinritz, G. (Hrsg.). Faensen-Thiebes, A., Gerstenberg, J., Goede- München - ein sozialgeographischer Ex- cke, M. & Smettan, U. (2006). Karten zur kursionsführer. Kallmünz / Regensburg. S. funktionalen Leistungsfähigkeit von Böden 101-140. in Berlin. Bodenschutz 3. S. 72-76. Landeshauptstadt München (Hrsg.) (1997). Falk (1949). Falk-Patent-Stadtplan München, Festschrift 50 Jahre Münchner Be- Maßstab 1:19.000 - 1:28.000: Darstellung zirksausschüsse 1947/1997. München. aller Teil- und Totalzerstörungen. Ham- 182 S. burg. Landeshauptstadt München (2004). München Feldwisch, N. & Balla, S. (2006). LABO-Projekt wie geplant. Die Entwicklung der Stadt von 3.05. Orientierungsrahmen zur zusammen- 1158 bis 2008. Franz Schiermeier Verlag. fassenden Bewertung von Bodenfunktio- München. 182 S.

160 Bodeninformation als Grundlage des Bodenschutzes

Lehmann, A. (2001). Stadtbodenkartierung kennzeichen BWC 99001). Hohenheim. München. Pilotprojekt. München, Stuttgart. 183 S. 20 S. Tusch, M., Geitner, C. & Lehmann, A. (2005). Lehmann, A., David, S. & Stahr, K. (2006). Bodenkartierung im Untersuchungsgebiet TUSEC (Technique of Urban Soil Evalua- “Schittgablerstraße Nord”, München. Bo- tion in City Regions) – Eine Methode zur denbewertung und Empfehlungen für die Bewertung natürlicher und anthropogen Bauplanung. Unveröffentlichtes Dokument überformter Böden. Hohenheim. 99 S. für die Landeshauptstadt München. Linder, S. (1998). Die Erstellung einer digitalen München. 25 S. Konzeptbodenkarte für das Stadtgebiet Tusch, M., Geitner, C. & Stötter, J. (2007). A München als Grundlage für die Entwick- Thematic Soil Plan for the City of Munich – lung eines Bodeninformationssystems. Scopes and Limits of Soil Evaluation in München. 84 S. Urban Planning Procedures. Real Corp Megele, M. (1951). Baugeschichtlicher Atlas 007 Proceedings (Vienna May 2007). p. der Landeshauptstadt München. Neue 305-314. Schriftenreihe des Stadtarchivs München, Tusch, M., Geitner, C. & Stötter, J. (2008, ac- 3. München. 158 S. cepted). Soil Evaluation in the City of Mu- Meuser, H. & Greiten, U. (2006). Kartier- und nich. Adaptation and application of soil Bewertungsschlüssel für die Bodenfunkti- evaluation systems for a Thematic Soil onen in Osnabrück. Osnabrück. 164 S. Plan. Landscape and Urban Planning, Meyer, R. K. F. & Schmidt-Kaler, H. (1997). special issue for the Conference “Soil Pro- Auf den Spuren der Eiszeit südlich von tection for Natural Resource Protection” München (östlicher Teil). – Wanderungen (Ascona 2006). in die Erdgeschichte, 8. München. 142 S. Tusch, M., Geitner, C., Stötter, J., Huber, S. & Michler, G. (1994). Die naturräumlichen Einhei- Bartel, A. (im Druck). Bodenbewertung in ten auf Blatt 181 München. – Geographi- Stadtregionen des Alpenraums - Ergebnis- sche Landesaufnahme 1:200.000, Natur- se des Projektes TUSEC-IP. Mitt. der räumliche Gliederung Deutschlands. Bonn- Österr. Bdkdl. Ges. 75. Bad Godesberg. 128 S. Umweltministeriums Baden-Württemberg Müller, U. (2004). Auswertungsmethoden im (1995). Bewertung von Böden nach ihrer Bodenschutz. Dokumentation zur Metho- Leistungsfähigkeit – Leitfaden für Planun- denbank des Niedersächsischen Bodenin- gen und Gestattungsverfahren. UM, 20/95. formationssystems (NIBIS®). 7. Aufl. Han- Stuttgart. 57 S. nover. 409 S. RGU München – Referat für Gesundheit und Umwelt der Landeshauptstadt München Anschrift (2000). Erstellung eines Bodenschutzkon- Dr. Clemens Geitner zeptes für die Landeshauptstadt München. Gebirgsforschng: Mensch und Umwelt, For- Leitbild und Leitlinien für den Bodenschutz schungsstelle der Österreichischen Akademie in München. Beschluss des Umweltschutz- der Wissenschaften, ausschusses München vom 30.11.2000. Tecfhnikerstr. 21A, 6020 Innsbruck München. Email: [email protected] RGU München – Referat für Gesundheit und

Umwelt der Landeshauptstadt München Dr. Markus Tusch (Hrsg.) (2006). Bodenbewertung in der Institut für Geographie, Universität Innsbruck räumlichen Planung. Ein Beitrag zur nach- Email: [email protected] haltigen Raumentwicklung. Ergebnisse

des EU-Interreg III B Alpenraum Projekts Dipl.-Geogr. Jörn Dittfurth TUSEC-IP. München, Bozen. 47 S. Institut für Geographie, Universität Innsbruck Sauerwein, M. (2002). Geoökologische Ansät- ze zur Beurteilung der anthropogenen Bo- denveränderung im Stadtgebiet von Halle. Hercynia N.F. 35. S. 1-15. SenStadt Berlin – Senatsverwaltung für Stadt- entwicklung der Stadt Berlin (2006). Merk- blatt zur Berücksichtigung der Belange des vorsorgenden Bodenschutzes in Umwelt- berichten nach § 2 Abs. 4 BauGB. Berlin. Stahr, K., Stasch, D. & Beck, O. (2003). Ent- wicklung von Bewertungssystemen für Bo- denressourcen in Ballungsräumen. For- schungsbericht FZKA-BWPLUS (Förder- 161

CONTUREC 3 (2008) Seite 163 bis 171

Potenziale historischer naturnaher Stadträume zur Reduzierung des Freizeitverkehrs ins weiter entfernte Stadtumland

Potentials of nature near historic urban areas to reduce recreational traffic into areas in farer distances

THOMAS KEIDEL

Zusammenfassung Zahlreiche naturnahe Erholungsparks haben ihre Potenziale als historischer naturnahe Stadträume eingebüßt. Im Laufe der Geschichte haben sie ihre hervorgehobene internationale Bedeutung für die Städte verloren und stellen heute ein Element der Grünstrukturen für die alltägliche Erholung der An- wohner dar. Mit dieser gewandelten Bedeutung haben sich auch die Nutzungsverhältnisse verändert, sowohl hinsichtlich der Nutzergruppen wie auch der Intensität und Art der Nutzungen. Der Aigner Park in Salzburg ist ein typisches Beispiel für solche Strukturen. Ende des 18. Jahrhun- derts angelegt war dieser Park bis Mitte des 19. Jahrhundert von herausragender Bedeutung als Aus- flugs- und Erholungsort für Adelige Mitteleuropas. Diese Stellung hat der Park bis Mitte des 20. Jahr- hunderts vollständig verloren, selbst Einheimische haben ihn – insbesondere aufgrund des verwahr- losten Zustandes – nicht mehr genutzt. In weiterer Folge ist der Park nach einer Instandsetzung zu- nehmend wichtig für die Naherholung der um den Park lebenden Einheimischen geworden. Dabei sind nicht die damaligen Strukturen wieder aufgegriffen worden, sondern heute steht das Naturerleben im Vordergrund. Weithin unbekannt ist der Park bei Besuchern der Stadt geblieben. Dabei bietet die Anlage nach geeigneten Aufwertungen der Infrastruktur und einem größeren Bekanntheitsgrad weit reichende Potenziale für eine vielgestaltige Nutzung und kann möglicherweise zu einer Reduzierung des Erholungsverkehrs ins weiter entfernte Umland beitragen. Für weitergehende Aussagen sind de- taillierte wissenschaftliche Untersuchungen unumgänglich.

Naturverständnis, Grünstrukturen, Parkanlagen, Verkehr, Freiräume, Freizeit.

Summary Numerous relaxation parks close to nature have lost their potentials as historical urban spaces In the course of history, they have lost their generally forfeited international importance for the cities and represent today only one element of the urban green structures used for the every day recreation of the residents. This changed importance has led to a change in the conditions of use, both in terms of user groups, as well as the intensity and kind of uses. The Aigner Park in Salzburg is a typical example of such structures. Created at the end of the 18th Century the park was up to the middle of the 19th Century of paramount importance as sightseeing point and recreation resort for noblemen from all over Central Europe. The park lost that importance in the next 100 years complete, even locals forgot the park, because of an increasing degradation. In the last 50 years the park became increasingly important after some repairs. The area was not restored to the old state, today the nature experience is the leading idea. But still visitors of Salzburg get no infor- mation about the park. This is a real lack, because the park offers a lot of opportunities for a multifac- eted use and may also contribute to a reduction of recreational traffic into areas in farer distances. For further comments it is unavoidable to start with detailed scientific investigations.

1. Nutzbare Freiräume in Städten Innerhalb von Städten besteht eine Vielzahl und die Public Parks hinzu. (Berger, 2003, unterschiedlicher Freiräume. Diese lassen sich Sarkowicz, 1998). Eine Erweiterung der Park- sowohl hinsichtlich der Entstehungsgeschichte flächen bieten in jüngster Zeit umgestaltete als auch der Nutzungen in verschiedene Kate- ehemalige Industrie- und Bahnflächen. Als gorien einteilen. Von zumeist herausragender zweite Gruppe von Grünflächen lassen sich Bedeutung sind Parks. Dabei sind herrschaftli- stadtnahe Landwirtschaftsflächen abgrenzen. che Anlagen aus der Barockzeit und Englische Noch etwas naturnäher sind zumeist städti- Gärten die ältesten Strukturen. Ab dem Ende sche Waldgebiete, oft erst im 19. Jahrhundert des 19. Jahrhunderts kamen die Volksgärten angelegt und mit weit reichender Infra

163 Thomas Keidel

struktur – wie Aussichtstürmen – ausgestattet. wohner, also Ortsansässige, die sich heute in Neben zumeist wenigen Naturschutzgebieten solchen Freiräumen aufhalten. bieten naturnahe Augebiete und mit heimi- Dieser Nutzungswandel hat zu baulichen Ver- schen Gehölzen bestandene Berghänge ein änderungen geführt. Einerseits gibt es Erho- wichtiges Potenzial für das Naturerlebnis. lungsflächen, die heute deutlich stärker genutzt Eine Mischform stellen historische naturnahe werden, andererseits solche die kaum noch Stadträume dar, insbesondere geht es dabei aufgesucht werden. Diese allgemeinen Ten- um die parkartige Umgestaltung von Natur- denzen sollen im Folgenden an einem Beispiel landschaften im Sinne der Romantik. Zumeist näher erläutert werden. sind nur moderate Eingriffe in die Naturland- schaft erfolgt. Es wurde eher darauf Wert 2. Das Beispiel Aigner Park in Salzburg gelegt, die vorhandenen Potenziale so gut wie Der Aigner Park steht symbolisch für den In- möglich einzubeziehen. begriff vom Mythos Salzburg und entspre- Diese Anlagen befanden sich ursprünglich chend wird in der Dauerausstellung des Salz- zumeist deutlich außerhalb der bebauten burg Museums ein Bild dieser Parkanlage von Stadtgebiete und wurden nachfolgend in der Julius Schoppe aus dem Jahr 1817 in den Geschichte unterschiedlich genutzt und wahr- Vordergrund gestellt. genommen. Zum Zeitpunkt der Anlage standen Aktivitäten wie lange Spaziergänge mit dem Erlebnis ro- mantisch inszenierter Landschaften sowie dem Naturerlebnis an sich im Vordergrund. Da der Aufenthalt bis zu mehreren Wochen umfasst hat, gab es eine entsprechende Infrastruktur für damals beliebte Zeitvertreibe wie das Schießen oder das Baden in Badehäusern. Auch heute besteht, wenn auch in einem we- niger inszenierten Charakter, zumeist die Mög- lichkeit, die Natur auf Spaziergängen zu erle- ben. Die Art und Weise von spielerischen Zeit- vertreiben hat sich dagegen verändert. Hinzu gekommen sind Nutzungen, die es damals Abb. 1: aus Robert Hoffmann: Mythos Salzburg, Salzburg noch gar nicht in der heutigen Form gegeben 2002. Bildnachweis: „Julius Schoppe (der Ältere): Der hat, wie das Ausführen von Hunden oder Maler Julius Schippe, Carl Wilhelm Gropius und Carl Sportaktivitäten wie Joggen oder Radfahren Friedrich Zimmemann und der Dichter Alois Weißenbach bzw. Mountainbike fahren sowie das ausgiebi- in Aigen“. Dresden, Staatliche Kunstsammlung ge Wandern (Bochnig & Selle, 1992). Auch auf dem kurze Zeit später (1829) ent- Aufgrund der hohen Mobilität der Bevölkerung standenen Panoramabild der Stadt Salzburg wird aber ein Teil der angesprochenen Aktivitä- von Johann Michael Sattler ist der Aigner Park ten mittlerweile in als attraktiver angesehene, in einer „Ideallandschaft“ der Romantik abge- relativ schnell erreichbare, wenn auch weiter bildet. Zudem wird deutlich, dass der Park zu entfernt liegende Areale verlagert. dieser Zeit optisch mehrere Kilometer vom dicht bebauten Stadtgebiet Salzburgs entfernt Auch ein Blick auf die Qualität der Nutzungen lag. im Verlauf der Jahrhunderte zeigt deutliche Unterschiede. Ursprünglich wurden die Frei- Am Ende des 18. Jahrhunderts bot Aigen mit räume nur von wenigen Personen höherer seinem Park eine Idealvorstellung des roman- sozialer Schichten aufgesucht. Sie hielten sich tischen Lebensgefühls (Becker, 1975). Die in der Regel lange Zeit im Gebiet auf, nicht erstmalige Nutzung einer dort entspringenden zuletzt auch deswegen, weil sie aus weit ent- Quelle wurde bereits im Jahr 1524 erwähnt. fernten Regionen extra zu diesem Zweck an- Die eigentliche Inwertsetzung fand dagegen gereist sind. Das hat sich grundsätzlich verän- erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dert. Nicht nur ist die Zahl der Besucher um ein statt, indem dort um 1775 der Badebetrieb vielfaches höher, sondern soziale Schichten durch Errichtung entsprechender Infrastruktur spielen keine Rolle mehr. Dagegen hat sich die zum ersten Mal kommerziell genutzt wurde Aufenthaltszeit drastisch verkürzt. Ein mehrtä- (Becker, 1975; Harlander, 2003). giges Verweilen ist bereits schon deshalb nicht mehr möglich, weil die notwendige Infrastruktur Nach dem Verkauf von Schloss und Park an nicht mehr existiert. Zudem sind nur selten Hieronymus Graf Lodron stattete dieser den Personen aus weiter entfernten Regionen an- Park mit künstlichen Grabhügeln, einer Einsie- zutreffen. Insgesamt sind es vorwiegend An- delei, einer Pyramide und weiteren „Attraktio-

164 Potenziale historischer naturnaher Stadträume

nen“ aus. Dem Zeitgeist entsprechend fand Die Nutzung dieser für Salzburg bedeutenden nach dem Eigentumsübergang an Fürst Ernst Sehenswürdigkeit geschah in dieser Zeit in Schwarzenberg bereits 1804 eine komplette zweierlei Varianten. Einmal wurden Tagesaus- Um- und Neugestaltung statt. Der vormalige flüge von der Stadt aus unternommen und zum sentimentale Landschaftsstil mit „Stimulanzien“ anderen verbrachten dort oftmals adelige Gäs- wie künstlichen Ruinen und Denkmälern wurde te (vorwiegend Frauen über 50 Jahre) mehr- ersetzt durch eine Gestaltung, die die vorhan- wöchige Kuraufenthalte (1810 bis 1836 waren denen Naturelemente in den Vordergrund stell- es 442 Kurgäste, 1841-1852 121 Kurgäste, te, diese „in Szene“ setzte (Harlander, 2003). vgl. Stadler, 1975). Höllbacher (1990) führt das Ergebnis dieser Ein Blick in die erhalten gebliebenen Gästebü- Maßnahmen als Beispiel für die „Unsichtbar- cher von Park und Badehaus zeigt nicht nur keit“ menschlicher Gartenkunst an (Purifizie- die hervorgehobene Stellung der Besucher, rung). sondern vermittelt auch ein Bild von der Nut- Nach dieser Umgestaltung wurde der Aigner zungsintensität der Parkanlage (Tabellen 1 Park zu einer Sehenswürdigkeit ersten Range- und 2). Die Besucherzahl zeigt einen deutli- sund im 19. Jahrhundert von zahlreichen ge- chen Spitzenwert im Herbst (Tabelle 3). Insge- krönten Häuptern aufgesucht (Mazzari, 2000; samt sind es nicht sehr viele Besucher (zumin- Stadler, 1975). Ludwig I. von Bayern lässt sich dest die sich in das Gästebuch eingetragen etwa zu folgendem Gedicht inspirieren: „Einzig haben). bist Du holdes Aigen; Nirgends hast du Dei- nesgleichen; in der unermess’nen Welt“ (Pirckmayer, 1887, S. 1).

Tab. 1: Herkunftsländer der Besucher Aigens 1814-1822 Land 1814 1815 1816 1817 1818 1819 1820 1821 1822 Summe Salzburg 27 12 7 18 11 21 6 6 17 125 Kaiserreich Österreich 9 34 30 56 72 60 95 70 119 545 Königreich Bayern 7 30 24 48 58 54 66 39 57 383 An. Dt. Bundesstaaten 4 12 18 42 62 35 56 46 52 327 Großbritannien 6 2 6 9 10 8 13 14 10 78 Frankreich 4 1 3 2 10 Niederlande 1 2 3 Schweiz 4 1 5 Skandin. Staaten 1 1 Russland 10 1 1 12 Italien, Spanien 6 2 5 3 3 19 Unbekannt 36 48 38 59 84 89 92 49 113 608 Summe 89 152 123 239 303 274 333 227 376 2116

Tab. 2: Sozialer Stand der Besucher in Aigen 1814-1822 1814 1815 1816 1817 1818 1819 1820 1821 1822 Summe Adel (weltl. & geistlich) 76 89 48 52 89 65 86 37 77 619 Offiziere 2 1 6 15 24 8 11 3 24 94 Profess., Studenten 13 4 5 15 20 31 15 17 102 Niedere Geistlichkeit 3 1 3 6 7 12 6 6 6 50 Künstler 1 4 6 5 11 10 87 Kaufleute, Handwerker 8 45 40 150 162 154 170 108 218 1055 Soz. Stand unbekannt 9 22 7 10 29 47 24 148 Summe 89 152 123 239 303 274 333 227 376 2155

Quelle: Stadler, 1975.

165 Thomas Keidel

Tab. 3: Monatliche Verteilung der Besucher des Aigner Parks 1815-1822 1815 1816 1817 1818 1819 1820 1821 1822 Summe Februar 4 4 März 1 18 19 April 13 5 10 28 Mai 2 45 16 10 12 18 103 Juni 34 13 24 35 28 31 47 40 252 Juli 7 62 56 29 45 32 51 282 August 21 42 64 49 60 74 45 81 436 September 79 31 69 61 111 113 64 96 624 Oktober 11 37 19 44 30 50 17 72 280 November 1 1

Quelle: Stadler 1975; Dezember und Januar keine registrierten Besuche

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts verlor der Park entdeckung der Landschaft in Salzburg. 1980 nach und nach seine Bedeutung. Andere im- bekam der Park schließlich das Prädikat eines posantere Besucherziele im nahen Hochgebir- geschützten Landschaftsteils. Der Schutz der ge waren durch die nun vorhandenen ver- Landschaftselemente wie Felsen, Grotten, gleichsweise schnellen Eisenbahnverbindun- Bachläufe und Wiesen steht seitdem im Vor- gen zu erreichen und wurden mit geeigneter dergrund (Mazzari, 2000). Infrastruktur wie großen Hotels und Kuranla- Neue „Ausstattungselemente“ wie Schautafeln, gen ausgestattet (vgl. dazu Mazzari, 2000). In Lehrpfade und eine Waldschule dienen dem Aigen unterblieben solche Investitionen, so Ziel ein besseres Naturverständnis zu errei- dass kaum noch Besucher von weit entfernten chen. Andere alte historische Strukturen blei- Orten kamen. ben dagegen vergessen und versteckt (Mazza- 1865 wurde von einer ersten Verwahrlosung ri, 2000). Einzig eine Tafel am Eingang des der Anlage gesprochen (Stadler, 1975) Es Parks weist auf die Geschichte hin. folgte zwar um 1880 nochmals eine Erneue- Die im Jahr 2006 erfolgte Beschilderung von rung aber bereits um 1900 wurde der Zustand Wanderwegen im Stadtgebiet (etwa auf den erneut als schlecht beschrieben. Das Bade- Gaisberg) führte dazu, dass zusätzlich zu ent- haus ist mit Beginn des ersten Weltkrieges sprechenden Tafeln im Aigner Park solche mit endgültig geschlossen worden. Zielinformationen zu Sehenswürdigkeiten im Im 20. Jahrhundert geriet der Park auch bei Park installiert wurden (Grotten, Felsen etc.). den Einheimischen zunehmend in Vergessen- Eine darüber hinausgehende Infrastruktur wie heit und verfiel, d. h. viele Wege waren nach ein Gastgarten oder gar ein Badehaus ist in- und nach nicht mehr begehbar. Der gänzliche nerhalb des Parks nicht zu finden. Verfall des Parks wurde zwischen 1940 und Neben veränderten gesellschaftlichen Verhält- 1950 festgestellt (Mazzari, 2000). nissen führten auch die andersartige Ausstat- Danach gab es eine Wiederentdeckung der tung und der Verfall einstmaliger Infrastruktur Anlage. Erste Arbeiten begannen um 1956 zu einem unterschiedlichen Nutzerverhalten. (Mazzari, 2000). Ziel war aber nicht die Wie- Der Park ist in seiner neuen Grundkonzeption derherstellung des alten Zustandes, sondern nicht mehr ein eigentlicher Landschaftsgarten. die Schaffung eines der naturnahen, fußläufi- Nur noch an wenigen Punkten ist eine Erinne- gen Erholung dienenden Raumes. Insbeson- rung an den vormaligen Zustand möglich dere wurden keine der zwischenzeitlich zuge- (Mazzari, 2000). wachsenen Aussichtspunkte wieder freigelegt. Der Aigner Park ist nicht mehr Ausgangspunkt In den nächsten Jahren wurde diese neue für die im 19. Jahrhundert angebotenen ge- Funktion durch verschiedene Unter-Schutz- führten Bergtouren, andere Regionen mit hö- Stellungen verstärkt. Es begann mit der Auf- herer Attraktivität wurden zwischenzeitlich nahme in die Denkmalliste 1962 (Ziegeleder, erschlossen (zu den historischen Nutzungen 1975). 1971 wurde Aigen der erste Naturpark vgl. Ziegeleder, 1975, sowie die historische des Landes Salzburg. Mondre (1995) bezeich- Literatur etwa Pirckmayer, 1887). net Aigen als einen Vorreiter bei der Wieder

166 Potenziale historischer naturnaher Stadträume

Das noch in Rudimenten vorhandene Freiluft- nicht mehr (vgl. den Absatz in Baedeker, theater wird in wesentlich geringerem Umfang 1910). Nähere Informationen lassen sich man- genutzt. Auch die wichtige Position als gels geeigneter Statistiken nicht ermitteln. Künstlerort ist so nicht mehr vorhanden. Eben- Vor diesem Hintergrund erscheint es notwen- falls gilt der Aigner Park nicht mehr als Ver- dig, dass folgende Fragen wissenschaftlich sammlungsort von Geheimbünden. Schließlich untersucht und beantwortet werden: Welche werden damalige infrastrukturaufwändige Spie- Potenziale haben solche Parkanlagen? Kön- le nicht mehr ausgeführt. nen sie etwa zu einer Steigerung der Attraktivi- Stattdessen gibt es eine Reihe neuer Aktivitä- tät einer Stadt insgesamt beitragen? Wäre eine ten im Park. Er dient neben kürzeren Spazier- Verlängerung der Aufenthaltsdauer der Touris- gängen und als Start bzw. Endpunkt längerer ten durch geeignete Attraktionen im Park mög- Wanderungen auf den Gaisberg vor allem dem lich? Könnten sie zu einer Entzerrung massiver Ausführen von Hunden. Die damit einherge- Touristenströme beitragen? Wäre es möglich henden Nutzungskonflikte haben vor wenigen durch geeignete Attraktivitätsverbesserungen Jahren zur Anlage einer umzäunten Hunde- Anwohner, nicht nur diejenigen die direkt in wiese unmittelbar neben dem Park geführt. den an den Park angrenzenden Arealen leben, davon abzuhalten, dass sie zu Freizeitzwecken Als Ort für sportliche Aktivitäten ist der Park weiter entfernt liegende Naherholungsgebiete nur sehr eingeschränkt zu gebrauchen. Einzig mit privaten PKW aufsuchen? Joggen findet vermehrt statt. Mountainbiking und Fahrradfahren an sich ist aufgrund der Topographie nur beschränkt attraktiv, anderer- 3.1. Die Rahmenbedingungen des Freizeitver- seits sind durch das Fehlen eines dafür ausge- kehrs legten Wegenetzes Nutzungskonflikte mit Spa- Um insbesondere die letztgenannte Fragestel- ziergängern unvermeidlich. Vermehrt sind lung bearbeiten zu können, sind Kenntnisse dagegen andere Freizeitaktivitäten wie das über das Verkehrswachstum und über die Ausrichten von Festen z. B. Hochzeiten zu Freizeitmobilität notwenig. beobachten. Ein Hauptproblem ist nach Heinze & Kill Insgesamt stellt der Park heute eines der fuß- (1997), dass das Verkehrswachstum vor allem läufig erreichbaren Naherholungsgebiete der ein Weitenwachstum bei relativ gleich bleiben- Stadt Salzburg dar. Seine nach wie vor vor- dem Zeitaufwand ist. Am Beispiel der Stadt handene Bedeutung manifestiert sich auch in Nürnberg zeigen sie, wie sich der Erholungs- der insbesondere in den 1960er und 1970er raum von 11 – 16 km durchschnittliche Entfer- Jahren ausufernden Bebauung im Großraum nung 1880 auf bis zu 50 km um 1914 und über Aigen (dazu auch Mazzar,i 2000). Diese konn- 100 km entfernte Gebiete um 1969 ausgewei- te zwischenzeitlich weitgehend gestoppt wer- tet hat. Über die Freizeitmobilität selbst ist den, vorhandene Wohngebäude werden unter überraschend wenig bekannt, obwohl diese die Anführung des Prädikates „Aigen“ besonders wichtigste Ursache für die weiter ansteigende gewinnbringend verkauft. Verkehrsumweltbelastung darstellt (Lanzen-

dorf, 1998). Die Hälfte aller Personenkilometer 3. Potenziale und Nutzbarkeiten von histo- wird auf dem Weg in die Freizeit oder im Ur- rischen naturnahen Stadträumen laub zurückgelegt. Besonders interessant ist Es soll nun die Frage nach vorhandenen Po- nach einer Untersuchung von Lanzendorf tenzialen und möglichen weitergehenden Nut- (1998), dass 70% des gesamten Verkehrsauf- zungen für historische naturnahe Stadträume wandes von nur 10% der Befragten verursacht am Beispiel des Aigner Parks überprüft wer- wird. Kagermeier (1997) stellt fest, dass selbst den. Ausflüge in die nähere Umgebung zu fast 80% mit dem eigenen PKW durchgeführt werden Bisher sind Parkbesucher solcher Anlagen fast (Region München), darüber hinaus seien aber ausschließlich Anwohner der angrenzenden kaum weiterführende Aussagen aufgrund zu Räume, die vorwiegend zu Fuß oder mit dem weniger geeigneter empirischer Untersuchun- Fahrrad in den Park gelangen und diesen ü- gen möglich (ähnliche Resultate vgl. Opa- berwiegend am Wochenende für kürzere Spa- schowski, 1991). ziergänge nutzen. Eine Bewerbung findet wie auch in Aigen nicht statt, so dass selbst Salz- Besonders schwierig ist, dass Freizeitmobilität burger aus weiter entfernt liegenden Stadttei- oft spontan und sehr diffus stattfindet, verläss- len den Park nicht kennen. Eine über das liche Prognosen der Mobilitätsströme auf tradi- Stadtgebiet hinausgehende Bedeutung, die tionelle Weise deshalb kaum zu ermitteln sind einstmals entscheidend für den Park gewesen (Heinze & Kill, 1997, Götz, 2007). ist, gibt es nicht. Auch Reiseführer erwähnen im Gegensatz zu früheren Zeiten den Park

167 Thomas Keidel

Auch der Einfluss von Wohnausstattung, Auch in der Salzburger Region wird eine zu Wohnumfeld und Siedlungsstruktur ist keines- geringe Beachtung der kostenlos vorhandenen wegs eindeutig bestimmbar und bleibt daher Attraktionen wie Natur und Landschaft im nahe umstritten, obwohl durchaus einige Untersu- gelegenen Nationalpark Berchtesgaden fest- chungen wie etwa in der Stadt Bern einen gestellt (Rauch, 1993). Zusammenhang zwischen Wohnqualität und Somit könnten, wenn nicht versucht wird sämt- Freizeitverhalten feststellen – je besser die liche Freizeitverkehre mit einzubeziehen (also Wohnausstattung, je weniger Freizeitmobilität etwa die, die das Unterwegssein an sich in den (Prehn et al., 1997; Kagermeier, 1997, Blinde Vordergrund stellen), Orte in der Nähe eine & Schlich, 2002). Gartenbesitz mindert zwar größere Rolle in der Freizeitgestaltung spielen. offensichtlich generell den Umfang der Frei- Dazu gehören historische Parkanlagen wie der zeitmobilität, aber in erster Linie sind unter- Aigner Park. schiedliche Lebensstile für das Freizeitverhal- ten entscheidend (Kagermeier, 1997; Lanzen- dorf, 1998). Statistisch festzustellen bleibt et- 3.2. Nutzungsperspektiven am Beispiel des wa, dass Personen aus höherrangigen Ge- Aigner Parks meinden auch weitere Entfernungen in ihrer Freizeit zurücklegen (Kagermeier, 1997). Da Am Beispiel des Aigner Parks lassen sich un- gerade in größeren Orten solche traditionellen terschiedliche Strategien zur Erreichung des Freizeitflächen vorhanden sind, ist ein größe- Zieles eines verringerten Ausflugsverkehrs ins res Inwertsetzungspotenzial in Städten wie weiter entfernte Umland aufzeigen. Salzburg zu vermuten. Zum einen sind Nutzungsaktivitäten für den Hinzu kommt, dass die Gründe für den Frei- Park herauszuarbeiten. Dazu zählen in erster zeitverkehr sehr schwer zu fassen sind. Neben Linie der Spaziergang sowie Wanderungen Erlebnishunger, Rastlosigkeit, Abwechselungs- und zwar auch solche, die den Park zum Aus- bedürfnis und Ortswechsel scheint das Unter- gangs- bzw. Endpunkt für eine Ganztagesakti- wegssein an sich eine wichtige Rolle zu spie- vität in die weitere Umgebung, z. B. Gaisberg, len (Heinze & Kill, 1997). Dies würde aber haben. Die Anreise zum Startpunkt bzw. die bedeuten, dass selbst durch höchst attraktive Abreise vom Endpunkt sollte dabei möglichst Freizeitmöglichkeiten in der unmittelbaren nicht mit dem eigenen PKW erfolgen, da ne- Wohnumgebung nicht sämtliche Freizeitver- ben Umweltgründen auch die sehr begrenzte kehre gestoppt werden können. Der Trend ist Anzahl von Parkmöglichkeiten dagegen spricht daher auch trotz mehr und attraktiveren Frei- (dies gilt natürlich entsprechend für die ande- zeitmöglichkeiten in der Wohnumgebung eine ren Nutzungen auch). Stattdessen sollte die weitere Zunahme des Freizeitverkehrs (Heinze ca. 5 - 10 Gehminuten entfernt liegende Bahn- & Kill, 1997). station Salzburg-Aigen (S-Bahn: werktags alle 30 Minuten, am Sonntag alle 60 Minuten sowie Strategien zur Begegnung dieser Tendenz 10 Minutentakt Buslinie vom Stadtzentrum) können daher nicht nur in der völligen Vermei- genutzt werden. dung von Freizeitverkehr liegen. Dalkmann (2002) empfiehlt die Förderung und Entwick- Eine zweite Freizeitaktivität stellt die mittägli- lung stadtnaher Ausflugsziele, in seinem Fall che bzw. nachmittägliche Einkehr dar, bisher etwa den neuen Cospudener See bei Leipzig gibt es dafür nur den im gehobenen Preisni- sowie die Entwicklung von Rundum-Sorglos- veau angesiedelten Gasthof Schloss Aigen mit Paketen für den Freizeitverkehr auf Basis der zumeist selbst bei schönem Wetter nicht ge- Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. öffnetem Biergarten. Heinze und Kill (1997) möchten den Standort Im Rahmen eines Spaziergangs besteht die Heimat in den Vordergrund stellen und die Möglichkeit weitere Aktivitäten einzubeziehen. Nähe und kleinere Systeme wieder entdecken. Neben dem ganzjährigen Naturerlebnis und der Möglichkeit den Hund auszuführen (zu- Auf diesen Ideen basiert auch das Projekt sätzlich gibt es die Hundewiese) böte sich Mobilist im Großraum Stuttgart (vgl. Regional- auch ein jahreszeitlich begrenztes Sammeln verband Neckar-Alb, 2001). Die Wiederentde- von Pflanzen an – etwa im Frühjahr gibt es im ckung der Nähe steht dabei im Vordergrund. Parkbereich großflächige Bärlauchbestände Möglich soll das etwa durch die Ausarbeitung (zur Bedeutung des Sammelns von Waldfrüch- von Routen zum Natur- und Landschaftserle- ten vgl. Ammer, 1991). ben werden. Daneben steht ganz oben die Förderung und bewusster Machung des unmit- telbaren Wohnumfeldes als attraktiver Frei- und Erholungsraum.

168 Potenziale historischer naturnaher Stadträume

Gerade die letztgenannte Gruppe bietet durch den unmittelbar angrenzenden Campingplatz, die etwa fünf Minuten entfernt liegenden Hotel- und Pensionsbetriebe sowie das sich in knapp zehn Minuten Entfernung befindliche Tagungs- zentrum St. Virgil ein großes Potenzial. Dazu sind eine Reihe von Maßnahmen erforderlich. Es beginnt damit, dass Standortinformationen und potenzielle Möglichkeiten, die der Park bietet, geeignet beworben werden. Das um- fasst zum einen regionale Aktivitäten, sprich es muss in den Übernachtungsbetrieben sowohl mündlich wie durch geeignetes schriftliches Informationsmaterial auf den Park hingewiesen werden. Städtische Reiseführer sollten den Park sowohl als Hinweis wie auch als Be- suchsziel mit einbeziehen. Über die lokale Presse sollten mehr Einheimische angespro- chen werden, die Internetseiten der Stadt Salzburg sollten auf den Park aufmerksam machen und etwa über die Verkehrsbetriebe kann der Park als Ausflugsziel beschrieben werden. Zum anderen wäre es wünschens- wert, dass der Park in Reisepublikationen er- neut als Besuchsziel aufgenommen wird (vor über 100 Jahren gab es sogar touristische Monographien zum Park, s. Pirckmayer, 1887).

Abb 2 und 3.: Der heutige Aigner Park. Direkt damit in Zusammenhang stehen Aus- Fotos: Thomas Keidel schilderungen, die den Weg zum Park be- schreiben, wie teilweise durch die neue Wan- Über das Spazierengehen und den passiven derwegbeschilderung im Jahr 2006 bereits Aufenthalt im Park hinaus besteht die Möglich- geschehen. keit sowohl zu sportlichen Aktivitäten wie Jog- gen oder in eingeschränktem Umfang Moun- Weiterhin ist der Park selbst attraktiver zu ges- tainbike fahren als auch die Nutzung als Ort für talten. Dazu gehört das Freimachen von histo- Festivitäten wie Hochzeitsfeiern. rischen Aussichtspunkten, die bessere Begeh- barkeit von Grotten und die Sichtbarmachung Daher ist es unabdingbar die Infrastruktur des von alten Quellen. Das spielt auch bei den Parks zu verbessern um drei Zielgruppen in vorhandenen Konzepten der Stadt Salzburg verstärktem Maße bzw. überhaupt zu errei- als verantwortliche Körperschaft (sie ist nicht chen: die Eigentümerin) eine Rolle (Mazzari, 2000). • einheimische Besucher aus dem ganzen Ein zweiter Punkt ist die Instandhaltung von Stadtgebiet, die den Park bequem mit dem und die weitere Aufwertung mit geeigneter Fahrrad oder dem ÖPNV erreichen kön- Infrastruktur wie Tafeln und Sitzmöglichkeiten, nen, auch Picknickplätzen. • regionale einheimische Besucher aus dem Ein dritter Punkt ist die Verbesserung der nur weiteren Umland der Stadt, die etwa mit in Ansätzen vorhandenen Gastronomie, einmal der regelmäßig in der Nähe verkehrenden in der ständigen Bewirtschaftung des in fußläu- S-Bahn (Bischofshofen-Golling-Salzburg- figer Entfernung befindlichen Biergartens, zum Freilassing-Berchtesgaden) ebenfalls den anderen in der Schaffung einer geeigneten Park als Tagesausflugsziel nutzen könn- mobilen Infrastruktur am Parkeingang. ten, Ein weiterer Punkt wäre die Schaffung jahres- • Salzburger Stadttouristen, die gezielt im zeitlicher Attraktionen und Feste, wie bereits in Rahmen ihres Aufenthaltes den Besuch einem ersten Ansatz in der Wiedernutzung der des Parks als zusätzliches Besuchsziel im benachbarten Biergarten gelegenen Bühne einplanen wie auch solche die aufgrund durch sommerliche Theateraufführungen und des in der Nähe liegenden Unterkunfts- dem Gebrauch des Parks für Kinderwanderun- bzw. Tagungsortes den Park zur kurzfristi- gen geschehen. gen Erholung aufsuchen könnten.

169 Thomas Keidel

Schließlich sollte durch geeignete Stadtführun- Blinde, J. & Schlich, R. (2002). Freizeitmobilität gen mit Ziel Aigner Park bzw. als wichtiger und Wohnsituation In: Gather, M. & Ka- Stopp – nicht zuletzt durch die Vermittlung der germeier, A. (Hrsg.). Freizeitverkehr. attraktiven Geschichte der Anlage – dieser Mannheim, S. 35 - 53 wieder in das Bewusstsein sowohl der Einhei- Bochnig, S. & Selle, K. (Hrsg. 1992). Freiräu- mischen wie auch von Besuchern der Stadt me für die Stadt. Bd. 1 und 2. Wiesbaden. gebracht werden. Dalkmann, H. (2002). Freizeitmobilität – Hand- lungsfelder für eine umweltverträglichere Die angeführten Punkte sind nur als Hinweise Gestaltung. In: Gather, M. & Kagermeier, zu sehen. Weitere konkrete Maßnahmen soll- A. (Hrsg.). Freizeitverkehr. Mannheim. ten unbedingt durch geeignete Forschungsar- S. 87-104. beiten untermauert werden. Einmal ist es not- Götz, K. (2007). Freizeit-Mobilität im Alltag wendig, genaueres über die Besucherzielgrup- oder disponible Zeit, Auszeit, Eigenzeit – pen zu erfahren. Welche Wünsche haben die- warum wir in der Freizeit raus müssen. se, was wird vermisst (insbesondere von den Berlin. Einheimischen), welche Orte suchen die Be- Harlander, I. M. (2003). Der Park zu Aigen. fragten bisher für welche Aktivitäten auf, wie Dissertationsmanuskript. Salzburg. bekannt ist der Park eigentlich? Zum anderen Heinze, W. G. & Kill, H. H. (1997). Freizeit und ist genauer zu ermitteln, welche Strategien von Mobilität. Neue Lösungen im Freizeitver- Seiten der Bewirtschafter solcher Anlagen kehr. Hannover. verfolgt werden können und sollten. Höllbacher, R. (1990). Salzburg: Landschaft

und Stadt als entwicklungsgeschichtliche 4. Schlussfolgerungen Paradigmen – der Wandel der Rezeption

vom Ende des 18. bis zum Beginn des 20. Am Beispiel des Aigner Parks in der österrei- Jahrhunderts. Dissertationsmanuskript. chischen Stadt Salzburg konnte aufgezeigt Salzburg. werden, dass naturnahe Erholungsparks mit Kagermeier, A. (1997). Siedlungsstruktur und historisch bedeutendem Hintergrund bislang Verkehrsmobilität. Eine empirische Unter- nur unzureichend in Wert gesetzt worden sind. suchung am Beispiel von Südbayern. Sie könnten einen Beitrag zur Reduktion des Dortmund. Erholungsverkehrs leisten und bieten darüber Lanzendorf, M. (1998). Freizeitmobilität als hinaus touristisches Potenzial für die Region. Gegenstand angewandter Umweltfor- Wie hoch die tatsächliche Bedeutung der an- schung. In: Geographische Rundschau. gesprochenen Entwicklungsmöglichkeiten ist, Band 50. Heft 10. S. 570-574. bleibt noch offen. Gleichfalls ist über geeignete Mazzari, K. (2000). Gärten und Parks im Wan- wissenschaftliche Forschungsarbeiten zu er- del der Zeit. Der Mirabellgarten und der mitteln welche konkreten Maßnahmen in wel- Aigner Park. Diplomarbeitsmanuskript. chem Umfang geeignet sind. Es ist notwendig, Salzburg. genaueres über die Besucherzielgruppen zu Mondre, M. J. (1995). Die Landschaft als The- erfahren. Welche Wünsche haben diese, was ma der Stadt – Landschaftsentwicklung wird vermisst (insbesondere von den Einheimi- am Beispiel der Stadt Salzburg. Diplomar- schen), welche Orte suchen die Befragten beit. Salzburg, Wien. bisher für welche Aktivitäten auf, wie bekannt Opaschowski, H. W. (1991). Ökologie von ist so ein Park tatsächlich (insb. räumlich!)? Freizeit und Tourismus. Opladen. Zum anderen ist genauer zu ermitteln, welche Pirckmayer, F. (1887). Aigen bei Salzburg. Strategien von Seiten der Bewirtschafter sol- Begleiter für Einheimische und Fremde. cher Anlagen verfolgt werden können und Salzburg. sollten. Prehn, M., Schwedt, B. & Steger, U. (1997):

Verkehrsvermeidung aber wie? Bern,

Stuttgart, Wien. Literatur Rauch, B. (1993). Natur und Freizeit im Ver- kehrsraum Berchtesgaden. In: Gruber, G. Ammer, U. & Pröbstl, U. (1991). Freizeit und & Rauch, B. (Hrsg.). Grenzenlose Utopie Natur. Hamburg, Berlin. und kommunale Praxis. Frankfurter Wirt- Baedeker, Karl (1910). Südbayern Tirol und schafts- und Sozialgeographische Schrif- Salzburg. Leipzig. ten. Heft 62. S. 17-204. Becker, P. (1975). Die romantische Landschaft Regionalverband Neckar-Alb (Hrsg. 2001). von Aigen. In: Ziegeleder, E. (Hrsg.). Na- Landschaftspark Neues Neckar- turpark Aigen. Salzburg. S. 5-13. tal/Schönbuch. Forschungsprojekt Mobili- Berger, E. (2002). Historische Gärten Öster- tät im Ballungsraum Stuttgart. Arbeitspaket reichs: Garten- und Parkanlagen von der D 4.2.2. Schlussbericht. Mössingen. Renaissance bis um 1930. Wien. 2003

170 Potenziale historischer naturnaher Stadträume

Sarkowicz, Hans (Hrsg. 1998). Die Geschichte Anschrift der Gärten und Parks. Frankfurt am Main Mag. Dr. Thomas Keidel Stadtler, G. (1975). Aigen. Park und Gesund- Alte Aigner Straße 8 brunnen zur Zeit der Romantik. In: Ziege- A-5026 Salzburg-Aigen leder, E. (Hrsg.). Naturpark Aigen. Salz- burg. S. 15-58. Email: [email protected] Ziegeleder, E. (1975). Der Aigner Park – heu- te. In: Ziegeleder, E. (Hrsg.). Naturpark Ai- gen. Salzburg. S. 59-68.

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CONTUREC 3 (2008) Seite 173 bis 181

Die Salzburger Stadtlandschaften als wichtiger Baustein nachhalti- ger Stadtentwicklung

Urban Landscapes of Salzburg City

SABINE PINTERITS

Zusammenfassung Insbesondere in den Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg hat die Stadt Salzburg eine enorme Siedlungsentwicklung durchgemacht, weshalb vor rund 20 Jahren vom Gemeinderat eine Deklaration verabschiedet wurde, die den Erhalt der verbliebenen Grünräume leisten soll. Doch der rechtliche Schutz alleine reicht für eine langfristige Sicherung der Flächen nicht aus. In den letzten Jahren wurde daher von der Stadtplanung ein Schwerpunkt auf die Entwicklung von Konzepten gelegt, die den Frei- raum aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten und qualitative Aussagen über die künftigen Ent- wicklungspotentiale treffen.

Stadtlandschaft, Salzburg, Grünes Netz, Durchgrünungsgrad, Erholungsnutzung, Indikatoren, qualita- tive Bewertung.

Summary Especially in the years after the Second World War an enormous growing of the settlement in the City of Salzburg took place. This was the reason for the municipal council to pass a resolution for a in- creased protection of green areas in the city in the year 1985. But just law is not enough to assure a long-term-protection of these areas. Therefore in the last years the department of urban development started to work on some concepts that consider green areas from different point of views and make proposals for a qualitative development.

1. Einleitung – Stadtlandschaft entsteht Die Stadt Salzburg, gelegen an der Grenze zwischen Alpenbogen und Alpenvorland, weist eine Größe von rund 66 km2 und eine Einwoh- neranzahl von ca. 150.000 Bürger und Bürge- rinnen auf. Ein wesentliches Merkmal Salz- burgs ist – neben seiner bekannten Altstadt – der hohe Anteil an Grün. Markant fallen bei- spielsweise die Stadtberge ins Auge, um die sich im Laufe der Zeit die Altstadt entwickelt hat. Die Salzach durchzieht die Stadt von Nord nach Süd und bildet mit ihren Treppelwegen wichtige Fußgänger- und Radwegachsen. Die Abb. 1: Salzburger Altstadt und Salzach (Fotoarchiv Stadt Umrahmung besteht aus einer Mischung von Salzburg) Mittelgebirgslandschaft mit dem Gaisberg im Osten, dem dominanten Untersberg im Süd- Stadtlandschaft ist natürlich immer ein Gefüge westen und dem auslaufenden Salzburger von bebauter Stadt und offener Landschaft. Becken im Norden. Insbesondere in den Jahren nach dem zweiten Auch die Bewohner und Bewohnerinnen sind Weltkrieg ist die Siedlungsentwicklung enorm sich der Bedeutung „ihrer“ Grünräume be- angestiegen – der Wohnungsbedarf war hoch wusst. In einer Meinungsumfrage aus dem und es musste rasch ein leistbares Woh- Herbst 2004 gaben beispielsweise 88 % der nungsangebot geschaffen werden. Dabei wa- Befragten an, dass die vorhandenen Grün- und ren die Themen Landschafts- und Naturschutz Freiflächen für die Lebensqualität und Attrakti- nachrangig und die bis zu diesem Zeitpunkt vität der Stadt Salzburg „sehr wichtig“ sind. vorhandene Kultur- und Naturlandschaft wurde 94 % bescheinigen ihr damit eine „sehr hohe“ stark verändert. bzw. „eher hohe“ Lebensqualität.

173 Sabine Pinterits

2. Die Vielfalt der Salzburger Stadtland- schaften Die reiche Kulturgeschichte Salzburgs prägte auch seine Landschaft mit: Schlösser, Villen, Wehranlagen, Schlossparks, Alleen, Kopfwei- den, Streuwiesen, Felsen der Stadtberge sind aber nicht nur kulturhistorisch interessant, sondern besitzen auch vielfach besonderen Abb. 2: Die Stadt um 1829 (Johann Michael Sattler, Archiv Wert für den Natur- und Artenschutz. Stadt Salzburg)

Auf Grund des hohen Verlustes an Grünland- flächen wurden Proteste in der Salzburger Bevölkerung wach und es kam in den 1970-er Jahren zur Gründung von Bürgerinitiativen, die sich für einen sofortigen Grünlandschutz ein- setzten. Nach Verhandlungen mit der Politik konnten sie erwirken, dass nahezu alle Grün- landflächen durch die neu geschaffene Dekla- ration „Geschütztes Grünland“ keiner weiteren Bebauung zugeführt werden können. Daneben sollen die Bauern als Bewahrer der Kulturland- schaft gefördert und gemeinsam mit den Um- Abb. 4: Ein Blick durch die Hellbrunner Allee (J. Reithofer, landgemeinden ein gemeinsamer Grüngürtel 2006) geschaffen werden. Naturschutzfachlich sind die Moor- sowie die Die Deklaration „Geschütztes Grünland“ war ausgedehnten Wiesen- und Waldflächen von bisher die wesentliche Grundlage für den Um- großer Bedeutung für die Stadt. Von den ur- gang mit Grünland in der Stadt Salzburg. Der sprünglich großflächigen Mooren sind aller- rein rechtliche Schutz ist auf Dauer aber kaum dings nur wenige Restflächen (Leopoldskroner zu halten, da mit dem Wachsen der Stadt der Moor, Samer Mösl) in ihrem Charakter noch Bebauungsdruck auf die vorhandenen Grün- naturnah erhalten. Der Großteil wurde entwäs- und Freiräume wieder zunimmt. Es braucht sert, als Fettwiese oder Acker genutzt oder daher mehr: Natur- und Kulturlandschaft müs- überbaut. Kleinflächig findet auch heute noch sen in ihrem Wert wieder erkannt werden, es Torfabbau mit Nutzung für das Kurwesen statt. braucht einen Bewusstseinswandel in den Köpfen aller und vor allem bei den Entschei- Auch der vielfältige Baumbestand prägt das dungsträgern: Weg vom „Restflächen- Erscheinungsbild der Stadt. Mehr als 17.000 Denken“, hin zu einer Sichtweise, die Natur als Bäume stocken auf öffentlichem Grund (au- einen beständigen Wert für die Zukunft aner- ßerhalb des Waldes), wovon gut 2 % älter als kennt. 200 Jahre alt sind. Gerade in alten Alleen konnten viele Baumriesen bis heute überleben. In den letzten Jahren wurde daher ein Schwerpunkt auf die Entwicklung von Konzep- Auf den Hängen des Gaisberges finden sich ten gelegt, die das in der der Stadt vorhandene heute noch offene Weideflächen, die durch Grün nach qualitativen und quantitativen Me- Unternutzung einem zunehmenden Verwal- thoden beleuchten. dungsdruck standhalten müssen. Auf dem innerstädtisch gelegenen Rainberg soll bei- spielsweise durch Beweidung mit Schafen und Ziegen der Erhalt dieses wertvollen Land- schaftsraumes gesichert werden. Grundsätzlich hat sich mit der Veränderung in der Landbewirtschaftung auch das Land- schaftsbild stark verändert. Auch die einst vielfältig vorhandenen Hecken- und Gehölz- strukturen sind heute weitgehend aus der Kul- turlandschaft verschwunden. Gerade aber diese Elemente machen den Wert der Erho- lungslandschaft und des Landschaftsbildes

aus. Es gilt künftig Maßnahmen umzusetzen, Abb. 3: Ein Blick vom Gaisberg auf die Stadt Salzburg die gleichermaßen im Interesse der Landwirt- (J. Reithofer, 2006)

174 Die Salzburger Stadtlandschaften

schaft, des Naturschutzes und der Erholungs- Raumordnungsinstrument, das die Raument- nutzung liegen. wicklung der Gemeinde für die nächsten 10 Jahre vorgibt), konnte eine gewisse Verbind- Der Begriff der Stadtökologie wird in der Stadt lichkeit festgeschrieben werden. Salzburg jedenfalls umfassend gesehen. Ne- ben den klassischen Themen Ökologie und 3.1 Das Grüne Netz Naturschutz werden auch Fragen der nachhal- tigen Siedlungsentwicklung, des zukunftsfähi- Das Grüne Netz (stadtland, 2003) ist ein we- gen Bauens und einer tragbaren Mobilität in sentliches Element des städtischen Freiraums. einer Gesamtsicht im Umgang mit Landschaft Es handelt sich – wie der Name vermuten lässt integriert. – um ein Netzwerk an Wegen und linearen Grünelementen, das Siedlungen mit den grö- 3. Qualitative Konzepte zur Bewertung ßeren und kleineren Grünräumen der Stadt von Grün sowie mit Orten des täglichen Bedarfs und Zentren verbindet. Dabei nimmt es folgende Insgesamt stehen der Landschaftsplanung in Funktionen wahr: Österreich keine eigenen rechtlich verankerten Instrumente zur Verfügung. Manche Maßnah- • Es schafft Lebensraum für Tiere und Pflan- men sind über das Naturschutzrecht abge- zen (z. B. Biotopverbund) und trägt positiv deckt, vieles kann aber nur auf freiwilliger Ba- zum Kleinklima der Stadt bei. sis umgesetzt werden. Grundlage können aber • Es ist Erholungsraum, der gemeinsam mit auch hier nur Studien bzw. Konzepte sein, die den in das Netz integrierten Freiflächen, sich auf fachlicher Ebene mit Frei- und Grün- gerade für ältere Personen ihn ihrem raumthemen auseinandersetzen, wie dies Wohnumfeld von hoher Bedeutung ist. auch im Fall des „Grünen Netzes“ oder der Salzburger Stadtlandschaften ist. Durch die • Es gestaltet die Stadt, da es je nach Aus- inhaltliche Übernahme de beiden Studien in prägung Identität für einen Stadtteil schaf- das Räumliche Entwicklungskonzept (einem fen kann (z. B. die historisch bedeutsame Hellbrunner Allee).

Abb. 5: Das Grüne Netz der Stadt Salzburg (stadtland, 2003)

175 Sabine Pinterits

Elemente wie Alleen, Gewässer und ihre grü- eigene Wesen. Denkt man hingegen an Orte, nen Ufer, Gehölze und Grünstreifen verknüp- wie zum Beispiel die Altstadt, so ist es aber fen Grünflächen untereinander und mit der gerade diese Identität, die sie zu einem belieb- umgebenden Landschaft. Es soll also dem ten Wohn- und Aufenthaltsort werden lassen. Fußgänger oder Radfahrer das sichere und Keiner würde auf die Idee kommen, hier Ver- angenehme Bewegen in der Stadt ermögli- änderungen zuzulassen, ohne nicht auch den chen. damit einhergehenden Wertverlust der Identität in der Entscheidungsfindung zu berücksichti- gen. Basierend auf den heutigen und historischen Funktionen des jeweiligen Landschaftsraumes, seinen räumlichen Zusammenhängen und seiner Wahrnehmung von Außen wurden 11 Landschaftseinheiten abgegrenzt, ihre indivi- duellen Begabungen festgehalten und zeitge- mäße Konzepte erarbeitet.

Abb. 6: Fuß- und Radweg abseits der Verkehrsstraßen als Element des Grünen Netzes (S. Pinterits, 2007) Durch die Begehung vor Ort wurden die Wege erhoben, ihnen die entsprechenden Funktio- nen (Verbindung, Ökologie, Erholung, Gestal- tung) zugeordnet und bei Bedarf Maßnahmen zur Sicherung oder Verbesserung der Situation vorgeschlagen. Entwurfskriterien waren dabei die Verknüpfung von größeren Landschafts- räumen, Anbindung wichtiger Quell- und Ziel- punkte, Anbindung an öffentliche Einrichtun- gen, Maschenweite zwischen 500 und 600 m, Einbindung in bestehende Grünelemente und die Berücksichtigung amtlicher Planungen bei Festlegung neuer Grünverbindungen. Abb. 7: Die „Salzburger Stadt-Landschaften“ (cbb, 2005) Das Ergebnis ist nunmehr ein 240 km langes Beispielhaft sollen hier zwei Landschaftsräu- Grünen Netzes mit einem Verbesserungspo- me, die „Flusslandschaft“, sowie die „Hellbrun- tential von rund 90 km, das künftig Schritt für ner Park- und Kulturlandschaft“ vorgestellt Schritt umgesetzt werden soll. werden.

3.2 Salzburger Stadt-Landschaften Flusslandschaft – „Sequenzen“ Die Studie „Salzburger Stadt_Landschaften“ Die Salzach durchfließt die Stadt in Süd-Nord (cbb, 2005) wurde im Rahmen der Überarbei- Richtung und lässt dabei nur noch an wenigen tung des Räumlichen Entwicklungskonzeptes Stellen im äußersten Norden und Süden den beauftragt. Es galt der Frage nachzugehen, ursprünglichen Aucharakter erahnen. Heute wie Grün- und Freiräume der Stadt wieder sind das regulierte Flussbett und die gesicher- verstärkt in Wert gesetzt werden können. Es ten Ufer prägend für den Fluss, wobei die Art sollte ein neuer Zugang gewählt werden, der der Uferbefestigung in enger Abhängigkeit zur über die reine Darstellung der naturwissen- Umgebung steht. Der innerstädtische Abschnitt schaftlichen Grundlagen hinausgeht und den wirkt sehr offen, ein Stück außerhalb säumen Naturraum auch atmosphärisch zu fassen bereits dichte Ufergehölze den Fluss und versucht. schirmen ihn so von den angrenzenden Berei- Mit der Tatsache, dass in den letzten Jahr- chen ab. zehnten Siedlungen immer mehr in die Land- Konzept des Integrierens: Naturnähe des Flus- schaft ausuferten ging eine Ökonomisierung ses in Teilbereichen zulassen – dem Fluss der Grünflächen einher – sie wurden zu poten- Raum geben ziellem Kapital, verloren dabei aber das ihnen

176 Die Salzburger Stadtlandschaften

Die Salzach soll als Lebensader der Stadt in das Bewusstsein der Bevölkerung gebracht und für sie nutzbar werden. Durch das Sicht- barmachen ihrer unterschiedlichen Abschnitte,

Abb. 10: Das Schloss Hellbrunn (Fotoarchiv Stadt Salz- burg)

staltet und bildet damit den Prototyp der idea- len Parklandschaft. Die Hellbrunner Park- und Kulturlandschaft soll in ihrem Bestand gesi- Abb. 8: Die Salzach (S. Pinterits, 2006) chert und erhalten bleiben. beispielsweise durch die Revitalisierung von Auwäldern oder das Entwickeln von Lichtkon- zepten im urbanen Bereich kann Aufmerksam- keit entstehen. Darüber hinaus ist die Erho- lungsfunktion zu stärken.

Abb. 11: Entwicklungskonzept Hellbrunner Park- und Kulturlandschaft (cbb, 2005) Der Zugang über das Konzept der „Salzburger Stadt_Landschaften“ wirkt auf den ersten Blick Abb. 9: Entwicklungskonzept „Lebensader Salzach“ und aus gewohnter Sicht weniger greifbar. Er un- ein Bild des Limat in Zürich (cbb, 2005) terstützt aber die intuitive Wahrnehmung von Landschaft und integriert eine Gefühlsebene, Hellbrunner Park- und Kulturlandschaft – die beim bewussten Gang durch den jeweili- „Spiegel der Geschichte“ gen Raum in der Person entstehen kann. Wesentliches Merkmal des lang gestreckten Landschaftsraumes ist die mittig verlaufende 4. Indikatorenbasierte Ansätze zur Bewer- Hellbrunner Allee, die eine Verbindung zwi- tung von Grün schen dem Hellbrunner Schloss samt Parkan- 4.1 Durchgrünungsgradstudie lage und der Festung Hohen Salzburg her- stellt. Wie Inseln sind Gutshöfe und Schlösser Mit einem Durchgrünungsgrad von fast 60 % mit dazwischen liegenden Wiesen und Äckern kommt „das Grün“ in der Stadt in unterschiedli- an die Hellbrunner Allee angelagert. cher Größe, Qualität und Funktion vor. Es reicht von den kleinklimatisch und gestalterisch Konzept des Inszenierens: Die Landschaft als wertvollen Wiesenflächen oder Baumalleen Spiegel ehemaliger Gesellschaftsstrukturen entlang von Straßen über Privatgärten und In der klaren Raumstruktur spiegeln sich ge- Parks bis hin zu den großflächigen Land- sellschaftliche Hierarchien und Machtverhält- schaftsräumen, die die Stadt umrahmen und in nisse ihrer Entstehungszeit wider. Der Land- sie eindringen. Diese Vielfältigkeit gibt Salz- schaftsraum ist bewusst komponiert und ge burg das charakteristische Erscheinungsbild.

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Abb. 12: Durchgrünungsgrad der Stadt Salzburg (ispace, 2005) Basierend auf einer Satellitenbildanalyse • Mittlerer Grünanteil (20 – 40 %): Diese (ispace, 2005) wurde der Durchgrünungsgrad Klasse umfasst urban geprägte Bereiche, im Juni 2005 gesamtstädtisch erhoben. Dabei wo ein ausgewogenes Verhältnis zwischen wurden die Werte in einem 100 x 100 m Raster Durchgrünung und Bebauung angestrebt ausgewertet und dargestellt. wird (Bebauungstypologien wie beispiels- weise Zeilenbausiedlungen oder mehrge- Um von diesem rein quantitativen Wert zu schossige Einzelhäuser) und große Teile einer qualitativen Aussage zu kommen, wur- der Gewerbegebiete. den die Rasterwerte auf Bauland bezogen vor Ort analysiert und durch Experten ein künftig • Hoher Grünanteil (40 – 60 %): In der drit- angestrebter Grünanteil je Bauflächen festge- ten Klasse handelt es sich um Stadträume, legt (cbb, 2005). Der empfohlene Grünanteil die im Regelfall als intensiv durchgrünte wird dabei in vier Klassen eingeteilt: Wohnquartiere empfunden werden. Sie sind deutlich vom gärtnerischen oder land- • Geringer Grünanteil (5 – 20 %): Die erste schaftlichen Grün geprägt und befinden Klasse entspricht Bereichen in der Stadt, sich vorrangig in den äußeren Stadtlagen. die vorrangig durch Bebauung geprägt sind. Die „steinerne“ Stadt, die von einer • Sehr hoher Grünanteil (> 60 %): Die Ge- hohen baulichen Dichte im Kontrast zu biete in der vierten Klasse mit einem aus- verhältnismäßig kleinen „grünen Inseln“ gesprochen hohen Grünanteil besitzen ei- lebt. Ausgewählte Bereiche in Gewerbege- ne parkartige „Ausstrahlung“. Es handelt bieten werden ebenfalls zu dieser Gruppe sich dabei in erster Linie um Villen- gezählt. grundstücke und Einzelhäuser im land- schaftlich geprägten Raum.

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Abb. 13: Ausschnitt aus der Entwicklungskarte mit Aussagen über den angestrebten Durchgrünungsgrad (cbb, 2005) Ziel ist es, den Grünanteil innerhalb der Stadt Frei- und Grünräume sind nicht gleichmäßig in seiner Gesamtbilanz so hoch wie möglich zu über das Stadtgebiet verteilt, sondern je nach halten. Ein Vorteil der Satellitenbildanalyse historischer Nutzung und städtebaulicher Ent- liegt in der einfachen Wiederholbarkeit der wicklung in unterschiedlicher Menge und Qua- Methode und damit der Möglichkeit, die Werte lität vorhanden. Unter der Annahme, dass eine in festzulegenden Intervallen zu beobachten. gute Versorgung mit wohnungsnahen Erho- Es können Veränderungen rechtzeitig erkannt lungs- und Spielflächen die Qualität des jewei- und bei Bedarf Maßnahmen zur Gegensteue- ligen Wohnortes erhöht, wurde mit Hilfe einer rung getroffen werden. gis-unterstützten Analyse die Verteilung der bestehenden Park-, Spiel- und Freiflächen 4.2 Wohnstandortattraktivität dargestellt. Basierend darauf wurden unter Neben Themen wie Zugang zu öffentlichen Einbeziehung zumutbarer Wegelängen für Verkehrsmitteln oder Nahversorgung wurde deren fußläufige Erreichbarkeit, Versorgungs- die Versorgung mit Erholungsflächen und bereiche festgelegt: Spielplätzen im Rahmen der Bewertung der Wohnstandortattraktivität untersucht (ispace, 2006)

Tab 1: Parameter für die Berechnung des Versorgungswertes der Salzburger Bevölkerung mit Erholungsflächen (ispace, 2006)

NAHERHOLUNGSQUALITÄT 0 – 300 M 300 – ≤ 700 M > 700 M

„gute Naherholungsqualität“ gute Versorgung versorgt Eingeschränkte Versorgung „durchschnittliche versorgt Eingeschränkte Eingeschränkte Naherholungsqualität“ Versorgung Versorgung „eingeschränkte Eingeschränkte Eingeschränkte Eingeschränkte Naherholungsqualität“ Versorgung Versorgung Versorgung

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Abb. 14: Ausschnitt aus der Bestandskarte „Versorgung mit Erholungsflächen“ (ispace, 2006)

In der Berechnung wurde auch die Qualität der Der Vorteil von indikatorenbasierten Ansätzen Erholungsräume berücksichtigt, wobei als we- liegt sicherlich in der einfachen Wiederholbar- sentlicher Faktor die Begehbarkeit der Erho- keit der Untersuchung gegenüber der erneuten lungsflächen herangezogen wurde. Bestim- Arbeit von Experten vor Ort. Vom Wesen einer mende Faktoren für die Nutzung von Freiräu- Landschaft würde aber vieles verloren gehen, men sind die Erreichbarkeit, die Größe des wenn versucht würde, sie nur über Flächen- Freiraumes, seine Sicherheit und Übersicht- größen, Pixelwerte oder sonstige Messwerte lichkeit und seine Attraktivität (z. B. Spielmög- abzubilden. Es ist sehr wichtig auch das zu lichkeiten, Sitzgelegenheiten). fassen, was zwischen den objektiv messbaren Bei der bisherigen Herangehensweise nach Zahlen liegt, nämlich das intuitive Gefühl, das reinen qm-Durchschnittswerten (qm/Einwoh- eine Farben- und Strukturvielfalt in uns auslöst. ner) wurden die Flächen nicht näher nach Art Vielleicht kann ein mehr künstlerischer Zugang (z. B. Wiese, Wald oder Weide), Ausstattung hier Hilfestellung bieten, Landschaft auf einer und möglichem Erholungswert differenziert. Mit anderen Ebene als der Verstandesebene dieser kombinierten Methode wurde nun ver- wahrzunehmen und dadurch zu einem ganz- sucht, über die reine quantitative Berechnung heitlicheren Werteverständnis beizutragen. hinaus zu gehen und den Versorgungsgrad mit Die Stadt Salzburg ist bestrebt, die Prinzipien Hilfe qualitativer Merkmale zu vertiefen. der Nachhaltigkeit verstärkt in die Stadtent-

wicklung zu integrieren. Dazu gehört ein

gleichwertiger Umgang mit bebauter Stadt und 5. Ein Blick nach vorne ihren Grün- und Freiräumen. Ein qualitätsvol- Die vorangegangenen Ausführungen können les Siedlungswachstum ist auch an der Gestalt für den jeweiligen Ansatz nur eine erste Über- und dem Erscheinungsbild der Freiräume ab- sicht bieten. Es wird aber bei der Auseinander- lesbar. Der schonende Umgang mit der Res- setzung mit dem Thema der Bewertung von source „Landschaft“, eine optimale Frei- und Grünräumen sehr schnell klar, dass es keine Grünraumplanung bei Bauprojekten und das scharfe Abgrenzung der jeweiligen Herange- Zusammenführen unterschiedlicher Nutzungs- hensweise – quantitativ oder qualitativ – geben interessen zur Sicherung einer vielfältigen kann. Kulturlandschaft stellen hier erste Ansatzpunk- te dar.

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Literatur Anschrift Büro stadtland (2003). Das Grüne Netz der Dipl.-Ing. Sabine Pinterits Landeshauptstadt Salzburg. Studie im Auf- Stadtgemeinde Salzburg Magistrat trag der Stadt Salzburg. Amt für Stadtplanung und Verkehr cbb Conradi Braum & Bockhorst, Hanke und Schwarzstrasse 44 Partner (2005). Die Salzburger Stadt- Postfach 63 Landschaften. Studie im Auftrag der Stadt A – 5024 Salzburg Salzburg. Telefon: 0662-8072-2256 cbb Conradi Braum & Bockhorst (2006). Halb- E-Mail: [email protected] öffentliche und private Freiräume Salz- burg. Studie im Auftrag der Stadt Salzburg. Research Studios Austria - iSpace, (2006). Entwicklung von integrativen Wohnstand- ort-Attraktivitätsindikatoren. Unveröffent- lichter Arbeitsbericht zum Forschungspro- jekt im Auftrag der Stadt Salzburg.

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