Nr. 60/2020

SSuchtGlockeG Patientenzeitung Fachkrankenhaus Vielbach

Schwerpunktthema: Strafe muss sein! Muss Strafe sein?

In dieser Ausgabe: · Brot für Vielbach · Handy – Fluch oder Segen? · Schlechter Sex und zu viel Alkohol und noch mehr Neues aus der Anstalt Liebe Leserinnen und Leser, liebe Freunde der Abstinenz!

alleluja!!! Die neue Website der Klinik ist „am Netz“! Vor über einem Jahr ist die alte „Website“ vonH bösen Menschen (keiner weiß von wem und warum) „gehackt“ worden. Seitdem war die Website stillgelegt. Eine neue Website (so, jetzt ist aber genug mit den Fremdwörtern) sollte kommen. Sie sollte von „Experten“ der Klinik herge- stellt werden. Diesmal sollten vom Inhalt her in erster Linie die Leser angespro- chen werden, die sich über eine geplante Suchttherapie informieren wollen. Wer sich das Ergebnis auf www.fach- krankenhaus-vielbach.de anschaut, kann sehen, dass das – aus unserer Sicht – ganz gut gelungen ist. Die Themen, die die meisten, die eine Therapie machen wol- Brandstiftung! Mitten in der Nacht brannte der Heuschuppen direkt len, interessieren, werden gleich auf der neben den Tierställen. Frau Klein von der Tierbetreuung konnte unsere Esel Startseite angesprochen. Dazu gibt es viele und die Pferde gerade noch rechtzeitig auf die Weide bringen. Anhänger Fotos aus dem Klinikalltag. und viele Geräte wurden auch Opfer der Flammen. Ein Übergreifen der Flammen auf die Hundehäuser wurde zum Glück durch den Einsatz der Uns von der SG-Redaktion freut, dass Feuerwehr verhindert. Welches kranke Hirn kam auf die Idee, ein Feuer zu schon auf der Startseite die Titelseiten der legen, das beinahe unsere Tiere getötet hätte? letzten SuchtGlocke-Ausgaben abgebildet sind und mit einem Mausklick aufgeru- fen und gelesen werden können. Hier könnte man schweren Sattelschlepper über den Klinikhof bis zum noch dazuschreiben, dass wir uns über Leserbriefe und Waldrand angeliefert. Das Tor-Projekt wurde vom Beiträge auch von Lesern freuen, die keine Therapie in Klinik-Schreiner angeleitet. Ein beteiligter Patient Vielbach gemacht haben. berichtete uns, dass die Patienten nicht glauben konn- Gut ist, dass auf der Homepage ehemalige Vielba- ten, wie aus dem riesigen Stamm ein Torrahmen ent- cher Patienten ihre Meinung zur Klinik sagen bzw. stehen soll. Auch wegen des Gewichts der Stämme. schreiben. Klinikleiter Jösch habe dazu gemeint, man solle sich Auch die Klinikleitung kommt zu Wort (und Bild). nicht so anstellen. In Ägypten wären beim Bau der Schön wäre, wenn auch noch die verschiedenen The- Pyramiden viel größere und schwerere Steine auch in rapeuten der Klinik etwas zu ihren Angeboten sagen. Handarbeit aufeinander geschichtet worden. Außer- Verbesserungsvorschlag! (Die Klinikleitung ruft uns dem hätte der Therapie-Akademiker etwas von Köpf- immer wieder dazu auf.) chen, Hebelkraft und Seilwinde geschwurbelt. Zu gu- Das Internet-Projekt hat über ein Jahr gedauert. ter Letzt hätte er dann gemeint, dass die Muckibude Obwohl (oder weil) sich Klinik-Angestellte darum der Klinik sich jetzt doch mal als sinnvolle Investition gekümmert haben. Wir haben für das Zusammenstel- erweisen könne. len von 48 Seiten der SuchtGlocke nur wenige Monate Wir haben es hinbekommen! Und unser Werk kann gebraucht! sich sehen lassen. Es gab auch weder Tote noch Ver- Was gibt es noch Neues? Das neue Wald-Tor (siehe letzte! Nur absolut stolze Patienten, die sich und ande- Titelseite), neue Arbeitstherapie-Räume, einen Hun- ren gezeigt haben, was sie (noch) drauf haben! despielplatz, eine neue Heizung, einen zweiten, neu Wir hoffen, dass euch unsere neue SuchtGlocke gefällt. zusammengebauten Traktor und ein mobiles Back- Wir würden uns über Leserbriefe und Beiträge von Haus (siehe Bericht weiter hinten). Das ist doch eine unseren Leserinnen und Lesern freuen. ganze Menge. Das Wald-Tor wurde aus einem kompletten Baum- Eure SG-Redaktion stamm hergestellt. Der Stamm wurde mit einem

2 SG 60/2020 Impressum Inhalt

Herausgeber Vorwort 2 und Anschrift Inhalt/Impressum 3 SuchtGlocke Patientenzeitung im Briefe unserer Leser 4 Sucht-Hilfe-Zentrum Vielbach Nordhofener Str. 1 56244 Vielbach Brot für Vielbach 8 Tel.: 02626 - 9783 - 0 Uwe Christmann E-Mail: [email protected] Wie der Friedhof zu einer neuen Bank kommt 12 Internet: www.fachkrankenhaus-vielbach.de Facebook: We could be heroes 13 www.facebook.com/Fachkrankenhaus- Joachim Weiser Vielbach Schwerpunktthema: v.i.S.d.P.: Joachim J. Jösch, Strafe muss sein – Muss Strafe sein? 14 Fachkrankenhaus Vielbach Patienten des Fachkrankenhauses Vielbach

Redaktion Was Suchtkranke nach dem Abschied vom Alkohol erfahren 21 Patienten des Fachkrankenhauses Vielbach zusammen mit Frau Hillner und Herrn Jösch Neues aus der Anstalt 22 Patienten des Fachkrankenhauses Vielbach

Fotos (wenn nicht anders gekennzeichnet) Ganz schön speziell dieses Vielbach 24 Gerhard Anja Hillner, Joachim J. Jösch Zur Adaption nach Vielbach gekommen Gestaltung und Satz und Traum-Ausbildungsplatz ergattert 28 B. Cordemann Frank Schmieder, Bremen Foto-Impressionen vom Sommerfest 30 Druck Handy – Fluch oder Segen? 32 Warlich Druck Patienten des Fachkrankenhauses Vielbach Ahrweiler GmbH Wilhelmstraße 8 Neuanfang als Ausgestoßener 37 53474 Bad Neuenahr-Ahrweiler ›Dizzy‹, Christian Estenfelder Auflage: 8.000 „Wenn Sie kommen wollen dann jetzt, jetzt sofort!“ 38 Chris von Weiden

Constanze – eine Geschichte aus Vielbach 40 Uwe Christmann

Die Alternative ist der Tot 43 André

Fachtagung im Fachkrankenhaus Vielbach in der Presse 44 Schlechter Sex und zu viel Alkohol 46 Manfred K.

SG 60/2020 3 Briefe Wichtig! Thema Datenschutz! unserer Die Beiträge in der SuchtGlocke stammen komplett von derzeitigen und ehemaligen Patienten, Leser manchmal auch von Angehörigen. Früher hatten wir, wenn nicht anders gewünscht, deren Namen mit ihren Beiträgen veröffentlicht. Laut der neuen EU-Datenschutz- Grundverordnung benötigen wir inzwischen dafür von SSuchtGlockeG jedem Autor eine umfangreiche Einverständniserklärung. Gleiches gilt für Fotos. Den Aufwand diese einzuholen, konnten wir in vielen Fällen nicht leisten. Deshalb veröffentlichen wir zu diesen Beiträgen meist nur noch Vielbach nie bereut verstorbener Bruder war bei Ihnen Vornamen o. ä. der Autoren. vor einigen Jahren Patient. Er war Vor 30 Jahren, am 2. Januar 1990, das Nesthäkchen und wurde von Die SG-Redaktion habe ich meine Therapie in Viel- unserer Mutter nach dem Tod un- bach begonnen. Ich habe diese seres Alkoholiker-Vaters sozusagen Entscheidung nie bereut, denn ich „missbraucht“. Sie hat ihn mit Hund, einen Boxer. Da denke ich lebe seitdem abstinent und zufrie- totaler Liebe und Überfürsorglich- immer wieder gerne dran. Auf eine den. keit zu einem vollständig unselbst- Therapie unter Hundefreunden Ich wünsche allen Patienten, dass ständigen und lebensunfähigen freue ich mich deshalb sehr. sie ihren Aufenthalt in der Klinik Menschen gemacht. Schon früh Eure Zeitung ist Spitze. Die lag ebenso erfolgreich abschließen hat er zu trinken angefangen, wie bei der Suchtberatungsstelle aus. können. unser Vater. Je mehr meine Mutter ihn davon abhalten wollte, umso Johannes M., Kaiserslautern Rudolf Bickelhaupt mehr hat er sich in den Alkohol geflüchtet. Vergangenen Sommer ist er, genauso wie sein Vater, am Von nichts kommt nichts! Hobbyphilosoph auf Droge? Suff gestorben. Ich habe eine Zeitung von euch Was sollte das sein, was Ihr in der Wilma O., Offenbach bei unserem letzten Freundeskreis- letzten SuchtGlocke unter „Ganz- treffen in der Suchtberatungsstelle heitliche Sterbebegleitung“ von mitgenommen. Da geht es viel um einem Jo Weiser veröffentlicht Eure Zeitung ist Spitze! die Mutter. Das finde ich nicht habt? Kam mir vor, als hätte das gut. Meine Mutter hat mir immer ein Hobbyphilosoph auf Droge Ich habe gehört, dass bei euch viele geholfen. Ihr solltet mal eher über geschrieben. Hoffentlich hat keiner Patienten ihren Hund mit in die den Vater schreiben. Bei fast allen, nach dem Lesen zur Flasche gegrif- Therapie bringen. Das finde ich die ich kenne, hat der auch schon fen. richtig gut. Ich will nämlich dem- getrunken und war nicht gut zu nächst Therapie in Vielbach ma- seinen Kindern. Bei mir war das Jochen Benedikt, Neustadt chen. Muss nur noch den Antrag auch so. Von nichts kommt nichts! fertigmachen lassen. Oder? Ich hätte nämlich auch gerne ei- Am Suff gestorben nen Hund, aber das geht nicht we- Wolfgang N., Ludwigshafen gen meiner Arbeit. Zusammen mit In der letzten SuchtGlocke haben der Mittagspause und der Fahrzeit viele Patienten von ihren Gedan- bin ich fast elf Stunden von zu- Impuls-Geber SuchtGlocke ken zu ihrer Mutter geschrieben. hause weg. Das kann man keinem Das hat mich sehr an meine Kind- Hund zumuten. Früher, bei mei- Ich bin gesetzlicher Betreuer. Der heit erinnert. Mein inzwischen nen Eltern, hatten wir auch einen von mir betreute Mann trinkt seit

4 SG 60/2020 vielen Jahren immer wieder exzes- dafür den entscheidenden Impuls SuchtGlocke. Wir wollten Ihnen siv Alkohol. Er ist wohl das, was gesetzt. einmal schreiben, dass wir das rich- man einen Quartalssäufer nennt. tig gut finden, dass die Klinik die Er hatte mal eine eigene Familie, Jens-Werner V. Selbsthilfegruppen aus der Region einen guten Job und ein eigenes einmal ihm Jahr zu einer gemein- Haus auf dem Land. Alles verloren! samen Tagung einlädt. Wir wissen, Jetzt lebt er mit Hartz 4 in einer Hallo! wie wichtig solch ein Austausch für Zwei-Zimmer-Wohnung und wür- beide Seiten ist. de ohne Betreuer nichts mehr auf Es ist einige Jahre her, dass ich bei So etwas würden wir uns auch die Reihe bekommen. euch in Therapie war. Jetzt geht bei uns wünschen. Wir kommen Vor vier Monaten habe ich ihm es mir gut und ich denke immer jeden Monat in die Fachklinik F. zwei Exemplare Ihrer SuchtGlocke wieder mal an die Zeit in Vielbach, bei uns in unmittelbarer Nachbar- mitgebracht. Neugierig gemacht die mir die Kraft zum Neuanfang schaft. Wir wollen dafür gar kein habe ich ihn mit dem Hinweis, gegeben hat. Geld. Aber zumindest einmal im dass Ihre Zeitschrift komplett von Ich wünsche mir, dass auch mög- Jahr sollte doch die Zeit und die Betroffenen geschrieben wird. Kei- lichst viele andere, die sich aus den Wertschätzung da sein, sich bei ne „schlauen Sprüche“ von „Besser- Klauen ihrer Sucht befreien wollen, einem Kaffee zum Austausch mal wissern“ oder „Volkspädagogen“, die starke Gemeinschaft und den zusammenzusetzen. wie er immer zu sagen pflegt. Zusammenhalt von Vielbach er- Letzte Woche war ich wie vom leben. Denn alleine geht man als Werner, Birgit, Jürgen und Michael Donner gerührt, als er mich fragte Suchtkranker in dieser gefährlichen vom Freundeskreis B. ob „man sich das Angebot in dieser Welt unter. Klinik mal ansehen“ könne. „Das mit den vielen Tieren“ interessiere Thomas K., Hamburg Sehr gut, weiter so! ihn. In Kürze haben wir einen Ter- min für einen Klinikbesuch. Ich Es war wieder faszinierend eure hoffe, dass sich mein Betreuter für Wo bleibt die Wertschätzung? neue Ausgabe der Patientenzei- eine Therapie bei Ihnen entschei- tung SG zu lesen. Was ich sehr gut det. Wenn, dann haben Sie mit Ih- Wir vom Freundeskreis B. bekom- gefunden habe, war das Schwer- rer einmaligen Patienten-Zeitschrift men von Ihnen regelmäßig die punktthema Mutter. Das viele

Ein Spaziergang am Wochenende oder nach Feierabend „durch die Gemeinde“ tut gut. Und von Sporttherapeutin Piroth gibt’s ein Fleißkärtchen.

SG 60/2020 5 Briefe war.) In den letzten Jahren musste es dann aber immer öfter zwi- unserer schendurch mal ein Piccolöchen sein. Da lief mein Alkoholkonsum Leser gänzlich aus dem Ruder. Ich war inzwischen bei zwei Flaschen Fei- erabendwein angelangt, obwohl ich gar nicht so viel trinken woll- SSuchtGlockeG te. Das nennt man Kontrollver- lust, wie ich jetzt weiß. Dann waren da auch noch starke Depressionen. Die versuchte ich mit Alkohol zu bekämpfen. Irgend- Patienten so offen und ehrlich den jeden Tag wie Spießrutenlaufen. wann kann dann der Zusammen- Mut haben, darüber zu schreiben Da habe ich nach drei Wochen bruch, dann ging nichts mehr. was sie fühlen. abgebrochen. Der Kontakt zu meiner Tochter Sehr gut, macht weiter so! Ich war zu der Zeit nicht gut. Glück- freue mich auf die nächste Ausga- Gerald aus Dortmund licherweise kam sie an einem be- be. sonders problematischen Tag unan- (Antwort der Redaktion: In Viel- gekündigt bei mir zuhause vorbei. Reiner Metzger bach sind noch mehr Außenseiter. Ich lag in der Küche, bewusstlos in Das ist aber keine Garantie, dass meinem Erbrochenen. die deswegen Homosexuellen ge- Sie hat dann den Notarzt ge- Freundlichkeit war Mangelware genüber tolerant sind.) rufen, und ich kam direkt ins Krankenhaus. Zwei Tage später Ich war in einer Klinik wo fast 200 hatte ich ein langes Gespräch mit Alkoholiker und Drogensüchtige Ich doch nicht der Stationsärztin. Erst da wurde behandelt wurden. Da gab es Ein- mir klar, dass ich alkoholkrank, zelzimmer, aber man kam man sich Ich heiße Luise und ich bin Alko- eine Alkoholikerin, bin. Es war auch sehr einzeln in der Menge holikerin. Bis vor gut zwei Jahren sehr schmerzhaft für mich, das zu von Patienten vor. Als wenn man habe ich das nicht wahrhaben wol- akzeptieren. Aber es war gut und es nur eine Nummer wäre. Alle The- len. Es tat weh, sich das einzugeste- war meine Rettung. rapieangebote optimal getaktet. hen. Inzwischen fühlt es sich aber Ich war dann bereit, auch nahtlos Aber sonst hat keiner vom Personal gut an, diesen Satz auszusprechen. in eine Entwöhnungstherapie zu mal Zeit für ein Gespräch gehabt. Zumindest in meiner AA-Gruppe gehen. Aus gutem Grund in eine Freundlichkeit gab es wenn über- oder an anderer passender Stelle. reine Frauenklinik. haupt nur im direkten Kontakt. So Alkoholiker, das waren bis zu Ich lebe seitdem abstinent und wie in einem Laden, wo man was meinem Eingeständnis welche, die bin zufrieden mit mir und der kaufen will. Nach dem Verkaufs- man in der Stadt, am Hauptbahn- Welt. Mit dem Trinken aufzuhören gespräch kennt einen aber keiner hof und verschiedenen Plätzen hat ist für mich kein Verlust, sondern mehr. Das war sehr schade, weil herumlungern sehen. Oft mit der ein großer Gewinn an Lebensqua- ich nicht der Typ bin, der gut auf Flasche in der Hand. lität! andere zugehen kann. Oder immer wieder auch als „Kunden“ bei mir auf dem Amt, Luise aus Köln Frank aus Erfurt denn ich arbeite bei der Stadtver- waltung. PS: Ihre tolle Zeitschrift habe ich Aber bei mir war das doch ganz übrigens in der Suchtberatungs- Toleranz für Homosexuelle? anders. Meistens habe ich erst nach stelle gefunden, in der wir immer der Arbeit getrunken. Riesling, unsere AA-Treffen abhalten. Kann man bei euch in der Klinik ganz gepflegt im passenden Glas. Therapie machen, ohne gemobbt Auf der Arbeit trank ich in der zu werden? Regel nur, wenn eine/r der Kolle- Tiere gut für die Menschenseele In der Klinik, wo ich meine erste ginnen oder Kollegen Geburtstag Therapie begonnen habe, war es feierte. (Was bei den vielen Mit- Dass Ihr in Vielbach viele Tiere für mich ganz schlimm. Lauter arbeitern in unserer Abteilung für die Therapie einsetzt, finde ich Schwulenhasser. Das war für mich zugegebenermaßen nicht selten super. Wenn sich einer ein bisschen

6 SG 60/2020 mit Psychologie auskennt, weiß er, ist ehrenvoll. Wer hat da das Recht machte. Dem habe ich ein paar dass das Zusammensein mit Tieren schlecht über seine Mutter zu urtei- aufs Maul gegeben und bin am der Menschenseele sehr gut tut. Ich len und zu reden? Diese Patienten gleichen Abend rückfällig gewor- habe seit langem einen Hund und sollten sich schämen! den. Am nächsten Morgen stand ich weiß, wovon ich rede. So etwas druckt man dann aber ich dann wieder auf der Straße. So etwas sollte viel öfter ange- auch nicht ab! Freundin weg, Therapie weg und boten werden. Ich habe vor vier ohne Wohnung. Zum Glück habe Jahren Therapie gemacht, da gab es Franz-Josef A., Nürnberg ich es geschafft in der Einrichtung null Tiere, obwohl die Klinik auf Fleckenbühl aufgenommen zu dem Land lag. werden. Hardcore! Kein Alkohol, Danke für alles damals! keine Drogen, keine Medikamente, Werner Ohl, Kassel keine Zigaretten!!! Aber das hat Ich war vor einiger Zeit im Haus mir den Kopf wieder klar gemacht. ›Neue Wege‹ der Klinik. Die meis- Nach drei Monaten bin ich in eine Würdelos! ten von meinen Kollegen sind von betreute WG gezogen. Ich habe dort aus auch zur Therapie in die gute Chancen demnächst wieder Wer gibt Ihnen das Recht, dass in Fachklinik in Vielbach gegangen. einen festen Job zu bekommen. einer Zeitschrift, in der es um die Ich nicht, weil ich in die Klinik E. Im Büro von der WG-Betreuerin Therapie und den Alltag in Ihrer wollte, wo schon meine Freundin lag auch eine SuchtGlocke rum. Suchtklinik geht, so würdelose über zur Therapie war. Wir hatten uns Hab ich gelesen und gedacht euch Mütter geschrieben werden darf? in der Entgiftung in der Uniklinik mal zu schreiben. Danke für alles Diese haben die Schreiber unter kennengelernt. damals! Schmerzen geboren und nicht ab- Das war aber keine gute Idee. Als getrieben, obwohl das viele andere ich dort angekommen war, kriegte Carsten B., Stuttgart in problematischen Sozialverhält- ich sofort mit, dass sie inzwischen nissen leider tun. Das allein schon mit einem anderen Patienten rum-

Der für uns alle wichtige Gelassenheitsspruch hängt jetzt auch im Klinik-Speisesaal. Stanislaw Wawszczyk hat in seiner Kreativtherapie ein Projekt daraus gemacht. In liebe- und mühevoller Arbeit hat er alle Buchstaben und Ornamente aus Alu-Blech ausgesägt (dafür hat er sich zuvor Schablonen hergestellt) und dann mit der Feile den Feinschliff vorgenommen. Schließlich hat er sich ein ausreichend großes Holzbrett gefertigt, die einzelnen Buchstaben korrekt ausgerichtet zusammengefügt. Eine tolle Leistung, auf die er zurecht sehr stolz sein kann!

SG 60/2020 7 Brot für Vielbach! Die Geschichte von der Entstehung eines fahrbaren „Backes“

8 SG 60/2020 lles begann damit, dass auf Montagmorgens rief Arbeitsthe- seinen Platz findet. Typisches dem Gelände der Fachkli- rapeut Volk die in der Klinikschlos- Manager-Gefasel! nik ein „Backes“ entstehen serei tätigen Patienten zusammen. Gordon, Hendrik und ich schau- sollte.A Im Westerwald hatte früher Er berichtete von einer nächtlichen ten uns an und wussten sofort zwei jedes Dorf einen „Backes“, in dem Vision wie in Vielbach ein fahr- Dinge: das Brot für die Bewohner geba- barer Backes entstehen könne: 1. Der Typ hat keine Ahnung, cken wurde. Nach Überprüfung „Männer, wir haben doch den alten wie kompliziert die Umset- der Klinik-Außenanlage befand der Anhänger, von dem wir noch nicht zung seiner Vision ist. Und Klinikleiter, dass dafür kein passen- wissen, was wir daraus machen 2. das wird richtig Arbeit mit der Platz vorhanden sei. wollen. Wir bauen einfach den professioneller Planung und Diese demokratisch getroffe- Backes auf den Anhänger, dann entsprechend schneller Um- ne Ein-Personen-Entscheidung können wir den hinbringen, wo setzung, denn der Endtermin brachte das geplante Projekt ins wir ihn gerade haben wollen und stand unverrückbar fest. Wanken. Allerdings sind die nehmen keinen festen Platz weg. Wir standen nun zu dritt auf Klinik-Mitarbeiter sehr kreativ und Lasst euch mal was einfallen. Ihr dem Hof vor dem „Anhänger“ und suchten nach einer Alternative – kriegt das schon hin, aber bis zum betrachteten die mehrere hundert und fanden eine. Ein, in rudimen- Sommerfest muss der fertig sein!“. Kilo undefinierbar verformten tären Resten vorhandener, land- Diffuse Beschreibung eines neu Stahl. Erste Feststellung unserer- wirtschaftlicher Anhänger, der so zu entwickelnden Geräts, dessen seits: Eindeutig späte Eisenzeit und aussah, als seien seine besten Zeiten Entwicklungszeitraum, bedingt es hat Räder! vor dem Dreißigjährigen Krieg durch den Endtermin, genau Somit war ein Hauptkriterium gewesen, was aber für die Wester- umrissen war und das am besten des Projekts, nämlich die Beweg- wälder so etwas wie „Gestern“ zu nichts kosten darf, aber alle beein- lichkeit des mobilen Backes, hin- sein scheint. drucken soll und somit am Markt reichend erfüllt und der weitere

Aus den nur schwerlich als Anhänger zu erkennenden Überresten (ganz links) erschufen wir mit vereinten Kräften in der Schlosserei die Basis für unseren fahrbaren Vielbach-Backes.

SG 60/2020 9 Zustand des Objekts wurde von gebaut werden, wobei die volle als Unterbau für den Ofen dienen uns als zweitrangig eingestuft. Funktionstüchtigkeit beider Objek- sollte. Dieses Gestell wurde dann Nun kam unser stärkster Verbün- te gewährleistet sein sollte. auf der frei schwingenden Boden- deter, der aber auch gleichzeitig un- Nun begann das „Brainstor- platte montiert. Die Oberseite des ser ärgster Gegner war, ins Spiel. ming“. Wir mussten einen Weg Gestells wurde mit Stahl ausgesteift Wir reden von Physik. Mit so finden, das zu mauernde Objekt und mit Beton ausgegossen. Die etwas Profanem müssen sich Visio- schwingungsarm, erschütterungs- Bodenplatte des Backes war gebo- näre natürlich nicht abgeben, aber frei und verwindungssteif auf dem ren. wir waren leider dazu gezwungen, Anhänger zu befestigen. Wir dach- Die hier in kurzen Worten be- wobei erschwerend hinzukam, dass ten uns also ein Rahmengestell für schriebene Aktion sah in der Praxis man die Physik nicht per Dienstan- die Bodenplatte des Backes aus, das wie folgt aus: Schweißen, schwit- weisung, Dekret oder Verordnung auf Gummipuffern gelagert und zen, bohren, fluchen, schrauben, außer Kraft setzen kann. vom starren Rahmen des Anhän- feilen, sich die Finger klemmen, Nun waren wir gefordert. Nach gers entkoppelt ist. wieder fluchen, Klamotten anko- interner Kommentierung in unse- Jetzt war Gordon in seinem keln, biegen und richten und noch rer Arbeitsgruppe, die wir natürlich Element. Nach dem massiven mal fluchen. nicht öffentlich machten, weil Einsatz der Trennschleifer und des Dazu kam aber auch die Freude Sätze fielen wie „so ein kranker Schweißgeräts zwecks Zerlegung und die innere Zufriedenheit, dass Scheiß“ oder „Das Denken sollten des Anhängers und dem danach uns schier Unmögliches und wirk- Pferde übernehmen, die haben grö- folgenden Umbau des Rahmens, lich Kompliziertes gelingt. Ent- ßere Köpfe“, begannen wir, einen konnte unsere entwickelte Boden- scheidend für die Verwirklichung Plan zu entwickeln. platte montiert werden. Das Basis- der gesteckten Ziele war unsere Ein von Natur aus unbewegliches modul war somit hergestellt. echte Team-Arbeit. Die Führung Objekt = Backes, sollte auf ein Nun wurde eine Rahmenkons- der Gruppe übernahm immer der, bewegliches Objekt = Anhänger truktion aus Stahl hergestellt, die der bei dem jeweiligen Teilschritt

Beim Bau unseres Backes kamen alle Gerwerke zum Einsatz: Was im Kopf entstand wurde zunächst in der Schreinerei zu einer Holzschablone (links), die dann ummauert wurde.

10 SG 60/2020 über die beste Qualifikation und um die Stahlkonstruktion und den organisatorische Unterstützung die meiste Erfahrung verfügte. Ofen kümmerten, war ein weiteres bezüglich der Materialbeschaffung Alpha-Männchen-Gehabe und Team mit mir als „Chef“ für die notwendig. Manche Helfer wussten Kompetenzstreitigkeiten gab es Holzbeplankung, die Seitenverklei- gar nicht so genau, was sie da ei- nicht. Das Projekt hatte erste Prio- dung, den Tisch und die Sitzgele- gentlich machen, aber sie machten rität. Gegenseitige Wertschätzung genheiten zuständig. Da der Wagen mit Begeisterung mit. und Respekt waren für uns eine nicht eben und gerade stand, Es gab natürlich auch einige, die Selbstverständlichkeit. musste einiges an Können und sich durch hämische Bemerkungen Nun begannen Hendriks große Mathematik herhalten, damit kein und unqualifizierte Kommentare Stunden. Das Mauern des Backes windschiefes Etwas herauskam. auszeichneten, aber daran störten war angesagt. Zuerst wurde dazu in Also war wieder sich wundern, wir uns nicht. Wer ein Problem mit der Schreinerei eine dreidimensio- messen, fluchen, zusägen, montie- uns hatte, durfte das gerne behal- nale Holzschablone gebaut, um die ren, wieder fluchen und korrigie- ten, denn es war ja schließlich seins der Backes gemauert werden sollte. ren, bohren, schrauben, sich freu- und wir wollten niemandem etwas Schamotte, Steine und Mörtel en, gleich mal ausprobieren, wieder wegnehmen. wurden beschafft, die Brennkam- korrigieren, die eigenen Ansprüche Für Gordon, Hendrik und mich mer wurde gemauert, Vorder- und ein wenig zurück nehmen und war die Sache mit sehr viel Spaß Rückwand wurden gefertigt, die gleichzeitig das Beste aus den gege- verbunden, weil wir zeigen konn- Isolation wurde angebracht und am benen Möglichkeiten herausholen, ten, was wir noch so drauf haben. Ende die Backstein-Verkleidung angesagt. Der Backes wurde natürlich ter- gemauert. Zum guten Schluss bekam „un- mingerecht fertig und das gebacke- Parallel dazu wurden in der ser“ Backes natürlich auch noch ein ne Brot erfreute sich am Sommer- Schlosserei der Blechkamin und die Dach. fest großer Beliebtheit. Ofentür hergestellt. Während Gor- Für all das waren viele helfende don, Hendrik und ihre Helfer sich Hände und eine wirklich gute Uwe Christmann

Der fertige Ofen (links) wurde dann auf den fahbaren Untersatz montiert. Jetzt können wir mit unserem mobilen Backes überall leckerstes Brot backen. Großartig!

SG 60/2020 11 Auch die Ortsgemeinde Vielbach profitiert von unserer Arbeitstherapie In der regionalen Presse war dazu zu lesen: Wie der Friedhof zu einer neuen Bank kommt Vielbacher Patienten sind stolz auf ihre Arbeit

Vielbach. „Uli, hast du Zeit? Wir massive Holzbank vom Anhänger. dass alles passt. „Das war eine möchten der Gemeinde ein Ge- Sie freuen sich, denn es ihr Werk, richtig gute Idee der Klinik. In der schenk vorbeibringen.“ Mit diesen das heute übergeben wird. Und sie Gemeinde leben viele ältere Men- Worten überrascht Joachim J. sind stolz, zeigen zu können, was schen, die regelmäßig nach den Jösch, Leiter des Vielbacher Fach- Suchtkranke, die dem Alkohol ab- Gräbern ihrer Verstorbenen schau- krankenhauses, den Vielbacher geschworen haben, zu leisten ver- en. Die werden sich freuen, nach Ortsbürgermeister Uli Schneider mögen. Für die Holzarbeit in der der Grabpflege eure Bank zum am Telefon. Treff- und Zeitpunkt Klinikschreinerei hatten sich die Ausruhen nutzen zu können. Auch sind schnell vereinbart. beiden mit ihrem Arbeitsanleiter in deren Namen sage ich euch ganz Zwei Stunden später, auf dem entschieden. Erst kurz zuvor hatten herzlichen Dank!“ Friedhof der Gemeinde: Thomas sie das Projekt „Insektenhotels“ Die beiden Patienten freuen sich, Volk, Arbeitstherapeut in der beendet. besteigen den Traktor und fahren Suchtklinik, trifft mit dem Klinik- Uli Schneider sucht zusammen mit ihrem Therapeuten zufrieden traktor ein. Uli Schneider wartet mit den Patienten einen schönen wieder zurück in die Klinik. schon. Sascha und Stanislaw, Reha- Platz auf dem Friedhofsareal aus. bilitanden der Klinik, heben eine Das gemeinsame Probesitzen zeigt,

Freuen sich gemeinsame über die gelungene Weihnachtsüberraschung für die Ortsgemeinde (von links): Sascha, Thomas Volk, der Vielbacher Ortsbürgermeister Uli Schneider und Stanislaw.

12 SG 60/2020 We could be heroes

Ich öffnete das Fenster und lehnte mich raus. Unten im Hof, zwischen der Treppe zum Hei- zungskeller und der Ecke, wo die Mülltonnen stehen, da muss sie aufgeklatscht sein. Mit seltsam verdrehten Gliedern lag sie da, die kleine Prinzessin von oben aus der hinteren Dachwohnung mit Blick zum Hof. Ihr nackter Körper lag bäuchlings, inmitten einer schwarz- rot glänzenden Blutlache, die sich langsam aber stetig weiter um sie ausdehnte. Das arme Mädchen, dachte ich mir. Bestimmt wollte sie wieder unsichtbar sein und ist dann voll auf Koks nackt und mit geschlossenen Augen durchs Dachgaubenfenster rausgeklettert. Ich war schockiert und fasziniert zugleich. Die Kinnlade kippte mir runter und ich ver- suchte mir einen Reim darauf zu machen, was da soeben geschehen war. Aber auch ich stand ja schon wieder unter dem Einfluss diverser Substanzen, die meine Adern durchfluteten, und so erkämpften sich religiöses Halbwis- sen, gepaart mit Fragmenten aus Horror-und Science-Fiction-Filmen die Vorherrschaft über meine Gedankengänge und ich begann mir vorzustellen, wie sich das Universum jetzt, ge- rade in diesem Moment, ausdehnt; und zwar genau so, wie diese Blutlache da unten, wo das tote Mädchen lag. Und ich begann mir vorzu- stellen, dass eines Tages unser Planet, nachdem wir ihn endlich zerstört haben werden, wohl auch eher einer zerschmetterten Leiche ähneln wird, als so einer schönen blauen Kugel. Dann plötzlich war es mir, als würde ich wieder ihre Stimme hören: „Wenn ich meine Augen dabei zumache“, sagte sie, „dann kann mich ja keiner sehen. Du musst nur daran glauben. Das funk- tioniert. Wirklich.“ Und dann hörte ich sie wieder lachen. In meinen Gedanken wird sie weiter leben, meine kleine Prinzessin. Ich schloss das Fenster wieder und hockte mich aufs Bett. Dann drehte ich an meinem alten Ghetto-Blaster rum, bis ich irgendwas von David Bowie reinkriegte. Ich band mir den Arm ab und zog den Riemen mit den Zähnen fest. Und sofort hatte ich wieder eine Vene getroffen, gerade in dem Moment, als David Bowie sang: „We could be heroes ... just for one day ...“

Joachim Weiser

SG 60/2020 13 Schwerpunktthema

Strafe sein! Muss Strafe sein?

ir hatten in den Therapiegruppen vor einiger Zeit eine Themen-Woche „Strafen“. Wir sprachen darüber, wer bisher welche Erfahrungen mit Strafen gemacht hat und darüber, Wob es überhaupt Strafe braucht und in welchen Fällen wir wieviel für sinnvoll halten. Wir haben die einzelnen Therapiegruppen in der Klinik angesprochen und um Beiträge zum Thema gebeten. „Strafe muss sein! Muss Strafe sein?“ lautet deshalb das Schwerpunktthema dieser Ausgabe. Wie immer interessiert uns natürlich auch die Meinung unserer Leserinnen und Leser zu diesem Schwerpunkt unserer SG-Ausgabe. Wir freuen uns auf eure Rückmeldungen.

Eure SG-Redaktion

14 SG 60/2020 ein Vater hat sich nicht Frau und Kinder und Wohnung Wenn ich als Vater gegenüber mei- um mich gekümmert. weg, außerdem habe ich keine Ar- ner Tochter oder meinem Sohn MDas war Strafe. beit mehr. Aber so ist es wohl im eine Strafe ausspreche, bin ich als In der Schule keine Hausauf- Leben: irgendwie ist man immer Vater sehr zwiegespalten. Einerseits gaben gemacht, musste zur Strafe der Dumme. möchte ich einen Lerneffekt bei nachsitzen. den Kindern erzielen, andererseits Ich war zu gutmütig, konnte F. Krämer möchte ich meinen Kindern nichts nicht nein sagen, wurde deshalb Böses. Aber ich will von ihnen auch als Autoritätsperson wahrge- Ich finde, dass Strafe sein muss. nommen werden. Ich versetze mich »Meine Kinder haben So lernt derjenige, dass seine dann in die Lage meiner Kinder, keinen Kontakt mehr Handlungen Konsequenzen haben um wahrnehmen zu können, ob zu mir. Eine besonders und er lernt, sich gegenüber dem die Bestrafung gerecht ist oder schmerzhafte Strafe.« Anderen besser bzw. sozialer zu ver- evtl. zu hart. Aber wohl fühle ich halten. Konsequenzen aus meinen Handlungen habe ich selbst immer oft ausgenutzt. Auch von meinen wieder erlebt. Meistens waren sie »Wichtig ist, dass der, der Frauen. Das kam mich teuer zu negativer Art. Diese Strafen bzw. sanktioniert, sein Handeln stehen. Da fühle ich mich sehr be- Konsequenzen wurden nicht durch nachvollziehbar gestaltet.« straft. Personen ausgelöst, sondern kamen Meine Kinder haben keinen durch das Leben an sich. Dadurch Kontakt mehr zu mir. Eine beson- konnte ich mich dann besser in mich dabei nicht. Denn durch ders schmerzhafte Strafe. den anderen hineinversetzen und die Bestrafung kommen bei den Für meinen großen Alkoholkon- verstehen, dass ich etwas falsch Kindern ungewollt Gefühle hoch, sum hat mich mein Körper hart z. B. Wut und Hass, weil sie das bestraft! »Das Leben ist gerecht, weil Gefühl haben, ungerecht behandelt zu werden. Diese Effekte könnten Gebhardt sich die Dinge früher oder dann z. B. eine Verschlimmerung später durch Dharma und der Situation herbeiführen, für die Karma ausgleichen« ich dann durch meine Auferlegung Weil ich eine Geldstrafe nicht be- zahlen konnte, musste ich für drei Wochen in den Knast. Verrückt! gemacht habe und auch was ich falsch gemacht habe. Dirk E. Ich glaube an Dharma und Kar- ma und habe deshalb selbst nie bewusst Strafen vorgenommen, Habe auf der Straße mehrere Han- weil jeder für seine Handlungen, dyverträge abgeschlossen, aber egal auf welche Art und Weise, die nicht ein Handy bekommen. Ja entsprechenden Konsequenzen er- war ich schwer naiv, wenn nicht halten wird. dumm. Wegen der Sache bin in Für das Individuum selbst sind jetzt mit 4.500 Euro bei der Schufa die Konsequenzen und das, was eingetragen. man erlebt an Strafen, gefühlt nicht Habe auch aus Hunger mehrfach gerecht. Aber auf die Gesamtheit im Laden was zu essen geklaut. Bin aller Beteiligten ist das Leben schon erwischt worden und bestraft wor- gerecht, weil sich die Dinge früher den. Zu Recht. oder später durch Dharma und Karma ausgleichen. Patrick Anonym

Wegen Geldstrafen war ich schon ein paar Mal im Knast. Ich bin Es liegt immer im Auge des Be- als Alkoholiker aber schon genug trachters, ob eine Strafe als gut „gestraft“: Wegen des Alkohols sind oder schlecht empfunden wird.

SG 60/2020 15 Schwerpunktthema

zu Nachdenken und Besserung führen. Sie muss aber gerechtfertigt und angemessen sein. Wenn das

»Ohne konsequente Sanktion von rechts- oder der Strafe verantwortlich wäre, wo- einen Tobsuchtsanfall bekommt, durch ich mich direkt mit bestrafe. schicke ich sie auf ihr Zimmer. Ich regelwidrigem Verhalten Wenn ich an meine selbst erleb- sage ihr aber, dass wenn sie sich könnte die Gesellschaft ten Bestrafungen zurückdenke, wa- wieder beruhigt hat, sie wieder zu- nicht existieren.« ren diese immer dann okay, wenn rückkommen kann. ich den Grund dafür verstehen und Sollte sie z.B. mein Vertrauen diese, zumindest im Nachhinein, missbrauchen, würde ich ihr als nicht so ist, wird sich der Bestraf- akzeptieren konnte. Wichtig ist te wohl nicht rehabilitieren, sein wohl immer, dass der, der sankti- »Vom Recht der Eltern, Verhalten wird eher ins Gegenteil oniert, sein Handeln transparent umschlagen. und letztlich nachvollziehbar ge- Strafen gegenüber ihren Ohne konsequente Sanktion von staltet. Kindern auszusprechen, rechts- oder regelwidrigem Verhal- halte ich wenig.« ten könnte die heutige Gesellschaft Sascha K. nicht existieren. Es würde Anarchie herrschen. Strafen sollten immer Konsequenz weniger Vertrauen so sein, dass sie zur Änderung von Als Kind habe ich Strafen durch entgegenbringen. negativem Verhalten führen. die Eltern erlebt: Hausarrest und Aus meiner Sicht sollte jede ne- manchmal Schlagen mit dem Holz- gative Aktion eine angemessene JK löffel auf den Hintern. Das fand Reaktion oder Konsequenz zur Fol- ich damals sehr ungerecht. ge haben. Andernfalls würde über Vom Recht der Eltern, Strafen kurz oder lang das Unrecht die gegenüber ihren Kindern ausspre- Macht übernehmen. chen, halte ich wenig. Ich, als Va- Weil ich straffällig geworden bin, ter, würde eher von Konsequenzen Günter M. habe ich vom Richter 15 Jahre sprechen. Wenn z.B. meine Tochter Haft bekommen. Die Strafe war gerecht und ich denke, das war in Verurteilt zu zwei Jahren Haft. Ich Ordnung. Ich selbst habe noch kei- habe meine Strafe dafür bekom- men, dass ich mich nicht an Re- »Strafen macht aus dem, geln gehalten und illegale Sachen der die Strafe vollzieht, gemacht habe. Das war zu Recht und angemessen. Das konnte ich einen Täter!« während des Haftaufenthaltes nen gestraft. Wie auch? Das wäre »Strafe muss gerechtfertigt ja Selbstjustiz. Dafür kann man und angemessen sein.« wieder in den Knast gehen.

G.S. erkennen. Mir wurde da bewusst, was falsch an der Sache war. Jeder soll dann seine Strafe be- „Protokoll“ wegen zu schnellem kommen, wenn sie gut begründet Fahren. War gerecht. Diebstahl und angemessen ist. einer BILD-Zeitung aus einem stil- len Zeitungsverkäufer in München. F. H. War gerecht. Straftraining beim Fußball. War gerecht. Schulaufga- ben vergessen. War gerecht. Strafe für ein falsches, strafwürdiges Verhalten soll bei dem Bestraften N.E.

16 SG 60/2020 Weder bin ich ein Anthroposoph, oder Bewusstsein und erst Recht Zeitgenosse ihre Hütte über dem noch ein Hinduist, Buddhist, Jude, können sie gegen die kosmischen Kopf angezündet oder ein böser Christ, Moslem oder sonst irgend- Gesetze nicht verstoßen. Wolf ihre ganzen Kinder aufge- ein Fuzzi, der daran glaubt, dass Intergalaktische Winkeladvo- fressen hat. Und gerade solche alle unsere Handlungen – seien katen freilich, die könnten zwar Menschen, die sich dann als „Be- sie nun gut oder böse, hinterhältig dazu neigen, dem Kometen einen troffene“ oder als „besorgte Bürger“ oder gemein oder gar von altru- gewissen Vorsatz nachweisen zu fühlen, die sind es dann auch, die istischem Edelmut und reinster wollen und versuchen, hieraus eine sofort nach „Strafe“ rufen, nach Nächstenliebe geprägt, ja vielleicht Sachbeschädigung abzuleiten, nur „Vergeltung“, nach „Ausgleich“ sogar löblicherweise einfach nur um dann auch noch den Entdecker oder „Sühne“, nach „Gerechtig- des Kometen – als dessen geisti- »Kometen sind nun mal so. gen Vater – sozusagen, in Regress »Gewaltprävention Irgendwo einzuschlagen nehmen zu können und ihn zu und etwas mehr Bildung entspricht ihrem beschuldigen, er verfolgte mit einer könnten auch nicht gezielten Umlenkung der Flugbahn artgerechten Verhalten.« „seines“ Kometen, seine eigenen schaden.« wirtschaftlichen Interessen, da sich dem Wahren, Schönen und Guten schließlich auf dem, nun durch ihn keit“ und – die ganz biblisch Ver- gewidmet – zwangsläufig irgend- lädierten Himmelskörper, genau an brämten unter ihnen – sogar nach eine Konsequenz nach sich zu dieser Stelle eine sehr einträgliche „Auge um Auge und nach Zahn ziehen haben, die, je nach Art und Gold-, Silber- oder Kupfermine sei- um Zahn“. Umfang des Geschehenen, adäquat Das ist aber alles nichts als rein hierzu einen entweder belohnen- »Rachegelüste sind menschliches Fehlverhalten, finde den, würdigenden oder gar sank- ich. Rachegelüste sind eine uns tionierenden Charakter aufweisen eine uns scheinbar scheinbar angeborene Unart und müssen. angeborene Unart und sonst weiter nichts. Jedenfalls Für mich ist das alles Humbug. sonst weiter nichts.« nichts, worauf unsere Spezies stolz Man muss sich zwar nicht alles sein könnte. Schuldorientiertes im Leben gefallen lassen und sich Handeln ist eh nicht so mein Ding. zu wehren, halte ich durchaus für nes ärgsten Konkurrenten befand; Lösungsorientiertes Handeln dann legitim; allerdings nicht, um den und Meteorologen wiederum, die schon eher. Gewaltprävention und jeweiligen Aggressor zu bestrafen, würden einfach von einer kosmi- etwas mehr Bildung könnten auch sondern nur um ihn, zum eigenen schen Katastrophe sprechen und Schutze, abzuwehren. Erlittene das Ganze eventuell auch noch auf Strafen machen keine besseren den Klimawandel zurückzuführen Menschen aus den jeweiligen versuchen. Der Klimawandel ist so- Delinquenten. Aber das Strafen wieso immer an allem „schuld“. an sich macht aus dem die Strafe Am Ende könnten sogar irgend- Vollziehenden bereits einen Täter. welche religiösen Fanatiker auch Davon bin ich felsenfest überzeugt. noch ein Zeichen einer erzürnten Ein Komet, der auf seiner Reise Gottheit dahinter vermuten, weil durchs Universum mit einem an- sich dieses Ereignis zufälligerweise deren Himmelskörper kollidiert und dort einen gewissen Schaden anrichtet, folgt schließlich auch »In meiner Kindheit nur irgendwelchen physikalischen hatte ich unter den Gesetzen und warum sollte man schuldorientierten und ihn dafür „bestrafen“, wenn er strafenden Auswüchsen beim Zusammenprall mit einem anderen, mit stärkerer Gravitation meines Nazi-Vaters ausgestatteten Gestirn, bei diesem erheblich zu leiden.« einen Krater hinterlässt? Kome- ten sind nun mal so. Irgendwo einzuschlagen entspricht ihrem genau am selben Tag und zur sel- artgerechten Verhalten. Schließlich ben Zeit ereignete, als ihnen ein verfügen sie über keinerlei Verstand eifersüchtiger oder missgünstiger

SG 60/2020 17 Schwerpunktthema

Das einzige, was ich daraus ge- lernt habe, ist, dass ich versuchen möchte meine Kinder ohne Bestra- fungen zu erziehen. Mal schauen, was daraus wird. nicht schaden. Und etwas weniger in Folge dessen zum Alkoholiker Sascha W. Hass auf dieser Welt. und Drogenabhängigen wurde, um Ich habe mir darüber schon sehr seine Schmerzen zu lindern, die oft und auch sehr viele Gedan- ihm durch, zum Teil sehr heftige, Zum Thema Strafen fallen mir zwei ken gemacht, weil ich persönlich Körperstrafen und Psychoterror ein. Ein Jahr und sechs Monate zu unter den schuldorientierten und entstanden waren und deren Spät- DDR-Zeiten wegen versuchter Re- strafenden Auswüchsen meines folgen bis heute nachwirken. Ich publikflucht. Das war aus meiner Nazi-Vaters in meiner Kindheit hoffe dennoch, dass alles dereinst Sicht nicht gerechtfertigt, da es ein erheblich zu leiden hatte. Seitdem noch ein gutes Ende nehmen wird. politisch motiviertes Urteil war. Vor einigen Monaten bin ich übri- Ich wollte ja nur meinen Vater, den »Schließlich wurde aus gens immerhin schon 65 Jahre alt ich nicht kenne, im Westen suchen mir, unter anderem auch geworden und ich weiß gar nicht und finden. so genau, wie ich das mit all diesen Fahren ohne Führerschein unter durch diese gegen mich Abstürzen, Rückfällen, Kapriolen Alkoholeinfluss. Das war gerecht- gerichteten Exzesse von und Eskapaden geschafft habe - fertigt. Kindesmissbrauch und aber hey, allen Unkenrufen zum Gewalt, ein seelischer Trotz, ich lebe noch. A. D. Krüppel.« Joachim Weiser Ich habe mich immer wieder selbst lehne ich Strafe als solche grund- bestraft, wenn ich mit mir un- sätzlich ab. Schließlich wurde aus Muss Strafe sein? Wenn ich an zufrieden war und ich meinte, es mir, unter anderem auch durch meine Kindheit denke, sage ich muss sein. diese gegen mich gerichteten Ex- definitiv Nein. Es musste nicht zesse von Kindesmissbrauch und sein, dass ich von meiner Mut- P.B. Gewalt, ein seelischer Krüppel, der ter so oft geschlagen wurde oder Ausgangssperre bekommen habe. Mein Verhalten hat sich dadurch Hatte oft Hausarrest und Verbote nicht geändert. Wahrscheinlich für Sachen, die mir Spaß gemacht habe ich aus Trotz immer wieder haben, wie Fußball und Tennis. neue Scheiße gebaut. Darin bin Das war nicht richtig! ich richtig gut! Führerschein zweimal weg wegen M. Meiers Alkohol. Was mache ich? Fahre

Bei der Bundeswehr ist mir bei »Irgendwie lerne ich aus einer Schussübung eine scharfe Pa- Strafen nichts.« trone weggekommen. Konsequenz: suchen bis gefunden. Hat 10 Stun- den gedauert!! Gerecht? Ja! weiter „ohne“, werde erwischt – und fahre trotzdem weiter ohne. Lauritz Bin zuletzt wieder beim Fahren ohne Fahrerlaubnis erwischt wor- den. Bin mal auf die Verhandlung Nach der Scheidung meiner Eltern und die Strafe gespannt. hatte meine Mutter einen Moslem Irgendwie lerne ich aus diesen als Lebenspartner. Ab da waren Strafen nichts. Sobald ich wieder Strafen, die gegen mich gerichtet eine Meldeadresse habe, hole ich waren, meistens ungerechtfertigt mir wieder ein Auto. und von Gewalt geprägt.

18 SG 60/2020 Als ich zu Pflegeeltern und dann Eine richtige Erziehung hatte ich Eine andere, richtig große Strafe, ins Heim kam, hatten Strafen für nicht. Ob ich für irgendwas Ärger habe ich dadurch erlebt, dass ich, mich keine Bedeutung mehr, weil oder Schläge bekommen habe, getrunken und andere Substanzen ich nur noch meine eigenen Regeln hing ganz von der Laune meiner zu mir genommen habe. Das hat Eltern ab. Alles, nur nicht gerecht! mich aus einem doch relativ guten »Die Strafe war notwendig, Aber man kann meinen Eltern Leben in die Tiefe gerissen. Letzt- aber zu gering keine Vorwürfe machen. Sie hatten lich habe ich diese Strafe selbst für meine Straftat.« viele Probleme, besonders mit Al- an mir vorgenommen. Mir selbst kohol. Da waren sie mit mir über- durch meine Sucht ganz viele Wege fordert, denn ich war ein schlechter akzeptiert und gelebt habe. Mensch. Schon im Kindergarten »Habe mich durch meine Ich habe später Dinge begangen, war ich verhaltensauffällig. Habe die eine gerichtliche Strafe zur Folge Spielzeug gestohlen und andere Sucht selbst bestraft, mir hatten. Mir ist bewusst, dass diese Kinder gehauen. Als ich 15 Jahre viele Wege verbaut und Strafe notwendig und richtig war. alst war und mein Vater starb, fing vieles verbockt.« Meiner Meinung nach aber deutlich ich an mich positiv zu verändern. zu gering für meine Straftat. Erst als ich mit 23 Jahren Alkoholi- ker wurde, geriet ich immer wieder verbaut und vieles verbockt. Wie- Sascha in Prügeleien. viel ich daraus gelernt habe wird Eigentlich bin ich gegen Gewalt, sich noch zeigen. aber wenn ich getrunken habe, Ich bin außerdem davon über- Schon für eine Kissenschlacht zwi- findet bei mir eine krasse Wesens- zeugt, dass das Leben einen für schen den Geschwistern im Wohn- veränderung statt. Ich bin dann ein seine Taten bestraft – oder aber be- zimmer gab es Prügel ohne Ende. lohnt. Das soll es ja auch geben. Was für eine Strafe?! »Ob ich für irgendwas Ärger oder Schläge Patric Fritz S. bekommen habe, hing ganz von der Laune Wenn man nach Vielbach kommt, Im Elternhaus immer wieder er- meiner Eltern ab. betritt man die Insel der Konse- lebt: Zähneputzen müssen mit Alles, nur nicht gerecht!« quenzenlosigkeit. Die Klinik hat Seife. Schimmelbrot essen müssen, eine Hausordnung und hier gibt Hausarrest und nicht aus dem Zimmer raus dürfen. Schläge. anderer Mensch und mache Dinge, die ich nüchtern ganz klar nicht »Strafen im Elternhaus: tun würde. Zähneputzen mit Seife und Alexander G. Schimmelbrot essen!«

Immer und immer wieder Angst, Meine Mutter war psychisch krank. Hilflosigkeit, Wut, Schmerz, Unge- Als Kind habe ich durch sie immer rechtigkeit, sich unnütz und fremd wieder drakonische Bestrafungen in der eigenen Familie fühlen. und im krassen Wechsel über- schwängliches Lob bekommen. Ich Chris von der Weiden habe das nicht verstanden und es hat mich total verwirrt. Ich habe das erst viel später verstanden. Meine Strafen, die ich erlebt habe, waren Schläge und Psychoterror. In Uwe C. Kurzfassung: GEWALT. Selbst praktizierte Strafen habe ich nur gegen mich selbst gerichtet. Strafen habe ich, meist in Form von Züchtigung, im Elternhaus Peter Müller erlebt.

SG 60/2020 19 Schwerpunktthema

Wem von den Patienten Klini- kregeln egal sind, der wird es drau- ßen nicht schaffen. Es gibt keinen Arbeitsplatz wo es egal ist, wann man kommt und geht und Pausen macht wie man grade mal Lust hat. es Regeln. Aber die gelten anschei- Hausordnung „schwer tun“) von Mit der Einstellung überstehst du nend nicht für alle. Aber wer sich den Therapeuten zu sehr in Watte nirgendwo die Probezeit. nicht dran hält oder sich geschmei- gepackt. Es kann doch nicht sein, dass Arnd L. »Konsequenzen, Sanktionen einige (und das sind nicht wenige) oder gar Strafen sind in immer wieder gegen Hausordnung und Klinikregeln verstoßen (nicht Meine Strafe für jahrelangen Al- Vielbach ein Fremdwort.« nur wegen regelmäßigem Zu- koholkonsum war der Verlust von spätkommen) und dass das außer Arbeit und Wohnung. dig unmotiviert durch den Thera- mündlichen Appellen oder Ermah- piealltag manövriert, hat hier wenig Anonym zu befürchten. Konsequenzen, »Was lernen die daraus? Sanktionen oder gar Strafen sind hier ein Fremdwort. ›Was soll‘s ... geht doch!‹« Als Kind war ich durch die Dro- Viele von uns haben in ihrem gensucht meines Vaters und den Leben oft Strafe erlebt. Dass die entsprechenden Umständen sozial Therapeuten deshalb möglichst nungen keine Konsequenzen hat. keinen bestrafen wollen ist deshalb Was lernen die daraus? „Was soll’s, »Mein Vater war mir verständlich. geht doch!“ Aber manchmal glaube ich, die Das sorgt bei uns anderen, die gegenüber gewalttätig Klinik meint es mit ihrer Men- sich an die Regeln halten, für und hat mich immer schenfreundlichkeit zu gut mit schlechte Stimmung. Immer wie- angebrüllt.« uns. Nur weil es das Leben mit der höre ich so Sprüche wie „Der vielen von uns in der Vergangen- Pünktliche ist hier der Dumme.“ heit nicht gut gemeint hat, werden oder „Wen kümmert’s, ob ich bei ausgegrenzt. Und gemobbt wurde manche Patienten (die sich mit der ich auch. Mein Vater war mir ge- »Wenn so viele unter einem genüber mindestens jeden zweiten Dach leben, braucht es Tag gewalttätig und hat mich im- mer angebrüllt. schon mal Regeln. Und Mir wurde viel Sinnloses einge- jemanden, der darauf redet. Ich weiß zwar, dass das nicht achtet, dass sie eingehalten stimmte, aber ich denke immer noch, dass ich nichts wert bin. werden!« Mario F. den Mahlzeiten bin oder nicht?“ Wenn so viele unter einem Dach leben, braucht es schon mal Re- geln. Und jemanden der darauf achtet, dass sie eingehalten werden! Dafür braucht man doch keine Po- lizei. Aber das muss von den Thera- peuten kommen. Auch wenn die so eine Rolle anscheinend nicht gerne übernehmen wollen. Wer Sozialar- beit, Therapie und dergleichen stu- diert hat, will immer zu den Guten gehören, will keinen einschränken oder gar sanktionieren. Da macht man sich’s aber etwas zu einfach.

20 SG 60/2020 Kooperationstagung von Fachkrankenhaus Vielbach und Sucht-Selbsthilfe Regionale Sucht-Selbsthilfegruppen unterstützen die Vielbacher Patienten

Reger Austausch zwischen den Teilnehmenden In der regionalen Presse war dazu zu lesen: der Vielbacher Selbsthilfe-Tagung Was Suchtkranke nach dem Abschied vom Alkohol erfahren Selbsthilfegruppen tauschen sich in Vielbacher Fachklinik aus

Vielbach. „Abschied vom Alko- Begrüßung. „Unseren Therapeu- sie selbst oder ihre Gruppenmit- hol – und dann wird alles gut?“ ten ist der jährliche Austausch mit glieder gemacht haben. Steffen lautete das Motto der diesjäh- den Ehrenamtlichen besonders Fachinger vom Kreuzbund be- rigen Kooperationstagung von wichtig.“ richtete von seinen regelmäßigen Fachkrankenhaus Vielbach und Horst Kurzer, Ärztlicher Leiter Gesprächen mit derzeitigen Kli- Sucht-Selbsthilfe. Der regelmäßige der Klinik, berichtete darüber, wie nikpatienten. Deren schmerzhaf- Besuch der regionalen Selbsthilfe- Patienten immer wieder in große tes Erkennen von Altlasten und gruppen in der Suchtklinik ist ein emotionale Krisen geraten, wenn Trümmern ihrer Sucht geprägten wichtiger Teil der Behandlung der das gewohnte soziale Gleitmittel Lebens sei immer wieder Thema. dortigen Rehabilitanden. Alkohol abgesetzt wird. Wieder Christel aus sprach Der Einladung nach Vielbach mit den eigenen Gefühlen gut von ihrer „Zeit des Erwachens“ waren zahlreiche Gäste gefolgt. umgehen zu können, müsse erst nach ihrer Abstinenzentscheidung. Diese engagieren sich bei den neu gelernt werden. Hinzu kom- Erst da habe sie geahnt, wie oft Anonymen Alkoholikern in Mon- me, die durch die Sucht verur- sie das durch Alkohol vermittelte, tabaur, dem Freundeskreis „Steps“ sachten Schäden im Sozialbereich wohlige Gefühl sozialer Verbun- in Selters, der Kreuzbundgruppe schmerzhaft zu realisieren. Viele denheit in der Vergangenheit wohl Limburg, dem Freundeskreis Wes- Beziehungen seien zerbrochen getrogen habe. terwald sowie der Gruppe Rhei- oder nachhaltig beschädigt. Sucht- Joachim J. Jösch verabschiedete nischer Westerwald. „Sie zeigen kranke stünden vor der Aufgabe, die Gäste zum Abschluss mit gro- unseren Rehabilitanden immer das Vertrauen selbst der eigenen ßem Dank für einen spannenden wieder aufs Neue, wie ein gutes Familie erst langsam wieder zu- fachlichen Austausch und einer Leben gelingt, befreit von den rückgewinnen zu müssen. Einladung für die nächste gemein- Fesseln der Sucht.“, betonte Kli- Die Selbsthilfe-Suchtexperten same Tagung 2020. nikleiter Joachim Jösch in seiner erzählten über Erfahrungen, die

SG 60/2020 21 Neues aus der Anstalt Kurznachrichten aus Vielbach

Origami – Falten mit Akribie Freizeitspaß Kickern und Geduld

In einer Ko-Produktion zwischen Schreinerei und Kreativtherapie Origami ist die Kunst des entstand der neue Klinik-Tischkicker für die Cafeteria. Das Ergebnis Papierfaltens. „Ausgehend kann sich sehen lassen! Die an dem Kicker-Projekt beteiligten Hand- von einem zumeist quadrati- werker und Künstler haben absolut professionell gearbeitet. Sie zeigen schen Blatt Papier entstehen uns, was wir hinkriegen können – wenn wir trocken und clean blei- durch Falten zwei- oder drei- ben. Herzlichen Dank dafür, Jungs! dimensionale Objekte wie In der Freizeit ist nun täglich Indoor-Action für Profi- und Hobby- z.B. Tiere, Papierflieger, Ge- spieler - und Fans angesagt. genstände und geometrische Körper.“ Sagt Wikipedia. Unser Vielbacher Origami- Held heißt Jacek Pamfil. Mit unendlicher Geduld und Hingabe faltet er in jeder freien Minute. Für den „Wer kämpft ...“ Schriftzug hat er 20.000 kleine Papierelemen- te gefaltet!!!

22 SG 60/2020 Hundespielplatz

Direkt neben der Klinik haben wir einen Hundespielplatzange- legt. Hier können die Hunde der Patienten, die ihren Hund mit in die Therapie gebracht haben, nach Lust und Laune spielen und toben. Ein beliebter Treffpunkt für alle Hunde und ihre Herrchen.

SG 60/2020 23 Ganz schön speziell, dieses

Ich heiße Gerhard, bin 57 Jahre alt und seit fünf Jahren ohne Arbeit. Hätte mir mein Vater nicht eine kleine Eigentumswohnung in der Nähe von Bergisch Gladbach vererbt, wäre ich inzwischen wahrscheinlich schon wohnungslos. Ach ja, in Vielbach bin ich, weil ich zu viel getrunken habe. Deshalb habe ich auch die Diagnose „Alkoholismus“.

or Vielbach habe ich zu müssen. Dafür musste ich ihm Anwendungen zu gehen gehabt schon zwei Mal Anlauf aber genau erklären, weshalb mei- hätte, hätte ich mich, unterstützt genommen, um in einer ne ersten beiden Therapieversuche von Unterhaltungsangeboten am VSuchtklinik von meiner Alkohol- gescheitert sind. Kurort und dem Fernseher auf sucht wegzukommen. Ich würde Für mich waren die Entschei- meinem Hotelzimmer, arrangieren nicht sagen, dass ich nicht genug dungen, diese Therapien abzubre- können. motiviert gewesen wäre. Trotzdem chen, beide Male richtig, trotzdem In der Therapie geht es aber habe ich jedes Mal die Therapie fiel es mir nicht so leicht darüber viel darum, dass ich über mich vorzeitig abgebrochen. zu reden. In beiden Fällen waren spreche, in Einzel- und in Grup- Es hat meinen Suchtberater mir die Kliniken zu groß und zu pengesprächen. Mit Therapeuten ziemlich Arbeit gekostet, mir anonym. Ich bin eher ein ver- und Mitpatienten, mit denen ich noch einmal zu einer Therapie zu schlossener Typ, der in einer neu- erst einmal warm werden muss. verhelfen. Er hat mich nur unter- en Umgebung nicht so gut für sich Das habe ich nicht hinbekom- stützt, weil er gesehen hat, dass es sorgen kann. Wenn es dort wie bei men. Bei den Therapeuten hatte mir ernst ist mit meinem Wunsch einem Kurhotelaufenthalt gewe- ich das Gefühl, dass die einen nur in Therapie zu kommen und dann sen wäre, wo ich zu festen Zeiten durchschleusen, getrieben von irgendwann nicht mehr trinken zu den vom Kurarzt verordneten einem System, in dem es immer

24 SG 60/2020 auch um Zeit-Effizienz geht. Mit den Mitpatienten, zumindest den allermeisten, hat es auch nicht geklappt. Ich hatte fast immer den Eindruck außen vor zu sein, was aber sicher auch viel an mir lag. Wer in einer Therapieklinik nicht mitmacht, ist schnell drau- ßen. Nach meinem Entschluss zu gehen, habe ich mich jeweils bei dem für mich zuständigen Be- zugstherapeuten abgemeldet und ihm gesagt, dass es mir leid tut, dass ich mit dem System nicht klarkomme. Dass ich jetzt in Vielbach bin, habe ich viel meinem Suchtbera- Beim ersten Rundgang über das Klinikgelände zeigte mir der Gruppensprecher ter zu verdanken. Weil er einen auch die Cafetria, daneben die Sporthalle ... guten Antrag gestellt hat und weil er sich die Zeit genommen hat, zusammen mit mir zu überlegen, was die für mich geeignete Klinik sein kann. Auf seiner Liste stand schließlich: eher kleine Klinik mit familiärer Atmosphäre, in der vielleicht auch Tiere gehalten werden, in freier Natur mit vielen Wanderwegen, weil ich früher gerne gewandert bin. Er hat dann im Internet nach entsprechenden Suchtkliniken gesucht und hat mir drei Vorschläge vorgelegt. Das, was ich über Vielbach ge- sehen und gelesen habe, hat mir gleich gefallen. Auch die Bewer- tungen von ehemaligen Patienten ... und die Bogenschießanlage. bei „Google“ und „klinikbewer- tungen.de“ waren richtig gut. Ich hatte gleich den Eindruck, damit fahren muss, aber der Fahrdienst niemand Angst haben, dass er et- die richtige Wahl zu treffen. hatte auf mich gewartet. Der Fah- was von seinem Schnitzel abgeben Ich bin jetzt seit zehn Wochen rer war ein freundlicher Mann mit muss. Das trug zur allgemeinen hier. Jetzt wollt ihr sicher willen, Haarzopf. „Ob er wohl von India- Beruhigung bei. Beim Essen wur- ob meine positiven Erwartungen nern abstammt?“, dachte ich mir. de ich gefragt, woher ich komme eingetroffen sind. Meine Antwort: Als wir in der Klinik ankamen, und ob ich das erste Mal in Viel- Vielbach ist beeindruckend spe- herrschte ein hektisches Gewusel bach wäre. ziell. Aber sobald man sich damit im historischen Speisesaal des Nach dem Essen ging es in den arrangiert hat, möchte man es Hauses: ich war pünktlich zum Hof. Ich bekam eine Zigarette nicht mehr missen. Beginn des Mittagessens ange- angeboten. Dann outete sich einer Es begann mit der Ankunft am kommen. Herr Kaulmann, der als Gruppensprecher und forderte ICE-Bahnhof . Der Indianer, meinte ich solle erst mich auf mit ihm zu kommen. Zug hatte 30 Minuten Verspä- einmal was essen und zerrte mich Er wolle mir die Klinik und mein tung, wie man das bei der Bahn an den Tisch der Therapiegruppe, Zimmer zeigen. Dann folgte eine so kennt. Der Klinik-Fahrdienst der ich zugeordnet werden sollte. Rallye über die Schreinerei, die sollte mich abholen. Ich hatte Ich sagte brav „Hallo!“ und setzte Kreativtherapie, die Schlosserei, schon die Befürchtung, dass ich mich an den zugewiesenen Platz. die Patienten-Cafeteria, die Sport- mit einem Taxi nach Vielbach Da es Chili con carne gab, musste halle, die Mucki-Bude, die Bogen-

SG 60/2020 25 schießanlage, die Tiergehege und vieles mehr. Das war viel zu viel für den Anfang, aber ich bedankte mich brav. Er war auch wirklich sehr nett zu mir. Noch eine Zigarette im Hof. Dann kam eine junge, hübsche Frau auf mich zu und stellte sich als meine Gruppentherapeutin vor. Wir sprachen 10 Minuten miteinander, dann brachte sie mich in die Medizinische Abtei- lung. Dort warteten zwei Kran- kenschwestern auf mich und be- grüßten mich freundlich. Eine von ihnen schaute sich dann meinen Auch die Tiere lassen hier viel Nähe zu. Arztbrief an, den ich im Kranken- haus bekommen hatte. Danach stellte sie mir noch ver- schiedene medizinische Fragen. Zum Glück brauche ich keine Medikamente. Aus dem Nachbar­ zimmer kam ein Mann dazu. Er hatte anscheinend Hunger, weil er die Schwestern nach Essbarem fragte. Dann schaute er mich an und fragte mich nach meinem Na- men und woher ich komme. Auf meine Antwort „Bergisch Glad- bach“ erwiderte er: „Da sind Sie aber nicht geboren!?“ Schließlich stellt sich heraus, dass er, wie ich, in Leipzig geboren ist. Er setzte sich dann zu mir und nahm sich die Zeit mit mir zu plaudern. Ein Herr Kurzer, der Chefarzt, hat das Herz am richtigen Fleck. sehr angenehmer Mensch, der sehr herzlich lachen kann. Am Ende des Gesprächs stellte sich heraus, dass er Kurzer heißt und der Chef- arzt von Vielbach ist. Habe inzwischen festgestellt, dass mein Beitrag viel zu lang wird. Ich kürze jetzt mal etwas ab. Ich habe eine tolle Gruppenthe- rapeutin, Frau Schüller, bekom- men. Sie macht ihren Job mit vol- lem Einsatz, mit Leib und Seele. Bei ihr habe ich den Eindruck, dass sie mich mag, ich meine jetzt als Patient. Bei ihr bin ich nicht so etwas wie Patient Nr.11. Auch die Gruppe hat’s mir leicht gemacht. Gerade die Therapiean- gebote außerhalb der Gesprächs- Für eine Trecker-Rundfahrt mit Frau Klein nehmen wir auch mal auf dem therapie sorgen dafür, dass wir Beifahrersitzen Platz. Patienten viel zusammen machen,

26 SG 60/2020 d. h. mit Sachen beschäftigt sind, die nur dann funktionieren oder erfolgreich sind, wenn wir sie ge- meinsam machen. Auch die vielen Tiere, die in Vielbach gehalten werden, fördern die Gemeinschaft. Entweder man ist direkt in der Tierbetreuung oder man unterstützt den Natur- Bereich Tiere, Garten, Wald mit benötigten Arbeiten. Dabei spie- len die Werkstätten eine wichtige Rolle. Für die Instandhaltung der Ställe, der Gehege, der Wege, der Traktoren und Anhänger usw. braucht es passende Maschinen und Werkzeug und Patienten, Windwurf oder die Borkenkäfer sorgen immer wieder mal für Arbeitseinsätze im die das alles qualifiziert bedienen Wald. können. Hier hat man als Patient jeden Tag das Gefühl einen wertvollen Beitrag zum Funktionieren dieses „Bio-Hofs“ zu leisten. Das fühlt sich gut an. Tut auch gut und sorgt dafür, dass man den Ein- druck hat, in der Klinik herrscht immer ein zufriedenes Grundge- fühl. Ich glaube, das macht den Er- folg und den Unterschied von Vielbach zu anderen Kliniken aus. Das was hier in Vielbach läuft, ist schon sehr speziell. Es wirkt oft wuselig bis chaotisch, dirigiert von Improvisationstalenten und Troubleshootern. Ein bisschen wie Gruppentherapie mit Frau Schüller: intensiv, aber gut! beim Fußball. Da gewinnt man nur, wenn man als Mannschaft und mit Herz und Leidenschaft spielt. Fouls habe ich hier noch nicht erlebt (Fehlpässe schon). Ich glaube, Herz, Verstand und Leidenschaft, das ist das was diese Therapie-„Mannschaft“ ausmacht. Es ist gut, dass ich noch einmal eine Therapiechance bekommen habe. Für das was ich hier erlebe und von hier mitnehmen kann, bin ich jetzt schon sehr dankbar.

Gerhard

(Meinen Namen kann ich hier ruhig ausschreiben, weil die Sucht- Glocke ja erst nach meiner Abreise Die Klinik-Werkstätten sind mit allen Maschinen und Werkzeugen ausgestattet, erscheint.) die wir für fachgerechtes Arbeiten draußen und drinnen benötigt.

SG 60/2020 27 Zur Adaption nach Vielbach gekommen

und Traum-Ausbildungsplatz ergattert

eine Tage hier in Viel- gewöhnt wird, Verantwortung zu ne Lust hat, morgens aufzustehen. bach neigen sich lang- übernehmen. Dieser Aspekt gerät Tieren bedeutet es nichts, dass man sam dem Ende zu und früher oder später wohl bei jedem am Wochenende lieber ausschlafen Mso wird es Zeit, Bilanz zu ziehen. im Konsum in den Hintergrund. würde. Sie sind auf den Menschen Nach sechs Monaten Kerntherapie Den Tieren ist es egal, ob man kei- angewiesen und müssen eben 365 in Richelsdorf kam ich in die Ad- aption nach Vielbach, weil mein im Westerwald lebender Vater mir eine Praktikumsstelle in der Nähe aufgetan hatte und das Adaptions- haus Vielbach so die logische Kon- sequenz war. Weil die eigentliche Therapie schon an anderer Stelle abge- schlossen wurde, kann ich über das Konzept in Vielbach leider nicht besonders viel sagen. Jedoch übernahm ich für die kurze Zeit zwischen Aufnahme und Beginn des Praktikums die Arbeit im Pferdestall, welche mir auch sehr gut gefiel. Sehr naheliegend, wenn man bedenkt, dass mein Praktikum in einer Tierarztpraxis stattfinden sollte, das Arbeiten mit Tieren also sowieso das Ziel war. Ich halte die tiergestützte The- rapie von Vielbach für äußerst sinnvoll, da man so wieder daran

28 SG 60/2020 Tage im Jahr versorgt werden. Eine Belegschaft sich einstimmig dafür Nach über neun Monaten als fordernde Aufgabe, die einen aber aussprach, mich als Auszubilden- Rehabilitand ist es in einer Woche auch belohnt. den für den kommenden August endlich Zeit, wieder in die normale Das Praktikum selber lief sehr aufzunehmen. Meine Freude war Welt zurückzukehren. Das bringt gut an, auch wenn ich mir anfangs natürlich riesig! Wie viele Nächte gemischte Gefühle mit sich; natür- Gedanken darüber machte, wie hatte meine Zukunftsangst schon lich herrscht Vorfreude, doch auch man wegen meines Hintergrunds auf dem Gewissen, wie oft fragte Zweifel schießen einem durchs über mich denken würde. Zu ich mich, was für jemanden, der Gehirn. Zunächst wird es auf jeden meiner Erleichterung stieß ich mit 23 schon so viel falsch gemacht Fall wichtig sein, mir wieder ein aber an keiner Stelle auf Vorurteile hat in diesem Leben noch offen soziales Umfeld aufzubauen. An Suchtkranken gegenüber. Natürlich stehen sollte außer Aushilfsjobs der Stelle hilft mir der Sport sehr wurde hier und da nachgefragt, was und Sozialunterkünfte. Und jetzt stark, ich habe hier in Montabaur mich in die Klinik gebracht hatte hatte ich nach so langer Zeit auf American Football nach vier Jahren und was dort das Programm war, einmal eine richtige Perspektive Pause wieder aufgenommen und aber zu keinem Zeitpunkt hatte ich und etwas, worauf ich stolz sein was eignet sich mehr zum Kontakte das Gefühl, aufgrund dessen verur- konnte. knüpfen als Teamsport? Außerdem teilt zu werden. Der Umgang mit Über 20 Konkurrenten im Ren- werde ich ab August nach ebenfalls Betäubungsmitteln in der Praxis nen um die Ausbildungsstelle und vier Jahren wieder zur Schule gehen war für mich, zumindest im Vor- ausgerechnet mich wählte man aus. und dort lernt man auch unweiger- feld, dennoch etwas problematisch. Wobei fairerweise dazu erwähnt lich eine Menge Menschen kennen. Nicht wegen der Rückfallgefahr, sein soll, dass meine lange Prakti- Alles in allem möchte ich mich sondern vielmehr weil ich befürch- kumsdauer mir sehr in die Karten zum Abschluss herzlich bedanken, tete, die Mitarbeiter (und natürlich spielte. Hätte ich nur ein oder zwei bei Herrn Jösch, Herrn Becker, der Chef) hätten permanent ein Wochen gehabt (wie sonst üblich) Herrn Kurzer, den Damen von der Auge auf mich, damit ja keine Am- oder mich gar beworben ohne per- Medizinischen Abteilung und all pulle verschwinden würde. Auch sönlich vorstellig zu werden, wäre denjenigen, die mir hier in Viel- hier herrscht mittlerweile Erleich- ich wohl nicht mal in Betracht bach halfen gut zurecht zu kom- terung, denn mir wurde uneinge- gezogen worden. Im Nachhinein men. schränktes Vertrauen diesbezüglich aber wohl müßige Gedankengänge. entgegengebracht. Nichtsdestotrotz habe ich es der B. Cordemann Das Praktikum dauerte zwei Klinik zu verdanken, dass ich jetzt Monate an und lief so gut, dass die so weit gekommen bin.

SG 60/2020 29 Frisch gebackene Waffel kommen immer gut an.

Auch Frau Becker-Peuser, Frau Spiekermann, und Frau Schmidt-Langenberg freuen sich, viele bekannte Gesichter zu wiederzusehen. Foto-Impressionen vom Sommerfest 2019

Am Grill geht keiner mit leerem Teller vorbei.

Cool und gut gelaunt: Klinikleiter Jösch und Herr Becker, unser Therapeutischer Leiter. Torwandschießen. Männerklinik und Fußball gehören halt zusammen. 30 SG 60/2020 Alle warten auf den Startschuss für das Grill-Büffet. Der Patientensprecher eröffnet den Tag mit seiner Begrüßung.

Arbeitstherapeut Thomas Volk prüft die Temperatur unseres mobilen Backofens.

Alle Jahre wieder - das Mitarbeiterfoto mit Hund.

Mal wieder Glück gehabt: die Sonne schien den ganzen Tag für uns.

Obligatorisch spielten nachmittags die Therapeuten gegen uns.

SG 60/2020 31 Handy – Fluch oder Segen?

Die Klinikleitung hat sich entschlossen sich des Themas Handy/Smartphone anzunehmen. Anscheinend unterstellt man uns Handy-Missbrauch in der Therapie. Und das darf es in einer Suchtklinik natürlich nicht geben. Einfach verbieten geht nicht, dass hat die Leitung schon erkannt. Also bekommen wir Patienten den Auftrag uns dazu zu äußern. Da ist auch einiges an Gedanken und Meinungen zusammengekommen. Auszüge könnt ihr hier lesen. Eure SG-Redaktion

Man verplempert unendlich viel Vertrag. Denn in der Freizeit ohne Man kann immer Musik hören freie Zeit mit Handy-Spielen. Frü- zu sein geht garnicht. und lustige Videos schauen. Da her hat man sich viel mehr unter- wird es einem nicht langweilig. halten. Gerold Meister Stefan Tony V. Mir ist wichtig, dass die Handys während der Therapie aus bleiben. Mir gibt mein Smartphone hier die Wenn einer neu in die Klinik In der Arbeitstherapie ist das oft Möglichkeit weltweites Internet kommt und kein Handy hat, nicht so. Da müsste die Klinik nutzen zu können. Ich bin sehr gibt es dafür eigentlich nur zwei drauf reagieren. Auch im Speisesaal sportinteressiert. Jetzt kann ich je- Gründe: entweder er hat es im Suff hat jeder zweite, solange das Essen derzeit alle Sportereignisse und -er- verloren oder geklaut bekommen. noch nicht begonnen hat, das Han- gebnisse mitbekommen. Außerdem Für die ersten Tage in der Therapie dy in der Hand. kann ich meine Bankgeschäfte vom ist deshalb die wichtigste Aufgabe Smartphone aus erledigen. Das ist ein neues Handy zu kaufen oder Peter M. schon klasse! zu bestellen, eigentlich immer mit Tom Weidinger

32 SG 60/2020 Man wird durch das Klingeln lau- fend gestört. Der Anrufer erwartet, dass ich alles unterbreche, nur weil ihm gerade danach ist bei mir an- zurufen. Das ist krank!

Roman

Ich habe schon mehr als einmal mitbekommen, dass jemand we- gen seinem Handy die Therapie abgebrochen hat. Die Kosten für den kleinen Wunderkasten und die Bestellungen, zu denen es verführt haben diese Patienten in eine Kos- tenfalle geführt, aus der sie nicht mehr herausgefunden haben.

Randolf R. so schön, dass man ein Telefon zu Alle hier in Vielbach sind sucht- Hause hatte. Dass man auch an- Das Handy bzw. Smartphone hat krank. Mir scheint es so, dass nicht gerufen werden konnte und nicht vieles erleichtert. Wo man früher wenige ihre Alkohol- oder Drogen- mehr zur Telefonzelle laufen muss- noch das passende Kleingeld für abstinenz mit einer Handy(spiele) te. Aber die Freude währte nicht die Telefonzelle brauchte, ist man abhängigkeit getauscht haben. Ich lange, weil man es für jeden Scheiß heute immer und fast überall er- meine, hier müsste von Klinikseite genutzt hat. Es wurde zu teuer, also reichbar oder kann jederzeit anru- aus viel stärker reagiert werden. wieder zur Telefonzelle. Die Kom- fen. Zusammen mit Facebook u. ä. ver- munikation und die Zuverlässigkeit Allerdings finde ich, dass das kümmern bei vielen Patienten die von den Leuten war damals halt Handy heutzutage auch eine Men- realen Kontakte. besser. ge Gefahren mit sich bringt. Da Wir waren viel draußen an der man heute mit dem Handy ins L. U. frischen Luft. Haben viel Sport Internet gehen kann und unter- gemacht oder Spaziergänge mit den wegs schnell mal Bilder, Videos, Eltern. Man hatte einfach sehr viel Nachrichten usw. verschicken, Ich muss vorweg sagen, dass ich zusammen mit der Familie unter- downloaden oder teilen kann, ist in Baujahr 1973 bin und ohne Handy nommen, was heute nicht mehr einer gewissen Hinsicht recht prak- aufwuchs. Bei uns gab es Telefon- der Fall ist. Du kriegst die Kinder tisch. Aber dadurch verbreiten sich zellen und das war´s. Ich muss ja nicht mehr aus der Wohnung, auch schnell Dinge, die für manche auch sagen, dass damals Kommuni- weil sie ohne Handy nicht mehr Menschen entweder nicht geeignet kation sehr wichtig war. Da ist im leben können. Die Kinder bzw. Ju- oder sogar gefährdend sind. Außer- Vorfeld schon ausgemacht worden, gendlichen werden auch immer fet- dem, so denke ich, geht der soziale wann und wo man sich trifft. Und ter, weil keiner mehr Sport macht. Kontakt zu anderen Menschen es hat immer funktioniert. Es war Die sitzen nur zuhause vorm immer mehr verloren. Wo man Verlass auf die Leute. Es gab ein- Handy und fressen Chips und so. hinschaut, schauen die Leute auf fach keine andere Möglichkeit. Als Unsere Jugend von heute, die sind ihr Handy. Sei es im Bus, auf der Kind, so von 6-10, hatten wir nicht süchtig nach dem Handy. Gut, ich Straße oder sonst wo. Persönliche mal ein Haustelefon. Es war ein- selber muss aber auch sagen, ich Gespräche werden mittlerweile fach zu teuer. Der Nachbar hatte finde es gut, dass sich das Handy von Whatsapp und Co abgelöst. eins und da gingen 20 Leute zum von Nokia 3210 so entwickelt hat, Ich persönlich benutze das Handy Telefonieren hin, aber auch nur so wie es jetzt auf dem Stand ist, weil noch zum Telefonieren und fürs Notfälle, Arzt oder so Sachen. man gar nicht anders mehr kann. Internet, versuche aber nicht allzu Ich weiß noch, wie wir das erste Man muss sich der Gesellschaft viel Zeit damit zu verbringen. Haustelefon bekommen haben, da anpassen und das ist halt mal so, war ich so 12 Jahre. Das erste mit da wir nicht mehr in den 80er oder D.S. Drehscheibe und es war einfach 90er Jahren sind.

SG 60/2020 33 Handy – Fluch oder Segen?

Als ich das erste Mal App gehört habe, wusste ich gar nichts damit Beruflich gesehen fand ich mein anzufangen. Heute gibt es für jeden Handy immer sehr belastend. Ich Dreck eine App. Ich denke, in na- war immer erreichbar, das war echt her Zukunft wird man den gesam- ätzend. ten Haushalt mit dem Smartphone Weil ich viel auf Montage unter- bedienen können. TV und diverse wegs war, bot mir mein Handy die andere Sachen kann man heute Möglichkeit, zumindest Bilder und schon steuern. Videos von meinen Kindern zu se- Es gab mal im TV ein Experi- hen. Ich hätte sonst viel verpasst. ment, wo man Schülern das Handy auf freiwilliger Basis weggenommen Sascha Wiesner hat. Nach 3 Tagen hat der letzte Schüler aufgegeben, was ich traurig finde. In meiner Ex-Beziehung hat mei- Aber ich muss zugeben, dass ich ne Partnerin mehr Zeit mit ihrem selber auch nicht auf das Smart- Smartphone verbracht als mit mir. phone verzichten könnte. Ich höre Deshalb haben wir uns oft gestrit- Musik, frage Nachrichten ab und Ich hatte eine schöne Kindheit ten. einiges mehr halt. und Jugendzeit ohne Handy. Ich muss aber auch sagen, ich möchte Dominik Klaus Sven Girschick das Handy nicht mehr missen, weil es einfach zum Alltag dazugehört – genauso wie das Auto. Es ist alles Wenn’s mir nach ginge, würden Mein Chef hat mich immer wieder einfacher wenn man ein Handy die Handys ab dem Frühstück bis aus dem Urlaub oder dem Frei ge- hat. Google macht sowieso alles 16.30 Uhr auf den Patientenzim- holt, wenn ihm Leute ausgefallen möglich. Es ist egal was man sucht. mern bleiben! Nur unterbrochen waren. Über mein Handy hat er In Sekunden weiß man wo das ist von der Mittagspause. mich immer gekriegt. Keine Privat- oder wer die Nummer hat. Auch sphäre. Whatsapp finde ich selber sehr gut, Darius weil man sich einfach schnell eine Januscz Nachricht schreiben kann. Früher hätte man dafür einen Brief schi- Also ich kann mich noch an mein cken müssen und der hat noch 2-3 erstes Handy erinnern. Es war ein Wer sein Handy viel für Pornos Tage gebraucht. Da ist es mit der Alcatel one touch easy Handy. und onanieren benutzt, der wird heutigen Technik schon sehr gut, Man konnte telefonieren und SMS nie eine Freundin finden, obwohl was das Handy betrifft. Wir sind schreiben. Ich war begeistert. Das alle sagen, dass sie gerne eine hät- im Jahr 2019 und es wird noch viel ist nun fast 20 Jahre her. In der ten. passieren, was die Technik betrifft. heutigen Zeit ist das Handy, heute Schade ist es einfach für die Kinder genannt Smartphone, in unserem T. B. und die Jugendlichen in der heu- Alltag nicht mehr wegzudenken. tigen Zeit. Ich habe es selber gese- Das Smartphone bestimmt unser hen. Meine Ex-Frau hat 2 Mädchen Leben in weiten Teilen. Genauso Ich könnte nicht mehr ohne sein! in unsere Beziehung mitgebracht. leistungsfähig wie ein Computer, Mit 13 und 14 Jahren war es die im übertriebenen Sinne. Aber ich Georg größte Bestrafung, wenn man den denke, in ein paar Jahren kann das beiden das Handy weggenommen Smartphone den heutigen Compu- Ich hab vor 15 Jahren schon ein- hat. Das Handy ist nicht mehr ter ersetzen. mal eine Therapie gemacht. Da hat wegzudenken und in 30 oder 40 Das Smartphone beeinträchtigt man sich noch Briefe oder Karten Jahren gibt es fliegende Autos. Aber die Kommunikation des Menschen. geschrieben. Wenn heute mittags das werde ich nicht mehr erleben. Die Menschen schreiben sich lieber die Patientenpost ausgeteilt wird, Gott sei Dank! Nachrichten übers Smartphone, als sind das fast ausschließlich Briefe persönlich miteinander zu kom- von Behörden oder Stellen, die Siegfried Gottinger munizieren. Es ist halt leichter und was mit unserer Therapie oder der schneller, was ich sehr schade finde. Nachsorge zu tun haben. Privates

34 SG 60/2020 Handy – Fluch oder Segen? wird per Telefonat oder WhatsApp Es hilft mir auch mehr soziale Kon- mitgeteilt. takte zu knüpfen, Kontakt mit der Ich weiß auch nicht, wann ich Familie und Freunden zu halten. das letzte Mal einen richtigen, Das find ich gut. handgeschriebenen Brief bekom- men habe. Das war immer mit P. Müller Freude beim Bekommen und beim Aufmachen verbunden. Aber ich muss zugeben auch schon lange Cannabis wird allgemein als Ein- niemandem mehr geschrieben zu stiegsdroge bezeichnet. Die über- haben. Tja, dann kann ich wohl wältigende Mehrzahl an Konsu- lange warten! menten hat vorher allerdings schon Erfahrungen mit Alkohol und/oder Dirk E. Nikotin gemacht. Bereits vor dem ersten Substanzgebrauch waren bei mir aber schon die ersten Weichen Richtung Sucht gestellt worden: Die Therapeuten meckern oft mit durch das Handy. Zwar versuche uns, weil sie uns viel mit den Han- ich (und das auch recht erfolgreich) dys sehen. Sie müssen aber unter- meinen Konsum zurück zu schrau- Darüber, wie Smartphones – die scheiden lernen wofür die Handys ben, doch gab es Zeiten, zu denen doch eigentlich so viel Potential genutzt werden. Ich denke, wenn ich Stunden um Stunden jeden hätten unsere Gesellschaft zu ver- mit Familie oder Freunden telefo- Tag an dem Gerät verbrachte. Und bessern – und Social Media das Zu- niert wird ist das doch gut. Nicht wenn man sich umschaut, bin ich sammenleben und den Menschen so gut ist es, wenn nur die Zeit mit da natürlich kein Einzelfall, bei generell in eine - meiner Meinung Handyspielen verdaddelt wird. Ich weitem nicht: -nach immer schlechtere Richtung weiß aber nicht, ob man das regeln Man schaue sich um, ob in S- leiten, könnte ich mich noch sei- kann. Bahn oder Bus, Cafés oder Parks, tenweise auslassen, aber das soll überall kleben die Menschen an jetzt erst mal reichen. Mehmet Y. ihren Smartphones. Apps, die so konzipiert sind, dass sie den Nut- Benjamin C. zer so lange wie möglich bei der Diese ständige Erreichbarkeit, dies Stange halten und wie in einer ständige Bedürfnis nach Aufmerk- ewigen Schleife immer und immer Mit dem Handy ist es wie mit al- samkeit, Bewunderung, Neid von weiter nach unten scrollen lassen, lem, was süchtig machen kann: Die Freunden, mir null bekannten sind im Grunde nichts als sinnlose Dosis macht das Gift! Menschen (z. B. über Facebook, Zeitkiller. Social Media Plattformen Instagram, Influencer etc.), der (die zwar nicht Handy-exklusiv Guido M. ständige Wunsch „auf dem Laufen- sind, die aber durch permanente den“ zu sein, macht die Menschheit Verfügbarkeit bei vielen Nutzern wahnsinnig. unweigerlich sehr stark damit Ich persönlich komme ja noch aus Wir sind alle auf der Suche nach verknüpft sind) fördern nicht nur einer Zeit, wo es keine Handys Geborgenheit, ehrlicher Liebe, dem Suchtverhalten, sie ändern unser gab, also in der Kindheit bis ins Gefühl irgendwo dazu zu gehören Selbst-und Weltbild auf ungesun- Alter eines Jugendlichen. Und offen und „anzukommen“. Stattdessen de Weise. Es geht nur noch um gestanden fand ich das eigentlich entfernen und dissozialisieren wir Likes, die wir auf unseren letzten auch echt besser. Ich meine, man uns immer mehr „dank“ des Han- Post bekommen. Wir kriegen keine hat sich verabredet und die Leute dys voneinander. Arme Mensch- virtuelle Anerkennung für unsere waren auch da. Man konnte nicht heit!!! Ich finde das zum Kotzen! Bilder, während andere Tausende mal eben 5 min. vorher absagen. oder teilweise Millionen an „gefällt Außerdem war alles insgesamt sehr A. Walter mir“ sammeln? Das muss doch ei- viel persönlicher. Man hatte noch nen Grund haben. Irgendetwas an richtige Gespräche – Auge in Auge diesen Personen muss besser sein als – nicht alles digital. Wenn man das Ich kann mit meinem Handy E- an uns. Wir können nicht so viel mit heute vergleicht, ist das meiner Mails versenden und brauch mir wert sein wie solche Internet-Stars. Meinung nach echt traurig. nicht erst einen Computer suchen. Oder etwa doch?

SG 60/2020 35 Handy – Fluch oder Segen?

Zudem kommt, was Smartpho- muss, dass man in der heutigen nes angeht, auch noch jede Menge Welt mit ganz wenigen Ausnahmen anderer unerfreulicher Dinge oder ohne Handy gar nicht mehr klar Das Handy kostet ziemlich viel Zustände zustande, z. B. kommen kann. Man kann, ohne Geld. Die Kosten für Vertrag und - die Möglichkeit zur nahezu to- paranoid zu sein oder zu übertrei- so und die Kosten, zu denen das talen Überwachung, ben, davon sprechen, dass einem Handy und das Internet einen ver- - Internetkriminalität (Phishing, die Gesellschaft in eine erzwungene führt. etc.), Überwachung treibt. Also raus aus Handys werden auch oft für ille- - die Erstellung kompletter Be- der medialen und digitalen Apoka- gale Geschäfte (z. B. Drogen) oder wegungsprofile über GPS, lypse – rein oder besser zurück ins Absprachen genutzt. Deals können - die Speicherung von Gesprä- echte Leben!! schnell und ganz leicht vereinbart chen und Bildmaterial ohne einge- Das ist mein Appell. werden. holte Zustimmung. Um das Ganze mal an einem Jörg Steinfartz David L. realen Beispiel zu verdeutlichen und das habe ich tatsächlich selbst erlebt: Wenn man neuerdings eine Für mich war das Handy schon oft Prepaid-Karte aktiviert, z.B. Lidl Mein Vorschlag: Handys an Werk- in Notfällen sehr hilfreich. Da kein oder Aldi-Phone, dann muss man tagen morgens beim Gruppenthe- Handy gehabt zu haben wäre rich- dies personalisieren, also mit Per- rapeuten abgeben und am Ende tig Sch… gewesen. Wenn man in sonalausweis machen. Das ganze des Therapietages wieder abholen. einer fremden Stadt ist, kann man läuft dann per Videotelefonie ab. Dann würden wir uns wieder mehr damit viel schneller sein Ziel fin- Man setzt sich mit einem Opera- mit uns beschäftigen. den. Ich will nicht mehr in die Zeit tor in Verbindung, filmt quasi mit der Telefonzellen zurück! der eigenen Kamera den Perso. ab. Kay Und jetzt kommt der Clou: dieser Bernd W. Operator hat währenddessen vollen Zugriff auf deine Handyfunktion, Ich habe seit zwei Jahren kein Han- sprich Kamera, Mikrofon und ein- dy mehr. Es ist schwer „ohne“ zu In einer Suchtklinik haben Handys zelne Menüfunktionen. Z.B. dreht leben, weil das inzwischen von der mindestens mal tagsüber nichts zu er während des Prozesses deine Gesellschaft erwartet wird (Apps suchen! Kamera von Vorderbild auf Selfie- für jeden Scheiß.) Ich fühl mich Funktion. Das kann man nicht für trotzdem freier ohne Handy-Stress. Bastian S. gut heißen, das ist mir zu krass! Ich bin der Ansicht, dass man D. Alex es als sehr bedauerlich einstufen

36 SG 60/2020 Neuanfang als Ausgestoßener Direkt aus der JVA zum zweiten Mal nach Vielbach

Ich bin vor zwei Wochen aus der aber auch schon. Danach bin ich Ich möchte auch erstmal keine JVA Darmstadt-Eberstadt gekom- clean geblieben. Vielleicht gibt es Beziehung mehr. Dafür bin ich men. An einem Montag, ganz ja ein gewisses Pensum an Alkohol vielleicht auch nicht gemacht. überraschend. Ich hatte zwar für und Drogen, das man nicht über- Mein Traum war immer eine eige- meine Geldstrafe von 600 € eine schreiten soll und ich habe mein ne Familie – aber die würde bei mir Tilgung in Sozialstunden bean- Quantum schon erreicht. Ich habe wahrscheinlich verhungern. Aber tragt, aber nicht erwartet, dass das mir auch überlegt, bald wieder mal sehen … Man soll niemals alles so schnell geht. Als ich am arbeiten zu gehen, um meiner Fa- NIE sagen. Eine eigene Wohnung Samstag gesagt bekommen habe, milie etwas zurückgeben zu kön- will ich erstmal auch nicht. Ich dass ich am Montag entlassen wer- nen. Sie waren in der Zeit der JVA hatte schon drei, die ich wieder de, war ich schon ein wenig traurig, immer für mich da. verloren habe. Das reicht erstmal. weil ich mit meinem Bruder auf Jetzt bin ich aber erst einmal in Betreutes Wohnen vielleicht. einer Doppelzelle gelegen habe und Vielbach und versuche mich (mit Mal schauen, was die Therapie wir uns endlich wieder angenähert 31 Jahren) noch einmal zu ändern. bringt. Da krieg ich meine Gedan- hatten. Ich habe in der JVA einen Aber ich gehöre zu dem einen Pro- ken wahrscheinlich besser sortiert. Bruder wiedergewonnen, wo ich zent der Bevölkerung, die im Knast Ich bin schon ganz gespannt. schon gedacht hatte, wir werden waren. Ich bin ein Ausgestoßener. uns nie mehr gut verstehen. Aber ich war schon öfter ganz un- Euer Dizzy Der einzige Streitpunkt war, dass ten. Mal sehen, was der Morgen (Christian Estenfelder) ich zu viel geraucht habe, aber das bringt … wird sich wohl nicht mehr ändern. Ich dachte auch, dass ich dort ein paar Kumpels gefunden hätte, aber aus der JVA hat sich bis jetzt keiner gemeldet. Schade! Aber mir haben ja auch ein paar Freunde in die JVA geschrieben. Aber ehrlich gesagt ist das auch nicht mehr so wie früher. Aber was soll man machen? Als ich durch die Haftentlasse- nenhilfe wieder in an- kam, glaubte ich, ich wäre auf ei- nem anderen Planeten. Ich dachte: „Das ist doch meine Heimat! Wie- so fühl‘ ich mich hier nicht wohl?“ Weil ich auch noch Medikamente gegen meine Aggressionen und De- pressionen nehme, haben wir (mei- ne Sozialarbeiterin und ich) dann beschlossen, dass ich die schon in der Haft beantragte Suchttherapie wohl besser antrete. Ich hatte bis dahin noch eine Woche mit meiner Familie und mit Freunden. Das war toll. Doch der Gedanke daran, jetzt erstmal wieder gehen zu müssen, hat mich traurig gemacht. Dann habe ich mir erstmal zwei Bier und ein Smirnoff Ice gekauft. Das war’s

SG 60/2020 37 „Wenn Sie kommen wollen, dann jetzt. Jetzt sofort!“ Mit neuem Mut: Mein zweiter Anlauf in Vielbach

ein Name ist Chris. Ich Rat lautete „Vielbach“. Dort ange- gelegt hatte. Während der Woche bin 24 Jahre alt und dre- kommen, ging’s erst einmal in das hatte ich nur Köln und das Wo- he meine zweite Runde Haus ›Neue Wege‹. ›Neue Wege‹ chenende im Kopf. Das wurde mir Min der Fachklinik Vielbach. Wie hörte sich gut an und es wurde zu zum Verhängnis. Die Beziehung kam es dazu? Das ist einfach erklärt: meinem Leitspruch. Nach einigen ging nämlich zunehmend den Bach Ich wurde schwach! Aber fangen Wochen der Vorbereitung wech- runter. Ich kämpfte darum, wäh- wir mit einem kleinen Rückblick selte ich dann in die Klinik. Die rend sie sich anderweitig umschau- auf mein vergangenes Leben an. Therapie begann. Meine damalige te. Ich wollte sie nicht verlieren, Für meine gesamte Geschichte Gruppentherapeutin Frau Hillner aber das Leben ist manchmal ein würde ich wahrscheinlich die ganze und die ganze Gruppe 3 empfingen mieser Verräter. Sie hatte sich neu SuchtGlocke brauchen. Ich war zwei mich mit offenen Armen. verliebt. An meinem 23. Geburts- Jahre bei der Bundeswehr. Mein Wow dachte ich mir, ein Gefühl tag kam dann der Tag, an dem sie Leben lief gut, ich war verliebt und von Zugehörigkeit und Geborgen- es mir gestand. fühlte mich sehr geborgen, viele heit, wie ich es schon lange nicht Ich verstand die Welt nicht kennen das vielleicht. Dann hat mehr erlebt hatte. Auf der Straße mehr, war unendlich traurig und mir das Leben einen Schlag in den findet man so etwas nicht. Es folg- zog mich ab diesem Tag immer Nacken versetzt. Ich wurde depres- ten Monate ereignis- und erfolgrei- mehr zurück. Ich blieb aber weiter siv. In dieser Zeit merkte ich, dass cher Therapie. Ich lernte in dieser abstinent! Was ich brauchte war mir der Alkohol gut schmeckt ... zu Zeit außerhalb der Therapie eine ein Neuanfang. Ich zog dann ei- gut! Ich verlor nicht zuletzt deswe- neue Frau kennen und wir ver- nen Monat später in ein Betreutes gen meine Arbeit, meine Freundin liebten uns. Sie stand mit mir die Wohnen für junge Erwachsene. und ein kleines Stück Familie dazu. Therapie durch, was nicht immer Genau das Richtige dachte ich mir. Ohne Obdach und ohne Halt einfach war. Aber wir haben das Da waren wir nun fünf junge Män- streifte ich nun durch die Gegend. Schiff schließlich in den sicheren ner in einer WG. Ich fand relativ Ich trank viel, um den Kopf auszu- Hafen gebracht. schnell wieder Arbeit und schloss schalten und alles irgendwie erträg- Mit einem cleanen Kopf und er- Freundschaften mit meinen Mitbe- licher zu machen. Ich merkte; wie hobenen Hauptes ging ich anschlie- wohnern. Es schien perfekt zu sein. ich mich zunehmend mit dem Ge- ßend in ein Betreutes Wohnen in Ich merkte aber zunehmend, dass danken anfreundete ohne eigenes Frankfurt am Main. Hier lief alles ich innerlich immer leerer wurde. Zuhause zu sein und der Alkohol wieder wie es sollte. Allmählich Es fehlte etwas! SIE fehlte mir! Ich wurde zu meinem besten Freund. merkte ich aber, dass ich mich nicht versuchte mich abzulenken, konnte Ich lernte viele Menschen kennen. wohl fühlte. Der Wechsel nach mich aber nie damit abfinden, dass Dabei waren viele, die sich aufgege- den vielen Monaten Therapie in sie weg war. Ich wurde zunehmend ben hatten. Das machte mir Angst. eine neue Gegend war doch nicht kühler und emotionsloser. Das „Das soll deine Zukunft sein?“, so einfach, wie vorgestellt. Aber machte sich für die anderen schnell dachte ich mir. „Hey, du bist 22, irgendwie habe ich mich dann doch bemerkbar. Ich zog mich immer komm endlich wieder zu der Stär- zurechtgefunden. Unter der Woche mehr zurück und suchte perma- ke, die du mal hattest“, ging mir in Frankfurt und am Wochenende nent Streit, wenn ich denn mal durch den Kopf. meine „Auszeit“ und mein „Zuhau- mein Zimmer verlassen habe. Gesagt getan. Mit 3 Promille se“ in Köln bei meiner Freundin Ich suchte einen Psychologen auf tauchte ich in der HSK-Klinik und ihrer Familie. Schweren Her- um der Sache auf den Grund zu Wiesbaden zur Entgiftung auf. zens ging es dann sonntags wieder gehen. Wir machten eine Anamne- Nach ein paar Gesprächen mit der zurück nach Frankfurt. Hier konnte se. Diagnose: „Emotional instabile zuständigen Mitarbeiterin vom ich keinen Anschluss finden, weil Persönlichkeitsstörung und Depres- Sozialdienst entschloss ich mich, ich meinen Fokus voll und ganz auf sionen“. Für mein Betreutes Woh- eine Therapie zu machen. Wo? Ihr meine Freundin und ihre Familie nen nicht tragbare Diagnosen. Ich

38 SG 60/2020 sollte raus aus der WG. Man könne es nicht verantworten, dass ich mir vielleicht etwas antun würde. Das Personal wäre auf „Fälle“ wie mich nicht spezialisiert. Ich fühlte mich verstoßen und alleingelassen. Mir wurde alles zu viel. Und Abstinenz auf der Straße ist eine Sache, die ich niemals hin- bekommen hätte. Nicht mit meiner bis dato emotionalen Verfassung. Ich ließ mich einweisen und ver- brachte einen Monat auf einer Akutstation in einer Psychiatrie. Dort sollte ich dann aber wieder raus, da ich kein Akut-Patient mehr war und die Klinik deshalb keinen Platz mehr für mich hatte. Ich habe während meines Aufenthalts in der Psychiatrie eine Person ken- nengelernt, mit der ich mich echt gut verstand. Wir redeten sehr viel miteinander und machten uns eine, soweit es uns möglich war, schöne Zeit in der Klinik. Er sagte zu mir: „Du gehst nicht auf die Straße. Ich helfe dir! Vorausgesetzt ich würde damit klar kommen, dass er Mari- huana konsumiert. Und so zog ich mit allem, was ich hatte, zu ihm. Wir wurden richtig gute Freunde und anfangs hatte ich auch kein Problem damit, dass er konsumiert. nicht lange und nahm eine Pille. Es ich all meinen Mut zusammen und Ich blieb abstinent, komme was da wurde eine verdammt lange Nacht rief in der Fachklinik Vielbach an. wolle, dachte ich mir. mit fatalem Nachspiel. Nachdem Ich wusste, wen ich anrufen Und dann kam der Tag, an dem ich wieder zu mir gekommen bin, musste. Herr Jösch, der Chef, meine Ex-Freundin mir wieder wurde ich depressiv wie noch nie war auch gleich am Apparat. Wir schrieb. Ich war eigentlich auf zuvor. Ich wollte nicht mehr leben, telefonierten 15 Minuten mitein- gutem Wege sie zu vergessen und mich aus dem aktuellen Leben ander. Er sagte mir dann, dass ich alles hinter mir zu lassen. Blackout. herauskatapultieren. Doch dann kommen könne. Ich fragte wann. Einkaufen, darauf erstmal ein Bier schoss mir ein Geistesblitz durch Er antwortete: „Jetzt, jetzt sofort!“ und das war‘s dann mit meiner den Kopf und ich rief einen ehe- Ich packte meine Sachen. Busse Abstinenz. Nach dem einen folgten maligen Mitpatienten aus meiner fuhren mitten am Tag nicht durch zwei, drei ... und so weiter. Mari- Therapie in Vielbach an und schil- das Dorf, wo ich campierte. Aber huana? Gutes Zeug dachte ich mir. derte ihm die desolate Situation. es waren nur einige Kilometer bis Wenn Rückfall, dann richtig. Das Am Ende lud er mich zu sich nach Vielbach. Ich lief quer durch erste Mal geraucht und sofort hat nach Hause ein. Er wohnte im Wald und Wiesen bis ich schließ- es mir gefallen. Das Gefallen wur- Westerwald. Bei ihm entgiftete ich lich erschöpft vor der Klinik stand. de dann zum Dauerzustand. Wir erst einmal. Dann machten wir uns Herr Jösch begrüßte mich persön- kifften sehr sehr viel. Sieben Tage einen Schlachtplan, wie ich wieder lich und meinte „Willkommen die Woche. Dazu noch Alkohol. auf die Füße kommen kann. Mir zurück!“. Ich war voller Freude und Ich stürzte ab, ohne bremsen zu war klar, meine Sucht hatte mich Dankbarkeit. Tag 1 meines Neu- wollen. Wollte einfach nur meinen wieder gepackt. Deshalb war mein starts hatte begonnen. Kopf ausschalten. Komplett! Ziel schnell klar: ein zweiter The- Dann eines Abends bot mir ein rapieanlauf. Nachdem ich mich Chris von der Weiden. Kumpel MDMA an. Ich überlegte ausreichend stabilisiert hatte, nahm

SG 60/2020 39 Constanze – eine Geschichte aus Vielbach

Bei diesem Titel werden sich die meisten fragen: „Was hat das mit Sucht zu tun?“ Erst mal nichts. Theoretisch hätte meine Freundschaft mit Constanze auch an jedem anderen Ort der Welt beginnen können. Sie begann aber in Vielbach.

in paar Tage nachdem ich nach Vielbach zur Therapie kam, weil ich als Alkoholi- Eker rückfällig geworden war, lernte ich Constanze kennen. Es begann mit einem Unglück und war gleichzeitig der Beginn einer wun- derbaren Freundschaft. Constanze ist sehr freundlich und kennt keine Berührungsängs- te. Gleichzeitig ist sie vorlaut, hat ein sehr spitzes Mundwerk und ist jederzeit zu Streichen aufgelegt. Sie ist sehr reinlich und kann sich stundenlang mit Putzen beschäfti- gen, aber Baden mag sie gar nicht. Sie ist neugierig, manchmal sehr fordernd, hat ein großes Bedürfnis nach Zuwendung und genießt trotzdem ihre Freiheit. Constanze bringt mir aber auch sehr viel Ver- trauen und Zuneigung entgegen und dafür liebe ich sie. Manchmal gestaltet sich die Unterhaltung mit Constanze etwas schwierig da es Verständigungsprobleme gibt, aber bisher haben wir immer einen Weg der Kommunikation gefunden. Der nonverbale Kontakt ist sehr gut. Wir verstehen uns auch ohne Worte. Wie begann unsere Beziehung? Ich fand Constanze ziemlich spär- lich bekleidet, zitternd, wohnungs- los, hungrig, total verängstigt und von ihrer Familie getrennt vor dem Eingang zum Vielbacher Haus „Neue Wege“, in dem ich damals untergebracht war. Tief berührt von ihrer Not habe ich Constanze bei mir aufgenom- men und ihr einen Schlafplatz zur Verfügung gestellt. Da sie anfangs

40 SG 60/2020 sehr lichtscheu war, musste ihre wurde, bereichert sie mein Leben mich kuschelt, geht es mir auto- Wohnung erst mal verdunkelt ungemein. Ich beginne, innerlich matisch besser. Natürlich weiß ich, bleiben. Auch mit dem Essen gab ruhiger zu werden. Diese furchtba- dass Constanze nicht für immer es ernsthafte Probleme. Verängstigt re innere Leere füllt sich langsam anwesend sein wird, aber sie wird und argwöhnisch wie Constanze wieder mit Leben. für mich immer da sein. Ich muss war, wollte sie nichts von mir an- In meinem Leben sind furcht- jederzeit damit rechnen, dass Con- nehmen, zumal wir nicht gut mit- bare Dinge geschehen, aber es ist stanze ihr eigenes Leben und ihre einander reden konnten. nicht so, dass es nicht auch schöne Freiheit genießen will und das soll Mit Hilfe eines medizinischen Zeiten gab. Durch Constanzes sie auch. Geräts und sehr viel Zuwendung bedingungslose Zuneigung und Eine Bindung, welcher Art auch meinerseits, entstand bei ihr ihr großes Vertrauen, kommen immer, darf auf keinen Fall in Ge- schnell Vertrauen und das Eis war langsam und bis jetzt noch sehr fangenschaft, Zwang oder Selbst- gebrochen. Die ersten Tage unseres unzusammenhängend, die guten aufgabe für die Partner enden. Sol- Zusammenlebens gestalteten sich Erinnerungen zurück. che Beziehungen sind zum Schei- schwierig, aber Constanzes schlech- Ich werde Constanze bestimmt tern verurteilt. Genauso schädlich ter Gesamtzustand verkehrte sich nicht zur Lösung meiner Proble- sind aber auch Egoismus und der bald in das absolute Gegenteil, und me erklären, denn das hieße, die Drang, ohne jede Rücksicht, den sie konnte vor Freude kaum an sich Verantwortung von mir weg zu eigenen Willen durchzusetzen. So halten, wenn ich nur das Zimmer schieben, aber durch ihr gesamtes etwas kennt Constanze nicht. betrat. Wesen, ist sie mir eine sehr große Jetzt aber genug zu diesem The- Auch ich entwickelte sehr schnell Hilfe. Das hat auch ganz greifbare ma bevor es zu tiefsinnig wird, ein enges und gutes Verhältnis zu Auswirkungen auf meine Umge- denn eigentlich ist das eine lustige Constanze und das wird auch im- bung und mich. Es fällt mir wieder Geschichte. mer so bleiben. Inzwischen sind leichter, mit Menschen in Kontakt Nun habe ich Euch sehr viel von wir sozusagen unzertrennlich. zu treten und gute Gespräche zu meiner Beziehung zu Constanze Einige Tage nach dem Zusam- führen. Mein Argwohn und mein erzählt und bin dabei weiter ge- mentreffen mit Constanze stand Misstrauen nehmen langsam ab. gangen, als ich zu Beginn der Ge- mein Umzug ins Haupthaus der Ich bin einige Male schwer verletzt schichte wollte, weil ich doch sehr Klinik bevor, da nun die eigentli- worden und ich rede nicht von viel von mir preisgegeben habe, che Therapie beginnen sollte. Ich Unfällen, Knochenbrüchen und aber jetzt wird es langsam Zeit, machte mir Sorgen um die Unter- ähnlichem. Mein Grundvertrau- das Geheimnis um Constanze zu bringung meiner neuen Freundin. en wurde durch diese Ereignisse lüften. Eine angemessene Wohnung muss- schwer erschüttert. Constanze ist ein etwa 6 Wochen te her. Ich begann damit, ihr ein Dann kam Constanze in mein altes Sperlingsmädchen (Wikipe- Heim zu schaffen, in dem sie sich Leben. Sie hat mir all das, ohne zu dia weiß alles), das am 10. Mai wohl fühlen konnte. fordern, entgegengebracht, was ich nachmit-tags beim Haus „Neue Kurz nach meinem Umzug ins bei mir verloren glaubte. Sie ver- Wege“ aus dem Nest gefallen war. Haupthaus konnte auch Constanze ändert meine Sicht auf bestimmte Ich habe sie am Boden sitzend ge- ihr neues Domizil in Augenschein Dinge, ohne mich belehren zu wol- funden. Das Federkleid war noch nehmen und war offensichtlich len. Sie ist einfach da und strahlt sehr dürftig und sie hat jämmerlich sehr begeistert. Sie hat sich sofort Lebensfreude aus. Dadurch begin- gepiepst. Die Haus-Katze hatte sie gut eingelebt. Alle Mitbewohner ne ich mich zu verändern, was mir schon ins Visier genommen und waren sofort hingerissen von Cons- von den Leuten in meiner Umge- ich wollte den kleinen Vogel nicht tanzes Charme. Sie brachte sozusa- bung auch so mitgeteilt wird. seinem Schicksal überlassen. gen Leben in die Bude. Für mein persönliches Empfin- Meine Entscheidung zu helfen, Da sie ein sehr freundliches den gehen die Veränderungen nur fiel sekundenschnell. Ich war mir Wesen hat und schnell Kontakte sehr langsam voran und es gibt der Konsequenzen voll bewusst. knüpft, ist sie bei allen sehr beliebt. Phasen, in denen es mir, trotz me- Mir war klar, dass der Vogel trotz Inzwischen ist sie fester Bestandteil dikamentöser Behandlung richtig meiner Hilfe eingehen konnte. unserer Gemeinschaft. Ihr seht, ich schlecht geht, aber ich ziehe mich Aber ich sah in meiner Hilfe seine kann mir ein Leben ohne Constan- dann nicht mehr alleine zurück, einzige Überle-benschance - und ze nur noch sehr schwer vorstellen. was zur Zeit auch gar nicht mehr einen Versuch war es allemal wert. Sie hat mein Leben verändert. Sie geht, weil Constanze immer in der Ich habe den Sperling mit ins hat mir Seiten an mir gezeigt, die Nähe ist. Zimmer genommen und in einem lange Zeit verschüttet waren. Ohne Wenn sie mich aus ihren braunen Schuhkarton untergebracht. Das dass es mir am Anfang bewusst Augen anblickt und sich dann an nächste Problem war die Ernäh-

SG 60/2020 41 rung und passendes Futter für den sie Würmer im Garten ausgruben derte sich zum Positiven, als wenn Vogel. Ich kam auf die Idee, mir und mir vorbei brachten. Der Sper- dunkler Nebel den Sonnenstrahlen von der Medizinischen Abteilung ling war plötzlich ein Teil unseres gewichen wäre. der Klinik eine Spritze ohne Ka- Klinik-Zusammenlebens. So, nun kennt Ihr die ganze nüle geben zu lassen. Als Futter Das hat in mir etwas ausgelöst, Geschichte und es tut mir auch habe ich Haferflocken, zerkleinerte was ich noch nicht in Worte fas- gar nicht leid, dass ich am Anfang Regenwürmer, Semmelbrösel und sen kann, aber ein sehr warmes, versucht habe, Euch mit meinen Wasser vermengt, in die Spritze ge- positives Gefühl hinterlässt. Das Formulierungen ein bisschen auf füllt und damit den kleinen Spatz Verhalten von uns allen im Umfeld die Rolle zu nehmen. gefüttert. hat sich hin zum Besseren verän- Die ersten beiden Tage waren dert. Auch meine Sicht auf meine Uwe Christmann echt anstrengend, da der Vogel Umwelt und mich selbst verän- alle 2-3 Stunden gefüttert werden musste, aber auch das hat funktio- niert, obwohl der Vöglein sich am Anfang weigerte, den Schnabel zu öffnen. Ich habe in die ersten Tage sozusagen zwangsernährt. Ab dem dritten Tag war alles gut und das Futter wurde freiwillig angenom- men. Aus Abfallholz, Drahtgitter-Res- ten und weiteren Materialien, die in der Schreinerei und Schlosserei zu finden waren, habe ich Constan- ze einen Käfig gebaut. Er hatte eine Türöffnung, die jedoch niemals verschlossen war! Dann besorgte ich noch Vogelsand, Futter und als Spielzeug geeignete Materialien. Constanze ist inzwischen ein kräftiger junger Sperling. Seit 12 Tagen fliegt sie auch frei auf dem Außengelände herum, ist manchmal Stunden unterwegs, aber kommt immer wieder zurück. Alle hier freuen sich, wenn sie den kleinen Sperling sehen und wenn er zu ihnen geflogen oder gehüpft kommt. Die Reaktionen der Leute in meinem Umfeld haben mich total überrascht. Mit einer positiven Re- aktion seitens der Therapeuten hat- te ich gerechnet, da mein Tun dem naturgestützten Klinik-Konzept entsprach, aber meine Mitpatien- ten zeigten plötzlich Verhaltens- weisen, die ich so schon lange nicht mehr erlebt hatte. Ziemlich „robuste Kerle“, denen ich so etwas nie im Leben zugetraut hätte, nah- men Anteil an Constanzes Schick- sal, erkundigten sich nach dem Befinden des Vogels und brachten Futter, was sogar so weit ging, dass

42 SG 60/2020 Die Alternative ist der Tod

Grau sind meine Gedanken. Dunkelgrau, ganz wie der regennasse Himmel. Kein Land in Sicht. Kein rettendes Ufer? Ich will nicht untergehen! Der Staatsanwalt zerrt mich vor Gericht. Inkasso-Haie wollen Geld, was ich nicht habe. Meine Frau, die will ihre Ruhe vor mir. Alle wollen was von mir. So viel Scheiße am Bein! Warum? Die Antwort ist ganz einfach: Der Suff!

Nein, das ist nicht ehrlich. So einfach ist das nicht. Gab es nicht genügend Situationen, in denen ich mich hätte anders entscheiden können? Der Alkohol hat es nur leichter gemacht, die Augen zu verschließen. Ja, ich hätte früher Nein sagen können. Zu Kumpels, Unrecht, Schulden, Suff. Jetzt bin ich hier im Trockendock. Bekomm‘ meine letzte Chance für einen Neuanfang. Aber das ist alles soo schwer. Der Weg nach oben ist steil und steinig. Ich weiß nicht, ob ich das schaffe. Der Silberstreif am Horizont, ich sehe ihn nicht. Es ist mir so oft zum Heulen. Es ist alles soo schwer. Doch die Alternative ist der Tod.

André

SG 60/2020 43 Fachtagung im Fachkrankenhaus Vielbach in der Presse

Über die Fachtagung, die hier bei uns in Vielbach stattfand, veröffentlichte die Rhein-Zeitung diesen Artikel:

zierten, enthemmten Situationen. Sie werden schuldig an Partner, Kindern, Freunden und Bekannten oder münden in ein delinquentes Milieu. Im Fachkrankenhaus Vielbach fand jetzt eine Fach- tagung mit 170 Teilnehmenden zu diesem Aspekt der Vom Umgang mit der Schuld in Sucht-Rehabilitation statt. Neben Psychotherapeuten der Suchttherapie der Klinik beteiligten sich auch Referenten aus der Region an dem Fachdiskurs. Psychotherapeut Werner Diskussion über Schuld, Sühne und Dinkelbach aus Andernach ging dem Thema psycho- Vergebung bei Vielbacher Tagung analytisch auf den Grund, während Ralf Wolf, ärztli- cher Direktor der Vitos Klinik für forensische Psych- iatrie in Hadamar, Schuld aus strafrechtlicher Sicht Vielbach. Viele Suchtkranke haben in ihrem Leben beleuchtete. Die Beurteilung von Schuldunfähigkeit traumatisierende Erlebnisse erfahren. Mit dem Kon- oder verminderter Schuldfähigkeit von Abhängigkeits- sum von Suchtmitteln lässt sich für viele erlittenes kranken stand bei ihm im Vordergrund. Leid und Schmerz leichter ertragen. Aus Opfern wer- Dr. Axel Wengenroth, Dekan des evangelischen De- den nicht selten Täter, besonders in suchtmittel-indu- kanats Westerwald, nahm schließlich eine theologisch-

Volles Haus: das Tagungsthema „Schuld“ fanden richtig viele Fachleute aus der Suchthilfe interessant.

44 SG 60/2020 philosophische Bewertung von Schuld und Vergebung vor. Er wies auf ein defizitäres Schuldbewusstsein in unserer Gesellschaft hin. Es fehlten Ausdrucks- und Umgangsformen mit realer Schuld. Der schuldig Ge- wordene könne sich die Schuld nicht selbst nehmen und nicht wegdiskutieren. Vergebung könne man erbitten oder erhoffen, aber nicht einfordern. Sie liege jedoch allein in der Hand des Geschädigten. Tagungsmoderator Professor Dr. Robert Frietsch von der Hochschule Koblenz und Klinikleiter Joachim J. Jösch resümierten am Ende: „Die heute hier stattge- fundene Schuld-Diskussion findet in unserer Fachwelt große Aufmerksamkeit. Die fachlichen Erwartungen wurden mit der Tagung voll erfüllt.“

Moderator Prof. Frietsch und der Ärztliche Leiter Herr Kurzer hatten trotz des schweren Themas gute Laune

Ralf Wolf, Ärztlicher Direktor der forensischen Klinik in Hadamar kennt sich gut aus mit Suchtkranken, die sich schuldig gemacht haben.

Wie Schuld aus psychoanalytischer Sicht gesehen wird, Axel Wengenroth, evangelischer Dekan im Westerwald, referierte der Psychotherapeut Werner Dinkelbach. beschäftigte sich philosophisch mit dem Tagungsthema.

SG 60/2020 45 Schlechter Sex und zu viel Alkohol Erst ganz nach unten und dann nach Vielbach

Ich war verheiratet und habe zwei können. Meinen Job bin ich los, sie wohl zu oft alleine lassen. Das Kinder, Nicolas, 9 Jahre und Sab- seitdem ich mit Alkohol am Steuer Ende vom Lied war, dass ich sie rina, 11 Jahre. Wir haben in einem erwischt worden bin. mit meinem Kumpel G. bei uns kleinen Reihenhäuschen auf dem Ich war viel mit meinem Truck zuhause erwischte. Es war wie in Land gewohnt. Ich habe viele Jah- unterwegs. Oft auch lange. Meine einem schlechten Fernsehfilm. Ich ren bei einer Spedition als Fahrer Ehe war aber ok – dachte ich. Wir warf ihn raus und machte meiner gearbeitet. haben oft mit Freunden gefeiert Frau eine Szene. Dann drohte ich Aktuell bin ich in Vielbach und und viel Spaß gehabt. Am Wochen- ihr mit allem Möglichen. mache hier eine Alkoholentwöh- ende haben wir ganz oft auch was Danach war sie dran. Ich wäre nungsbehandlung. Meine Frau lebt mit den Kindern unternommen. zu viel weg, wir hätten zu wenig getrennt von mir mit den Kindern Irgendwann bekam ich einen Sex und wenn, würde der keinen noch in unserem Haus. Sie hat die Tipp von meinem Kollegen J. Spaß machen und ich würde zu Scheidung eingereicht. Ich habe Einer, mit dem wir privat oft was viel saufen. Da bräuchte ich mich die letzten Monate in einem Män- zusammengemacht hatten. Er nicht wundern, wenn sie sich mit nerwohnheim in F. gelebt. Gelebt? meinte ich sollte mal besser auf G. trösten würde. Der würde kaum Zumindest habe ich dort schlafen meine Frau aufpassen. Ich würde trinken, hätte immer ein Ohr für sie und der Sex sei um Längen besser. Es folgte wochenlange schlechte Stimmung zuhause - und dann habe ich erst richtig getrunken. Mehrmals habe ich dann auch mei- ne Frau geschlagen. Einmal vor den Kindern, was mir unendlich leid tut. Ich bekam dann vom Gericht ein Hausverbot. Fast zeitgleich habe ich meinen Führerschein und dann meinen Job verloren. Weitere Details erspare ich mir und den Lesern. Nach einigen Zwischenstationen bin ich schließlich in F. gelandet. Von der Bahnhofsmission wurde ich dann in das Männerwohnheim vermittelt. Ich habe mich trotzdem jeden Tag volllaufen lassen. In dem Wohnheim war ich ein gutes halbes Jahr. Ich war weit weg von meiner Vergangenheit und der Alkohol hat mir geholfen, dass ich mir nicht so viele Gedanken mach- te. Die vom Wohnheim konnten mir nicht viel Hoffnung wegen einer Wohnung machen, weil ich erst so kurz in F. war. Aber mit der

46 SG 60/2020 Arbeitsagentur haben sie mir schon Kerle getroffen. Jeder von ihnen habe. Unser Arbeitstherapeut un- geholfen. hat ganz persönliche Schicksals- terstützt uns voll, z. B. wenn wir Irgendwann war ich tagsüber mit schläge erlebt. Aber bei allen hat Ersatzteile brauchen. einem Mitbewohner in der Stadt das was mit Alkohol oder Drogen Das mit Vielbach war eine gute unterwegs. Er erzählte, dass es ihm zu tun gehabt. In ›Neue Wege‹ Entscheidung. Ich schöpfe wieder vor gar nicht so langer Zeit richtig waren wir eine tolle Gemeinschaft. Hoffnung, weil ich denke, dass gut gegangen sei. Da wäre er in Total engagiertes Personal im Sozi- doch jeder eine zweite Chance ver- einer Klinik gewesen in der viele aldienst und in der Hauswirtschaft. dient hat. Die Klinik hilft mir auch gewesen wären, die auch alles ver- Dort gab es auch zwei bis drei Mal für die Zeit nach der Therapie. Ich loren hätten. Er meinte das Viel- die Woche eine Gesprächsgruppe, werde meinen Führerschein wie- bacher Fachkrankenhaus, in dem ähnlich wie in der Entgiftung, nur derbekommen und wieder einen ich jetzt bin. Vorher wäre ihm klar dass die Jungs hier im Kopf richtig Truck fahren. Dann aber nur noch geworden, dass fast alle seine Pro- clean und motivierter waren. Tagestouren ;-) Ich will jetzt nicht bleme mit seiner Sauferei zu tun Inzwischen bin ich ja schon übermütig werden. Von den „The- hätten und wenn er das mit dem einige Zeit in der Therapie. Ich rapieprofis“ weiß ich, dass auf dem Alkohol nicht lassen würde, käme habe auch schon ein paar Mal mit Weg zum Neuanfang immer wieder er niemals wieder in die Spur. meinen Kindern telefoniert. Dem- Stolpersteine lauern. Das heißt für Als er mal wieder zur Entgiftung nächst wollen wir uns irgendwie mich: Augen auf und Fernlicht an! im Krankenhaus gelandet sei, hätte am Wochenende treffen. Mit mei- ihm der Arzt wegen der schlechten nem Gruppentherapeuten verstehe Manfred K. Leberwerte geraten nach Vielbach ich mich richtig gut. Am meisten zu gehen. Da wäre er an der richti- Spaß macht mir die Arbeitstherapie gen Adresse, wenn er Weihnachten in der Schlosserei. Wir bauen hier noch mal erleben wollte. Er hätte einen alten Traktor auseinander, dann mit der Aufnahme in Viel- reinigen und reparieren ihn. Da bach gesprochen und das hätte ihn bin ich voll dabei, weil ich früher überzeugt. Man hätte ihn am Ende doch mal KFZ-Mechaniker gelernt Drei KFZ-“Experten“ fachsimpeln über der Entgiftung sogar mit dem Kli- die die nächsten Schritte der Reparatur. nik-PKW abgeholt. Dummerweise hätte er nach drei Monaten die Therapie abgebrochen, weil Kum- pels ihn zu einer Party nach F. ein- geladen hätten. Dort hätte es tolle Drogen gegeben, die ich aber nicht kenne. Das hätte ihn total aus der Bahn geworfen und von seinen gu- ten Absichten abgebracht. Zwischenzeitlich hat mir auch gedämmert, dass ich keinen Boden mehr unter die Füße kriege, wenn ich nicht mit dem Saufen aufhöre. Ich habe mich erkundigt, wie ich am schnellsten in eine Entgiftung komme. Dann musste ich fast drei Wochen auf einen freien Platz in der Klinik warten. Ich habe bis da- hin an meinem Plan festgehalten. Während der Entgiftung hat der Sozialdienst in Vielbach angerufen und einen Aufnahmetermin für mich vereinbart. Das mit der Ab- holung hat auch prima geklappt. In Vielbach kam ich erst ein- mal in das Übergangshaus ›Neue Wege‹, weil noch keine Therapie beantragt war. Dort habe ich tolle

SG 60/2020 47 Besuchen Sie uns auf www.fachkrankenhaus-vielbach.de