Entwicklung Von Bestand Und Verbreitung Des Mittelspechts Dendrocopos Medius 1978–2002 Im Kanton Zürich: Analyse Der Veränderungen Und Folgerungen Für Den Artenschutz
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mitsp.qxd 10.11.2003 12:06 Seite 343 Der Ornithologische Beobachter 100: 343–355 (2003) 343 Entwicklung von Bestand und Verbreitung des Mittelspechts Dendrocopos medius 1978–2002 im Kanton Zürich: Analyse der Veränderungen und Folgerungen für den Artenschutz Jost Bühlmann, Werner Müller, Gilberto Pasinelli und Martin Weggler Changes in population size and range of the Middle Spotted Woodpecker Dendrocopos medius 1978– 2002 in the canton of Zurich: analyses of trends and consequences for species conservation. – The popu- lation of the Middle Spotted Woodpecker Dendrocopos medius was surveyed in 2002 for the third time after 1978 and 1988. In total, 106 «pairs» were found in 27 of the 69 potentially suitable oak wood areas. Popula- tion size was 22 % lower than in 1978 (148 «pairs»). Heavy losses occurred in three of the four «large» woodland areas. The local range decreased to about half the size of 1978. Our observations partly confirm the predictions of Müller (1982) that extinction probability of the Middle Spotted Woodpecker is linked to the degree of isolation of a suitable woodland plot. The loss of old oak trees in the last 24 years is likely to have led to a deterioration of many Middle Spotted Woodpecker habitats within the study area, although quantita- tive data on changes of factors influencing population size (density of old oaks, potential cavity trees and exact size of oak forests) are lacking. Shade-tolerant tree species growing up into the oak crowns and oak wood areas destroyed by gales are further problems. Broad-scale strategies to enhance habitat suitability for Middle Spotted Woodpeckers are urgently needed for the four core populations. We suggest a moratorium for harvesting oaks, until oak regeneration areas of at least 10 ha in size have reached an age suitable for colo- nization by Middle Spotted Woodpeckers. Such regeneration areas should be situated adjacent to existing old oak woods. Key words: population dynamics, breeding range reduction, habitat deterioration, oak wood, conservation, Dendrocopos medius, Switzerland. Jost Bühlmann, Niedelbadstrasse 65, CH–8038 Zürich, e-mail [email protected]; Werner Müller, c/o Schweizer Vogelschutz SVS – BirdLife Schweiz, Postfach, CH–8036 Zürich, e-mail werner.mueller@ birdlife.ch; Dr. Gilberto Pasinelli, Zoologisches Institut der Universität Zürich, Winterthurerstrasse 190, CH–8057 Zürich, e-mail [email protected]; Dr. Martin Weggler, Orniplan AG, Wiedingstrasse 78, CH–8045 Zürich, e-mail [email protected] Der Mittelspecht ist ein Habitatspezialist. In te sich der Mittelspecht vielerorts halten, solan- der Schweiz bewohnt er heute ausschliesslich ge der Eichenbestand in ausreichendem Um- eichenreiche Wälder, oft Eichen-Hagenbu- fang erhalten blieb. Als Mittelspechthabitat ge- chenbestände (Jenni 1977, Müller 1982, Ser- eignet blieben allerdings nur grossflächige, met & Horisberger 1988). In Abhängigkeit von geografisch nahe beieinander liegende Wälder der Habitatqualität benötigt ein Mittelspecht- mit einer hohen Dichte an alten Eichen und paar ein Waldareal von 3,5 –25 ha (Pasinelli vielen geeigneten Höhlenbäumen (Müller 2003). Die typischen Mittelspechtwälder im 1982, Pettersson 1985b, Pasinelli 2000). Kanton Zürich wurden bis etwa 1940 als Mit- Der Mittelspecht ist eine Prioritätsart für telwälder mit einer Hauschicht der Hagebuche Artenförderungsprogramme in der Schweiz Carpinus betulus und grossen Überhältern der (Bollmann et al. 2002); der Schweiz kommt für Eiche (Stiel-Eiche Quercus robur, Trauben- seinen Schutz eine wichtige Rolle zu (Keller & Eiche Q. petraea) bewirtschaftet. Danach sind Bollmann 2001). Aktuelle Bestandszahlen und diese Mittelwälder schrittweise in Hochwälder Hinweise zur Bestandsentwicklung fehlen lei- überführt worden, indem man die ehemalige der, womit der aktuelle Gefährdungsgrad des Hauschicht aufwachsen liess oder den ehemali- Mittelspechts schwierig einzustufen ist (vgl. gen Laubholzbestand durch Mischbestände er- Keller et al. 2001). Im Kanton Zürich fehlen im setzte (Bürgi 1998). In den Hochwäldern konn- Speziellen Informationen, in welchen Wald- mitsp.qxd 10.11.2003 12:06 Seite 344 344 J. BÜHLMANN et al., Der Mittelspecht im Kanton Zürich 1978–2002 Ornithol. Beob. flächen aus Gründen des Artenschutzes drin- sen worden. Drei neue Eichenwaldobjekte sind gend Massnahmen angezeigt sind. Die Popula- 2002 in die Stichprobe aufgenommen worden. tionsgrösse des Mittelspechts muss langfristig Sie fehlten in der ersten Stichprobe von 1978; überwacht werden, denn die natürlichen Ver- JB registrierte darin aber bereits 1978 und änderungen in eichenreichen Wäldern mit ho- 1988 den Mittelspechtbestand. Die Abgren- hem Bestandsalter laufen nur sehr langsam ab. zung aller bearbeiteten Objekte war in den Jah- Ein effizientes Vorgehen ist die Wiederho- ren 1978, 1988 und 2002 identisch. lung umfassender Bestandsaufnahmen in grös- Die Nummerierung der Objekte und deren seren Zeitabständen. Dies schien 2002 im Kan- Flurnamen haben wir dem Inventar der orni- ton Zürich fällig, nachdem flächendeckende thologisch bedeutenden Waldflächen des Kan- Bestandsaufnahmen 1978 (Müller 1982) und tons Zürich entnommen (Schiess et al. 1981), 1988 durchgeführt worden sind. Die neuen Er- worin alle Objekte mit Ausnahme der drei kenntnisse sollen in laufenden und anstehen- neuen verzeichnet sind. den Waldentwicklungsplanungen innerhalb des Vorkommensgebiets des Mittelspechts 1.2. Erhebung des Mittelspechtbestands 2002 mitberücksichtigt werden. im Vergleich mit 1978 und 1988 Die vorliegende Untersuchung analysiert die Bestandsentwicklung des Mittelspechts im Die Erhebung des Mittelspechtbestands erfolg- Kanton Zürich 1978–2002. Die daraus abge- te nach der gleichen Methode wie 1978 (Mül- leitete Beurteilung der Bestands- und Gefähr- ler 1982) und 1988. Von den sechs Feldbe- dungssituation dürfte für die ganze Schweiz obachtern waren Werner Müller und Jost Bühl- gültig sein, denn rund ein Drittel aller Mittel- mann bereits bei den Erhebungen 1978 und spechte in der Schweiz brüten im Kanton 1988 dabei; Bea Miranda, Gilberto Pasinelli, Zürich (Biber 1984, Schmid et al. 1998) und Martin Weggler und Michael Widmer beteilig- die forstwirtschaftlichen Entwicklungen in den ten sich neu an den Aufnahmen. Schweizer Eichenwaldgebieten sind überall Die Erhebungen starteten in der dritten Feb- ähnlich. Das Muster auffälliger Bestandsverän- ruardekade 2002 und wurden in der letzten derungen wird analysiert. Schliesslich werden Aprildekade 2002 abgeschlossen. Sämtliche Eichenwaldflächen lokalisiert, in denen drin- Aufnahmen wurden während des ganzen Ta- gend forstliche Massnahmen in Angriff ge- ges, d.h. zwischen 8 und 18 h Ortszeit, durch- nommen werden sollten, um die Habitatqua- geführt, insbesondere an windfreien, über- lität für den Mittelspecht zu erhalten. durchschnittlich warmen Tagen. Grundsätzlich haben wir alle Objekte zweimal vollständig nach Mittelspechten abgesucht. Objekte von 1. Untersuchungsgebiet und Vorgehen weniger als 10 ha Grösse, in denen bisher noch nie Mittelspechte nachgewiesen worden waren, 1.1. Untersuchungsgebiet und untersuchte Eichenwaldobjekte besuchten wir teilweise nur einmal. Ehemals besiedelte Waldobjekte, in denen die ersten Unsere Untersuchung behandelt die Bestands- beiden Kontrollen negativ verliefen, besuchten entwicklung des Mittelspechts in 69 Eichen- wir hingegen ein drittes Mal. Zwei aufeinander waldobjekten im Kanton Zürich. Aus der ers- folgende Aufnahmen in einem Objekt lagen ten Stichprobe von 1978 mit total 99 Objekten mindestens zwei Wochen auseinander. Die haben wir 33 Objekte entlassen, welche auf- Eichenwaldobjekte wurden wo möglich auf grund einer Vorprüfung mit aktuellen Waldbe- Waldwegen abgeschritten. Alle rund 200 m standskarten als ungeeignet und/oder zu klein wurde die «kickickick»-Rufreihe des Mittel- (< 3 ha) eingestuft wurden (vgl. Selektion in spechts ab Tonband abgespielt. Erfolgte keine Anhang 1). In keinem der 33 entlassenen Ob- Reaktion eines Mittelspechts, wurde dieselbe jekte sind 1978 (Müller 1982) oder 1988 (Mül- Rufreihe nach 3–5 min erneut vorgespielt. ler unpubl.) im Rahmen der Mittelspechtkartie- Blieb eine Reaktion weiterhin aus, wurden zum rung revieranzeigende Individuen nachgewie- Abschluss 3–4-mal die «quäk»-Laute kurz ab- mitsp.qxd 10.11.2003 12:06 Seite 345 100, 2003 J. BÜHLMANN et al., Der Mittelspecht im Kanton Zürich 1978–2002 345 gespielt. Für die Tonbandattrappe wurden Auf- tig festgestellte Vögel ergaben zwei Reviere nahmen von Roché (1990) und Blume et al. («Paare»). Wurde am nächsten Abspielpunkt (1975) verwendet. wiederum ein Mittelspecht festgestellt, der uns Alle Mittelspechte, die bei obigen Begehun- mit grösster Wahrscheinlichkeit nicht gefolgt gen vernommen und deren Artbestimmung op- war, ergab dies jeweils ein zusätzliches Revier tisch bestätigt werden konnte, wurden auf bzw. «Paar». Wir verzichteten bei der Revier- einem Plan eingetragen. Es wurde der Ort des abgrenzung darauf, Vorgaben für die minimale ersten Kontakts kartiert. Besondere Aufmerk- Distanz von Beobachtungspunkten festzule- samkeit schenkten wir der Vermeidung von gen, da die Revierabstände je nach Waldtyp er- Doppelbeobachtungen, indem wir stets ver- heblich schwanken können (Pasinelli et al. suchten, bei nah beieinander liegenden Mittel- 2001). specht-Beobachtungen abzuklären, ob es sich Wir sind uns bewusst, dass bei der Aufnah- sicher um zwei verschiedene Individuen han- me mit der Klangattrappe auch nicht verpaarte delte (Simultannachweis) oder ob uns die Vö- Spechte, die meist noch weit