Bochumer Schriften zur Unternehmens- und Industriegeschichte Bd. 19 herausgegeben von Boris Gehlen, Stefanie van de Kerkhof, Kim Priemel, Alfred Reckendrees, Eva-Maria Roelevink und Florian Triebel

Die Reihe „Bochumer Schriften zur Unternehmens- und Industriegeschichte“ wird heraus- gegeben vom Arbeitskreis für kritische Unternehmens- und Industriegeschichte (AKKU) an der Ruhr-Universität Bochum.

Bd. 1 Werner Plumpe/Christian Kleinschmidt (Hg.): Unternehmen zwischen Markt und Macht. Aspekte deutscher Unternehmens- und Industriegeschichte im 20. Jahrhundert, 180 S., brosch., ISBN 978-3-88474-006-4; erschienen 1992 Bd. 2 Christian Kleinschmidt: Rationalisierung als Unternehmensstrategie. Die Eisen- und Stahlindustrie des Ruhrgebiets zwischen Jahrhundertwende und Weltwirtschaftskrise, 384 S., brosch., ISBN 978-3-88474-065- 1; erschienen 1993 Bd. 3 Karl Lauschke/Thomas Welskopp (Hg.): Mikropolitik im Unternehmen. Arbeitsbeziehungen und Macht- strukturen in industriellen Großbetrieben des 20. Jahrhundert, 281 S., brosch., ISBN 978-3-88474-189-4; erschienen 1994 Bd. 4 Manfred Köhler/Keith Ulrich (Hg.): Banken, Konjunktur und Politik. Beiträge zur Geschichte deutscher Banken im 19. und 20. Jahrhundert, 176 S., brosch., ISBN 978-3-88474-241-9; erschienen 1995 Bd. 5 Carola Sachse/Sylvie Schweitzer (Hg.): Mobilität, Stabilität, Flexibilität. Arbeitsmarktstrategien von Unter- nehmern und Beschäftigten in Deutschland und Frankreich im 19. und 20. Jahrhundert, 136 S., brosch., ISBN 978-3-88474-395-9; erschienen 1996 Bd. 6 Lutz Budraß/Manfred Grieger (Hg.): Kriegswirtschaft und Konversion. Die Rüstung des Zweiten Weltkriegs in der Erfahrung von Unternehmern, Managern und Bürokraten, 352 S., brosch., ISBN 978-3-88474-565-4; erscheint in Kürze Bd. 7 Matthias Frese/Burkhard Zeppenfeld (Hg.): Kommunen und Unternehmen im 20. Jahrhundert. Wechsel- wirkungen zwischen öffentlicher und privater Wirtschaft, 264 S., brosch., ISBN 978-3-88474-575-5; erschienen 2000 Bd. 8 Dietmar Petzina: Die Verantwortung des Staates für die Wirtschaft. Ausgewählte Aufsätze – Herausgegeben von Werner Abelshauser, Lutz Budraß, Anselm Faust und Werner Plumpe, 236 S., brosch., ISBN 978-3-88474- 869-5; erschienen 2001 Bd. 9 Jan-Otmar Hesse, Christian Kleinschmidt, Karl Lauschke (Hg.): Kulturalismus, Neue Institutionenökonomik oder Theorienvielfalt. Eine Zwischenbilanz der Unternehmensgeschichte, 320 S., brosch., ISBN 978-3-89861- 108-4; erschienen 2002 Bd. 10 Roman Köster: Die Konzentrationsbewegung in der Dortmunder Brauindustrie 1914 bis 1924. Das Beispiel der Dortmunder Actienbrauerei, 120 S., brosch., ISBN 978-3-89861-176-3: erschienen 2003 Bd. 11 Volker R. Berghahn, Stefan Unger, Dieter Ziegler (Hg.): Die deutsche Wirtschaftselite im 20. Jahrhundert. Kontinuität und Mentalität, 464 S., brosch., ISBN 978-3-89861-256-2; erschienen 2003 Bd. 12 Jan-Otmar Hesse, Tim Schanetzky, Jens Scholten (Hg.): Das Unternehmen als gesellschaftliches Reform- projekt. Strukturen und Entwicklungen von Unternehmen der „moralischen Ökonomie“ nach 1945, 256 S., brosch., ISBN 978-3-89861-335-4; erschienen 2004 Bd. 13 Christian Kleinschmidt, Florian Triebel (Hg.): Marketing. Historische Aspekte der Wettbewerbs- und Absatz- politik. 261 S., brosch., ISBN 978-3-89861-382-8; erschienen 2004 Bd. 14 Michael C. Schneider: Unternehmensstrategien zwischen Weltwirtschaftskrise und Kriegswirtschaft. Chemnitzer Maschinenbauindustrie in der NS-Zeit 1933–1945. 544 S., brosch., ISBN 978-3-89861-372-9; erschienen 2005 Bd. 15 Stefanie van de Kerkhof: Von der Kriegs- zur Friedenswirtschaft. Unternehmensstrategien der deutschen Eisen- und Stahlindustrie vom Kaiserreich bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. 480 S., brosch., ISBN 978- 3-89861-516-7; erschienen 2006 Bd. 16 Morten Reitmayer, Ruth Rosenberger (Hg.): Unternehmen am Ende des „goldenen Zeitalters“. Die 1970er Jahre in unternehmens- und wirtschaftshistorischer Perspektive. 338 S., brosch., ISBN 978-3-89861-779-6; erschienen 2008 Bd. 17 Markus Dahlem: Die Professionalisierung des Bankbetriebs. Studien zur institutionellen Struktur der deutschen Banken im Kaiserreich 1871–1914. 364 S., brosch. ISBN 978-3-8375-0011-0; erschienen 2009 Bd. 18 Silke Fengler: Entwickelt und fixiert. Zur Unternehmens- und Technikgeschichte der deutschen Fotoindustrie, dargestellt am Beispiel der Agfa AG Leverkusen und des VEB Filmfabrik Wolfen (1945–1995). 311 S., 978-3- 8375-0012-7; erschienen 2009 Ute Pothmann Wirtschaftsprüfung im Nationalsozialismus Die Deutsche Revisions- und Treuhand AG (Treuarbeit) 1933 bis 1945 Diss. Ruhr-Universität Bochum 2011

1. Auflage Juni 2013 Satz und Gestaltung: Klartext Medienwerkstatt GmbH, Essen Titelabbildung: Buchhaltung um 1925, © bpk Druck und Bindung: winterwork, Borsdorf © Klartext Verlag, Essen 2013 ISBN 978-3-8375-0985-4 Alle Rechte vorbehalten www.klartext-verlag.de Inhalt

1. Einleitung ...... 7 1.1 Treuhandgesellschaften und Bilanzprüfung – Forschungsstand und Fragestellungen ...... 9 1.2 Geschichte der »Treuarbeit« – Fragestellungen und Aufbau der Arbeit 17 2. Von der „Hilfsbank“ zum Verhandlungspartner – Treuhandgesellschaften in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts . . . . 25 2.1 Erste Treuhandgesellschaften und materielle Bilanzprüfung kurz nach 1900 ...... 25 2.2 Einführung der Bilanzpflichtprüfung 1931 ...... 33 2.3 Von der Treuhandgesellschaft zur Wirtschaftsprüfungsgesellschaft . . 42 2.4 Treuhandgesellschaften im Nationalsozialismus ...... 50 2.5 Wirtschaftsprüfung in den ersten Nachkriegsjahren ...... 61 3. Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit ...... 67 3.1 Arbeitsbeziehungen und persönliche Karrieren: Aufsichtsrat und Vorstand ...... 67 3.2 Qualifizieren, integrieren, disziplinieren: Mitarbeiter und betriebliche Sozialpolitik ...... 94 3.3 Stille Reserven: Bilanzierungsprinzipien und Geschäftsentwicklung ...... 111 3.4 Prüfungs- und Treuhandtätigkeit in der Zeit des Nationalsozialismus . 123 4. Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa im Rahmen der nationalsozialistischen Expansion ...... 145 4.1 Bewertungs- und »Arisierungsprüfungen« in Österreich ...... 155 4.2 »Arisierungsprüfungen« und Veräußerungstreuhänderschaft im Sudetenland ...... 166 4.3 Geschäftsführung für die Reichswirtschaftshilfe in den Grenzgebieten . 171 4.4 Berichterstattung zu Rohstoffen in Frankreich, Belgien und Norwegen 180 4.5 Informationsermittlung für die Kapitalverflechtung in Belgien . . . 185 4.6 Feindvermögensverwaltung: Die Treuarbeit in den Niederlanden . . 190 4.7 »Staatliche Kontrolle politischer und finanzieller Art«: Die Treuarbeit in der Ukraine ...... 242 5. Schlussbemerkungen ...... 275 5.1 Treuhandgesellschaften in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts . . 275 5.2 Die Treuarbeit im Nationalsozialismus ...... 279 5.3 »… niemals parteipolitische Grundsätze vertreten« – Die Treuarbeit nach 1945 ...... 286 6. Anhang 6.1 Danksagung ...... 291 6.2 Verzeichnis angefragter oder besuchter Institutionen ...... 292 6.3 Quellenverzeichnis ...... 294 6.4 Literaturverzeichnis ...... 296 6.5 Abkürzungsverzeichnis ...... 311

1. Einleitung links: Einleitung rechts: Einleitung

Vorstandsmitglied Wilhelm Adler beschrieb 1931 das Selbstverständnis der Deutschen Revisions- und Treuhand-Aktiengesellschaft und ihr Verhältnis zum Staat mit den Wor- ten: »Durch die ständige enge Zusammenarbeit mit den Ministerien gewann die Gesell- schaft nicht nur eine eingehende Kenntnis von deren Organisation und Bedürfnissen, sondern auch allmählich eine Vertrauensstellung […] Es liegt in der Natur der Sache […], daß das Vertrauen zu der Gesellschaft […] mit der Aufrechterhaltung und Förde- rung der Leistungsfähigkeit der Gesellschaft eng verknüpft ist […] Doch dürfte gerade darin ein besonderer Vorzug des Systems von Reich und Preußen liegen, sich in der Hauptsache eines einzigen mit den Besonderheiten der Zielsetzung und der Bedürfnisse der öffentlichen Hand genau vertrauten Prüfungsorgans zu bedienen und auf der ande- ren Seite doch die Möglichkeit zu haben, das Tätigkeitsgebiet je nach der Leistung der Gesellschaft zu erweitern oder zu beschränken.«1 Die Gesellschaft mit dem Kurznamen »Treuarbeit« war im Herbst 1922 aus der Revisionsabteilung der Reichs-Kredit- und Kontroll-Stelle hervorgegangen.2 Nachdem staatliche Kriegsgesellschaften und Unternehmensbeteiligungen des Reiches aus der Zeit des Ersten Weltkrieges in der frühen Weimarer Republik in privatwirtschaftliche Gesell- schaften unter dem Dach der reichseigenen Vereinigte Industrie-Unternehmungen Aktiengesellschaft (VIAG) zusammengefasst worden waren3, sollten sie nach kauf- männischen Grundsätzen geprüft werden. Im Jahr 1925 vereinbarten der Rechnungshof des deutschen Reiches und das Reichsfinanzministerium, dass die Treuarbeit die Tochter- gesellschaften der VIAG einheitlich prüfen sollte.4 Die Treuarbeit, als Reichsgesellschaft ebenfalls eine Tochtergesellschaft der VIAG,5 erhielt damit ein Prüfungsmonopol für alle Reichsbeteiligungen. Das Land Preußen erwarb mit Wirkung vom 1. Dezember 1926 einen Anteil von 30 Prozent des Aktienkapitals der Treuarbeit von der VIAG. Nun prüfte die Treuarbeit auch alle Unternehmen, an denen Preußen beteiligt war. Vertreter von Rechnungshöfen und Ministerien hatten Mandate im Aufsichtsrat der Gesellschaft

1 Adler, »Kontrolle« (1931), 73 f. 2 Zunächst in der Rechtsform der GmbH, ab dem 3. Januar 1925 firmierte die Treuarbeit als Aktien- gesellschaft. 3 Der Staat beteiligte sich vor allem in den für Landwirtschaft und Rüstung wichtigen Branchen Stickstoff, Aluminium und Elektrizität. Zu den Reichsbeteiligungen und zur VIAG im Einzelnen siehe: Guggenheim, Industriekonzern (1925); Hansen, Beteiligungen (1931); Pohl, VIAG (1998). Zur Gründung der Treuarbeit im Einzelnen siehe: Forster, »Finanzkontrolle« (1989) sowie BAB R 2301/5969, Bl. 465R, 466 »Bemerkungen des Rechnungshofs des Deutschen Reiches über die Prüfung von Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit«, Mai 1925. Zur Gründung der Treu- arbeit auch Pega, Tätigkeit (2010), 99 f., 102–105 auf der Grundlage älterer Literatur. 4 Die Prüfungsgrundsätze finden sich in: BAB R 2301/5969, Bl. 495, 495R, Anlage 4 »Grundsätze betr. die Prüfung […]« aus »Bemerkungen des Rechnungshof des Deutschen Reiches über die Prüfung von Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit«, Mai 1925. 5 Handbuch der deutschen Aktiengesellschaften, Jg. 1942, 6170, seit dem 22. Mai 1923, vorher war die Treuarbeit eine Tochtergesellschaft der staatlichen Reichskreditgesellschaft. 7 Einleitung inne. Wegen ihrer Monopolstellung und wegen fehlender Unabhängigkeit aufgrund der personellen Verflechtung mit staatlichen Stellen wurde die Treuarbeit kritisiert.6 Als die Nationalsozialisten Anfang 1933 die politische Macht in Deutschland über- nahmen, war die Treuarbeit die zweitgrößte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in Deutsch- land.7 Zu dieser Zeit bot sie eine breite Palette von Dienstleistungen an. Neben regelmä- ßigen Bilanzprüfungen und Reorganisationen des internen Rechnungswesens beriet die Gesellschaft in Krisensituationen, wie Sanierungen oder Insolvenzen, sowie bei Unter- nehmenszusammenschlüssen und sie begutachtete Neuinvestitionen. Zu ihren Kunden gehörten vor allem Unternehmen der Montan- und Werftindustrie, der Elektrizitäts- wirtschaft sowie des Luftverkehrs, des Flugzeugbaus und des Genossenschaftswesens. 1926 übernahm sie die Geschäftsabwicklung für die von Reich und Ländern übernom- mene Garantie für einen 300-Millionen-RM-Kredit zur Förderung der Ausfuhr in die Sowjetunion und ab 1929 die geschäftsführende Tätigkeit für Reichsbürgschaften. In der Weltwirtschaftskrise überprüfte die Treuarbeit die Vermögenslage einiger größerer Städte und wurde nach der Bankenkrise 1931 auch mit der Prüfung von Banken beauf- tragt, die in Liquiditätsprobleme geraten waren.8 Im selben Jahr wurde die aktienrecht- liche Pflichtprüfung gesetzlich eingeführt und der Wirtschaftsprüferberuf konstituiert, der diese Prüfung exklusiv vornehmen durfte. Die Treuarbeit wurde als Wirtschaftsprü- fungsgesellschaft anerkannt. Bis zum Ende des »Dritten Reiches« wurde die Treuarbeit zur größten Wirtschafts- prüfungsgesellschaft im besetzten Europa. Ihr Außenstellennetz erstreckte sich von Brüssel bis Dnjepropetrowsk am Schwarzen Meer und von Reval bis Bukarest. Im Zeit- raum von 1933 bis 1944 vervierfachte sich die Bilanzsumme und die Erträge stiegen zwischen 1933 und 1943 um mehr als 280 Prozent. Die Gehaltszahlungen stiegen von 2 Millionen RM im Jahr 1937 auf 4,7 Millionen RM im Jahr 1941. Mit diesen Zuwächsen ließ die Treuarbeit andere deutsche Treuhandgesellschaften9 weit hinter sich.10 Sie erhielt Prüfungsaufträge für neu eingerichtete Behörden wie die Vierjahresplan-Behörde und neu gegründete staatseigene Unternehmen wie die Reichswerke »Hermann Göring«. Zudem erhielt sie praktisch ein Prüfungsmonopol für die Luftrüstungsindustrie. In fast allen von Deutschland besetzten Ländern Europas führte die Treuarbeit Prüfungen für regionale deutsche Zivil- und Militärbehörden durch. Im Auftrag verschiedener Reichs-

6 Hierzu im Einzelnen Kapitel 3.4. 7 BAB R 3101/17697, Bl. 2: Vermerk für SS-Brigadeführer Ohlendorf, Betr.: Sitzung des Aufsichts- rats der Deutschen Revisions- und Treuhand A. G. am Freitag, dem 7. Juli 1944 (Dr. Winckelmann/ Reichswirtschaftsministerium); siehe auch Bähr, Governance (2003), 76. 8 Siehe hierzu die Geschäftsberichte der Treuarbeit für die Jahre 1925 bis 1932 (Wirtschaftsarchiv der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln, Signatur LB 1/1). 9 Die Bezeichnung »Treuhandgesellschaft« statt Wirtschaftsprüfungsgesellschaft war auch nach 1931 noch für Jahrzehnte üblich und wird auch hier verwendet. 10 Belegung des Zahlenmaterials im Einzelnen siehe Kapitel 3.3 zur Bilanzierung und Geschäftsent- wicklung. 8 Treuhandgesellschaften und Bilanzprüfung – Forschungsstand und Fragestellungen ministerien bearbeitete sie außerdem ein umfangreiches und differenziertes Treuhand- geschäft.11

1.1 Treuhandgesellschaften und Bilanzprüfung – Forschungsstand und Fragestellungen links: Einleitung rechts: Treuhandgesellschaften und Bilanzprüfung – Seit Beginn des 20. Jahrhunderts bildeten Treuhandgesellschaften gemeinsam mit Forschungsstand und Fragestellungen Bücherrevisoren den Prüferberuf. Nach der Konstituierung des Wirtschaftsprüferberufs 1931 konnten sich Bücherrevisoren zu Wirtschaftsprüfern bestellen und Treuhandgesell- schaften als Wirtschaftsprüfungsgesellschaften anerkennen lassen. Zu dieser Profession liegen aus der Zeit nach 1945 mehrere Überblicksdarstellungen aus der Hand von Wirt- schaftsprüfern vor.12 Sie behandeln zum Teil handbuchartig zusammengestellt weit- gehend übereinstimmend und überwiegend in chronologischer Reihung die Themen Aufgaben, Konstituierung, Rechtsgrundlagen, Berufsgrundsätze und -bestimmungen sowie Entwicklung des Berufsstandes von 1932 bis heute. Die Wirtschaftsprüfung im europäischen Ausland und in den USA, die Einbindung der Wirtschaftsprüfer in europäische und internationale Verbände sowie international agierende Wirtschafts- prüfungsgesellschaften sind weitere Themen der meist deskriptiven Darstellungen. Doch sie behandeln auch den »Urkonflikt« des Berufs zwischen Bücherrevisoren und Einzelwirtschaftsprüfern einerseits und Treuhandgesellschaften, speziell die von Banken gegründeten, andererseits, die wegen fehlender Unabhängigkeit in der Berufsausübung kritisiert wurden.13 Diese Überblicke beziehen sich in der Regel auf zeitgenössische Literatur, einschlägige Zeitschriften, berufsverbandsinterne Mitteilungen, Gesetzes- texte und andere gedruckte Quellen. Das Verdienst, als erster die NS-Zeit vornehm- lich anhand zeitgenössischer Schriften des Berufsstandes zusammengefasst dargestellt zu haben, kommt Bernd Stefan Meisel zu.14 Die gesetzliche Konstituierung des Wirtschaftsprüferberufes in den frühen 1930er Jahren hat Löhnig 1999 quellenbasiert untersucht. Er stellt die teilweise sehr konträren Positionen einer Vielzahl staatlicher, verbandlicher und wirtschaftlicher Institutionen

11 BAB R 3101/17697, Bl. 2–8: Vermerk für SS-Brigadeführer Ohlendorf, Betr.: Sitzung des Aufsichtsrats der Deutschen Revisions- und Treuhand A. G. am Freitag, dem 7. Juli 1944 (Dr. Winckelmann/Reichs- wirtschaftsministerium). Hierzu gehörten Bearbeitung und Abwicklung von Ausfallbürgschaften und Garantien für Exportgeschäfte, von Finanzierungs- und Garantieverträgen für Substitutionsgüter, die Verwaltung von Gesellschaftskapital für rüstungswirtschaftlich wichtige Unternehmensgründungen, die Bearbeitung der Reichswirtschaftshilfe in fast allen angegliederten Gebieten und die »Feindver- mögensverwaltung« in den besetzten Niederlanden. Im Einzelnen siehe Kapitel 3.4. 12 Koch, Beruf (1957); Meisel, Geschichte (1991); Markus, Wirtschaftsprüfer (1996); Weyershaus, Wirtschaftsprüfung (2007). Ferner: Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V. (Hg.): 75 Jahre (2007). 13 Dieser »Urkonflikt« besteht unter veränderter Themenstellung noch heute. Die Konfliktlinie verläuft zwischen international operierenden Branchenriesen wie PwC und KPMG und den klein- und mittel- ständischen Prüferpraxen sowie Einzelwirtschaftsprüfern. 14 Meisel, Geschichte (1991), 208–238. 9 Einleitung zur Gestaltung des Wirtschaftsprüferberufes dar und kommt zu dem Ergebnis, dass sich das preußische Ministerium für Handel und Gewerbe mit der Neugestaltung des Wirt- schaftsprüferberufs gegen viele Widerstände, insbesondere der kommunalen Spitzenver- bände, der Anwaltschaft und zahlreicher Handelskammern durchsetzte. Möglich war dies durch die Unterstützung des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT).15 Nach Löhnig räumte der Staat der Wirtschaft weitgehende Mitsprache- und Mitarbeits- möglichkeiten ein, um sie in die »Professionalisierungsprozesse« des Wirtschaftsprüfer- berufes einzubinden. Dies sei die »richtige Voraussetzung« dafür gewesen, dass Wirt- schaftsakteure als »hauptsächliche Rezipienten« in den Folgejahren die »Professions- leistung« der Wirtschaftsprüfer anerkenne.16 Zu einzelnen Treuhandgesellschaften liegen einige kurze chronologische Skizzen und Festschriften vor.17 Umfangreiche historische Studien mit theoretischer Fundierung gibt es bislang nicht. Der historischen Forschung stehen verschiedene Erklärungsansätze zur Ent- stehung der Bilanzprüfung und der Treuhandgesellschaften aus dem Feld der Neuen Institutionenökonomie (NIÖ) zur Verfügung, die in einzelnen Aufsätzen bereits dis- kutiert worden sind. Die NIÖ hebt die Bedeutung von Institutionen und Transaktions- kostensenkungen für den wirtschaftlichen Fortschritt und das wirtschaftliche Wachstum einer Nation hervor. Weil wirtschaftliche Transaktionen mit umfangreichen Such-, Informations-, Aushandlungs-, Absicherungs- und Durchsetzungskosten (Transaktions- kosten) verbunden sind,18 suchen handelnde Akteure nach effizienten Institutionen, die die Informationsbasis verbreitern, die Risiken mindern, die Überwachung verbessern und auf diese Weise Transaktionskosten senken. Daher werden Treuhandgesellschaften – mit spezieller, vor allem betriebswirtschaftlicher, Expertise ausgestattete Akteure –, und die von ihnen durchgeführten Bilanzprüfungen – nach speziellen Regeln vorgenommene Prüfungen der Vermögens-, Ertrags- und gegebenenfalls Liquiditätslage von Unter- nehmen – als effiziente Transaktionskosten senkende Lösungen angesehen, weil sie den einzelnen Investoren Informationen zur Bewertung dieser Unternehmen bereitstellen,

15 Löhnig, Wirtschaftsprüfer (1999), 239 f. (Löhnig arbeitete zur Zeit der Erstellung seiner Dissertation bei einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft); zum Konflikt zwischen Handelskammern und DIHT: 150 f. (Handelskammern befürchteten eine Aushöhlung der Selbstverwaltung), 240 (DIHT wollte sich offenbar mit dem Wirtschaftsprüferberuf einen neuen Kompetenzbereich schaffen), 81, 246 (es spielten auch länderspezifische Animositäten zwischen Bayern und Preußen, dem Wortführer des Wirtschaftsprüferberufes, eine Rolle), 84–86, 157 (ferner waren Kompetenzkonflikte unter dem Aspekt »zentral-dezentral« von Bedeutung). 16 Löhnig, Wirtschaftsprüfer (1999), 252, 253, 255. 17 Festschriften liegen zumeist von Banken-Treuhandgesellschaften vor, z. B.: Muthesius, 75 Jahre (1965); Deutsche Warentreuhand und Treuhand Aktiengesellschaft, 50 Jahre (1970); Treuverkehr Aktien- gesellschaft, Treuverkehr (1971); Treuhandvereinigung, Wirtschaftsprüfung (1980); Süddeutsche Treu­hand-Gesellschaft, 75 Jahre (1982), Schitag, Siebzig Jahre (1989); KPMG, 100 Jahre (1990); Saygin, Weiter denken (2008). Siehe ferner unternehmensbiographische Skizzen einiger Treuhand- gesellschaften: Quick, »Gründung« (2004), 281–309. 18 Wischermann/Nieberding »Revolution« (2004), 198. Berghoff, »Transaktionskosten« (1999), 160– 163. 10 Treuhandgesellschaften und Bilanzprüfung – Forschungsstand und Fragestellungen die sonst nur mit sehr großem Aufwand oder gar nicht beschafft werden können.19 Der Erklärungsansatz der Transaktionskosten lässt nach der Messbarkeit dieser Kosten, der Höhe erzielter finanzieller Vorteile und nach der Wirtschaftlichkeit von Prüfungen fragen. Als erste haben Henning und Quick die Informationsasymmetrien als zentralen Aspekt für die Entstehung und Entwicklung von Treuhandgesellschaften und Bilanzprü- fungen herausgestellt. Mit dem Aufkommen von Aktiengesellschaften und der Entste- hung von Aktienbanken in der Zeit der Industrialisierung entstanden auch Großunter- nehmen, die insbesondere im Falle der Aktiengesellschaften auch eine Trennung von Eigentümern (Prinzipal) und Unternehmensmanagement (Agent) mit sich brachten.20 Durch diese Trennung von Eigentum und Dispositionsgewalt verfügt die Geschäfts- leitung jedoch über mehr, detailliertere und zeitnahe Informationen zur Geschäftsent- wicklung des Unternehmens als die Aktionäre und Kreditgeber.21 Weil dieser Informa- tionsvorsprung für das Management einen Anreiz darstellen könnte, eigene Ziele zu verfolgen, die von den Interessen der Aktionäre und Geldgeber abweichen – vielleicht sogar ein Anreiz für betrügerische Handlungen (moral hazard) sein kann22 – sollten die vom Management aufgestellten Bilanzen regelmäßig geprüft werden, um solche Anreize zu vermindern. Diese Prüfungsaufgabe war grundsätzlich dem von der Haupt- versammlung der Aktionäre bestimmten Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft zuge- dacht, dem Vertreter der Eigentümer und meist auch der Kreditgeber angehörten und der in Deutschland 1870 als unternehmensinternes Kontrollorgan der Geschäftsleitung gesetzlich konstituiert worden war.23 Die in den folgenden Jahrzehnten auftretenden Wirtschaftskrisen, von der Gründerkrise 1873 bis zur Bankenkrise 1931, die zu zahlrei- chen Unternehmenszusammenbrüchen führten, zeigten jedoch, dass der Aufsichtsrat in vielen Fällen nicht in der Lage war, die Bilanzen angemessen zu prüfen.24 Daher rief der Gesetzgeber 1931 mit der periodischen Bilanzpflichtprüfung für Aktiengesellschaften25 und der Konstituierung des Wirtschaftsprüferberufes als ausschließlichem Bilanzprüfer zwei unternehmensexterne Überwachungsinstitutionen ins Leben.

19 Berghoff, »Zähmung« (2004), 146; Fiedler, »Vertrauen« (2001), 578 f. 20 Henning, »Unternehmensprüfung« (1990), 12; Quick, »Entstehungsgeschichte« (1990), 221. Diese Trennung verstärkte sich, als nach der Aktienrechtsreform 1884 auch Nicht-Aktionäre in den Auf- sichtsrat entsandt werden konnten und Vorstandsmitglieder keine Anteile am Unternehmen mehr halten mussten; Burhop, Wirtschaftsgeschichte (2011), 144. 21 Quick, »Entstehungsgeschichte« (1990), 219; Quick, »Gründung« (2004), 308. 22 Henning, »Unternehmensprüfung« (1990), 1, 3. 23 Die strikte Trennung der Aufgaben von Aufsichtsrat (Kontrollorgan) und Vorstand (Geschäftsführung) erforderte allerdings selbst nach der Aktienrechtsnovelle 1884 noch eine entsprechend formulierte Satzung des Unternehmens. 24 Henning, »Unternehmensprüfung« (1990), 18 f.; Quick, »Entstehungsgeschichte« (1990), 221. Gründe für das Scheitern der Kontrollfunktion von Aufsichtsräten können sein: persönliche Ver- pflichtungen und Rücksichtnahmen, Einmischung in die Geschäftsführung, Kundenbindung bei Auf- sichtsräten aus Banken, fehlende fachliche Qualifikation, siehe Bähr, »Governance« (2003), 63. 25 Etwa zeitgleich wurde auch die Bilanzprüfung für Versicherungsgesellschaften vorgeschrieben; diese Prüfungstätigkeit wurde den Wirtschaftsprüfer einige Jahre später als Vorbehaltsaufgabe zugewiesen. 11 Einleitung Die Bilanzpflichtprüfung sollte eine Schutz- und Vorsorgefunktion erfüllen, durch die mögliche Schäden aus Unternehmenskrisen vermindert oder gar vermieden werden können. Somit sollte die Bilanzprüfung sowohl Interessen Einzelner, nämlich Anteils- eigner, Gläubiger, Geschäftspartner und Arbeitnehmer des geprüften Unternehmens wie auch volkswirtschaftliche Anforderungen erfüllen.26 Die Prüfungen sollen auch »spekulative und verfehlte Geschäfte« der Unternehmensleitungen aufdecken, die dem Aufsichtsrat und der Generalversammlung anderenfalls verborgen blieben.27 Damit trägt die Pflichtprüfung »zur Senkung der Transaktionskosten und zum Erfolg des Unternehmens« bei, auch weil sie als Kontrollmechanismus wirkt, mit dem das Unter- nehmen bei Außenstehenden Glaubwürdigkeit und Vertrauen erzeugen kann.28 Die Informationsbeschaffung ist ein Thema der Dissertation von Dahlem29 Am Bei- spiel der von der Deutschen Bank mitbegründeten Deutschen Treuhand-Gesellschaft (DTG) zeigt er auf, wie die durch Prüfungen ihrer Tochtergesellschaft vielfältige und exklusive Informationen über ihre Kreditkunden erhielt. Die DTG war die erste Gesellschaft, die kurz nach 1900 in Deutschland materielle Bilanzprüfungen in Unternehmen vornahm. Einerseits verschaffte sich die Deutsche Bank mit dem Infor- mationszuwachs Vorteile für die eigenen Geschäftsinteressen, andererseits erreichten die geprüften Unternehmen günstigere Finanzierungskonditionen.30 Da Bilanzprüfungen zur Verringerung von Informationsasymmetrien beitragen, verbessern sie, so Dahlem, die Markttransparenz und stellen die Entwicklung und Funktionsfähigkeit von Kapital- märkten sicher. Im Zentrum der Überlegungen von Berghoff und Fiedler steht das Vertrauen als »Schlüsselkategorie« wirtschaftlichen Handelns, das für das Funktionieren von Märk­ ten als unabdingbare Voraussetzung gilt. Den Ausgangspunkt der Überlegungen bilden wieder die Transaktionskosten der handelnden Akteure auf dem Markt. Am Ende des 19. Jahrhunderts hatten die modernen Volkswirtschaften einen Grad der Vielschichtigkeit, Unübersichtlichkeit und Arbeitsteiligkeit erreicht, der wirtschaft- liche Transaktionen mit großen finanziellen Risiken verband. Die Vermeidung solcher Risiken erforderte hohe Informations-, Sicherungs- und Überwachungsausgaben. Um diese Transaktionskosten zu senken, mussten Risiken erfasst, beurteilt und vermindert werden. So wuchs mit der Komplexität der internationalisierten Marktbeziehungen im späten 19. Jahrhundert die Gefahr von Konkursen, Vertragsbrüchen und Forderungs- ausfällen sowie der Ausbeutung von Vorleistungen.31 Die Fülle der erforderlichen Absicherungsmaßnahmen war für das einzelne Unternehmen jedoch weder praktisch noch finanziell zu leisten. Daher etablierte sich ein Markt käuflicher »Vertrauens-

26 Henning, »Unternehmensprüfung« (1990), 27. 27 Quick, »Entstehungsgeschichte« (1990), 231 (Zitat). 28 Bähr, »Governance« (2003), 61 (Zitat), 62, 73. 29 Dahlem, Professionalisierung (2009), 95–102. 30 Die Gründe der Informationsbeschaffung und Überwachung nennt auch Harston, »Profession« (1993), 152. 31 Berghoff, »Zähmung« (2004), 147, spricht hier von einer »Eskalation der Unsicherheit«. 12 Treuhandgesellschaften und Bilanzprüfung – Forschungsstand und Fragestellungen anbieter«, die für einzelne Absicherungsbereiche eine spezielle Expertise entwickelten.32 Neben den Treuhandgesellschaften als »guardians of trust«33 gehören auch Banken, Ver- sicherungen, Ratingagenturen und Kreditauskunfteien dazu. Vertrauen wird durch die entsprechenden Organisationen und durch Institutionen wie Bilanz- und Wirtschafts- prüfung geradezu herbeiorganisiert.34 Diese Experten sollen in einer zunehmend als unsicher empfundenen Umwelt stabilisierend wirken und durch ihre Tätigkeit dazu bei- tragen, die durch wirtschaftliche Transaktionen ausgelösten Absicherungs- und Über- wachungskosten zu senken.35 Bilanzprüfern und Treuhandgesellschaften kommt die Funktion zu, durch regelmäßige Prüfungen von Unternehmensbilanzen die bestehende Informationsasymmetrie zwischen Unternehmen und Kapital- und Kreditgebern zu vermindern. Die Experten können ihre Wirkung aber nur dann entfalten, wenn sie von allen Beteiligten als vertrauenswürdig akzeptiert werden. Somit werden Treuhandgesell- schaften zu »kommerzielle[n] Vertrauenswächter[n]« in der modernen Wirtschaft.36 Vertrauensfragen sind, vor allem nach Unternehmenskrisen, auch für den Corporate- Governance-Ansatz von zentraler Bedeutung. »Spektakuläre Unternehmenszusammen- brüche zeigten immer wieder, dass Glaubwürdigkeit und Vertrauen auf Dauer nur mit wirksamen Kontrollmechanismen gewährleistet werden konnten.«37 Corporate Governance meint das gesamte System interner und externer Kontroll-, Lenkungs- und Überwachungsmechanismen in einem Unternehmen und konzentriert sich speziell auf die Struktur der Eigentums- und Kapitalverhältnisse, die Leitung und Kontrolle der Unternehmen und die Organisation der Unternehmensführung.38 Nach dem Corporate Governance Ansatz schafft ein gutes Regelwerk Vertrauen und Transparenz und es trägt so zur Senkung der Organisationskosten und zum Erfolg von Unternehmen bei.39 Als Kern der Überwachung der unternehmensinternen Abläufe gelten Buchführung und Bilanzerstellung. Das Management bedient sich des betrieblichen Rechnungswesens zur Planung, Kontrolle und Steuerung.40 Treuhandgesellschaften sind nach Quick aufgrund

32 Diese Entwicklung beschrieb auch Werner Friedrich Bruck in seiner Studie: Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Wirtschaftsprüfers und die Anforderungen an sein Wissen in Deutschland und England, 1932. Bruck war Professor an der Universität Münster und Mitglied im Prüfungsausschuss für das Wirtschaftsprüferexamen bei der IHK Münster. Er sah »Risiko« als das maßgebende Kriterium der modernen, kapitalistischen Wirtschaft an. Im 19. Jahrhundert haben sich »Wirtschaftsordnung« und »Wirtschaftskontrolle« herausgebildet, um Risiken zu verteilen, zu verhindern und Krisen zu mildern. Der Wirtschaftsprüfer sei ein »Risikovermeidungsorgan«. Die »Risikoüberwindung« sah Bruck als »Wesensteil« der Produktion und Bedarfsversorgung an. Arbeitsteilung oder auch »Funktionsauf- spaltung« sei ebenfalls ein Mittel der Risikominderung, ein »Antikrisid«. Dem außerhalb der Unter- nehmen stehenden Wirtschaftsprüfer komme eine Warnfunktion zu, S. 11, 20–22, 26. 33 Berghoff, »Zähmung« (2004); Fiedler, »Vertrauen« (2001); Hillen, »Gott« (2007), 7–16. 34 Berghoff, »Zähmung« (2004), 148, 154, 156. 35 Berghoff, »Zähmung« (2004), 144, 157. 36 Berghoff, »Zähmung« (2004), 156–160; Fiedler, »Vertrauen« (2001), 589, 591. Weitere Experten sind technische Überwachungsvereine und Verbraucherschutzorganisationen. 37 Bähr, »Governance« (2003), 62. 38 Erker, »Business« (2002), 560, 567. 39 Bähr, »Governance« (2003), 61. 40 Erker, »Business« (2002), 570. 13 Einleitung ihrer Prüfungstätigkeiten »ein wichtiges und unverzichtbares Element der Corporate Governance.«41 Die durch Prüfungen erzeugte Vertrauenswürdigkeit verschaffe Unter- nehmen Zugang zum Kapitalmarkt und erleichtert die Unternehmensfinanzierung, da geprüfte Bilanzen Investoren und Kreditgebern Sicherheit geben.42 Der Property-Rights-Ansatz, ein weiterer Ausgangspunkt der NIÖ liefert ebenfalls Begründungen für die Existenz von Wirtschaftsprüfungen. Als Property Rights bezeich- net man Eigentums-, Handlungs- oder Verfügungsrechte. Diesen Rechten wird als Bedingung wirtschaftlichen Handelns und als Rahmenbedingung wirtschaftlichen Wachstums eine wesentliche Rolle zugemessen.43 Wirtschaftliche Akteure »investieren« in Institutionen, die Vertrauen herstellen, wiederherstellen oder aufrechterhalten, um mit diesen Institutionen ihre Handlungsmöglichkeiten zu verbessern oder zu erwei- tern – wie auch die Institution der Wirtschaftsprüfung. Hierbei strebt wirtschaftliches Verhalten nicht zwingend nach Gewinnmaximierung oder kurzfristiger Kostensen- kung, sondern will den individuellen Nettonutzen maximieren.44 Property Rights rücken zudem die Bedeutung des Staates für das ökonomische Handeln in den Vordergrund. Als Ergebnis dieser Diskussion wichtiger Theorieansätze lässt sich zusammenfassend resümieren, dass Treuhandgesellschaften durch Bilanzprüfungen Informationsasym- metrien und damit den Anreiz zu moral hazard vermindern. Durch dieses Plus an Sicher- heit verbessern Treuhandgesellschaften die Funktionsfähigkeit von Kapitalmärkten und tragen zu ihrer Entfaltung bei. Investoren und Kreditgeber (Prinzipale) könnten eigenständig Sicherheitsmaßnahmen initiieren. Diese Alternative ist jedoch mit vielen Schwierigkeiten verbunden: mangelnde fachliche Expertise, hohe (Transaktions-)Kosten und keine rechtliche Grundlage für den Einblick in Unternehmen. Treuhandgesell- schaften und Bilanzprüfungen sind hingegen durch Gesetze geregelte Institutionen. Treuhandgesellschaften sind beispielsweise zu Verschwiegenheit und Unparteilichkeit verpflichtet. Dies begründet ihre Vertrauenswürdigkeit und allgemeine Akzeptanz bei wirtschaftlichen Akteuren, Staat und Öffentlichkeit. Unternehmensleitungen (Agenten) verspüren weniger Neigung, Informationsasymmetrien zu verringern, auch müssen sie die Prüfungskosten tragen. Allerdings sind Prüfungen vielfach die Voraussetzung für den Zugang zu Kapitalmärkten. Vorteilhaft für Unternehmen ist, dass Treuhandgesell- schaften keine Informationen an Dritte weitergeben, sondern Prüfungsergebnisse in (oft formelhaften) Bilanztestaten zusammenfassen. Allerdings stehen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, heute insbesondere die Bran­ chen­riesen PricewaterhouseCoopers (PwC) und KPMG, immer wieder in der Kritik.­ Spektakuläre Unternehmenszusammenbrüche der letzten Jahrzehnte haben Fragen nach Prüfungsqualität, Unabhängigkeit der Prüfer und nach der Vereinbarkeit von

41 Quick, »Gründung« (2004), 281, 306, 308. 42 Erker, »Business History« (2002), 558. 43 Wischermann, »Property-Rights-Ansatz« (1993), 240. 44 Borchardt, »‚Property-Rights-Ansatz’« (1977), 158. 14 Treuhandgesellschaften und Bilanzprüfung – Forschungsstand und Fragestellungen Prüfungs- und Beratungsleistungen aufkommen lassen.45 Als Antwort auf die Kritik verweisen Wirtschaftsprüfer auf die Diskrepanz zwischen der öffentlichen Erwartung und dem gesetzlich definierten Auftrag der Wirtschaftsprüfer: Bilanzprüfung und Testat beziehen sich auf die Einhaltung gesetzlicher Gliederungs- und Bewertungsvorschriften, sie treffen jedoch keine Aussage zur wirtschaftlichen Situation von Unternehmen.46 Die Charakterisierung der Bilanzprüfung als Ordnungsmäßigkeitsprüfung und die Ungewissheit, ob Jahresabschlüsse die wirtschaftliche Lage adäquat abbilden können, werfen die Frage auf, welche Wirkungen sie als Corporate-Governance-Elemente ent- falten können. Ein Ziel dieser Studie ist es daher, zu überprüfen wie tragfähig die vorgenannten Erklärungsansätze zur Entstehung und Funktion von Treuhandgesellschaften und Bilanzprüfungen in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind, und zu fragen, ob die Treuarbeit zur Reduzierung von Informationsasymmetrien, zur Senkung von Transaktionskosten und zur Generierung von Vertrauen beigetragen hat, und ob sich ihre Funktion in diesen Positionen wirtschaftlicher Wirkungen erschöpft hat. Treuhandgesellschaften gelten als »Instanzen zur Ausbreitung und Stabilisierung eines institutionalisierten Marktes für Vertrauen«, doch ihre Geschichte ist weitgehend unerforscht.47 Die Analyse der Treuarbeit in der Zeit des NS wird vor allem den Ver- trauensbegriff nutzen. In den letzten Jahren haben Soziologie und Wirtschaftswissen- schaften das Vertrauen als eine Variable zur Erklärung wirtschaftlichen Verhaltens von Akteuren zunehmend in den Vordergrund gerückt.48 Vertrauen gilt als bedeutsamer Erfolgsfaktor wirtschaftlichen Handelns. Misstrauen erschwere den Marktzugang und verteuere die Absicherungs- und Überwachungskosten einer wirtschaftlichen Trans- aktion. Vertrauen wird fundamentale Bedeutung für die Konstituierung von Märkten und für die wirtschaftliche Entfaltung von Volkswirtschaften zugesprochen. Vertrauen kommt in diesem Zusammenhang Transaktionskosten senkende Effekte zu und kann auch eine Grundlage für die Selbstorganisation jenseits staatlichen Zwanges sein. Für Unternehmen ist Vertrauen Sozialkapital, dessen Bedeutung über den materiellen Wert

45 Firmenpleiten der 1970er/1980er Jahre Jahre: Herstatt, Neue Heimat, AEG; Firmenpleiten der 1990er Jahre: Balsam-Procedo, Metallgesellschaft, Coop, Bremer Vulkan, Schneider, Philipp Holz- mann, FlowTex; Firmenpleiten nach 2000: Enron, WorldCom, Bankgesellschaft Berlin, MLP, zuletzt: Schieflagen mehrerer Landesbanken. Zur Trennung von Prüfung und Beratung jüngst EU-Binnen- marktkommissar Barnier: »Kritik an Unternehmensberatung: Frontalangriff auf Wirtschaftsprüfer«, Artikel in Financial Times Deutschland, 27.9.2011, http://www.ftd.de/unternehmen/handel- dienstleister/:kritik-an-unternehmensberatung-frontalangriff-auf-wirtschaftspruefer/60109124.html (Abfrage 7.9.2012). 46 Jüngst Norbert Winkeljohann, Vorstandsvorsitzender PwC in einem Interview mit der Wirtschafts- woche, 15.5.2012 »Schärfere Checks der Geschäftsmodelle«, http://www.wiwo.de/unternehmen/ dienstleister/wirtschaftspruefer-fordert-schaerfere-checks-der-geschaeftsmodelle/6619558.html (Abfrage 20.8.2012). 47 Fiedler, »Vertrauen« (2001), 591 (Zitat); nach Fiedler ist die Geschichte der Treuhandgesellschaften weitgehend Desiderat und die Tätigkeit dieser »Intermediäre« als »Garant von Sicherheit unter wachsender Komplexität, Arbeitsteilung und Differenzierung« bislang kaum beachtet worden. 48 Fiedler, »Vertrauen« (2001), 577. 15 Einleitung des Unternehmens hinausgeht.49 Vertrauen kann sich aber auch in Risiko verwandeln. Wird Vertrauen nicht gerechtfertigt, kommt es zu einem Vertrauensverlust.50 Es gilt dann, verlorenes Vertrauen wiederherzustellen. Wirtschaftliche Akteure müssen Maß- nahmen ergreifen oder Instrumente entwickeln, um Glaubwürdigkeit zu erneuern. Vertrauen kann als interpersonales Vertrauen oder als Systemvertrauen, also Ver- trauen in Institutionen, gestaltet werden.51 Diese Institutionen entwickeln fortan eine eigene Dynamik und beeinflussen ihrerseits das Handeln wirtschaftlicher Akteure. Zur Treuarbeit gibt es einzelne wissenschaftliche Publikationen,52 die die Beziehung der Treuarbeit zum Reichsrechnungshof53 und die geschäftliche Entwicklung der Treu- arbeit in der Zwischenkriegszeit thematisieren.54 Die Mithilfe der Treuarbeit im Dienst nationalsozialistischer Ausbeutung insbesondere in den Niederlanden und in Osteuropa in der Zeit des Zweiten Weltkrieges ist ebenso in einigen Arbeiten kurz skizziert wor- den,55 wie die Beteiligung der Treuarbeit an der wirtschaftlichen Enteignung von Juden (»Arisierungen«) in Deutschland und im Ausland.56 Allerdings ist diesen Fragen bislang nicht systematisch nachgegangen worden. In etwa zeitgleich mit der vorliegenden Arbeit hat Pega die bislang einzige umfang- reichere Studie zur Treuarbeit erstellt. Er untersucht auf Grundlage zahlreicher Prüfungs- berichte und Gutachten für die Jahre 1925 bis 1945 die Qualität der Berichterstattung der Treuarbeit.57 Sein Ausgangspunkt sind Bährs Thesen, dass Wirtschaftsprüfer nach 1933 zunehmend politisch gelenkt wurden und dass sich die aktienrechtliche Pflicht- prüfung sukzessive in ein Instrument staatlicher Kontrolle gewandelt habe. Um diese Thesen am Beispiel der Treuarbeit zu überprüfen, analysiert Pega inwieweit sprachliche Formulierungen der Prüfungsberichte eine Steuerung und Kontrolle der Treuarbeit durch das NS-Regime erkennen lassen. Ferner will er feststellen, ob die Treuarbeit mit ihren Prüfungsberichten zur Lenkung und Kontrolle der Wirtschaft beitrug.58 Pega

49 Berghoff, »Zähmung« (2004), 143–145. 50 Soénius, »Geleit« (2007), 5 (Tagung fand 2005 statt). 51 Fiedler, »Vertrauen« (2001), 585, 588. 52 Prüfungsberichte der Treuarbeit werden in jüngster Zeit von der historischen Forschung als Quellen genutzt, da sie detaillierte Einblicke in die wirtschaftliche Lage von geprüften Unternehmen geben kön­nen, siehe: Scherner/Streb/Budraß, »Armament« (2005); Scherner/Streb, »Wissenstransfer« (2008); Scherner, Logik (2008); Osterloh, Judenverfolgung (2006); Felber/Melichar u. a., Ökonomie (2004). 53 Forster, »Finanzkontrolle« (1989), 115–143. Der Aufsatz umfasst die Zeit der 1920er bis Mitte der 1980er Jahre. Die NS-Zeit spart Forster ohne Begründung aus. Gilles, Hauptsache (1994): Der Schwerpunkt liegt auch in dieser Studie auf der Verbindung der Treuarbeit zum Reichsrechnungshof, die der Autor als Aufgabenteilung zwischen diesen beiden Institutionen darstellt. 54 Möllenberg, Wirtschaftsprüfung (2004), 49–66. Anhand von Geschäftsberichten und Bilanzen ver- gleicht der Autor die Geschäftsentwicklung der Treuarbeit mit der anderer Treuhandgesellschaften. 55 Gilles, Hauptsache (1994), 22–25, 42–46, 66 f., 70–73, 126 f.; Aalders, Enteignung (2000), 189–191, 196, 245, 389. 56 Die Belege der Titel sind in Kapitel 3 zu finden. 57 Der Diplom-Volkswirt Pega arbeitete etliche Jahre als Prüfungsassistent bei zwei Düsseldorfer Wirt- schaftsprüfungsgesellschaften. 58 Pega, Tätigkeit (2010), 19 unter Bezugnahme auf Bähr, »Governance« (2003), 76 f., 80. 16 Die Geschichte der »Treuarbeit« – Fragestellungen und Aufbau der Arbeit befindet, dass mit dem von ihm verwendeten Quellenmaterial eine Beeinflussung der Treuarbeit durch das NS-Regime nicht eindeutig nachzuweisen ist. Er geht dennoch davon aus, dass der Wirtschaftsprüferberuf auf die Ziele der NS-Politik ausgerichtet wurde.59 So kritisiert Pega »aus heutiger Sicht« die Jahresabschlüsse der Treuarbeit für den Luftrüstungssektor, weil sie eine Ordnungsmäßigkeit testiert habe, die nicht gegeben gewesen sei und sie dadurch »öffentliche[…] Prüfungserwartungen« miss- braucht habe.60 Die Treuarbeit trug, so Pega weiter, Mitverantwortung an den völkisch- rassistischen politischen Zielen des NS-Regimes, da sie »in Maßnahmen zur Arisierung jüdischen Vermögens […] eingebunden […]« war und »unter einseitiger Parteinahme […] durch ungerechtfertigte Bewertungen […] mit ihren die jüdischen Verkäufer benachteiligenden vermögensverkürzenden Aktivitäten […] mitgewirkt« habe.61 Doch insgesamt habe die Treuarbeit den »politischen Konsens zwischen Staat und staatsnahen Unternehmen« durch ihre Prüfungshandlungen nicht belastet. Diese Erkenntnis lasse sich zwar nicht aus den Prüfungs- und sonstigen Berichten der Treuarbeit »expressis verbis« ablesen. »Sie ergibt sich vielmehr, wenn man die fachlichen Äußerungen der [Treuarbeit] der politischen Generallinie des Staates gegenüberstellt, in dessen Auftrag sie tätig wurde.« Die Treuarbeit habe gewusst, was das Regime »von ihr erwartete und bewegte sich in diesem vorgegebenen Rahmen, ohne dass ständig auf diese Beziehung hingewiesen werden musste. Außerdem war ihre eigene Kontrollinstanz, ihr Aufsichts- rat, mit zuverlässig-regimetreuen Mitgliedern besetzt.«62

1.2 Geschichte der »Treuarbeit« – Fragestellungen und Aufbau der Arbeit links: Einleitung rechts: Die Geschichte der »Treuarbeit« – Frage- Es ist keine Überraschung, dass das NS-Regime eine staatliche Treuhandgesellschaft zur stellungen und Aufbau der Arbeit Umsetzung seiner wirtschaftspolitischen Ziele einsetzte. Und es kann auch angenommen werden, dass diejenigen, die sich entschieden, in der Treuarbeit Führungsfunktionen zu übernehmen, sich im Dienst des NS-Regimes sahen. Daher hat die vorliegende Studie einen anderen Schwerpunkt und fragt im Detail nach der Mittäterschaft der Treu- arbeit. Denn nach dem Gesetz waren Wirtschaftsprüfer durch Eid zu Verschwiegen- heit, Gewissenhaftigkeit und unparteilicher Prüfung verpflichtet.63 Die »Bestimmungen

59 Pega, Tätigkeit (2010), 24. 60 Pega, Tätigkeit (2010), 214, 276. Unklar bleibt, was Pega in diesem Zusammenhang unter Öffentlich- keit versteht. Hier hätte man sich zudem Erläuterungen dazu gewünscht, welchen Investorenkreis Pega meint und eine Diskussion darüber, wer möglicherweise Interesse an wissentlich falsch testierten Bilanzen gehabt haben könnte. 61 Pega, Tätigkeit (2010), 238. Pega meint mit »Aktivitäten« wohl Prüfungen und Prüfungsberichte, in denen die Treuarbeit ungerechtfertigt niedrige Vermögenswerte ermittelte. 62 Pega, Tätigkeit (2010), 277 f. 63 Gemäß §§ 262 g, 318a(2) HGB der »VO des Reichspräsidenten über Aktienrecht, Bankenaufsicht und über eine Steueramnestie« vom 19. September 1931, abgedruckt im RGBl., Teil I, 21. September 1931, S. 493–501; Erste VO zur Durchführung der aktienrechtlichen Vorschriften der VO des Reichs- 17 Einleitung über den öffentlich bestellten Wirtschaftsprüfer« verpflichteten sie zu Eigenverantwort- lichkeit und strengster Objektivität.64 »Strengste Objektivität« meint ein unbeein- flusstes Urteil, das wesentlich durch die institutionelle und materielle Unabhängigkeit des Prüfers erreicht wird. Diese Berufsgrundsätze sind nicht nur eine maßgebliche Komponente der den Treuhandgesellschaften zugeschriebenen Funktion Vertrauen her- zustellen. Sie dienen auch als eine gewissermaßen selbst definierte Richtschnur für die Beurteilung des Handelns der Treuarbeit in der Zeit des Nationalsozialismus. Mittäter- schaft ist ein wichtiges Thema in Studien zum Nationalsozialismus. Wegen der berufs- ethischen Grundsätze, die sich der Berufsstand selbst gegeben hat, ist diese Frage von besonderem Interesse. Pega hat gestützt auf eine Inhalts- und Sprachanalyse der Berichterstattung gezeigt, dass die Treuarbeit ihre Prüfungstätigkeiten innerhalb Deutschlands weitgehend nach berufsethischen Grundsätzen vorgenommen und nicht dazu beigetragen hat, das Verhält- nis zwischen Staat und privaten Unternehmen zu belasten. Die vorliegende Studie setzt anders an. Sie stützt sich auf zentrale Kategorien der Neuen Institutionenökonomie, die das analytische Instrumentarium an die Hand gibt, wichtige Leitfragen für die Unter- suchung von Treuhand- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften zu formulieren. Dazu liegen neben Prüfungsberichten deutscher Unternehmen zahlreiche weitere Quellen vor, die Aussagen zur Mitwirkung der Treuarbeit im nationalsozialistischen Regime ermöglichen. Sie werden weiter unten vorgestellt. Neben einer detaillierten Unter- suchung der Aufbau- und Ablauforganisation der Prüfungsgesellschaft liegt der Schwer- punkt der Studie in der detaillierten Darstellung und Analyse der prüferischen und treuhänderischen Tätigkeiten im Ausland, die bislang noch nicht untersucht worden sind und Aufschluss darüber versprechen, ob auch hier das Berufsethos der Wirtschafts- prüfer maßgeblich war oder ob die Treuarbeit als Mittäter der NS-Besatzungspolitik bewertet werden muss. Denn die Frage der Mittäterschaft und Verantwortung mag sich im besetzten Ausland ganz anders gestellt haben als innerhalb Deutschlands. Inwiefern auch hier die Berufsgrundsätze der Unabhängigkeit, Verschwiegenheit, Gewissenhaftig- keit, Eigenverantwortlichkeit und Unparteilichkeit als Maßstab der Tätigkeitsausübung galten, ist eine wesentliche Frage dieser Studie. Wegen des umfangreichen vom Staat zugewiesenen Aufgabenspektrums im In- und Ausland, der intensiven personellen Beziehungen des Unternehmens zu Vertretern der Ministerialbürokratie und der Partei sowie der sehr guten Quellenlage eignet sich die Treuarbeit in besonderem Maße als Untersuchungsgegenstand. Doch ist diese Arbeit auch ein Beitrag zur bislang kaum angemessen untersuchten Geschichte von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und zur Geschichte eines staatlichen

präsidenten über Aktienrecht, Bankenaufsicht und über eine Steueramnestie« vom 19. September 1931, abgedruckt im RGBl., Teil I, 21. September 1931, S. 760–763, hier: 762 (Anlage). 64 Bestimmungen über die öffentlich bestellten Wirtschaftsprüfer: »Grundsätze über den Begriff der selb- ständigen und hauptberuflichen Tätigkeit als Wirtschaftsprüfer […]«, »Grundsätze für die Berufs- ausübung des Wirtschaftsprüfers«, abgedruckt in: Schlegelberger/Quassowski/Schmölder, Verordnung (1932), 426, 428. 18 Die Geschichte der »Treuarbeit« – Fragestellungen und Aufbau der Arbeit Unternehmens im Wirtschaftssystem des Nationalsozialismus, die bislang ebenfalls nur in Ansätzen untersucht ist.65 Unabhängig vom zeitgeschichtlichen Hintergrund möchte sie ferner einen exemplarischen Beitrag zur Analyse eines speziellen Dienstleistungsunter- nehmens leisten, und zwar zu seiner Arbeit im Allgemeinen, seinen Arbeitsproblemen und seinen Arbeitsmethoden. Die Darstellung geht chronologisch vergleichend vor zwischen der Zeit der Weimarer Republik und der NS-Zeit und durch Vergleiche der Tätigkeiten des Unternehmens in Ländern des besetzten Europas. Zunächst wird in Kapitel 2 die Geschichte der Treuhandgesellschaften als eine Geschichte der Bildung, des Verlustes und der Wiederherstellung von Vertrauen analy- siert. Es geht um alte und neue Institutionen des Vertrauens, um Vertrauensbildner und Vertrauensadressaten: Wer wollte mittels Prüfungstätigkeit und Treuhandgesellschaf- ten Vertrauen erzeugen? Wessen Vertrauen in die Tätigkeit von Treuhandgesellschaften sollte gewonnen werden? Im Zentrum stehen die sogenannten Bank-Treuhandgesell- schaften. Sie waren die größten Gesellschaften, führten die materielle66 Bilanzprüfung in Deutschland ein und prüften die größten Konzerne.67 Da die Tauglichkeit von Siche- rungsinstrumenten zumeist in Krisensituationen und in Zeiten des Umbruchs hinter- fragt wird, lenkt die Studie den Blick gezielt auf die Wirtschaftskrise des Jahres 1900 und die Bilanzprüfungen der ersten deutschen Prüfungsgesellschaft, sowie die Banken- krise 1931, die NS-Zeit und die DM-Bilanzierung nach der Währungsreform 1948.68 Im Zentrum stehen dabei die Fragen, wie sich die Treuhandgesellschaften als Vertrau- ensinstanzen in der Praxis etablierten, wie funktionstauglich sie, beispielsweise bei der Verminderung von Informationsasymmetrien, waren, welche Rolle Handelsbilanzen und Bilanzprüfungen für die Funktionsfähigkeit und Entwicklung von Kapitalmärkten spielten und welche Bedeutung Unternehmen Handelsbilanzen und Bilanzprüfungen beimaßen. Eine wichtige Zäsur für die Prüfungstätigkeit von Treuhandgesellschaften stellt die Aktienrechtsreform des Jahres 1931 dar, mit der die jährliche Bilanzpflichtprüfung bei Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien eingeführt wurde, auch weil gleichzeitig der Berufsstand69 der Wirtschaftsprüfer gesetzlich konstituiert wurde.

65 Wixforth/Ziegler, »Expansion« (2008), 257. 66 Die verschiedenen Arten der Bilanzprüfungen werden in Kapitel 2 erläutert. 67 Eine von der Verfasserin dieser Studie gezogene Stichprobe der 100 größten Unternehmen für das Jahr 1938 ergab, dass etwa zwei Drittel der Unternehmen ihre Bilanz von Treuhandgesellschaften und etwa ein Drittel ihre Bilanz von Einzelwirtschaftsprüfern prüfen ließen. Quellen: Abschlussprüfer nach Handbuch der deutschen Aktiengesellschaften, Jg. 1938; Fiedler, »Unternehmen« (1999). 68 Auf die internationale wissenschaftliche Forschung wird in Kapitel 2 eingegangen. 69 Die mit dem Begriff »Berufsstand« verbundenen Fragen im Hinblick auf die Zugehörigkeit zu den Freien Berufen, die Bedeutung der Qualifikation und das Vorhandensein von Übergangsregelungen für einen erleichternden Berufszugang sowie die vielfältigen innerberuflichen Konflikte – so zwischen Einzelwirtschaftsprüfern (natürliche Person) und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften (juristische Person), selbstständig tätigen und angestellten Wirtschaftsprüfern, »Bankentreuhandgesellschaften« und anderen Treuhandgesellschaften sowie klein- und mittelständischen Wirtschaftsprüfungsgesell- schaften und internationalen Gesellschaften werden, da sie den untersuchten Zeitraum überschreiten und teilweise bis in die Gegenwart hineinreichen, in dieser Studie nur ansatzweise thematisiert. 19 Einleitung Seither konnten sich Treuhandgesellschaften bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen als Wirtschaftsprüfungsgesellschaften anerkennen lassen. Dem neuen Berufsstand wies der Gesetzgeber das ausschließliche Recht zu, Handelsbilanzen nach Aktienrecht70 zu prüfen. Damit wurde die Bilanzpflichtprüfung die das Selbstbild der Wirtschaftsprüfer bestimmende Aufgabe. Für die Vornahme der Bilanzpflichtprüfung stellte der Berufs- stand berufsethische Grundsätze der Unabhängigkeit, Verschwiegenheit, Unparteilich- keit und Objektivität auf.71 Das NS-Regime wies Treuhandgesellschaften viele neue Aufgaben zu. Zweifellos hätten sie einige dieser Aufgaben auch bei Fortbestand der Demokratie erhalten, wie beispielsweise das Prüfungsrecht für Wirtschaftsbetriebe der öffentlichen Hand, für Zwecksparunternehmungen, für genossenschaftliche Prüfungsverbände und für Kredit- institute aller Rechtsformen.72 Doch durch die nationalsozialistische Politik der Auf- rüstung, »Arisierung« und Ausbeutung der besetzten Länder kam es zu einem »rapide wachsenden Bedarf an Regulation, Intervention und Information«.73 So erforderte die Ausschaltung der marktwirtschaftlichen Preisbildung eine dauerhafte Preiskontrolle. Vor dem Verkauf der den Juden enteigneten Unternehmen war es zum Beispiel nötig, die Betriebe zu bewerten. Um Kapitalverflechtungen zwischen deutschen und niederländi- schen oder belgischen Firmen herbeizuführen, benötigte das NS-Regime zuverlässige Informationen aus den ausländischen Unternehmen. Um besetzte Gebiete in Osteuropa für das nationalsozialistische Deutschland auszubeuten, wurden Wirtschaftsprüfer mit Treuhand-, Kontroll- und Prüfungsaufgaben betraut. Am Beispiel der Treuarbeit soll im Einzelnen das Prüfungs- und Treuhandgeschäft einer großen Treuhandgesellschaft in der Zeit des Nationalsozialismus aufgezeigt und analysiert werden. In Kapitel 3 dieser Studie werden die Unternehmensstrategie und die Handlungs- möglichkeiten des Vorstandes sowie die Geschäftspolitik des Unternehmens unter- sucht. Zwar stand die Treuarbeit immer in einer engen Beziehung zum Staat. Doch im »Dritten Reich« kam eine besondere Beziehung zur nationalsozialistischen Partei hinzu. In dieser Analyse geht es um die Beantwortung der Fragen, ob und in welchem Maße die Treuarbeit ihre Beziehungen zu Parteigrößen und Ministerien für das eigene Geschäftsinteresse nutzte und über behördliche Vereinnahmungsversuche hinaus spezi- fische Unternehmensziele verfolgte, welche Bedeutung das NS-Regime den Tätigkeiten der Treuarbeit zuschrieb und in welchem Maße es mit Personalentscheidungen und

70 Aktienrechtliche Vorschriften waren niedergelegt im Handelsgesetzbuch. 71 Bestimmungen über die öffentlich bestellten Wirtschaftsprüfer: »Grundsätze über den Begriff der selb- ständigen und hauptberuflichen Tätigkeit als Wirtschaftsprüfer […]«, »Grundsätze für die Berufs- ausübung des Wirtschaftsprüfers«, abgedruckt in: Schlegelberger/Quassowski/Schmölder, Verordnung (1932), 426, 428. 72 Meisel, Geschichte (1991), 215–217, 219. Otto Frielinghaus, der für die Konstituierung des Wirt- schaftsprüferberufes maßgebende Ministerialbeamte im preußischen Wirtschaftsministerium empfiehlt in einem 1933 veröffentlichten Aufsatz als den Wirtschaftsprüfern zur Pflichtprüfung vor- behalten: öffentliche Betriebe, die schätzungsweise 25 Prozent der Gesamtwirtschaft ausmachten, Ver- sicherungsgesellschaften, Bausparkassen; Frielinghaus, »Interesse« (1933), 17, 21. 73 Hachtmann/Süß, »Editorial« (2006), 24. 20 Die Geschichte der »Treuarbeit« – Fragestellungen und Aufbau der Arbeit Aufgabenzuweisungen in die unternehmerische Eigenständigkeit der Gesellschaft ein- griff. Daher werden die Entscheidungs- und Organisationsstrukturen detailliert unter- sucht:74 Wie staats- und parteinah waren die Aufsichtsratsmitglieder? Wie nahm der Aufsichtsrat seine Aufgaben als Kontrollorgan wahr? Da die Vorstandsmitglieder der Treuarbeit nicht in der Öffentlichkeit standen, sondern eher im »im Hintergrund« blieben, vermitteln sie nach Pega »den Eindruck eines wenig bekannten Expertentums mit bedeutsamen Konsequenzen sowohl für das Regime als auch für die Wirtschafts- unternehmen.«75 Doch wie gewannen die Vorstandsmitglieder das Vertrauen des NS- Staates? Zur Beantwortung dieser Frage werden Lebensläufe der Vorstandsmitglieder unter den Aspekten Ausbildung, berufliche Qualifikation und Karriere sowie ihre Beziehungen zu den Aufsichtsräten, nationalsozialistischen Behörden und Institutionen untersucht. Die Treuarbeit war Teil der Wirtschaftsprüferbranche und hatte gleichzeitig durch die Bindung an den Staat ein Prüfungsmonopol. Wie reagierte der Berufsstand auf die Sonderstellung der Treuarbeit und welche Rolle nahmen Vorstandsmitglieder im Berufsverband wahr? Ein wesentlicher Faktor für das Unternehmen war die Rekrutierung und Fort- bildung qualifizierten Personals. Die Strukturen der Mitarbeiterschaft, im Hinblick auf Alter, Geschlecht und Spektrum der beruflichen Tätigkeiten, die Betriebskultur und die Karrieremöglichkeiten werden ebenso beleuchtet wie die betriebliche Sozialpolitik. Von großer Bedeutung für eine Treuhandgesellschaft war ferner das Qualitätsniveau in der Arbeitsabwicklung und der Arbeitsausführung. Es wird daher gefragt, welche Arbeitsnormen und fachlichen Informationen die Treuarbeit vermittelte. Mit welchem Erfolg agierte der Vorstand als Führungsorgan? Wie kommunizierte er mit Führungs- kräften und der übrigen »Gefolgschaft«? Wie verlief die Integration neuer Mitarbeiter und welche Disziplinierungsmaßnahmen wurden bei abweichendem Mitarbeiterver- halten angewandt? Anschließend wird das während der NS-Zeit rasant anwachsende Geschäftsvolumen­ der Treuarbeit anhand der Entwicklung der Vermögens- und Ertragslage des Unter­neh­ mens und dessen Darstellung in den veröffentlichten Handelsbilanzen und Geschäfts- berichten präsentiert und untersucht, wie es zu diesem Wachstum kam. Wie bilanzierte die Gesellschaft und welche Ziele verfolgte sie dabei? Wozu nutzte sie beispielsweise stille Reserven – eine Frage, die in der Diskussion zur Bilanzierung ein wichtiges Thema ist?76 Zur Umsetzung seiner wirtschaftspolitischen Zielsetzungen der Aufrüstung und Autarkie unterstützte der Staat Unternehmen mit Krediten, Garantien und Bürg- schaften. Er benötigte eine vertrauenswürdige Institution mit hoher prüferischer und

74 Erker, »Business« (2002), 569, 573; Plumpe, »Unternehmen« (1998), 3, 7. 75 Pega, Tätigkeit (2010), 278 (Zitate). Der Begriff der Öffentlichkeit bleibt hier erneut unbestimmt. Zahlreiche Unternehmen, Reichsbehörden und NS-Institutionen kannten die Vorstandsmitglieder der Treuarbeit sehr wohl. Ferner hätte man sich gewünscht, dass Pega die »bedeutsamen Konsequenzen« konkret benannt hätte. 76 Spoerer, »window-dressing« (1998); Spoerer, Scheingewinnen (1996); Lion, Bilanzen (1927). 21 Einleitung betriebswirtschaftlicher Sachkenntnis, die ihn mit Informationen und Bewertungen der Unternehmen zum Abbau von Informationsasymmetrien versorgte. Die Treuarbeit stand daher im Spannungsfeld von beauftragendem Staat und zu prüfenden Unternehmen. Die Studie untersucht die Art der ihr übertragenen Aufgaben, die Ausgestaltung ihrer Kompetenzen sowie ihre Position und Akzeptanz im Beziehungsgeflecht anderer Institutionen. An Beispielen aus der Luftrüstungsindustrie und Treuhandgeschäften in Deutschland wird insbesondere untersucht, wie die Treuarbeit den Interessen unter- schiedlicher, bisweilen konkurrierender staatlicher und parteinaher Instanzen, wie Reichswirtschaftsministerium, Vierjahresplanbehörde, Reichswerke »Hermann Göring« und Unternehmen der Privatwirtschaft begegnete. Speziell bei »Arisierungen« stellt sich die Frage der Einhaltung der berufsethischen Grundsätze. Im Zentrum dieser Studie steht die Auslandstätigkeit der Treuarbeit, die die Gesellschaft seit dem ersten Ausgreifen des NS-Regimes auf fremde Territorien im Jahr 1938 in immer stärkerem Maße übernahm. Diesem Thema wendet sich das 4. Kapitel zu. Die Prüfungs- gesellschaft passte ihre betriebliche Unternehmensorganisation mit der Errichtung von Niederlassungen in vielen besetzten Staaten an. Bei den räumlich weit entfernten Außen- stellen stellt sich die Frage, wie frei die Niederlassungsleiter agierten, wie der Vorstand die Führung ausübte und ob es Konflikte zwischen der Treuarbeit und den lokalen deutschen Besatzungsverwaltungen und anderen Institutionen gab. Bestätigen sich hier Pegas Ergeb- nisse, dass die Treuarbeit in Deutschland ihre Prüfungstätigkeiten nach berufsethischen Grundsätzen vornahm? Waren auch hier die Berufsgrundsätze der Unabhängigkeit, Ver- schwiegenheit, Gewissenhaftigkeit, Eigenverantwortlichkeit und Unparteilichkeit Maß- stab der Tätigkeitsausübung? Welche Aufgaben die Treuarbeit übernahm, welche Ziele die Prüfungen verfolgten, welche Methoden die Treuarbeit anwandte und wessen Interessen sie berücksichtigte, wird an Beispielen aus Österreich, dem Sudetenland, Frankreich, Belgien, Norwegen sowie den Niederlanden und der Ukraine untersucht. Diese Länder sind aus Überlieferungsgründen gewählt worden und ihre Auswahl berücksichtigt, dass die Formen der Besatzungsherrschaft sich in West- und Osteuropa sehr unterschieden. Im Westen unterlagen formal eigenständige Regierungen dem Weisungsrecht deutscher Besatzungsbehörden, im Osten war die Besatzungsherrschaft durch Germanisierung, Versklavung und Zerstörung gekennzeichnet.77 Wirkten sich die Unterschiede der Besatzungsherrschaft auf die Tätigkeiten der Treuarbeit aus? Welche Rechte erhielten oder beanspruchten die Niederlassungen? War die Treuarbeit bloßes ausführendes Instrument oder entfaltete sie selbstständige Aktivitäten? Welchen Nutzen zog das NS-Regime aus den Leistungen, die die Treuarbeit im besetzten Europa bot? Das abschließende Kapitel 5 fasst die wesentlichen Ergebnisse zur historischen Ent- wicklung der Treuhandgesellschaften und zur Geschichte der Treuarbeit zusammen und beantwortet die in dieser Einleitung gestellten Fragen.

77 Bähr, »Wirtschaftssteuerung« (2006), 91 f. 22 Die Geschichte der »Treuarbeit« – Fragestellungen und Aufbau der Arbeit Quellenlage

Diese Untersuchung stützt sich auf einen umfangreichen Quellenbestand. Sie greift auf primäres Archivmaterial zurück, das bisher kaum oder gar nicht ausgewertet wurde. Die Bedeutung der Quellen ist immens, weil die Treuarbeit die einzige Wirtschafts- prüfungsgesellschaft ist, zu der eine solche Fülle archivalischer Materialien vorliegt. Die meisten großen deutschen Treuhandgesellschaften existieren nicht mehr, da sie sich seit den 1980er Jahren in die weltweiten Verbünde international tätiger Gesellschaften ein- gegliedert haben, die heute unter den Namen PricewaterhouseCoopers, KPMG, Deloitte und Ernst & Young bekannt sind. Archive bestehen in der Regel nicht und mehrere Gesellschaften verloren ihr Archiv während des Zweiten Weltkrieges durch Bomben- angriffe. Darüber hinaus besteht bei den Gesellschaften wegen der Verschwiegenheits- pflicht gegenüber ihren Kunden große Zurückhaltung, Informationen preiszugeben. Zudem sind Auseinandersetzungen mit der NS-Zeit bis heute heikel. Zur Informations- gewinnung liegen allerdings auch Geschäftsberichte und Jubiläumsfestschriften einzel- ner Prüfungsgesellschaften vor. Die weitaus reichsten Bestände liefert das Bundesarchiv am Standort Berlin-Lichter- felde: Der Bestand R 8135 Deutsche Revisions- und Treuhand Aktiengesellschaft geht zum größten Teil auf eine Rückführung von Aktenmaterial in den späten 1950er Jahren aus der ehemaligen Sowjetunion an das damalige Zentralarchiv der DDR in Potsdam zurück.78 Der Bestand R 177 zur Tätigkeit der Treuarbeit in den Niederlanden resultiert aus der Übergabe von Material in den 1980er Jahren an das Bundesarchiv in Koblenz.79 Ferner sind Überlieferungen in den Bundesarchivbeständen des Reichswirtschaftsminis- teriums, des Rechnungshofs des Deutschen Reiches und des Reichsfinanzministeriums vorhanden. Einzelakten konnten auch im Historischen Archiv Krupp in Essen, dem Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin und dem Niedersächsischen Wirtschaftsarchiv in Wolfenbüttel eingesehen sowie aus dem Russischen Militärarchiv in Moskau und dem Wiener Stadt- und Landesarchiv bezogen werden. Zur Treuhand- Vereinigung und zur Deutschen Treuhand-Gesellschaft stellten ferner die Historischen Archive der Dresdner Bank und der Deutschen Bank Unterlagen zur Verfügung.80 Der Untersuchungszeitraum konzentriert sich auf die Jahre 1933 bis 1945. Zum Ver- gleich der geschäftlichen Entwicklung und der Tätigkeiten zwischen Weimarer Republik und der NS-Zeit wurden auch die Geschäftsberichte seit dem Jahr 1925 herangezogen. Der Quellenbestand ermöglicht detaillierte Aussagen über interne Verhältnisse einer Treuhandgesellschaft. Er bietet eine einzigartige Chance, durch Satzungen, Personal- listen, Betriebs- und Gehaltsordnungen einen Einblick in die Unternehmensorganisation und die Personalsituation zu gewinnen und durch Protokolle von Aufsichtsratssitzungen und Abteilungsleiterbesprechungen das Handeln der Führungsorgane zu analysieren. Über die Geschäftsentwicklung und Geschäftserfolge geben neben Bilanzen und

78 Angabe von Frau Carmen Lorenz, Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, am 16.10.2007. 79 Meiburg/Rest, »Zugriff« (1989), 588. 80 Etwa 40 Institutionen wurden angefragt. 23 Einleitung Geschäftsberichten auch Prüfungsberichte des Wirtschaftsprüfers sowie Vermerke des Reichsministeriums der Finanzen und des Reichsrechnungshofes Auskunft. Aus diesem Material können für den Zeitraum von 1925 bis 1945 das Wachstum, der Vermögens- aufbau, die Entwicklung des Eigenkapitals, die Struktur der Aufwendungen und der Erträge sowie die Gewinnentwicklung der Treuarbeit aufgezeigt werden. Mitteilungen, Rundschreiben und Prüfungsleitlinien sowie Korrespondenz ermöglichen es zudem, Unternehmens- und Mitarbeiterführung sowie die Geschäftspolitik zu analysieren. Die von der Treuarbeit erstellten Prüfungsberichte waren für die Ziele der Studie weniger relevant, da sie vorrangig über die geprüften Firmen, weniger über die Treu- arbeit Auskunft geben. In einigen Berichte thematisierte die Treuarbeit allerdings auch die Probleme, die die Anforderungen ihrer Auftraggeber mit sich brachten. Aufschluss- reich ist auch die Kritik aus Behörden an Prüfungen von belgischen und belgisch- kongolesischen Unternehmen. Durch sie ist die Sicht Dritter auf die Arbeit der Treu- arbeit erkennbar und sie verdeutlichen die Diskrepanz zwischen der Arbeitsweise der Treuarbeit und den Erwartungen der Auftraggeber. Umfangreiches Dokumentenmaterial ist insbesondere zu den Tätigkeiten in den Niederlanden und in der Ukraine vorhanden. Anhand dieses Materials ist es möglich, die Position der Treuarbeit zur Umsetzung der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik in den besetzten Ländern zu bewerten. Hierzu gehört die reichhaltige Korrespondenz zwischen der Niederlassung in Den Haag und dem Vorstand in Berlin sowie zwischen der Niederlassung und den deutschen Besatzungsbehörden in den Niederlanden, speziell dem Generalkommissariat für Wirtschaft und Finanzen und seinen nachgeordneten Dienststellen. Sie erlaubt Aussagen über die Arbeitsgestaltung in der Niederlassung und ihr Verhältnis zu anderen Prüfungsgesellschaften, wie der Niederländischen Aktiengesell- schaft für die Abwicklung von Unternehmen (NAGU) und der Omnia. Aktenvermerke, Rundschreiben, regelmäßige Kontenstandsberichte und interne Arbeitsanweisungen liefern Erkenntnisse zur Aufbauorganisation und zur Personalstruktur der Niederlassung und geben Einblick in die tägliche Arbeit und die Arbeitsabläufe. Hierzu gehören eine umfangreiche und differenzierte Kontenführung für Gelder und die Depotverwaltung für Wertpapiere ebenso wie die detaillierten Erfassungsberichte des »feindlichen«, also des englischen, französischen, US-amerikanischen und sowjetischen Vermögens. Dabei ermöglichen Verordnungen und Richtlinien des Reichskommissars für die besetzten niederländischen Gebiete sowie die Prüfungsberichte des Reichsrechnungshofes einen Vergleich zwischen der Behandlung des Feindvermögens in Deutschland und den Niederlanden. Die Arbeitsbedingungen der Treuarbeit in den »besetzten Ostgebieten« stellten sich deutlich anders dar als in den Niederlanden. Das vorliegende Material gibt einen Einblick in die alltäglichen Probleme deutscher Wirtschaftsprüfer in einer besetzten ukrainischen Stadt. Hier liegen, wenn auch nicht so üppig wie für die Niederlande, so doch ausreichend Korrespondenz und interne Aktenvermerke vor, die einen Vergleich zwischen den Tätigkeiten, dem Gestaltungsspielraum und dem Status der Treuarbeit im Westen und im Osten Europas ermöglichen.

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2. Von der »Hilfsbank« zum Verhandlungspartner – Treuhandgesellschaften in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts links: Von der »Hilfsbank« zum Verhandlungspartner rechts: Erste Treuhandgesellschaften und materielle Bilanzprüfung kurz nach 1900 2.1 Erste Treuhandgesellschaften und materielle Bilanzprüfung kurz nach 1900

Die Geschichte deutscher Treuhandgesellschaften begann zur Jahreswende 1900/1901.1 Pfandbriefgläubiger mehrerer Hypothekenbanken2 beauftragten die Deutsche Treu- hand-Gesellschaft (DTG)3 mit der Prüfung der Vermögens- und Ertragssituation ihrer in Schwierigkeiten geratenen Banken.4 Hierbei enthielt das Mandat der Mecklenburg- Strelitz’schen Hypotheken-Bank eine jährliche Prüfung des Jahresabschlusses. Diese periodische Prüfung hatte zwei Ziele: Sie sollte zum einen »die bei den reorganisierten Hypothekenbanken früher vorgekommenen Unregelmäßigkeiten und Fehler durch die Einsetzung einer anerkannten Revisionsinstanz« künftig vermeiden und dadurch zum anderen dazu beitragen, »das öffentliche Vertrauen in diese Banken […] zu befestigen«. In ihrem Geschäftsbericht für das Jahr 1901 hob die DTG zudem hervor, dass die Einführung einer auf privater Initiative beruhenden regelmäßigen Bilanzprüfung umso nötiger sei, da die staatlichen Aufsichtsinstanzen nicht in der Lage seien, selbst große Unregelmäßig- keiten zu verhindern. Die DTG verwies zudem auf die als vorbildhaft5 angesehene Praxis

1 Nachod, Treuhänder (1926), 143, bezeichnet die Treuhandgesellschaften als »Produkte der Erfahrungen, die man in und seit der letzten deutschen Wirtschaftskrisis von 1901 gemacht hat.« 2 Das »Reichsgesetz betreffend die gemeinsamen Rechte der Besitzer von Schuldverschreibungen«, erlassen am 4. Dezember 1899, regelte, dass sich Gläubiger zusammenschließen und einen gemein­sa­ men Vertreter zur Durchsetzung ihrer Interessen bestellen dürfen; siehe: Nachod, Treuhänder (1926), 113, 114. 3 Die DTG wurde 1890 unter maßgeblicher Beteiligung der Deutschen Bank und des Bankhauses Jacob S. H. Stern in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft gegründet. Vorrangiger Geschäfts- zweck war der Erwerb nordamerikanischer Eisenbahnaktien auf eigenes Risiko und der Weiterver- kauf an deutsche Anleger. Kritiker verdächtigten die Deutsche Bank, sich lediglich von eigenen US- amerikanischen Papieren »erleichtert« zu haben. Nachdem der Markt für Eisenbahnpapiere jedoch eingebrochen war, verfolgte die DTG offenbar erfolgreich die Interessen deutscher Anleger. Dieses Geschäft führte sie auch in den nächsten Jahren für südamerikanische und südafrikanische Papiere im Interesse deutscher Kapitalgeber durch. Literatur: Rosendorff, »Treuhandgesellschaften« (1906), 608, 609; Beigel, Treuhand-(Revisions-)Gesellschaften (1912); Nachod, Treuhänder (1926), 93, 94; Hintner, »Entwicklung« (1940), 595; Kobrak, Deutsche Bank (2008), 62–70, 95, 150; Dahlem, Professionalisierung (2009), 66, 67. 4 Dies waren die Mecklenburg-Strelitz’sche Hypothekenbank, die Deutsche Grundschuld-Bank und die Pommersche Hypothekenbank, siehe: Schuld, »Geschichte« (1965), 22–26. 5 Die Frage, inwiefern die angloamerikanischen accountants tatsächlich – unter Berücksichtigung der sehr verschiedenen Verhältnisse bspw. im Bankwesen, in der Unternehmensverfassung und im Staats- handeln zwischen Großbritannien, den USA sowie Deutschland – ein »Vorbild« für die deutschen 25 Von der »Hilfsbank« zum Verhandlungspartner Großbritanniens und der USA, in denen regelmäßige Revisionen durch »mit unzweifel- haftem Erfolge« agierende accountants schon längst eingebürgert seien.6 Diese Revisionstätigkeit war »ein völliges Novum in der bisherigen Geschichte des Treuhandwesens«.7 Selbstständig tätige Bücherrevisoren spielten bislang in Deutschland kaum eine Rolle.8 Die Prüfung nach Genossenschaftsgesetz und die 1884 eingeführte Gründungsprüfung für Aktiengesellschaften nach HGB hatten keine besondere Bedeu- tung im Wirtschaftsleben entfaltet.9 Viele Unternehmer maßen der Buchhaltung eher geringen unternehmerischen Nutzwert zu. Auch Aktionäre und Gläubiger fragten sel- ten nach regelmäßigen Revisionen. Die Sicherungsmaßnahmen, die das Handelsrecht diesen beiden Gruppen bot, beispielsweise den kontrollierenden Aufsichtsrat oder die Bewertungs- und Veröffentlichungspflichten für Unternehmen, schienen weitere Rege- lungen überflüssig zu machen.10 Zudem hatten um 1900 die meisten Aktiengesellschaf- ten vermutlich nur eine kleine Anzahl von Aktionären.11 Da die Aktienmehrheit in Händen weniger Großaktionäre lag, die die Vorstände überwachten, bestand offenbar keine Notwendigkeit, regelmäßig externe Bilanzprüfer zu beauftragen.12 Auch Unter- nehmensverflechtungen und Kartellbildungen produzierten keinen externen Revisions- bedarf – wurden doch diese unternehmerischen Maßnahmen als Mittel der wirtschaft- lichen Stabilisierung und Risikobegrenzung angesehen.13 Mit den Sanierungen der Hypothekenbanken hatte die DTG viel Aufmerksam- keit und Prestige gewonnen. Sie bot ihre Revisionstätigkeit nun aktiv an, da »auch bei

Wirtschaftsprüfer waren und welche Akteure in welcher Form und zu welchen Zwecken diese Vorbild- lichkeit in Diskussionen anführten, wird in dieser Studie nicht vertieft. 6 Schuld, »Geschichte« (1965), 22–26 (Zitate aus dem Geschäftsbericht der DTG für das Jahr 1901); zu staatlichen Aufsichtsinstanzen siehe: Nachod, Treuhänder (1926), 114. 7 Nachod, Treuhänder (1926), 96 (Zitat). 8 Im Jahr 1901 hatte der fünf Jahre zuvor als Berliner Vereinigung entstandene Verband Deutscher Bücherrevisoren 21 Mitglieder, siehe: Markus, Wirtschaftsprüfer (1996), 3. 9 Nachod, Treuhänder (1926), 128; Quick, »Entstehungsgeschichte« (1990), 225, vermutet, dass die Durchführung einer Bilanzprüfung deshalb so selten beschlossen wurde, weil sie von der Öffentlich- keit als Indiz für wirtschaftliche Schwierigkeiten des Unternehmens gewertet werden konnte. Auch nach Eisfeld, »Entstehungsgeschichte« (1956), 450, hatten sich die Erwartungen in die Gründungs- prüfungen nicht erfüllt. 10 Hintner, Treuhandwesen (1926), 129–131. 11 Das Fehlen von Publikumsgesellschaften ist wohl auch darauf zurückzuführen, dass seit der Aktien- rechtsreform des Jahres 1884 der Mindestnennbetrag einer Aktie – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – 1.000 Mark betrug; mit diesem hohem Betrag sollten »Kleinanleger« von einem Invest- ment abgehalten und damit »geschützt« werden. Nach Ansicht von Fear/Kobrak, »Paths« (2006), 16, hat ferner die Gründerkrise die Deutschen so stark traumatisiert, dass sie danach strebten, »volatility and speculation« zu vermindern. 12 Burhop, Wirtschaftsgeschichte (2011), 145. Im Kaiserreich lassen sich vier Hauptaktionärsgruppen unterscheiden: ehemalige Einzelunternehmer, Banken, Großaktionäre und andere Aktiengesell- schaften; Kleinaktionäre konnten bis 1900 vom Stimmrecht ausgeschlossen werden, siehe: Wischer- mann/Nieberding, Revolution (2004), 262, 263. 13 Zur Unternehmenskonzentration und zur Bildung von Kartellen im Kaiserreich siehe: Burhop, Wirt- schaftsgeschichte (2011), 142, 143, 156, 157. »Concentrated ownership« übte »strong control rights through private information channels« aus – siehe: Fear/Kobrak, »Paths« (2006), 17. 26 Erste Treuhandgesellschaften und materielle Bilanzprüfung kurz nach 1900 gesunden Unternehmungen die Kontroll- und Revisionstätigkeit eines unabhängigen Instituts erwünscht sein muß. Das weitere Vordringen dieser Erkenntnis dürfte immer mehr die Eliminierung des bei uns noch immer vorhandenen Vorurteils zur Folge haben, daß die Vornahme solche Revisionen geeignet sei, das betreffende Unternehmen zu diskreditieren.«14 Die Bücher- und Bilanzrevision traf auf viele Widerstände. Unter- nehmen wollten sich weder fremder Kontrolle unterwerfen noch Firmeninterna Dritten zugänglich machen; sie befürchteten die Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen. Die DTG verpflichtete jedoch ihr Personal zu unbedingter Verschwiegenheit.15 Der erste Jahresabschluss, den die DTG ohne gleichzeitige Vornahme einer Treu- handtätigkeit prüfte, war die Bilanz der Siemens & Halske AG – des damals zweitgröß- ten Unternehmens der deutschen Elektroindustrie – für das Geschäftsjahr 1902/1903; Hintergrund war vermutlich der Zusammenschluss mit EAG vorm. Schuckert.16 Die Prüfungen der DTG erhielten viel Lob, weil sie sich positiv von den bisher prak- tizierten Revisionen unterschieden. Bislang war es, wie der Jurist Rosendorff erläuterte, lediglich üblich gewesen, »formal« zu prüfen, also »die Abschlussziffern summarisch mit den Salden des Hauptbuches zu vergleichen und eventuell nur noch stichprobenweise Feststellungen vorzunehmen.« Nun unterzogen die Prüfer »das gesamte Buchhaltungs- wesen einer Kontrolle […], die einzelnen Buchungen [werden] auf ihre Richtigkeit hin geprüft.« Beim Anlagevermögen wurde die richtige Verbuchung der Zu- und Abgänge, bei Halbfertigfabrikaten und Rohmaterialien die Bewertung geprüft. Die Prüfung sollte feststellen, ob ein Unternehmen ausreichende Rückstellungen und Reserven gebildet hatte, ob seine Vermögenswerte angemessen bewertet und ob die Abschreibungen aus- reichend waren.17 Die Bedeutung dieser »materiell« genannten Prüfung lag darin, dass die Buchhaltung als der Mittelpunkt der kaufmännischen Seite des Betriebes angese- hen wurde. Nur eine transparente und zuverlässige Buchhaltung, so der Nationalöko- nom Warschauer, liefere die nötigen Daten zur Vermögens- und Ertragslage. Außerdem schütze sie »vor Trugschlüssen, Unterschlagungen und Verlusten«. Auf dieser qualitati- ven Verbesserung der Bücher- und Bilanzrevision beruhe das »unbestreitbare Verdienst« der DTG.18 Das neue Dienstleistungsangebot gab dem deutschen Prüfungswesen einen wesent- lichen Impuls zur Entfaltung. Prüfte die DTG im Jahr 1903 Bilanzen von 27 Firmen, waren es im Jahr 1907 bereits 400 Unternehmen.19 Ab 1905 kam es zu einer regel- rechten Gründungswelle von Treuhandgesellschaften in der Rechtsform einer Aktien-

14 Schuld, »Geschichte« (1965), 28, 29 (Zitat aus dem Geschäftsbericht des Jahres 1902 der DTG). 15 Warschauer, »Treuhand-Gesellschaften« (1908), 486, 488; Nachod, Treuhänder (1926), 130. 16 Pankow, »100 Jahre« (1990), 151. Zur Entwicklung von Siemens im Kaiserreich siehe: Wellhöner, Großbanken (1989), 212–235; beide Firmen bildeten eine GmbH, die Siemens-Schuckert-Werke (SSW). 17 Rosendorff, »Treuhandgesellschaften« (1906), 616, 617. 18 Warschauer, »Treuhand-Gesellschaften« (1908), 476, 477, 500. 19 Nachod, Treuhänder (1926), 131; nach Eisfeld, »Entstehungsgeschichte« (1956), 451, haben Auf- sichtsräte seit der Krise 1900/1901 häufiger sachkundige Personen mit der Prüfung der Bilanzen beauftragt; dabei habe es sich aber vorrangig um formale Prüfungen gehandelt. 27 Von der »Hilfsbank« zum Verhandlungspartner gesellschaft. Ihre Gründer waren bekannte Groß-, Privat- oder Regionalbanken.20 Obwohl das Aufgabenspektrum der neuen Treuhandgesellschaften vielfältige treu- händerische Tätigkeiten – wie Testamentsvollstreckungen, Vermögensverwaltungen, Unterstützung bei Umwandlungen von Privat- in Kapitalgesellschaften und Mithilfe bei Reorganisation, Sanierungen und Liquidationen – umfasste,21 zeigte sich schon in den 1900er Jahren, dass Buch- und Bilanzprüfungen zum Hauptgeschäft der Treuhand- gesellschaften wurden. Denn für Banken, so der Wirtschaftswissenschaftler Hintner im Rückblick, gewann die Vermögens- und Ertragssituation der Unternehmen, mit denen sie in vielfältiger Geschäftsbeziehung standen, zunehmend an Bedeutung. Banken waren in das Gründungsgeschäft eines Unternehmens involviert und besorgten das Emissions- geschäft. Sie beteiligten sich an Unternehmen und gewährten ihnen Kredite. Gerade die Neugründungen von Aktiengesellschaften nahmen in den Jahren 1906/1907 und 1909/1910 stark zu.22 Diese Geschäfte warfen zahlreiche Fragen nach Ertragsaussichten, Bemessung des Aktienkapitals und Struktur des Fremdkapitals sowie nach Rentabili- tät, Kreditwürdigkeit und Kreditsicherheiten auf. Mit diesen Sachverhalten, die immer komplexer und schwieriger wurden, wollten sich die Banken wohl nicht mehr neben- her beschäftigen. Daher errichteten sie »Hilfsbanken«23, die mit speziell geschultem Personal Prüfungsaufgaben und Unternehmensberatungen übernahmen. Die Banken wollten offenbar nicht mehr allein ihren Kreditnehmern und deren Sicherheiten ver- trauen; sie verließen sich lieber auf die von ihnen selbst ausgebildeten Prüfer und die mit der Prüfung erhobenen Daten und zusammengetragenen Informationen. Wohl aus Gründen der Vertraulichkeit und der mangelnden Qualifikation griffen Banken nicht auf Bücherrevisoren zurück.24 Es waren aber noch andere Ereignisse, die Banken dazu bewogen, »auditing wing[s]«25 zu gründen. Neben den Hypothekenbanken waren kurz nach 1900 weitere Kredit- institute zusammengebrochen. Bei der Leipziger Bank und der Dresdner Kreditanstalt hatte es keine ausreichende Risikostreuung gegeben.26 Die Pleite eines einzelnen Kredit- nehmers hatte die Institute in den Abgrund gezogen. Darüber hinaus waren mehrere

20 Rosendorff, »Treuhandgesellschaften« (1906), 606, 607, nennt 1905 Revisions- und Vermögensver- waltungs-Aktiengesellschaft (Diskontogesellschaft, Kommerz- und Diskontobank), 1905 Treuhand- Vereinigung (Dresdner Bank, A. Schaaffhausenscher Bankverein), 1906 Allgemeine Revisions- und Verwaltungsaktiengesellschaft (sechs Banken, u. a. Delbrück, Leo & Co sowie Hardy & Co), 1909 Bayerische Treuhandgesellschaft (Bayerische Vereinsbank); Hintner, Treuhandwesen (1926), 62, 63, nennt außerdem 1907 Süddeutsche Treuhand-Gesellschaft AG (Bayerische Hypotheken- und Wechselbank, Bayerische Staatsbank), Rheinische Treuhand AG (Rheinische Creditbank). 21 Rosendorff, »Treuhandgesellschaften« (1906), 607; Warschauer, »Treuhand-Gesellschaften« (1908), 476. 22 Hintner, Treuhandwesen (1926), 126. 23 Zeitgenössischer Ausdruck, siehe: Hintner, Treuhandwesen (1926), 118. 24 Rosendorff, »Treuhandgesellschaften« (1906), 617; Hintner, Treuhandwesen (1926), 121–125. 25 Gallhofer/Haslam, »Aura« (1991), 514. 26 Burhop, »Finanzinstitutionen« (2008), 23, 24; der Aufsatz geht ausführlich auf die Zusammenhänge von Geschäftsstrategie, Unternehmensverfassung und kriminellen Handlungen des Vorstandes der Leipziger Bank ein. 28 Erste Treuhandgesellschaften und materielle Bilanzprüfung kurz nach 1900 Firmenzusammenbrüche auf betrügerische Machenschaften oder unfähige Geschäfts- leitungen zurückzuführen.27 Diese Ereignisse führten nicht nur zu Kursstürzen an den Börsen und sinkenden Dividenden, sondern auch zu heftiger Kritik an Banken. Man erwartete gerade von ihnen, dass sie Kredite nur an kreditwürdige Firmen vergaben und die vom potenziellen Kreditnehmer vorgelegten Bilanzen prüften.28 Gleichzeitig wurde kritisiert, dass sich die Banken selbst nicht prüfen ließen; ein bekannter Wirtschafts- redakteur fragte »Wer kontrolliert die Kontrolleure?«29 Forderungen nach Einführung einer Bilanzpflichtprüfung für Aktiengesellschaften kamen auf30 und die Überlegung, hierfür staatliche Prüfungsgesellschaften einzurichten.31 Die von diesen Gesellschaften erstellten Prüfungsberichte sollten der Öffentlichkeit zugänglich sein.32 Zudem wurde vom Gesetzgeber verlangt, den Banken ein Schema für ihre Bilanzgliederung vorzu- schreiben.33 Einige Kritiker legten bereits Gesetzentwürfe und Gliederungsschemata vor.34 Zweifellos gelang es den Banken mit der Gründung von Treuhandgesellschaften, die heftige Kritik an der Kreditwirtschaft zu besänftigen und den Ruf nach Einführung einer aktienrechtlichen Pflichtprüfung und eines Bankbilanzschemas zu entschärfen.35 Sie hielten damit ihren Handlungsspielraum und auch den ihrer Kunden von gesetz- geberischer Aktivität frei und gewannen gleichzeitig Vertrauen in der Öffentlichkeit zurück.36 Mit diesem Akt der Selbsthilfe wollten Banken zum einen die negativen finanziellen Auswirkungen von Kreditausfällen vermeiden. Vermutlich noch wichtiger war ihnen die Abwehr von Imageschäden, die Hausbanken durch Unternehmenspleiten drohten. Immaterielle Schäden konnten weitere negative finanzielle Auswirkungen nach sich ziehen. Um diese finanziellen und immateriellen Nachteile zu verhindern,

27 Steinberg, Wirtschaftskrisis (1902), 20 f., nennt Casseler Trebertrocknungs Gesellschaft, Breslauer Reederei vereinigter Schiffer, Leipziger Wollkämmerei, Kummer Elektrizitäts-Gesellschaft, Gerhard Terlinden AG, Nauheimer Fabrik feuerfester Produkte. Nachod, Treuhänder (1926), 132, nennt die Kreditanstalt für Industrie und Handel, . 28 Nachod, Treuhänder (1926), 141. 29 Nachod, Treuhänder (1926), 142, zitiert hier Georg Bernhard aus dem »Plutus« des Jahres 1905. 30 So der Tagungsbeschluss des Deutschen Juristentags 1906, siehe: Warschauer, »Treuhand-Gesell- schaften« (1908), 495; Nachod forderte Pflichtprüfungen für Großbanken: Nachod, Treuhänder (1928), 144. 31 Warschauer, »Treuhand-Gesellschaften« (1908), 499. 32 Dies forderte der Verband Deutscher Bücherrevisoren (VDB) auf seinem ersten Verbandstag 1905, siehe: Quick, »Entstehungsgeschichte« (1990), 226, allerdings nennt Quick keinen Beleg. 33 Loeb, »Großbanken« (1903), 316–319. Das Bankbilanzschema wurde ab 1912 verpflichtend. 34 Loeb, »Großbanken« (1903), 318; Hintner, Treuhandwesen (1926), 141. 35 Alsheimer, »Gründerkrise« (1988), 475. 36 Bereits im März 1901 wurde auf Initiative von Jacob Riesser, Direktor der Bank für Handel und Industrie, der Centralverband des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes gegründet, um der Öffentlichkeit in professioneller Form zu begegnen und politisch Einfluss zu nehmen. Riesser sprach sich auch für die Gründung von Treuhandgesellschaften aus, die zielstrebig Revisoren ausbilden sollten, um materielle Bilanzprüfungen vorzunehmen. Vorstandskollege von Riesser wurde 1901 Bernhard Dernburg, der seit 1890 die DTG geleitet hatte. Siehe: Riesser, »Aufsichtsratsfrage« (1903), 316, 317; Gall, »Deutsche Bank« (1995), 107, 108 (zur Verbandsgründung); Schiefel, Dernburg (1974), 23. 29 Von der »Hilfsbank« zum Verhandlungspartner externalisierten Banken die Prüfungs- und Beratungsleistungen und gründeten sie in Tochtergesellschaften aus. Die Banken sahen sich in der Verantwortung, und die von ihnen präsentierte Lösung – Treuhandgesellschaften und materielle Bilanzprüfung – drängte die Forderungen der Umwelt nach zusätzlicher externer Kontrolle der Aktien- gesellschaften und nach mehr Publizität bei Banken zurück und beruhigte die Lage. Staat und Öffentlichkeit waren bereit, den neuen Institutionen einen Vertrauensvor- schuss zu gewähren. So leisteten Banken zugleich einen Beitrag zur Stabilisierung der geltenden kapitalistischen Wirtschaftsordnung.37 Die Gründung von Treuhandgesellschaften zeigt auch, dass die Banken nicht nach Gewinnmaximierung strebten. Das entscheidende Motiv ihres Handels war ein imma- terieller »Nettonutzen«, der sich aus dem Vertrauen ergab, das den Banken und Treu- handgesellschaften gewährt wurde.38 Denn Gründung und Betrieb von Treuhandgesell- schaften verlangten von den Gründerbanken Investitionen. Trotz der als hoch geltenden Honorare für die Revisionen blieben die Dividenden über viele Jahre eher gering.39 Die Beziehungen der rechtlich selbstständigen »Banken-Treuhandgesellschaften« zu ihren »Müttern« waren eng. Vertreter der Gründerbanken saßen im Aufsichtsrat oder Vorstand der Treuhandgesellschaften.40 Die Kunden der Treuhandgesellschaften kamen vorrangig aus dem Kundenkreis der Banken.41 Sicherlich wollten Banken ihre Kunden zusätzlich zur Geschäftsverbindung auch über Treuhandgesellschaften stärker an sich binden. Doch welche Gründe hatten Unternehmen, den Prüfungstätigkeiten von Treu- handgesellschaften in ihren Häusern nunmehr positiv gegenüberzustehen und kosten- pflichtige Prüfungen zu beauftragen? Allein dem Druck von Banken kann diese Ver- haltensänderung nicht geschuldet gewesen sein, denn gerade die letzten beiden Dekaden vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges können als »Jahre des niedergehenden Informationsmonopols« für Banken angesehen werden.42 Unternehmen finanzierten sich zunehmend durch einbehaltene Gewinne und Abschreibungen oder griffen auch auf in- und ausländische Kapitalmärkte zurück anstatt auf Bankkredite.43 Doch für den Zugang zum Kapitalmarkt oder dessen verbesserte Funktionsfähigkeit war die Bilanz- prüfung anders als im angloamerikanischen Raum offenbar keine Voraussetzung. Statt-

37 Berghoff, »Markterschließung« (2005), 162; Plumpe, »Selbstverwaltung« (1996), 385. 38 Borchardt, »Property-Rights-Ansatz« (1977), 158. 39 Warschauer, »Treuhand-Gesellschaften« (1908), 492; Hintner, Treuhandwesen (1926), 96, 97, 121. Zur Verbesserung der Dividendenhöhe hielt beispielsweise die Deutsche Treuhand-Gesellschaft gut verzinsliche Wertpapiere. 40 Nachod, Treuhänder (1926), 139, 140; beispielsweise waren die ersten beiden Vorstände der Süd- deutschen Treuhand-Gesellschaft AG, gegründet 1907, der Leiter des Kontroll- und Revisionsbüros und der Justiziar der Hypothekenabteilung der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank, siehe: Steichele, »Geschichte« (1982), 193. 41 Nachod, Treuhänder (1926), 139, 140, ermittelte, dass von 51 Firmen, die die Deutsche Treuhand- Gesellschaft 1904 geprüft hatte, 24 in direkter Beziehung zum Konzern der Deutschen Bank oder zur Deutschen Treuhand-Gesellschaft standen; Hintner, Treuhandwesen (1926), 128. 42 So Burhop, Wirtschaftsgeschichte (2011), 180 (Zitat). 43 Wellhöner/Wixforth, »Unternehmensfinanzierung« (1990), 17, 19, 30. Die Autoren untersuchten einige Großunternehmen der Schwer- und der Elektroindustrie. 30 Erste Treuhandgesellschaften und materielle Bilanzprüfung kurz nach 1900 dessen nahm die Konkurrenz unter Banken zu. Und dieser Konkurrenzsituation war es wohl auch geschuldet – und nicht dem Ergebnis einer Bilanzprüfung –, dass die Unter- nehmen in Finanzierungsfällen niedrige Zinsen durchsetzten.44 Zudem saßen in den Aufsichtsräten von Unternehmen nun Vertreter mehrerer Ban- ken; ein Informationsvorsprung, ein exklusiver Informationszugang einer einzelnen Bank bestand nicht mehr.45 Daher etablierten Banken »their own audit companies […] their own channel of information«.46 Dennoch bleibt die Frage, aus welchen Gründen Unternehmen dies akzeptierten. Warum sollten Unternehmen in einer starken Position gegenüber Banken Revisionsexperten in ihren Betrieben und in ihrer Buchhaltung Ein- lass gewähren, die sie obendrein für die Prüfungen bezahlen mussten? Wenn Kosten für eine Bilanzprüfung als Markteintrittskosten und damit als Transaktionskosten ver- standen wurden, die Firmen jedoch diese Kosten weder für den Kapitalmarkt noch für Kreditfinanzierungen aufbringen mussten, lagen offensichtlich andere Motive vor, sich regelmäßig prüfen zu lassen. Hier könnte möglicherweise eine veränderte Sichtweise des kaufmännischen Bereichs innerhalb von Unternehmen von Bedeutung sein. Die Situation der gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstehenden Großunternehmen war, so Burhop, durch eine Verlagerung von Transaktionen aus dem Markt in die Unterneh- men gekennzeichnet; damit wurde die Informationskraft des Preismechanismus durch die Informationskraft der Buchhaltung ersetzt. Impulse zur Veränderung des innerbe- trieblichen Rechnungswesens erhielten Unternehmen aus Banken47 und aus staatlichen Rechnungskammern.48 Komplexe Großkonzerne vereinten eine Vielzahl von Betrieben und Gesellschaften.­ 49 Die Geschäftsleitungen richteten unternehmensinterne Revisionsstellen oder Kalkula­ ­ tionsbüros ein, um Kostenrechnungen zu verbessern und Berichtssysteme einzurichten.­ Betriebswirtschaftliche Kriterien zogen vermehrt in die Unternehmenszentralen ein. Hierbei kam der Buchführung und unterjährigen Bilanzen zunehmende Bedeutung als zentralen Informationsmedien und Steuerungsmitteln für unternehmerische Ent- scheidungen zu.50 Unter diesen Vorzeichen könnte eine Prüfung vornehmlich als

44 Burhop, Wirtschaftsgeschichte (2011), 180, 181; Burhop bezieht sich auf Dahlem, Professionalisierung (2009), 95–102. Doch die zunehmende Verhandlungsstärke der Unternehmen den Banken gegenüber erklärt meines Erachtens die Etablierung von Treuhandgesellschaften als »neue Wege der strukturierten Informationsbeschaffung« nicht ausreichend. 45 Burhop, Wirtschaftsgeschichte (2011), 173. Auch für Wellhöner ist, mit Bezug auf ältere Literatur, eine wachsende Emanzipation der Industrie gegenüber den Banken »gegen den Weltkrieg hin kaum umstritten.« Wellhöner, Großbanken (1989), 72. 46 Abel, »Impact« (1971), 33. 47 Dornseifer, »Bürokratisierung« (1993), 76, 89. 48 Burhop, Wirtschaftsgeschichte (2011), 148, 150; Burhop nennt hier beispielhaft die Firmen Krupp und Siemens. 49 Der Grad der funktionellen Integration bei den größten deutschen Industrieunternehmen, ins- besondere in der Metallindustrie und im Bergbau, lag 1907 bei fast 90 Prozent, siehe: Burhop, Wirt- schaftsgeschichte (2011), 142, 143. 50 Burhop, Wirtschaftsgeschichte (2011), 149, 150, unter Bezugnahme auf Bongartz, »Unternehmens- leitung« (1984) und Pohl, »Geschichte« (1981). Vgl. auch Fear, Control (2005), 161–189; Pleitgen, 31 Von der »Hilfsbank« zum Verhandlungspartner Beratung des Konzerns und als Kontrolle der eigenen Mitarbeiter verstanden werden. Für Letzteres spricht auch der Vorschlag der DTG, im Laufe des Jahres unangemeldete Prüfungen vorzunehmen, bei denen die Bestände der Kasse, des Wechsel- und des Wert- papierbestandes aufgenommen werden sollten.51 Prüfungen unterstützten somit eine Selbstkontrolle der Unternehmen und etablierten sich als ein Corporate-Governance- Element. Nicht zu unterschätzen ist vermutlich auch die Sogwirkung, die Siemens als erster »echter« Revisionskunde der DTG auf Unternehmen entfaltete, die, anders als große Konzerne, kaum eine organisierte Buchhaltung besaßen. Schließlich dürfte auch die wirtschaftliche Krise zu Beginn des 20. Jahrhunderts mehr und mehr Unternehmen für Fragen des betrieblichen Rechnungswesens sensibilisiert haben.52 Aus der Bilanz- prüfung als Diskreditierungsmerkmal entwickelte sich so ein Qualitätskennzeichen. Als Fazit kann festgehalten werden, dass nicht die zu kleine und wenig angesehene Berufsgruppe der Bücherrevisoren, sondern Banken die materielle Bilanzprüfung in Deutschland einführten. Unter dem Eindruck der Krisensituation, die die Unter- nehmenszusammenbrüche zur Jahrhundertwende auslösten, profilierten sich Banken als Vertrauensbildner in der Öffentlichkeit und bei Unternehmen; sie erfüllten damit die Erwartungen an sie als eine Kontrollinstanz. Sie gründeten rechtlich selbstständige und damit sichtbare Treuhand-Tochtergesellschaften, deren Revisionen dazu beitragen konnten, Anreize zu moral hazard in Unternehmen zu unterbinden. Gleichzeitig ver- ringerte die Tätigkeit von Treuhandgesellschaften die Informationsasymmetrie aufseiten der Banken und erhöhte den Erkenntnisgewinn im Vergleich zu Aufsichtsratsmandaten sicherlich deutlich. Auch viele Unternehmen nahmen die Prüfung wegen ihres unter- nehmensinternen Nutzwertes positiv auf. Sie zogen eine freiwillige Prüfung einer gesetz- lichen Regelung vor. Das quantitative Mehr der Transaktionskosten (Prüfungshonorare) wurde aus Sicht der Unternehmen offenbar qualitativ aufgewogen, weil staatliche Ein- griffe abgewendet und das Vertrauen der Öffentlichkeit gewonnen wurden. Eine Ver- besserung der Unternehmensfinanzierung war mit einer Prüfung allerdings nicht ver- bunden, denn günstige Zinsen waren dem Konkurrenzdruck der Banken untereinander zu verdanken. Für einen gut funktionierenden Kapitalmarkt war im deutschen Kaiser- reich keine Bilanzprüfung nötig.53 Da es in Deutschland – anders als beispielsweise in

Entwicklung (2005), 241–245. Nach Pleitgen sind Entwicklungen des Rechnungswesens in den von ihr untersuchten Unternehmen auf wirtschaftliche Zwangslagen zurückzuführen, S. 244. Kleinschmidt möchte vom Rechnungswesen als Führungsinstrument in deutschen Unternehmen erst ab Mitte der 1960er Jahre sprechen, siehe: Kleinschmidt »Rechnungswesen« (2000), 10. 51 Schuld, »Geschichte« (1965), 33 (aus dem Geschäftsbericht der DTG für das Geschäftsjahr 1907). 52 Kocka, »Management« (1969), 357; nach Franz waren Unternehmen an der wissenschaftlichen Ent- wicklung kaufmännischer Erkenntnisse durch die sich neu formierende Betriebswirtschaftslehre kaum interessiert, siehe: Franz, Markt (1998), 256. Dies bestätigt auch Pleitgen, Entwicklung (2005), 243, 244. 1898 wurde die erste Handelshochschule Deutschlands in Leipzig gegründet. Hier wurden zunächst nur Volkswirtschaftslehre, Recht, Fremdsprachen sowie Buchhaltung, kaufmännisches Rechnen, kauf- männischer Schriftverkehr und Handelstechnik unterrichtet. Nach Schneider kann von einer Betriebs- wirtschaftslehre erst ab etwa 1908 gesprochen werden. Schneider, Betriebswirtschaftlehre (1987), 129. 53 Burhop, Wirtschaftsgeschichte (2011), 190; Fear/Kobrak, »Paths« (2006), 14. 32 Einführung der Bilanzpflichtprüfung 1931 den USA – keine Publikumsgesellschaften gab,54 fehlten »competitive market forces«55 als Motiv für die Einführung einer Bilanzprüfung.

2.2 Einführung der Bilanzpflichtprüfung 1931 links: Von der »Hilfsbank« zum Verhandlungspartner rechts: Einführung der Bilanzpflichtprüfung 1931 Mit der Notverordnung vom 19. September 1931 führte der Gesetzgeber erstmalig in Deutschland die obligatorische Bilanzprüfung für Aktiengesellschaften ein.56 Maß- geblichen Anteil an dieser gesetzlichen Regelung hatten die Zusammenbrüche zweier Großkonzerne: die Frankfurter Allgemeine Versicherungs Aktiengesellschaft (FAVAG) im Jahr 1929 und die Norddeutsche Wollkämmerei & Kammgarnspinnerei (Nordwolle) im Jahr 1931. Die Einführung einer Bilanzpflichtprüfung und die Beauftragung unabhängiger Bilanzrevisoren geschahen nicht voraussetzungslos. Vielmehr wurden die Vor- und Nachteile dieser Sicherungsinstrumente schon seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert. Für die Befürworter einer Pflichtprüfung besaß die Bilanz einen zentralen Informa- tionswert sowohl für Unternehmen als auch für »die Gesundheit des Gesellschaftsor- ganismus«. Die Gründerkrise der 1870er Jahre habe Bewertungsprobleme aufgezeigt; daher müsse eine Bilanzprüfung »auch auf die materiellen Grundlagen eingehen, die einzelnen Werthansätze prüfen«.57 Der erstmals mit der Aktienrechtsnovelle 1870 als Aufsichtsorgan für Aktiengesellschaften vorgeschriebene Aufsichtsrat galt als ungenü- gendes Kontrollinstrument, weil er zu stark an der Geschäftsführung des Vorstandes teilnehme. Daher müsse der Gesetzgeber auf das »bereits bekannte Organ« der Reviso- ren zur jährlichen Kontrolle nicht nur der Bilanz, sondern auch der Geschäftsführung zurückgreifen. Mit der Aktienrechtsnovelle des Jahres 1884 schrieb der Gesetzgeber die Gründungsrevision durch »besondere Revisoren« verpflichtend vor.58 Ferner konnte die Generalversammlung zur Prüfung der Bilanz ebenfalls besondere Revisoren bestellen. Eine Verpflichtung zur Vornahme einer Bilanzprüfung durch externe Revisoren gab es allerdings nicht. Die Gegner einer gesetzlich geregelten Bilanzprüfung warnten hingegen vor illu­ sionären Vorstellungen zur Wirkung einer Prüfung. Auch eine materielle Bilanzrevision könne das Aufkommen von Missständen nicht verhindern. Dies zeigten Beispiele aus England, wo die Bilanzprüfung schon lange praktiziert wurde. Stattdessen könne die

54 Was wohl auch an dem hohen Mindestnennwert einer Aktie in Höhe von 1.000 lag, siehe: Fear/ Kobrak, »Paths« (2006), 16, 18. 55 Harston, »Profession« (1993), 141, 158. 56 Ebenso für Kommanditgesellschaften auf Aktien, die jedoch als Rechtsform in Deutschland eine untergeordnete Rolle spielten. 57 Kritik und Forderungen sowie Zitate von Wiener und Behrend siehe: Wiener/Goldschmidt/Behrend, Reform (1873), 20, 22, 78, 80, 81. Alsheimer, »Gründerkrise« (1988), 472, nennt noch weitere Kritiker namentlich. 58 Ferner trennte die Aktienrechtsnovelle des Jahres 1884 erstmals strikt die Aufgabenbereiche von Auf- sichtsrat und Vorstand. 33 Von der »Hilfsbank« zum Verhandlungspartner Bilanzpflichtprüfung dazu führen, dass sich Vorstände und Aufsichtsräte ihrer Ver- antwortung zulasten der Revisoren entledigt fühlten.59 Zudem gab es Stimmen, die sich grundsätzlich skeptisch zum Staatshandeln in Krisen äußerten, da die Gesetzgebung der Realität lediglich nachhinke und der Öffentlichkeit mit neuen Gesetzen einen Zuwachs an Sicherheit nur vortäusche.60 Für die in den 1920er Jahren diskutierte Aktienrechtsreform war die Bilanzpflicht- prüfung hingegen nur ein Punkt unter vielen.61 Im Mittelpunkt der Debatte stand vielmehr die »Verwaltungsherrschaft« der Unternehmensleitungen. Kritiker aus dem Kreis der Wirtschaftsrechtler und der Handelspresse62 beanstandeten, dass die Unter- nehmensleitungen sich nicht mehr den Aktionären verpflichtet fühlten und über ihr Handeln nur ungenügend Rechenschaft ablegten. Der Einfluss von Banken auf Aktien- gesellschaften sei unzulässig hoch und die Bezüge von Vorständen und Aufsichtsräten galten als stark überhöht. Ziel der Kritiker war es, die »Demokratie der Aktionäre« wiederherzustellen. Stimmrechtskonstruktionen, mit denen Unternehmensverwaltun­ gen ihre »Vorherrschaft« sicherten, sollten zugunsten einer stärkeren Einflussnahme der Aktionäre abgeschafft werden. Das Recht der Aktionäre auf Informationen sollte durch das Recht der Einzelaktionäre auf Auskunft und durch eine detaillierte Publizität gewährleistet werden.63 Mit den Vorbereitungen für einen Gesetzentwurf begann das federführend tätige Reichsjustizministerium (RJM) im November 1927.64 Die gesamte Gesetzesmaterie wurde als Fragebogen mit über 700 Einzelfragen aufbereitet und einer Vielzahl von Adressaten65 im ersten Halbjahr 192966 zur Stellungnahme zugesandt. In den Frage- bögen behandelten nur einige Passagen mit wenigen Fragen die Tätigkeit eines externen

59 Warschauer, »Treuhand-Gesellschaften« (1908), 495–497, 499; Hintner, Treuhandwesen (1926), 142. 60 So Wiener in Wiener/Goldschmidt/Behrend, Reform (1873), 1. 61 Schubert, »Entwürfe« (1986), 141, 142, 144. 62 Wirtschaftsredakteure beklagten zudem immer wieder die dürftige Publizität selbst großer Unter- nehmen, Beispiele bei Lion, Bilanzen (1927), 25–29. 63 Schubert, »Entwürfe« (1986), 141, 160–162, 190, 191. 64 Schubert, »Entwürfe« (1986), 145; nach Schubert lässt sich eine »Aktienreformbewegung« bis in die Inflationszeit zurückverfolgen; sie war sehr populär. Es gab eine »umfangreiche Reformliteratur«, die 1926 »in voller Breite« einsetzte (S. 141). Neben einer Kommission des Deutschen Juristentages (S. 143) befasste sich auch eine Enquete-Kommission mit »Wandlungen« wirtschaftlicher Organisationsformen und aktienrechtlicher Gestaltungen in Unternehmen (S. 144, 145). Beide Kommissionen nahmen ihre Arbeit im Jahr 1926 auf. 65 Schubert, »Entwürfe« (1986), 150, 151. Einen Teil der Stellungnahmen hat Schubert als Edition dokumentiert. In dieser Edition liegen Antworten folgender Organisationen vor: RDI, DIHT, Deutscher Anwaltverein, Centralverband des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes, Vereinigung der Berliner Handelsredakteure, ADGB/AfA sowie Verband Deutscher Bücherrevisoren, siehe: Schubert, Quellen (1999), Bd. 1. 66 Der Reichsverband der deutschen Industrie erhielt die Fragebögen im März und Juni 1929. Siehe: Antwort des Reichsverbandes der deutschen Industrie, abgedruckt in: Die Wirtschaft und das Recht, 5. Jg., 1930, Sp. 6. 34 Einführung der Bilanzpflichtprüfung 1931 Revisors und die Einführung einer Bilanzpflichtprüfung.67 Die Pflichtprüfung wurde dabei im Rahmen einer Angleichung an ausländisches Recht diskutiert: Sollte die in deutschen Aktiengesellschaften vorhandene Trennung von Vorstand als Exekutiv- organ und Aufsichtsrat als Kontrollorgan abgeschafft und das anglo-amerikanische Board-System sowie der Auditor in deutsches Recht übernommen werden? Deutsch- land litt nach der Inflation unter Kapitalmangel und erhielt neues Kapital vor allem aus den USA.68 Daher fragte das RJM, ob ein auditor oder chartered accountant als unabhängiges Kontrollorgan »im Falle der Zusammenfassung der Verwaltung in einem Organ« geschaffen werden solle und ob dieses Kontrollorgan »den gesamten Aufgaben- und Pflichtenkreis des Aufsichtsrates« oder nur ein Teilgebiet, insbesondere die Bilanz- revision, übernehmen solle. Zur Frage nach dem Bilanzprüfer sollten die Adressaten mitteilen, ob die Prüfer nach dem Vorbild Polens amtlich bestellt werden sollten.69 Viele Länder Europas reformierten damals ihre Aktiengesetze.70 Vorbild beim Thema Bilanz- prüfung war Großbritannien, das diese Prüfung erstmals Mitte des 19. Jahrhunderts eingeführt hatte.71 Bevor die Adressaten auf die Fragen des RJM antworten konnten, brach im August 1929 die FAVAG zusammen.72 Die FAVAG war die zweitgrößte Versicherungsgesellschaft Deutschlands und hatte auch international einen Namen. Ihr Zusammenbruch war ein großer Skandal: »[…] die Größe des Zusammenbruches, die besondere Bedeutung des zusammengebrochenen Konzerns, die Quantität ist es, die diesen Fall vor anderen aus- zeichnet, nicht zuletzt auch der Grad der Willkür, mit der die betreffenden Vorstands- mitglieder unter den Augen des der deutschen Hochfinanz entstammenden Aufsichts- rates das Unternehmen zugrunde gerichtet haben«, stellte der Frankfurter Rechtsanwalt

67 Fragebogen III, »Organisation und Verwaltung«, Fragen 14–17 zur Einführung eines externen Revisors; Fragebogen III, Fragen 59–70 zum Prüfungsumfang externer Kontrollen, zur Ausgestaltung des Verhältnisses von Prüfer und Unternehmen, Fragebogen VI, »Bilanz nebst Gewinn- und Verlust- rechnung«, Fragen 80–86 zur Prüfung der Bilanz. Fragebögen abgedruckt in: Die Wirtschaft und das Recht, 5. Jg. (1930). 68 Schubert, »Entwürfe« (1986), 142. 69 Fragebogen III »Organisation und Verwaltung«, S. 26, Frage Nr. 14 und 15, und Fragebogen VI »Bilanz nebst Gewinn- und Verlustrechnung«, S. 68, Frage Nr. 80, abgedruckt in: Die Wirtschaft und das Recht, 5. Jg., 1930. 70 Entwurf eines Gesetzes über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien sowie Ent- wurf eines Einführungsgesetzes nebst erläuternden Bemerkungen, veröffentlicht durch das Reichs- justizministerium, Berlin/Leipzig 1930, S. 93, nennt Niederlande, England, Polen, Liechtenstein, Litauen, Schweiz, Italien, Spanien, Ungarn, Frankreich, Tschechoslowakei; siehe auch: Nußbaum, »Bericht« (1928), 1906. Nußbaum berichtete, dass die Niederlande, England und Polen gerade die Informationspflichten der Unternehmen zur Bewertung, zu Verpflichtungen und zu Tochtergesell- schaften in Bilanz und Geschäftsbericht erweitert hatten. 71 Hintner, »Entwicklung« (1940), 592: Mit Gesetzen aus den Jahren 1844, 1879 und 1900 wurden zunächst die Eisenbahngesellschaften, dann die Aktienbanken und schließlich alle »Companies« der Pflichtprüfung unterworfen. Erst 1928, nach einem Bilanzskandal bei einer Versicherungsgesellschaft, regelte die britische Regierung das Bilanzrecht detailliert – siehe: Voß, »Grundsätzliches« (1928), 55, 56; Gottschalk, Lehren (1934), 33. 72 Zur FAVAG im Detail siehe: Feldman, Allianz (2001), 40–45; Feldman, »Deutsche Bank« (1995), 274–276. 35 Von der »Hilfsbank« zum Verhandlungspartner Spier fest.73 Ein Redakteur der Frankfurter Zeitung hatte dubiose Bankgeschäfte und Unregelmäßigkeiten aufgedeckt. Der Vorstand der FAVAG hatte über Jahre hinweg die Bilanzen gezielt verfälscht und insbesondere Bürgschaftsverpflichtungen für Tochter- gesellschaften verschwiegen.74 Die Buchhaltung der Versicherungsgesellschaft war darauf abgestellt, die Bilanzen systematisch zu verschleiern. Der Vorstand erhielt ange- sichts der vermeintlich positiven wirtschaftlichen Lage der FAVAG immer neue Kredite. Seit der Währungsreform, aus der auch überhöhte Bewertungen des Aktivvermögens stammten, betrieb die FAVAG eine schnelle und riskante Expansionspolitik. Zudem bereicherten sich die Vorstandsmitglieder zulasten des Unternehmens. Diese Vorkomm- nisse hatten weder der Aufsichtsrat noch das Reichsaufsichtsamt für Privatversicherung als staatliches Kontrollorgan wahrgenommen. Beide Institutionen hatten in ihrer Kontrollfunktion versagt.75 Offenbar als Reaktion auf die seit dem Frühjahr 1929 bestehenden Gerüchte über die Probleme der FAVAG beschloss der Centralverband des Deutschen Bank- und Ban- kiergewerbes (Centralverband) im Mai 1929 die recht hilflos wirkende Empfehlung an seine Mitglieder, ungedeckte Kredite nur noch nach Vorlage einer testierten Bilanz zu gewähren.76 Dies zeigt, dass eine Kreditvergabe keineswegs durchgängig mit einer Bilanzprüfung verbunden war, selbst dann nicht, wenn es von der Größenordnung her geboten gewesen wäre. Gegenüber dem RJM gab sich der Centralverband bei der Beant- wortung der Frage nach externen Revisoren und der Bilanzpflichtprüfung im Hinblick auf den Zusammenbruch der FAVAG unbeeindruckt. Im Gegenteil warnte Gustav Sin- tenis, Geschäftsinhaber der Berliner Handels-Gesellschaft, davor, einen »Einzelfall« zur Grundlage eines ganzen Gesetzes zu machen.77 Der Centralverband lehnte eine mate- rielle Bilanzprüfung nicht rundheraus ab. Er verneinte allerdings eine gesetzliche Ver- pflichtung hierzu. Bilanzprüfer, so seine Auffassung, müssten nicht zwingend externe Berufsrevisoren sein, sondern könnten auch aus dem Kreis der Aufsichtsratsmitglieder kommen – ein im Hinblick auf das Versagen des Aufsichtsrates bei der FAVAG wenig überzeugender Vorschlag. Zudem hielt der Centralverband die vorhandenen Revisoren und Treuhandgesellschaften für noch nicht ausreichend qualifiziert und ihre Anzahl für zu gering.78

73 Spier, »Zusammenbruch« (1929), 289. 74 Im Detail siehe: Kalveram, Gutachten (o. J.), 278, 279, 281, 290. Wilhelm Kalveram (1882–1951) lehrte von 1926 bis 1946 als ordentlicher Professor für Bankwesen und Finanzierung an der Uni- versität Frankfurt. Er war mit einer Deliktuntersuchung beauftragt worden, um die Verantwortung des Vorstandes für den Zusammenbruch der FAVAG zu klären. Bei den Tochtergesellschaften handelte es sich um die beiden Banken Frankfurter Indus­triekredit und Südwestdeutsche Bank. 75 Zur negativen Wirkung der FAVAG-Pleite auf internationalem Parkett siehe: Feldman, »Deutsche Bank« (1995), 274, 275. 76 Bernstein, »Bankgewerbe« (1933), 6. 77 Sintenis, »Aktienrechts-Entwurf« (1930), 464. 78 Schubert, Quellen (1999), Bd. 1, Abschnitt D. Antworten des Centralverbandes des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes e. V., S. 292–442, hier: S. 298, zusammenfassender Begleitbrief; S. 342–344 und S. 352–353 (Fragebogen III), S. 422 (Fragebogen VI). 36 Einführung der Bilanzpflichtprüfung 1931 Diese Behauptung ist kaum nachvollziehbar. Von Banken gegründete Treuhand- gesellschaften hatten die materielle Bilanzprüfung in Deutschland eingeführt und praktizierten sie seit mehr als 20 Jahren. Ende der 1920er Jahre gab es in Deutschland etwa 570 Treuhandgesellschaften79 und mehrere Tausend als Revisoren tätige Personen. Etwa 100 Treuhandgesellschaften und rund 1.500 Bücherrevisoren und Buchsachver- ständige waren in Berufsverbänden organisiert, die seit etwa zwei Jahrzehnten fachliche Qualifizierung betrieben und berufsethische Grundsätze aufgestellt hatten.80 Zumindest sie dürften quantitativ ausgereicht haben und fachlich angemessen qualifiziert gewesen sein. Zwar gab es etwa 11.700 Aktiengesellschaften in Deutschland. Aber nur 4.650 Gesellschaften waren im Hinblick auf ein Nominalkapital von mehr als 500.000 RM von Bedeutung. Sie vereinten etwa 95 Prozent des gesamten Aktienkapitals auf sich. Von diesen wiederum hatten nur 750 Gesellschaften ein Nominalkapital von mehr als fünf Millionen RM, sie allein vereinten schon 70 Prozent des gesamten Aktienkapitals.81 Die Äußerungen des Bankenverbandes deuten eher darauf hin, dass Treuhandgesellschaften auch weiterhin vor allem als exklusive Informationsquellen für Banken tätig werden sollten und nicht direkt für öffentliche Belange.82 Vielleicht befürchteten Banken auch, dass Unternehmen nun andere Bilanzprüfer wählten als die von ihnen begründeten Treuhandgesellschaften.83 Die Bedenken des Bankenverbandes bezüglich der Qualifikation der Prüfer, denen sich auch der Reichsverband der Deutschen Industrie (RDI) und der Deutsche Juristen- tag anschlossen, konnten den Gesetzgeber nicht umstimmen. Seine Entscheidung war gefallen. »Die Ereignisse der jüngsten Zeit haben bestätigt, daß eine Beaufsichtigung und Nachprüfung des Rechnungswesens der Aktiengesellschaften erforderlich ist. Die regelmäßige Rechnungsprüfung, die eine Reihe ausländischer Rechte vorschreibt, kann, wie namentlich die in England gemachten Erfahrungen beweisen, zur Gesundung des Aktienwesens und zu seiner Sicherung in erheblichem Maße beitragen.«84 Mit diesen Erläuterungen begründete das RJM im Sommer 193085 die erstmalige Einführung einer obligatorischen Jahresabschlussprüfung für Aktiengesellschaften, also auch für Aktien- banken, in Deutschland. Durch die FAVAG-Pleite erhielt die Gesetzesdiskussion eine

79 Ertel, »Treuhandgesellschaften« (1932), 319. 80 Markus, Wirtschaftsprüfer (1996), 2–4. 81 »Die deutschen Aktiengesellschaften am 31. Dezember 1928«, in: Wirtschaft und Statistik (1929), S. 169 f.; Hochschullehrer der Betriebswirtschaftlehre stellten seinerzeit ebensolche Berechnungen an und widerlegten damit die Argumentation derjenigen, die die Bilanzpflichtprüfungen ablehnten, siehe: Hintner, »Pflichtrevision« (1930), 323, 324. 82 Harston, »Profession« (1993), 149; Abel, »Impact« (1971), 33. 83 Harston, »Profession« (1993), 155. 84 Entwurf eines Gesetzes über Aktiengesellschaften […] (1930), 115. Zu dieser Entscheidung mag auch beigetragen haben, dass für Aktiengesellschaften in staatlichem Eigentum bzw. mit staatlicher Beteiligung bereits eine Bilanzprüfungspflicht galt; seit 1925 war die staatliche Treuarbeit zur Prüferin bestellt. 85 Schubert, »Entwürfe« (1986), 152. 37 Von der »Hilfsbank« zum Verhandlungspartner Zuspitzung auf die Bilanzpflichtprüfung als die wohl »wichtigste Neuerung der ganzen Reform überhaupt«.86 Der Zusammenbruch der Nordwolle hatte dann den Effekt, die Umsetzung der Aktienreform in Bruchstücken, zu denen auch die Einführung der Bilanzpflichtprüfung gehörte, zu beschleunigen. Dieser größte europäische Textilkonzern hatte in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre eine schnelle und kreditfinanzierte Expansion begonnen, die nach wenigen Jahren in den Ruin führte.87 Verfehlte Spekulationen der Firmeninha- ber in Rohwollepreisen und versuchte Aktienkursmanipulationen führten schließlich zu Verlustverschiebungen an eine verbundene niederländische Gesellschaft und Bilanz- fälschungen. Auch bei der Nordwolle versagte der Aufsichtsrat in seiner Kontrollfunk- tion.88 Trotz Presseberichten über die schlechte wirtschaftliche Lage der Nordwolle erhielt das Unternehmen von seinen Hausbanken, Danat-Bank und Dresdner Bank, weitere Kreditmittel ohne Vorlage aktuellen Bilanzmaterials. Die dann im Frühjahr 1931 vorgenommenen Bilanzprüfungen zeigten ein längst überschuldetes Unternehmen.89 Staatliche Sanierungsbemühungen scheiterten ebenso wie das Bestreben der Nordwolle, sich am Kapitalmarkt zu versorgen. Die hohen Kreditverpflichtungen des Unterneh- mens brachten die beiden Hausbanken in Bedrängnis – und dies wiederum führte zu Währungs- und Vertrauensproblemen des Deutschen Reiches.90 Denn zu diesem Zeitpunkt hatten ausländische Kreditoren das Vertrauen in die Stabilität deutscher Banken schon weitgehend verloren. Seit dem Frühjahr 1931 hatten deutsche Banken mit massiven Kreditkündigungen und dem Abzug von Guthaben zu kämpfen. Besonders stark betroffen waren erneut die Danat-Bank und die Dresdner Bank. Die Reichsbank geriet in Bedrängnis, da sie in der ersten Junihälfte mehr als die Hälfte ihres Devisen- und Goldbestandes gegen Wechsel an deutsche Banken für aus- ländische Gläubiger abgeben musste. Doch weder das Reparationsmoratorium noch der von Reichsregierung und Reichsbank mit den USA, England und Frankreich aus- gehandelte Kredit in Höhe von 100 Millionen US-Dollar verringerte die Kreditabzüge. Die von der Reichsbank verschärften Anforderungen an das von Banken eingereichte Wechselmaterial bedrohten die Danat-Bank und die Dresdner Bank mit Insolvenz. Obwohl die Reichsregierung eine Garantie für die Danat-Bank aussprach, setzte ein so starker Ansturm des inländischen Publikums auf deutsche Kreditinstitute ein, dass das Regierungskabinett den 14. und 15. Juli zu Bankfeiertagen erklärte. Alle Kreditinstitute waren geschlossen, der Überweisungsverkehr ruhte.

86 Aussage Schmölders, zitiert bei Alsheimer, »Gründerkrise« (1988), 478. 87 Zur Nordwolle im Detail: Born, Bankenkrise (1967), 74–76 (Darstellung der Ereignisse), 87, 89 (zu den staatlichen Sanierungsversuchen), 95–96 (Verluste der Danat-Bank bei der Nordwolle); Wixforth, Tochter (2006), 256–266 (zur Nordwolle). 88 Nach Eisfeld, »Entstehungsgeschichte« (1956), 452, war das Versagen der Aufsichtsräte bei Nordwolle und FAVAG »wieder offensichtlich«. 89 Die Prüfung der Danat-Bank deckte auch die Bilanzmanipulationen auf. Die Prüfung der Dresdner Bank ergab einen Verlust von 205 Millionen RM bei einem Aktivvermögen von 140 Millionen RM. 90 Für das Folgende: Born, Bankenkrise (1967), 64–109 (Darstellung der Bankenkrise vom 11. Mai bis 15. Juli 1931). 38 Einführung der Bilanzpflichtprüfung 1931 Im Zentrum der Kritik standen Berliner Großbanken und das unkalkulierbare Risiko ihrer Geschäftspolitik.91 Insbesondere eine unzureichende Eigenkapitalbasis, hohe Bestände an eigenen Aktien92 sowie Investitionsfinanzierungen durch kurzfristige Kredite galten als verursachende Faktoren der Bankenkrise. Darüber hinaus verdeut- lichten die Vorkommnisse bei der FAVAG und der Nordwolle, dass Banken bei großen Kreditnehmern allzu leicht bereit waren, ohne weitere Prüfung Kredite zu gewähren.93 Auch die von Banken entsandten Aufsichtsräte hatten als Kontrolleure versagt. Um die Bankenkrise zu überwinden, mussten fast alle Berliner Großbanken staatliche Hilfe in Millionenhöhe in Anspruch nehmen.94 Dresdner Bank und Danat-Bank wurden vom Staat fusioniert. In den nun zügig verabschiedeten Teilen des geplanten Aktiengesetzes als Notver- ordnung vom 19. September 1931 nahmen Vorschriften zur Publizität, zur Bewertung der Bilanzpositionen sowie zu Bilanzprüfung und Bilanzprüfern einen relativ großen Anteil ein. Die Bilanzprüfung erstreckte sich vor allem auf die Gliederungsvorschriften zur Bilanz und zur Gewinn- und Verlustrechnung, die Bewertungsvorschriften sowie die Angaben im Geschäftsbericht (§ 262a Abs. 2 HGB). Obwohl FAVAG, Nordwolle und weitere in Schwierigkeiten geratene Unternehmen95 Tochtergesellschaften für Bilanzverschleierungen genutzt hatten, forderte der Gesetzgeber keine Konzernbilanzen von den Unternehmen. Zwar mussten Unternehmen »auch über die Beziehungen zu einer abhängigen Gesellschaft und einer Konzerngesellschaft« berichten (§ 260a, Abs. 2 HGB). Prüfer konnten diese »Beziehungen« erst dann auf materielle Richtigkeit und Vollständigkeit prüfen, wenn der Prüfungsauftrag sich ausdrücklich auf angegliederte Unternehmen erstreckte. Zur Ausdehnung des Prüfungsauftrages waren Unternehmen

91 Zur Bankenkrise im Detail: Born, Bankenkrise (1967), 19–28, 57–60. Zu den Berliner Groß- banken zählten sechs Institute mit Filialen im gesamten Reich, nämlich die Deutsche Bank, die Discontogesellschaft (im Herbst 1929 fusioniert zu DD-Bank oder Dedi-Bank), die Dresdner Bank, die Darmstädter und Nationalbank KGaA (Danat-Bank), die Commerz- und Privatbank, die Mittel- deutsche Creditbank (im Februar 1929 fusioniert). Zwei Bankanstalten ohne Filialen, die reichs- eigene Reichs-Kredit-Gesellschaft AG und die Berliner Handels-Gesellschaft (BHG), waren von der Bankenkrise nicht betroffen. Die vormalige Hausbank der Nordwolle, die BHG, hatte die Expansion des Textilkonzerns nicht mittragen wollen und so die Nordwolle als Kunden an die Danat- und die Dresdner Bank verloren. Zu den Warnern kreditfinanzierter Effektenkäufe gehörte auch der Reichs- bankpräsident Hjalmar Schacht, der die Spekulationsblase im Frühjahr 1927 kurzzeitig bremste, siehe: Born, Bankenkrise (1967), 23, 33. 92 So hatte die Danat-Bank bei einem Aktienkapital von RM 60 Millionen im Sommer 1931 RM 28 Millionen eigene Aktien, bei der Dresdner Bank befanden sich RM 34 Millionen eigene Aktien von einem Aktienkapital in Höhe von RM 100 Millionen im Eigenbesitz. 93 Le Coutre, »Revisionen« (1933), 64. Falls es Prüfungen gegeben haben sollte, bezweifelt Le Coutre, dass es materielle Prüfungen waren. 94 Benjamin, Sanierung (1935), 52–53, errechnete für die Dresdner Bank und die Danat-Bank einen Totalverlust von Reich und Golddiskontbank in Höhe von RM 433,7 Millionen. Die Stützungsmaß- nahmen für die fusionierte Commerzbank und die DD-Bank führten zu Verlusten in Höhe von RM 37,4 bzw. RM 29,25 Millionen. 95 Zum Beispiel Schultheiss-Patzenhofer Brauerei und Deutsche Linoleumwerke AG, siehe: Gottschalk, Lehren (1934), 12, 13, 16. 39 Von der »Hilfsbank« zum Verhandlungspartner aber nicht verpflichtet.96 FAVAG und Nordwolle waren durch jahrelange fehlerhafte Geschäftspolitik und eine betrügerische Geschäftsleitung gescheitert. Unternehmerische Entscheidungen waren aber ebenso wenig wie Untreuehandlungen Gegenstand von Bilanzpflichtprüfungen.97 Bilanzpflichtprüfungen waren auch nicht dazu geeignet, die Strukturprobleme des deutschen Bankwesens zu lösen oder die Devisenknappheit der Reichsbank als Folge der starken Kreditabzüge zu beseitigen. Unter allen Maß- nahmen, die die deutsche Regierung ergriff, um die Krisen zu beenden – Einführung einer Bankenaufsicht, Zinssenkungsverordnung, verschärfte Bestimmungen über den Erwerb eigener Aktien, Devisenzwangsbewirtschaftung98 – war die Einführung der Bilanzpflichtprüfung ein schwaches, aber für die allgemeine Öffentlichkeit das vermut- lich einprägsamste Mittel. Der Vergleich zwischen der Wirtschaftskrise 1900 und der Bankenkrise 1931 zeigt, dass Banken zum Jahrhundertbeginn zwar in die öffentliche Kritik gerieten, aber die Lage selbstständig klärten. Mit der Gründung von Treuhandgesellschaften und der materiellen Bilanzprüfung boten sie eine Lösung zur Risikominderung in Unternehmen an, mit der sie gleichzeitig Forderungen zurückdrängten, die gegen sie erhoben worden waren.99 In der Bankenkrise wurden Banken selbst zum Problem. Als Akteure hatten sie sich diskreditiert. Nun handelte der Staat.100 Er intervenierte zunächst bei FAVAG und Nordwolle. Schließlich musste er auch das Bankwesen neu ordnen. Unter enormen Handlungsdruck geriet die deutsche Regierung jedoch nicht nur, weil das Ausland das Vertrauen in die deutsche Wirtschaft verloren hatte. Das deutsche Reich hatte auch aufgrund politischer Krisen Kredit eingebüßt. Seit Ende März 1930 regierte ein Präsi- dialkabinett ohne parlamentarische Fundierung. Im Herbst desselben Jahres erzielte die rechtsextreme NSDAP hohe Stimmengewinne bei der Reichstagswahl. So ist es wohl zu erklären, dass die Regierung mit der Einführung der Bilanzpflicht- prüfung auf eine Maßnahme zurückgriff, die nicht frei von Kritik war. Sie bot keine Gewähr gegen betrügerische Manipulationen oder Unternehmenszusammenbrüche. Andererseits wurde der Bilanzprüfung Vertrauen geschenkt. Sie galt als wirkungsvolles Ordnungsinstrument und konnte dazu beitragen, die Unsicherheit insbesondere aus- ländischer Investoren über die innerbetrieblichen Zustände in deutschen Großunter- nehmen zu vermindern.101 Mit der Aktienrechtsnovelle 1931 stärkte der Gesetzgeber

96 Schlegelberger/Quassowski/Schmölder, Verordnung (1932), 279. 97 Darauf machten auch Betriebswirtschaftler (Le Coutre, Schmaltz, Hintner) und Wirtschaftsprüfer (Wanieck) aufmerksam. Le Coutre, »Pflichtrevision« (1931), 104 (Vortrag anlässlich der Tagung des Treuhandverbandes vom 14. bis 17.5.1931); Schmaltz, »Wirtschaftsprüfer« (1932), 255; Hintner, »Pflichtrevision« (1930), 323; Wanieck, »Umfang« (1935), 274, 275. Wanieck war Vorstandsmitglied der Treuhand-Vereinigung. 98 Born, »Weltwirtschaftskrise« (1965), 95, 96. 99 Kapitel 2.1: Prüfung der Bankbilanzen, gesetzlich festgelegte Bankbilanzschemata. 100 Harston, »Profession« (1993), 149, 151. 101 So hoffte dies bspw. der Betriebswirtschaftler Hintner, Treuhandwesen (1926), 149. Die Basler Nationalzeitung schrieb am 10.7.1930: »Die unerhörten Vorkommnisse […] bei Karstadt und Nord- wolle und bei der Deutschen Linoleumfabrik haben im Ausland […] verallgemeinerndes Mißtrauen 40 Einführung der Bilanzpflichtprüfung 1931 die Handelsbilanz als maßgebliches Informationsmedium für Kreditgeber, Gläubiger, Investoren und Öffentlichkeit. Er führte die Bilanzpflichtprüfung als Corporate- Governance-Element mit externer Zielrichtung ein. Deutsche Unternehmen sahen hingegen keinen Bedarf für eine Pflichtprüfung, die sie offenbar als nicht notwendig für eine verbesserte Funktionsfähigkeit des Kapital- marktes erachteten. Zwar hatten DIHT und bekannte Prüfer auf die Signalwirkung der Prüfung für Kapitalmärkte hingewiesen.102 Doch deutsche Unternehmen unter- schieden klar zwischen detaillierten Darstellungen für die interne Berichterstattung und dürftigen Veröffentlichungen für Außenstehende.103 Deutsche Unternehmen wussten durchaus um Umfang und Tiefe der öffentlich in den USA bekannt gegebenen Unter- nehmensdaten. Bei der Aufnahme von Anleihen in den USA mussten sie Daten ver- öffentlichen, die sie in Deutschland geheim hielten. Dennoch wollten sie wegen des »starken Konkurrenzkampf(es) der deutschen Wirtschaft« auf eine vermehrte Publizität verzichten.104 Unternehmen akzeptierten Bilanzpflichtprüfungen, weil sie langjährige, vertrauens- volle Beziehungen zu ihren Treuhandgesellschaften oder Bücherrevisoren pflegten und seit vielen Jahren Bilanzrevisionen vornehmen ließen. Der Gesetzgeber erlaubte auch weiterhin die Bildung stiller Reserven und ließ Kompensationen von Aufwendungen und Erträgen in der Gewinn- und Verlustrechnung zu.105 Die Prüfung blieb eine unter- nehmensinterne Angelegenheit und der Prüfungsbericht ging nicht an die Generalver- sammlung.106 Unternehmen konnten sich wohl auch deshalb mit der Pflichtprüfung arrangieren, weil sie sie weiterhin vorrangig als internes Kontrollinstrument,107 ja sogar als Schutzmaßnahme gegenüber den Aktionären begriffen, wie es der RDI in seiner Stellungnahme zum Aktienrechtsentwurf verdeutlichte.108 Zusätzlich zur vom Staat

gegen die deutsche Industrie und die deutsche Bankenwelt hervorgerufen«, abgedruckt bei: Born, Bankenkrise (1967), 85. 102 O. V. »Gründung« (1931), 653; Adler, »Aufgaben« (1929), 13; Susat, »Revisions- und Treuhandwesen« (1931), 392. Adler und Susat waren Vorstandsmitglieder der Treuarbeit. 103 Fear/Kobrak, »Paths« (2006), 17: »Even corporations with exposure to capital markets established separate channels of information for insiders and outsiders«, 35. 104 Lion, Bilanzen (1927), 19; so die Argumentation des Bankiers Georg Solmssen, S. 20–23. 105 Entwurf eines Gesetzes über Aktiengesellschaften […] (1930), 112, 114. 106 Entwurf eines Gesetzes über Aktiengesellschaften […] (1930), S. 117. Die Generalversammlung wählte die Bilanzprüfer, der Vorstand erteilte den Prüfern den Prüfungsauftrag (§ 262b Abs. 1). Der Prüfungsbericht war nur dem Aufsichtsrat vorzulegen (§ 262e, Abs. 2). 107 Damit warben auch Treuhandgesellschaften: So sei ein detaillierter Prüfungsbericht von Vorteil für das Unternehmen, weil er Verlustquellen aufdecke und Verbesserungen in der Unternehmensorganisation herbeiführe – siehe: Adler, »Aufgaben« (1929), 12, 13; einen Aufsatz ähnlichen Inhalts hatte Adler bereits 1928 in der Zeitschrift für das Treuhandwesen, dem Organ des Treuhandverbandes, veröffent- licht. Die Bedeutung des internen Rechnungswesens für die Unternehmensführung hatte in den 1920er Jahren noch weiter zugenommen, siehe: Reckendrees, Stahltrust (2000), 308 (Vereinigte Stahl- werke AG). 108 Der RDI führte in seiner Beantwortung des Fragebogens gegenüber dem RJM aus: »Die Sicherung der internen Kontrolle innerhalb der Aktiengesellschaften verdient gegenüber der Haftbarmachung von Großaktionären und der Einräumung individueller Auskunftsrechte, die ohne Gefährdung der 41 Von der »Hilfsbank« zum Verhandlungspartner beabsichtigten neuen Zielrichtung der Bilanzprüfung als Informationsmittel für Außen- stehende hatte sich der Prüfungsinhalt verändert: Warben Treuhandgesellschaften noch zu Beginn des Jahrhunderts damit, dass Bilanzprüfungen auch dem Aufspüren von Fehlern und Unregelmäßigkeiten dienten,109 verfolgten Bilanzpflichtprüfungen ledig- lich das Ziel, die ordnungsmäßige Einhaltung gesetzlich vorgeschriebener Gliederungs- und Bewertungsvorschriften zu prüfen.110

2.3 Von der Treuhandgesellschaft links: Von der »Hilfsbank« zum Verhandlungspartner zur Wirtschaftsprüfungsgesellschaft rechts: Von der Treuhandgesellschaft zur Wirtschafts- prüfungsgesellschaft Die Bilanzpflichtprüfung nach § 262a HGB durfte nur der 1931 neu konstituierte Berufs- stand der öffentlich bestellten Wirtschaftsprüfer vornehmen.111 Die Bestimmungen für Wirtschaftsprüfer waren auf natürliche Personen ausgerichtet. Ein Kandidat musste speziell vorgeschriebene persönliche Voraussetzungen erfüllen sowie ein Examen und einen Eid ablegen. Gesetz und Eid verpflichteten den Prüfer zu gewissenhafter und unparteiischer Prüfung sowie zur Verschwiegenheit.112 Die »Berufsgrundsätze« ver-

Geschäftsinteressen nicht gewährleistet werden kann, unbedingt den Vorzug« (Sp. 9). »Die Revision soll der inneren Kontrolle der Verwaltung dienen und sich auch auf die dem Einblick der Aktionäre nicht zu eröffnenden intimen Geschäftsvorgänge erstrecken« (Sp. 11). Der RDI lehnte die Vorlage des Prüfungsberichtes an die Generalversammlung ab (Sp. 11). Siehe: »Der Reichsverband der deutschen Industrie zur Aktienrechtsreform«, abgedruckt in: Die Wirtschaft und das Recht, 5. Jg., 1930, Sp. 5–20. Meyer im Hagen beurteilt die »Industrie- und Wirtschaftsverbände […] als ausgesprochen konservativ und reformfeindlich. Sie lehnten eine Verbesserung der Publizität durch eine umfassende Berichterstattung im Geschäftsbericht und durch aussagekräftige Jahresabschlüsse ab«. Der Wider- stand gegen die Pflichtrevision sei nur deshalb verhaltener gewesen, »weil diese nicht unmittelbar zu einer Steigerung der Publizität zu führen brauchte.« – Siehe: Meyer im Hagen, Reform (1988), 208. 109 Dies hob die Deutsche Treuhand-Gesellschaft in ihrem Geschäftsbericht für das Jahr 1901 als wesent- liches Ziel der Prüfung hervor, siehe: Schuld, »Geschichte« (1965), 26. 110 Auch ein niederländischer Accountant stellte auf dem 5. Internationalen Wirtschaftsprüferkongress diese Diskrepanz in der Zielrichtung der Bilanzprüfung fest: Während von deutschen Wirtschafts- prüfern nur verlangt werde, dass sie die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften prüften, würden Prüfer in den meisten anderen Ländern die Bilanz aus einem betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkt heraus prüfen, siehe: Schweitzer, »Ablauf« (1938), 376. 111 Die sogenannte »Ländervereinbarung« regelte die Gründung der »Hauptstelle für die öffentlich bestellten Wirtschaftsprüfer« sowie die Prüfung, Bestellung, Vereidigung, Überwachung der Wirt- schaftsprüfer und den Widerruf der Bestellung und Übergangsregelungen – siehe: Anlage zur Ersten Verordnung zur Durchführung der aktienrechtlichen Vorschriften der Verordnung des Reichs- präsidenten über Aktienrecht, Bankenaufsicht und über eine Steueramnestie. Vom 15. Dezember 1931, RGBl. Jg. 1931, Teil I, S. 761–763. Die »Hauptstelle« gab »Bestimmungen über die öffentlich bestellten Wirtschaftsprüfer« heraus: Dies waren die Satzung der Hauptstelle, Bestimmungen­ zur Errichtung und Verfahren der Zulassungs- und Prüfungsausschüsse, die Zulassungsbedingungen, die Prüfungsordnung sowie Berufsgrundsätze – abgedruckt bei: Schlegelberger/Quassowski/Schmölder, Verordnung (1932), 420–428. 112 § 262 g (1) HGB; Eidesformel in der »Ländervereinbarung«, RGBl. Jg. 1931, Teil I, S. 762. 42 Von der Treuhandgesellschaft zur Wirtschaftsprüfungsgesellschaft pflichteten ihn zu einer eigenverantwortlichen und hauptberuflichen Tätigkeit, die er in strengster Objektivität und unbeeinflusst auszuüben hatte.113 Daher verwundert es zunächst, dass Treuhandgesellschaften und speziell die von Banken errichteten Treuhandgesellschaften und die staatliche Treuarbeit als Bilanz- prüfer tätig werden konnten. Mit ihnen wurden erstmals juristische Personen zur Ausübung eines freien Berufes zugelassen.114 Die Anerkennung von Treuhandgesell- schaften als Bilanzprüfer war im Vorfeld der gesetzlichen Regelung Gegenstand heftiger Kontroversen.115 So vertrat das Preußische Ministerium für Handel und Gewerbe, die maßgebliche Instanz bei der Schaffung des neuen Berufes der Wirtschaftsprüfer, die Auffassung, dass die Treuhandgesellschaften »die besten Prüfungskräfte in sich ver- einigen, oft ganz vorzügliches [so!] leisten«.116 Die Mehrzahl der bayerischen Handels- kammern lehnte hingegen die Zulassung von Treuhandgesellschaften ab, »da diese nicht mit dem Prinzip der persönlichen Verantwortung vereinbar sei.«117 Hochschulvertreter kritisierten, dass Banken-Treuhandgesellschaften durch ihre Bindung an Banken nicht ausreichend unabhängig seien, um die Abschlussprüfung vorzunehmen, und warfen ihnen vor, einseitig die Interessen der Banken zu vertreten.118 Schon in der Gründungs- phase der Banken-Treuhandgesellschaften waren diese als gehorsame Dienerinnen kapitalistisch-spekulativer Interessen, die die Macht der Großbanken »ins ungeheuere« steigerten, diffamiert worden.119 Auch der RDI sah unter den »Treuhandorganisationen […] die Zahl der völlig unabhängigen Gesellschaften« als »gering« an.120 Diese Aussage

113 Schlegelberger/Quassowski/Schmölder, Verordnung (1932), 426, 428. 114 Schmidt, »Wirtschaftsprüfung« (1932), 170. 115 Sponheimer, Revisionswesen (1925), 60; Geschäftsbericht des Treuhandverbandes für das Geschäfts- jahr 1930, in: Zeitschrift für das Treuhandwesen, 7. Jg. (1931), S. 69; Bruck, »Problematisches« (1932), 561. 116 Frielinghaus, Beruf (1931), 1. Frielinghaus war als Ministerialrat im Ministerium der führende Koordinator zur Schaffung des Berufes, siehe: Löhnig, Wirtschaftsprüfer (1999), 83. Auch Hoch- schulvertreter beurteilten die Qualität der Treuhandgesellschaften als sehr hoch, siehe: Sponheimer, Revisionswesen (1925), 99; Schmidt, »Wirtschaftsprüfung« (1932), 170; Hintner, Treuhandwesen (1926), 23, 81, 87, 155. Hintner lehrte Betriebswirtschaft in Erlangen, später in Würzburg, 1941 bis 1945 in Dresden. 117 Löhnig, Wirtschaftsprüfer (1999), 149. 118 Theermann, »Pflichtrevision« (1930/31), 42–44. Theermann war Direktor der Allgemeinen Treuhand- Aktien-Gesellschaft Dresden/Berlin; Schmidt, »Wirtschaftsprüfung« (1932), 170. Schmidt lehrte Betriebswirtschaftslehre in Frankfurt. 119 Beigel, Treuhand-(Revisions-)Gesellschaften (1912), 20 (Zitat, Kleinschreibung), 29. E. Römer behauptete 1908, die Treuhandgesellschaften seien »Schleppträgerinnen bestimmter Großbank- organisationen und nur zu dem Zweck ins Leben gerufen, nicht Licht, sondern nur Dunkel zu ver- breiten.« Zitiert bei Hintner, Treuhandwesen (1926), 99. Beigel und Römer waren Bücherrevisoren. Nach Meyer im Hagen »sprachen sich aber nicht nur die Banken und die Industrie- und Wirtschafts- verbände, sondern auch Teile der Presse und zahlreiche Vertreter der Gewerkschaften für die Zulassung von Treuhandgesellschaften aus.« Meyer im Hagen, Reform (1988), 185. 120 Der Reichsverband der deutschen [so!] Industrie zur Aktienrechtsreform. Ein Gutachten, in: Die Wirtschaft und das Recht, 5. Jg., 1930, S. 10. 43 Von der »Hilfsbank« zum Verhandlungspartner überrascht, denn in den vergangenen mehr als 20 Jahren hatten viele Unternehmen die Diskretion der Treuhandgesellschaften geschätzt.121 Die fehlende Unabhängigkeit von Banken-Treuhandgesellschaften war nach Mei- nung der Kritiker darin begründet, dass Banken sowohl in den Aufsichtsräten der Treu- handgesellschaften als auch in den Aufsichtsräten vieler zu prüfender Gesellschaften vertreten waren.122 In der Tat hatte noch der im Sommer 1930 veröffentlichte Entwurf zum neuen Aktiengesetz den Ausschluss für Treuhandgesellschaften als Pflichtprüfer bestimmt, wenn »Aufsichtsräte der zu prüfenden Gesellschaft maßgebenden Einfluß« auf die Geschäftsleitung der Treuhandgesellschaften »auszuüben in der Lage sind«.123 In diesem Fall hätten sich Bankenvertreter entweder aus dem Aufsichtsrat der zu prüfenden Gesellschaft oder der Treuhandgesellschaft zurückziehen müssen. Bei der endgültigen Regelung in der NotVO vom 19. September 1931 hatte der Gesetzgeber dann seine Mei- nung geändert. Die Möglichkeit der Einflussnahme eines Aufsichtsratsmitgliedes auf eine Prüfungsgesellschaft galt nun als gering, weil nur der Vorsitzende des Aufsichts- rates und sein Stellvertreter das Recht hatten, die von der Prüfungsgesellschaft erstell- ten Prüfungsberichte einzusehen.124 Der Einfluss musste nun »von der zu prüfenden Gesellschaft als solcher« ausgehen. Mit dieser Regelung sollte verhindert werden, dass Unternehmen eigene Prüfungsgesellschaften einrichteten und mit der Pflichtprüfung des Unternehmens beauftragten.125 Banken-Treuhandgesellschaften und die Treuarbeit konnten also als Abschlussprüfer tätig werden. Eine Treuhandgesellschaft wurde dann als Wirtschaftsprüfungsgesellschaft anerkannt, wenn mindestens ein Mitglied ihres Vor- standes als Wirtschaftsprüfer bestellt war.126 Befürworter von Treuhandgesellschaften beurteilten die Arbeit der Gesellschaften als ausgezeichnet und unentbehrlich.127 Das Vertrauen in die Gewissenhaftigkeit, Zuver- lässigkeit und Verschwiegenheit der Treuhandgesellschaften habe sich bewährt. Die Gesellschaften seien objektiv in ihrer Beurteilung, weil sie keine eigenen materiellen

121 Nach Angaben eines Zeitgenossen ließen sich schon vor Einführung der Bilanzprüfung 60 Prozent aller Aktiengesellschaften prüfen, siehe: Barth, Entwicklung (1953), 226. 122 Die Ausübung der Wirtschaftsprüfung in Form der Aktiengesellschaft kam in Deutschland und in der Schweiz vor, in anderen Ländern schlossen sich Wirtschaftsprüfer zu Personengesellschaften oder Sozietäten zusammen. Diese Unterschiede in der Organisation der Berufsausübung wurde auch von ausländischen Prüfern wahrgenommen, siehe: Schweitzer, »Ablauf« (1938), 376. 123 Entwurf eines Gesetzes über Aktiengesellschaften […] (1930), § 120, Abs. 2, S. 2. 124 Schlegelberger/Quassowski/Schmölder, Verordnung (1932), 301; § 262 g Abs. 3, S. 2 HGB zum Recht des Aufsichtsratsvorsitzenden einer Treuhandgesellschaft und seines Stellvertreters, Prüfungsberichte der Treuhandgesellschaft einzusehen. 125 Schlegelberger/Quassowski/Schmölder, Verordnung (1932), 300. 126 »Zulassungsbedingungen«, abgedruckt in: Schlegelberger/Quassowski/Schmölder, Verordnung (1932), 424. War tatsächlich nur ein Mitglied des Vorstandes zum Wirtschaftsprüfer bestellt, musste mindestens ein zeichnungsberechtigter Stellvertreter ebenfalls zum Wirtschaftsprüfer bestellt werden. Nach Meyer im Hagen, Reform (1988), 179, hatte der Gesetzentwurf von August 1930 noch von sämtlichen Inhabern, Vorstandsmitgliedern oder Geschäftsführern von Treuhandgesellschaften die Qualifikation des Einzelwirtschaftsprüfers verlangt. 127 Becker, »Bedeutung« (1928), 96; Becker war Geheimer Justizrat und Senatspräsident in Köln. 44 Von der Treuhandgesellschaft zur Wirtschaftsprüfungsgesellschaft oder persönlichen Interessen am Ergebnis der Prüfungen hätten.128 Treuhandgesell- schaften erhielten Einblicke in viele Unternehmen unterschiedlicher Branchen und von diesen Erfahrungen könnten die Mandanten profitieren.129 Die Vorteile einer Treu- handgesellschaft als Kapitalgesellschaft lägen in ihrer unbeschränkten Lebensdauer und ständigen Erreichbarkeit und Verfügbarkeit. Das Eigenkapital der Gesellschaft biete den Mandanten Sicherheit. Treuhandgesellschaften leisteten eine geregelte strukturierte Ein- arbeitung des Berufsnachwuchses und seien um die Weiterbildung ihrer Prüfer bemüht. Denn schon vor der gesetzlichen Regelung der Notverordnung waren Treuhand- gesellschaften über ihre Berufsverbände in Berufsrichtlinien eingebunden; sie hatten Prüfungs- und Gebührenordnungen zu beachten und mussten sich bei abweichendem Verhalten vor den Ehrengerichten der Berufsverbände verantworten.130 Welche Wirkungen sollte nun der Wirtschaftsprüferberuf entfalten und wie sollten Wirtschaftsprüfer in Unternehmen agieren? Vom Wirtschaftsprüfer wurde vor allem ein vorbeugender und »heilender« Effekt in der Wirtschaft erhofft.131 Seine Tätigkeit als Kontroll­instanz solle Risiken verhindern und eingetretene Krisen mildern. Dabei sollte er nicht nur die Unternehmensleitung vor möglichen Risiken warnen, sondern sich auf- grund seines größeren Überblicks als »Treuhänder der Gesamtwirtschaft« erweisen.132 Der Bankier Max Warburg war überzeugt davon, dass eine frühere Einführung einer »Zwangsrevision« die deutsche Wirtschaft in der Weltwirtschaftskrise widerstands- fähiger gemacht hätte.133 Andere Wirtschaftsvertreter sahen Wirtschaftsprüfer recht allgemein als Helfer und Berater von Unternehmen an.134 Deutliche Skepsis im Hin- blick auf die Zusammenarbeit von Wirtschaftsprüfern mit Unternehmen sprach hin- gegen aus den Forderungen der Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft nach einem »loyalen« Prüfer, der weder »bürokratisch« noch »formalistisch« auftrete und sich mit der Wirtschaft »eines Geistes« wisse. Notwendige Kritik gegenüber Unternehmen sollten die Wirtschaftsprüfer »mit dem erforderlichen Takt« vorbringen und sich bei ihren Prüfungen auf das »Notwendige und das sachlich Gebotene beschränken«.135

128 Becker, »Treuhandgesellschaften« (1928), Sp. 221, 222, 226, 227; der Geheime Justizrat Becker war Landgerichtspräsident in Cleve. 129 Michalke, »Bedeutung« (1928), 96; Michalke war Rechtsanwalt und Syndikus der IHK Berlin. 130 Bertenrath, Organisationsprobleme (1929), 36, 37, 65, 70, 79–81; Bertenrath war zunächst als »Assistent«, später als »Revisionsbeamter« bei der »Treuhand« Revisions- und Organisations AG Berlin angestellt. 131 Vokabular aus dem Medizinischen (auch: »Arzt« der Wirtschaft, »Gesundung« des »Wirtschafts- organismus«) bei Manasse, »Wirtschaftsprüfer« (1932), 8, Manasse war stellvertretender Vorstandsvor- sitzender des Instituts der Wirtschaftsprüfer; Hintner, Treuhandwesen (1926), 40 (Hintner nennt auch die »erzieherische« Funktion, 46); Gerstner, »Revisions- und Treuhandwesen« (1929), 47, Abdruck eines Vortrages, den Gerstner am 13.4.1929 im Berliner Rundfunk gehalten hat; Koch, »Wirt- schaft« (1930), 50, zitiert hier auch Hermann Anatol Ertel, Syndikus des Treuhandverbandes. Eine »schöpferische« Funktion schreibt Bruck den Wirtschaftsprüfern zu: Bruck, Bedeutung (1932), 27. 132 Bruck, Bedeutung (1932), 1, 3, 11, 22, 24 (Zitat), 26, 27. 133 »Ansprache von Max M. Warburg, Hamburg«, in: Der Wirtschaftsprüfer (1932), S. 5–6, hier: S. 6. 134 Grund, »Wirtschaft« (1932), 5, Grund war Präsident des DIHT; Koch, »Wirtschaft« (1930), 51. 135 Huber, »Aufgaben« (1932), 7, Huber war Geschäftsführendes Präsidialmitglied des DIHT; Bernstein, »Bankgewerbe« (1933), 7, Bernstein war Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Centralverbandes 45 Von der »Hilfsbank« zum Verhandlungspartner Obwohl Aufsichtsräte große Mitverantwortung für die aufsehenerregenden Firmen- zusammenbrüche und die Bankenkrise trugen, galt ein Wirtschaftsprüfer lediglich als »Hilfsorgan«, das »unter der Autorität des Aufsichtsrats« seine Arbeit leisten solle.136 Wirtschaftsprüfer ihrerseits erklärten, um Vertrauen werbend, sie wüssten genau, »daß die Wirtschaft nicht unseretwegen da ist, sondern daß wir der Wirtschaft wegen da sind. Wir sind Diener der Wirtschaft und wir wollen gute Diener der Wirtschaft sein und bleiben.«137 Wirtschaftsprüfer wollten sich allerdings in den für die Berufskonstituierung wich­ tigen Gremien, nämlich den Zulassungsausschüssen bei den IHK138 und der beim DIHT eingerichteten »Hauptstelle für die öffentlich bestellten Wirtschaftsprüfer« (Hauptstelle), nicht von den Selbstverwaltungsorganen der Wirtschaft vereinnahmen lassen. Die Hauptstelle hatte Grundlegendes zur Berufsgestaltung festzulegen, die Zulas- sungsausschüsse entschieden über die Zulassung der Kandidaten zum Wirtschaftsprüfer (WP)-Examen. In den Ausschüssen und der Hauptstelle waren Vertreter der Wirtschaft in der Mehrheit.139 Eine der ersten Forderungen des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW), des Berufsverbandes der Wirtschaftsprüfer, war es daher Anfang 1933, die per- sonelle Besetzung dieser Gremien so zu verändern, dass das zahlenmäßige Übergewicht von Wirtschaftsvertretern zugunsten von Berufsvertretern abgebaut wurde.140 Das Vertrauen in die Qualität der Bilanzpflichtprüfung war untrennbar verbunden mit der Vertrauenswürdigkeit der Treuhandgesellschaften. Doch wie wurde dieses Ver- trauen bei wirtschaftlichen Akteuren in Unternehmen, an Kapitalmärkten, in Staat und Öffentlichkeit erworben?141 Im Berufsbild Wirtschaftsprüfer vereinten sich zahlreiche Komponenten des Systemvertrauens und des interpersonalen Vertrauens: persönliche

des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes, der die Pflichtprüfung abgelehnt hatte; Kastl, »Industrie« (1933), 5–6, Kastl war Geschäftsführendes Präsidialmitglied des RDI. 136 Von Falkenhausen, »Aufsichtsratshaftung« (1930), 443, von Falkenhausen sprach sich gegen eine regel- mäßige Revision aus. Die zur Diskussion stehenden Gesetzesänderungen würden nur die Symptome beseitigen und seien zu sehr von Einzelfällen und Tagesfragen abhängig. Der Begriff »Hilfsorgan« wird verwendet in: Straub’s Kommentar zum Handelsgesetzbuch, hrsg. von Albert Pinner u. a., 14. Auf- lage, Berlin/Leipzig 1933, 608, unter Bezugnahme auf die Referenten des Reichsjustizministeriums Schlegelberger, Quassowski und Schmölder. 137 So bspw. Tredup, »Frage« (1930), 88; Auszug aus der Rede anlässlich der 14. Hauptversammlung des Treuhandverbandes, öffentliche Tagung, Stuttgart (gesperrter Text im Original). Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Instituts der Wirtschaftsprüfer, Manasse, formulierte: »Dienst am Kunden heißt hier Dienst an der Wirtschaft«, Manasse, »Wirtschaftsprüfer« (1932), 8. 138 Diese Ausschüsse waren bei den IHK in Berlin, München, Münster, Leipzig, Nürnberg, Königsberg, Breslau, Köln, Mannheim, Frankfurt a. M., Hamburg und Stuttgart gebildet worden. 139 Nach Löhnig, Wirtschaftsprüfer (1999), 172, setzte sich die Hauptstelle in der Gründungssitzung Mitte Juni 1931 aus 16 Vertretern der Wirtschaft und 13 Vertretern des Berufes zusammen. In den Zulassungsausschüssen stellte die Wirtschaft in der Regel sieben Vertreter, die Wirtschaftsprüfer stellten fünf Vertreter (170). 140 Buchholz, »Berufspolitik« (1933), 190; Hans Adlers Berichterstattung über das Geschäftsjahr 1932 innerhalb des Protokolls über die 1. ordentliche Hauptversammlung vom 19. Februar 1933, in: WP- Nachrichten, Vertrauliche Mitteilungen des Instituts der Wirtschaftsprüfer (1933), 68. 141 Zur überragenden Bedeutung des Vertrauens siehe: Hintner, Treuhandwesen (1926), 40. 46 Von der Treuhandgesellschaft zur Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Integrität und fachliche Qualität der Prüfer, akademische Vorbildung und Berufs- examen, der Berufseid, die Zugehörigkeit zu einem Berufsverband und berufsethische Grundsätze. Zur Vertrauensbildung trugen auch die staatliche Konstituierung des Berufs, die Berufsaufsicht durch die öffentliche Instanz IHK und die Hauptstelle bei, in der Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft, Staat und Berufsangehörige die grund- legenden Berufsregeln festlegten. Vertrauensbildend waren demnach die transparente Berufsgestaltung und die Viel- zahl staatlicher und öffentlicher Akteure, die ihrerseits jeweils einzeln Vertrauenswürdig- keit ausstrahlten. Der neue Beruf präsentierte sich als Zusammenwirken von zentralen und dezentralen Institutionen des Staates, Vertretern der wirtschaftlichen Selbstverwal- tung und Berufsangehörigen:142 Die Zuständigkeit für Bestellung und Vereidigung von Wirtschaftsprüfern lag bei den Ländern. In der Hauptstelle waren Spitzenverbände von Industrie, Banken, Handel, Versicherungen, Handwerk und Landwirtschaft sowie das IDW vertreten. Die Gesamtheit der Instanzen schuf einen breiten Konsens und eine Verteilung der Verantwortung auf viele Schultern; sie wurden zu Garanten des Ver- trauens. Alle Wirtschaftsprüfer und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften waren in einem öffentlichen Register verzeichnet, das bei der Hauptstelle geführt wurde. Verstöße gegen berufsethische Grundsätze wurden durch Disziplinarausschüsse und das beim IDW eingerichtete Ehrengericht geahndet. Prüfungsausschüsse für das WP-Examen waren dezentral in den IHK eingerichtet, die bereits seit der Jahrhundertwende Bücherrevi- soren beeideten. Die Fortbildung der Berufsangehörigen und die Ausgestaltung der Berufstechnik und der Bilanzfragen besorgte das IDW.143 Bevor ein Kandidat zum Exa- men zugelassen wurde, musste er innerhalb einer sechsjährigen Berufstätigkeit eine drei- jährige Prüfungstätigkeit, ein Mindestalter von 30 Jahren und geordnete wirtschaftliche Verhältnisse vorweisen. Ein Wirtschaftsprüfer wies sich also durch theoretische und praktische Fachqualifikationen sowie durch persönliche Qualifikationen als Vertrauens- person aus. Er repräsentierte damit die Form des interpersonalen Vertrauens. Weitere wichtige Vertrauenskomponenten waren die öffentliche Bestellung und das Bilanztestat, mit dem der Prüfer durch Name und Unterschrift die Übereinstimmung der geprüften Bilanz mit den gesetzlichen Vorschriften bestätigte. Ein weiteres Vertrauenselement war die akademische Ausbildung. Denn der Wirt- schaftsprüferberuf war keine Fortsetzung des durch praktische Erfahrung fortgebildeten Bücherrevisors, sondern zeigte den Wandel zum akademisch ausgebildeten betriebs- wirtschaftlichen Experten.144 Auf Drängen des RDI war der Hochschulabschluss zwar nicht als zwingende Voraussetzung für die Zulassung zum WP-Examen in die

142 Löhnig, Wirtschaftsprüfer (1999), 239, 240. 143 Frielinghaus, »Geschichte« (1932), 257; Löhnig, Wirtschaftsprüfer (1999), 172; Institut der Wirt- schaftsprüfer, 75 Jahre (2007), 9. 144 Expertentum, Professionalität und wissenschaftliche Kenntnisse konstituieren eine »Aura« des Wirt- schaftsprüfers, so die Ansicht von Gallhofer/Haslam, »Aura« (1991), 492; Burren, Wissenskultur (2010), 117, spricht vom Glauben an die Objektivität eines durch Bildungspatente symbolisch zum Ausdruck gebrachten Fachwissens. 47 Von der »Hilfsbank« zum Verhandlungspartner Zulassungsbedingungen aufgenommen worden.145 Es zeigte sich aber schon zum Zeit- punkt der Konstituierung des neuen Berufsstandes, dass der Wirtschaftsprüfer ein Beruf mit akademischer Vorbildung werden würde.146 Die mehrteilige Fachprüfung enthielt die schriftliche Bearbeitung praktischer Fälle und in einem mündlichen Teil umfangreichen Prüfungsstoff zu betriebswirtschaftlichen und rechtswissenschaftlichen Gebieten.147 Die Bildung des Wirtschaftsprüferberufs stand damit in einer langen Tradition, nur den akademisch ausgebildeten Fachmann als denjenigen zu akzeptieren, der öffentliche Aufgaben übernehmen konnte und dessen Tätigkeit als Arbeit für das Gemeinwohl verstanden wurde.148 Durch die Tätigkeit von Bilanzprüfern wurden Informationsasymmetrien allerdings weniger beseitigt denn verfestigt. Aktionär und Öffentlichkeit rückten nicht näher an das Unternehmen heran. Stattdessen schoben sich Treuhandgesellschaften als Inter- mediäre149 zwischen Unternehmen und Umwelt; sie standen nun im Zentrum der Aufmerksamkeit: Die Frage der Vertrauenswürdigkeit wurde gewissermaßen von Unter­nehmen auf Treuhandgesellschaften verlagert. Selbst erlangte Informationen wur­den durch die Glaubwürdigkeit des Bilanztestates ersetzt. Den Informations- wünschen der Aktionäre, Gläubiger, potenziellen Investoren, der Öffentlichkeit und der Presse konnten Unternehmensleitungen nun Bilanztestate entgegenhalten und so ein weiteres Informationsbegehren abweisen. Der Gesetzgeber – weniger die Treuhand- gesellschaften – hatte Informationsasymmetrien insofern verringert, als er Aktiengesell- schaften Bilanzgliederungen vorschrieb und Mindestangaben für Geschäftsberichte ver-

145 Eine spannende Darstellung zur Sitzung der Hauptstelle bietet: O. V., »Gründungsversammlung« (1931), 346. 146 Bork, »Aufgaben« (1931), 329. In der Dekade der Geburtsjahrgänge 1891 bis 1900 betrug im Jahr 1941 der Anteil der Akademiker unter den Wirtschaftsprüfern 61 %, in der Dekade 1901 bis 1910 waren es schon 83 % – siehe: WP-Nachrichten, 10. Jg. (1941), S. 7 (Bericht der Geschäftsführung in der Verwaltungsratssitzung am 27.9.1941). Wilhelm Adler, Vorstandsmitglied der Treuarbeit, sah die Treuhandgesellschaften als ein lebendiges Bindeglied zwischen der Betriebswirtschaftslehre und der Wirtschaftspraxis: Die Hochschulen geben der »Gesamtwirtschaft« wertvolle, akademisch geschulte Arbeitskräfte und entwickeln Normen zur Bilanzierung, zur Erfolgskontrolle sowie zur Kosten- und Investitionsrechnung. Die Prüfungstätigkeit nehme so mehr und mehr den Charakter einer vertieften betriebswirtschaftlichen Beurteilung an – siehe: Adler, »Aufgaben« (1929), 12, 13. 147 »Prüfungsordnung«, abgedruckt in: Schlegelberger/Quassowski/Schmölder, Verordnung (1932), 425, 426: achtwöchige Hausarbeit, zwei sechsstündige Klausuren, eine 90-minütige mündliche Prüfung. 148 Vogel, »Wissen« (2004), 296, 297. Vogel beschreibt, dass im 18. Jahrhundert die akademischen Wis­ sen­schaftler die eigene Überlegenheit über die Träger praktisch-handwerklichen Wissens postulierten, z. B. in der Heilkunde, dem Geschützbau oder der Militärtechnik. Handwerker galten hingegen als Bremser des wissenschaftlich-technischen Fortschritts. Die Kameralisten des 18. Jahrhunderts forderten daher für die Wirtschaftspolitik statt bloßer Erfahrung wissenschaftlich definierte, durch akademisches Studium erlernte »Rationalität« und »Nützlichkeit« (299, 300). Ein weiteres Beispiel ist der akademisch ausgebildete Berg(bau)beamte, dessen Tätigkeit für den Staat als Teil einer öffentlichen »policey« und damit in erster Linie als Arbeit für das gesellschaftliche Gemeinwohl verstanden wurde. Bruck, Bedeutung (1932), 24 spricht vom Wirtschaftsprüfer als Teil wissenschaftlicher Betriebs- führung (»scientific management«). 149 Berghoff und Fiedler verwenden diese Bezeichnung: Berghoff, »Transaktionskosten« (1999), 174; Fiedler, »Vertrauen« (2001), 591, Fn. 41. 48 Von der Treuhandgesellschaft zur Wirtschaftsprüfungsgesellschaft langte. Damit wurde in der schwersten Weltwirtschaftskrise, die Deutschland bis dahin erlebt hatte, der deutsche Staat zum Vertrauensbildner für ausländische Kapitalgeber als vorrangig angesprochene Vertrauensadressaten.150 Unternehmen akzeptierten Bilanzprüfer wohl vor allem deshalb, weil dadurch die Diskussion über ein Auskunftsrecht des Einzelaktionärs beendet wurde.151 In der Gene- ralversammlung durfte der Aufsichtsrat Auskunft über Prüfungsergebnisse im Einzelnen verweigern. »Der Prüfungsbericht hat vertraulichen Charakter«, erläuterten die Referen- ten des Reichsjustizministeriums, denn man gehe davon aus, »daß gerade die Vertrau- lichkeit des Berichts sich auf dessen Abfassung […] günstig auswirken wird. […] Fragen der Aktionäre, durch welche die Vertraulichkeit des Berichts gefährdet werden kann, braucht der Aufsichtsrat nicht zu beantworten.«152 Gründeten zu Beginn des Jahrhunderts Banken zur Wiederherstellung von Ver- trauen Treuhandgesellschaften, waren nun Vertreter aus allen Wirtschaftssektoren an der institutionellen Ausgestaltung des Wirtschaftsprüferberufes beteiligt. Diese Selbst- verwaltung war allerdings staatlich initiiert worden. Zu Beginn des Jahrhunderts hatten Unternehmen Vertrauen in die Diskretion der prüfenden Treuhandgesellschaften – nun zeigten sie Skepsis. Dabei hatten Großkonzerne wie Thyssen und Vereinigte Stahl- werke in den 1920er Jahren erfahren, wie wohlwollend und entgegenkommend selbst ausländische Prüfungsgesellschaften waren.153 Skepsis war insofern eher aufseiten der Öffentlichkeit angebracht, denn Prüfungstätigkeiten waren mit Interessenkonflikten belastet. Treuhandgesellschaften erwarben Vertrauen von Unternehmensvorständen gerade dadurch, dass sie vertrauliche Informationen nicht weitergaben, im Einzelfall auch nicht im Prüfungsbericht dokumentierten. Vertrauensvolle Verbindungen konnten ungewollte Komplizenschaften entstehen lassen. Umso mehr, als Treuhandgesellschaften sich traditionell als Treuhänder und damit »in der Hauptsache Wirtschaftsberater« ver- standen.154 Aus finanziellen Gründen wollten Treuhandgesellschaften überdies ihre Position als Bilanzprüferin, über die in Unternehmen jährlich neu entschieden wurde, dauerhaft halten und zudem weitere Prüfungs- und Beratungsaufträge bekommen. Treu- handgesellschaften hatten die schwierige Aufgabe, gleichzeitig – als Steuerberater und

150 Wehler spricht vom tiefsten Strukturbruch in der Geschichte des westlichen Industriekapitalismus, in den Deutschland wie kaum ein anderer Staat hineingezogen worden sei, sowie von der »Wasserscheide in der Entwicklung […] auch des deutschen Industriekapitalismus« – siehe: Wehler, Gesellschafts- geschichte (2008), 257, 262. 151 Hiller, Hintergrund (1932), 6; Schubert, »Entwürfe« (1986), 196. 152 Schlegelberger/Quassowski/Schmölder, Verordnung (1932), 315, 316. 153 Fear, Control (2005), 496: »For the first time, Thyssen had to disclosure his full financial condition even if Price Waterhouse kept those figures secret«; Reckendrees, Stahltrust (2000), 531. In beiden Fällen prüfte Price Waterhouse. 154 Goetz, Treuhandwesen (1925), 40; Bilanzrevision galt als Hilfstätigkeit. In einem Brief des Preußischen Ministers für Handel und Gewerbe vom März 1932 (BAB R 3101/17646, Bl. 202) heißt es: »Der Wirtschaftsprüfer selbst ist nicht nur Prüfer, sondern auch Berater und Organisator der Wirtschaft.«. 49 Von der »Hilfsbank« zum Verhandlungspartner betriebswirtschaftlicher Berater – Interessenvertreter der Unternehmen zu sein und – als Bilanzprüfer – Vertrauensorgan öffentlicher Belange.155 links: Von der »Hilfsbank« zum Verhandlungspartner 2.4 Treuhandgesellschaften im Nationalsozialismus rechts: Treuhandgesellschaften im Nationalsozialismus In der NS-Zeit entwickelten sich die innerberuflichen Auseinandersetzungen zwischen Einzelwirtschaftsprüfern und Banken-Treuhandgesellschaften zu Machtkämpfen auf politischer Ebene: Die Gesellschaften mussten trotz staatlicher Anerkennung als Wirtschaftsprüfungsgesellschaften nach der »Machtergreifung« um Akzeptanz und Vertrauen des NS-Regimes kämpfen.156 Zahlreiche Klagen erreichten das Reichs- wirtschaftsministerium und die Hauptstelle – im Zentrum der Kritik standen die Banken-Treuhandgesellschaften.157 Ihre Kritiker versuchten, sie als unredliche Institutionen darzustellen, die die Einzelwirtschaftsprüfer bei der Berufsausübung über- vorteilten.158 So hätten sich die großen Banken-Treuhandgesellschaften der Pflicht- prüfung »bemächtigt«159 und die Einzelwirtschaftsprüfer brotlos gemacht.160 Angeblich setzten die Gesellschaften für Bilanzprüfungen nur unqualifizierte »Assistenten« ein,161 berechneten überhöhte Gebührensätze162 und zahlten zudem ihren Direktoren fürst- liche Monatseinkommen.163

155 Sponheimer, Revisionswesen (1925), 77; Sponheimer sah in der Ausübung verschiedener Beratungs- und Prüfungsleistungen eine Interessenkollision. 156 Zur Entwicklung des Wirtschaftsprüferberufsstandes in der NS-Zeit liegen mehrere kurze Dar- stellungen vor: Koch, Beruf (1957), 79–91; Meisel, Geschichte (1991), 208–238; Markus, Wirt- schaftsprüfer (1996), 51–92; Institut der Wirtschaftsprüfer, 75 Jahre (2007), 25–43; Saygin, Weiter denken (2008), 62–81. 157 BAB R3101/17656, Bl. 53, 55: Reichswirtschaftsminister und Reichsminister der Justiz an Institut der Wirtschaftsprüfer, Mai 1933. 158 BAB R 3101/17656, Bl. 92: Hauptstelle für die öffentlich bestellten Wirtschaftsprüfer an die Zulassungs- und Prüfungsstellen, 21.6.1932. 159 BAB R 3101/17646, Bl. 72–78: Verband Deutscher Bücherrevisoren Wirtschaftsprüfer u. -treuhänder (VDB) an Badischen Finanz- und Wirtschaftsminister, 20.12.1933, hier: Bl. 73. 160 Zur Übersetzung des Berufsstandes siehe auch: Markus, Wirtschaftsprüfer (1996), 41: Zitat des IHK- Präsidenten Dr. Karl Gelpcke, Berlin. Allerdings hatte der Verband Deutscher Bücherrevisoren (VDB), der älteste und größte Revisorenverband in Deutschland, schon in den Jahren 1927 und 1929 Klage über die Unterbeschäftigung seiner Mitglieder geführt. Gründe sah er nicht nur in der Geschäfts- ausweitung der Banken-Treuhandgesellschaften, sondern auch in der forcierten Konzernbildung der Unternehmen und der Errichtung behördlicher Prüfstellen. 161 BAB R 3101/17644, Bl. 285, 286–303: Referattext von Bernhard Brockhage, dem Reichswirtschafts- ministerium am 29.10.1932 von der Hauptstelle für die öffentlich bestellten Wirtschaftsprüfer über- sandt; hier: Bl. 299. Brockhage war Vorstandsmitglied der Deutschen Treuhand-Gesellschaft und Vor- standsvorsitzender im Reichsbund. 162 BAB R 3101/17657, Bl. 175–179: Brockhage, Reichsbund deutscher Treuhand-Aktiengesellschaften e. V. an Reichswirtschaftminister, Michel, 8.5.1934. 163 BAB R 3101/17646, Bl. 72–78: Verband Deutscher Bücherrevisoren Wirtschaftsprüfer u. -treuhänder (VDB) an Badischen Finanz- und Wirtschaftsminister, 20.12.1933, hier: Bl. 77. Zu allen genannten 50 Treuhandgesellschaften im Nationalsozialismus Der »Reichsbund«164, in dem seit 1926 große Banken-Treuhandgesellschaften und die staatliche Treuarbeit organisiert waren, versuchte seinerseits, die Kritiker der Treu- handgesellschaften als unsolide darzustellen. Es seien vornehmlich Personen, die »nicht aus dem alten Revisions- und Treuhandberuf« kommen; sie hätten die Ertragssituation falsch eingeschätzt und »automatisch« auf eine »auskömmliche« Existenz gehofft.165 Einzelwirtschaftsprüfern galt auch das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) als nicht vertrauenswürdig, da es einseitig von Banken-Treuhandgesellschaften beeinflusst würde.166 Die Ministerialbürokratie ließ sich von diesen Vorwürfen jedoch nicht gegen Banken-Treuhandgesellschaften und das IDW einnehmen.167 Im Gegenteil, um »die innere Geschlossenheit des für den Bestand der aktienrechtlichen und anderer Gesetz- gebungsreformen unentbehrlichen Wirtschaftsprüferberufs zu gewährleisten« und ein Auseinanderfallen des Berufs in einzelne Gruppen zu verhindern, erkannten das Reichs- wirtschaftsministerium (RWM) und das Reichsjustizministerium (RJM) zum 17. Mai 1933 das IDW als »allein maßgebliche Standesvertretung« an.168 Der Verband war damit das alleinige Vertrauensorgan des Wirtschaftsprüferberufes gegenüber der Regierung. Die Angriffe der Einzelwirtschaftsprüfer endeten jedoch keineswegs und bedienten sich nun rassistischer Argumentationen:169 Der unnötigerweise neu geschaffene Wirtschafts- prüferberuf liege nur im Interesse der »jüdischen Grossbanken«, kritisierte der »Verband Deutscher Bücherrevisoren Wirtschaftsprüfer u. -treuhänder« im Dezember 1933 und diskriminierte die bestehende Berufsregelung als eine »egoistisch-liberalistische«.170 Im April 1934 rief eine Gruppe von Einzelwirtschaftsprüfern in der Sitzung des Bezirksaus-

Vorwürfen: BAB R 3101/17647, Bl. 131–139: Denkschrift über die Lage im Beruf der Wirtschafts- prüfer an den Führer des Instituts der Wirtschaftsprüfer, Dr. Mönckmeier, 21.11.1934, Bl. 133, 134. 164 Reichsbund deutscher Treuhand-Aktiengesellschaften e. V., Berlin. 165 BAB R 3101/17644, Bl. 285, 286–303: Referattext von Bernhard Brockhage, dem Reichswirtschafts- ministerium am 29.10.1932 von der Hauptstelle für die öffentlich bestellten Wirtschaftsprüfer über- sandt; hier: Bl. 289, 295. 166 BAB R3101/17656, Bl. 45, 46: Vermerk von Regierungsrat Michel, Reichswirtschaftsministerium an Staatsse­kretär, 12.5.1933; BAB R3101/17657, Bl. 193–197: Reichsbund der Einzel-Wirtschaftsprüfer e. V. an Reichswirtschaftsminister, 13.5.1934, hier: Bl. 196. 167 WP-Nachrichten, vertrauliche Mitteilungen des Instituts der Wirtschaftsprüfer (1933), 192, 193. 168 BAB R 3101/17656, Bl. 53, 55: Reichswirtschaftsminister und Reichsminister der Justiz an Institut der Wirtschaftsprüfer, Mai 1933, hier: Bl. 53 (Zitat); BAB R3101/17656, Bl. 45, 46: Vermerk von Regierungsrat Michel, Reichswirtschaftsministerium an Staatssekretär, 12.5.1933; BAB R 3101/17656, Bl. 156: Reichswirtschaftsminister an Herrn Kommissar des Reichs beim Reichsverband der deutschen Industrie, Dr. Wagener, 20.5.1933 (Zitat). 169 Ein Beispiel heftiger rassistischer Hetze ist der Brief eines W. v. Lingelsheim, Präsident des Reichsbundes der Bücherrevisoren und Wirtschaftsprüfer e. V., Sitz Lübeck, an den Reichskanzler, 30.3.1933, in dem Begriffe wie »alttestamentarische Nase« oder »verseucht« verwendet werden – BAB R3101/17645, Bl. 356, 357. 170 BAB R 3101/17646, Bl. 72–78: Verband Deutscher Bücherrevisoren Wirtschaftsprüfer u. -treuhänder (VDB) an Badischen Finanz- und Wirtschaftsminister, 20.12.1933, hier: Bl. 76, 78. 51 Von der »Hilfsbank« zum Verhandlungspartner schusses Berlin des IDW zu einem »grossangelegten Kampf gegen die Treuhandgesell- schaften« auf und bat den BNSDJ171 um die Vertretung ihrer Belange.172 Der »Reichsbund« sah sich nun veranlasst, im Kampf um das Vertrauen der Regie- rung die politische Zuverlässigkeit seiner Mitglieder nachzuweisen.173 In den Reichs- bund-Gesellschaften, erklärte der Geschäftsführer des Verbandes, Dr. Hans Adler, der gleichzeitig die Mitgeschäftsführung beim IDW innehatte, sei »eine grössere Anzahl alter Parteigenossen« und es seien nach dem nationalsozialistischen »Umbruch« außer- dem »eine große Zahl« der Partei, der SA, der SS oder dem Stahlhelm beigetreten. Mehrere Hunderte Beschäftigte seien Mitglieder im BNSDJ und bei der Deutschen Arbeitsfront (DA). Als zweites wichtiges Argument nannte Adler die Beschäftigung der »Nichtarier«. Im April 1933, »unmittelbar nach Erlass des Berufsbeamtentumgesetzes«, seien nur 3,5 Prozent der in den Reichsbund-Gesellschaften beschäftigten Wirtschafts- prüfer »nicht arisch« und von diesen eine »erhebliche Anzahl Frontkämpfer« gewesen. Diese Quote bewertete Adler als »ausserordentlich günstig«. In Preußen hingegen gebe es 16 Prozent »nicht arische« Wirtschaftsprüfer. Der »Reichsbund« war in opportu- nistischer Anbiederung an das neue Regime bereit, Juden aus den Gesellschaften zu entfernen. Die Reichsbund-Gesellschaften, so führte Adler aus, hätten »ausdrücklich beschlossen«, dass Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder sowie eigenverantwortlich tätige Prüfer dem Gesetz entsprechen müssten. »Die entsprechenden Massnahmen sind überall durchgeführt worden.« Die Leitung der großen WP-Gesellschaften sei »jeden- falls durchweg« in Händen politisch absolut zuverlässiger Personen. Der »Reichsbund« sehe zukünftig seine wichtigste »Mission« darin, Prüfer im nationalsozialistischen Geiste zu erziehen. Als der BNSDJ, dem das IDW seit Ende Mai 1933 angehörte, dessen Auflösung plante, vereinbarte das Reichswirtschaftsministerium mit der nationalsozialistischen Juristen- vereinigung im Juni 1934 Maßnahmen, die die Aufsichtsrechte des Ministeriums wahren und das Institut vor weiteren Angriffen schützen und als eigenständige Instanz stärken sollten.174 Der Erlass vom 14. Juni 1934 ordnete die Pflichtmitgliedschaft für Wirt- schaftsprüfer im IDW an.175 Parteigenosse Dr. Otto Mönckmeier, Leiter der Gruppe »Wirtschaftsrechtler« im BNSDJ, wurde neuer »Führer« des Instituts. Wirtschaftsprüfer

171 BNSDJ = Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen, später Nationalsozialistischer Rechts­ wahrer­bund. 172 BAB R 3101/17657, Bl. 65–67: BNSDJ-Reichsfachgruppenberater »Wirtschaftstreuhänder« C. Bodenstein an Dr. Eicke, Anlage: »Ein Hilferuf der Einzelwirtschaftsprüfer«. 173 Für das Folgende: BAB R 3101/17657, Bl. 93–116: Adler, Reichsbund an Michel, Reichswirt- schaftsministerium, Ausarbeitung des Reichsbundes deutscher Treuhand-Aktiengesellschaften e. V., 2.5.1934, hier: Bl. 95–97, 100, 104, 105. Die Aussagen Adlers weisen darauf hin, dass systematisch nach jüdischen Wirtschaftsprüfern gesucht wurde. 174 Zum sich über mehrere Monate hinziehenden Konflikt im Einzelnen siehe: Markus, Wirtschafts- prüfer (1996), 59–66, 70. Die Spitzenverbände der Wirtschaft hatten sich an das Reichswirtschafts- ministerium gewandt, damit die Auflösung des IDW verhindert würde, siehe: BAB R 3101/17657, Bl. 8: Brief des Reichswirtschaftsministers an Hans Frank, 3.11.1933; BAB R3101/17657, Bl. 4: Reichsstand der deutschen Industrie an Reichswirtschaftsminister, 26.10.1933. 175 BAB R 3101/20494: Brief Reichswirtschaftsminister an Regierungen der Länder, 14.6.1934. 52 Treuhandgesellschaften im Nationalsozialismus und Parteigenosse Otto Wanieck,176 Vorstandsmitglied der von der Dresdner Bank mit- begründeten Treuhand-Vereinigung, musste, wie zuvor von Einzelwirtschaftsprüfern gefordert, zurücktreten.177 Wilhelm Voss, stellvertretender Institutsvorsitzender und seit Juni 1934 im Vorstand der Treuarbeit, wechselte in den dreiköpfigen »Führerrat«, ein Beratergremium des »Institutsführers«.178 Hans Adler verließ die Geschäftsführung des IDW, blieb dem Verband aber als Fachleiter und Schriftführer erhalten.179 Mönckmeier wollte den Prüferberuf neu ausrichten: Wirtschaftsprüfer seien künftig nicht mehr Interessenwahrer des Einzelbetriebes, wie ihn die kapitalistische Wirtschaft kenne. Nicht das Vertrauen der Unternehmen, sondern das der »Volksgemeinschaft« sei vorrangig zu erwerben: Wirtschaftsprüfer sollten als »Rechtswahrer« die Belange der Volksgemeinschaft in den Betrieben wahrnehmen. Aus dem »Diener der Wirtschaft« solle ein »Diener der Volksgemeinschaft« werden.180 Schon vor der Konstituierung des Wirtschaftsprüferberufes hatten viele Autoren dessen volkswirtschaftliche Bedeutung betont. In diesen Ausführungen war selten von »Unternehmen«, sondern fast immer von »Wirtschaft« die Rede.181 Offenbar war es gedanklich kein so großer Schritt von der »Volkswirtschaft« als nationalem Wirtschaftsraum zur »Volksgemeinschaft« als rassisch- politischer Einheit.182 Wirtschaftsprüfer sollten sich künftig den »großen nationalen

176 Wanieck hatte sich seit Kriegsende in nationalistischen und völkischen Organisationen engagiert und musste sich mehrfach wegen antisemitischer »Betätigung« vor Gericht verantworten. 1929 war er in die NSDAP eingetreten. BAB R3101/17657, Bl. 35, 36: Auflistung »Politische Tätigkeit«, von Wanieck selbst erstellt. 177 BAB R3101/17657, Bl. 193–197: Reichsbund der Einzel-Wirtschaftsprüfer e. V. an Reichswirtschafts- minister, 13.5.1934, hier: Bl. 197; Wanieck war am 8.6.1933 zum Institutsführer ernannt worden – Meisel, Wirtschaftsprüfer (1992), 213; WP-Nachrichten, vertrauliche Mitteilungen des Instituts der Wirtschaftsprüfer (1934), 105–109. 178 BAB R 3101/17646, Bl. 182: Brief IDW an Reichswirtschaftminister, 30.6.1934. 179 WP-Handbuch 1934, 42; WT-Handbuch 1935, 54. Die Geschäftsführung hatten zuvor Hans Adler und Paulludwig Buchholz gemeinsam innegehabt. Buchholz war zuvor Geschäftsführer des VDB gewesen. 180 Mönckmeier, »Wirtschaftsprüfer« (1935), 42–44; Mönckmeier, »Wirtschaftstreuhänder« (1936), 1. 181 Adler, »Aufgaben« (1929), 11; Gerstner, »Revisions- und Treuhandwesen« (1929), 47; Hintner, Treu- handwesen (1926), 40, 42, 143. Bruck, Bedeutung (1932), 27. Zur Begründung der Pflichtprüfung anlässlich der Aktienrechtsreform 1931 hieß es: »Eine gewissenhafte Rechnungsführung entspricht […] dem Interesse […] der gesamten Volkswirtschaft«, siehe: Entwurf eines Gesetzes über Aktien- gesellschaften […] (1930), 115; die intensive Ausrichtung deutscher Wirtschaftsprüfer auf »national- ökonomische Grundlagen« irritierte auch einen niederländischen Prüfer, der dadurch die Selbst- ständigkeit der Wirtschaftsprüfer »ins Gedränge geraten« sah; siehe: Kongressarchiv 1938, Bd. A, S. 124, 125 (Protokoll der 5. Vollsitzung »Berufsfragen im Prüfungs- und Treuhandwesen«/5. Inter- nationaler Wirtschaftsprüferkongress 1938 in Berlin). 182 Fear/Kobrak, »Paths« (2006), 41, konstatieren einen »hypernationalism«, der ausländische Kapitalbe- teiligungen an deutschen Großkonzernen und ausländische Wirtschaftsprüfer ablehnte. Diese Haltung sei ein Motiv dafür, dass deutsche Wirtschaftsprüfer »adapted itself so quickly to the National Socialist assumption of power«; zum Begriff »Volksgemeinschaft« siehe: Wildt, Volksgemeinschaft (2007), 30, 64 und Verhey, Geist (2000), 351. 53 Von der »Hilfsbank« zum Verhandlungspartner Notwendigkeiten der Arbeitsbeschaffung, Wehrhaftmachung und Rohstoffversorgung« zuwenden.183 Elmar Michel, zuständiger Referent für das Wirtschaftsprüfungswesen im Reichs- wirtschaftsministerium, stellte klar, dass der Wirtschaftsprüferberuf ein staatsnaher Beruf und der Staatsführung durch die Aufsichtsfunktion des Ministeriums »wirksam unterstellt« sei. Er gelte als »Vertrauensposten des Staates in der Wirtschaft« und die Wirtschaft solle im Wirtschaftsprüfer »den ihr vom Staat zur Verfügung gestellten sach- verständigen Berater und Betreuer sehen«. Das IDW sei nicht nur mit der Partei, son- dern auch mit dem Staat »aufs engste verflochten.« Der Berufsverband sorge für straffe berufliche Disziplin, die »auch für die Staatsführung das Mittel zur Durchsetzung all- gemeiner Berufsgrundsätze« sei.184 Der Wirtschaftsprüfer sei »in gewissem Sinne zum Träger einer Staatsfunktion geworden.« So liege »es auf der Hand, daß auch die Staats- führung sich den entscheidenden Einfluß auf die Berufsführung vorbehalten muß«.185 Neben einem sich abzeichnenden Machtkampf zwischen Ministerialbürokratie und Parteigliederung BNSDJ klingt hier auch ein staatliches Dominanzstreben gegenüber der Wirtschaft an. Der »Kampf« der Einzelwirtschaftsprüfer gegen die Treuhandgesellschaften wurde hin­ge­gen für beendet erklärt.186 Die Aufgabenverteilung unter den Berufsangehörigen dif­ferierte weiterhin stark. Zwar wurden schon zum Jahresabschluss 1933 mehrere Tau- send Wirtschaftsbetriebe der öffentlichen Hand und Ende 1934 auch Aktiengesellschaf- ten mit einem Kapital von weniger als 500.000 RM – dies waren etwa zwei Drittel aller Aktiengesellschaften – in die Bilanzpflichtprüfung einbezogen. Doch zeigte sich, dass 1936 etwa 40 Prozent der Wirtschaftsprüfer die status- und berufsbildende Aufgabe der aktienrechtlichen Pflichtprüfung nicht oder nur in Einzelfällen vornahmen.187 Auch vier Jahre später hatte sich an der ungleichen Aufgabenverteilung offenbar kaum etwas geän- dert.188

183 Goetze, »Ziel« (1936), 326. 184 Michel, »Wirtschaftsprüfer« (1935), 34–38. 185 Abgedruckt bei: Meisel, Wirtschaftsprüfer (1991), 211. 186 Der Institutsvorsitzende Mönckmeier erklärte die »Interessengegensätze« für »aufgehoben«, siehe: Mönckmeier, »Wandel« (1934), 333. Allerdings heißt es in der Niederschrift über die Aufsichtsrats- sitzung bei der Deutschen Treuhand-Gesellschaft am 7.9.1936 (S. 7): »Herr Dr. Brockhage [Vor- standsmitglied der Deutschen Treuhand-Gesellschaft] spricht auch diesmal kurz über den immer noch im Gange befindlichen Kampf gegen die Treuhandgesellschaften.« (R 8119F/5745). 187 Staatssekretär Dr. Posse, Reichswirtschaftsministerium Berlin, vgl.: Posse, »Neuordnung« (1936), 483. Vortrag anlässlich des 1. Deutschen Fachkongresses für das Prüfungs- und Treuhandwesen im November 1936 in Weimar. 188 Obwohl inzwischen Pflichtprüfungen Kreditinstitute aller Rechtsformen erfassten und Versicherungs- unternehmen den Wirtschaftsprüfern 1940 zur Pflichtprüfung exklusiv zugewiesen wurden – siehe: Meisel, Wirtschaftsprüfer (1991), 215–217. Nach Carl Wirtz waren die »im Vordergrund des Interesses stehenden gesetzlichen Pflichtprüfungen […] demnach für einen großen Teil des deutschen Prüfungs- und Treuhandwesens nur von sekundärer Bedeutung«. Diese Feststellung gelte »auch für einen großen Teil der Wirtschaftsprüfer«; siehe: Wirtz, »Aufgaben« (1940), 80. 54 Treuhandgesellschaften im Nationalsozialismus Der Kreis der Pflichtprüfungen wurde in der NS-Zeit um Prüfungen der Wirtschafts- gruppen der gewerblichen Wirtschaft, Prüfungen der Industrie- und Handelskammern sowie Prüfungen der Kreditinstitute unabhängig von der Rechtsform erweitert.189 Als weitere neue Aufgaben kamen Preisprüfungen190, Dividendenprüfungen191 sowie Prüfungen zur Umsetzung von Buchführungsrichtlinien192 hinzu. Diese Prüfungen waren die Folge wirtschaftspolitischer Lenkungsmaßnahmen, mit denen der Staat Einfluss auf Kostenrechnung, Preisbildung und Gewinnausschüttung nahm. Doch Wirtschaftsprüfer dominierten das Prüfungswesen keineswegs. Sie stellten nur einen Teil einer mehrere Tausend Prüfer umfassenden Berufsgruppe, die in Privatwirtschaft, Genossenschaften und Sparkassen sowie in Ministerien und Kommunen tätig waren. Von den im Sommer 1940 etwa 1.230 bestellten Wirtschaftsprüfern waren beispielsweise 80 als Prüfer in Versicherungsgesellschaften zugelassen und 40 als genossenschaftliche Wirtschaftsprüfer tätig.193 Der Berufsverband der Wirtschaftsprüfer unterstützte den Einsatz der Berufsange­ ­ hörigen in einem weiteren neuen Arbeitsfeld, dem der »Arisierungen«. So hob Paullud- wig Buchholz, Geschäftsführer des IDW, im Rückblick auf das Jahr 1938 ausdrücklich »die Hilfe des Berufes bei der Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschafts- leben« hervor.194 Dr. Hans Adler, Justiziar des Instituts, bezeichnete Anfang 1939 die Verordnung »über den Einsatz des jüdischen Vermögens« als »einen weiteren wichtigen Schritt in der Entjudung der deutschen Wirtschaft.«195 Schon drei Jahre zuvor hatte der Thüringer NSDAP-Gauleiter Saukel auf dem 1. Fachkongress des Deutschen Prüfungs- und Treuhandwesens in Weimar die Berufsangehörigen aufgefordert, so zu prüfen, dass »die letzten Reste jüdischer Korruption aufgedeckt werden können.«196 Mit Beginn des »totalen Krieges« wurden Pflichtprüfungen stark eingeschränkt. Treuhandgesellschaften übernahmen stattdessen vielfältige Beratungsaufgaben, bei-

189 Buchholz, »Prüfungs- und Treuhandwesen« (1938), 270. 190 Insbesondere seit 1936 ergingen zahlreiche Verordnungen zur Preisbildung, zu den wichtigsten zählen die Vorschriften für öffentliche Aufträge; eine überblicksweise Auflistung bei Minz, »Wirtschafts- prüfer« (1941), 261. 191 Anleihestockgesetz 1934 und Dividendenabgabeverordnung 1941 sollten Dividendenausschüttungen begrenzen, siehe: Spoerer, Scheingewinnen (1996), 82, 88. 192 1937 Erlass des Reichskontenrahmens sowie der Grundsätze für Buchhaltungsrichtlinien und Richt- linien zur Organisation der Buchführung, siehe: Mantel, Betriebswirtschaftslehre (2009), 46. 193 Wirtz, »Aufgaben« (1940), 77, 78; Wirtz nennt hier Bücherrevisoren, Innenrevisoren von Firmen, Prüfungsassistenten der Genossenschaften, Prüfungsgehilfen in Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und in Treuhandgesellschaften, Prüfer in den Sparkassenverbänden und auf allen Ebenen des Kranken- kassenwesens, Prüfer in den verschiedenen Ministerien, bei der Reichswirtschaftskammer sowie den Wirtschafts- und Fachgruppen, Prüfer bei Reichsbahn und Reichspost. Auf dem Arbeitsfeld der Steuer- beratung erhielten die Wirtschaftsprüfer außerdem Konkurrenz von Zigtausenden Steuerberatern und Helfern in Steuersachen. 194 Buchholz, »Beruf« (1939), 58. 195 Adler, »VO.« (1939), 31. Mit der Verordnung wurden Juden u. a. gezwungen, ihre Gewerbebetriebe aufzugeben, Wertpapiere bei einer Devisenbank einzuliefern; ferner durften sie weder Grundstücke erwerben noch Edelmetalle erwerben oder veräußern. 196 Thüringer Gauzeitung, 14.11.1936, Titelblatt »Stoßtrupps gegen Wirtschaftskorruption«. 55 Von der »Hilfsbank« zum Verhandlungspartner spielsweise zur Rationalisierung im Rechnungswesen. Sie wurden dafür öffentlich als Interessenvertreter der Unternehmen gelobt.197 In der Folge der kriegerischen Expansion des NS-Regimes weiteten manche Treu- handgesellschaften ihre Geschäftstätigkeit ins besetzte Ausland aus. So ließen sich die Treuhand-Vereinigung und die Süddeutsche Treuhand-Gesellschaft 1939 in Wien nie- der.198 Im Sudetenland erwarb die Treuverkehr eine Beteiligung an der Nordböhmi- schen Treuhand AG in Reichenberg.199 Außerdem waren mehrere deutsche Wirtschafts- prüfungsgesellschaften in den von Polen eroberten Gebieten für die HTO tätig, die den polnischen und jüdischen Besitz beschlagnahmte und verwertete:200 Die Treuhand AG Leipzig/Berlin errichtete eine Niederlassung in Kattowitz, die Treuhand-Vereinigung eröffnete eine Geschäftsstelle in Litzmannstadt und die Deutsche Treuhand-Gesellschaft ein Büro in Posen.201 Die Deutsche Warentreuhand- und Treuhand-AG richtete in den Niederlanden eine Außenstelle ein und war auch in Serbien tätig.202 Während deutsche Prüfungsgesellschaften die Möglichkeiten grenzüberschreitender Geschäftstätigkeit nutzten, waren ausländische Prüfungsgesellschaften in Deutschland spätestens nach Kriegsbeginn unerwünscht. Angelsächsische Gesellschaften wie Price Waterhouse und Lybrand, Ross Bros. & Montgomery hatten sich in den 1920er Jahren in Berlin, Düsseldorf oder Hamburg niedergelassen.203 Tätigkeiten dieser Firmen wurden als »Demütigung« für die deutsche Wirtschaft bezeichnet,204 weil ausländische Kredit- geber deutsche Treuhandgesellschaften als nicht ausreichend qualifiziert ablehnten.205

197 Adler, »Einsatz« (1944), 105; Richter, »Wirtschaftsberatung« (1943), 103; ein Autor empfahl, im Rechnungswesen auf »übertriebene Genauigkeit« zu verzichten und sich mit Schätzungen zufrieden- zugeben, siehe: (Autorenkürzel: Bm) Kriegsnotwendiges Rechnungswesen, in: Der Wirtschaftstreu- händer (1943), S. 41. 198 HA Dresdner Bank: Geschäftsbericht der Treuhand-Vereinigung für das Geschäftsjahr 1938, vom Juni 1939; Saygin, Weiter denken (2008), 71: Die Süddeutsche Treuhand-Gesellschaft erwarb die Öster- reichische Industrie-Treuhand GmbH. 199 Philippi, »Chronik« (1971), 19. 200 Ein Kommentator bezeichnete die treuhänderische Verwaltung von Wirtschaftsbetrieben als wichtigste Aufgabe der Wirtschaftstreuhänder im »Generalgouvernement«. Die dortige Wirtschaft müsse auf die Bedürfnisse der Kriegswirtschaft umgestellt werden. »Das konnte nur durch die Ausschaltung der polnischen und jüdischen Betriebsleiter und die Übernahme der Betriebe in deutsche Verwaltung geschehen.« Hierzu wurde eine große Zahl deutscher Wirtschaftstreuhänder eingesetzt, die »einen wertvollen Beitrag für die große Aufgabe im Osten leisten«, Dresler, »Treuhänder« (1942), 144. 201 Handbuch der deutschen Aktiengesellschaften, Jg. 1941, S. 1747 (Treuhand AG); BAB R 8119F/5745: Niederschrift über die Aufsichtsratssitzung am 5.12.1940 (Deutsche Treuhand-Gesellschaft); HA der Dresdner Bank: Geschäftsbericht der Treuhand-Vereinigung für das Geschäftsjahr 1939; Geschäfts- bericht der Treuarbeit für das Geschäftsjahr 1939. 202 Otte, Zukunft (1995), 35. 203 Markus, Wirtschaftsprüfer (1996), 12, 13. 204 Nach Fear/Kobrak, »Paths« (2006), 40, wurden Prüfungen ausländischer Prüfungsgesellschaften in Deutschland als Versuch der »Überfremdung« diskutiert. Die in der Aktienreformbewegung der 1920er Jahre kritisierten Mehrstimmrechtsaktien waren ebenfalls mit dem Argument der »Überfremdung« von Unternehmensleitungen durchgesetzt worden, siehe: Schubert, »Entwürfe« (1986), 179. 205 Frielinghaus, Beruf (1931), 2 (Zitat). Frielinghaus war Ministerialbeamter im Preußischen Ministerium für Handel und Gewerbe. Le Coutre, »Pflichtrevision« (1931), 108 (»…mußten es sich unsere großen 56 Treuhandgesellschaften im Nationalsozialismus Durch die Berufsregelung für Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sollte nach Auffassung von Bankier Warburg »kein Anlass mehr bestehen, ausländische Hilfskräfte für die Prüfung […] hinzuzuziehen.«206 Die Kritik angloamerikanischer Kreditgeber bezog sich jedoch vermutlich weniger auf die Prüfer, sondern eher auf die Bilanzierungs- gepflogenheiten deutscher Unternehmen: Der Ausweis von Gewinnen und Verlusten in veröffentlichten Bilanzen war selektiv, der Umfang unterbewerteter Vermögensgegen- stände oder aufgelöster Reserven war nur einem kleinen Kreis von »Insidern« bekannt. Diese Rückstellungspolitik war legal.207 Während Gegner der stillen Reserven hierin die Gefahr einer Vertuschung schlechter Unternehmensführung sahen, ermöglichte die Reservenpolitik aus Sicht ihrer Befürworter über Jahre hinweg eine gleichbleibende Dividendenhöhe ohne beunruhigende Schwankungen. Nach angloamerikanischer Sicht begünstigte der deutsche Gesetzgeber damit ein »establishment of secrecy as a principle of accounting law«,208 aus deutscher Sicht hingegen handelte es sich nicht um »hidden reserves«, sondern um das berechtigte Legen stiller Reserven. Ausländische Prüfungsgesellschaften erhielten 1932 die Anerkennung als Wirtschaftsprüfungsgesell- schaften. 1940 wurden sie »für die Dauer des Krieges« stillgelegt.209 Nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges waren sie nicht mehr vertrauenswürdig. Dies bot deutschen Einzelwirtschaftsprüfern die Gelegenheit, Mandate ausländischer Gesellschaften zu übernehmen.210 Das Thema »Treuhandgesellschaften« blieb weiterhin auf der Tagesordnung. Im Frühjahr 1937 beklagte der IDW-Vorsitzende Mönckmeier, dass der Aufgabenbereich des freiberuflich tätigen Wirtschaftsprüfers durch eine »Konzentrationsbewegung« bedroht sei. So weise die dem »Herrn Reichsfinanzminister nachgeordnete« Treu- arbeit derart starke jährliche Zuwachsraten auf, dass man eine »Verstaatlichung des deutschen Prüfungswesens« befürchte. Das Wirtschaftsprüfungswesen bedürfe daher

Unternehmungen gefallen lassen, von ausländischen Treuhand-Gesellschaften revidiert zu werden«). Le Coutre lehrte Betriebswirtschaftslehre in Mannheim. Vortrag anlässlich der Tagung des Treuhand- verbandes vom 14. bis 17. Mai 1931. 206 Ansprache von Max M. Warburg, Hamburg, in: Der Wirtschaftsprüfer (1932), 5, 6. Nach einem Vermerk des Reichswirtschaftsministers vom 3.11.1933 sollte der neu geschaffene Wirtschaftsprüfer- berufsstand die »immer stärker aufgetretenen ausländischen Accountants als vollwertiger Ersatz ver- drängen«, siehe: BAB R 3101/17657, Bl. 8R. 207 Insider waren Großaktionäre, Banken und Steuerbehörden; Spoerer, »Window-dressing« (1998), 352– 356, 360, 362, 363, 365. 208 Gallhofer/Haslam, »Aura« (1991), 499; mit der Aktienrechtsnovelle 1884 führte der Gesetzgeber das Niederstwertprinzip ein (496), siehe auch: Barth, Entwicklung (1953), 77, 78. 209 BAB R3101/17640, Bl. 190: Reichswirtschaftsminister an die Herren Oberpräsidenten, Regierungs- präsidenten, Runderlaß Nr. 56/40 BWA, 6.2.1940: Die Beauftragung von Ausländern mit Betriebs- prüfungen aller Art war nicht mehr zulässig und konnte als fahrlässiger Landesverrat verfolgt werden. 210 BAB R 3101/17640, Bl. 201, 202: Referat IV Kred. 7 an Referat S 2 d (Reichswirtschaftsministerium), 29.3.1940: Der WP Dr. Carl Brauns übernahm die Mandate von Haskins & Sells sowie Peat, Marwick, Mitchell & Co.; BAB R 3101/17640, Bl. 256: Vermerk Referat IV Kred. 7. Die WP van Aubel und Raetsch wollen das Rumäniengeschäft von Price Waterhouse übernehmen. 57 Von der »Hilfsbank« zum Verhandlungspartner dringend einer gesetzlichen Regelung.211 Ein »Wirtschaftsprüfergesetz« wurde im Reichswirtschaftsministerium (RWM) bereits erwogen.212 Das Ministerium wollte sich den Wirtschaftsprüferberuf erkennbar einverleiben. So sollte nicht mehr allein die geprüfte Firma den Pflichtprüfungsauftrag erteilen, sondern es sollte eine der Auf- sicht des RWM unterstehende »Wirtschaftskammer« mitwirken – vorgeblich, um die Unabhängigkeit der Wirtschaftsprüfer zu stärken. Die Pflicht der Wirtschaftsprüfer zur Verschwiegenheit sollte aufgeweicht werden; in der Formulierung des Ministeriums hieß dies, die Verschwiegenheitspflicht sei »im Interesse des gesamten Volkes […] neu zu regeln«.213 Auch die Bestellung von Wirtschaftsprüfern wollte das RWM künftig mit der Begründung selbst übernehmen, dass ein Prüfer nicht nur ein Vertrauensmann der Wirtschaft, sondern auch des Staates sei. Die Aufsicht über Wirtschaftsprüfer und die Berufsgerichtsbarkeit sollten von den IHKn an das IDW übergehen.214 Während das Ministerium im Frühjahr 1933 noch der Meinung war, dass für die Pflichtprüfung auf Treuhandgesellschaften »bis auf weiteres« nicht verzichtet werden könne,215 war es nun entschlossen, die Treuhandgesellschaften von der Pflichtprüfung auszuschließen.216 Ver- treter der Wirtschaft brachten solche Gedankenspiele über eine staatliche Okkupation des Wirtschaftsprüferberufs jedoch zu Fall. Eine Verlagerung der Berufsaufsicht wurde abgelehnt; Bestrebungen, den Beruf in Richtung einer erweiterten Selbstständigkeit zu verändern, wurden zurückgewiesen: Der Prüferberuf sei für die Wirtschaft geschaffen und daher müsse die Wirtschaft über die IHKn auch einen maßgebenden Einfluss auf die Prüfer behalten.217 Schon in der Diskussion um das Aktiengesetz 1937 hatte sich die Unternehmensseite durchgesetzt:218 Die Stellung des Vorstandes und des Aufsichtsrates wurde zulasten der

211 BAB R 3101/17652, nicht foliert: Mönckmeier, Institut der Wirtschaftsprüfer an Schacht, 15.3.1937, 2, 3. 212 BAB R 3101/17652, nicht foliert: Mönckmeier, Institut der Wirtschaftsprüfer an Schacht, 15.3.1937, 1, schon im Jahr 1936. 213 BAB R 3101/17649, Bl. 268, 269: Der Reichs- und Preußische Wirtschaftsminister (Dr. Michel, Dr. Romeiß) an Stellvertreter des Führers, München, betr. Wirtschaftsprüfergesetz, 3.9.1937. 214 BAB R 3101/17652, nicht foliert: Vermerk betr. Wirtschaftsprüfergesetz, 26.10.1938. 215 BAB R 3101/17656, Bl. 45, 46: Vermerk von Regierungsrat Michel, Reichswirtschaftsministerium an Staatsse­kretär, 12.5.1933; BAB R3101/17656, Bl. 156: Reichswirtschaftsminister an Herrn Kommissar des Reichs beim Reichsverband der deutschen Industrie, Dr. Wagener, 20.5.1933. 216 BAB R 3101/17649, Bl. 268, 269: Der Reichs- und Preußische Wirtschaftsminister (Dr. Michel, Dr. Romeiß) an Stellvertreter des Führers, München, betr. Wirtschaftsprüfergesetz, 3.9.1937. 217 BAB R 3101/17650, nicht foliert: Dr. Borstel (Vertreter des DIHT), »Hauptstelle« an Dr. Romeiß, Reichswirtschaftsministerium, S. 7, 8; BAB R3101/17652, nicht foliert: Reichswirtschaftskammer an Reichswirtschaftsministerium, betrifft Berufsgesetz, 8.8.1938, S. 3, 4. 218 Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (Aktiengesetz) vom 30. Januar 1937; Schubert, »Einleitung« (1986), IL. Das Gesetz beruhte weitgehend auf Diskussions- ergebnissen des Ausschusses für Aktienrecht in der Akademie für Deutsches Recht, in dem Vertreter der Wirtschaft in der Mehrheit waren, siehe: Bähr, »Unternehmens- und Kapitelmarktrecht« (2006), 43, 48. 58 Treuhandgesellschaften im Nationalsozialismus Hauptversammlung gestärkt.219 Erweiterte Möglichkeiten, Aufwendungen und Erträge vor dem Ausweis in der Gewinn- und Verlustrechnung zu saldieren, schmälerten die Transparenz der Handelsbilanzen.220 Durch den Auflösungszwang für Aktiengesell- schaften mit einem Kapital von weniger als 100.000 RM sank die Zahl der Gesellschaften von etwa 10.500 im Jahr 1931 auf etwa 5.400 im Jahr 1939.221 Mit dem starken Rückgang prüfungs- und publizitätspflichtiger Gesellschaften nahm die Transparenz der deutschen Wirtschaft insgesamt ab.222 Vermutlich verringerte das Gesetz zudem spürbar die Nach- frage nach Bilanzprüfungen, also gerade der Aufgabe, die Wirtschaftsprüfern erst wenige Jahren zuvor exklusiv zugewiesen worden war und die das berufliche Selbstverständnis entscheidend prägte. Dennoch stieg ihre Zahl nach Inkrafttreten des Gesetzes weiter an, insgesamt hat sie sich von 1933 bis 1944 von 541 auf 1.360 Berufsangehörige fast ver- dreifacht. Die Zahl der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften nahm im selben Zeitraum von 76 auf 104 zu.223 Die Gesellschaften vergrößerten auch ihren Geschäftsumfang: So wuchs beispielsweise die Bilanzsumme der Treuverkehr Deutsche Treuhand AG zwischen 1937 und 1941 um 35 Prozent, die der Treuhand-Vereinigung um 84 Prozent und die der Schwäbischen Treuhand AG sogar um 106 Prozent.224 Bald nach Kriegsbeginn führten die Einziehungen zur Wehrmacht zu Personal- problemen in Treuhandgesellschaften. Die Aussetzung der Pflichtprüfung brachte kaum Erleichterung, da viele Unternehmen sich freiwillig prüfen ließen.225 Zur Jahreswende 1942/1943 stand der Umfang der Pflichtprüfungen erneut zur Disposition. In dieser Debatte wird der Einfluss der Treuarbeit auf die Berufspolitik deutlich. Hans Adler, seit Ende 1939 Stellvertreter des Institutsvorsitzenden und seit Mai 1940 im Vorstand der Treuarbeit, sprach sich für massive Beschränkungen der Pflichtprüfungen im privaten wie öffentlichen Sektor aus und befürwortete zunächst eine Zwangsverpflichtung der

219 Schubert, »Einleitung« (1986), XLVI. Dies traf sich mit den ideologischen Vorstellungen der National- sozialisten vom »Führerprinzip«. So beschlossen statt der Hauptversammlung künftig Vorstand und Aufsichtsrat den Jahresabschluss und die Gewinnverteilung, siehe: Adler/Düring/Schmaltz, Rech- nungslegung (1938), 3. 220 Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung (1938), 262. 221 Bähr, »Unternehmens- und Kapitalmarktrecht« (2006), 55. 222 Nach der erweiterten Zielsetzung des Aktiengesetzes sollte nicht mehr das Interesse von Einzelgruppen, sondern »der gemeine Nutzen von Volk und Reich« im Vordergrund stehen – dem wurde wohl mit Geheimhaltung eher Genüge getan, siehe: Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung (1938), 373, 374. 223 Koch, Beruf (1957), 66, 89. 224 Die folgenden Wirtschaftsprüfungsgesellschaften hatten 1941 etwa 200 bis 250 Mitarbeiter. Sie waren nach der Treuarbeit die größten WPG des Deutschen Reiches. Das Zahlenmaterial wurde dem Handbuch der deutschen Aktiengesellschaften, Jge. 1937 (1. Seitenzahl in der Klammer) und 1941 (2. Seitenzahl in der Klammer), entnommen: Treuhand-Vereinigung AG in Berlin (7037 und 6358), Treuverkehr Deutsche Treuhand AG in Berlin (2267 und 2542) und Schwäbische Treuhand-AG in Stuttgart (2931 und 2265). Bei der Deutschen Treuhand-Gesellschaft blieb das Wachstum hingegen fast unverändert (2010 und 1223). 225 Schulz, »Prüfungswesen« (1943), 63. 59 Von der »Hilfsbank« zum Verhandlungspartner Wirtschaftsprüfer für den Osteinsatz.226 Die Treuarbeit hatte kurz zuvor den Monopol- auftrag erhalten, in den »besetzten Ostgebieten« die Ostgesellschaften zu prüfen, und benötigte dafür Personal.227 Außerdem schlug Adler eine Turnusänderung bei Pflicht- prüfungen vor.228 Tatsächlich entschied die Regierung im Sinne der Vorschläge Adlers: Abschlüsse des Jahres 1942 waren nicht zu prüfen, für spätere Geschäftsjahre galt ein zweijähriger Turnus. Hierbei konnte die Gesellschaft wählen, ob der Jahresabschluss des Jahres 1943 oder 1944 geprüft werden sollte. Dies bedeutete, dass nach der Prüfung des Jahresabschlusses 1941 erstmals wieder im Jahr 1945 der Abschluss des Jahres 1944 geprüft werden konnte.229 Aus den Diskussionen um Vertrauenswürdigkeit gingen Treuhandgesellschaften gestärkt hervor. Sie positionierten sich nicht nur dem nationalsozialistischen Staat, son- dern vor allem Unternehmen gegenüber als Vertrauensinstanz – für die längerfristige Perspektive war das von großer Bedeutung. Vordergründig nahmen Akteure aus Staat (Reichswirtschaftsministerium) und Partei (NS-Rechtswahrerbund) die Rollen der Ver- trauensbildner und der Vertrauensadressaten gleichzeitig wahr. Zweifellos wurde der Staat durch vielfältige Maßnahmen der Wirtschaftslenkung, »Arisierungen« und die Besetzung europäischer Länder zum größten Nachfrager nach Wirtschaftsprüferleis- tungen. Überdies jedoch entwickelten sich Treuhandgesellschaften zu Vertrauensbild- nern in eigener Sache. Ihre Vertrauensadressaten wurden deutsche Unternehmen, die im Wirtschaftsprüfer mit zunehmender Kriegsdauer eine notwendige externe Kontroll- instanz für das betriebliche Rechnungswesen sahen, da ihnen durch den Kriegsdienst eigene Sachbearbeiter entzogen wurden.230 Bindung und Vertrauen zwischen Treuhand- gesellschaften und Wirtschaft wuchsen.231 Unternehmen machten daher von der zum Kriegsbeginn verordneten Aufhebung der Pflichtprüfung kaum Gebrauch und setzten sich gegen weitere staatlich geplante Einschränkungen bei Prüfungen zur Wehr.232

226 BAB R 3101/20486, Bl. 44–50: Brief IDW/Adler an Reichswirtschaftsministerium zum Einsatz des Wirtschaftstreuhänderberufes für kriegswichtige Aufgaben, Übersendung eines Exposés, 4.2.1943; BAB R 3101/20486, Bl. 99–104: Niederschrift über die Ressortbesprechung am 26. Oktober 1943 betr. Vordringlichkeit kriegswichtiger Prüfungs- und Treuhandaufgaben, 10.11.1943, hier: Bl. 103. Adler forderte, dass am freiberuflichen Berufseinsatz nicht gerüttelt werden dürfe. 227 Im Einzelnen siehe hierzu Kapitel 5.3. 228 BAB R 3101/20486, Bl. 44–50: Brief IDW/Adler an Reichswirtschaftsministerium zum Einsatz des Wirtschaftstreuhänderberufes für kriegswichtige Aufgaben, Übersendung eines Exposés, 4.2.1943, hier: Bl. 46, 50. 229 BAB NS 3/1004, Bl. 35: Fachliches Merkblatt für die Prüfungen der Jahresabschlüsse zum 31.12.1943. 230 Schulz, »Prüfungswesen« (1943), 63. 231 Richter, »Wirtschaftsberatung« (1943), 103. 232 BAB R 3101/20485, Bl. 47: Brief IDW/Adler an Reichswirtschaftsministerium, betr. Einsatz des Wirtschaftsprüferberufes für kriegswichtige Aufgaben, 4.2.1943. Schulz, »Prüfungswesen« (1943), 63. 1940 wurde die Prüfungspflicht wieder eingeführt; BAB R 3101/20486, Bl. 99­104: Niederschrift über die Ressortbesprechung am 26. Oktober 1943 betr. Vordringlichkeit kriegswichtiger Prüfungs- und Treuhandaufgaben, 10.11.1943: Im Rahmen einer interministeriellen Diskussion über weitere Prüfungseinschränkungen bezeichneten Vertreter der Reichsgruppe Industrie und der Reichswirt- schaftskammer die Prüfungen als Segen für die Wirtschaft und als unentbehrlich. 60 Wirtschaftsprüfung in den ersten Nachkriegsjahren Positive Wirkungen für den Kapitalmarkt konnten Bilanzprüfungen in der NS-Zeit kaum entfalten. Das Regime versuchte mit zahlreichen Regelungen – auch aus ideo- logischen Gründen – die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes einzuschränken.233 1935 wurde die Anzahl der Börsen von 21 auf neun reduziert. Der Markt für Industrie- obligationen wurde in den Jahren 1936 bis 1938 durch ein Emissionsverbot stark gestört, denn der Absatz der zeitgleich aufgelegten Reichsanleihen zur Finanzierung der Auf- rüstung sollte sichergestellt werden. Den jahrelangen Boom am Aktienmarkt konnte jedoch erst eine faktische Börsenschließung 1943 beenden. Durch die Aufrüstung hatte das NS-Regime selbst zur Aktienhausse beigetragen. Aktien wurden nachgefragt, obwohl allgemein bekannt war, dass nur ein Teil der Gewinne in den veröffentlichten Bilanzen der rüstungsrelevanten Unternehmen ausgewiesen wurde; man hoffte auf eine Ausschüttung thesaurierter Gewinne nach Kriegsende. Die durch Anleihestockgesetz (1934) und Dividendenabgabeordnung (1941) gestärkten Selbstfinanzierungskräfte der Unternehmen arbeiteten dieser Erwartung zu. Auch die reduzierten Publizitätspflichten von Unternehmen und die verminderten Rechte von Aktionären durch das Aktiengesetz 1937 wirkten sich offenbar nicht negativ auf den Aktienmarkt aus.234 Die Bestrebungen des NS-Regimes, Publizität quantitativ und qualitativ einzu- schränken, verband sich mit der in der deutschen Wirtschaft seit dem 19. Jahrhundert gepflegten Tradition, Aktionären und Außenstehenden möglichst wenige Informationen zu geben. So wurde das Ziel, Informationsasymmetrien zu verringern, nicht erreicht.

2.5 Wirtschaftsprüfung in den ersten Nachkriegsjahren links: Von der »Hilfsbank« zum Verhandlungspartner rechts: Wirtschaftsprüfung in den ersten Nachkriegs- Nach dem Zusammenbruch des »Dritten Reiches« nahmen Treuhandgesellschaften jahren trotz Kriegsschäden und Reglementierungen der Besatzungsbehörden ihr Geschäft bald wieder auf. Sie erwarben schnell das Vertrauen der Alliierten. So wurde die Deutsche Warentreuhand- und Treuhand-AG von der Joint Export Import Agency235 beauftragt, an der Überwachung und Verteilung von importierten Rohstoffen an deutsche Industrie- betriebe mitzuwirken.236 Die Deutsche Treuhand-Gesellschaft erstellte Vermögensüber- sichten für Unternehmen, die unter treuhänderischer Verwaltung standen, und nahm Preisuntersuchungen und Selbstkostenermittlungen vor.237 Die Bayerische Treuhand- gesellschaft führte Abschlussprüfungen durch, beriet bei Firmenumgründungen und

233 Fear/Kobrak, »Paths« (2006), 43. Nach Ritschl funktionierte der Kapitalmarkt bis 1938 trotz viel- facher Lenkung, siehe Spoerer, Scheingewinnen (1996), 121. 234 Spoerer, Scheingewinnen (1996), 118, 125, 126, 164, 169. James, »Strukturwandel« (2002), 202– 209, Anleihestockgesetz und Dividendenabgabeverordnung sollten die Dividendensätze beschränken, 1943 wurden die Aktienkurse praktisch eingefroren. 235 Die JEIA wurde im Januar 1947 eingerichtet, um den Außenhandel der Bizone zu kontrollieren und zu fördern. Deutsche Im- und Exporte bedurften ihrer Genehmigung, siehe: Wandel, Entstehung (1980), 149, 150. 236 Matthiesen, »Geschichte« (o. J.), 15, 16. 237 Schuld, »Geschichte« (1965), 45. 61 Von der »Hilfsbank« zum Verhandlungspartner prüfte im Auftrag der Landesämter für Vermögenskontrolle und Wiedergutmachung.238 Vermögenserfassung, Bewertung wirtschaftlicher Kriegsschäden und Reorganisation des Rechnungswesens waren die vorrangigen Tätigkeiten der Süddeutschen Treuhand-Ge- sellschaft in den ersten Nachkriegsjahren.239 Der Weiterbestand von Treuhandgesellschaften in der Rechtsform einer Kapital- gesellschaft war eine Zeit lang ungewiss. Die britische Besatzungsbehörde kritisierte diese Gesellschaften wegen einer möglichen Einflussnahme der Kapitaleigner auf die Berufs- ausübung. In Großbritannien waren Partnergesellschaften üblich, die den Accountants selbst gehörten. Doch das British Military Government war kompromissbereit. Obwohl die Berufsordnung vom 15. März 1948 bestimmte, dass die Aktionäre einer Treuhand- gesellschaft Wirtschaftsprüfer sein müssen, legte eine Übergangsbestimmung fest, dass bereits anerkannte WP-Gesellschaften von dieser Vorschrift ausgenommen waren.240 Maßgebend für die Nachkriegsentwicklung der Wirtschaftsprüfer wurde das am 19. Februar 1946 in Düsseldorf wiedergegründete Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW). Das IDW entwickelte sich in den folgenden Jahren zu einer überregionalen Berufsver- tretung mit etwa 1.300 Mitgliedern (1950) auf freiwilliger Basis. Für die ersten Nach- kriegsjahre sind keine Auseinandersetzungen zwischen Einzelwirtschaftsprüfern und Treuhandgesellschaften festzustellen. Die grundlegenden Differenzen eskalierten jedoch erneut Mitte der 1950er Jahre.241 Im neuen IDW-Vorstand fand sich kein Name aus dem alten Präsidium der Reichskammer der Wirtschaftstreuhänder.242 Von den fünf Wirtschaftsprüfern kamen drei aus Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, darunter auch ein Mitarbeiter der Treuarbeit. Drei Jahre nach Kriegsende zeigte sich der Berufsstand voller Selbstbewusstsein. In der Erstausgabe der Fachzeitschrift »Die Wirtschaftsprüfung« erinnerten die Vor- standsmitglieder des IDW nicht nur an die »besonders schwierige Fachausbildung und Fachprüfungen«, denen die Berufsangehörigen unterzogen wurden, sondern sie wiesen zudem darauf hin, dass der Prüferberuf »seit Jahrzehnten nicht nur prüfend, sondern auch mitgestaltend an der betrieblichen Ordnung der gesamten Wirtschaft mitgewirkt« habe. Daher habe die Zeitschrift »sicher in vielen Fragen maßgeblich auf die Meinungs- und Willensbildungen Einfluß genommen«. Neben der Sachkenntnis sei gleichermaßen die völlige Unabhängigkeit der Grund dafür, dass Berufsangehörige »bei der wirtschafts- politischen Gestaltung immer mehr herangezogen« würden. Gleichzeitig betonten die Wirtschaftsprüfer, dass der Beruf es »stets« vermieden habe, in »macht- und partei- politische Dinge« einzugreifen oder auch nur zu ihnen Stellung zu nehmen. Der IDW-

238 KPMG Bayerische Treuhandgesellschaft, 100 Jahre (2009), 30. 239 Saygin, Weiter denken (2008), 88. 240 Koch, »Wirtschaftsprüfungsgesellschaften« (1957), 136, 137; Koch trifft keine Aussagen darüber, wie es zu den Übergangsbestimmungen kam. 241 Institut der Wirtschaftsprüfer, 75 Jahre (2007), 61–63. 242 Das IDW war 1943 in die Reichskammer der Wirtschaftstreuhänder umgewandelt worden, der Reichskammer gehörten auch die vereidigten Buchprüfer an. 62 Wirtschaftsprüfung in den ersten Nachkriegsjahren Vorstand blendete aus, dass der Berufsstand in der NS-Zeit Teil des NSRB war,243 die Satzung des IDW sich den Grundsätzen der nationalsozialistischen Weltanschauung verpflichtet und der Beruf sich in den Dienst des Regimes gestellt hatte und schließlich der Berufseid ein Gehorsamsversprechen für Hitler enthielt.244 Das Ziel der Wirtschaftsprüfer sei es, so führte der IDW-Vorstand im Jahr 1948 weiter aus, dem Gesetzgeber »auch zukünftig« rein fachlichen Rat zu geben und »aus der Fülle der reichen Berufserfahrung unseren bescheidenen Anteil« am Wiederaufbau der durch den »unseligen« Krieg »zugrunde gerichteten Wirtschaft Deutschlands beizutragen«.245 Mit dieser selektiven Sichtweise auf die Vergangenheit kappte der Wirtschaftsprüfer- beruf die Verbindung zu Unrecht und Verbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus. Der Berufsstand suggerierte, es bestehe eine Welt fachlicher Kompetenz außerhalb einer gesellschaftlichen, insbesondere politischen, Einbindung. Diese – gewissermaßen unschuldige – Fachkompetenz berechtige den Beruf, ein Recht auf wirtschaftspolitische Gestaltung zu fordern. Die Währungsreform bot dazu einen guten Anlass. Der Wirtschaftsprüferberuf stehe, so der IDW-Vorsitzende Möhle auf der ersten Fachtagung nach dem Zweiten Weltkrieg Anfang November 1948 in Bremen, »auf Grund seiner Verantwortung gegen- über Staat und Wirtschaft sowie der Pflicht zu unabhängiger und sachverständiger Beratung im Brennpunkt der geistigen und schöpferischen Auseinandersetzungen um die Probleme des Wiederaufbaus der deutschen Wirtschaft.« Das Institut habe daher mit den »Wachenheimer Grundsätzen« zur DM-Eröffnungsbilanz der Regierung und der Wirtschaft einen ersten in sich geschlossenen »Verhandlungsvorschlag« vorgelegt.246 Darin sprach sich das IDW dafür aus, die DM-Eröffnungsbilanz aufgrund der über- holten Wertgrößen und einer erforderlichen Anpassung an die neuen Produktions-, Absatz- und Marktverhältnisse ohne Wertzusammenhang zur RM-Bilanz zu erstellen.247 Dieser Ansatz führte nach Ansicht von Pega dazu, dass die »Bilanzierungslücke zwischen dem Zusammenbruch des Dritten Reiches und der erstmaligen Bilanzierung nach dem DM-Eröffnungsgesetz mit ihren massiven Bewertungsproblemen – z. B. für nicht mehr verwendbare Kriegsmaterialien oder uneinlösbare Wertpapiere und die hierbei von den WP unzulässigerweise testierten Jahresabschlüsse« ungeklärt blieb. Die Neu- festsetzung aller Werte in der DM-Eröffnungsbilanz »enthob die Wirtschaftsprüfer der […] Verpflichtung, zum Bilanzzusammenhang der Geschäftsjahre mit allen Fragen zur

243 Die NSDAP-Gliederung hieß zunächst BNSDJ/Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen, ab 1936 NSRB/Nationalsozialistischer Rechtswahrerbund. 244 WP-Nachrichten – vertrauliche Mitteilungen des IDW (1934), Abdruck der Satzungen, 214–221, hier: 214, § 2(1); Erweiterung des Berufseides 1937, siehe: Markus, Wirtschaftsprüfer (1996), 74. 245 Zum Geleit, in: Die Wirtschaftsprüfung, 1. Jg. (1948), 1–2. Auf Seite 2 sind die Namen der Vorstands- mitglieder des IDW abgedruckt. Zur Zuordnung siehe WP-Verzeichnis 1951, hrsg. vom Institut der Wirtschaftsprüfer, Düsseldorf. 246 Institut der Wirtschaftsprüfer, Probleme (1949), Vorwort, 7. Die Bezeichnung geht auf den Tagungs- ort des IDW-Ausschusses zurück, der die Grundsätze für die DM-Eröffnungsbilanz erstellte. 247 Grundsätze für die DM-Eröffnungsbilanz. Vorschläge des Instituts der Wirtschaftsprüfer, in: Die Wirtschaftsprüfung, Nr. 7, 1. Jg. (1948), 1–4. Merkle, »Grundzüge« (1949), 387. 63 Von der »Hilfsbank« zum Verhandlungspartner Bewertungsstetigkeit des Betriebsvermögens bzw. der zurückgestauten Abschreibungen aus den Geschäftsjahren vor dem Zusammenbruch Stellung zu nehmen.«248 In seiner Selbstdarstellung charakterisierte sich der Wirtschaftsprüferberuf selbst- sicher als »Verhandlungspartner«. Die neue demokratische Rechtsordnung erleichterte es dem Beruf, sich weiter in die Rolle eines eigenständigen Vertrauensbildners hinein zu entwickeln. Die Wirtschaftsprüfer ergriffen diese Möglichkeit sogleich, um die deutsche Wirtschaft und den deutschen Staat und seine Behörden in erkennbar berufspolitischer Absicht auch unter den neuen Verhältnissen als Vertrauensadressaten zu gewinnen.

Zwischenfazit

Überblickt man ein halbes Jahrhundert der Entwicklung deutscher Treuhandgesell- schaften, zeigt sich, dass die Erklärungsansätze der NIÖ auf deutsche Treuhandgesell- schaften im Wesentlichen nicht zutreffen. Wirtschaftskrisen – also Situationen, in denen zumeist der Staat unter großem Druck Änderungen eher gegen Protest durchsetzt – brachten die wichtigsten Impulse für die Entwicklung des Wirtschaftsprüferberufes in Deutschland.249 Das deutsche Revisions- und Treuhandwesen war organisatorisch zer- splittert und über Fragen der akademischen Vorbildung sowie die Gesellschaftsform der Berufsangehörigen zerstritten.250 Ein anerkannter Wirtschaftsprüferberuf entwickelte sich daher nicht aus sich selbst heraus.251 Banken-Treuhandgesellschaften wurden von Banken gegründet.252 Erst der Gesetzgeber schuf 1931 rechtliche Voraussetzungen für die öffentliche Anerkennung der Prüfer als Berufsgruppe und gab ihnen Einsichts- und Prüfungsrechte in Unternehmen. Die Haltung deutscher Unternehmen zu Publizitätsfragen änderte sich zwischen Kaiser­reich und »Drittem Reich« kaum. Unternehmen wollten möglichst wenige Informationen an Aktionäre und Außenstehende geben.253 Geheimhaltung galt als

248 Pega, Tätigkeit (2010), 26 (beide Zitate). 249 Henning, »Unternehmensprüfung« (1990), 1; Harston, »Profession« (1993), 142. 250 Markus, Wirtschaftsprüfer (1996); Bücherrevisoren waren in fünf Verbänden, Treuhandgesellschaften in zwei Verbänden organisiert (S. 2–7); Bücherrevisoren kritisierten Treuhandgesellschaften in der Form der Kapitalgesellschaften, insbesondere gegen Banken-Treuhandgesellschaften wurde heftig polemisiert (S. 5, 46, 48, 58, 68); es gab Konflikte zwischen akademisch und praktisch orientierten Bücherrevisoren (S. 9). 251 Fear/Kobrak, »Paths« (2006), 6. 252 Bücherrevisoren fragten zu Beginn des Jahrhunderts vergeblich nach staatlicher Unterstützung zur Ver- besserung ihrer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Position, siehe: Sponheimer, Revisionswesen (1925), 30, 31; noch Ende der 1920er Jahre führte der Treuhandverband Verhandlungen mit RWM und RFM zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage seiner Mitgliedsgesellschaften, siehe: Gerstner/ Ertel, »Bericht« (1928), 116. 253 Der bekannte Jurist Max Lion attestierte Unternehmen »eine rückständige Psychologie«, die sie fälsch- lich den Aktionär als »ewig dividendenlüstern[…]«, den Konkurrenten als »ewig spionierend[…]« und den Arbeiter als begehrlich ansehen ließ. Für ihn waren Handelsbilanzen wegen der intensiven Legung stiller Reserven lediglich »Scheinbilanzen« – Lion, Bilanzen (1927), 12, 13, 16, 20 (Zitat), 24 (Zitat). 64 Wirtschaftsprüfung in den ersten Nachkriegsjahren stabilisierend für die wirtschaftlichen Verhältnisse.254 Nur unter dem Druck US- amerikanischer Kapitalgeber akzeptierten Unternehmen Prüfungen durch ausländische Prüfungsgesellschaften, denen sie mehr Informationen gaben als sie in Deutschland zu veröffentlichen bereit waren. Dies führte jedoch nicht dazu, dass Unternehmen neue Bilanzierungsregeln oder Bilanzpflichtprüfungen in Deutschland forderten. Stattdessen förderte das NS-Regime Publizitätsverringerung und Entziehung von Aktionärsrechten; dies fand bei Unternehmen Zustimmung. Verbesserte Kompensationsmöglichkeiten in der Gewinn- und Verlustrechnung sowie die Stärkung stiller Reserven führten dazu, dass Bilanzen die Vermögens- und Ertragslage von Unternehmen nicht vollständig wiedergaben. Nach Harston und Fear/Kobrak war die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, Banken und Staat in Deutschland so eng, dass sich eine marktorientierte Prüferpro- fession nicht hatte durchsetzen können.255 Treuhandgesellschaften waren für Unter- nehmen in erster Linie vertrauenswürdige Berater für das interne betriebliche Rech- nungswesen und übernahmen Funktionen einer internen Revision. Ihre Zielrichtung war nicht die Verbesserung der Transparenz nach außen.256 Ein wichtiges Motiv für den Gesetzgeber, schließlich die Bilanzpflichtprüfung einzuführen und den Wirtschaftsprü- ferberuf zu konstituieren, bildete – neben den Erwartungen ausländischer Kapitalgeber an eine Verbesserung der Unternehmenskontrolle – vermutlich die Abwehr von »foreign intrusion«.257 Wirtschaftsprüfern war eine höhere Glaubwürdigkeit zuzubilligen, da sie Außenstehende mit durch eigene Statuten festgelegten Rechten und Pflichten waren; sie gaben eher als Aufsichtsräte und Banken die Gewähr, unabhängig, ohne Verfolgen eige- ner materieller Interessen, zu prüfen. Aufsichtsräte waren hingegen Teil von Unterneh- men, sogar Teil der Führungsebene; Banken waren enge Geschäftspartner von Unter- nehmen und hatten unmittelbare Geschäftsinteressen.258 Als Treuhandgesellschaften mit der aktienrechtlichen Pflichtprüfung einen öffent­ lichen Auftrag erfüllen sollten, begegneten ihnen Unternehmen zunächst mit Miss- trauen. Doch Treuhandgesellschaften gewannen in der NS-Zeit das Vertrauen der Unter­nehmen, sie wurden zu Intermediären zwischen staatlichen Anforderungen und unternehmerischen Bedürfnissen und ergänzten in dieser Funktion Banken.259 Unter der Diktatur des NS-Regimes konnten sich Treuhandgesellschaften als eigen- ständige Vertrauensinstanzen positionieren. Sie gewannen das Vertrauen des Regimes, weil sie bei der Umsetzung zahlreicher wirtschaftspolitischer Steuerungsmaßnahmen

254 Gallhofer/Haslam, »Aura« (1991), 499. 255 Harston, »Profession« (1993), 141, 158; Fear/Kobrak, »Paths« (2006), 46. 256 Fear/Kobrak, »Paths« (2006), 7. 257 Fear/Kobrak, »Paths« (2006), 6, 40; das Argument der »Überfremdung« diente Unternehmens- leitungen vermutlich eher als Vorwand, Dominanz gegenüber Aktionären zu sichern. 258 1961 erhielten Wirtschaftsprüfer eine zentrale Aufsichtsinstanz im Rahmen der beruflichen Selbst- verwaltung: die Wirtschaftsprüferkammer. Als Resultat eines Vertrauensschwundes unterliegt die Kammer seit 2005 ihrerseits der Aufsicht der berufsstandsunabhängigen Abschlussprüferaufsichts- kommission (APAK). 259 Fear/Kobrak, »Paths« (2006), 14, 16. 65 Von der »Hilfsbank« zum Verhandlungspartner halfen. Gleichzeitig warb das Regime um den Wirtschaftsprüferberuf: Der Reichs- justizkommissar und nachmalige Generalgouverneur der besetzten polnischen Gebiete Hans Frank sprach Wirtschaftsprüfer als »Notare der Wirtschaft« an, die den Juristen ein »Halt« entgegenrufen dürften, wenn diese wirtschaftsfern urteilen sollten.260 Ein Berufsstand, der sich erst etablieren musste und dessen Vertreter einer akademischen Fachdisziplin entstammten, der Betriebswirtschaftslehre, deren Etablierung ebenfalls noch nicht abgeschlossen war,261 mag hier ein einmalige Chance gesehen und ergriffen haben, Bilanzierungsprinzipien erstmals als betriebswirtschaftliche Normen statt als juristische Normen zu prägen.262 In einer Diktatur, in der das Verhältnis zwischen Politik und Wirtschaft hierarchisch bestimmt war, war es für Unternehmen von Vorteil, in Treuhandgesellschaften vom NS- Staat akzeptierte Vermittler beauftragen zu können. So wurde die NS-Zeit zur maßgeb- lichen Phase der Emanzipation des Wirtschaftsprüferberufsstandes. Die in dieser Zeit geleistete Facharbeit befähigte die Wirtschaftsprüferprofession, nach dem Zusammen- bruch des »Dritten Reiches« mit einer Lösung zur Neubewertung der Unternehmens- vermögen hervorzutreten und gehört zu werden.

260 Wanieck, »Wirtschaftsprüferberuf« (1933), 361. 261 Fear/Kobrak, »Paths« (2006), 46. 262 Fear/Kobrak, »Paths« (2006), 30. 66

3. Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit links: Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit rechts: Arbeitsbeziehungen und persönliche Karrieren: 3.1 Arbeitsbeziehungen und persönliche Karrieren: Aufsichtsrat und Vorstand Aufsichtsrat und Vorstand Die Aufsichtsratsmitglieder der Treuarbeit

Da die Treuarbeit eine im Eigentum der VIAG und des Landes Preußen stehende Gesell­schaft war, nahmen schon in der Zeit der Weimarer Republik Vertreter der Ministerialbürokratie Aufsichtsratsmandate wahr.1 Bis 1932 waren dies Mitarbeiter der Rechnungshöfe sowie der Reichsministerien für Finanzen und für Wirtschaft, der Preußischen Ministerien für Finanzen und für Handel und der Reichs-Kredit-Gesell- schaft. Ferner hatten ein renommierter Privatbankier, ein führender Hochschullehrer der Betriebswirtschaftslehre, ein Rechtsanwalt und Notar sowie der Generaldirektor einer Gasgesellschaft Mandate im Aufsichtsrat inne. Von 1925 bis 1938 saß Friedrich Saemisch, zugleich Präsident des Rechnungshofes des Deutschen Reiches (RRH) und der Preußischen Oberrechnungskammer, dem Gremium vor.2 Stellvertretende Vor- sitzende waren Richard Damm aus dem Reichsfinanzministerium, der diese Position bis zu seinem Tod im Jahre 1940 bekleidete, und Leo Scheibner aus dem Vorstand der Reichs-Kredit-Gesellschaft, der ebenfalls durch Tod schon im Jahr 1931 aus dem Auf- sichtsrat ausschied. Seine Funktion übernahm Fritz Grosser3 aus dem Preußischen Finanzministerium. Zwischen 1928 und 1931 war der Aufsichtsrat bis auf zwei Todesfälle personell stabil.4 Eine größere personelle Veränderung ereignete sich erst wieder 1932. In diesem Jahr schieden vier Mitglieder aus. Einer der beiden Vertreter des Reichsfinanzministeriums, Johann Ludwig Graf Schwerin von Krosigk, wurde von der Ende Mai 1932 gebilde- ten Regierung unter Reichskanzler Franz von Papen zum Reichsminister der Finanzen ernannt.5 Die anderen drei Mitglieder stammten nicht aus Ministerien: Es waren Ober- baurat Bruno Heck, langjähriger Generaldirektor der Deutschen Continental-Gas-Ge-

1 Die Mitglieder des Aufsichtsrates der Treuarbeit sind in den Geschäftsberichten der Gesellschaft auf- geführt. 2 Forster, »Finanzkontrolle« (1989), 130. 3 Fritz Grosser (1871–1952), Jurist, siehe: Bundesarchiv, Edition »Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik« online, Abfrage: 24.2.2008. 4 Zwischen 1930 und 1932 war die Belegschaft durch zwei Mitarbeiter im Aufsichtsrat der Treuarbeit vertreten. 5 Schwerin von Krosigk (1887–1977), siehe: Bundesarchiv, Edition »Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik« online, Abfrage: 24.2.2008. 67 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit sellschaft in Dessau, eines regional führenden Gas- und Elektrizitätsversorgers,6 Rechts- anwalt und Notar Prof. Dr. Herbert Schachian7 sowie Bankier Dr. Wassermann, der Mitinhaber des angesehenen Bankhauses A. E. Wassermann in Berlin.8 Schachian und Wassermann waren seit 1925, Heck seit 1926 Mitglieder im Aufsichtsrat. Ihr Ausscheiden könnte durch den sogenannten Preußenschlag hervorgerufen worden sein, durch den am 20. Juli 1932 von Papen und der Reichspräsident von Hindenburg die preußische Regierung mittels Notverordnung entmachteten. Dieser Absetzung folgte ein großes Personalrevirement, das Landes- und Regionalbeamte, die den bisherigen Koalitions- parteien angehört hatten, durch konservative Beamte, häufig Deutschnationale, ersetz- te.9 Möglicherweise sollten andere Vertreter der Privatwirtschaft oder weitere Minis- terialbeamte Aufsichtsratsmandate in der Treuarbeit erhalten. Vielleicht spielten auch bereits rassistische Motive eine Rolle, denn Wassermann und Schachian waren Juden. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten gab es in den Jahren 1933 und 1934 erneut umfangreiche Personalveränderungen im Aufsichtsrat. Bei der Neubesetzung dieses Gremiums versuchten verschiedene Behörden und Einzelpersonen, ihre Vorstellungen von den geeigneten Kandidaten durchzusetzen.10 Das Direktorium der Reichsbank wollte die Treuarbeit mit Untersuchungen zu Korruptionsfällen in Betrieben beauftragen. Um diese »Sonderprüfungen politischer Natur«11 vorzuneh­

6 Fiedler, »Netzwerke« (2000), 106–113: Heck war zu dieser Zeit in den Aufsichtsräten der Lufthansa und der Charlottenburger Wasserwerke sowie im Verwaltungsrat der Berliner Handels-Gesellschaft und gut bekannt mit Emil G. von Stauß von der Deutschen Bank. Den Aufsichtsratsvorsitz bei den Charlottenburger Wasserwerken übernahm er, nach seinem Austritt aus dem Aufsichtsrat der Treu- arbeit, im Frühjahr 1933. Im Frühjahr 1935 wurde Heck wegen Verstoßes gegen die Sittlichkeit gemäß § 175 verhaftet. 7 Vermutlich handelte es sich um Herbert Schachian (1888–1971), der nach 1933 erst in die Nieder- lande, dann in die USA emigrierte, siehe: Ladwig-Winters/Rechtsanwaltskammer Berlin, Anwalt (2007), 255. 8 Dr. Wassermann wird in den Geschäftsberichten als »Bankier, Mitinhaber der Firma A. E. Wasser- mann, Berlin« genannt. Da seit 1912 im Vorstand der Deutschen Bank und dort seit 1923 Vorstandssprecher war, handelte es sich bei dem Aufsichtsratsmitglied vermutlich um Oscars jüngeren Bruder Sigmund, der nach Oscars Eintritt bei der Deutschen Bank dessen Posten bei A. E. Wassermann übernommen hatte, allerdings seit 1919 in Berlin wohnte – siehe: Barkai, Oscar Wasser- mann (2005), 21, 109. 9 Winkler, Weg (2002), 513–515. 10 Für das Folgende: GStAPK I HA Rep. 151 IA Nr. 37: Brief des Reichsbank-Direktoriums an den Reichsminister der Finanzen vom 7.7.1933, Aktenvermerk von Grosser vom 31.7.1933, Vermerk des Reichsministers der Finanzen vom August 1933, Vermerk der Reichsbank vom 27.7.1933; Brief von Richard Damm an Fritz Grosser o. D.; Aktenvermerk von Richard Damm vom 11.8.1933, Ver- merk von Fritz Reinhardt vom 13.8.1933; Brief des Preußischen Finanzministers an den Preußischen Minister für Wirtschaft und Arbeit vom 23.1.1934; GStAPK I HA Rep. 151 I A Nr. 38: Aktenvermerk von Richard Damm zu einer Sitzung vom 7.9.1933, Brief des Preußischen Finanzministers an den Preußischen Minister für Wirtschaft und Arbeit vom 19.10.1933. 11 Diese Diskussion stand vermutlich im Zusammenhang mit »Säuberungsaktionen«, die die National- sozialisten bald nach ihrem Machtantritt initiierten. Betroffen waren politische Gegner in den Ver- waltungen und vermeintlich oder tatsächlich korrupte Unternehmensleiter. Hierzu wurden Rechts- verordnungen erlassen sowie »Sonderdezernate« und ein Staatskommissariat eingerichtet. Da Wirt- 68 Arbeitsbeziehungen und persönliche Karrieren: Aufsichtsrat und Vorstand men, benötige die Treuarbeit das »Vertrauen der Allgemeinheit«. Daher sollte Rolf Reiner, SS-Gruppenführer, Legationsrat und Chef des Ministeramtes bei der obersten SA-Führung12, den Vorsitz im Aufsichtsrat übernehmen. Der bisherige Vorsitzende, Friedrich Saemisch, sollte stellvertretender Vorsitzender werden. Diesen Vorschlag befürchteten auch die Preußischen Ministerien für Wirtschaft und für Finanzen, das Reichswirtschaftsministerium sowie Wilhelm Keppler, Reiner und Saemisch. Fritz Rein- hardt, Staatssekretär im Reichsfinanzministerium, lehnte hingegen die Beauftragung der Treuarbeit mit Sonderaufgaben ab: dies wirke sich auf die Hauptaufgabe der Gesellschaft, die Konzernprüfungen für die VIAG durchzuführen, negativ aus. Reinhardt sprach sich stattdessen dafür aus, Korruptionsfälle durch das Reichsfinanzministerium untersuchen zu lassen. Der Aufsichtsratsvorsitz sollte an Emil Stengel, Direktor beim RRH, gehen; Saemisch sollte den Aufsichtsrat verlassen. Weiterhin sollten Herbert Albrecht und Artur Görlitzer sowie Gustav Krupp von Bohlen und Halbach dem neuen Aufsichtsrat angehören. Albrecht hatte sich schon als jugendliches Mitglied des Deutschen Schutz- und Trutzbundes die »Bekämpfung des Judentums« zur Aufgabe gemacht und nahm seit 1923 für die NSDAP parteipolitische Tätigkeiten und politische Ämter wahr. Görlitzer war Mitglied des Preußischen Landtages und stellvertretender Gauleiter des Gaus Groß- Berlin. Reichsbank und Wirtschaftsministerien verteidigten die Beauftragung der Treu- arbeit, denn nur deren Prüfungen hätten die gewünschte »kreditstärkende Wirkung«. Zumindest ein »Sonderausschuss« zur Bearbeitung der Korruptionsfälle solle gebildet werden.13 Im Ergebnis schieden 1933 vier Mitglieder aus dem Aufsichtsrat aus: Karl Schantz14 und Fritz Grosser kamen aus der Preußischen Ministerialbürokratie und gehörten dem Gremium seit 1927 an.15 Der bekannte Betriebswirtschaftler der Universität Köln, Eugen Schmalenbach, war seit vielen Jahren dem Treuhandwesen sehr verbunden. Er saß auch im Aufsichtsrat der Treuhand AG Köln und im Prüfungsausschuss für das Wirtschaftsprüferexamen der IHK Köln. Da er mit einer Jüdin verheiratet war, musste

schaftsvertreter diese Aktionen kritisierten, erklärte der Preußische Justizminister die Aktionen bereits im September 1933 für beendet – siehe: Ludwig, Korruption (1998), 186, 191, 198, 339. 12 Bezeichnungen gemäß Geschäftsbericht der Treuarbeit für das Geschäftsjahr 1933. 13 Es gab auch die Überlegung, dass das NSDAP-Mitglied Regierungsrat Rose als »Sonderauftrag […] Prüfungsaufträge bearbeiten [solle], die mit sogenannten Korruptionsfällen zusammenhängen. Zudem soll Herr Rose auch als Aufsichtsratsmitglied in den Vorstand deligiert [so!] werden. Wir rechnen damit, dass diese Aufgabe […] nach einiger Zeit erledigt sein wird. Dann soll er zurückgezogen werden und an seiner Stelle ein anderes Mitglied der NSDAP in den Aufsichtsrat eintreten.« Siehe: FAH 23/758, Bl. 1, 2: Brief des Reichsfinanzministeriums, Büro des Staatssekretärs, vom 24.7.1933 an Gustav Krupp. Ob Rose im Vorstand oder Aufsichtsrat der Treuarbeit war, ist ungewiss. In den Geschäftsberichten der Treuarbeit wird Rose nicht erwähnt. Niederschriften zu den Sitzungen des Aufsichtsrates liegen erst ab März 1937 vor. 14 Karl Schantz (1863–1936), Oberberghauptmann, Preußisches Handelsministerium, siehe: Bundes- archiv, Edition »Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik« online, Abfrage: 24.2.2008. 15 Ihr Ausscheiden könnte altersbedingt gewesen sein, Grosser war damals 62 Jahre, Schantz bereits 70 Jahre alt. Allerdings war Eugen Schmalenbach mit 60 Jahren kaum jünger als Grosser, Friedrich Saemisch sogar 64 Jahre alt. 69 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit er seinen Lehrstuhl verlassen.16 Erich Wagner17 aus dem RRH, der dem Aufsichtsrat seit 1925 angehörte, machte Fritz Mussehl18 Platz, der den 1933 neu geschaffenen Posten des Vizepräsidenten des RRH bekleidete. Bei den Neueintritten des Jahres 1933 dominierten dann die langjährigen, aktiven NSDAP-Mitglieder: Herbert Albrecht blieb – abgesehen von der Zeit seiner Delegation in den Vorstand der Treuarbeit in den Jahren 1934 und 1935 – bis 1943.19 Artur Görlitzer gehörte dem Aufsichtsrat bis 1940 an20 und Rolf Reiner wurde, gemeinsam mit Friedrich Saemisch, sogleich Aufsichtsratsvorsitzender.21 Dieser gemeinsame Vorsitz blieb – auch unter den Nachfolgern von Reiner und Saemisch – bis Ende März 1943 bestehen. Albrecht, Görlitzer und Reiner hatten weder mit dem Berufsstand der Wirtschaftsprüfer noch mit Wirtschaftsfragen oder Reichsbehörden zu tun. Ihr Eintritt in den Aufsichtsrat war allein parteipolitisch bestimmt und sollte die »Gleichschaltung« der Treuarbeit sicherstellen. 1933 trat auch der Industrielle Gustav Krupp von Bohlen und Halbach in den Auf- sichtsrat der Treuarbeit ein. Die Berufung von Unternehmensleitern hatte, wie es die Beispiele Heck und Wassermann zeigen, durchaus Tradition. Bei der Berufung von Krupp stand vermutlich seine Position als Präsident des Reichverbandes der Deutschen Industrie und als Aufsichtsratsvorsitzender eines der bedeutendsten deutschen Unter- nehmen der Schwerindustrie im Vordergrund.22 Nach dem Ausscheiden Krupps 1939 rückte Wilhelm Zangen, Vorstandsvorsitzender der Mannesmann-Röhrenwerke in Düs- seldorf und Leiter der Reichsgruppe Industrie, an seine Stelle. Das vorliegende Quellen- material gibt keine Hinweise darauf, dass die Mitgliedschaft von Krupp oder Zangen im Aufsichtsrat der Treuarbeit einen Einfluss auf die Geschäftsentwicklung der Treuarbeit hatte. Die Aufnahme bekannter Industriemanager sollte wohl Signalwirkung für die Privatwirtschaft und die Wirtschaftsprüferbranche entfalten: Sie sollte die Akzeptanz der reichseigenen Treuarbeit in der Privatwirtschaft verdeutlichen und der Kritik ent- gegentreten, dass die Treuarbeit nicht unabhängig prüfe. 1934 kamen mit Ernst Trendelenburg, Theodor von Heppe und Bruno Claußen wieder Verwaltungsbeamte in den Aufsichtsrat. Von Heppe war Vizepräsident der Preußischen Oberrechnungskammer. Der Staatssekretär im einstweiligen Ruhestand

16 Potthoff, »Betriebswirtschaftslehre« (2002), 105. Schmalenbach gehörte dem Aufsichtsrat der Treu- arbeit seit 1926 an. Er gilt als »Vater« der deutschen Betriebswirtschaftslehre. 17 Erich Wagner (*1888), Jurist, siehe: Bundesarchiv, Edition »Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik« online, Abfrage: 24.2.2008. 18 Fritz Mussehl (1885 bis nach 1962), Jurist, siehe: Bundesarchiv, Edition »Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik« online, Abfrage: 24.2.2008. 19 Herbert Albrecht, siehe: Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 1, 82. 20 Artur Görlitzer (1893–1945), siehe: Lilla, Statisten (2004), 313; Geschäftsbericht der Treuarbeit für das Jahr 1940, 9 (WiSo A der Universität Köln, Signatur LB 1/1). 21 Geschäftsbericht der Treuarbeit für das Jahr 1933. 22 Krupp, Ende 1931 zum Präsidenten des RDI gewählt, trat bereits Ende 1934 von diesem Amt zurück. Er war, wie Abelshauser resümiert, »auf der ganzen Linie gescheitert.« Krupp »war zu keinem Zeit- punkt in der Lage, sich zwischen den um Macht rivalisierenden […] Führern der NSDAP sowie den von ihnen eingesetzten staatlichen Repräsentanten zu behaupten, geschweige denn eigene Gedanken zur Neuordnung durchzusetzen.« Abelshauser, »Gustav Krupp« (2002), 5, 16. 70 Arbeitsbeziehungen und persönliche Karrieren: Aufsichtsrat und Vorstand Claußen war Aufsichtsratsmitglied in mehreren Unternehmen, die 1931 staatliche finanzielle Unterstützung erhalten hatten, beispielsweise die Dresdner Bank und die Commerzbank.23 Trendelenburg, seit den frühen 1920er Jahren im Reichswirtschafts- ministerium tätig, war Aufsichtsratsvorsitzender der VIAG und saß auch in Aufsichts- räten anderer Tochtergesellschaften der VIAG.24 Zwei weitere Aufsichtsräte der Treu- arbeit, Richard Damm und Fritz Berger,25 hatten ebenfalls Mandate im Aufsichtsrat des Großaktionärs der Treuarbeit inne.26 Im Aufsichtsrat der Treuarbeit und der VIAG saß auch Karl Lindemann, der vielseitige Verbindungen ins In- und Ausland hatte.27 Er war unter anderem Aufsichtsratsvorsitzender des Norddeutschen Lloyd, eines langjährigen Kunden der Treuarbeit. Als Fachmann für Außenwirtschaftsfragen wurde er mehrmals in exklusive Ausschüsse berufen, 1944 auch in den »Europakreis« Hans Kehrls, einer der führenden Planer der deutschen Kriegswirtschaft.28 Hier traf er neben bekannten Managern der Wirtschaft auch auf Vorstandsmitglied Richard Karoli und zwei ehe- malige Treuarbeitsvorstände, Ernst Helmut Vits und Fritz Rudorf. Von den zwölf Mitgliedern des Aufsichtsrates aus dem Jahr 1932 waren im Jahr 1934 noch vier übrig geblieben, nämlich Richard Damm aus dem Reichsfinanzministerium, Johannes Heintze aus dem Reichswirtschaftsministerium sowie Friedrich Saemisch und Emil Stengel, beide aus dem Rechnungshof des Deutschen Reiches. Reiner legte sein Amt bereits Anfang 1935 wieder nieder.29 Sein Verzicht machte den Weg frei für Wilhelm Keppler, der »auf Anweisung des Führers« in den Aufsichtsrat eintrat. Er sollte die Gesellschaft »personell und ihrem Wesen nach so um[zu]gestalten, dass [so!] sie das Vertrauen des nationalsozialistischen Staates und der Partei hat, um für besonders wichtige Aufgaben eingesetzt zu werden.«30 Der Chemieingenieur, seit 1931 Wirtschaftsberater Hitlers und zunächst sehr einflussreich,31 blieb bis 1943 im Aufsichts- rat der Treuarbeit. Dann wurde er Vorsitzender des Beirates der Reichsprüfungsgesell-

23 Bruno Claußen (*1884), siehe: Bundesarchiv, Edition »Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik« online, Abfrage: 22.2.2008. 24 Stockhorst, Köpfe (1967), 424. 25 Berger kam nach Damms Tod 1941 in den Aufsichtsrat der Treuarbeit. Beide kamen aus dem Reichs- finanzministerium. 26 Zu den Aufsichtsratsmandaten der genannten Personen: Pohl, VIAG (1998), 112, 113, 130, 147. 27 Zu Karl Lindemann siehe: Bähr, Dresdner Bank (2006), 119. 28 Eichholtz, Geschichte (1999) (Nachdruck), 105, 117, 533, 538. 29 FAH 4E98, Bl. 211: Abschrift eines Briefes von Rolf Reiner an Saemisch vom 23.1.1935. Reiner legte sein Aufsichtsratsmandat ohne Begründung nieder. Im Zuge der Ermordung Röhms und anderer SA-Führer und Konservativer war Reiner Ende Juni/Anfang Juli 1934 verhaftet worden. Erst Monate später kam er aus dem Gefängnis frei, siehe: Dodd, years (1939), 132, 133. Auch Mussehl verließ den Aufsichtsrat 1934. 30 BAB R 3101/17697: »Bericht über die Entstehung, die derzeitige Lage und die Aufgaben der Deutschen Revisions- und Treuhand-Aktiengesellschaft«, erstellt vom Reichswirtschaftsministerium, Dr. Winckelmann für SS-Brigadeführer Ohlendorf, 03.7.1944, Bl. 2 (Zitate). 31 1934 erhielt Keppler von Hitler die Aufgabe, das zentrale Problem der Schwerindustrie zu beheben und deren Versorgung mit Rohstoffen zu organisieren (Büro für »Deutsche Roh- und Werkstoffe«), siehe: Wixforth/Ziegler, »Expansion« (2008), 258; nach der Annexion Österreichs im März 1938 sollte Keppler als Reichsbeauftragter für Österreich und »Vertrauensmann Görings« rüstungswichtige öster- 71 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit schaft für die besetzten Ostgebiete, einer Tochtergesellschaft der Treuarbeit. 1934 war bereits Kepplers Neffe und langjähriger Mitarbeiter, Fritz Kranefuß, in den Aufsichtsrat der Treuarbeit eingetreten. Kranefuß war der dominierende Vorstand der Braunkohle- Benzin-AG (BRABAG), eines Unternehmens, das im Herbst 1934 auf Anordnung des Reichswirtschaftsministers als Pflichtgemeinschaft der deutschen Braunkohleindustrie errichtet worden war.32 Im Frühjahr 1944 war die BRABAG eines der wichtigsten Treib- stoff produzierenden Unternehmen Deutschlands. Vier der Vorstandsmitglieder waren Angehörige der SS. Im Aufsichtsrat der BRABAG, dem bis 1943 ebenfalls Keppler vor- saß, waren vier von acht Mandatsträgern gleichzeitig Mitglieder des »Freundeskreises Himmler«. Organisation und Geschäftsführung dieses Kreises lagen in den Händen von Kranefuß. In diesem Kreis trafen führende Vertreter aus Industrie, Banken, Handel und der Ministerialbürokratie mit denjenigen SS-Führern zusammen, die wirtschaftliche Aktivitäten verfolgten.33 Daher gehörten dem Kreis Oswald Pohl, der Chef des SS-Wirt- schafts-Verwaltungshauptamtes, sowie Franz Hayler und Otto Ohlendorf an, die beide seit Ende 1943 führende Ministerialposten im Reichswirtschaftsministerium bekleideten. Der Freundeskreis sollte Kontaktpflege und Austausch zwischen Wirtschaft und Politik ermöglichen. Kranefuß war mit Himmler persönlich sehr vertraut; er hatte neben dem Aufsichtsratsmandat bei der Treuarbeit noch weitere Aufsichtsratsmandate inne und war kurzzeitig in der Vierjahresplanbehörde und im Reichswirtschaftsministerium tätig. Bei der BRABAG war er für den Einsatz von 13.000 KZ-Häftlingen verantwort- lich.34 Obwohl die Treuarbeit Abschlussprüfer der BRABAG war, blieb Kranefuß bis 1939 im Aufsichtsrat der Prüfungsgesellschaft. Nach den 1931 veröffentlichten »Grund- sätzen für die Berufsausübung des Wirtschaftsprüfers« war der Abschlussprüfer zu »strengster Objektivität« verpflichtet. Diese Objektivität war nicht gegeben, wenn der Prüfer unter maßgebendem Einfluss der geprüften Firma stand. Dieser Einfluss wurde dann angenommen, wenn ein »gesetzlicher Vertreter […] des zu prüfenden Unter- nehmens […] dem Aufsichtsrat der Prüfungsgesellschaft angehört.«35 Die »Grundsätze« hatten seinerzeit die Regelung des Handelsgesetzbuches, die nur den »maßgebenden Einfluß« nannte, präzisiert.36 Mit dem Aktiengesetz des Jahres 1937 wurde der Sach- verhalt in § 137 neu formuliert. Der Kommentar der Wirtschaftsprüfer und Rechts- anwälte Adler, Düring und Schmaltz zum neuen Aktiengesetz erläuterte hierzu, dass

reichische Großbetriebe in reichsdeutsche Unternehmen überleiten, siehe: Felber/Melichar u. a., Öko- nomie Teil 1 (2004), 75; da Keppler in diesen Aufgaben scheiterte, verlor er seit 1938 an Einfluss. 32 Zu den Gründungsmitgliedern der BRABAG gehörte auch die IG Farben AG, im Vorstand der BRABAG saß deren Aufsichtsratsvorsitzender Carl Krauch. 33 Vogelsang, Freundeskreis (1972), 168. 34 Bütow/Bindernagel, KZ (2004), 33, 35, 40, 41–67 (detailliert zur politischen Biografie von Kranefuß); Karlsch/Stokes, Faktor Öl (2003), 183. 35 Diese »Grundsätze« wurden von der »Hauptstelle für die öffentlich bestellten Wirtschaftsprüfer« 1931 herausgegeben und sind abgedruckt in: Schlegelberger/Quassowski/Schmölder, Verordnung (1932), 428 (Zitate). 36 RGBl., Jg. 1931, Teil I, S. 498, § 262c (2): »Prüfer, auf deren Geschäftsführung die zu prüfende Gesell- schaft maßgebenden Einfluß hat, dürfen als Bilanzprüfer weder gewählt noch bestellt werden.« 72 Arbeitsbeziehungen und persönliche Karrieren: Aufsichtsrat und Vorstand eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft nicht zum Abschlussprüfer gewählt werden könne, wenn »Personenidentität« zwischen ihr und der geprüften Firma bestehe. Dies sei dann der Fall, wenn ein Vorstandsmitglied der geprüften Gesellschaft dem Aufsichtsrat der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft angehöre. In diesem Fall habe das Aufsichtsratsmitglied der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ein so wesentliches Interesse an dem Ergebnis der Prüfung, dass das Vorhandensein eines maßgebenden Einflusses zu bejahen sei.37 Der Kommentar bestätigte also die Auffassung der »Grundsätze«. Obwohl der Sachverhalt eindeutig formuliert war, beließen Aufsichtsrat und Vorstand der Treuarbeit Kranefuß das Mandat. Erst 1939 verließ das BRABAG-Vorstandsmitglied den Aufsichtsrat der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, »da gewisse Zweifel mit Rücksicht auf die Bestimmung des § 137 AktGes aufgetaucht seien. […] Sollten die Zweifelsfragen durch eine Erklärung der zuständigen Stellen zugunsten des Herrn Kranefuß entschieden werden«, würde man ihn, bei dem besonderen Interesse, das die Gesellschaft an seinem Mandat habe, erneut in den Aufsichtsrat holen.38 1943 wurde Kranefuß, nun Leiter der Generalabteilung für Bewirtschaftung in dem von Kehrl geleiteten Planungsstab im Reichsministerium für Bewaffnung und Munition,39 erneut zugewählt. Er wurde sogleich Mitglied des Arbeits- ausschusses des Aufsichtsrates. Seit 1938 entsandten die Reichsministerien für Luftfahrt, für Verkehr und seit 1939 für Ernährung und Landwirtschaft Vertreter in den Aufsichtsrat der Treuarbeit, denn aus diesen Ministerien kamen zunehmend die Prüfungs- und Treuhandaufträge für die Gesellschaft. Die Treuarbeit, der seit 1925 beziehungsweise 1932 Vertreter der Reichs- ministerien für Finanzen und für Wirtschaft angehörten, etablierte sich mehr und mehr als »interministerielle Vertrauens-Gesellschaft«.40 Als Indiz für einen Bedeutungs- zuwachs der Treuarbeit könnte gewertet werden, dass die Reichsministerien nicht mehr nur Ministerialräte, sondern Ministerialdirektoren und Staatssekretäre in den Aufsichts- rat entsandten.41 Diese »Aufrüstung« könnte ihren Grund auch in der Sogwirkung

37 Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung (1938), 458, 459, 462. 38 BAB R 2301/6129, Bl. 16: Protokoll zur Aufsichtsratssitzung am 29.3.1939, 6 (Zitat). 39 Bähr, Dresdner Bank (2006), 120. 40 BAB R 3101/17697: »Bericht über die Entstehung, die derzeitige Lage und die Aufgaben der Deutschen Revisions- und Treuhand-Aktiengesellschaft«, erstellt vom Reichswirtschaftsministerium, Dr. Winckelmann für SS-Brigadeführer Ohlendorf, 03.7.1944, Bl. 4–7 zählt die Prüfungs- und Treu- handaufgaben auf, Bl. 7 (Zitat). 41 Finanzministerium: Richard Damm, Hugo Fritz Berger (1887–1971), Ministerialdirektor im Reichs- finanzministerium; Wirtschaftsministerium: Johannes Heintze (1881–1973), Jurist, Ministerial- direktor im Reichswirtschaftsministerium, seit 1941 Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giro- verbandes; Hans Ernst Posse (1886–1965), Jurist; Friedrich Landfried (1884–1952), Staatssekretär im Reichswirtschaftsministerium; für alle siehe: Bundesarchiv, Edition »Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik« online, Abfrage: 22.2.2008; Luftfahrtministerium: Alois Cejka, Erhard Milch (1892–1972), hoher Militär, Staatssekretär im Reichsluftfahrtministerium, ab 1942 Präsident der Deutschen Lufthansa, siehe: Deutsche Bio- graphische Enzyklopädie, 1995, Bd. 7, 138; Verkehrsministerium: Gustav Koenigs (1882–1945), Jurist, Staatssekretär im Reichsverkehrsministerium, siehe: Bundesarchiv, Edition »Akten der Reichs- kanzlei. Weimarer Republik« online, Abfrage: 22.2.2008; Wilhelm Kleinmann (*1876), Ingenieur, Staatssekretär im Reichsverkehrsministerium, siehe: Stockhorst, Köpfe (1967), 235; Ernährungs- 73 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit haben, die entsteht, wenn ein Ministerium einen höherrangigen Amtsträger in ein Gremium entsendet und andere Ministerien eine Statusgleichheit herbeiführen wollen. Aufsichtsratsmitglieder der Treuarbeit waren auch in anderen Gremien vertreten: Die Staatssekretäre Erich Neumann, Wilhelm Kleinmann, Friedrich Landfried und Herbert Backe gehörten dem »Generalrat« der Vierjahresplanbehörde an, der die Zusammen- arbeit der verschiedenen Reichsressorts koordinieren und eine Gesamtplanung erstel- len sollte. Dieses Gremium war zwar aktiv, aber relativ einflusslos. Es tagte letztmalig im Sommer 1941 und gab seine Steuerungskompetenz dann faktisch an Albert Speers »Zentrale Planung« ab.42 Mit der Organisation der Ausbeutung der UdSSR war ein Pla- nungsgremium befasst, dem ebenfalls Neumann, Kleinmann, Landfried, Backe sowie Keppler angehörten. Das Gremium legte im Frühjahr 1941 fest, dass die Wehrmacht im dritten Kriegsjahr aus Russland ernährt werden müsste. Da hierzu die ertragreichen süd- lichen Gebiete der Sowjetunion von den sogenannten »Zuschussgebieten« abgeriegelt werden sollten, wurde der Tod von Millionen Russen in Kauf genommen. Für die land- wirtschaftlichen Planungen zeichnete vorrangig Backe verantwortlich.43 Der preußische Ministerialbeamte Neumann, als Jurist und Volkswirt ausgebildet, trat erst nach der »Machtergreifung« in die NSDAP und die SS ein. Er wurde als ständiger geschäftsfüh- render Staatssekretär in der Vierjahresplanbehörde ein enger persönlicher Mitarbeiter Görings und kann als dessen Vertrauensmann im Aufsichtsrat der Treuarbeit angesehen werden. Neumann war seit 1942 Generaldirektor der Deutschen Kalisyndikat GmbH und in die Gründung der Kontinentale Öl AG (Konti-Öl) involviert, deren stellvertre- tender Aufsichtsratsvorsitzender er wurde. Diese Gesellschaft sollte, unterstützt durch die militärischen Zwangsmaßnahmen des NS-Regimes in Europa, den europäischen Mineralölmarkt dominieren.44 Neumann blieb neun Jahre im Kontrollgremium der Treuarbeit. Kleinmann, Keppler, Karl Lindemann und Otto Ohlendorf waren Mitglieder des »Freundeskreises Himmler«.45 Diesem Freundeskreis gehörte auch Hans Fischböck an, dessen – nicht verwirklichte – Mitgliedschaft im Aufsichtsrat der Treuarbeit Wilhelm Keppler im Frühjahr 1938 anregte, um »die Verbindung mit den österreichischen Ressorts enger zu gestalten«.46 Ohlendorf, bei der »Machtergreifung« erst 26 Jahre alt, hatte Rechts- und Staatswissenschaften studiert und anschließend in wirtschaftswissen-

und Landwirtschaftsministerium: Herbert Backe (1896–1947), erst Staatssekretär, später Minister im Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft, siehe: Deutsche Biographische Enzyklo- pädie (1995), Bd. 1, 82; Alfons Moritz (*1887), Jurist, Ministerialdirektor im Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft, siehe: Bundesarchiv, Edition »Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik« online, Abfrage: 22.2.2008. 42 Aly/Heim, Vordenker (1991), 58; Petzina, Autarkiepolitik (1968), 58, 136, 149. Landfried kam 1943 in den Aufsichtsrat der Treuarbeit. 43 Eichholtz, Geschichte (1999) (Nachdruck), 239–241. 44 Erich Neumann (1892–1951), Jurist, Bundesarchiv, Edition »Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik« online, Abfrage: 8.11.2008; Tooze, Ökonomie (2007), 268; Karlsch/Stokes, Faktor Öl (2003), 209, 210. 45 Vogelsang, Freundeskreis (1972), 161. 46 FAH 4E98, Bl. 44: Niederschrift der Aufsichtsratssitzung am 21.3.1938, 7. 74 Arbeitsbeziehungen und persönliche Karrieren: Aufsichtsrat und Vorstand schaftlichen Instituten in Berlin und Kiel gearbeitet. Seit 1936 im Reichssicherheits- hauptamt tätig, machte er dort zügig Karriere und wurde im Herbst 1939 Chef des innerdeutschen Nachrichtendienstes der SS. In den Jahren 1938 und 1939 erwarb er sich als Geschäftsführer der Reichsgruppe Handel den Ruf eines Fachmannes für mittel- standsorientierte Wirtschaftspolitik. Als Kommandeur der SS-«Einsatzgruppe D« war er zwischen Juni 1941 und Juli 1942 in der Sowjetunion für die Ermordung von mindestens 90.000 Menschen verantwortlich. Im November 1943 wurde er als Ministerialdirektor in das Reichswirtschaftsministerium berufen.47 Mit diesem hochrangigen SS-Führer kam im Sommer 1944 »einer der hochkarätigen technokratischen Vordenker des künftigen SS-Staates« in den Aufsichtsrat der Treuarbeit.48 Die Berufung von Vertretern aus mehr und mehr Ministerien stand nicht allein im Zusammenhang mit einem erweiterten Aufgabengebiet der Treuarbeit. Bei der Zuteilung von Prüfungskapazitäten wollten sich die Ministerien offenbar gegenseitig kontrollieren, um Mengenvorteile einzelner Ressorts nicht entstehen zu lassen.49 So ist es wohl auch zu erklären, dass die Treuarbeit eine Ausnahmegenehmigung für die Anzahl ihrer Auf- sichtsratsmitglieder erhielt. Nach Inkrafttreten des neuen Aktiengesetzes im Januar 1937 hätte die Treuarbeit die Mandate eigentlich auf sieben begrenzen müssen.50 Der Vor- stand der Treuarbeit beantragte jedoch erfolgreich beim Reichswirtschaftsministerium, der zuständigen Aufsichtsbehörde des Wirtschaftsprüferberufsstandes, die Anzahl der Aufsichtsratsmitglieder auf bis zu 15 Mitglieder erhöhen zu dürfen. Begründet wurde der Antrag damit, dass die Aufsichtsratsmitglieder ja »keine reinen Kapitalinteressen, sondern vielmehr Arbeitsinteressen« vertreten würden. Daher »müssten diejenigen Stellen, die durch die Arbeitsgebiete der Treuarbeit mit dieser besonders eng verbunden seien, auch im Aufsichtsrat vertreten sein.«51 Allzu groß schien das Interesse etlicher Auf- sichtsratsmitglieder an einem persönlichen Erscheinen nicht gewesen zu sein. An den Sitzungen des Aufsichtsrats nahmen in der Regel nur zwei Drittel der Mitglieder teil. So ist beispielsweise eine Teilnahme Backes an einer Aufsichtsratssitzung während seiner Mitgliedschaft nicht nachweisbar. Wilhelm Zangen und Karl Lindemann nahmen nur zweimal an einer Aufsichtsratssitzung teil.52 Eine regelmäßige Teilnahme ist hingegen bei Heinrich Müller, dem Nachfolger von Saemisch als Präsident des Reichsrechnungs- hofes, sowie den Mitgliedern Damm, Heintze, Stengel und Trendelenburg festzustellen.

47 Eichholtz, Geschichte (1999) (Nachdruck), 165, 166; Weiß, Lexikon (2002), 342, 343; Sowade, »Otto Ohlendorf« (1999),190–192, 196. 48 Zur Charakterisierung Ohlendorfs siehe: Wehler, Gesellschaftsgeschichte (32008), 922 (Zitat); ob dem Vorstand der Treuarbeit Ohlendorfs Planungen für die Nachkriegszeit bekannt waren, ist aus dem vor- liegenden Quellenmaterial nicht ersichtlich. 49 BAB R 3101/17697: »Bericht über die Entstehung, die derzeitige Lage und die Aufgaben der Deutschen Revisions- und Treuhand-Aktiengesellschaft«, erstellt vom Reichswirtschaftsministerium, Dr. Winckelmann für SS-Brigadeführer Ohlendorf, 3.7.1944, Bl. 2; Winckelmann spricht von »Unabhängigkeit von einseitigen Ressortswünschen«. 50 Nach § 86 (1) AktG. 51 FAH 4E98, Bl. 57: Niederschrift der Aufsichtsratssitzung am 5.3.1938, 6, 7. 52 Niederschriften der Aufsichtsratssitzungen liegen für den Zeitraum März 1937 bis November 1944 vor. Allerdings dürfte das Quellenmaterial nicht vollständig sein. 75 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit Die Sitzungsprotokolle zeigen kaum mündliche Beteiligung der Aufsichtsratsmitglieder. Wiederkehrende Themen der Sitzungen waren Geschäftsentwicklung und Aufgaben- übernahme, Ausbau des Niederlassungsnetzes und zunehmende Anspannung des Personalbestandes sowie Neubesetzung von Aufsichtsrats- und Vorstandspositionen. Die geringe Dauer mancher Aufsichtsratsmandate lässt die Frage nach dem Ein- fluss von Ministerien auf die Treuarbeit aufkommen: So blieben Friedrich Landfried vom Reichswirtschaftsministerium nur ein Jahr, Gustav Koenigs vom Reichsluftfahrt- ministerium nur zwei Jahre und Herbert Backe vom Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft nur drei Jahre im Aufsichtsrat. Allerdings vermittelte Landfried der Treuarbeit im Sommer 1943 eine Zusammenarbeit mit dem Wirtschafts- und Verwal- tungshauptamt der SS. In der Folgezeit beriet Vorstandsmitglied Richard Karoli den SS-Konzern Deutsche Wirtschaftsbetriebe beim grundlegenden Aufbau einer Revisions- abteilung.53 Indizien für einen Einfluss auf die Arbeit der Treuarbeit können die Position des Auf- sichtsratsvorsitzenden und die Mitgliedschaft im Arbeitsausschuss sein. In den Jahren 1933 bis 1943 gab es einen Doppelvorsitz, der von einem Mitglied des Reichsrechnungs- hofes – zunächst Saemisch, dann Müller – und einem Parteifunktionär – zunächst Reiner, dann Keppler – gebildet wurde. Nach dem Ausscheiden Kepplers 1943 hatte Müller den alleinigen Vorsitz inne. Die beiden stellvertretenden Vorsitzenden kamen aus dem Reichsfinanzministerium (Damm und Berger), dem Preußischen Staats- ministerium (Neumann, bis 1942) und dem Reichswirtschaftsministerium (Landfried, Ohlendorf, ab 1943). Dem Arbeitsausschuss gehörten fünf bis sieben Aufsichtsratsmitglieder an.54 Geborene Mitglieder waren die Aufsichtsratsvorsitzenden und die stellvertretenden Vorsitzenden, ferner waren im Ausschuss die Aktionäre durch Trendelenburg für die VIAG und Scheche (ab 1943) für Preußen vertreten. Ohne funktionelle Zuordnung war Kranefuß Mitglied im Ausschuss. Der Ausschuss entschied über maßgebende Personalia, denn er bestellte die Vorstandsmitglieder, bestätigte die Prokuraerteilungen und bereitete die Zuwahl neuer Aufsichtsratsmitglieder vor.55 Ferner übte der Aus- schuss die Überwachungsfunktionen für den Gesamtaufsichtsrat aus, für den er auch den Bilanzprüfungsbericht empfing.56 Der Ausschuss bewilligte auch die Mittel für den

53 BAB NS 3/1004, Bl. 10–14: Vermerk von SS-Oberführer Baier »Prüfung der wirtschaftlichen Betriebe der Schutzstaffel (historische Entwicklung)«, 22.4.1944. Hierzu siehe die im Abschnitt »Vorstands- mitglieder« folgenden Ausführungen zum Vorstandsmitglied Richard Karoli. 54 Mitglieder sind erstmals in der Sitzung des Aufsichtsrates am 21.4.1938 genannt. Der Arbeitsaus- schuss wird erstmals im Geschäftsbericht des Jahres 1937 erwähnt. Ob vorher schon ein Arbeitsaus- schuss bestanden hat, ist nicht bekannt. 55 FAH 4E98, Bl. 14: Niederschrift über die Aufsichtsratssitzung am 2.11.1938, 2; BAB R 2301/6129a, Bl. 15: Niederschrift über die Aufsichtsratssitzung am 29.3.1939, 5. Es ist nicht belegt, aber zu ver- muten, dass in Ministerien oder der Parteibürokratie Vorentscheidungen für Mandate getroffen wurden. 56 FAH 4E98, Bl. 40: Niederschrift über die Aufsichtsratssitzung am 21.4.1938, 3; in dieser Sitzung wurden auch die seinerzeit sieben Mitglieder des Arbeitsausschusses (AA) festgelegt. In den nächsten 76 Arbeitsbeziehungen und persönliche Karrieren: Aufsichtsrat und Vorstand Bau und das Inventar des neuen Bürogebäudes in der Jägerstraße 10/11 in Höhe von RM 1.130.000. Er beriet zudem die vom Vorstand erstellten Richtlinien einer Alters- und Hinterbliebenenversorgung für die Mitarbeiter der Treuarbeit.57 Das dringendste Problem der Treuarbeit seit den späten 1930er Jahren, die Perso- nalknappheit, wurde dadurch verschärft, dass die »Arbeitsbereiche« der Aufsichtsräte Mitarbeiter der Treuarbeit abwarben. Der Vorstand der Treuarbeit bat die Aufsichtsrats- mitglieder, die geprüften Firmen an der Abwerbung zu hindern. Er ging demnach von einem »Durchgriff« der Ministerien auf die Unternehmensleitungen aus. Ausdrücklich stellte Erhard Milch »seine Mithilfe in Aussicht, falls sich bei den zu seinem Arbeits- gebiet gehörenden Firmen irgendwelche Unzuträglichkeiten ergeben sollten.«58 1933 kam der Direktor der Deutschen Lufthansa als Staatssekretär in das neu geschaffene Luftfahrtministerium unter Göring, um die deutsche Luftwaffe aufbauen. Als General- luftzeugmeister beherrschte Milch das gesamte Luftrüstungsprogramm. Aufgrund sei- ner Erfahrungen und Talente wurde er Anfang 1942 gemeinsam mit Speer und Sauckel Leiter der »Zentralen Planung«. Diese Instanz entschied über Rohstofferzeugung und -verteilung, Energieeinsatz und Transportwesen. Nachdem Milch die Versorgung der 6. Armee bei Stalingrad misslang, wurde er 1944 aller Ämter enthoben.59 In Personalfragen zeigten sich die Grenzen des Einflusses des Aufsichtsrates. Den Weggang von Führungskräften der Treuarbeit auf Druck von Gauleitern konnten auch die Mandatsträger nicht verhindern.60 Die Entscheidung, der Treuarbeit das Prü- fungsmonopol für das Wirtschafts-Sondervermögen und die Ostgesellschaften in den besetzten Ostgebieten zu übertragen, fiel in einer interministeriellen Besprechung. Der Aufsichtsrat konnte die Treuarbeit vor dieser ungeliebten Aufgabenübernahme nicht bewahren.61 Im Aufsichtsratsvorsitzenden Heinrich Müller hatte die Treuarbeit sogar einen engagierten Gegner. Müller musste der fortwährenden Entmachtung des RRH zusehen, während die Treuarbeit ihre Geschäfte im In- und Ausland stetig ausweitete.62 Er sprach sich beispielsweise für die Auflösung der in den besetzten Ostgebieten gegrün- deten Tochtergesellschaft der Treuarbeit aus.63

Jahren wurde der AA zunächst auf sechs, ab November 1942 dann auf fünf Mitglieder reduziert; FAH 4E98, Bl. 55: Niederschrift über die Aufsichtsratssitzung am 5.3.1938, 4. 57 FAH 4E98, Bl. 102, 106: Niederschrift über die Aufsichtsratssitzung am 23.3.1937. 58 BAB R 2301/6129a, Bl. 18: Niederschrift über die Aufsichtsratssitzung am 29.3.1939, 7. 59 Zur Charakterisierung Milchs: Eichholtz, Geschichte (1999) (Nachdruck), 82, 83; Weiß, Lexikon (2002), 320, 321; Kröll, »Fall 2« (1999), 86–98. 60 BAB R 2/17658: Niederschrift über die Sitzung des Arbeitsausschusses des Aufsichtsrats am 11.3.1942: Erwin Rehbinder, Mitleiter der Zweigniederlassung Danzig, ging auf Intervention des Gauleiters Forster; BAB R 2/17658: Niederschrift über die Sitzung des Aufsichtsrats am 16.12.1942: Dr. Oberste-Padberg, Niederlassung Saarbrücken, schied nach Intervention des Gauleiters Simon aus der Treuarbeit aus. 61 BAB R 2/17658: Niederschrift über die Sitzung des Arbeitsausschusses des Aufsichtsrates am 24.11.1942, 2, 3. 62 Weinert, Sauberkeit (1993), 79. 63 BAB R 43 II/662a, Bl. 45: Präsident des Rechnungshofs des Deutschen Reichs an General von Unruh, 9.3.1943. 77 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit Zwischenfazit

Der Aufsichtsrat der Treuarbeit erfuhr im Zeitraum von 1925 bis 1945 deutliche Ver- änderungen. In den Jahren der Weimarer Republik dominierten Vertreter der Ministerialbürokratie aus den Rechnungshöfen des Reiches und Preußens sowie aus den Finanz- und Wirtschaftsministerien den Aufsichtsrat. Vertreter aus der Wissenschaft und dem Privatbankensektor zeigten außerdem die Anerkennung, die die Treuarbeit aus diesen Bereichen erhielt. Zur bisherigen Staatsnähe der Treuarbeit kam nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten die Parteinähe hinzu, denn überzeugte Nationalsozialisten stellten einen Gutteil der Gremienmitglieder. Das neue Regime war durch loyale Ministerialbeamte, durch Karrieristen wie Milch und Neumann sowie durch etliche radikale Nationalsozialisten präsent. Hierzu gehörten Keppler, Kranefuß und Albrecht sowie Backe, Görlitzer, Müller und Ohlendorf. Bis auf Kranefuß waren alle seit den 1920er Jahren NSDAP-Mitglieder und mit Ausnahme von Albrecht und Görlitzer Mitglieder der SS. Die Protokolle der Aufsichtsratssitzungen vermitteln den Eindruck, dass die Aufsichtsräte zu kontrollieren hatten, ob die Treuarbeit die von Ministerien und NS-Institutionen gestellten Aufgaben befriedigend erfüllte. Einfluss nahmen die Behörden schon zuvor selbst durch Beauftragung von Prüfungen und die Aufforderung, Niederlassungen in besetzten Regionen einzurichten.64 Aufsichtsrats- mandate folgten dieser Beauftragung. Unterstützung der Treuarbeit durch einzelne Aufsichtsräte war, wie das Beispiel Landfrieds zeigt, durchaus gegeben; sie endete aber beim Kampf um Personal und bei der Frage der Prüfungsbeauftragung für die besetzten Ostgebiete: offensichtlich traute sich kein Aufsichtsratsmitglied, dem interministeriellen Beschluss zu widersprechen. Eine Einflussnahme von Aufsichtsratsmitgliedern im Sinne eines Oktroyierens ist hingegen nicht erkennbar. Über die Mitgliedschaft ihrer Aufsichtsräte in Gremien, Behörden und Unternehmen, deren Existenz durch die Wirtschaftspolitik des NS-Regimes begründet wurde, verfügte die Treuarbeit über vielfältige Verbindungen zu den Zentren der Kriegswirtschaft in Staat und Partei, seien es Keppler, Göring oder Speer, Ministerien oder die SS. Gerade Kranefuß war für die Treuarbeit ein zentraler Verbindungsmann zu verschiedenen Institutionen, weshalb dem Vorstand an seinem Verbleiben im Aufsichtsrat und der Berufung in den Arbeitsausschuss so gelegen war. Offensichtlich gelang es dem Vor- stand, das Vertrauen aller, zum Teil auch untereinander konkurrierender Institutionen zu erwerben; eine Ausnahme bildete nur der Präsident des Reichsrechnungshofes Müller. So erhielt die Treuarbeit Informationen zu wirtschaftspolitischen Maßnahmen aus erster Hand und vor anderen Berufsangehörigen. Durch direkte und mittelbare Kontakte konnte die Treuarbeit persönliches Vertrauen aufbauen, was sich zweifellos positiv auf eine Geschäftsausweitung und die Berufswege karriereorientierter Vorstands- mitglieder und Führungskräfte der Treuarbeit auswirkte.

64 Siehe Kapitel 3.4 und 4.1. 78 Arbeitsbeziehungen und persönliche Karrieren: Aufsichtsrat und Vorstand Tabelle: Die Aufsichtsratsmitglieder der Treuarbeit Name/Jahr ’33 ’34 ’35 ’36 ’37 ’38 ’39 ’40 ’41 ’42 ’43 ’44 ’45 Albrecht M M M M M M M M M M M NSDAP Backe M M M M REM Berger S S S S S RFM Cejka M M M RLM Claußen M M M M M Damm S S S S S S S S RFM Görlitzer M M M M M M M M NSDAP Heintze M M M M M M M M M M M M M RWM/DSGV Keppler V V V V V V V V V NSDAP Kleinmann M M M RVM Koenigs M M M RVM Kranefuß M M M M AA AA AA AA NSDAP Krupp M M M M M M M Industrie Landfried S S RWM Lindemann M M M M M M M Milch M M M M M M RLM Moritz M M M REM Müller V V V V V V V V RRH Mussehl M M PrOK Neumann S S S S S S S S S S 4-Jahres-Pl. Ohlendorf S S SS/RWM Posse AA AA AA AA AA AA AA RWM Reiner S S NSDAP Saemisch V V V V V V RRH Scheche M M AA AA AA PrFM Stengel M M M M M M M M M M M M M RRH Trendelenburg M M M M AA AA AA AA AA AA AA AA VIAG Verlohr M M Preußen Von Heppe M M PrOK Zangen M M M M M M M Industrie

AA Arbeitsausschuss M einfaches Mitglied S stellvertretender Vorsitz V Vorsitz

79 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit Die Vorstandsmitglieder der Treuarbeit

Im Vorstand der Treuarbeit kam es nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten zu einem fast vollständigen Austausch des Personals. Zum Ende des Geschäftsjahres 1933 schieden zwei der drei Vorstandsmitglieder aus. Das stellvertretende Vorstandsmitglied Richard Böhm, seit 1920 bei der Treuarbeit tätig und seit März 1926 im Vorstand, war zum zweiten Mal durch das Wirtschaftsprüferexamen gefallen.65 Walter Susat hingegen musste das Amt »aus politischen Gründen« niederlegen.66 Der 1883 geborene Ostpreuße sammelte als Direktionsassistent bei der Treuhand-Vereinigung zwischen 1907 und 1909 erste Erfahrungen im Prüfungs- und Treuhandwesen, bevor er 1911 in den Vorstand der Treuhand AG in Köln eintrat.67 Dieser Gesellschaft gehörte sein ehemaliger akademischer Lehrer, Eugen Schmalenbach, als Aufsichtsrat an. Danach war der gelernte Bankkauf- mann und studierte Diplomkaufmann zwischen 1917 und 1928 als leitender Ministerial- beamter zunächst im Kriegsernährungsamt, dann im Reichswirtschaftsministerium und im Statistischen Reichsamt tätig. In diesen Institutionen nahm er Überwachungsarbeiten vor und führte Branchen-Untersuchungen durch. Susat war ein Vertreter der noch jungen Disziplin Betriebswirtschaftslehre, die infolge des Ersten Weltkrieges Zugang zur staat- lichen Administration und damit erste öffentliche Akzeptanz erhielt.68 Gemeinsam mit Leo Quassowski, einem der Autoren der Aktienrechtsverordnung vom 19. September 1931, verfasste Susat 1924 einen Kommentar zur Goldmarkbilanz.69 Susat wies demnach eine beachtliche Karriere vor und verfügte über einschlägige berufliche Erfahrungen, als er im Sommer 1928 in den Vorstand der Treuarbeit berufen wurde. Gleichzeitig ernannte ihn der Rechnungshof des Deutschen Reiches zum Berater in kaufmännischen Angelegenheiten. Nach seinem Ausscheiden aus der Treuarbeit plante Susat, in die Deutsche Warentreu- hand einzutreten. Dies geschah jedoch nicht; stattdessen arbeitete er als selbstständiger Wirtschaftsprüfer. Susat war weiterhin Bilanzsachverständiger bei der Reichsbahn und Mitglied im wichtigsten Fachausschuss des Berufsverbandes, dem Institut der Wirtschafts-

65 GStAPK I HA Rep. 151 IA Nr. 37: Aktenvermerk von Walter Hesse zu Richard Böhm vom 15.12.1933. 66 Böhms Vertrag lief bis zum 31. Dezember 1934, der Vertrag Susats bis zum 30. Juni 1936. VIAG, Reichsfinanzministerium und Rechnungshof des Deutschen Reiches entschieden, dass Böhm eine Abfindung von rund 24.000 RM und Susat von 80.000 RM erhielt, siehe: GStAPK I HA Rep. 151 IA Nr. 38: Aktenvermerk zur Abfindung für Böhm vom 24.1.1934; BAB N 1171 (Nachlass Friedrich Saemisch) Nr. 197, Bl. 22–24: Brief der VIAG an Richard Damm, Reichsministerium der Finanzen vom 28.12.1933 zur Abfindung für Susat. 67 Zur Biografie Susats siehe: GStAPK I HA Rep. 151 IA Nr. 38: Aktenvermerk zu den Gründen für das Ausscheiden Böhms und Susats vom 24.1.1934; BAB N 1171, Nr. 197 (Nachlass Friedrich Saemisch), Bl. 22–24: Brief der VIAG an Damm (Reichsfinanzministerium), 28.12.1933. In den Quellen wird nichts zur Erläuterung der »politischen Gründe« ausgeführt. Ausdrücklich wird jedoch gesagt, dass das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums keine Anwendung auf Susat finde. Insofern ist Pega einem Irrtum unterlegen (siehe: Pega, Tätigkeit (2010), 130). Susat selbst belässt es ebenfalls bei dieser allgemeinen Darstellung (»politische Gründe«), als er anlässlich seines 70. Geburtstages ein Interview gibt: Mundorf, »Susat« (1953), 311. 68 Mantel, Betriebswirtschaftslehre (2009), 18, zur Entwicklung der Disziplin im Ersten Weltkrieg. 69 Titel des Kommentars: »Verordnung über Goldbilanzen vom 28. Dezember 1923 mit Durchführungs- verordnungen«, Mannheim 1924. 80 Arbeitsbeziehungen und persönliche Karrieren: Aufsichtsrat und Vorstand prüfer (IDW), dem Allgemeinen Fachausschuss.70 Dieser Ausschuss erarbeitete und ver- öffentlichte »Fachgutachten«: Dies waren grundlegende Definitionen zur einheitlichen Berufsauffassung, insbesondere zum Umfang und zur Entwicklung der Pflichtprüfung, zum Inhalt des Prüfungsberichtes und zur Aufstellung von Konzernbilanzen.71 Der Wirtschaftsprüfer Walter Hesse war seit Oktober 1932 im Vorstand der Treu- arbeit und blieb nach dem Ausscheiden Böhms und Susats in der ersten Hälfte des Jahres 1934 allein. Hesse, 1885 geboren, hatte viele Jahre in leitender Funktion bei der Dresdner Bank gearbeitet, bevor er zur Treuarbeit kam. 1933 bestand er sein Wirtschafts- prüferexamen und wurde als der an Jahren und Dienstzeit Älteste im Vorstand der Treu- arbeit der »Betriebsführer« der Gesellschaft. Er war auch für Personalfragen zuständig.72 Der Vorstand der Treuarbeit bestand seit 1926 aus drei oder vier Vorstands- mitgliedern, von denen mindestens einer ein stellvertretendes Mitglied war. Im Jahr 1934 stieg die Zahl der Vorstandsmitglieder auf sechs, wobei die Neuzugänge aus dem Unternehmen und von außen kamen. Die Wirtschaftsprüfer Fritz Rudorf und Dr. Fritz Rittstieg sowie der Jurist Dr. Ernst Hellmut Vits wurden zu stellvertretenden Vorstands- mitgliedern bestellt.73 Rudorf74 und Vits75 waren seit 1929 in der Treuarbeit tätig. Der 1897 in Radolfzell geborene Betriebswirt Rittstieg hatte vor seinem Studium eine Bank- lehre absolviert und stieg im Bankenbereich vor seinem Eintritt in die Treuarbeit bis zum Bankdirektor auf. Er blieb bis zum Ende der NS-Zeit im Vorstand der staatlichen Treuhandgesellschaft.76 Zusätzlich zu seiner Vorstandstätigkeit nahm Rittstieg seit 1938 die Aufgabe eines Veräußerungstreuhänders des Reiches im Rahmen der »Arisierung« der Konzerne Petschek und Weinmann im Sudetenland wahr.77 Auf der Grundlage

70 BAB PK M 118: Personalliste W für Wirtschaftsprüfer der Reichskammer der Wirtschaftstreuhänder »Susat, Walter«, 1944; WP-Nachrichten (1937), 92; Bilanzsachverständiger der Reichsbahn war Susat bis 1940 – siehe: Mundorf, »Susat« (1953), 311. 71 Der »Allgemeine Fachausschuss« hatte zunächst den Namen »Fachausschuss für Fragen der Wirt- schaftsprüfung« – siehe WP-Nachrichten (1932), 97 und WP-Nachrichten (1933), 146. Die andere Bezeichnung als »Hauptfachausschuss« begegnet in WP-Nachrichten (1935), 135; Richtlinien zur Facharbeit des Wirtschaftsprüfers, Beachtung der Gutachten des Fachausschusses, in: WP-Nach- richten (1934), 288, 289. 72 Geschäftsbericht der Treuarbeit für das Geschäftsjahr 1932; BAB PK E 0181: Personalliste W für Wirt- schaftsprüfer der Reichskammer der Wirtschaftstreuhänder, 4.4.1944; BAB R 8135/8628: Protokoll der Sitzungen des Vorstandes mit den Abteilungsleitern, 16. Sitzung vom 15.5.1942; LAB Entnazi- fizierungsakte Walter Hesse B Rep. 004 Nr. 924 Vorgang OA 5483. 73 FAH 4E98, Bl. 250–251: Brief der Treuarbeit an Gustav Krupp vom 5.7.1934. 74 Ahrens, Dresdner Bank (2007), 472, zur Biografie Rudorfs. 75 BAB R 2301/6129 (Bd. 2), Bl. 16: Protokoll zur Aufsichtsratssitzung am 29.3.1939, 5, zum zehn- jährigen Dienstjubiläum Vits’ bei der Treuarbeit. 76 BAB PK 0215: Personalliste W für Wirtschaftsprüfer der Reichskammer der Wirtschaftstreuhänder, hierin erklärte Rittstieg am 12. Mai 1943, er sei bis 1935 als Bankangestellter tätig gewesen, zuletzt als Bankdirektor. Da er bereits 1934 in den Vorstand der Treuarbeit berufen wurde, kann die Jahresan- gabe nicht stimmen. Im Entnazifizierungsverfahren ist als Eintrittsjahr in die Treuarbeit das Jahr 1932 genannt (LAB C Rep. 031-02-19 Nr. 96: »Fragebogen Work Sheet«). 77 StA W NWA 2/5413 (Westböhmischer Bergbau-Actien-Verein), NWA 2/5395 (Brucher Kohlen- werke), NWA 2/5396 (Duxer Kohlengesellschaft), NWA 2/5398 (Britannia Kohlenwerke). Im Detail siehe Kapitel 4.2. 81 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit der »Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens« vom 3. Dezember 1938 setzte das Reichswirtschaftsministerium (RWM) Dr. Karl Leising als Treuhänder für die Petschek-Firmen ein. Die Reichswerke »Hermann Göring«, das RWM und der Flick- Konzern planten, die Braunkohlewerke der Petschek-Konzerne an Flick zu übergeben, der im Tausch dafür eigene Steinkohlewerke an die Reichswerke abgeben sollte. Da der Flick-Konzern nicht direkt mit dem Petschek-Konzernen in Verbindung treten wollte, wurde für die Abwicklung der Transaktion die Deutsche Kohlenbergbau-Gesellschaft (DKG) gegründet. Repräsentant der DKG und Vertragspartner Leisings war Fritz Ritt- stieg.78 Rittstieg gewann auch das Vertrauen Paul Pleigers, des Generaldirektors der Reichs- werke »Hermann Göring«, der ihm im Sommer 1944 die Reorganisation der kaufmän- nischen Verwaltung der Reichswerke anvertrauen wollte. Die Treuarbeit prüfte seit 1938 praktisch alle zum Reichswerke-Komplex gehörenden Gesellschaften. Pleiger wollte Rittstieg »weitgehend persönlich«, eventuell in der Position eines »kommissarischen Geschäftsführers«, heranziehen. Der Aufsichtsrat der Treuarbeit lehnte dies jedoch ab.79 Im Vorstand war Rittstieg für die Außenstellen Danzig, Prag, Reichenberg und Katto- witz sowie für das Bilanz- und Rechnungswesen zuständig.80 Seit 1942 war er Vorsitzen- der des Ehrengerichtes im Berufsverband IDW.81 Mit Wirkung vom 1. Juni 1934 wurde der langjährige NSDAP-Parteifunktionär Her- bert Albrecht aus dem Aufsichtsrat in den Vorstand berufen. Seine Delegation war aller- dings von Anfang an als eine vorübergehende geplant und endete im November 1935. Albrecht sollte vermutlich die Vorstandsmitglieder beobachten und einen Überblick über firmeninterne Arbeitsvorgänge gewinnen; letztlich sollte er wohl feststellen, ob der neue Vorstand politisch zuverlässig arbeitete. Er selbst übernahm die Arbeitsgebiete »Russenkredite und Siedlungswesen«.82 Ebenfalls zum 1. Juni 1934 wurde Dr. Wilhelm Voss in den Vorstand der Treuarbeit berufen. Voss war im Berufsstand der Wirtschaftsprüfer ein sehr prominenter Mann. Über viele Jahre war er zunächst Syndikus, dann Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Verbandes Deutscher Bücherrevisoren (VDB) und Schriftleiter des Verbandsorgans »Archiv für das Revisions- und Treuhandwesen«.83 In den späten 1920er Jahren trat er

78 Thieleke, Fall 5 (1965), 430–448, 495 (Anmerkung 51); Bähr/Drecoll u. a., Flick-Konzern (2008), 346, 357, 358, 369, Leising war leitender Mitarbeiter bei der Preussag; Trials of war criminals before the Nuernberg Military Tribunals under control council law no. 10, Nuernberg, October 1946 – April 1949, Vol. VI (2), 547–550, Dokument NI-3439 (Vertrag über den Verkauf der Niederlausitzer Kohlenwerke AG, 8.9.1939 zwischen Leising und Rittstieg/DKG); Wixforth, Expansion (2006), 140, 141. 79 BAB R 3101/17697, Bl. 32, 33: Niederschrift über die Sitzung des Arbeitsausschusses des Aufsichts- rates am 22.8.1944, 5, 6. 80 BAB R 8135/5899: Protokoll über die Sitzungen des Vorstandes mit den Abteilungsleitern, 10. Sitzung vom 28.4.1941; FAH 4E98, Bl. 14: Niederschrift zur Aufsichtsratssitzung am 2.11.1938. 81 LAB C Rep. 031-02-19, Nr. 96, Fragebogen zur Entnazifizierung. »IDW« ist »Institut der Wirtschafts- prüfer«. 82 FAH 4E98, Bl. 250–251, Brief der Treuarbeit an Gustav Krupp vom 5.7.1934; FAH 4E98, Bl. 191, Brief von Wilhelm Keppler an Gustav Krupp vom 18.6.1935. 83 Vertrauliche Mitteilungen VDB, 13. Jg. (1931), 82; Gerhard, 60 Jahre (1956), 80. 82 Arbeitsbeziehungen und persönliche Karrieren: Aufsichtsrat und Vorstand mit verschiedenen Publikationen für eine gesetzliche Regelung des Berufsstandes der Bücherrevisoren hervor.84 1931 machte er sich als Wirtschaftsprüfer selbstständig. Zu seinen Kunden gehörten die I. G. Farbenindustrie AG und die Felten & Guilleaume Carlswerk AG. Beziehungen zur chemischen Industrie waren vermutlich durch seine Tätigkeiten bei Verbänden der chemischen Industrie in den frühen 1920er Jahren ent- standen. Er blieb dem VDB jedoch im Vorstand und in vereinseigenen Ausschüssen verbunden.85 Voss gehörte zum Gründungsvorstand des IDW im Jahr 1932 und setzte sich nach der »Machtergreifung« mit drei weiteren Wirtschaftsprüfern putschartig mit einem »Aktionsausschuss« an die Spitze des Verbandes. Der Ausschuss sicherte der neuen nationalsozialistischen Regierung die Unterstützung des Berufsverbandes zu und sprach sich in einem »Nationalprogramm der Wirtschaftsprüfer« sogleich dafür aus, die öffentliche Bestellung von Wirtschaftsprüfern »jüdischer Abkunft« auszusetzen.86 Voss blieb bis 1938 im »Führerrat« des IDW. Dieser aus fünf Personen bestehende Rat löste 1935 den vielköpfigen IDW-Vorstand ab und beriet den »Institutsführer« Dr. Otto Mönckmeier. Voss trat 1934 in die Allgemeine SS ein und stieg bis zum Standartenführer auf.87 Seit dieser Zeit gehörte er auch zum »Freundeskreis Himmler«. Für die Treuarbeit war es vorteilhaft, dass Voss seine Kundenkartei mitbrachte; diese Kunden bestellten offenbar zu einem großen Teil die Treuarbeit als neuen Abschlussprüfer. Voss erhielt eine »Vergütung« von 350.000 RM für die »Übernahme« seiner Kundenkartei.88 Er verließ die Treuarbeit im Sommer 1938, um in den Vorstand der Reichswerke AG für Erzberg- bau und Eisenhütten »Hermann Göring« einzutreten.89 Voss wirkte schon seit Juni 1937 aktiv an der Gründung der Reichswerke und ihrer Finanzierung mit.90 Bei dem 5. Internationalen Wirtschaftsprüferkongress Mitte September 1938 in Berlin hatte er das Amt des Vizepräsidenten inne.91 In den Folgejahren war Voss Aufsichtsratsmitglied vieler Firmen, die zum Reichswerke-Komplex gehörten, und er war Generaldirektor der

84 Titel von Wilhelm Voss: Die obligatorische Revision im Rahmen des Aktienrechts (Heft 4 der Gesell- schaftsrechtlichen Abhandlungen, hrsg. von A. Nußbaum) Berlin 1927; Betrachtungen zur Bilanz- reform, in: Zeitgemäße Steuer- und Finanzfragen, hrsg. von Max Lion, Berlin, Heft 6/7, 1928, 167– 182; Handbuch für das Revisions- und -Treuhandwesen, Stuttgart 1930 sowie zahlreiche Aufsätze. 85 VDB-Nachrichten (1933), 252–253. 86 In der Vorstandssitzung des IDW am 3.4.1933 mussten die Vorstandsmitglieder »jüdischer Abkunft«, Orenstein und Manasse ihre Ämter niederlegen. IDW-Vorstandsmitglied Susat, aus dem Vorstand der Treuarbeit, stellte sein Amt ebenfalls zur Verfügung. Das »Nationalprogramm der Wirtschaftsprüfer« wurde den zuständigen Ministerien, der Reichsbank und den Länderregierungen zugesandt. O. V.: »Zur politischen Lage!«, in: WP-Nachrichten, Vertrauliche Mitteilungen des Instituts der Wirtschafts- prüfer, 1933, 61; nach Markus, Wirtschaftsprüfer (1996), 52 gehörten Wanieck und Bodenstein der NSDAP, Horn und Voss der Deutsch-Nationalen Volkspartei DNVP an. 87 BAB Personaldatenbank SS 212B: Lebenslauf aus dem Jahr 1934, Vermerk zur Beförderung zum SS- Standartenführer vom 26.1.1942. 88 BAB R 2301/6129, Bl. 25 ff.: Bericht des Rechnungshofes des Deutschen Reiches über die Geschäfts- entwicklung der Treuarbeit in den Jahren 1933–1938, hier: Bl. 35. 89 FAH 4E98, Bl. 35: Treuarbeit an Gustav Krupp am 16.6.1938; zum Übergang von Voss zu den Reichswerken siehe im Detail: Pega, Tätigkeiten (2010), 101. 90 BAB R 2/21586: Aktenvermerk des Reichsfinanzministeriums, betrifft: Erzfrage, 8.7.1937, 1, 4. 91 Kongreß-Archiv 1938, Bd. A, 283. 83 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit Škoda-Werke, eines der größten Produzenten der deutschen Rüstungsindustrie.92 Er konzentrierte sich auf Göring, dem »Freundeskreis Himmler« blieb er fern.93 Ein Jahr nach seinem eigenen Eintritt in den Vorstand der Treuarbeit holte Voss 1935 seinen Sozius Dr. Richard Karoli, mit dem er schon seit 1925 beim VDB zusammenge- arbeitet hatte und der ihm anschließend in seine Wirtschaftsprüferpraxis als »erster Mit- arbeiter« gefolgt war, als stellvertretendes Vorstandsmitglied in die Treuarbeit.94 Diesen Transfer hatte Voss bereits bei seinem Eintritt in die Treuarbeit ausgehandelt.95 Richard Karoli wurde 1903 im rumänischen Hahnbach/Siebenbürgen geboren und erhielt im April 1931 die deutsche Staatsangehörigkeit. Schon seit 1922 studierte er in Deutsch- land und machte in den Jahren 1924 bis 1928 die drei Abschlüsse Diplom-Kaufmann, Diplom-Volkswirt und Diplom-Bücherrevisor. Da ihm eine Mitgliedschaft in einer Parteiorganisation hilfreich für seine Dissertation erschien, trat er 1934 in den NSKK ein, dem er aber nur ein Jahr angehörte.96 Im Vorstand der Treuarbeit fungierte Karoli als »Sachbearbeiter für Obergutachten in Arisierungsfällen« und war zuständig für den wichtigsten Prüfungssektor der Treuarbeit, die Luftfahrtindustrie.97 Karoli reiste viel, um die Verbindungen zu den zahlreichen Niederlassungen der Treuarbeit in den vom NS-Regime besetzten Ländern aufrechtzuerhalten und an Schlussbesprechungen teil- zunehmen. Er war in ganz Europa unterwegs, zumeist in den Niederlanden, in Belgien und in Frankreich.98 Nachdem Karoli Vorstandsmitglied der Treuarbeit geworden war, betreute er einige ehemalige Mandanten von Voss weiterhin persönlich. So testierte er die Bilanzen der Geschäftsjahre 1939 und 1940 der I. G. Farbenindustrie AG unter seinem eigenen Namen, nicht unter dem der Treuarbeit.99 Er kannte daher auch den I. G. Farben-Vor-

92 Meyer, Holding (1999), 313, 314, 353 f.; Wixforth/Ziegler, »Expansion« (2008), 270. 93 Fritz Kranefuß, Aufsichtsratsmitglied der Treuarbeit und Geschäftsführer des »Freundeskreises«, schrieb in einem Brief an Himmler am 21.4.1943, dass Voss aufgrund seiner vielen Absagen künftig nicht mehr zu den Treffen des Kreises eingeladen werden sollte – Vogelsang, Freundeskreis (1972), 148. 94 BAB R 3101/17700: Unterlagen der Zulassungs- und Prüfungsstelle der Wirtschaftsprüfer, Berlin, nicht foliertes Formular mit biografischen Angaben zu Richard Karoli. 95 FAH 4E98, B. 177: Brief von Wilhelm Keppler an Gustav Krupp im August 1935. 96 BAB PK F 287: Personalliste W für Wirtschaftsprüfer der Reichskammer der Wirtschaftstreuhänder, April 1944; LAB C Rep. 031-01-06 Nr. 431, Vorgang Nr. 9838 -Entnazifizierung-; dem NSKK (Nationalsozialistisches Kraftfahrerkorps) trat Karoli 1941 erneut bei. Titel der veröffentlichten Dis- sertation: Bilanzprüfung und Prüfungsergebnis, Leipzig 1934. 97 BAB R 8135/8628: Protokolle der Sitzungen des Vorstandes mit den Abteilungsleitern, 8. Sitzung vom 17.3.1941; BAB R 8135/5862: »Rundschreiben an die an Prüfungen in der Luftfahrtindustrie beteiligten Revisoren«, »Übersicht über die im allgemeinen erforderlichen Unterlagen für Bilanz- und Preisprüfungen in der Luftfahrtindustrie«; Richard Karoli nahm an der »Besprechung beim RfBuM über die Vereinfachung der Prüfungen von Unternehmungen« am 3.7.1942 teil, siehe die Sitzungs- protokolle vom 4.7.1942 und 6.7.1942. In der Treuarbeit war er außerdem »Beauftragter für Sicherung der Geheimhaltung der Akten«, siehe: LAB C Rep. 031-01-06 Nr. 431, Vorgang 9838 -Entnazifizierung. 98 LAB C Rep. 031-01-06 Nr. 431, Vorgang 9838 -Entnazifizierung-. 99 BAB R 2301/6129, Bl. 312 (Ausschnitt aus einer Zeitung, veröffentlichte Bilanz und GVR der I. G. Farbenindustrie AG); Handbuch der deutschen Aktiengesellschaften, Jg. 1941, 7628. Karoli war auch als Abschlussprüfer für den Jahresabschluss des Jahres 1941 gewählt worden. 84 Arbeitsbeziehungen und persönliche Karrieren: Aufsichtsrat und Vorstand stand Carl Krauch, der zwischen 1936 und 1938 Leiter der Abteilung Forschung und Entwicklung im Amt für deutsche Roh- und Werkstoffe war. Hier waren auch Pleiger und Kehrl tätig.100 Für dieses Amt, die »wichtigste Stelle des Vierjahresplans«,101 über- nahm die Treuarbeit die Geschäftsführung für Garantieerklärungen des Reiches für die Produktionsfinanzierung von Roh- und Ersatzstoffen. Im Mai 1943 wurde Karoli zum Wehrwirtschaftsführer ernannt,102 »ein Amt, mit dem Unternehmensleiter aus- gezeichnet wurden, die von besonderer weltanschaulicher Zuverlässigkeit und heraus- ragender industriewirtschaftlicher Bedeutung waren«.103 Auf Vermittlung der designierten Aufsichtsratsmitglieder der Treuarbeit, Friedrich Landfried aus dem Reichswirtschaftsministerium und Fritz Kranefuß, Vorstandsprecher der BRABAG, wurde Karoli im Sommer 1943 wirtschaftlicher Berater von SS-Ober- gruppenführer und General der Waffen-SS Oswald Pohl.104 Pohl war Chef des SS-Wirt- schafts-Verwaltungshauptamtes (WVHA) und Geschäftsführer der Deutschen Wirt- schaftsbetriebe (DWB), der Dachgesellschaft für alle wirtschaftlichen Unternehmen der SS.105 Karoli übernahm darüber hinaus »namens der Treuarbeit« die Leitung der neu gegründeten Revisionsabteilung im SS-WVHA. Er arbeitete Prüfungsrichtlinien und ein Schema für die Berichterstattung aus und beriet in Fragen des Konzernrechnungs- wesens, beispielsweise zur Selbstkostenrechnung und zu Preisen.106 Die Revisions- abteilung prüfte nun alle Einzelunternehmen der DWB, während die Treuarbeit die Abschlussprüfung der DWB vornehmen sollte.107 Im Zuge der neuen Aufgabenüber- nahme erhielt Karoli den Konzernbericht der DWB für das Jahr 1942. Diesem Bericht konnte er entnehmen, dass zum SS-Konzern auch die Ostindustrie GmbH in Lublin gehörte, eine »Neugründung zur Verwertung der jüdischen Arbeitskraft im General- gouvernement«.108 Karoli bat darum, einige Wirtschaftsbetriebe besichtigen zu dürfen.

100 Tooze, Ökonomie (2007), 268. 101 Petzina, Vierjahresplan (1965), 58. 102 LAB C Rep. 031-01-06 Nr. 431, Vorgang Nr. 9838 -Entnazifizierung-. 103 Bütow/Bindernagel, KZ (2004), 35. Nach einer Verfügung der Parteikanzlei vom 23.7.1942 mussten vor Ernennung zum Wehrwirtschaftsführer »vom Reichswirtschaftsministerium und von den Wehr- machtsdienststellen die politische Beurteilung bei den zuständigen Gauleitern und die erforderlichen sicherheitspolizeilichen Auskünfte beim Chef der Sicherheitspolizei und des SD eingeholt werden.« Mit dieser Neuregelung sollte sichergestellt werden, dass nur politisch geeignete Personen ernannt werden, siehe: Erker, Industrieeliten (1993), 95. 104 BAB NS 3/1004, Bl. 10–14: Vermerk von SS-Oberführer Baier »Prüfung der wirtschaftlichen Betriebe der Schutzstaffel (historische Entwicklung)«, 22.4.1944. 105 BAB R 8135/6376 »Konzernbericht 1942 der Deutschen Wirtschaftsbetriebe«. 106 Zum Konzernrechnungswesen: BAB NS 3/1004, Bl. 40–42: Der Fragebogen, den Karoli am 5.11.1943 an Hans Baier/Chef Stab W übersandte, betraf die Themen Buchführung, Jahresabschluss, Selbstkostenrechnung, Konzernstatistik, Preise, Steuern und Vertragsgestaltung. 107 BAB NS 3/1004, Bl. 51: Pohl an Treuarbeit, 14.9.1943, Auftragsschreiben. Landfried erhielt eine Abschrift des Auftragsschreibens, Kranefuß wurde ebenfalls in Kenntnis gesetzt. Die erste Abschluss- prüfung sollte das Geschäftsjahr 1944 betreffen. Ob es dazu kam, ist nicht bekannt. BAB NS 3/1004, Bl. 43: Vermerk Baiers an den Hauptamtschef, betr. »Richtlinien für die Revisionsabteilung der Konzerne«, 14.10.1943. 108 BAB R 8135/6376, S. 6 des Konzernberichts. 85 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit Im Oktober 1943 besuchte er gemeinsam mit seinem Mitarbeiter Dr. Rudolf Trültzsch die Wirtschaftsbetriebe in Ravensbrück und Sachsenhausen »einschl. Besichtigung der Konzentrationslager«.109 Der SS-Betrieb Deutsche Ausrüstungswerke GmbH, dessen Geschäftszweck vor allem die Lebensmittelproduktion und die Textil- und Lederver- wertung war, beschäftigte Tausende Gefangene der Konzentrationslager Ravensbrück und Sachsenhausen.110 Die Führungen in den Lagern nahmen die jeweiligen Lager- kommandanten, SS-Obersturmbannführer Anton Kaindl und SS-Hauptsturmführer Fritz Suhren, vor.111 Die Beratungen Karolis trugen dazu bei, dem SS-Konzern betriebs- wirtschaftliche Instrumente an die Hand zu geben, durch die die Arbeit der KZ-Häft- linge noch profitabler ausgebeutet werden konnte. Diese Kenntnisse waren für Pohl auch deshalb wichtig, weil nicht nur der SS-Konzern die Arbeitskraft der Häftlinge nutzte, sondern die SS Gefangene auch Unternehmen wie BMW oder I. G. Farben zur Verfügung stellte.112 Nachdem Richard Karoli das WVHA beim Aufbau der Revisionsabteilung aktiv unterstützt hatte, vermittelte er im Sommer 1944 seinen jüngeren Bruder Hermann als Leiter dieser Abteilung.113 Dr. Hermann Karoli, 1906 geboren, hatte nach seinem Stu- dienabschluss als Diplom-Kaufmann und Promotion ebenfalls in der Praxis von Wil- helm Voss gearbeitet und wurde 1938 in den Vorstand der Treuarbeit berufen. Damals leitete er die neu gegründete Niederlassung der Treuarbeit in Wien. Dort war er auch kommissarischer Vorsitzender der Bezirksgruppe des IDW für die in der »Ostmark« tätigen Wirtschaftsprüfer.114 Hermann Karoli trat im selben Jahr in die SS ein und war zum Zeitpunkt seines Eintritts in das WVHA SS-Untersturmführer.115 Er blieb jedoch weiterhin Vorstandsmitglied der Treuarbeit.116 Gemäß den Berufsgrundsätzen über die hauptamtliche und unabhängige Tätigkeit eines Wirtschaftsprüfers hätte er beide Funk- tionen gleichzeitig jedoch nicht übernehmen dürfen: Als Revisionsleiter beim WVHA war er weisungsabhängig.117

109 BAB NS 3/1004, Bl. 44: Vermerk Baiers an den Hauptamtschef, betr. »Prüfung und Beratung […]« (Abkürzung im Original), 8.10.1943. 110 Kaienburg, Wirtschaft (2003), 865. 111 BAB NS 3/1004, Bl. 44: Vermerk Baiers an den Hauptamtschef, betr. »Prüfung und Beratung […]«, 8.10.1943. 112 Tooze, Ökonomie (2007), 612 nennt als »Abnehmer« der KL-Häftlinge die Flugzeugbauer BMW, Heinkel und Messerschmidt sowie Siemens und Daimler-Benz; Lippman/Wilson, culpability (2007), 286, 287, nennen IG Farben und Krupp. 113 Schulte, Zwangsarbeit (2001), 469. 114 Wirtschaftsprüferregelung in Österreich, in: Der Wirtschaftstreuhänder 1938, 414. 115 BAB PK F 0287: Personalliste für Wirtschaftsprüfer der Reichskammer der Wirtschaftstreuhänder, 21.5.1944; LAB A Pr. Br. Rep. 030-06 Nr. 14770, Bl. 18. 116 Privatarchiv Dr. Frank Pega: Geschäftsbericht für die Geschäftsjahre 1944–1946, 1, Auflistung der Vorstandsmitglieder, die bis August 1945 in Diensten der Treuarbeit standen. 117 BAB R 3101/17646, Bl. 226: Bestimmungen über die öffentlich bestellten Wirtschaftsprüfer, Berlin 1933, hier: Grundsätze über den Begriff der selbständigen und hauptberuflichen Tätigkeit als Wirt- schaftsprüfer […], 20, 21; ein Wirtschaftsprüfer kann nicht gleichzeitig Angestellter sein, es sei denn bei einem Einzelwirtschaftsprüfer oder in einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. 86 Arbeitsbeziehungen und persönliche Karrieren: Aufsichtsrat und Vorstand Für Richard Karoli war seine eigene Tätigkeit für Pohl mit der Aufgabenübernahme seines Bruders allerdings nicht beendet. Pohl wollte ihn auch weiterhin »zur Erörterung persönlicher Fragen« in Anspruch nehmen. Karoli nahm dieses Angebot offenbar gerne an und bat darum, ihm »möglichst bald einen Termin zur persönlichen Rücksprache« zu geben. Dieses Treffen fand Mitte Dezember 1944 statt. Pohl war von Karoli sehr über- zeugt. Er bezeichnete ihn als »Freund« und ließ anweisen, dass »Dr. R. Karoli hier im Hause ein- und ausgehen könne«. Jede Akteneinsicht solle ihm gewährt werden, die für die Ausübung seiner Beratungstätigkeit erforderlich sei. Karoli seinerseits wollte »helfend und beratend« eingreifen, »wo es notwendig sei, wo die Belange und die besonderen Interessen des Konzerns sowie darüber hinaus die Besonderheiten der Schutzstaffel es erfordern«, und hoffte auf eine »ersprießliche Zusammenarbeit«.118 Karoli war in der NS-Zeit einer der angesehensten Wirtschaftsprüfer des Deutschen Reiches.119 Oswald Pohl gehörte damals zu den mächtigsten Männern der SS. Er herrschte »über mehr als 40.000 Untergebene, eine halbe Million KL-Häftlinge, rund 650 Haupt- und Nebenlager, fast 60 Einzelunternehmen mit ungefähr 55.000 freien und unfreien Beschäftigten.« Hinzu kam noch die Ostindustrie GmbH, die »etwa 16.000 überwiegend jüdische Zwangsarbeiter ausbeutete«. 1944 setzte der SS-Konzern fast 160 Millionen RM um. Während des Krieges war Pohl einer der wichtigsten und von Himmler am meisten geschätzten Mitarbeiter.120 Es ist nicht bekannt, ob Richard Karoli bereits im Sommer 1943 aktiv eine Beratungstätigkeit für Pohl und den SS- Konzern anstrebte. Ende 1944 wäre es vermutlich schwierig gewesen, die Bitte um weitere Mitarbeit abzulehnen. Andererseits hatte Pohl gegenüber Karoli von Anfang an einen sehr freundlichen und werbenden Ton angeschlagen. Karoli dürfte sich als Berater und Prüfungsexperte auf Augenhöhe mit dem General der Waffen-SS gefühlt haben. Pohl selbst, die anderen SS-Manager und auch Himmler sahen im SS-Konzern »ein effizientes, großes Rüstungskonglomerat«, obwohl dies nicht der Realität entsprach.121 Vielleicht schätzte Karoli dies ebenso ein und erachtete die Verbindung mit Pohl als nützlich für die eigene Karriere. Vielleicht hatte er deshalb seinen Bruder Hermann in den Stab W vermittelt. Da sein Vorstandskollege Rittstieg in engem Kontakt zum Reichswerke-Konzern stand, war es für Karoli möglicherweise auch aus Gründen der Unternehmensstrategie sinnvoll, sich eine weitere wichtige Verbindung zum NS- Regime zu sichern. Offenbar glaubte Karoli zu diesem Zeitpunkt noch an eine Nach- kriegszukunft, in der die SS auch wirtschaftlich eine Rolle spielen würde.122 Denn im Sommer 1944 war der SS-Brigadeführer Otto Ohlendorf in den Aufsichtsrat der Treu- arbeit gewählt worden. Ohlendorf war stellvertretender Staatssekretär im Reichswirt-

118 BAB NS 3/1004, Bl. 7: Brief Pohls an Karoli, 31.10.1944; Bl. 4: Brief Karolis an Pohl, 17.11.1944; Bl. 1: »Vertraulicher Aktenvermerk« von Baier, 12.1.1945. 119 BAB R 3101/17650: Vermerk des Reichswirtschaftsministerium IV Kred. 17951/42, 2.11.1942 nennt ihn und Peter van Aubel von der Wibera Wirtschaftsberatung Deutscher Städte. 120 Schulte, Zwangsarbeit (2001), 447 (Zitate). 121 Schulte, Zwangsarbeit (2001), 223 (Zitat). 122 Himmler war im August 1943 Innenminister geworden, siehe: Sowade, »Otto Ohlendorf« (1999), 196. 87 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit schaftsministerium. Außerdem bekleidete seit Anfang 1944 der SS-Gruppenführer Franz Hayler den Posten des Staatssekretärs im Reichswirtschaftsministerium.123 1944 wurde Karoli Mitglied im »Europakreis«, einem von Kehrl gegründeten Beratergremium beim Planungsamt des Reichsministers für Rüstung und Kriegsproduktion, Speer. Hier traf Karoli erneut auf seine ehemaligen Vorstandskollegen Vits und Voss, aber auch auf Manager aus Banken und der Industrie wie von der Deutschen Bank und den Hamburger Tabakindustriellen Philipp F. Reemtsma.124 Karoli war auch verbandspolitisch sehr aktiv. Er war Mitglied des Allgemeinen Fach- ausschusses und des »Führerrates« im IDW125 und trat als Fachautor hervor. Er schrieb nicht nur für die Fachzeitschrift des Berufes, »Der Wirtschaftstreuhänder«, sondern veröffentlichte auch in betriebswirtschaftlichen Zeitschriften126 sowie in »Der Vier- jahresplan« und »Mitteilungen der Steuerstelle«.127 Ferner war er Mitautor des Wirt- schaftstreuhänder-Jahrbuches, dessen Vorgänger – das regelmäßig erscheinende VDB- Taschenbuch – er ebenfalls gemeinsam mit Wilhelm Voss in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre verfasst hatte.128 Fritz Rudorf verließ die Treuarbeit, die sich schon bei Voss als Karrieresprungbrett erwiesen hatte, wie dieser im Jahr 1938 »zur Durchführung wichtiger Aufgaben im Interesse des Reichsluftfahrtministeriums«129: Er übernahm den Vorsitz im Vorstand der Bank der Deutschen Luftfahrt AG. Ernst Hellmut Vits folgte zwei Jahre später, um »einem Wunsche des Reichswirtschaftsministers folgend« Vorstandsvorsitzender bei der Vereinigte Glanzstoff-Fabriken AG zu werden, der neben der I. G. Farbenindustrie AG größten Chemiefaserproduzentin Deutschlands.130 Im Jahr 1940 verließ auch Heinrich Flothow die Treuarbeit. Flothow war 1928 in die Treuarbeit eingetreten und hatte »mit dem Sitz in Köln die Prüfungsleitung bei den bedeutenden Unternehmungen West- deutschlands inne«. 1938 berief ihn der Arbeitsausschuss des Aufsichtsrates zum stell- vertretenden Vorstandsmitglied nach Berlin.131 Flothow wurde bereits ein Jahr später

123 Franz Hayler (*1900), 1933 Eintritt in die SS, 1934 Leiter der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel, 1938 Leiter der Reichsgruppe Handel, Mitglied des Engeren Beirats der Deutschen Reichsbank und des Engeren Beirats der Reichswirtschaftskammer, Reichswirtschaftsrichter, 1943 Eintritt in das Reichs- wirtschaftsministerium – siehe: Stockhorst, Köpfe (1967), 182, 183. 124 Eichholtz, Geschichte (1999), 533, Fn. 91. 125 WT-Handbuch (1941), 84; WP-Nachrichten (1937), 92. 126 »Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung«, »Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis«. 127 LAB C Rep. 031-01-06 Nr. 431, Vorgang 9838 -Entnazifizierung-. 128 WP-Jahrbuch, Düsseldorf, (1951) »Vorwort«. 129 FAH 4E98, Bl. 14: Niederschrift über die Aufsichtsratssitzung der Treuarbeit am 2.11.1938. 130 BAB R 2301/6129: Protokoll der Aufsichtsratssitzung der Treuarbeit am 25.4.1940: Aus dem Vertrag mit der Treuarbeit wurde Vits zum 1. Juni 1940 entlassen; an anderer Stelle ist das Jahr 1939 genannt, siehe Habel, »Wer ist wer?« (1967), 2066; Scherner, Logik (2008), 164, zur Einordnung der Ver- einigten Glanzstoffabriken. 131 FAH 4E98, Bl. 35: Vorstand der Treuarbeit an Gustav Krupp, 16.6.1938. Eine Niederlassung in Köln hatte die Treuarbeit allerdings nicht. 88 Arbeitsbeziehungen und persönliche Karrieren: Aufsichtsrat und Vorstand für eine »Sonderaufgabe beurlaubt«.132 Sein Nachfolger als stellvertretendes Vorstands- mitglied wurde zum 1. Januar 1940 der 1903 in Langenberg/Rheinland geborene Dr. Kurt Welland. Der Diplom-Handelsschullehrer hatte im Juni 1931 seine Tätigkeit als Revisor bei der Treuarbeit aufgenommen und war im Herbst 1937 nach Ablegen des Wirtschaftsprüferexamens in eine leitende Funktion berufen worden.133 Mit Dr. jur. und Wirtschaftsprüfer Hans Adler nahm die Treuarbeit im Mai 1940 erneut einen Mann auf,134 der – hierin nur vergleichbar mit Voss – als Vorstand im Reichs- bund Deutscher Treuhand-Aktiengesellschaften e. V. (Reichsbund) sowie als Geschäfts- führer, Fachleiter und Justiziar im Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) wichtige Positionen in Berufsverbänden seit den 1920er Jahren innehatte. Der 1926 gegründete Reichsbund vertrat die Interessen von etwa 25 Bankentreuhandgesellschaften, zu denen auch die Treuarbeit, die Deutsche Treuhand-Gesellschaft und die Treuhand-Vereinigung gehörten.135 Nach seinem Ausscheiden aus dem IDW war Adler als Rechtsanwalt, Notar und Steuerberater tätig. Dem IDW stand er weiterhin als Justiziar zur Rechtsberatung, Bearbeitung von Rechtsangelegenheiten und zur Rechtsvertretung zur Verfügung.136 Er nahm in dieser Funktion auch an Sitzungen des Aktienrechtsausschusses und des GmbH-Ausschusses der Akademie für Deutsches Recht teil.137 Sein Wirtschaftsprüfer- examen legte er 1939 ab. Die Zulassungsvoraussetzung der dreijährigen Pflichtprüfungs- zeit konnte er nicht erfüllt haben, aber sein fachliches Know-how und seine Tätigkeit als Verbandsfunktionär glichen das offenbar mehr als aus. Als zu Kriegsbeginn im Herbst 1939 sowohl der Institutsführer Dr. Otto Mönckmeier als auch der Fachleiter Dr. habil. Robert Schweitzer eingezogen wurden, berief Mönckmeier im Einverständnis mit dem Reichswirtschaftsministerium Adler zum Stellvertreter des Institutsführers und des Fach-

132 Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 1939 »Organe der Gesellschaft«, »Sonderaufgabe«: Geschäfts- bericht für das Geschäftsjahr 1940 »Berichts des Aufsichtsrats«. Ein Heinrich Flothow war Vorstands- mitglied der Steinkohlengewerkschaft der Reichswerke »Hermann Göring« Hessen, siehe: StA W NWA 2/5413, Vermerk vom 22.6.1942. Auch Bähr nennt einen »Reichswerke-Manager« Heinrich Flothow, der 1939 die Verhandlungen aufseiten der Reichswerke mit dem Flick-Konzern um den Tausch der Ignaz-Petschek-Braunkohlenbetriebe gegen die Steinkohlenbetriebe des Flick-Konzerns führte, siehe: Bähr u. a., Flick-Konzern (2008), 268. 133 BAB PK T10: Personalliste W für Wirtschaftsprüfer der Reichskammer der Wirtschaftstreuhänder, 1.4.1944; StA HH 221–11/F 500 Entnazifizierungsakte (Fragebogen Military Government of Germany). 134 Zur Bestellung Adlers in den Vorstand der Treuarbeit: BAB R 2301/6129, Bl. 73: Protokoll der Auf- sichtsratssitzung der Treuarbeit am 25.4.1940, 5. 135 Vertrauliche Mitteilungen VDB, 12. Jg., (1930), 216 (Vorgängerinstitut des IDW war das Institut für das Revisions- und Treuhandwesen); BAB R 8135/5702: Prüfungsbericht zum Jahresabschluss 1930 des Reichsbund Deutscher Treuhand-Aktiengesellschaften e. V., Bl. 2; BAB Personaldatenbank PK A 11: Personalliste W der Reichskammer der Wirtschaftstreuhänder, Erklärung Adlers zu seiner beruf- lichen Tätigkeit vom 15.5.1943. 136 WP-Nachrichten (1937), 263: Im »Arbeitsverteilungsplan« des Instituts vom 31.12.1937 wird er als »Mitarbeiter« der »Rechtsabteilung« mit diesen Aufgaben geführt. 137 Schubert, Werner (Hg.): Akademie für Deutsches Recht 1933–1945 Protokolle der Ausschüsse, Berlin/New York 1986, Bd. 1, Ausschuss für Aktienrecht, S. L; Bd. 2 Ausschuss für GmbH-Recht, S. XIV. 89 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit leiters im IDW.138 In der 1943 errichteten Reichskammer der Wirtschaftstreuhänder, der Nachfolgeorganisation des IDW, wurde Adler zum Kriegsvertreter des nunmehrigen Reichskammerpräsidenten Mönckmeier und zugleich zum stellvertretenden Leiter der »Hauptstelle für das Wirtschaftstreuhandwesen […] als Gemeinschaftsorgan zwischen Wirtschaft und Wirtschaftstreuhänderberuf« ernannt. Die Hauptstelle, in die das IDW, der Staat und die Spitzenverbände der Wirtschaft Vertreter entsandten, war »Nachfolger der 1931 gegründeten Hauptstelle für die öffentlich bestellten Wirtschaftsprüfer«. Ihre Aufgabe war es, das Zulassungs- und Prüfungswesen zu regeln und Berufsgrundsätze aufzustellen.139 Adler war also im Berufsstand personell seit mehr als einem Jahrzehnt intensiv verankert und fachlich einflussreich. Er verfügte auf berufspolitischer Ebene über beste Verbindungen. Darüber hinaus trat der 1899 in Berlin geborene Kaufmannssohn auch publizistisch hervor. Gemeinsam mit seinem späteren Vorstandskollegen Kurt Schmaltz sowie Walter Düring aus dem Vorstand der Deutschen Treuhand-Gesellschaft schrieb er den Hand- kommentar »Rechnungslegung und Prüfung der Aktiengesellschaft«. Der Kommentar wurde erstmals 1938 veröffentlicht und entwickelte sich zum Standardwerk für Fragen der Bilanzierung und Prüfung.140 Adler verfasste zahlreiche Aufsätze in der Fachzeit- schrift des IDW »Der Wirtschaftstreuhänder« und übte, neben Richard Karoli und Paulludwig Buchholz, als Mitautor des regelmäßig erscheinenden Wirtschaftstreuhän- der-Jahrbuches einen maßgeblichen Einfluss auf die fachliche Auslegung prüferischer Fragestellungen aus. Prof. Dr. Kurt Schmaltz, der dem Vorstand seit Juli 1942 als ordentliches Mitglied angehörte,141 dürfte für die Treuarbeit nicht nur wegen seiner betriebswirtschaftlichen Lehrtätigkeit in und Berlin und seiner fachlichen Publikationen interessant gewesen sein.142 Im Frühjahr 1940 war Schmaltz, seit November 1933 Mitglied der SA, als Kriegsverwaltungsrat eingezogen worden. Er war im Wirtschafts- und Rüstungsamt beim Oberkommando der Wehrmacht tätig und als »Sonderführer« damit beauftragt, Betriebe der besetzten Länder in die deutsche Rüstungswirtschaft zu integrieren. Zum Zeitpunkt seiner Berufung verfügte er also sicherlich über Kontakte und Erfahrungen, die der Treuarbeit bei ihrem angestrebten Engagement in Osteuropa, wo sie gerade die

138 WP-Nachrichten (1940), 193; da der Geschäftsführer des Instituts, Paulludwig Buchholz, ebenfalls eingezogen wurde, wurde Dr. Theodor Becker, bislang im Institut zuständig für die »Abteilung Berufs- ordnung«, zum stellvertretenden Geschäftsführer berufen. 139 »Hauptstelle für das Wirtschaftstreuhandwesen« in: Der Wirtschaftstreuhänder (1944), 20; »Führung der Reichkammer der Wirtschaftstreuhänder« in: Der Wirtschaftstreuhänder (1944), 119; Vertrau- liches Nachrichtenblatt der Reichskammer der Wirtschaftstreuhänder (Ausgabe Wirtschaftsprüfer), Nr. 1 vom 30.4.1943. Der von staatlicher Seite bestellte »Kommissar für Wirtschaftstreuhandwesen« war Ministerialrat Dr. Hanns Win(c)kelmann aus dem Reichswirtschaftsministerium. 140 Adler verfasste 1940 die Schrift »Abwicklungseröffnungs- und Abwicklungsjahresbilanzen (Liquidationsbilanzen) der Aktiengesellschaft unter rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Gesichts- punkten«. 141 Geschäftsbericht der Treuarbeit für das Geschäftsjahr 1942. 142 Bspw. war er mit einem Buch über »Bilanz und Betriebsanalyse in Amerika in Hinsicht auf ihre Ver- wertbarkeit für die deutsche Wirtschaft«, Stuttgart 1927, fachlich hervorgetreten. 90 Arbeitsbeziehungen und persönliche Karrieren: Aufsichtsrat und Vorstand Ostland Revisions- und Treuhand-GmbH gründen wollte, nützlich sein würden.143 Im Sommer 1942 hielt er sich fast ununterbrochen in Riga und Reval auf.144 Am 26. September 1942 wurde Schmaltz zum Geschäftsführer der Revisions- und Treuhand- GmbH (RT) in Riga bestellt145 und im Januar 1943 wurden er und Richard Karoli zu Geschäftsführern der Reichsprüfungsgesellschaft für die besetzten Ostgebiete ernannt, in der die RT aufging.146

Zwischenfazit

Wichtiges Auswahlkriterium der Kandidaten für einen Vorstandsposten war die Ver- trauenswürdigkeit. Entweder waren die Männer bereits durch ihre Tätigkeit in der Treu- arbeit bekannt, wie Rudorf, Rittstieg, Flothow, Welland, Vits und Hesse, oder sie hatten in ihrer bisherigen Position ihre Loyalität gegenüber dem NS-Regime unter Beweis gestellt, wie Voss, Adler und Schmaltz. Die Brüder Karoli erhielten ihre Empfehlung aufgrund ihrer Arbeit für Voss. Eine große Rolle für die Berufung spielte das hohe Quali- fikationsniveau. Mit Ausnahme von Vits waren alle Vorstände Wirtschaftsprüfer. Seit 1940 waren fünf von sechs Vorstandsmitgliedern promoviert. Hesse, Welland und Ritt- stieg hatten vor dem Studium bereits eine Banklehre gemacht. Wichtig war es auch, dass verschiedene Spezialisten im Vorstand vertreten waren. Vits und Adler waren Juristen, Adler war außerdem, ebenso wie Schmaltz, Steuerberater. Ein weiteres bedeutendes Kriterium war die berufspolitische Einbindung. Das hatte Tradition, denn vor Voss, Richard Karoli und Adler waren bereits Walter Susat und auch der im Frühjahr 1932 verstorbene Wilhelm Adler im Vorstand des Berufsverbandes IDW tätig gewesen. Die Treuarbeit besaß seit jeher großen Einfluss auf die Berufs- politik.147 Dennoch stellt das Jahr 1933 eine gewichtige Zäsur dar. Das IDW hatte sich gerade 1932 als Verband von Einzelwirtschaftsprüfern (WP) und Wirtschaftsprüfungs- gesellschaften (WPG) gegründet. Grundlegende Konflikte zwischen Bücherrevisoren und Treuhandgesellschaften, die schon mit der Gründung der Vorgängerorganisation, des Instituts für das Revisions- und Treuhandwesen, im August 1930 nur mühsam bei- gelegt worden waren,148 brachen bald nach der »Machtergreifung« erneut heftig aus. Das IDW wurde jedoch von Partei und Staat als einzige Standesorganisation anerkannt,

143 Eberle, Martin-Luther-Universität (2002), 302; BAB Berlin-Lichterfelde Hochschullehrerkartei Kurt Schmaltz; Auskünfte Frau Uta Thunemann, Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Magdeburg, 16.11.2010; BAB R 2/17658, Bl. 112: Niederschrift der Sitzung des Arbeitsausschusses des Aufsichts- rates der Treuarbeit vom 11.3.1942. 144 Mantel, Betriebswirtschaftslehre (2009), 139–142 zur Biografie Kurt Schmaltz’. 145 BAB R 92/10121: Handelsregister Abteilung B HRB 28. 146 Amtsgericht Berlin-Charlottenburg, Handelsregisterauszug HB 59479. Siehe im Einzelnen: Kapitel 4.7. 147 BAB R 3101/17657, Bl. 93–116: Adler, Reichsbund an Michel, Reichswirtschaftsministerium, Aus- arbeitung des Reichsbundes deutscher Treuhand-Aktiengesellschaften e. V., 2.5.1934, hier: Bl. 96. 148 Siehe hierzu: Markus, Wirtschaftsprüfer (1996), 9, 10. 91 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit und alle Wirtschaftsprüfer und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften wurden zur Mitglied- schaft verpflichtet. Im Gegensatz zum ehemals 15-köpfigen Vorstand waren nur noch wenige Akteure im »Führerrat« – vonseiten der Treuarbeit zunächst Voss, später Richard Karoli. Adler war Kriegsvertreter des Institutsführers. Durch ihre Mitgliedschaft im All- gemeinen Fachausschuss und im Bankenfachausschuss kannten sich Rittstieg, Hesse, Schmaltz und Karoli sowie der als Verbandsjustiziar tätige Adler schon mehrere Jahre, bevor sie im Vorstand der Treuarbeit wieder zusammenarbeiteten.149 Für ihre Bestellung in den Vorstand der Treuarbeit boten diese Männer also die Gewähr, das gleiche Ziel zu verfolgen. Wie eng die Verbindung zwischen der Treuarbeit und dem IDW war, lässt sich bei- spielsweise daran erkennen, dass Karoli beim Reichsministerium für Bewaffnung und Munition als Vertreter des IDW, beim Reichswirtschaftsministerium hingegen als Ver- treter der Treuarbeit wahrgenommen wurde.150 Bei einer interministeriellen Ressort- besprechung mit Vertretern der Wirtschaft und des Reichsrechnungshofes zur kriegs- bedingten Einschränkung der Prüfungs- und Treuhandaufgaben Ende Oktober 1943 war die Treuarbeit die einzige Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die teilnehmen durfte. Neben Rittstieg war Adler als Vertreter des Reichskammerpräsidenten anwesend.151 Durch Veröffentlichungen, sei es in der Verbandszeitschrift »Der Wirtschaftstreu- händer« oder im »WT-Jahrbuch«152, Monografien oder insbesondere den Kommentar zur Rechnungslegung und Prüfung der Aktiengesellschaft erlangte die Treuarbeit als Gesellschaft und erlangten vor allem ihre Vorstandsmitglieder Adler und Karoli fach- liche Deutungshoheit. Im Berufsverband waren auch Vertreter anderer Wirtschafts- prüfungsgesellschaften oder Einzelwirtschaftsprüfer ehrenamtlich tätig. Im Gegensatz zu allen anderen Gesellschaften und Prüfern kam den Treuarbeitsvorständen jedoch ein besonderes Gewicht zu, da sie durch die spezielle Aufgabenstellung der staatlichen Treuarbeit eine langjährige und enge Bindung zu den obersten Reichsbehörden hatten, insbesondere zum Reichswirtschaftsministerium in seiner Doppelfunktion als Auftrag- geber und als Berufsaufsichtsbehörde. Durch die Politik des NS-Regimes kam es zur Übertragung vieler neuer Aufgaben im In- und Ausland, und es entwickelte sich eine intensive Bindung zur Vierjahresplanbehörde, den Reichswerken »Hermann Göring« und dem Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt (WVHA) der SS.153 Offensichtlich keine Voraussetzung für eine Berufung in den Vorstand der Treu- arbeit war die Zugehörigkeit zur NSDAP. Hesse, Schmaltz und Voss traten 1937 in

149 WP-Nachrichten (1937), 92, 93, Richard Karoli und Kurt Schmaltz waren im Allgemeinen Fachaus- schuss; Fritz Rittstieg und Walter Hesse waren im Bankenfachausschuss. 150 Siehe die Besprechungsprotokolle zum Thema »Vereinfachung der Prüfungen von Unternehmungen«: BAB R 3101/17650: »Niederschrift über die erste Besprechung beim RfBuM…« vom 4.7.1942, Ver- merk des Reichswirtschaftsministeriums vom 6.7.1942. 151 BAB R 3101/20486, Bl. 104: Teilnehmerliste zur Ressortbesprechung am 26.10.1943 betr. Vordring- lichkeit kriegswichtiger Prüfungs- und Treuhandaufgaben (Niederschrift 10.11.1943, Bl. 99–104). Das IDW war 1943 in die Reichskammer der Wirtschaftstreuhänder umgewandelt worden. 152 »WT« stand für Wirtschaftstreuhänder. 153 Zu den Tätigkeiten für die Institutionen im Einzelnen siehe Kapitel 3.4. 92 Arbeitsbeziehungen und persönliche Karrieren: Aufsichtsrat und Vorstand die Partei ein, Adler, Rittstieg und Richard Karoli erst Anfang 1942. Hermann Karoli, der spätere Revisionsleiter im WVHA, wurde, ebenso wie Kurt Welland, offenbar nie Parteimitglied.154 Adler, Rittstieg und Richard Karoli behaupteten nach Kriegsende, sie seien in die NSDAP eingetreten, um die drohende Aufnahme eines »Parteiaktivisten« in den Vorstand zu verhindern.155 Da die Vorstandsmitglieder ausführten, ihre Partei- zugehörigkeit sei weder in der Treuarbeit noch im Berufsverband der Wirtschaftsprüfer bekannt geworden, ist diese Begründung wenig überzeugend. Sofern das NS-Regime tatsächlich weitere Loyalitätsbeweise von den Vorstandsmitgliedern gefordert haben sollte, wäre eine »stille« oder »geheime« Parteimitgliedschaft sinnlos gewesen. Die Ministerien schienen die Treuarbeit durchaus als Reservoir für Spitzenkräfte zu sehen, derer sie sich, wie im Falle von Rudorf und Vits geschehen, bedienen konnten. Andererseits stellte die Treuarbeit für diese beiden Vorstandsmitglieder ein Karriere- sprungbrett dar, besonders für Rudorf, der aus der Position des stellvertretenden Vor- standsmitgliedes nicht mehr aufsteigen konnte, sondern stattdessen Rittstieg, Vits und sogar den nach ihm eingetretenen Richard Karoli an sich vorbeiziehen lassen musste. Auch andere Vorstandsmitglieder nutzten die exponierte Stellung der Treuarbeit für ihre eigenen Karrieren: Von elf Vorstandmitgliedern (ohne Albrecht) der Jahre 1933 bis 1945 schlugen sieben Karrierewege außerhalb der Treuarbeit ein. Vier wechselten in Vor- standspositionen (Voss, Rudorf, Vits, Flothow), drei nahmen intensive Kontakte zu anderen Institutionen wahr (Rittstieg156, die Brüder Karoli). Allerdings ging nur einer, Vits, in ein Privatunternehmen, die anderen sechs zog es in Institutionen und Unterneh- men, die vom NS-Regime initiiert waren (Bank der Deutschen Luftfahrt, Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der SS, Reichswerke »Hermann Göring«). Auffällig ist, dass sich mit Wilhelm Voss, Richard Karoli und Hans Adler hinsicht- lich Qualifikationen, berufspolitischen Engagements und berufspolitischen Einflusses gerade die fähigsten Vertreter aus dem Kreis der Wirtschaftsprüfer dem Regime frei- willig zur Verfügung stellten.

154 Schulte, Zwangsarbeit (2001), 469. Allerdings wurde auch er behördlicherseits nach dem Kriegsende im Gegensatz zu Kurt Welland aus dem Vorstand abberufen. 155 LAB C Rep. 375-01-13, Vorgang: 2814/A17 – Entnazifizierungsakte Hans Adler. 156 Seit den späten 1930er Jahren war Rittstieg in »Arisierungen« zugunsten der RW »Hermann Göring« im Sudetenland eingebunden (Kapitel 4.2). Rittstieg war nach dem Zweiten Weltkrieg von 1951 bis 1961 Vorstandsmitglied der Salzgitter AG, einem Nachfolgeunternehmen der Reichswerke AG »Hermann Göring« – »Wer ist wer?«, Ausgabe 1963, 1262. 93 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit Tabelle: Die Vorstandsmitglieder der Treuarbeit Hesse Voss Albrecht Rittstieg Rudorf Vits Karoli R Karoli H Flothow Adler Schmaltz Welland 1933 V 1934 V V V sV sV sV 1935 V V V sV sV sV sV 1936 V V sV sV sV sV 1937 V V sV sV sV sV 1938 V V V sV V V sV sV 1939 V V V V sV sV 1940 V V V V V sV V sV 1941 V V V V V sV 1942 V V V V V V sV 1943 V V V V V V sV 1944 V V V V V V sV 1945 V V V V V V sV

V ordentliches Vorstandsmitglied sV stellvertretendes Vorstandsmitglied

3.2 Qualifizieren, integrieren, disziplinieren: links: Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Mitarbeiter und betriebliche Sozialpolitik Geschäftstätigkeit rechts: Qualifizieren, integrieren, disziplinieren: Mit- Die Anzahl der Mitarbeiter zeigt am eindrücklichsten das Wachstum der Treuarbeit in arbeiter und betriebliche Sozialpolitik der NS-Zeit. Der Personalbestand stieg von Jahr zu Jahr im zweistelligen Prozentbereich an. Im Durchschnitt der Jahre 1933 bis 1941 wuchs der Mitarbeiterbestand jährlich um ein Fünftel. Beschäftigte die Treuarbeit Ende 1933 163 Mitarbeiter, stieg die Zahl der »Gefolgschaftsmitglieder« bis Ende des Jahres 1943 auf etwa 860 an.157 Mindestens 250 von ihnen arbeiteten in den Außenstellen, die die Treuarbeit in vielen Ländern Europas

157 Personalzahlen liegen für die Jahre 1931 bis 1940 vor. Die Position »Löhne/Gehälter« aus der Gewinn- und Verlustrechnung (GVR) ist darüber hinaus auch für die Jahre 1942 und 1943 bekannt. Quellen: Geschäftsberichte für die Geschäftsjahre 1931 bis 1943; BAB R 2301/6129a, Bl. 8, 93, 94, 135: Prüfungsberichte für die Geschäftsjahre 1934, 1937, 1938; BAB R 2301/6129, Bl. 15, 71: Nieder- schriften über die Sitzungen des Aufsichtsrats am 29.3.1939 und 25.4.1940. Wird nun die GVR- Position »Löhne/Gehälter« mit der Anzahl der Mitarbeiter für das jeweilige Geschäftsjahr ins Verhält- nis gesetzt, ergibt sich für die Jahre 1932 bis 1940 ein Faktor zwischen 5,4 und 5,8. Die Personalzahlen für die Jahre 1941 bis 1943 wurden aus der Position »Löhne/Gehälter« und dem Durchschnittsfaktor 5,6 errechnet. 94 Qualifizieren, integrieren, disziplinieren: Mitarbeiter und betriebliche Sozialpolitik eingerichtet hatte.158 Diese Entwicklung war beispiellos. Andere große Treuhand- gesellschaften, wie die Deutsche Treuhand-Gesellschaft, die Treuverkehr159 oder die Schwäbische Treuhand AG, kamen etwa auf ein Drittel dieser Größe.160 Allein in den Jahren 1937 bis 1941161 erhöhten sich die Gehaltszahlungen bei der Treuarbeit von knapp 2 Millionen RM auf 4,7 Millionen RM, also um etwa 140 Prozent. Im selben Zeit- raum betrug der Zuwachs bei der Treuverkehr knapp 60 Prozent, bei der Schwäbischen Treuhand AG nur etwa 20 Prozent. Die 860 bei der Treuarbeit gezählten Mitarbeiter waren allerdings nicht tatsächlich in dieser Größenordnung tätig. Im Sommer 1944 bezifferte der Vorstand die Personalausfälle durch Einberufungen in die Wehrmacht auf mindestens 25 Prozent.162 Von den angestellten Revisoren waren im Mai 1944 sogar knapp 56 Prozent beim Militär.163 Welche Mitarbeiterschaft benötigte nun eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft wie die Treuarbeit? Welche Qualifikationen wiesen die Mitarbeiter auf und welche Auf- gaben hatten sie zu erfüllen? Der Anteil der Revisoren an der Gesamtzahl der Mit- arbeiterschaft der Treuarbeit betrug etwa die Hälfte, sank aber nach 1936 sukzessive auf 43 Prozent ab.164 Unter den männlichen Revisoren hatte etwa ein Viertel promoviert.165 Wirtschaftsprüfer mussten vor ihrer Bestellung im Rahmen einer sechsjährigen Berufs- tätigkeit eine dreijährige praktische Tätigkeit als Abschlussprüfer absolvieren. Die über-

158 BAB R 2301/6129a, Bl. 285: Grundlage für diese Berechnungen sind die Angaben aus dem Prüfungs- bericht für das Geschäftsjahr 1941. Die an die Außenstellen geflossenen Gehälter wurden mit dem Faktor 5,6 in Personalzahlen umgerechnet. Es ergibt sich für das Jahr 1940 Personal in Höhe von 147 Mitarbeitern in den Außenstellen, für das Jahr 1941 sind es 252 Mitarbeiter. Die Anzahl der in den Außenstellen arbeitenden Mitarbeiter dürfte jedoch höher gewesen sein, da die Gehaltspositionen in den Niederlassungen und Geschäftsstellen nicht die Gehälter für Vorstände oder Abteilungsleiter enthielten. Bei der Außenstelle Den Haag war es allerdings so, dass für einige Mitarbeiter das Gehalt weiter von der Berliner Zentrale gezahlt wurde, siehe: BAB R 177/1901: Brief des Vorstands der Treu- arbeit an die Geschäftsleitung der Zweigniederlassung Den Haag vom 29.4.1942. 159 Treuverkehr Deutsche Treuhand AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Berlin. 160 Handbuch der deutschen Aktiengesellschaften, Jg. 1942, 1223, 2542, 2265. Anhand der Positionen »Löhne/Gehälter« mit Faktor 5,6 errechnet sich per 31.12.1941 für die Deutsche Treuhand-Gesell- schaft ein Mitarbeiterbestand von 217 Personen, für die Treuverkehr von 257 Mitarbeitern und für die Schwäbische Treuhand AG von 241 Mitarbeitern. 161 Zahlen aus den Bilanzen jeweils zum 31.12. des Jahres. 162 BAB R 3101/17697, Bl. 30: Niederschrift über die Sitzung des Arbeitsausschusses des Aufsichtsrates am 22.8.1944. 163 BAB R 8135/8623: »Alphabetische und abteilungsbezeichnete Revisorenliste« vom 1.5.1944. Von den dort 348 namentlich genannten Personen sind 337 Männer. Davon sind 188 Männer oder 55,79 Pro- zent mit dem Vermerk »Militär« gekennzeichnet. 164 Die Angabe der Revisorenzahl liegt für die Jahre 1932 bis 1938 vor. Setzt man die geschätzte Personal- höhe von 860 per 31.12.1943 in Beziehung zur Anzahl der namentlich aufgeführten 348 Revisoren aus der »Revisorenliste« vom 1.5.1944 (Quelle: BAB R 8135/8623, nicht foliert: »Alphabetische und abteilungsbezeichnete Revisorenliste«), ergibt sich ein Revisorenanteil von 40 Prozent. In dieser Liste fehlen allerdings die Vorstands-, Abteilungs- und Außenstellenleiter, von denen die meisten – circa 30 ermittelte Führungskräfte – Wirtschaftsprüfer gewesen sein dürften. Unter Berücksichtigung dieser Wirtschaftsprüfer ergäbe sich eine Quote von 43 Prozent. Leiter der Personal-, Treuhand- und Rechts- abteilung oder des Vorstandssekretariats müssen nicht zwingend Wirtschaftsprüfer sein. 165 BAB R 8135/8623, nicht foliert: »Alphabetische und abteilungsbezeichnete Revisorenliste«. 95 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit wiegende Mehrheit der bei der Treuarbeit angestellten Revisoren befand sich in dieser Praxisphase. Der Anteil der öffentlich bestellten Wirtschaftsprüfer an den Revisoren betrug immer weniger als 20 Prozent und gemessen an der Gesamtzahl der Mitarbeiter der Treuarbeit nie mehr als zehn Prozent. Ende 1940 gab es in der Treuarbeit 63 Wirt- schaftsprüfer. 14 weitere Männer standen im Zulassungs- oder Examensverfahren.166 Zu diesem Zeitpunkt waren knapp 440 Wirtschaftsprüfer in Deutschland öffentlich bestellt.167 Allein bei der Treuarbeit waren also etwa 14 Prozent aller Wirtschaftsprüfer tätig. Rund die Hälfte dieser Wirtschaftsprüfer wurde jedoch kaum oder jedenfalls nicht überwiegend im aktiven Prüfungsdienst eingesetzt, sondern war im Vorstand sowie in der Leitung von Revisionsabteilungen und Außenstellen tätig.168 Bei der Treuarbeit dürften wie bei anderen großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften etwa 50 Prozent der in der Prüfung tätigen Mitarbeiter ein Studium absolviert haben. Hier überwogen die Absolventen mit wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen, es folgten mit deut- lichem Abstand die Juristen. Revisoren ohne akademische Vorbildung kamen vor allem aus Banken und der Industrie.169 Männer und Frauen, die etwa ein Drittel der Mitarbeiterschaft ausmachten,170 nahmen in der Treuarbeit unterschiedliche Aufgabenbereiche wahr.171 Für Männer gab es eine stark differenzierte Funktionsskala von Prüfern: Vom »jungen Prüfungs- anfänger« bis zum »Prüfungsleiter für große und größte Aufgaben«. Für weibliche »Gefolgschaftsmitglieder« waren Bürovorsteherin, selbstständig tätige, wissenschaftliche Hilfsarbeiterin, selbstständige Sachbearbeiterin und Kontrolleurin die zu erreichenden Spitzenpositionen bei der Treuarbeit. Die Gesellschaft beschäftigte keine Wirtschafts- prüferin. Allerdings arbeiteten im Mai 1944 elf Frauen, davon eine promoviert, bei der Treuarbeit als Revisorin.172 Bei Männern war die Qualifikation »Wirtschaftsprüfer« nur für »Prüfungsleiter für große und größte Aufgaben« erforderlich. Für männ-

166 Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 1940, »Sozialbericht«. 167 Koch, Beruf (1957), 89. 168 Die letzte vorliegende Zahl von 63 bestellten Wirtschaftsprüfern stammt aus dem Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 1940. Die Revisorenliste vom 1.5.1944 nennt unter 348 Revisoren nur 36 Wirtschafts- prüfer. Auch wenn berücksichtigt wird, dass die Zahlen aus unterschiedlichen Jahren stammen, ist die Differenz vermutlich auf die Anzahl der Vorstands-, Abteilungs- und Außenstellenleiter zurückzuführen. 169 Aussagen der Treuhand-Vereinigung und der Deutschen Treuhand-Gesellschaft zur beruflichen Her- kunft ihrer Beschäftigten: HA Dresdner Bank, Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 1933; BAB R 8119F/5747, Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 1937, »Sozialbericht«. Bei der Treuhand-Ver- einigung hatten etwa zwei Drittel der akademisch vorgebildeten Mitarbeiter im Prüfungsdienst ein wirtschaftswissenschaftliches Studium absolviert, etwa ein Viertel hatte eine juristische Ausbildung, nur wenige waren Ingenieure. Bei den Mitarbeitern ohne akademische Vorbildung verfügten 16 Pro- zent über Bankpraxis. Zum Mitarbeiterstab der Deutschen Treuhand-Gesellschaft außerdem: Schuld, »Geschichte« (1965), 44. Hier sind Verwaltungs- und Betriebskaufleute, Volkswirte, Juristen, Ingenieure und Versicherungsfachleute genannt. 170 Der Geschäftsbericht der Treuarbeit für das Geschäftsjahr 1937 nennt 122 weibliche und 229 männ- liche Mitarbeiter. 171 BAB R 8135/10116: Gehaltsordnung der Deutschen Revisions- und Treuhand-Aktiengesellschaft in der Fassung vom 18.2.1943. 172 BAB R 8135/8623, nicht foliert: »Alphabetische und abteilungsbezeichnete Revisorenliste«. 96 Qualifizieren, integrieren, disziplinieren: Mitarbeiter und betriebliche Sozialpolitik liche Beschäftigte gab es außerdem differenzierte Beschäftigungsmöglichkeiten als »Angestellte mit kaufmännischer oder gleichwertiger Lehre«. Diese Beschäftigungs- möglichkeiten richteten sich nach den Anforderungen der auszuführenden Arbeiten. Für männliche Angestellte waren die Einsatzmöglichkeiten nicht spezifiziert. Für die weib- lichen Angestellten dagegen schon: Buchhalterinnen, Stenotypistinnen, Sekretärinnen und Bürogehilfinnen bildeten das Spektrum weiblicher Einsatzmöglichkeiten. Ent- sprechend unterschiedlich waren auch die Gehälter. Die mit dem Treuhänder der Arbeit abgestimmte Gehaltsordnung wies für »Prüfungsleiter für große und größte Aufgaben« ein Bruttogehalt von 1.000 RM aus; das Höchstgehalt für die Bürovorsteherin oder die wissenschaftliche Hilfsarbeiterin »auf selbständigem Posten« betrug lediglich maximal 600 RM.173 Damit erhielten sie so viel wie ein Amtmann. Das Gehalt des Prüfungs- leiters war dem eines Ministerialrates vergleichbar.174 Auch freiberuflich tätige Wirt- schaftsprüfer erzielten im Vergleich zu Berufsangehörigen anderer freier Berufe wie Ärzte und Rechtsanwälte das höhere Durchschnittseinkommen.175 Im Jahr 1941 standen Wirtschaftsprüfer »weitaus an der Spitze«, wie das IDW feststellte.176 Arbeiter gab es bei der Treuarbeit nicht. Voraussetzung für eine Beschäftigung bei der Treuarbeit war die »arische« Abstammung, bereits die »nichtarische« Abstammung der Verlobten des Bewerbers oder der Bewerberin stand einer Einstellung entgegen.177 Eine wichtige Berufsposition nahmen die sogenannten »Berichtskritiker« ein. Sie hatten die Aufgabe, die Prüfungsberichte auf korrektes Zahlenmaterial, Vollständigkeit und Plausibilität zu überprüfen. Grundsätzlich hatten alle Berichte die »Abteilung Kri- tik« zu durchlaufen. Dort wurden auch diejenigen Mitarbeiter »durchgebildet«, die in den Außenstellen die Berichtskritik vornehmen sollten.178 Mit bis zu 35 Lebensjahren war die Mehrheit der Mitarbeiter der Treuarbeit im Ver- gleich zu anderen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften eher jung. Bei den männlichen Angestellten waren dies etwa 61 Prozent, bei den weiblichen Angestellten sogar 75 Pro- zent.179 Wohl aus diesem Grund waren knapp 50 Prozent der Mitarbeiter unverheiratet. Von den verheirateten Mitarbeitern hatte wiederum nur etwa die Hälfte ein Kind oder mehrere Kinder.180

173 Individuelle Arbeitsverträge liegen nicht vor. 174 Ueberschär/Vogel, Dienen (1999), 108 175 Koch, Beruf (1957), 148 (dort Zahlen aus dem Jahr 1938). 176 WP-Nachrichten (1941), 8, aus dem Bericht des Institutsgeschäftsführers in der Verwaltungsrats- sitzung am 27.9.1941. 177 BAB R 8135/5924, nicht foliert: Bewerbungsbogen und »Erklärung« zur Abstammung – beide o. D. 178 BAB R 8135/5899: Protokoll über die 10. Sitzung des Vorstands mit den Abteilungsleitern am 28.4.1941, 4, 5. 179 Bei der Treuhand-Vereinigung betrug der Anteil der Mitarbeiter (Betriebsangehörige: 183), die 35 Jahre und jünger waren, Ende 1940 bei den Männer 42,4 Prozent und bei den Frauen 56,2 Prozent (Quelle: HA Dresdner Bank, Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 1940). Bei der Deutschen Treu- hand-Gesellschaft waren Ende 1937 bei 174 Mitarbeitern 43,1 Prozent jünger als 35 Jahre (Quelle: BAB R 8119F/5747, Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 1937, »Sozialbericht«). 180 Diese Analyse geht auf Zahlenmaterial zur Mitarbeiterstruktur zurück, das einmalig im Geschäfts- bericht für das Jahr 1940 dokumentiert ist. 97 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit In den Außenstellen beschäftigte die Treuarbeit auch ausländische Mitarbeiter. In der Zweigniederlassung Den Haag wuchs die Anzahl der Mitarbeiter von einigen wenigen im Sommer 1940 kurz nach der Errichtung der Außenstelle auf 64 Mitarbeiter zum Jahreswechsel 1941/1942 und auf 84 Mitarbeiter im August 1942. Noch im Mai 1944 waren dort 81 Mitarbeiter tätig, von denen nur 26 »Reichsdeutsche« waren, die anderen jedoch »Holländer«.181 Der Generalkommissar für Finanz und Wirtschaft, Hans Fischböck, hatte die Treuarbeit angewiesen, wegen der Vertraulichkeit der Aufgaben die »Sachbearbeiterstellen mit reichsdeutschen Herren« zu besetzen.182 Jedoch waren sowohl unter den Revisoren als auch unter den Mitarbeitern der Treuhandabteilung Niederländer beschäftigt.183 Im Treuhandbereich gab es seit 1943 auch eine »Bank- abteilung«, deren Abteilungsleiter ein Niederländer war.184 In der Ukraine hingegen wollte die Treuarbeit aus Gründen der Vertraulichkeit nicht einmal einen einheimischen Chauffeur akzeptieren.185 Im Laufe des Jahres 1936 hatte die Treuarbeit erstmals Probleme, qualifizierte Mit- arbeiter für die Revision zu gewinnen und zu halten. Die Nachfrage überstieg das Ange- bot. Die Gehälter der im Prüfungsdienst tätigen Mitarbeiter unterlagen der freien Ver- einbarung, die sich nun zugunsten der Mitarbeiter veränderte:186 Die Treuarbeit zahlte Gratifikationen an ihre Revisoren und sagte sie bei Neueinstellungen zu.187 Zudem schloss sie mit den Mitarbeitern längerfristige Arbeitsverträge ab. Diese Zugeständnisse waren ebenso nötig wie Sonderzulagen, laufende Gehaltsaufbesserungen und eine Ver- längerung der Kündigungsfristen,188 um einen ständigen Wechsel in der Mitarbeiter- schaft zu verhindern.189 Weitere Verbesserungen der Arbeitsbedingungen enthielten die freiwilligen sozialen Leistungen, die die Treuarbeit in Abhängigkeit von der Dienstzugehörigkeit, aber auch nach sozialen Kriterien wie Alter und Familienstand vergab und die im Laufe der Jahre

181 BAB R 8135/5727: Brief von Hans Dietz, Den Haag, an Hans Adler, Vorstand Treuarbeit Berlin vom 5.8.1940; BAB R 177/1892 »Besetzung der einzelnen Abteilungen der Zweigniederlassung Den Haag am 31. Dezember 1941/1. Januar 1942«; BAB R 8135/8630: Brief von Hans Dietz an Hans Fischböck, Generalkommissar für Finanz und Wirtschaft, vom 6.8.1942; BAB R 177/1897 »Liste der Gefolgschaftsmitglieder der Deutschen Revisions- und Treuhand-Aktiengesellschaft, Zweignieder- lassung Den Haag, Arnheim, Velperweg 13« vom 8.5.1944. 182 BAB R 177/1890: Brief von Fischböck an den Vorstand der Treuarbeit vom 22.6.1940. 183 BAB R 177/1892: »Besetzung der einzelnen Abteilungen der Zweigniederlassung Den Haag am 31. Dezember 1941/1. Januar 1942«. 184 BAB R 177/1890: »Arbeitsverteilung für die Bankabteilung« vom 17.3.1943 (Kurt van der Plaats). 185 BAB R 43 II/6866, Bl. 102: Brief Reichsprüfungsgesellschaft für die besetzten Ostgebiete an Reichs- kommissar für die Ukraine, Rowno, 13.10.1943, S. 2. 186 BAB R 8119F/5747: Geschäftsbericht der Deutschen Treuhand-Gesellschaft für das Geschäftsjahr 1937, »Sozialbericht«. 187 FAH 4E98, Bl. 152: Brief des Vorstandes der Treuarbeit an das Aufsichtsratsmitglied Gustav Krupp vom 9.10.1936. 188 Geschäftsberichte der Geschäftsjahre 1936 und 1937. 189 FAH 4E98, Bl. 101: Niederschrift über die Sitzung des Aufsichtsrats vom 23.3.1937. Durch den Abschluss längerfristiger Arbeitsverträge sei, so der Vorstand, »eine wesentliche Konsolidierung des Revisorenstabes erfolgt.« 98 Qualifizieren, integrieren, disziplinieren: Mitarbeiter und betriebliche Sozialpolitik vielfältig ausgebaut wurden.190 Familiäre Belange ihrer Mitarbeiter unterstützte die Treu- arbeit durch Heiratsbeihilfen, Geburtsbeihilfen und Kinderzulagen. Im Geschäftsjahr 1939 bot die Treuarbeit erstmals an, Kinder der »Gefolgschaftsmitglieder« in Erholungsheimen unterzubringen. Die Treuarbeit gewährte ferner billige Baudarlehn für den Erwerb eines Eigenheims.191 Damit erleichterte die Gesellschaft Führungskräften auch die Übersiedlung in Regionen außerhalb des Reiches. So ermöglichte sie dem Leiter der Niederlassung Reichenberg im Sudetenland mithilfe eines Darlehns den Erwerb von Haus und Garten außerhalb der Stadt.192 Für die Zeit nach Kriegsende plante die Treuarbeit den Bau von 48 Wohnungen für »Gefolgschaftsmitglieder«.193 Das Engagement während der Arbeit »in der Hauptprüfungszeit« belohnte sie mit freien halben Tagen und freien Sonnabenden. Essenszuschüsse gewährte die Treuarbeit denjenigen Mitarbeitern, die »im Kameradschafts- haus der Reichs-Kredit-Gesellschaft oder in den vegetarischen Gaststätten Schindler und Richter in der Leipzigerstraße zu Mittag essen«.194 Für weitere Erleichterungen im Arbeits- alltag sorgten eine Kaffeeküche, Pausenräume und ein Dachgarten in der Zentrale der Jägerstraße 10/11. Mit diesem Anfang 1937 bezogenen Neubau schuf die Treuarbeit darüber hinaus für ihre Mitarbeiter »vorbildlich schöne und zweckmäßige Arbeitsräume«.195 Zu Weihnachten wurde eine Gratifikation ausgeschüttet, »wenn es die wirtschaftliche Lage […] gestattet[e]«.196 Das berufliche Fortkommen ihrer Angestellten unterstützte die Treuarbeit mit finanziellen Zuschüssen für das Wirtschaftsprüferexamen und die Steuer- beraterprüfung.197 Des Weiteren war der Treuarbeit die Erhaltung von Gesundheit und Arbeitskraft ihrer Mitarbeiter ein besonderes Anliegen. Daher ermöglichte sie Angebote für die »sportliche Ertüchtigung« in Form von Gymnastik- und Sportstunden bei einem »akademischen Turn- und Sportlehrer« und engagierte 1941 zur gesundheitlichen Betreuung einen »Betriebsarzt« und einen »Betriebszahnarzt«. Schon 1939 hatte die Treuarbeit ärzt- liche Untersuchungen für jugendliche Beschäftigte eingeführt. Für ihre »vorbildliche Sorge um die Volksgesundheit« erhielt sie daher das »Leistungsabzeichen […] im Leistungskampf 1943/44«. Die Treue zur Gesellschaft belohnte die Treuarbeit mit einer Sondervergütung. Im Geschäftsjahr 1937 erhielten drei Mitarbeiter eine Sondervergütung für die zehnjährige Zugehörigkeit zum Unternehmen.198 1943 waren es zehn Mitarbeiter, die der Gesellschaft über diese Zeitdauer angehörten.199

190 Für das Folgende grundsätzlich: Geschäftsberichte für die Geschäftsjahre 1936 bis 1943, seit 1937 im separaten »Sozialbericht« oder »Aus der Betriebsgemeinschaft«. Ferner die im Einzelnen aufgeführten Quellen. 191 Geschäftsberichte für die Geschäftsjahre 1937 und 1940. 192 BAB R 2301/6533, Bl. 69–71, aus: »Bericht über die örtl. Prüfung der mit der Durchführung von wirtschaftlichen Maßnahmen betreuten Dienststellen in Prag und in Reichenberg in der Zeit vom 3. bis 7. Juni 1940«. Es handelt sich um einen Bericht des Reichsrechnungshofes. 193 Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 1941. 194 BAB R 8135/5910: Betriebsordnung vom 31.12.1940 (mit Wirkung zum 1.3.1941), 10. 195 Geschäftsberichte für die Geschäftsjahre 1936 (Zitat) bis 1938. 196 BAB R 8135/5910: Betriebsordnung vom 31.12.1940 (mit Wirkung zum 1.3.1941), 11. 197 BAB R 177/1901: Rundschreiben G (Gefolgschaft) Nr. 12 vom 29.7.1942. 198 Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 1937. 199 BAB R 8135/10077, Bl. 23: Gefolgschaftsnachrichten, Jg. VII, Juni 1943, Nr. 2, 6. 99 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit Sonderurlaub gewährte die Treuarbeit ihren Mitarbeiter zu verschiedenen familiären und beruflichen Anlässen wie Hochzeit, Umzug, Promotion, Fronturlaub des Ehemannes, Todesfälle der nächsten Verwandtschaft und Vorbereitung auf das Wirtschaftsprüfersexamen.200 Ein weiterer Unterstützungsbereich entstand nach Kriegs- beginn durch die Einberufung von Mitarbeitern. Die Treuarbeit zahlte den Familien- angehörigen »freiwillige Zuwendungen« zusätzlich zum gesetzlichen Familienunterhalt. Um darüber hinaus »eine lebendige Verbindung zwischen Heimat und Front« aufrecht- zuerhalten, versandte die Treuarbeit Bücher, Zeitschriften und Unterhaltungsspiele an die »unter den Fahnen stehenden Arbeitskameraden« und veröffentlichte Auszüge aus den »bei uns zahlreich eingegangenen« Feldpostbriefen.201 1941 schloss die Treuhand- gesellschaft Lebensversicherungen für diejenigen Revisoren ab, die in »kriegsgefährdeten Orten«, beispielsweise Kiel, Bremen, Düsseldorf und Mannheim, arbeiteten.202 Die Auf- wendungen für diese freiwilligen sozialen Zuwendungen an die Mitarbeiter steigerten sich von etwa 183.000 RM im Jahr 1937 auf etwa 429.000 RM im Jahr 1940. Ihre Größen- ordnung im Verhältnis zu den Gehaltskosten belief sich auf maximal zwölf Prozent. Der mit Abstand größte Einzelposten war die Weihnachtsgratifikation.203 Nach Kriegs- beginn und fortlaufenden Einberufungen zur Wehrmacht dürften die Sozialleistungen für die verbleibenden Mitarbeiter zunehmend den Charakter einer Kompensation für steigenden Leistungsdruck angenommen haben.204 Der Beschäftigungsgrad bei den Revisoren stieg bis Ende 1941 auf 112 Prozent an.205 Dies bedeutete Überstunden und Wegfall von Urlaub. Die betriebliche Sozialpolitik der Treuarbeit umfasste auch Hilfen bei Krankheit, in Notlagen, bei Unfällen und im Alter. Ein seit 1926 bestehender Fürsorgefonds wurde 1937 in die »Angestelltenversorgung der Deutschen Revisions- und Treuhand-Aktien- gesellschaft e. V.« überführt. Die Mittel dazu brachte allein die Treuarbeit auf, und die Leistungen waren nur für die Mitarbeiter, nicht für die Vorstandsmitglieder bestimmt.206 Um in den Genuss der Alters- und Hinterbliebenenversorgung zu gelangen, war eine 15-jährige Betriebszugehörigkeit Voraussetzung. Der Vorstand durfte jedoch »in Aus- nahmefällen« Arbeitsverträge abschließen, die von dieser Zeitdauer abwichen.207 Neu eingestellte Mitarbeiter, die das 50. Lebensjahr überschritten hatten, erhielten keinen Anspruch auf Leistungen aus der Altersversorgung.208 In den Jahren 1937 bis

200 BAB R 8135/5899: Protokoll zur 10. Sitzung von Vorstand und Abteilungsleitern am 28.4.1941, 9. 201 Geschäftsberichte für die Geschäftsjahre 1939 und 1940. 202 BAB R 8135/5899: Protokoll zur 12. Sitzung von Vorstand und Abteilungsleitern am 9.6.1941, 3. 203 Das Zahlenmaterial stammt aus den Geschäftsberichten. Zahlenmaterial aus den anderen Jahren liegt nicht vor. Berücksichtigt werden muss außerdem, dass die Treuarbeit nicht in jedem Geschäftsbericht die finanziellen Auswirkungen aller Zuwendungen betraglich genannt hat. 204 Frese, Betriebspolitik (1991), 136. 205 BAB R 2301/6129a, Bl. 84, 135: Prüfungsberichte für die Geschäftsjahre 1937 und 1938; BAB R 2301/6129, Bl. 228: Niederschrift über die Aufsichtsratssitzung am 13.5.1942. 206 BAB R 2301/6129, Bl. 193: Brief des Reichsministers der Finanzen an den Rechnungshof des Deutschen Reiches am 18.1.1940. 207 FAH 4E98, Bl. 101: Niederschrift über die Aufsichtsratssitzung am 3.3.1937. 208 BAB R 177/1901: Rundschreiben G (Gefolgschaft) Nr. 4 vom 19.7.1942. 100 Qualifizieren, integrieren, disziplinieren: Mitarbeiter und betriebliche Sozialpolitik 1941 betrugen die Zahlungen aus der Angestelltenversorgung zwischen 18.000 und 27.000 RM.209 Zusätzlich zu diesen finanziellen und materiellen Vergünstigungen veranstaltete die Treuarbeit Betriebsversammlungen, Gefolgschaftsfeste, Ausflüge und Betriebsappelle, »bei denen sich der wahrhaft erfreuliche Geist kameradschaftlicher Zusammengehörig- keit stets von neuem bestätigte«.210 Auch mit diesen Maßnahmen wollte der Vorstand das Wohl der Mitarbeiter, ihre Arbeitsfreudigkeit, ihr Leistungsvermögen und »den hohen Wert einer wahren Betriebsgemeinschaft« fördern.211 Seit 1937 veröffentlichte die Treuarbeit als weiteren Teil der betrieblichen Sozialpolitik die Betriebszeitung »Gefolg- schaftsnachrichten« zur »Stärkung des Gefühls der Zugehörigkeit zu unserer Gesell- schaft und zur Pflege der Kameradschaft«. Die »Hauszeitung« enthielt Informationen des Vorstandes zu Veränderungen im Aufsichtsrat und den Außenstellen, namentliche Nennungen der Neueintritte und Versetzungen, Dienstjubiläen und Prokuraerteilun- gen, Einberufungen, militärische Beförderungen und Auszeichnungen sowie »Familien- nachrichten« zu Verlobungen, Eheschließungen und Geburten. Der zweiten Ausgabe dieser Betriebszeitung im Jahr 1943 stellte der Vorstand der Treuarbeit einen mit vielen martialischen Phrasen versehenen Gruß »An unsere Soldaten« aus der Mitarbeiterschaft voran. Er lobte die »vorbildliche Tapferkeit«, durch die der »Ansturm unserer Gegner im Osten« zum Stehen gebracht worden sei. Nur durch die »erbitterten Gegenangriffe« sei »ganz Europa vor der Flut des Bolschewismus bewahrt« worden. Den einberufenen Mit- arbeitern wurde gleichzeitig versichert, dass die in der Heimat verbliebenen Mitarbeiter der Treuarbeit trotz der »zahlreichen Terrorangriffe« nicht erlahmt seien, sondern sich »nur noch verbissener zusammengeschart« hätten. Sie gelobten, auch künftig ihr Bestes zu leisten und versicherten, »durch unsere aufrichtige Gesinnung Euren Kampf nach unseren besten Kräften zu unterstützen. Die Front kann beruhigt sein, die Heimat hält aus!«212 Die institutionenökonomische Betrachtung der betrieblichen Sozialpolitik geht davon aus, dass Sanktionen und Restriktionen allein nur ungenügende Mittel sind, um die Mitarbeiter eines Unternehmens zu wirtschaftsfriedlichem Verhalten zu motivieren. Um die Kosten für Kontrolle und Koordination gering zu halten, müsse der Arbeit- geber finanzielle, materielle und soziale Anreize geben. Das Ziel einer derart gestalteten betrieblichen Sozialpolitik wird darin gesehen, innerbetriebliche Konflikte abzuwenden, egoistisches Mitarbeiterverhalten zu reduzieren sowie qualifizierte und loyale Mit- arbeiter zu gewinnen und an das Unternehmen zu binden. Sozialleistungen und die »Implementierung ritualisierter Wir-Beziehungen« sollen die Identifikation der Mit- arbeiter mit dem Unternehmen erhöhen und so eine spezifische Unternehmenskultur formen. Letztlich gehe es dem Arbeitgeber darum, Transaktionskosten zu senken, die

209 BAB R 2301/6129a, Bl. 125, 157, 246: Prüfungsberichte für die Geschäftsjahre 1939 bis 1941; Geschäftsberichte der Jahre 1937 und 1938. 210 Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 1937. 211 Geschäftsberichte für die Geschäftsjahre 1937 und 1940 (»Aus der Betriebsgemeinschaft«). 212 BAB R 8135/10077: Gefolgschaftsnachrichten, Jg. VII, Juni 1943, Nr. 2. 101 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit durch die Einarbeitung neuer Mitarbeiter und den Arbeitsausfall durch Krankheit, Störungen oder Fernbleiben entstehen und sich negativ auf die Kundenbeziehungen auswirken. Gerade die selektive Vergabe von Sozialleistungen nach Betriebstreue, Familienstand, Leistungsorientierung oder Bedürftigkeit gelte als deutlicher Beleg für die Kosten-Nutzen-Orientierung des Arbeitgebers.213 Diese Plausibilitätsüberlegungen waren sicherlich auch für die Treuarbeit maßge- bend. Andere Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, wie die Deutsche Treuhand-Gesell- schaft und die Treuhand-Vereinigung, boten ähnliche freiwillige soziale Zuwendungen und Gemeinschaftsveranstaltungen.214 Finanzielle und materielle Anreize sind vom wirtschaftlichen Standpunkt aus nachvollziehbar, denn häufige Fluktuationen stören den Aufbau eingespielter interner Mitarbeiterbeziehungen, die im Betrieb für den konfliktfreien, reibungslosen und zügigen Arbeitsablauf erforderlich sind. Auch in der Außenbeziehung des Unternehmens zu seinen Kunden ist ein fachlich erfahrener, lang- jährig tätiger und engagierter Mitarbeiterstamm für die Vertrauensbindung von Vorteil. Darüber hinaus wollte die Treuarbeit sicherlich die Vorgaben erfüllen, die die national- sozialistische Politik propagierte. Als staatliche Gesellschaft sah sie sich vermutlich in der Rolle eines Vorbildes, das seiner Fürsorgepflicht als Arbeitgeber in besonderer Weise nachkommen wollte und mit Heiratsbeihilfen und Kinderzulagen auch gesellschafts- politische Ziele unterstützte. Die Deutsche Arbeitsfront (DAF) forderte den Ausbau betrieblicher Sozialleistungen, um die Arbeitszufriedenheit und die Betriebsharmonie zu fördern und die Leistung zu erhöhen. Die DAF verpflichtete die Unternehmen seit Herbst 1934 dazu, eine Betriebs- ordnung aufzustellen und einen Vertrauensrat einzusetzen. Die Betriebsordnung sollte die grundsätzlichen Regelungen des Arbeitsverhältnisses, wie Arbeitszeiten, Kündigungs- gründe, Entlohnung, Verhaltensanforderungen an die Beschäftigten, Betriebsstrafen bei Verstößen gegen Ordnung und Sicherheit im Betrieb, enthalten und dokumentieren, »wie tief der Gedanke der Betriebsgemeinschaft und der Betriebsverbundenheit in die Kreise der deutschen Arbeitsmenschen eingedrungen ist.« Der Vertrauensrat, dessen Mitglieder der DAF angehören sollten, war keine Vertretung der Mitarbeiter. Er war eine Beratungsinstanz der Unternehmensleitung. Er sollte Leistung und Loyalität der Beschäftigten fördern und den »Betriebsführer« bei der Ausgestaltung der Arbeits- bedingungen unterstützen. Um zur Umsetzung ihrer Vorstellungen zu motivieren, veranstaltete die DAF im Jahr 1937 erstmals den »Leistungskampf der deutschen Betriebe«.215 Die Treuarbeit nahm 1940 am Leistungskampf teil und wurde am 1. Mai 1941 »erstmalig mit dem Gaudiplom für hervorragende Leistungen ausgezeichnet«. Vor

213 Nieberding, »Sinnkonstruktionen« (2004), 216–225 zu den Gründen und Zielen betrieblicher Sozial- politik sowie zu den Voraussetzungen, der Struktur, der Art und dem Umfang betrieblicher Sozial- leistungen. 214 HA Dresdner Bank, Geschäftsberichte der Treuhand-Vereinigung für das Geschäftsjahr 1937; BAB R 8119F/5747: Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 1937 »Sozialbericht«; BAB R 8119F/5748: Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 1940 »Sozialbericht«. 215 Frese, Betriebspolitik (1991), 124, 138–139 (Betriebsordnung), 143 (Zitat), 169–172 (Vertrauensrat), 251 (Berufsausbildung), 367 (Betriebsappelle), 421. 102 Qualifizieren, integrieren, disziplinieren: Mitarbeiter und betriebliche Sozialpolitik diesem Hintergrund ordnete die Treuarbeit den »DAF. -Zellenapparat neu […] und [gab] durch Aushang von Tafeln in den einzelnen Abteilungen jedem Gefolgschaftsmit- glied die Möglichkeit […], Namen und Tätigkeit der Amtswalter der DAF. zu ersehen. Die Betriebsordnung wurde neu überarbeitet […]. Die Zusammenarbeit mit den Dienststellen der DAF. und ihren Amtswaltern sowie den Mitgliedern des Vertrauens- rats gestaltete sich auch im Jahre 1940 durchaus harmonisch und ersprießlich.«216 Die Treuarbeit sandte ihre Mitarbeiter auch zur »Berufsdurchbildung« zu den von der DAF veranstalteten Kursen und führte die von der DAF gewünschten Betriebsappelle durch, die die Arbeitsdisziplin und Betriebsverbundenheit demonstrieren sollten.217 Etwa die Hälfte der »Arbeitskameraden« war der Deutschen Arbeitsfront als Einzelmitglied angeschlossen, 43 Prozent waren Mitglied im Nationalsozialistischen Rechtswahrerbund (NSRB) und gehörten damit korporativ der DAF an.218 Der Vorstand der Treuarbeit erwartete von den Mitarbeitern, sich einer der beiden Organisationen anzuschließen, und ließ sich von den Außenstellenleitern die Namen derjenigen Beschäftigten nennen, die weder in der DAF noch dem NSRB Mitglied waren.219 Offenbar verleitete die räumliche Distanz zur Zentrale die Mitarbeiter dazu, sich dieser Verhaltenserwartung zu entziehen. Kosten-Nutzen-Überlegungen gab es sicherlich auch aufseiten der Angestellten der Treuarbeit, die ihre Situation mit der von Angestellten in konkurrierenden Wirtschafts- prüfungsgesellschaften oder ähnlichen Arbeitstätigkeiten in anderen Unternehmen ver- glichen haben dürften. Inwieweit die betrieblichen Sozialleistungen tatsächlich zu der gewünschten Betriebstreue und Loyalität geführt haben, sei dahingestellt. Die wenigen Dienstjubiläen sprechen eher für eine geringe Verbundenheit zur Prüfungsgesellschaft. Hingegen war die Treuarbeit aufgrund ihrer Verbindungen zu Reichsministerien und Unternehmen in staatlichem Besitz in besonderem Maße ein Karrieresprungbrett für ehrgeizige Männer. Firmen warben gerne Mitarbeiter ab. Der Vorstand wandte sich sogar an die Mitglieder des Aufsichtsrats, damit diese »Sorge […] tragen, dass in ihren Arbeitsbereichen nach Möglichkeit von der Anstellung von Gefolgschaftsmitgliedern der Treuarbeit Abstand genommen würde.«220 Dennoch konnte die Treuarbeit trotz jahrelanger Gegenwehr nicht verhindern, dass einige ihrer leitenden Mitarbeiter in Führungspositionen anderer Unternehmen wechselten:221 So ging Hans Braun, Leiter der Zweigniederlassung Den Haag, 1942 in den Vorstand der Bank der Deutschen Luft-

216 Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 1940 »Aus der Betriebsgemeinschaft«. 217 Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 1937 »Sozialbericht«. 218 Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 1940 »Aus der Betriebsgemeinschaft«, der NSDAP gehörten 22 Prozent der Mitarbeiter an. 219 BAB R 8135/5899: Protokoll über die 10. Sitzung des Vorstandes mit den Abteilungs- und Außen- stellenleitern am 28.4.1941, 12. 220 BAB R 2301/6129, Bl. 18: Niederschrift über die Sitzung des Aufsichtsrats am 29.3.1939. 221 BAB R 2/17658: Niederschrift des Arbeitsausschusses des Aufsichtsrats am 11.3.1942 zu Braun und Denckert; BAB Personaldatenbank PK R066/2122 zu Wilhelm Treude. 103 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit fahrt, Abteilungsleiter Ulrich Denckert222 trat in die Leitung des Werkes Königsberg der Schichau AG ein und Abteilungsleiter Wilhelm Treude wechselte als Geschäftsführer zur Luftfahrtanlagen GmbH. An die Dresdner Bank verlor die Treuarbeit schon 1932 ihren Bankenspezialisten Hermann Richter und 1937 Paul Binder, den späteren baden- württembergischen Politiker und Parlamentarischen Rat.223 Bisweilen erzwangen Gauleiter die »Freigabe« einer Führungskraft, wie im Fall der Niederlassungsleiter in Danzig und Saarbrücken.224 Aber auch unterhalb der Führungsebene gab es offen- bar so zahlreiche Abwanderungswünsche, dass der Vorstand in einer Hausmitteilung den wechselwilligen Mitarbeitern eine klare Absage erteilte, insbesondere, wenn sie auf Intervention der Treuarbeit vom Militärdienst freigestellt worden waren.225 Das Problem des Personalmangels erfuhr nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges noch einmal eine besondere Verschärfung durch die zunehmenden Einberufungen von Mitarbeitern zur Wehrmacht.226 Die Treuarbeit war gezwungen, ältere Männer und sogar Frauen als Revisoren einzustellen. Im Herbst 1943 spitzte sich die Situation der- art zu, dass die Vorstandsmitglieder nicht nur ihre eigene Einberufung, sondern auch eine Schließung der Gesellschaft befürchteten. Der Arbeitsausschuss des Aufsichtsrates beschloss, eine »Sonderaktion zur Erhaltung [der] wichtigsten Fachkräfte« durchzu- führen. Hierzu sollten das Reichswirtschaftsministerium und das OKW eingeschaltet werden. Mindestens 25 bis 30 leitende Mitarbeiter der Geburtsjahrgänge 1887 bis 1905 seien, so Richard Karoli, als »Schlüsselkräfte« erforderlich, um die Einsatzfähigkeit der Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Die Vorstandsmitglieder der Treuarbeit, so befand der Arbeitsausschuss, müssten »als ausgesprochene Spitzenkräfte der Gesellschaft möglichst bis zuletzt von der Einberufung« freigehalten werden.227 Seit die Treuarbeit im Herbst 1940 mit den Abteilungsleitern eine zweite Führungs- ebene errichtet hatte, gab es unter den Wirtschaftsprüfern eine dreistufige Gliederung: Vorstände, Abteilungs- und Außenstellenleiter sowie die nicht mit einer statustragenden Bezeichnung versehenen Wirtschaftsprüfer, die Gruppenleiterfunktion für Prüfungs- teams übernahmen. »Mit der Bezeichnung ‚Gruppenleiter‘ soll weitgehend Zurück- haltung geübt werden.« Die ständige Führung dieser Bezeichnung war beim Vorstand

222 Zum Vornamen »Ulrich« siehe WP-Nachrichten – vertrauliche Mitteilungen des Instituts der Wirtschaftsprüfer, Nr. 1/2, 31. Dezember 1942, 11. Jg., 91 (»Todesfälle und Aufhebungen von Bestellungen«). 223 Bähr, Dresdner Bank (2006), 601, 610 (Biographischer Anhang). 224 BAB R 2/17658: Niederschrift über die Sitzung des Arbeitsausschusses des Aufsichtsrats am 11.3.1942: Erwin Rehbinder, Mitleiter der Zweigniederlassung Danzig ging auf Intervention des Gauleiters Forster; BAB R 2/17658: Niederschrift über die Sitzung des Aufsichtsrats am 16.12.1942: Dr. Oberste-Padberg, Niederlassung Saarbrücken, schied aus der Treuarbeit nach der Intervention des Gauleiters Simon aus. 225 BAB R 8135/8591: Mitteilung Nr. 23 vom 22.1.1941. 226 BAB R 2301/6129, Bl. 70, 137, 227, 280: Niederschriften über die Sitzungen des Aufsichtsrates am 25.4.1940, 15.5.1941, 13.5.1942, 9.6.1943; BAB R 2/17658, Bl. 140: Niederschrift über die Sitzung des Arbeitsausschusses des Aufsichtsrates am 11.3.1942. 227 BAB R 3101/17697, Bl. 38: Niederschrift über die Sitzung des Arbeitsausschusses des Aufsichtsrates am 5.10.1943. 104 Qualifizieren, integrieren, disziplinieren: Mitarbeiter und betriebliche Sozialpolitik zu beantragen.228 Die Treuarbeit wollte sich offensichtlich vor materiellen Forderungen derjenigen Wirtschaftsprüfer schützen, die durch sich verfestigende Titel eine weitere unerwünschte Führungsebene hätten bilden können. Dabei handelte es sich bei den Wirtschaftsprüfern hinsichtlich ihrer Vorbildung – in aller Regel ein Hochschul- studium – und im Hinblick auf den Qualifizierungsnachweis, nämlich das Wirt- schaftsprüferexamen, um eine homogene Gruppe. Gerade die Gruppenleiter dürften am ehesten abwanderungsgefährdet gewesen sein, weil sie wegen des niedrigen Alters der Vorstände und der Abteilungs- und Außenstellenleiter nicht mehr aufsteigen konnten.229 Und während akademisch ausgebildete Betriebswirte in der Privatwirt- schaft selten in Führungsfunktionen gelangen konnten,230 war dies bei Wirtschafts- prüfern, deren Berufspraxis Überblick und Tiefe miteinander vereinte, und die durch ihre Tätigkeit in der Treuarbeit womöglich wichtige Kontakte zu Ministerien oder NS- Institutionen erworben hatten, eher möglich. Zwischen Juni 1942 und August 1944 beschäftigte die Treuarbeit 89 Gesamt- prokuristen.231 Im Hinblick auf die Qualifikationsmerkmale zeigt sich die Dominanz der Hochschulausbildung bei diesen Führungskräften: 60 Prozent der Wirtschaftsprüfer hatten promoviert. Die hohe Quote der akademischen Vorbildung folgte dem Trend des Berufsstandes.232 Darüber hinaus hatten gut 77 Prozent eine kaufmännische Lehre oder Tätigkeit, häufig in einer Bank, absolviert.233 Fast 42 Prozent von ihnen waren auch als Steuerberater oder Helfer in Steuersachen zugelassen. Der sozialen Herkunft nach waren die Wirtschaftsprüfer als Söhne von Bahn- oder Postbeamten, Lehrern oder Kaufleuten der bürgerlichen Schicht zuzuordnen. Im Hinblick auf ihre Führungsposition bei der Treuarbeit kann man von sozialen Aufsteigern sprechen. Die Männer stammten aus

228 BAB R 8135/5899: Protokoll über die 10. Sitzung des Vorstandes mit den Abteilungsleitern am 28.4.1941, 6. 229 Rudorf, Vits und die Brüder Karoli waren erst Anfang 30, als sie in den Vorstand berufen wurden; Voss, Rittstieg, Adler, Welland und Schmaltz waren um die 40 Jahre alt, siehe: BAB Personaldaten- bank, Personallisten W der Reichskammer der Wirtschaftstreuhänder enthalten die Geburtsdaten; Geschäftsberichte der Treuarbeit enthalten das Jahr des Eintritts in den Vorstand der Treuarbeit. 230 Franz, Markt (1998), 178, 251; lt. Burren, Wissenskultur (2010), 118, begrüßte die Privatwirtschaft die Fachbildung des kaufmännischen Angestellten, die kaufmännische »Kernfunktion« des Betriebs- leiters galt hingegen als nicht akademisierbar. Aber auch im Rechnungswesen gab es Defizite in der akademischen Betriebswirtschaftslehre: Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges spielten Planungs- rechnung und Berichtssysteme in Unternehmen eine große Rolle, in der BWL jedoch kaum eine Rolle, siehe Pleitgen, Entwicklung (2005), 79. 231 Wiener Stadt- und Landesarchiv: Handblatt Wien aus dem Handelsregister Abteilung B, Nr. 4032, Amtsgericht Wien, Auflistung der Gesamtprokuristen. 232 Im Jahr 1941 verfügten nur 61 Prozent der in der Dekade 1891 bis 1900 geborenen Wirtschafts- prüfer über eine akademische Vorbildung; aus der Dekade 1901 bis 1910 waren es schon 83 Prozent, siehe WP-Nachrichten (1941), 7, aus dem Bericht des Institutsgeschäftsführers in der Verwaltungsrats- sitzung am 27.9.1941. 233 Aus dem Kreis der 89 namentlich bekannten Gesamtprokuristen waren für 31 Personen die Personal- blätter der Reichskammer der Wirtschaftstreuhänder feststellbar, die Auskunft über persönliche und berufliche Daten geben. Weitere Daten wurden den Lebensläufen promovierter Wirtschaftsprüfer, die in den veröffentlichten Dissertationen abgedruckt waren, entnommen. 105 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit dem gesamten Reich, sowohl aus großen Städten, wie Köln, Hannover oder Leipzig, aber auch aus kleinen Orten, wie Letmathe, Rotthausen oder Plietnitz (Westpreußen). Kaum einer von ihnen hatte im Geburtsort studiert. Unter den Studienorten stach Köln – hier hatte der prominente Betriebswirtschaftler Eugen Schmalenbach 1913 ein Treuhandseminar eingerichtet234 – stark hervor. Es überwog der wirtschaftswissenschaft- liche Abschluss des Diplom-Kaufmannes, wenige hatten einen Abschluss als Diplom- Handelslehrer, Diplom-Volkswirt oder Jurist. Zum Zeitpunkt der »Machtergreifung« waren etwa 90 Prozent der Männer zwischen 23 und 32 Jahre alt, bei Kriegsende also erst Mitte 30 bis Mitte 40. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass es sich bei den Führungskräften der Treuarbeit um eine Gruppe praktisch ausgebildeter, akademisch vorgebildeter und zum Teil wissenschaftlich qualifizierter Männer handelte, die, aus bürgerlichem Hause kommend, jung, mobil und ehrgeizig ihre Karriere verfolgten. Im Mittelpunkt des Personalinteresses der Treuarbeit standen zweifellos die Wirt- schaftsprüfer und die Revisoren. Der Mangel an qualifizierten Mitarbeitern, die der Arbeitsmarkt schon früh nicht mehr hergab, war ein Wachstumsproblem ersten Ranges, denn auch die Privatwirtschaft fragte in den 1930er Jahren verstärkt nach akademisch ausgebildeten Betriebswirten.235 Die Betriebswirtschaftslehre als akademische Disziplin hatte sich seit dem Jahrhundertbeginn stetig aufwärts entwickelt.236 Parallel zur univer- sitären Institutionalisierung erhielten Betriebswirte Anerkennung und Förderung zuerst vom Staat und in Zeiten staatlicher Wirtschaftslenkung.237 Erstmals in der Zeit des Ers- ten Weltkrieges und in der NS-Zeit ab 1936 waren ihre bevorzugten Arbeitsfelder Kos- tenrechnung, Vereinheitlichung von Kontoführung und Buchhaltung sowie Preisermitt- lungen und Preiskontrollen.238 Wilhelm Adler, 1932 verstorbenes Vorstandsmitglied der Treuarbeit sah eine »systematische Heranbildung urteilsfähiger, wirtschaftlich vielseitig geschulter Kaufleute« als Voraussetzung für die erfolgreiche Arbeit einer Treuhandgesell- schaft an. Die akademisch vorgebildeten Kräfte seien das lebendige Bindeglied zwischen Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftspraxis. »Diese Befruchtung«, davon war Adler überzeugt, »wirkt sich insbesondere bei der notwendigen Herausbildung von Normen für die Aufstellung von Bilanzen und für die Beurteilung von Erfolgsrechnungen aus, die angesichts der dürftigen handelsgesetzlichen Vorschriften von besonderer Wichtig- keit für die Wirtschaftspraxis sind.«239 Die Treuarbeit bildete ihre Prüfer selbst aus.240 Mit sechs Jahren war die Aus- bildungszeit recht lang. Zudem musste die Gesellschaft in jedem Jahr einen hohen Pro-

234 Weyershaus, Wirtschaftsprüfung (2007 ebook), 79. 235 Mantel, Betriebswirtschaftslehre (2009), 54. 236 Mantel, Betriebswirtschaftslehre (2009), 21 (eine Studienreform Mitte der 1920er Jahre machte BWL zum Prüfungsfach für Juristen und Volkswirte, Ende der 1920er Jahre erhielten Handelshochschulen das Promotionsrecht). 237 Mantel, Betriebswirtschaftslehre (2009), 18, 40, 49. 238 Mantel, Betriebswirtschaftslehre (2009), 46, BWL beschäftigte sich jedoch kaum mit anderen Themen wie Marketing, Organisation, Personal. 239 Adler, »Aufgaben« (1929), 13. 240 Geschäftsberichte für die Jahre 1937 und 1940. 106 Qualifizieren, integrieren, disziplinieren: Mitarbeiter und betriebliche Sozialpolitik zentsatz neuer Mitarbeiter integrieren. Auf die Nachwuchsbildung richtete der Vorstand der Treuarbeit daher sein besonderes Augenmerk. Zur vollständigen und einheitlichen Bearbeitung von Prüfungen gab der Vorstand umfangreiche Richtlinien heraus.241 Schon Mitte der 1920er Jahre prüfte die Treuarbeit Unternehmen mit Reichsbeteiligung nach Maßgaben von Prüfungsrichtlinien.242 Diese Richtlinien regelten sehr detailliert Anforderungen zum Inhalt von Bilanzprüfungen und Berichterstattung. Im Mittel- punkt standen die Bewertung der Vermögensgegenstände, die Abschreibungspraktiken und die Herkunft der Betriebserfolge sowie Angaben zur Rentabilität und Liquidität von Unternehmen. Die Wirtschaftsprüfer der Treuarbeit sollten die Mandanten zudem bei der Einführung kurzfristiger Erfolgskontrollen, der Ermittlung außerordentlicher Betriebsergebnisse sowie der Schaffung von Standardziffern zu Vergleichszwecken und der Aufstellung von Konzernbilanzen, Budgets und Produktionsplänen unterstützen. Diese facettenreiche Expertise sollte die praktische Bedeutung einer Prüfung zu einer vertieften betriebswirtschaftlichen Beurteilung steigern.243 Die firmeninterne Ausbildung betraf neben der fachlichen Seite auch das Kommunikationsverhalten der Mitarbeiter gegenüber den Kunden und das Arbeits- verhalten in der Treuarbeit. Die Verhaltensregeln des Vorstandes forderten, dass sich »ein Revisor bei seiner kritischen Arbeit nicht als ein ‚Schulmeister‘ fühlen darf«. Der Revisor sei weder Polizeiinstitut noch Verwaltungsbehörde, er müsse sich stattdessen in das »wirtschaftliche Milieu« der geprüften Firma hineinversetzen und auch aktuelle Wirtschaftsfragen in die Prüfung einbeziehen. Die Revision solle der zu prüfenden Firma einen praktischen Nutzen bringen und daher jede Prüfung individuell auf die jeweilige Firma ausgerichtet sein. Deshalb seien vor Prüfungsbeginn mit der geprüften Gesell- schaft die bedeutsamen Sachverhalte zur Ordnungsmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit zu besprechen. Nach Abschluss der Prüfung solle eine eingehende Schlussbesprechung mit der Firmenverwaltung stattfinden. Den Leitern der Prüfungsgruppen erteilte der Vor- stand die Anweisung, »die jüngeren Herren […] systematisch fort[zu]bilden.«244 Da alle Wirtschaftsprüfer formal die gleiche Qualifikation hatten und die berufsbildende Auf- gabe der Bilanzpflichtprüfung für alle Unternehmen grundsätzlich identisch war, waren besondere Anstrengungen nötig, um unter den Wirtschaftsprüfungsgesellschaften eine Qualitätsführerschaft zu erringen. »Betriebsführer« Hesse kritisierte jedoch die fehlende Sensibilität im Umgang mit neuen Arbeitskräften und forderte von den Abteilungs-

241 Überliefert sind Prüfungsrichtlinien für die Luftrüstungsindustrie (BAB R 8135/4677) und für Banken (BAB R 8135/8629), ferner hatte die Treuarbeit eine umfangreiche Bibliothek, die auch eine Sammlung von Hausarbeiten zum Wirtschaftsprüferexamen ihrer Mitarbeiter enthielt. 242 BAB R 2301/6547: »Richtlinien für die Prüfung von Unternehmen mit eigener Rechtspersönlich- keit, an denen das Reich mittelbar oder unmittelbar beteiligt ist, durch Treuhandgesellschaften« (Abschrift), als Anlage zu einem Brief des Reichsministers der Finanzen an »sämtliche Reichsressorts« vom 8.7.1925. 243 Adler, »Aufgaben« (1929), 13. 244 BAB R 8135/8591: Rundschreiben Nr. 88, 18.12.1935, Anlage II, 1–3, 4–5. 107 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit leitern, der Nachwuchsfrage höchste Aufmerksamkeit zu widmen.245 Die fachliche und menschliche Ausbildung neuer Kräfte erfordere besondere Pflege. Alle leitenden Mit- arbeiter »müssen auf neue Herren unmittelbar einwirken.« So müsse der Nachwuchs beständig zu Pünktlichkeit und Ordnung in allen Dingen erzogen werden, seien es Tätigkeitsberichte, Spesenabrechnungen oder Krank- und Urlaubsmeldungen. »Neue Herren müssen hinsichtlich ihrer Leistung […] als auch hinsichtlich ihres Auftretens dauernd überwacht werden und es muß ihnen von Abteilungs- und Prüfungsleitern klar gesagt werden, wenn man nicht zufrieden ist.« Über den Leistungsstand waren Aktennotizen zu fertigen, die beispielsweise bei Gesprächen über Gehaltsveränderungen sinnvoll waren. Darüber hinaus seien »[k]ameradschaftliche und freundschaftliche Behandlung Neueingetretener durch Prüfungsleiter und Mitarbeiter« erforderlich. Dies betreffe besonders »Herren, die altersmäßig nicht mehr die jüngsten Anfänger sind.« Hier müsse »verlangt werden, daß die Kollegen in ihrer ganzen Einstellung und Art Ver- ständnis für die Schwierigkeit des Übertritts in einen neuen Beruf beweisen.«246 Der Vorstand hatte bei einigen Sachverhalten Anlass, das Verhalten von Mitarbeitern zu kritisieren. So rechneten in der Nacht reisende Mitarbeiter bei der Reisekostenab- rechnung Schlafwagenplätze ab, obwohl sie diese gar nicht erhalten hatten.247 Mit- arbeiter reichten ihre wöchentlichen Tätigkeitsberichte nicht zeitnah ein und gaben unleserliche und unübersichtlich gestaltete Berichtskonzepte ab.248 Sie telefonierten privat, versäumten es, rechtzeitig die Überschreitung vorgegebener Prüfungszeiten mit- zuteilen, und gaben bei Auslandseinsätzen ihre Lebensmittelkarten an Dritte weiter, obwohl sie diese hätten zurückgeben müssen.249 Mitarbeiter kamen zu spät zum Dienst oder verließen die Arbeitsstätte vorzeitig. Mehrmals mahnte der Vorstand die Abteilungs- leiter an, auf pünktliche Einhaltung der Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter zu achten.250 Zu Kritik führte auch das unangemessene Verhalten der Revisoren gegenüber den Kunden. So sahen sich »manche Prüfer […] offenbar in der Funktion des Kriminalbeamten, des Detektivs, des Staatsanwaltes oder auch des behördlichen Aufsichtsbeamten« und fielen durch »schulmeisterliches Besserwissen« unangenehm auf.251 Zudem waren die Mit- arbeiter offenbar vielfältigen Versuchungen ausgesetzt. Hesse forderte, dass die Haltung aller Mitarbeiter tadellos sein müsse: »Annahme von Sonderzahlungen, Geschenken, Gratifikationen von geprüften Stellen [sind] ja wohl bei uns undenkbar, aber auch

245 BAB R 8135/5899: Protokoll über die 1. Sitzung des Vorstandes mit den Abteilungsleitern am 2.12.1940, 3. 246 BAB R 8135/5899: Protokoll über die 10. Sitzung des Vorstandes mit den Abteilungsleitern am 28.4.1941, 6, 7 (Zitate). Protokoll in telegrammartigem Stil; Hervorhebung durch Unterstrich im Protokoll. 247 BAB R 8135/8591: Mitteilung Nr. 45 vom 19.11.1941. 248 BAB R 8135/5899: Protokoll über die 12. Sitzung des Vorstandes mit den Abteilungsleitern am 9.6.1941, 4; BAB R 8135/8591: Mitteilung Nr. 87 vom 1.9.1943, Mitteilung Nr. 96 vom 7.7.1944. 249 BAB R 8135/8591: Mitteilung ohne Nr. vom 27.5.1941, Mitteilung Nr. 16 vom 17.10.1940, Mit- teilung Nr. 95 o. D. (zwischen Mai und Juli 1944). 250 BAB R 8135/5899: Protokoll über die 11. Sitzung des Vorstandes mit den Abteilungsleitern am 12.5.1941, 3; Protokoll über die 12. Sitzung des Vorstandes mit den Abteilungsleitern am 9.6.1941, 5. 251 BAB R 8135/8591: Mitteilung ohne Nr. vom 25.8.1935 (oder 1936). 108 Qualifizieren, integrieren, disziplinieren: Mitarbeiter und betriebliche Sozialpolitik bei Spesenfragen, Besorgungen, Einladungen, Vergünstigungen, Warenbezug« müsse musterhafte Korrektheit herrschen. »Unser guter Ruf [basiert] neben der Leistung, oder noch vor ihr auf der absoluten Zuverlässigkeit« der Gesellschaft und aller Mitarbeiter. Mit zunehmender Kriegsdauer könne sich hier eine Laxheit einstellen, der die Treu- arbeit entschieden entgegentreten müsse.252 »Zur Aufrechterhaltung von Ordnung und Disziplin« beschloss der Vorstand gemeinsam mit dem Vertrauensrat ein mehrstufiges Verfahren »für Fälle von Verfeh- lungen usw.« Einer Verwarnung durch den Abteilungsleiter folgte im Wiederholungs- fall eine Verwarnung durch den Betriebsführer. Die nächste Eskalationsstufe bestand im leichten Verweis durch Bekanntgabe in der Abteilung, und schließlich wurde bei nochmaliger Wiederholung ein schwerer Verweis im Rahmen des Betriebsappells, also vor den versammelten Arbeitskollegen, erteilt. Über alle Verwarnungen waren Akten- notizen anzufertigen. Großzügiger war der Vorstand bei den Führungskräften: »Bei Ver- warnungen der Abteilungsleiter kommt die betreffende Notiz zunächst noch nicht in die Personalakte.«253 Da mit zunehmender Kriegsdauer mehr und mehr Prüfer eingezogen wurden, kam die Treuarbeit nicht umhin, die Prüfungszeiten für Abschlussprüfungen zu reduzieren.254 Vorstand und Abteilungsleiter diskutierten seit Anfang 1941 kontrovers und mehrere Monate lang, welche Maßnahmen ergriffen werden sollten. Erwogen wurde, Teile der Prüfung, zum Beispiel die rein rechnerischen Kontrollen, wegzulassen oder wenigstens die Berichterstattung darüber zu unterlassen. Erörtert wurde zudem, ob man die Mandanten über die Prüfungskürzungen unterrichten solle und welche positiven Rationalisierungsaspekte man den erforderlichen Kürzungen abgewinnen könne. Sollte man die Entscheidung für jede Prüfung einzeln treffen oder sollte der gesamte Auf- tragsbestand der Treuarbeit nach »Dringlichkeitsstufen« gegliedert werden? Sollten die »Zwischenprüfungen« bei Banken wegfallen oder sollte man mit den »Wirtschafts- gruppen« über eine Aussetzung von Prüfungen verhandeln?255 Anfang Juni 1941 hatte

252 BAB R 8135/8628: Protokoll über die 17. Sitzung des Vorstandes mit den Abteilungs- und Außen- stellenleitern, 16.12.1942, 2. 253 BAB R 8135/5899: Protokoll über die 10. Sitzung des Vorstandes mit den Abteilungsleitern am 28.4.1941, 7. Allerdings ist anhand der Quellenlage nicht zu entscheiden, ob es sich um eine Viel- zahl von Fällen handelte, wie es der Maßnahmenkatalog für Verfehlungen vermuten lässt, oder ob der Vorstand auf einige wenige Übertretungen mit Mahnungen reagierte, die der Abschreckung dienen sollten. Öffentliche kritische Bemerkungen des Vorstandes können auch als Führungsproblem gewertet werden. 254 Erkennbar seit der Aufsichtsratssitzung am 25.4.1940 (BAB R 2301/6129, Bl. 70) klagt der Vorstand über die negativen Auswirkungen der militärischen Einberufungen, die die Einsatzfähigkeit der Treu- arbeit schwächten und Kürzungen bei den Prüfungen erforderlich machten (BAB R 2/17658, Bl. 140, Sitzung am 11.3.1942). 255 BAB R 8135/5899: Protokoll über die 3. Sitzung des Vorstandes mit den Abteilungsleitern am 5.1.1941; BAB R 8135/8628: Vermerk zur Frage der Abkürzung der Prüfungsdauer, 29.1.1941, 1, 2; BAB R 8135/5899: Protokoll über die 5. Sitzung des Vorstandes mit den Abteilungsleitern am 3.2.1941, 1–3; BAB R 8135/5899: Protokoll über die 10. Sitzung des Vorstandes mit den Abteilungs- leitern am 28.4.1941, 5; BAB R 8135/5899: Protokoll über die 11. Sitzung des Vorstandes mit den Abteilungsleitern am 12.5.1941, 1, 2. 109 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit sich die Situation derart verschärft, dass »wir an keiner Stelle die Prüfungen so weiter machen können wie bisher.« Hesse sah keine andere Möglichkeit, als die Prüfungszeiten für Abschlussprüfungen zwischen 30 und 50 Prozent zu kürzen. Es blieb dennoch unter den Führungskräften der Treuarbeit weiterhin strittig, was gekürzt werden sollte.256 Im Frühjahr 1942 erhielt die Treuarbeit jedoch Hilfe vom Reichsrechnungshof. Die Behörde entschied, dass »für die Dauer der außerordentlichen Verhältnisse« die Berichterstattung wesentlich einzuschränken sei. Grundsätzlich wurde auf den Anhang, der detaillierte Angaben zur Entwicklung der einzelnen Positionen des Jahresabschlusses enthielt, ver- zichtet. Für »Zuschussbetriebe«, wie beispielsweise die Hermann-Göring-Werke, galt diese Regelung allerdings nicht.257 Weitere Abhilfe schuf eine Vereinbarung zwischen dem IDW und den obersten Reichsbehörden, der zufolge Jahresabschlussprüfungen für das Geschäftsjahr 1942 »auf das kriegsnotwendige Maß« gekürzt werden sollten. Im Frühjahr 1943 schließlich wurde für Abschlussprüfungen ein zweijähriger Prüfungs- turnus eingeführt.258

Zwischenfazit

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Treuarbeit (angehende) Wirtschaftsprüfer sowohl im fachlichen Bereich als auch im Hinblick auf ihre Kommunikationsfähig- keiten zu qualifizieren suchte. Sie wollte erkennbar Vorbildfunktion in der Branche erfüllen. Die Integration von Mitarbeitern gelang trotz umfangreicher betrieblicher Sozialleistungen offenbar nicht gut, wie die mangelhafte Einarbeitung neuer Mit- arbeiter und die hohe Fluktuation – erkennbar an der geringen Zahl von Dienstjubiläen und der überdurchschnittlich jungen Belegschaft – andeuten.259 Arbeitsdisziplin und Leistungsstreben sollten durch Gespräche zwischen Führungskräften und Mitarbeitern erreicht werden; nachhaltig unerwünschtes Verhalten wurde mit Bloßstellung bestraft. Die Kommunikation zwischen Vorstand und Mitarbeitern erfolgte der hierarchischen Rangordnung entsprechend von oben nach unten und maßgeblich über schriftliche Medien wie Rundschreiben, Ordnungen und Mitteilungen oder durch Gruppenver- anstaltungen wie Betriebsappelle. Auch die Gefolgschaftszeitung diente recht einseitig dazu, den Mitarbeitern die Sicht des Vorstandes mitzuteilen. Den Führungskräften gab der Vorstand im Rahmen von Abteilungsleitersitzungen oder Gesprächen in den Niederlassungen eher die Möglichkeit zum persönlichen Dialog.

256 BAB R 8135/5899: Protokoll über die 12. Sitzung des Vorstandes mit den Abteilungsleitern am 9.6.1941, 1, 2. 257 BAB R 3101/20486, Bl. 88, 88R: Reichswirtschaftsminister an Hauptabteilungen und Abteilungen, betr: Beteiligung des Reichs an Unternehmungen, 18.2.1943; das Schreiben des RRH an die Treu- arbeit datiert vom 27.3.1942. 258 Schulz, »Prüfungswesen« (1943), 63. 259 Vielfältige Gründe für die hohe Fluktuation sind denkbar, doch müssen Aussagen hierüber mangels Quellen unterbleiben. 110 Stille Reserven: Bilanzierungsprinzipien und Geschäftsentwicklung 3.3 Stille Reserven: Bilanzierungsprinzipien und Geschäftsentwicklung links: Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit Die Geschäftsentwicklung der Treuarbeit verlief seit ihrer Gründung stetig aufwärts. rechts: Stille Reserven: Bilanzierungsprinzipien und In den Jahren des Nationalsozialismus erlebte die Prüfungsgesellschaft einen besonders Geschäftsentwicklung starken Aufschwung.260 Die Bilanzsummenentwicklung zeigte ein unregelmäßiges, aber insgesamt stetiges quantitatives Wachstum von knapp 1,3 Millionen RM im Jahr 1925 auf gut 10,6 Millionen RM im Jahr 1944.261 Hierbei wuchs die Bilanzsumme in den Jahren 1925 bis 1932 um 68 Prozent. Im Zeitraum von 1933 bis 1944 hingegen betrug das Wachstum 398 Prozent.262 Das Vermögen der Treuarbeit bestand im Wesentlichen aus Gebäuden und Wert- papieren sowie in geringem Umfang aus Beteiligungen an anderen Treuhandgesell- schaften. 1931 kaufte die Treuarbeit ein eigenes Bürogebäude in der Taubenstraße 46 in Berlin, 1935 und 1936 erwarb sie zusätzlich zwei Grundstücke in der benachbarten Jägerstraße 10/11 und baute dort ein neues Geschäftshaus. In den nächsten Jahren kaufte die Treuarbeit Gebäude für ihre Niederlassungen im Ausland: 1939 in Wien und 1941 in Saarbrücken. Der Wertpapierbestand zeigte eine phasenhafte Aufwärtsentwicklung. In der ersten Phase von 1925 bis 1930 stieg er von 332.300 RM auf 1,2 Millionen RM; in einer zweiten Phase, in den Jahren 1931 bis 1937, von 825.600 RM auf 1,1 Millionen RM. In einer dritten Phase schließlich stieg der Bestand in den Jahren 1938 bis 1943 von 391.100 RM auf zwei Millionen RM. In den Wertpapierbeständen steckten hohe stille Reserven. Der Abschlussprüfer Prof. Dr. Ing. Dietrich Schäfer bewertete beispiels- weise die stillen Reserven für den mit 912.000 RM ausgewiesenen Wertpapierbestand des Jahres 1934 mit mehr als drei Millionen RM.263 In den Jahren 1938 bis 1941 lagen die stillen Reserven nach Beurteilung des Wirtschaftsprüfers zwischen 1,3 und 2,1 Millionen RM.264 Mit der Reservenbildung begann die Treuarbeit in den späten 1920er Jahren, als sie treuhänderische Aufgaben im Rahmen der Vergabe von Reichsgarantien an Russland erhielt.265 Aus den Erträgen dieser Tätigkeiten erwarb die Treuarbeit Wertpapiere.266

260 Geschäftsberichte liegen für die Jahre 1925 bis 1945 vor. Für die Jahre 1925 bis 1937 und 1940 bis 1942 im Wirtschaftsarchiv der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln; für die Jahre 1938, 1939 und 1943 im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde BAB R 3101/15728, BAB R 8135/6000, BAB R 3101/17697; für die Jahre 1944 und 1945 im Privatarchiv Dr. Frank Pega: Es ist jedoch zu beachten, dass diese letztgenannten Jahresabschlüsse frühestens 1947 vorgelegt wurden. 261 Für das Jahr 1945 wies die Treuarbeit zwar eine Bilanzsumme von 10,9 Millionen RM aus. Von den Vermögenswerten qualifizierte sie allerdings etwa 9,1 Millionen RM als »Blockierte Vermögenswerte«. 262 Im gesamten Zeitraum der 20 Jahre zwischen 1925 und 1944 wuchs die Bilanz um 731 Prozent. 263 BAB R 2301/6129a, Bl. 13: Prüfungsbericht für das Geschäftsjahr 1934. Prüfungsberichte des Abschlussprüfers liegen nur für die Jahre 1934 bis 1941 vor. 264 BAB R 2301/6129a, Bl. 141, 178, 220, 223, 266, 269: Prüfungsberichte für die Geschäftsjahre 1938 bis 1941. 265 Siehe Geschäftsberichte der Jahre 1926 und 1927. 266 BAB R 2301/6129, Bl. 30, 31, 40: Prüfungsbericht des Rechnungshofes des Deutschen Reiches zur Entwicklung der Treuarbeit für die Geschäftsjahre 1933 bis 1938, erstellt im Jahr 1939; BAB R 2301/6129a, Bl. 97: Prüfungsbericht zum Jahresabschluss 1937, 7. 111 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit 1931 und 1936 verkaufte die Prüfungsgesellschaft einige Wertpapiere, um den Erwerb der Bürohäuser in der Taubenstraße und der Jägerstraße zu finanzieren. Dabei wurden stille Reserven aufgelöst. In die Wertpapierposition buchte die Treuarbeit in den Jahren 1936 und 1937 jedoch auch Gebührenerträge aus Treuhandgeschäften (»Russengarantie«, »Sonderrückstellung«). Sie wurden im gleichen Jahr als außerordentliche Erträge ver- bucht.267 Bewertungsspielräume nutzte die Treuarbeit auch bei den bebauten Geschäftsgrund- stücken und der Geschäftsausstattung. Die Notar- und Gerichtskosten für den Erwerb der Grundstücke Jägerstraße 10/11 buchte sie als Aufwand, nicht als Aktivposten.268 Umfangreiche Abschreibungen nahm sie bei den Grundstücken vor, sodass der Buch- wert im Jahr 1936 bei 600.000 RM und damit etwa 40 Prozent niedriger als der behörd- lich festgelegte Einheitswert lag.269 Die Gebäude wurden 1936 mit rund 747.000 RM bilanziert, obwohl bereits die Baukosten des Neubaus in der Jägerstraße 940.000 RM betrugen.270 Angesichts des knappen Raumangebots in der Berliner Innenstadt quali- fizierte der Wirtschaftsprüfer die Bewertung der bebauten Geschäftsgrundstücke als »vorsichtig«. Der Buchwert lag bei knapp 70 Prozent des Einheitswertes.271 Das Büro- haus der Wiener Niederlassung schrieb die Treuarbeit im Jahr des Erwerbs auf etwa 65 Prozent ab.272 Die stillen Reserven wurden offengelegt, als zur Kapitalerhöhung im Jahr 1941 die Geschäftsgebäude der Berliner Zentrale um knapp 840.000 RM auf- gewertet wurden. Dem bei Weitem wertvollsten Gebäude in der Jägerstraße wurde nun mit 1,4 Millionen RM ein Wert zugemessen, der über dem Einheitswert von 1,16 Millionen RM, aber noch unter dem Körperschaftssteuerwert von 1,44 Millionen RM lag.273 Auch das Inventar, dessen Zugang allein 1937 knapp 157.000 RM betrug und das vom Wirtschaftsprüfer als wertvoll bezeichnet wurde, schrieb die Treuarbeit grundsätzlich bis auf eine RM ab.274 Erst im Zuge der Kapitalberichtigung wurde die Geschäftsausstattung mit 250.000 RM ausgewiesen.275 Nach Einführung der Bilanz- pflichtprüfung im Jahr 1931 stieg die Höhe der Abschreibungen leicht an. Hatte sie in den Jahren zwischen 1925 und 1931 maximal 3,4 Prozent des Anlagevermögens betragen, lag das Abschreibungsvolumen in den Jahren 1932 bis 1935 zwischen 4,1 Prozent und 5,3 Prozent. Im Jahr 1936 stieg der Umfang der Abschreibungen auf 13,2 Prozent, im Jahr darauf sogar auf 26,7 Prozent. In den Jahren bis 1943 sank der Abschreibungsbedarf wieder deutlich ab, bewegte sich aber weiterhin zwischen 5,6 Prozent und 11,4 Prozent. Im Jahr 1944 sanken die Abschreibungen dann auf den tiefsten Wert seit 1932, nämlich

267 BAB R 2301/6129a, Bl. 63, 85, 97, 118: Prüfungsberichte für die Geschäftsjahre 1936, 8, 30; 1937, 7, 27. 268 BAB R 2301/6129a, Bl. 34: Prüfungsbericht für das Geschäftsjahr 1935, 4. 269 BAB R 2301/6129a, Bl. 58: Prüfungsbericht für das Geschäftsjahr 1936, 3. 270 BAB R 2301/6129a, Bl. 60: Prüfungsbericht für das Geschäftsjahr 1936, 5. 271 BAB R 2301/6129a, Bl. 137: Prüfungsbericht für das Geschäftsjahr 1938, 4. 272 BAB R 2301/6129a, Bl. 174: Prüfungsbericht für das Geschäftsjahr 1939, 3. 273 BAB R 2301/6129a, Bl. 263, 264: Prüfungsbericht für das Geschäftsjahr 1941, 3, 4. 274 BAB R 2301/6129a, Bl. 97: Prüfungsbericht für das Geschäftsjahr 1937, 5. 275 BAB R 2301/6129a, Bl. 264: Prüfungsbericht für das Geschäftsjahr 1941, 4. 112 Stille Reserven: Bilanzierungsprinzipien und Geschäftsentwicklung 3,4 Prozent. In diesem Jahr begrenzte die Treuarbeit ihre Abschreibungen, um keinen Verlust auszuweisen.276 Auch Positionen des Umlaufvermögens ermöglichten die Legung stiller Reserven. Dies waren »[i]n Bearbeitung befindliche Aufträge« und »Forderungen auf Grund von Leistungen«. Hierbei handelte es sich um geleistete Tätigkeiten, die den Mandanten noch nicht abgerechnet oder von den Mandanten noch nicht bezahlt worden waren. Für die »Aufträge« nahm die Treuarbeit im Jahr 1937 einen Abschlag von 25 Prozent vor, den der Wirtschaftsprüfer als »vorsorglich reichlich« bewertete. Im Jahr 1939 wurde der Abschlag sogar mit 40 Prozent angesetzt. Bei den Forderungen ging die Treuarbeit von einer Realisierung in Höhe von 90 Prozent aus.277 Kontinuierlich wuchsen die Zuführungen zum Eigenkapital in Form freier Rück- lagen von 25.000 RM im Jahr 1928 auf eine Million RM im Jahr 1940.278 Allein in den Jahren seit 1933 führte die Treuarbeit den freien Rücklagen Beträge in Höhe von 850.000 RM zu. 1941 erhöhte die Treuarbeit das Grundkapital von einer Million auf drei Millionen RM. Dies zog auch die Erhöhung der gesetzlichen Rücklage auf die vorgeschriebenen zehn Prozent des Grundkapitals nach sich. Finanziert wurde die Kapitalerhöhung vollständig aus stillen Reserven. Hierbei wurden sowohl die Wert- papierbestände des Anlage- und des Umlaufvermögens höher bewertet, als auch aus den Positionen »Bebaute Geschäftsgrundstücke« und »Geschäftsausstattung« stille Reserven durch Höherbewertung offengelegt.279 Andere Treuhandgesellschaften, beispielsweise die Treuhand-Vereinigung und die Schwäbische Treuhand-Aktiengesellschaft, erhöhten ihr Grundkapital ebenfalls durch Aufwertungen des Anlagevermögens.280 Sukzessive erhöht wurde auch der 1926 eingerichtete Fürsorgefonds zur Alters- und Hinterbliebenenversorgung der Angestellten von ursprünglich 20.000 RM auf 2,3 Millionen RM im Jahr 1944.281 Allein in den Jahren seit 1933 beliefen sich die Zuweisungen der Treuarbeit auf knapp 1,7 Millionen RM.282 Auch andere Treuhand-

276 Im Geschäftsjahr 1944 wurde kein Gewinn erzielt. Aufwendungen und Erträge glichen sich aus. 277 BAB R 2301/6129a, Bl. 100, 179, 181: Prüfungsberichte für die Geschäftsjahre 1937 und 1939. 278 In den Jahren danach wurde die freie Rücklage nicht weiter aufgestockt. 279 BAB R 2301/6129, Bl. 210–211: Bericht des Vorstandes über die Kapitalberichtigung zur Bilanz vom 31. Dezember 1940. 280 Handbuch der deutschen Aktiengesellschaften, Jg. 1941, 6358 (Treuhand-Vereinigung), 2265 (Schwäbische Treuhand-AG). 281 Die Treuarbeit nahm den Fonds 1938 aus ihrer eigenen Bilanz heraus und führte ihn als Treuhandver- mögen für den »Angestellten-Versorgung der Deutschen Revisions- und Treuhand-Aktiengesellschaft e. V.« weiter. Mit dieser Trennung verbunden war auch ein Abgang aus dem Wertpapierbestand der Treuarbeit, denn ein Teil der Wertpapiere gehörte dem Verein. Siehe hierzu auch den »Sozialbericht« im Geschäftsbericht des Geschäftsjahres 1938. 282 Da die Gelder der Angestelltenversicherung zum größten Teil in Wertpapieren angelegt waren, erhielt das Guthaben auch aus dieser Anlage Zuwächse. Seit dem Geschäftsjahr 1936 wurden dem Ange- stelltenfonds keine weiteren Beträge aus dem Reingewinn zugewiesen, sondern die Beträge wurden als betriebliche Aufwendungen behandelt (siehe Geschäftsbericht 1936 vom 15.3.1937). 113 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit gesellschaften unterhielten solche Unterstützungseinrichtungen, denen sie zum Teil hohe Beträge zuwiesen.283 In ihren Geschäftsberichten, die die Treuarbeit an Ministerien, Banken und Banken- verbände, Hochschulen, Mandanten und Tageszeitungen übersandte,284 informierte die Prüfungsgesellschaft über die hohen Abschreibungen von bebautem Grundbesitz und Inventar, die »zum erheblichen Teil vorsorglichen Charakter« hatten, ebenso wie über die Zuführungen zur freien Rücklage und zur Angestelltenversicherung.285 Des- gleichen berichtete sie über das Vorhandensein stiller Reserven wie auch über deren Auflösung und Verwendung. So gab sie im Geschäftsbericht des Jahres 1938 bekannt, dass die freigewordenen stillen Reserven in voller Höhe der Angestelltenversorgung zugeflossen seien.286 Ihre Rücklagenpolitik verteidigte die Treuarbeit gegenüber der Kritik des Reichsministers der Finanzen und gegenüber dem Rechnungshof des Deutschen Reiches. Sie müsse mit dieser »Manipulationsreserve« Vorsorge für eine ungewisse Zukunft bilden, in der Teile ihrer heutigen »Prüfungsgebiete«, beispiels- weise »für die Kriegswirtschaft«, wegfielen. Ihr Verfahren beurteilte die Treuarbeit als »einwandfrei«, sie beanstande es auch bei ihren Prüfungen in Unternehmen nicht.287 Mit ihrer Praxis, stille Reserven zu bilden, befand sich die Treuarbeit im Einklang mit den vom Gesetzgeber gebilligten Möglichkeiten. Denn ein Verbot stiller Reserven ließe sich, so das Reichsjustizministerium schon 1930, »aus allgemeinen volkswirtschaftlichen Erwägungen nicht verantworten«.288 Bestätigt wurde die Treuarbeit in ihrer Sicht- weise auch durch einen neuen Kommentar zum Aktiengesetz vom 30. Januar 1937: Stille Reserven seien als »Ausgleichsfaktor« unbedingt notwendig. Sie ermöglichten eine gradlinige wirtschaftliche Entwicklung der Betriebe, sodass auch starke wirtschaft- liche Veränderungen aufgefangen und für die Gesamtwirtschaft ihren beunruhigenden

283 Die Treuhand-Vereinigung führte ihrem Unterstützungsverein in den Jahren 1940 und 1941 jeweils TRM 100 zu. Im Verhältnis zum Grundkapital von TRM 175 (1940) und TRM 630 (1941) sowie den ausgewiesenen Gewinnen von TRM 10,5 (1940) und TRM 18,9 (1941) sind das erhebliche Beträge. Quelle: HA der Dresdner Bank, Geschäftsberichte der Treuhand-Vereinigung für die Jahre 1940 und 1941. 284 BAB R 8135/5917: Liste für den Versand von Geschäftsberichten, undatiert; eines der Ministerien war das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda. 285 BAB R 3101/17697, Bl. 16: Geschäftsbericht des Jahres 1943, 5 (Zitat). 286 In den Geschäftsberichten wird beispielsweise von der beträchtlichen Erhöhung stiller Reserven gesprochen (1933), von Buchgewinnen und der Realisierung stiller Rücklagen (1934 bis 1938), ferner von der »üblichen« Vollabschreibung des Inventars (1939). Es wird darüber informiert, dass zur Deckung der Neubaukosten Teile des Wertpapierbestandes verkauft wurden (1936). Über die Höhe der Abschreibungen des Anlagevermögens informieren die Geschäftsberichte des Jahres 1942 und 1943. Darüber hinaus sind die Abschreibungen auf das Anlagevermögen, die Zuführungen zu Rück- lage und Angestelltenversicherung und die außerordentlichen Erträge auch in den Bilanzen und in der Gewinn- und Verlustrechnung sichtbar. 287 BAB R 2301/6129, Bl. 127: Brief des Reichsministers der Finanzen an den Rechnungshof des Deutschen Reiches vom 17.9.1941. 288 Entwurf eines Gesetzes über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften sowie Entwurf eines Einführungsgesetzes nebst erläuternden Bemerkungen, veröffentlicht vom Reichsjustizministerium, Berlin 1930, 112. 114 Stille Reserven: Bilanzierungsprinzipien und Geschäftsentwicklung Charakter verlieren würden. Indem der Gesetzgeber die Bildung stiller Reserven erlaube, habe er dem Gesichtspunkt der Vorsicht gegenüber dem Aspekt der Vergleich- barkeit des Erfolges Vorrang eingeräumt. Der wirkliche Erfolg des Unternehmens solle zwar erkennbar werden, aber das Aktiengesetz verlange nicht, »daß der wirklich erzielte Gewinn als solcher ausgewiesen wird.«289 Eine starke Steigerung verzeichnete die Treuarbeit auch für das von ihr treuhänderisch verwaltete Vermögen. Das Treuhandvermögen stieg von 1,4 Millionen RM im Jahr 1936 auf 287,8 Millionen RM im Jahr 1945. Dabei kam es in den Jahren 1939, 1941 sowie 1944 und 1945 zu sprunghaften Steigerungen. Woraus das Treuhandvermögen bestand, ist nicht bekannt.290 Lediglich für die ersten Jahre kann ein Zusammenhang zu den Treuhandaufgaben für die Vierjahresplanbehörde festgestellt werden. Hier erarbeitete die Treuarbeit Finanzierungs- und Garantieverträge für Firmen, deren Bemühungen zur Produktion von Roh- und Ersatzstoffen vom NS-Regime gefördert wurden.291 Ein Teil des Treuhandvermögens könnte aus der Feindvermögensverwaltung stammen, die die Treuarbeit in den besetzten niederländischen Gebieten für den dortigen Reichs- kommissar übernommen hatte.292 Die Treuarbeit wurde ferner zu Firmengründungen herangezogen und verwaltete das Gründungskapital.293 Zu diesen Firmen gehörten die Zellgarn AG in Litzmannstadt,294 die Austria Tabakwerke und die Oberschlesische Hydrierwerke AG, eine der größten Investitionen, die im »Dritten Reich« vorgenommen wurden.295 Zu den Gründungen gehörte auch die Deutsche Umsiedlungs-Treuhand- Gesellschaft mbH (DUT). Diese Gesellschaft wurde Ende 1939 auf Anweisung des »Reichskommissars für die Festigung des deutschen Volkstums«, Himmler, gegründet. Sie sollte die Umsiedlung von »Reichs- und Volksdeutschen aus dem Ausland nach dem Reichsgebiet« sowie in annektierte und besetzte Gebiete wie das Generalgouvernement,

289 Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung (1938), 119, 124, 139. Autoren: Hans Adler, Jurist und Funktionär in Berufsverbänden der Treuhandgesellschaften und Wirtschaftsprüfer, ab 1940 Vorstands- mitglied der Treuarbeit; Kurt Schmaltz lehrte Betriebswirtschaftslehre in Halle, ab 1942 Vorstands- mitglied der Treuarbeit; Walther Düring, Vorstandsmitglied bei der Deutschen Treuhand-Gesellschaft. 290 In den Prüfungsberichten gab der Wirtschaftsprüfer keinen Kommentar zu den hohen Zuwächsen beim Treuhandvermögen. Er spricht lediglich von Erfinderkonten, Filmkonten und Reichs- und Russengarantien. 291 BAB R 3101/17697, Bl. 6–8: Bericht des Reichswirtschaftsministeriums zu den Aufgaben der Treu- arbeit, siehe hierzu Kapitel 3.4. 292 Auf zahlreichen Konten und Depots hatte die Treuarbeit zum 31.12.1944 einen Gesamtbetrag von 137 Millionen Gulden angesammelt. Ein Teil dieses Betrages war aus den Niederlanden nach Deutsch- land transferiert worden: 18,6 Millionen RM und 74,7 Millionen Gulden, siehe: BAB R 117/1903: Ministerial Collecting Center Political Division, Vermerk zur Verwaltung des Feindvermögens, 2.10.1945, 1; BAB R 8135/8630: »Übersicht über den Stand unserer treuhänderisch geführten Bank- konten […]«, 1.11.1944. 293 BAB R 3101/17697, Bl. 7: Bericht über die Entstehung, die derzeitige Lage und die Aufgaben der [Treuarbeit], 3.7.1944, 6. 294 Handbuch der deutschen Aktiengesellschaften, Jg. 1941, 7415, gegründet 1.6.1940 mit einem Kapital von 500.000 RM. 295 BAB R 2301/6129, Bl. 71: Protokoll der Sitzung des Aufsichtsrates der Treuarbeit am 25.4.1940, 3; Buchheim/Scherner, »Role« (2006), 402. 115 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit das Protektorat oder den Sudetengau finanzieren. Bis Ende 1943 stellte die Gesellschaft etwa 400 Millionen RM an Krediten und Zuschüssen zur Verfügung.296 Die Treuarbeit prüfte mehrere Jahresabschlüsse der DUT.297 Ferner übernahm sie im Sommer 1937 als Treuhänderin des Reiches gemeinsam mit ihrer Tochtergesellschaft, der Garantie-Ab- wicklungs-GmbH, 4,55 Millionen RM des Aktienkapitals der neu gegründeten Reichs- werke »Hermann Göring«.298 In den Jahresabschlüssen 1937 und 1938 war dieser Treu- handbetrag jedoch nicht ausgewiesen, sondern nur ein Treuhandvermögen in Höhe von 1,65 und 1,85 Millionen RM. Bei den im Jahr 1938 in Österreich und Deutschland geplanten Enteignungen jüdischer Vermögen war die Einschaltung der Treuarbeit als Treuhänderin geplant.299 Ob die Gesellschaft tatsächlich involviert war, ist jedoch nicht feststellbar. 1944 stellte das Reichswirtschaftsministerium der Treuarbeit 50 Millionen RM treuhänderisch zur Verfügung. Aus diesem Fonds zahlte die Treuarbeit Ent- schädigungsbeträge an Exportfirmen, die diese aus Reichsgarantien geltend machten.300 Die Erträge der Treuarbeit speisten sich vor allem aus Revisions- und Treuhand- gebühren und in geringem Umfang aus Zins-, außerordentlichen und Beteiligungs- erträgen. Das Revisions- und Treuhandgeschäft trug mehr als 80 Prozent zum Gesamt- ertrag bei. In den Jahren zwischen 1940 und 1943 betrug der Ertrag aus der Geschäfts- tätigkeit sogar kontinuierlich 96 Prozent.301 Die Niederlassungen in den annektierten und besetzten Gebieten hatten einen unterschiedlichen Anteil an diesen Erfolgen. Wien, Kattowitz und Den Haag waren die erfolgreichsten Außenstellen, Brüssel hin- gegen benötigte 1941 noch einen Zuschuss.302 Da es sich bei den Auftraggebern der Treuarbeit vielfach um Behörden wie das Reichswirtschaftsministerium, das Reichs- amt für Wirtschaftsausbau oder die Vermögensverkehrsstelle in Wien handelte, wandte sich die Treuarbeit im Fall von Zahlungsschwierigkeiten geprüfter Firmen an diese Institutionen, um ihr Honorar zu erhalten.303 Die Ertragsentwicklung der Treuarbeit

296 BAB R 1702/11001: Gründungsauftrag vom 2.11.1939; BAB R 8135/5902: Geschäftsbericht der DUT für das Jahr 1943. 297 BAB R 1702/11020: siehe die hier enthaltenen Geschäftsberichte der DUT. 298 BAB R 2/21586: Aktenvermerk des Reichsfinanzministeriums vom Juli 1937; BAB R 2/21586: Aktenvermerk des Reichsfinanzministeriums zur Sitzung am 7.7.1937; BAB R 2/15096, Bl. 172: Ver- merk des Reichsfinanzministeriums »Über die Entwicklung der Reichswerke AG […]«, 13.7.1938; StA W NWA 2/10151: Liste der Aktionäre der Reichswerke am 14.4.1938 aus der Abschrift der Beurkundung der außerordentlichen Hauptversammlung zur Kapitalerhöhung. 299 Felber/Melichar u. a., Ökonomie Teil 1 (2004), 46, 88. In Österreich übernahm die Österreichische Kontrollbank für Handel und Industrie die Funktion einer Auffanggesellschaft für »nichtarische« gewerbliche Unternehmen (105–109). 300 BAB R 8135/5929: Briefe Reichswirtschaftsministerium an Deutsche Revisions- und Treuhand-AG, 4.12.1944, 6.12.1944. Siehe hierzu im Einzelnen Kapitel 4.2. 301 Berechnungen nach den Angabe in den Gewinn- und Verlustrechnungen. 1944 und 1945 gingen die Erträge allerdings rapide zurück. 302 BAB R 2301/6129a, Bl. 248: Prüfungsbericht für das Geschäftsjahr 1940, Bl. 288: Prüfungsbericht für das Geschäftsjahr 1941. 303 BAB R 2301/6129a, Bl. 185: Prüfungsbericht für das Geschäftsjahr 1939; Bl. 227: Prüfungsbericht für das Geschäftsjahr 1940. 116 Stille Reserven: Bilanzierungsprinzipien und Geschäftsentwicklung war ähnlich spektakulär wie die Entwicklung der Bilanzsumme.304 Im Gesamtzeitraum von 1925 bis 1943 stieg der ausgewiesene Ertrag aus der Revisions- und Treuhandtätig- keit von 387.000 RM auf 6,58 Millionen RM um das 17-Fache an. Dabei verzeichnete die Treuarbeit in der Zeit von 1925 bis 1932 einen Zuwachs von 324 Prozent und in den Jahren zwischen 1933 bis 1943 ein Wachstum von 284 Prozent. Berücksichtigt man bei dem Ergebnis aus der eigentlichen Geschäftstätigkeit jedoch auch die Aufwendungen, zeigt sich ein anderes Bild.305 Denn während die Zins-, Beteiligungs- und außerordent- lichen Erträge kaum Aufwendungen verursachten, konnte die Revisions- und Treu- handtätigkeit nur durch die Beschäftigung von Personal Erträge erbringen. Hier lag das Ergebnis aus der regulären Geschäftstätigkeit in den Jahren 1927 bis 1938 deutlich unter dem Ergebnis der Kapitalerträge. In den Jahren 1935 und 1936 war die Revisions- und Treuhandtätigkeit nicht einmal kostendeckend. Nur in den Jahren 1939 bis 1942 lag das Ergebnis der Geschäftstätigkeit höher als das der Kapitalerträge. Dies ist vermutlich auf die positive Wirkung der Geschäftstätigkeit in den Kriegsjahren und die Aufgaben- übernahme im Ausland zurückzuführen. 1940 betrug der Anteil der Niederlassungen an den Erträgen aus Revisions- und Treuhandtätigkeit etwa ein Fünftel, 1941 etwa ein Drittel.306 Das Aktiengesetz vom 30. Januar 1937 erweiterte die Möglichkeiten für Unter- nehmen, Erträge mit Aufwendungen vor dem Ausweis im Jahresabschluss zu saldieren.307 Statt der »Revisions- und Treuhandgebühren« der vergangenen Jahre wies die Treu- arbeit jetzt einen »ausweispflichtigen Rohüberschuss« aus. Insbesondere in den Jahren 1939 bis 1941 wichen die Zahlen deutlich voneinander ab. So betrugen die im Prüfungs- bericht des Wirtschaftsprüfers für das Jahr 1939 ermittelten »Revisions- und Treuhand- gebühren« etwa 4,77 Millionen RM, die Gewinn- und Verlustrechnung (GVR) wies nur 3,9 Millionen RM aus; hier bestand eine Differenz von knapp 870.000 RM. 1941 betrug die Differenz dann 1,5 Millionen RM: Dem Ausweis in der GVR in Höhe von 6,4 Millionen RM stand der vom Wirtschaftsprüfer ermittelte Betrag von 7,9 Millionen RM gegenüber.308 Ein Teil dieser Differenz bestand aus Haus- und Grundstückskosten, Rückstellung für zweifelhafte Forderungen und Wertberichtigungen für Wertpapiere des Umlaufvermögens.309 Den Großteil der Differenz machten jedoch die »sonstigen (laufenden) Aufwendungen« aus. Diese Aufwendungen waren auch in den Prüfungs-

304 Geschäftsberichte der Jahre 1925 bis 1943. 305 Der Hinweis auf diese Gewinnkennzahlenberechnung stammte aus der unveröffentlichten Diplom- arbeit von Möllenberg, Wirtschaftsprüfung (2004), 65, 66. Im Gegensatz zu Möllenberg wurden auch die außerordentlichen Erträge einbezogen. Die Kosten errechnen sich aus den Aufwandspositionen ohne Abschreibungen, Reingewinn und Zuweisungen an Angestelltenversicherung und Rücklage. 306 Die Angaben zum ausweispflichtigen Rohüberschuss sind ersichtlich aus den Prüfungsberichten, siehe: BAB R 2301/6129a, Bl. 248 (Jahr 1940, vier Niederlassungen) und Bl. 288 (Jahr 1941, acht Nieder- lassungen). 307 Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung (1938), 262, zu § 132 AktG. 308 BAB R 2301/6129a, Bl. 202: Prüfungsbericht für das Geschäftsjahr 1939, Bl. 289: Prüfungsbericht für das Geschäftsjahr 1941. 309 BAB R 2301/6129a, Bl. 202, 249, 289: Prüfungsberichte der Jahre 1939 bis 1941. 117 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit berichten nur unregelmäßig und in Teilen detailliert aufgeschlüsselt.310 Das Reichs- ministerium der Finanzen bemängelte die Praxis, den »Rohgewinn vorweg [zu] kürzen« wegen der fehlenden Auskünfte zu den vorgenannten Aufwendungen. Zu Konsequenzen führte dies allerdings nicht.311 Die legalen Saldierungsmöglichkeiten erschweren es, die tatsächlichen Ergebnisse aus der regulären Geschäftstätigkeit mit dem Erfolg aus den Kapitalerträgen zu vergleichen. Der Anteil der Treuhandgebühren ging nicht über 15 Prozent hinaus, lediglich im Jahr 1941 machte er etwa 19 Prozent der gesamten Revisions- und Treuhandgebühren aus. Ursache dafür war die Übernahme von Treuhandtätigkeiten in den besetzten niederländischen Gebieten. In den Niederlanden war die Honorierung der Treuarbeit klar geregelt. Bei anderen Treuhandaufgaben war die Honorarsituation schwierig. Die Treuarbeit erhielt im Zuge der Annexion und Besetzung west- und osteuropäischer Gebiete für mehrere Grenzregionen die Aufgabe, die Geschäftsführung für die Reichs- wirtschaftshilfe, eine Fördermaßnahme des Reiches durch Bürgschaften und Kredite, zu übernehmen. Mit ihrer Tätigkeit musste sie in Vorleistung treten. So hatte die Tochter- gesellschaft der Treuarbeit in Prag, die RETOG, für ihre Geschäftsführung der Reichs- wirtschaftshilfe im »Protektorat«, die im Herbst 1939 begann, bis zum Sommer 1941 noch keine Honorare erhalten.312 Die Erträge aus dieser Auftragsübernahme waren überdies nicht immer kostendeckend. Zum einen hatte die Treuarbeit den Arbeitsaufwand für die Bearbeitung der Kreditanträge und die laufende Verwaltung der Kredite unterschätzt. Zum anderen erhielt die Treuarbeit die vereinbarten Gebühren erst dann, wenn die Kredite bewilligt und in Anspruch genommen wurden. Dies war längst nicht bei allen Krediten der Fall. Dabei hatte die Treuarbeit zuvor niedrigere Gebührensätze akzeptiert, da sie hoffte, mit der Übernahme der Geschäftsführungsaufgaben auch das Prüfungs- geschäft zu erhalten. Das Prüfungsgeschäft blieb jedoch hinter den Erwartungen zurück. In langwierigen Verhandlungen mit dem Reichswirtschaftsminister, dem Reichsminister der Finanzen und dem Rechnungshof des Deutschen Reiches erreichte die Treuarbeit im Jahr 1942 schließlich eine neue Gebührenordnung, die ihre Situation etwas ver- besserte.313 Dennoch sah sich die Treuarbeit weiterhin der Kritik des Rechnungshofes

310 BAB R 2301/6129a, Bl. 291: Prüfungsbericht für das Geschäftsjahr 1941, Bl. 251: Prüfungsbericht für das Geschäftsjahr 1940, Bl. 202, 203: Prüfungsbericht für das Geschäftsjahr 1939. 311 BAB R 2/17658, Bl. 20–32 »Bemerkungen zum Jahresabschluss und zum Prüfungsbericht für die Deutsche Revisions- und Treuhand-Aktiengesellschaft Berlin« vom 6.5.1941, hier: Bl. 24, 25. 312 BAB R 3101/17698: Brief der »Retog« an den »Reichsprotektor in Böhmen und Mähren« vom 29.8.1941, betreffend »Antrag auf Änderung der Gebühren und zusätzliche Vergütung […]«. 313 Die Treuarbeit erhielt die Geschäftsführung für die Reichswirtschaftshilfe in sieben von zehn Regionen. BAB R 3101/17698: Brief des Reichswirtschaftsministers an den Reichsminister der Finanzen vom 29.1.1942, betreffend »Gebühren für die mit der […] Reichswirtschaftshilfe betrauten Revisions- und- Treuhandgesellschaften«; Brief des Vorstandes der Treuarbeit an den Reichswirtschaftsminister vom 9.4.1942, betreffend »Gebührenordnung für die Reichswirtschaftshilfe«; Brief des Reichswirtschafts- ministers an den Reichskommissar für die Preisbildung vom 13.2.1943, betreffend »Gebühren für die […] Tätigkeit der Treuhandgesellschaften bei der […] Reichswirtschaftshilfe«. 118 Stille Reserven: Bilanzierungsprinzipien und Geschäftsentwicklung im Hinblick auf die Höhe ihrer Gebühren ausgesetzt.314 Unzufrieden äußerte sich der Rechnungshof auch über eine Pauschalgebühr in Höhe von 30.000 RM, die die Treu- arbeit für die Durchführung einer Sonderaktion zur Reichswirtschaftshilfe in den »frei- gemachten westlichen Grenzgebieten« erhalten hatte.315 Schon in den späten 1930er Jahren klagte die Treuarbeit über unangemessen nied- rige Honorare für Treuhandtätigkeiten, für die sie hochqualifizierte Mitarbeiter einsetz- te.316 Vor ähnlichen Problemen stand auch die Geschäftsleitung der Niederlassung in Den Haag. Obwohl die Niederlassung ursprünglich mit dem Generalkommissar einen Tagessatz für Revisoren in Höhe von 100 hfl vereinbart hatte, konnte sie in der Regel nur 78 bis 86 hfl gegenüber den geprüften Firmen abrechnen. Für Aufträge des General- kommissariates durfte sie sogar nur 30 hfl berechnen.317 Den weitaus größten Einzelposten bei den Aufwendungen der Treuarbeit stellten die Personalkosten dar. Die Höhe der Gehaltszahlungen verdeutlichte am sichtbarsten die Größenverhältnisse unter den deutschen Treuhandgesellschaften. 1937 zahlte die Treu- arbeit Gehälter in Höhe von knapp zwei Millionen RM. Als nächstgrößte Gehaltszah- ler folgten die Deutsche Treuhand-Gesellschaft und die Schwäbische Treuhand-AG mit knapp 1,2 Millionen RM. Vier Jahre später erreichte die Treuarbeit ein Gehaltsvolumen von etwa 4,7 Millionen RM, es folgte an zweiter Stelle und mit deutlichem Abstand die Treuverkehr Deutsche Treuhand AG mit etwa 1,4 Millionen RM.318 Die institutionenökonomische Sicht unterstellt Eigentümern und Managern unter- schiedliche Zielsetzungen. Die Aktionäre wollen eine möglichst hohe Dividende, das Management strebt nach Expansion.319 Diese Zieldifferenz war bei der Treuarbeit und ihren zwei Eigentümern nicht vorhanden. In den Jahren 1931 bis 1934 hatte die Treuarbeit allerdings in verdeckter Form Ausschüttungen in Höhe von insgesamt 1,135 Millionen RM an die beiden Aktionäre VIAG und das Land Preußen (Preußisches Finanzministerium) als »Kapitalentschädigung« vorgenommen.320 Die VIAG glich mit der Ausschüttung Verluste aus.321 Da diese verdeckten Gewinnausschüttungen »seit 1935

314 BAB R 2301/6534, Bl. 90: Bericht über die Prüfung der Reichswirtschaftshilfe im Reichsgau Danzig- Westpreußen; BAB R 2301/6545: Vermerk des Reichsrechnungshofes zu den Gebühren für die Treu- arbeit in Reichswirtschaftshilfe-Maßnahmen, 18.11.1942 (RH VIII 5–3600 – 551/42). 315 BAB R 2301/6538: »a. o. Haushalt RWiM Rechnungsprüfung 1941«, handschriftlicher Vermerk vom 30.12.1942. Der RH hatte seine Zustimmung zur Gebühr unter der Voraussetzung erteilt, dass die Gebühr unter 30.000 RM bliebe. 316 FAH 4E98: Protokolle zu den Aufsichtsratssitzungen am 5.3.1938, 21.4.1938 und 2.11.1938. 317 BAB R 177/1890: »Aktenvermerk über die Ursachen für das scheinbare Absinken der Rentabilität im Revisionsgeschäft […]«, 27.8.1943. 318 Verglichen wurde die GVR-Position »Gehälter« ohne Sozialabgaben oder sonstige freiwillig soziale Leistungen des Arbeitgebers. Angaben zur Personalhöhe liegen nur für einzelne Jahre für die Deutsche Treuhand-Gesellschaft und die Treuhand-Vereinigung vor. 319 Lindenlaub, Finanzierung (2006), 43, 44. Hiller unterschied hingegen 1932 auch unter den Aktionären zwischen Unternehmeraktionären, die nach langfristiger Stabilität und Herrschaft im Unternehmen und Gelegenheitsaktionären, die nach kurzfristiger Gewinnerzielung strebten: Hiller, Hintergrund (1932), 11. 320 BAB R 2301/6129a, Bl. 6, 7: Prüfungsbericht für das Geschäftsjahr 1934. 321 Pohl, VIAG (1998), 143. 119 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit […] nicht mehr verteilt wurden«, entschied der Rechnungshof des Deutschen Reiches, »die Frage als erledigt anzusehen«.322 1934 beschlossen Vorstand und Aufsichtsrat der Treuarbeit, »dem Führer und Reichs- kanzler« einen Betrag von 50.000 RM »zur persönlichen Verfügung« und »für wohl- tätige Zwecke« zu überlassen. Allerdings musste der Jahresabschlussprüfer Schäfer den zu diesem Geschäftsvorfall fehlenden Beleg reklamieren, den die Treuarbeit dann von der Reichskanzlei erbat.323 Dieser Betrag, der in der GVR in der Position »sonstige Auf- wendungen« enthalten war, wurde im Reichsrechungshof ebenso als »außerordentliche Aufwendung« qualifiziert wie der Betrag von 350.000 RM, den das neue Vorstands- mitglied Dr. Wilhelm Voss 1935 als »Vergütung« erhielt. Voss hatte die Kundendatei seiner Einzelwirtschaftsprüferpraxis an die Treuarbeit verkauft. Die »hoch erscheinende Vergütung« erklärte sich der Rechnungshof damit, dass sich unter den Kunden »bedeutende Firmen« befanden, so beispielsweise die I. G. Farbenindustrie AG, »eines der größten Privatunternehmen weltweit«.324 In den Jahren 1925 bis 1940 zahlte die Treuarbeit eine Dividende von jährlich zehn Prozent des Grundkapitals von einer Million RM, also 100.000 RM, an die beiden Aktionäre. Ab 1941 betrug die Dividende vom neuen Grundkapitel in Höhe von drei Millionen RM noch 3,5 Prozent, also 105.000 RM. Die Dividendenbegrenzungsver- ordnung ermöglichte maximal sechs Prozent Dividende.325 Dieser Wert wurde deut- lich unterschritten. Damit verhielt sich die Treuarbeit anders als andere Wirtschafts- prüfungsgesellschaften. So verminderten die Deutsche Treuhand-Gesellschaft und die Schwäbische Treuhand-AG ihre Dividende von zwölf und zehn Prozent auf sechs Pro- zent. Da die Schwäbische Treuhand-AG jedoch ihr Grundkapital zum Jahresabschluss 1941 vervierfacht hatte, konnte sie trotz prozentual abgesenkter Dividende einen höhe- ren Betrag ausschütten.326 Die Deutsche Treuhand-Gesellschaft musste ihre Dividende relativ und absolut reduzieren. Mit einer Ausschüttung von 144.000 RM blieb sie aber weiterhin Spitzenreiter unter den Treuhandgesellschaften.327

322 BAB R 2301/6129, Bl. 40: Bericht des Rechnungshofes des Deutschen Reiches zur Entwicklung der Treuarbeit für die Geschäftsjahre 1933 bis 1938, erstellt im Jahr 1939. Hier wird ein Betrag von TRM 1.235 genannt. 323 BAB R 2301/6129a, Bl. 22. 324 BAB R 2301/6129, Bl. 36: Bericht des Rechnungshofes des Deutschen Reiches zur Entwicklung der Treuarbeit für die Geschäftsjahre 1933 bis 1938, erstellt im Jahr 1939. Zur Qualifizierung der IG Farben siehe: Tooze, Ökonomie (2007), 144. 325 Spoerer, Scheingewinnen (1996), 87. 326 Handbuch der deutschen Aktiengesellschaften, Jge. 1937 (2931) und 1941 (2265). Die Schwäbische Treuhand-AG hatte 1937 ein nominales Aktienkapital von TRM 200, von dem aber nur Aktienkapital in Höhe von TRM 95 eingezahlt worden waren, demnach eine zehnprozentige Dividende also TRM 9,5 betragen hätte. Für das Geschäftsjahr 1941 hingegen konnte die Schwäbische Treuhand-AG bei einem eingezahlten Grundkapital von TRM 800 nun TRM 48 auszahlen. 327 BAB R 8119F/5747: Geschäftsberichte der Deutschen Treuhand-Gesellschaft (DTG) für die Jahre 1937 und 1941. Die DTG hatte ihre Dividende schon in den Geschäftsjahren 1939 und 1940 auf acht Prozent reduziert, vgl. Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 1940 (BAB R 8119F/5748). Grund für die Reduzierung waren vor allem Steuererhöhungen, vgl. Brief des Aufsichtsratsvorsitzenden Blinzig vom 11.8.1940 an Vorstandsmitglied Kruse (BAB R 8119F/5750). 120 Stille Reserven: Bilanzierungsprinzipien und Geschäftsentwicklung Die Eigentümer der Treuarbeit hatten kein Interesse an hohen Erträgen. Sie legten auch in der Bilanzdarstellung viel Wert auf Zurückhaltung. Die Entwicklung des aus- gewiesenen Neugewinns überschritt nie den Spitzenwert von knapp 184.000 RM im Jahr 1932 und sank nach 1935 kontinuierlich ab. Seit 1939 wurde nur noch der »Reingewinn« in Höhe der Dividende ausgewiesen. Die Treuarbeit hätte ihren Aktionären eine höhere Dividende von sechs Prozent, also 180.000 RM zahlen können. Vorstand und Aufsichts- rat wollten dies jedoch nicht. Die einzige bekannt gewordene – und folgenlose – Kritik an den niedrigen Ausschüttungen kam aus dem Reichsministerium der Finanzen. Ein Referent beanstandete den zu hohen Bestand an Gebäuden, an Wertpapieren und an Barvermögen ebenso wie die Höhe der Abschreibungen und den Umfang der stillen Reserven. Er befürwortete Ausschüttungen von wenigstens 300.000 RM und empfahl außerdem, die Beschränkungen der Dividendenverordnung durch Vorwegabführungen zu umgehen.328 Die Treuarbeit schrieb Vermögenswerte auch dann ab, wenn diese Abschreibungen nicht erforderlich waren, wie es der für das Rechnungswesen zuständige Vorstand Rittstieg den Aufsichtsräten im Frühjahr 1940 erläuterte.329 Die Nutzan- wendung der stillen Reserven bestätigte sich wiederholt, ob bei den Neubaukosten, der Kapitalerhöhung oder der Zuweisung zur Angestelltenversicherung. Die Ordnungsmäßigkeit der Jahresabschlüsse der Treuarbeit wurde vom Wirtschafts- prüfer Schäfer bestätigt. Die Prüfungszeit war, zumindest seit 1936, offenbar recht knapp und die von Jahr zu Jahr wachsende Zahl der Niederlassungen prüfte Schäfer nicht. Bei der Prüfung wurde der Wirtschaftsprüfer von »Direktor Thülen« aus der Reichs-Kredit- Gesellschaft unterstützt.330 Der Jahresabschluss der Reichs-Kredit-Gesellschaft, einer Tochtergesellschaft der VIAG, wurde wiederum von der Treuarbeit geprüft. Thülen hatte schon vor Einführung der Pflichtprüfung bei der Prüfungsgesellschaft geprüft und auch nach Eintritt Schäfers mit einem weiteren Mitarbeiter der Reichs-Kredit-Gesellschaft die »Hauptarbeit einschliesslich der Anfertigung des Berichtsentwurfes« erledigt. Eine Gegenseitigkeitsprüfung zweier Tochtergesellschaften konnte aber dem Berufsgrund- satz der Unabhängigkeit nicht entsprechen. Es entsteht der Eindruck, dass Schäfer vor allem dazu benötigt wurde, den Bilanzvermerk zu unterschreiben. Nachdem im Berufs- stand die Prüfungstätigkeit der Reichs-Kredit-Gesellschaft bei der Treuarbeit bekannt geworden war, sah der Vorstand der Treuarbeit von einer weiteren Beschäftigung der Mitarbeiter der Bank bei der Abschlussprüfung ab. Gleichzeitig ließ er auch den Wirt-

328 BAB R 2/17658: Berichte aus dem Reichsministerium der Finanzen vom 6.5.1941, 23.9.1941, 22.5.1943 und 4.7.1944. Es mutet merkwürdig an, dass ein Ministerialbeamter, der sich im Falle der Aufwands- und Ertragskompensation für einen Bruttoausweis und für Transparenz ausspricht, bei der Dividendenausschüttung eine Verschleierung empfiehlt. 329 BAB R 2301/6219, Bl. 72: Protokoll der Aufsichtsratssitzung am 25.4.1940, 4. 330 BAB R 2301/6129a, Bl. 56, 134, 172, 214, 261: Prüfungsberichte zu den Jahresabschlüssen der Geschäftsjahre 1936, 1938, 1939 (hier wird Thülen erstmals genannt), 1940, 1941. Schäfer schreibt in seinen Berichten, in denen er auch Thülens Mithilfe nennt, dass er wegen nicht ausreichender Zeit die Entwicklung der einzelnen Geschäftszweige und die Lage des Unternehmens in bereinigten Messzahlen nicht habe angeben können. Schäfer führt als Gründe ferner Verkehrsschwierigkeiten und Personalknappheit sowie Kriegsverhältnisse an. 121 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit schaftsprüfer ablösen. Schäfer sei nämlich, so führte Vorstandsmitglied Hesse im Mai 1942 im Aufsichtsrat aus, nicht in der Lage, allein die Abschlussprüfung vorzunehmen. Schäfer hatte gedroht, den Bestätigungsvermerk zu verweigern. Die von ihm angeführte Differenz im Gehaltsbereich wollte der Vorstand der Treuarbeit nicht als so schwer- wiegend akzeptieren.331 Zum Wechsel des Abschlussprüfers kam es jedoch nicht mehr, denn die Treuarbeit ließ die Jahresabschlüsse der Jahre 1942 und 1943 nicht mehr prüfen. Sie nahm damit die Möglichkeit der Prüfungsbefreiung nach § 1 der »5. VO über weitere Maßnahmen auf dem Gebiete des Handelsrechts während des Krieges« vom 24. Februar 1943 wahr.332

Zwischenfazit

Die Geschäftsentwicklung der Treuarbeit in der NS-Zeit war durch eine enorme quantitative Geschäftsausweitung – erkennbar an der starken Steigerung der Bilanz- summen, der Personalaufwendungen und der Erträge – gekennzeichnet. Die mehr- jährige Analyse zeigt, dass die Erträge weniger aus regulärer Geschäftstätigkeit, sondern vor allem aus Auflösungen stiller Reserven (Wertpapierverkäufe) und aus sonstigen Kapitalerträgen stammten. Die Beauftragung der Treuarbeit durch staatliche und nationalsozialistische Institutionen und Unternehmen führte demnach nicht zwangs- läufig zu Vorteilen in der Gewinnentwicklung. Die Treuarbeit forderte angemessene Vergütungen ihrer Leistungen, die beispielsweise im Treuhandgeschäft nur nach zähen Verhandlungen erlangt wurden. Sie legte in hohem Umfang stille Reserven aus dem Anlage- und dem Umlaufvermögen und informierte darüber in ihren Geschäfts- berichten. Die Reserven insbesondere aus dem Wertpapierbestand erlaubten der Treu- arbeit, aus eigener Kraft eine neue Hauptstelle zu errichten, die Kapitalerhöhung zu bewältigen, die Angestelltenversorgung stark auszubauen und ihre freien Rücklagen zu verstärken. Mit dieser Geschäftspolitik präsentierte sich die Treuarbeit als gesundes und vorbildhaftes Unternehmen. Anderseits legte die Treuarbeit Handlungen an den Tag, die ihre Vertrauenswürdig- keit schädigen konnten: Sie verschleierte Gewinnentnahmen für Aktionäre und ver- steckte Erträge aus Treuhandgeschäften der späten 1920er Jahre in der Position Wert- papiere. Der Umgang mit dem langjährig tätigen Bilanzprüfer lässt an der Ernsthaftig- keit zweifeln, die die Treuarbeit dem Sinn einer Bilanzpflichtprüfung entgegenbrachte.

331 BAB R 2/17658: Protokoll der Sitzung des Arbeitsausschusses des Aufsichtsrates am 5.5.1942, 3, 4. 332 BAB NS 3/1004, Bl. 35: Fachliches Merkblatt für die Prüfung der Jahresabschlüsse. Siehe die Geschäftsberichte der Jahre 1942 und 1943. 122 Prüfungs- und Treuhandtätigkeit in der Zeit des Nationalsozialismus 3.4 Prüfungs- und Treuhandtätigkeit in der Zeit des Nationalsozialismus links: Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit Zum Zeitpunkt der »Machtergreifung« durch die Nationalsozialisten war die Treu- rechts: Prüfungs- und Treuhandtätigkeit in der Zeit arbeit die umstrittenste Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deutschlands. Ihre Größe ver- des Nationalsozialismus dankte sie einem »de facto-Monopol«333 für staatliche Aufträge. Der Rechnungshof des Deutschen Reiches hatte in Zusammenarbeit mit dem Reichsministerium der Finanzen die Treuarbeit im Hinblick auf ihren Aufgabenumfang und anzuwendende Prüfungs- richtlinien ausgestaltet.334 Alle Reichsgesellschaften sollten zentral und einheitlich von der Treuhandgesellschaft geprüft werden. Mit der Übernahme von Prüfungen für privatwirtschaftlich geführte Reichsgesellschaften (ab 1925), Gesellschaften im Eigen- tum des Landes Preußen (ab 1926) und der Bearbeitung der Reichsbürgschaften (ab 1929) hatte die Treuarbeit andere private Treuhandgesellschaften aus diesen Geschäfts- zweigen verdrängt.335 Im Sommer 1931 bestimmte der Gesetzgeber überdies, dass Kapitalverwaltungsgesellschaften zur Geltendmachung von Steuererleichterungen eine jährliche Prüfung durch die Treuarbeit vornehmen lassen mussten. Diese Prüfungs- monopole riefen bei privaten Treuhandgesellschaften große Kritik und den Protest des Instituts für das Revisions- und Treuhandwesen hervor. Treuhandgesellschaften ver- standen ihre Tätigkeit als freien Beruf, der eine solche »monopolartige Bevorzugung« ausschloss.336 Wegen dieser »marktbeherrschenden Stellung« wurde die Treuarbeit auch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten attackiert. Ein Einzelwirtschafts- prüfer kritisierte, dass die Prüfungsgesellschaft 26 Prozent des gesamten zu prüfenden Aktienkapitals und damit etwa 50 Prozent mehr als die nächstgrößere Prüfungsgesell- schaft und 60 Prozent mehr als 343 Einzelwirtschaftsprüfer prüfte. Beanstandet wurde auch die mangelnde Qualität und Sorgfalt der Arbeitsausführung bei der Treuarbeit. Denn es gebe, so der Prüfer, für die vielen zu prüfenden Gesellschaften gar keine aus- reichende Zahl von Wirtschaftsprüfern bei der Treuarbeit.337

333 BAB R 3101/17697, Bl. 2: Bericht über die Entstehung, die derzeitige Lage und die Aufgaben der [Treuarbeit], 3.7.1944. 334 BAB R 2301/5969, Bl. 495, 495R, Anlage IV: »Grundsätze betr. die Prüfung […]« aus »Bemerkungen des Rechnungshof des Deutschen Reiches über die Prüfung von Unternehmen mit eigener Rechts- persönlichkeit«, Mai 1925; BAB R 2301/6547: »Richtlinien für die Prüfung von Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit, an denen das Reich mittelbar oder unmittelbar beteiligt ist, durch Treu- handgesellschaften« (Abschrift) als Anlage zu einem Brief des Reichsministers der Finanzen an »sämt- liche Reichsressorts«, 8.7.1925. 335 Forster, Finanzkontrolle (1989), 130. 336 Kritik des Treuhandverbandes zur Beauftragung der Treuarbeit für die preußischen Beteiligungen, siehe: Gerstner/Ertel, »Bericht« (1928), 114. Zum Protest des Instituts im Hinblick auf die Not- verordnung vom 5.6.1931 (Steuererleichterungen): Das Institut hatte sich aus mehreren Verbänden der Bücherrevisoren und Treuhandgesellschaften im Sommer 1930 gegründet, um bei der absehbaren Neugestaltung eines Bilanzprüferberufes mitwirken zu können; »Rundschau«, in: Archiv für das Revisions- und Treuhandwesen, 27. Jg., 1931, 245–248, hier: 246, hier auch das Zitat. 337 Jäckel, Unabhängigkeit (1966), 25, 27–29. Jäckel referiert den Bericht des Wirtschaftsprüfers Karl Eicke. 123 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit Kritisiert wurde die Treuarbeit auch wegen fehlender Unabhängigkeit auf- grund personeller Verflechtungen zwischen ihr und dem Reich.338 Den Aufsichts- rat der Prüfungsgesellschaft dominierten Vertreter aus den Reichs- und preußischen Ministerien­ für Finanz und Wirtschaft sowie aus dem Reichs- und dem preußischen Rechnungshof, denn gemäß Reichshaushaltsordnung hatte das Reich einen Einfluss auf die Gesellschaft sicherzustellen. So entsandte der Rechnungshof des Deutschen Reiches (RRH) zwei Mitglieder in den Aufsichtsrat der Treuarbeit, darunter den Präsidenten des Rechnungshofes, Friedrich Saemisch, der gleichzeitig Chefpräsident der Preußischen Oberrechnungskammer war und den Aufsichtsratsvorsitz übernahm.339 Kritikern galt die Treuarbeit als »privatwirtschaftliche Außenstelle des Rechnungshofs«, die kein unabhängiger Abschlussprüfer im Sinne des Aktiengesetzes sein konnte, da mehrere ihrer Aufsichtsräte in Aufsichtsräten von Reichs- oder preußischen Gesellschaften saßen, die von der Treuarbeit geprüft wurden. Damit schien eine behördliche Einflussnahme auf die Prüfungstätigkeit der Treuarbeit bei diesen Firmen nicht ausgeschlossen.340 Sich selbst sah die Treuarbeit als »Vertrauensorgan der öffentlichen Hand«.341 Ihre Vorstands- mitglieder waren zu kaufmännischen Beratern des RRH bestellt; sie berieten Reichspost, Reichsdruckerei und Lufthansa in bilanziellen Fragen.342 1929 wurde Vorstandsmitglied Wilhelm Adler in eine vom Reichstag gebildete und aus drei Personen bestehende »Schlüsselkommission« berufen, die festlegte, welche Unternehmen der Flugzeug- und Flugmotorenindustrie staatliche Subventionen erhalten sollten.343 Der in den Satzungen der Treuarbeit definierte Aufgabenbereich veränderte sich in den Jahren nach 1930 nicht. Als »Gegenstand des Unternehmens« nannte die Treuarbeit Revisions- und Überwachungsaufträge jeglicher Art, Organisations-, Reorganisations- und Liquidationstätigkeiten, Treuhänderschaft, Vermögensverwaltung sowie Aktienre- gistrierung und die Vertretung von Wertpapierbesitzern oder Hypothekengläubigern.344 Von tatsächlicher Bedeutung waren jedoch nur das Revisions- und das Treuhandge- schäft. Die beiden Aufgabenblöcke spiegelten sich sowohl in der regelmäßigen Bericht- erstattung des Vorstandes für den Aufsichtsrat als auch in den veröffentlichten Bilanzen und Geschäftsberichten wider.

338 Horn, »Wechselbeziehungen« (1927), 9. 339 Zur Einflussnahme gemäß § 48 der Reichshaushaltsordnung siehe: Hansen, Beteiligungen (1931), 69 (Abdruck Text § 48 RHO); Forster, Finanzkontrolle (1989), 130. 340 Jäckel, Unabhängigkeit (1966), 25. 341 Adler, »Aufgaben« (1929), 12 (Adler war Vorstandsmitglied bei der Treuarbeit). 342 Adler, »Kontrolle« (1931), 70, 71; 1931 waren Walter Susat und Wilhelm Adler solche kaufmännischen Berater. 343 Budraß, Flugzeugindustrie (1998), 252, 253. Ein weiteres Mitglied der Kommission war Bruno Heck, der damals im Aufsichtsrat der Treuarbeit saß. 344 BAB R 2301/6128: Satzungen von März 1930; BAB R 8135/5904: Satzungen vom 5.3.1938, die im Herbst 1941 noch gültig waren. Der »Gegenstand des Unternehmens« war jeweils in § 2 niedergelegt. Insofern überrascht die Aussage Pegas, die Aufgabenzuweisung an die Treuarbeit habe sich auch hin- sichtlich der satzungsgemäßen Fassung grundlegend geändert und erweitert, siehe: Pega, Tätigkeiten (2010), 107. Alle Aufgaben der Treuarbeit lassen sich unter Revisions-, Treuhand- und Vermögensver- waltung subsumieren. 124 Prüfungs- und Treuhandtätigkeit in der Zeit des Nationalsozialismus Die Zentrale der Treuarbeit in Berlin

Die Treuarbeit hatte ihre Zentrale in Berlin.345 Im Jahr der Bankkrise, 1931, erwarb sie erstmals ein eigenes Bürohaus in der Taubenstraße 46, in direkter Nachbarschaft zum Geschäftsgebäude der Deutschen Treuhand-Gesellschaft und in unmittelbarer Nähe der Wilhelmstraße, des Sitzes mehrerer Reichsministerien.346 Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten erlebte die Treuarbeit eine enorme Ausdehnung ihrer Geschäftstätigkeit. Damit verbunden war auch eine ständige Zunahme der Beschäftigten. Zwischen Ende 1931 und Ende 1936 stieg die Anzahl der Mitarbeiter von 131 auf 280 um mehr als das Doppelte. Im Jahr 1936 ließ die Treuarbeit daher in einer unmittelbaren Parallelstraße, der Jägerstraße 10/11, ein größeres Geschäfts- gebäude durch den Architekten Hanns A. Pfeffer errichten, das Anfang 1937 bezogen wurde.347 Der Vorstand der Treuarbeit war überzeugt, bei der Gestaltung des neuen Geschäftshauses alles getan zu haben, um für seine »Gefolgschaft heutigen Anschau- ungen voll gerechtwerdende Arbeitsräume zu schaffen. Den Anforderungen in gesund- heitlicher Beziehung ist dabei ebenso entsprochen wie denen an Zweckmäßigkeit und Schönheit der Arbeit. Im fünften Stock stehen einfach, aber ansprechend ausgestattete Gemeinschaftsräume und ein Dachgarten zur Verfügung.«348 Die zum Haus gehörenden Grundstücke erwarb die Treuarbeit für die Parzelle Jäger- straße 10 von der Concordia AG für Baubeteiligung und für die Parzelle Jägerstraße 11 aus einer Zwangsversteigerung. Die letztgenannte Parzelle gehörte seit 1920 Jacques Krako, Privatbankier und alleiniger Inhaber des Bankhauses A. Falkenburger & Co. Krako hatte Berlin im November 1935 verlassen. Er emigrierte nach Holland, wurde von dort aber 1944 nach Auschwitz deportiert und ermordet.349 Die Anzahl der Beschäftigten der Treuarbeit stieg weiter rasant an. Im April 1940 hatte die Treuarbeit 653 »Gefolgschaftsmitglieder«.350 Erst im Herbst 1940 beschloss der

345 Die erste bekannte Geschäftsadresse war Eichhornstraße 9 in der Nähe des Potsdamer Platzes. In den späten 1920er Jahren verzog die Treuarbeit zunächst in die Französische Straße 55/56, dann in die Mohrenstraße 62. 346 BAB R 2301/6056, nicht foliert: Dokument »Der VIAG nahestehende Gesellschaften« (o. D.) nennt als Anschrift für die Treuarbeit als GmbH, also vor 1925, die Eichhornstraße 9, ein weiteres Dokument in dieser Akte, das gleichfalls den Titel »Der VIAG nahestehende Gesellschaften« (o. D.) trägt, nennt als Anschrift die Französische Straße; BAB R 8135/5919, nicht foliert: Brief der Reichsministerien für Wirtschaft, Landwirtschaft und Ernährung sowie Finanzen an die Treuarbeit vom 17.2.1930 nennt die Anschrift Mohrenstraße. Die Deutsche Treuhand-Gesellschaft hatte ihren Sitz in der Tauben- straße 44/45. 347 BAB R 2301/6129a, Bl. 7, 92: Prüfungsbericht für das Geschäftjahr 1937, 6 (Mitarbeiterzahl 1931), Prüfungsbericht für das Geschäftsjahr 1937, 2 (Mitarbeiterzahl 1936); BAB R 2301/6129: Geschäfts- bericht für das Geschäftsjahr 1936 (Bezug Jägerstraße); Landesdenkmalamt Berlin, Objektnummer 09095983. 348 Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 1937, Abschnitt »Sozialbericht« (nicht nummerierte Seiten). 349 BAB R 2301/6129a, Bl. 33, 34: Prüfungsbericht für das Jahr 1935; Treml, »Jacques Krako« (2007), 177, 178; Köhler, Arisierung (2005), 153. 350 BAB R 2301/6129: Niederschrift der Aufsichtsratssitzung am 25.4.1940, allerdings einschließlich der Beschäftigten bei Tochtergesellschaften und Niederlassungen. 125 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit Vorstand, die Arbeit in der Zentrale stärker aufbauorganisatorisch zu gliedern. Bis dahin hatte es für das Aufgabengebiet der Prüfungen unterhalb des Vorstandes offenbar nur prüfungsbezogen zusammengestellte »Arbeitsgruppen« sowie diese Gruppen führende »Revisionsleiter«, »örtliche Prüfungsleiter« und bei Prüfungen in Konzernen »Gesamt- Prüfungsleiter« gegeben.351 Die neue Aufbauorganisation könnte der Tatsache geschuldet gewesen sein, dass es inzwischen mehrere Niederlassungen und Niederlassungsleiter gab und der Vorstand auch in Berlin qualifizierten Kräften Führungspositionen bieten wollte, um eine Abwanderung zu verhindern. Der Vorstand richtete nun zwei Treu- handabteilungen und sieben, 1942 zeitweise acht, Revisionsabteilungen ein. Diese Treu- hand- und Revisionsabteilungen erhielten eine eigene Leitung durch Abteilungsleiter. Den Revisionsabteilungen waren bestimmte Prüfungsgebiete zugeordnet. So nahm Revisionsabteilung I »Bäderprüfungen« und die Prüfung von Verbänden, Vereinen, Fachgruppen und Wirtschaftsgruppen vor. Revisionsabteilung IV führte Prüfungen in Banken und »Siedlungsprüfungen« durch. Die Treuhandabteilungen beteiligten sich gemeinsam mit der Rechtsabteilung an Gründungen von Unternehmen, beispielsweise den Reichswerken »Hermann Göring«, den Austria Tabakwerken, den Oberschlesischen Hydrierwerken und der Deutschen Umsiedlungs-Treuhand-Gesellschaft mbH. Zusätz- lich zu diesen Fachabteilungen hatte die Treuarbeit noch eine Vielzahl von Stabsab- teilungen. Hierzu gehörten das Vorstandssekretariat, die Gefolgschaftsabteilung, die Abteilung »Grundsätzliche Personalangelegenheiten« und die »Abteilung Kritik«.352 Ihre Aufgabe war es, die Prüfungsberichte einer internen Qualitätskontrolle hinsicht- lich Plausilität und Verifizierung des Datenmaterials zu unterziehen und damit »zur Sicherung einheitlicher Fachausrichtung und Handhabung« in der Zentrale und den Außenstellen beizutragen.353 Im Frühjahr 1942 wurde diese Zentralisierung aufgehoben und die Berichtskritik in jeder Revisionsabteilung installiert. Die zentrale »Abteilung Kritik« blieb jedoch bestehen und »für die Bearbeitung von Fachfragen weiter zuständig.«354 Außerdem gab es in der Treuarbeit ein Archiv, eine Bücherei, eine Buch- haltung sowie eine Abteilung für Hausverwaltung und Einkauf. In der »Kanzlei« waren Bereiche zusammengefasst, die die Revisionsabteilungen unterstützten: das Schreib- zimmer, das die Reinschriften der Prüfungsberichte erstellte, die Fertigkontrolle, die Vervielfältigung und der Versand.355

351 BAB R 8135/8591: Rundschreiben Nr. 88 vom 18.12.1035, Anlage II, 2 (»1. Durchführung der Prüfung«); BAB R 8135/8591: Rundschreiben Nr. 104 vom 7.10.1937, 1 (»A. Prüfungsdurch- führung«). 352 BAB R 8135/8628: Niederschrift der Vorstandssitzung am 2.10.1940 (Neuorganisation, Einrichtung von sieben Revisionsabteilungen); BAB R 8135/5899: Protokoll über die 11. Sitzung des Vorstandes mit den Abteilungsleitern vom 12.5.1941; BAB R 8135/8628: Protokolle über die 16. Sitzung des Vorstandes mit den Abteilungs- und Außenstellenleitern am 15.5.1942 und über die 17. Sitzung des Vorstandes mit den Abteilungs- und Außenstellenleitern am 16.12.1942. 353 BAB R 8135/5899: Protokoll der Sitzung des Vorstandes mit den Abteilungsleitern, 10. Sitzung vom 28.4.1941, 4. 354 BAB R 8135/8628, Bl. 175: Mitteilung Nr. 56 vom 1.4.1942. 355 BAB R 8135/8628, Bl. 182: Richtlinien für das Formularwesen vom 2.3.1942. 126 Prüfungs- und Treuhandtätigkeit in der Zeit des Nationalsozialismus Die »Gefolgschaftsabteilung«356 bearbeitete alle Neueinstellungen und Gehalts- zahlungen; zudem koordinierte sie den Einsatz von Revisoren, kommissarisch tätigen und ausländischen Mitarbeitern innerhalb der Zentrale und der Niederlassungen. Ende 1942 beschloss der Vorstand, die Personalangelegenheiten der inzwischen zahlreich vor- handenen Außenstellen auf der Grundlage der von der Zentrale ausgegebenen Richt- linien von diesen selbst regeln zu lassen.357 Im Frühjahr 1944 verlegte die Treuarbeit den »Innenbetrieb« – hierbei dürfte es sich also um die Stabsabteilungen gehandelt haben – nach Thüringen in die Orte Naum- burg, Rudolstadt, Katzhütte sowie nach Neu-Bochow in Brandenburg.358 Im Frühjahr 1945 verlagerte der Vorstand dann auch die Revisionsabteilungen in die »Ausweichstel- len« Naumburg und Rudolstadt, da »ein erheblicher Teil unseres Berliner Gefolgschafts- hauses auf längere Zeit unbenutzbar geworden« war.359 Die Zentrale war durch Brand beschädigt worden, dabei ging ein Teil des Aktenmaterials verloren. Auf Anordnung des Reichswirtschaftsministers wurde ein kleinerer Teil der Treuhandverwaltung nach Hamburg verlagert.360 Obwohl die Treuarbeit Mandanten im gesamten Reichsgebiet hatte und schon 1933 die zweitgrößte Treuhandgesellschaft in Deutschland war,361 errichtete sie keine weitere Geschäftsstelle im Inland. Der Betrieb der Ende 1936 eröffneten Geschäftsstelle in Ham- burg, vor allem zur Prüfung von Schifffahrtsgesellschaften, blieb nur eine Episode. Der Arbeitsumfang schien sich nicht so zu entwickeln, wie der Vorstand es angenommen hatte. Auf Dauer war daher ein eigenes Büro weder erforderlich noch finanziell vertret- bar. Die Prüfungen konnten von den dort wohnenden Prüfern erledigt werden. Somit wurde die Geschäftsstelle zum 30. September 1939 aufgelöst.362

356 Die Abteilung entstand im Dezember 1942 aus der Zusammenlegung von »Gefolgschaftsbüro« und »Revisionsabteilung A«. 357 BAB R 8135/8628: Protokolle der Sitzungen des Vorstandes mit den Abteilungsleitern, 16. Sitzung vom 15.5.1942, 2 und 17. Sitzung vom 16.12.1942, 4. 358 BAB R 8135/8591: Mitteilung Nr. 94 vom 17.5.1944. Naumburg gehört heute zum Bundesland Sachsen-Anhalt. 359 BAB R 177/1897: Mitteilung an Revisoren Nr. 107 vom 1.3.1945. 360 Privatarchiv Dr. Frank Pega, zusammengefasster Geschäftsbericht für die Geschäftsjahre 1944 bis 1946. 361 BAB R 3101/17697, Bl. 2: Vermerk für SS-Brigadeführer Ohlendorf zu Entstehung, Aufbau und Auf- gaben der Treuarbeit vom 3.7.1944. 362 Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 1936; FAH 4E98, Bl. 45: Niederschrift über die Aufsichtsrats- sitzung am 21.4.1938, 8; BAB R 2301/6129, Bl. 13: Niederschrift über die Aufsichtsratssitzung am 29.3.1939, 3; BAB R 2301/6129a, Bl. 187: Prüfungsbericht über das Geschäftsjahr 1939; in den WP- Nachrichten (1940), 192, über die Veränderungen der Hauptstellenliste ist die Hamburger Zweigstelle erst im Jahr 1940 als gelöscht vermerkt. 127 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit Spektrum der Prüfungstätigkeiten

Der Prüfungsschwerpunkt der Treuarbeit lag bei den staatseigenen Unternehmen und Unternehmensbeteiligungen. Dies waren Firmen, die zur VIAG gehörten, beispiels- weise die Bayerische Kraftwerke AG in Trostberg oder die Rheinische Metallwaren- und Maschinenfabrik-AG in Sömmerda. Ferner prüfte die Treuarbeit Gesellschaften des Preussag-Konzerns wie die Niedersächsische Kohlensyndikat GmbH in Hannover und die Unterharzer Berg- und Hüttenwerke GmbH in Oker. Zu ihren Mandanten gehörten auch Firmen des Preag-Konzerns363 wie die Nordwestdeutsche Kraftwerke AG in Hamburg und das Braunkohlen-Schwelkraftwerk Hessen-Frankfurt in Wölfers- heim. Die Treuarbeit prüfte zudem Wirtschaftsbetriebe der öffentlichen Hand, zum Beispiel Reichsstellen, Siedlungsgesellschaften oder öffentlich-rechtliche Banken wie die preußische Landespfandbriefanstalt.364 Des Weiteren oblag der Treuarbeit die Prüfung der vom Reich finanzierten und subventionierten Betriebe nach § 45c der Reichshaus- haltsordnung. Dies waren beispielsweise »Prämienprüfungen« bei Bergbau- und Hütten- betrieben und Prüfungen im Rahmen der Reichswirtschaftshilfe. Hierbei arbeitete sie intensiv mit dem Reichswirtschaftsministerium zusammen. Seit der Bankenkrise hatte die Treuarbeit auch einige Abschlussprüfungsmandate bei Großbanken wie der Dresdner Bank und der Commerzbank übernommen. Außerdem prüfte sie die Bilanzen der Reichs-Kredit-Gesellschaft und der Allgemeinen Deutschen Credit-Anstalt. In zunehmendem Maße erhielt die Treuarbeit Prüfungsaufträge für Rüstungsbetriebe, ins- besondere bei Unternehmen der Luftfahrtindustrie und bei heereseigenen Firmen. Zu ihren Kunden gehörten die Reichswerke »Hermann Göring«, die Waffenunion Skoda/ Brünn, die Wilhelm-Gustloff-Stiftung, die Zeiss-Stiftung und große Privatunter- nehmen »mit rüstungswirtschaftlichem Charakter« wie AEG, die Felten & Guilleaume Carlswerk AG, Rheinmetall-Borsig und der Arbed-Konzern.365 Die wichtigsten Auftraggeber der Treuarbeit waren also der Staat, große Banken in Staatsbesitz und die Rüstungsindustrie. Allein für den letzten der drei genannten Sektoren waren in der Treuarbeit drei von sieben Revisionsabteilungen tätig.366 Auf Veranlassung des Reichsluftfahrtministeriums prüfte die Treuarbeit unter anderem die Messerschmitt Flugzeugbau GmbH in Augsburg, die Luftschiffbau Zeppelin GmbH in Friedrichshafen und die Oberschlesische Flughafen GmbH in Gleiwitz. Darüber hinaus erhielt die Treuarbeit Aufträge aus dem Reichspostministerium und dem Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda zur Prüfung von Rundfunkgesellschaften.367 Die Treuarbeit prüfte auch Institutionen, Verbände und Organisationen außerhalb

363 Preußenelektra AG. 364 Die namentlich genannten Firmen sind entnommen: FAH 4E98, Bl. 217–220: Auflistung von Auf- trägen, die zwischen dem 1.7.1934 und 30.9.1934 begonnen wurden. 365 BAB R3101/17697, Bl. 5, 6: Bericht des Reichswirtschaftsministeriums zu den Aufgaben der Treu- arbeit, 4, 5. 366 BAB R 8135/5899: Protokoll über die 11. Sitzung des Vorstands mit den Abteilungsleitern, 12.5.1941, 2. 367 FAH 4E98, Bl. 304–308: Auflistung der Aufträge für die Zeit vom 1.1.1933 bis 30.9.1933. 128 Prüfungs- und Treuhandtätigkeit in der Zeit des Nationalsozialismus des Wirtschaftssektors. Hierzu gehörten der Reichsverband der Ortskrankenkassen, die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften und das Deutsche Rote Kreuz.368 Ferner prüfte sie Parteigliederungen wie die NS-Kriegsopferversorgung oder den NS-Reichsbund für Leibesübungen sowie Reichsstellen des Ernährungssektors und Wirtschaftsgruppen.369 Außerdem beauftragte der »Industrieausschuss der Adolf- Hitler-Spende der deutschen Wirtschaft« die Treuarbeit mit der Prüfung der Rechnungs- abschlüsse mehrerer Spendenjahre.370

»Arisierungsprüfungen«

»Arisierungsprüfungen« der Treuarbeit sind in der Literatur mehrfach belegt. So zeigt Köhler am Beispiel des Bankhauses S. Bleichröder, Berlin, wie die rassistischen Ziele des NS-Regimes in betriebswirtschaftliche Wertungen einflossen. Die Treuarbeit bewertete die Debitoren 1938 nicht mehr nur, wie im Jahr 1935 beim Bankhaus Arnhold in Dresden, nach Bonität und Sicherheiten, sondern stufte verschiedene Kreditengagements aus politischen Gründen als abschreibungsbedürftig ein. Für jüdische Kreditschuldner wurde nun unter Einberechnung eines politischen Risikofaktors pauschal von einem erhöhten Rückstellungsbedarf ausgegangen.371 Im Sinne der NS-Politik prüfte und berichtete die Treuarbeit auch im Rahmen der Enteignung der Firma Simson & Co.372 Schon vor 1933 hatte die NSDAP versucht, die Eigentümer Julius und Arthur Simson als Wirtschaftskriminelle zu diffamieren. Nach der Machtübernahme erhöhte das NS- Regime seine Anstrengungen, das Unternehmen in Reichsbesitz zu überführen. Doch der mit einer Prüfung beauftragte Reichsrechnungshof konnte den Verdacht, Simson habe übermäßige Gewinne vereinnahmt, nicht bestätigen. Auch eine Anklage gegen

368 FAH 4E98, Bl. 224, 225: Auflistung der Aufträge für die Zeit vom 1.7.1934 bis 30.9.1934. 369 BAB R 8135/4325: Prüfungsberichte. In der alphabetisch geordneten Karteikartenablage des Bestandes BAB R 8135 findet sich eine Vielzahl von Karteikarten für die »Reichsstelle für Getreide, Futtermittel und sonstige landwirtschaftliche Erzeugnisse« sowie für die »Reichsstelle für Milch, Öle und Fette«, ferner zahlreiche Karteikarten für Wirtschaftsgruppen. 370 BAB R 8135/5368: enthält die Prüfungsberichte für das vierte bis sechste Spendenjahr. Diese Spenden- aktion hatte Gustav Krupp erstmals im Frühjahr 1933 organisiert, siehe: Weiß, »Adolf-Hitler-Spende« (1998), 351. 371 Köhler, Arisierung (2005), 237, 238. Das Bankhaus Arnhold, bisher Kommanditist, hatte das Bankhaus S. Bleichröder nach dem Tod des Teilhabers Paul von Schwabach übernommen. Ladwig- Winters äußert sich eher generell zu Prüfungsgesellschaften und zur Treuarbeit: Wirtschaftsprüfungs- gesellschaften erfüllten »im Rahmen der ‚Arisierung‘ allgemein eine profitable Vermittlerrolle.« Die Prüfungsgesellschaften verknüpften ideologische und ökonomische Interessen miteinander. Die Treu- arbeit sei bei der »Arisierung« des Warenhauses Wertheim im Interesse der Banken und der NSDAP tätig gewesen. Die Partei habe die Prüfungsgesellschaft 1935 beauftragt, »die Entscheidungsstrukturen bzw. konkret die Personalbesetzung maßgeblicher Positionen aufzuschlüsseln«, siehe: Ladwig-Winters, Wertheim (1997), 203, 260, 261. 372 Das traditionsreiche Unternehmen im thüringischen Suhl gehörte seit Jahrzehnten zu den maßgeb- lichen Waffenherstellern des Deutschen Reiches. Ein 1925 mit der geschlossener Vertrag sicherte Simson das reichsweite Monopol zur Herstellung leichter Maschinengewehre. 129 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit Arthur Simson wegen Betrugs und Übervorteilung des Reiches wurde vor Gericht abgewiesen. Erst die Treuarbeit »förderte […] die politisch geforderten ‚jüdischen Machenschaften‘ zu Tage« und errechnete 1935 einen »Übergewinn« von 9,27 Millionen RM. Auf der Grundlage des Prüfungsberichtes wurden die Brüder Simson gezwungen, der Enteignung zuzustimmen.373 1936 lobte der NSDAP-Gauleiter in Thüringen, Fritz Sauckel, auf dem 1. Fachkongress des Deutschen Prüfungs- und Treuhand- wesens in Weimar die Treuarbeit öffentlich. Er könne mit Genugtuung und Freude feststellen, welch wertvolle Unterstützung er durch die Treuarbeit in Thüringen »bei der Aufdeckung der Geschäftsmanöver in dem ehemals der jüdischen Familie Simson gehörigen Suhler Waffenwerk gefunden habe.«374 Nach einer Analyse von vier Gut- achten zur »Arisierung« in den Jahren 1937 bis 1941 kommt Pega zu dem Ergebnis, dass aufgrund der »fachlichen Fehler […] nicht die grundsätzlich [von der Treuarbeit] zu erwartende und geforderte Unabhängigkeit gewährleistet war, sondern die Gutachten eher die Meinung der Partei- und Staatseinrichtungen stützten.« Für die Unterstützung der »rassisch begründeten, gegen alle betriebswirtschaftlich-vernünftigen Argumente unhaltbaren Parteilinie« bei der »Arisierung« der Wochinger Brauerei nahm die Treu- arbeit sogar »bewusst«, so Pega, heftige Kritik des Reichsfinanzministeriums und des Oberfinanzpräsidenten in München an ihren Prüfungsergebnissen in Kauf.375 Für das Verhalten der Treuarbeit spielte offenbar die vermutete Stärke der jeweils beteiligten Akteure eine so wichtige Rolle, dass sie sogar bereit war, die Kritik eines Ministeriums unbeachtet zu lassen. Mit Ausnahme des Bankhauses Bleichröder gingen die Prüfungs- aufträge direkt auf NS-Behörden zurück (Gauleiter, Gauwirtschaftsberater). Dies hat wohl zu einer Radikalisierung bei der Beurteilung der Unternehmen durch die Treu- arbeit beigetragen.

Prüfungsmonopol im Luftrüstungssektor

Die Prüfungen im Luftrüstungssektor sind ein gutes Beispiel dafür, wie geschickt es der Treuarbeit gelang, sich im Umgang mit unterschiedlichen Interessen von staat- lichem Auftraggeber und privatwirtschaftlichen Firmen der Luftfahrtindustrie Akzeptanz zu verschaffen. In diesem Sektor nahm die Treuarbeit als Prüferin praktisch eine Monopolstellung ein.376 Bilanzprüfungen hatten grundsätzlich firmeninternen Charakter, die Prüfungsergebnisse unterlagen der Verschwiegenheit. Im Hinblick auf die Abschlussprüfungen bei Firmen der Luftrüstung wie Flugzeugfabriken, Motoren- werke, Reparaturbetriebe oder Teilefabriken und Zulieferer waren die Verbindungen

373 Schulz, Enteignung (2006) (Seiten nicht nummeriert, Zitat S. 7). Angaben zur Enteignung der Firma Simson und zur Prüfung der Treuarbeit siehe auch bei Vogelsang, Freundeskreis (1972), 101. 374 Thüringer Gauzeitung, 14.11.1936, Titelblatt »Stoßtrupps gegen Wirtschaftskorruption«. 375 Pega, Tätigkeit (2010), 236–260 (Darstellung der vier Gutachten), hier: 260 (Zitat). 376 Es bestand zwischen der Treuarbeit und dem RLM eine »Sondervereinbarung«, siehe: BAB R 3101/ 17650: Aktennotiz von Hans Adler über die Besprechung mit Prof. Hettlage vom RMfBuM, 12.6.1942. 130 Prüfungs- und Treuhandtätigkeit in der Zeit des Nationalsozialismus der Treuarbeit zum Reichsluftfahrtministerium (RLM) schon vor Kriegsausbruch sehr eng. Das Ministerium hatte ein berechtigtes Interesse daran, bestimmte Sachverhalte zu erfahren, da es den Aufbau etlicher Luftfahrtbetriebe mit hohen Krediten erst ermög- lichte. Bis Ende März 1941 gewährte das RLM Beihilfen in Höhe von 349 Millionen RM und bis Ende 1941 hielt das RLM für das Reich Beteiligungen an Luftfahrtfirmen in Höhe von knapp 178 Millionen RM.377 Das Ministerium wollte daher wissen, wie sich die Finanzierungsstruktur dieser Luftfahrtbetriebe entwickelt hatte und ob Kredite ver- einbarungswidrig »zur Finanzierung des Privatgeschäftes« herangezogen worden waren, »insbesondere, wenn die Kredite über eine andere Konzernfirma geleitet« wurden.378 Die Abschlussprüfungen trugen des Weiteren den »besonderen Wünschen des RLM […] Rechnung […], als die Erfolgsrechnung eine besondere Ausgestaltung erfuhr«.379 Das RLM nahm selbst durch seine Preisprüfungsstelle eine Prüfung vor, die der Ermittlung eines angemessenen Kaufpreises für die Erzeugnisse der Luftfahrtunternehmen diente. Denn die Aufträge des Reichsluftfahrtministeriums waren als »öffentliche Aufträge« nach speziellen »Leitsätzen für die Preisermittlung […]« (LSÖ) abzurechnen.380 Der Krieg verursachte die »Notwendigkeit, Arbeitskräfte zu sparen und Doppelarbeit zu ver- meiden.« Treuarbeit und RLM vereinbarten daher, die beiden Prüfungen stärker auf- einander abzustimmen. Die Abschlussprüfung hatte künftig auch »die Unterlagen für die Festsetzung der Preise vor[zu]bereiten und materiell nach[zu]prüfen.« In eigener Verantwortung nahm das RLM allerdings noch für die »technische Abwicklung des Produktionsprozesses, Angemessenheit des Material- und Lohnaufwandes« sowie etliche weitere Kostenpositionen eigene Prüfungen vor. Die Treuarbeit konzipierte ihre Prüfungsberichte also nicht allein nach Vorschriften des Aktiengesetzes zum Jahres- abschluss und im Hinblick auf die Bedürfnisse des Aufsichtsrates der geprüften Firma. Sie richtete sich zunehmend nach den Vorgaben des RLM. Ziel der Treuarbeit war es, ihre Prüfungen »gleichmäßig« auszurichten und »die Auswertung unserer Berichte durch gleichartigen Aufbau, Inhalt und Ausdrucksweise« zu erleichtern.381 Die Prüfungsgesell-

377 Budraß, Flugzeugindustrie (1998), 493, 495. 1939 wurde die Investitionsfinanzierung unter Ver- antwortung des Ministerialdirigenten Alois Cejka, des späteren Aufsichtsratsmitgliedes der Treuarbeit, reformiert. Die Kredit- und Beteiligungsverwaltung ging an die in eine Bank gewandelte Luftfahrt- kontor GmbH, später Bank der Deutschen Luftfahrt AG, über (498–500). Cejka wollte die Luft- rüstungsfirmen aus der Bevormundung des Ministeriums in die Selbstständigkeit führen. Sie sollten sich vorrangig am Kapitalmarkt selbst versorgen und das finanzielle Risiko der Produktion selbst tragen (499, 762). 378 BAB R 8135/4677: »Richtlinien für die Prüfung und Berichterstattung in der Luftfahrtindustrie«, 29, Hervorhebung durch Unterstrich im Original. 379 BAB R 8135/5862: »Rundschreiben an die an Prüfungen in der Luftfahrtindustrie beteiligten Revisoren«, Juni 1940, 1, 2. 380 Leitsätze für die Preisermittlung aufgrund der Selbstkosten bei Leistungen für öffentliche Auftrag- geber. Die Preisprüfung des RLM ging auf ein Abkommen des Ministeriums mit den Luftrüstungs- unternehmen aus Dezember 1936 zurück, siehe: Pega, Tätigkeiten (2010), 173 unter Bezugnahme auf Budraß, Flugzeugindustrie (1998). 381 BAB R 8135/5862: »Rundschreiben an die an Prüfungen in der Luftfahrtindustrie beteiligten Revisoren«, Juni 1940, 2. 131 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit schaft verfasste für die mit der Prüfung der Luftfahrtunternehmen betrauten Revisoren »im Interesse der erwünschten Einheitlichkeit« entsprechende Richtlinien.382 Die Treuarbeit wollte aber nicht nur für das Ministerium, sondern auch für ihre Kunden die Organisation der Prüfungen straffer gestalten. Daher erstellte sie für ihre »Geschäftsfreunde« eine mit dem Luftfahrtministerium abgestimmte »Übersicht über die im allgemeinen erforderlichen Unterlagen für Bilanz- und Preisprüfungen in der Luftfahrtindustrie«, die die Vorbereitung der Prüfung vereinfachen und einen reibungs- losen Ablauf ermöglichen sollte.383 Die zehnseitige Übersicht führte eine Vielzahl von Unterlagen auf, die das geprüfte Unternehmen vorlegen sollte. Hierzu gehörten Doku- mente allgemeiner Art wie Aufsichtsratsprotokolle, Investitionspläne oder Prüfungs- berichte der unternehmensinternen Revision. Die Prüfer verlangten zudem eine Fülle von Detailangaben über zahlreiche Vermögens- und Schuldpositionen sowie eine Viel- zahl von Übersichten zu den einzelnen Erlös- und Aufwandspositionen. So bestand die Treuarbeit beispielsweise für die Position »Forderungen« auf einer Saldenliste und Saldenbestätigungen aller Schuldner und Angaben zum Alter und der Fälligkeit der Forderungen, zu den Sicherheiten, zur Tilgung, zum Zinssatz sowie zum gegebenen- falls angestrengten Mahn- oder Klageverfahren.384 Für die Aufwandsposition »Löhne« verlangte die Treuarbeit eine Abstimmung der gezahlten mit den in der Kalkulation verrechneten Löhnen sowie eine Übersicht über jegliche gezahlten Zulagen und Son- derzahlungen. Außerdem ließ sie sich die »Entwicklung der Lohnempfänger […] nach den Monatsendzahlen zusammengestellt« für vier verschiedene Arbeitergruppen vorle- gen.385 Darüber hinaus enthielt die »Übersicht« noch Schemata, nach denen die geprüf- ten Firmen die Zugänge und Abgänge bei Grundstücken, Gebäuden, Maschinen sowie der Betriebs- und Geschäftsausstattung auflisten sollten.386 Eine Einsichtnahme des Reichsluftfahrtministeriums in Prüfungsergebnisse der geprüften Unternehmen war jedoch kein Automatismus. Die Treuarbeit ließ sich von der geprüften Firma eigens dazu ermächtigen, den »besonderen Wünschen des RLM« nachzukommen und mit dem Ministerium die Abgrenzung der beiderseitigen Prüfungstätigkeiten zu vereinbaren. Der Entwurf des Prüfungsberichtes wurde dem Ministerium vorgelegt, und auch die Besprechung über das Prüfungsergebnis mit der geprüften Firmen fand gemeinsam mit einem Ministeriumsvertreter statt. Auch bei der Berichterstattung zeigte sich, dass die Treuarbeit im Interesse ihrer Kunden bemüht war, gewisse Konflikte diplomatisch zu lösen. Denn dem RLM sollte nur mündlich Kenntnis solcher Tatbestände gegeben werden, die auf Wunsch der geprüften Firma im Bericht nicht ausführlich besprochen wurden, für die Preisbildung aber von Bedeutung

382 BAB R 8135/4677: »Richtlinien für die Prüfung und Berichterstattung in der Luftfahrtindustrie« o. D.; BAB R 8135/5862: »Rundschreiben an die an Prüfungen in der Luftfahrtindustrie beteiligten Revisoren«, Juni 1940. 383 BAB R 8135/5862: »Übersicht über die im allgemeinen erforderlichen Unterlagen für Bilanz- und Preisprüfungen in der Luftfahrtindustrie«, Juni 1940. 384 BAB R 8135/5862: »Übersicht… in der Luftfahrtindustrie«, 4. 385 BAB R 8135/5862: »Übersicht… in der Luftfahrtindustrie«, 7. 386 BAB R 8135/5862: »Übersicht… in der Luftfahrtindustrie«, Anlage I, 2–7. 132 Prüfungs- und Treuhandtätigkeit in der Zeit des Nationalsozialismus waren.387 Zu diesen Tatbeständen gehörten die stillen Reserven. Die Treuarbeit konnte den »Wünschen der Kundschaft, mit Rücksicht auf die Steuer auf solche Angaben [stille Reserven] ganz zu verzichten,« jedoch nicht nachkommen, »falls unser Bericht für das RLM einen Wert haben soll.«388 Bedenken der geprüften Firmen gegenüber der Ver- traulichkeit der Prüfungsergebnisse versuchte die Treuarbeit mit der Versicherung zu begegnen, dass die Prüfungsberichte »nur von besonders vereidigten Herren« angefertigt und »nur von besonders vereidigten Kräften« bearbeitet würden. Die Verschwiegen- heitspflicht gelte auch innerhalb der Mitarbeiterschaft. Außerdem sicherte sie ihren Kunden die sorgfältige Aufbewahrung der Arbeitsunterlagen und der Berichte zu.389 Wie sich zeigen sollte, waren die Maßnahmen der Treuarbeit zur Effizienzsteigerung der Prüfungen im Luftfahrtwesen sehr vorausschauend. Denn mit zunehmender Kriegs- dauer klagten Rüstungsunternehmen und »insbesondere der Leiter der Parteikanzlei« über »Auswüchse« und »Überschneidungen« im Prüfungswesen, die unnötig viel Perso- nal binden würden. Die Kritik richtete sich auf die drei Prüfungskomplexe der Jahres- abschlussprüfung, der Prüfung der Reichsfinanzverwaltung und der Preisprüfung.390 Die Erkenntnisse aus Prüfungen hatten für die obersten Reichsbehörden eine so große Bedeutung, dass man in größerem Kreis über Maßnahmen zur Vereinfachung des Prü- fungswesens in der Rüstungsindustrie nachdachte. Anfang Juli 1942 trafen sich auf Ein- ladung des Reichsministeriums für Bewaffnung und Munition (RfBuM) Vertreter der Reichsministerien für Luftfahrt, Wirtschaft, Finanzen und Justiz, des Reichsrechnungs- hofes, des Reichskommissars für Preisbildung sowie des Wirtschaftsamtes des OKW und des Reichskuratoriums für Wirtschaftlichkeit.391 Richard Karoli nahm an dieser Sitzung in der Doppelfunktion als Vorstandsmitglied der Treuarbeit und als Vertreter des Berufsverbandes der Wirtschaftsprüfer, des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW), teil. Aus diesem Gremium erhielt die Treuarbeit enormes Lob für ihre prüferischen Vor- leistungen zur Preisprüfung des RLM. Als ein hervorragendes Beispiel für eine Prüfungs- vereinfachung charakterisierte Professor Hettlage392, der Generalreferent für Wirtschaft und Finanzen beim RfBuM, die Arbeit der Prüfungsgesellschaft, weil sie bei ihren Prüfungen eine Verbindung von Kostenrechnungs- und Bilanzprüfung entwickelt habe. »Die Berichte der deutschen [so!] Revisions- und Treuhand-AG«, fügte ORR Strauß

387 BAB R 8135/4677: »Richtlinien für die Prüfung und Berichterstattung in der Luftfahrtindustrie«, 3. 388 BAB R 8135/4677: »Richtlinien für die Prüfung … in der Luftfahrtindustrie«, 7; die Betriebsprüfung konnte die Prüfungsberichte der Wirtschaftsprüfer anfordern, ab 1941 mussten sie der Steuererklärung zwingend beigefügt werden, siehe: Spoerer, Scheingewinnen (1996), 96, Fn. 244. 389 BAB R 8135/4677: »Richtlinien für die Prüfung und Berichterstattung in der Luftfahrtindustrie«, 9. 390 BAB R 3101/17650: Reichsminister für Bewaffnung und Munition an Reichswirtschaftsminister, betr.: Vereinfachung des Prüfungswesens, 15.6.1942. 391 Vollständiger Name: Reichskuratorium für Wirtschaftlichkeit in Industrie und Handwerk, hier: Ver- treter des Reichsausschusses für Betriebswirtschaft. 392 Karl Maria Hettlage: siehe Aufgabenverteilung beim Reichsminister für Rüstung und Kriegs- produktion, der Nachfolgeinstitution des RMfBuM, nach Eichholtz, Geschichte (1999) (Nachdruck), Anlage. 133 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit vom Luftfahrtministerium hinzu, »ergeben ohne weiteres die Möglichkeit, den Gewinn zu errechnen.« Dabei hätten die mit dem industriellen Abrechnungswesen vertrauten Fachleute des RLM als Prüfungsleiter die zunächst auf diesem Gebiet weniger kundigen Prüfer der Treuarbeit eingearbeitet. Die Prüfer der Treuarbeit erwarben so »verhältnis- mäßig schnell die notwendige Befähigung für die Prüfung der Betriebsabrechnung und Kostenträgerrechnung.« Die Wirtschaftsprüfung in dieser Form der Zusammenarbeit, schloss Strauß seine Ausführungen, sei für das RLM im Hinblick auf die Kalkulations- grundlagenanalyse und die Preisbildungsvorarbeit unverzichtbar. Andere Sitzungsteil- nehmer hoben die Vorteile der Prüfung durch die Wirtschaftsprüfer gegenüber den Betriebsprüfern des Finanzamtes hervor. Neben der Analyse der Kostenrechnung biete die Wirtschaftsprüfung einen prospektiven Blick. Das Material, das die Wirtschafts- prüfung erarbeite, würdigte auch Ministerialrat Zeidler vom OKW, sei gegenüber den Unterlagen der Steuerprüfung »unvergleichlich wertvoller.«393

Übernahme vielfältiger Treuhandaufgaben

Zur Prüfungstätigkeit der Treuarbeit trat ein umfangreiches und differenziertes Treu- handgeschäft, das im Wesentlichen von Ministerien und Behörden initiiert war.394 Es handelte sich vor allem um die Prüfung und Bearbeitung sogenannter Russenkredite, Reichsbürgschaften (»Regierungsgeschäfte«) und Investitionsfördermaßnahmen. Diese Treuhandtätigkeit ist ein Beispiel dafür, wie die Treuarbeit in durch Kriegsverhältnisse erschwerten Arbeitssituationen mehr und mehr Entscheidungskompetenz erhielt. Die Beziehungen der Treuarbeit zum Reichswirtschaftsministerium waren hierbei besonders eng. Bereits in den späten 1920er Jahren hatte die Treuarbeit die Geschäftsführung für Ausfallbürgschaften im Zusammenhang mit Exporten nach Russland übernommen. Diese Aufgabe wurde auch in den 1930er Jahren fortgeführt. Als durch den Kriegs- ausbruch im Sommer 1941 die Zahlungen aus der Sowjetunion eingestellt wurden, erhielt die Treuarbeit den Auftrag, die Schadensabwicklung durchzuführen. Wegen der ausbleibenden Zahlungen für ihre Lieferungen war für die exportierenden deutschen Firmen ein Schadensfall eingetreten. Das Reich hatte Garantieverpflichtungen gegen- über produzierenden Firmen und Banken übernommen, deren Höhe das Reichswirt- schaftsministerium Ende Juni 1941 auf 247 bis 347 Millionen RM schätzte.395 Am

393 BAB R 3101/17650: »Niederschrift über die erste Besprechung beim RfBuM über die Vereinfachung der Prüfungen von Unternehmungen«, 4.7.1942, erstellt vom Reichsministerium für Bewaffnung und Munition, 1–3; BAB R 3101/17650: Reichswirtschaftsminister, Vermerk, betr.: Vereinfachung des wirtschaftlichen Prüfungswesens, 6.7.1942, 5, 7. 394 Siehe hierzu den Überblick in BAB R 3101/17697, Bl. 6–8: Bericht des Reichswirtschaftsministeriums zu den Aufgaben der Treuarbeit, 5–7. 395 BAB R 3101/20051, Bl. 311: »Anlage zum Protokoll der 10. Gemeinschaftssitzung des Interministe- riellen Ausschusses und der Abteilung V Ld. 12 des Reichswirtschaftsministeriums in Sachen, Regulie- rung der Exportgeschäfte mit der UdSSR, 25.6.1943, 3; BAB R 3101/20049, Bl. 5: Hauptabteilung IV, betr: Schaden im Russlandgeschäft, 25.6.1941. 134 Prüfungs- und Treuhandtätigkeit in der Zeit des Nationalsozialismus 31. Juli 1941 trafen in den Räumen der Treuarbeit Vertreter des Reichswirtschafts- und des Reichsfinanzministeriums mit leitenden Mitarbeitern der Treuarbeit zusammen, um über die Schadensabwicklung zu beraten.396 Zu diesem Zeitpunkt hatte die Treuarbeit schon ein Rundschreiben für die deutschen Exporteure erstellt und mit dem Reichs- wirtschaftsministerium abgestimmt, das sie – datiert auf den 1. August 1941 – an die betroffenen Firmen versandte.397 Hierin erklärte sich die Treuarbeit zur Anmeldestelle für Schäden und als für die »gesamte Abwicklung« zuständig. Sie handelte als Beauftragte des Reichsfinanzministeriums und im Interesse des Reichswirtschaftsministeriums.398 Ihre Aufgabe war, die Anträge auf Schadensersatz zu prüfen, die Entschädigungs- beträge festzustellen und sie auch auszuzahlen.399 Die Treuarbeit erläuterte den Firmen zugleich, unter welchen Voraussetzungen sie welche Zahlungen zu erwarten hätten.400 In die Prüfung der Schadensfälle waren bei bestimmten Kostenkonstellationen auch die Prüfungsstellen der Wirtschaftsgruppen einbezogen.401 Die im Laufe der nächsten Jahre auftauchenden Fragen klärte die Treuarbeit im Rahmen eines interministeriellen Aus- schusses aus Vertretern des Reichswirtschafts- und des Reichsfinanzministeriums. Die Treuarbeit bereitete diese Fragen zur Entscheidung vor.402 Dabei übernahm sie auch die Bearbeitung von Themen, die allgemeine Bedeutung erlangten; so klärte sie beispiels- weise die Frage, wie die Auszahlungen an die Firmen umsatzsteuerrechtlich zu behandeln seien. Als besondere Dienstleistung gegenüber den betroffenen Firmen übernahm sie es, sämtliche Forderungen aus dem Export nach Russland entgegenzunehmen, unabhängig davon, ob sie der Regulierung gemäß den Richtlinien vom 1. August 1941 unterfielen oder nicht. Die Treuarbeit sortierte die nicht-regulierungsfähigen Forderungen aus und über- sandte entsprechende Mitteilungen darüber dem Generalverwalter für das sowjetische Staatsvermögen, Staatssekretär a. D. Claussen. Es war vorgesehen, diese Forderungen aus »Feindvermögen« zu erstatten.403 Im Sommer 1943 war der größte Teil der »Sonder- geschäfte« der Jahre 1935 und 1939 sowie der Bürgschaftsübernahmen des sogenannten »laufenden Geschäfts« abgewickelt. Aus den »Sondergeschäften« waren im Wesent- lichen an Banken etwa 194 Millionen RM gezahlt worden. Die Treuarbeit überwachte zu diesem Zeitpunkt die Einreichung von Abtretungserklärungen und Ausgleichs- quittungen, denn die Forderungen der Banken gingen mit dem Zahlungserhalt an das

396 BAB R 3101/20049, Bl. 218: Brief der Treuarbeit an das Reichswirtschafts- und das Reichsfinanz- ministerium betreffend die Sitzung am 31.7.1941, 4.8.1941. 397 BAB R 3101/20049, Bl. 56: Brief der Treuarbeit an das Reichswirtschaftsministerium: Entwurf Rund- schreiben und Merkblatt für alle deutschen Exporteure in die UdSSR, 11.7.1941. 398 BAB R 3101/20049, Bl. 158: Vermerk des Reichswirtschaftsministeriums vom 14.8.1941. 399 BAB R 2301/6481: Aktenvermerk des RH VIII 5–3517-64/42 vom 9.3.1942, 4. 400 BAB R 3101/20049, Bl. 130–136: Rundschreiben und Merkblatt für alle deutschen Exporteure nach der UdSSR. 401 BAB R 3101/20049, Bl. 191: 1. Gemeinschaftssitzung des Interministeriellen Ausschusses und der Abteilung V Export des Reichswirtschaftsministeriums in Sachen, Regulierung der Exportgeschäfte mit der UdSSR, 9.9.1941. 402 BAB R 3101/20049, Bl. 311: 3. Gemeinschaftssitzung, 18.11.1941; BAB R 3101/20051, Bl. 309: 10. Gemeinschaftssitzung, 25.6.1943. 403 BAB R 3101/20049, Bl. 316, 317: 3. Gemeinschaftssitzung, 18.11.1941, 6, 7. 135 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit Reich über. Dazu ließ sich die Treuarbeit auch 17.000 Kapitalwechsel und dazugehörige Zinswechsel aushändigen, in denen die Forderungen verbrieft waren und die sie zu überprüfen hatte. Vom »laufenden Geschäft« hatte die Treuarbeit zu diesem Zeitpunkt etwa 8.550 von 10.500 Geschäften im Umfang von 142 Millionen RM abgewickelt.404 Ende 1929 hatte das Reich die sogenannten »Regierungsgeschäfte« neu geregelt.405 Hierunter verstand man eine Exportkreditversicherung, mit der Ansprüche deutscher Lieferfirmen aus Lieferungen gewerblicher und landwirtschaftlicher Erzeugnisse oder Produktionsmittel an ausländische Regierungen, Provinzen und Städte gesichert wurden. Die Neuregelung wurde erforderlich, weil die bisherigen Partner der Regierung, die Hermes Kreditversicherungsbank AG (Hermes) und die Frankfurter Allgemeine Versicherungs AG (FAVAG), die Bedingungen für eine Risikoübernahme derart ver- schärft hatten, dass Versicherungen kaum zustande kamen. Ferner war die FAVAG im Sommer 1929 zusammengebrochen. Die Neuordnung sah vor, dass Hermes künftig die Regierungsgeschäfte bis zu einer Höhe von maximal fünf Millionen RM und einer Laufzeit bis zu zwei Jahren abwickelte. Für langfristige Geschäfte an die ausländischen Empfänger hingegen sollte es künftig eine »unmittelbare Reichsgarantie« geben.406 Die Geschäftsführung zur Vergabe dieser Garantien erhielt die Treuarbeit per 17. Februar 1930. Grund für die Übertragung der neuen Aufgabe war, dass die zuständigen obersten Reichsbehörden gute Erfahrungen mit der Treuarbeit anlässlich der Garantien zu Exportgeschäften nach Russland gemacht hatten. Die Geschäftsführung umfasste die gesamten Arbeitsvorgänge von der Antragsannahme bis zu einer eventuellen Schadens- abwicklung: Die Treuarbeit nahm zunächst die Anfragen der exportierenden Firmen zur grundsätzlichen Zusicherung einer Garantie und die Anträge auf Übernahme einer Garantie für ein abgeschlossenes Geschäft entgegen und prüfte, ob die Liefer- und Zahlungsbedingungen den festgesetzten Richtlinien entsprachen.407 Dazu hatte sie auch das Recht, von den beantragenden Firmen weitere Unterlagen anzufordern. Nach positivem Prüfungsergebnis übersandte die Treuarbeit die Anträge den beteiligten Reichsressorts, zu denen in jedem Fall das Reichsministerium für Finanzen und das Auswärtige Amt gehörten. Bei »Industriegeschäften« waren das Reichswirtschafts- ministerium, bei »Agrargeschäften« das Reichsministerium für Ernährung und Land- wirtschaft zusätzlich einzubeziehen, die auch die Federführung übernahmen. Die Ressorts leiteten ihre Stellungnahmen zu den Anträgen wiederum der Treuarbeit zu,

404 BAB R 3101/20049, Bl. 316: 3. Gemeinschaftssitzung, 18.11.1941, 7; BAB R 3101/20051, Bl. 313, Anlage zum Protokoll der 10. Gemeinschaftssitzung, 5. 405 BAB R 8135/5919: Abschrift I B 10819/29 Vorschläge zu einer Neuregelung der sog. Regierungs- geschäfte. Federführend waren hier der Reichswirtschaftsminister, der Reichsminister für Finanzen und der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft. 406 Im März 1936 wurde der Versicherungsumfang für Hermes auf Kredite bis 700.000 RM reduziert, siehe: BAB R 8135/5928: Vermerk vom 16.3.1936. 407 BAB R 8135/5928: Grundsätze für die Vergabe von Reichsgarantien für Lieferungen an ausländische Staaten, Provinzen und Städte, 17.2.1930; Grundsätze für die Übernahme von Bürgschaften durch das Reich bei Lieferungen an ausländische Staaten und sonstige öffentliche Körperschaften (Regierungs- geschäfte), 1.5.1931, in § 23 war die Treuarbeit als Geschäftsführerin benannt. 136 Prüfungs- und Treuhandtätigkeit in der Zeit des Nationalsozialismus die eine Ressortbesprechung organisierte, in der über die Anträge entschieden und die speziellen Bedingungen der einzelnen Garantien genau festgelegt wurden. Neben den Ministerien nahmen an diesen Besprechungen auch Vertreter der Reichs-Kredit-Gesell- schaft und der Hermes als Sachverständige teil. Gemäß den interministeriell getroffenen Entscheidungen erhielt die Treuarbeit vom federführenden Ministerium eine schrift- liche Ermächtigung, aufgrund derer sie die Garantie im Auftrag und namens des Reiches aussprechen durfte. In der Folgezeit überwachte die Treuarbeit die Abwicklung der Liefergeschäfte und den Eingang der Zahlungen an die deutschen Exportfirmen und kontrollierte laufend die noch offenen Garantiebeträge. In regelmäßigen Abständen informierte die Treuarbeit die Reichsministerien über die aktuelle Höhe der Garantien im Hinblick auf die Empfängerländer, zu denen insbesondere der Balkan, die Türkei, aber auch ostasiatische und südamerikanische Staaten gehörten. Per 30. Juni 1944 betrug das Obligo des Reiches 2,4 Milliarden RM und betraf Verpflichtungen bis in das Jahr 1953.408 Schließlich prüfte die Treuarbeit auch bei eingetretenen Schadensfällen die Berechtigung der betroffenen Firmen. Die gesamte Durchführung der Reichsgarantien in kaufmännischer und abwick- lungstechnischer Hinsicht lag also in den Händen der Treuarbeit. Für ihre Tätigkeit erhielt sie einen Anteil an der Prämie, die die Exportfirmen für die Übernahme der Reichsgarantie an das Reich zu zahlen hatten. Hierbei gehörte es auch zur Aufgabe der Treuarbeit, die Gesamtprämie von den Exportfirmen einzuziehen.409 Allein zwischen Dezember 1935 und Oktober 1944 bearbeitete die Treuarbeit knapp 900 Anträge.410 Gegen Kriegsende wurden der Treuarbeit weitere Kompetenzen bei der Bearbeitung der Reichsgarantien zugewiesen. So ermächtigte das Reichswirtschaftsministerium die Treuarbeit, Entschädigungsbeträge bis zu einer Höhe von einer Million RM ohne vor- herige Zustimmung des Ministeriums auszuzahlen. Dazu stellte das Ministerium der Treuarbeit einen Gesamtbetrag von 50 Millionen RM zur Verfügung.411 Im März 1945 erlaubte das Ministerium der Treuarbeit schließlich, in eigener Verantwortung »nach pflichtgemäßem Ermessen« über die Ausstellung einer Reichsbürgschaft und einer Scha- densregulierung zu entscheiden, sofern die für die Beschlussfassung zuständigen Refe- renten des Reichswirtschafts- und des Reichsfinanzministeriums nicht erreicht werden konnten.412

408 BAB R 8135/5912: Statistik über die zur Zeit laufenden Reichsbürgschaften zur Förderung des deutschen Außenhandels (sog. »Regierungsgeschäfte«) per 30.6.944, erstellt von der Treuarbeit am 21.9.1944. 409 BAB R 8135/5919: Reichswirtschaftsminister, Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, Reichsminister für Finanzen an Treuarbeit, 17.2.1930, Auftrag zur Übernahme der Reichsgarantien. 410 BAB R 8135/5897: Tabelle »Bearbeitungsgebühren für Regierungsgeschäfte«. 411 BAB R 8135/5929: Briefe Reichswirtschaftsministerium an Deutsche Revisions- und Treuhand-AG, 4.12.1944, 6.12.1944. 412 BAB R 8135/5929: Brief Reichswirtschaftsministerium an Deutsche Revisions- und Treuhand-AG, 26.3.1945. In welchem Umfang es hier zu Entscheidungen der Treuarbeit gekommen ist, ist nicht bekannt. 137 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit Auch infolge der Autarkie- und Aufrüstungsbestrebungen des NS-Regimes erhielt die Treuarbeit weitere Aufgaben. Das Reich wollte die Abhängigkeit von ausländischen Rohstoffen durch die Produktion von Ersatzstoffen reduzieren und förderte bestehende Unternehmen insbesondere bei der Erzeugung und Gewinnung von Treibstoffen, Nicht- eisenmetallen und der Zellwolleherstellung durch Darlehn oder Zuschüsse. Für ihre Auf- traggeber – dies waren Reichsministerien, das Oberkommando des Heeres und die Vier- jahresplanbehörde – erarbeitete die Treuarbeit Finanzierungs- und Garantieverträge. Sie schloss die Verträge mit den zu fördernden Firmen ab, prüfte die Firmen, überwachte die Einhaltung der Vertragspflichten und verwaltete die Sicherheiten für das Reich.413 Zu den vielfältigen Investitionsfördermaßnahmen gehörten Wirtschaftlichkeitsverträge, Pachtverträge oder das Förderprämienverfahren.414 Die staatlichen Stellen wollten durch die Prüfungen der Treuarbeit feststellen lassen, ob die Produktionsweise der geförderten Unternehmen effizient und ob die Zukunftsfähigkeit bestimmter Produktionsver- fahren gegeben war.415 Außerdem sollte überprüft werden, ob die Unternehmen die Selbstkosten vielleicht zu hoch ansetzten und sich über die Fördermaßnahmen über- höhte Gewinne verschafften. Da die Treuarbeit beispielsweise bei allen staatlich neu gegründeten Unternehmen der Zellwolleindustrie prüfte, war die Vergleichbarkeit der Betriebe untereinander gegeben.416 Geschäftlich wertvoll war es für die Treuarbeit, dass diese Betriebe die Prüfungsgesellschaft auch nach ihrer Privatisierung 1940 weiterhin zur Abschlussprüferin bestellten.417 Erstmals Anfang Februar 1935 wurde die Treuarbeit von Wilhelm Keppler als dem »Beauftragten des Führers und Reichskanzlers für Wirtschaftsfragen« und damaligen Vorsitzenden des Aufsichtsrates der Treuarbeit ermächtigt, solche Garantieerklärungen auf der Grundlage des Gesetzes über staatliche Preis- und Abnahmegarantien bei neu errichteten Werken zur synthetischen Benzin-, Buna- und Zellwolleherstellung im Auftrag des Reiches abzugeben.418 Die Reichsgarantien galten einem Kreditvolumen in Höhe von 160 Millionen RM, das ein Bankenkonsortium unter der Führung der Dresdner Bank für die Erzeugung von Zellwolle gewähren sollte.419 Die Treuarbeit unterstützte das Reich hierbei nicht nur abwicklungstechnisch und in rechtlichen Fragen, sondern erteilte den wirtschaftspolitischen Zielsetzungen den Vorrang vor betriebswirtschaftlichen Überlegungen. Als beispielsweise die Dresdner Bank bei der

413 Überblick in BAB R 3101/17697, Bl. 6–8: Bericht des Reichswirtschaftsministeriums zu den Aufgaben der Treuarbeit, S. 5–7; BAB R 3101/17698: Treuarbeit an Göring/Beauftragter für den Vierjahresplan, 10.9.1937; BAB R 3101/17698: Treuarbeit an Reichswirtschaftsministerium, 26.11.1938 – Über- sendung abgeschlossener Verträge; BAB R 3101/17698: Treuarbeit an Reichswirtschaftsministerium, 5.12.1938 – Übersendung von Prüfungsberichten. Scherner, Logik (2008), 27, 37, 58. 414 Scherner, Logik (2008), 27, 37, 58. 415 Scherner, Logik (2008), 203, 210, 270. 416 Scherner, Logik (2008), 58, 203. 417 Scherner, Logik (2008), 182, 211, 214. 418 Vergleiche auch die Bilanz des Geschäftsjahres 1936, in der erstmals seit Ende der 1920er Jahre wieder ein Treuhandvermögen genannt wird. Benz, Geschichte (2000), 102. 419 BAB R 3101/17698, Bl. 19–21: Keppler, Schacht, Schwerin von Krosigk an Deutsche Revisions- und Treuhand-AG, 7.2.1935. 138 Prüfungs- und Treuhandtätigkeit in der Zeit des Nationalsozialismus Kreditvergabe an ein Spinnstoffwerk dessen schwache Kapitalausstattung monierte, stellte die Treuarbeit klar, dass der volkswirtschaftlich besonders wichtige »Aufbau einer deutschen Rohstoffbasis […] der allzustrengen Bearbeitung der rein bankmäßigen Grundlagen der Kreditvergabe« eine Grenze setze.420 Ende 1936 verlor Keppler seine Zuständigkeit für den Wirtschaftsausbau an Göring und dessen neu gegründete Vier- jahresplanbehörde.421 Göring richtete zur Umsetzung des Vierjahresplanes einen Generalrat ein, dem die Staatssekretäre Herbert Backe, Friedrich Landfried und Erich Neumann sowie Wilhelm Kleinmann vom Reichsverkehrsministerium angehörten.422 Statt Keppler wurde nun Göring der Auftraggeber der Treuarbeit. Mit der Wahr- nehmung der Rechte und Pflichten des »Beauftragten für den Vierjahresplan« wurde das Amt für deutsche Roh- und Werkstoffe betraut. Göring beauftragte die Treuarbeit, »die beteiligten Amtsstellen« bei der Vorbereitung und Durchführung der sich ergebenden »finanziellen, wirtschaftlichen und rechtlichen Fragen laufend zu unterstützen«. Das Kreditvolumen umfasste 245 Millionen RM.423 Das Amt für deutsche Roh- und Werk- stoffe war die wichtigste Stelle der Vierjahresplanbehörde und zuständig für alle Auf- gaben im industriellen Sektor, von der Forschung und Planung bis zur Errichtung der Fabriken. Sein Führungspersonal bestand aus Naturwissenschaftlern, Technikern und Militärs. Die Arbeitsschwerpunkte des Amtes lagen in den Bereichen Energiewirtschaft, Mineralöle, Metalle, Textilien, Holz und Chemie.424 Das Amt bezog die Treuarbeit in die Verhandlungen mit der I. G. Farbenindustrie AG zur finanziellen Förderung der Produktion synthetischen Kautschuks (Buna) und der Gestaltung von Lizenzverträgen beispielsweise für die Holzverzuckerung ein.425 Einen Teil der Finanzierungsmittel, die sogenannten »Erfinderkredite«, verwaltete die Treuarbeit sogar direkt. Sie erhielt die Gelder von der Reichshauptkasse zur Weiterleitung an die geförderten Firmen. Bis März 1938 hatte die Treuarbeit 111 solcher Anträge bearbeitet und verwaltete ein Dar- lehns- und Zuschussvolumen für »Erfinderkredite II« in Höhe von etwa 4,1 Millionen RM. Über den Stand und die Entwicklung dieses Treuhandkontos musste die Treuarbeit Bericht erstatten.426 Vierjahresplanbehörde und Reichswirtschaftsministerium waren konkurrierende Machtzentren im Bereich der Wirtschaftspolitik.427 Da die Vierjahresplanbehörde zur

420 Bähr, Dresdner Bank (2006), 305, 307, 308 (Autor des Abschnitts 2 »Rohstoffkredite: Zellwolle, Kunstseide und Benzin« ist Michael C. Schneider). . 421 Petzina, Vierjahresplan (1965), 56. 422 Aly/Heim, Vordenker (1991), 58, 59. Neumann war im Aufsichtsrat der Treuarbeit, die anderen wurden in späteren Jahren hinzugewählt. 423 Göring/Reichs- und Preußischer Wirtschaftsminister/Reichsminister der Finanzen an Treuarbeit, 22.12.1936. Das Kreditvolumen enthielt den bereits genannten Betrag von 160 Millionen RM, der zwischenzeitlich auf 145 Millionen RM gekürzt worden war. 424 Petzina, Vierjahresplan (1965), 58–60. 425 BAB R 3101/17698, Bl. 14–16, hier: Bl. 15: Treuarbeit an Göring, 10.9.1937, 2; Petzina, Vierjahres- plan (1965), 113–114. 426 BAB R 3101/17698, Bl. 42 sowie Anlage, Bl. 2; BAB R 3101/17698, Bl. 74: Keppler/Göring an Reichshauptkasse, betr: Auszahlungsanordnung. 427 Bähr, Dresdner Bank (2006), 345 (Autor des Abschnitts 5 ist Harald Wixforth). 139 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit finanziellen Förderung auch Haushaltsmittel verwenden wollte, bestand das Reichs- wirtschaftsministerium in diesen Fällen auf einer Mitwirkung. Dabei ließ sich das Ministerium ebenfalls von der Treuarbeit durch umfangreiche Verwaltungsarbeiten und Informationsübermittlung unterstützen. Die Treuarbeit hatte die Vertragsabschlüsse, die Sicherheitenverwaltung und die Darlehnsauszahlung zu übernehmen. Ferner hatte sie den Eingang der Zins- und Tilgungsbeträge sowie die vertragsgerechte Mittelver- wendung zu überwachen und über die Finanzierungsmittel detailliert Buch zu führen. Schließlich nahm sie »Buch- und Betriebsprüfungen nach Weisung des RWM« vor.428 Um die Unabhängigkeit Deutschlands von Importen zu erhöhen und die Aufrüstung zu beschleunigen, förderte das Reich jedoch nicht nur bereits bestehende Unternehmen, sondern gründete selbst neue Firmen. Hierzu gehörten die BRABAG, die Reichswerke »Hermann Göring« und die Kontinentale Öl AG (Konti-Öl). Diese Firmen wurden Mandanten der Treuarbeit. In ihren Aufsichtsräten saßen Männer, die auch ein Auf- sichtsratsmandat in der Treuarbeit übernommen hatten. Eine Ausweitung der inländi- schen Treibstoffproduktion war dringend nötig, um die Motorisierung in Deutschland und die Kriegsfähigkeit zu verbessern. Nachdem die größten deutschen Braunkohle- produzenten nicht bereit gewesen waren, sich am Aufbau einer Gesellschaft zu beteili- gen, die die synthetische Benzingewinnung aus Braunkohle betrieb, ordnete Reichswirt- schaftsminister Schacht im Oktober 1934 die Gründung der BRABAG an, an der sich die Braunkohlefirmen beteiligen mussten. Den Aufsichtsratsvorsitz der BRABAG über- nahm Keppler, im Vorstand saß Kranefuß.429 Die BRABAG wurde zunehmend von der SS beeinflusst.430 Eines des zentralen Probleme der nationalsozialistischen Kriegswirt- schaft bildete die Versorgung mit Mineralöl.431 Im Herbst 1940 schlug die Vierjahres- planbehörde daher die Bildung einer international tätigen Ölgesellschaft unter staat- licher Kontrolle vor. Im darauf folgenden Frühjahr wurde die Konti-Öl unter Führung des Reiches und der Beteiligung deutscher Mineralölfirmen gegründet. Sie sollte alle großen Ölfelder in Europa, vor allem in Galizien, im Baltikum und im Kaukasus, über- nehmen. Nachdem das Reich bereits Ende 1940 Ölgesellschaften in Rumänien von fran- zösischen und belgischen Eigentümern erworben hatte, beschlagnahmte die Konti-Öl im Sommer 1941 sowjetische Erdölfirmen und gründete in den »besetzten Ostgebieten« mehrere Tochtergesellschaften. Dem Aufsichtsrat gehörten Wilhelm Keppler und Erich Neumann an.432

428 BAB R 3101/17698: Reichswirtschaftsminister an Deutsche Revisions- und Treuhand-AG, 12.3.1941 sowie »Richtlinien für den Zahlungs- und Abrechnungsverkehr usw. mit der [Treuarbeit] bei der Ver- wendung von Haushaltsmitteln«. 429 Karlsch/Stokes, Faktor Öl (2003), 182, 183. 430 Bütow/Bindernagel, KZ (2004), 65, 66. 1944 waren vier von sieben Vorstandsmitgliedern Angehörige der SS. Im Aufsichtsrat waren 1943 vier von acht Mitgliedern im »Freundeskreis Himmler«. 431 Bähr, Dresdner Bank (2006), 360 (Autor des Abschnitts 6 »Die Ausbeutung von Ressourcen im Zeichen der Kriegswirtschaft: die Kontinentale Öl AG« ist Harald Wixforth). 432 Karlsch/Stokes, Faktor Öl (2003), 208, 209; Gerber, Wirtschaftslenkung (1959), 121. 140 Prüfungs- und Treuhandtätigkeit in der Zeit des Nationalsozialismus Gründungsberatung Reichswerke »Hermann Göring«

Die Zusammenarbeit mit den Reichswerken zeigt beispielhaft, wie aus einer anfäng- lichen Beratung eine dauerhafte Kundenbeziehung wurde, in der die Treuarbeit ihren Mandanten auch ins Ausland begleitete.433 Hintergrund der Gründung der Reichswerke »Hermann Göring« war eine geplante deutliche Steigerung der Rohstoffversorgung bei Eisenerzeugung und Erzbergbau. Da die großen deutschen Montankonzerne sich jedoch weigerten, die eisenarmen Erzvorkommen im Vorharzgebirge zu erschließen, beschloss Göring die Gründung einer Reichsgesellschaft.434 Schon Anfang Juli 1937, bei den ersten Beratungen Görings und seines führenden Mitarbeiters Paul Pleiger zur Errichtung dieses Werkes mit Vertretern des Reichsfinanzministeriums, des Amtes für deutsche Roh- und Werkstoffe und weiteren Mitarbeitern der Vierjahresplanbehörde, war die Treuarbeit durch zwei Vorstandsmitglieder, Wilhelm Voss und Ernst Hellmut Vits, ver- treten.435 Der Plan war, »in kürzester Frist eine AG mit einem Kapital von zunächst 5 Mio. RM zum Zwecke der Gewinnung und Verhüttung von Eisenerz im Gebiet von Salzgitter […,] Amberg und Donaueschingen […] zu gründen.« An dieser Gesellschaft sollte sich das Reich mit 4,85 Millionen RM beteiligen. Das Reichsfinanzministerium stellte dieses Geld dann auch zur Verfügung.436 Bei der Gründung trat die Treuarbeit als Treuhänder des Reichs auf.437 Sie hielt auch bis in das Jahr 1938 die aus der Gründung stammenden Aktien des Reichs.438 Die Treuarbeit stellte diese Mittel also nicht selbst zur Verfügung. Dies wäre ihr auch gar nicht möglich gewesen. Das Eigenkapital von 1,45 Millionen RM war in Bürogebäuden, Beteiligungen und Wertpapieren investiert. Eine treuhänderische Vermögens- oder Beteiligungsverwaltung im Zusammenhang mit einer Firmenneugründung war nicht ungewöhnlich. Den Regeln einer ordnungs- gemäßen Bilanzierung entsprach es aber nicht, dass diese treuhänderische Verwaltung in der Bilanz keinen Niederschlag in der Position Treuhandvermögen fand.439 Die Montanindustrie sollte »sich unter allen Umständen beteiligen. Sie soll jedoch während des Aufbaues nicht mitzureden haben. [….] Für die weitere Behandlung der Angelegenheit« wurde ein Ausschuss gebildet, dem der langjährige Weggefährte Görings, Staatssekretär Paul Körner aus der Vierjahresplanbehörde, Pleiger, Kurt Lange aus dem Amt für deutsche Roh- und Werkstoffe sowie »Direktor Voss von der Treu- arbeit« angehörten.440 Am 15. Juli 1937 wurde die Reichswerke Aktiengesellschaft für

433 Siehe Kapitel 4.1/Österreich und 4.2/Sudetenland. 434 Wixforth/Ziegler, »Expansion« (2008), 259. 435 BAB R 2/21586: Aktenvermerke des Reichsfinanzministeriums vom 7.7.1937 und vom 8.7.1937. 436 BAB R 2/21586: Aktenvermerk des Reichsfinanzministeriums vom Juli 1937 zur ersten Aufsichtsrats- sitzung, die am 15.7.1937 stattfand. 437 BAB R 2/21586: Aktenvermerke des Reichsfinanzministeriums zur Sitzung am 7.7.1937. 438 BAB R 2/15096, Bl. 172: Vermerk des Reichsfinanzministeriums »Über die Entwicklung der Reichs- werke AG […]«, 13.7.1938. 439 In der Bilanz der Jahre 1937 und 1938 wird das Treuhandvermögen mit lediglich 1,6 bzw. 1,8 Millionen RM angegeben, siehe Geschäftsberichte für die Geschäftsjahre 1936 bis 1938 sowie Kapitel 3.4. 440 BAB R 2/21586: Aktenvermerk des Reichsfinanzministeriums vom 8.7.1937, 4. 141 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit Erzbergbau und Eisenhütten »Hermann Göring« in Berlin gegründet. Hierbei hielt die Treuarbeit einen Anteil von 4,45 Millionen RM, die Garantie-Abwicklungs-Ge- sellschaft mbH441 einen Anteil von 100.000 RM, während Pleiger einen Anteil von 50.000 RM und die beiden Vorstände der Treuarbeit je einen Anteil von 200.000 RM übernahmen.442 Die Anteile von Voss und Vits waren ebenfalls treuhänderisch, denn sie bildeten gemeinsam mit dem Anteil der Treuarbeit den Gesamtbetrag von 4,85 Millionen RM, den das Reich übernahm. Voss, der zunächst weiterhin im Vorstand der Treuarbeit verblieb, wurde zum stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden der Reichswerke unter den sechs Aufsichtsratsmitgliedern gewählt.443 Unter diesen Aufsichtsratsmitgliedern war auch Wilhelm Keppler, der seit 1935 einen der beiden Vorsitzenden im Aufsichts- rat der Treuarbeit stellte. Ende Oktober 1937 sprachen Pleiger und Voss mit Vertretern des Reichsfinanzministeriums über den Finanzbedarf für die »erste[n] Aufbaustufe der Reichswerke« in Höhe von 300 Millionen RM. Der Finanzbedarf sollte, damit das Reich »die unbedingte Führung« behielt, zwischen dem Reich mit 51 Prozent und der Privatindustrie mit 49 Prozent aufgeteilt werden. Da man in der »Bau- und ersten Anlaufzeit« das »Projekt« jedoch geheim halten wollte, konnten die Reichswerke keinen Emissionsprospekt veröffentlichen. Daher befürchteten Pleiger und Voss eine Pleite bei der Aktienemission, zumal der Industrie kein Aufsichtsratsmandat zugestanden werden sollte und das neue Werk in den nächsten drei Jahren auch keine Dividende erzielen würde. »Dr. Voss machte […] den Vorschlag, daß das Reich das Aktienkapital zunächst allein übernehmen sollte. Die beabsichtigte Beteiligung der Industrie soll in der Weise sichergestellt werden, daß ein Konsortium unter Führung der bereits um die Ausarbeitung von Finanzierungsvorschlägen gebetenen Deutschen und Dresdner Bank den Reichswerken ein Darlehn gewähre, das nach Ablauf der Bau- und Anlaufzeit in Aktien umzuwandeln sei.«444 Anfang Dezember 1937 war der Kapitalbedarf für die erste Ausbaustufe schon auf 400 Millionen RM gestiegen. Pleiger und Voss unterrichteten die Vertreter der Deutschen und der Dresdner Bank sowie der Reichs-Kredit-Gesell- schaft darüber, dass der Ausbau der zweiten bis vierten Stufe zusätzlichen Kapitalbedarf von 410 Millionen RM erforderte. Pleiger wies auf ein Gutachten der Treuarbeit vom 2. Dezember 1937 hin, in dem die Gesellschaft die Rentabilität der Reichswerke nach vollem Ausbau als gesichert beurteilt habe.445 Kurz vor Weihnachten legte Voss dem Finanzausschuss des Reichswerke-Aufsichtsrats dann die Finanzierungsvorschläge der Dresdner und der Deutschen Bank vor.446

441 Hierbei handelt es sich um eine Tochtergesellschaft der Treuarbeit. 442 NWA 2/10151: Liste der Aktionäre der Reichswerke am 14.4.1938 aus der Abschrift der Beurkundung der außerordentlichen Hauptversammlung zur Kapitalerhöhung. 443 BAB R 2/21586: Aktenvermerk des Reichsfinanzministeriums zur ersten Aufsichtsratssitzung, 5. 444 BAB R 2/15096, Bl. 8, 9: Vermerk des Reichsministeriums der Finanzen betrifft Reichswerke »Hermann Göring«, Finanzierungsfragen, 29.10.1937. 445 BAB R 2/15096, Bl. 28, 29: Vermerk des Reichsministeriums der Finanzen betrifft Reichswerke »Hermann Göring«, Finanzierung, 13.12.1937. 446 BAB R 2/15096, Bl. 35: Vermerk des Reichsministeriums der Finanzen betrifft Reichswerke »Hermann Göring«, Finanzierung, 22.12.1937. 142 Prüfungs- und Treuhandtätigkeit in der Zeit des Nationalsozialismus Nicht nur Vorstand Voss, der die Treuarbeit im Sommer 1938 verließ und zu den Reichswerken wechselte,447 sondern auch die Treuarbeit selbst stand den Reichswerken beratend zur Seite. Ein Prokurist gab im Januar 1938 Erläuterungen zu Fragen der Betriebs- und Selbstkosten.448 Die Treuarbeit übersandte im Spätherbst 1938 Muster für Geschäftsordnungen, Geschäftsanweisungen und Dienstordnungen für Organe und Zeichnungsberechtigte von GmbHs und Aktiengesellschaften.449 In der Folgezeit wurde die Treuarbeit praktisch zur alleinigen Prüferin für Firmen des Reichswerke-Komplexes im In- und Ausland.450

Zwischenfazit

Anhand der aufgezeigten Beispiele lässt sich folglich resümieren, dass die Treuarbeit mit Prüfungs- und Treuhandaufgaben in den für das NS-Regime wichtigsten wirtschafts- politischen Bereichen der Autarkie und Aufrüstung, und hier vor allem in den Sektoren Energie und Luftfahrt, betraut wurde. Prüferische und treuhänderische Tätigkeiten gingen dabei vielfach Hand in Hand. Bei »Arisierungen« war die Treuarbeit bereit, mit ihrer Prüfungsexpertise dazu beizutragen, wirtschaftlicher Existenzvernichtung von Juden den Schein der Legalität zu verleihen. Während in den frühen Jahren der Tätigkeit der Treuarbeit der überwiegende Teil der Auftraggeber aus dem öffentlichen Bereich kam, veränderte sich dieses Verhältnis im Laufe der 1930er Jahre zugunsten der Privatwirtschaft, die 1937 mehr als die Hälfte der Auftraggeber ausmachte.451 Die Treuarbeit legte großen Wert darauf, »von der freien Wirtschaft« anerkannt zu werden.452 Zu diesem Zeitpunkt war man im Reichswirt- schaftsministerium noch der Ansicht, dass die »beinahe monopolartige Stellung« der Treuarbeit zu einer ernsthaften »Gefährdung« für die kleineren WP-Gesellschaften und die Einzelwirtschaftsprüfer werden könnte.453 In den folgenden Jahren veränderte sich der Mandantenbestand jedoch erneut massiv zugunsten der öffentlichen Hand. Zu Beginn der 1940er Jahre kamen 80 Prozent des Auftragsbestandes von »amtlichen und

447 Keppler wollte, dass Voss in der Treuarbeit verbleibt, siehe: Pega, Tätigkeit (2010), 101. 448 BAB R 2/15096, Bl. 41: Vermerk des Reichsministeriums der Finanzen betrifft Reichswerke »Hermann Göring«, 17.1.1938. 449 BAB R 2/21586: Treuarbeit an Preußisches Staatsministerium, Ministerialdirigent Marotzke, 5.11.1938. 450 Es haben sich mehrere Dutzend Prüfungsberichte sowohl im Bundesarchiv in den Beständen BAB R 8135 und BAB R 2 als auch im Niedersächsischen Wirtschaftsarchiv NWA 2 erhalten. StA W NWA 2/5413: Schreiben der Reichswerke AG für Berg- und Hüttenbetriebe »Hermann Göring« an die Sudetenländische Bergbau AG, Brüx vom 22.5.1942: Die Jahresabschlussprüfung des West- böhmischen Bergbau-Actien-Vereins sollte durch die Treuarbeit vorgenommen werden »gemäß den Richtlinien des Reichswerke Hermann Göring Konzerns«. 451 FAH 4E98, Bl. 101: Aufsichtsratssitzung am 23.3.1937. 452 FAH 4E98, Bl. 54: Ausführung von Vorstandsmitglied Voss in der Aufsichtsratssitzung am 5.3.1938. 453 BAB R 3101/20485, Bl. 261: Vermerk des Leiters der Hauptabteilung IV an die Referenten, 19.4.1938. 143 Die Treuarbeit: Personal, Organisation, Geschäftstätigkeit halbamtlichen Stellen«.454 Darin dürfte die prüferische Zuständigkeit für staatsnahe Unternehmen wie Reichswerke »Hermann Göring«, BRABAG oder Konti-Öl sowie die Beauftragungen der Treuarbeit in staatlichen Bürgschafts-, Garantie- und Förder- programmen zum Ausdruck kommen.455 Inzwischen sah man im Reichswirtschafts- ministerium auch keine Benachteiligung anderer WP-Gesellschaften durch den immer größer werdenden Geschäftsumfang der Treuarbeit mehr. Im Gegenteil, die »guten Erfahrungen«, die das Ministerium bei Prüfungsaufgaben zur Durchführung des Vier- jahresplanes und der Reichswirtschaftshilfe mit der Prüfungsgesellschaft gemacht hatte, führten zur Vergabe weiterer Aufgaben an die Treuarbeit.456 Die anfängliche Kritik des Ministeriums verwandelte sich in Akzeptanz. Noch aus der Zeit der Weimarer Republik stammende Vorwürfe – Monopolstellung, fehlende Unabhängigkeit – führten für die Treuarbeit nicht zu negativen Konsequenzen und hielten auch ihren geschäftlichen Erfolg in der Zeit des Nationalsozialismus nicht auf. Seit Mitte der 1920er Jahre hatte die Treuarbeit intensive personelle und arbeits- mäßige Verbindungen zu obersten Reichsbehörden, denn sie arbeitete den Rechnungs- höfen und den Finanz- und Wirtschaftsministerien zu. Der Einfluss dieser obersten Behörden auf die Prüfungsgesellschaft war Folge der Aufgabenstellung der Treuarbeit als Prüferin staatlicher Beteiligungen und sonstiger staatlicher Fördermaßnahmen. Die Prüfungen erfolgten vor dem Hintergrund einer parlamentarischen Haushaltskontrolle. Infolge der »Machtergreifung« erlitt der Reichsrechnungshof jedoch schwere Funktions- verluste, da es einen Reichstag faktisch nicht mehr gab und die Reichsregierung sich selbst entlastete.457 Das NS-Regime griff auf die etablierte Gesellschaft zu und besetzte den Aufsichtsrat mit regimetreuen Personen, die ihrerseits maßgeblich für die Umsetzung der Autar- kie- und Aufrüstungsziele verantwortlich waren, für die die Treuarbeit wiederum mit Prüfungs- und Treuhandleistungen zur Verfügung stand. Das betriebswirtschaftliche Expertentum der Treuarbeit blieb unverändert, es arbeitete aber nun für nationalsozia- listische Zielsetzungen. Ihre vielfältigen Bindungen über Aufsichtsräte und Mandan- ten in Reichsministerien, NS-Institutionen und Unternehmen wurden zur Grundlage eines wachsenden Vertrauens. Die Treuarbeit wandelte sich in eine »interministerielle Vertrauens-Gesellschaft«, die das »Vertrauen des nationalsozialistischen Staates und der Partei« für sich gewann.458

454 BAB R 2/17658: Sitzung des Arbeitsausschusses des Aufsichtsrates der Treuarbeit, 24.11.1942. 455 Es dürfte sich in der Quote aber auch die umfangreiche Aufgabenübertragung im Ausland wider- spiegeln. 456 BAB R 3101/17698: Leiter der Abteilung IV Fin. an Leiter der Abteilung IV Kred., 9.7.1940. 457 Pega, Tätigkeit (2010), 112–113. 458 BAB R 3101/17697, Bl. 2, 3: Vermerk von Dr. Winckelmann/Reichswirtschaftsministerium an SS- Brigadeführer Ohlendorf, 3.7.1944, Bericht über die Entstehung, die derzeitige Lage und die Auf- gaben der [Treuarbeit], 1, 2. 144

4. Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa im Rahmen der nationalsozialistischen Expansion links: Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treu- arbeit in Europa rechts: Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treu- Infolge der militärischen Expansion des NS-Regimes und die Besetzung vieler arbeit in Europa europäischer Länder wurden der Treuarbeit auch außerhalb Deutschlands Prüfungs- und Treuhandaufgaben übertragen. Sie erweiterte sukzessive ihr geografisches Betätigungs- feld, das 1944 schließlich von Norwegen bis nach Griechenland und von Portugal bis in die Sowjetunion reichte.1 In Österreich und im Sudetenland, in den Niederlanden, in Belgien, in Tschechien2 und in den baltischen Ländern sowie in Rumänien und in der Ukraine errichtete die Treuarbeit Niederlassungen, um von einem lokalen Standort aus ihre Prüfungs- und Treuhandtätigkeiten vorzunehmen.3

Die Niederlassungen der Treuarbeit

Zum Zeitpunkt ihrer größten »räumlichen Ausdehnung«4 hatte sich die Treuarbeit europaweit von Den Haag bis Dnjepropetrowsk und von Reval bis Bukarest aus- gebreitet. In Deutschland war die Treuarbeit zusätzlich zu ihrer Zentrale in Berlin mit einem Büro in Saarbrücken vertreten. Im westlichen und östlichen Europa errichtete sie ein Außenstellennetz an insgesamt 18 Standorten. Davon lagen zwei in Westeuropa, nämlich in Belgien und den Niederlanden, die übrigen in Österreich, Danzig, in Polen, der Tschechischen Republik, den Ländern des Baltikums, Rumänien und allein sechs Außenstellen in der Ukraine. Letztere waren allerdings noch im Aufbau begriffen, als der Rückzug der Deutschen aus der Sowjetunion begann. Am 13. März 1938 unterzeichnete Hitler das Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich.5 Damit war der erpresste »Anschluss« des kleinen Landes an den NS-Staat vollzogen. Einen Monat später arbeitete die neu errichtete

1 BAB R 3101/17697, Bl. 6: Vermerk des Reichswirtschaftsministeriums für SS-Brigadeführer Ohlendorf, 3.7.1944, über die Entstehung, den Aufbau und die Aufgaben der Treuarbeit, 5; BAB R 8135/8623: Firmenliste des Ministerial Collection Center (per 1.10.1945 erstellt) nennt auf S. 13 die Hansa Leichtmetall AG, Zweigwerk Athen. 2 Gemeint ist hier das als »Protektorat Böhmen und Mähren« bezeichnete Gebiet in der damaligen Tschechoslowakei. 3 WiSo A, LB 1/1 Geschäftsberichte der Treuarbeit für die Jahre 1936, 1937, 1940 bis 1942; BAB R 8135/10077: »Gefolgschaftsnachrichten«, Jg. VII, Juni 1942, Nr. 2, Bl. 21R; BAB R 8135/8591: »Mitteilungen« Nr. 30/1.7.1941, Nr. 36/29.8.1941 und Nr. 52/20.3.42; BAB R 2301/6129: Nieder- schriften der Sitzungen des Aufsichtsrates in den Jahren 1939 bis 1943; Geschäftsberichte der Jahre 1938, 1939; BAB R 3101/17697: Niederschriften der Sitzungen des Arbeitsausschusses des Aufsichts- rates in den Jahren 1943 und 1944; BAB R 3101/17697, Bl. 14: Geschäftsbericht für das Jahr 1943; Handbuch der deutschen Aktiengesellschaften, Jg. 1939: 2669 f., Jg. 1943: 5029–5031. 4 BAB R 2301/6129, Bl. 232: Niederschrift über die Aufsichtsratssitzung am 13.5.42, 2. 5 Winkler, Weg (2005), 54, 55. 145 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa Zweigniederlassung in Wien in der Brucknerstraße 2 schon auf Hochtouren. Wilhelm Keppler – einer der beiden Aufsichtsratsvorsitzenden der Treuarbeit und von Hitler zum Reichsbeauftragten für Österreich benannt – und Hermann Göring hatten die Einrichtung der Niederlassung veranlasst. Im April waren bereits 20, Ende Juni schon 30 Revisoren – zum Teil Österreicher – in der neuen Niederlassung tätig. Die Zweig- niederlassung hatte immer zusätzlichen Bedarf an Revisoren, die ihr von der Zentrale vorübergehend zur Verfügung gestellt wurden. Die Mitarbeiter führten »sehr wichtige Sonderprüfungen im Zusammenhang mit der Überleitung von jüdischen und aus- ländischen Firmen auf deutsche« durch. Zu den geprüften Firmen gehörten mehrere Gesellschaften, die später an die Reichswerke »Hermann Göring« übertragen wurden: die Steirische Gussstahl AG, die Simmeringer Maschinen- und Waggonbaufabriken, der Motoren- und Automobilbauspezialist Steyr-Daimler-Puch AG und das bedeutendste Unternehmen der österreichischen Schwerindustrie, die Alpine Montangesellschaft, sowie die Erste Donau-Dampfschifffahrtsgesellschaft.6 Die Treuarbeit richtete sich auf eine dauerhafte Tätigkeit in der »Ostmark« ein, denn im Sommer 1939 erwarb sie im Rahmen einer »Arisierung« das den Familien Hirsch und Rosenthal gehörende Gebäude Reichsratsstraße 1 zum Betrieb ihrer Zweigniederlassung in Wien.7 Die Vermögensver- kehrsstelle und der Wirtschaftsbeauftragte des »Reichskommissars für die Wiederver- einigung Österreichs mit dem Deutschen Reich« beauftragten die Treuarbeit in den Jahren 1938 und 1939 mit Nachprüfungen zur Ordnungsmäßigkeit der »Entjudungsver- fahren«. Ein weiterer Schwerpunkt der Geschäftstätigkeit in Wien war die Reichswirt- schaftshilfe.8 Seit 1941 war die Zweigniederlassung auch für Auftraggeber aus Serbien und Bulgarien tätig.9 Geleitet wurde die Wiener Außenstelle von Dr. Heinrich Voss und Dr. Heinrich Germann.10 Wenige Wochen nach der Besetzung des Sudetenlandes am 1. Oktober 1938 eröffnete die Treuarbeit »im Auftrage des Reichswirtschaftsministeriums« eine Geschäftsstelle in Reichenberg. Hier hatte sie die »Villa eines fortgezogenen Arztes angekauft«. Diese Geschäftsstelle wurde von Karl Schneider und seinem Vertreter Dr. Carl May geleitet und übernahm vor allem die Bearbeitung der Reichswirtschaftshilfe im »Sudetengau«.11

6 FAH 4E98, Bl. 43: Niederschrift über die Aufsichtsratssitzung am 21.4.1938, 6; FAH 4E98, Bl. 25: Brief des Vorstandes der Treuarbeit an Gustav Krupp vom 28.9.1938; FAH 4E98, Bl. 31: Aufstellung über größere Prüfungsaufträge der Zweigniederlassung Wien bis 15. September 1938; Wixforth/ Ziegler, »Expansion« (2008), 263, 264. 7 Bezirksgericht Innere Stadt, Wien, Kopie der Grundbuchseinlage 919, Reichsratsstraße 1, Abteilung »B«; BAB R 2301/6129a, Bl. 174: Prüfungsbericht über das Geschäftsjahr 1939, Kaufpreis 155.000 RM und ein »Arisierungsanteil«. 8 BAB R 2301/6129, Bl. 71: Niederschrift über die Aufsichtsratssitzung am 25.4.1940. 9 BAB R 2301/6129a, Bl. 272: Prüfungsbericht für das Geschäftsjahr 1941. 10 BAB R 8135/8628: Protokolle zu den Sitzungen des Vorstandes mit den Abteilungs- und Außen- stellenleitern vom 15.5.1942 und 16.12.1942. 11 FAH 4E98, Bl. 15: Niederschrift über die Aufsichtsratssitzung am 2.11.1938, S. 3; BAB R 2301/6533, Bl. 69–71, aus: »Bericht über die örtl. Prüfung der mit der Durchführung von wirtschaftlichen Maß- nahmen betreuten Dienststellen in Prag und in Reichenberg in der Zeit vom 3. bis 7. Juni 1940«. Es handelt sich um einen Bericht des Reichsrechnungshofes. 146 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa Nach dem Einmarsch deutscher Truppen in die Tschechoslowakei im März 1939 erwarb die Treuarbeit im Juli desselben Jahres »durch behördliche Wünsche angeregt« die 1931 gegründete »RETOG Revisions- und Organisations-G. m. b. H.« in Prag als hundertprozentige Tochtergesellschaft.12 Mit der Übernahme einer Tochtergesellschaft sollten Schwierigkeiten bei der Zulassung und Eintragung einer »reichsdeutschen« Gesellschaft vermieden werden. Während der Sudetengau dem Deutschen Reich angegliedert war, wurde im »Protektorat« eine von deutscher Oberherrschaft abhängige tschechische Regierung installiert. Grenzübertritte zwischen beiden Regionen wurden restriktiv gehandhabt, im »Protektorat« galt als Währung die Tschechische Krone. Die RETOG hatte ihren Sitz in der Jungmannstraße 7, »in der lebhaftesten Geschäftsgegend […] in einem großen Bürohaus, in dem sich zahlreiche andere Firmen, Anwaltsbüros« befanden. Die Leitung der Tochtergesellschaft lag ebenfalls bei Karl Schneider, der von Dr. Johann Egerer unterstützt wurde. Die RETOG übernahm vor allem die Geschäfts- führung für die Reichswirtschaftshilfe. 1940 erhöhte die Treuarbeit »in Anpassung an den gestiegenen Geschäftsumfang« das Grundkapital der RETOG um 80.000 RM auf 100.000 RM. Schneider wollte die beiden Außenstellen in Reichenberg und Prag mit dem Argument der Arbeitsvereinfachung und Kostensenkung möglichst vereinigen. Das Reichswirtschaftsministerium lehnte diesen Wunsch jedoch ab, da es bei einer Verlagerung des Dienstsitzes seines Reichenberger Beauftragten nach Prag Kompetenz- streitigkeiten mit dem Reichsprotektor befürchtete.13 Am 1. September 1939 begann das Deutsche Reich den Krieg mit Polen. Noch im selben Jahr eröffnete die Treuarbeit eine Geschäftsstelle im oberschlesischen Kattowitz. Diese Geschäftsstelle erledigte auch Arbeiten für die Haupttreuhandstelle Ost (HTO), die in Kattowitz eine Nebenstelle betrieb.14 Göring hatte die HTO als Dienststelle der Vierjahresplanbehörde bald nach dem Überfall auf Polen gegründet. Ihre Aufgabe war es, den gesamten polnischen und jüdischen Besitz zu erfassen, zu verwalten und zu ver- werten.15 Die Geschäftsstelle Kattowitz wurde von den Wirtschaftsprüfern Dr. Ernst

12 BAB R 2301/6129a, Bl. 203: Prüfungsbericht für das Geschäftsjahr 1939. 13 BAB R 2301/6129, Bl. 70: Niederschrift über die Aufsichtsratssitzung am 25.4.1940, 2 (Zitat); Hand- buch der deutschen Aktiengesellschaften, Jg. 1943, 5029; BAB R 2301/6129, Bl. 203: Prüfungs- bericht über das Geschäftsjahr 1939; BAB R 8135/6000: Geschäftsberichte für die Geschäftsjahre 1939 und 1940; BAB R 2301/6533, Bl. 60, 61, 65–67, aus: »Bericht über die örtl. Prüfung der mit der Durchführung von wirtschaftlichen Maßnahmen betreuten Dienststellen in Prag und in Reichenberg in der Zeit vom 3. bis 7. Juni 1940«. Es handelt sich um einen Bericht des Reichsrechnungshofes. 14 BAB R 2301/6129a, Bl. 273: Prüfungsbericht für das Geschäftsjahr 1941, der Wirtschaftsprüfer ver- merkt, dass die Treuarbeit Forderungen an Unternehmen in Höhe von 9.000 RM abschreibt, die durch Aufträge entstanden, die die Geschäftsstelle Kattowitz von der HTO erhalten hatte. 15 Eichholtz, »Institutionen« (1997), 41. 147 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa Rievel und Alfons Specht geleitet.16 Nachdem Rievel in die Außenstelle nach Bukarest gegangen war,17 rückte der Wirtschaftsprüfer Erich Dachs an seine Stelle.18 Die »enge Verbindung mit behördlichen Stellen« führte dazu, dass die Treuarbeit »in den angegliederten und besetzten Gebieten im Westen und Osten des Reiches für wichtige treuhänderische Aufgaben und für umfassende Sonder- und Erstprüfungen herangezogen« wurde. Das Geschäftsjahr 1940 stand daher ganz im Zeichen der »Aus- gestaltung unserer Zweigstellenorganisation«. Die Treuarbeit erwarb die Ostdeutsche Wirtschaftsprüfungs- und Treuhand-AG in Danzig. Diese hundertprozentige Tochter wurde »als Zweigniederlassung« geführt und sollte »die uns übertragenen Aufgaben im Gau Danzig-Westpreußen, im Warthegau und in Ostpreußen« erfüllen. Diese Gesell- schaft hatte die Treuarbeit bereits 1936 »auf Wunsch des Danziger Senats gegründet […]. Aus politischen Gründen (mit Rücksicht auf Polen)« hatte die Treuarbeit die Form der selbstständigen Aktiengesellschaft gewählt. Danzig hatte seit dem Versailler Vertrag den Status einer Freien Stadt und stand unter der Aufsicht des Völkerbundes. Zwei Jahre später hatte die Treuarbeit ihre Tochter an den Senat der Stadt veräußert, sich jedoch ein Rückkaufsrecht vorbehalten. Mit dem Rückerwerb im Jahr 1940 etablierte die Treu- arbeit nun einen »besonders wichtigen Stützpunkt« im »Nordosten«.19 Um »die uns im Generalgouvernement übertragenen Aufträge« erfüllen zu können, errichtete die Treuarbeit eine Geschäftsstelle in Krakau »auf Anregung amtlicher Stellen«. Neben Prüfungstätigkeiten und Treuhandverwaltung führte sie auch im Auftrag des Reichsrechnungshofes Kontrollaufgaben durch.20 Im Juni 1940 richtete die Treuarbeit nur wenige Wochen nach dem Einmarsch der Deutschen in die Niederlande auf »Ver- anlassung des Generalkommissars für Finanz und Wirtschaft in den besetzten nieder- ländischen Gebieten« eine Niederlassung in Den Haag ein. Der Generalkommissar war der ehemalige österreichische Finanzminister Hans Fischböck, den die Vorstände der Treuarbeit bereits in der »Ostmark« kennengelernt haben dürften. In den Niederlanden verwaltete die Treuarbeit zunächst als hauptsächliche Aufgabe das Feindvermögen. 1941 kam die Aufsichtstätigkeit im »Judensektor« hinzu. Im August 1940 übernahm die Treu- arbeit »im Auftrage des Chefs der Zivilverwaltung« für Lothringen die Bearbeitung der Reichswirtschaftshilfe und errichtete hierzu eine Geschäftsstelle in Metz. Nachdem die Treuarbeit »ähnliche Aufgaben für das Gebiet der gesamten Westmark« erhalten hatte, eröffnete sie eine Zweigniederlassung in Saarbrücken und überführte den »Metzer

16 BAB R 2301/6536: Brief Treuarbeit, Geschäftstelle Kattowitz an Rechnungshof des Deutschen Reiches, 9.7.1941. 17 BAB R 8135/8628: Sitzung des Vorstandes mit den Abteilungs- und Außenstellenleitern am 15.5.1942. 18 BAB R 2301/6536: Brief Treuarbeit, Zweigniederlassung Kattowitz an Rechnungshof des Deutschen Reiches, 26.1.1942. 19 Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 1940 (Zitat); FAH 4E98, Bl. 104: Niederschrift über die Auf- sichtsratssitzung am 23.3.37, 4 (Zitat); BAB R 2301/6129, Bl. 70: Niederschrift über die Aufsichts- ratssitzung am 25.4.1940, 2 (Zitat). Die Tochtergesellschaft wurde von Herbert Köppel geleitet. 20 Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 1940 (Zitate). Leiter der Geschäftsstelle in Krakau war Dr. Hans Zahlbruckner; Gilles, Hauptsache (1994), 46, 126. 148 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa Betrieb« im Juni 1941 dorthin.21 Leiter der Zweigniederlassung waren die Wirtschafts- prüfer Dr. Heinrich Birck und Dr. Heinrich Jacobs.22 Auch im Geschäftsjahr 1941 setzte die Treuarbeit ihre Expansion ins Ausland fort.23 »Für Aufgaben in den besetzten belgischen und französischen Gebieten« errichtete sie eine Zweigniederlassung in Brüssel. Die Hauptaufgaben der Treuarbeit bestanden darin, belgisch-kongolesische Firmen zu prüfen und Datenmaterial belgischer Großkonzerne wie der Société Générale de Belgique zur Vorbereitung der Kapitalverflechtung zwi- schen deutschen und belgischen Unternehmen zu erheben und aufzubereiten.24 Nie- derlassungsleiter waren Dr. Gert Haarmann und Dr. Bruno Antweiler.25 Ebenfalls 1941 eröffnete die Treuarbeit ein »Büro« in Bukarest, wo ursprünglich eine Zweignie- derlassung errichtet werden sollte. Doch der rumänische Ministerrat wollte nur eine Tochtergesellschaft nach rumänischem Recht mit rumänischer Beteiligung akzeptieren. Da man in Bukarest bereits »etwa 20 gute volksdeutsche Kräfte« eingestellt hatte, die »erfolgreich« arbeiteten, wollte die Treuarbeit »unbedingt an der Aufrechterhaltung der bereits geschaffenen Organisation« festhalten. Bis sich »die politische Konstellation […] gebessert« habe, wolle man den Betrieb unter einer unverfänglichen Bezeichnung wei- terführen.26 Die Aufgaben der Treuarbeit im »Protektorat Böhmen und Mähren« hatten inzwischen eine solche Ausdehnung erfahren, dass die Treuarbeit in Prag zusätzlich zu ihrer Tochtergesellschaft eine Zweigniederlassung begründete.27 Am 20. Dezember 1941 errichtete die Treuarbeit eine »Verbindungsstelle« in Riga, da sie erste Aufgaben im Gebiet des »Reichskommissars für das Ostland« erhalten hatte.28 Der geplante Ausbau dieser Stelle führte zu langwierigen Auseinandersetzungen mit Reichskommissar Lohse um die Führung dieser Prüfungsinstanz. Treuarbeit und Reichs- kommissar wollten eine gemeinsame »Ostland Revisions- und Treuhand-G. m. b. H.« gründen. Lohse forderte die Mehrheit von 51 Prozent der Anteile an der Gesellschaft. Doch eine Minderheitsbeteiligung kam für die Treuarbeit nicht infrage, weil dies »den gesunden Prinzipien einer einheitlichen Führung der Gesellschaft […] widerspräche«.

21 Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 1940 (Zitate). Leiter der Geschäftsstelle in Den Haag waren Hans Braun und Dr. Hans Dietz, später Dr. Reinhold Merckens. 22 BAB R 2301/6539: Zweigniederlassung Saarbrücken an Rechnungshof des Deutschen Reiches, betrifft: Wiederaufbauhilfe in den ehemals freigemachten westlichen Grenzgebieten – 11. Gaukreditausschußsitzung –, 18.6.1942. 23 Zu den neuen Niederlassungen: Geschäftsbericht für das Geschäftjahr 1941. 24 Belgisch-Kongo: BAB R 8135/10033: Vorbericht Nr. I/40 Société Internationale Forestière et Minière du Congo. Konzernverflechtungen insbesondere der Société Générale de Belgique: BAB R 8135/10026: »Aktionärverzeichnis«, BAB R 8135/10126: konzernbezogenes Aktionärverzeichnis; BAB R 8135/10034: konzernbezogener Ermittlungsbogen. 25 BAB R 8135/5904: Deutsche Revisions- und Treuhand-Aktiengesellschaft société par actions, établie à Berlin, Anlage 2. 26 BAB R 2/17658, Bl. 142, 143: Niederschrift über die Sitzung des Arbeitsausschusses des Aufsichtsrates am 11.3.1942, 4, 5. 27 Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 1941 (Abschnitt »Lagebericht«). 28 BAB R 92/10114: Brief der Treuarbeit an den Generalkommissar in Riga, Abteilung Finanzen vom 17.4.1942. 149 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa Sie wollte sich in jedem Fall »massgebenden Einfluss [so!]« sichern und plante über- dies, die »Ostland« in einem mittelfristigen Zeitraum von einer Beteiligung zu einer hundertprozentigen Tochter zu entwickeln. Unterstützung für diesen Plan erhielt die Treuarbeit von ihren Aufsichtsratsmitgliedern und von Ministerialdirektor Schlotterer aus dem Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete, dem das Reichskommissariat unterstand.29 Lohse gab sich letztlich mit einer 49-prozentigen Beteiligung zufrieden.30 So wurde »auf Veranlassung des Reichskommissars für die besetzten Ostgebiete« im Sommer 1942 die »Revisions- und Treuhand G. m. b. H.« mit Sitz in Riga und Nieder- lassungen in Reval und Kauen gegründet. An dieser neuen Gesellschaft hielt die Treu- arbeit einen 51-prozentigen Anteil. Ihr stand die Geschäftsführung zu und sie hatte ein Optionsrecht, die Gesellschaftsanteile des Reichskommissars aufzukaufen. Der Reichs- kommissar hatte der Gesellschaft das Recht erteilt, alle Betriebe zu prüfen, die der Treuhandverwaltung des Reichskommissars und der Generalkommissare im Ostland unterstanden. Außerdem wirkte die »Revisions- und Treuhand G. m. b. H.« auch bei der Überwachung der in den Betrieben eingesetzten Verwalter mit.31 Schon ein halbes Jahr später stellte die Treuarbeit die Prüfungstätigkeit in den besetzten Ostgebieten auf eine neue Basis, da sie das Prüfungsmonopol für diese Gebiete erhalten hatte. Nach dem Vorschlag des Reichsministers der Finanzen, Schwerin von Krosigk, war Ende Oktober 1942 interministeriell der Beschluss gefasst worden, der Treuarbeit »das ausschließliche Recht zur Prüfung des gesamten Wirtschafts-Sondervermögens sowie der Ostgesellschaften in den besetzten Ostgebieten« zu erteilen. Mit ihrer Prüfungstätig- keit sollte die Treuarbeit einen Beitrag »zur Steuerung der sich anbahnenden Mißstände« in den besetzten Gebieten leisten. Die Treuarbeit war zu diesem Zeitpunkt schon von verschiedenen »Monopolgesellschaften« wie der Zentral-Handelsgesellschaft Ost und der Ostfaser-Gesellschaft mbH zum Abschlussprüfer bestellt worden.32 Sie nahm diese neue Aufgabe mit wenig Freude auf. Denn seit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges sah sich die Treuhandgesellschaft fortlaufend an der Grenze der personellen Belastbarkeit. Vor allem wollte sie ihren bisherigen Auftragsbestand nicht gefährden, der zu 80 Pro- zent von »amtlichen und halbamtlichen Stellen« ausging. Insbesondere die Prüfungsauf- träge für die Staatsbetriebe »im Reich« wollte die Treuarbeit nicht verlieren. Andererseits befürchtete sie »Schwierigkeiten und […] unangenehme Überraschungen«, wenn sie die neuen Prüfungsaufgaben im Osten ablehnte. Eine vom IDW vorgeschlagene Gesell- schaftsgründung, an der sich Wirtschaftsprüfer, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und vereidigte Bücherrevisoren beteiligen sollten, lehnte die Treuarbeit mit Hinweis auf die dann fehlende »einheitliche fachliche Ausrichtung« ab. Stattdessen forderte die Treu-

29 Gustav Schlotterer arbeitete auch für das Reichswirtschaftsministerium. 30 BAB R 2/17658, Bl. 4: Niederschrift über die Sitzung des Arbeitsausschusses des Aufsichtsrates am 11.3.1942, 4. 31 Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 1942; BAB R 2301/1971, Bl. 1: Aktennotiz, betrifft die in den besetzten Ostgebieten vorhandenen bezw. arbeitenden Revisions- und Treuhandgesellschaften, vom 11.11.1942, verfasst von Hans Adler (Vorstandsmitglied der Treuarbeit). 32 BAB R 2301/1971, Bl. 57: Vermerk von Hans Adler, Vorstand Treuarbeit, zu den in den besetzten Ostgebieten im November 1942 vorhandenen Treuhandgesellschaften, 11.11.1942. 150 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa arbeit, dass ihr »jede Hilfe zuteil wird« und das erforderliche Personal durch Zwangsver- pflichtungen bereitgestellt würde. Aufsichtsrat Keppler schlug vor, Personal der Reichs- bank und der Großbanken zu rekrutieren.33 Das Ostministerium sagte der Treuarbeit »in jeder Weise« seine Unterstützung für die Personalbeschaffung zu und versprach mit Blick auf die erwarteten »hohen Anlaufs- und Leerlaufs-Kosten« eine »Rentabilitäts- garantie«. So gründete die Treuarbeit im Dezember 1942 die »Reichsprüfungsgesellschaft für die besetzten Ostgebiete m. b. H., Berlin« (Reichsprüfungsgesellschaft/RPG), die sogenannte »Ostrevision«, als hundertprozentige Tochter. Um der Kritik des Berufs- standes der Wirtschaftsprüfer an der Monopolstellung der Treuarbeit zu begegnen,34 war die Einrichtung der Gesellschaft zunächst auf die Dauer des Krieges begrenzt. Sie hatte ihren Sitz in Berlin und Niederlassungen sowie »Stützpunkte« in Dnjepropetrowsk und Nikolajew im Süden der Ukraine, in Kiew, Rowno, Luzk und Shitomir in der nördlichen Ukraine sowie in Kauen, Reval und Riga im Baltikum. Die Anteile der »Revisions- und Treuhand G. m. b. H.« und deren Niederlassungen wurden vollständig an die RPG übertragen und die GmbH aufgelöst.35 Mit der Gründung der Reichs- prüfungsgesellschaft erreichte die Treuarbeit ihre größte geografische Ausdehnung und den Höhe- und Endpunkt ihrer konzernartigen Organisation. Die Geschäftsentwicklung der Außenstellen verlief recht unterschiedlich.36 Wien, Kattowitz, Reichenberg und Den Haag erwirtschafteten regelmäßig Überschüsse.37 Metz und Brüssel hingegen hatten im Jahr ihrer Eröffnung einen Zuschussbedarf. Ver- luste noch innerhalb des ersten vollen Geschäftsjahres machten die Außenstellen in Saarbrücken und Krakau. Für die Tochtergesellschaft RETOG fielen im Jahr der Über- nahme lediglich »Anlaufkosten« an und das darauffolgende Jahr blieb ebenfalls ohne Gewinn. 1941 schüttete die RETOG erstmals eine zehnprozentige Dividende in Höhe

33 BAB R 2/17658: Niederschrift über die Aufsichtsratssitzung am 16.12.1942, 6, 7. 34 BAB R 3101/17680: Vertrauliches Nachrichtenblatt für die Wirtschaftsprüfer, Nr. 62, 18.12.1942. 35 Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 1943; das »Arbeitsgebiet« der GmbH wurde im Frühjahr 1943 übertragen, die GmbH selbst wurde erst Ende 1943 aufgelöst; BAB R 2/17658: Niederschrift über die Sitzung des Arbeitsausschusses des Aufsichtsrats am 24.11.1942, Niederschrift über die Aufsichtsrats- sitzung am 16.12.1942, 6–8; Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 1942. Zur RPG siehe auch die Ausführungen von Gilles, Hauptsache (1994), 23, 24. Siehe im Einzelnen Kapitel 4.7. 36 Für das Folgende: Geschäftsberichte der Geschäftsjahre 1939 bis 1942; BAB R 2301/6129a, Bl. 202, 203, 248, 249, 285, 288: Prüfungsberichte für die Geschäftsjahre 1939 bis 1941: eigene Berechnungen aus dem dort dargestellten Zahlenmaterial zu Erträgen, Erlösen, ausweispflichtigen Rohüberschüssen, sonstigen Aufwendungen und Löhnen/Gehältern. Problematisch ist bei dem »ausweispflichtigen Rohüberschuss«, dass die Bruttoerträge von Jahr zu Jahr zunehmend um »Sonstige/laufende Auf- wendungen« reduziert werden. Diese »Aufwendungen« werden aber nicht benannt. Daher stellt sich die Frage, ob diese Aufwendungen tatsächlich in der angegebenen Höhe vorhanden waren. Sofern dies zu verneinen wäre, würde der Rohüberschuss höher ausfallen. Für das Jahr 1941 macht der Prüfungs- bericht keine Aussagen zur Aufgliederung der Bruttoerträge für die einzelnen Außenstellen. Für die Jahre nach 1941 liegen keine Prüfungsberichte vor, denn die Treuarbeit ließ keine Prüfung mehr vor- nehmen. 37 Soweit anhand der Prüfungsberichte feststellbar: Wien in den Jahren 1939–1941, Reichenberg, Kattowitz und Den Haag in den Jahren 1940 und 1941, Den Haag außerdem noch in den Jahren 1943 und 1944 – siehe BAB R 177/1897: Bilanz zum 31.12.1944. 151 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa von 10.000 RM aus. Von der Tochtergesellschaft, der Ostdeutschen Wirtschaftsprüfungs- und Treuhand-AG, erhielt die Treuarbeit für das Geschäftsjahr 1941 eine Dividende in Höhe von 3.500 RM und im Geschäftsjahr 1942 in Höhe von 2.800 RM. Allerdings war diese Dividende nicht tatsächlich erwirtschaftet, sondern wurde von der Treuarbeit selbst gezahlt.38 Der Vorstand der Treuarbeit versicherte dem Aufsichtsrat im Mai 1942, dass die Niederlassungen und Tochtergesellschaften »überall zufriedenstellend« arbeiten würden. Jedoch erforderten die personellen Verhältnisse bei einigen Niederlassungen größte Zurückhaltung, sodass der Geschäftsumfang verhältnismäßig klein bleiben müsse.39 Im Herbst 1943 wurden »alle Niederlassungen in starkem Umfange und durch- weg ausserordentlich [so!] dringlich beansprucht«. Man würde, so informierte der Vor- stand den Arbeitsausschuss des Aufsichtsrats, die »Arbeit an allen Stellen wirklich kriegs- wichtigen Aufgaben vorbehalten.«40 Die Reichsprüfungsgesellschaft, erlitt 1943 in der Ukraine einen Verlust von rund 236.000 RM. Im August 1944 gründete die Treuarbeit noch eine weitere Tochtergesellschaft, die »Treuhandgesellschaft Südost«. Diese Tochter übernahm die Verwaltung eines »Aus- gleichsfonds zur Förderung der Wirtschaft in Serbien« von der dortigen deutschen Militärverwaltung. Möglicherweise verwaltete die »Südost« auch eine Zeit lang den »ehemals jüdischen Grundbesitz im Banat«.41 Im Laufe des Jahres 1944 wurden alle

38 BAB R 2301/6129a, Bl. 285, 288, 292: Prüfungsbericht für das Geschäftsjahr 1941: Zur »Ost- deutschen« formuliert der Wirtschaftsprüfer Schäfer: »Die ‚Treuarbeit‘ hat im Berichtsjahr die Wirtschaftsprüfungs- und Treuhandpraxis der genannten Gesellschaft übernommen. Dabei hat sie die Gewähr gegeben, dass diese Gesellschaft eine 4prozentige Dividende zahlen kann.« Obwohl die »Ostdeutsche« Beteiligungserträge ausschüttet, wird in der Buchhaltung zusätzlich noch eine Außen- stelle »Danzig« geführt. Betrachtet man hier den »ausweispflichtigen Rohüberschuss« und die Auf- wendungen für Gehälter, errechnet sich für das Geschäftsjahr 1941 für »Danzig« ein Verlust von knapp 5.000 RM. 39 BAB R 2301/6129, Bl. 232: Niederschrift über die Sitzung des Aufsichtsrats am 13.5.1942. Um welche Niederlassungen es sich handelt, sagt der Vorstand nicht. 40 BAB R 3101/17697, Bl. 39: Niederschrift über die Sitzung des Arbeitsausschusses des Aufsichtsrats am 5.10.1943, 2. 41 BAB R 2301/8420, Bl. 478, 479: Bericht des Rechnungshofs des Deutschen Reiches über die deutschen Verwaltungen in den besetzten Gebieten, 26.7.1945, 19: hier heißt es »Deutsche Treuhand- und Revisions AG«; 20: hier heißt es unter Ziffer 4b »Zur Verwaltung des Judenvermögens«, dass von der Treuhandgesellschaft Südost in Groß-Betschkerek eine Schlussabrechnung über die Verwaltung des ehemals jüdischen Grundbesitzes anzufordern sei. Veräußerte »Judenvermögen« in Höhe von einer Milliarde Dinar wurden einem Fonds der Militärverwaltung zugeführt. Aus diesem Fonds wurden Mittel in erster Linie zur Regulierung von Kriegssachschäden Deutscher in Serbien zur Verfügung gestellt. Siehe ferner: BAB R 2/15708, Bl. 355: Vermerk 16.4.1943; Bl. 439: Vereinigte Finanzkontore an Reichsfinanzminister, betr.: Auffanggesellschaft im serbischen Banat, 18.3.1943; BAB R 2/15708a, Bl. 115: Vermerk zur Finanzierung der »Treuhand AG«, 8.10.1943; BAB R 26 VI/318, Bl. 116: Verwaltungsbericht des MVR Gurski, 23.3.1945: 1943 gründete der Rechtsanwalt und Notar Dr. Günther Rausch im Auftrag der Vereinigte Finanzkontore GmbH, Berlin, eine Auffanggesellschaft zur Verwertung des beschlagnahmten Judenvermögens im serbischen Banat. Diese Gesellschaft hieß »Treuhand AG Gesellschaft für Vermögensverwaltungen und Kontrollgeschäfte«. Sie sollte Häuser und landwirtschaftliche Grundstücke von der serbischen Militärverwaltung erwerben und an dort lebende Deutsche verkaufen. 152 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa Außenstellen in den osteuropäischen Gebieten sukzessive geschlossen, da die eroberten Gebiete geräumt wurden, das männliche Personal zur Wehrmacht eingezogen wurde oder zu Schanzarbeiten antreten musste. Die Niederlassungen in Wien und in Saar- brücken gaben interne Aufgaben wie die Buchhaltung und die Personalbearbeitung an die Zentrale in Berlin ab. Da die Niederlassung in Brüssel »durch die Verhältnisse auf dem Verkehrsgebiet […] zur Untätigkeit verurteilt« war, zog die Berliner Zentrale das dortige Personal ab. Die Filiale wurde nur noch »nach außen hin« aufrechterhalten. Lediglich die inzwischen von Den Haag nach Arnheim umgezogene Zweigniederlassung arbeitete »weitgehend unverändert« und wies noch zum 31. Dezember 1944 einen Roh- überschuss in Höhe desjenigen der Vorjahre aus.42

Zwischenfazit

Ihre Arbeitstätigkeiten im Ausland organisierte die Treuarbeit durch »Zweignieder- lassungen« und »Geschäftsstellen«. Die Bezeichnungen weisen auf eine Standort- hierarchie hin, für die das maßgebende Kriterium der Geschäftsumfang war: Die kleinere Einheit war die »Geschäftsstelle«, die größere Einheit war die »Zweignieder- lassung«. So wurden in Den Haag und in Kattowitz zunächst Geschäftsstellen errichtet, die aufgrund erhöhter Geschäftstätigkeit zu Zweigniederlassungen ausgebaut wurden. In Bukarest spielte die politische Situation die entscheidende Rolle bei der Bezeichnung der Außenstelle als »Büro«. Die Gründung einer Tochtergesellschaft hatte ebenfalls einen spezifischen Hintergrund. In Danzig war es der politische Status der Stadt und im »Ostland« der Zwang, den Reichskommissar an der Außenstelle beteiligen zu müssen. Mit der Gründung der RPG musste vor allem auf Widerstände aus dem Berufsstand gegen die Monopolstellung der Treuarbeit in den besetzten Ländern der Sowjetunion reagiert werden. Die ausgewählten Standorte lagen in räumlicher Nähe zu den beauftragenden Behörden. Es handelte sich um die Amtssitze der zivilen oder militärischen deutschen Machthaber der Region. Die Schnelligkeit der kriegerischen Expansion des NS-Regimes machte mehrfache und somit vorher nicht planbare Anpassungen im Außenstellennetz erforderlich. So wurden die Aufgaben der Geschäftsstelle in Metz bereits nach weniger als einem Jahr auf die Zweigniederlassung in Saarbrücken übertragen. Die Einrichtung der relativ nahe beieinander gelegenen Außenstellen in Reichenberg und in Prag war der Tatsache geschuldet, dass es sich um zwei unterschiedliche Hoheitsgebiete handelte: den zum Reich gehörenden Sudetengau und das einem Reichsprotektor unterstehende »Protektorat Böhmen und Mähren«.

42 BAB R 3101/17697, Bl. 28–30: Niederschrift über die Sitzung des Arbeitsausschusses des Aufsichts- rats am 22.8.1944; BAB R 177/1897: Bilanz vom 31.12.1944. Der Rohüberschuss betrug zum 31.12.1943 TRM 673,9 und zum 31.12.1944 TRM 608,2; zum 31.12.1941 hatte er nur TRM 471,3 betragen. 153 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa Bei der Errichtung von Außenstellen im Ausland handelte es sich nicht allein um unternehmerische »Investitionen«. Die Initiative zur Errichtung ging nicht von der Treu- arbeit aus. Es ist allerdings zu vermuten, dass sich die Treuarbeit für die Übernahme von Aufgaben angeboten hat – mit Ausnahme der Arbeiten in der Ukraine. Die Betonung in den Geschäftsberichten, dass sie von Behörden zur Errichtung der Niederlassungen auf- gefordert worden sei, sollte vermutlich der Beruhigung der Berufsangehörigen dienen. Als staatliche Gesellschaft, die seit vielen Jahren für Unternehmen in staatlichem Besitz und im Auftrag mehrerer Reichsministerien arbeitete, war die Treuarbeit auch für im Ausland operierende amtliche Stellen häufig die erste Wahl. Ihre De-facto-Monopol- stellung in Deutschland dehnte sie auch auf andere Länder aus.43 Von der Ausweitung ihrer Geschäftstätigkeit ins Ausland dürfte sich die Treuarbeit neben materiellem Gewinn auch eine Erweiterung ihres Netzwerkes und damit eine noch größere Nähe und Festigung ihrer Position zum Regime erhofft haben, die die Prüfungsgesellschaft zunehmend unentbehrlich machte. Offene Kritik seitens der Wirtschaftsprüferbranche gab es – bis auf die Aufgabenübernahme in der Ukraine – nicht. Der Vorstand der Treuarbeit traf eigenständige Vereinbarungen mit den regionalen Machthabern über die Einrichtung von Außenstellen in deren Gebiet. Die Abstimmung darüber nahm er mit dem Arbeitsausschuss des Aufsichtsrates vor. In den Geschäfts- berichten der Treuarbeit informierte der Vorstand über die Entwicklung der Zweig- stellenorganisation. Auffällig ist, dass die Treuarbeit schon wenige Monate, manchmal – wie in Wien, Reichenberg und Den Haag – sogar nur wenige Wochen nach dem Ein- marsch der deutschen Armee in ein fremdes Territorium dort mit einer Außenstelle den Prüfungs- und Treuhandbetrieb aufnahm. Dies weist auf die Bedeutung hin, die das NS- Regime der Tätigkeit der Treuarbeit bei der Prüfung, der Ermittlung von Informationen sowie der Erfassung und Verwaltung von Vermögensgegenständen zumaß. Die Treu- arbeit war wiederum in der Lage, auf diese Wünsche schnell zu reagieren und ihre Mit- arbeiter diesem Außendienst zur Verfügung zu stellen. Damit konnte der Vorstand fähigen und karriereorientierten Führungskräften mit der Übertragung einer Nieder- lassungsleitung eine Aufstiegsmöglichkeit bieten. Der Vorstand strebte die volle Kontrolle über die Außenstellen an und verweigerte hierbei erfolgreich Kooperationen mit lokalen Machthabern. Die Reichsprüfungsgesell- schaft verdrängte sogar eine vom Reichskommissar für die Ukraine gegründete Prüfungs- gesellschaft.44 Die Außenstellen erhielten die Befugnisse, ihre internen Angelegenheiten weitgehend selbstständig zu regeln. Sie hatten eigene Abteilungen für Buchhaltung und

43 Die Feindvermögensverwaltung in Belgien, Frankreich und Norwegen wurde allerdings von anderen Treuhandgesellschaften wahrgenommen, siehe: BAB R 8135/8630: Brief des MVR Dr. Weber beim Militärbefehlshabers in Frankreich, Paris, an Hans Adler, Vorstand der Treuarbeit, vom 13.12.1943 (wegen Treuverkehr Deutsche Treuhand-AG); Wixforth, Expansion (2006), 818: Brüsseler Treuhand- gesellschaft, im Oktober 1940 von der deutschen Militärverwaltung gegründet. 44 BAB R 2301/1971, Bl. 58: Vermerk von Hans Adler, Vorstand Treuarbeit, zu den in den besetzten Ostgebieten im November 1942 vorhandenen Treuhandgesellschaften (Ziffer 3 zur Revisions- und Treuhand-GmbH in der Ukraine). 154 Bewertungs- und »Arisierungsprüfungen« in Österreich Personal.45 Der Vorstand hielt zudem durch Korrespondenzen und persönliche Besuche vor Ort intensive Kontakte zu den Niederlassungen.

4.1 Bewertungs- und »Arisierungsprüfungen« in Österreich links: Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treu- arbeit in Europa In Österreich prüfte die Treuarbeit durch ihre im April 1938 in Wien errichtete Nieder- rechts: Bewertungs- und »Arisierungsprüfungen« in lassung etliche österreichische Großunternehmen verschiedener Branchen, beispiels- Österreich weise die Erste Donau Dampfschifffahrtsgesellschaft, die Steyrermühl Papierfabriks- und Verlagsgesellschaft und die Österreichische Zuckerindustrie AG.46 Die Reichs- werke »Hermann Göring« und andere deutsche Firmen waren an einer vollständigen oder anteiligen Kapitalübernahme interessiert. Um die Preise für diese Übernahmen festzulegen, beauftragten sie die Treuarbeit, die österreichischen Unternehmen einer Bestandsaufnahme, Prüfung und Bewertung zu unterziehen. Die Treuarbeit prüfte unter anderem die Steyr-Daimler-Puch AG, die an die Reichswerke »Hermann Göring« ging, die Patronenfabrik Hirtenberg, die von der Wilhelm-Gustloff-Stiftung übernommen wurde, die Wiener-Neustädter-Flugzeugwerke GmbH, die die Bank der Deutschen Luft- fahrt erwarb und die Pulverfabrik Škoda-Werke Wetzler AG, bei der die IG Farben ein- stiegen. Die Käufer all dieser Beteiligungen waren Mandanten der Treuarbeit. Mit Aus- nahme der IG Farben waren es staats- und parteinahe Unternehmungen. Auftraggeber der Prüfungen der Steyr-Daimler-Puch AG und auch der Feinstahlwerke Traisen AG, die ebenfalls an die Reichswerke gingen, war die Österreichische Creditanstalt Wiener Bankverein (Creditanstalt) und zwar »im Einvernehmen mit der Reichswerke A. G. […] ‚Hermann Göring‘». Diese Bank stand ursprünglich mehrheitlich im Eigentum des österreichischen Staates. Nach dem »Anschluss« wurde die Creditanstalt mehrheitlich von der VIAG übernommen und zum Verkauf ihres umfangreichen Beteiligungsbesitzes österreichischer Großunternehmen an deutsche Unternehmen gezwungen. Dazu gehörten die Reichswerke und auch die Muttergesellschaft der Treuarbeit, die VIAG.47 Im Hinblick auf die Übernahmen der Reichswerke »Hermann Göring« war auch das

45 BAB R 3101/17697, Bl. 29: Niederschrift über die Sitzung des Arbeitsausschusses des Aufsichtsrats am 22.8.1944; hierin berichtet der Vorstand, dass die Außenstellen Wien und Saarbrücken ihre Buch- haltung und ihre Personalbearbeitung aufgeben bzw. an die Berliner Zentrale übergeben müssen. 46 FAH 4E98, Bl. 31: »Aufstellung über größere Prüfungsaufträge der Zweigniederlassung Wien bis 15. September 1938«. Im Bestand BAB R 8135 (Deutsche Revisions- und Treuhand-AG) haben sich etliche Prüfungsberichte erhalten, z. B.: Bd. 9026 (Österreichische Zuckerindustrie), Bd. 3467 (Erste Donau-Dampfschifffahrtsgesellschaft), Bd. 5695 (Simmeringer Maschinen- und Waggonsbau AG), Bd. 4513 (Steyrermühl Papierfabriks- und Verlagsgesellschaft). Ferner liegen im BAB, Bestand R 2 (Reichsfinanzministerium) weitere Prüfungsberichte vor. Außerdem haben sich im Staatsarchiv Wolfenbüttel im Bestand STA W NWA 2 (Reichswerke »Hermann Göring«) Prüfungsberichte erhalten. 47 Melichar, Neuordnung (2004), 47 (Liste der von der Österreichischen Creditanstalt verkauften Beteiligungen); Wixforth, Expansion (2006), 39 (innerhalb des Abschnitts: Die Expansion nach Österreich, von Dieter Ziegler); Wixforth/Ziegler, »Expansion« (2008), 263. 155 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa Reichsfinanzministerium ein interessierter Leser der Prüfungsberichte der Treuarbeit, sollte es doch die Übernahmen finanzieren.48

Bewertungsprüfungen

Die Prüfungen im Zusammenhang mit Übernahmewünschen hatten politischen Charakter. Die Treuarbeit stand in einem Beziehungsgeflecht von Mandanten, Eigen- tümern und Auftraggebern. Bei den sicherlich unterschiedlichen Interessen im Hinblick auf die für die Kapitalübernahmen zu zahlenden Preise waren die Prüfungen für die Treuarbeit heikel. Wegen der durch die Annexion Österreichs herrschenden Zwangs- verhältnisse und der Dominanz des NS-Regimes konnte eine Bewertungsprüfung als Farce erscheinen. Der Treuarbeit dürfte also daran gelegen gewesen sein, die von einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft erwartete Unparteilichkeit zu zeigen und insbesondere Wertminderungen eingehend zu begründen. Eine dieser Bewertungsprüfungen betraf die Steyr-Daimler-Puch AG (Steyrwerke). Die Steyrwerke, im Ersten Weltkrieg eines der größten österreichischen Rüstungsunter- nehmen und seitdem auf den Bau von Automobilen, Motorrädern und Fahrrädern spezialisiert, stand im Eigentum der Creditanstalt.49 Die Bank sollte etwa 75 Prozent des Gesellschaftskapitals der Steyrwerke an die Reichswerke verkaufen.50 Die Creditanstalt bezifferte den »inneren Wert« des Unternehmens im April 1938 auf 45,5 Millionen Schilling bei einem Aktienkapital von 17,6 Millionen Schilling. Aus der Handelsbilanz zum 31. Dezember 1937 ergab sich ein Vermögenswert von 27,3 Millionen Schilling. Die Treuarbeit sollte nun eine »Prüfung jener Ansätze und Ziffern vor[…]nehmen, die zur Beurteilung der Aktiven und Passiven« erforderlich waren. Zur Prüfung zog sie zwei technische Sachverständige heran, weil sie die Bewertung der Anlagen unter »Berück- sichtigung der Auswirkungen der Eingliederung in die großdeutsche Wirtschaft« nicht selbst durchführen konnte.51 In ihrem 46-seitigen Prüfungsbericht erläuterte die Treu- arbeit minutiös die einzelnen Aktiv- und Passivpositionen der Bilanz: Sie ging für die verschiedenen Werte des Anlagevermögens ausführlich auf die zugrunde gelegten Bewertungsmaßstäbe und Abschreibungsrichtlinien ein.52 Der detaillierten Positions- aufstellung der Creditanstalt stellte die Treuarbeit eine ebenso detaillierte gegenüber und ermittelte schließlich einen »Vermögenswert« in Höhe von knapp 25,2 Millionen Schilling für das Unternehmen.53 Die große Differenz der Wertermittlungen wurde

48 BAB R 2/15096, Bl. 143, 144: Vermerk des Reichsfinanzministeriums vom 24.6.1938 zur Höhe von Kassenmitteln für Übernahmen österreichischer Unternehmen durch die »Göring-Werke«. 49 Wixforth/Ziegler, »Expansion« (2008), 263. 50 BAB R 2/15906, Bl. 161–164: Vermerk des Reichsfinanzministeriums vom 8.7.1938 zum Prüfungs- bericht der Treuarbeit über die Steyr-Daimler-Puch AG nennt 78 Prozent. 51 STA W NWA 2/10173, Prüfungsbericht vom 8.6.1938, Bl. 1–3. 52 STA W NWA 2/10173, Prüfungsbericht vom 8.6.1938, Bl. 7–9: Begründung des Prüfungsergebnisses im »Bericht«, detaillierte Darstellung der einzelnen Bilanzpositionen im »Anhang«. 53 STA W NWA 2/10173, Prüfungsbericht vom 8.6.1938, Bl. 1–4. 156 Bewertungs- und »Arisierungsprüfungen« in Österreich zum überwiegenden Teil, nämlich in Höhe von 11,95 Millionen Schilling, durch Wert- minderungen beim Anlagevermögen und bei den Vorräten verursacht, die sich auf den »Einfluß der Eingliederung« zurückführen ließen. Diesen Teil der Wertermittlung hatten die technischen Sachverständigen vorgenommen. Weitere Wertminderungen ermittelte die Treuarbeit durch niedrigere Ansätze für stille Reserven sowie für die »nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Bilanzierung notwendigen« und daher zusätzlich vorzunehmenden Rückstellungen. Wertmindernd wirkten sich zudem die Aufwertung des Schillings gegenüber der Reichsmark und die nach dem Jahresabschluss vor- genommene, aber von der Creditanstalt noch nicht berücksichtigte Gewinnverteilung aus.54 Die Treuarbeit wies darauf hin, dass der von ihr ermittelte Wert des Anlagever- mögens »einen rein rechnerisch gefundenen Wert« darstelle.55 Sie führte des Weiteren aus, dass die zeitpunktgebundene Feststellung eines Vermögenswertes oder Substanz- wertes »natürlich« nicht ausreiche, »um den inneren Wert, der einem Unternehmen im Ganzen beizumessen ist, abschließend zu beurteilen.« Denn von »entscheidender Bedeutung für die Wertbemessung ist nämlich […] der Ertragswert, d. i. der Wert, der einem Unternehmen im Hinblick auf seine zukünftige Erfolgsgestaltung zukommt.« Von einer »genaueren Nachprüfung« des Ertragswertes der Steyrwerke musste die Treuarbeit jedoch »aus mehrfachen Gründen« absehen. So »lässt sich die künftige Ertragsentwicklung mit annähernder Genauigkeit schon nicht übersehen wegen der mit der Angleichung der Kosten- und der Erlösgestaltung an das Niveau des Alt- reichs zusammenhängenden Auswirkungen. Die Erlöse werden – und haben zum Teil schon […] eine sehr erhebliche Preisreduktion erfahren«. Ob dies durch Einsparungen kompensiert werden könne, »lässt sich heute nicht feststellen. Sicher ist nur, daß in der Übergangszeit eine wohl beträchtliche Erfolgsminderung nicht zu vermeiden sein wird, weil das Preis- und Kostenniveau des Altreiches (u. a. durch die Schillingaufwertung) z. T. erheblich niedriger als in Österreich liegt.« Darüber hinaus »ist die Erfolgs- gestaltung der Steyrwerke weitestgehend abhängig von den mannigfachen Änderungen fabrikatorischer und programmatischer Natur, die sich durch die Eingliederung […] in die großdeutsche Wirtschaft ergeben«. Die positive Überschussgestaltung des Jahres 1937 lasse jedoch keinen Schluss auf die zukünftige Erfolgsentwicklung zu, »sie wurde nur zur Illustrierung der bisherigen Erfolgslage […] angeführt«. Als Fazit wollte die Treuarbeit den von ihr geschätzten Vermögenswert als »nur einen – wenn auch sehr wichtigen – Anhaltspunkt für eine Bewertung der Aktien der Gesellschaft« verstanden wissen. »Inwieweit zusätzlich die Risiken und Chancen, die in der ungewissen Erfolgs- gestaltung liegen, bei der Wertbemessung […] zu berücksichtigen sind und ob sie eine Wertkorrektur […] ergeben, muß den beteiligten Stellen überlassen bleiben«.56 Die Treuarbeit ging vorsichtig vor und sprach sich ausdrücklich von einer Verantwortung für die Kaufpreishöhe frei. Sie blieb mit ihrer Bewertung zwar unter dem Wert der

54 STA W NWA 2/10173, Prüfungsbericht vom 8.6.1938, Bl. 4–6. 55 STA W NWA 2/10173, Prüfungsbericht vom 8.6.1938, Bl. 8. 56 STA W NWA 2/10173, Prüfungsbericht vom 8.6.1938, Bl. 15 (Hervorhebung durch Unterstreichung im Prüfungsbericht), 16, 18, 19. 157 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa Handelsbilanz, konnte dies jedoch mit der Unmöglichkeit begründen, den ent- scheidenden Teil der Wertbemessung – nämlich den Ertragswert aufgrund äußerer, von ihr nicht zu vertretender Sachverhalte – nicht bestimmen zu können. Dennoch fanden ihre Schätzungen ebenso wie die Handelsbilanz der Steyrwerke für das Jahr 1937 und die Vorstellungen der Creditanstalt Eingang in die Überlegungen der Reichsbehörden und der Reichswerke bei den Verkaufsverhandlungen. Der Verkauf wurde schließlich zu einem Kurswert von 160 Prozent abgewickelt.57 Die Treuarbeit war aber nicht immer die einzige Prüferin. Zu den Verkaufsverhandlungen beispielsweise der Steirischen Gussstahlwerke AG an die Reichswerke »Hermann Göring« wurde außer der Treuarbeit noch ein weiterer »nicht benannter Gegengutachter« herangezogen. Die Creditanstalt verlangte einen Kurswert von 400 Prozent, die Reichswerke boten 200 Prozent an. Bei einem Aktienkapital von fünf Millionen Schilling belief sich das Vermögen der Guss- stahlwerke nach der Handelsbilanz vom 31. Dezember 1937 auf 10,7 Millionen Schilling. Das Gutachten der Treuarbeit stellte ein Vermögen von 8,57 Millionen Schilling, das Gegengutachten ein Vermögen von knapp 21,3 Millionen Schilling fest. Der Übergabe- kurs wurde schließlich auf 225 Prozent, also 11,25 Millionen Schilling, festgelegt.58 Neben den politischen Faktoren ergaben sich für die Prüfungsgesellschaft außerdem fachliche Schwierigkeiten, die bei den Berichtslesern dazu führen konnten, das Exper- tentum der Treuarbeit anzuzweifeln. Denn bei ihren Prüfungen war die Treuarbeit mit einer Vielzahl von Bewertungsproblemen konfrontiert, die allerdings erst durch die Annexion Österreichs durch Deutschland zutage getreten waren. Die österreichische Wirtschaft hatte sich von der Weltwirtschaftskrise kaum erholt. Das Produktions- niveau war niedrig, die Arbeitslosigkeit und der Modernisierungsbedarf waren hoch. In Deutschland hingegen herrschte 1938 durch die Wirtschafts- und Rüstungspolitik des Nationalsozialismus Hochkonjunktur. Die Währungsumstellung von Schilling auf Reichsmark führte zu einer Aufwertung der österreichischen Währung und damit zu einer Wettbewerbsverschlechterung der österreichischen exportorientierten Industrie gegenüber der deutschen. Die Einbeziehung Österreichs in die reichsdeutsche Wirt- schaft hatte also Auswirkungen auf die Entwicklung österreichischer Firmen zur Folge, die eine realistische Einschätzung der Erträge und der Zukunftsentwicklungen praktisch unmöglich machten.59 So sollte die Kromag AG für Werkzeug- und Metallindustrie in Hirtenberg von der Treuarbeit mit dem Ziel geprüft werden, »eine Grundlage für die geplante Auseinander- setzung der beiden zu je 50 % beteiligten Gesellschaften [die Steyr-Daimler-Puch AG und die Kronprinz AG] und die hierzu erforderliche Bewertung des Unternehmens zu bieten.«60 Die Treuarbeit betonte, dass eine Schätzung des künftigen Ertrags einer Firma generell schwierig sei. Die »Eingliederung in das Reich« verändere die Produktions-,

57 BAB R 2/15096, Bl. 161, 162: Vermerk des Reichsfinanzministeriums, betr.: Reichswerke »Hermann Göring«, Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung an der Steyr-Daimler-Puch AG, 8.7.1938. 58 BAB R 2/15096, Bl. 159: Vermerk des Reichsfinanzministeriums, 8.7.1938. 59 Felber/Melichar u. a., Ökonomie Teil 1 (2004), 10, 11, 14, 158. 60 STA W NWA 2/10169, Bl. 1–4 des Prüfungsberichtes vom 6.8.1938. 158 Bewertungs- und »Arisierungsprüfungen« in Österreich Absatz- und Preisgrundlagen in nicht abschätzbarer Weise. Eine Vielzahl von Faktoren spiele hier eine Rolle: die Formen der Rohstoffbeschaffung, die Angleichung der Arbeits- bedingungen und der Steuergrundlagen an das »Altreich« sowie die »zollpolitische Angleichung und die freie Konkurrenz mit den Betrieben im übrigen Deutschland«. Es sei beispielsweise nicht abzusehen, wie sich das Produktionsprogramm österreichischer Unternehmen verändere, welche Investitionen vorzunehmen seien oder wie sich die Absatzmöglichkeiten und die Preise entwickelten. Die Beurteilung der Kromag war für die Prüfer schwierig, weil die »zukünftige Verwendungsmöglichkeit« noch unbekannt war. Nach Darlegung dieser problematischen Sachverhalte erklärte die Treuarbeit, auf »eine Bezifferung des Ertragswerts des Unternehmens« verzichten zu müssen. Die Prüfer beschränkten sich darauf, sich zu »vergewissern«, ob die Bilanz zum Jahresende 1937 einen »vollständigen und zutreffenden Überblick« über die Vermögenswerte und Ver- pflichtungen gab, und wollten darüber informieren, »nach welchen Maßstäben die Bewertung erfolgt ist«. Darüber hinaus hatten die Prüfer »versucht, Anhaltspunkte dafür zu liefern«, wie die Vermögenswerte und Verpflichtungen »unter dem Gesichts- punkt der Weiterführung des Unternehmens« zu bewerten seien. Im Zentrum der prüferischen Betrachtung standen dabei die Abschreibungen, die die Kromag bisher nicht »regulär« vorgenommen hatte. Die Bewertung des Gesamtvermögens nahm die Treuarbeit unter der ausdrücklichen Voraussetzung vor, dass die »Substanz […] geeignet ist«, einen angemessenen Ertrag zu erwirtschaften. »Ob und inwieweit dies wirklich der Fall ist und welche besonderen Chancen und Risiken hierin liegen, konnten wir nicht untersuchen, das muß vielmehr ausschließlich den beiden Gesellschaftern auf Grund ihrer besonderen Marktkenntnisse und technischen Erfahrungen überlassen bleiben.« Die Treuarbeit qualifizierte ihre Arbeit als »substanzmäßige[…] Prüfung und statische[…] Bewertung […]. Auch diese ist mangels einwandfreier Bewertungsmaß- stäbe noch problematisch genug«. Bei der Feinstahl Traisen AG war die Treuarbeit mit ähnlichen Bewertungsschwierig- keiten konfrontiert.61 Im Mittelpunkt des Interesses standen hier das Anlagevermögen und die Abschreibungen. Auch in diesem Fall konnten die Prüfer nur »einen ungefäh- ren Anhalt« für das Anlagevermögen geben. »Es ist aber zweifelhaft, wieweit darüber hinaus noch Abschreibungsnotwendigkeiten sich ergeben werden.« Zur Feststellung der Ertragsentwicklung bemühten sich die Prüfer, »Tendenzen aufzuzeigen«, die sich auf das Jahr 1938 auswirkten. »Diese Angaben können aber kein vollständiges Bild von den kommenden Produktions- und Absatzbedingungen vermitteln, weil die Verhältnisse in Österreich nach dem Anschluß noch zu sehr in Fluß sind.« Abschließend wiesen die Prüfer »ausdrücklich« darauf hin, dass »der von uns ermittelte Substanzwert nicht als der tatsächliche Wert des Unternehmens angesehen werden kann. Dieser hängt vielmehr entscheidend von der zukünftigen Ertragskraft ab, deren Abschätzung unseren Auftrag- gebern überlassen bleibt.«62

61 STA W NWA 2/5271, Bl. 1–3 des Prüfungsberichtes. 62 Zwei weitere Beispiele für die Bewertungsprobleme geben Felber/Melichar u. a., Ökonomie Teil 1 (2004), 158, 159 (Hans Klinkhoff Apparatebau GmbH und Škoda-Werke Wetzler AG), ohne jedoch 159 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa Aus der Sicht der Treuarbeit waren dies wenig erfreuliche Prüfungen. Die Aussagen waren sehr vage und unter vielen Vorbehalten getroffen worden. So konnte die Prüfungs- gesellschaft nur Anhaltspunkte für eine Bewertung nennen, statt eine feste Grundlage zu geben; sie konnte Werte nicht »feststellen«, sondern sich nur um diese »bemühen«. Die Treuarbeit musste sich auf die aus ihrer Sicht machbaren Angaben beschränken und es im Übrigen den Auftraggebern überlassen, ihre Schlussfolgerungen zu ziehen. Die Treuarbeit folgte einer Prüfungsstruktur, die derjenigen der aktienrechtlichen Jahresabschlussprüfungen im »Altreich« entsprach. In Österreich sah sie sich aber völlig anderen Verhältnissen gegenüber und konnte einen wichtigen Teil ihrer prüferischen Aussagen, nämlich die zur Ertragssituation eines Unternehmens, nicht treffen. Diesem Tatbestand versuchte sie mit einer ausführlichen Darlegung der vielfältigen Bewertungs- hindernisse zu begegnen. Letztlich zeigte die Treuarbeit mit ihren Einschränkungen und Vorbehalten den Berichtslesern deutlich auf, dass die vom NS-Regime für die öster- reichische Wirtschaft getroffenen Entscheidungen negative Wirkungen entfalteten. Österreichische Unternehmen wurden durch Währungsaufwertung und Eingliederung spürbar entwertet. Dabei war auch den Nationalsozialisten klar, dass »ein derartiger Strukturumbruch keinen Vergleich zwischen Gesamtwirtschaft [so!] der Vergangenheit und der Zukunft zulässt.«63

»Arisierungsprüfungen«

Dieser Strukturumbruch musste sich umso stärker auswirken, wenn das NS-Regime keine Weiterführung durch den Unternehmer wünschte. Dies war bei Firmen mit jüdischen Eigentümern der Fall: Sie wurden zwangsenteignet, im Sprachgebrauch der Nationalsozialisten: »arisiert«. Während die jüdischen Kleinbetriebe in der Mehrzahl einfach liquidiert wurden, um verdienten österreichischen Parteigenossen eine »Wieder- gutmachung« für ihre Zeit in der Illegalität zukommen zu lassen, wurde die »Arisierung« bei größeren Betrieben durchgeführt: Die aus betriebswirtschaftlicher Sicht »lebens- fähigen« Unternehmen sollten an einen kompetenten »arischen« Erwerber übertragen werden.64 Mit dieser Handhabung wollten die nationalsozialistischen Behörden die österreichische Wirtschaft unter volkswirtschaftlichem Aspekt »bereinigen« und nur die wirtschaftlich stabilen Unternehmen weiterführen lassen.65 Damit waren »Arisierungen« als ideologiegeleitete Phänomene zugleich auch mit wirtschaftspolitischen Zielsetzungen verbunden.66

die Treuarbeit als Prüfer zu nennen. Die angegebenen Signaturen sind allerdings nicht richtig. 63 Zitat von Karl Schubert, Mitarbeiter der Vermögensverkehrsstelle in Wien, in: Felber/Melichar u. a., Ökonomie Teil 1 (2004), 159. 64 Felber/Melichar u. a., Ökonomie Teil 1 (2004), 21. 65 Felber/Melichar u. a., Ökonomie Teil 1 (2004), 13, 168. 66 Felber/Melichar u. a., Ökonomie Teil 1 (2004), 27. 160 Bewertungs- und »Arisierungsprüfungen« in Österreich Zentraler Akteur der »Arisierung« war die Vermögensverkehrsstelle (VVSt) in Wien, deren offizielle Aktivität am 18. Mai 1938 begann. Zu ihren Aufgaben gehörte es, jüdisches Vermögen in »arische Hände« zu überführen und dabei sowohl die Erwerber zu über- prüfen als auch die Kaufpreise und die »Entjudungsauflage« festzulegen. Außerdem entwarf sie Pläne zur Stilllegung jüdischer Betriebe.67 Um Informationen über die wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse zu erhalten, setzte die VVSt Wirtschafts- prüfer ein. Bis zum 1. Juni 1939 prüften 329 Prüfer 2.275 Betriebe.68 Für die »Durch- führung von Arisierungsprüfungen« hatte die VVSt Richtlinien aufgestellt.69 Zweck der Prüfungen und der Berichterstattung war es, der VVSt ein möglichst zuverlässiges Bild über die gegenwärtige Lage und die voraussichtliche künftige Entwicklung des »zu entjudenden« Unternehmens zu geben. Die Behörde verlangte eine Vielzahl von Detail- angaben zu den einzelnen Vermögens- und Schuldpositionen. Dabei musste der Prüfer auch »auf die seit dem Umbruch und durch diesen eingetretenen Strukturwandlungen des Betriebes (Kosten und Preisgestaltung, Absatzverhältnisse, Frachtenlage und Zölle u. s. w.)« eingehen.70 Der Bericht sollte insbesondere die Frage beantworten, wie groß der Wert des Unternehmens für den »verkaufenden Juden« sei, dem eine gewinnbringende Weiterführung des Unternehmens nicht mehr möglich sei, und für den »kaufenden Arier«, allerdings unter der entgegengesetzten Voraussetzung, dass er das Unternehmen gewinnbringend weiterführen könne. Für den Juden gelte demnach die Ablösesumme oder der Sachwert, für den Arier hingegen der Verkehrswert.71 Der Verkehrswert ging insofern über den Sachwert hinaus, als stille Reserven, ideelle Vermögensteile und eine positive Ertragserwartung vom Prüfer festgestellt wurden.72 So führten die Maßgaben der VVSt schon deshalb zu einer Minderbewertung der jüdischen Betriebe, weil die Behörde für sie nur den Sachwert festgestellt haben wollte, nicht jedoch den Ertrags- wert, der, wie die Treuarbeit in den vorgenannten Beispielen nachdrücklich dargestellt hatte, von maßgebender Bedeutung für die Wertbemessung war.73 Darüber hinaus sollte der Prüfer auch den Betrag nennen, der zur Deckung unvorhergesehener Risiken von der Ablösesumme zurückzubehalten sei. Der Prüfer sollte also zu dem ohnehin schon niedrigen Verkaufspreis noch weitere Minderungsmöglichkeiten aufzeigen. Die VVSt wies bei einigen Schuldpositionen ausdrücklich auf eventuell bestehende Rück- behalte hin. So nannte die Behörde die Position »Umstellungskosten-Rücklage« und führte hierzu aus, dass die Weiterführung des Betriebes vielfältige Kosten verursache. Der Prüfer solle den Aufwand abschätzen, der dann als Rückbehalt von der Ablöse-

67 Felber/Melichar u. a., Ökonomie Teil 1 (2004), 60, 61, 81, 82. 68 »Die Entjudung der Wirtschaft in der Ostmark – Ausstellung der Vermögensverkehrsstelle im Ministerium für Wirtschaft und Arbeit, Wien«, o. D., 22. 69 BAB R 8135/8627: »Richtlinien der Vermögensverkehrsstelle für die Durchführung von Arisierungs- prüfungen«, 19 Seiten, o. D. (RiLi VVSt). 70 BAB R 8135/8627, RiLi VVSt, 5. 71 BAB R 8135/8627, RiLi VVSt, 1. 72 BAB R 8135/8627, RiLi VVSt, 17. 73 Felber/Melichar u. a., Ökonomie Teil 1 (2004), 13. 161 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa summe abzuziehen sei.74 Der jüdische Eigentümer wurde also nicht nur zum Verkauf seines Unternehmens gedrängt, sondern musste auch noch die vom »Arier« bewirkten Kosten der Weiterführung des Betriebes bezahlen. Die VVSt verfolgte erkennbar eine Niedrigbewertungsstrategie hinsichtlich des Ver- mögens jüdischer Firmeninhaber.75 So sollte beispielsweise der Prüfer bei der Bewertung von Vorräten nicht nur eine Untergliederung in Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, halb- fertige Erzeugnisse, fertige Erzeugnisse und Handelswaren vornehmen sowie Aussagen über die Angemessenheit der Lagerbestände im Verhältnis zum Betriebsumfang und Umsatzverlauf treffen. Der Prüfer hatte außerdem noch festzustellen, »ob und inwie- weit im Falle unsicherer Bewertung und Mengenfeststellung aus der Ablösesumme ein Rückbehalt zu machen ist.« Sollte hingegen der Vorratsbestand stille Reserven enthal- ten, »müßte auch ihre Rückwirkung auf den vom Übernehmer zu bezahlenden, über den Sachwert hinausgehenden Kaufpreis in Betracht gezogen werden«.76 Negative Sach- verhalte wirkten sich demnach zulasten des jüdischen Eigentümers aus; werterhöhende Sachverhalte wirkten sich zulasten des »arischen Übernehmers« aus, der einen höheren Kaufpreis zahlen musste. Der jüdische Eigentümer erhielt von der VVSt eine Ablöse- summe abzüglich eines Rückbehaltes. Der Übernehmer zahlte den Sachwert zuzüglich einer »Arisierungsabgabe«, in der sich werterhöhende Sachverhalte und eine von der VVSt als angemessen angesehene Eigenkapitalverzinsung widerspiegelten. Die Differenz wurde einem »Arisierungsfonds« zugeführt, der der »Verfügung des Reiches« diente.77 Eine dieser »Arisierungsprüfungen« führte die Treuarbeit für die Firma Brüder Königstein durch. Veräußert werden sollten auch die Fabrik- und Wohngebäude, die Eigentum eines der Gesellschafter waren.78 Die Firma produzierte feines Briefpapier, Kuverts und Kartonbögen und versah Karten mit Prägungen. Sie war schuldenfrei. Die Treuarbeit beurteilte die Vermögenswerte einschließlich des Firmenwertes und die Ertragssituation der Firma. Ein wichtiger Aktivposten der Firma waren die Produktions- maschinen. Durch den »Anschluß an das Altreich« wurde der Modernisierungsrück- stand der Firma offenbar. Die Treuarbeit vermutete, dass die Maschinen durch moderne ersetzt werden müssten. Daher reduzierte sie ihren Bilanzwert. Die Gewinne der Firma in den letzten Jahren resultierten auch daraus, dass die Gesellschafter für ihre Tätigkeit im Unternehmen auf eine Vergütung verzichteten. Inzwischen hatten die Gesellschafter aber einen »arischen« Betriebsführer einstellen müssen, der Kosten verursachte. Schließlich führte die Treuarbeit aus, dass der gute Ruf der Firma neben den von ihr produzierten Qualitätserzeugnissen »zu einem erheblichen Teil auf dem persönlichen Kontakt zwischen Gesellschaftern und Kunden« beruhe. Ob dies auch dem Erwerber gelingen werde, sei nicht abzusehen. Diese Ungewissheiten »haben naturgemäß auf den

74 BAB R 8135/8627, RiLi VVSt, 14, 15. 75 Felber/Melichar u. a., Ökonomie (2004), 224. 76 BAB R 8135/8627, RiLi VVSt, 9. 77 Felber/Melichar u. a., Ökonomie Teil 1 (2004), 152; BAB R 8135/8627: »Richtlinien für Wirtschafts- prüfer«, November 1938, 5 (Seiten nicht nummeriert). 78 BAB R 8135/9150: Prüfungsbericht »Fa. Brüder Königstein, Wien« vom 29.7.1938, 1, 4, 10, 11. 162 Bewertungs- und »Arisierungsprüfungen« in Österreich Ertragswert des Unternehmens einen wesentlichen Einfluß.« In der Berichterstattung zeigte sich, dass Sachverhalte, die ohne rassistische Politik positiv zu bewerten waren – der erfolgreiche Einsatz der Gesellschafter, ihr Verzicht auf eine Vergütung, Schulden- freiheit der Firma – sich durch die nationalsozialistische Politik in ihr Gegenteil ver- kehrten. Mit ihren Aussagen hatte die Treuarbeit die Gesellschafter in eine denkbar schlechte Ausgangslage für Verkaufsverhandlungen gebracht. Im März 1939 verordnete Reichskommissar Josef Bürckel eine erneute Überprüfung aller vor dem 3. Dezember 1938 vorgenommenen »Arisierungen«. Es sollte festgestellt werden, ob Erwerber unangemessene Vermögensvorteile erlangt hatten. Gleichzeitig beantragten viele »Ariseure« eine nachträgliche Senkung der »Arisierungsabgabe«.79 Die VVSt erteilte der Treuarbeit mehrere Nachprüfungsaufträge, die klären sollten, ob der Kaufpreis und die »Arisierungsabgabe« angemessen berechnet worden waren.80 Die Treuarbeit stellte bei der Prüfung der Firma Brüder Haber, eines Kaufhauses für Bekleidung und Wohnkultur, fest, dass die Österreichische Kontrollbank für Handel und Industrie (Kontrollbank) vom Übernehmer einen Kaufpreis in Höhe von 575 TRM verlangt hatte. Die drei Gutachten, die zur Bemessung des Kaufpreises erstellt worden waren, hatten für die Firma jedoch einen Sachwert zwischen 716 TRM und 924 TRM ermittelt. Die Treuarbeit hielt hingegen einen Sachwert von 1.070 TRM für gerecht- fertigt, obwohl ihr zum Stichtag, dem 31. Dezember 1938, weder Buchführungs- noch Jahresabschlussunterlagen zur Verfügung standen. Im Gegensatz zu den Prüfungen der Kromag AG und der Feinstahl Traisen AG sah sich die Treuarbeit auch in der Lage, aufgrund von Zahlenmaterial für das zweite Halbjahr 1938 und das erste Halbjahr 1939 einen Ertragswert in Höhe von 1.500 TRM zu ermitteln.81 Auch bei dem Bekleidungs- hersteller und -händler Tailor Stone & Blyth stellte die Treuarbeit einen Sachwert fest, der die Festlegung der Kontrollbank um das Dreifache überschritt, da die Treuarbeit umfangreiche stille Reserven im Debitorenbestand ermittelte.82 Für die Wirkwaren- und Damenkleiderfabrik Pöll & Kaufmann bewertete die Treuarbeit den Sachwert eben- falls deutlich höher als die vor ihr tätige Treuverkehr Deutsche Treuhand AG. Grund war auch hier die unterschiedliche Auffassung über die Höhe der stillen Reserven.83 Wirtschaftsminister Hans Fischböck und der im Juni 1939 faktisch abgesetzte Leiter der VVSt Walter Rafelsberger neigten dazu, die »Arisierungen« als »Wiedergutmachung« für »verdiente Parteigenossen« einzusetzen. Bürckel, das Reichswirtschaftsministerium und Göring verfolgten hingegen eine »wirtschaftsplanerische Linie«. Neben der ideologisch beabsichtigten »Entjudung« der österreichischen Wirtschaft sollten die »Arisierungen« dazu führen, »unnütze« Betriebe zu schließen, rentable Unternehmen an fachkundige

79 Felber/Melichar u. a. Ökonomie Teil 1 (2004), 91, 150. 80 Außerdem sollten die Prüfer die Ordnungsmäßigkeit des »Entjudungsverfahrens« feststellen. Ferner wollte die VVSt erfahren, ob der Übernehmer eine sachgemäße Führung des Unternehmens gewähr- leistete und ob die künftige »Lebensfähigkeit« gesichert erschien. 81 BAB R 8135/9054: Prüfungsbericht »Fa. Brüder Haber, Wien, Kaufhaus für Bekleidung und Wohn- kultur« vom 9.10.1939, 3, 12, 14, 22, 26. 82 BAB R 8135/9414: Prüfungsbericht »Tailors Stone & Blyth, Wien« vom 20.7.1939, 4. 83 BAB R 8135/9404: Prüfungsbericht »Pöll & Kaufmann, Wirkwaren und Damenkleiderfabrik«, 1. 163 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa Erwerber zu verkaufen und aus den Verkäufen Einnahmen für das Reich zu erzielen. Volkswirtschaftliche Werte dürften, so Bürckel »nicht zu Schleuderpreisen veräußert werden«.84 Mit ihren Bewertungen bestätigte die Treuarbeit die Befürchtungen Bürckels und trug sicherlich dazu bei, Nachzahlungen erheben zu lassen.85 Gelegentlich wird in Berichten der Treuarbeit deutlich, wie betriebswirtschaftliche Kriterien von rassistischen Vorstellungen unterwandert werden. Die Guggenbacher Papier- und Zellstofffabriken beispielsweise waren im »Zuge der Entjudung« verkauft worden. Da Rentenansprüche der Gattin und der Tochter des verstorbenen früheren Gesellschafters Dr. Otto Ruhmann bestanden, empfahl die Treuarbeit, »zumindest« für die »arische« Gattin eine Pensionsrückstellung vorzunehmen. Für die »halbjüdische« Tochter traf sie keine Aussage.86 Insgesamt verwendete die Treuarbeit nur in einzel- nen Berichten einen rassistischen Sprachgebrauch, indem sie beispielsweise von einem »Judengeschäft«87 sprach oder davon, dass ein Unternehmen in die Hände eines jüdi- schen Konzerns geraten sei.88 Aus den Berichten der Treuarbeit ging die desolate Lage der jüdischen Unternehmen nach dem »Anschluss« Österreichs deutlich hervor. Die jüdischen Betriebe wurden viel- fach geschlossen, unter kommissarische Verwaltung gestellt und ihre (jüdischen) Mit- arbeiter entlassen. Die Verbindung zu Lieferanten und Abnehmern wurde unterbrochen und auch die Kunden suchten sich ein neues Geschäft oder Lokal. Privilegien, die ein Geschäft ausgezeichnet hatten – zum Beispiel der exklusive Verkauf einer bestimmten Schuhmarke –, gingen verloren.89 Jüdische Unternehmen wurden außerdem vom Roh- stoffbezug und auch von der Bedienung öffentlicher Aufträge ausgeschlossen.90 All diese Sachverhalte hatten negative Auswirkungen auf die an jüdische Inhaber gezahlten Kaufpreise. In den Prüfungsberichten werden diese Preise beinahe nie genannt. Auch über das Schicksal der jüdischen Eigentümer enthalten die Berichte nur selten eine Information.91 Die Treuarbeit nahm »Arisierungsprüfungen« auch für Unternehmen

84 Felber/Melichar u. a., Ökonomie Teil 1 (2004), 73, 204–207. 85 Felber/Melichar u. a., Ökonomie Teil 1 (2004), 92, Bürckel berichtete Mitte Juni 1939 an Göring, allein bei sieben Betrieben sei nachgewiesen, dass Sachwerte und Auflagen um 1,65 Millionen RM zu niedrig bemessen worden seien. Die Verkaufsgenehmigungen sollten rückgängig gemacht und die Firmen nun »zum richtigen Preis« veräußert werden. Welche Firmen das waren, wird nicht gesagt. Die sich aufdrängende Frage, ob die Treuarbeit mit diesen Prüfungen »Gefälligkeitsgutachten« im Sinne wirtschaftsplanerischer Maßnahmen abgab, muss mangels Quellen Spekulation bleiben. 86 BAB R 8135/9313: Prüfungsbericht »Guggenbacher Papier- und Zellstofffabriken Dr. Adolf Sandner, Wien« vom 18.10.1939, 8. 87 BAB R 8135/9055: Prüfungsbericht »Fa. Carl Hafner, Schuhhaus, Wien« vom 29.12.1939, 1. 88 BAB R 8135/9320: Prüfungsbericht Nr. 1070 »Maschinenfabrik Andritz AG, Graz-Nord« vom 13.2.1941, 1 (Aktenband enthält vier verschiedene Prüfungsberichte). 89 BAB R 8135/9405: Kaffee Döblinger Hof;/9389 Kaffee Kaiserpark;/9248 Royal Kino;/9265 Hochstädt Kino;/9178 Ton-Kino;/9055 Schuhhaus Carl Hafner. 90 BAB R 8135/9050: Prüfungsbericht »Bernhard Delfiner, Getreide, Mahlprodukte und Futtermittel«, 10; BAB R 8135/9187: Prüfungsbericht »Kalk und Schotterwerk M. Strauß«, 9. 91 BAB R 8135/9109: Im Bericht zur »Sonderprüfung« der Fa. J. Treichlinger Spielwaren, Linz, heißt es, der Inhaber Jakob Treichlinger habe am 18.3.1938 Selbstmord begangen, Leopold Treichlinger sei »eventuell nach England ausgereist«, 1; BAB R 8135/9405: Prüfungsbericht »Kaffee Döblinger Hof«: 164 Bewertungs- und »Arisierungsprüfungen« in Österreich geringer Komplexität, wie Kinos, Kaffeehäuser oder Schuhgeschäfte, vor. Die größte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deutschlands ließ also auch das Kleingeschäft nicht aus. Allerdings traf sie hierbei auf große österreichische und deutsche Prüfungskonkurrenz.92 Im Hinblick auf die »Arisierungsprüfungen« der Treuarbeit in Österreich ist festzu- halten, dass die Gesellschaft nach den Maßgaben der VVSt keine unparteiische Prüfung durchführen konnte, da das Interesse des Staates an einem möglichst geringen Verkaufs- preis für das jüdische Unternehmen deutlich hervortrat. Die Beteiligung am Unrecht war auch für die Prüfer klar erkennbar. Der VVSt vergleichbare Prüfungsvorgaben wurden auch von der Protektorats- regierung Böhmen und Mähren aufgestellt. Die Bewertungsmaßstäbe für Verkäufer und Käufer waren völlig unterschiedlich. Die RETOG, eine Tochtergesellschaft der Treuarbeit, erhielt vom Reichsprotektor und den Oberlandräten Prüfungsaufträge zur Bewertung von Unternehmen »im Rahmen der Entjudung«.93 Für den »jüdischen Vor- besitzer« wurde für den Verkauf seines Betriebes der Liquidationswert ermittelt. Hierbei müsse, so die RETOG in einem »Merkblatt« für Prüfer, »von der besonderen Zwangs- lage ausgegangen werden, in welcher sich die jüdischen Inhaber angesichts der Unmög- lichkeit befanden, das Unternehmen ertragsbringend weiterzuführen (Annahme der Zwangsarisierung).« Es sei für die Firmen kein Substanzwert festzustellen, sondern der bei der »Zerschlagung des Betriebes zu erzielende Liquidationserlös.« Dabei würden sowohl bei den Anlagen als auch bei den Warenvorräten »in den meisten Fällen die Zer- schlagungserlöse unter den Wiederbeschaffungswerten […] liegen, da bei der beschleu- nigten […] Veräusserung grosse Einbussen [so!] zu verzeichnen sein werden.«94 Für den Käufer gelte hingegen der Verkehrswert, der »unter normalen Umständen für ein der- artiges Unternehmen gezahlt werden kann.« Hierzu sei der Substanzwert im Hinblick auf die Fortführung des Unternehmens sowie der Ertragswert aufgrund der nachhaltig zu erwartenden Zukunftsreinerträge festzustellen.95 In sprachlich brutaler Eindeutig- keit formulierten die Richtlinien, dass jüdische Unternehmen unter Wert zu liquidieren waren. Eine gewissenhafte und unparteiliche Prüfung war auch im »Protektorat« nicht möglich, der Wille des NS-Regimes zur wirtschaftlichen Existenzvernichtung der Juden stand im Vordergrund.

der jüdische Pächter sei verhaftet worden, 1; BAB R 8135/9148: Prüfungsbericht zur »Fa. Heinrich Neumann, mechanische Leinenweberei«: der Inhaber sei zunächst verhaftet worden und nach seiner Entlassung »wohl nach Australien« geflohen, 7. 92 Felber/Melichar u. a., Ökonomie Teil 2 (2004), 159, Fn. 155, Wirtschaftsprüfungs- und Treuhand- gesellschaft Donau, Wien (160, Fn. 161), Ostmärkische Revisions- und Treuhandgesellschaft Wien- Berlin (174, Fn. 195), Donauländische Treuhand- und Organisations-GmbH (189, Fn. 256), Gesell- schaft für Revision und treuhänderische Verwaltung GmbH, Wien (410, Tabelle 71), Treuverkehr Deutsche Treuhand AG, Wien (199, Fn. 289), Deutsche Wirtschaftsprüfungs- und Treuhandgesell- schaft, Berlin (270, Fn. 227), Deutsche Genossenschafts-Revisions- und Treuhand-AG, Wien (837, Fn. 70). 93 BAB R 8135/8627: Retog – Rundschreiben Nr. 5. Merkblatt für die Durchführung von Bewertungs- prüfungen im Rahmen der Entjudung, 17.7.1940. 94 BAB R 8135/8627: Retog – Rundschreiben Nr. 5. Merkblatt … Entjudung, 17.7.1940, 1, 3. 95 BAB R 8135/8627: Retog – Rundschreiben Nr. 5. Merkblatt … Entjudung, 17.7.1940, 1. 165 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa 4.2 »Arisierungsprüfungen« und Veräußerungstreuhänderschaft links: Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treu- im Sudetenland arbeit in Europa rechts: »Arisierungsprüfungen« und Veräußerungstreu- Im Sudetenland wirkte die Treuarbeit an der »Arisierung« der beiden größten Montan- händerschaft im Sudetenland konzerne mit. Es handelte sich um die Firmenkomplexe der Familien Petschek und Weinmann in Deutschland und der Tschechoslowakei (ČSR).96 Die Petscheks wurden zum Verkauf ihrer Gesellschaften gezwungen, die Weinmanns letztlich entschädigungs- los enteignet.97 Nach Abstimmung mit Hans Kehrl, dem Reichswirtschaftsministerium (RWM) und der Vierjahresplanbehörde trat die Dresdner Bank als Verhandlungs- führerin gegenüber den jüdischen Eigentümern beider Konzerne auf. Sie beauftragte die Treuarbeit damit, Bilanzen und Erfolgsrechnungen zum Stand 30. September 1938 für die Nordböhmische Kohlenwerksgesellschaft AG in Brüx (Nordböhmen) und die Brüxer Kohlenbergbaugesellschaft (Brüx), beide aus dem Julius-Petschek-Konzern, zu prüfen. Untersucht werden sollte, ob die Abschlüsse ordnungsgemäß erstellt und die in den Bilanzen ausgewiesenen Vermögenswerte und Schulden richtig bewertet worden waren. Die Erfolgsrechnungen sollten »nur ganz überschläglich durchgesehen werden«. Hierbei wollte die Auftraggeberin insbesondere wissen, ob sich aus der Erfolgsrechnung »größere aktivierungsfähige oder wesentliche passivierungspflichtige Posten« ergaben. Eine weitere Prüfung betraf die Britannia Kohlenwerke AG aus dem Ignaz-Petschek- Konzern.98 Bilanzprüfungen zu Gesellschaften des Weinmann-Konzerns betrafen den Westböhmischen Bergbau-Aktienverein, die Brucher Kohlenwerke AG und die Dux- Bodenbacher Eisenbahn.99 Bei diesen Gesellschaften waren die Prüfungen der Treuarbeit Ergänzungen zu Gutachten von Bergbauexperten.100 Die Prüfungen betrafen nicht die Sachanlagen und Beteiligungen und damit nur einen kleinen Teil des gesamten Ver- mögens.101 Den Wertansatz der technischen Gutachten prüfte die Treuarbeit nicht.102

96 Wixforth, Expansion (2006), 118–141. 97 Wixforth, Expansion (2006), 160, 169. 98 Wixforth, Expansion (2006), 133, 134. 99 Wixforth, Expansion (2006), 141–162. 100 Bergbauexperte Staatsrat Otto Eberhardt war von Otto Steinbrinck aus dem Flick-Konzern vor- geschlagen worden, da der Konzern Interesse an den Braunkohlengruben des Petschek-Konzerns hatte, siehe: Thieleke, Fall 5 (1965), 429; Bähr/Drecoll u. a., Flick-Konzern (2008), 345. 101 BAB R 2/16253, Bl. 126, 142: Prüfungsbericht der Treuarbeit vom 23.1.1939; siehe Wixforth, Expansion (2006), 127. 102 STA W NWA 2/5398: Prüfungsbericht zu der Britannia Kohlenwerke AG, Königswerth, vom 13.7.1940. Hierin wird auf den Bericht des Vorjahres, erstellt am 30.3.1939, verwiesen und die Arbeits- teilung zwischen der Treuarbeit und den Bergbauexperten dargestellt. Vermutlich wurde auch bei zwei weiteren Kohlengesellschaften des Konzerns, der Vereinigten Britannia Kohlenwerke AG (Vereinigte) und der Duxer Kohlengesellschaft AG, so verfahren – siehe Bestand STA W NWA 2: Prüfungsbericht der Treuarbeit aus dem Jahr 1940 für die Vereinigte Britannia Kohlenwerke AG (Band 5542), Bericht zur Jahresabschlussprüfung per 31.12.1939 der Duxer Kohlengesellschaft AG, erstellt von der Nord- böhmischen Treuhandgesellschaft AG in Reichenberg, einer Tochter der Treuverkehr Deutsche Treu- hand AG (Band 5416). 166 »Arisierungsprüfungen« und Veräußerungstreuhänderschaft im Sudetenland SUBAG

Die »Arisierungen« verfolgten das Ziel, einen neuen deutschen Montankonzern im Sudetenland zu errichten und die »arisierten« Gesellschaften in diesen Konzern ein- zubringen. Im Juni 1939 fand die Gründungsversammlung der Sudetenländischen Bergbau AG (SUBAG) statt, deren Aktienmehrheit beim Reich lag. Dem Aufsichtsrat dieser neuen Gesellschaft, die ihren Sitz in Brüx hatte, gehörten Vertreter des RWM, der Vierjahresplanbehörde, der Reichswerke »Hermann Göring« sowie des Reichs- finanzministeriums (RFM) und der Dresdner Bank an.103 Die Treuarbeit nahm die Gründungsprüfung bei der SUBAG vor.104 In den kommenden Jahren prüfte sie auch die Jahresabschlüsse der SUBAG.105 Die Prüfungsgesellschaft hatte für die »Nord- böhmen« und die »Brüx« neben den oben genannten Bewertungsprüfungen auch die Jahresabschlüsse zum 31. Dezember 1938 geprüft. Das RWM beauftragte die Treuarbeit im Herbst 1939, »ohne Anstellung neuer Erhebungen die notwendigen Bewertungs- grundlagen für die Fusion der genannten Gesellschaften festzustellen.«106 Die Treuarbeit erstattete zum 3. Oktober 1939 ihren Bericht. Dem RFM erschienen die Wertansätze der Treuarbeit als angemessen: »Sie dürften eher zu niedrig als zu hoch bemessen sein.« Zu den Ertrags- und Zukunftsaussichten äußerte sich die Treuarbeit allerdings nicht.107 Auch den Aufsichtsräten der zu verschmelzenden Gesellschaften diente das Gutachten der Treuarbeit als Grundlage für den Fusionsbeschluss.108 Kurz darauf wurde die Treu- arbeit vom Amtsgericht Brüx als »Gründungsprüfer für die Verschmelzung« der vor- genannten Unternehmen bestellt. Da die Treuarbeit »insbesondere über die zukünftige Wirtschaftlichkeit des Bergbaubetriebs der […] Unternehmungen zu einem Urteil noch nicht gelangen« konnte »und die kommende Entwicklung der kohlewirtschaftlichen Verhältnisse im Sudetenland noch nicht voll zu übersehen ist, wurden die Wertansätze vorsichtig gewählt.« Wie bei der Fusionsprüfung kam die Treuarbeit zu dem – wenig überraschenden – Ergebnis, dass »die Leistungen, die die Sudetenländische für die über- nommenen Aktien von Nordböhmen und Brüx gewährt hat, angemessen sind.«109 Unmittelbar nach der Fusion übernahmen die Reichswerke »Hermann Göring«, eben- falls eine Mandantin der Treuarbeit, die Aktienmehrheit an der SUBAG. Für die vorgenannten Prüfungen war vorstandsseitig Fritz Rittstieg verantwort- lich.110 Das RWM ernannte Rittstieg zusätzlich zum »Veräußerungstreuhänder für

103 Wixforth, Expansion (2006), 163–170. 104 STA W NWA 2/5392: Bericht der Treuarbeit über die vorgenommene Gründungsprüfung. 105 BAB R 2/16253a, Bl. 2: Prüfung der SUBAG durch den Reichsrechnungshof. 106 BAB R 2/16253, Bl. 103, 118: Prüfungsbericht der Treuarbeit vom 3.10.1939. 107 BAB R 2/16253, Bl. 196: Vermerk des Reichsfinanzministeriums. 108 BAB R 2/16253, Bl. 164, 165: Gemeinsames Protokoll über die Aufsichtsratssitzungen der »Nord- böhmischen«, der »Brüxer« und der SUBAG. 109 BAB R 2/16253, Bl. 219, 222: Prüfungsbericht der Treuarbeit vom 12.12.1939. 110 Die Berichte waren vom Wirtschaftsprüfer Erich Dachs und von Fritz Rittstieg unterzeichnet. 167 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa das Reich«.111 Er sollte beim Verkauf weiterer Kohlenwerke an die SUBAG die Ver- kaufsverhandlungen übernehmen.112 Ende Juni 1940 schloss Rittstieg drei Verträge mit der SUBAG, durch die die Duxer Kohlengesellschaft AG, die Brucher Kohlen- werke AG (Brucher) und die Zieditz-Haberspirker Braun- und Glanzkohlengewerk- schaft, ein Unternehmen aus dem Petschek-Konzern, an die SUBAG verkauft wurden. Grundlage für die Verkaufspreise waren Wertgutachten der Treuarbeit über das Rein- vermögen der einzelnen Gesellschaften zum 31. Oktober bzw. 31. Dezember 1939. Die Preise blieben minimal unter den von der Treuarbeit festgestellten Werten. Mit dem Verkauf der Brucher, einem Unternehmen des Weinmann-Konzerns, gab es jedoch Schwierigkeiten: Das RWM hatte den Verkauf der Brucher an die SUBAG zu einem Preis von sechs Millionen RM genehmigt, das RFM hatte seine Zustimmung jedoch nicht geben wollen, weil es diesen Preis für zu hoch hielt. Die von der Dresdner Bank bestellten Bergbaufachleute hatten Anfang 1939 einen Wert von 5,25 Millionen RM als Verhandlungsbasis vorgeschlagen, obwohl sie den Substanzwert auf 7,03 Millionen RM und den zukünftigen Ertragswert auf 6,18 Millionen RM ansetzten.113 Weitere Probleme bereitete die Festlegung eines Kaufpreises für die Übereignung des Westböhmischen Bergbau-Aktienvereins (WBAV) auf die SUBAG. Auch für die »Entjudung« der den Weinmann-Brüdern gehörenden Aktien dieser Gesellschaft, etwa 40 Prozent des Aktienkapitals,114 und der Dux-Bodenbacher Eisenbahn (Duxbahn) wurde Fritz Rittstieg zum Veräußerungstreuhänder bestellt.115 Grundlage war ein Erlass des »Reichsprotektors in Böhmen und Mähren« vom 13. Juni 1940.116 Ritt- stieg war allerdings Treuhänder im Interesse des Reiches und an die Anweisungen des RWM gebunden.117 Mit dem Kaufvertrag vom 15. Mai 1941 verkaufte Rittstieg 99.058 WBAV-Anteile an die SUBAG. Der Kaufpreis sollte bis zum 31. Dezember 1941 fest- gelegt werden; der Bewertungsprozess für den WBAV zog sich jedoch mehr als ein Jahr hin. Rittstieg hatte vorgeschlagen, alle Vermögenswerte einzeln bewerten zu lassen, um

111 BAB R 2/16253, Bl. 294: Schnellbrief des Reichsfinanzministeriums an die Gestapo, Prag, 27.11.1940; BAB R 3101/33163, Bl. 57: Vermerk des Reichswirtschaftsministeriums vom 22.2.1944, betr: Verkauf der Westböhmen-Aktien an die Sudetenländische Bergbau AG. 112 Daher erscheinen die Aussagen Heinz Ansmanns von der Dresdner Bank, Rittstieg sei als Ver- äußerungstreuhänder gegenüber dem Petschek-Konzern aufgetreten und die Treuarbeit habe sich selbst als kommissarische Leiterin der Ignaz-Petschek-Betriebe eingesetzt und sei gegenüber den Petscheks als Käuferin aufgetreten, zweifelhaft. Die Dresdner Bank soll Anfang 1939 für den Erwerb der Britannia Kohlenwerke drei Millionen RM gezahlt haben. In ihrem Gutachten vom 13.7.1940 stellte die Treu- arbeit jedoch nur einen Vermögensüberschuss von etwa 684.000 RM fest. Siehe Wixforth, Expansion (2006), 140 sowie STA W NWA 2/5398: Prüfungsbericht zur Britannia Kohlenwerke AG vom 13.7.1940, Bl. 21. 113 Wixforth, Expansion (2006), 147. 114 Wixforth, Expansion (2006), 142. 115 STA W NWA 2/5413: Brief der SUBAG an Reichswerke AG für Berg- und Hüttenbetriebe, Dr. Delius, 6.2.1942. Der WBAV hielt 66 Prozent an der Duxbahn. 116 STA W NWA 2/5413: Brief Rittstieg an Reichsprotektor in Böhmen und Mähren, 12.6.1942. 117 STA W NWA 2/5413: Brief Rittstieg an Reichswirtschaftsministerium, Referent Dr. Saager, 8.12.1942; BAB R 3101/33163, Bl. 57: Vermerk des Reichswirtschaftsministeriums zum Verkauf der WBAV- Aktien, 22.2.1944. 168 »Arisierungsprüfungen« und Veräußerungstreuhänderschaft im Sudetenland auf diese Weise den Gesamtvermögenswert des WBAV zu ermitteln.118 Im Zentrum der Bewertung stand der umfangreiche Beteiligungsbesitz des WBAV an Kohlefeldern in verschiedenen Regionen des Reiches.119 Die zu einzelnen Kohlefeldern bereits vor- liegenden Gutachten qualifizierte Rittstieg als veraltet.120 Die SUBAG kritisierte, dass die ersten neu erstellten Gutachten von falschen Voraussetzungen ausgingen und es überhaupt schwer sei, geeignete Gutachter zu finden.121 In einer ersten vorläufigen Schätzung ging die SUBAG von Gesamtkosten zwischen 13,8 und 17,7 Millionen RM für den Kauf aus. Um den zeitraubenden Bewertungsprozess abzukürzen, schlug sie im Februar 1942 vor, die Bewertung anhand des »Weinmann-Kurses« vorzunehmen. Dieser Kurs »wurde vor einigen Jahren bei einem Austausch der Aktien-Pakete Duxbahn und Westböhmen festgesetzt. Er beträgt für die Westböhmen-Aktien K[ronen] 700 und für die Duxbahn-Aktien K 1.200.«122 Die Muttergesellschaft der SUBAG, die Reichs- werke AG für Berg- und Hüttenbetriebe »Hermann Göring«, erklärte sich damit ein- verstanden, Rittstieg diesen Kurs zu unterbreiten, sofern nicht zusätzlich vom Reichs- finanzministerium die Zahlung einer »Judenausgleichsabgabe« verlangt würde.123 Kurz darauf erfuhr die SUBAG von einem Aktientausch mit WBAV-Aktien zu einem Kurs von 615 Kronen. Nun wollte auch sie diesen Kurs zugrunde legen – der Reichsfinanz- minister billigte dies. Rittstieg fragte im Juni 1942 beim Reichsprotektor und beim Reichswirtschaftsminister an, ob sie ebenfalls mit diesem Kurs einverstanden seien.124 Während der Reichsprotektor seine Genehmigung erteilte, lehnte das RWM den Kurs jedoch ab.125 Es beauftragte Rittstieg, als Untergrenze für den Kaufpreis mindestens zehn Millionen RM von der SUBAG zu verlangen. Die SUBAG wollte hingegen auf der Grundlage des von ihr vorgeschlagenen Kurses von 615 Kronen maximal acht Millionen RM zahlen.126 Rittstieg informierte daher Anfang Dezember 1942 das RWM darüber, dass die Verhandlungen zwischen ihm und der SUBAG über die Höhe des Kaufpreises gescheitert seien, und bat das Ministerium, den Kaufpreis nunmehr festzusetzen.127 Die SUBAG wandte sich direkt an Hans Kehrl, um ihre Vorstellungen durchzusetzen. Sie

118 STA W NWA 2/5414: Brief der SUBAG/Vorstand an Reichswerke AG für Berg- und Hüttenbetriebe, Dr. Delius, 5.2.1943. 119 STA W NWA 2/5413: Brief der SUBAG an Reichswerke AG für Berg- und Hüttenbetriebe, Dr. Delius, 6.2.1942; STA W NWA 2/5414: Brief Nathow/SUBAG an Hans Kehrl, 17.5.1943. 120 STA W NWA 2/5413: Brief Rittstieg an Reichsprotektor von Böhmen und Mähren, 12.6.1942. 121 STA W NWA 2/5414: Brief der SUBAG an Hans Kehrl, 17.5.1943, Bl. 6. 122 STA W NWA 2/5413: Brief der SUBAG an Reichswerke AG für Berg- und Hüttenbetriebe, Dr. Delius, 25.2.1942. 123 STA W NWA 2/5413: Brief der Reichswerke AG für Berg- und Hüttenbetriebe an die SUBAG, 19.3.1942. 124 STA W NWA 2/5413: Brief Rittstieg an Reichsprotektor, 12.6.1942; STA W NWA 2/5414: Brief Rittstieg an SUBAG, 30.8.1943. 125 STA W NWA 2/5414: Brief der SUBAG an die Reichswerke AG für Berg- und Hüttenbetriebe, 5.3.1943; STA W NWA 2/5414: Brief der SUBAG/Nathow an Hans Kehrl, 17.5.1943. 126 Gutachtliche Schätzungen der von der Dresdner Bank beauftragten Bergfachleute hatten Anfang 1939 allein für das Pilsener Revier einen Substanzwert von 4,5 Millionen RM ergeben, siehe: Wixforth, Expansion (2006), 147. 127 STA W NWA 2/5414: Brief Rittstieg an Reichswirtschaftsministerium, Referent Saager, 8.12.1942. 169 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa argumentierte unter anderem auch damit, dass sie sich über diesen Preis mit dem Ver- äußerungstreuhänder geeinigt habe und dass Rittstieg diese Einigung im Juni 1942 dem Reichsprotektor bekannt gegeben und um seine Genehmigung gebeten habe.128 Ritt- stieg wehrte sich vehement gegen diese Darstellung. Er betonte, es habe sich nur um einen Vorschlag, nicht jedoch um eine Kaufpreisvereinbarung gehandelt. Er sei vom RWM angewiesen worden, zehn Millionen RM zu verlangen, und lehne »jede Mit- verantwortung für den von Ihrer Gesellschaft vorgeschlagenen Kaufpreis« ab. Ledig- lich aus reiner Gefälligkeit habe er den Kaufpreisvorschlag an die zuständigen Stellen weitergeleitet und damit keine Aussage zur Empfehlung der Annahme des Kaufpreises gemacht. »Das Ganze lief also darauf hinaus,« erläuterte Rittstieg der SUBAG freimütig, »die Verantwortung für diesen Kaufpreis von mir als Veräusserungstreuhänder [so!] auf die Ministerien zu verlagern.« Er wollte von der SUBAG auch nicht als Unterstützer des RWM in Anspruch genommen werden und bat SUBAG-Vorstand Hanns Nathow, unmittelbar mit dem Ministerium zu verhandeln.129 Das RWM setzte Mitte Mai 1943 den Kaufpreis für das WBAV-Aktienpaket auf zehn Millionen RM fest.130 Mit dieser Betragshöhe gab sich die SUBAG jedoch nicht zufrie- den und erhob »alle nur denkbaren Einwendungen«. Im Februar 1944 wollte das RWM diese Verzögerungstaktik, hinter der seiner Einschätzung zufolge die Reichswerke »Her- mann Göring« standen, nicht mehr akzeptieren. Aufgrund der geänderten wirtschaft- lichen Verhältnisse im sudetenländischen Bergbau würde es nicht gelingen, einen Preis von zehn Millionen RM von einem »außenstehenden dritten Neuerwerber« zu erhalten. »Es liegt jedoch im Reichsinteresse, aus zu veräußerndem Judenvermögen den größt- möglichen Erlös zu erzielen.« Ferner sei zu befürchten, dass die Protektoratsregierung ihre seinerzeit gegebene Genehmigung zum Kaufvertrag wieder zurückziehen würde. Dem Veräußerungstreuhänder bliebe dann nicht anderes übrig, als die SUBAG auf Zah- lung zu verklagen.131 Angesichts dieser Argumente zahlte die SUBAG den Kaufpreis von zehn Millionen RM noch im selben Monat.132 Die Veräußerungstreuhänderschaft nahm Vorstandsmitglied Rittstieg im Interesse des Reiches gegenüber der SUBAG und den Reichswerken »Hermann Göring« vor. Rittstieg hob zwar hervor, dass er »zur Vereinbarung des Kaufpreises ermächtigt [sei] und dieser dann nur noch der Genehmigung durch den Reichswirtschaftsminister bedurfte«.133 In Wirklichkeit war er jedoch nur vermittelnd tätig und verfügte nicht über eigene Handlungskompetenz, sondern war von Weisungen abhängig. Seine Vorge- hensweise, neue, Kosten verursachende Gutachten zu fordern, zeugt von einer gewissen Ängstlichkeit, denn 1939 waren Gutachten für die Verhandlungen mit den Weinmann- Brüdern angefertigt und die damaligen Werte als angemessen bewertet worden.

128 STA W NWA 2/5414: Brief der SUBAG/Nathow an Hans Kehrl, 17.5.1943. 129 STA W NWA 2/5414: Brief Rittstieg an SUBAG/Nathow, 30.8.1943. 130 STA W NWA 2/5414: Brief des Reichswirtschaftsministeriums/Kehrl an die SUBAG, 18.5.1943. 131 BAB R 3101/33163, Bl. 57: Vermerk des Reichswirtschaftsministeriums zum Verkauf der WBAV- Aktien, 22.2.1944. 132 BAB R 3101/33163, Bl. 59: Brief Rittstieg an Reichswirtschaftsminister, 28.2.1944. 133 STA W NWA 2/5414: Brief Rittstieg an SUBAG/Nathow, 30.8.1943. 170 Geschäftsführung für die Reichswirtschaftshilfe in den Grenzgebieten Zwischenfazit

In Bezug auf die Beteiligung der Treuarbeit an der »Arisierung« der beiden Montan- komplexe Petschek und Weinmann ergibt sich folgendes Bild: Die Prüfungsgesellschaft erhielt mit der Übernahme vielfältiger Prüfungen ein umfangreiches Neugeschäft. Am Anfang standen Bewertungsprüfungen, die zur Preisfeststellung gegenüber den jüdischen Eigentümern herangezogen wurden. Hierbei gab es allerdings eine Aufgaben- teilung zwischen Bergbauexperten und der Treuarbeit, die die Bewertung der Sach- anlagen nicht selbst vornahm. In der Folgezeit erhielt die Treuarbeit weitere Einzelauf- träge für Gründungs- und Verschmelzungsprüfungen von Unternehmen und schließ- lich für Statusprüfungen, die beim Weiterverkauf der »arisierten« Unternehmen an die SUBAG durchzuführen waren. Diese vor dem Hintergrund der »Arisierung« neu entstandene Bergbaugesellschaft wurde Dauerkundin der Treuarbeit und bestellte die Prüfungsgesellschaft zum Abschlussprüfer. Das gesamte Aufgabenbündel wickelte die Treuarbeit fast ohne Konkurrenz ab.134 Mit den Akteuren der »Arisierungen« stand die Treuarbeit bereits in engem Kontakt: Die Dresdner Bank ließ auch ihre eigenen Bilanzen von der Treuarbeit prüfen, ebenso die Reichswerke »Hermann Göring«. Das RWM war Aufsichtsbehörde der Wirtschafts- prüfer, Auftraggeber der Treuarbeit (Reichsbürgschaften, Reichswirtschaftshilfe) und in ihrem Aufsichtsrat vertreten. Diese langjährigen arbeitsmäßigen Beziehungen und persönlichen Kontakte erleichterten ihr zum einen die Anbahnung weiterer Geschäfte. Zum anderen war sie vermutlich die einzige Gesellschaft, die aufgrund dieser Bindungen auch von konkurrierenden Institutionen wie dem RWM und den Reichswerken als vertrauenswürdig akzeptiert wurde. Dies galt auch für Rittstieg als Veräußerungstreu- händer.

4.3 Geschäftsführung für die Reichswirtschaftshilfe in den Grenzgebieten links: Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treu- arbeit in Europa Zu einem Schwerpunkt im Treuhandgeschäft der Treuarbeit entwickelte sich seit dem rechts: Geschäftsführung für die Reichswirtschaftshilfe Jahr 1938 die sogenannte Reichswirtschaftshilfe. Hierbei handelte es sich um finanzielle in den Grenzgebieten Hilfen des Reichswirtschaftsministeriums für die gewerbliche Wirtschaft in den annektierten und besetzten Grenzgebieten des Deutschen Reiches. Diese finanziellen Hilfen zielten darauf ab, »volksfremde Unternehmen in volksdeutschen Besitz« zu über- führen und durch den Krieg notleidend gewordene Unternehmen wieder leistungsfähig zu machen, damit die »Erzeugungsmöglichkeit« dieser Unternehmen »in die Planung des großdeutschen Wirtschaftsausbaus« einbezogen und für »wehr-, volks- und ernährungs-

134 Lediglich einige Jahresabschlussprüfungen wurden von der Nordböhmischen Treuhandgesellschaft AG in Reichenberg, einer Tochtergesellschaft der Treuverkehr Deutsche Treuhand AG, vorgenommen. 171 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa wirtschaftliche Zwecke des Reichs […] dienstbar« gemacht werden konnte.135 Die Reichswirtschaftshilfe wurde zwischen 1938 und 1940 in österreichischen Gebieten, im Sudetengau, im »Protektorat Böhmen und Mähren«, in den »eingegliederten« Gebieten Polens, in Danzig, im Bezirk Bialystok sowie in Westeuropa im Elsaß, in Lothringen und für »ehemals freigemachte westliche Grenzgebiete« zur Verfügung gestellt.136 Die Reichswirtschaftshilfe wurde in Form von reichsverbürgten Krediten und Reichshilfen aus Haushaltsmitteln entweder als Reichsdarlehn, Zinszuschüsse oder bare Zuschüsse gewährt. »Richtlinien« regelten die Übernahme einer Reichsbürgschaft für Bankkredite und die Gewährung von Reichsdarlehn und Reichszuschüssen.137 »Nicht- arische Betriebe oder nichtdeutsche Betriebe«, so führten die »Richtlinien« aus, »kom- men für die Gewährung reichsverbürgter Kredite nur in Betracht, wenn sie von einem deutschen Treuhänder verwaltet werden.«138 In Österreich hatte der Antragsteller dem Kreditantrag eine Erklärung beizufügen, dass er »deutschblütig (deutschen oder art- verwandten Blutes)« war.139 Die Kredit- und Bürgschaftsanträge wurden in den ver- schiedenen Regionen von unterschiedlichen Instanzen bewilligt. Beispielsweise war für die Alpen- und Donaureichsgaue der Bevollmächtigte des Reichswirtschaftsministers in Wien, für den Sudetengau der Reichsstatthalter und für Lothringen der Chef der Zivilverwaltung zuständig. Die Entscheidungen wurden je nach Höhe der Hilfen von Kreditausschüssen auf Bezirks-, Gau- oder Reichsebene getroffen.140 Die Treuarbeit war auf der Ebene der Gaukredit- oder Hauptkreditausschüsse geschäftsführend vor Ort tätig. Je nach Region entschieden diese Kreditausschüsse bei Krediten ab 5.000 RM, ab 10.000 RM oder ab 25.000 RM.141 Im Regierungsbezirk

135 BAB R 2301/6545: Rechnungshof des Deutschen Reiches »Beitrag zur Denkschrift Reichswirtschafts- hilfe für ‚gewerbliche‘ Betriebe«, 30.9.1943, 2 (Zitate). 136 Ebd., S. 2, 3: Bei den sogenannten freigemachten Gebieten handelte es sich um Regionen im Saarland, der Pfalz und Badens, die wegen des Krieges geräumt und nach Juni 1940 wiederbesiedelt worden waren, siehe: BAB R 2301/6538: Vermerk des Reichswirtschaftsministeriums, 4.7.1940. 137 BAB R 2301/6545: Rechnungshof des Deutschen Reiches »Beitrag zur Denkschrift Reichswirtschafts- hilfe für ‚gewerbliche‘ Betriebe«, 30.9.1943, 3, 4. Die für die Durchführung der Reichswirtschaftshilfe erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erließ der Reichswirtschaftsminister in Absprache mit dem Reichsfinanzministerium. 138 BAB R 2301/6536, Bl. 78–81: Richtlinien für die Übernahme einer Reichsbürgschaft für Kredite zur Förderung der Wirtschaft im Gebiet des Regierungsbezirks Kattowitz, hier: Bl. 78, Ziffer 2. 139 BAB R 2301/6541, Bl. 8R: Ziffer 7, aus: »Richtlinien für die Übernahme einer Reichsbürgschaft für Kredite zur Förderung der Wirtschaft in den befreiten Gebieten der Steiermark und Oberkrains«. 140 BAB R 2301/6545: Rechnungshof des Deutschen Reiches »Beitrag zur Denkschrift Reichswirtschafts- hilfe für ‚gewerbliche‘ Betriebe«, 30.9.1943, 4, 5. Die Entscheidungskompetenz für sogenannte Klein- kredite, die je nach Region bis zu 25.000 RM betragen konnten, lag in der Regel bei den Regierungs- präsidenten oder den unteren Verwaltungsbehörden wie dem Landrat oder Oberbürgermeister. 141 BAB R 2301/6521, Bl. 6: Im Sudetenland lag die Grenze bei 5.000 RM (Bericht des Reichsrechnungs- hofes über die Prüfung der Maßnahmen für die Reichswirtschaftshilfe, März 1939); BAB R 2301/6534, Bl. 84: Im »Reichsgau Danzig-Westpreußen« übernahm die Treuarbeit Tätigkeiten erst bei Krediten ab 10.000 RM (Bericht des Reichsrechnungshofes über die Prüfung der Maßnahmen für die Reichs- wirtschaftshilfe, September 1943). BAB R 2301/6541, Bl. 9: In Steiermark und Oberkrain übernahm die Treuarbeit Tätigkeiten erst bei einem Kredit ab 25.000 RM (»Richtlinien für die Übernahme einer Reichsbürgschaft«). 172 Geschäftsführung für die Reichswirtschaftshilfe in den Grenzgebieten Kattowitz bearbeitete die Treuarbeit sämtliche Kredite.142 Die Aufgabe der Treuarbeit umfasste die »Durchführung der Reichswirtschaftshilfe, die Überwachung der Zins- und Tilgungsbeträge sowie die treuhänderische Verwaltung und Verwertung der Sicher- heiten für notleidend gewordene Darlehn.« Die konkrete Ausführung der einzelnen Arbeiten übernahmen die Niederlassungen der Treuarbeit in Wien, Danzig, Reichen- berg, Kattowitz und Saarbrücken sowie die Tochtergesellschaft RETOG in Prag. Nur im Elsaß wurde die Reichswirtschaftshilfe von einer anderen Wirtschaftsprüfungsgesell- schaft bearbeitet: der Straßburger Zweigstelle der Süddeutschen Treuhand AG.143 Den Kreditausschüssen, die bei jeder entscheidungsbefugten Dienststelle gebildet wurden, gehörten Vertreter des Reichs, der Partei, des Handwerks, des Gewerbes oder der Industrie sowie der kreditgebenden Banken an. Kreditgebende Banken waren Berliner Großbanken,144 lokale Kreditinstitute und die Kreditanstalt der Deutschen.145 Ver- treter der beteiligten Reichsministerien hatten bezüglich der Kreditentscheidungen ein Vetorecht.146 So nahmen an der 20. Sitzung des Gaukreditausschusses in Saarbrücken am 8. Juni 1944 Ministerialrat Dr. Dahlgrün als Vertreter des Reichsstatthalters und des Reichs- finanzministeriums, Direktor Dr. Martin von der Filiale Saarbrücken der Deutschen Bank, Direktor Staehler von der Landesbank und Girozentrale Westmark in Saarbrücken, Herr Mallet von der Sparkasse der Stadt Saarbrücken, Diplom-Kaufmann Morgen- stern von der Gauwirtschaftskammer Westmark in Saarbrücken sowie Dr. Jakobs, Dr. Haaker und Herr Hollerith von der Treuarbeit in Saarbrücken teil.147 Den Vor- sitz hatte Dr. Dahlgrün, das Protokoll fertigte Herr Hollerith.148 An der Sitzung des Gaukreditausschusses für das Gebiet Danzig-Westpreußen am 13. Juli 1943 nahm neben

142 BAB R 2301/6536, Bl. 71, 72: Der Reichswirtschaftsminister an Treuarbeit, Berlin, 13.12.1939, betr.: Reichswirtschaftshilfe im Gebiet des Regierungsbezirks Kattowitz. 143 BAB R 2301/6545: Rechnungshof des Deutschen Reiches »Beitrag zur Denkschrift Reichswirtschafts- hilfe für ‚gewerbliche‘ Betriebe«, 30.9.1943, 5. 144 BAB R 2301/6536, Bl. 91: Zur Kreditversorgung im Gebiet des Regierungsbezirks Kattowitz stellte die Deutsche Bank Berlin ein Volumen von 20 Millionen RM, die Dresdner Bank, Berlin, ein Volumen von zehn Millionen und die Schlesische Landesbank – Girozentrale, Breslau, ein Volumen von drei Millionen RM zur Verfügung (Schreiben des Reichswirtschaftsministeriums an den Reichsrechnungs- hof, 15.1.1940). 145 BAB R 2301/6521, Bl. 5 aus: »Niederschrift über das Ergebnis der kurzen örtlichen Überprüfung der Maßnahmen zur Durchführung der Reichshilfe für die gewerbliche Wirtschaft in den sudeten- deutschen Gebieten«. Die Kreditanstalt der Deutschen war eine 1911 gegründete Kreditgenossen- schaft der deutschen Minderheit, die in den 1930er Jahren einen völkisch-nationalistischen Kurs ver- trat. 146 BAB R 2301/6545: Rechnungshof des Deutschen Reiches »Beitrag zur Denkschrift Reichswirtschafts- hilfe für ‚gewerbliche‘ Betriebe«, 30.9.1943, S. 5. 147 Ein weiterer Sitzungsteilnehmer eines Kreditinstitutes, Direktor Krieger von der Vereinsbank Saar- brücken eGmbH, hatte sich entschuldigen lassen. 148 BAB R 2301/6539, Bl. 112: Niederschrift über die 20. Sitzung des Gaukreditausschusses am 8.6.1944 in Saarbrücken in Sachen Wiederaufbaukredite. 173 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa den Behörden- und Wirtschaftsvertretern auch ein Vertreter des »Reichskommissars für die Festigung des deutschen Volkstums« teil.149 Bis zum 31. Dezember 1942 bearbeiteten die Außenstellen der Treuarbeit etwa 20.000 Anträge für reichsverbürgte Kredite mit einem Volumen von 734 Millionen RM. Die durchschnittliche Kreditsumme über alle Jahre hinweg betrug rund 32.000 RM. Die Anzahl der Anträge war vom Höchststand im Jahr 1939 mit etwa 5.500 Anträgen auf gut 4.000 Anträge im Jahr 1942 zurückgegangen. Die durchschnittliche bewilligte Kredit- summe war im Jahr 1942 jedoch deutlich auf 57.000 RM angestiegen. Kreditausfälle gab es kaum. Die Reichshilfe betrug hingegen nur insgesamt rund 24 Millionen RM. Sie wurde vor allem in den Alpen- und Donaureichsgebieten und im Sudetenland in Anspruch genommen und dabei auch für Erzeugungsverluste im Kohlenbergbau und Betriebsverluste in der Eisen-, Papier- und Hohlglasindustrie erstattet.150 Die neue Aufgabe wurde der Treuarbeit zunächst mündlich übertragen. Den schrift- lichen Auftrag für die geschäftsführende Tätigkeit beispielsweise in Österreich und im Sudetenland erhielt die Treuarbeit erst etwa ein Vierteljahr nach Tätigkeitsbeginn.151 Ihre Tätigkeit begann mit der Prüfung der einlaufenden Kreditgesuche auf vollständige und sachgemäße Angaben, zu denen auch Angaben über die Vermögens- und wirtschaftlichen Verhältnisse, die Kreditsicherheiten und den Verwendungszweck des Kredites gehörten. Sie hatte ebenso für die Vollständigkeit der nach den »Richtlinien« den Anträgen bei- zufügenden Unterlagen, unter anderem Gutachten des Gauwirtschaftsberaters und der Handelskammer, zu sorgen. Schließlich fasste sie die wesentlichen Inhalte der einzelnen Anträge in Form eines schriftlichen »Vorberichtes« zusammen. Für den Hauptkredit- ausschuss (HKA) im »Protektorat« beispielsweise gliederte die RETOG diese »Vor- berichte« zu den einzelnen Kreditnehmern schematisch in fünf Abschnitte: »Arbeits- plan«, »Verwendungs- und Finanzplan«, »Sicherheiten«, »Wirtschaftliche Lage« und »Stellungnahmen«. Diese Abschnitte enthielten Aussagen zum beruflichen Werdegang des Kreditnehmers, zur Entwicklung des zu übernehmenden Unternehmens sowie zum Verwendungszweck und der beabsichtigten Laufzeit des Kredites. Ferner wurden die Sicherheiten aufgelistet – so die Übereignung von Warenlagern, Bürgschaften von Familienmitgliedern des Kreditsuchenden oder die Verpfändung von Wertpapieren – und die Vermögenslage, die Verbindlichkeiten und die Ertragslage des Kreditnehmers nach dessen eigenen Angaben von der RETOG kurz skizziert. Die zentralen Inhalte der Stellung nehmenden Instanzen, nämlich der Wirtschafts- und Parteivertreter sowie der kreditgebenden Banken, gab die RETOG in Form von Zitaten wieder. In der 4. Sitzung des HKA am 4. Juni 1940 wurden auch drei Kreditanträge besprochen, die »arisierte« Betriebe behandelten: ein Pelzgeschäft, eine Textilwaren-Großhandlung und ein Unter-

149 BAB R 2301/6534: Sitzung des Gaukreditausschusses, 13.7.1943. 150 BAB R 2301/6545: Rechnungshof des Deutschen Reiches »Beitrag zur Denkschrift Reichswirtschafts- hilfe für ‚gewerbliche‘ Betriebe«, 30.9.1943, 6, 7, 8. Bei den genannten Beträgen wurden die auf das Elsaß entfallenden Beträge herausgerechnet. 151 BAB R 2301/6521, Bl. 29–31: Brief des Reichswirtschaftsministeriums an die Treuarbeit, Berlin, 31.3.1939, betr.: Reichswirtschaftshilfe. 174 Geschäftsführung für die Reichswirtschaftshilfe in den Grenzgebieten nehmen zur Pelzwarenherstellung.152 Die »Vorberichte« informierten die Sitzungsteil- nehmer darüber, dass die Kreditsuchenden bereits als Treuhänder in den Firmen tätig waren und es sich bei den zu übernehmenden Betrieben um ein für die jeweilige Branche bedeutendes Unternehmen handelte. Die »Stellungnahmen« gingen sowohl auf die fachliche und politische Eignung der Kreditsuchenden wie auch auf die wirtschaftliche Entwicklung der zu übernehmenden Firmen ein. Die drei Kreditanträge wurden positiv entschieden. So konnte der Kürschnermeister Mühlhans, dessen eigene Geschäfte »zu wünschen übrig« ließen, das deutlich solidere Pelzgeschäft Freiberg übernehmen. Der Textilwarenhändler Pohl rechnete »durch den Wegfall [des] jüdischen Konkurrenzunter- nehmens« Pachner & Sohn »mit einem bedeutenden Aufschwung seines Geschäftes«. Die Umsätze bei Pachner & Sohn betrugen mehr als das Achtfache der Umsätze Pohls. Die Arisierungspolitik im »Protektorat« in Verbindung mit der Reichswirtschaftshilfe ermöglichte es Kleinunternehmern, größere Betriebe zu erwerben. Auf diese Weise erhielt auch der Angestellte Richter von der Kürschnereigenossenschaft in Hlinsko die Gelegenheit, sich mit 26 Prozent an einem Pelzunternehmen mit mehr als 200 Mit- arbeitern, der Pelzindustrie AG, zu beteiligen. In ihren »Vorberichten« beschränkte sich die RETOG darauf, die Daten zusammen- zustellen. Eigene Aussagen der Prüfungsgesellschaft lassen sich allenfalls zwischen den Zeilen erahnen, wenn die RETOG auf eine »bedeutende Arisierungsgebühr« und damit auf neue Belastungen des Kreditnehmers Richter hinweist oder für das Warenlager Frei- berg/Mühlhans »eine nicht unbeträchtliche Reserve« konstatiert und damit auf nicht ausgewiesenes Vermögen aufmerksam macht. Die »Vorberichte« stellten die maßgeb- liche Grundlage für die Kreditbewilligung dar. Die Kreditanträge wurden also grund- sätzlich nach Aktenlage entschieden. »Nur in Fällen, in denen wegen der Höhe der erbetenen Kredite oder wegen der Undurchsichtigkeit der Wirtschaftslage eine genaue Durchleuchtung der gesamten Verhältnisse unumgänglich ist, werden besondere Buch- und Betriebsprüfungen […] veranlasst, die alsdann von einem Prüfer der Treuarbeit in 2- bis 3-wöchiger Arbeit an Ort und Stelle durchgeführt werden.«153 Dies war bei- spielsweise beim Firmenkomplex Inwald/Rindskopf der Fall. Im April 1937 hatte die Glasfabriken und Raffinerien Josef Inwald AG aus Prag 99 Prozent des Kapitals der Josef Rindskopf’s Söhne Glasfabriken AG mit Sitz in Teplitz-Schönau übernommen. Das Kapital der Inwald AG wiederum war im Besitz der Böhmischen Escompte-Bank und Creditanstalt (Bebca). Beide Glasfabriken galten als jüdisch und sollten nach der Besetzung des Sudetenlandes »arisiert« werden. Die Dresdner Bank wollte die Inwald AG-Aktien übernehmen. Da der Betrieb der Firmen sehr verlustreich war, beantragte die Dresdner Bank im Spätsommer 1939 eine Investitionsbeihilfe im Rahmen der

152 Für das Folgende: BAB R 2301/6533, Bl. 93–97: Vorbericht »Michael Mühlhaus/Leopold Freiberg«, Bl. 98–101: Vorbericht »Wilhelm Pohl/Pachner & Sohn«, Bl. 108–111: Vorbericht »Arthur Richter/ Pelzindustrie AG«. 153 BAB R 2301/6533, Bl. 67–72: Bericht über die örtliche Prüfung der mit der Durchführung von wirtschaftlichen Maßnahmen betreuten Dienststellen in Prag und in Reichenberg in der Zeit vom 3. bis 7.6.1940, hier: Bl. 70. 175 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa Reichswirtschaftshilfe in Höhe von 2,2 Millionen RM.154 Der Beauftragte des Reichs- wirtschaftsministers, Dr. Carl Bernhard Zee-Heraeus, erteilte daraufhin der Nieder- lassung der Treuarbeit in Reichenberg den Auftrag, die wirtschaftlichen Verhältnisse zu prüfen und ein Gutachten darüber zu erstellen, ob und in welcher Form die Beihilfe gewährt werden sollte. In ihrem Bericht ging die Niederlassung zunächst auf die viel- fältigen Prüfungshindernisse ein, die sie in der Betriebsstätte »Rudolfshütte« in Wistritz und in der Zentrale in Prag vorfand: Die zahlreich vorgenommenen Aufrechnungen von Forderungen und Schulden mussten verifiziert werden, Inventarverzeichnisse des Anlagevermögens fehlten, Konten wurden »unübersichtlich« geführt. Etliche unauf- geklärte Differenzen zwischen der Jahresabschlussbilanz 1938 und der »Einbringungs- bilanz« zum 1. Januar 1939 erschwerten die Prüfung ebenso wie die »mangelnde Prüfungsbereitschaft«. Trotz dieser Probleme kam die Niederlassung zu eindeutigen Prüfungsurteilen: Der im Hinblick auf den Arbeitsablauf und die Erzeugungsmethoden unwirtschaftlich geführte Betrieb benötige »durchgreifende Rationalisierungsmaß- nahmen«. Die Notwendigkeit neuer Investitionen sei daher »ohne weiteres gegeben.« Im Gegensatz zur beantragten Kredithöhe sahen die Prüfer einen Betrag von 1,6 Millionen RM als ausreichend an. »Hiervon dürfte die Firma nach Vereinnahmung der Brand- entschädigung […] RM 600.000 aus eigenen Mitteln aufbringen können, sodass sich die aufzunehmenden Mittel auf rd. RM 1 Mill. beschränken könnten.« Während die Niederlassung die Vermögenslage als gut bezeichnete, bewertete sie die Ertragslage als »äusserst [so!] ungünstig«. Dies lag auch an der mangelhaften Kalkulation, die zu einer fehlerhaften Verkaufspolitik führte. Zusätzlich zur Ursachendarlegung gaben die Prüfer weitere klare Empfehlungen für die Zukunft: Um eine Rentabilitätsverbesserung zu erreichen, müsse neben der beabsichtigten technischen Rationalisierung auch eine »Leistungssteigerung der Gefolgschaft in starkem Umfange hinzukommen.« Ferner sollten Arbeitskräfte durch die »Inbetriebnahme von Vollautomaten« eingespart werden. Angesichts der Unsicherheit über die künftige Ertragsgestaltung hielt die Niederlassung es »nicht für angängig, eine entgültige Entscheidung über die Art der Investitionsbei- hilfe zu fällen.« Vielmehr schlugen die Prüfer vor, dem Unternehmen auf Dauer von zwei Jahren ein zinsloses und tilgungsfreies Reichsdarlehn einzuräumen. Nach Ablauf des »ersten normalen Geschäftsjahres« sollte eine erneute Überprüfung der wirtschaft- lichen Verhältnisse Klarheit über die Ertragskraft des Unternehmens schaffen.155 Weiteres Prüfungspotenzial tat sich auch für die RETOG im »Protektorat« auf. Bei zweckgebundenen Darlehn prüfte die Tochtergesellschaft der Treuarbeit nämlich auch die Jahresbilanzen der Kreditnehmer. Wollte der Betrieb weitere anderweitige Darlehn aufnehmen, musste er sich an die RETOG wenden.156 In Kattowitz musste der kredit-

154 Wixforth, Expansion (2006), 189–192. 155 BAB R 2301/6532, Bl. 103–142: Prüfungsbericht Inwald/Rindskopf Glasfabriken, Bl. 1–4, 139–143. In der Akte liegen weitere elf Prüfungsberichte zu Firmen im Sudetenland vor. 156 BAB R 2301/6533, Bl. 86: Muster der »RETOG« für einen Darlehnsvertrag, o. D. 176 Geschäftsführung für die Reichswirtschaftshilfe in den Grenzgebieten nehmende Betrieb die Zustimmung der Treuarbeit einholen, wenn er eine Dividende von mehr als 4,5 Prozent ausschütten wollte.157 Die Treuarbeit fertigte auch die Protokolle zu den Kreditausschusssitzungen an. Sofern wegen der Kredithöhe die Kreditentscheidungen vom Reichswirtschaftsminis- terium getroffen werden mussten, sandte die Treuarbeit die Kreditunterlagen an die zuständigen Dienststellen der Beauftragten des Ministeriums. Schließlich führte sie die Entscheidungen der Ausschüsse aus: Die Treuarbeit schloss die Kreditverträge ab und sprach namens des Reiches die Bürgschaft aus. Stellte die beteiligte Bank eine Kredit- gefährdung oder Vertragsverletzung durch die Kreditnehmer fest, informierte sie die Treuarbeit, die ihrerseits der zuständigen Entscheidungsinstanz Mitteilung machte. Im Falle einer Inanspruchnahme der Bürgschaft durch eine Bank prüfte die Treuarbeit die- sen Antrag und legte ihn zur Entscheidung vor. Leistete das Reich dann eine Zahlung aus der Bürgschaft, war es Aufgabe der Treuarbeit, treuhänderisch die Rechte des Rei- ches, beispielsweise an den Sicherheiten, geltend zu machen.158 In Österreich und im »Protektorat« gehörte es außerdem zum Tätigkeitsumfang der Treuarbeit, die Auszah- lung der bewilligten Kreditbeträge an die Empfänger vorzunehmen und die pünktliche Zahlung der Zins- und Tilgungsbeträge zu überwachen. Die Treuarbeit wurde deshalb vom Reichswirtschaftsminister ermächtigt, die Haushaltsmittel bei der Reichshaupt- kasse nach Bedarf abzurufen.159 Die Treuarbeit erfuhr mit der Übernahme der Geschäftsführung für die Reichswirt- schaftshilfe einen recht wechselhaften Geschäftsverlauf. So gewann die Kreditaktion im Sudetenland nach einem verhaltenen Start im Dezember 1938 erst im Frühjahr 1939 an Fahrt. Allein die 10. Sitzung des Gaukreditausschusses am 13. April 1939 befasste sich mit mehr als 60 Anträgen mit einem Volumen von 6,7 Millionen RM. Dies verdankte sich auch der sogenannten Böhmerwald-Aktion. Teile des Sudetengaus, nämlich das Gebiet des Böhmerwaldes in Niederbayern und der Oberpfalz, wurden verwaltungsmäßig Bayern zugeschlagen und Gauleiter Wächtler wollte Reichsmittel zur Sanierung von Hotels einsetzen. Mit der Aufbereitung der Kreditanträge für einen besonderen Kredit- ausschuss in Bayreuth war ebenfalls die Treuarbeit beauftragt. Diese »Sondereinrichtung« rief jedoch Kritik hervor. Das Reichswirtschaftsministerium setzte daher durch, dass auch diese Kredit- und Bürgschaftsvergaben in Reichenberg bearbeitet wurden. Nach Kriegsausbruch kam es erneut zu einer Flaute. Im Frühjahr 1940 stieg jedoch die Anzahl

157 BAB R 2301/6536, Bl. 67: Allgemeine Vertragsbedingungen zu den Kreditverträgen mit Empfängern von reichsverbürgten Krediten (Ziffer 1). 158 BAB R 2301/6521, Bl. 29–31: Brief des Reichswirtschaftsministeriums an die Treuarbeit, Berlin, 31.3.1939, betr.: Reichswirtschaftshilfe. 159 BAB R 2301/6541, Bl. 2, 3: Brief des Reichswirtschaftsministeriums an Chefs der Zivilverwaltung in Graz und Klagenfurt, betr.: Reichswirtschaftshilfe in Steiermark und Oberkrain, 9.3.1942; BAB R 2301/6533, Bl. 77: Brief des Reichswirtschaftsministers an den Reichsprotektor, betr: volksdeutsche Wirtschaft im Protektorat Böhmen und Mähren, 15.2.1940; hier ging die Ermächtigung an die »Retog«, die Tochtergesellschaft der Treuarbeit. 177 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa der Anträge wieder an.160 Bis zur 84. und letzten Sitzung am 22. Januar 1945 gingen bei der Treuarbeit in Reichenberg insgesamt 1.457 Anträge mit einem Gesamtvolumen von 152,3 Millionen RM ein. Letztlich wurden etwa die Hälfte der beantragten Gelder ver- ausgabt.161 Da es sich bei der Reichswirtschaftshilfe um Haushaltsmittel handelte, hatte der Reichsrechnungshof ein Prüfungsrecht gegenüber den an der Ausführung beteiligten Stellen. Der Rechnungshof bestätigte der Niederlassung Reichenberg anlässlich seiner Prüfung im Sommer 1940, »gute Arbeit« zu leisten.162 Voller Lob war auch Dr. Formanek, vormals österreichischer Ministerialrat und nun Leiter der Dienststelle des Beauftragten des Reichswirtschaftsministeriums, Zee-Heraeus, in Reichenberg:163 Die im Rahmen der »Eisenpreisverlust-Entschädigungsaktion« von der Treuarbeit bei den Antragstellern durchgeführten Prüfungen »haben eindeutig erwiesen«, dass nur diese Prüfungen Klarheit über die tatsächlichen Vermögens- und Ertragsverhältnisse der antragstellenden Firmen und damit eine Grundlage für die Vergütungsberechtigung und ihre Höhe schaffen. Formanek betonte mehrfach, dass eine Beurteilung allein aufgrund von Angaben des Antragstellers unzureichend sei. Die Industrie- und Handelskammer (IHK) hatte zunächst vorgeschlagen, bei Vergütungen bis 50.000 RM von einer Prüfung abzusehen, später aber selbst Prüfungen befürwortet. Der Nutzen der Treuarbeit hatte offenbar auch die IHK überzeugt. Ursprünglich hatten 22 Antragsteller Lagerverluste in Höhe von knapp 700.000 RM angemeldet. Durch die Prüfung der Treuarbeit zogen sieben Antragsteller ihre Anträge zurück und letztlich betrugen die Erstattungen aus der Staatskasse nur rund 213.000 RM. An Prüfungsgebühren des Reiches für die Treu- arbeit fielen lediglich 1.500 RM an.164 Dieses Beispiel zeigt, dass die Prüfungstätigkeit der Treuarbeit nicht nur Informationsasymmetrien beseitigte (und wohl auch den einen oder anderen moral-hazard-Versuch vereitelte), sondern die Prüfungskosten deutlich unter den ersparten Aufwendungen lagen, die Prüfungen also aus Sicht des Auftrag- gebers unter wirtschaftlichen Aspekten vorteilhaft waren.

160 BAB R 2301/6533, Bl. 62–72: Bericht über die örtliche Prüfung der mit der Durchführung von wirtschaftlichen Maßnahmen betreuten Dienststellen in Prag und in Reichenberg in der Zeit vom 3. bis 7. Juni 1940, hier: S. 10–15; zur »Böhmerwaldaktion« siehe auch Osterloh, Judenverfolgung (2006), 385–388. 161 Osterloh, Judenverfolgung (2006), 391. Die Anzahl der Anträge ist zu gering. Nach BAB R 2301/6545, Rechnungshof des Deutschen Reiches »Beitrag zur Denkschrift Reichswirtschaftshilfe für ‚gewerb- liche‘ Betriebe«, 30.9.1943, S. 6, lag die Zahl der bewilligten (!) Anträge per 31. Dezember 1942 für den Sudetengau schon bei 3.090. Die bewilligte Kredithöhe lag bei 75,2 Millionen RM. 162 BAB R 2301/6533, Bl. 67–72: Bericht über die örtliche Prüfung der mit der Durchführung von wirtschaftlichen Maßnahmen betreuten Dienststellen in Prag und in Reichenberg in der Zeit vom 3. bis 7. Juni 1940. 163 BAB R 2301/6533, Bl. 58–73: Bericht über die örtliche Prüfung der mit der Durchführung von wirtschaftlichen Maßnahmen betreuten Dienststellen in Prag und in Reichenberg in der Zeit vom 3. bis 7. Juni 1940, hier Bl. 68. 164 BAB R 2301/6533, Bl. 39–41: Brief Dr. Formanek/Reichenberg an Reichswirtschaftsministerium, 19.5.1941 zum Ersatz von Prüfungsgebühren bei der Eisenpreisverlust-Entschädigung. 178 Geschäftsführung für die Reichswirtschaftshilfe in den Grenzgebieten Die Pflichten der Treuarbeit als Geschäftsführerin der Kreditausschüsse umfassten zudem eine zeitnahe und umfangreiche Berichterstattung an das Reichswirtschafts- ministerium und den Reichsrechnungshof. Sie beinhaltete einerseits zusammenfassende Darstellungen der genehmigten reichsverbürgten Kredite, der Reichsbürgschaften sowie der Darlehn und Kapitalzuschüsse aus Haushaltsmitteln. Und sie enthielt anderer- seits detaillierte Auflistungen aller Kredit- und Bürgschaftsnehmer mit Angaben zu den kreditgebenden Instituten, dem Tag der Kreditbewilligung, Kreditbeträgen, der quotalen Höhe der Reichsbürgschaft und dem Jahr der Schlusstilgung.165

Zwischenfazit

Bei der Bearbeitung der Reichswirtschaftshilfe war die Treuarbeit ein zentraler Akteur und erfüllte mit der Geschäftsführung der Kreditausschüsse die Funktion einer »Dienst- stelle des Reiches«. Sie bewegte sich erfolgreich in einem komplexen Geflecht aus lokalen Partei- und Wirtschaftsvertretern, Großbanken und lokalen Kreditinstituten sowie obersten Reichsbehörden wie dem Reichswirtschaftsministerium und dem Rechnungs- hof des Deutschen Reiches; gleichzeitig war sie zentraler Ansprechpartner für die Kredit- antragsteller. Bei der Prüfungsgesellschaft liefen alle Informationen zusammen und sie sorgte für einen reibungslosen Ablauf von der Antragstellung über die Bewilligung und die vertraglichen Vereinbarungen bis zur eventuell erforderlich werdenden Verwertung der Sicherheiten. Darüber hinaus konnte die Treuarbeit in Fällen hoher Kreditbeträge mit durch Prüfungen gewonnenen Erkenntnissen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen eine eigene Expertise erstellen. So trug die Gesellschaft mit ihrer Tätigkeit insgesamt dazu bei, die aus Sicht des NS-Regimes wichtigen wirtschaftspolitischen, ideologischen und propagandistischen Zielsetzungen in den Grenzgebieten zu erfüllen: Nichtdeutsche und Juden sollten vertrieben, die deutsche Bevölkerung für das Regime gewonnen werden.166

165 BAB R 2301/6536, Bl. 2–5, 26–28, 48–59: Berichte der Treuarbeit, Zweigniederlassung Kattowitz, an das Reichswirtschaftsministerium und den Reichsrechnungshof zum 31.12.1940 und 30.6.1941; eine gesonderte Berichterstattung erteilte die Treuarbeit, Zweigniederlassung Saarbrücken, dem Reichs- rechnungshof zu einer sogenannten Umwandlungsaktion, bei der »seinerzeit unter Globalbürgschaft gestellte[…] Kredite […] in das Individualverfahren« überführt wurden – siehe BAB R 2301/6539, Bl. 55–62: Brief Treuarbeit an Reichsrechnungshof, 18.6.1942. 166 Volksmann, »Eingliederung« (2003), 192, 193: Im Sudetenland lag die Lebenshaltung der Bevölkerung weit unter dem Niveau in Deutschland. Die ökonomischen Erwartungen der Bevölkerung an die Vereinigung mit dem Reich waren hoch und das NS-Regime durfte diese Erwartungen aus politisch- psychologischen Erwägungen nicht enttäuschen. 179 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa 4.4 Berichterstattung zu Rohstoffen links: Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treu- in Frankreich, Belgien und Norwegen arbeit in Europa rechts: Berichterstattung zu Rohstoffen in Frankfreich, Belgien und Norwegen Mit der Besetzung nord- und westeuropäischer Länder im Frühjahr 1940 verfolgte das Deutsche Reich militärische und wirtschaftspolitische Ziele: Die besetzten Länder sollten ihre Rohstoffressourcen und Industrieanlagen der deutschen Wirtschaft zur Ver- fügung stellen.167 Rüstungswirtschaftlich entscheidend waren dabei die belgischen und französischen Kohlevorkommen, die Erdölbesitzungen belgischer und französischer Konzerne in Rumänien sowie die reichen Bodenschätze in Belgisch-Kongo und das norwegische Aluminium.168 Viele öffentliche und privatwirtschaftliche Institutionen wie das Institut für Weltwirtschaft in Kiel, das Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt des OKW, das Reichswirtschaftsministerium, die Vierjahresplanbehörde und die IG Farben AG sowie die Reichsgruppe Industrie und das Kolonialpolitische Amt der NSDAP fertigten Studien über den erwartbaren wirtschaftlichen Ertrag an und waren an der Planung und Ausführung der Ausbeutung beteiligt.169 Nach Einschätzung des Aus- wärtigen Amtes kam insbesondere Belgisch-Kongo »in jeder mittelafrikanischen Groß- raumplanung eine Schlüsselstellung zu.« Seine reichen Mineralvorkommen könnten einen wesentlichen Teil des deutschen Bedarfs decken. In Belgisch-Kongo befand sich das größte Industriediamanten-Vorkommen der Welt; auch Kupfer, Zinn sowie Kobalt für die Ölsynthese und für die Herstellung leichter Magnete waren in Deutschland begehrt. Des Weiteren gab es Eisenerze, hochwertige Manganerze, reichhaltige Radium- erzvorkommen und Gold.170 Seit 1941 prüfte die Treuarbeit eine Vielzahl belgisch- kongolesischer Betriebe.171 Dafür verwendete sie im Jahr 1942 etwa zwei Drittel ihrer Gesamtaktivität.172 Die wirtschaftlichen Ziele Deutschlands gingen einerseits zurück auf jahrzehntealte ideologische Vorstellungen. Sie sollten andererseits aber auch ganz aktuelle Probleme lösen. Schon vor dem Ersten Weltkrieg gab es Pläne in Politik und Wirtschaft, eine kontinentaleuropäische Großraumwirtschaft unter deutscher Führung zu errichten, innerhalb derer den westeuropäischen Ländern unter Einbezug ihrer Kolonien die Rolle eines Rohstofflieferanten zugedacht war.173 Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs

167 Volkmann, »Autarkie« (2003), 247. 168 Nestler, Okkupationspolitik (1990), 23; Bundesarchiv, Europa (1992), 29. 169 Nestler, Okkupationspolitik (1990), 23, 24; Bundesarchiv, Europa (1992), 27; Eichholtz, »Institutionen« (1997), 29. 170 Hass/Schumann, Anatomie (1972), 117: Dok. 22, geheime Aufzeichnung von Ernst Bielefeld, Leiter des Referates Afrika, Mandats- und Kolonialfragen in der Politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes, vom 6.11.1940; dort auch das Zitat. 171 BAB R 1001, Bände 9737 bis 9749 haben sich erhalten. Die Firmen hatten ihren Sitz in Brüssel und in Elisabethsville. 172 BAB R 8135/10033: Vermerk zum Vorbericht Nr. I/40 Société Internationale Forestière et Minière du Congo (Diamantmine), S. 1. 173 Eichholtz, »Institutionen« (1997), 29. 180 Berichterstattung zu Rohstoffen in Frankfreich, Belgien und Norwegen steckte Deutschland, so Volkmann, in einer schweren ökonomischen und rüstungs- potenzialen Krise: Motorisierung und Munitionsversorgung der Armee waren desolat. Das Fertigungsprogramm der Wehrmacht litt unter Einschränkungen im Kohlen- und sonstigen Energieverbrauch, geradezu dramatisch war die unzureichende Kohlever- sorgung in den Großstädten Deutschlands Anfang 1940. Wegen Mineralölknappheit musste der innerdeutsche Autoverkehr eingeschränkt werden. In dieser Situation war an eine Ausweitung des Krieges zur Eroberung der UdSSR nicht zu denken. Der Krieg gegen England und Frankreich wurde daher nicht nur aus militärischen Gründen auf die neutralen Länder Belgien und die Niederlande ausgedehnt. Zur deutschen Kriegs- führung war die Nutzung der Wirtschaftskraft und der ökonomischen Ressourcen dieser Länder unerlässlich.174 Vor dem Hintergrund der Autarkiebestrebungen des NS-Regimes fand eine Abkehr von Handelsbeziehungen mit Westeuropa und eine Hinwendung nach Südosteuropa statt. Die Beherrschung der rumänischen Ölfelder spielte dabei eine wesentliche Rol- le.175 Da dortige Erdölfirmen unter westeuropäischem Einfluss standen, war es das Ziel deutscher Politik, ausländischen Eigentümern Kapitalanteile abzukaufen.176 Im Sommer des Jahres 1940 erhielt die Treuarbeit den Auftrag, die belgische und die fran- zösische Erdölwirtschaft zu prüfen, die in Rumänien Erdöl förderten. Sie sollte einen ersten Überblick über die allgemeinen, rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse »der hauptsächlich in Frage kommenden beteiligten Unternehmen und deren Konzern- beziehungen« ermöglichen.177 Die Prüfungsberichte lieferten eine Vielzahl von Detail- angaben zu Sachanlagen und Produktionskapazitäten und eine eingehende Darstellung von Kapitalverhältnissen und Besitzverflechtungen: So berichtete die Treuarbeit zur belgischen Erdölwirtschaft über die Größenordnungen der Ölleitungen, der Tankan- lagen und der Tankschiffe sowie den Umfang der jährlichen Verarbeitungskapazität der Raffinerien und der produzierten Erdölerzeugnisse. Die belgische Erdölwirtschaft wurde dominiert von der Compagnie Financière Belge des Pétroles (Petrofina). An die- sem Komplex waren Firmengruppen aus Belgien, Rumänien, England, Frankreich, dem Balkan und Afrika beteiligt. Mit einem Schaubild stellte die Treuarbeit diese etwa 40 Einzelfirmen und ihre Verflechtungen untereinander dar. Die Treuarbeit führte darü- ber hinaus minutiös das Aktienkapital, die Großaktionäre sowie die Beteiligungen und Majoritätsverhältnisse der einzelnen Firmen auf. Schließlich ging sie auch auf die in Belgien arbeitenden US-amerikanischen und englischen Konzerne wie etwa Shell ein. Zur Prüfung der französischen Erdölwirtschaft war die Treuarbeit nicht als Prüfungs- gesellschaft engagiert, sondern als »Sonderbeauftragte des Oberbefehlshabers des Heeres, des Chefs der Militärverwaltung in Frankreich«. Die Treuarbeit listete sämt-

174 Volkmann, »Autarkie« (2003), 250, 251, 273, 254. 175 Eichholtz, »Institutionen« (1997), 32. 176 Ulshöfer, Einflußnahme (1958), 39. 177 BAB R 8135/4827: Bericht über die Sonderprüfung zur belgischen Erdölwirtschaft, S. 1 (insgesamt 22 Seiten und vier zum Teil mehrseitige Anlagen); so ähnlich lautet auch die Formulierung im Bericht über die Sonderprüfung zur französischen Erdölwirtschaft (BAB R 8135/4649, 45 Seiten). 181 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa liche Produktionsgesellschaften sowie Holding-, Lager-, Vertriebs- und Transportgesell- schaften und Raffinerien auf, die Teil der französischen Erdölwirtschaft waren. Zu jeder Gesellschaft gab sie das Kapital, die Beteiligungen und die Hauptaktionäre an. Ferner informierte sie darüber, ob diese französischen Gesellschaften nur in Frankreich arbeiteten, ob sie Auslandsinteressen verfolgten oder ob sie von ausländischen Gesell- schaften abhängig waren. Des Weiteren ging die Treuarbeit auf die Entwicklung der Ein- fuhr von Rohöl und Erdölprodukten nach Frankreich ein und stellte die Beziehungen französischer Firmen zum Vorderen Orient dar. Abschließend berichtete sie über die Kapazitäten der französischen Tankschifffahrt sowie den für den Inlandstransport wichtigen Umfang der Binnenschifffahrt und der Eisenbahntankwagen. Die zum Thema Mineralöl vorliegenden Prüfungsberichte vermittelten neben den im Vorangehenden dargestellten Einblicken in nationale Erdölverhältnisse auch die auf den Einzelbetrieb ausgerichteten Informationen und erfüllten dabei recht unterschiedli- che Prüfungsziele. So sollte die Treuarbeit beispielsweise für die Südostchemie Handels- GmbH aus Berlin bei der Transpetrol in Bukarest die »schwarze Buchführung« und die »schwarze Kasse« untersuchen. Die Südostchemie hatte diese Gesellschaft im Dezem- ber 1939 aufgekauft, um »in Rumänien einen Apparat zu schaffen, der den Umschlag der von Russland auf dem Wasserweg einzuführenden Erdölerzeugnisse […] besorgen konnte«. Die Südostchemie trat jedoch nicht als Eigentümerin von Transpetrol auf, sondern zur »Tarnung« waren offiziell andere Kapitaleigner benannt. Im Jahresabschluss für das Jahr 1940 hatte die Transpetrol nun wesentlich geringere Gewinne ausgewiesen, da die »schwarzen Geschäfte« mit deutschen Stellen in einer separaten Buchführung dokumentiert waren. Diese Prüfung war wohl im Hinblick auf den begonnenen Krieg mit der UdSSR in Auftrag gegeben worden. Die Transpetrol S. A. in Bukarest sollte weiterhin dafür sorgen, dass die »eingehende Russenware« nach Deutschland gebracht wurde.178 Die Treuarbeit nahm auch Prüfungen für verschiedene Einzelgesellschaften des Shell-Konzerns in Belgien, Ungarn, Jugoslawien und Norwegen vor.179 Zur »Sicher- stellung des deutschen Einflusses auf den Shellkonzern nach dem Kriege« erstellte Vor- standsmitglied Richard Karoli im Sommer 1943 ein Gutachten.180 Die Ausbeute belgischer Kohlevorkommen war offenbar nicht so hoch wie vom deutschen Regime erwartet. Im Mai 1943 beauftragte der Militärbefehlshaber in Belgien und Frankreich die Treuarbeit mit einer Untersuchung der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit des belgischen Bergbaus, um festzustellen, »in welcher Weise und wie lange noch der belgische Kohlenbergbau die laufenden Betriebsverluste ohne Beeinträchtigung seiner Leistungsfähigkeit in sich verarbeiten kann.«181 Da der Militärbefehlshaber auf eine eilige Berichterstattung drängte, konnte die Treuarbeit

178 BAB R 8135/8058: Prüfungsbericht über den Jahresabschluss 1940 der Transpetrol, Bukarest, Oktober 1941. 179 BAB R 8135, Bände 10119 (Belgien), 7554 (Jugoslawien), 7937 (Ungarn), 7782 (Norwegen). 180 BAB R 8135/5911: Akte enthält Schriftverkehr und Aktenvermerke des Treuhänders der nieder- ländischen Shell-Gesellschaften, Eckhard von Klaß. Das Gutachten von Karoli ist nicht enthalten. 181 BAB R 8135/10094: »Schlußbericht über die bei 21 belgischen Kohlezechen durchgeführten Prüfungen der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit«, 1, 4, 6–10, 12, 36. 182 Berichterstattung zu Rohstoffen in Frankfreich, Belgien und Norwegen nicht alle 68 Zechen prüfen. Sie wählte daher repräsentativ 21 Zechen aus, mit denen sie ein Drittel der belgischen Gesamtkohlenproduktion und der Belegschaft abgriff. Die Treuarbeit bezog in ihre Analyse auch die Vorkriegszeit seit 1938 mit ein. Der Bericht der Prüfungsgesellschaft zeigte ein katastrophales Bild des belgischen Kohlebergbaus: Seit Kriegsbeginn ging die Kohleförderung ständig zurück. Die Kosten hingegen hatten sich stark erhöht. So waren beispielsweise die Lohnkosten zwischen 1938 und 1942 um 140 Prozent gestiegen. Gleichzeitig war die Anzahl der Hauer konstant rückläufig; auch relativ stellte die Treuarbeit ein Nachlassen der Hauerleistung fest. Dies führte sie auf die mangelhafte Ernährung der Hauer zurück. Hierbei bezog sie sich möglicherweise auf die in den Zechen eingesetzten »Ostarbeiter«182. Ferner konstatierte die Treuarbeit zu viel »unproduktives« Personal, Schwarzverkäufe von Kohle und die kostentreibende eigene Herstellung benötigter Materialien, die anderweitig nicht beschafft werden konnten. Das seit August 1941 vom Reich für die belgischen Zechen eingeführte Subventions- verfahren gab keine Anreize zur Kostenreduzierung. Die Treuarbeit resümierte, dass die Zechen auch künftig auf frisches Geld angewiesen seien. In Norwegen prüfte die Treuarbeit zwischen 1941 und 1944 schwerpunktmäßig im Aluminiumsektor. Sie nahm Jahresabschluss- und Zwischenprüfungen sowie »Sonder- prüfungen« vor allem bei der A/S Nordag in Oslo183, der A/S Nordisk Aluminium- Industrie184 und der Norsk Aluminium Company A/S185 vor. Heinrich Koppenberg, Generaldirektor der Junkers Flugzeug- und Motorenwerke AG, entwickelte einen Plan für einen überaus ambitionierten Leichtmetallausbau, für dessen Verwirklichung die Aluminiumproduktion in Norwegen stark gesteigert werden sollte. Koppenbergs Plan fand die Zustimmung Görings, des Reichsluftfahrtministeriums (RLM) und des Auf- sichtsratsvorsitzenden der IG Farben186, Carl Krauch, der auch im Reichsamt für Wirt- schaftsausbau an maßgeblicher Stelle tätig war. Koppenberg wurde im Frühjahr 1940 zum »Treuhänder und Vermögensverwalter für die norwegische Aluminiumindustrie« ernannt.187 Zur Umsetzung seiner Pläne wurden 1940 und 1941 mehrere deutsche und norwegische Firmen gegründet: die Nordische Aluminium AG (später: Hansa Leichtmetall AG), die norwegische Tochtergesellschaft A/S Nordag und die Nordisk Lettmetall A/S. Die Firmen standen vollständig oder mehrheitlich im Eigentum der Bank der Deutschen Luftfahrt und der Junkers AG. Im Vorstand und im Aufsichtsrat

182 BAB R 8135/10094. Den »Einsatz von Ostarbeitern« sprach die Treuarbeit in ihrem Brief an den Militärbefehlshaber vom 12.7.1943 an. 183 BAB R 8135/Bände: 2767, 2811, 2810, 7767, 7768; ferner zählt die Firmenliste des Ministerial Collection Center (per 1.10.1945 erstellt) 13 Prüfungsberichte als Jahresabschluss-, Zwischen- und Sonderprüfungen für die »A/S Nordag, Oslo« auf, siehe: BAB R 8135/8623, 23. 184 BAB R 8135/Bände: 2501, 2808, 7776, 3933; ferner zählt die Firmenliste des Ministerial Collection Center (per 1.10.1945 erstellt) 47 Prüfungsberichte als Jahresabschluss-, Zwischen- und Sonder- prüfungen für die »Norwegische Aluminium Industrie« auf, siehe: BAB R 8135/8623, 24. 185 BAB R 8135/Bände: 2500, 2802, 3292, 7779, 7780. 186 Die IG Farben AG hatte weitere eigene Interessen in Norwegen. Sie nahm dort die Magnesium- produktion auf. 187 Bundesarchiv, Europa (1992), 29. 183 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa dieser Unternehmen saßen neben Koppenberg und einem Vertreter der IG Farben AG auch das ehemalige Vorstandsmitglied der Treuarbeit, Fritz Rudorf, nunmehr Vorstands- mitglied der Luftfahrt-Bank, sowie Alois Cejka aus dem RLM. Rudorf und Cejka waren auch im Aufsichtsrat der Junkers AG. Nach dem Beginn des Krieges mit der UdSSR sollte die Luftwaffenproduktion und damit auch die Aluminiumproduktion erneut gesteigert werden. Mit der Durchführung dieses Luftfahrtprogramms wurde der Staats- sekretär im RLM, Generalfeldmarschall Erich Milch, beauftragt. Im Juni 1941 berieten unter Görings Leitung Staatssekretär Fritz Berger aus dem Reichsfinanzministerium, Staatssekretär Friedrich Landfried vom Reichswirtschaftsministerium sowie Erich Neu- mann von der Vierjahresplanbehörde über die für die Aluminiumproduktion not- wendige Steigerung der Tonerdeförderung in Südosteuropa.188 Berger, Neumann und Milch waren damals im Aufsichtsrat der Treuarbeit, Cejka und Landfried traten Mitte 1943 diesem Gremium bei. Generalluftzeugmeister Ernst Udet und Hans Kehrl hielten Koppenbergs Pläne von Anfang an für verfehlt. Ihre Ablehnung beruhte vor allem auf den Risiken, die mit dem Transport der Tonerde als Rohstoff für die Aluminiumproduktion vom Balkan nach Norwegen verbunden waren. Im Laufe des Jahres 1941 meldeten sich immer mehr Kritiker, zu denen auch der Wehrwirtschaftsstab Norwegen, die Reichsministerien für Wirtschaft und für Finanzen sowie das Oberkommando der Wehrmacht gehörten. Vor allem die teure Tonerdebeschaffung, ungenügende Transportkapazitäten und Arbeits- kräftemangel gefährdeten das Projekt. Schon im Spätsommer 1941 lag die Umsetzung des Koppenbergischen Ausbauprogramms weit hinter dem Plan zurück.189 Milch beauftragte Krauch mit einer neuen Planung. Nach der Ernennung Albert Speers zum Rüstungsminister und der Schaffung der »Zentralen Planung« als oberster Regulierungs- instanz für die deutsche Kriegswirtschaft wurde das Aluminiumprogramm in Norwegen im Frühjahr und Sommer 1942 mehrfach modifiziert. Nachdem dann »Unregelmäßig- keiten« auf Baustellen der A/S Nordag festgestellt worden waren, beauftragte wohl Göring die Treuarbeit mit einer Untersuchung über das Finanzgebaren Koppenbergs und die Verwendung öffentlicher Mittel.190 Die Feststellungen ergaben, dass Koppen- berg unzulässigerweise an zwei leitende Angestellte des »Aluminium-Kontors« Darlehn gegeben hatte, die aus den Verwaltungskostenbeiträgen der treuhänderisch verwalteten Firmen stammten.191 Bemerkenswert ist weniger, dass die Treuarbeit mit einer Unter- suchung bei Verdacht auf Unregelmäßigkeiten beauftragt wurde; bemerkenswert ist, dass

188 Petrick, Leichtmetallausbau (1992), 104–106, 113, 118, 121, 123, 128. 189 Cejka besichtigte im August 1941 die Baustellen der Nordag und kam zu dem Schluss, dass höchstens ein Drittel der von Koppenberg versprochenen Aluminiumlieferung zu erwarten sei. Sein Bericht gab verklausuliert den Rat, Koppenberg vom Projekt abzuziehen, siehe: Budraß, Flugzeugindustrie (1998), 730, 731. 190 Bohn, Reichskommissariat (2000), 407, 408; Bohn spricht von einer »Revisions- und Treuhandgesell- schaft in Berlin«, es ist sehr wahrscheinlich, dass es sich hierbei um die Treuarbeit handelt, die seit 1941 in Norwegen prüfte. 191 BAB R 2301/8420, Bl. 455: Bericht des Reichsrechnungshofes, 26.7.1945, Ziffer 11 »Aluminium- Kontor«. 184 Informationsermittlung für die Kapitalverflechtung in Belgien das NS-Regime offenbar einen Prüfungsbericht benötigte, der nicht das fachliche Ver- sagen Koppenbergs im Hinblick auf die Aluminiumproduktion kritisierte, sondern sein Fehlverhalten im Umgang mit zweckgebundenen Geldern in den Vordergrund stellte. Eine Vielzahl hochrangiger Kompetenzträger wusste seit Längerem, dass Koppenbergs Plan weder ausführbar noch sinnvoll war. Damit lagen ausreichend Gründe vor, ihn abzuberufen. Vermutlich wollten die an der Planung und Umsetzung des Leichtmetall- ausbaus Beteiligten nicht eingestehen, dass sie auf die Undurchführbarkeit des Planes wohl schon deutlich früher hätten reagieren müssen. Im Oktober 1942 wurde Koppen- berg durch Ludger Westrick, Direktor bei den Vereinigten Aluminium Werken (VAW), abgelöst.192

Zwischenfazit

Wie in Österreich und im Sudetenland zeigt sich auch in Belgien, Frankreich und Norwegen, dass die Treuarbeit Prüfungstätigkeiten in den für das NS-Regime wichtigsten Firmen vornahm und mit Aufgaben im Rahmen bedeutender Planungen für die Kriegs- wirtschaft – Kohle, Erdöl, Aluminium – betraut wurde. In Norwegen tritt zudem die vielfältige personelle und arbeitsmäßige Verbindung der Treuarbeit zu wichtigen Wirt- schaftsunternehmen und obersten deutschen Behörden zutage: die IG Farben AG, die Junkers AG und die VAW waren langjährige Kunden der Treuarbeit. Die Vertreter der beteiligten Reichsministerien, die in die für das Reich wichtigsten Projekte involviert waren, nahmen gleichzeitig Aufsichtsratsmandate bei der Treuarbeit wahr. Im Geflecht unterschiedlicher Interessen war die Treuarbeit offenbar die einzige Instanz, der alle Beteiligten vertrauten.

4.5 Informationsermittlung für die Kapitalverflechtung in Belgien links: Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treu- arbeit in Europa Das Deutsche Reich wollte die Wirtschaftskraft der westeuropäischen Nachbarländer rechts: Informationsermittlung für die Kapitalver- nicht nur während des Krieges nutzen. Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Belgien, flechtung in Belgien Frankreich, den Niederlanden und dem Deutschen Reich sollten auch nach dem Krieg dauerhaft enger gestaltet werden.193 Deutsche Großbanken und Konzerne wollten über den Erwerb von Beteiligungen Einfluss auf ausländische Konzerne nehmen.194 Auf Görings Wunsch sollte noch vor Ende des Krieges eine möglichst intensive Durch- dringung der niederländischen und belgischen Wirtschaft durch deutsches Kapital auf breitester Grundlage angestrebt werden.195

192 Bohn, Reichskommissariat (2000), 384, 400, 402, 405–408, 409. 193 Volkmann, »Autarkie« (2003), 248. 194 Nestler, Okkupationspolitik (1990), 24, 35. 195 Volkmann, »Autarkie« (2003), 271. 185 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa Der größte belgische Konzern war die Société Générale de Belgique (SG). Dieser Konzern besaß etwa 800 Industrie-, Handels- und Bankunternehmen, die mit den von ihnen mittelbar oder unmittelbar abhängigen Gesellschaften bis zu 40 Prozent der belgischen Wirtschaft beherrschten.196 Zusammen mit der führenden belgischen Groß- bank, der Banque de la Société Générale, kontrollierte die SG sogar bis zu 60 Pro- zent der verschiedenen Industriezweige. Gemeinsam mit zwei weiteren Konzernen, der Brufina197 und der Cofinindus198, dominierte sie fast die gesamte belgische Wirt- schaft.199 Um Kapitalbeteiligungen an diesen großen belgischen Konzernen erwerben zu können, waren zunächst maßgebende Anteilseigner festzustellen. Der Militärbefehls- haber für Belgien und Nordfrankreich erließ am 3. Mai 1941 eine Verordnung über Betriebsprüfungen für die SG. Diese »Rechtsgrundlage« ermöglichte es, die Unterlagen der Konzerngesellschaften einzusehen.200 Die Niederlassung der Treuarbeit in Brüssel erhielt die Aufgabe, Aktionärverzeich- nisse und zusammenfassende Firmenporträts der Konzernunternehmen zu erstellen.201 Die Aktionärverzeichnisse sind mit deutschsprachigen Eindrucken versehene überdi- mensionale Karteikarten, die einen Kopfteil und eine Tabelle vereinen. Der tabellari- sche Teil nennt die Aktionäre, ihre Zugehörigkeit zu einem Konzern und die Höhe der prozentualen Beteiligung. Als Beispiel sei das Aktionärverzeichnis der »Union des Centrales [so!] Electriques du Hainaut-Groupement« (Union) in Mons vorgestellt. Der Kopfteil enthält Angaben zum Aktienkapital (»bfrs 100 Mill«), zur Branche (»Erzeu- gung und Verteilung elektr. Energie«) und zwei Ordnungsnummern (»A VIII 21«, »A 8–5 Cof.«). Im tabellarischen Teil sind als Aktionäre 15 Gesellschaften aufgelistet. Je drei der Gesellschaften gehören der Brufina (»Br«) und der Cofinindus (»C«) an, neun Gesellschaften der SG. Für jede der Aktionärgesellschaften vergab die Treuarbeit eine »Ordnungs-Nr.« Dies weist darauf hin, dass für jede Gesellschaft ein eigenes Aktionär- verzeichnis erstellt wurde. So hielt beispielsweise die »Charb. du Levant & des Prod. du Flénu« per 31. Dezember 1940 einen Stimmenanteil von 12,4 Prozent an der Union. Für Firmen des Brufina-Konzerns wurde eine Art Firmenkurzporträt in französischer Sprache erstellt.202 Es gab Auskunft über die Aktionäre, die wenigstens ein Prozent des Kapitals hielten, sowie eine kurze Charakterisierung des Unternehmens. Das Porträt der »Compagnie des compteurs et manometres [so!]« zum Beispiel nannte die Haupt- aktionäre der Generalversammlungstermine vom 4. April 1936 und vom 13. April 1937. Zum Erstellungstermin des Porträts, dem 8. April 1941, lag der Anteil der Brufina an der

196 Ulshöfer, Einflussnahme (1958), 61. 197 Brufina = Société de Bruxelles pour la Finance et l’Industrie, Brüssel, sie war die Holdinggesellschaft der Banque des Bruxelles. 198 Cofinindus = Compagnie Financière et Industrielle, Brüssel. 199 Nestler, Okkupationspolitik (1990), 35, 36. 200 Ulshöfer, Einflussnahme (1958), 42, 55, 56, 61; Nestler, Okkupationspolitik (1990), 160. 201 Aktionärverzeichnisse BAB R 8135, Bände 10022, 10023, 10026, 10048 und weitere. Der Band 10048 enthält beispielsweise circa 70 Verzeichnisse im DIN-A3-Format aus Pappe. Die Bezeichnung »Aktionärverzeichnis« entstammt diesen Dokumenten. 202 BAB R 8135/10126 enthält sieben DIN-A3 große »Karteikarten«. 186 Informationsermittlung für die Kapitalverflechtung in Belgien »Compagnie« bei etwa 25 Prozent. Die Kurzbeschreibung bezeichnete die »Compagnie« als exportorientiert und hob hervor, dass es sich um einen der führenden belgischen Hersteller von Messgeräten handelte, der weder seine Produktionszahlen noch sein Absatzvolumen publizierte. Für Firmen des Cofinindus-Konzerns wurden umfangreiche »Annexe« ebenfalls in französischer Sprache erstellt.203 Diese Ermittlungsbögen enthielten ausführliche Anga- ben und detaillierte Aufstellungen zu den Organmitgliedern, der Geschichte und dem Geschäftszweck der Firmen (»Indications Generales«)204, den Kapital- und Besitz- verhältnissen einschließlich der bei den letzten Generalversammlungen anwesenden Aktionäre und ihrer Stimmenanteile (»Capital social et actionnaires ou associes«), zur Bilanz und zur Gewinn- und Verlustrechnung der vergangenen drei Jahre (»Bilans et comptes de profits et pertes«), zu den Beteiligungen (»Participations et Portefeuille- titres«) sowie zur wirtschaftlichen Bedeutung (»Importance de l’affaire«), Entwicklung und aktuellen Situation der Firmen (»Developpement et situation presente de l’affaire«). Diese Ermittlungsbögen, aber auch die Aktionärverzeichnisse, stellten die Grund- lage für die Berichterstattung der Treuarbeit an den Militärbefehlshaber für Belgien und Nordfrankreich dar. Die »Annexe« für die Firma Société Belge de L’Azote et des Produits Chimiques du Marly S. A. (Société) hatten einen Umfang von 16 DIN-A3-Seiten. Die Treuarbeit wandelte ausgewählte Daten aus den Ermittlungsbögen in einen Fließtext um, der die wichtigsten finanziellen und wirtschaftlichen Merkmale des Unternehmens pointiert zusammenfasste. Diese Berichterstattung wurde von der Treuarbeit zwar als »Prüfung« bezeichnet, sie war allerdings weder eine Jahresabschluss- noch eine Bewertungsprüfung, sondern die Berichterstattung konzentrierte sich auf die wirtschaftliche Bedeutung der jeweiligen Firma, auf ihre Verflechtung in einen der belgischen Großkonzerne und auf die wichtigsten Beteiligungen, die die Firma hielt. Die Bilanzstruktur und insbesondere die Finanzierung des Unternehmens sollten nur »in ihren großen wirtschaftlichen Linien« vorgestellt werden. Dabei sollte die Abschreibungspolitik der Gesellschaft und bei der Ertragsentwicklung der langfristige »Trend« dargestellt werden.205 In ihrem Bericht über die vorgenannte Société stellte die Treuarbeit beispielsweise heraus, dass die Gesellschaft »eines der führenden Unternehmen der belgischen chemischen Industrie« war, »dessen Erzeugung über die Hälfte der Landwirtschaft Belgiens mit synthetischen Düngmitteln [so!]«, im Wesentlichen Stickstoff, versorgte. Als die drei größten Aktionäre benannte die Treuarbeit die Gruppen Cofinindus, Electrobel-Gazelec und Air Liquide-Grande Paroisse, die die Société mit rund 71 Prozent des Aktienkapitals beherrschten und

203 BAB R 8135/10034: Firmensteckbriefe zu fünf verschiedenen Unternehmen der Chemieindustrie. 204 Sämtliche Überschriften ohne Betonungszeichen. 205 Für die Prüfungen derjenigen Gesellschaften, die der Société Générale angehörten, erstellte die Nieder- lassung Brüssel für ihre Prüfer einen achtseitigen Leitfaden, in dem der Zweck der Prüfung sowie die Gliederung und der Inhalt des Berichtes sowie die Vorgehensweise der Datenabstimmung dargelegt wurden (BAB R 8135/5862, 4–6). 187 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa zusammen 13 Vertreter in den Verwaltungsrat der Société entsandten.206 Bei der Bericht- erstattung war die Treuarbeit zunächst auf die Angaben der geprüften Firma angewiesen, die sie mit den erhobenen Daten aus den Aktionärverzeichnissen abstimmte. Die Berichterstattung der Treuarbeit erfüllte jedoch nicht immer die Wünsche der Auftraggeber, was zum Teil zu harscher Kritik an den Prüfern führte.207 Kriegs- verwaltungsrat Dr. Wulf Müller von der Behörde des Militärbefehlshabers in Belgien und Nordfrankreich, der zentralen Instanz für die Kapitalverflechtung in Belgien,208 kritisierte, dass sich die Berichte in einer unübersichtlichen Fülle von Einzelangaben verlieren würden. Darüber hinaus enthielten sie vielfach bereits bekannte Daten. Dennoch fehlten zu den angegebenen Zahlen die Vergleichsmaßstäbe, die sich die Treuarbeit durchaus unschwer habe beschaffen können. Die Prüfer erfassten oftmals die Bedeutung der geprüften Firma innerhalb des Konzerns der Société Générale (SG) ebenso wenig wie den Einfluss der SG auf verschiedene belgische Industriesparten wie Zement oder Zink. Müller vermisste ferner die Einordnung der geprüften Firmen, bei- spielsweise der Zuckerwirtschaft, der Kupferproduktion oder der Diamantwirtschaft, in den Weltmarkt. Darüber hinaus bemängelte er das Fehlen von Schlussfolgerungen aus dem zusammengetragenen Datenmaterial. Mehrfach mahnte Müller den fehlenden Kontakt mit Experten wie den Fachreferenten in der Behörde des Militärbefehlshabers, Sachverständigen aus dem Reich und dem Feindvermögensverwalter an, »um eine Reihe von Irrtümern und Unrichtigkeiten« zu vermeiden.209 Schließlich tadelte er die Treu- arbeit wegen der hohen Kosten der Prüfungen, insbesondere dann, wenn die Angaben in den Prüfungsberichten überwiegend von der geprüften Firma selbst oder aus gekürzten Wiedergaben von Texten Dritter stammten. Bei Firmen des Kongos fehle es der Treu- arbeit trotz längerer Beschäftigung mit dieser Region noch immer an »einem gewissen umfassenden Verständnis für die Hauptprobleme des Kongos und seiner wichtigsten Produktionszweige«.210 Müller wollte beispielsweise zur Diamantenproduktion wissen, »warum die Südafrikanische Union mit ihrer gewaltigen unausgenützten Kapazität es zulässt, dass [so!] die Belgier über 60 % der Weltproduktion machen«,211 oder wie es der SG gelungen sei, sich in weiten Teilen Europas ein Monopol im Waggonwagen- verleih aufzubauen.212 Da Müller, wie seine detaillierte Kritik zeigt, über die einzelnen Firmen sehr viel wusste, stellt sich die Frage, ob die Treuarbeit dem Militärbefehlshaber

206 BAB R 8135/10034: »Vorbericht […] über die Prüfung bei der Société Belge de L’Azote et des Produits Chimiques du Marly S. A., Renory-Ougrée«, o. D., 2 (Zitat), 3, 5, 7. 207 Kritiken zu elf verschiedenen Firmen liegen vor in der Akte BAB R 8135/10033. 208 Ulshöfer, Einflussnahme (1958), 67. 209 BAB R 8135/10033 zum Prüfungsbericht über die Société Anonyme des Verreries de Marlemont (Zitat, Bl. 2). 210 BAB R 8135/10033: Vermerk 2/Li vom 2.6.1942 zur Société Internationale Forestière et Minière du Congo, Bl. 1. 211 BAB R 8135/10033: Vermerk 2/Li vom 2.6.1942 zur Société Internationale Forestière et Minière du Congo, Bl. 3. 212 BAB R 8135/10033: Vermerk zu I/24, Compagnie Auxiliaire Internationale de Chemins des Fer, Brüssel. 188 Informationsermittlung für die Kapitalverflechtung in Belgien oder dem Auswärtigen Amt mit den Prüfungen Argumentationen für kolonialpolitische Bestrebungen in die Hand geben sollten. Diese Erwartungen wurden offenbar nicht erfüllt. Berechtigt war die Kritik insofern, als es den Prüfern zumeist nicht gelang, sich vom »Bilanzprüfungsschema« zu lösen und den »Gesichtspunkt der Bilanzprüfung und die daraus folgende Zergliederung der Bilanzposten« in den Hintergrund treten zu las- sen.213 Darüber hinaus hatte die Treuarbeit es versäumt, sich mit den Fachreferaten beim Militärbefehlshaber abzustimmen, um die Prüfungen »auf die Bedürfnisse der praktischen Arbeit abzustellen«.214 Er wisse, schrieb Müller Ende Januar 1942 an den Leiter der Zweigniederlassung Brüssel der Treuarbeit, Dr. Gert Haarmann, dass »daheim Objektivität und 100 %ige Beweisbarkeit als stolzes Postulat aufgestellt werden. Das geht schon in Deutschland reichlich weit und kommt unter den hiesigen Voraussetzungen nicht mehr in Frage.« Wenn der Revisor aus einer Quelle etwas Interessantes entnehme, könne er dies sehr wohl »unter allen Angstklauseln als Meinung« des Dritten zitieren. »Ich wünsche mir mehr Courage von dem Schreiber und mehr Lebendigkeit in den Berichten.«215

Zwischenfazit

Die Treuarbeit wurde mehrheitlich von öffentlichen Auftraggebern mit unterschied- lichen Aufgaben in etlichen vom NS-Regime besetzten Ländern betraut. Sie hatte sich in den vorangegangenen Jahren als eine für das Regime vertrauenswürdige und qualifizierte Instanz erwiesen, sie war die größte deutsche Prüfungsgesellschaft und hatte beste Verbindungen zu Staat und Partei. Sie wurde daher auch für Aufgaben im besetzten Ausland ausgewählt und von deutschen Besatzungsbehörden akzeptiert, selbst wenn ihre Arbeitsqualität im Einzelfall (Belgien) schwach war. Das Prüfungsrecht war sicherlich die stärkste Form der Durchleuchtung von Unter- nehmen.216 Die Treuarbeit erhielt den Zugang in die Unternehmen und den Zugriff auf vertrauliche Daten nur, weil die Okkupationssituation ihr diese Möglichkeiten verschaffte. Dabei prüfte die Treuarbeit nicht nur einzelne Firmen, sondern ganze Produktionssektoren. Insbesondere zur Situation von Rohstoffen und Energieträgern lieferte sie mit ihren Berichten umfangreiche und detaillierte Informationen (Kohle, Erdöl, Aluminium). Prüfungen der Vermögens- und wirtschaftlichen Verhältnisse dienten in Österreich und im Sudetenland217 der Übertragung von Kapitalanteilen heimischer, insbesondere jüdischer Firmen an deutsche Gesellschaften, speziell die Reichswerke

213 BAB R 8135/10033: Vorbericht I/10 zu S. A. John Cockerill, 4 (Zitat); Vermerk 2/Li vom 2.6.1942 zur Société Internationale Forestière et Minière du Congo, 1 (Zitat). 214 BAB R 8135/10033 zum Prüfungsbericht über die Société Anonyme des Verreries de Marlemont, 3 (Zitat); Vorbericht I/10 zu S. A. John Cockerill, 3. 215 BAB R 8135/10033: Vorbericht I/10 zu S. A. John Cockerill, 5. 216 Ulshöfer, Einflußnahme (1958), 61. 217 Beide Länder waren nach der NS-Ideologie keine besetzten Länder. 189 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa »Hermann Göring«. Die »Arisierungsprüfungen« hatten wohl vor allem den Zweck, klare Ausgangspunkte für Verhandlungen zwischen Behörden und »arischen« Käufern zu schaffen; die die Juden benachteiligenden, behördlicherseits erstellten Bewertungs- kriterien konnten bei jüdischen Unternehmern kein Vertrauen in die Tätigkeit der Treuarbeit hervorrufen. Bei Kapitalübertragungen nichtjüdischer Firmen ging die Treuarbeit hingegen vorsichtig vor und begründete ausführlich die von ihr getroffenen Bewertungen. Denn in Österreich wollte sich die Prüfungsgesellschaft langfristig einen Markt schaffen und ihr Ruf als unparteiliche Prüferin durfte nicht beschädigt werden. Die Niederlassung in Brüssel legte hingegen wenig Engagement und Fachkenntnis bei ihren Prüfungen von Firmen in Belgisch-Kongo an den Tag und riskierte damit einen Vertrauensschaden. Gleichzeitig erhob sie jedoch minutiös umfangreiches Daten- material in belgischen Großkonzernen, um im Auftrag oberster Reichsbehörden und im Interesse der deutschen Wirtschaft detaillierte Informationen als Grundlage für Kapital- verflechtungen zu liefern. In den Grenzregionen zum Deutschen Reich wirkte die Treu- arbeit mit der Geschäftsführung der Kreditausschüsse zur Bewilligung der Reichswirt- schaftshilfe an »Arisierungen« und der Verdrängung nichtdeutscher Unternehmen mit.

4.6 Feindvermögensverwaltung: links: Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treu- Die Treuarbeit in den Niederlanden arbeit in Europa rechts: Feindvermögensverwaltung: Die Treuarbeit in Wenige Tage nach der Kapitulation der niederländischen Armee am 15. Mai 1940 den Niederlanden ernannte Hitler den österreichischen Verwaltungsjuristen Arthur Seyss-Inquart zum Reichskommissar für die besetzten niederländischen Gebiete. Seyss-Inquart über- nahm am 25. Mai vom Militärbefehlshaber die Regierungsgewalt.218 Schon kurz darauf, am 6. und 11. Juni, trafen sich Hans Fischböck und Vorstandsmitglieder der Treuarbeit, um den Einsatz der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in den Niederlanden zu besprechen. Der frühere Minister für Wirtschaft und Arbeit in Österreich und der- zeitige Generalkommissar für Finanz und Wirtschaft219 und Finanzen in den »besetzten niederländischen Gebieten« versprach dem Vorstand offenbar eine exklusive Tätigkeit in dem kleinen besetzten Land.220 Er beauftragte die Treuarbeit am 22. Juni schrift- lich mit der »Durchführung von Sonderprüfungen bei niederländischen Unternehmen, sowie mit der laufenden Beratung und Mithilfe bei wirtschaftlichen Angelegenheiten.« Die »vordringlichste Aufgabe« war jedoch die Erfassung und Kontrolle des feindlichen Vermögens in den Niederlanden. Daher sollte die Treuarbeit ein größeres Büro »mit qualifizierten Sachbearbeitern« und Büropersonal in Den Haag errichten. Wegen der Vertraulichkeit der Tätigkeiten sollten »reichsdeutsche Herren« die Sachbearbeitung übernehmen. Das Büropersonal durfte aus Niederländern bestehen. Das bezüglich der

218 Kwiet, Reichskommissariat (1968), 27, 55, 60. 219 Im Dokument BAB R 177/1890, Brief vom 22.6.1940 noch »Generalkommissar für Wirtschaft und Finanzen«. 220 BAB R 8135/5727: Braun, Niederlassung Den Haag an Karoli, Vorstand Treuarbeit Berlin, 17.3.1941. 190 Feindvermögensverwaltung: Die Treuarbeit in den Niederlanden Tätigkeiten recht allgemein gehaltene Schreiben dürfte für die Treuarbeit vor allem den Zweck erfüllt haben, das Problem der Personalnot zu lösen. Denn in »Anbetracht der staatspolitischen Notwendigkeit und der Dringlichkeit« der zu erledigenden Arbeiten sollte die Treuarbeit »nötigenfalls […] unter Vorlage dieses Auftragsschreibens« quali- fizierte Sachbearbeiter vom Militärdienst freistellen lassen.221

Errichtung einer Niederlassung zur Bearbeitung des Feindvermögens

Noch im Juni 1940 richtete die Treuarbeit in Den Haag, Alexanderstraat 22, wenige Schritte vom Sitz des Reichskommissars entfernt, eine Niederlassung (NL)222 ein, deren Leitung Hans Braun und der Rechtsanwalt Dr. Hans Dietz übernahmen. Aus dem Vor- stand waren Dr. Richard Karoli und der neu bestellte Dr. Hans Adler verantwortlich.223 Am 24. Juni 1940 veröffentlichte Reichskommissar Seyss-Inquart die »Verordnung […] über die Behandlung feindlichen Vermögens« (VO 26/40).224 Die VO orientierte sich grundsätzlich an der in Deutschland geltenden VO vom 15. Januar 1940.225 Es gab aber einige wichtige Unterschiede:226 Als Feinde waren nicht sowohl natürliche Personen anzusehen, »die einem feindlichen Staat angehören oder die im Gebiet eines feindlichen Staates ihren Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt haben«, als auch diejenigen, die sich nur vorübergehend dort aufhalten. Es wurde also zwischen »Nationalitätsfeinden« und »Aufenthaltsfeinden« unterschieden.227 Der Kommentar zweier Mitarbeiter des Reichs- justizministeriums führte dazu aus, »daß sich infolge der Kriegsereignisse viele Personen, die bisher in den Niederlanden […] ihren Wohnsitz hatten, in die Feindländer begeben haben. Von diesen Personen ist anzunehmen, daß sie dies mit Rücksicht auf ihre, dem Deutschen Reich feindliche Haltung getan haben. Sie müssen deshalb als Feinde des Reichs betrachtet werden«. Damit waren auch Menschen betroffen, die Deutschland oder auch Holland aus politischen und rassistischen Gründen hatten verlassen müssen.

221 BAB R 177/1890: Anlage I zum Brief der Treuarbeit an den Rechnungshof des Deutschen Reiches vom 7.12.1943 enthält den Brief Fischböcks an den Vorstand der Treuarbeit vom 22.6.1940. 222 Die Niederlassung firmierte zunächst als »Geschäftsstelle«. Sie wurde im Frühjahr 1941 in »Zweig- niederlassung« umfirmiert. In diesem Text wird durchgängig von Niederlassung oder NL gesprochen. 223 Die vom späteren Leiter Reinhold Merckens benannte »Hauptverantwortung« des Vorstandsmitgliedes Dr. Fritz Rittstieg bestätigt sich anhand der Quellen nicht. Siehe die Angaben von Merckens – BAB R 177/1903: Aktenvermerk von Dr. Winckelmann, Military Collecting Center, 2.10.1945, 4) 224 BAB R 87/158: »Verordnung des Reichskommissars für die besetzten niederländischen Gebiete über die Behandlung feindlichen Vermögens« vom 24.6.1940 (VO 26/40). 225 Reichsgesetzblatt, Teil I, 20.1.1940, 191–195: Verordnung über die Behandlung feindlichen Ver- mögens. (VO 15.1.1940) 226 Zum Folgenden: Krieger/Hefermehl, Behandlung (1940), 1–3, 10–12. 227 BAB R 177/1889: »Grundsätze der Feindvermögensverwaltungen und ihre Überwachung in den besetzten niederländischen Gebieten« – Hausarbeit für das Wirtschaftsprüfer-Examen. Eingereicht von Dr. Heinrich Mieles, Den Haag, Alexanderstraat 22, 25. Januar 1943, 13 (im Folgenden: Mieles- Bericht). 191 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa Vermutlich um einer möglichen Kritik zuvorzukommen, betonten die Kommentatoren, dass eine »Ueberspannung des Feindbegriffs […] dadurch nicht zu befürchten« sei. Die feindlichen Vermögen unterlagen einem Auszahlungsverbot und mussten bei der Niederlassung Den Haag der Treuarbeit angemeldet werden (VO 26/40, §§ 4, 5, 7). Sie war die einzige zentrale Anmeldestelle. In Deutschland waren hingegen Finanzämter dezentral für die Anmeldung zuständig.228 Anmeldepflichtig waren »feindliche Staats- angehörige«, Vertreter juristischer Personen und auch, »wer […] feindliches Vermögen verwaltet, besitzt, in Gewahrsam hat, beaufsichtigt oder bewacht (VO 26/40, § 6). Dies konnten beispielsweise Banken, treuhänderisch tätige Rechtsanwälte oder Spediteure sein. Bei der Verwaltung von »feindlichen« Unternehmen gab es mehrere bedeutsame Erweiterungen zur Regelung im Reich. Während die Verwaltung in Deutschland auf Unternehmen und Grundstücke beschränkt war (VO vom 15.1.1940, §§ 12, 18), bezog die VO 26/40 sonstige Vermögenswerte mit ein (§ 19). Dazu gehörten zum Beispiel »bewegliche Sachen«, Waren, Wertpapiere, Forderungen oder Rechte (VO 26/40, § 3). In Deutschland waren die Oberlandesgerichte für die Bestellung der Verwalter zuständig (VO vom 15.1.1940, § 13), in den Niederlanden der Generalkommissar für Finanz und Wirtschaft (VO 26/40, § 14). Als Unternehmen galten – zusätzlich zu den juristischen Personen des Privatrechts, den Personenvereinigungen, Anstalten, Stiftungen und sonstigen Zweckvermögen (VO vom 15.1.1940, § 12) – ausdrücklich auch Einzelfirmen (VO 26/40, § 13). Außerdem konnten Unternehmen in den Niederlanden nicht nur dann unter Verwaltung gestellt werden, wenn sie mittelbar oder unmittelbar unter maß- gebendem feindlichen Einfluss standen (VO vom 15.1.1940, § 12), sondern schon dann, wenn das Unternehmen »keine Leitung besitzt, die in der Lage ist, es rechtsgültig zu vertreten oder wenn anzunehmen ist, daß die vorhandene Leitung keine ausreichende Gewähr dafür bietet, dass [so!] das Unternehmen den vom Reichskommissar für die besetzten niederländischen Gebiete zu wahrenden Interessen Rechnung trägt.« (VO 26/40, § 13). »Die Einleitung von Verwaltungen ist also unter diesen Voraussetzungen bei rein niederländischen oder neutralen Unternehmen möglich,« verdeutlichten die Kommentatoren des Reichsjustizministeriums diese sehr weitgreifende Regelung, die dem Reichskommissar die Möglichkeit bot, Unternehmen aus politischen oder rassistischen Gründen unter Verwaltung zu stellen. Grundstücke schließlich unterfielen der Verwaltung nicht erst dann, wenn sie im Eigentum von Feinden standen, sondern schon, wenn ein entscheidender feindlicher Einfluss bestand. Daher konnten in den Niederlanden auch Grundstücke unter Verwaltung gestellt werden, die nur zum Teil Feinden gehörten. Die Regelungen der VO 26/40 eröffneten dem Reichskommissar einen großen Spielraum für willkürliche Maßnahmen – gegen missliebige Personen und gegen Unter- nehmen, die nicht in Feindbesitz waren. Die Umsetzung der Regelungen fiel dem Reichskommissar um so leichter, als es – im Gegensatz zu den vielen Institutionen, die in

228 Lindner, Reichskommissariat (1991), 50. 192 Feindvermögensverwaltung: Die Treuarbeit in den Niederlanden Deutschland bei der Feindvermögensverwaltung mitentschieden –, in den Niederlanden eine kurze, geradlinige Hierarchie vom Reichskommissar über den Generalkommissar für Finanz und Wirtschaft zur NL Den Haag der Treuarbeit gab, die die Durchführung sicherstellte.229 Ansprechpartner der Niederlassung beim Generalkommissar war die Abteilung Feindvermögen unter der Leitung von Kammergerichtsrat Dr. Schröder und seinem Vertreter Amtsgerichtsrat Dr. Koebel.230 Nach der VO 26/40 entsprach die Zielsetzung der Feindvermögensverwaltung in den Niederlanden derjenigen in Deutschland – das feindliche Vermögen sicherzustellen und zu erhalten. Der Reichskommissar für die Behandlung feindlichen Vermögens in Deutschland, Friedrich Ernst, und Görings Staatssekretär in der Vierjahresplanbehörde, Erich Neumann, der zwischen 1933 und 1942 dem Aufsichtsrat der Treuarbeit angehörte, hatten sich jedoch darauf geeinigt, dass die Feindvermögensverwaltung in den Nieder- landen zur Verwertung oder zum Erwerb von Feindbeteiligungen genutzt werden sollte, um die wirtschaftliche Verflechtung beider Staaten voranzutreiben.231 Die VO 26/40 ließ einen hohen Arbeitsaufwand für die NL Den Haag erwarten. Da die Treuarbeit keine Erfahrungen mit der praktischen Durchführung von Feindver- mögensverwaltungen hatte, holten sich Vorstandsmitglied Adler und Niederlassungs- leiter Dietz, Rat von Ministerialrat Ludwig Bänfer aus dem Reichsfinanzministerium. Bänfer riet von einer »Totalanmeldung« ab und schlug vor, Verwalter nur in »interessante« Unternehmen einzusetzen und gegebenenfalls Warenbestände zu beschlagnahmen. Sollte es jedoch zu einer Totalanmeldung kommen, empfahl er eine differenzierte Formulargestaltung für die Registrierung und weitere Verarbeitung.232 Adler sprach auch mit Landgerichtsrat Wolfgang Hefermehl aus dem Reichsjustizministerium – einem der beiden Autoren des Kommentars zur Verordnung über die Behandlung feind- lichen Vermögens – über die Auswirkungen, die die Bestallung von Verwaltern für ein Unternehmen nach sich zog: Die Rechte und Pflichten sämtlicher Organe des Unter- nehmens erloschen, die Funktionen des Aufsichtsrates mussten dann in der Bestallungs- urkunde festgelegt und auch die Prokuren erneut bestätigt werden. Hefermehl sagte Adler die Zusendung einiger Musterbestallungstexte zu. Adler versprach im Gegenzug, für den Vertrieb des Rechtskommentars zur Feindvermögensverordnung zu sorgen, der inzwischen um entsprechende Erläuterungen zu den Bestimmungen in den Nieder-

229 In der VO vom 15.1.1940 standen den Reichsministerien für Wirtschaft, für Finanzen und für Justiz Detailregelungsrechte zu. So standen sich in der Diskussion über die Liquidierung von Feindver- mögen nach dem Eintritt der USA in den Krieg als Befürworter das Reichswirtschaftsministerium und die Vierjahresplanbehörde einerseits und als Gegner das Reichsjustizministerium, das Reichs- finanzministerium, das Auswärtige Amt und der Reichskommissar für die Behandlung feindlichen Vermögens gegenüber, siehe Lindner, Reichskommissariat (1991), 163, 164. 230 BAB R 2/30129: Bericht des Regierungspräsidenten […] Friedrich über örtliche Erhebungen beim Reichskommissar für die besetzten niederländischen Gebiete […], 22.12.1943, 3. 231 Lindner, Reichskommissariat (1991), 42–44; man wolle sich ja, so betonte auch Reichswirtschafts- minister Funk, in den Niederlanden nicht etwa »ein paar Gemüsegärten und Käseläden« einverleiben, sondern Einfluss auf das »holländische Weltreich« erlangen, zitiert bei Nestler, Okkupationspolitik (1990), 26. 232 BAB R 8135/5727: Notiz von Dietz (NL Den Haag), 25.6.1940, »Betrifft: Feindvermögen Holland«. 193 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa landen ergänzt worden war.233 Schließlich wandte sich Adler an das Deutsche Institut für Auslandsrecht, das zusagte, der Treuarbeit bei Bedarf und für »mässige [so!] Tages- gebühren« einen Spezialisten für holländisches Recht zur Verfügung zu stellen.234 Zeitgleich zu diesen Vorbereitungen arbeitete die NL Den Haag an der recht- lichen Ausgestaltung von Verordnungen des Reichskommissars mit. Sie entwarf eine Durchführungsverordnung zur VO 26/40 in Anlehnung an die allgemeine Ver- fügung des Reichsjustizministers vom 22. Juni 1940 und Anmeldeformulare.235 Die Kommunikation zwischen der NL Den Haag und der Berliner Zentrale wurde durch fortlaufende Korrespondenz und persönliche Besuche der Vorstandsmitglieder Adler und Karoli aufrechterhalten. Anfang Juli 1940 trafen die ersten Anmeldungen zum Feindvermögen ein. Die »ganz grossen [so!] Unternehmungen«, so berichtete Dietz dem Vorstandsmitglied Adler, hätten sich ebenso wie »zahlreiche Geldinstitute« noch nicht angemeldet. Schon jetzt sei aber festzustellen, dass der Effektenbesitz der Feinde erheblich sei und die Anmeldungen mit großer Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit vor- genommen werden.236 Einen Monat später – in der NL Den Haag waren zu diesem Zeitpunkt etwa ein Dutzend Sachbearbeiter und Schreibkräfte tätig – meldete Dietz dem Vorstand in Berlin »gute Fortschritte«: Man habe bislang 9.000 Anmeldungen erhalten. Zudem sei der Gegenwert aus dem Verkauf feindlicher Waren in Höhe von hfl 35.000 auf treuhänderische Konten (Anderkonten) eingezahlt worden. In Deutschland gab es diese Anderkonten nicht, weil die Warengegenwerte im deutschen Wirtschaftskreislauf verblieben. Doch es sei »nicht einzusehen, weshalb holländische Makler und Agenten, deren Arbeitsgebiet durch die Besetzung des Landes zwangsläufig stark reduziert wurde, derartige Gelder für ihre eigenen Bedürfnisse aufzehren und sie dadurch praktisch nicht nur dem deutschen Zugriff entziehen, sondern auch dem des feindlichen Gläubigers. Ich bin sogar der Meinung«, ließ Dietz den Vorstand wissen, dass »wir in Holland früher oder später alle baren Forderungen von Feinden auf Anderkonten überführen müssen, was auch politisch insofern bedeutsam sein kann, als die holländische Wirtschaft auch auf diese Weise daran interessiert werden kann, dass [so!] Deutschland den Krieg gewinnt.« Dietz vertrat aber nicht nur politische Positionen, sondern engagierte sich auch aktiv bei der praktischen Umsetzung der Feindvermögensverwaltung. So schlug er dem Generalkommissar für Finanz und Wirtschaft vor, für bestimmte Vermögens- gruppen wie Warenlager, Liegenschaften oder Kunstsammlungen »Sammelverwalter« zu bestellen. Die Niederlassung nahm zu diesem Zeitpunkt die Aufgabe des Sammelver-

233 BAB R 8135/5727: Aktenvermerk von Hans Adler (Vorstand Treuarbeit Berlin), 5.7.1940 »Betrifft: Besprechung mit Landgerichtsrat Hefermehl«; C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung an Hans Adler, 12.7.1940: Verlag bedankt sich bei Adler für die Empfehlung des Rechtskommentars in Holland. Die Amsterdamer Buchhandlung Meulenhoff sollte den Vertrieb der deutschsprachigen Bücher über- nehmen. 234 BAB R 8135/5727: Adler (Vorstand Treuarbeit Berlin) an Treuarbeit, NL Den Haag, 5.7.1940. 235 BAB R 8135/5727: Dietz (NL Den Haag) an Adler (Vorstand Treuarbeit Berlin), 2.7.1940, zur Durchführungsverordnung; BAB R 8135/5727: Dietz an Adler, 4.7.1940, Bl. 2. 236 BAB R 8135/5727: Dietz an Adler, 4.7.1940, Bl. 3. 194 Feindvermögensverwaltung: Die Treuarbeit in den Niederlanden walters für »flüssige Mittel« wahr. Dietz ließ für den Generalkommissar auch Listen von Unternehmen anfertigen, die unter Verwaltung gestellt werden sollten.237 Die Niederlassung war auch für das Reichswirtschaftsministerium tätig. Auf Ver- anlassung von Ministerialrat Dr. Reinbothe sollte sie Ende Juli 1940 dafür sorgen, dass bei der N. V. Internationale Suiker en Alcohol Compagnie (Isaco) umgehend ein Ver- walter eingesetzt wurde, weil die Gesellschaft unter britischem Einfluss stand. Die Isaco war Eigentümerin der Holzhydrolyse AG (Hydrolag) und hatte vertragliche Beziehun- gen zur Deutsche Bergin AG (Deberg). Diese beiden Unternehmen entwickelten ein Holzhydrolyse-Verfahren, das das Reich seit 1937 mit Millionenbeträgen unterstützte. Die deutschen Patente hielten die Hydrolag und die Deberg, die ausländischen Patente hingegen hielt die Isaco. Das Reich wollte nun verhindern, dass »Emigranten und Aus- länder« die bisherigen Ergebnisse des Holzverzuckerungsverfahrens »ohne Gegenleis- tung« verwendeten.238 Der Vorstand der Treuarbeit hielt es bei diesem Sachverhalt für berechtigt, »eine Stossprüfung [so!] vorzunehmen, um sich an Ort und Stelle über die dort bestehenden Verhältnisse zu unterrichten.« Die Niederlassung sollte dabei auch »die gesamten Akten« beschlagnahmen.239 Ebenso dringend und wichtig für die obersten Reichsbehörden war der Zugriff auf den Unilever-Konzern. Allein der Anteil von Unilever an der Gesamtproduktion von Margarine und Pflanzenfetten im Deutschen Reich betrug 1938 rund 60 Prozent. Seit Oktober 1939 wurden die meisten kontinentalen Unternehmen des Konzerns von der Muttergesellschaft Lever Brothers & Unilever N. V. in Rotterdam geleitet. In Deutsch- land lag die Verwaltung des Konzerns, »der unter maßgeblichem englischen Einfluß stünde, sich aber als niederländisch tarne«, seit Juni 1940 in der Hand eines Dreier- Gremiums, dem auch Karl Lindemann, Aufsichtsratsmitglied bei der Treuarbeit, angehörte. Im Juni 1941 ging die Verwaltung auf Hans Ernst Posse, Staatssekretär im Reichswirtschaftsministerium und ebenfalls Aufsichtsratsmitglied bei der Treuarbeit, über. Göring ernannte ihn zum Reichskommissar für den Unilever-Konzern, er sollte die Interessen Deutschlands in der Ernährungs-, Öl- und Fettwirtschaft sicherstellen. Den Vorstellungen der Vierjahresplanbehörde zufolge war mit der Besetzung der Nieder- lande die Gelegenheit gegeben, die deutschen Gesellschaften des Unilever-Konzerns an deutsche Unternehmer zu übertragen.240 Die Niederlassung hatte bereits mit der Prüfung

237 BAB R 8135/5727: Dietz an Adler, 5.8.1940. 238 BAB R 8135/5727: Reichswirtschaftsministerium/Reinbothe an Reichskommissar für die besetzten niederländischen Gebiete, 7.8.1940 (Kopie des Schreibens ging an Treuarbeit), S. 2; BAB R 8135/249: Prüfung der Isaco durch die Treuarbeit Berlin, 2.5.1941; BAB R 8135/5914: Vertrag zwischen dem Deutschen Reich, vertreten durch Göring als Beauftragter des Vierjahresplanes, der »Deberg« (Deutsche Bergin AG für Holzhydrolyse, Mannheim) und der »Hydrolag« (Holzhydrolyse AG, Heidelberg) aus Oktober 1937. 239 BAB R 8135/5727: Treuarbeit Berlin an Dietz, GS Den Haag, 30.7.1940. 240 Lindner, Reichskommissariat (1991), 81–84, zur Feindvermögensverwaltung bei Unilever in Deutsch- land. Die weiteren Mitglieder des Dreier-Gremiums waren Karl Blessing, Vorstandsmitglied bei Unilever, und Heinrich Schicht von den Schicht-Werken. Posse war zwischen 1937 und 1943 Mitglied im Aufsichtsrat der Treuarbeit. 195 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa der Unilever begonnen, als Niederlassungsleiter Braun über den Generalkommissar Fischböck den Auftrag des Reichsernährungsministeriums (REM) erhielt, zur Prüfung einen weiteren Wirtschaftsprüfer als »Vertrauensmann« des Ministeriums hinzuzu- ziehen. Dieser sollte die finanziellen Verflechtungen und den Konzernaufbau prüfen, während die NL Den Haag »eine übliche Buch- und Bilanzprüfung« vornehmen sollte. Braun war damit nicht einverstanden, denn die Niederlassung wollte die interessanteren Themen der Verflechtung und des Konzernaufbaus selbst prüfen.241 Adler vermutete einen Streit zwischen dem Reichsernährungs- und dem Reichswirtschaftsministerium (RWM), über den er umgehend seinen Vorstandskollegen Karoli informierte. Das RWM hatte sich an Adler gewandt, um sich von der Treuarbeit »über den weiteren Ver- lauf der Angelegenheit« unterrichten zu lassen. »Es solle nichts geschehen, ohne dem Reichswirtschaftsministerium Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben zu haben.«242 Die Treuarbeit war also einerseits ein wichtiger Informant für das Reichswirtschafts- ministerium. Andererseits wollte sie ihre Position als führende Prüferin gegenüber dem REM behaupten, was ihr auch gelang. Die Treuarbeit brachte ihre Prüfung wie geplant zu Ende.243 Auf der Grundlage ihres Prüfungsberichtes erstellte dann der vom REM beauftragte Wirtschaftsprüfer eine »vertrauliche Notiz« für das REM zur Frage, wer den Unilever-Konzern beherrsche.244 Auch die Reichs-Kredit-Gesellschaft, eine Schwestergesellschaft der Treuarbeit im VIAG-Konzern, deren Aufsichtsratsvorsitzender Ernst Trendelenburg seit vielen Jahren bei der Treuarbeit ein Aufsichtsratsmandat wahrnahm, wandte sich an die Nieder- lassung, um ihre Hilfe in Anspruch zu nehmen, damit Kunden der Bank »feindliche Unternehmen« übernehmen konnten. Dabei zeigte sich, dass sowohl die Reichs-Kredit- Gesellschaft als auch die Niederlassung die Aspekte »Feindvermögen« und »Arisierung« eng miteinander verknüpften. Die Firma Reiwinkel aus Berlin hatte bei der Deutschen Handelskammer in Amsterdam beantragt, als Treuhänderin bei der N. V. Reveillon ein- gesetzt zu werden. Die Inhaber der Reveillon, so meinte die Reichs-Kredit-Gesellschaft zu wissen, seien Juden. Es liege jedoch nahe, zu vermuten, dass auch Feindvermögen in dem Amsterdamer Unternehmen arbeite. Die Bank ging davon aus, dass die Deutsche Handelskammer den Antrag der Firma Reiwinkel »zuständigkeitshalber« an die Nieder- lassung weiterleiten werde. Reiwinkel habe die erforderliche Eignung für eine Treu- händertätigkeit und die Bank bat die Niederlassung darum, den Antrag ihres Kunden

241 BAB R 8135/5727: Vermerke von Adler an Karoli, 24./25.7.1940 »Sofort vorlegen! Eilt sehr!« 242 BAB R 8135/5727: Vermerk Adler an Karoli, betr.: Unilever, 26.7.1940. 243 BAB R 8135/8568: Prüfungsbericht der NL Den Haag über Lever Brothers & Unilever N. V., Rotter- dam, 8.1.1941. In diesem Bericht spricht die NL den »Vorbericht« an, in dem sie über die Ent- wicklung und den Aufbau des Konzerns »in großen Zügen« informierte. 244 BAB R 8135/5727: Brief Cantrup an Adler, Treuarbeit, 10.10.1940. Für die Treuarbeit war die Prüfungstätigkeit bei Unilever offenbar ein sehr lukratives Geschäft. Allein im Jahr 1940 zahlte Unilever an die Treuarbeit hfl 99.000 und damit dreimal so viel wie an ihre frühere Prüfungsgesell- schaft Price, Waterhouse & Co., siehe: Wubs, Ben: Unilever’s Struggle for Control. An Anglo-Dutch Multinational under German Occupation in: www.econ.uoa.gr/UA/files/802526890.pdf, 15. 196 Feindvermögensverwaltung: Die Treuarbeit in den Niederlanden »wohlwollend zu prüfen«.245 Die »Ermittlungen« der NL Den Haag ergaben keine Feindbeteiligung bei der N. V. Reveillon. »Unter dem Gesichtspunkt der Entjudung«, antwortete die Niederlassung, »können wir […] noch nicht Stellung nehmen, da diese Frage in Holland vorläufig zurückgestellt worden ist.«246 Eine weitere Anfrage der Bank nach Kaffeeimportfirmen musste die Niederlassung hinsichtlich der Feindeigenschaft verneinen. Allerdings nannte sie der Reichs-Kredit- Gesellschaft zwei »vermutlich jüdische[…] Firmen«.247 Die Bank gab die Angaben der Niederlassung an ihren »Geschäftsfreund« weiter und übermittelte Den Haag anschlie- ßend vertiefende Fragen ihres Kunden zum Wert des Warenlagers und der Umsatzent- wicklung. Ferner wollte die deutsche Firma wissen, ob »bei der Ausschaltung der jüdi- schen Inhaber noch arische Kräfte in der Firma« blieben, »die die Firma für uns treu- händerisch weiter führen [so!] können.«248 Wenige Tage später hatte die Niederlassung für die N. V. Koffiehandel-Maatschappij Cohen Bendiks schon das Ergebnis »nach den weitergeführten Ermittlungen« zur Hand und berichtete über die Kapitalverhältnisse, den Jahresumsatz, die Flucht des Inhabers nach Übersee und den »jetzige[n] Direktor«, der »im Fall einer Arisierung für [Cohen Bendiks] eintritt.«249 Zu Ölmühlen und Fabriken für Speiseöle und Fette übersandte die Reichs-Kre- dit-Gesellschaft der Treuarbeit eine Liste mit 35 niederländischen Firmen, um sie auf »Feindinteressen« prüfen zu lassen. Für die N. V. Oliefabrieken T. Duyvis Jz. konnte die NL Den Haag eine positive Rückmeldung geben. Von dieser Firma berichtete sie dann ausführlich – über die Verteilung des Aktienkapitals sowie über die Staatsangehörigkeit und den Wohnsitz der Aktionäre.250 Unter Bezugnahme auf die Verordnung zum Feindvermögen wurde bereits nach »jüdischen« Firmen gesucht und darüber informiert.251 Bei Vorliegen einer amtlichen

245 BAB R 8135/5727: Reichs-Kredit-Gesellschaft an NL Den Haag, 15.8.1940. 246 BAB R 8135/5727: NL Den Haag an Reichs-Kredit-Gesellschaft, 31.8.1940. 247 BAB R 8135/5727: NL Den Haag an Adler/Treuarbeit, 31.8.1940; Treuarbeit Berlin an Reichs- Kredit-Gesellschaft, 2.9.1940; Reichs-Kredit-Gesellschaft an Adler/Treuarbeit, 3.9.1940 (Danksagung für die erhaltenen Informationen). 248 BAB R 8135/5727: Reichs-Kredit-Gesellschaft an Adler/Treuarbeit, 9.9.1940. 249 BAB R 8135/5727: NL Den Haag an Adler/Treuarbeit, 14.9.1940. Ein weiteres Beispiel für die Weiter- gabe von Kapitalverhältnissen, Umsätzen, Produktionszweck und Eigentümern sind die Angaben der NL Den Haag zur Andex Amsterdamsche Kunstzijde Industrie – siehe BAB R 8135/5727: NL Den Haag an Adler/Treuarbeit, 29.11.1940, Anlage II. 250 BAB R 8135/5727: Reichs-Kredit-Gesellschaft an Adler/Treuarbeit, 23.10.1940; NL Den Haag an Adler/Treuarbeit, 4.12.1940; NL Den Haag an Adler/Treuarbeit, 3.1.1941. 251 So meldete die NL Den Haag beispielsweise am 9.8.1940 an Ministerialrat von Boeckh im General- kommissariat, dass sie bei der Bearbeitung von Anmeldungen feindlichen Vermögens die Firma N. V. Handelsmaatschappij Gestetner festgestellt habe, eines der bedeutendsten Unternehmen der Büromaschinenbranche. Der Aktienbesitz sei zwar mehrheitlich im »Eigentum des naturalisierten österreichsichen [so!] Juden Trebitsch«, doch beim Stimmenverhältnis dominierten englische Angehörige der Firma Gestetner in London. Da das Unternehmen »unzweifelhaft« unter die Feindver- mögensverordnung fiele, bat die Niederlassung um einen Auftrag für die Überprüfung »der internen Zusammenhänge«. 197 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa Regelung würden die Interessenten sogleich die Chance ergreifen können.252 Die Feind- vermögensverwaltung fungierte demnach als »Deckmantel« für erste Vorbereitungen zur »Arisierung«.253 Die NL Den Haag zeigte sich deutschen Firmen gegenüber dienstbar und berichtete im Rahmen der bei der Sachbearbeitung des Feindvermögens erhobenen Daten über Vertrauliches aus den niederländischen Unternehmen. Damit entsprach ihr Vorgehen dem politischen Ziel einer Kapitalverflechtung niederländischer und deutscher Firmen auf privatwirtschaftlicher Basis.254 Die Niederlassung baute auch ihre Registratur so auf, dass sie von sich aus mit »amtlichen Stellen« klären konnte, was bei- spielsweise mit Warenlagern geschehen sollte, »deren Inhalt für die deutsche Wirtschaft wichtig« erschien.255 Nach fast zweimonatiger Tätigkeit der Niederlassung lag Mitte August 1940 das von der NL Den Haag entworfene und zwischen dem Generalkommissar für Finanz und Wirtschaft und der Treuarbeit abgestimmte Auftragsschreiben vor, das die Rechte und Pflichten der Prüfungsgesellschaft im Einzelnen aufführte. Das Auftragsschreiben bestätigte die in der VO 26/40 genannte Aufgabe der NL Den Haag als Anmeldestelle für das in den besetzten niederländischen Gebieten befindliche Feindvermögen. Die Anmeldungen dienten »in erster Linie dazu […], eine Übersicht über wichtige wirtschaft- liche Objekte des Feindes zu erhalten.«256 Da Unternehmen in den Anmeldungen häufig keine Angaben über die Besitzverhältnisse machten, entwarf die NL Den Haag einen Fragebogen, in dem die Anmeldepflichtigen den korrekten Namen, die Art des Unternehmens, die Staatsangehörigkeit und rassische Zugehörigkeit sowie den letzt- bekannten Wohnort und letztbekannten Aufenthaltsort der Aktionäre, Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder angeben mussten. Die Unternehmen hatten der NL Den Haag auch die Jahresabschlüsse der beiden letzten Jahre und die Unternehmenssatzungen ein- zureichen. Anhand dieser Angaben und Unterlagen fertigte die NL Den Haag »Kurz- berichte« über die Firmen für den Generalkommissar an.257 Denn die Niederlassung hatte das Recht, anhand der Anmeldungen vorzuschlagen, für welche Unternehmen und Vermögenswerte Verwalter eingesetzt werden sollten und welche rechtliche Stellung der Verwalter im Hinblick auf die Rechte der bisherigen Vertretungsorgane übernehmen sollte. Die Niederlassung durfte außerdem Verwalter benennen und Vorschläge zu deren Vergütung machen. Aufgabe der Niederlassung war es ferner, die Verwalter zu beauf- sichtigen und für die grundlegenden Rechte und Pflichten der Verwalter eine Richtlinie

252 Die erste Verordnung über die Anmeldung »jüdischer« Vermögen erschien am 22.10.1940 (VO 189/40). 253 Wixforth, Expansion (2006), 708 (Autorin des Kapitels »Der Handelstrust West in den Niederlanden« ist Friederike Sattler). 254 Wixforth, Expansion (2006), 707. 255 BAB R 8135/5727: »Organisation der Registratur«, verfasst von Dietz, 11.7.1940. 256 BAB R 8135/5727: Generalkommissar für Finanz und Wirtschaft an Vorstand Treuarbeit Berlin, 17.8.1940 (Auftragsschreiben an die NL Den Haag). 257 BAB R 177/1889: Mieles-Bericht, 9, 10. 198 Feindvermögensverwaltung: Die Treuarbeit in den Niederlanden zu erstellen.258 Einen Richtlinienentwurf legte die NL Den Haag im Oktober 1940 in Form einer »Bestallungsurkunde« vor. Diese Urkunde regelte die Beziehungen der Verwalter zum Generalkommissar für Finanz und Wirtschaft, der die Befugnis hatte, die Verwalter zu bestellen (VO 26/40, § 15). Zur Aufsicht der NL Den Haag über die Verwalter sollte die Niederlassung eine Vielzahl von Rechten erhalten: Sie durfte den Verwaltern Weisungen erteilen, Unterlagen des Rechnungswesens der Unternehmen einsehen und Auskünfte über alle Geschäftsangelegenheiten verlangen. Des Weiteren durfte sie alle Prüfungen vornehmen oder vornehmen lassen, die sie zur Erfüllung der Aufsicht für erforderlich hielt. Der Verwalter hatte die Niederlassung unaufgefordert über wichtige Sachverhalte zu unterrichten und regelmäßig Bericht zu erstatten.259 In der Folgezeit nahm die Niederlassung ihre Aufsichtsfunktion über die Verwalter intensiv wahr. Vermutlich noch 1940 analysierte die NL Den Haag sämtliche bestellten Verwalter und erstellte für den Generalkommissar eine ins Detail gehende Ausarbeitung, die eigene Vorschläge zur teilweisen Neuregelung der Feindvermögensverwaltung ent- hielt.260 Im Zentrum stand die Verwaltervergütung, zu der die Niederlassung detaillierte Kriterien erarbeitet hatte.261 Die Niederlassung empfahl sich außerdem für eine intensivere Mitwirkung bei der Unternehmensverwaltung. Die Unternehmen gliederte die Niederlassung je nach Höhe des verwalteten Vermögens in solche von außerordent- licher volkswirtschaftlicher Bedeutung, in größere und mittlere Industriebetriebe oder Handelsunternehmen sowie in Kleinbetriebe.262 Die Ausarbeitung listete etwa 40 »geschäftsführende« Verwalter mit den von ihnen verwalteten Unternehmen einschließ-

258 BAB R 8135/5727: Generalkommissar für Finanz und Wirtschaft an Vorstand Treuarbeit Berlin, 17.8.1940 (Auftragsschreiben an die NL Den Haag). 259 BAB R 8135/5727: Dietz an Generalkommissar, 1.10.1940, »betr: Entwurf einer Bestallungsurkunde, Anlage: Entwurf einer Bestallungsurkunde mit Richtlinien für die Ausübung der Verwaltung«. In dieser Form kam die Bestallungsurkunde nicht zur Ausführung. Stattdessen wurden am 23.1.1940 vom Reichskommissar die »Richtlinien für die Verwaltung von Unternehmen, Grundstücken und sonstigen Vermögenswerten« veröffentlicht. 260 BAB R 177/1892: »Entwurf – Bisherige Erfahrungen auf dem Gebiete der Feindvermögensverwaltung und sich hieraus ergebende Vorschläge insbesondere auf dem Gebiete der Festsetzung der Verwalter- vergütungen«, o. D., 30 Seiten. Aufgrund der dort genannten Anzahl der Verwalter, etwa 110, ist diese Darstellung vor dem zusammenfassenden Bericht zur Feindvermögensverwaltung in den Nieder- landen von Ende Juni 1941 entstanden, der 141 Verwalter nennt. 261 BAB R 177/1892: »Entwurf«, 2, 3: Nach den Vorstellungen der NL Den Haag sollten die Höhe der Vergütung und die Urlaubsansprüche der Verwalter von der Art der Verwaltung und von der Größe des Unternehmens abhängen. Hinsichtlich der Aufgabenstellung unterschied die Niederlassung nach »aufsichtsführender« und nach »geschäftsführender« Verwaltung. Die »aufsichtsführende« Verwaltung definierte die Niederlassung als nebenamtlich und durch die vier Aufgabengebiete »Geschäftspolitik«, »Verkehr mit den deutschen Dienststellen« sowie »Kontrolle der Geldgebarung« und »Verantwortung für Buchhaltung und Jahresabschluss« gekennzeichnet; ebd., S. 4, 5, 11: Die Tätigkeit der »geschäfts- führenden Verwalter« war hingegen hauptberuflich und die Arbeitsleistung des Verwalters sollte »mindestens« einen leitenden Direktor oder einen geschäftsführenden Gesellschafter »annähernd« ersetzen. Bei den aufsichtsführenden Verwaltern legte die Niederlassung als Bezugsgröße für die Ver- gütung die aufgewendete Arbeitszeit fest. 262 Die Grenze für Großbetriebe legte die Niederlassung bei hfl 750.000 und für Kleinbetriebe bei weniger als hfl 100.000 fest. 199 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa lich ihrer Branchenzugehörigkeit und der monatlichen Vergütung der Verwalter auf. Dabei zeigte sich, dass die Bezüge von Verwaltern bei Unternehmen mit außerordent- licher volkswirtschaftlicher Bedeutung, zu denen die niederländische Shell-Gruppe, Fokker, Philips’ Gloeilampenfabrieken und die niederländischen Ford-Werke gehörten, bis auf einen Fall nicht festgelegt waren.263 Die Niederlassung schlug je nach Größe des zu verwaltenden Unternehmens eine gestaffelte Verwaltervergütung mit einer monat- lichen Höchstgrenze von hfl 3.000 vor.264 Bei den »aufsichtsführenden« Verwaltern führte die Niederlassung etwa 70 Verwalter namentlich mit den von ihnen verwalteten Unternehmen und den bezogenen Vergütungen auf.265 Die Niederlassung unter- schied sieben verschiedene Gruppen von Verwaltern. Einer Gruppe waren Verwalter zugeordnet, die nach Ansicht der Niederlassung »nicht besonders pflichteifrig[…]« waren. Diese Verwalter waren durch unzureichende Berichterstattung, häufige Abwesen- heit und Überwachungsmängel sowie Interessenkollision oder unangemessene Ver- gütung aufgefallen.266 Die Niederlassung schlug vor, ihre Funktion »formell« zu über- nehmen. Geeignete Einzelverwalter sollten weiterhin einbezogen werden, jedoch in einem »Mitarbeiterverhältnis« zur Niederlassung stehen und von dieser straff überwacht werden.267 Die verstärkte Mitwirkung der NL Den Haag habe, so die Argumentation der Niederlassung, viele Vorteile: Sie verringere Kosten, vereinheitliche Rechnungs- legung und Bilanzierung, vertiefe den Einblick der »zuständigen Dienststellen« in die Unternehmen und erledige »wichtige Spezialgebiete« wie Steuer- und Devisenberatung, Versicherungswesen und Rohstoffbeschaffung aus einer Hand.268 Darüber hinaus bot die Niederlassung an, auch die Verwaltungen für Minderheitsbeteiligungen und für Unternehmen der Versicherungsbranche zu übernehmen.269 Denn die Jahresver- gütung für die Verwalter der Minderheitsbeteiligung kritisierte die Niederlassung als überhöht, die Verwaltung der Versicherungsunternehmen als »sehr unbefriedigend«.270 Betroffen waren fast 40 Verwalter, etwa 75 Unternehmen, 33 Minderheitsbeteiligungen und 63 Versicherungsgesellschaften. Das Einsparpotential durch die Aufgabenüber- tragung bezifferte die Treuarbeit mit hfl 295.000 pro Jahr.271 Ob die NL Den Haag dem Generalkommissar dieses Papier tatsächlich vorgelegt hat, ist nicht bekannt. Zur Über- nahme der gewünschten Verwaltungen kam es jedenfalls nicht. Im Entwurf für das Auftragsschreiben vom 17. August 1940 hatte die NL Den Haag ursprünglich noch eine Passage vorgesehen, in der bei deutsch-niederländischen Unter- nehmen, Niederlassungen und Tochtergesellschaften der deutsche Reichskommissar

263 BAB R 177/1892: »Entwurf«, 5–10. 264 BAB R 177/1892: »Entwurf«, 10, 11. Die Erstattung weiterer Kosten wie bspw. Tagesspesen, Umzugs- kosten oder Trennungsgelder an die Verwalter lehnte die NL Den Haag ab. 265 BAB R 177/1892: »Entwurf«, 13, 17–27. 266 BAB R 177/1892: »Entwurf«, 15, 16. 267 BAB R 177/1892: »Entwurf«, 13, 14. 268 BAB R 177/1892: »Entwurf«, 15. 269 BAB R 177/1892: »Entwurf«, 28. 270 BAB R 177/1892: »Entwurf«, 18, 27. 271 BAB R 177/1892: »Entwurf«, 29. 200 Feindvermögensverwaltung: Die Treuarbeit in den Niederlanden für die Behandlung feindlichen Vermögens einzuschalten sei. Diese Passage hatte der Generalkommissar jedoch gestrichen.272 Dennoch wurde Reichskommissar Friedrich Ernst regelmäßig über die Arbeitsergebnisse der NL Den Haag informiert273 und bei Verfahrensfragen vom Vorstand der Treuarbeit einbezogen. Hierbei wurde im Herbst 1940 erneut ein Konflikt zwischen Dietz und dem Vorstand in Berlin offenkundig, da der Mitleiter der NL Den Haag ohne Abstimmung mit dem Vorstand Entscheidungen getroffen hatte.274 So hatte Dietz dem Generalkommissar für Finanz und Wirtschaft für die Verwaltervergütung die Erhebung von Tagessätzen vorgeschlagen.275 Der Vor- stand nahm Rücksprache mit Ernst und mit der Haupttreuhandstelle Ost und erhielt die Auskunft, dass eine Tagessatzberechnung »praktisch undurchführbar« sei. Auch der Vorstand hielt eine Tagessatzberechnung für »unbrauchbar« und verwies Dietz darauf, dass die Treuarbeit selbst für länger andauernde Treuhändtätigkeiten Monatspauschalen berechnete. Dietz müsse seinen Vorschlag dem Generalkommissar gegenüber abändern. Zudem müsse im Verhältnis der Treuarbeit zu den Verwaltern darauf geachtet werden, dass nur die Verwalter für die Leitung der verwalteten Unternehmen verantwortlich seien, keinesfalls die Treuarbeit: »Wir möchten bei dieser Gelegenheit nochmals darauf hinweisen, dass [so!] Schreiben von allgemeiner Bedeutung nur nach Abstimmung mit uns herausgehen sollen«, verdeutlichte der Vorstand seine Missbilligung.276 Zu diesem Zeitpunkt hatte die Niederlassung schon 42 Prüfungen von Unter- nehmen verschiedenster Branchen abgeschlossen, 35 Prüfungen dauerten noch an und 28 weitere Prüfungen standen noch aus.277 Die NL Den Haag unterschied hier- bei zwischen »Prüfungen« und »Überprüfungen«. Für beide Prüfungsformen benötigte sie gesonderte Aufträge des Generalkommissars. Die Überprüfungen wurden not- wendig, wenn aus den Anmeldungen von Unternehmen mit Feindbeteiligungen trotz einer zusätzlichen Befragung mittels Fragebogen kein ausreichender »Überblick über die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse« des Unternehmens hervorging. Ins- besondere sollte geklärt werden, ob und welcher Feindeinfluss bestand. Auf der Grund-

272 BAB R 8135/5727: Braun/Dietz (NL Den Haag) an Adler (Vorstand Treuarbeit Berlin), 8.8.1940 – Entwurf des Auftragsschreibens und Begleitbrief; BAB R 8135/5727: Generalkommissar für Finanz und Wirtschaft an Vorstand Treuarbeit Berlin, 17.8.1940 (Auftragsschreiben an die NL Den Haag). 273 So erhielt Ernst beispielsweise Anfang August 1940 eine Liste der »feindlichen Unternehmungen«, die unter Verwaltung gestellt werden sollten. Ernst wiederum benannte der Treuarbeit einen Ansprechpartner für Fragen betreffend die Beteiligungen des Shell-Konzerns in Deutschland; die NL Den Haag hatte niederländische Shell-Unternehmen geprüft. Ernst erbat sich Abschriften solcher Auskunftsersuche – siehe BAB R 8135/5727: Aktennotiz für Dr. Karoli, Ziffer 3 und 4, 1.8.1940. Ferner erhielt er vom »Zwischenbericht Feindvermögen, Status 10. Sept. 1940« eine Ausfertigung, siehe BAB R 8135/5727: Vorstand Treuarbeit an GS Den Haag, 8.10.1940, betrifft: Anmeldestelle. 274 Bereits in einem Aktenvermerk für Dr. Karoli vom 1.8.1940 heißt es, dass Dietz dem Vorstand von wichtigen Sachverhalten eine Briefkopie zusenden solle. »Es ist unangenehm, wenn man in Berlin auf Vorgänge im Haag angesprochen wird, ohne sie zu kennen!« – siehe BAB R 8135/5737, 1.8.1940, Ziffer 2. 275 BAB R 8135/5727: Dietz an Generalkommissar, 1.10.1940, betr: Entwurf einer Bestallungsurkunde. 276 BAB R 8135/5727: Vorstand Treuarbeit an GS Den Haag, 8.10.1940, betrifft: Anmeldestelle. 277 BAB R 8135/5727: Liste ohne Titel vom 3.10.1940 über Unternehmensprüfungen. 201 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa lage der Erkenntnisse aus den Daten der Anmeldungen schlug die Niederlassung dem Generalkommissar Firmen zur Überprüfung vor. Die aus diesen Überprüfungen hervor- gehenden Berichte beinhalteten Angaben zu den Gründern, den Kapitalverhältnissen und ihrer Entwicklung, den Aktionären, Vorständen und Aufsichtsräten sowie zum Unternehmenszweck, den Betriebsstätten, der Geschäftstätigkeit und dem Geschäfts- umfang. Außerdem kommentierte die NL Den Haag die »Hauptposten« der letzten Bilanz, allerdings ohne sie eingehend zu prüfen.278 Den Erkenntnissen aus der Über- prüfung entsprechend empfahl sie dem Generalkommissar diejenigen Firmen, die einer Prüfung unterzogen werden sollten. Bei dieser Verfahrensweise konnte die Niederlassung Einfluss auf das Prüfungsvolumen nehmen. Die Prüfungen waren für sie sehr wichtig, weil sie gesondert von der Vergütung für die treuhänderische Feindvermögenserfassung und -verwaltung abgerechnet wurden. Generalkommissar Fischböck war der Ansicht, dass die Prüfungshonorare den eigentlichen Verdienst der Niederlassung darstellten.279 Der Generalkommissar hatte der Niederlassung drei weitere Sammelverwaltungen übertragen, nämlich für Geldforderungen, für Bankguthaben und Wertpapiere. Der Vor- stand lehnte die Übernahme von Verwaltungen aber grundsätzlich ab.280 Er erwartete von der Niederlassung, dass sie die Sammelverwaltung für Bankguthaben und Effekten so organisierte, dass »eine Überführung dieser Tätigkeit auf einen anderen Sammel- verwalter in absehbarer Zeit […] möglich« war.281 Ministerialrat von Boeckh vom Generalkommissariat und Niederlassungsleiter Braun sprachen sich ebenfalls gegen eine Übernahme der Verwaltung »feindlicher« Geldforderungen aus. Offenbar setzte jedoch Mitleiter Dietz sukzessive seine Vorstellungen von einer Aufgabenerweiterung der Niederlassung durch.282 Die Geldforderungen waren vor allem aus Warenverbindlich- keiten holländischer Unternehmen an feindliche Lieferanten entstanden. Hier erhielt die NL Den Haag die Befugnis, nach eigenem Ermessen die Forderung einzuziehen.283 Bis Ende Juli 1941 nahm die Niederlassung auf fast 4.000 Konten Beträge in einer Gesamt- höhe von rund hfl 11,3 Millionen in Verwaltung. Dies bedeutete, dass die Niederlassung die Forderungen einziehen und auf Anderkonten bei »mehreren hiesigen deutschen und holländischen Banken« gutschreiben ließ. Einen Teilbetrag von hfl 10,8 Millionen legte sie in holländischen Staatspapieren an.284 Den Feinden wurde ein »Verwaltungs- kostenansatz« belastet. Der nach Aufrechnung der Zinsen, Bankspesen und dem »Ver-

278 BAB R 177/1889: Mieles-Bericht, 10–12. 279 BAB R 8135/5727: Dietz, NL Den Haag, an Treuarbeit Berlin, betr.: Feindvermögen Holland, 18.9.1940, 2. 280 BAB R 8135/5727: Treuarbeit Berlin an NL Den Haag, 23.9.1940. 281 BAB R 8135/5727: Treuarbeit Berlin an NL Den Haag, 17.10.1940. 282 BAB R 8135/5727: GS Den Haag an Vorstand Treuarbeit Berlin, betr.: Feindvermögen, 16.8.1940, Ziffer 5. 283 BAB R 177/1890: Generalkommissar an NL Den Haag, 29.8.1940, BAB R 8135/5727: General- kommissar an NL Den Haag, 8.10.1940. 284 BAB R 177/1908: Schlussbericht zum 30. Juli 1941, 10; BAB R 8135/10438, Heft 17 »Anderkonto« zeigt, dass die Forderungen feindlicher Gläubiger beispielsweise auch aus Versicherungen, Patent- rechten, reinen Geldforderungen oder Handelsschulden resultieren konnten. Die Gesamtsumme müsste unter Berücksichtigung der Warenlager (BAB R 8135/10429, Heft 8), der Nachlässe (BAB R 202 Feindvermögensverwaltung: Die Treuarbeit in den Niederlanden waltungskostenansatz« verbleibende Überschuss stand dem Generalkommissar zu, der sich regelmäßig von der Niederlassung über die Kontenstände berichten ließ.285 Die Sammelverwaltungen für Bankguthaben und Wertpapiere führten zu einem erhöhten Arbeitsaufwand und zu vielfältigen praktischen Problemen. Denn die Verwaltung umfasste auch die Bearbeitung der Anträge auf Ausnahmegenehmigungen, da grund- sätzlich alle Zahlungen und Verfügungen an Feinde nach §§ 4 und 8 der VO 26/40 einem Zahlungs- und Verfügungsverbot unterlagen. Um die sich entwickelnde »Arbeits- flut einigermassen [so!] zu dämmen«, delegierte die NL Den Haag diese Arbeit schon bald an Banken. Den Banken gab sie hierzu ein von ihr entwickeltes Genehmigungs- schema an die Hand.286 Dies fand auch die Billigung des Generalkommissars, denn es hatte sich gezeigt, dass beispielsweise Zahlungen im Wirtschaftsverkehr mit Frank- reich und Gebühren zur Erhaltung von gewerblichen Schutzrechten geleistet werden mussten.287 Die Höhe der Feinden gehörenden Bankguthaben betrug im Juli 1941 hfl 53 Millionen und RM 1,5 Millionen. Die Guthaben waren »nach wie vor auf den Namen der Feinde« angelegt und verteilten sich auf 246 Banken.288 Die Bankguthaben waren vor allem in Gulden und Reichsmark sowie in einer Vielzahl von Fremdwährungen, darunter europäische und südamerikanische, vorhanden. Die größten Fremdwährungs- anteile stellten das englische Pfund und der US-amerikanische Dollar.289 Zur Erfassung der »Effekten in Feindbesitz« mietete die Niederlassung vorüber- gehend ein neues Büro in der Parkstraat290 an, in dem eine aus 15 Mitarbeitern bestehende »Effektenabteilung« die Wertpapiere nach Eigentümern und Anmeldenden sowie nach Aktiengattungen registrierte.291 Mit dieser Vorarbeit sollten diejenigen Kapitalbeteiligungen ermittelt werden, die vom feindlichen ins deutsche Eigentum übergehen sollten. Auch die Wertpapiere unterlagen einem Veräußerungsverbot, das den Börsenbetrieb empfindlich traf: Ein Teil der Papiere diente als Pfand für kurzfristige Lombardkredite und die betroffenen Banken waren sehr beunruhigt. Dietz besprach daher mit Mitarbeitern des Generalkommissariats mögliche Lösungen des Problems. Seine Gesprächspartner kamen aus deutschen Banken und gehörten der »Abteilung für besondere wirtschaftliche Angelegenheiten« (AwA) im Generalkommissariat an:

8135/10430, Heft 9) und der Diamanten (BAB R 8135/10441, Heft 20) eigentlich bei 11,8 Millionen Gulden liegen. 285 Grundlegend zum Verfahrensablauf: BAB R177/1889, Mieles-Bericht, 33, 34, 35; zu den Konten: BAB R 177/1890: »Übersicht über die im Zusammenhange mit der Feindvermögensverwaltung bei verschiedenen Banken treuhänderisch geführten Konten und Depots«, o. D. 286 BAB R 8135/5727: NL Den Haag an Vorstand Treuarbeit Berlin, 10.10.1940; BAB R 8135/5727: GS Den Haag an Generalkommissar, 10.10.1940 zur monatlichen Berichterstattung über Guthaben bei Banken und Kreditinstituten; BAB R 8135/5727: GS Den Haag an Vorstand Treuarbeit, 3.12.1940, Bl. 2 (Zitat). 287 BAB R 177/869: Niederschrift über die erste Arbeitssitzung der Arbeitstagung über Feindvermögens- fragen in Den Haag vom 6.12.1940, 3. 288 BAB R 177/1908: Schlussbericht zum 30. Juli 1941, 10, 11. 289 BAB R 8135/10439, Heft 18: »Zusammenstellung der angemeldeten Bankguthaben – Holl. Gulden«. 290 BAB R 8135/5727: »Notizen«, verfasst von Dietz, 5.2.1941. 291 BAB R 8135/5727: Dietz an Generalkommissar, 11.10.1940, »betr.: Effekten-Sammelverwaltung«. 203 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa Dr. Joachim Kessler (Deutsche Bank), Dr. Helmut Brands (Commerzbank) sowie Reichsbankdirektor Dr. Alfred Bühler, der von Fischböck als Kommissar für die Nieder- ländische Bank mit der Lenkung und Kontrolle der Währungs- und Bankenpolitik beauf- tragt war.292 Dietz schlug vor, eine »Auffanggesellschaft« zu gründen, die die feindlichen Wertpapierbestände erwerben solle.293 Die kleine Gesprächsrunde entwickelte die Idee weiter. Die Auffanggesellschaft, in der die in der AwA tätigen »Sonderbeauftragten für wirtschaftliche Verflechtung«294 und ein Vertreter der Treuarbeit die Geschäftsführung übernehmen könnten, solle durch ein Großbankenkonsortium finanziert werden. Der Weiterverkauf der Papiere an deutsche Unternehmen solle an die Bedingung geknüpft werden, dass der Kaufpreis auch die Kosten der Auffanggesellschaft abdecke.295 Der Vor- stand der Treuarbeit, der schon die Übernahme der Sammelverwaltung für Wertpapiere nur als eine vorübergehende Aufgabe akzeptiert hatte,296 widersprach Dietz’ Vorschlag. Auf keinen Fall beteilige sich die Treuarbeit »irgendwie«, weil sie »derartige geschäft- liche Risiken« zu übernehmen nicht in der Lage sei. Ob der Vorstand auch an mögliche Interessenkonflikte, die sich aus der bisherigen Aufgabenstellung der NL Den Haag als Registrierungs-, Aufsichts-, Prüfungs- und Berichtsinstanz und einer finanziellen oder personellen Beteiligung an einer Auffanggesellschaft ergeben könnten, dachte, ist nicht bekannt.297 Dietz’ Einsatz für die nationalsozialistische Politik der Kapitalverflechtung zwischen deutscher und holländischer Wirtschaft hatte ihn erneut in einen Konflikt mit seinem Vorstand geraten lassen. Dies hielt den Mitleiter der NL Den Haag jedoch nicht davon ab, sich weiterhin zu engagieren. Der Generalkommissar veranstaltete Anfang Dezember 1940 eine zweitägige Konferenz zu Fragen der Feindvermögensverwaltung, bei der Dietz die Arbeit der NL Den Haag präsentierte. An ihr nahmen neben Mit- arbeitern verschiedener Abteilungen aus dem Generalkommissariat auch Vertreter des Reichsjustiz- und des Reichswirtschaftsministeriums sowie des Reichskommissars für die Behandlung feindlichen Vermögens und der Militärbefehlshaber in Paris und in Brüssel teil.298 Auf dieser Tagung verdeutlichte von Boeckh, der Generalreferent für Finanz und Wirtschaft, die Ziele und Maßnahmen der Feindvermögensverwaltung in den

292 Wixforth, Expansion (2006), 694. 293 BAB R 8135/5727: Dietz an Generalkommissar, 11.10.1940, »betr.: Effekten-Sammelverwaltung«. 294 So die Bezeichnung in der »Niederschrift über die erste Arbeitssitzung der Arbeitstagung über Feind- vermögensfragen in Den Haag vom 6.12.1940: BAB R 177/869 (nicht foliert). 295 BAB R 8135/5727: Aktennotiz von Dietz, 7.11.1940, Betr.: Veräusserungen von Effekten aus Feind- vermögen. 296 BAB R 8135/5727: Vorstand Treuarbeit an GS Den Haag, 8.10.1940, betrifft: Anmeldestelle, Ziffer 1. 297 BAB R 8135/5727: Vorstand an GS Den Haag, 14.11.1940, Betrifft [so!]: Veräusserung von Effekten aus Feindvermögen [Gemäß der Berufsgrundsätze waren eine kaufmännische Tätigkeit nach § 1 (2) HGB sowie die Tätigkeit angestellter Geschäftsführer unvereinbar mit der Hauptberuflichkeit als Wirtschaftsprüfer, siehe »Grundsätze über den Begriff der selbständigen und hauptberuflichen Tätig- keit als Wirtschaftsprüfer […]«, S. 20, 21 (BAB R 3101/17646, Bl. 226)]. 298 Für das Folgende: BAB R 8135/5727: NL Den Haag an Vorstand Treuarbeit, betrifft: Feindvermögen Holland, 3.12.1940; BAB R 177/869: Brief vom 30.11.1940, BAB R 177/869: Niederschrift über die erste Arbeitssitzung der Arbeitstagung über Feindvermögensfragen in Den Haag vom 6. Dezember 1940 (24 Teilnehmer). 204 Feindvermögensverwaltung: Die Treuarbeit in den Niederlanden Niederlanden. Die Verwaltung wolle »insbesondere die Interessen der deutschen Wirt- schaft an einer Verflechtung mit der niederländischen Wirtschaft« berücksichtigen.299 Daher seien Verwalter auch bei Minderheitsbeteiligungen von Feinden einzusetzen, um »interessante[…] Unternehmen kennenzulernen und […] eine Verflechtung mit deutschen interessierten Wirtschaftskreisen […] in die Wege zu leiten.« Als Verwalter sollten vorrangig Deutsche eingestellt werden, »die durch die Feindseligkeiten mit den Niederlanden Schaden erlitten haben«. Offenbar sollten auf diese Weise Parteimitglieder der NSDAP versorgt werden.300 Von Boeckh hielt es für zweckmäßig, Verwalter feind- licher Unternehmen aus dem Kreise der möglichen Käufer auszuwählen, und sah eine teilweise Vermögensveräußerung nicht als Gegensatz zum »Grundgedanken der Sicher- stellung und der Erhaltung« von Vermögenswerten. Er erläuterte auch die Aufgaben der NL Den Haag der Treuarbeit als Anmeldestelle, Prüfungsstelle und »Verwalter für bestimmte Vermögenskomplexe«. In der Niederlassung fand dann der zweite Sitzungs- tag statt, an dem Dietz die Besucher aus dem Reich, Belgien und Frankreich über die praktische Bearbeitung des Feindvermögens informierte und ihnen einen Einblick in die »Registratur« gewährte.301 Mit merklichem Stolz berichtete die Niederlassung dem Vorstand in Berlin, dass »die Bearbeitung des Feindvermögens nirgends so weit gediehen ist wie in Holland. Wir sind offensichtlich mit unseren Arbeiten und Ergeb- nissen führend.«302 Im Januar 1941 wurden die Aufgaben der Niederlassung in der Feindvermögens- verwaltung auf eine konkrete Basis gestellt. Die ursprünglich vom Generalkommissar geplante Durchführungsverordnung zur VO 26/40 und die von der Treuarbeit ent- worfene Bestallungsurkunde wurden nicht realisiert.303 Stattdessen arbeitete das General- kommissariat selbst Richtlinien für die Ausübung der Feindvermögensverwaltung aus und bat die NL Den Haag um Stellungnahme. Die Niederlassung beschäftigte sich intensiv mit dem Richtlinienentwurf und gab eine Vielzahl von Anregungen zur Ergänzung und Konkretisierung der Richtlinien und zur Verwaltungsvereinfachung. So kritisierte sie die vom Generalkommissar vorgesehene Berichtspflicht der Verwalter als zu umfang- reich; der Verwalter werde in seiner eigentlichen Verwaltungsarbeit behindert. »Darüber hinaus haben die Richtlinien den Nachteil, dass [so!] sie die Verwalter in ein Schema der Berichterstattung hereinpressen und so verhindern, dass [so!] der Leser des laufenden

299 Zu diesem Zweck hatte bereits im November 1940 eine Tagung mit Vertretern der deutschen und der niederländischen Industrie stattgefunden, siehe BAB R 177/869: »Programm für die deutsch-nieder- ländischen Industriebesprechungen in Den Haag vom 14. bis 16.11.1940. 300 Die Wahl der Verwalter war nicht nur von fachlicher, sondern auch von politischer Eignung abhängig; die Verwalter sollten das Gehalt leitender Angestellter erhalten, siehe BAB R 177/869: »Entwurf. Über allgemeine Gedanken – Vortrag des Herrn von Boeckh«, o. D. und Verfasserangabe. 301 BAB R 177/869: Niederschrift über die zweite Arbeitssitzung der Arbeitstagung über Feindvermögens- fragen in Den Haag vom 7. Dezember 1940 (21 Teilnehmer), Bl. 2; BAB R 8135/5727: GS Den Haag an Vorstand Treuarbeit, betrifft: Feindvermögen Holland, 3.12.1940, 2. 302 BAB R 8135/5727: NL Den Haag an Vorstand Treuarbeit, 9.12.1940, betrifft: Feindvermögen Hol- land, 2 (Zitat). 303 BAB R 8135/5727: NL Den Haag an Vorstand Treuarbeit, betrifft: Feindvermögen Holland, 3.12.1940; BAB R 8135/5727: Dietz an Treuarbeit, 5.8.1940, Ziffer 3. 205 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa Berichtsmaterials einen Eindruck bekommt in die Persönlichkeit des Verwalters und die Situation des von ihm verwalteten Unternehmens, so wie er sie sieht.« Schließlich belaste die Fülle des Berichtsmaterials sowohl das Generalkommissariat als auch die NL Den Haag sehr stark, »wobei es zweifelhaft sein dürfte, ob diese Ueberwachungsarbeit in einem hinreichenden Verhältnis zu dem zu erzielenden Erfolg steht.« Das General- kommissariat nahm viele Anregungen auf und war bereit, auf die Quartalsberichte des Verwalters zu verzichten.304 Nach den »Richtlinien für die Verwaltung von Unternehmen, Grundstücken und sonstigen Vermögenswerten« vom 23. Januar 1941 erhielt die NL Den Haag einmalig für jedes unter Verwaltung stehende Unternehmen, Grundstück und jeden sonstigen Vermögenswert einen Eröffnungsbericht und periodisch Halbjahres- und Jahres- berichte. Die Eröffnungs- und Jahresabschlussbilanzen der Unternehmen waren von »einem von dem Verwalter im Einvernehmen mit der Deutsche Revisions- und Treu- hand-A. G. zu bestellenden Prüfer« zu prüfen.305 Zur Prüfung der Bilanzen und zur Berichterstattung erstellte die Niederlassung für die Prüfer eine Arbeitsanweisung, in der sie überaus detailliert festlegte, welche vielfältigen Sachverhalte die Prüfer ermitteln und über welches umfangreiche Zahlenmaterial sie in kurzer, klarer Darstellungsweise berichten sollten.306 Die NL Den Haag wollte ihre »Richtlinien« dennoch lediglich als »die Wiedergabe einiger wesentlicher Gesichtspunkte« verstanden wissen. Sie erwartete von den Prüfern die Flexibilität und Sensibilität, die Besonderheiten des jeweiligen Betriebes zu erfassen und darzustellen.307 Ziel des »Hauptberichtes« war es, »in grossen [so!] Zügen einen Ueberblick über die Entwicklung, Bedeutung und wirtschaftliche Lage des Unternehmens« zu vermitteln. Dazu sollten die Prüfer Angaben über die rechtlichen und wirtschaftlichen Grundlagen, die historische Entwicklung des Unter- nehmens sowie die Vermögens- und Ertragslage, den finanziellen Aufbau und die Zahlungsbereitschaft des Unternehmens machen. Allerdings hatten die Prüfer bei der Berichtsdarstellung darauf zu achten, dass sie das gewonnene Zahlenmaterial »in seinen wesentlichen Teilen zusammenfassend« auswerteten.308 So sollten beispielsweise die Erläuterungen zu den wirtschaftlichen Grundlagen »in knapper Form« einen Überblick über die Lage, die Leistungsfähigkeit, den baulichen Zustand und die tatsächliche Aus- nutzung der Betriebsstätten geben, sowie zum Fabrikationsprogramm, zum Abnehmer- kreis und Auftragsbestand, zur Preisgestaltung und zur Rohstoffversorgung Auskunft

304 BAB R 8135/5727: »Entwurf Richtlinien für die Verwaltung von Unternehmen, Grundstücken und sonstigen Vermögenswerten«; NL Den Haag an Generalkommissar, betr.: Richtlinien für die Ver- waltung von Feindvermögen, 3.12.1940, Anlage II, Bl. 5 (Zitate). 305 BAB R 87/158: »Richtlinien für die Verwaltung von Unternehmen, Grundstücken und sonstigen Ver- mögenswerten«, Den Haag 23.1.1941, Ziffer II,2 und II,4. 306 BAB R 87/158: »Richtlinien für die Prüfung verwalteter Unternehmen«, 15.4.1941, 30 Seiten. Eine Ausfertigung dieser Richtlinien ging an den Reichskommissar für die Behandlung feindlichen Ver- mögens in Deutschland. 307 BAB R 87/158: »Richtlinien für die Prüfung verwalteter Unternehmen«, 15.4.1941, 11. 308 BAB R 87/158: »Richtlinien für die Prüfung verwalteter Unternehmen«, 15.4.1941, 10, Hervor- hebung durch Unterstreichungen im Originaltext. 206 Feindvermögensverwaltung: Die Treuarbeit in den Niederlanden erteilen. Es sollten aber auch die wichtigsten Bestimmungen von Miet-, Pacht- und Lieferverträgen genannt und darüber hinaus sollte auf die Konzernbeziehungen und die lokale Bedeutung des Unternehmens eingegangen werden.309 Details zu jedem einzel- nen Posten der Bilanz und der Erfolgsrechnung waren ausführlich im »Anhang« dar- zulegen.310 Bei der Bilanz kam es »entscheidend« darauf an, »wie die Wertansätze zu beurteilen« waren. Um dies festzustellen, sollten beispielsweise die »Forderungen« darauf hin untersucht werden, wer die Schuldner waren, ob die Rechtmäßigkeit der Forderung gegeben war und ob die Höhe der Forderungen nachgewiesen werden konnte. Ferner hatten die Prüfer Angaben über die Zahlungsweise der Kundschaft, das Mahnwesen, die Ausfälle, die Uneinbringlichkeit sowie die Angemessenheit der Wertberichtigung und den Umfang von Kundenkrediten und deren Gestaltung zu machen.311 Insgesamt hatten die Prüfer bei den Aktiva darauf zu achten, ob »ein Teil der Vermögenswerte infolge des Krieges zweifelhaft geworden oder gar endgültig verloren gegangen ist«. Diese Werte sollten »im Hinblick auf einen evtl. späteren Erstattungsanspruch« in einer besonderen Bilanzposition dargestellt werden.312 Bei der Erfolgsrechnung wollte die NL Den Haag die nach den deutschen Bilanzie- rungsvorschriften des Aktiengesetzes aus dem Jahr 1937 erlaubte »weitgehende Saldie- rung« der Aufwendungen und Erträge für niederländische Unternehmen nicht akzep- tieren.313 Daher gab sie den Prüfern Schemata zur Gewinn- und Verlustrechung für Industrie- und für Handelsunternehmen an die Hand, die als Orientierung für die Dar- legung der Erfolgsrechnung heranzuziehen waren. Auch bei den einzelnen Aufwands- und Ertragspositionen verlangte die Niederlassung von den Prüfern zahlreiche Angaben. So sollte der Prüfungsbericht etwa in Bezug auf die Personalaufwendungen Aussagen zu den Lohnarten, der Zusammensetzung der »Gefolgschaft« nach Geschlecht und Quali- fikation, den Gehältern der leitenden Angestellten sowie deren Funktion, Nationalität und Rasse enthalten.314 Eine weitere wesentliche Aufgabe war die Prüfung der Verwal- tertätigkeit. Diese Prüfung sollte nach den Kriterien der Zweckmäßigkeit und Sorgfalt einen Überblick über die vom Verwalter getroffenen »entscheidenden geschäftlichen« Maßnahmen geben. Insbesondere sollte der Prüfer klären, ob der Verwalter eigene mate- rielle Vorteile aus der Verwaltung gezogen hatte.315 Zum Jahresanfang 1941 ergab sich für die Niederlassung die Möglichkeit, eine neue Aufgabe für den Generalkommissar zu übernehmen. Fischböck wollte der NL Den Haag die Funktion eines Veräußerungstreuhänders für »nichtarische Betriebe«, zunächst für maximal zehn »Einzelfälle«, übertragen. Dietz bejahte die neue Aufgabe. Nach seiner Vorstellung solle die NL Den Haag als Veräußerungstreuhänder »in Vertretung

309 BAB R 87/158: »Richtlinien für die Prüfung verwalteter Unternehmen«, 15.4.1941, 13. 310 BAB R 87/158: »Richtlinien für die Prüfung verwalteter Unternehmen«, 15.4.1941, 10. 311 BAB R 87/158: »Richtlinien für die Prüfung verwalteter Unternehmen«, 15.4.1941, 23. 312 BAB R 87/158: »Richtlinien für die Prüfung verwalteter Unternehmen«, 15.4.1941, 4, 5, Hervor- hebung durch Unterstreichungen im Originaltext. 313 BAB R 87/158: »Richtlinien für die Prüfung verwalteter Unternehmen«, 15.4.1941, 4, 5. 314 BAB R 87/158: »Richtlinien für die Prüfung verwalteter Unternehmen«, 15.4.1941, 28. 315 BAB R 87/158: »Richtlinien für die Prüfung verwalteter Unternehmen«, 15.4.1941, 8, 9, 17, 18. 207 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa des nichtarischen Eigentümers dessen Anteile« an einen von der Wirtschaftsprüfstelle (WPS) – der für die »Arisierung« neu eingerichteten Abteilung im Generalkommissariat für Finanz und Wirtschaft – benannten Erwerber verkaufen. Die Niederlassung solle die Entscheidung der WPS dadurch unterstützen, dass sie das Unternehmen bewerte. Sie könne auch bei den Arisierungsverhandlungen und beim Entwerfen der Arisierungs- verträge mitwirken.316 Der Vorstand der Treuarbeit lehnte die Aufgabe eines Ver- äußerungstreuhänders ab. »Mit Rücksicht auf den besonders dringenden Wunsch des Herrn Minister Fischböck« sollten die Veräußerungstreuhänderschaften, welche Dietz dem Generalkommissar offenbar bereits zugesagt hatte, jedoch übernommen werden. Der Vorstand verlangte allerdings, dass die Treuarbeit durch den Generalkommissar »in den Auftragsschreiben von allen Risiken«, die aus dieser Aufgabe resultierten, befreit werde.317 Der Niederlassung und insbesondere dem Juristen Dietz entzog der Vorstand die Prüfung der Veräußerungsverträge, die er selbst mit der Rechtsabteilung in der Berliner Zentrale vornehmen wollte.318 Generalkommissar Fischböck sah sich nach der Ablehnung der Treuarbeit nach einer Alternative um. Die im Generalkommissariat für die Kapitalverflechtungen zuständigen Mitarbeiter deutscher Banken brachten dann im März 1941 Vorstandsmitglieder von vier »Banken-Treuhandgesellschaften« zusammen, nämlich die Wirtschaftsprüfer Herbert Hübner von der Deutschen Treuhand-Gesellschaft, Oscar Heyer von der Treuhand AG,319 Melchior Schwoon von der Treuverkehr und den Parteigenossen Otto Wanieck von der Treuhand-Vereinigung sowie Willy Minz von der Rheinisch-Westfälischen »Revision« Treuhand AG in Köln. Sie sollten eine niederländische Gesellschaft gründen, um »in einer Art Arbeitsgemeinschaft die Veräusserungen [so!] jüdischer Betriebe« durchzuführen. Die NL Den Haag solle, so informierte Niederlassungsleiter Braun den Vorstand, »als eine Art aufsichtsführende Stelle« eingeschaltet werden. Dies lehnten die »Banken-Treuhandgesellschaften« jedoch ab. Dennoch solle die Niederlassung »von Fall zu Fall zusammen mit der Wirtschaftsprüfstelle als Schiedsrichter« fungieren. Dies akzeptierte Braun aber nicht: »Mir war die Hauptsache, dass [so!] wir die Bewertungs- prüfungen bekamen, weil dies das einzig lukrative Geschäft bei der Sache ist. Alle

316 BAB R 8135/5727: »Notiz über die Einschaltung der Treuarbeit bei der Arisierung jüdischer Betriebe«, 29.1.1941, Verfasser: Dietz. 317 Die Treuarbeit hatte bereits in Österreich, im Sudetenland, im »Protektorat« und in Polen (Haupttreu- handstelle Ost) bei »Arisierungen« mitgewirkt (Bewertungsprüfungen, Reichswirtschaftshilfe) und im Sudetenland eine Veräußerungstreuhänderschaft übernommen (Rittstieg). Warum sie diese Aufgabe in den Niederlanden nicht übernehmen wollte, ist nicht bekannt. 318 BAB R 8135/5727: »Auszug aus Schreiben Treuarbeit an Haag vom 23. Januar 1941«. Die Begründung des Vorstandes, dass »Dr. Dietz bei seiner Belastung kaum die Zeit wird aufwenden können, die volle Verantwortung für die juristische Richtigkeit dieser Verträge zu übernehmen«, klingt zwar verständnis- voll, dürfte jedoch als »letzte Warnung« gemeint sein, wichtige Entscheidungen vom Vorstand treffen zu lassen, statt eigenmächtig zu handeln. 319 Es handelt sich um die Treuhand AG in Leipzig/Berlin. Gesellschaften gleichen namens gab es außerdem in Köln und in Oldenburg. 208 Feindvermögensverwaltung: Die Treuarbeit in den Niederlanden anderen uns zugedachten Aufgaben gehören zu denen, die viel und meist unangenehme Arbeit machen und nichts einbringen.«320 Braun meinte damit vermutlich die Sammelverwaltungen.321 Diese Aufgabe war mit einer umfangreichen Erfassungsarbeit und einer aufwendigen Kontoführung ver- bunden. Dies hatte sich bei der schon im Vorjahr übernommenen Sammelverwaltung für Bankguthaben und Geldforderungen herausgestellt. Mitte März 1941 erhielt die Niederlassung zwei weitere derartige Aufgaben, nämlich die Verwaltung von Bank- schließfächern und die Verwaltung »aller nach den niederländischen Devisenvorschriften anbietungspflichtigen Werte[…]« von Feinden. Dazu gehörten ausländische Zahlungs- mittel, Schecks, Wechsel und ähnliche »geldwertige[…] Papiere[…]« sowie Gold und Edelmetalle. Diese Werte waren an die Niederländische Bank zu verkaufen und der Ver- äußerungserlös auf gesperrte Sonderkonten der Feinde oder auf Anderkonten der NL Den Haag einzuzahlen.322 Im Sommer 1941 waren Goldbestände im Wert von gut drei Millionen Gulden zusammengekommen. Die Devisenbestände umfassten vor allem US-Dollar, englische Pfund, französische, belgische und schweizerische Francs sowie sowjetische Rubel im Gesamtwert von hfl 135.000.323 Die Bankschließfächer durfte die Niederlassung »zur Wahrnehmung der [ihr] übertragenen Verwaltung […] unter Hinzuziehung eines leitenden Angestellten der betreffenden Bank« öffnen. Den Inhalt des Faches hatte die NL Den Haag zu protokollieren und »in Verwaltung« nehmen.324 Bis zum Juli 1941 hatte die Niederlassung, die zuvor selbst dem Generalkommissar den Hinweis auf die Schließfächer gegeben hatte, etwa 1.350 Bankschließfächer bei 87 Banken und Kreditinstituten erfasst und begann damit, die Fächer zu öffnen. Bei der Öffnung, »die erforderlichenfalls mit Gewalt erfolgt«, waren neben einem Mitarbeiter der Niederlassung auch ein Beamter des Devisenschutzkommandos und mindestens ein vertretungsberechtigter Bankangestellter anwesend, die das Inventarverzeichnis zu

320 BAB R 8135/5727: Zitate: Braun, NL Den Haag, an Karoli, Vorstand Treuarbeit Berlin, 17.3.1941. 321 Auch Dietz spricht bei den Bankguthaben sowie den Geld- und Warenforderungen von viel Arbeit, Mühe und Verantwortung, die man mit diesen Sammelverwaltungen habe – siehe BAB R 8135/5727: »Notizen«, verfasst von Dietz, 15.2.1941. 322 BAB R 177/917: Generalkommissar Schröder 21.3.1941 an NL Den Haag; BAB R 177/917: Entwurf Allgemeine Ausnahmebewilligung, 3.2.1941; BAB R 177/917: NL Den Haag an Generalkommissar für Finanz und Wirtschaft, 11.2.1941. Die GS Den Haag hatte sich selbst als Sammelverwalterin vor- geschlagen. 323 BAB R 8135/10441, Heft 20: »Gold, Devisen, Diamanten, Schutzrechte«. 324 Die NL Den Haag hatte bei der Durchsicht der Anmeldungen gemäß der Feindvermögensverordnung 26/40 festgestellt, dass zahlreiche Anmeldungen Schließfächer bei Banken enthielten. Schröder vom Generalkommissariat wandte sich an Bühler, Kommissar bei der Niederländischen Bank, mit der Vermutung, in den Fächern könnten erhebliche Werte lagern, die gemäß der Devisenbestimmungen anzubieten seien, und politisch wichtige Dokumente aufbewahrt werden. Schröder schlug daher vor, die Fächer zu öffnen. Verwalter der Fächer sollte die NL Den Haag werden: BAB R 177/913: General- kommissar Schröder an Kommissar bei der Niederländischen Bank, Bühler, 28.2.1941, betrifft: Behandlung feindlichen Vermögens, hier Bankschliessfächer, die an Feinde vermietet sind; BAB R 177/913: Vermerk: Schliessfächer von Feinden, 11.3.1941; BAB R 8135/5727: Generalkommissar an NL Den Haag, 14.3.1941, betr.: Schliessfächer von Feinden; BAB R 8135/5727: GS Den Haag an Vorstand Treuarbeit, 18.3.1941, betrifft: Feindvermögen. 209 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa unterschreiben hatten. Sofern das Fach Gold und Devisen enthielt, wurden diese Werte der Niederländischen Bank zum Kauf angeboten. Die Erlöse wurden auf ein Sperr- konto des Schließfachmieters eingezahlt. Effekten wurden in die »offene Verwahrung« der Bank übergeben.325 Über die ermittelten Werte der Schließfachöffnungen erstattete die Niederlassung dem Generalkommissar monatlich Bericht.326 Für Braun war die Beauftragung anderer deutscher Konkurrenzgesellschaften mit der »Arisierungs-Treuhänderschaft« bedauerlich, »aber keineswegs überraschend, nachdem wir […] das Angebot des Ministers Fischböck abgelehnt haben.«327 Braun war darüber erkennbar verärgert; er kämpfte mit Personalproblemen und sah sich »infolge Prüfer- mangels« überhaupt nicht in der Lage, in dem von ihm gewünschten Umfang Prüfun- gen vorzunehmen. »Ich muss jetzt leider viele gute Aufträge ablehnen. Die sicherlich interessante Bijenkorf-Prüfung macht jetzt Dr. Minz«.328 Braun hoffte, »wenigstens« die angetragenen Prüfungen der »Hamburger Bankierskantoor und Hugo Kaufmann & Co’s Bank« durchführen zu können. Da ihm Prüfer fehlten, musste der Niederlassungs- leiter auch die Prüfungsorganisation umstellen: Alle Prüfungen wurden mit nur einem Prüfer besetzt und »die Assistenten muss [so!] der geprüfte Betrieb stellen.« Braun selbst wollte die Prüfungen »betreuen«, um den geprüften Unternehmen seine Tätigkeit in Rechnung stellen zu können, »damit wir wenigstens auf diese Weise noch einiges Hono- rar dazu verdienen.« Die Niederlassung berechnete für Prüfungen einen mit dem Gene- ralkommissar Fischböck mündlich vereinbarten Pauschalsatz von hfl 100 pro Arbeitstag. Im Gegensatz zur Regelung im »Altreich« unterschied die Niederlassung aber nicht zwi- schen Zeitgebühr, Wertgebühr und Spesen. Allerdings galt dieser Pauschalsatz nur für »Prüfungsleiter und schwierige Prüfungen«.329 Braun ging davon aus, dass die Konkurrenzgesellschaften »erste Kräfte« einsetzten und auch »nach Erfüllung ihrer Arisierungsaufgaben« in den Niederlanden blieben. Daher drängte er den Vorstand auf »guten Ersatz« für die »abgezogenen Herren […], zumal hier im Haag schon überall bekannt ist, dass [so!] wir ja nicht einmal die uns dringendst angetragenen Prüfungen […] durchführen können.« Er wunderte sich, dass die anderen Treuhandgesellschaften, die doch den gleichen Personalschwierigkeiten unterlagen, die Aufgabe überhaupt übernommen wollten.330 Noch im März 1941 gründeten die Treuhand-Vereinigung, die Treuhand AG und die Rheinisch-Westfälische »Revision« Treuhand AG gemeinsam die »Niederländische Aktiengesellschaft für Abwicklung von Unternehmungen« (NAGU). Vorstandsmitglied Karoli wollte den »Judensektor« jedoch

325 BAB R 177/1908: Schlussbericht zum 30. Juli 1941, 12. 326 BAB R 177/913: NL Den Haag an Generalkommissar, z. H. Schröder, betr.: Öffnung von Schließ- fächern, 1.7.1943. 327 BAB R 8135/5727, Zitate: Braun, NL Den Haag, an Karoli, Vorstand Treuarbeit Berlin, 17.3.1941. 328 N. V. Magazin »De Bijenkorf« (Warenhaus). 329 BAB R 177/1890: Generalkommissar Hauptabteilung Wirtschaft – Feindvermögen – an Rechnungs- hof des Deutschen Reiches, betrifft: Verwaltung des Feindvermögens, 5.2.1944, Ziffer 5. Zur münd- lichen Vereinbarung zwischen Braun und Fischböck, siehe BAB R 177/1890: Merckens an General- kommissar Schröder, 16.5.1944, betr.: Kosten der von uns durchgeführten Prüfungen. 330 BAB R 8135/5727, Zitate: Braun, NL Den Haag, an Karoli, Vorstand Treuarbeit Berlin, 17.3.1941. 210 Feindvermögensverwaltung: Die Treuarbeit in den Niederlanden nicht vollständig der Konkurrenz überlassen und die Niederlassung in anderer Form in die Veräußerungstreuhänderschaft eingeschaltet wissen.331 Schon zu diesem Zeitpunkt unterstanden »nichtarische Betriebe«, die nicht »arisiert« werden sollten, der Aufsicht der NL Den Haag gemäß der Feindvermögensverordnung 26/40.332 Vermutlich im Hinblick auf die Konkurrenzgesellschaft NAGU, aber auch wegen des gestiegenen Auf- gabenumfangs, wurde die Firmierung der Niederlassung in »Zweigniederlassung Den Haag« geändert. Die Treuarbeit konnte so ihre Eigenständigkeit als Unternehmen nach außen hin stärker herausstellen.333 Diesem Zweck diente offenbar auch die im März 1941 beginnende Herausgabe von Rundschreiben an die bestellten Treuhänder. Diese Rund- schreiben nutzte die Niederlassung einerseits dazu, um Informationen des General- kommissars weiterzugeben und damit ihre herausragende Position sowie die Nähe und die guten Verbindungen zur maßgebenden deutschen Zivilverwaltungsbehörde in den Niederlanden zu demonstrieren. Andererseits verdeutlichte sie so ihre Aufsichtsfunktion gegenüber den Treuhändern.334

Aufsichtstätigkeit im »Judensektor«

Infolge der VO 189/40 aus Oktober 1940 wurden alle Unternehmen anmeldepflichtig, wenn der Inhaber, ein persönlich haftender Gesellschafter, ein gesetzlicher Vertreter oder ein Mitglied des Aufsichtsrates Jude war. Ein Unternehmen war ferner dann anmelde- pflichtig, wenn mehr als 25 Prozent des Kapitals oder 50 Prozent der Stimmrechte auf Juden entfielen oder das Unternehmen »tatsächlich unter dem beherrschenden Einfluß von Juden« stand (§ 2). Anmeldestelle war die Wirtschaftsprüfstelle (WPS) beim Generalkommissar für Finanz und Wirtschaft. Die Veröffentlichung der VO 189/40 war der erste offizielle Schritt für spätere »Zwangsarisierungen«. Mit der VO 48/41, der sogenannten Wirtschaftsentjudungsverordnung über die Behandlung anmelde- pflichtiger Unternehmen vom 12. März 1941, wurde dann die systematische und staat- liche gelenkte »Zwangsarisierung« in Gang gesetzt.335 Die VO regelte die Einsetzung und Bestellung von Treuhändern. Die Treuhänderschaft trat als Verwaltungstreu-

331 BAB R 8135/5727: Aktenvermerk von Richard Karoli an Hans Adler, 29.3.1941. 332 Auf die Zuständigkeit der NL Den Haag hatte Mitleiter Hans Dietz bereits Ende Januar 1941 hin- gewiesen, siehe BAB R 8135/5727: »Notiz über die Einschaltung der Treuarbeit bei der Arisierung jüdischer Betriebe« vom 29.1.1941. Rechtliche Grundlage dürfte § 13 der VO 26/40 vom 24.6.1940 gewesen sein, durch den Betriebe bereits dann unter Verwaltung gestellt werden konnten, wenn »ein Unternehmen keine Leitung besitzt, die in der Lage ist, es rechtsgültig zu vertreten oder wenn anzunehmen ist, dass die vorhandene Leitung keine ausreichende Gewähr dafür bietet, dass das Unternehmen den vom Reichskommissar für die besetzten niederländischen Gebiete zu wahrenden Interessen Rechnung trägt.« 333 BAB R 87/158: Die »Richtlinien für die Prüfung verwalteter Unternehmen« vom 15.4.1941 sind mit »Zweigniederlassung Den Haag« unterschrieben. 334 BAB R 177/1891: Rundschreiben Nr. 1 datiert vom 21.3.1941. Es haben sich Rundschreiben bis zur Nr. 22, datiert vom 3.11.1942, erhalten. 335 Wixforth, Expansion (2006), 724, 725. 211 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa händerschaft, als Veräußerungstreuhänderschaft oder als Liquidationstreuhänderschaft auf. Zum Veräußerungstreuhänder war ausschließlich die NAGU bestellt, die auch die Bewertungsprüfungen der Unternehmen durchführte. Als Liquidationstreuhänder konnten auch deutsche »fachkundige Einzelprüfer« tätig werden. Der Leiter der WPS, Legationssekretär Dr. Kühn, bat daher das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW), ihm für diese Tätigkeit »geeignete Einzelprüfer namhaft« zu machen.336 Die WPS übertrug die Liquidierung kleinerer Firmen dann allerdings weitgehend der im September 1941 gegründeten holländischen Niederlassung der Omnia Treuhandgesellschaft mbH in Arnheim.337 Die Bestimmungen der VO 48/41 konkretisierte die WPS im Juli 1941 in »Richtlinien«, in denen der NL Den Haag die Aufgabe der Aufsichtsinstanz »für wirtschaftliche Angelegenheiten« über die Verwaltungstreuhänder und die Liquidations- treuhänder jüdischer Vermögen übertragen wurde. Die Niederlassung arbeitete unmittel- bar mit der WPS zusammen, die die Treuhänder bestellte. Über jeglichen Schriftverkehr zwischen der WPS und den Treuhändern sowie der Niederlassung und den Treuhändern tauschten sich WPS und Niederlassung aus. Ende Juli hatte die Niederlassung bereits die Aufsicht über 170 Treuhänder, die jüdische Betriebe verwalteten.338 Die Übernahme der Aufsicht bedeutete eine weitere Steigerung des Arbeitsaufwandes für die NL Den Haag, denn zu ihren Überwachungsaufgaben zählte auch die Prüfung der Eröffnungs-, Halbjahres- und Jahresbilanzen.339 Wie schon bei der Prüfung der verwalteten Feind- betriebe legte die NL Den Haag auch für die Prüfung der »jüdischen Unternehmen« eine Anweisung vor.340 Diese Anweisung zeigt mit der Darstellung der einzelnen Schritte der Erfassung, »Loslösung« und Bewertung jüdischen Vermögens die methodische Heran- gehensweise der wirtschaftlichen Enteignung auf: Das Prüfungs- und Berichtsschema folgte grundsätzlich den Anweisungen für die Prüfung »feindlicher« Betriebe. Allerdings hatte der Prüfer einige »Besonderheiten gegenüber der Pflichtprüfung im Altreich« zu beachten.341 So war festzustellen, in welcher Weise Juden das Unternehmen beherrschten (»finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch«), in welcher Form (personell oder durch Kapitalbeteiligung) dies geschah oder ob sonstige »Verflechtungen mit […] jüdischen Personenkreisen« festgestellt werden konnten.342 Ferner war die Erfassung von Menge und Wert des übernommenen jüdischen Vermögens zu prüfen sowie die »vollständige finanzielle und organisatorische Loslösung« von den bisherigen jüdischen Eigentümern.

336 Zum IDW (Berufsverband der deutschen Wirtschaftsprüfer) siehe Kapitel 2; BAB R 8135/5727: Legationssekretär an Institut der Wirtschaftsprüfer, Berlin, 18.3.1941, betr.: Berufseinsatz von Wirt- schaftsprüfern in den Niederlanden. 337 Wixforth, Expansion (2006), 725, Fn. 246. 338 »Richtlinien für die Verwaltung von anmeldepflichtigen Unternehmen«; BAB R 8135/5727: NL Den Haag an Adler, Vorstand der Treuarbeit, 24.7.1941, betrifft: Jüdisches und Feindvermögen. 339 BAB R 177/1891: »Anleitung betreffend unsere Sachbearbeitung auf dem Entjudungssektor«, o. D. 340 BAB R 177/1892: »Richtlinien für die Prüfung von unter Verwaltung stehenden anmeldepflichtigen Unternehmen«, 1.9.1941. 341 BAB R 177/1892: »Richtlinien für die Prüfung von unter Verwaltung stehenden anmeldepflichtigen Unternehmen«, 1.9.1941, 3. 342 BAB R 177/1892: »Richtlinien für die Prüfung von unter Verwaltung stehenden anmeldepflichtigen Unternehmen«, 1.9.1941, 6. 212 Feindvermögensverwaltung: Die Treuarbeit in den Niederlanden Zudem sollten »Anhaltspunkte herausgearbeitet werden, um den massgeblichen [so!] Stellen eine Beurteilung über die weitere Zukunft des Unternehmens, die Möglich- keit der Arisierung usw. zu gestatten.«343 Maßgebend für den Kaufpreis war der Ver- kehrswert, zu dessen Festsetzung »stets nur von dem greifbaren Anlage- und Umlauf- vermögen sowie den effektiven Verbindlichkeiten auszugehen« war. »Sonderposten« wie durch den Krieg verlorene Aktivwerte oder im Ausland blockierte Mittel sowie Forderungen und Verbindlichkeiten gegen Juden waren vom Verkehrswert abzu- ziehen.344 Dies hatte zweifellos zur Folge, dass der Kaufpreis vergleichsweise gering ausfiel. Die Erfolgsrechnung sollte im Gegensatz zum deutschen Aktiengesetz als Bruttorechnung gegliedert sein. Denn die im deutschen Recht erlaubte »weitgehende Saldierung von Aufwendungen und Erträgen […] gestattet […] keinen ausreichenden Einblick in die Zusammensetzung dieser Posten.«345 Bei der Darstellung der recht- lichen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Prüfungsbericht sollte der Prüfer auch auf den »Stand der Arisierung«, also das Vorhandensein von »Vorarisierungsverträgen« oder behördlichen Entscheidungen, eingehen.346 Die Aufgabenverteilung zwischen der NL Den Haag, der Omnia und der NAGU führte zu Konflikten. So erreichte die NL Den Haag erst durch Einschaltung der WPS, dass sie von der Omnia, die als Liquidationstreuhänderin der Aufsicht der NL Den Haag unterstand, Jahresabschlüsse und sonstige Dokumente zu 600 Unternehmens- liquidationen erhielt.347 Die NAGU verweigerte der Niederlassung zunächst die Ein- sicht in die Prüfungsberichte zur Unternehmensbewertung. Auch in diesem Fall bediente sich die NL Den Haag der Vermittlung der Abteilung im Generalkommissariat, um ihre Position als Aufsichtsinstanz nachdrücklich herauszustellen.348 Doch auch zwischen der WPS und der Niederlassung kam es zu Meinungsverschiedenheiten. Die WPS erwartete, dass die NL Den Haag regelmäßig Bilanzen der Betriebe prüfte. Dazu war die Nieder- lassung aber »bei der Fülle der Treuhänderschaften mit Rücksicht auf die Personal- schwierigkeiten« nicht in der Lage und setzte durch, dass »wir das Berichtsmaterial nur von unseren Büroräumen aus durchprüfen«. Eine »Prüfung an Ort und Stelle« sollte nur in begründeten Ausnahmefällen durchgeführt werden. Die Niederlassung verlangte von den Liquidationstreuhändern einen Liquidationsplan. Die WPS ließ den Liquidations- treuhändern jedoch bei ihrer Tätigkeit »grundsätzlich […] freie Hand«. So sah sich die Niederlassung im Hinblick auf die Verkaufspreise und die Käufer der einzelnen

343 BAB R 177/1892: »Richtlinien für die Prüfung von unter Verwaltung stehenden anmeldepflichtigen Unternehmen«, 1.9.1941, 3. 344 BAB R 177/1892: »Richtlinien für die Prüfung von unter Verwaltung stehenden anmeldepflichtigen Unternehmen«, 1.9.1941, 5, diese »Sonderposten« sollten »weiterverwaltet werden, soweit nicht eine Barablösung in Frage kommt«, 6. 345 BAB R 177/1892: »Richtlinien für die Prüfung von unter Verwaltung stehenden anmeldepflichtigen Unternehmen«, 1.9.1941, 14. 346 BAB R 177/1892: »Richtlinien für die Prüfung von unter Verwaltung stehenden anmeldepflichtigen Unternehmen«, 1.9.1941, 22. 347 BAB R 177/1892: Aktennotiz von Willy Hagen, 14.11.1941, »Besprechung mit der Omnia«. 348 BAB R 177/1892: Aktennotiz von Willy Hagen, 14.11.1941, »Besprechung mit der NAGU«. 213 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa Vermögenswerte gehalten, »die korrekte Durchführung von Liquidationen besonders behutsam« zu kontrollieren.349 Nach etwa einem Jahr ihrer Tätigkeit erhielt die Niederlassung erstmals eine konkrete Honorarvereinbarung.350 Das Auftragsschreiben des Generalkommissars für Finanz und Wirtschaft vom 17. August 1940 hatte in einer ersten allgemeinen Form die finanzielle Seite der Beauftragung geregelt: »Es gilt als vereinbart, daß der Niederländische Staat – vertreten durch mich [d. i. Fischböck] – Ihre Gesellschaft von allen Kosten aus diesen Aufträgen freistellt. Es soll Ihnen darüber hinaus ein angemessenes Leistungsentgelt gewährleistet werden, dessen Höhe endgültig dann zu regeln ist, wenn der Umfang Ihrer Arbeit, Ihrer Kosten und Ihres Risikos als ordentlicher Kaufmann klar zu über- sehen ist.« Dies war im Spätsommer 1941 der Fall. Zur »Abgeltung der tatsächlichen Kosten und der Vergütung für Anmeldung und Beaufsichtigung« für treuhänderische Tätigkeiten als Feindvermögensverwalter erhielt die NL Den Haag knapp hfl 176.000. Da der Generalkommissar die Niederlassung inzwischen zur Sammelverwalterin für mehrere Vermögenswerte bestellt hatte, erhielt sie dafür zusätzlich einen Betrag von hfl 30.300, den die NL Den Haag dem von ihr für den Generalkommissar geführten »Separatkonto« selbst entnehmen durfte.351 Für die »Mitwirkung bei der Veräusserung der […] Effekten aus Feindbesitz« gewährte der Generalkommissar ferner eine Ver- gütung von einem Zentel Prozent.352 Für das kommende Jahr sollte die Niederlassung für ihre treuhänderischen Aufgaben hfl 180.000 erhalten. Der Anteil des Leistungs- entgeltes betrug ein knappes Drittel.353 Die Frage der Honorierung der »Tätigkeit auf dem Entjudungssektor« wurde zurückgestellt, »bis praktische Erfahrung« vorlag.354 Anfang 1942 schlug die Niederlassung dem Generalkommissar vor, ihr für die »Tätigkeit als Ueberwachungsorgan auf dem Judensektor« eine jährliche »Nettovergütung« von hfl 25.000 zu gewähren.355

349 BAB R 177/1891: »Anleitung betreffend unsere Sachbearbeitung auf dem Entjudungssektor«, o. D.; BAB R 8135/8630: Aktennotiz, 18.2.1942, Verfasser: Dietz, betr.: Zusammenarbeit mit der Wirt- schaftsprüfstelle. 350 Die Niederlassung hatte im Jahr 1940 insgesamt hfl 60.000 an Vorschüssen erhalten, siehe: BAB R 8135/5727: Dietz an Vorstand Treuarbeit, betr.: Feindvermögen Holland, 18.9.1940. 351 BAB R 8135/5727: Generalkommissar an NL Den Haag, 4.9.1941, betr.: Kostenabrechnung Ihrer Treuhandabteilung. Die Niederlassung hatte unter dem Datum 19.8.1941 eine detaillierte Kosten- abrechnung an den Generalkommissar übersandt – siehe BAB R 8135/8630. 352 BAB R 8135/5727: NL Den Haag an Adler, Vorstand Treuarbeit, 26.2.1941, betrifft: Treuhand- Honorar. (Die Niederlassung hatte diese Effektengebühr mit Schreiben vom 20.2.1941 vom General- kommissar erbeten – siehe BAB R 8135/5727.) 353 BAB R 8135/8630: NL Den Haag an Adler, Vorstand Treuarbeit, 7.2.1942, betrifft: Vergütung unserer Treuhandtätigkeit. Die NL spricht hier von »Nettovergütung«. 354 BAB R 8135/5727: NL Den Haag an Adler, Vorstand Treuarbeit, 24.7.1941. 355 BAB R 8135/8630: NL Den Haag an Adler, Vorstand Treuarbeit, 7.2.1942, betrifft: Vergütung unserer Treuhandtätigkeit. Die NL hatte zunächst 30.000 Gulden als Entgelt für den »Judensektor« geplant; BAB R 8135/8630: Aktennotiz betr.: Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsprüfstelle, Ziffer 2, 18.2.1942, Verfasser: Dietz; BAB R 8135/8630: NL Den Haag an Generalkommissar, 24.2.1942: NL differenziert zwischen »tatsächlich anfallenden laufenden Unkosten« und der »Vergütung«. 214 Feindvermögensverwaltung: Die Treuarbeit in den Niederlanden Berichterstattung zu feindlichen Vermögenswerten

Ende Juli 1941 stellte die Niederlassung, die bereits im September und im Dezember 1940 Zwischenberichte »über das vorläufige Ergebnis« der »Erfassung des Feindver- mögens« an den Generalkommissar geliefert hatte, den »Schlussbericht«356 fertig, der »eine vollständige Übersicht über sämtliche in Betracht kommende[…] feindliche[…] Vermögenswerte«357, die von der NL Den Haag erfasst, verwaltet und beaufsichtigt wurden, lieferte. Seine Grundlage waren etwa 20.000 Anmeldungen zu Feindvermögens- werten.358 Ausfertigungen des Berichtes gingen auch an mehrere Reichsbehörden und Besatzungsbehörden im Ausland.359 Das Zahlenmaterial der Dokumentation war in 27 einzelnen Heften dokumentiert und umfasste insgesamt mehrere Hundert Seiten. Es ent- hielt eine überbordende und nach vielfältigen Kriterien gegliederte Fülle von Angaben zu Personen, Firmen, Objekten und Werten.360 Der Bericht informierte detailliert über Umfang, Behandlung und Verwertung des Vermögens durch die NL Den Haag und die Treuhänder. Die Niederlassung unterteilte das Feindvermögen in 23 Vermögensgruppen, darunter Unternehmen, Liegenschaften, Möbel und Hausrat, sowie Kunstgegenstände, Bankguthaben, Diamanten, Schutzrechte und Wertpapiere.361 141 Verwalter waren für 754 Unternehmen und Einzelvermögen bestellt und elf Sammelverwalter für die übrigen Vermögensgruppen. Nach den Definitionen des Feindbegriffs der VO 26/40 unterschied die Niederlassung in ihren Detailaufstellungen zwischen »Nationalitäts- feinden« bei Vermögenswerten mit englischen oder französischen Anteilen und »Auf- enthaltsfeinden« bei »sonstigem« Feindvermögen.362

356 BAB R 8135/5727: NL Den Haag an Adler, Vorstand Treuarbeit, betrifft: Jüdisches und Feindver- mögen; BAB R 2/30129: Rechnungshof des Deutschen Reiches an Reichsminister der Finanzen, betr.: Verwaltung des Feindvermögens beim Reichskommissar für die besetzten niederländischen Gebiete, Bericht des Regierungspräsidenten a. D. Friedrich (X 5.1610–640/63), S. 3 (»Schlussbericht vom 30.7.1941 […] nach dem Stande von Juni 1941«). 357 BAB R 177/353: Generalkommissar Schröder an Generalkommissar Fischböck über Ministerialrat von Boeckh, 10.10.1941, S. 2. 358 Zwar spricht der Mieles-Bericht, BAB R 177/1889: S. 9, von 30.000 bis 40.000 Anmeldungen, doch ein Statusbericht der NL Den Haag vom 29.1.1943 (BAB R 177/1901) nennt »über« 21.000 Anmeldungen einschließlich der Anmeldungen des Feindvermögens für UdSSR und USA. Ein anderes Dokument (BAB R 8135/10301, Vorblatt Heft Anmeldebögen) lässt errechnen, dass allein für das Feindvermögen US-amerikanischer Vermögenswerte etwa 5.000 Anmeldungen zu bearbeiten waren. 359 BAB R 87/267: Schreiben des Generalkommissars vom 11.8.1941: Ausfertigungen des Berichtes gingen an Reichsministerien für Wirtschaft, Finanzen und Justiz, das Auswärtige Amt, den Reichs- kommissar für die Behandlung feindlichen Vermögens, den Kommissar bei der Niederländischen Bank, den Vertreter des Auswärtigen Amtes beim Reichskommissar für die besetzten niederländischen Gebiete und den Militärbefehlshaber in Paris und Brüssel. 360 BAB R 177/1908: »Erfassungsbericht Feindvermögen – Status Ende Juni 1941 – Heft 1 Zusammen- fassender Bericht«, das detaillierte Zahlenmaterial zu den einzelnen Vermögensgruppen findet sich unter BAB R 8135/Bände 10423 bis 10449. Insbesondere die umfangreichen Übersichten zu den Effekten, die in gebundener Form vorliegen, tragen keine Seitennummerierung. Beispielsweise enthält Heft 24 »Effekten Liste C Aktien« circa 70 Seiten. 361 Sowie Warenlager, Nachlässe, Hypotheken, Forderungen, Bankschließfächer, Gold und Devisen. 362 Siehe Mieles-Bericht, 13. 215 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa Die erfassten Unternehmen waren Betriebe aus den Sektoren Industrie, Handel, Banken, Versicherungen, Landwirtschaft, Verkehrswesen und Fischerei mit einer Gesamtbilanzsumme von fast hfl 2,5 Milliarden.363 Von den Kapitalbeträgen in Höhe von knapp hfl 948 Millionen betrug der Feindanteil etwa hfl 260 Millionen. Hier- bei war der Feindanteil bei Unternehmen des Verkehrswesens mit 77 Prozent und bei Versicherungsunternehmen mit fast 64 Prozent am höchsten.364 Im Durchschnitt aller Unternehmenssektoren lag der Feindanteil bei knapp 28 Prozent, der Anteil des englischen Feindbesitzes erreichte eine Höhe von etwa 19 Prozent. Für alle anderen Ver- mögenswerte ergab sich ein Gesamtwert von gut hfl 375 Millionen. Hierbei stellten die Wertpapiere mit etwa hfl 264 Millionen die größte Einzelkategorie dar.365 Der Feind- anteil lag über alle Vermögenswerte hinweg bei hfl 635 Millionen.366 Jedoch konnte bei den für das Deutsche Reich so wichtigen niederländischen Konzernen wie Philips, Fokker und mehreren Kohleminen, deren Gesamtkapital knapp hfl 600 Millionen betrug, der Feindanteil nicht festgestellt werden.367 Die Einzeldarstellung zu den Unternehmen368 informierte den Leser über den Namen des Unternehmens, die Branche, das Kapital, den Feindanteil in nominalem und prozentualem Wert sowie über die letztbekannte Bilanzsumme.369 Die Waren- lager, in einer sechsseitigen Detailaufstellung alphabetisch aufgelistet, umfassten »bis Juni 1940 rd. 750 Posten […], von denen bisher etwa 650 abgerechnet« waren. Aus den Verkäufen resultierten »Nettoerlöse« in Höhe von etwa hfl 1.990.000.370 Von 1.079 Nachlässen, die in einer achtseitigen Detailaufstellung nach den Namen der Nachlass- begünstigten alphabetisch geordnet waren, waren 101 Nachlässe bereits »auseinander- gesetzt«.371 Vermögenswerte feindlicher Erben oder Legatare wurden anderen Sammel- verwaltungen zugeführt.372 Dabei wurden den »Feinderben […] Vermögenswerte zugeteilt, an denen ein besonderes deutsches Interesse bestehen könnte, in erster Linie

363 Der größte Sektor war die Industrie mit einer Bilanzsumme von hfl 1,8 Milliarden. 364 Bei Unternehmen des Fischereiwesens betrug die Feindbeteiligung sogar 100 Prozent, aber dies war der mit Abstand kleinste Posten mit einer Bilanzsumme von 1,5 Millionen Gulden und mit einem Kapital von gut 500.000 Gulden. 365 BAB R 177/1908: »Zusammenfassender Bericht«, 18. 366 Das Auswärtige Amt hatte den Wert des Feindvermögens in den Niederlanden auf hfl 600 Millionen geschätzt, die Niederlassung schätzte hingegen den Gesamtwert des Feindvermögens im März 1941 auf weit über einer Milliarde hfl, siehe BAB R 8135/5727: NL Den Haag an Vorstand Treuarbeit, 7.3.1941, Kommentar zur Aufzeichnung des Auswärtigen Amtes über Feindvermögen zwischen »Großdeutschland« und England und Frankreich vom 24.2.1941. 367 BAB R 177/1908: »Zusammenfassender Bericht«, 4, 17. 368 Der Bericht spricht von 754 Unternehmen und Einzelvermögen, ohne diese beiden Vermögens- gruppen separat zahlenmäßig zu benennen. 369 Zum Beispiel BAB R 8135/10423, Heft 2: »Unternehmen mit englischem Kapital«. 370 BAB R 177/1908: Schlussbericht zum 30. Juli 1941, S. 6; alphabetische Auflistung: BAB R 8135/ 10429, Beispiel Bl. 1: von »Akkumulatoren« über »Chemikalien« bis »Fischnetze«. 371 BAB R 8135/10430, Heft 9: »Nachlässe«. 372 Die Niederlassung unterschied hier nach den Vermögenskategorien »Bargeld«, »Hypotheken«, »Effekten« und »Sonstiges«. 216 Feindvermögensverwaltung: Die Treuarbeit in den Niederlanden also Unternehmen oder Beteiligungen«.373 Diese Methode wurde gewählt, weil das den Feinderben zugeteilte Vermögen vom Generalkommissariat unter Treuhandverwaltung gestellt werden konnte.374 Der Wert verwalteter Grundstücke betrug geschätzte hfl 35,4 Millionen mit Hypothekenbelastungen in Höhe von hfl 6,17 Millionen.375 Die Detailliste gab Auskunft über die Anmeldepflichtigen, die Eigentümer, die Nutzungs- art, den Wert und die Höhe der Hypothek.376 Die Einzelaufstellung von 1.305 Hypo- theken von Feinden im Wert von hfl 9 Millionen nannte Anmeldepflichtige, Gläubiger und Beträge der Hypotheken.377 Aus der Sammelverwaltung von Möbelstücken, Haus- geräten und »Lifts« aus feindlichem Besitz, die bei Spediteuren eingelagert waren, wurde bis zum Berichtszeitpunkt aus der »Liquidierung […] im Rahmen der Aktion ‚Heim in Holland‘» ein Erlös von hfl 111.500 erzielt.378 Die 15-seitige Detaildarstellung ent- hielt 312 Positionen. Sie war nach den Anmeldepflichtigen gegliedert und gab Auskunft über die Eigentümer der Möbel, ihre Nationalität, den aktuellen Aufenthaltsort und die Art des hinterlegten Objektes.379 Obwohl bei etlichen Eigentümern weder Nationalität noch Aufenthaltsort bekannt waren, wurde ihr Eigentum dennoch unter Verwaltung genommen. Bei vielen Personen handelte es sich um Deutsche, als deren Aufenthaltsort England oder Frankreich galt. Offensichtlich waren es Flüchtlinge, deren Umzugsgut nun in den Niederlanden veräußert wurde.380 Für Kunstgegenstände – dies waren neben Gemälden und Zeichnungen auch Möbel, Porzellan und Teppiche – konnte die Niederlassung zum Berichtszeitpunkt noch keine abschließende Wertermittlung vorlegen: »Eine Reihe von Kunstgegenständen […] ist inzwischen im Einvernehmen mit den amtlichen Stellen veräussert worden.«381 Eine Einzelaufstellung informierte über den Anmeldepflichtigen, den Eigentümer, bezeichnete die Kunstgegenstände und gab den geschätzten Wert an.382 Der General- kommissar für Finanz und Wirtschaft beauftragte die Niederlassung im Sommer 1942 mit der Prüfung des Sammelverwalters Kieslinger und 1944 mit der Prüfung der »Dienststelle Dr. Mühlmann«, der Kieslinger angehörte.383 Die »Dienststelle« hatte den Auftrag, Kunstgegenstände aus Feind- und Judenvermögen »sicherzustellen und in

373 BAB R 177/1908: Schlussbericht zum 30. Juli 1941, 7. 374 Verwaltungen von Warenlagern und Nachlässen lagen in der Hand jeweils eines Sammelverwalters, nicht der Treuarbeit. 375 BAB R 177/1908: Schlussbericht zum 30. Juli 1941, 8; Grundstücke wurden von sechs Sammelver- waltern für Liegenschaften verwaltet. 376 Zum Beispiel BAB R 8135/10431, Heft 10: »Liegenschaften«. 377 BAB R 177/1908: Schlussbericht zum 30. Juli 1941, 9 sowie BAB R 8135/10435, Heft 14: »Hypo- theken«. 378 BAB R 177/1908: Schlussbericht zum 30. Juli 1941, 9. 379 Hier hieß es mehrfach unspezifisch »Kisten« oder »Koffer«. 380 BAB R 8135/10436, Heft 15: »Möbelstücke und Hausrat«, 1,7–9, nach den hier genannten Namen handelte es sich offenbar um deutsche Juden. 381 BAB R 177/1908: Schlussbericht zum 30. Juli 1941, 10. 382 BAB R 8135/10437: Heft 16: »Kunstgegenstände«. 383 BAB R 177/1904: Prüfungsbericht zur »Dienststelle Dr. Mühlmann«, 22.3.1944, 1. Zur »Dienst- stelle« siehe auch: Aalders, Enteignung (2000), 113–118. 217 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa die Hände des Reiches bezw. eines begrenzten Personenkreises überzuleiten, bei denen dies ihrer künstlerischen Qualität wegen erwünscht ist.«384 Mit ihrer Prüfung zielte die Niederlassung darauf ab, alle in den Zuständigkeitsbereich der »Dienststelle« fallenden Kunstgegenstände vollständig zu dokumentieren und über ihren Verbleib zu berichten. Dazu verglich sie Angaben in Unterlagen der »Dienststelle« mit denen der Wirtschafts- prüfstelle und denen aus den bei der NL Den Haag eingegangenen Anmeldungen zum Feindvermögen.385 Sie prüfte auch den Eingang der aus Verkäufen erzielten Erlöse, die auf ein von der Niederlassung geführtes Anderkonto eingezahlt werden mussten. Obgleich die Niederlassung betonte, dass es nicht zu ihrer Aufgabe gehöre, die Ange- messenheit der Schätzpreise zu beurteilen, richtete sie ihr Hauptaugenmerk auf die Schätzer und die Höhe der Wertschätzungen. Sie stellte dabei fest, dass die Schätzpreise durchweg unter den im freien Handel geltenden Preisen angesiedelt waren. So lag etwa die Schätzung der »Dienststelle« für die 195 Positionen der Sammlung Jacob Hartogs um mehr als 50 Prozent unter der Schätzung eines Auktionshauses.386 Der Bericht der Niederlassung bestand aus zahlreichen Aufstellungen, die minutiös sämtliche Kunst- gegenstände auflisteten – einschließlich der Eigentümer, der Empfänger, sowie der Schätzwerte und der abgeführten oder noch abzuführenden Erlöse. Die »Dienststelle« hatte komplette Sammlungen beschlagnahmt, neben der Sammlung Hartogs beispiels- weise auch die Sammlung Dr. Alfons Jaffés mit 56 Positionen. Zu den Empfängern, die die Niederlassung in einer gesonderten Liste aufführte, gehörten Hitler, Heinrich Hoff- mann und Todt. Ein Gemälde von Rubens mit einem Schätzwert von hfl 30.000 war an Hitler zu einem Preis von hfl 15.000 verkauft worden. Die Niederlassung reklamierte, dass »aus dem Verkauf des […] Gemäldes […] zu Gunsten Feindvermögen noch hfl. 15.000« offenstanden. Auch bei zwei im Herbst 1942 an Göring verkaufte Hochreliefs, deren Schätzung, so führte die Niederlassung aus, infolge einer Beschwerde des »Reichs- marschalls« auf weniger als ein Zehntel reduziert wurde, stellte die NL Den Haag fest, dass der Kaufpreis noch nicht bezahlt worden war.387 Das teuerste Einzelstück war ein Selbstbildnis Rembrandts, das Walther Rathenau gehört hatte und als Leihgabe im Rijksmuseum in Amsterdam hing. Die »Dienststelle« schätzte den Wert des Gemäldes auf RM 1,2 Millionen. Sie hatte das Bild an Hitler übergeben. »Eine Berechnung hat nicht stattgefunden«, berichtete die Niederlassung. Zur Begründung führte die »Dienst- stelle« an, dass das Bild auf illegalem Wege nach Holland gebracht worden sei und daher dem Reich zufalle.388 Der Bericht verdeutlicht, dass hochrangige Repräsentanten des NS-Regimes ihre Machtposition missbrauchten, um sich Kunstgegenstände praktisch kostenlos anzueignen. Er zeigt aber auch, dass die Prüfer die Handlungsweise

384 BAB R 177/1904: Prüfungsbericht zur »Dienststelle Dr. Mühlmann«, 22.3.1944, 2. 385 BAB R 177/1904: Prüfungsbericht zur »Dienststelle Dr. Mühlmann«, 22.3.1944, 3. 386 BAB R 177/1904: Prüfungsbericht zur »Dienststelle Dr. Mühlmann«, 22.3.1944, 4 und »Erläuterungen zu der in Anlage II unseres Berichtes«, 6. 387 BAB R 177/1904: Prüfungsbericht zur »Dienststelle Dr. Mühlmann«, 22.3.1944, »Erläuterungen zu der in Anlage II unseres Berichtes«, 2. 388 BAB R 177/1904: Prüfungsbericht zur »Dienststelle Dr. Mühlmann«, 22.3.1944, »Erläuterungen zu der in Anlage II unseres Berichtes«, 5, 6. 218 Feindvermögensverwaltung: Die Treuarbeit in den Niederlanden der »Dienststelle«, Kunstgegenstände unter Wert oder gar ohne Bezahlung an hoch- rangige Führer des Deutschen Reiches abzugeben, missbilligten. Reaktionen darauf sind allerdings nicht bekannt. Die umfänglichste Darstellung im Schlussbericht vom 30. Juli 1941 nahmen die Wert- papiere ein. Der Wert des feindlichen Effektenbesitzes betrug insgesamt hfl 264,6 Mil- lionen, davon waren hfl 40,3 Millionen in englischem und hfl 67 Millionen in fran- zösischem Feindbesitz. Der größte Teil, hfl 157,3 Millionen, befand sich in »sonstigem Feindbesitz« der sogenannten »Aufenthaltsfeinde«. Aufgrund des gewaltigen Umfangs hatte die Niederlassung acht Listen angefertigt, die nach Schuldverschreibungen und Aktien oder aktienähnlichen Papieren sowie nach holländischen und ausländischen Werten unterschieden. Die ausländischen Wertpapiere waren nach Ländern geordnet. Diese Gliederungen sollten offenbar eine schnelle Übersicht und Selektion derjenigen Papiere ermöglichen, die zum Ziel der Kapitalverflechtung erworben werden sollten.389 Neue Arbeit im Bereich der Feindvermögensverwaltung entstand durch den Angriff des Deutschen Reiches auf die UdSSR im Juni 1941. Die Feindvermögenserfassung und -verwaltung wurde mit der VO 142/41 vom 25. Juli 1941 auf russisches Vermögen aus- gedehnt. Anmeldestelle für dieses Vermögen war erneut die NL Den Haag. Sie erstellte schon im September 1941 anhand der Anmeldungen eine gut 30 Seiten umfassende »Zusammenstellung« der Vermögenswerte »für die Union der sozialistischen Sowjet- republiken«. Die Niederlassung unterschied nach zwölf verschiedenen Vermögensgrup- pen, zu denen neben Bankguthaben, Goldbeständen und Wertpapieren auch Briefmar- ken, Schecks und Wechsel gehörten. Die Detaillisten untergliederten auch danach, ob die Vermögenswerte dem ehemaligen zaristischen Russland, den baltischen Republi- ken oder den vormals polnischen Gebieten zuzurechnen waren. Das Gesamtvermögen sowjetischer Feinde belief sich auf etwa hfl 4,7 Millionen. Der größte Posten bestand aus Bankguthaben in Höhe von gut hfl 4,25 Millionen. Die Gläubiger waren zumeist russische Banken.390 Anhand dieses Berichtes gab das Generalkommissariat der Nieder- lassung detaillierte Anweisungen, wie mit den einzelnen Vermögenswerten umgegangen werden sollte. Grundsätzlich unterschied sich die Bearbeitung nicht von der bisherigen Handhabung der Niederlassung. Eine Ausnahme gab es bei den Bankguthaben: Die Konten sollten nicht nur gesperrt werden, sondern die Bankguthaben sollten auf ein Anderkonto der Niederlassung – und damit in den Verfügungsbereich des Generalkom- missariates – überführt werden.391 Der Reichskommissar erließ, ebenfalls zum 25. Juli 1941, die VO 143/41, durch die die US-amerikanischen Unternehmensbeteiligungen von 25 Prozent und mehr an nieder-

389 BAB R 177/1908: Schlussbericht zum 30. Juli 1941, 14–16; BAB R 8135/Bände 10442–10449. 390 BAB R 177/51: Generalkommissar an Reichsminister der Finanzen, 12.8.1941; BAB R 87/88: »Zusammenstellung der bis Ende August 1941 eingegangenen Anmeldungen für die Union der sozialistischen Sowjetrepubliken«; BAB R 87/88: Generalkommissar an verschiedene Reichsministerien und Behörden, 3.10.1941, »Zusammenstellung […] über russische Vermögenswerte«. 391 BAB R 177/51: Generalkommissar an NL Den Haag, 3.10.1941, betr.: Anmeldung sowjetrussischer Vermögenswerte auf Grund [VO] 142/41. 219 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa ländischen Unternehmen erfasst werden sollten.392 Denn seit dem 7. Juli, an dem US- amerikanische Marinetruppen Island besetzt hatten, befanden sich Deutschland und die USA in einem nicht erklärten Krieg.393 Um die NL Den Haag, die nach § 2 der VO als Anmeldestelle fungierte, zu unterstützen, wies der Reichskommissar die US- amerikanischen Konsulate in Amsterdam und Rotterdam an, Listen der in ihren Amts- bezirken ansässigen US-amerikanischen Firmen zu erstellen. Diese Listen wurden dann der Niederlassung übersandt, die sie mit den tatsächlichen Anmeldungen abglich.394 Die NL Den Haag lieferte im September 1941 eine 26-seitige »Zusammenstellung der bis Ende August 1941 eingegangenen Anmeldungen« mit 271 Positionen, die die Anmelde- pflichtigen, den Firmennamen und das jeweilige Kapital der Unternehmen nannte, sowie den US-amerikanischen Anteil, die Aktionäre und ihre Nationalität.395 Schon am 12. September 1941 folgte die VO 177/41, die alle Vermögenswerte US-amerikanischer Feinde der Anmeldung unterwarf.396 Offenbar aufgrund der negativen Erfahrungen mit dem in der Vergangenheit unterschätzten Arbeitsaufwand entwarf die Niederlassung für diese Erfassungsaktion nun einen mehrseitigen Anmeldebogen. Er war in deutscher und holländischer Sprache abgefasst und forderte detaillierte Angaben zum Eigentümer, zum Anmeldepflichtigen sowie zu den einzelnen Vermögenswerten, die in 14 Vermögens- gruppen untergliedert waren.397 Der Formularsatz und weitere Formblätter, zum Bei- spiel für die Erfassung von Wertpapieren, wurden den Anmeldepflichtigen über die Industrie- und Handelskammern zur Verfügung gestellt.398 Mitte Dezember 1941 galt es als sicher, dass »in nächster Zeit« die USA als Feindstaat im Sinne der Feindvermögens- verordnung 26/40 angesehen werden würde.399 Das Generalkommissariat wollte ein

392 VO 143/41: Betroffen waren Gesellschaften und Gemeinschaften, die zu einem Viertel oder mehr mittelbar oder unmittelbar unter dem Einfluss natürlicher oder juristischer Personen standen, soweit diese Personen Staatsbürger der USA waren oder ihren Wohnsitz, Sitz oder gewöhnlichen Aufenthalt dort hatten; BAB R 177/94: Generalkommissar an NL Den Haag, 27.8.1941. 393 Schmidt, Weltkrieg (2008), 117. 394 BAB R 177/94: Reichskommissar an Generalkommissar, 11.7.1941; BAB R 177/94: General- kommissar an NL Den Haag, 26.8.1941. 395 BAB R 8135/10421: »Zusammenstellung der bis Ende August 1941 eingegangenen Anmeldungen auf Grund der Verordnung des Reichskommissars für die besetzten niederländischen Gebiete über amerikanische Vermögenswerte vom 27. Juli 1941 (VO 143/41)«. BAB R 177/94: Generalkommissar an diverse Reichsministerien und Behörden, 24.9.1941, Übersendung des Berichtes der NL Den Haag über die Anmeldungen nach VO 143/41 über amerikanische Vermögenswerte. 396 Dies war offenbar eine Reaktion auf die Verfügung von Präsident Roosevelt am 11.9.1941, aufgrund derer die US-Marine auf jedes Kriegsschiff der Achsenmächte schießen durfte – siehe: Schmidt, Welt- krieg (2008), 117. 397 BAB R 177/1432: Generalkommissar an Reichsminister der Finanzen, 17.9.1941; BAB R 177/1432: NL Den Haag an Generalkommissar, 10.12.1941: Im Dezember sandte die NL Anmeldevordrucke an den Generalkommissar zurück, die sie über ihn von den Militärbefehlshabern in Paris und Brüssel erhalten hatte. Ob diese Vordrucke die Gestaltung der in den Niederlanden verwendeten Anmelde- bögen beeinflusst haben, ist nicht festzustellen. 398 BAB R 177/1432: NL Den Haag an Kamer van Koophandel en Fabrieken voor […], 15.9.1941; BAB R 177/1432: NL an Generalkommissar, 16.9.1941; BAB R 177/1432: Generalkommissar an Reichs- minister der Finanzen, 17.9.1941; BAB R 8135/10301: »Anmeldebogen«. 399 Am 11.12.1941 erklärte Deutschland den USA den Krieg, siehe: Schmidt, Weltkrieg (2008), 118. 220 Feindvermögensverwaltung: Die Treuarbeit in den Niederlanden »möglichst schlagartiges Erfassen der Vermögenswerte« sicherstellen. Daher bat es die NL Den Haag, »bereits jetzt, den zuständigen Sammelverwaltern […] die für ihre Ver- waltung in Betracht kommenden Werte aufzugeben, sie aber dabei anzuweisen, diese Werte erst in dem Augenblick, dann aber unverzüglich, in Verwaltung zu nehmen«, wenn die Feindvermögensverordnung um den Feindstaat USA ergänzt worden sei. Für die Werte, die der Sammelverwaltung der Niederlassung selbst unterlagen, sollte die NL Den Haag ebenfalls umgehend die notwendigen Vorbereitungen treffen. Was die von der Niederlassung im September 1941 eingereichte Übersicht mit 271 Unternehmen betraf, bat das Generalkommissariat, ihm geeignete Verwalter vorzuschlagen und »für sämtliche erfassten Firmen noch Berichte zuzuleiten«.400 Die ersten 111 Berichte lieferte die NL Den Haag Ende Januar 1942 ab.401 Zu diesem Zeitpunkt war die Niederlassung aus kleinsten Anfängen im Sommer 1940 auf 64 Mitarbeiter angewachsen. Hans Braun hatte die NL Den Haag verlassen, um in den Vorstand der Bank der Deutschen Luftfahrt zu wechseln.402 An seine Stelle trat der Wirtschaftsprüfer und Jurist Dr. Reinhold Merckens.403 Merckens und das Vor- standsmitglied Adler, ebenfalls Jurist, verband ein kollegial-freundschaftliches Verhält- nis. »Lieber Herr Merckens«, schrieb Adler an den Niederlassungsleiter, »Was sagen Sie dazu, dass [so!] ich mich Anfang des nächsten Jahres verheiraten werde!«404 Als durch den fortschreitenden Krieg die Beschaffung von Konsumgütern in Deutschland immer schwieriger wurde, bat das Vorstandsmitglied um die Übersendung von Schreibpapier und Fahrradgummi aus den Niederlanden.405 Seit dem Sommer 1943 war es in Deutsch- land kaum mehr möglich, Kleidung zu kaufen.406 Adler nutzte die Gelegenheit, im Nachbarland etwas anfertigen zu lassen. »Bei Ihrem Schneider in den [so!] Haag ist von mir noch ein Jacket in Arbeit«, informierte Adler den Niederlassungsleiter. Weil er – im Sommer 1944 – nicht nach Den Haag kommen könne, »um grosse [so!] Anproben zu machen«, bat er Merckens um Vermittlung: »Da der Schneider meine Masse [so!] hat, kann er das Jacket ruhig so anfertigen. Bei einem bequem gearbeiteten Sportjacket kommt es nicht so sehr auf den guten Sitz an. Vielleicht rufen Sie den Knaben einmal an und veranlassen das Entsprechende.«407

400 BAB R 177/11: Generalkommissar an NL Den Haag, 12.12.1941, betr.: Behandlungen feindlichen Vermögens, hier: Behandlung nordamerikanischen Vermögens. 401 BAB R 177/94: NL Den Haag an Generalkommissar, 28.1.1942. 402 Nach Angaben von Reinhold Merckens schied Braun Ende Oktober 1941 aus – siehe BAB R 177/1903: Protokoll zu einer Befragung des Dr. Reinhold Merckens am 15.11.1945, 2. Braun nahm aber noch Mitte November 1941 an Besprechungen mit der Omnia und der NAGU teil – siehe BAB R 177/1892: Aktennotizen von Willy Hagen vom 14.11.1941. 403 Merckens wurde am 29. August 1908 in Aachen geboren. Sein juristisches Studium schloss er mit der Promotion ab. 1934 nahm er seine Tätigkeit bei der Treuarbeit auf. 1941 legte er das Wirtschaftsprüfer- examen ab, siehe: BAB Personaldatenbank, PK I 0042/796; Merckens, Reinhold: Rechtsfragen zu den Allgemeinen Bedingungen für den Geschäftsverkehr mit den Großbanken. Leipzig, Dissertation 1931. 404 BAB R 8135/8630: Adler an Merckens, 15.12.1943. 405 BAB R 8135/8630: Adler an Merckens, 15.12.1943; Adler an Merckens, 14.10.1943. 406 Buchheim, »Mythos« (2010), 325. 407 BAB R 8135/8630: Adler an Merckens, 20.6.1944. 221 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa Die Niederlassung gliederte sich inzwischen aufbauorganisatorisch in drei Bereiche: die »Revisionsabteilung«, die »Treuhand-Abteilungen« und die »Verwaltung«.408 Ent- gegen der ursprünglichen Anweisung des Generalkommissars, wegen der Vertraulich- keit der Tätigkeiten die Sachbearbeitung nur von »reichsdeutschen Herren« vornehmen zu lassen, arbeiteten sowohl im Revisions- wie auch im Treuhandbereich Niederländer. Die Revisionsabteilung bestand aus acht Revisoren und einem Berichtskritiker, der gegenüber den Revisoren leitungs- und weisungsbefugt war. Dr. Erich Höhn verteilte die Aufgaben, gab Arbeitsanweisungen, entschied in Zweifelsfällen und bearbeitete die Prüfungsberichte abschließend.409 Dem Bereich »Verwaltung« gehörten neben der Niederlassungsleitung Mitarbeiter der Buchhaltung, der Registratur, der Materialver- waltung und der Telefonzentrale sowie der Boten- und Küchendienst an. Die Treuhand- Abteilung, die auch die mit elf Frauen besetzte »Schreibstube« umfasste, gliederte sich in die Gruppen »Sachbearbeiter«, »Anderkonto« und »Anmeldungen amerikanisches Vermögen«. Diese drei Gruppen stellten mit 24 Mitarbeitern den größten Teilbereich dar. Die Gruppe »Sachbearbeiter« war neben der Bearbeitung mehrerer Sammelver- waltungen und der Ausnahmebewilligungen zum Verfügungs- und Zahlungsverbot vor allem für die Sichtung der Eröffnungs-, Prüfungs- und Zwischenberichte zu den verwalteten Betrieben zuständig. Nachdem bei der Gruppe im Herbst 1941 etwa 500 unbearbeitete Berichte aufgelaufen waren, wurde zunächst eine Kürzung der Bericht- erstattung an den Generalkommissar erwogen und über eine Neuorganisation des Arbeitsablaufes in Kleingruppen nachgedacht. Schließlich wurde die Anzahl der Mit- arbeiter erhöht.410 Zum Jahresanfang 1942 hatte die Niederlassung im Bereich der Feindvermögensverwaltung 150 Einzelverwalter für 473 Unternehmen und 83 Einzelver- mögen sowie sieben Sammelverwalter zu überwachen. Auf dem »Judensektor« umfasste die Überwachung 538 Einzeltreuhänder in 1.079 Betrieben sowie zwei Sammelverwalter für 369 Unternehmen.411 Nach ihren seit dem Sommer 1941 gesammelten Erfahrungen auf dem »Entjudungs- sektor« drängte die Niederlassung gegenüber der Wirtschaftsprüfstelle (WPS) im Früh- jahr 1942 darauf, ihre Zuständigkeit in der Feind- und Judenvermögensverwaltung stärker herauszustellen. Sie machte Vorschläge für die Liquidationsverwaltung und bot sich auch als Sammeltreuhänderin für weitere Vermögenswerte an. So kritisierte die Niederlassungsleitung, dass »in einigen Fällen jüdische Betriebe arisiert worden sind, bei denen die Arisierungserlöse teilweise in die Feindvermögensverwaltung gehören.«

408 BAB R 177/1892: »Besetzung der einzelnen Abteilungen der Niederlassung Den Haag am 31. Dezember 1941/1. Januar 1942.« 409 BAB R 177/1892: »Bericht« Johs. Winklers vom 2.10.1941 zum Arbeitsablauf in der Niederlassung, 3. 410 Der Bericht Johs. Winklers nennt neun Mitarbeiter – siehe BAB R 177/1892: »Bericht« vom 2.10.1941; die Mitarbeiterliste zum Jahreswechsel 1941/1942 nennt 13 Mitarbeiter – siehe BAB R 177/1892: »Besetzung der einzelnen Abteilungen der Niederlassung Den Haag am 31. Dezember 1941/1. Januar 1942.« 411 BAB R 8135/8630: Dietz/Merckens, NL Den Haag, an Adler/Vorstand Treuarbeit, betr.: Vergütung unserer Treuhandtätigkeit, 7.2.1942. 222 Feindvermögensverwaltung: Die Treuarbeit in den Niederlanden Die NL Den Haag ließ sich von der WPS zusagen, dass ihr der »Feindanteil […] zur treuhänderischen Verwaltung zu Gunsten des Berechtigten auf das Anderkonto« überwiesen wird. Die WPS versprach auch, dafür zu sorgen, dass die Niederlassung von allen »Veräusserungsbescheiden« eine Kopie erhielt, damit sie selbst dafür sorgen konnte, dass »die Feinden gehörenden Erlöse« auf das Anderkonto der Niederlassung eingezahlt würden.412 Darüber hinaus sollten Erlöse aus Geldforderungen von Juden, die als Feinde im Sinne der VO 26/40 galten, auf das Anderkonto der Niederlassung in ihrer Eigenschaft als Sammelverwalterin für feindliche Geldforderungen fließen. Geld- forderungen von Feinden an zu liquidierende jüdische Unternehmen mussten eben- falls auf das Anderkonto der Niederlassung gebucht werden.413 Die NL Den Haag erinnerte die WPS auch daran, dass sie zu den Honorarvorschlägen der Treuhänder Stellung nehmen dürfe und reklamierte, dass »in zahlreichen Fällen die Honorarfest- setzungen ohne unsere Stellungnahme oder unter deren Missachtung erfolgt sind und dass [so!] die Treuhänderhonorare in vielen Fällen das Niveau der Verwalterhonorare auf dem Feindvermögenssektor« überstiegen.414 Des Weiteren schlug die Niederlassung vor, die bei der Liquidation anfallenden Büromaterialien einem Sammeltreuhänder zuzu- führen, »weil diese Geräte vermutlich in wenigen Monaten im Osten dringend benötigt werden.«415 Die WPS beauftragte daraufhin die Omnia Treuhandgesellschaft, in Amster- dam ein Sammellager für Büromaterial einzurichten.416 Die »im feindlichen Ausland eingefrorenen Forderungen der liquidierten Firmen« wurden mit einem Merkposten von einem Gulden mitveräußert. Die »Arisierer« waren verpflichtet, diese Beträge nach Aufhebung der Auslandssperre einzutreiben und die Erlöse der »Vermögensverwaltung und Rentenanstalt«417 zuzuführen. Hier bot sich die Niederlassung an, die Eintreibung der Außenstände zu übernehmen. Die NL Den Haag wollte sich zudem als Sammelver- walterin für Kunstgegenstände zur Verfügung stellen.418

412 BAB R 8135/8630: Aktennotiz von Dietz, betr.: Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsprüfstelle, 18.2.1942, Ziffer 5. 413 BAB R 8135/8630: Aktennotiz von Dietz, betr.: Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsprüfstelle, 1.4.1942, Ziffer 2, Absatz 2, Ziffer 4. 414 BAB R 8135/8630: Aktennotiz von Dietz, betr.: Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsprüfstelle, 18.2.1942, Ziffer 12. 415 BAB R 8135/8630: Aktennotiz, betr.: Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsprüfstelle, 1.4.1942, Ver- fasser: Dietz, Ziffer 5. 416 BAB R 8135/8630: Aktennotiz, betr.: Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsprüfstelle, 18.2.1942, Ver- fasser: Dietz, Ziffer 9. 417 Korrekt: Vermögensverwaltungs- und Rentenanstalt (VVRA), eine »Raubsammelkasse«, auf deren Konten Verkaufs- und Verwertungserlöse aus dem Eigentum holländischer Juden eingingen, siehe: Wixforth, Expansion (2006), 735, 736. 418 BAB R 8135/8630: Aktennotiz, betr.: Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsprüfstelle, 18.2.1942, Ver- fasser: Dietz, Ziffer 10, 13. 223 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa Niederlassung Den Haag und Bankhaus Lippmann, Rosenthal & Co.

Die Wirtschaftsprüfstelle beabsichtigte jedoch, die Verwaltung für eingefrorene Forderungen und für Kunstgegenstände an das Bankhaus Lippmann, Rosenthal & Co. zu übergeben. »Dieses Bankhaus hat sich zu einer Art Treuhandstelle auf dem Ent- judungssektor entwickelt. Die Bestrebungen gehen zurzeit dahin, sämtliches Juden- vermögen in den besetzten niederländischen Gebieten, vermutlich auch das bisher auf unseren Anderkonten verwaltete, bei Lippmann, Rosenthal & Co. zu konzentrieren.«419 Dietz vermutete offenbar eine neue Konkurrenz. Im Sommer 1943 erhielt die Nieder- lassung allerdings die geforderte treuhänderische Verwaltung für sämtliche »Auslands- forderungen und sonstige[n] Auslandswerte« von jüdischen Unternehmen, die bei einer »Arisierung« nicht vom Erwerber übernommen wurden.420 Darüber hinaus übernahm die NL Den Haag im Februar 1944 auch die Sammelverwaltung für das Feindvermögen und die Sammeltreuhänderschaft für das Judenvermögen bei nicht realisierbaren oder beitreibbaren »Forderungen und Rechtstitel aus stillgelegten Unternehmen sowie Ver- pflichtungen, die z. Z. nicht erfüllt werden« können. Dazu forderte die Niederlassung von den Verwaltern, Verwaltungstreuhändern und Liquidationstreuhändern Auf- stellungen und sonstige rechtserhebliche Dokumente sowie detaillierte Angaben über diese Forderungs- und Schuldenbestände. Nach Sichtung dieser Unterlagen informierte die Niederlassung die Abteilung Feindvermögen oder – bei Judenvermögen – die Wirt- schaftsprüfstelle. Die behördlichen Stellen beriefen die bisherigen Verwalter und Treu- händer ab und bestellten die Niederlassung zur Sammelverwalterin oder Sammeltreu- händerin.421 Der erste Kontakt der NL Den Haag zum Amsterdamer Bankhaus Lippmann, Rosenthal & Co. in der Nieuwe Spiegelstraat hatte im Sommer 1940 stattgefunden. Im Juli 1940 war der Bankier Alfred Flesche, Präsident der Deutschen Handelskammer für die Niederlande, zum Verwalter der Bank bestellt worden. Ein wichtiger Geschäfts- zweig der Bank war die »Administration« niederländischer Gesellschaften für ihre im Ausland wohnenden Eigentümer. Flesche beauftragte die NL Den Haag, zu prüfen, ob diese Gesellschaften unter die Feindvermögensverordnung fielen und, soweit dies zutraf, für seine Bestellung zum Verwalter dieser Gesellschaften zu sorgen.422 Unter dem Namen des renommierten Bankhauses errichtete das Reichskommissariat im Sommer 1941 eine Verwaltungsstelle in der Sarphatistraat (LiRo) zur Erfassung und späteren

419 BAB R 8135/8630: Aktennotiz, betr.: Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsprüfstelle, 18.2.1942, Ver- fasser: Dietz; NL Den Haag an Adler, Treuarbeit, betrifft: Wirtschaftsprüfstelle – Honorar, 24.2.1942; BAB R 8135/8630: Aktennotiz, betr.: Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsprüfstelle, 1.4.1942, Ver- fasser: Dietz. 420 BAB R 177/1890: Wirtschaftsprüfstelle an Niederländische Aktiengesellschaft für Abwicklung von Unternehmen, 10.8.1943, Bl. 2, Ziffer 1. 421 BAB R 177/2327: Merkblatt betreffend die Sammelverwaltung Diverses, Februar 1944, Verfasser nicht benannt, Diktatzeichen weist auf die Niederlassung, Adressaten ergeben sich aus dem Text: Ver- walter, Verwaltungstreuhänder und Liquidationstreuhänder. 422 BAB R 177/1340: Flesche an NL Den Haag, 3.9.1940. 224 Feindvermögensverwaltung: Die Treuarbeit in den Niederlanden Verwertung jüdischer Vermögen. Gemäß der VO 148/41 vom 8. August 1941 wurden Juden verpflichtet, ihre Geld- und Wertpapierkonten in die LiRo zu verlegen.423 Nun trat die Niederlassung in eine direkte Beziehung zur LiRo. Bei der Behandlung von Nachlässen, Steuerzahlungen und Auszahlungen nahm »Lippmann, Rosenthal & Co. […] Auszahlungen an Treuhänder nur auf Antrag über die Wirtschaftsprüfstelle vor. Es wurde vereinbart, dass wir in dieser Beziehung der Wirtschaftsprüfstelle gleichgestellt werden, so dass [LiRo] nunmehr auch aufgrund [so!] [von] Anträgen über unsere Gesell- schaft Auszahlungen an Treuhänder vornehmen wird.«424 Die LiRo war aber nicht nur Konkurrentin der NL Den Haag und ihr gegenüber in Einzelfällen weisungsgebunden, sie war auch Prüfungsgegenstand. Im Auftrag des Treuhänders Flesche prüfte die Nieder- lassung den Jahresabschluss zum 31. Dezember 1942. Flesche wollte »die Richtigkeit und Vollgültigkeit der einzelnen Posten der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechung« feststellen lassen.425 Die LiRo war jedoch kein Unternehmen, sondern ein »spezielles Verwaltungs- und Liquidationsinstitut« mit Erfassungs- und Verwertungsaufgaben. Sie erfasste neben Wertpapieren, Bargeld und Bankguthaben auch Forderungen, Rechte einschliesslich und Versicherungen sowie Sammlungen, Kunstgegenstände, Schmuck, Perlen, Edel- und Halbedelsteine sowie Edelmetall«, ferner Gebrauchsgegenstände wie Hausrat, Teppiche und Bilder.426 Da sich nach Auffassung des NS-Regimes die Ent- eignung der Juden finanziell zugunsten des Deutschen Reiches auswirken sollte, wollte Flesche als verantwortlicher Treuhänder prüfen lassen, ob eine vollständige Erfassung und nachweisbare Verwertung gegeben waren. Die Aufstellung einer Bilanz und die Prüfung nach deutschen Bilanzierungsgrundsätzen waren jedoch zwecklos. Folglich ergaben sich für die Niederlassung erhebliche Bewertungsprobleme.427 Die »Einmalig- keit der Aufgabenstellung und die Eigenart der rechtlichen Konstruktion« führten zu »Besonderheiten betriebswirtschaftlicher Art, die eine Anwendung normaler Masstäbe [so!] und herkömmlicher Grundsätze bei der Beurteilung des Betriebs nicht ohne weiteres zulassen.«428 Es gebe kaum »schutzbedürftige Gläubigerinteressen«. So sei denn auch »der üblichen Gruppierung der Passivseite nicht der materielle Inhalt echter geschäftlicher Verbindlichkeiten […] als vielmehr eine nur formale […] aus der […] Liquidationsmasse abzuleitende Bedeutung beizumessen.« Echte Gläubiger bestanden nur in Höhe von knapp hfl 12,8 Millionen, statt der in der Bilanz genannten rund

423 Aalders, Enteignung (2000), 222, 223, 257. 424 BAB R 177/1892: Aktennotiz »Besprechung mit Lippmann, Rosenthal & Co, Amsterdam/ Sarphatistr.«, 5.6.1942, Verfasser: Hagen. 425 BAB R 177/223: Prüfungsbericht der NL Den Haag über den Jahresabschluss zum 31. Dezember 1942 der Firma Lippmann, Rosenthal & Co, Sarphatistraat/Amsterdam, datiert 20.12.1943. Aus dem Bericht geht hervor, dass die Niederlassung bereits 1942 prüfte. 426 BAB R 177/223: Prüfungsbericht der NL Den Haag über den Jahresabschluss zum 31. Dezember 1942 der Firma Lippmann, Rosenthal & Co, Sarphatistraat/Amsterdam, datiert 20.12.1943, 2, 3. 427 BAB R 177/223: Prüfungsbericht der NL Den Haag über den Jahresabschluss zum 31. Dezember 1942 der Firma Lippmann, Rosenthal & Co, Sarphatistraat/Amsterdam, datiert 20.12.1943, 4, 6. 428 BAB R 177/223: Prüfungsbericht der NL Den Haag über den Jahresabschluss zum 31. Dezember 1942 der Firma Lippmann, Rosenthal & Co, Sarphatistraat/Amsterdam, datiert 20.12.1943, 2. 225 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa hfl 115 Millionen.429 Die Bilanzposition »Gläubiger« entstand aus der Veräußerung der von Juden eingelieferten Wertpapiere und stellte das Kapital zur Verfügung, mit dem die LiRo Wertpapiere für den Eigenbesitz erwarb, die sie unter der Aktivposition »Eigene Wertpapiere« bilanzierte.430 Die Niederlassung stellte Bewertungsreserven in Höhe von gut einer halben Million Gulden fest, »auf die verzichtet werden kann«.431 Außerdem hatte die LiRo die Wertgegenstände in der Bilanz nur unvollständig erfasst, beispielsweise waren Kunst- und Gebrauchsgegenstände nicht aufgenommen und auch die Ansprüche aus angemeldeten Versicherungsverträgen nicht angesetzt worden.432 Ferner stellte die Niederlassung fest, dass eine »nach kaufmännischen Gesichtspunkten aufgestellte Erfolgsrechnung« praktisch nicht bestand. Echten Aufwendungen standen »Eingänge und Erträge aus der Verwaltungs- und Liquidationsmasse« gegenüber. Ledig- lich einen Teil der Gebühren könne man als Gegenwert für eine betriebliche Leistung werten.433 Die Bilanz enthalte Bestände der »Bankabteilung«, die Erfolgsrechnung hingegen auch Aufwendungen und Erträge aus den beiden anderen Abteilungen der LiRo.434 In ihrer zusammenfassenden Beurteilung zog die Niederlassung das Resümee, dass der Jahresabschluss dem Grundsatz der Vollständigkeit nicht genüge und dass das durch den Jahresabschluss vermittelte Bild des geschäftlichen Abschlusses und der betrieblichen Lage ungenau und schief sei. »Der ausgewiesene Gewinn kann daher als Gradmesser der betrieblichen Leistung nicht dienen.«435 Die Aufgabenverteilung der NL Den Haag und der LiRo gestaltete sich danach, ob Juden als »Juden« oder als »Feinde« zu behandeln waren. »Juden ehemals deutscher, niederländischer oder gleichgestellter Staatsangehörigkeit«, die bereits vor dem 1. September 1939, also vor dem deutschen Einmarsch in Polen, die Niederlande verlassen hatten, konnten inzwischen die Staatsangehörigkeit des Aufenthaltslandes erworben haben. Daher waren »diese Juden vorsorglich als Feinde zu behandeln« und ihre Ver- mögenswerte bei der Treuarbeit »einzuliefern«.436 Juden mit deutscher, niederländischer oder gleichgestellter Staatsangehörigkeit, die sich in neutralen Ländern aufhielten, waren hingegen als Juden zu behandeln. Ihre Vermögensgegenstände fielen in den Ver-

429 BAB R 177/223: Prüfungsbericht der NL Den Haag über den Jahresabschluss zum 31. Dezember 1942 der Firma Lippmann, Rosenthal & Co, Sarphatistraat/Amsterdam, datiert 20.12.1943, 7. 430 BAB R 177/223: Prüfungsbericht der NL Den Haag über den Jahresabschluss zum 31. Dezember 1942 der Firma Lippmann, Rosenthal & Co, Sarphatistraat/Amsterdam, datiert 20.12.1943, 5, Ziffer 10. 431 BAB R 177/223: Prüfungsbericht der NL Den Haag über den Jahresabschluss zum 31. Dezember 1942 der Firma Lippmann, Rosenthal & Co, Sarphatistraat/Amsterdam, datiert 20.12.1943, 8. 432 BAB R 177/223: Prüfungsbericht der NL Den Haag über den Jahresabschluss zum 31. Dezember 1942 der Firma Lippmann, Rosenthal & Co, Sarphatistraat/Amsterdam, datiert 20.12.1943, 13. 433 BAB R 177/223: Prüfungsbericht der NL Den Haag über den Jahresabschluss zum 31. Dezember 1942 der Firma Lippmann, Rosenthal & Co, Sarphatistraat/Amsterdam, datiert 20.12.1943, 9. 434 BAB R 177/223: Prüfungsbericht der NL Den Haag über den Jahresabschluss zum 31. Dezember 1942 der Firma Lippmann, Rosenthal & Co, Sarphatistraat/Amsterdam, datiert 20.12.1943, 13. 435 BAB R 177/223: Prüfungsbericht der NL Den Haag über den Jahresabschluss zum 31. Dezember 1942 der Firma Lippmann, Rosenthal & Co, Sarphatistraat/Amsterdam, datiert 20.12.1943, 15. 436 BAB R 177/1890: Generalkommissar an Rechtsanwalt O. E. Bauer, betr.: im Ausland befindliche erb- berechtigte Juden, 23.7.1943. 226 Feindvermögensverwaltung: Die Treuarbeit in den Niederlanden antwortungsbereich der LiRo.437 Bei sogenannten Aufenthaltsfeinden, d. h. bei Juden nicht feindlicher Staatsangehörigkeit, insbesondere also holländischen und deutschen Juden, die im feindlichen Ausland ihren Wohnsitz hatten oder sich dort aufhielten, wurde zwischen zwei Gruppen unterschieden: Juden, die vor dem 9. Mai 1940 aus den Niederlanden ausgewandert waren, wurden »vorsorglich« als »Feinde« behandelt. Dagegen unterlag das Vermögen der erst nach dem 9. Mai 1940 ausgewanderten Juden der Behandlung nach den Bestimmungen der »Judenvermögensverordnungen«.438 Die wirtschaftliche Existenz von Juden hing demnach an bürokratischen Vorschriften, die auch Statusabgrenzungen zweier konkurrierender Institutionen regelten.

Niederlassung Den Haag und der Sicherheitsdienst (SD)

Gekränkt reagierte die Niederlassung, weil der Sicherheitsdienst (SD) ihr offenbar nicht die ihr gebührende Aufmerksamkeit widmete. Der Generalkommissar hatte geplant, die Niederlassung als Aufsichtsinstanz für eingezogenes und verwertetes Vermögen ein- zusetzen. So hatte sie bereits im Sommer 1940 zum Entwurf einer Verordnung über Vermögenseinziehung Stellung genommen.439 Mit der VO 33/40, die am 4. Juli 1940 in Kraft trat, konnten »Organe der deutschen Sicherheitspolizei« Vermögen von »Personen oder Vereinigungen, die deutsch- oder reichsfeindliche Bestrebungen gefördert haben, fördern oder von denen anzunehmen ist, dass [so!] sie solche Bestrebungen in Zukunft fördern werden, […] ganz oder teilweise« beschlagnahmen.440 Im Frühjahr 1941 nahm die NL Den Haag diese Aufsichtsfunktion über Verwalter für eingezogene Vermögens- werte erstmals wahr.441 Im April 1942 beschwerte sich die Niederlassung schriftlich beim Generalkommissar Fischböck, weil die für den Vermögenseinzug zuständige Behörde, der Höhere SS- und Polizeiführer, auf ihre sich im Rahmen der Aufsicht ergebenden Anfragen nicht reagierte: »Wir gehen hiernach davon aus, dass [so!] wir unserer Auf- sichtspflicht enthoben sind und gestatten uns, Ihnen dies vorsorglich zur Kenntnis zu bringen.«442 Der SD legte hingegen auf die Einschaltung der Niederlassung besonderen Wert und bemühte sich, die Beziehungen zur NL Den Haag zu verbessern. Daher über- gab der zuständige Hauptsturmführer Fahrenholtz der Niederlassung nicht nur einen Entwurf der Richtlinien für die Verwaltung eingezogenen Vermögens zur Stellung-

437 BAB R 177/1890: Generalkommissar an Bankhaus Lippmann, Rosenthal & Co, 16.9.1943, betr.: Effektenverkäufe aus jüdischen Depots. 438 BAB R 2/30129: Bericht des Regierungspräsidenten […] Friedrich über örtliche Erhebungen beim Reichskommissar für die besetzten niederländischen Gebiete, 22.12.1943, 2, 3. 439 BAB R 177/1893: Treuarbeit NL Den Haag, 4.7.1940, an Generalkommissar für Finanz und Wirt- schaft zur Verordnung über Vermögenseinziehung. 440 §§ 1 und 2 der VO 33/40 über Vermögenseinziehung vom 4.7.1940 (BAB R 177/1893). 441 BAB R 177/1893: NL Den Haag an Vorstand, betr.: staatsfeindliches Vermögen, 13.5.1941; BAB R 177/1893: Aktennotiz, verfasst von Dietz, betr.: Einziehungsverordnung 33/40, 13.5.1940. 442 BAB R 177/1898: NL Den Haag an Generalkommissar, 2.4.1942 (Zitat S. 2), BAB R 8135/8630: NL Den Haag an Treuarbeit, betrifft: unsere treuhänderische Tätigkeit auf Grund der VO 33/40. 227 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa nahme,443 sondern wollte mit einem speziellen Auftragsschreiben das Geschäftsver- hältnis zur Treuarbeit auf eine feste Grundlage stellen. Das von der Niederlassung ent- worfene Auftragsschreiben ging dem Vorstand der Treuarbeit in Berlin im August 1942 vom »Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD f. d. besetzten niederländischen Gebiete« zu.444 Mitleiter Dietz versprach dem SD, nur »deutsche Herren« für die Über- wachungstätigkeit einzusetzen. Die für die Aufsichtstätigkeit »anfallenden Unkosten« wurden der Niederlassung erstattet. Ein Honorar wollte Dietz erst dann berechnen, »wenn wir Umfang und Verantwortlichkeit unserer Arbeit übersehen können«.445 Allerdings bat er darum, die aus der Verwertung entstehenden Erlöse nicht einem Anderkonto der Niederlassung, sondern einem »Spezialkonto« gutzuschreiben: »Auf den Anderkonten verwalten wir Feindvermögen. Es erscheint uns zweckmäßig, die Gelder, die wir in Ihrem Auftrag für das Reich verwalten werden, auf Spezialkonten zu sammeln und von dem Feindvermögen streng zu trennen.«446 Anfang August 1942 litt die Niederlassung erneut unter Personalengpässen. 13 männliche »Gefolgschaftsmitglieder« waren zu »militärischen Dienstleistungen« ein- gezogen worden. Die Belegschaft bestand inzwischen mehrheitlich aus Niederländern. Die männlichen deutschen Mitarbeiter waren für Dietz die wichtigsten, denn sie nahmen Leitungsfunktionen oder »Schlüsselstellungen« in der Treuhandverwaltung ein. In seinem Hilferuf an den Generalkommissar für Finanz und Wirtschaft erläuterte Dietz, dass die Personallage schon seit dem Vorjahr so angespannt sei, dass den Mit- arbeitern der Urlaub nur eingeschränkt gewährt oder ganz gestrichen werden musste. Nun drohte der vollständige Abzug von drei der 13 deutschen Gefolgschaftsmitglieder für »Bewachungsaufgaben im Osten des Landes«. Unter diesen Bedingungen sah die Niederlassungsleitung die »ordnungsmäßige Durchführung der [ihr] übertragenen Auf- gaben« gefährdet. Daher bat die NL Den Haag den Generalkommissar, den Abzug der vorgenannten Mitarbeiter zu verhindern.447 In dieser prekären Situation bekam die Niederlassung bei der Personalrekrutierung Konkurrenz aus dem eigenen Haus: Die Treuarbeit hatte im Herbst 1942 auf interministeriellen Beschluss den Auftrag erhalten, exklusiv in den »besetzten Ostgebieten« – im Wesentlichen den baltischen Ländern und der Ukraine – das sogenannte Wirtschaftssondervermögen und die Ostgesellschaften zu prüfen. Dazu hatte die Treuarbeit eine Tochtergesellschaft namens »Reichsprüfungs-

443 BAB R 177/1893: NL Den Haag an Höheren SS- und Polizeiführer […] Fahrenholtz, betr.: VO 33/40, 30.6.1942. 444 BAB R 177/1893: Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD an NL Den Haag, 12.8.1942; BAB R 177/1893: NL Den Haag an Vorstand, 18.8.1942; BAB R 177/1893: Befehlshaber der Sicherheits- polizei und des SD an Treuarbeit Berlin, betr.: Vermögenseinziehung in den besetzten niederländi- schen Gebieten, August 1942 (Auftragsschreiben). 445 BAB R 8135/8630: Aktennotiz, betr.: VO 33/40, 19.6.1942, Verfasser: Dietz; es ging um sechs Fälle; BAB R 177/1893: Notiz von Dietz an Hagen, 5.8.1942, Dietz nennt die ersten drei Firmen. 446 BAB R 177/1893: NL Den Haag an Höheren SS- und Polizeiführer […] Fahrenholtz, betr.: VO 33/40, 30.6.1942, S. 2. 447 BAB R 8135/8630: NL Den Haag an Generalkommissar, 6.8.1942. Die NL hatte insgesamt 84 Mit- arbeiter, davon waren 23 weiblich. Von den 61 männlichen Mitarbeitern waren sieben Reichsdeutsche, zwölf Hollanddeutsche und 42 Niederländer. 228 Feindvermögensverwaltung: Die Treuarbeit in den Niederlanden gesellschaft für die besetzten Ostgebiete« gegründet. Die Treuarbeit wollte zugunsten ihrer Tochter qualifiziertes Prüfungspersonal von holländischen »Accountants-Firmen« über Generalkommissar Schmidt dienstverpflichten lassen.448 Zu diesem Zeitpunkt hatte die NL Den Haag allein im Arbeitsgebiet »Prüfungen« 118 »noch nicht begonnene Prüfungsaufträge« des Feindvermögenssektors zu bearbeiten. Sie wusste nicht, ob sie diese Aufträge selbst durchführen würde oder ob sie sie an reichs- deutsche Wirtschaftsprüfer weitergeben müsse. Ferner lagen »einige hundert Aufträge zur Prüfung jüdischer Vermögen« vor. Insgesamt 160 Prüfungsaufträge des Feind- und des »Judensektors« waren in Bearbeitung. Zu sieben beendeten Prüfungen standen die Berichte noch aus. 71 Berichte aus den Bereichen »Feind- und Judenvermögen« befan- den sich in der abschließenden Fertigung.449 Trotz des erheblichen Arbeitsaufwandes gab Dietz der Wirtschaftsprüfstelle weitere Ratschläge für ihre Aufgabenerfüllung. So kritisierte er gegenüber dem Leiter des Treuhandreferates, Dr. Küsel, dass die Wirt- schaftsprüfstelle zu viele jüdische Betriebe »arisieren« lasse: Für eine umfangreichere Liquidierung sprachen seiner Meinung nach viele Gründe: In den Niederlanden seien fast alle Branchen übersetzt und durch die Entfernung der Juden reduziere sich die große Zahl von Kaufleuten. Zudem bedinge die politische Zukunft des Landes eine Umstel- lung der vorhandenen Kaufleute auf neue Aufgabengebiete, da amtlicherseits damit gerechnet werde, dass bis zu einem Viertel der niederländischen Bevölkerung im Zuge der Aufgaben der neuen Ostkompanie in die neu gewonnenen Osträume gelenkt werde »Dr. Küsel hat mir bestätigt«, betonte Dietz gegenüber der Berliner Zentrale, dass »er in den meisten Fällen unsere Vorschläge, Verwaltungen in Liquidationen umzuwandeln, begrüsst [so!]«. Die Sachbearbeiter der Niederlassung wies er an, »in Zukunft noch mehr als bisher darauf zu achten, ob verwaltete Unternehmen lebensfähig sind […]. Wenn […] Zweifel bestehen, sind diese in unseren Berichten zur Sprache zu bringen und die Wirtschaftsprüfstelle anzuregen zu prüfen, ob nicht Liquidation vorzuziehen ist.«450 Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Dietz seine Ideen und Vorschläge in diesem oder früheren Aktenvermerken übertrieben darstellte. Ob es nun Beschwerden seitens des Generalkommissariats gegeben hatte oder ob der Vorstand einen eigenmächtig han- delnden Niederlassungsleiter loswerden wollte – Ende September 1942 wurde Mitleiter Hans Dietz jedenfalls beurlaubt. Er durfte die Geschäftsräume der Niederlassung nicht mehr betreten. Dietz hatte anwaltliche Mandate und »etwaige[…] sonstige[…] nicht rein anwaltlich honorierte Tätigkeiten« wahrgenommen. Vorhandenes Aktenmaterial musste er an Direktor Koop aus der Zentrale Berlin übergeben.451

448 BAB R 8135/8630: Treuarbeit Berlin an Geschäftsleitung Den Haag, 10.12.1942. 449 BAB R 177/1892: NL Den Haag, 8.9.1942. 450 BAB R 8135/8630: Aktennotiz, betr.: Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsprüfstelle, 23.6.1942, Ver- fasser: Dietz. Die Notiz wurde offensichtlich verfasst, um sowohl die Sachbearbeiter der Niederlassung als auch die Zentrale der Treuarbeit in Berlin, an die eine Abschrift ging, über das Gespräch mit Dr. Küsel zu informieren; nach »anzuregen« ist im Originaltext kein Komma gesetzt. 451 BAB R 177/1901: Vorstand Treuarbeit an Merckens, NL Den Haag, 30.9.1942. 229 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa Infolge der Personalengpässe verzögerte sich die Fertigstellung des aktualisierten Erfassungsberichtes über sowjetisches und amerikanisches Feindvermögen.452 Als vor- läufige Bestandsaufnahme konnte die Niederlassung dem Generalkommissar jedoch mitteilen, dass das USA-Feindvermögen gemäß der VO 177/41 in einer Gesamthöhe von hfl 107 Millionen bestand. Im Einzelnen betrug der Wert der Immobilien etwa hfl 15,4 Millionen. Bargeld und Bankguthaben bestanden in Höhe von hfl 44,1 Millionen. Forderungen waren im Wert von rund hfl 40 Millionen und Hypothekenforderungen in Höhe von fast hfl 5,1 Millionen angemeldet worden. Hingegen konnten 2.000 Warenzeichen, 51 Patente, 294 Schließfächer sowie 40 Kunstgegenstände und 1.212 Nachlässe noch nicht bewertet werden. Zu den Wertpapieren konnte die Niederlassung »noch keine, auch schätzungsweise« Angabe machen. Bei den genannten Vermögens- werten war zudem zu berücksichtigen, dass »solche von Juden, die […] an die Firma Lippmann, Rosenthal & Co. […] zu übertragen sind, von den vorgenannten Zahlen noch in Abzug gebracht werden« mussten. Zur Höhe des Anteils konnte die Nieder- lassung keine Aussage machen. Auch Doppelerfassungen im Hinblick auf die Feindver- mögensverordnung 26/40 waren noch zu ermitteln. Niederländische Unternehmen mit US-amerikanischer Beteiligung gemäß der VO 143/41 hatte die Niederlassung in einer Höhe von hfl 74 Millionen Gesamtkapital mit einem US-amerikanischen Anteil von hfl 62 Millionen erfasst.453 Erst zwei Monate später konnte die Niederlassung die auch vom Reichswirtschaftsministerium dringend gewünschten Auskünfte zum feindlichen US-amerikanischen Wertpapierbesitz nachliefern.454 Die Niederlassung hatte ihre 130-seitige Aufstellung in vier Teile untergliedert, in denen sie jeweils die Aktien und Schuldverschreibungen holländischer und ausländischer Unternehmen und Schuldner zusammenfasste. Die Listen, die holländische Werte betrafen, waren alphabetisch nach Unternehmen (Aktien) und Schuldnern (Schuldverschreibungen) geordnet und führten die Nominalbeträge und Zinssätze auf. Die Listen, die die ausländischen Werte enthielten, waren nach Ländern und innerhalb der Länder nach Unternehmen und Schuldnern systematisiert.455 Während der Tätigkeitsumfang der Niederlassung mehr und mehr anstieg, ordnete das NS-Regime erste Rückzugsbewegungen an. Wegen der drohenden Landung der Alliierten an der niederländischen Küste wurden die deutschen Dienststellen ins Landes- innere verlegt. So zog auch die Niederlassung zum Jahresbeginn 1943 nach Arnheim.456 Zu dieser Zeit beaufsichtigte die Niederlassung 210 »Einzelverwalter«, die 1.100 Unter-

452 BAB R 177/353: NL Den Haag an Generalkommissar, 23.11.1942. 453 BAB R 177/94: NL Den Haag an Generalkommissar, 19.12.1942, betrifft: USA-Feindvermögen in den besetzten niederländischen Gebieten. 454 BAB R 177/94: Generalkommissar an NL Den Haag, 7.1.1943, zum Interesse des Reichswirtschafts- ministeriums. 455 BAB R 177/160: »Zusammenstellung der aufgrund der VO 177/41 bei uns angemeldeten Wert- papiere« Liste A: Aktien Inland, Liste B: Schuldverschreibungen Inland, Liste C: Aktien Ausland, Liste D: Schuldverschreibungen Ausland, BAB R 177/94: NL Den Haag an Generalkommissar für Finanz und Wirtschaft, betr.: USA- Feindvermögen in den besetzten niederländischen Gebieten, 12.1.1943. 456 BAB R 177/1903: Protokoll zu einer Befragung des Dr. Reinhold Merckens am 15.11.1945, 3. 230 Feindvermögensverwaltung: Die Treuarbeit in den Niederlanden nehmen und etwa 100 Großvermögen »betreuten«, sowie mehrere Sammelverwalter für Warenlager, Nachlässe und Liegenschaften, Versicherungen, Möbel und Hausrat. Die Niederlassung selbst war Sammelverwalterin für Schließfächer, Gold, Devisen, Effekten, Hypotheken sowie Geldforderungen und Bankguthaben. Auf von ihr geführten »Sonderkonten« hatte sie Bankguthaben in Höhe von hfl 64,8 Millionen gesammelt. Ferner hatte die NL Den Haag die »Aufsichtsführung über sämtliche Judenbetriebe in den Niederlanden« und damit über 1.100 Verwaltungstreuhänder, die rund 3.500 »wirt- schaftsnotwendige […] Judenbetriebe […] verwalteten und fortführten.« Außerdem unterstanden die Liquidationstreuhänder für jüdische Unternehmen der Aufsicht der Niederlassung. Zu diesen zählte auch die »Sammeltreuhänderin« Omnia, die noch etwa 4.000 Betriebe abzuwickeln hatte.457 Die Niederlassung prüfte jede Liquidation und erstellte hierzu einen Bericht, in dem sie die Entwicklung und den Verbleib der Unternehmenswerte von der Übernahme durch den Treuhänder bis zur endgültigen Abwicklung darstellte.458 Abgewickelt wurden auch »jüdische« Goldwaren- und Juwelier- geschäfte. Im Rahmen ihrer Aufsicht über die Liquidationstreuhänder informierte die Niederlassung die Wirtschaftsprüfstelle (WPS) über mehrere festgestellte Mängel. Sie kritisierte die fehlenden behördlichen Regelungen für den Ablauf der Liquidation und die Vergütung der Liquidationstreuhänder. Die NL Den Haag hielt es für unvertret- bar, wenn Liquidationstreuhänder gleichzeitig als Taxatoren für die Warenbestände der Geschäfte tätig waren oder als Käufer auftraten. Daher schlug die Niederlassung vor, die Selbstübernahme von Warenbeständen nur ausnahmsweise und mit Genehmigung der WPS zuzulassen. Die Preise müssten »durch 2 absolut neutrale Taxatoren geschätzt« werden.459 Ende 1943 erhielt die Niederlassung außerdem die Sammelverwaltung für liquidierte »jüdische« Unternehmen.460 Die Höhe der von ihr »betreuten Vermögens- werte« schätzte die Niederlassung insgesamt auf etwa zwei Milliarden Gulden.461

Die Kontoführung der Niederlassung Den Haag

Die Verwaltung der Geld- und Wertpapiervermögen der Feinde erforderte eine umfang- reiche und ausdifferenzierte Kontoführung. Die Niederlassung verwaltete fast alle für die Feindvermögensverwaltung und die »Feindjuden«-Verwaltung benötigten Konten und Depots. Die von Kurt van der Plaats geleitete »Bankabteilung« mit sieben Mitarbeitern

457 BAB R 177/1901: Aktenvermerk »Zweigniederlassung Den Haag«, 29.1.1943, 1. 458 Zum Beispiel BAB R 177/2303: Prüfung der N. V. Bankvereeniging Lodewijk Korijn, Amsterdam, 20.4.1944. 459 BAB R 177/1892: Aktennotiz für Dietz und Merckens, verfasst von Hagen, 4.9.1942, 2 (Zitat, Ziffer 4). 460 BAB R 177/1890: NL Den Haag an Rechnungshof des Deutschen Reiches, 7.12.1943, 2, sowie Anlage XI »Bestallungsurkunde« vom 10.11.1943. 461 BAB R 177/1901: Aktenvermerk »Zweigniederlassung Den Haag«, 29.1.1943. 231 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa war für die Verwaltung der Konten und Depots zuständig.462 Die Kontoführung umfasste zahlreiche »Anderkonten«, »Sonderkonten« und »Separatkonten« sowie ein »Sternkonto«, ein »Treukonto«, ein »Überleitungskonto« und ein »Liquidationskosten- konto« für unterschiedliche Zwecke und in verschiedenen Währungen, insbesondere in Gulden und Reichsmark, sowie vor allem in US-Dollar, englischen Pfund und französischen Francs. Für verwaltete Wertpapiere gab es eine entsprechende Fülle von Depotarten.463 Die Niederlassung unterhielt diese Konten und Depots bei einer Viel- zahl niederländischer Banken sowie bei der Reichs-Kredit-Gesellschaft, der Bank der Deutschen Luftfahrt und der Deutschen Bank.464 Die Guthaben der Konten speisten sich aus eingezogenen Forderungen und Erlösen aus Wertpapierkäufen. So nahmen »Sonderkonten« Bankguthaben von Feinden auf, die die Niederlas- sung seit April 1942 von gesperrten Bankkonten bei etwa 250 Banken dorthin hatte transferieren lassen.465 Das »Sternkonto« diente der Vereinnahmung von Erlösen »aus versteigerten Hausgeräten usw. ausgewanderter Juden«. Die Einrichtung dieses Kon- tos ging auf Reklamationen niederländischer Spediteure zurück, welche die Bezahlung von Transportkosten und Lagerspesen verlangten, die ihnen durch die Lagerung von Möbeln jüdischer Emigranten entstanden waren. Der Befehlshaber der Sicherheitspoli- zei und des SD in Den Haag ermächtigte die Spediteure am 9. März 1942 zum Verkauf der Umzugsgüter. Der über die Spesen hinausgehende Mehrerlös wurde auf das »Stern- konto« überwiesen und betrug bis zum 30. Juni 1943 knapp hfl 270.600.466 Die Guthaben setzten sich aber auch aus Gebühren zusammen, die für die Verwaltung oder die Liquidation von Vermögenswerten erhoben wurden.467 Diese Eingänge über- wachte die Niederlassung mittels einer Kartei. Rückstände mahnte die »Bankabteilung«

462 BAB R 177/1890: »Arbeitsverteilung für die Bankabteilung«, 17.3.1943. Es ist allerdings nicht fest- stellbar, in welchem zeitlichen Umfang die in der »Arbeitsverteilung« genannten Mitarbeiter mit der Kontenverwaltung beschäftigt waren. 463 Ander-, Sonder-, Sammel-, Separat- und Sterndepots, siehe: BAB R 177/1890: »Übersicht über die im Zusammenhang mit der Feindvermögensverwaltung bei verschiedenen Banken treuhänderisch geführten Konten und Depots«, o. D. 464 Beispiele: BAB R 177/1890: Stand der Anderkonten am 31.10.1943 (Anlage XIII zum Schreiben der Treuarbeit an den Rechnungshof des Deutschen Reiches); BAB R 177/1897: Stand der Sonderkonten am 31.12.1944; BAB R 177/1897: Separatkonto/Auszahlungen, 24.10.1944; BAB R 177/1897: Stand Separatkonto am 31.12.1944; BAB R 177/1897: Konto Verwaltungskosten Omnia am 31.12.1944; BAB R 177/1897: Liquidationskostenkonto, 22.3.1945 (für den Zeitraum vom 1.8.1944 bis zum 31.12.1944). 465 BAB R 177/1892: NL Den Haag, 11.4.1942, Formschreiben an Banken, sonstige Kreditinstitute, Effektenmakler und -kommissionäre zur Übertragung von Bankguthaben auf ein Sonderkonto der NL Den Haag. 466 Siehe hierzu auch BAB R 177/276: Bericht der Rechnungskontrollstelle über das durch die Deutsche Revisions- und Treuhand-AG […] geführte […] Sternkonto«, 24.11.1943, 2, 3, 5. 467 BAB R 2/30129: Bericht des Regierungspräsidenten […] Friedrich über örtliche Erhebungen beim Reichskommissar für die besetzten niederländischen Gebiete, 22.12.1943, 6, zu den Sätzen der Gebührenerhebung: Nachlässe: fünf Prozent des Feindanteils; Hypotheken: ein Prozent halbjährlich; Wertpapiere und Bankguthaben: ein Prozent je Verwaltungszeitraum; Auszahlungen von Ander- und Sonderkonten: ein Prozent; Kupongutschriften: ein Prozent. 232 Feindvermögensverwaltung: Die Treuarbeit in den Niederlanden an.468 Aus den Guthaben wurden Honorare für Treuhänder und Sammelverwalter, auch an die Niederlassung, gezahlt. Von den darüber hinaus angesammelten Guthaben erhielt die »Reichsstiftung Niederlande« im März 1943 einen Betrag von hfl 2,1 Millionen. Über Geldanlagen aus angesammelten Feindgeldern entschied grundsätzlich Nieder- lassungsleiter Merckens.469 Erworbene Wertpapiere wurden auf Sonder-, Ander- oder Separatdepots verbucht. Die »Sammeldepots A« dienten dazu, »die von Privaten und Firmen sowie aus liquidierten Unternehmen übernommenen Effekten« zu verwahren, »die Feinden zustehen, ferner solche Bestände, bei denen eine unmittelbare Verwaltung durch die Treuarbeit« zweckmäßig erscheine. Damit nahm die Niederlassung auch Wert- papiere in ihren Verfügungsbereich auf, die nur anmeldepflichtig waren. Die Sammel- depots »F. J.« (»Feindjuden«) dienten der Verwaltung von Wertpapieren feindlicher Juden sowie der von Juden »übernommenen« Wertpapiere, die die LiRo in Verwaltung genommen hatte. Die Niederlassung beabsichtigte, für diese Papiere »in nächster Zeit« bei vier Berliner Banken weitere Sammeldepots »F. J.« zu eröffnen.470 So wurden Gelder und Werte der Verfügungsgewalt der Feinde und Feindjuden entzogen und in den Ver- fügungsbereich der Treuarbeit überführt oder der Transfer zu deutschen Banken vor- bereitet.471 Über die Vermögensverwaltung hinaus erfüllte die Niederlassung auch »Sonder- aufträge deutscher Dienststellen« wie der »Zentralen Auftragsstelle« und des Devisen- schutzkommandos. Zudem übernahm sie im Auftrag der Vierjahresplanbehörde die »wirtschaftliche Beurteilung« von etwa 1.600 Kolonialgesellschaften »von teilweise hervorragender Bedeutung«.472 Die Anzahl der Mitarbeiter war zum Jahresbeginn 1943 gegenüber dem Sommer 1942 leicht auf 76 Personen gesunken. Allerdings ließ sich die Niederlassung bei der Durchführung der jährlich »mehrere[n] 1000« Prüfungen durch »etwa 40 kommissarische und freiberufliche deutsche Wirtschaftsprüfer und eine Reihe zuverlässiger holländischer Accountants« unterstützen.473 Diese Wirtschaftsprüfer und qualifizierten Prüfungsassistenten, speziell mit Liquidationen jüdischer Klein- und Mittelbetriebe beauftragt, wurden der Niederlassung durch die Reichskammer der Wirtschaftstreuhänder vermittelt. Es handelte sich um »Kurzprüfungen« von jeweils wenigen Tagen mit dem Ziel, einen Überblick über die wirtschaftlichen Verhält- nisse zu gewinnen. Die Gesamtdauer derartiger Beschäftigungen lag bei etwa fünf bis

468 BAB R 177/1890: Generalkommissar Hauptabteilung Wirtschaft – Feindvermögen – an Rechnungs- hof des Deutschen Reiches, betrifft: Verwaltung Feindvermögen, 5.2.1944, Ziffer 3. 469 BAB R 177/1890: NL Den Haag an Rechnungshof des Deutschen Reiches, 7.12.1943, 4; BAB R 177/276: »Bericht der Rechnungskontrollstelle über das durch die Deutsche Revisions- und Treu- hand-AG Arnheim geführte […] Separatkonto«, 2, 3, 4. 470 BAB R 177/1903: »Erläuterungen zu den im Zusammenhang mit den Bestimmungen der Feind- vermögensverordnungen 26/40, 142/41 und 44/42 des Reichskommissars für die besetzten nieder- ländischen Gebiete von der Deutschen Revisions- und Treuhand-A. G. Niederlassung Den Haag, z. Zt. in Katzhütte (Thüringen), treuhänderisch geführten Bankkonten und Effektendepots«, 15.5.1945. 471 Die Niederlassung berichtete dem Generalkommissar in der Regel monatlich über die Entwicklung der einzelnen Kontenstände, der Erlöse und der Auszahlungen. 472 BAB R 177/1901: Aktenvermerk »Zweigniederlassung Den Haag«, 29.1.1943, 1. 473 BAB R 177/1901: Aktenvermerk »Zweigniederlassung Den Haag«, 29.1.1943, 2. 233 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa sechs Monaten.474 Dennoch klagte Niederlassungsleiter Merckens immer wieder über personelle Probleme. »Ich verliere Ihre Sorgen nicht aus den Augen«, versicherte ihm Vorstandsmitglied Adler, der sich wiederholt bemühte, der Niederlassung Mitarbeiter der Treuarbeit aus den Außenstellen in Riga und Reichenberg oder aus der Berliner Zentrale zur Verfügung zu stellen.475 Zur Vermögensverwaltung und Prüfungstätigkeit kam für die Niederlassung eine weitere Aufgabe hinzu: Sie verkaufte Schmuck und Schmuckgegenstände wie goldene Krawattennadeln oder Zigarettenetuis, die sie vom Devisenschutzkommando »zur best- möglichen Verwertung« erhalten hatte, jeweils an den Meistbietenden. So veräußerte sie zwölf Schmuckgegenstände der Eheleute Klar zu knapp hfl 52.000. Damit lag der Ertrag deutlich über den anvisierten Taxwerten von hfl 40.100. Die Niederlassung erhob für diese Tätigkeit ein Prozent Spesen.476 Zur vorübergehenden Lagerung solcher Wertgegenstände, sowie von Wertpapieren, versiegelten Briefumschlägen und priva- ten Dokumenten wie Heiratsurkunden oder Testamenten hatte die Niederlassung vier Bankschließfächer angemietet.477 In diesen Schließfächern deponierte sie Wertsachen, die sie »im Zuge der Ueberleitung des Feindjudenvermögens« von der LiRo erhalten hatte oder die vom Devisenschutzkommando beschlagnahmt worden waren, sowie ver- filmte Kopien zu den von der Niederlassung geführten Konten und Depots.478 Ende 1943 bearbeitete die Treuhandabteilung der Niederlassung »nahezu in gleicher Stärke« Aufgaben des Feindvermögens und des Judenvermögens. Die anfallenden Kos- ten erstattete das Generalkommissariat daher zu gleichen Teilen – für das Feindver- mögen vom »Separatkonto«, für das Judenvermögen vom »Verwaltungskostenkonto«. Beide Konten führte die Treuarbeit selbst. Das zusätzlich gezahlte Leistungsentgelt betrug hingegen im Feindvermögenssektor jährlich hfl 69.000 und im Judensektor lediglich hfl 24.960 jährlich.479 Die Niederlassung war jedoch nicht nur Prüferin, sondern wurde auch selbst geprüft. Im Spätherbst 1943 unterzog die Rechnungskontrollstelle des Reichskommissars die von der Niederlassung geführten Konten einer Überprüfung. Die Kontoführung der Niederlassung wurde als den Anforderungen genügend und beweiskräftig gewürdigt.480

474 BAB R 3101/17660: Reichskammer der Wirtschaftstreuhänder, 15.5.1943, »An die Wirtschaftsprüfer, die sich im Jahre 1941 für den Berufseinsatz in Holland gemeldet haben«. 475 BAB R 8135/8630: Adler an Merckens, 28.10.1942 (Zitat); Adler an Merckens, 13.8.1943, Adler an Merckens, 14.10.1943. 476 BAB R 177/1895: Devisenschutzkommando Niederlande an NL Den Haag, 19.1.1943 (Frau Geber); NL Den Haag an Devisenschutzkommando, Amsterdam, 21.1.1943 (Eheleute Klar). 477 BAB R 177/1890: »Übersicht über die im Zusammenhang mit der Feindvermögensverwaltung bei verschiedenen Banken treuhänderisch geführten Konten und Depots«, o. D. BAB R 177/1896 – Protokoll zu Schließfach 763, 14.1.1944, Protokolle zu Schließfach 766, 3.2.1944, Protokoll zu Schließfach 760, 23.8.1944. 478 BAB R 177/1896: Aktennotiz zur Hinterlegung von Wertsachen in das Schließfach 763, 14.1.1944; zwei Protokolle für Schließfach 766, 3.2.1944. 479 BAB R 177/1890: NL Den Haag an Rechnungshof des Deutschen Reiches, 7.12.1943, S. 3. 480 BAB R 177/276: Prüfungsberichte der Rechnungskontrolle zum Separatkonto und zum Sternkonto, datiert jeweils 24.11.1943. 234 Feindvermögensverwaltung: Die Treuarbeit in den Niederlanden Zum Jahreswechsel 1943/1944 wurde die Niederlassung außerdem vom Rechnungshof des Deutschen Reiches geprüft.481 Dabei erfuhr die Niederlassung, dass die NAGU für ihre Prüfungen eine Zeitgebühr zwischen hfl 85 und hfl 145 je Arbeitstag berechnete und zusätzlich noch eine Wertgebühr erhob. Zudem stellte die NAGU der Wirtschafts- prüfstelle »kleine Fahrtspesen sowie 2 % Umsatzsteuer« in Rechnung.482 Die Nieder- lassung selbst berechnete hingegen einen Pauschalsatz von maximal hfl 100 je Arbeitstag, der jedoch nur für Prüfungsleiter und schwierige Prüfungen anzusetzen war. »Da bei der Mehrzahl der Fälle der Prüfungen die Anwendung des Höchstsatzes nicht in Frage kommt und darüber hinaus in zahlreichen Fällen den schlechten finanziellen Verhält- nissen der Unternehmen Rechnung getragen werden muß, ergibt sich für das gesamte Prüfungsgeschäft ein Durchschnittssatz, der erheblich (etwa 30–40 %) unter dem Höchstsatz liegt.« Demnach berechnete die Niederlassung meistens einen Tagessatz von hfl 60 bis hfl 70.483 Dies galt aber nur für die geprüften Unternehmen. Für Prüfungen, die gegenüber dem Generalkommissar abgerechnet wurden, stellte die Niederlassung einen Tagessatz von nur hfl 30 in Rechnung, obwohl für hochqualifizierte Prüfer ein Tagessatz zwischen hfl 70 und hfl 90 erzielt werden konnte. Die Niederlassung war jedoch der Ansicht, »dem Generalkommissariat dieses für ihn günstige Zugeständnis im Interesse des Treuhandgeschäftes machen zu müssen.«484

Rückzug aus den Niederlanden

Seit Januar 1944 stellte die Niederlassung Überlegungen zu dem finanziellen Aspekt einer möglichen Abwicklung der NL Den Haag an. Besondere Rücklagen hatte sie nicht gebildet. Sie vermutete jedoch, dass auch im Abwicklungsfalle die Kosten vom Generalkommissar übernommen werden würden. Deshalb sollte für die Feindver- mögensverwaltung auf dem »Separatkonto« und für die Judenvermögensverwaltung auf dem »Verwaltungskostenkonto« ein »ausreichendes Guthaben« unterhalten werden.485 Kammergerichtsrat Schröder vom Generalkommissariat für Finanz und Wirtschaft ging

481 BAB R 2/30129: »Bericht des Regierungspräsidenten a. D. […] Friedrich über örtliche Erhebungen beim Reichskommissar für die besetzten niederländischen Gebiete […] betr. die Verwaltung des Feind- vermögens«, 22.12.1943, die eigentliche Prüfung fand erst im Januar 1944 statt. 482 BAB R 177/1890: Aktennotiz über die Besprechung am 28. Januar 1944 mit der vom Rechnungs- hof des Deutschen Reiches nach Holland entsandten Prüfungskommission, Verfasser: Merckens, 11.2.1944, S. 2. 483 BAB R 177/1890: Generalkommissar Hauptabteilung Wirtschaft – Feindvermögen – an Rechnungs- hof des Deutschen Reiches, betrifft: Verwaltung des Feindvermögens, 5.2.1944, Ziffer 5. Zum Pauschalsatz für Prüfungen von hfl 100 pro Tag siehe auch BAB R 177/1890: NL Den Haag an Schröder, Generalkommissar Finanz und Wirtschaft, 16.5.1944. 484 BAB R 177/1890: Aktenvermerk über die Ursachen für das scheinbare Absinken der Rentabilität im Revisionsgeschäft Arnheim im ersten Halbjahr 1943 im Vergleich zum ersten Halbjahr 1942, 27.8.1943, Verfasser: Höhn. 485 BAB R 8135/8630: ZNL Den Haag an Generalkommissar Schröder, 13.1.1944, betr.: Niederl. Zweig- stelle der Deutschen Revisions- und Treuhand-AG. 235 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa davon aus, dass auch dann noch Kosten und Vergütungen anfallen, wenn Gebühren von den verwalteten Vermögen nicht mehr eingenommen werden.486 »Praktisch liegen die Dinge so, dass [so!] auch wir Rücklagen haben, weil wir die Einnahmen auf dem von uns verwalteten Gebührenkonto nur teilweise ausschütten (ca. 5–800.000 hfl).«487 Zu dieser Zeit verwaltete die Niederlassung eingezogene Forderungen von 15.000 Feinden, Bankguthaben von 10.000 Feinden, Schließfachinhalte von 2.000 Feinden, Edelstein- besitz von 40 Feinden und Hypothekenforderungen von 1.600 Feinden.488 Seit dem 9. Juni 1944 befand sich das Gebiet der Niederlande im Alarmzustand. 14 deutsche Mitarbeiter der Niederlassung, darunter auch der Niederlassungsleiter Merckens, wurden zur »Schutzgruppe« eingezogen, zwei niederländische Mitarbeiter zur »Landwacht« verpflichtet. Da das »Wachtlokal« der Schutzgruppe im »Dienstge- bäude Velperweg« der Niederlassung eingerichtet war, konnte der Geschäftsbetrieb »vor- läufig geordnet« weitergeführt werden. Die »holländische Gefolgschaft« erschien weiter- hin pünktlich zum Dienst. In der Treuhandabteilung wurden nur die »notwendigsten Arbeiten erledigt«, das Revisionsgeschäft ruhte.489 Zu diesem Zeitpunkt war die Nieder- lassung Sammelverwalterin für »feindliche« Hypotheken, Bankguthaben, Barbeträge, Wertpapiere sowie Gold und Devisen im Wert von rund hfl 621 Millionen.490 Merckens drängte auf den Abtransport von Aktenmaterial.491 Schon Ende Januar hatte er das Generalkommissariat gebeten, die Anmeldungen US-amerikanischer Vermögenswerte aus dem Gebäude der Niederlassung zu entfernen und »sicherheitshalber anderswo« ver- wahren zu lassen.492 In einer Besprechung mit Mitarbeitern des Generalkommissariats, insbesondere der Feindvermögensverwaltung (Schröder) und der Wirtschaftsprüfstelle (Korbmüller) sowie der NAGU (Veltjens), Ende August wurden die Möglichkeiten eines Abtransportes auch der Werte und Gelder nach »Westdeutschland« erörtert. Merckens sorgte für die Beschaffung von Kisten für den Abtransport der Materialien.493 »Panikstimmung in Arnheim«, notierte Merckens unter dem 3. September, »Bomben- explosionen […]. Rückfliehende Verbände«. Generalkommissar Fischböck lehnte jede

486 BAB R 8135/8630: Generalkommissar Schröder an Militärbefehlshaber in Frankreich, 15.1.1944. 487 BAB R 8135/8630: Aktennotiz, betr: Schreiben des MVR Weber beim Militärbefehlshaber in Frank- reich, 12.1.1944, Verfasser: Adler, Vorstand Treuarbeit. Mit »Gebührenkonto« ist das »Separatkonto« gemeint. 488 BAB R 177/1890: NL Den Haag an Generalkommissar für Finanz und Wirtschaft, 12.5.1944. 489 BAB R 8135/8630: NL Den Haag, Merckens an Vorstand Treuarbeit Berlin, 12.6.1944. 490 BAB R 177/353: Aktenvermerk von Kammergerichtsrat Schröder, Hauptabteilung Wirtschaft, Feind- vermögen, 30.5.1944, 5, Ziffer 7, 9, 11, 12, 13. 491 In seinem Brief vom 12.6.1944 hatte Merckens dem Vorstand versprochen, täglich zu berichten. Die folgende Darstellung fußt auf den tagebuchähnlichen Notizen in Maschinenschrift, die offenbar von Merckens zu diesem Zweck erstellt worden sind. In der Akte BAB R 177/1897 liegen auch hand- schriftliche Notizen vor. Vermutlich hat Merckens diese Notizen nach dem Krieg zu einem laufenden Tageprotokoll verarbeitet. Das sechsseitige Protokoll umfasst den Zeitraum vom 20.8. bis 9.9.1944 (Tageprotokoll). 492 BAB R 177/1432: Generalkommissar Schröder an Reichsminister der Finanzen Bänfer, betr.: Anmeldung des amerikanischen Vermögens in den besetzten niederländischen Gebieten, 24.1.1944. 493 »Tageprotokoll«, 20.8. bis 30.8.1944. 236 Feindvermögensverwaltung: Die Treuarbeit in den Niederlanden Unterstützung eines Abtransportes von Akten und Werten ab, lediglich die »Geheim- akten« sollten vernichtet werden. Diese Materialien wurden offensichtlich als Beweis- material eingeschätzt, das die Alliierten gegen die Deutschen verwenden könnten. Fischböck erschien es hingegen unerheblich, ob Material vernichtet würde oder nicht: »[…] an Einzelabrechnung glaube er nicht: Generalabrechnung«, protokollierte Merckens die Sichtweise des Generalkommissars. Merckens bestellte dennoch Lastwagen und ließ erste Koffer und Kisten nach Emmerich transportieren. Akten der ZAST494 wurden ebenso vernichtet wie die Personalakten der holländischen und deutschen Mit- arbeiter der Niederlassung und die Prüfungsberichte mit »besondere[r] Bedeutung« wie die zu Philips’ Gloeilampenfabrieken.495 Merckens zahlte Gehaltsvorschüsse an die Mitarbeiter und ließ Konten- und Depotbestände nach Berlin transferieren.496 Bis Ende Oktober 1944 deponierte die Niederlassung etwa hfl 74,7 Millionen und RM 18,6 Millionen an Guthaben, Festgeldern und Wertpapieren bei Banken in Deutsch- land: bei der Reichs-Kredit-Gesellschaft, der Bank der deutschen Luftfahrt sowie bei der Deutschen Bank in Wiesbaden und der Dresdner Bank in Düsseldorf.497 In der Nacht vom 13. auf den 14. September wurde der Befehl erteilt, in den Niederlanden sämt- liche deutschen Betriebe und Dienststellen auf das »Allernotwendigste« zu verkleinern. Sämtliche Unterlagen sollten bis auf das »unbedingt Notwendige« nach Deutschland abtransportiert oder vernichtet werden. Merckens forderte vier Eisenbahnwaggons für den Abtransport der Akten an und fand dafür Unterstützung bei Seyss-Inquart.498 Die Akten der Niederlassung wurden umso wichtiger, als der Reichskommissar entschieden hatte, seinen Aktenbestand vollständig zu vernichten.499 Merckens sandte zunächst 30 Kisten mit Schreib- und Rechenmaschinen nach Deutschland. Auch mehrere Nieder- länder, darunter Herr van der Plaats, »ein NSBer«, wurden ebenfalls mit nach Deutsch- land genommen.500 Die NL Den Haag sollte in Naumburg an der Saale/Thüringen weitergeführt werden. Das Generalkommissariat bat den dortigen Oberbürgermeister, für diese Dienststelle Büroräume in der Größe von 400 Quadratmeter zur Verfügung zu

494 Zentralauftragsstelle für die von der Wehrmacht belegten Betriebe in besetzten Gebieten. 495 »Tageprotokoll«, 4. und 5.9.1944; BAB R 8135/8630: Merckens an Adler wegen Bericht »Philips«, 3.12.1944. 496 »Tageprotokoll«, 5.9.1944. 497 BAB R 8135/8630: Übersicht über den Stand unserer treuhänderisch geführten Bankkonten und Effektendepots nach den bis zum 30.10.1944 in Katzhütte (Thür.) eingegangenen Unterlagen; Abschrift für Vorstand Adler, 1.11.1944. Die Deutschen Banken übernahmen die Funktion der Depot- stelle für ihre niederländischen Filialen. Die Wertpapiere, die beim Bankhaus H. Albert de Bary & Co lagerten, wurden schon im April 1944 zur Deutschen Bank nach Wiesbaden transferiert – siehe BAB R 177/1903: Treuarbeit Berlin an Deutsche Bank Wiesbaden, 15.11.1945. 498 BAB R 8135/8630: Aktenvermerk betrifft: Niederlassung Arnheim, Verfasser: Karoli, 15. und 16.9.1944. NSB ist Nationaal-Socialistische Beweging der Nederlanden. 499 Dies ist dann jedoch nicht oder nicht vollständig geschehen, wie aus einem Aktenvermerk von Herrn Höhn, Treuarbeit (BAB R 177/1897, 2.7.1945), sowie einem Brief von Schröder an Adler, BAB R 8135/8630, 15.11.1944, hervorgeht. 500 BAB R 8135/8630: Aktenvermerk betrifft: Niederlassung Arnheim, Verfasser: Karoli, 15. und 16.9.1944. 237 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa stellen und kündigte das Eintreffen von Aktenmaterial von »besonderer aussenpolitischer [so!] und kriegswichtiger Bedeutung« an.501 Am 17. September 1944, dem Tag der alliierten Luftlandung in den Niederlanden, ver- luden mehrere Mitarbeiter der NL Den Haag gemeinsam mit dem Leiter der Abteilung für Feindvermögen, Dr. Schröder, das »reichswichtige Aktenmaterial der Treuarbeit auf dem Güterbahnhof in Arnheim in Waggons.« Zwei Tage später fuhr die kleine Gruppe nach Arnheim hinein, um aus den Wohnungen und Dienststellen Dokumente und Arbeitsunterlagen herauszuschaffen, wobei sie offenbar zwischen kämpfende Truppen geriet.502 Ende September 1944 fand Merckens in Almelo »eine prächtige grosse [so!] Villa«503, in der Büros eingerichtet und Wohnungen bezogen wurden. Vier Dienststellen zogen hier ein: die Niederlassung, die Abteilung Feindvermögen, die Wirtschaftsprüfstelle und die NAGU. Merckens unterrichtete seinen Vorstand darüber, dass man nicht nur Bet- ten, Decken und Wäsche organisiert habe, sondern auch die »Verpflegungsfrage, für Holland im Augenblick ein ernstes Problem«, befriedigend gelöst sei. Die vier Dienst- stellen unterhielten »zusammen mit der Abteilung Finanzen, die im Nachbarhaus unter- gebracht ist, einen gemeinschaftlichen Mittags- und Abendtisch, zu dem die Präsidial- abteilung über Bezugsscheine Lebensmittel« beisteuerte. Erfolgreich stellte Merckens den Kontakt zu »den wichtigsten Firmen und Verwaltern« wieder her, denn es waren noch umfangreiche Außenstände einzutreiben. Aufgrund fehlender Benzinzuweisungen und des Eisenbahnerstreiks sowie der Gefahr durch Tiefflieger musste die Arbeit im Wesentlichen telefonisch erledigt werden. Merckens wollte von den geprüften Betrieben Vorschüsse verlangen, auf eine Berichterstattung aber verzichten, und »lediglich brief- lich ein Testat geben.« Er schätzte es aber als sehr schwer ein, von niederländischen Fir- men noch Gelder zu erhalten, »da der passive Widerstand erwartungsgemäss gross [so!]« war und viele Verwalter und Treuhänder nicht mehr im Einsatz waren.504 So sicher, wie Merckens seinem Vorstand die Situation darstellte, war sie wohl nicht. Durch Herrn Veltjens wisse er, schrieb ihm Adler, »dass [so!] Ihre Lage im Falle des Fortschreitens der englischen Besetzung recht bedrohlich werden könnte.« Das Vorstandsmitglied hoffte, dass Merckens »sich auch in einem derartigen ungünstigen Falle glatt aus der Schlinge ziehen werde[…]. Sie haben jedenfalls bisher offensichtlich besonders viel Umsicht bewiesen, so dass [so!] es auch diesmal gehen wird.«505 Mitte Oktober wurde der Aktenabtransport fortgesetzt und Mitte Dezember 1944 war das gesamte Schriftgut der NL Den Haag nach Thüringen transportiert.506 Für seine Einsatzbereitschaft bei der Bergung des Materials sollte Reinhold Merckens, der als Leiter der Niederlassung »im Interesse des Reichs jederzeit vorbildlich […] bei der

501 BAB R 8135/8630: Generalkommissar Schröder an Oberbürgermeister der Stadt Naumburg, 14.9.1944. 502 BAB R 177/1897: Generalkommissar Schröder an Ministerialrat von Boeckh, 15.12.1944, Bl. 1. 503 Wierdenschestraat 133. 504 BAB R 8135/8630: NL Den Haag, Merckens an Vorstand Treuarbeit Berlin, 1.10.1944. 505 BAB R 8135/8630: Adler an Merckens, 7.10.1944. 506 BAB R 177/1897: Generalkommissar Schröder an Ministerialrat von Boeckh, 15.12.1944, Bl. 2. 238 Feindvermögensverwaltung: Die Treuarbeit in den Niederlanden Erfassung und Verwaltung des Feindvermögens und des Judenvermögens« gearbeitet hatte, das Kriegsverdienstkreuz I. Klasse erhalten.507 Der Vorstand der Treuarbeit ent- schied, die Niederlassung statt in Naumburg in Katzhütte einzurichten. »Vom Stand- punkt der Sicherheit ist es Naumburg vorzuziehen, zumal es in idyllischer Lage mitten im Thüringer Wald liegt […] und im Augenblick eine Beschlagnahme von anderer Seite droht.«508 In den Niederlanden siedelte die Niederlassung kurz vor der Besetzung Almelos durch die Alliierten Anfang April 1945 nach Groningen über. Am 8. April 1945 verließ Niederlassungsleiter Merckens »als letzter Angehöriger der Treuarbeit holländischen Boden und begab sich nach Berlin.«509

Zwischenfazit

Die Treuarbeit hat in den Niederlanden durch ihre Niederlassung in Den Haag intensiv am Aufbau der Feindvermögensverwaltung mitgearbeitet und deren Funktionsfähig- keit sichergestellt. Sie wurde vor anderen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften in Deutsch- land bevorzugt und befand sich von Anfang an in einer herausgehobenen Position, obwohl sie eine solche Tätigkeit zuvor noch nicht ausgeführt hatte. Da die Aufgaben- übertragung als staatspolitische Notwendigkeit gewertet wurde, fand die Treuarbeit problemlos in der Ministerialbürokratie Unterstützung für die Gestaltung der neuen Aufgabe. Die Treuhandgesellschaft hat nicht nur passiv Aufträge abgearbeitet, sondern aktiv und gestaltend an der Umsetzung der Feindvermögensverwaltung mitgewirkt: Sie nahm Stellung zu Verordnungen des Reichskommissars und zu Richtlinien des Generalkommissars für Finanz und Wirtschaft, sie gab Anregungen für Verfahrens- abläufe und unterbreitete Lösungsvorschläge für aktuelle Probleme. Umfangreich waren ihre Kompetenzen gegenüber den in den »Feindbetrieben« eingesetzten Verwaltern: Die Treuarbeit hatte ein Vorschlagsrecht, sie beaufsichtigte die Verwalter, prüfte deren Auf- gabenerfüllung, durfte ihnen Weisungen erteilen und ihre Vergütung begutachten. Der Niederlassung stellten sich etliche kollaborierende Niederländer als Mitarbeiter zur Ver- fügung; sogar eine der Führungsfunktionen lag bei einem Niederländer. Die Niederlassung bot sich mehrfach für neue Aufgaben an. Sie erweiterte ihr Auf- gabengebiet stetig und veränderte dadurch auch die Funktion ihrer Tätigkeit. Zunächst war sie Anmeldestelle für das Feindvermögen und Aufsichtsinstanz für Verwalter. Bald darauf wurde sie mit Sammelverwaltungen beauftragt und war mit zuletzt sieben Ver- waltungen die bedeutendste Sammelverwalterin. Trotz entstehender Konkurrenz durch die NAGU baute die Treuarbeit ihre Position aus. Zusätzlich zum »Feindver- mögenssektor« erhielt sie im »Judensektor« die Bestellung zum Aufsichtsorgan über Verwaltungs- und Liquidationstreuhänder wie die Omnia. Mit dieser Aufsichtsfunktion

507 BAB R 177/1897: Schröder an Leiter der Hauptabteilung Finanzen Dr. Rademacher, 1.3.1945. 508 BAB R 8135/8630: Adler an Merckens, 10.10.1944. 509 BAB R 177/1903: Aktenvermerk von Merckens, Aufgaben und Tätigkeitsgebiet der deutschen Revisions- und Treuhand-AG, ZNL Den Haag, 25.10.1945, 6. 239 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa sowie mit der Kontoführung und der Sammelverwaltung für liquidierte Unternehmen unterstützte die Niederlassung die Enteignung der Vermögen von Juden. Die von der Treuarbeit für feindliche und jüdische Betriebe erstellten Prüfungsricht- linien waren so gestaltet, dass die Prüfungen eine Fülle detaillierter Erkenntnisse liefer- ten. Es wird hierin das große Bemühen der Niederlassung deutlich, die wirtschaftspoli- tischen Ziele des NS-Regimes und des Reichskommissars zu erfüllen. Die Behandlung von Feindvermögen war durch internationale Abkommen geregelt. In den Niederlan- den diente die Feindvermögensverwaltung erkennbar politischen und rassistischen Zwe- cken. Von Beginn an stand für das NS-Regime die Verwertung zumindest neben, wenn nicht gar vor der Sicherstellung des Vermögens. Der hohe bürokratische Aufwand war gerechtfertigt und damit der Nutzen der Treuarbeit für das Regime gegeben, wenn nach einem (gewonnenen) Krieg zumindest die Vermögenswerte der »Aufenthaltsfeinde« ver- einnahmt werden konnten. Im Rahmen der Vermögensverwaltung war die Treuarbeit verantwortlich für Werte in dreistelliger Millionenhöhe.510 Die Niederlassung arbeitete nicht nur für das Generalkommissariat, sondern unter- stützte das Reichswirtschaftsministerium direkt (Isaco, Unilever). Eine reibungslose Kooperation gab es auch mit der Schwestergesellschaft Reichs-Kredit-Gesellschaft im Interesse der Kunden der Bank: Auf der Grundlage der Feindvermögensverordnung 26/40 forderte die Niederlassung von Unternehmen Einsicht in deren Datenmaterial. Im Gegensatz zu den Berufsregeln der Wirtschaftsprüfer in Deutschland gab es keine Vertraulichkeit für die geprüften Firmen. Die von der Niederlassung erhobenen Daten gab sie an Behörden und Firmen im Reich weiter. Schon vor offiziellen Regelungen zur »Arisierung« und Liquidierung jüdischer Vermögen nutzte sie die Vorschriften der Feindvermögensverordnung, um Informationen über »jüdischen« Einfluss in Unter- nehmen zu gewinnen und ebenfalls an Interessierte weiterzugeben. Die Treuarbeit organisierte eine professionelle Kontenführung und aufwendige Führung einer Feind- und Judenkartei, um eine jederzeitige Auskunftspflicht zu gewähr- leisten. Zur Kontenführung erstellte sie ein periodisches Berichtswesen. Hinzu kam eine umfangreiche Berichterstattung über die Feindvermögenswerte – zunächst gegen- über englischen und französischen Feinden, später gegenüber US-amerikanischen und sowjetischen Feinden. Mit umfassenden, detaillierten und strukturiert aufbereiteten Informationen unterstützte sie die wirtschaftspolitischen Bestrebungen des NS-Regimes zur Kapitalverflechtung. Des Weiteren beteiligte sich die Niederlassung an der Entziehung des Feindver- mögens, indem sie Bankguthaben auf Sonderkonten »umlegen« ließ und Wertpapiere nach Deutschland transferierte. Auf den von ihr geführten Anderkonten überwachte sie den Eingang von Erlösen aus der Veräußerung vielfältiger Vermögenswerte wie Waren, Geldforderungen, Gold, Devisen, Effekten und Diamanten. Schließlich war die Treu- arbeit nicht nur verwaltend, sondern auch praktisch aktiv, indem sie Bankschließfächer öffnete und Schmuck verkaufte. Die Niederlassung beteiligte sich an weiteren Maß-

510 BAB R 177/353: Hauptabteilung Wirtschaft, »Abteilung Feindvermögen«, Vermerk Schröder, 30.5.1944, 5. 240 Feindvermögensverwaltung: Die Treuarbeit in den Niederlanden nahmen, die bezweckten, Raub einen legalen Anstrich zu verleihen. Dazu gehörten die Festlegung von Zuständigkeiten für die Kategorien »Jude« und »Feindjude«, die Bilanz- prüfung der LiRo und die Prüfung der Kunstgegenstände. Die nach den Regeln der Ordnungsmäßigkeit durchgeführten beiden Prüfungen511 offenbarten allerdings die Scheinkorrektheit überdeutlich. Bei der Ausübung ihrer Tätigkeit zeigte die Niederlassung eine gewissenhafte, geradezu akribische Arbeitsweise und aktives Engagement. Bei der Erfassung des US- Feindvermögens unterstützte sie mit großer Schnelligkeit und einem reibungslosem Arbeitsablauf die Informationsbegehren der Behörden. Zu den Treuhandaufgaben kam ein vielfältiges Prüfungsgeschäft. Als zentrale Instanz für die Feindvermögens- verwaltung nahm die Niederlassung Einfluss auf die Anzahl der zu prüfenden Unter- nehmen und damit Einfluss auf ihr eigenes finanzielles Ergebnis. Die Unternehmens- prüfungen zielten darauf ab, Feindvermögensanteile und wirtschaftliche Verhältnisse festzustellen sowie ordnungsgemäß durchgeführte Liquidationen jüdischer Betriebe zu überprüfen. Die Treuarbeit durfte sogar andere vom Reichskommissar beauftragte Institutionen prüfen, nämlich die LiRo, die Dienststelle Mühlmann, die Omnia und die ZAST. Die NL Den Haag der Treuarbeit war ein behördennahes Unternehmen, sie war als Dienststelle des Reichskommissars für die besetzten niederländischen Gebiete ein öffentlich bekannter, aktiver Teil der Feind- und Judenvermögensverwaltung, sie war eine zentrale Aufsichtsstelle neben Generalkommissariat und Wirtschaftsprüfstelle (WPS). In den Verordnungen des Reichskommissars wurde sie als Meldestelle genannt. Durch ihre Aufsichts- und Prüfungstätigkeiten war sie auch bei Banken, Treuhändern und Unternehmen bekannt. Die Niederlassung war auch ihrerseits auf Außenwirkung bedacht. Sie verteidigte ihren Status gegenüber der WPS und dem Sicherheitsdienst. Sie trat als Mitveranstalterin des Feindvermögenskongresses auf und gab Rundschreiben für Treuhänder heraus. Der Berliner Vorstand wertete die »Geschäftsstelle« zur »Zweig- niederlassung« auf. Zunächst hatte der Vorstand der Treuarbeit eine Ausweitung der Aufgabenbereiche der Niederlassung nicht angestrebt. Er wurde von Mitleiter Hans Dietz mehrfach vor vollendete Tatsachen gestellt, als dieser Sammelverwaltungen und Veräußerungstreu- händerschaften ohne Absprache und sogar gegen den ausdrücklichen Willen des Vor- standes übernahm. Zwischen Vorstand und Dietz bestand ein Principal-Agent-Problem. Dietz ließ sich auch durch Anweisungen des Vorstandes nicht in seinen Aktivitäten stoppen. Doch sah sich der Vorstand nicht in der Lage, einmal übernommene Aufga- ben zurückzunehmen. Neben einem möglichen Gesichtsverlust oder der Aufdeckung führungsinterner Unstimmigkeiten spielte dabei wohl eine Rolle, dass der Vorstand die Beziehung zwischen Dietz und dem Generalkommissariat als so vertrauensvoll ein- schätzte, dass er Dietz nicht ablöste.512

511 Bei der LiRo muss von einem gescheiterten Prüfungsversuch gesprochen werden. 512 Später hat der Vorstand seine Strategie geändert und im »Judensektor« nach dem Abgang von Dietz zwei weitere Sammelverwaltungen übernommen (Auslandsforderungen von jüdischen Unternehmen, nicht realisierbare/beitreibbare Forderungen stillgelegter Unternehmen). 241 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa Auch zwischen dem Niederlassungsleiter Braun und dem Vorstand gab es Konflikte zur Geschäftsstrategie. Braun war offensichtlich unzufrieden mit der Entscheidung des Vorstandes, auf die Übernahme des neuen Geschäftsfeldes der Veräußerungstreu- händerschaften für jüdisches Vermögen zu verzichten. Die Treuarbeit ließ sich Ein- nahmen entgehen und stattdessen deutsche Konkurrenz zu. Zudem unterschätzte der Vorstand nach Brauns Ansicht den Personalbedarf der Niederlassung. Diese Meinungs- verschiedenheiten trugen wohl dazu bei, dass er die Treuarbeit verließ. Es ist nicht zu erkennen, dass der Vorstand der Treuarbeit die Veräußerungstreuhänderschaften aus moralischen Gründen ablehnte; maßgebend für seine Entscheidung waren hingegen die mit der Übernahme der Treuhänderschaft befürchteten Risiken. Die Aufgabenübernahme in den Niederlanden war für die Treuarbeit unter finan- ziellen Aspekten vergleichsweise risikolos, denn Kostenerstattung und Gewinnanteil wurden durch den Reichskommissar garantiert. Letztlich wurde die Treuarbeit durch die zwangsverwalteten Unternehmen und Vermögenswerte finanziert; trotz niedriger Gebührensätze überwies die Niederlassung bis zuletzt hohe Überschüsse an die Berliner Zentrale.513

4.7 »Staatliche Kontrolle politischer und finanzieller Art«: links: Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treu- Die Treuarbeit in der Ukraine arbeit in Europa rechts: »Staatliche Kontrolle politischer und Am 22. Juni 1941 begann die deutsche Armee mit dem Überfall auf die Sowjetunion. finanzieller Art«: Die Treuarbeit in der Ukraine Hitlers Herrschaftskonzeption für Russland war auf Sicherung und Ausplünderung des eroberten Gebietes ausgerichtet: »Grundsätzlich kommt es also darauf an, den riesen- haften Kuchen handgerecht zu zerlegen, damit wir ihn erstens beherrschen, zweitens verwalten und drittens ausbeuten können.«514 In Deutschland wurde die Sowjetunion folglich als Reservoir für Rohstoffe und Nahrung betrachtet. Dabei lag das Hauptaugen- merk auf der Ukraine, weil diese Region als »Schatzkammer« für Eisen, Kohle, Erdöl und Getreide galt.515 Sie sollte zur Versorgung eines autarken europäischen Großwirt- schaftsraums unter deutscher Führung beitragen.516 Planung und Organisation der Ausbeutung der Sowjetunion begannen Ende 1940. Im Frühjahr 1941 wurde der Wirtschaftsstab Ost als Teil der Vierjahresplanbehörde unter Beteiligung des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) und mehrerer Reichs- ministerien geschaffen.517 Im Mai 1941 erörterten die Staatssekretäre, darunter auch Neumann, Kleinmann, Keppler und Backe, die im Aufsichtsrat der Treuarbeit saßen, gemeinsam mit Göring die wirtschaftspolitischen Ziele, die durch die Besetzung der

513 BAB R 2301/6129, Bl. 288 und BAB R 177/1897, Zweigniederlassung Den Haag, Gewinn- und Verlustrechnung vom 31. Dezember 1944: Die Rohüberschüsse betrugen TRM 471,3 (1941), TRM 673,9 (1943) und 608,2 (1944). 514 Schmidt, Weltkrieg (2008), 110; Benz, »Typologie« (1998), 13 (Zitat). 515 Volkmann, »Landwirtschaft« (2003), 414. 516 Volkmann, »Sowjetunion« (2003), 321, 322. 517 Köller, »Rolle« (1961), 23. 242 »Staatliche Kontrolle politischer und finanzieller Art«: Die Treuarbeit in der Ukraine Sowjetunion erreicht werden sollten: Der Krieg könne nur weitergeführt werden, wenn die gesamte Wehrmacht im dritten Kriegsjahr aus Russland ernährt werde. Die deutsche Armee benötige vor allem landwirtschaftliche Produkte, Fett und Fleisch. Das Gremium plante daher, die »Zuschussgebiete« in Mittel- und Nordrussland von den »Überschuss- gebieten« im Süden abzuschneiden. Ein Massensterben der einheimischen Bevölkerung als Konsequenz daraus nahmen die Planer in Kauf – und dies umso leichtfertiger, da das in den mittel- und nordrussischen Regionen an Lebensmitteln Vorhandene abtrans- portiert und auch alle Produktionskapazitäten zerstört oder beschlagnahmt werden sollten.518 Die anfänglich sehr erfolgreiche Kriegsführung führte schnell zum Gewinn enormer Gebiete, in denen etwa 50 Millionen Menschen lebten. Seit dem Sommer 1941 wurden die eroberten Gebiete vom Militär nach und nach in die Zivilverwaltung überführt. Die oberste Ebene dieser Zivilverwaltung stellten die Reichskommissariate dar. Von den ursprünglich geplanten fünf Kommissariaten wurden lediglich »Ostland« unter Reichs- kommissar Hinrich Lohse und »Ukraine« unter Reichskommissar Erich Koch errichtet. Als weitere Verwaltungsebenen wurden Generalkommissariate und darunter Gebiets- und Stadtkommissariate eingerichtet. Die Reichskommissariate waren der Verwaltung des neu gegründeten Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete (Ostministerium) unter Alfred Rosenberg unterstellt.519 Um die Wirtschaft in der Sowjetunion nach den Bedürfnissen der deutschen Armee und des Reiches auszurichten, wurden »Ostgesellschaften« mit deutscher privatwirt- schaftlicher Beteiligung, aber unter staatlicher Steuerung errichtet.520 Sämtliche unter sowjetischer Staatswirtschaft stehenden Betriebe sollten dazu beschlagnahmt werden. Ostgesellschaften hatten die Erzeugung, Aufbereitung und Verarbeitung sowie die Verwertung und Verteilung verschiedenster Rohstoffe und Güter sicherzustellen. Die Gesellschaften wurden für die Sektoren Erdöl, Bergbau- und Montanindustrie, Textil- und Landwirtschaft eingerichtet. So waren die Ostfaser GmbH für die gesamte Textil- sparte, die Berg- und Hüttenwerke Ost GmbH (BHO) für Kohle, Erze und Eisen- verarbeitung, die Kontinentale Öl AG für die Mineralölwirtschaft und die Zentral- handelsgesellschaft Ost für landwirtschaftlichen Absatz und Bedarf mbH (ZHO) für die Ernährungswirtschaft zuständig.521 Die Gesellschaften errichteten ihrerseits regionale Tochtergesellschaften mit verschiedenen Funktionen wie Erfassung, Handel, Betrieb und Betreuung.522 Die ZHO beispielsweise gliederte sich in die drei Hauptgeschäfts- bereiche »Ukraine«, »Mitte« und »Ostland«. Sie hatte 30 Geschäftsstellen, davon allein

518 Eichholtz, Geschichte (1999) (Nachdruck), 239–242. Die Teilnahme der genannten Personen nennt Eichholtz »sehr wahrscheinlich«. Schumann/Nestler, Okkupationspolitik (1991), 29. 519 Zellhuber, Verwaltung (2006), 83, 87, 91, 129–131. 520 Schumann/Nestler, Okkupationspolitik (1991), 35, 36; die privatwirtschaftliche Beteiligung wurde durch Vertreter der Wirtschaftsgruppen verwirklicht – siehe BAB R 2/30532: Prüfungsbericht der Reichsprüfungsgesellschaft (RPG) zur Ost-Faser GmbH zum 30.6.1943, S. 4, Auflistung der Ver- waltungsratsmitglieder. 521 Gerber, Wirtschaftslenkung (1959), 116, 118; Köller, »Rolle« (1961), 25. 522 Schumann/Nestler, Okkupationspolitik (1991), 53, 54. 243 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa 18 in der Ukraine, mit 200 Außenstellen. Gemeinsam mit Reichskommissar Koch gründete sie elf ernährungswirtschaftliche Tochtergesellschaften mit 130 Filialen.523 Kurz vor Weihnachten 1941 eröffnete die Treuarbeit eine »Verbindungsstelle« in Riga. Die »Verbindungsstelle« hatte fünf Mitarbeiter, darunter ein »reichsdeutscher Arbeit- nehmer«, nämlich den zum Geschäftsführer bestellten Wirtschaftsprüfer und Steuer- berater Dr. Arnold Braden, der zuvor bei der RETOG, der Tochtergesellschaft der Treu- arbeit in Prag, tätig gewesen war.524 Die »Verbindungsstelle« sollte zur Ostland Revisions- und Treuhand-GmbH (»Ost- land«) ausgebaut werden. Die »Ostland« sollte zunächst mit den Generalkommissaren des Reichskommissariates Ostland Betriebsgesellschaften errichten und sich an diesen beteiligen. Betriebsgesellschaften sollten von den Treuhandverwaltungen des Reichs- kommissariats zur kommissarischen Verwaltung von Betrieben verschiedener Bran- chen, wie etwa der Lederindustrie und der Eisen oder Holz verarbeitenden Industrie, eingesetzt werden. Außerdem sollte die »Ostland« treuhänderische und Prüfungsauf- gaben übernehmen. Durch die Tätigkeit der »Ostland« könne, so die Vorstellung der »Abteilung Treuhandverwaltung« beim Reichskommissariat Ostland, die Einrichtung einer eigenen Revisionsabteilung innerhalb der behördlichen Treuhandverwaltung mög- licherweise unterbleiben.525 Zur Umsetzung dieser Pläne kam es letztlich nicht, da die Betriebsgesellschaften von den Ostgesellschaften errichtet wurden.526 Der Reichskommissar Ostland, Lohse, und die Treuarbeit gründeten »auf Ver- anlassung des Reichskommissars [so!] für die besetzten Ostgebiete« im Sommer 1942 die »Revisions- und Treuhand G. m. b. H.« (RT) mit Sitz in Riga und Niederlassungen in Reval und Kauen. Zu Geschäftsführern der RT wurden die Wirtschaftsprüfer und Diplom-Kaufleute Theodor Koop und Johannes Fries aus Berlin sowie Dr. Arnold Braden aus Riga ernannt. Sie blieben aber gleichzeitig »Gefolgschaftsmitglieder« der

523 Köller, »Rolle« (1961), 25, 26. 524 BAB R 92/10114: Treuarbeit Riga an Generalkommissar in Riga, Abteilung Finanzen, 17.4.1942. Braden wurde am 11. Mai 1907 in Wiesbaden geboren. Nach einer Banklehre in Freiburg im Breisgau hielt er sich zwischen 1927 und 1931 in den USA auf, wo er arbeitete und studierte. An der Freiburger Universität legte er 1933 sein volkswirtschaftliches Examen ab und promovierte 1934 zum Dr. rer. pol. Er war seit Frühjahr 1933 Mitglied der NSDAP und der SA und seit Sommer 1934 Mitglied der Allgemeinen SS. Im März 1935 trat Braden in die Treuarbeit ein, 1939 legte er das Wirtschaftsprüfer- examen ab. 1941 erhielt er seine Zulassung zum Steuerberater; Lebenslauf, politische Organisationen: Personaldatenbank, BAB PK B0017 (Personalblatt der Reichskammer der Wirtschaftstreuhänder), RS A 5120/2333 (SS); Braden, Arnold Rudolf: Die Offene Markt-Politik: ein Beitrag zur Politik der Zentralnotenbanken. Dissertation Universität Freiburg i. B. 1934/35; BAB R 8135/8627: Retog- Rundschreiben Nr. 8, 9. 525 BAB R 92/1179 (nicht foliert): Lagebericht der Abteilung Treuhandverwaltung an den Reichs- kommissar Ostland vom 26.3.1942, 2, 3. 526 Im vorgenannten Lagebericht beschreibt die Treuhandverwaltung im März 1942 das Verhältnis zu den Ostgesellschaften (»Monopolgesellschaften«) als ungeklärt. Offenbar wurden die Ostgesellschaften erst durch mehrere Durchführungsbestimmungen im Laufe des Jahres 1942 in ihren Kompetenzen aus- gestaltet. 244 »Staatliche Kontrolle politischer und finanzieller Art«: Die Treuarbeit in der Ukraine Treuarbeit.527 Im September 1942 wurde zusätzlich das neue Vorstandsmitglied der Treuarbeit, Prof. Dr. Kurt Schmaltz, in die Geschäftsführung berufen.528 Das Personal bestand aus lettischen, estnischen und litauischen Fachkräften. Die RT setzte zudem selbstständige Wirtschaftsprüfer und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften als Abschluss- prüfer insbesondere bei Rüstungsbetrieben ein.529 Die RT-Zentrale in Riga vergrößerte sich in den folgenden Monaten und gliederte sich im Frühjahr 1943 in eine Revisions- abteilung, eine Rechtsabteilung, eine betriebswirtschaftliche Abteilung sowie eine Über- wachungsabteilung und eine Buchhaltung.530 Unabhängig von den Ostgesellschaften war die Treuhandverwaltung des Reichs- kommissariates aktiv geworden. Sie gründete Schifffahrtsdienst GmbHs und Grund- stücksgesellschaften und bestellte dafür Treuhänder. Im Mai 1943 standen in den Ländern des Baltikums und in Weißrussland circa 9.000 Betriebe und etwa 70.000 Grundstücke unter Treuhandverwaltung. 800 Einzel- und Sammelverwalter waren bestellt, rund 480 Eröffnungsbilanzen geprüft worden.531 Die RT prüfte alle Betriebe, die der Treuhandverwaltung des Reichskommissars Ostland unterstanden, und wirkte bei der Überwachung der in den Betrieben eingesetzten Verwalter mit.532 So erfasste sie die in die Treuhandverwaltung übernommenen Betriebe533 und prüfte die Eröffnungs-, Zwischen- und Jahresberichte der Treuhänder.534 Die RT nahm zudem zur Vergütung der Treuhänder Stellung und begutachtete Anträge von Treuhändern auf Veräußerung von Unternehmenswerten.535 Gemeinsam mit der Treuhandverwaltung stellte sie Richt- linien für die Arbeit der Treuhänder auf und wirkte vermutlich auch bei der Erstellung der Richtlinie für die Aufstellung einer vorläufigen Eröffnungsbilanz der verwalteten

527 BAB R 2301/1971, Bl. 57, 58: Aktennotiz: Betrifft die in den besetzten Ostgebieten vorhandenen bezw. arbeitenden Revisions- und Treuhandgesellschaften, verfasst von Hans Adler, 11.11.1942. 528 BAB R 92/10121: Handelsregisterauszug Abteilung B/HRB 28 (Bd. 1). 529 BAB R 2301/1971, Bl. 57, 58: Aktennotiz: Betrifft die in den besetzten Ostgebieten vorhandenen bezw. arbeitenden Revisions- und Treuhandgesellschaften, verfasst von Hans Adler, 11.11.1942. 530 BAB R 92/1181: Revisions- und Treuhand-GmbH an Generalkommissar in Riga, 17.3.1943, Stempel »Fernsprechanschlüsse«. 531 BAB R 92/1184: Tätigkeitsbericht der Abteilung Treuhandverwaltung beim Reichskommissar Ost- land, 15.5.1943, 2, 3, 5, 7. 532 Geschäftsbericht der Treuarbeit für das Geschäftsjahr 1942; BAB R 2301/1971, Bl. 1: Aktennotiz, betrifft die in den besetzten Ostgebieten vorhandenen bezw. arbeitenden Revisions- und Treuhand- gesellschaften, vom 11.11.1942, verfasst von Hans Adler (Vorstandsmitglied der Treuarbeit). 533 BAB R 92/1184, an RT Riga, 1.8.1942, »Erfassung des beschlagnahmten Vermögens im General- bezirk Lettland nach dem Stande vom 20.6.1941«, Verfasser vermutlich die Abteilung Treuhandver- waltung beim Reichskommissar Ostland. 534 BAB R 92/1181: Schriftverkehr zwischen der RT Riga und dem Generalkommissar in Riga, in dem die RT dem Generalkommissar eine Vielzahl von Berichten zur Prüfung der vorläufigen Eröffnungs- bilanz übersandte (10.3.1943, 13.3.1943, 17.3.1943, 24.3.1943, 27.3.1943, 1.4.1943, 6.4.1943). 535 BAB R 92/1181: Richtlinien von Unternehmen und sonstigen Vermögenswerten, Juli 1942, Entwurf mit handschriftlichen Änderungen, hier u. a. Anzeigepflicht des Verwalters bei Übernahme der Ver- waltung gegenüber der RT. 245 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa Betriebe mit.536 Die Aufgaben der RT entsprachen demnach in Teilen den Tätigkeiten der Niederlassung in Den Haag. Da sich in den besetzten Gebieten der Sowjetunion nicht der erwartete wirtschaft- liche Erfolg einstellte, sah der Reichsminister der Finanzen, Schwerin von Krosigk, Handlungsbedarf. Anfang September 1942 erläuterte er brieflich mehreren Reichsminis- terien, dem Reichskommissar für die Preisbildung sowie der Reichs- und der Parteikanz- lei, dem Chef des OKW, dem Oberbefehlshaber des Heeres und Göring die Situation aus seiner Sicht: »Das Reich erwartet von den besetzten Ostgebieten eine wesentliche volks- und finanzwirtschaftliche Entlastung«. Diese Gebiete sollten die Ernährung des deutschen Volkes sichern. Öl, Kohle, Erze und andere Rohstoffe, wie Ölschiefer und Manganerze, sollten für deutsche Zwecke »aus dem Osten herausgeholt werden.« Die Kriegslasten sollten zum größten Teil aus »den finanziellen Überschüssen der besetz- ten Ostgebiete und aus der Abschöpfung der Preisunterschiede zwischen Reich und Osten« gedeckt werden. Die »besetzten Ostgebiete« stellten »ernährungswirtschaftlich den Hauptlieferanten des Feldheeres dar.« Angesichts dieser Bedeutung der »besetzten Ostgebiete« für das Deutsche Reich und seine Kriegsführung zeige sich, so stellte der Minister fest, eine katastrophale Lage. Überflüssige Posten wie Sonderbeauftragte und zu große Behörden ohne wirtschaftlichen Nutzen seien geschaffen worden. Gehälter seien stark überhöht und Mitarbeiter oft unfähig. Die Befehlsgewalt sei durch zu viele sich einer Kontrolle entziehenden Institutionen zersplittert. Es gebe, so sei dem Minister von berufener Stelle mitgeteilt worden, zu viele »eigennützige[…] Hyänen des Schlacht- feldes«. Diese Situation führe zu Preisen, mit denen die gewünschten »Schleusenge- winne« nicht erzielt werden können. Die aktuelle Verschuldung des Reiches liege bei 160 Milliarden RM, der Osten solle 20 Milliarden erwirtschaften. Um die geschilderten Auswüchse zu bekämpfen, müsse eine »staatliche Kontrolle politischer und finanzieller Art« eingerichtet werden. »Diese Kontrolle erscheint mir eine wesentliche Vorbedin- gung dafür, daß die gebotene Sauberkeit wiederkehrt und dem Kreis beutehungriger Interessenten auf die Finger gesehen wird«.537 Zur Reorganisation von »Verwaltung und Wirtschaft des Ostens« legte das Reichs- finanzministerium konkrete Vorschläge zur Behördenorganisation, zur Finanzwirtschaft und zur einheitlichen Wirtschaftsführung vor: Hierbei sollte die Treuarbeit die »Ost- gesellschaften […] unter Mitwirkung der Finanzverwaltung« überwachen. Sie sollte die Notwendigkeit der Ostgesellschaften gutachtlich untersuchen, die Geschäftsführung und die Gehälter prüfen und die Rechtsverhältnisse der Paten- und Betriebsgesellschaf- ten klären.538

536 BAB R 92/1190: Tagung der Treuhandverwaltung des RKO, 22.–24.7.1942, 5, 6, 10; die Zusammen- arbeit zwischen der Treuhandverwaltung und der RT war in einem Auftragsschreiben festgelegt worden, das jedoch nicht vorliegt. 537 BAB R 2301/1971, Bl. 10–15: Schreiben des Reichsministers der Finanzen, 4.9.1942, betr.: Ver- waltung, Wirtschaft und Finanzen der besetzten Gebiete. Brief ist abgedruckt in: Schumann/Nestler, Okkupationspolitik (1991), 324–327. 538 BAB R 2301/1971, Bl. 18–19: »Vorschläge für den Aufbau von Verwaltung und Wirtschaft des Ostens«, ohne Verfasser, o. D. Der Verfasser kommt vermutlich aus dem Reichsfinanzministerium, 246 »Staatliche Kontrolle politischer und finanzieller Art«: Die Treuarbeit in der Ukraine Die Reaktionen der angesprochenen Ministerien und Institutionen auf den Brief des Ministers ließen nicht lange auf sich warten. Die Situationsbeurteilung fiel konträr zur vernichtenden Analyse des Ministers aus. Zwar wurde Schwerin von Krosigk »grund- sätzlich« zugestimmt, der eigene Zuständigkeitsbereich aber von den Missständen ausgenommen. Dennoch führten die Klagen des Finanzministers zu einer »Chef- besprechung« am 29. Oktober 1942. Hier sollten praktische Maßnahmen beschlossen werden, um den negativen Entwicklungen im Osten Einhalt zu gebieten. Im Hinblick auf das Ziel, das Sowjetvermögen in weitestem Umfang auszunutzen und durch Auf- rechterhaltung des West-Ost-Preisgefälles das Reich finanziell zu entlasten, schienen Schwerin von Krosigk »Bedenken gerechtfertigt«: Im behördlichen Bereich gebe es »Überorganisation«, im Privatbereich »Geschäftemachertum«. Vielfältige finanzielle Entschädigungen und materielle Vergünstigungen erregten den »Unmut der Front«. Statt die Preise im Osten für Waren, die im Westen teuer verkauft werden sollten, niedrig zu halten, um die Differenz zugunsten des Reiches abzuschöpfen, seien die Preise im Osten sehr stark gestiegen.539 »Unter allen Umständen sind zu fordern Klarheit der Rechnung, Bruttoprinzip, Durchführung der Kontrolle über die Betriebe, Sauberkeit, Einfachheit«.540 Der Finanzminister unterbreitete nach dieser Analyse mehrere Vor- schläge: Für den Sektor »Wirtschaftsführung« schlug er vor, den Aufgabenbereich der Treuarbeit zu erweitern: »Sie muß vom Reich aus die Verhältnisse kontrollieren.«541 Schwerin von Krosigk erhielt deutlichen Widerspruch hierfür. Sitzungsteilnehmer hoben die Leistungen hervor, die erbracht worden seien und relativierten negative Vor- kommnisse als Einzelfälle.542 Einigkeit wurde darüber erzielt, in Bezug auf die Fragen nach Gehältern, Preisen, dem Preisgefälle Ost-West543 und den Währungsverhältnissen kurzfristig Entscheidungen zu treffen und Richtlinien herauszugeben.544 Neben dem Finanzminister sprach sich Gustav Schlotterer vom Reichswirtschaftsministerium für eine Betätigung der Treuarbeit aus, indem er es begrüßte, wenn bei »der Finanzgebarung der Gesellschaften […] eine unabhängige Stelle eingeschaltet wird wie die Treuarbeit.«545 Es ist nicht erkennbar, aus welchem Grund Schwerin von Krosigk behauptete, die Überwachung durch die Treuarbeit sei von allen Sitzungsteilnehmern als Notwendig-

denn Passagen des Papiers finden sich im Kurzprotokoll zur Chefbesprechung am 29.10.1942, siehe BAB R 2301/1971, Bl. 44–45. 539 BAB R 2/352, Bl. 35–41: Protokoll der Chefbesprechung vom 29.10.1942, elfseitige Langfassung und Anwesenheitsliste mit 29 Teilnehmern, Verfasser: Referent Eckhardt vom Reichsfinanzministerium, hier: Bl. 35R (Langprotokoll). 540 BAB R 2/352, Bl. 35–41, Langprotokoll, Bl. 36. 541 BAB R 2/352, Bl. 35–41, Langprotokoll, Bl. 36. 542 BAB R 2/352, Bl. 35–41, Langprotokoll, Bl. 36R, 37. 543 Hier sprechen die Quellen auch von »Abschleusung«, »Aufschleusung« und »Schleusengewinnen«, siehe BAB R 2/30545 (Fiche 3): Regierungsrat Eckhardt/Reichsfinanzministerium an Hermann Karoli, Vorstand Treuarbeit, 5.3.1942, Danksagung für eine Stellungnahme Karolis zum Thema »Schleusengewinne«. 544 BAB R 2/352, Bl. 35–41, Langprotokoll, Bl. 39R, (in den einzelnen Diskussionsbeiträgen sprechen sich Fischböck, Schwerin von Krosigk, Riecke, Gramsch und Schlotterer dafür aus). 545 BAB R 2/352, Bl. 35–41, Langprotokoll, Bl. 37R. 247 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa keit anerkannt worden und der Ausbau der Treuarbeit sei erforderlich. Mit Ausnahme von Schlotterer hatte kein anderer Sitzungsteilnehmer diese Vorschläge bejaht oder sich zur Treuarbeit geäußert. Der Finanzminister forderte, dass die Unabhängigkeit der kontrollierenden Stelle entscheidend sei und »die Reichsgesellschaft« tätig werden müsse. Sie solle die in den besetzten Ostgebieten eingesetzten Treuhänder und die Gesellschaften prüfen. Er befürwortete die Vergabe eines Monopolauftrages an die Treu- arbeit.546 Stellungnahmen hierzu gab es lediglich seitens der Sitzungsteilnehmer, die eine Überlegenheit ihrer Institutionen gegenüber der Treuarbeit frühzeitig klarstellen wollten. So schlug Ministerialdirektor Dr. Runte vom Ostministerium vor, »daß die Treuarbeit einen Auftrag des Ostministers erhält, und dann dezentralisiert tätig wird.« Der Präsident des Rechnungshofes des Deutschen Reiches, Heinrich Müller, der auch Aufsichtsratsvorsitzender der Treuarbeit war, betonte die Zuständigkeit des Rechnungs- hofes für die Verwaltung der besetzten Ostgebiete. Die Tätigkeit der Treuarbeit sei nur als Vorprüfung anzusehen. »Die Superrevision muß beim Rechnungshof bleiben.«547 Das Tätigwerden der Treuarbeit war also nicht der ausdrückliche und ausgesprochene Wille der Sitzungsteilnehmer, sondern der Vorschlag des Reichsfinanzministers wurde fast kommentarlos zur Kenntnis genommen. Der Aufgabenumfang der Treuarbeit war sehr allgemein umrissen und doch wurde ihre Beauftragung künftig als Ergebnis der interministeriellen Chefbesprechung ausgegeben. Müller informierte den Vorstand der Treuarbeit über die neue Aufgabe am 9. November 1942 in einer Unterredung, in der auch das weitere Vorgehen bezüglich des Ostministeriums besprochen wurde.548 Der Reichsminister für die besetzten Ostgebiete lud den Vorstand der Treuarbeit für den 13. November 1942 zum Gespräch, um der Treuarbeit »in den besetzten Ostgebieten das ausschließliche Recht zur Prüfung aller zum Treuhandvermögen einschließlich der Ost- gesellschaften gehörenden Betriebe zu übertragen und« der Gesellschaft »auch bestimmte Sonderaufträge zu erteilen.« Rosenberg betonte die interministerielle Beschlussgrund- lage seiner Auftragsvergabe.549 Die Treuarbeit war bereits in den baltischen Ländern und in der Ukraine tätig. Sie war Abschlussprüferin für die Ostgesellschaften ZHO, Ostfaser GmbH und BHO auf der Grundlage haushaltsrechtlicher Vorschriften. Die im Reichskommissariat Ostland der Treuhandverwaltung unterstehenden Betriebe prüfte die Treuarbeitstochter RT. Die Treuarbeit und ihre Tochtergesellschaft arbeiteten eng zusammen und tauschten unter- einander Prüfer aus.550

546 BAB R 2301/1971, Bl. 44, 45: Protokoll der Chefbesprechung am 29.10.1942, dreiseitige Kurzfassung und Anwesenheitsliste, verfasst von Schwerin von Krosigk, 9.11.1942, hier: Bl. 44R (Kurzprotokoll). 547 BAB R 2/352, Bl. 35–41, Langprotokoll, Bl. 39R. 548 BAB R 2301/1971, Bl. 59: Treuarbeit (Adler, Wittmann) an Müller, Rechnungshof des Deutschen Reiches, 11.11.1942, betr.: Besprechung bei Herrn Reichsminister Rosenberg. 549 BAB R 2301/1971, Bl. 51: Reichsminister für die besetzten Ostgebiete an Vorstand Treuarbeit/Adler, 10.11.1942. 550 BAB R 2301/1971, Bl. 57, 58: Aktennotiz: Betrifft die in den besetzten Ostgebieten vorhandenen bezw. arbeitenden Revisions- und Treuhandgesellschaften, verfasst von Hans Adler, 11.11.1942. 248 »Staatliche Kontrolle politischer und finanzieller Art«: Die Treuarbeit in der Ukraine Die Treuarbeit übernahm die neue Aufgabe nur ungern, denn sie befürchtete erheb- liche Personal- und Akzeptanzprobleme vor Ort. Daher stellte sie viele Bedingungen, die vor Auftragsübernahme erfüllt werden sollten. Im Gespräch mit Rosenberg zeichnete die Treuarbeit ein dramatisches Bild der personellen Situation der Prüfungsgesellschaft. Sie sei nicht von Einberufungen zur Wehrmacht verschont geblieben und ihr Bestand an leistungsfähigen Prüfern sei erheblich geschwächt. Die Gründung der RT habe die »letzten Kräfte-Reserven […] in Anspruch genommen.« Die Treuarbeit wollte durch ihr Engagement im Osten »keinesfalls […] ihr eigentliches Aufgabengebiet«, näm- lich die Prüfung der Reichsgesellschaften, verlieren oder an andere Wirtschaftsprüfer abgeben müssen. In der vom Reichswirtschaftsministerium beabsichtigten Errichtung einer Reichskammer der Wirtschaftstreuhänder (RkWT) zur verstärkten Lenkung des Berufsstandes sah die Treuarbeit eine Möglichkeit, Prüfungskräfte für den Osteinsatz zu erhalten.551 Allerdings mussten die Positionen der Niederlassungsleiter zwingend von langjährigen Mitarbeitern der Treuarbeit wahrgenommen werden. Die Treuarbeit verlangte die Unabkömmlichstellung bereits einberufener Mitarbeiter und die »Sicher- stellung« vorhandener Mitarbeiter. Sollte die Treuarbeit im »Operationsgebiet« tätig werden, sollten die Mitarbeiter zu »Sonderführern« ernannt werden. Die Treuarbeit ver- wahrte sich gegen jeden Einfluss örtlicher Stellen auf die Ergebnisse der Prüfung, daher wollte sie Niederlassungen errichten. Da der »Berufseinsatz als Kriegsmaßnahme« auf- gefasst wurde, hielt die Treuarbeit es für sinnvoll, eine Tochtergesellschaft zu gründen, deren Geschäftsführung vollständig und deren Beirat maßgebend von der Treuarbeit besetzt wurden. Das Ostministerium sollte im Beirat vertreten sein, ebenso das Reichs- wirtschaftsministerium als Aufsichtsbehörde des Berufsstandes. Hiervon erhoffte sich die Treuarbeit offenbar eine erleichterte Personalzuweisung. Auch »Vertreter aus den Ostgebieten«, zum Beispiel aus den Reichskommissariaten sollten einen Sitz im Bei- rat haben können. Die Treuarbeit forderte für sich dieselbe rechtliche Stellung wie die Ostgesellschaften. Dies bedeutete, dass sie durch den Reichsmarschall und den Ost- minister in ihre Aufgabe eingewiesen werden würde. Auf diese Weise würde gegenüber den lokalen Machthabern klar zum Ausdruck gebracht werden, dass die Treuarbeit nur den höchsten Reichsbehörden für ihre Tätigkeit verantwortlich sei. Zudem benötige die Treuarbeit für eine erfolgreiche Aufgabenerfüllung die »wirksame örtliche Unter- stützung« der zivilen und militärischen Dienststellen. Sie verlangte des Weiteren, dass die im Reichskommissariat Ukraine bereits bestehende Prüfungsgesellschaft aufgelöst und der Aufgabenumfang sowie der Kreis der Auftraggeber festgelegt werden.552 Schließlich

551 Die Reichskammer war keine Neuerrichtung, sondern eine organisatorische Erweiterung des bis- herigen Wirtschaftsprüferberufsverbandes, des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW). Das IDW wurde mit Immobilien und Personal von der Reichskammer übernommen. Die Leitung der Reichs- kammer ging an die ehemalige Leitung des IDW über. Zweck der Neuorganisation war die (erhoffte) straffe Lenkung des Kriegseinsatzes der Wirtschaftsprüfer und vereidigten Bücherrevisoren, die nun ebenfalls der Reichskammer angehörten – siehe BAB R 3101/17650: »Vorlage für den Herrn Staats- sekretär«, 29.1.1943. 552 BAB R 2301/1971, Bl. 52–56: Aktenvermerk von Hans Adler, 11.11.1942, betr.: Voraussetzungen für den Einsatz der Deutschen Revisions- und Treuhand-Aktiengesellschaft (Treuarbeit) als Monopol- 249 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa war auch die Finanzierungsfrage zu klären. Rosenberg sicherte den Vorstandsmitgliedern Hans Adler und Richard Karoli für die »hohen Anlaufs- und Leerlaufskosten« eine »Rentabilitätsgarantie« zu.553 Auch im Aufsichtsrat der Treuarbeit diskutierten Vor- stände und Aufsichtsratsmitglieder den neuen Auftrag zur Prüfung des gesamten Wirt- schaftssondervermögens sowie der Ostgesellschaften in den besetzten Ostgebieten. Der Einsatz der Treuarbeit solle, so erläuterte Richard Karoli, zur Steuerung sich anbahnender Missstände in Form eines ausschließlichen Prüfungsmonopols erfolgen. Von Missständen der Vergangenheit, wie noch in den Ausführungen des Reichsfinanz- ministers, war nicht mehr die Rede. Die Treuarbeit werde »als eine Reichsgesellschaft, die die nötige Unabhängigkeit und Objektivität« habe, eingeschaltet. Sie könne die Auf- gabe nur übernehmen, wenn vom Ostministerium, sonstigen amtlichen Stellen und dem Reichswirtschaftsministerium die nötige Hilfestellung bei der Personalbeschaffung geleistet werde. Es sollten deshalb auch Prüfer, die bei anderen Wirtschaftsprüfern und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften tätig waren, für den Osteinsatz der Treuarbeit dienst- verpflichtet werden. Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) sprach sich gegen den monopolartigen Einsatz der Treuarbeit aus. Es schlug dem Reichswirtschaftsministerium vor, eine neue Prüfungsgesellschaft unter Beteiligung des IDW, beziehungsweise der RkWT, zu gründen, bei der die Treuarbeit die Geschäftsführung übernehmen könne. Personal und Abschlussprüfer dieser neuen Gesellschaft sollten dann über die RkWT aus den Kreisen der Wirtschaftsprüfer und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sowie der beeidigten Bücherrevisoren kommen. Diese Konstruktion lehnte die Treuarbeit jedoch ab, denn dann sei das »angestrebte Ziel, eine Zentralisierung und einheitliche fach- liche Ausrichtung« zu gewährleisten, gefährdet. Stattdessen regte die Treuarbeit an, eine hundertprozentige Tochtergesellschaft aufzubauen, die zeitlich auf die Kriegsdauer und auf ganz bestimmte Aufgabengebiete begrenzt blieb. Aufsichtsrat Keppler schlug für diese neue Tochtergesellschaft den Namen »Reichsprüfungsgesellschaft für die besetzten Ostgebiete« vor, der – wie die gesamte Konstruktion – die Zustimmung des Ost- und des Wirtschaftsministeriums fand.554 Obwohl Aufsichtsratsmitglied Trendelenburg befürchtete, dass die »Stammaufträge« der Treuarbeit erheblich leiden würden, befanden Keppler und Müller abschließend, dass die Treuarbeit diesen Auftrag nicht ablehnen könne.555

gesellschaft für Prüfungen und Kontrollen aller in den besetzten Ostgebieten zum Treuhandvermögen einschließlich der Ostgesellschaften gehörenden Betriebe. (Hervorhebung durch Unterstrich im Original.) 553 BAB R2/17658: Sitzung des Arbeitsausschusses des Aufsichtsrates, 24.11.1942. 554 BAB R 3101/20486, Bl. 160: Reichswirtschaftsminister an General von Unruh, 6.3.1943. 555 BAB R 2/17658: Sitzung des Arbeitsausschusses des Aufsichtsrates, 24.11.1942; auch in der Sitzung des Aufsichtsrates am 16.12.1942 wiederholte Trendelenburg die Maßgabe, dass trotz der neuen Auf- gabe die Gewähr gegeben sein müsse, dass die Treuarbeit »im Reich die Staatsbetriebe weiter prüfen könne«, siehe BAB R 2/17658/Niederschrift. 250 »Staatliche Kontrolle politischer und finanzieller Art«: Die Treuarbeit in der Ukraine Die Beauftragung der Treuarbeit mit dieser Monopolaufgabe war heikel und führte zu Protesten im Berufsstand.556 Die Treuarbeit hatte unter dem NS-Regime eine enorme Ausweitung ihres Geschäftsumfangs erfahren. Die Konzernprüferin der VIAG hatte den Reichswerke-Komplex »Hermann Göring« hinzugewonnen und war im Luftfahrtsektor fast allein tätig. Kritiker, beispielsweise die Parteikanzlei, wandten ein, dass der »monopolartige[…] Charakter dem Grundgedanken der Freiberuflichkeit des Wirtschaftsprüferberufs widerspricht und die Wettbewerbsverhältnisse zu Ungunsten der freiberuflich tätigen Berufsangehörigen nachteilig beeinflusse.«557 Bisher hatte die Treuarbeit in den besetzten Gebieten West- und Osteuropas keinen Alleinvertretungs- anspruch für Prüfungs- oder Treuhandaufgaben inne. In Österreich, in den Nieder- landen, in Norwegen und in Polen kamen auch andere Gesellschaften zum Zuge.558 Dennoch waren die Vergabe der Feindvermögensverwaltung in den Niederlanden und die Bearbeitung der Reichswirtschaftshilfe fast ausschließlich durch die Treuarbeit Indizien für die Ausdehnung des Monopols auch im Ausland. Die Beauftragung für die gesamten »besetzen Ostgebiete« bedeutete nun jedoch, dass die Treuarbeit in einem Gebiet, das von der Ostsee bis zum schwarzen Meer reichte und die baltischen Länder, Weißrussland und die Ukraine umfasste, exklusiv tätig wurde. Darüber hinaus sollte die Prüfung im Osten als eine »Kriegsaufgabe des Gesamtberufs« zur Rüstungs- und Ernährungssicherung, als »Reichsaufgabe«559, aufgefasst werden. Obwohl vorrangig ein- heimische Prüfer tätig werden sollten,560 erwartete das Reichswirtschaftsministerium von den reichsdeutschen Wirtschaftsprüfern, dass sie ihre eigenen Praxen für diese »vorübergehende Kriegssonderaufgabe« schlossen und sich freiwillig der Treuarbeit für den Osteinsatz zur Verfügung stellten.561 Mit der Gründung einer Tochtergesellschaft der Treuarbeit verknüpfte das Reichswirtschaftsministerium die Hoffnung, dass die »Reichsprüfungsgesellschaft« (RPG) als berufspolitisch neutrale Institution angesehen und sich dies erleichternd auf die Personalbeschaffung auswirken werde.562 Das war jedoch ein sehr durchsichtiges Manöver, da zwischen der RPG und der Treuarbeit eine Personalunion bestand. Dadurch, dass der RPG durch die Reichskammer der Wirt- schaftstreuhänder Personal zur Verfügung gestellt werden sollte und die Prüfungstätig-

556 BAB R 3101/17680: Vertrauliches Nachrichtenblatt (Institut der Wirtschaftsprüfer) Nr. 62, 18.12.1942 und Nr. 63, 9.1.1943. 557 BAB R 3101/20486, Bl. 46–47: Reichswirtschaftsminister an Reichskanzlei, 2.4.1943. 558 Die Feindvermögensverwaltung in Norwegen übernahm die Deutsche Wirtschaftsprüfungs- und Treuhandgesellschaft mbH aus Berlin, siehe: Gilles, Hauptsache (1994), 73; in den Niederlanden war für »Arisierungen« die NAGU, eine von drei deutschen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften gegründete niederländische Gesellschaft, tätig; in Polen arbeiteten andere deutsche Treuhandgesellschaften für die Haupttreuhandstelle Ost, in Österreich waren österreichische Treuhandgesellschaften tätig. 559 BAB R 3101/20486, Bl. 160: Reichswirtschaftsminister an General von Unruh, 6.3.1943. 560 BAB R 43II/662a, Bl. 36: Reichsminister für die besetzten Ostgebiete an General der Infanterie von Unruh, Berlin, 20.2.1943; BAB R 3101/20486, Bl. 46–47: Reichswirtschaftsminister an Reichs- kanzlei, 2.4.1943. 561 BAB R 3101/20486, Bl. 46–47: Reichswirtschaftsminister an Reichskanzlei, 2.4.1943; BAB R 3101/20486, Bl. 160: Reichswirtschaftsminister an General von Unruh, 6.3.1943 (Zitat). 562 BAB R 3101/20486, Bl. 46–47: Reichswirtschaftsminister an Reichskanzlei, 2.4.1943. 251 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa keit im Osten als Reichsaufgabe definiert war, der sich der gesamte Berufsstand unter- ordnen sollte, wurde die Führungsrolle der Treuarbeit umso deutlicher. Indem jedoch das Reichswirtschaftsministerium den Blick auf die Treuarbeit und ihre Konflikte im Berufsstand lenkte, verschleierte es seine Absicht, seinen Einfluss auf den Wirtschafts- prüferberufsstand zu vergrößern. Gegenüber der Parteikanzlei schob das Ministerium die Bitte des Ostministeriums vor, »die Errichtung der Reichskammer mit möglichster Beschleunigung durchzuführen, da ohne deren Lenkungsmaßnahmen der Einsatz der prüferischen Fachkräfte in den besetzten Ostgebieten in Frage gestellt« werden müsse.563 Die Reichskanzlei befürwortete den Vorschlag des Wirtschaftsministeriums zur Errichtung der Kammer, da sie davon ausging, dass die Treuarbeit die »Überprüfung des Treuhandvermögens […] insbesondere aus politischen Gründen« vornahm, »um die Möglichkeit von Veruntreuungen [und] Durchstechereien […] unter allen Umständen auszuschalten.«564 Der politische Aspekt war neben dem der Rüstungs- und Ernährungs- sicherung von besonderer Bedeutung, denn Korruption »unter den Augen des feind- lichen Nachrichtendienstes«, so die Befürchtung im Ostministerium, werde dem NS- Regime in den besetzten Gebieten die Herrschaftslegitimation entziehen.565 Auch Hans Adler, der gleichzeitig Vorstandsmitglied der Treuarbeit und Kriegsvertreter des Institutsführers war, befürwortete die kammerartige Ausgestaltung des IDW. Die neue Kammer sollte nämlich im Rahmen einer »Berufslenkung« Prüfungskräfte für den Ost- einsatz der Treuarbeit zur Verfügung stellen. Um Prüfungspersonal zu erhalten, schlug Adler außerdem vor, die aktienrechtliche Pflichtprüfung aufzuheben.566 Für den Rechnungshof des Deutschen Reiches (RRH) ergab sich durch die bevor- stehende Beauftragung der Treuarbeit mit einem ausschließlichen Prüfungsrecht eine bedrohliche Situation. Das vom NS-Regime beschlagnahmte Vermögen in den besetzten Ostgebieten galt als »Sondervermögen des Reichs« und war getrennt von den Haus- halten der Reichskommissare zu verwalten. Dieses Sondervermögen fiel bislang in die prüferische Zuständigkeit des Reichsrechnungshofes. Um das Ansehen seiner Behörde aufrechtzuerhalten, erklärte nun der Präsident des RRH, Müller, dass er »wegen der ungeheuren Arbeitsbelastung und zur Vermeidung von Doppelarbeiten« gegen den Einsatz der Treuarbeit keine Bedenken habe. Allerdings bestand der Präsident darauf, die Berichte und Feststellungen der Treuarbeit zu erhalten, um ihre Ergebnisse zu ver- werten. Er befürchtete, dass die Tätigkeit des RRH auf die »reine Behördenverwaltung« beschränkt werde. Hingegen sollten alle »Wechselbeziehungen zwischen der Treuhand- verwaltung, dem Treuhandvermögen und der Behördenverwaltung, wie Abrechnung

563 BAB R 3101/17650: Fernschreiben Winckelmanns an Parteikanzlei, Dr. Densow, im Dezember 1942. 564 BAB R 3101/17650: Vermerk, 2.2.1943. 565 BAB R 3101/20486, Bl. 99–104: Niederschrift über die Ressortbesprechung am 26.10.1943 betr. Vor- dringlichkeit kriegswichtiger Prüfungs- und Treuhandaufgaben, 10.11.1943, hier: Bl. 101R, Aussage Prof. Theisers aus dem Ostministerium. 566 BAB R 2301/1971, Bl. 52–56: Aktenvermerk Hans Adler, 11.11.1942, betr.: Voraussetzungen für den Einsatz der Deutschen Revisions- und Treuhand-Aktiengesellschaft (Treuarbeit) als Monopol- gesellschaft für Prüfungen und Kontrollen aller in den besetzten Ostgebieten zum Treuhandvermögen einschliesslich der Ostgesellschaften gehörenden Betriebe, hier: Bl. 54. 252 »Staatliche Kontrolle politischer und finanzieller Art«: Die Treuarbeit in der Ukraine der Betriebe, Abführung der Gewinne, Untersuchung der wirtschaftlichen Arbeit der Betriebe usw. […] uneingeschränkt der Prüfung des RH unterliegen.« Die Prüfungs- rechte des RRH waren jedoch nicht einmal im Verwaltungsbereich selbstverständ- lich, sondern Müller musste sie erst »in den Verhandlungen mit dem Ostministerium eindeutig« festlegen.567 So war zum Beispiel strittig, ob der RRH auch die Haushalte der Reichskommissare und nachgeordneten Ebenen prüfen durfte. Denn das Ost- ministerium vertrat die Auffassung, dass die »Gebietshaushalte« allein in der Zuständig- keit des Ostministeriums lagen. Gefährdend für die Position des RRH konnte sich auch der Wunsch des Ostministeriums auswirken, die Treuarbeit solle »Anregungen geben und für Sonderprüfungen zur Verfügung stehen«.568 Denn Müller hatte das traditionelle Rechnungsprüfungsgeschäft im Altreich fast völlig aufgeben müssen. Um einer Still- legung seiner Behörde zuvorzukommen, hatte er als neue Aufgabe eine »Beratungs- revision« konzipiert.569 Müller wollte die Beteiligung des RRH an der Ausarbeitung der Richtlinien für die Tätigkeit der Treuarbeit in den besetzten Ostgebieten sicherstellen.570 Letztlich benötigte Müller die Unterstützung des Reichsfinanz- und des Reichsinnen- ministeriums, um die Prüfungszuständigkeit seiner Behörde im Organisationsbereich des Ostministeriums und der Kommissariate durchzusetzen.571 Im Dezember 1942 übertrug der Reichsminister für die besetzten Ostgebiete der Treuarbeit das exklusive »Recht zur Prüfung aller zum Wirtschaftssondervermögen […] gehörenden Betriebe einschließlich der Ostgesellschaften.« Dieses Recht umfasste sämt- liche anfallenden Prüfungen, die Überwachung der treuhänderisch geführten Betriebe, die organisatorische Beratung und die Mitwirkung bei buchhalterischen Arbeiten für die Erstellung von Jahresabschlüssen der geprüften Betriebe. Die Prüfungen sollten gegebe- nenfalls auch steuerliche und preisrechtliche Belange einschließen. Eine Erweiterung des Prüfungsauftrages behielt sich der Minister vor. General- und Gebietskommissare sowie Verwalter, Treuhänder und Pächter von Vermögenswerten, die zum Wirtschaftssonder- vermögen gehörten, sollten sich nur die Treuarbeit einschalten.572 Überdies genehmigte er der Treuarbeit auch, in den Ostgebieten »private Aufträge« entgegen zunehmen.573 Der Treuarbeit stand es frei, ihrerseits Einzelprüfer und Prüfungsgesellschaften zu beauftragen. Diese Prüfer unterstanden dem Weisungsrecht der Treuarbeit, sie traten im Namen und als Beauftragte der Treuarbeit auf. Zur Durchführung der Aufgaben gründete die Treuarbeit, wie im Aufsichtsrat abgesprochen, die Tochtergesellschaft »Reichsprüfungsgesellschaft für die besetzten Ostgebiete« (RPG) mit Sitz in Berlin, die wiederum im »Prüfungsgebiet« Zweigniederlassungen und Außenstellen errichtete.574

567 BAB R 2301/1971, Bl. 60, 61: Vermerk, 23.11.1942. 568 BAB R 2301/1971, Bl. 71R, 73: Besprechungsprotokoll, 4.12.1942. 569 Weinert, Sauberkeit (1993), 79. 570 BAB R 2301/1971, Bl. 76: Besprechungsprotokoll, 4.12.1942. 571 Weinert, Sauberkeit (1993), 54–56. 572 BAB R 92/1184: Reichsminister für die besetzten Ostgebiete an Reichskommissar für das Ostland, 11.12.1942. 573 BAB R 92/1184: Reichsminister für die besetzten Ostgebiete an Treuarbeit, 11.12.1942, 1. 574 BAB R 92/1184: Reichsminister für die besetzten Ostgebiete an Treuarbeit, 11.12.1942, 1. 253 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa Die RPG galt als »Hilfsorgan der Abteilungen Treuhandverwaltung«.575 Der Ostminister sicherte der Treuarbeit Unterstützung bei der Personalbeschaffung – seien es Prüfer, Büro- oder sonstige Fachkräfte – zu und versprach, sich hierfür beim Reichsarbeits- minister und beim Reichswirtschaftsministerium einzusetzen. Auch bei der Beschaffung von Büroräumen, Wohnungen, Lebensmitteln und Büromaterial bot Rosenberg seine Hilfe an. Zur Finanzierung der »Reichsprüfungsgesellschaft« erteilte Rosenberg eine Deckungszusage, die Fremdkapitalzinsen und einen Gewinnzuschlag umfasste. Der Auftrag des Ministers war bis zum 31. Dezember 1945 befristet, sollte sich stillschweigend um jeweils ein Jahr verlängern. Rosenberg versprach, »Verhandlungen über die Durch- führung der Prüfungen in den der Militärverwaltung noch unterstehenden besetzten Ostgebieten […] mit dem Beauftragten für den Vierjahresplan und den zuständigen Stellen des OKW« zu führen. Er stellte der Treuarbeit des Weiteren in Aussicht, ihr »sämtliche Prüfungsrechte auch in den der Militärverwaltung unterstehenden Gebieten [zu] übertragen.«576 Der Reichskommissar Ukraine musste die vom ihm gegründete Revisions- und Treuhand-GmbH für die Ukraine auflösen.577 Am 15. Januar 1943 wurde die RPG mit einem Kapital von 500.000 RM in das Han- delsregister eingetragen. Zu Geschäftsführern wurden die Vorstandsmitglieder der Treu- arbeit, Richard Karoli und Kurt Schmaltz, berufen. Am 21. Januar 1943 wurden außer- dem die Wirtschaftsprüfer Dr. Friedrich Burkhard und Fritz Gelhausen sowie der Jurist Dr. Walter Huppert zu Geschäftsführern ernannt.578 Den Vorsitz des Beirates der neuen Tochtergesellschaft übernahm Wilhelm Keppler, der zu dieser Zeit aus dem Aufsichtsrat der Treuarbeit ausschied.579 Weitere Beiratsmitglieder kamen aus dem Institut der Wirt- schaftsprüfer (IDW) und dem Reichswirtschaftsministerium, um die »gewünschte Ein- flußnahme auf die Gestaltung des Osteinsatzes« zu gewährleisten.580 Die auch »Ostre- vision« genannte RPG errichtete in der Ukraine Niederlassungen in Dnjepropetrowsk, Rowno und Kiew sowie »Stützpunkte« in Nikolajew, Luzk und Shitomir. Sie unterhielt außerdem für das rückwärtige Heeresgebiet beim Chef der Wi- (Wirtschaftsinspektion) Süd einen Prüfungsstab.581 Die RPG war kaum gegründet, da forderte der »Sonderbeauftragte des Führers«, General der Infanterie Walther von Unruh, die Zusammenlegung dieser Gesellschaft mit der Treuarbeit und die Auflösung der RPG zum 1. April 1943 mit der Begründung,

575 BAB R 92/1184: Reichsminister für die besetzten Ostgebiete an Reichskommissar für das Ostland, 11.12.1942. 576 BAB R 92/1184: Reichsminister für die besetzten Ostgebiete an Treuarbeit, 11.12.1942, 2, 3. 577 BAB R 2301/1971, Bl. 68: Reichsminister für die besetzten Ostgebiete an Reichskommissar für die Ukraine, 11.12.1942. 578 Amtsgericht Berlin-Charlottenburg, Handelsregisterauszug HB 59479. Im April kam Wirtschafts- prüfer Theodor Koop als Geschäftsführer hinzu. Bis Juni 1944 wurden außerdem 18 Prokuristen benannt. Richard Karoli wurde als »Mitglied der Geschäftsleitung« aufgeführt: BAB R 43II/686b, Bl. 96: RPG Berlin (Schmaltz/Gelhausen) an Reichsminister für die besetzten Ostgebiete, 15.11.1943. 579 BAB R 92/1184: Reichsminister für die besetzten Ostgebiete an Treuarbeit, 11.12.1942. 580 BAB R 43II/662a, Bl. 37–40: Treuarbeit an General von Unruh, 4.3.1943, hier: Bl. 38. 581 BAB R 8135/10077, Bl. 21R: Gefolgschaftsnachrichten, Juni 1943, S. 3. RMM F 1464/36: RPG Kiew an Generalkommissar in Kiew, Hauptabteilung Treuhandverwaltung, 7.9.1943, 1. 254 »Staatliche Kontrolle politischer und finanzieller Art«: Die Treuarbeit in der Ukraine Personal einsparen zu müssen.582 Die Treuarbeit sprach sich für die Beibehaltung der neu gegründeten Gesellschaft aus. Sie fand dafür die Unterstützung des Ostministeriums sowie des Reichswirtschafts- und des Reichsfinanzministeriums. Prüfungsgesellschaft und oberste Reichsbehörden führten berufspolitische Argumente, einen konzentrierten Personaleinsatz sowie nicht zuletzt die interministerielle Beschlussgrundlage an.583 Der Präsident des Reichsrechnungshofes befürwortete hingegen die Auflösung der RPG, da sich seit der Gründung der Gesellschaft, also seit zwei Monaten, die gesamte Personal- lage verschärft habe.584 Müller vertrat die Auffassung, dass straffste Organisation und geringster Personaleinsatz nur dann Wirkung entfalten, wenn die Treuarbeit die »Auf- gaben im Osten« selbst durchführe. Nach übereinstimmender Auffassung der Reichs- minister für die besetzten Ostgebiete, für Wirtschaft und für Finanzen waren mit einer Auflösung der RPG jedoch keine personellen Einsparungen zu erzielen. Auch die berufspolitischen Argumente überzeugten, sodass der Chef der Reichskanzlei, Lammers, General von Unruh vorschlug, seine Anregung nicht weiter zu verfolgen.585 Diesem Vorschlag stimmte von Unruh zu.586 Trotz dieser Querelen begann die RPG mit dem Aufbau des Außenstellennetzes in der Ukraine. Hierzu gehörte die Niederlassung in Kiew (RPG Kiew).587 Anfang April 1943 trafen der Niederlassungsleiter, Walter Laub, sowie der Geschäftsführer der RPG, Dr. Walter Huppert, und Vorstand Dr. Richard Karoli in Kiew ein. Sie stellten sich bei ihren künftigen Auftraggebern, den Vertretern der Treuhandverwaltung des General- kommissars und der Zentralhandelsgesellschaft Ost (ZHO), vor, um über Prüfungs- und Beratungstätigkeiten der RPG Kiew, deren Honorierung und die Personalsituation zu sprechen. Außerdem wollten sie die praktischen Fragen der Büroräume, der Unterkunft und der Verpflegung klären.588 Die Verhandlungen hierzu wurden im Wesentlichen von Laub geführt. Sie zogen sich monatelang hin, weil sich eine Vielzahl von Problemen und

582 BAB R 43II/662a, Bl. 35R: General von Unruh an Reichskanzlei, Staatssekretär Kritzinger, 11.3.1943. 583 BAB R 43II/662a, Bl. 36: Reichsminister für die besetzten Ostgebiete an General der Infanterie von Unruh, Berlin, 20.2.1943; BAB R 3101/20486, Bl. 160: Reichswirtschaftsminister an General von Unruh, 6.3.1943; BAB R 43II/662a, Bl. 37–40: Treuarbeit an General von Unruh, 4.3.1943; BAB R 43II/662a, Bl. 50: Reichsminister der Finanzen an Reichskanzlei, 5.4.1943. 584 BAB R 43II/662a, Bl. 45: Präsident des Rechnungshofs des Deutschen Reichs an General von Unruh, 9.3.1943. 585 BAB R 43II/662a, Bl. 52: Reichskanzlei an General von Unruh, 16.4.1943, betr.: Auflösung der Reichsprüfungsgesellschaft für die besetzten Ostgebiete. 586 BAB R 43II/662a, Bl. 54: General von Unruh an Reichskanzlei, 21.4.1943. Die Auflösungsforderung wurde dennoch dem durch Führererlass »über den umfassenden Einsatz von Männern und Frauen für Aufgaben der Reichsverteidigung vom 13. Januar 1943 eingesetzten« Ausschuss zur Entscheidung vor- gelegt, siehe BAB R 43II/662a, Bl. 43: Chef der Reichskanzlei an Herrn Reichsminister der Finanzen und Herrn Reichswirtschaftsminister, 18.3.1943, betr.: Auflösung der Reichsprüfungsgesellschaft für die besetzten Ostgebiete m. b. H. Dieser sogenannte »Dreierausschuß« entschied gegen die Auflösung, siehe BAB R 43II/662a, Bl. 56: Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete an Reichskanzlei, 19.4.1943. 587 RMM F 1464, Bände 36, 37, 40 und 87. 588 RMM F 1464/36, »Erste Verhandlungen und Vorgänge«, »Bericht des Herrn Laub«, o. D., schildert den Zeitraum vom 3.4. bis 5.4.1943. 255 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa ungeklärten Fragen ergab. Die Treuhandverwaltung hatte bisher selbst die unter Ver- waltung stehenden Betriebe geprüft und beraten. Die Beratungstätigkeit behielt sie sich auch weiterhin vor. Prüfungsaufträge sollte die Niederlassung für Betriebe der gewerb- lichen Wirtschaft und des Ernährungs- und Landwirtschaftssektors erhalten. Zunächst waren lediglich einige Einzelprüfungen vorgesehen, denn die Mehrzahl der Betriebe war nicht prüfungsbereit.589 Die Hauptgeschäftsstelle der ZHO in Kiew stellte der Niederlassung zahlreiche Prüfungsaufträge in Aussicht, die einen größeren Stab von Prüfern erforderlich wer- den ließen. Insbesondere zwölf sogenannte »Zentralen« – das waren fachlich gegliederte Lenkungsstellen für die Verarbeitungsbetriebe des Ernährungs- und Landwirtschafts- sektors – sollten eingehend geprüft werden.590 So gehörten zur Milch- und Fettzentrale 800 Molkereien; der Zuckerzentrale waren 150 Zuckerfabriken angeschlossen. Aller- dings sollte die RPG Kiew auch von der Hauptabteilung Ernährung und Landwirt- schaft beim Reichskommissariat in Rowno Prüfungsaufträge für den Ernährungs- und Landwirtschaftssektor erhalten. Da ungewiss war, ob die Institution die Prüfungsauf- träge erteilen würde, sollte zur Klärung dieser Frage das Ostministerium eingeschal- tet werden.591 Zudem wünschte die Hauptabteilung Finanzen, dass die RPG Kiew bei der Prüfung und Berichterstattung auch für eine ordnungsmäßige Steuerveranlagung sorgte, damit die Treuhandverwaltung keine Betriebsprüfer der Finanzverwaltung in Anspruch nahm.592 Zusätzlich zu diesen Zuständigkeitsfragen gab es diverse Probleme bei der Durch- führung der Prüfungen selbst. Mitte Juni 1943 musste Laub seinem Vorstand melden, dass die bisher von der Treuhandverwaltung des Generalkommissariats (GK) erteilten Aufträge »sämtlich unterbrochen bezw. zurückgestellt [werden sollten], da teilweise […] Buchhalter erkrankten; in einem Fall stellte sich heraus, dass [so!] zwei Revisoren der ZO [ZHO] privat in den Abendstunden im Auftrag des Treuhänders bereits eine Prüfung durchgeführt haben, deren Ergebnis erst abgewartet werden« sollte. In anderen Betrieben mussten Rückstände in der Buchhaltung aufgearbeitet werden.593 Außerdem wurde ein zügiger Prüfungsablauf durch Sprachprobleme verhindert. Die Treuhand- verwaltung des GK hatte auf russische, ukrainische und »volksdeutsche« Revisoren zurückgegriffen, deren Berichte übersetzt werden mussten, bevor sie ausgewertet werden

589 RMM F 1464/36, »Erste Verhandlungen und Vorgänge«, »Bericht des Herrn Laub«, o. D., schildert den Zeitraum vom 3.4. bis 5.4.1943.; RMM F 1464/40: Aktenvermerk betr.: Besprechung mit Dr. Bieringer – Treuhandverwaltung beim RKU am 25.6.1943. 590 RMM F 1464/36: RPG Zweigniederlassung Kiew an Generalkommissar in Kiew, Hauptabteilung Treuhandverwaltung, 7.9.1943, 2. Die Lenkungsstellen wurden in der Rechtsform von GmbHs geführt. 591 RMM F 1464/36, »Erste Verhandlungen und Vorgänge«, »Bericht des Herrn Laub«, o. D., schildert den Zeitraum vom 3.4. bis 5.4.1943; RMM F 1464/36: RPG Kiew, Laub, an Ostrevision, Karoli, »einen kurzen Bericht über die vergangene Woche«, 17.5.1943; RMM F 1464/36: RPG Kiew, Laub, an Ostrevision, Karoli, »Zwischenbericht«, 14.6.1943, 2. 592 RMM F 1464/40: Aktenvermerk »Betr.: Besprechung mit Dr. Bieringer – Treuhandverwaltung beim RKU am 25.6.1943«, 2. 593 RMM F 1464/36: RPG Kiew, Laub, an Ostrevision, Karoli, »Zwischenbericht«, 14.6.1943, 3. 256 »Staatliche Kontrolle politischer und finanzieller Art«: Die Treuarbeit in der Ukraine konnten. Die RPG sollte diese einheimischen Prüfer übernehmen. Daher benötigte sie Dolmetscher.594 »Der Übernahme des einzigen deutschsprechenden Revisors Ittermann des GKK [Generalkommissariates] durch uns stimmt Dr. B[ieringer] nur ungern zu, da er bei der Treuhandverwaltung für plötzlich notwendig werdende Fest- stellungen u. U. dringend benötigt wird.« Dennoch erreichte Laub, dass Ittermann der RPG zur Verfügung gestellt wurde, jedoch in dringenden Fällen von der Treuhandver- waltung zurückgefordert werden konnte.595 Zur Lösung des Sprachproblems plante die RPG auch den Einsatz Russisch sprechender Letten.596 Die Einstellung qualifizierter Dolmetscher und Übersetzer war für eine reibungslose und erfolgreiche Durchführung der Prüfungen die wichtigste Voraussetzung. Mehrfach musste die RPG Kiew Prüfungen unterbrechen, »weil die Dolmetscherfrage nicht befriedigend gelöst werden konnte.« Sogar die geprüften Betriebe wurden darum gebeten, Dolmetscher zur Verfügung zu stellen. Diese Mitarbeiter konnten die RPG aber nur stundenweise unterstützen und sie verfügten auch nicht über Buchhaltungskenntnisse. Die RPG Kiew versuchte vergeb- lich, über das Generalkommissariat, das Arbeitsamt und Zeitungsanzeigen Dolmetscher zu gewinnen. Der vom Generalkommissariat zur Verfügung gestellte Herr Ittermann verfügte über gute mündliche Deutschkenntnisse und kannte sich in den russischen Buchführungsmethoden sehr gut aus. Er konnte jedoch nicht Deutsch schreiben, sodass seine russischen Berichte übersetzt werden mussten. Nachteilig für Einstellungen wirkte sich aus, dass die RPG Kiew im Gegensatz zu den großen Betrieben, insbesondere den ernährungswirtschaftlichen Gesellschaften, keine Naturalbeihilfen gewähren konnte. Daher fragte Laub beim Vorstand wiederholt an, ob nicht »wenigstens einige der russisch sprechenden Revisoren der Treuarbeit nach Kiew abgestellt [so!] werden« könnten.597 Auch bei der Gebührenerhebung der RPG Kiew zeigten sich Schwierigkeiten. Zwar hatte der Generalkommissar Waldemar Magunia dem Niederlassungsleiter zugestimmt, dass sachverständige Prüfungen durch Wirtschaftsprüfer bekanntermaßen »nicht billig« sein können.598 Aber der Leiter der Treuhandverwaltung, Dr. Bieringer, machte die RPG Kiew darauf aufmerksam, dass eine Reihe von Treuhandbetrieben noch im Auf- bau seien und daher »ertragsmäßig Bedenken gegen eine allzu starke Belastung mit Prüfungsgebühren bestehen.«599 Vorstandsmitglied Richard Karoli vereinbarte mit Ministerialrat Dr. Reinbothe vom Ostministerium, dass dem geprüften Betrieb eine

594 RMM F 1464/36, »Erste Verhandlungen und Vorgänge«, »Bericht des Herrn Laub«, o. D., schildert den Zeitraum vom 3.4. bis 5.4.1943. 595 RMM F 1464/40: Aktenvermerk »Betr. Besprechung mit Dr. Bieringer am 10. Mai 1943«, Verfasser: Laub, 13.5.1943. 596 RMM F 1464/40: Aktenvermerk »Betr. Besprechung mit Dr. Bieringer – Treuhandverwaltung beim RKU am 25.6.1943«, Verfasser: Laub, 25.6.1943. 597 RMM F 1464/36: Zweigniederlassung Kiew, Laub, an Geschäftsleitung Ostrevision, Karoli, »Zwischenbericht«, 14.6.1943, S. 1; RMM F 1464/36: Zweigniederlassung Kiew an Geschäftsleitung Ostrevision, »Dispositionen«, 23.8.1943. 598 RMM F 1464/40: Aktenvermerk »Betr. Einführung bei Generalkommissar Magunia, Kiew, am 11. Mai 1943« verfasst: 13.5.1943, Verfasser: Laub. 599 RMM F 1464/36, »Erste Verhandlungen und Vorgänge«, »Bericht des Herrn Laub«, o. D., schildert den Zeitraum vom 3.4. bis 5.4.1943. 257 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa Zeitgebühr von 80 RM je Arbeits- und Reisetag und je Revisor in Rechnung gestellt werden dürfe. Sollte der geprüfte Betrieb diese Kosten nicht tragen können, würden sie dem Auftraggeber, also dem General- oder Reichskommissar, in Rechnung gestellt werden. Auch sonstige ungedeckte Kosten solle das Ostministerium übernehmen. Letztlich sollten diese Kosten auf die »Treuhandbetriebe« umgelegt werden.600 Offen- bar war diese Vereinbarung nicht ausreichend, denn im Juni 1943 lag eine Beschwerde der Bezugs- und Absatzzentrale GmbH Kiew an den Reichskommissar Ukraine wegen der in Rechnung gestellten Prüfungskosten vor. Laub bat seinen Vorstand, dringend die Frage der Gebührenbemessung zu klären, »bevor wir zu den einzelnen Zentralen gehen, da wir sonst von vornherein mit jeder einzelnen Gesellschaft unerquickliche Dis- kussionen über die Kosten zu führen haben würden.«601 Dabei müsse allerdings darauf geachtet werden, dass eine Überprüfung der Kosten der Kiewer Niederlassung nur dem Rechnungshof, keinesfalls jedoch dem Reichskommissar zugestanden werde.602 Die RPG Kiew erhielt problemlos Büros und Wohnraum. Der Stadtkommissar von Kiew, das Quartiersamt und die Treuhandverwaltung des Generalkommissars boten der Niederlassung mietfrei Wohnungen und Büros unterschiedlicher Größe und Quali- tät an. Die RPG wählte schließlich drei Wohnungen in der Lutherstraße 19 aus. Die Wohnungen, so heißt es in einem internen Vermerk der Niederlassung, seien in relativ gutem Zustand: »Sie müssen aber noch von den ukrainischen Bewohnern geräumt werden.«603 Die RPG bezog zunächst nur eine der drei Wohnungen.604 Eine weitere Wohnung nahm die RPG in der Nowolewoschewskaja 7.605 Ihre Büros bezog die Nieder- lassung in der Korolenka 19, wo auch die ZHO Geschäftsräume besaß. Weitere Büro- räume sollten in der Horst-Wessel-Straße 36 bezogen werden, sobald dort Lichtleitungen und Toiletten instand gesetzt waren.606 Während die Niederlassung die Büromöbel bei der Möbelfabrik in Bialystok bestellen konnte, mussten die notwendigsten Wohnungs- möbel »beschafft« werden. Diese »Beschaffungsangelegenheiten«, klagte Laub in einem Brief an Vorstand Karoli, gestalteten sich so zeitaufwendig, dass der Mitarbeiter Ulrich

600 RMM F 1464/40: Aktenvermerk betr.: Berechnung von Prüfungsgebühren in der Ukraine, 12.5.1943. 601 RMM F 1464/36: Zweigniederlassung Kiew, Laub, an Geschäftsleitung Ostrevision Berlin, Karoli, »Zwischenbericht«, 14.6.1943, 2. 602 RMM F 1464/36: Zweigniederlassung Kiew, Laub, an Geschäftsleitung Ostrevision Berlin, Karoli, »Zwischenbericht«, 14.6.1943, 3. 603 RMM F 1464/36: »Büro und Wohnung in Kiew«, 9.4.1943, Verfasser: unbekannt. Die Wohnungen bestanden aus je drei kleineren Zimmern, Küche und Bad sowie Ofenheizung. 604 RMM F 1464/36: RPG Kiew an Geschäftsleitung Ostrevision Berlin, 11.8.1943. 605 RMM F 1464/36: RPG Kiew an Ostrevision, Karoli, »einen kurzen Bericht über die vergangene Woche«, 17.5.1943. Statt Nowolewoschewskaja auch Nowolewosenskaja auch, siehe RMM F 1464/36: »Büro und Wohnung in Kiew«, 9.4.1943, Verfasser: unbekannt. 606 RMM F 1464/36: Generalkommissar in Kiew an Stadtkommissare, Gebietskommissare, Haupt- abteilungen und Zentralhandelsgesellschaft Ost, 13.5.1943; RMM F 1464/36: RPG Kiew an Ost- revision, Karoli, »einen kurzen Bericht über die vergangene Woche«, 17.5.1943; RMM F 1464/36: »Büro und Wohnung in Kiew«, 9.4.1943, Verfasser: unbekannt; RMM F 1464/36: RPG Kiew an Ostrevision, Karoli, »einen kurzen Bericht über die vergangene Woche«, 17.5.1943. 258 »Staatliche Kontrolle politischer und finanzieller Art«: Die Treuarbeit in der Ukraine Noebel »die eigentliche Arbeit als Jurist« nicht aufnehmen könne.607 Die Treuhandver- waltung des Generalkommissars konnte die Niederlassung bei der Möbelbeschaffung nicht unterstützen, sorgte aber für die Bereitstellung von »guten« Hotelzimmern für die aus Deutschland eintreffenden Mitarbeiter im »Hotel Königsberg«, bis die Renovierungs- arbeiten in den Wohnungen abgeschlossen waren.608 Doch kaum war die Wohnung in der Lutherstraße 19 bezogen, erhielt die RPG Kiew Mitte Juli 1943 die Aufforderung des Quartiersamtes beim Generalkommissar, die zugewiesenen drei Wohnungen im Herbst zu räumen, um sie »Gefolgschaftsmitgliedern« des Generalkommissars zur Verfügung zu stellen.609 Die als Ersatz angebotenen Wohnungen am Universitätsring 14 erfüllten jedoch nicht die Ansprüche der RPG. Es handelte sich, so berichtete Laub dem Vor- stand, um »völlig verbaute Räume«, die zudem eine Vielzahl von Mängeln aufwiesen. Der Niederlassungsleiter erfuhr, dass der Generalkommissar seinerzeit das Haus in der Lutherstraße 19 unter der Maßgabe erhalten hatte, dass »Reichsdeutsche« keinesfalls herausgesetzt werden dürften. Laub lehnte daher den Tausch der Wohnungen ab und stellte dem Quartiersamt eine Beschwerde beim Generalkommissar in Aussicht, weil der Wohnungstausch eine »schwere Beeinträchtigung des eben voll anlaufenden Revisions- betriebes« mit sich bringe. Daraufhin war das Quartiersamt bereit, der RPG die drei Wohnungen in der Lutherstraße bis zum 1. September 1944 zu überlassen. Obwohl die »Wohnungsfrage […] damit zunächst befriedigend gelöst« war, wollte Laub mit der Grundstücksgesellschaft vorsichtshalber über die Zuweisung weiterer Räume ver- handeln. Denn es drohte durch den Stadtkommissar die Beschlagnahme des Hauses in der Horst-Wessel-Straße, in dem sich Büroräume der RPG befanden.610 Während die Unterbringungs- und Einrichtungsfrage letztlich geregelt werden konnte, stellte sich die Verpflegung und Lebensmittelzuteilung als ein gravierendes Problem heraus. Der Leiter der Treuhandverwaltung, Bieringer, hielt es für falsch, dass die Prüfer der RPG in den geprüften Gesellschaften beköstigt würden. Dadurch entstehe eine »zu enge Verbindung zwischen Prüfer und Geprüften«. Er empfahl, der RPG »ausnahmsweise die direkte Betreuung durch das GKK [Generalkommissariat] zuzubilligen«.611 Das GKK empfing Sonderzuteilungen an Lebensmitteln, die privaten Firmen nicht. Mitte Mai erhielt Laub – »nach Überwindung der nachträglich bei den nachgeordneten Stellen aufgetretenen Schwierigkeiten« – die Ausweise für das Kasino und das »Gefolgschaftsheim« des Generalkommissariates, allerdings mit einer

607 RMM F 1464/36: RPG Kiew an Ostrevision, Karoli, »einen kurzen Bericht über die vergangene Woche«, 17.5.1943; RMM F 1464/36: Zweigniederlassung Kiew, Laub, an Geschäftsleitung Ost- revision, Karoli, »Zwischenbericht«, 14.6.1943, 4. 608 RMM F 1464/40: AV »Betr. Besprechung mit Dr. Bieringer am 10. Mai 1943« verfasst: 13.5.1943, Verfasser: Laub; RMM F 1464/36: RPG Kiew an Ostrevision, Karoli, »einen kurzen Bericht über die vergangene Woche«, 17.5.1943. 609 RMM F 1464/36: Generalkommissar Kiew an RPG Kiew, 16.7.1943. 610 RMM F 1464/36: RPG Kiew an Geschäftsleitung Ostrevision, »Wohnungen in der Lutherstr. 19, Kiew«, 11.8.1943. 611 RMM F 1464/40: AV »Betr. Einführung bei Generalkommissar Magunia, Kiew, am 11. Mai 1943« verfasst: 13.5.1943, Verfasser: Laub. 259 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa Befristung zum 30. Juli 1943. Laub erkundigte sich daher beim Leiter der »Ersten Kiewer Möbelfabrik« nach den Erfahrungen mit dem Betrieb eines eigenen Kasinos. Dieser berichtete von schlechten Erfahrungen mit der ukrainischen Köchin. Außerdem gebe es »große Schwierigkeiten« bei der Lebensmittelzuteilung, da die Rationen immer wieder gekürzt wurden und man sich zusätzliche Lebensmittel auf dem schwarzen Markt oder durch Tausch erwerben müsse.612 Auf noch größere Widerstände traf Laub beim »Beschaffungsamt« wegen »entsprechender Ausweise für die Marketenderei«. Bei der Marketenderware handelte es sich um Toilettenartikel, Kosmetik und Waschmittel, die als knappe Einfuhrware aus dem Reich ein begehrtes Gut war.613 »Eine Betreuung durch die Marketenderei des GKK wurde vom Beschaffungsamt rigoros abgelehnt. Der Abteilungsleiter verstieg sich zu der Behauptung, der Generalkommissar habe es sich nicht richtig überlegt, als er uns die Betreuungszusage machte, er jedenfalls könne ihre Berechtigung nicht einsehen«, berichtete Laub merkbar empört seinem Vorstand in Berlin.614 Bieringer sah geringe Chancen auf Erfolg für eine Verlängerung des Kasino- besuchsrechts der RPG-Mitarbeiter, »da gegen die Verköstigung nicht zur Gefolgschaft gehöriger Kreise im Kasinoausschuss energisch protestiert« wurde. Bieringer warnte die RPG jedoch davor, sich Lebensmittel »über den schwarzen Markt oder mit Hilfe der zu prüfenden ernährungswirtschaftlichen Gesellschaften« zu besorgen. Die Frage der Ver- pflegung war so bedeutend, dass Niederlassungsleiter Laub, Geschäftsführer Gelhausen und Vorstandsmitglied Karoli das Thema beim Ostministerium ansprachen. Im Gegen- satz zu Bieringer hatte Ministerialrat Reinbothe keine Bedenken gegen Beschaffungen am schwarzen Markt: Das Ostministerium selbst habe seine Möbel in großem Umfang auf dem schwarzen Markt in den besetzten Westgebieten unter Bezahlung erheblicher Überpreise besorgt. Reinbothe stellte der Ostrevision einen Betreuungserlass des Ost- ministeriums an den Reichskommissar Ukraine in Aussicht, durch den die Mitarbeiter der RPG den »Gefolgschaftsmitgliedern« des Generalkommissars gleichgestellt werden sollten. Karoli stellte klar, dass der RPG zunächst nichts anderes übrig bliebe, als sich über den schwarzen Markt und die ernährungswirtschaftlichen Gesellschaften selbst zu helfen.615 Laub gelang es, die Kasinoausweise bis zum 31. August 1943 verlängern zu lassen. Er setzte alle Hoffnungen auf den Betreuungserlass, dessen Veröffentlichung sich jedoch hinzog.616 Laub intervenierte daher erneut und erreichte, dass General- kommissar Magunia, »dem Herr Dr. Bieringer unsere Angelegenheit unter nach-

612 RMM F 1464/36: AV »Betr. Errichtung eines eigenen Kasinos«, Verfasser: Laub, 7.6.1943. 613 RMM F 1464/36: »Zuteilung vom 7.–12. Juni«; RMM F 1464/36: RPG Kiew, Laub, an Ostrevision Berlin, Karoli, »einen kurzen Bericht über die vergangene Woche«, 17.5.1943. 614 RMM F 1464/36: Zweigniederlassung Kiew, Laub, an Geschäftsleitung Ostrevision, Karoli, »Zwischenbericht«, 14.6.1943, 3. 615 RMM F 1464/37: RPG Kiew an Ostrevision Berlin, Geschäftsleitung, betr. Betreuungsfrage, 27.5.1943; RMM F 1464/40: AV »Betrifft: Besprechung mit Herrn Ministerialrat Dr. Reinbothe und Herrn Dr. Meister im Ostministerium am 3. Juli 1943«, Verfasser: Laub, 3.7.1943. 616 RMM F 1464/37: RPG Kiew an Ostrevision, Berlin, »Teilnahme an der Kasino-Verpflegung beim General-Kommissar«, 5.8.1943; RMM F 1464/37: Ostrevision an RPG Kiew, »Gleichstellungserlaß«, 10.8.1943. 260 »Staatliche Kontrolle politischer und finanzieller Art«: Die Treuarbeit in der Ukraine drücklicher Bezugnahme auf den […] zu erwartenden Betreuungserlaß […] vortrug [uns] seine Zustimmung zur weiteren Betreuung […] gab.« Die Kasinoausweise galten nunmehr unbefristet.617 Anfang September 1943 wurde schließlich der Betreuungs- erlass des Ostministeriums veröffentlicht. Damit wurden »die Gefolgschaftsmitglieder der Ostrevision […] ab sofort voll beim G[eneral]K[ommissariat] betreut«.618 Laub war in die Ukraine gekommen, um »Aufbauarbeit im Osten« zu leisten. Die Herab- setzung gegenüber Beamten und Soldaten verärgerte ihn. »Diese ‚Volksgemeinschaft in mehreren Klassen‘ wird sich eines Tages noch unangenehm auswirken«, schrieb er an seinen Vorstand.619 Um die »immer wieder festzustellende[…] geringe[…] Achtung« zu beseitigen, schlug Laub vor, dass die RPG-Mitarbeiter eine Uniform tragen sollten. Die Geschäftsführer und Prokuristen der ernährungswirtschaftlichen Gesellschaften waren in der Mehrzahl Kriegsverwaltungsräte oder Sonderführer und trugen Uniformen.620 Laubs Vorschlag fand bei Dr. Reinbothe Anklang. Die RPG sollte eine eigene Uniform, vergleichbar der Uniform der ZHO, erhalten.621 Ob es dazu tatsächlich gekommen ist, lässt sich aus den Quellen jedoch nicht ersehen. Auch die Personalausstattung der RPG Kiew unterlag vielfältigen Friktionen. Die Personaldisposition nahm die RPG-Zentrale in Berlin vor. Immer wieder gab es Änderungen, weil Prüfer später als geplant in die Ukraine reisten.622 Innerhalb der Ukraine wechselten die Mitarbeiter von Kiew nach Rowno und von dort nach Dnjepropetrowsk. Sie erledigten einerseits Prüfungsaufträge, kümmerten sich anderer- seits um die Beschaffung von Wohn- und Büroräumen. Sie arbeiteten sich unter- einander ein und mussten auch kurzfristig ihren Arbeitsplatz wegen einer Einberufung verlassen.623 Somit war das Personal immer knapp.624 Sämtliche holländischen Prüfer, die die RPG von der früheren Treuhandgesellschaft des Reichskommissars Ukraine übernommen hatte, schieden aus. Prüfer erhielt die RPG Kiew nicht nur von der Treuarbeit, sondern auch durch gelegentliche Wechsel von Mitarbeitern der Ostgesell- schaften oder aus anderen deutschen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften.625 Zusätzlich

617 RMM F 1464/37: RPG Kiew an Geschäftsleitung Ostrevision Berlin, »Betreuungsfrage«, 22.8.1943. 618 RMM F 1464/37: Gelhausen an Ostrevision Berlin, betr.: Einsetzung eines weiteren Niederlassungs- leiters in Kiew, 1.9.1943, 2. 619 RMM F 1464/36: Zweigniederlassung Kiew, Laub, an Geschäftsleitung Ostrevision, Karoli, »Zwischenbericht«, 14.6.1943, 2. 620 RMM F 1464/36: Zweigniederlassung Kiew, Laub, an Geschäftsleitung Ostrevision, Karoli, »Zwischenbericht«, 14.6.1943, 2R. 621 RMM F 1464/40: Aktenvermerk »Betrifft: Besprechung mit Herrn Ministerialrat Dr. Reinbothe und Herrn Dr. Meister im Ostministerium am 3. Juli 1943«, Verfasser: Laub, 3.7.1943. 622 RMM F 1464/37: RPG Berlin an Zweigniederlassung Kiew, betr. Disposition von Prüfern, 20.8.1943. 623 RMM F 1464/37: RPG Kiew an Geschäftsleitung Ostrevision, Karoli, betr.: Zweigniederlassung Dnjepropetrowsk, 2.9.1943; RMM F 1464/37: RPG Berlin an Zweigniederlassung Kiew, betr. Zweig- niederlassung Dnjepropetrowsk, 13.9.1943. 624 RMM F 1464/36: RPG Kiew an Ostrevision, Karoli, »einen kurzen Bericht über die vergangene Woche«, 17.5.1943. 625 RMM F 1464/37: RPG Berlin an Zweigniederlassung Kiew, 18.8.1943 (Wechsel eines Mitarbeiters von der ZHO); RMM F 1464/37: RPG Berlin an Zweigniederlassung Kiew, »Prüfer der Treuhand AG«, 18.8.1943. 261 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa waren kommissarische Mitarbeiter für die RPG tätig.626 So hatte die RPG-Zentrale im Mai 1943 sechs kommissarische Prüfer aus Berlin zur Prüfung der ZHO in die Ukraine gesandt, die die Niederlassung anschließend übernehmen konnte.627 Obwohl die RPG vom Ostministerium das ausschließliche Prüfungsrecht in den »besetzten Ostgebieten« erhalten hatte, beauftragten die Ostgesellschaften dennoch andere Prüfer. Im Juni 1943 erfuhr Laub, dass die Getreidebetriebe GmbH, eine ZHO- Tochtergesellschaft, mit einem Berliner Wirtschaftsprüfer vereinbart hatte, dass er für »Betriebskontrollen« 15 Prüfer zur Verfügung stellte. Laub verlangte von der Geschäfts- leitung der Ostrevision, ihm weitere Prüfer bereit zu stellen, damit die Niederlassung nicht ins Hintertreffen gerate.628 Die Wirtschaftsinspektion Süd forderte für eine Prü- fung einen Tabakspezialisten direkt beim Ostministerium an. Die Ostrevision hatte kei- nen Auftrag erhalten. Laub erreichte aber, dass er die Prüfung selbst vornehmen konnte. Die Treuarbeit sicherte der RPG Kiew außerdem die Übersendung von Prüfern aus Wien zu, die bei der Österreichischen Tabakregie geprüft hatten.629 Das Vorrücken der sowjetischen Armee hatte eine sogenannte »Auflockerung« zur Folge. Etliche deutsche Institutionen erhielten einen Räumungsbefehl. Auch die Nieder- lassung Kiew der RPG sollte nach Rowno verlegt und mit der dortigen RPG-Nieder- lassung vereinigt werden.630 Die Treuhandverwaltung des Generalkommissars, der ZHO-Führungsstab und die Zentralen des ernährungswirtschaftlichen Sektors – also die wesentlichen Ansprechpartner und Auftraggeber der RPG Kiew – sollten allerdings in Kiew bleiben. Die Einrichtungen in Wohnungen und Büroräumen mussten zurück- gelassen werden. Lediglich »4 Schreibmaschinen und einiges Aktenmaterial« durften mitgenommen werden. Zu diesem Zeitpunkt bestand das Personal der Niederlassung Kiew aus Laub und Noebel, drei Mitarbeiterinnen und einigen Prüfern. Gelhausen und Laub widersprachen der Sitzverlegung vehement, die »eine erhebliche Störung, ja Gefährdung des Prüfungsbetriebes« bedeute, weil die Prüfungen auf dem ernährungs- wirtschaftlichen Gebiet, die den aktuellen Schwerpunkt der Prüfungstätigkeit aus- machten, »nur in engster Fühlungnahme mit dem Z[H]O-Führungsstab und […] den ernährungswirtschaftlichen Zentralen durchgeführt werden« könnten. Die Ver- legung werde zu erhöhtem, zeitraubendem Reiseaufwand führen.631 Unterstützung für ihre Argumentation erhielt die Niederlassung durch Direktor Büttner vom ZHO- Führungsstab, der die RPG Kiew als Revisionsabteilung des Führungsstabes ansah. Er alarmierte Sonderführer Strottkötter von der Abteilung Erfassung (Stab Kiew) in der

626 RMM F 1464/37: RPG Berlin an Zweigniederlassung Kiew, betr. Disposition von Prüfern, 20.8.1943. 627 RMM F 1464/37: RPG Berlin an RPG Kiew, 31.5.1943. 628 RMM F 1464/36: Zweigniederlassung Kiew, Laub, an Geschäftsleitung Ostrevision, Karoli, »Zwischenbericht«, 14.6.1943, 2. 629 RMM F 1464/37: Vermerk »Betrifft: Anruf Ostministerium Ref. Minning«, Verfasser: Doepke, Ost- revision Berlin, 28.5.1943; RMM F 1464/36: RPG Kiew an Ostrevision, Karoli, »einen kurzen Bericht über die vergangene Woche«, 17.5.1943. 630 RMM F 1464/36: RPG Kiew, Gelhausen, Laub, an Geschäftsführung Ostrevision Berlin, 7.9.1943. 631 RMM F 1464/36: RPG Zweigniederlassung Kiew an Generalkommissar in Kiew, Hauptabteilung Treuhandverwaltung, 7.9.1943, 2. 262 »Staatliche Kontrolle politischer und finanzieller Art«: Die Treuarbeit in der Ukraine Hauptabteilung Ernährung und Landwirtschaft des Reichskommissars Ukraine, der ebenfalls versuchte, die Verlegung zu verhindern. Die Niederlassungsleitung wollte auch die Hauptabteilung Treuhandverwaltung des Reichskommissars Ukraine (RKU) aktivieren, um den Räumungsbefehl an die Zustimmung des RKU zu binden.632 Die Verlegung konnte aber nicht verhindert werden und Ende September 1943 gab die RPG-Niederlassung Kiew die Büroräume und die Wohnungen auf.633 Die Räumung erfolgte in einer Zeit, als das Personal der Niederlassung einschließlich des Geschäfts- führers Gelhausen und der hauptamtlichen wie der kommissarischen Mitarbeiter fast vollzählig wegen einer Notdienstverpflichtung abwesend war.634 Die Männer wurden zu einem Erntebergungseinsatz »in einer geschlossenen Gruppe in das Gebiet ostwärts des Dnjepr in Marsch gesetzt«.635 Gelhausen und Laub erhielten anschließend einen dreimonatigen »Auslandsurlaub«.636 Die Räumung der Niederlassung hatte ein finanzielles Nachspiel, denn die RPG machte Schadensersatz für die zurückgelassenen Einrichtungsgegenstände und das Geschäftsinventar nach der Kriegssachschädenverordnung geltend. In Rowno und Berlin überlegten Mitarbeiter der RPG über Monate, wie der Antrag gestellt werden könnte, um für die RPG die günstigsten finanziellen Auswirkungen zu erzielen.637 Die Rechtsabteilung der Treuarbeit gab Hilfen für die Antragstellung. Sie machte darauf aufmerksam, dass die anzugebenden Wiederbeschaffungskosten »evtl. erheblich über den früheren Anschaffungskosten liegen können.« Empfehlenswert könne es sein, bezüglich der Höhe der Entschädigung eine Aussetzung des Verfahrens zu beantragen, wenn davon ausgegangen werde, dass die Wiederbeschaffungskosten noch weiter steigen.638 Die Kommunikation zwischen Laub und der Rechtsabteilung verlief nicht reibungslos, denn viele Fragen Laubs blieben unbeantwortet.639 Daher führte er im Entschädigungsantrag an den Generalkommissar in Kiew, der bis zum Jahresende 1943 gestellt werden musste, »vorsorglich all [so!] für eine Entschädigung irgendwie in Frage kommenden Aufwendungen«, auf, »obwohl es zweifelhaft erscheint, ob z. B. die Instandsetzungskosten für Büro- und Wohnräume« der Definition von Kriegsschäden entsprachen. Auf Anraten der Rechtsabteilung »haben wir auch den durch die vorüber- gehende Nichtbeschäftigung sämtlicher Revisoren entstandenen Einnahmeausfall als

632 RMM F 1464/36: RPG Kiew, Gelhausen, Laub, an Geschäftsführung Ostrevision Berlin, 7.9.1943. 633 RMM F 1464/37: RPG Berlin an Gelhausen, Rowno, 22.9.1943. 634 RMM F 1464/87: RPG Kiew an Generalkommissar Kiew, Skwira, betr.: Kriegssach- und Nutzungs- schäden infolge der Räumung von Kiew, 27.12.1943. 635 RMM F 1464/37: RPG Kiew an Geschäftsführung Ostrevision Berlin, »Vorübergehender Einsatz der Gefolgschaft im Gebiet ostwärts des Dnjepr«, 16.9.1943; RMM F 1464/37: Generalkommissar in Kiew an RPG, 25.9.1943. Die RPG-Niederlassung Rowno arbeitete weiter. 636 RMM F 1464/37: Treuarbeit Berlin an Außenstelle Kiew, betrifft: Wehrurlaub, 24.9.1943. 637 RMM F 1464/87: Vermerk für Herrn Direktor Gelhausen, 8.11.1943; RMM F 1464/87: AV betrifft: Räumung von Kiew – Kriegsschäden, Verfasser: Gelhausen, 8.12.1943; AV betrifft: Kriegssach- schädenanmeldung für Kiew, Verfasser: Laub, 10.12.1943. 638 RMM F 1464/87: Aktenvermerk betrifft: Räumung von Kiew – Kriegsschäden, 9.12.1943. 639 RMM F 1464/87: Aktenvermerk für die Rechtsabteilung, betr.: Räumung von Kiew/Kriegsschäden, Verfasser: Kopp, 20.12.1943. 263 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa Nutzungsschaden angemeldet.«640 Im Antrag auf Schadensersatz machte die ehemalige Niederlassung Kiew außerdem Büro- und Wohnmöbel sowie sonstige Einrichtungs- gegenstände und Instandsetzungen wie Maler- und Installationsarbeiten geltend. Ferner wurde der bei einem Partisanenüberfall beschädigte PKW angemeldet.641 Schließlich beantragte Laub zur Höhe der Erstattung die Aussetzung des Verfahrens, »bis eine Ersatzbeschaffung möglich ist«.642 Gelhausen bat die Rechtsabteilung der Treuarbeit, den Antrag der Niederlassung auf Entschädigung zu prüfen. Er selbst kritisierte, dass das Argument der Niederlassung, man habe die Einrichtungsgegenstände aus der Kiewer Niederlassung mangels Transportraum nicht abtransportiert, nicht korrekt sei. Es liege kein Verschulden der Ostrevision vor, stattdessen sei die Niederlassung nach Erhalt des Räumungsbefehls »verpflichtet worden, sämtliche Einrichtungsgegenstände in den Büros und Wohnungen zu belassen.« Im Gegensatz zu Laub war Gelhausen auch der Meinung, die Ostrevision habe kein Interesse daran, das Verfahren im Hinblick auf die Höhe auszusetzen. »Sie muß vielmehr Wert darauf legen, daß das Verfahren möglichst bald zu Ende geführt wird.«643 Die Rechtsabteilung bestätigte Gelhausens Auffassung. Die »Angabe des Umstandes, daß wir zur Zurücklassung der Einrichtungsgegenstände verpflichtet waren, [ist] für uns günstiger als die Berufung auf Mangel an Transport- raum. Damit entfällt jede Möglichkeit, an ein mitwirkendes Verschulden unsererseits an der Schadensentstehung auch nur zu denken.« Gegenteiliger Auffassung war die Rechts- abteilung jedoch hinsichtlich der Auswirkungen einer Verfahrensaussetzung: »Wird das Verfahren ausgesetzt, so werden uns zu gegebener Zeit die tatsächlich aufgewandten Kosten der Wiederbeschaffung erstattet […]. Beantragen wir sofortige Entschädigungs- leistung, so gehen wir ein Risiko ein.« Denn »bei der im fiskalischen Interesse zu erwartenden Zurückhaltung der Feststellungsbehörde« dürfte die Schätzung zu niedrig ausfallen. In »einer Zeit steigender Preise« sei dies ein Nachteil für die Ostrevision. Wenig Erfolg sah die Rechtsabteilung allerdings darin, den Einnahmeausfall als Schaden anzumelden, obgleich sie Laub zunächst dazu geraten hatte.644 Gelhausen intervenierte jedoch erneut im Hinblick auf die sofortige Durchführung des Verfahrens. Die Rechts- abteilung stimmte ihm nun zu: »Wenn also der RPG Betriebsmittel von der Treuarbeit etwa darlehnsweise zur Verfügung gestellt worden sind und sie diese Mittel u. a. zur Errichtung und Inbetriebnahme der Zweigniederlassung Kiew verwandt hat, so liegen […] die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Antrag auf sofortige Entschädigungs- leistung […] vor«. Dies sei ein entscheidender Gesichtspunkt, den Antrag auf sofortige

640 RMM F 1464/87: Laub, Zweigniederlassung Rowno, an Ostrevision Berlin, betr.: Räumung von Kiew – Kriegsschäden, 29.12.1943. 641 RMM F 1464/87: Zweigniederlassung Rowno an Generalkommissar Kiew, Skwira, betr.: Kriegssach- und Nutzungsschäden infolge der Räumung von Kiew, 30.12.1943. 642 RMM F 1464/87: Zweigniederlassung Kiew an Generalkommissar Kiew, Skwira, betr.: Kriegssach- und Nutzungsschäden infolge der Räumung von Kiew, 27.12.1943. 643 RMM F 1464/87: Aktenvermerk für die Rechtsabteilung, betrifft: Kriegssach- und Nutzungsschäden infolge der Räumung von Kiew, Verfasser: Gelhausen, 5.1.1944. 644 RMM F 1464/87: Aktenvermerk betr.: Kriegssach- und Nutzungsschäden infolge der Räumung von Kiew, 13.1.1944. 264 »Staatliche Kontrolle politischer und finanzieller Art«: Die Treuarbeit in der Ukraine Entschädigungsleistung zu stellen. »Setzt die Behörde diese Kosten höher fest als unsere Anschaffungskosten gewesen sind, so ist auf diesem Wege in kaum zu beanstandender Weise noch ein Gewinn für die RPG erzielbar.«645 Die RPG lotete noch günstigere Möglichkeiten aus. In einer Besprechung zwischen Karoli, Gelhausen und Vertretern des Ostministeriums Mitte Februar 1944 schlugen die Wirtschaftsprüfer vor, für die RPG Kiew dieselben Regelungen anzuwenden wie für Ostgesellschaften. Die Ostgesell- schaften sollten ihre Kriegssachschäden nämlich nicht nach der Kriegssachschädenver- ordnung geltend machen, sondern »im Rahmen der allgemeinen Abrechnung.«646 Die Abrechnung über das Ostministerium ließ sich offensichtlich nicht realisieren, denn Anfang Juni 1944 entschied die RPG, den »vorläufigen Antrag wegen Kiew nunmehr in einen endgültigen umzuwandeln.« Zu diesem Zeitpunkt hatte die RPG auch Rowno verlassen und damit ihre Tätigkeit in der Ukraine beendet.647 Die Niederlassungen der RPG im Baltikum beendeten ihre Tätigkeit erst im Sommer 1944.648 Der »Osteinsatz« war nicht ungefährlich. Schon im Mai 1943 hatte Laub dem Geschäftsführer Gelhausen das Risiko bei Bahnfahrten und bei Prüfungen in kleinen Orten als verhältnismäßig groß geschildert und nach der Regelung einer Hinterbliebe- nenversorgung gefragt.649 Mitte September bat Laub die Berliner Zentrale, ihm fünf Schusswaffen mit Munition zur Verfügung zu stellen.650 Die kommissarischen Mit- arbeiter erhielten allerdings keine Waffen.651 Wie real die Gefahr war, zeigte ein Parti- sanenüberfall noch im selben Monat. Am 20. September wurde der Dienstwagen der RPG auf der Fahrt von Kiew nach Rowno überfallen, obwohl er von einem Geleitfahr- zeug mit 20 Soldaten der ukrainischen Miliz begleitet wurde. Die Fahrt diente dem Transport von Akten und persönlichem Gepäck, das infolge der Räumung von Kiew und der Verlegung der Niederlassung nach Rowno dorthin gebracht werden sollte.652 Die »Partisanenbande«, so berichtete der einzige überlebende Zeuge des Überfalls, habe aus 40 Männern bestanden, die mit drei Maschinengewehren bewaffnet gewesen wären. Nach der Eröffnung des Feuers seien die ukrainischen Milizleute geflüchtet. Ein Mit- arbeiter der RPG wurde getötet, die 24-jährige Sekretärin verschleppt.653

645 RMM F 1464/87: Nachtrag zum Vermerk betr. Kriegssach- und Nutzungsschäden infolge der Räumung von Kiew vom 13.1.1944–248/Bn, 15.1.1944. 646 RMM F 1464/87: Aktenvermerk betrifft: Kriegssachschäden Kiew, Verfasser: Gelhausen, 25.2.1944. 647 RMM F 1464/87: AV betrifft: Kriegssachschäden der Ostrevision in der Ukraine, Verfasser unbekannt, 7.6.1943. 648 BAB R 3101/17697 (Bl. 28): Niederschrift über die Sitzung des Arbeitsausschusses des Aufsichtsrates der Treuarbeit am 22.8.1944, Ziffer 1. 649 RMM F 1464/37: Laub an Ostrevision Berlin, Gelhausen, 27.5.1943 (Hinterbliebenenversorgung). 650 Die Waffen erhielt er dann von den aus Berlin einreisenden Revisoren. 651 RMM F 1464/36: RPG Kiew an Ostrevision Berlin, 10.9.1943. 652 RMM F 1464/87: Zweigniederlassung Kiew an Generalkommissar Kiew, Skwira, 27.12.1943, betr.: Kriegssach- und Nutzungsschäden infolge der Räumung von Kiew. 653 RMM F 1464/37: Ostrevision, Doepke, an SS-Sturmbannführer May, Berlin, 23.9.1943, einschließ- lich Vermerk zum Partisanenüberfall. 265 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa Im September 1943 legte die RPG nicht nur die Niederlassung Kiew, sondern sämtliche Außenstellen der Ukraine in Rowno zusammen.654 Dort waren an »reichs- deutschem Personal« 25 männliche Angestellte, vier weibliche Schreibkräfte sowie ein ukrainischer Chauffeur beschäftigt. Die Niederlassung wurde von Alfred Kopp655 und Walter Laub geleitet. Die Landesleitung Ukraine der NSDAP befand Anfang Oktober 1943 die Arbeit der RPG zwar als »für den Aufbau der Ukraine notwendig« und sah das Aufgabengebiet als »kriegswichtig« an, einer Intensivierung der Prüfungstätigkeit – so die Argumentation der RPG Rowno – im »nunmehr verkleinerten Gebiet der Ukraine« konnte sie allerdings nicht zustimmen. Seitens der Partei hielt man es für »vertretbar«, wenn 14 Prüfer und drei weibliche Angestellte verblieben. Auch den einheimischen Chauffeur solle man der RPG Rowno belassen. Die jüngsten Männer sollen unverzüg- lich für den Wehrdienst freigegeben werden, ebenso eine der jüngsten Stenotypistinnen für einen anderweitigen Einsatz.656 Die Geschäftsleitung der Berliner Zentrale der RPG informierte sofort den Reichskommissar Ukraine über den geplanten Personalabzug. Sie betonte, dass Prüfungen in der Ukraine wegen der »bekannten Personalschwierigkeiten« ohnehin auf ein Mindestmaß beschränkt seien. »Das Schwergewicht unserer Tätigkeit in der Ukraine liegt auf dem ernährungswirtschaftlichen Sektor.« Die Prüfungen der ernährungswirtschaftlichen Zentralen sollten nicht nur »unbedingt weitergeführt«, sondern intensiviert werden. Für die ernährungswirtschaftlichen »Spezialprüfungen« rechnete die RPG-Leitung mit einem ständigen Stab von 40 Prüfern, einem Buchhalter und vier weiblichen Schreibkräften.657 Allein für den ernährungswirtschaftlichen Sektor ging die ZHO selbst von benötigten 100 Prüfern aus. Die aktuelle Anzahl der Prüfer von 60 Personen Anfang September reiche kaum für die dringendsten Prüfungen aus.658 Die RPG forderte zudem einen »reichsdeutschen Fahrer« wegen der »besondere[n] Ver- traulichkeit unserer Aufgaben«. Eine Personalabgabe mache eine verantwortungsvolle Durchführung der Aufgaben »absolut unmöglich«. Abschließend stellten Karoli und Gelhausen dem Reichskommissar ein Ultimatum: Wenn die angegebene Mindest- besetzung nicht ermöglicht werde, sehe die RPG ihre Aufgabe in der Ukraine als beendet an und erteile die Schlussrechnung.659 Die NSDAP-Landesleitung erkundigte sich bei den Hauptabteilungen Treuhandverwaltung sowie Ernährung und Landwirt-

654 BAB R 43II/686b, Bl. 94: RPG Berlin (Schmaltz/Gelhausen) an Reichsminister für die besetzten Ost- gebiete, 15.11.1943. 655 Alfred Kopp war Prokurist, siehe Eintragung in das Handelsregister HB 59479 Reichsprüfungsgesell- schaft für die besetzten Ostgebiete am 29.7.1943 (Archiv: Amtsgericht Berlin-Charlottenburg). 656 BAB R 43II/686b, Bl. 99, 100: NSDAP-Arbeitsbereich Osten, Landesleitung Ukraine, Hauptarbeits- gebiet Arbeit und Wirtschaft, an RPG Rowno, »Überprüfung Ihres Betriebes«, 8.10.1943 sowie AV »über die am 1.10.1943 stattgefundene Überprüfung der Reichsprüfungsgesellschaft für die besetzten Ostgebiete m. b. H. in Rowno«. 657 BAB R 43II/686b, Bl. 101, 102: RPG Berlin an Reichskommissar für die Ukraine, Rowno, betr.: Ein- satz der Reichsprüfungsgesellschaft für die besetzten Ostgebiete m. b. H. in der Ukraine, 13.10.1943. 658 RMM F 1464/36: RPG Zweigniederlassung Kiew an Generalkommissar in Kiew, Hauptabteilung Treuhandverwaltung, 7.9.1943, 2. 659 BAB R 43II/686b, Bl. 101, 102: RPG Berlin an Reichskommissar für die Ukraine, Rowno, betr.: Ein- satz der Reichsprüfungsgesellschaft für die besetzten Ostgebiete m. b. H. in der Ukraine, 13.10.1943. 266 »Staatliche Kontrolle politischer und finanzieller Art«: Die Treuarbeit in der Ukraine schaft nach dem Personalbedarf für die RPG. Dort sah man lediglich 18 Prüfer und drei Schreibkräfte als ausreichend an. Da die deutsche Armee sich inzwischen weiterhin auf dem Rückzug befand, bestand der NSDAP-Leiter »des Hauptarbeitsgebietes Arbeit und Wirtschaft« auf der Personalabgabe bis zum 20. November 1943. Der Leiter verwies auf Vollmachten des Reichskommissars, die es ihm erlaubten, »Massnahmen [so!] dieser Art auch von mir aus in Kraft zu setzen.« Er kündigte eine Überprüfung der Personal- situation an, bei der gegebenenfalls eine Personalerhöhung vorgenommen werde, sofern dies im Hinblick auf die Erfordernisse des »Totalen Krieges« zu verantworten sei, und verwies auf die geringe Personalausstattung des Rechnungsprüfungsamtes des RKU sowie des Oberpräsidenten der Provinz Ostpreußen. Der Leiter empfahl der RPG, bei den Revisionen eine »Arbeitsintensivierung« vorzunehmen, da die zuständigen Stellen eine Schließung des Betriebes nicht zulassen würden.660 Der angedrohte Personalentzug veranlasste nun die Treuarbeit, das von ihr der RPG zur Verfügung gestellte Personal aus der Ukraine zurückzuverlangen. Hierbei handelte es sich um »einige leitende Prüfungskräfte und Prüfer«, die der Treuarbeit aufgrund ihrer »Verhandlungen mit dem OKW […] in bestimmtem Umfange […] für die Erfüllung der uns von verschiedenen Obersten Reichsbehörden übertragenen äußerst kriegswichtigen Aufgaben belassen« worden waren. Aufgrund des interministeriellen Beschlusses und des Auftrages des Ostministeriums an die RPG hatte die Treuarbeit der RPG diese Kräfte aus dem ihr«von der Wehrmacht belassenen Kontingent wider- ruflich zur Verfügung gestellt.« Da die Aufgaben der RPG von der NSDAP »nur noch bedingt als kriegswichtig« angesehen wurden, forderte die Treuarbeit dieses Personal zurück. »Über eine erneute Zurverfügungstellung kann erst gesprochen werden, wenn geklärt ist, daß die Kriegswichtigkeit der Ihnen in der Ukraine übertragenen Aufgaben mindestens gleichrangig ist mit der Kriegswichtigkeit der uns […] übertragenen Auf- gaben.«661 Die Treuarbeit trennte also deutlich zwischen ihren Aufgaben und dem dafür benötigten Personal und dem ihrer Tochtergesellschaft. Damit lieferte sie allerdings der RPG ein weiteres Argument, um gegen den Personalabzug gegenüber dem Reichs- minister für die besetzten Ostgebiete zu protestieren und von diesem Protest auch die Reichs- und die Parteikanzlei, die Reichsministerien der Finanzen, des Innern, für Ernährung und Landwirtschaft, für Wirtschaft und für Rüstung und Kriegsproduktion sowie den Präsidenten des Reichsrechnungshofes und Göring als Beauftragten für den Vierjahresplan und Reichsmarschall des Großdeutschen Reiches in Kenntnis zu setzen. Diese Behörden hatten den Beschluss zur Beauftragung der RPG mit der Prüfung in den »besetzten Ostgebieten« mitgetragen. Die RPG-Zentrale erinnerte den Ostminister an seine Zusagen zur Personalbeschaffung. Nur aufgrund dieser Zusagen habe die RPG ihre Tätigkeit überhaupt aufgenommen und Außenstellen in der Ukraine errichtet.

660 BAB R 43II/686b, Bl. 103, 104: NSDAP-Arbeitsbereich Osten, Landesleitung Ukraine, Haupt- arbeitsgebiet Arbeit und Wirtschaft, an RPG Berlin, »Überprüfung Ihrer Geschäftsstelle in Rowno«, 26.10.1943. 661 BAB R 43II/686b, Bl. 105: Treuarbeit (Rittstieg/Adler) an Geschäftsführung der RPG Berlin, betrifft: Zurverfügungstellung von Prüfern für den Einsatz in der Ukraine, 11.11.1943. 267 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa Nur auf dieser Grundlage hätten sowohl die Treuarbeit als auch die Reichskammer der Wirtschaftstreuhänder »auf freiwilliger Grundlage« Personal zur Verfügung gestellt. Aus unterschiedlichen Gründen war der Prüferbestand bereits stark reduziert worden.662 Dies stünde im Missverhältnis zum Umfang der übertragenen Aufgaben. Schon jetzt müsse sich die Tätigkeit der RPG auf die wichtigsten Prüfungen und Sonderauf- gaben beschränken. Eine weitere Personalreduzierung bedeute die einschneidendste Gefährdung der Aufgabendurchführung. Doch die Landesleitung Ukraine der NSDAP beharrte auf ihren Entscheidungen und verlegte den Personalabzug auf den 15. November 1943 vor. »Die Niederlassung in der Ukraine«, so stellten die RPG-Geschäftsführer Schmaltz und Gelhausen gegen- über dem Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete fest, »verfügt somit außer dem Niederlassungsleiter nur noch über eine Anzahl von (weniger qualifizierten) kom- missarischen Mitarbeitern, deren Vertragsverhältnisse […] bis zum 15. Dezember 1943 ablaufen, ohne daß weitere freiwillige Meldungen aus dem Wirtschaftstreuhänderberuf zur Wiederauffüllung des Bestandes an kommissarischen Mitarbeitern vorliegen. Die Durchführung der uns übertragenen Aufgaben ist somit in Frage gestellt und kommt innerhalb der nächsten 4 bis 6 Wochen […] zwangsläufig zum Erliegen.«663 Offensicht- lich hatte der massive Einspruch der RPG-Geschäftsführer Erfolg, denn die Nieder- lassung Rowno war noch bis in das Frühjahr 1944 tätig.664 Zu dieser Zeit bestand das Reichskommissariat Ukraine praktisch nicht mehr. Das Gebiet befand sich, soweit nicht bereits von der Sowjetarmee zurückerobert, wieder unter deutscher Militärverwaltung. Deutsche Institutionen begannen mit dem Abtransport von Rohstoffen, Waren und landwirtschaftlichen Gütern und zerstörten die Verkehrsinfrastruktur.665 Ende Februar 1944 gab der Chef des Wirtschaftsstabes Ost, Generalleutnant Otto Stapf, die »Besondere Anordnung Nr. 116« zur »Stellung der Reichsprüfungsgesell- schaft« heraus. Sie unterwarf die RPG komplexen Zuständigkeitsregeln und verlangte ihr einen hohen Absprache- und Koordinationsaufwand ab. Obwohl das ausschließ- liche Prüfungsrecht der RPG bestätigt wurde, hatten auch »Fachgruppen«, »Wi- Dienststellen« und sonstige militärische Dienststellen ein unmittelbares Aufsichts- und Prüfungsrecht, das sie auch durch die Beschäftigung eigener Prüfer ausüben durften. Die RPG konnte für vielfältige Beratungs- und Überwachungsaufgaben herangezogen werden. Ferner sollte sie bei der »vermögensmäßigen Abwicklung« von Betrieben, die im Zuge der Räumungsmaßnahmen aufgegeben wurden, mitwirken. Die RPG sah sich einer Vielzahl von Auftraggebern gegenüber: Wirtschaftsinspekteure, Heeresgruppen- wirtschaftsführer, Wirtschaftskommandeure sowie die Leiter der Abwicklungsstäbe bei der Wirtschaftsinspektion Nord und beim Heeresgruppenwirtschaftsführer Mitte und

662 Durch Einberufungen zur Wehrmacht, Beendigung der befristeten Tätigkeit der kommissarischen Prüfer und durch Krankheit. 663 BAB R 43II/686b, Bl. 93–98: RPG Berlin an Reichsminister für die besetzten Ostgebiete, 15.11.1943. 664 Ein Aktenvermerk der ZHO über Rechnungen der RPG für durchgeführte Prüfungen nennt den 8.4.1944 – BAB R 33I/1060, Bl. 239. 665 Zellhuber, Verwaltung (2006), 352; Eichholtz, »Institutionen« (1997), 54, 57, 61; Schumann/Nestler, Okkupationspolitik (1991), 84, 93. 268 »Staatliche Kontrolle politischer und finanzieller Art«: Die Treuarbeit in der Ukraine der Leiter des Abwicklungsstabes Wirtschaftsinspektion Süd. Ferner konnten der Chef des Wirtschaftsstabes Ost und der Leiter des Abwicklungsstabes Ost der RPG Aufträge erteilen. Die Federführung für die Auftragserteilung lag jedoch bei der »Sondergruppe Treuhandverwaltung«, die auch einen Prüfungsplan erstellte. »Die Ostrevision hat die ihr […] erteilten Aufträge anzunehmen und auszuführen.« Aus dem ursprünglichen Recht der RPG war eine Pflicht geworden. Die Planungshoheit lag nicht mehr bei ihr, sondern bei der »Sondergruppe«, der auch sämtliche Berichte zuzustellen waren. Allerdings konnte der Wirtschaftsstab Ost auch unmittelbar bei der RPG Berichte anfordern. In die Koordination einbezogen waren auch die Ostgesellschaften, die der RPG Aufträge direkt erteilen konnten: »Solche Aufträge gelten auch als vom Wi Stab (Wirtschaftsstab) Ost gestellt.« Auch die Betriebe der Ernährungswirtschaft waren an die Anordnung Nr. 116 gebunden, jedoch nicht das landwirtschaftliche Treuhandvermögen. Sollten der RPG Aufträge erteilt werden, die sich auf Steuer- und Preisfragen erstreckten, war eine Absprache »mit der zuständigen Dienststelle« notwendig. Die Anordnung regelte ferner das Verhältnis der RPG-Mitarbeiter zu den nachgeordneten Stellen des Wirtschaftsstabes Ost: »Die Angehörigen der Ostrevision sind fachlich ausschließlich der Ostrevision ver- antwortlich. Soweit sie MV (Militärverwaltungs)-Beamte sind, unterstehen sie truppen- dienstlich dem Leiter der Wi-Dienststelle, in deren Bereich sie eingesetzt sind.« Den Angehörigen der RPG standen – wie den Angehörigen der Wi-Dienststellen – Räume, Möbel, Verpflegung, Bewirtschaftung und sonstige Betreuung zu. Für ihre Prüfungs- und Beratungstätigkeit erhielt die RPG allerdings nur noch 20 RM pro Tag von den Betrieben oder sonstigen Vermögen. »Darüber hinaus entstehende Kosten, insbesondere auch für allgemeine und laufende Mitarbeit der Ostrevision, können auf die Betriebe und Verwaltungen umgelegt oder aus dem Wirtschaftsplan bestritten werden.«666 Die Ertragsentwicklung der RPG verlief negativ. Mit dem Gewinn im Reichs- kommissariat Ostland von 22.000 RM im Jahr 1943 konnten lediglich dortige Steuern und der Verlust der RPG-Zentrale in Berlin bezahlt werden. In der Ukraine fiel hingegen ein Verlust von rund 236.000 RM an. Die RPG beantragte die Verlustdeckung durch einen Reichszuschuss. Der Ostminister befürwortete diesen Antrag und bat das Reichs- finanzministerium um Zustimmung. Hierbei verwies er auf seine Kostendeckungs- zusage bei der Beauftragung. Durch die Prüfungen, so führte der Minister an, werde die Arbeit der deutschen Steuerstellen erleichtert, denn die Prüfungen deckten auch preis- rechtliche und steuerliche Aspekte ab und brauchten daher von den deutschen Steuer- stellen nicht mehr geprüft werden. Der zuständige Referent im Reichsfinanzministerium befürwortete den Antrag der RPG ebenfalls.667 Anfang 1945 erhielt die RPG problem- los Honorare von der ZHO, die Prüfungen des Jahres 1943 betrafen. Dabei hatte die ZHO in vielen Fällen die Prüfungsberichte nicht erhalten und konnte wegen verloren gegangener Unterlagen die Gebührenberechtigung nicht prüfen. Sie gab sich stattdessen

666 BAB R 2/30523: Wirtschaftsstab Ost »Besondere Anordnung Nr. 116«, 29.2.1944. 667 BAB R 2/17658: Vermerk von Dr. Rottky, Reichsfinanzministerium, 31.8.1944. 269 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa mit einer eidesstattlichen Versicherung der RPG zufrieden, obwohl die Beträge etwa doppelt so hoch waren wie diejenigen, die die ZHO nachvollziehen konnte.668 Mit der Gründung der RPG hatte vor allem das Reichsfinanzministerium hohe Erwartungen verknüpft. Die Treuarbeit sollte als ausdrücklich staatliche Kontroll- instanz prüfen, begutachten und beraten. Soweit sich Prüfungsberichte erhalten haben, dokumentieren sie Jahresabschlussprüfungen und Prüfungen im Zusammenhang mit der Auflösung von Gesellschaften.669 So erhielt die RPG in Berlin Mitte März 1944 vom »Leiter der Betriebsabwicklungsstelle beim RMfdbO« den Auftrag, zu den drei großen Ostgesellschaften, BHO, ZHO und Ostfaser, »den Stand der Abwicklungsarbeiten sowie die Ordnungsmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verfahrens zu überprüfen«.670 Die Jahresabschlussprüfungen umfassten die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung, der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung sowie die Ordnungsmäßigkeit der Treuhandverwaltung und Anmerkungen zu »steuererheblichen Ziffern«.671 Auffällig ist hierbei die lange Dauer zwischen dem geprüften Zeitraum und der Berichtsvorlage. Über die Prüfung von Jahresabschlüssen zum 31. Dezember 1942 wurde beispielsweise erst im Sommer und Herbst 1944 berichtet. Dabei trat für die Prüfungsgesellschaft das Problem auf, dass infolge der Räumung von Gebieten oder eines Fliegerangriffs Buchungs- und sonstige zur Prüfung benötigte Unterlagen nicht mehr vorhanden waren. »Große Teile des Prüfungsstoffes« konnte die RPG aus diesen Gründen etwa bei der Jahresabschlussprüfung der Spinnfaser Ukraine GmbH zum 30. Juni 1943 »nicht in der üblichen Weise« prüfen. Ein weiteres Prüfungserschwernis bestand darin, dass die von der »Spinnfaser« geplante treuhänderische Übernahme von 60 Textilbetrieben zum Bilanzstichtag noch nicht abgeschlossen war.672 Die Prüfung der Jahresabschlüsse für die ZHO zum 31. Dezember der Jahre 1941 und 1942 verdeutlichte, dass die von den Prüfern angewandten deutschen Buchhaltungs- und Bilanzierungsregeln als Beurteilungskriterien wirkungslos waren. So sah sich die RPG nicht in der Lage, die Vermögens- und die Ertragslage für den Jahresabschluss 1941 zu beurteilen, wie sie in ihrem Bericht vom 21. Januar 1944 schrieb: Es fehlten eine ordnungsmäßige körper- liche Bestandsaufnahme und eine ordnungsmäßige Rechnungsabgrenzung. Darüber hinaus gebe es viele ungeklärte Differenzen. Ein großer Teil der Aufwendungen der

668 BAB R 33I/1060, Bl. 331, 332: ZHO an RPG Berlin, 26.1.1945; BAB R 33I/1060, Bl. 149: ZHO an RPG Berlin, Viehzentrale Ukraine GmbH, 2.2.1945; BAB R 33I/1060, Bl. 239: AV RPG Berlin, Abrechnung, 30.1.1945; BAB R 33I/1060, Bl. 168: Hauptabteilung Finanzen an Ostland-Buch- haltung, Steinschönau, betrifft: RPG Berlin, 1.2.1945. 669 BAB R 33I/1083 und 1084: Prüfungen der ZHO-Geschäftsstellen und ZHO-Gesellschaften; BAB R 2301/6008: Prüfung mehrerer ukrainischer Gesellschaften; BAB R 2/30587: Prüfung Spinnfaser Ukraine; BAB R 2/30532: Prüfung Ostfaser GmbH; BAB R 2/30540: Prüfung ZHO, Jahresabschluss 1941; BAB R 33I/1060: Prüfung ZHO, Jahresabschluss 1942; BAB R 8135/diverse: Karteikarten der Rubrik »Lettland« – 15 Firmen in Lettland und Litauen. 670 Bundesarchiv/Militärarchiv Freiburg, RW 31/389, Brief an die RPG Berlin, 16.3.1944. 671 BAB R 92/965: »Richtlinien der Reichsprüfungsgesellschaft […] für die Prüfungsbereitschaft der Treu- handbetriebe«, verfasst von der RPG-Niederlassung in Riga, 10.12.1943; BAB R 33I/1083, Bl. 214, 230: Prüfung der Bausker Mühle durch die RPG Riga, 14.8.1944. 672 BAB R 2/30587: Prüfungsbericht zur Spinnfaser GmbH, 2, 9. 270 »Staatliche Kontrolle politischer und finanzieller Art«: Die Treuarbeit in der Ukraine ZHO entfalle auf »Anlaufkosten«. Die Kriegsverhältnisse und die »russischen Raumver- hältnisse […]« hätten sich verteuernd ausgewirkt. Daher sei, so räumte die RPG ein, das »Anlegen eines normalen Masstabes [so!] nicht gestattet.«673 Der Jahresabschluss 1942 der ZHO wurde schon keiner »ordnungsmäßigen Abschlussprüfung« mehr unterzogen. Die RPG nahm nur eine gutachtliche Stellungnahme vor, die durch »behördlicher- seits [getroffene] Maßnahmen über Vereinfachung und Abkürzung« zur nunmehrigen Abwicklung der Ostgesellschaften veranlasst worden war. Erneut stellte die RPG etliche Mängel in Buchhaltung und Bilanzierung fest: Ein großer Teil der Geschäftsvorfälle war erst 1943 erfasst worden und daher nicht im Jahresabschluss 1942 enthalten. Wegen nicht geklärter Abrechnungsdifferenzen und der regelwidrigen Erfassung von Buchungs- material als Sammelposten war der Bilanzausweis für Warenbestände, Forderungen und Verbindlichkeiten falsch. Dennoch kam die RPG zum Schluss, dass diese Mängel »für die Wiedergabe der wirtschaftlichen Verhältnisse […] fast ohne Bedeutung« seien. Sie qualifizierte die Bilanzierung als vorsichtig und die Vermögenslage als geordnet. Auch für die Beurteilung der Ertragslage war nicht etwa der Mangel der ungenauen Kostenabgrenzung von Bedeutung, sondern die behördlichen Bestimmungen über Preisgestaltung und Abrechnungsverfahren.674 Beim Jahresabschluss 1941 zeigten die Prüfer Verständnis dafür, dass die ZHO aufgrund diverser Erschwernisse »noch keinen ordnungsmäßigen Abschluss im Sinne des Deutschen Handelsrechts [habe] erstellen können.«675 Beim Jahresabschluss 1942 gaben sie sich damit zufrieden, »im grossen [so!] und ganzen die wesentlichen Merkmale eines Jahresabschlusses im handelsrechtlichen Sinne« vorzufinden.676 Dabei boten gerade die »unübersichtlichen Verhältnisse[…]«677 die Gelegenheit zu Missbrauch, Unterschlagungen, Bereicherung oder unwirtschaft- lichem Verhalten. Doch was »soll revidiert werden, wenn es an Personal fehlt, die Buchungen überhaupt à jour zu halten?«, fragte die ZHO, für die die Erfassung und der Transport von Gütern sowie die Versorgung von Truppen im Vordergrund standen. Von der RPG wurde die Einsicht gefordert, »dass [so!] im Kriege, insbesondere in Frontnähe, Tat vor Tinte rangiert.«678

673 BAB R 2/30540, Bl. 94, 95: Prüfungsbericht zum Jahresabschluss der ZHO für den 31.12.1941, datiert 21.1.1944. 674 BAB R 33I/1060, Bl. 432, 433, 481–484: Prüfungsbericht zum Jahresabschluss der ZHO für den 31.12.1942, o. D., etwa Oktober 1944. Die RPG stützte sich für ihr Gutachten neben eigenen Erhebungen in acht Haupt- und Nebenstellen der ZHO vor allem auf die Ergebnisse aus Prüfungs- berichten von neun von ihr kommissarisch beschäftigten Wirtschaftsprüfern und vereidigten Buch- prüfern. 675 BAB R 2/30540, Bl. 94 (Zitat): Prüfungsbericht zum Jahresabschluss der ZHO für den 31.12.1941, datiert 21.1.1944. 676 BAB R 33I/1060, Bl. 483, 484: Prüfungsbericht zum Jahresabschluss der ZHO für den 31.12.1942, o. D., etwa Oktober 1944, 52, 53 (Ziffer 92 des Berichtes). 677 BAB R 33I/1060, Bl. 482: Prüfungsbericht zum Jahresabschluss der ZHO für den 31.12.1942, o. D., etwa Oktober 1944, 51 (Ziffer 90 des Berichtes). 678 BAB R 33I/1060, Bl. 494, 495: Ziehm/ZHO an Dr. Steiger/ZHO, betr.: »Gutachten« der Reichs- prüfungsgesellschaft, 24.10.1944. 271 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa Zwischenfazit

Bei einem Vergleich der Verhältnisse zwischen der Reichsprüfungsgesellschaft und der Niederlassung der Treuarbeit in den Niederlanden zeigen sich deutliche Unterschiede. Die Niederlande waren ein nach kurzem Krieg besetztes Gebiet von geografisch über- schaubarem Umfang, in dem ein ziviles deutsches Besatzungsregime eingerichtet wurde. Diese Besatzungsverwaltung traf auf eine den deutschen Verhältnissen vergleichbare niederländische Behörden- und privatrechtlich organisierte Unternehmensstruktur. Zwar erzwang sie Transferleistungen, doch blieben einheimischen Unternehmen Spiel- räume für Geschäftsentscheidungen. Die Aufträge der Besatzungsmacht bedeuteten für niederländische Unternehmen Kapazitätsauslastung, Modernisierungsmöglich- keiten und gaben Anreize zur Kollaboration. So bewirkten die wirtschaftslenkenden und finanzpolitischen Maßnahmen der deutschen Besatzungsmacht eine Effizienz zugunsten der deutschen Wirtschaft.679 In diesem Klima baute die Treuarbeit mit dem Reichskommissar die Feindvermögensverwaltung in den Niederlanden von Anfang an gemeinsam auf. Die RPG entstand hingegen zu einem Zeitpunkt, zu dem sich das Deutsche Reich seit mehr als einem Jahr im Krieg mit der Sowjetunion befand. Das NS-Regime ging seit Beginn der Eroberung sowjetischer Gebiete in brutaler Weise gegen die Bevölkerung vor und etablierte nach der Besetzung ein Herrschaftssystem, das sich der Methoden des Beschlagnahmens, der Zwangsarbeit, des Aushungerns und des Vollzugs von Strafen bediente.680 Da die schnelle Eroberung nicht gelang, unternahm das NS-Regime seit Anfang 1942 Anstrengungen, um die Kriegsführung zu intensivieren. In den besetz- ten Gebieten sollten der Ertrag industrieller und landwirtschaftlicher Ressourcen noch mehr gesteigert und die Arbeitskräfte noch intensiver ausgenutzt werden.681 Die Beauf- tragung der RPG kann als Teil dieser Intensivierung gewertet werden. Schon die Auftragserteilung zur Prüfung in den besetzten Ostgebieten war prekär. Es handelte sich vor allem um einen Wunsch des Reichsfinanzministers. Der Beschluss war nur formal interministeriell und sicherlich nicht von allen Beteiligten mitgetragen, denn in Konfliktfällen kam Unterstützung nur von Reichsministerien. Den Auftrag selbst erteilte jedoch nicht der Finanz- sondern der Ostminister. Im Bemühen, die Beauftragung abzuwenden, fand die Treuarbeit beim eigenen Aufsichtsrat keine Unter- stützung.682 Der Vorstand der Prüfungsgesellschaft sah in der Errichtung der RPG, anders als bei den Niederlassungen in anderen besetzten Ländern, keinerlei Nutzen, weder materiell noch unternehmenspolitisch. Er befürchtete hingegen einen lang- fristig wirksamen Schaden für die Treuarbeit, durch den neuen Auftrag Mandanten im Reich zu verlieren. Die Chancen im Osten wurden von vielen Berufsangehörigen

679 Bähr, »Wirtschaftssteuerung« (2006), 92, 93; Bähr/Banken, »Ausbeutung« (2005), 23, 28. 680 Schumann/Nestler, Okkupationspolitik (1991), 30, 31, 37, 45. 681 Schumann/Nestler, Okkupationspolitik (1991), 51, 52. 682 Außer Müller und Stengel vom Reichsrechnungshof nahmen keine Aufsichtsratsmitglieder der Treu- arbeit an der »Chefbesprechung« am 29.10.1942 teil. 272 »Staatliche Kontrolle politischer und finanzieller Art«: Die Treuarbeit in der Ukraine allerdings deutlich positiver eingeschätzt, denn es kam erstmals offiziell über den Berufs- verband IDW zu sichtbaren Protest der Berufsangehörigen. Diese Situation läßt das Konfliktpotential erahnen, das sich durch die Wahrnehmung führender Funktionen des Instituts der Wirtschaftsprüfer durch die Vorstandsmitglieder der Treuarbeit, Hans Adler und Richard Karoli, ergab. Beide behielten jedoch ihre Positionen als Stellver- treter des Institutsführers und als Mitglied im Führerrat des IDW. Die Einbindung des Berufsverbandes in den Beirat der Reichsprüfungsgesellschaft zielte offenbar darauf ab, den Berufsstand zu befrieden.683 Die Treuarbeit hatte im Reichswirtschaftsministerium (RWM), das ebenfalls im Beirat vertreten war, wohl den stärksten Bündnispartner, denn sie ging wie selbstverständlich davon aus, Personal über das IDW beziehungsweise die Nachfolgeinstitution, die Reichskammer der Wirtschaftstreuhänder rekrutieren zu können. Eine Annahme, die sich jedoch nicht verwirklichen ließ. Treuarbeit und RWM mussten einsehen, dass sie mit Zwang nichts ausrichten konnten, sie mussten auf frei- willige Mitarbeit der Berufsangehörigen setzen.684 Erstmals in der Zeit des Nationalsozialismus sah sich die Treuarbeit zu einer Auf- tragsübernahme gezwungen.685 Nichts sprach, wie bei den anderen Niederlassungen, für einen leichten Erfolg, stattdessen sah sie viele Erschwernisse auf sich zukommen. Daher wollte die Prüfungsgesellschaft, was die Personalausstattung und ihre Akzeptanz und Eigenständigkeit vor Ort betraf, möglichst umfangreiche Vorsorge treffen. Dem erwarteten Personalmangel widersprach allerdings, dass sich die Treuarbeit zum bereits vorgesehenen Arbeitsumfang zusätzlich noch die Auftragsannahme privater Aufträge und Aufträge für unter Militärverwaltung stehende Gebiete genehmigen ließ. Als die ersten Niederlassungen in der Ukraine eingerichtet wurden, hatte sich die Situation nach militärischen Rückschlägen zum »Totalen Krieg« verschärft. Die Mit- arbeiter der Treuarbeit kamen gleichsam in ein Kriegsgebiet und fanden eine vor- geprägte, vielgliedrige Struktur deutscher Besatzungsinstitutionen vor, zu denen zivile, militärische und wirtschaftliche Organisationen wie die Ostgesellschaften gehörten. Die Eigenständigkeit und freie, aktive Gestaltung der Aufgabenausführung, wie sie bei der Niederlassung Den Haag deutlich wurden, waren bei der RPG nicht gegeben. Während die Niederlassung in Den Haag ein funktionsfähiger Bestandteil der Besatzungsver- waltung war, konnte sich die RPG nur schwer gegenüber den Verwaltungsbehörden durchsetzen. Wohnungs-, Einrichtungs- und Verpflegungsprobleme nahmen die Kapazi- täten der Mitarbeiter der Niederlassung Kiew ebenso in Anspruch wie das Ringen um Statusfragen mit deutschen Behördenmitarbeitern und die Abwehr von Personalent- zug durch die NSDAP-Landesleitung der Ukraine. Wie diese Konfrontationen zeigen, scheute die RPG keine Konflikte; Führungskräfte bis hinauf zum Vorstandsmitglied Karoli engagierten sich, wenn die Aufgabenerfüllung der Gesellschaft erschwert wurde. In der Auseinandersetzung mit der NSDAP-Landesleitung setzte die RPG sogar ein

683 Allerdings ist unbekannt, wer aus dem IDW in den Beirat entsandt wurde. 684 Insofern täuschte sich auch das RWM, das mit der Errichtung der Reichskammer seinen Lenkungsein- fluss auf die Berufsangehörigen einschließlich der vereidigten Buchprüfer zu festigen geplant hatte. 685 BAB R 2/17658: Sitzung des Arbeitsausschusses des Aufsichtsrats, 24.11.1942. 273 Revisions- und Treuhandtätigkeiten der Treuarbeit in Europa Ultimatum und drohte mit einem eigenmächtigen Rückzug aus der Ukraine; sie mobilisierte hierzu erfolgreich das Reichswirtschaftsministerium. Wie die intensive interne Diskussion der Prüfungsgesellschaft um Kostenerstattungen aus der Kriegs- sachschädenverordnung zeigt, war auch die materielle Seite der Auftragsübernahme im Osten von größter Bedeutung. Die zurückgesetzte Stellung der RPG hatte ihre Ursache wohl auch in der Beauf- tragung durch das Ostministerium, das sich in dem ihm zugeordneten Herrschaftsgebiet gegenüber anderen Gewalten wie der SS, der Wehrmacht oder den nachgeordneten Verwaltungen kaum durchsetzen konnte. Unter den Voraussetzungen eines rassen- politischen Vernichtungskrieges, wie er vom Deutschen Reich im Osten geführt wurde, erwiesen sich Bilanzprüfungen als untaugliche Kontrollinstrumente. Der Wunsch des Reichsfinanzministers, sich mittels der Treuarbeit eine lenkende Aufsicht über die sich der Kontrolle entziehenden Gewalten im Osten zu verschaffen, scheiterte.

274

5. Schlussbemerkungen links: Schlussbemerkungen rechts: Treuhandgesellschaften in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts 5.1 Treuhandgesellschaften in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

Die Untersuchung der Geschichte von Treuhandgesellschaften in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zeigt, dass sich die Gesellschaften im Laufe dieser rund 50 Jahre zu einer Vertrauensinstanz für Privatwirtschaft und Staat entwickelten. Durch Beratungs- und Prüfungstätigkeiten ihrer betriebswirtschaftlich geschulten Sachverständigen trugen sie vor allem dazu bei, in Unternehmen ein professionelles Rechnungswesen zu etablieren.1 Treuhandgesellschaften erwarben Vertrauen bei Staat und Unternehmen auch durch die akademische Ausbildung ihrer Mitarbeiter, zu der bei Banken-Treuhandgesellschaften zudem bankpraktische Berufserfahrungen hinzukamen. Zu den Prinzipien ihrer Berufs- ausübung gehörten seit Anbeginn Verschwiegenheit und Unparteilichkeit des Urteils. Mit der Konstituierung des Wirtschaftsprüferberufes im Jahr 1931 gewannen Treuhand- gesellschaften als eigenständige Vertrauensbildner zunehmend Profil. Denn nun ver- fügten sie mit der Bilanzpflichtprüfung über eine eindeutige und exklusive Aufgaben- zuweisung, eine transparente Berufsorganisation unter Mitwirkung der Spitzenver- bände der Wirtschaft sowie schriftlich formulierte berufsethische Grundsätze. Weitere vertrauensfördernde Komponenten waren ein Berufsverband zur Etablierung fachlicher Standards, Berufsexamen und Berufseid. In der Weimarer Republik galten private und öffentlich-rechtliche Wirtschafts- unternehmen als erste Vertrauensadressaten des Wirtschaftsprüferberufs. Nach der »Machtergreifung« stand der diktatorische Staat als Vertrauensadressat stärker im Vordergrund. Denn er beanspruchte Treuhandgesellschaften zur Umsetzung vielfältiger wirtschaftspolitischer Maßnahmen. Treuhandgesellschaften gewannen das Vertrauen des NS-Regimes, denn sie leisteten Unterstützung bei der Einführung planwirtschaft- licher Elemente (Preisbildung, Preisermittlung), bei dem Bemühen, Buchhaltung und Kontoführung in Unternehmen zu vereinheitlichen sowie bei der Überprüfung von Dividendenbeschränkungen. Zudem wirkten Treuhandgesellschaften an »Arisierungen« und der Etablierung nationalsozialistischer Wirtschaftspolitik im Ausland mit. Trotz des Zugriffs des Reichswirtschaftsministeriums und des NSRB auf den Berufsverband wahrten Treuhandgesellschaften mit Unterstützung der Wirtschaft einen Handlungs- spielraum, der verhinderte, dass sie zu Staatsprüfern wurden. So bekräftigte 1938 der Geschäftsführer des IDW, Paulludwig Buchholz, dass Wirtschaftsprüfer und Wirtschafts- prüfungsgesellschaften »als eigenverantwortliche Vertrauenspersonen der Wirtschaft und

1 Siehe: Adler, »Aufgaben« (1929), 13; Mantel, Betriebswirtschaftslehre (2009), 46, die Betriebswirt- schaftslehre beschäftigte sich damals noch kaum mit anderen Themen wie Marketing, Organisation oder Personal. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde zudem der Teilbereich Kostenrechnung sehr gefördert. 275 Schlussbemerkungen nicht als Staatsbeauftragte einzusetzen« seien, weil sie sonst nicht die Vertrauensstellung in Unternehmen – und damit nicht die relevanten Informationen – erhalten könnten.2 Waren zu Jahrhundertbeginn Banken in der Rolle der Vertrauensbildner gewesen, die Treuhandgesellschaften gründeten und mit ihnen die materielle Bilanzprüfung in Deutschland etablierten und war es um 1930 der Staat, der die Konstituierung des Wirt- schaftsprüferberufes maßgeblich initiiert hatte, so gelang es den Treuhandgesellschaften bis zum Ende des »Dritten Reiches«, sich von ihren »Geburtshelfern« zu emanzipieren. Die Untersuchung der Geschichte von Treuhandgesellschaften zeigt aber auch, dass Treuhandgesellschaften und Bilanzprüfungen kaum in der Lage waren, die ihnen von der Forschungsliteratur zugeschriebenen Vorsorge- und Sicherheitsfunktionen zu erfül- len. So konnten sie beispielsweise »spekulative und verfehlte Geschäfte« von Unterneh- mensleitungen nicht aufdecken.3 Ob eine unternehmerische Entscheidung »verfehlt« war, stellte sich in der Regel erst dann heraus, wenn es bereits zu einem erheblichen Verlust gekommen war. Spekulation war und ist ein wesentliches Stimulans des freien Aktienmarktes und legaler Bestandteil beispielsweise des Bankengeschäfts. Bilanzprü- fungen waren vom Gesetzgeber lediglich als Ordnungsmäßigkeitsprüfungen konzipiert worden. Treuhandgesellschaften hatten weder die Berechtigung, die Geschäftspolitik der Unternehmensleitung zu kritisieren, noch durften sie strafrechtliche Tatbestände feststellen. Unter dem Eindruck von Unternehmenszusammenbrüchen und Banken- krise entwickelte die betriebswirtschaftliche Fachliteratur um 1930 zwar sehr weitge- hende Vorstellungen über den Inhalt von Bilanzpflichtprüfungen: So sollte die Prüfung mal umfassende Unternehmensanalyse, mal Wirtschaftsprognose, mal erschöpfende Wirtschaftsberatung, mal Missbrauchsuntersuchung sein. Bei Einführung der Pflicht- prüfung im Jahr 1931 warnten Zeitgenossen jedoch davor, die Bilanzprüfung mit unrea- listischen Ansprüchen zu überfrachten: Die Aufgabe der Prüfung liege vorrangig darin, festzustellen, ob die Bilanzposten entsprechend den gesetzlichen Bewertungskriterien und unter Vornahme von Abschreibungen angemessen beurteilt waren. Ferner sollte geprüft werden, ob die Positionen überhaupt vorhanden und Rechnungsabgrenzungen korrekt vorgenommen waren. Die Prüfung der Geschäftsführung gehöre keinesfalls zu den Aufgaben des Bilanzprüfers.4 Auch konnten Bilanzpflichtprüfungen nur begrenzt Informationsasymmetrien verringern. Mögliche Informationslücken zwischen Unternehmensvorständen und Kontrollgremien wurden beispielsweise dadurch verringert, dass die Prüfberichte den Aufsichtsräten zugingen. Weniger durch Prüfungsberichte, sondern durch die gesetzlichen Vorschriften zur Bilanzgliederung und zu Geschäftsberichten ließen sich Informationsasymmetrien auch zwischen Unternehmen und Öffentlichkeit ver- mindern.5 Dennoch blieb das Dilemma, dass Bilanzprüfungen in der Öffentlichkeit

2 O. V., »Reform- und Entwicklungsfragen« (1938), 321–327 (Aussagen von Buchholz, 325, Zitat). 3 So die Anforderung von Quick, »Entstehungsgeschichte« (1990), 231. 4 Pothmann, »Wirtschaftsprüfer« (2007), 179. 5 Als ab 1941 die Bilanzprüfungsberichte der Steuererklärung beigelegt werden mussten, schränkten die Wirtschaftsprüfer ihre Berichterstattung über stille Reserven ein, siehe: Spoerer, Scheingewinnen 276 Treuhandgesellschaften in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Vertrauen schaffen sollten, obwohl Informationen aus Prüfungen nur einem kleinen Kreis von Adressaten innerhalb der Unternehmen zugänglich waren. Aktionäre oder Außenstehende erhielten keinen Einblick in Prüfberichte. Bilanzprüfungen verhinderten demnach nicht, dass in Unternehmen Informationsvorsprünge gegenüber Dritten ent- standen und in materielle Vorteile umgewandelt wurden. Dies musste beispielsweise das Reichswirtschaftsministerium in den 1930er Jahren feststellen, obwohl es sich in Ver- trägen zum Förderprämienverfahren ein Prüfungsrecht gegenüber geförderten Firmen vorbehalten hatte und die Prüfungen von der Treuarbeit durchführen ließ.6 Zur Verbesserung der Funktionsfähigkeit von Kapitalmärkten in Deutschland konn- ten Bilanzpflichtprüfungen kaum etwas beitragen. Dies hatte seine Ursache in der Art und Weise, wie in Deutschland Handelsbilanzen aufgestellt wurden. Handelsbilanzen gaben vor allem aufgrund der willkürlichen Unterbewertung von Vermögensgegen- ständen, der unerkannten Auflösung stiller Reserven und der Kompensationsmöglich- keiten von Aufwendungen und Erträgen unvollständige Informationen; Zeitgenossen sprachen kritisch von »Scheinbilanzen«.7 Unter dem Zwang von Kapitalbeschaffungen in den späten 1920er Jahren mussten sich deutsche Unternehmen Prüfungsanforde- rungen angloamerikanischer Geldgeber unterwerfen; damit verbunden war zwingend die Preisgabe umfangreicher Informationen. Fördernde Funktionen für Kapitalmärkte konnten Bilanzprüfungen nur dann entfalten, wenn Handelsbilanzen den Anspruch der Bilanzwahrheit tatsächlich erfüllten. Testierte »Scheinbilanzen« waren für Investoren von geringem Interesse. Die Geschichte des kaufmännischen Prüfungswesens verlief nicht so geradlinig, wie es die Forschungsliteratur vermuten lässt. Forderungen nach verpflichtenden Bilanz- prüfungen waren nicht Resultat rationaler Absicherungsbemühungen wirtschaftlicher Akteure im Vorhinein, und die Entstehung eines freien Prüferberufes ging nicht auf Marktnachfrage zurück. Vielmehr fachten Wirtschaftskrisen und spektakuläre Unter- nehmenszusammenbrüche Diskussionen über eine Einführung der Pflichtprüfung durch speziell geschulte Experten immer wieder an.8 Aktiv wurde vor allem der Staat. Die Gründerkrise 1873 war freilich noch kein Anlass, die Bilanzprüfung obligatorisch einzuführen.9 In den Diskussionen um die Gestaltung des neuen Aktienrechts in den späten 1920er Jahren stand die Einführung einer Bilanzpflichtprüfung nicht an vorderer

(1996), 96, Fn. 244. 6 Scherner, Logik (2008), 58. 7 So Lion, Bilanzen (1927), 13. 8 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bemühten sich einige engagierte Bücherrevisoren – allerdings vergeb- lich – den Status und den Aufgabenkreis ihres kleinen, wenig angesehenen Berufsstandes mit Hilfe des Gesetzgebers verbessern und erweitern zu lassen, siehe: Sponheimer, Revisionswesen (1925), 30. 9 Die Aktienrechtsnovelle 1884 führte unter bestimmten Bedingungen die Gründungsprüfung ein, verlangte aber keine Berufsrevisoren. Ferner ermöglichte der Gesetzgeber unter bestimmten Voraus- setzungen die Vornahme einer Bilanzprüfung auf Wunsch der Aktionäre; die Literatur sprach hier von einer »Gelegenheitsprüfung«, siehe: Sponheimer, Revisionswesen (1925), 22. Böhme, Revision (1912), 15, 17: »In der Praxis pflegen die Handelskammern neben Rechtsanwälten, Kaufleuten, Ingenieuren, Technikern, Bücherrevisoren usw. die Syndizi und Sekretäre ihrer Kammern zu Revisoren zu bestellen.« 277 Schlussbemerkungen Stelle. Die Entscheidung des Gesetzgebers, die Pflichtprüfung zu verordnen, geschah erst recht unvermittelt nach der FAVAG-Pleite 1929. Auch die Gründung von Treuhandgesellschaften in den Jahren ab 1905 war kein »unausweichlicher Entwicklungsprozess«10, sondern vielmehr Ergebnis aktiven Han- delns verschiedener Banken. Sie wollten sich detaillierte Informationen über ihre eige- nen Kunden beschaffen und staatliche Eingriffe in die Unternehmenssphäre abwehren. Trotz schwerster wirtschaftlicher Turbulenzen durch Unternehmenszusammenbrüche und Bankenkrise lehnten noch 1930 Industrie und Banken eine Pflichtprüfung ab. Die deutsche Wirtschaft schuf keine Schutzinstanzen, sondern vereinnahmte nachträglich die Bilanzpflichtprüfung als eine von ihr und für sie geschaffene Einrichtung. Bähr resümiert, dass der Wirtschaftsprüferberuf in der Zeit des Nationalsozialismus zunehmend unter staatlichen Einfluss geraten sei und sich von einem privatwirtschaft- lich geprägten Apparat zu einem Instrument staatlicher Kontrolle entwickelt habe.11 Es ist jedoch zu fragen, ob der Prüferberuf in der Weimarer Zeit tatsächlich ein pri- vatwirtschaftlich geprägter Beruf gewesen ist. Zur Privatwirtschaft gehören nicht nur Unternehmensleitungen, sondern auch Unternehmenseigentümer. Im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Unternehmensleitungen und Aktionären zeigt sich von der Kaiser- zeit bis zum Ende der NS-Zeit ein einseitiges Informationsgefälle zu Lasten der (Klein-) Aktionäre. Dies hatte seine Ursache in den unvollständigen Handelsbilanzen und den geringen Rechten der Aktionäre. Die wachsende Intransparenz der Handelsbilanzen und die weitere Reduzierung von Aktionärsrechten während der NS-Zeit waren nicht nur dem Führerprinzip geschuldet, sondern entsprachen auch dem Willen unterneh- merischer Interessenvertreter. Bilanzprüfer konnten nur in dem Rahmen Wirksamkeit entfalten, den ihnen der gesetzliche Umfang der Bilanzprüfung und der Gestaltungs- spielraum für die Aufstellung von Handelsbilanzen ließen. Zum Jahrhundertbeginn hatten Unternehmen materielle Bilanzprüfungen als frei- willige Selbstverpflichtung in einer wirtschaftlichen Krisensituation akzeptiert, um weitergehende gesetzliche Regelungen zu verhindern. 1931 akzeptierten sie Bilanzpflicht- prüfungen, weil geprüfte Handelsbilanzen in angloamerikanischen (Gläubiger-)Ländern seit langem anerkannte Informationsmedien waren und weil sie für deutsche Unter- nehmen auch vorteilhaft gegenüber dem individuellen Auskunftsrecht der Aktionäre waren. Unter den Bedingungen eines totalitären Regimes war die Zwischenschaltung prüfender Treuhandgesellschaften, die den berufsethischen Grundsätzen der Ver- schwiegenheit und Unparteilichkeit verpflichtet waren, für Unternehmen von Vorteil gegenüber einer direkten Konfrontation mit behördlichen Stellen. Unternehmen ließen ihre Bilanzen sogar dann noch prüfen, nachdem der Gesetzgeber die Pflichtprüfung mit Kriegsbeginn ausgesetzt hatte.12 Denn in der NS-Zeit wurden Bilanzen zum »unmittel- bare(n), meßbare(n) Niederschlag des wirtschaftlichen Geschehens« aufgewertet und

10 Meisel, Wirtschaftsprüfer (1991), 114; Quick, »Entwicklung« (2004), 282. 11 Bähr, »Governance« (2006), 73, 80. 12 Becker, »Wirtschaftsprüfungs- und Treuhandwesen« (1940), 121. 278 Die Treuarbeit im Nationalsozialismus Bilanzprüfungen der Status einer »öffentliche(n) Beglaubigung« zugewiesen.13 Deutsche Unternehmen hatten jedoch wenig Interesse an Transparenz und sahen Handelsbilanzen nicht als Indikatoren für Unternehmenserfolge. Diese Funktion kam eher Steuerbilanzen zu. Die Aktienrechtsnovelle von 1931 verbot zwar das Weglassen von Aktivwerten und das Einsetzen fiktiver Kreditoren, doch sie erlaubte weiterhin die Bildung stiller Reserven durch Abschreibungen und niedrige Bewertungen.14 Die gesetzlichen Regelungen zur Gewinn- und Verlustrechnung ließen zudem eine Saldierung von Aufwendungen und Erträgen zu, die mit dem Aktiengesetz von 1937 noch ausgeweitet wurde.15 Interessenkonflikte, in die Treuhandgesellschaften geraten konnten, werden von der Forschungsliteratur praktisch nicht thematisiert. Sie konnten beispielsweise dann entstehen, wenn Treuhandgesellschaften kritisch über Sachverhalte berichteten, die der Vorstand zu verantworten hatte. Denn der Vorstand war es, der Folgeaufträge für Bilanzprüfungen oder Beratungen erteilte. Wie das Beispiel der Treuarbeit zeigte, war es ihr ein Leichtes, den Wirtschaftsprüfer Schäfer mit dem Argument der fehlenden Quali- fikation beim ersten Auftreten von Unstimmigkeiten als Bilanzprüfer abzubestellen. Treuhandgesellschaften konnten in wirtschaftliche Abhängigkeit von Großkunden geraten. Zunehmende Bindung und Vertrauen zwischen Auftraggeber und Treuhand- gesellschaft konnten zudem zu (ungewollter) Komplizenschaft führen.

5.2 Die Treuarbeit im Nationalsozialismus links: Schlussbemerkungen rechts: Die Treuarbeit im Nationalsozialismus Die Untersuchung der Treuarbeit in der Zeit des Nationalsozialismus zeigt, dass Bilanz- prüfungen und Treuhandtätigkeiten ein verbrecherisches Regime unterstützen können und dass die Treuarbeit ethische Grundsätze ihres Berufes, nämlich Unparteilichkeit, Verschwiegenheit und Gewissenhaftigkeit, gegenüber jüdischen Unternehmen und Unternehmen im besetzten Ausland nicht angewandt hat. Darin begründet sich ihre Mittäterschaft. Ein weiteres Berufsprinzip, der Grundsatz der Unabhängigkeit, wurde von der Treu- arbeit nicht erfüllt. Als unabhängig galt eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, wenn sie frei von maßgebendem Einfluss Dritter ihre Prüfungs- und Gutachtertätigkeit aus- führte.16 Doch die Reichshaushaltsordnung schrieb eine Einflussnahme auf eine Gesell-

13 Buchholz, »Wirtschaftsordnung« (1936), 322; Buchholz, »Prüfungs- und Treuhandwesen« (1938), 271. Buchholz war Geschäftsführer des Berufsverbandes der Wirtschaftsprüfer sowie des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW). 14 Spoerer, Scheingewinnen (1996), 101–104; Entwurf eines Gesetzes über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien sowie Entwurf eines Einführungsgesetzes nebst erläuternden Bemerkungen, veröffentlicht durch das Reichsjustizministerium, Berlin/Leipzig 1930, 112. 15 Verordnung des Reichspräsidenten über Aktienrecht, Bankenaufsicht und über eine Steueramnestie. Vom 19. September 1931, abgedruckt im RGBl. Teil I, 21.9.1931, S. 497 (§ 261c HGB); Adler/ Düring/Schmaltz, Rechnungslegung (1938), 262 (zu § 132 AktG). 16 Im Gesetz und in den Grundsätzen für die Berufsausübung wurde der Begriff »unabhängig« nicht verwandt. Stattdessen wurde von Eigenverantwortung und »strengster Objektivität« gesprochen, siehe 279 Schlussbemerkungen schaft in Staatsbesitz durch Aufsichtsratsmandate vor. Zudem hatte die Treuarbeit bei Prüfungen von Staatsbetrieben die vom Reichsrechnungshof in Abstimmung mit dem Reichsfinanzministerium festgelegten Richtlinien für Prüfung und Berichterstattung zu beachten.17 Schon in den ersten Jahren ihrer Existenz hat die Treuarbeit wegen fehlender Unabhängigkeit viel Kritik erfahren. So urteilte im Juni 1932 das Kammergericht Berlin anlässlich der Liquidation der im Mehrheitsbesitz der Preussag befindlichen Staßfurter Chemischen Fabrik nach Antrag einer Aktionärsminderheit, dass die Treuarbeit nicht Abschlussprüfer nach § 262c HGB sein könnte. Entscheidend war für das Gericht die maßgebliche Beeinflussung durch den preußischen Staat, der als Anteilseigner der Treu- arbeit 30 Prozent des Aktienkapitals besaß.18 Negative Konsequenzen für die Treu- arbeit hatte dieses Urteil jedoch nicht. Im Gegenteil: Die enge Verbindung zum Staat war Voraussetzung für ihr Vertrauensverhältnis auch zu den neuen Machthabern des NS-Regimes und Ursache ihrer enormen Geschäftsausweitung. Ihre am quantitativen Wachstum gemessene Erfolgsgeschichte in der Zeit des Nationalsozialismus lässt sich vor allem unter den Bedingungen einer nach Autarkie, rassischen Säuberungen und wirtschaftlich-politischer Herrschaft Deutschlands in Europa strebenden Diktatur erklären. Die Treuarbeit prüfte neu errichtete staatsnahe Gesellschaften, wie die Reichs- werke »Hermann Göring«, Zellstoffgesellschaften, die BRABAG, die KontiÖl und die SUBAG. Damit knüpfte sie an ihre Tätigkeit als Prüfungsgesellschaft für Reichs- beteiligungen aus der Weimarer Zeit an. Das NS-Regime erweiterte den Arbeitsbereich der Gesellschaft weit über die Grenzen Deutschlands hinaus. Auf dem Höhepunkt des militärischen Erfolges des NS-Regimes war keine andere Wirtschaftsprüfungsgesell- schaft in Europa so präsent wie die Treuarbeit. Ihre Bilanzsumme und ihr Personal- bestand hatten sich in dieser Zeit etwa verfünffacht. Die Treuarbeit prüfte in fast allen besetzten Ländern Europas und hatte ein Außenstellennetz, das vom Atlantik bis zum Schwarzen Meer reichte. Ein zeitgenössischer Kommentar zur Prüfung der Aktiengesell- schaften rechtfertigte im Jahr 1938 den staatlichen Einfluss auf die Treuarbeit. Es seien keine »Einwendungen zu erheben […], wenn der Einfluß von den Hoheitsträgern oder ihren Funktionären selbst unmittelbar ausgeübt wird.« Denn der Einfluss staatlicher Funktionäre galt »allein dem gemeinen Nutzen von Volk und Wirtschaft«.19 In der NS-Zeit übten die beiden Eigentümer, die VIAG und das Land Preußen, immer weniger Einfluss auf die Prüfungsgesellschaft aus. Zwar entsandten auch sie Ver- treter in den Aufsichtsrat, aber die großen Linien der Geschäftspolitik der Treuarbeit wurden immer stärker von Reichsbehörden wie dem Reichsluftfahrtministerium und

BAB R 3101/17646, Bl. 226–228: Bestimmungen über die öffentlich bestellten Wirtschaftsprüfer, 1933, 20, 23, 24. 17 BAB R 2301/6547, »Richtlinien für die Prüfung von Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit, an denen das Reich mittelbar oder unmittelbar beteiligt ist, durch Treuhandgesellschaften« (Abschrift), als Anlage zu einem Brief des Reichsministers der Finanzen an »sämtliche Reichsressorts« vom 8. Juli 1925. 18 Jäckel, Unabhängigkeit (1966), 205–207. 19 Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung (1938), 462; Adler und Schmaltz traten 1940 bzw. 1942 in den Vorstand der Treuarbeit ein. 280 Die Treuarbeit im Nationalsozialismus NS-Institutionen wie der Vierjahresplanbehörde bestimmt. Der »Umbau« gerade der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Treuarbeit von einer Instanz, die dem Reichsrechnungs- hof im Rahmen einer parlamentarischen Haushaltskontrolle zuarbeitete, zu einem Ver- trauensorgan des nationalsozialistischen Staates war so unkompliziert möglich, weil diese staatliche Gesellschaft schon in der Zeit der Weimarer Republik dem rechtlichen Zugriff oberster Reichsbehörden unterlag und diese Abhängigkeit von und vollständige Ausrichtung auf das Reich und Preußen nach der 1931 von Wilhelm Adler getroffenen Formulierung Ausdruck ihres Selbstverständnisses war.20 Ihre Unternehmenspolitik war seit jeher geprägt von Anforderungen Dritter und im Gegensatz zu privatwirtschaft- lichen Unternehmen verfolgte die Treuarbeit nicht vorrangig ökonomische Interessen.21 Ihre Aktivitäten konzentrierten sich darauf, die an sie gestellten Aufgaben bestmöglich zu erfüllen, selbst wenn es keine Mitbewerber gab.22 Mit der Aktienrechtsnovelle von 1931 wurde der Treuarbeit, wie anderen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften auch, die Aufgabe übertragen, als »Garant von Sicherheit« zu fungieren.23 Sie selbst sah ihre Prüfungstätig- keit – offensichtlich unter dem Eindruck aktuellen Zwangs deutscher Unternehmen, sich für angloamerikanisches Kapital zu öffnen und sich daher angloamerikanischen Gepflogenheiten der Informationsweitergabe und Bilanzprüfung unterordnen zu müssen – als Beitrag, die Funktionsfähigkeit des internationalen Kapitalmarktes zu verbessern.24 In der Zeit des Nationalsozialismus war die Prüfungsgesellschaft jedoch den Zielen der nationalsozialistischen Politik, nämlich der »Erhaltung einer geordneten völkischen Wirtschaft«25 verpflichtet, die auf Abschottung vom Weltmarkt und Vor- herrschaft über besetzte Länder abzielte. Während Reichsbehörden und staatsnahe Unternehmen Art und Umfang der Tätig- keiten der Treuarbeit bestimmten, kontrollierten die Aufsichtsratsmitglieder, unter ihnen wichtige Akteure der Aufrüstungs-, Autarkie- und Ausbeutungspolitik des NS- Regimes, die Umsetzung der Aufgaben. Die Aufsichtsräte waren gleichzeitig Interessen- vertreter der Institutionen, die sie in das Gremium entsandt hatten.26 Über die Auf- sichtsratsmitglieder hatte die Treuarbeit seit jeher privilegierten Zugang zur Ministerial- bürokratie und in der NS-Zeit zu weiteren Machtzentren des neuen Regimes; Vorstände und andere Führungskräfte erhielten Karrieremöglichkeiten. Die Treuarbeit war jedoch kein willenloses Instrument des NS-Regimes. Innerhalb der Einbindung in die wirtschaftspolitischen Maßnahmen der NS-Politik organisierte

20 Siehe das Zitat von Wilhelm Adler zu Beginn des Kapitels 1; Pega, Tätigkeit (2010), 24. 21 So vertrat der Vorstand mit Billigung des Aufsichtsrates die Auffassung, dass gerade bei treuhänderischen Aufgaben die Beratung der Reichsressorts ohne Rücksicht auf das finanzielle Ergebnis vorgenommen werden müsse, siehe FAH 4E 98, Bl. 42: Protokoll der Aufsichtsratssitzung am 21.4.1938, 5. 22 In der Aufsichtsratssitzung am 29.3.1939 versicherte der Vorstand, dass er jederzeit für die volle Ein- satzfähigkeit der Gesellschaft im Hinblick auf die von den Reichsressorts gestellten Aufgaben sorgen werde, siehe R 2301/6129, Bl. 13. 23 Fiedler, »Vertrauen« (2001), 591 (Zitat). 24 Adler, »Aufgaben« (1929), 11–13. 25 Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung (1938), 374. 26 Rein rechtlich betrachtet werden Aufsichtsräte »gewählt«. 281 Schlussbemerkungen sie eigenständig und mit hohem Engagement die Durchführung der ihr übertragenen Aufgaben. Dabei war die Prüfungsgesellschaft an Auftraggeber und Mandanten durch mehrfache Beziehungen gebunden. Auftraggeber stellten Mitglieder des Aufsichtsrats, waren gleichzeitig Nutznießer von Prüfungen und Mandanten der Treuarbeit. Das Verhalten der Treuarbeit war auf langfristige Bindungen an ihre Geschäftspartner aus- gerichtet. Die enge und dauerhafte Bindung war eine wichtige Voraussetzung für die Ent- stehung von Vertrauen. Aber sie war auch Ursprung von Interessenkonflikten zwischen dem berufsethischen Grundsatz der Unabhängigkeit und der intensiven Einbindung in politisch relevante Aufgaben in vielen Teilen Europas. So entstand Komplizenschaft. Fehlende Unabhängigkeit musste jedoch nicht zwingend fehlende Unparteilichkeit oder fehlende Verschwiegenheit bei der Durchführung von Prüfungen oder der Erstel- lung von Gutachten nach sich ziehen. Die Treuarbeit hätte sich als Prüfungsgesellschaft nicht behaupten können, wäre sie einseitig als Vertreterin einer Behörde wahrgenom- men worden. So lauteten denn auch die vom Vorstand der Treuarbeit formulierten Ver- haltensmaßregeln für Prüfer, dass sich jeder Revisor in das »wirtschaftliche Milieu« der geprüften Firma hineinversetzen müsse. Die einzelne Prüfung solle so »vorbildlich wie nur möglich geleistet« werden und »in kürzester Zeit mit dem denkbar besten Resul- tat«.27 Der Vorstand forderte also von seinen Prüfern die höchstmögliche Qualität bei einem möglichst geringen finanziellen und zeitlichen Aufwand für den geprüften Man- danten. Der Prüfungsbericht galt dem Vorstand als die »Visitenkarte« der Treuarbeit. Er sollte kurz, konzentriert und interessant geschrieben sein und nur die Sachverhalte darstellen, die für das geprüfte Unternehmen wirtschaftlich von Bedeutung waren. Die Berichte sollten zeigen, dass die Prüfung für die Mandanten »praktischen Wert« besaß.28 Diese Anforderungen galten nicht nur für Jahresabschlussprüfungen, sondern auch für Prüfungen, die im Zusammenhang mit staatlichen Fördermaßnahmen für die geprüfte Firma stattfanden. Das geprüfte Unternehmen musste die Gewissheit haben, objek- tiv behandelt zu werden. Wie das Beispiel der Luftrüstungsindustrie zeigte, war die Treuarbeit bestrebt, sowohl die Wünsche des Luftfahrtministeriums als auch der Luft- rüstungsunternehmen gleichermaßen zu erfüllen. Sie etablierte erfolgreich arbeitser- leichternde Maßnahmen, mit denen die Balance zwischen Informationsweitergabe und Verschwiegenheit gewahrt wurde. Darüber hinaus stellte die Treuarbeit durch ihre guten Beziehungen zu etlichen Ministerien, ihre umfangreiche Branchenkunde sowie ihre Tätigkeit im Ausland auch für ihre Mandanten aus der Privatwirtschaft einen zusätz- lichen Nutzwert dar. Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Verschwiegenheit waren jedoch bei der Tätig- keitsausübung der Treuarbeit in den von Deutschland besetzten Ländern nicht mehr gegeben. Im Ausland wurde zwar die Vorgehensweise der Prüfung, die Vermögens- und Ertragslage zu untersuchen, grundsätzlich angewandt. In Deutschland maßgebliche Prüfungsregeln wurden dabei jedoch nicht eingehalten. Auftraggeber einer aktien- rechtlichen Pflichtprüfung und Empfänger des Prüfungsberichtes war im Regelfall die

27 BAB R 8135/8591, Rundschreiben Nr. 88, 18.12.1935, Anlage 2, 1–3. 28 BAB R 8135/8591, Rundschreiben Nr. 88, 18.12.1935, Anlage 2, 4–5. 282 Die Treuarbeit im Nationalsozialismus geprüfte Firma selbst. In den besetzten Ländern verdankte die Treuarbeit die Prüfungs- aufträge aber den lokalen deutschen Machthabern oder sie prüfte im Auftrag von Reichsbehörden, an die sie auch berichtete. Hier agierte die Treuarbeit vor allem als Interessenvertreterin deutscher Behörden und direkt oder indirekt als Informantin für deutsche Unternehmen. Die Einhaltung der Berufsgrundsätze bedeutete im Ausland vor allem, dass die Treuarbeit sich unabhängig von und unparteilich gegenüber den unter Umständen widerstreitenden Interessen verschiedener deutscher Behörden und staatsnaher Unternehmen verhielt. Bei Bilanzprüfungen im Zusammenhang mit »Arisierungen« führten die Prüfungs- richtlinien der NS-Behörden in Österreich und im Protektorat den Beteiligten in aller Deutlichkeit vor Augen, wie bewusst und umfänglich die wirtschaftliche Existenzver- nichtung der Juden vollzogen wurde. Eine unparteiliche Prüfung war schon aufgrund der die Juden eindeutig benachteiligenden Vorschriften der Vermögensverkehrsstelle in Wien oder des Reichsprotektors in Prag nicht möglich. Dennoch führte die Treuarbeit diese Prüfungen durch. In den Niederlanden ermittelte die Niederlassung Den Haag auf der Grundlage der Feindvermögensverordnung Informationen über jüdische Fir- men und gab sie an arisierungswillige Firmen weiter. Bereits in Deutschland hatte die Treuarbeit bei der Prüfung jüdischer Unternehmen rassistische Kriterien in betriebs- wirtschaftliche Bewertungen umgesetzt und Wünsche regionaler NS-Parteiinstanzen vorbehaltlos unterstützt. Damit stellte sie ihre Prüfungsexpertise in den Dienst wirt- schaftlicher Existenzvernichtung von Juden.29 Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt in der Tätigkeitsausführung wurden hingegen in der detaillierten Berichterstattung und der akkuraten Kontenführung zur Feindvermögens- verwaltung in den Niederlanden sowie im überaus lebhaften Engagement der dortigen Niederlassungsleitung deutlich. Allerdings arbeitete die Treuarbeit hier gewissenhaft nur im Sinne der Interessen der deutschen Politik und Wirtschaft an der Kapitalver- flechtung. Die operative Unternehmensführung der Treuarbeit besorgte der Vorstand. In ihm fanden sich hoch qualifizierte und im Berufsstand der Wirtschaftsprüfer anerkannte Männer zusammen, die mit Engagement und Loyalität und dem festen Willen, die Prüfungsgesellschaft so auszurichten, dass sie zu jeder Zeit die Anforderungen erfüllte, die an sie gestellt wurden, das Vertrauen des NS-Regimes gewannen. Der Vorstand stellte sicher, dass die geforderten Aufgaben erledigt wurden und bemühte sich um angemessene Honorierung. Die schwierigste Aufgabe war die Beschaffung von ausreichendem und gut ausgebildetem Personal. In Österreich, Rumänien und in den Niederlanden fand die Treuarbeit unter den einheimischen Fachkräften kollaborationswillige Mitarbeiter. Insgesamt hinterlässt die Mitarbeiterführung einen wenig erfolgreichen Eindruck, denn Integration und Förderung von Betriebstreue gelangen nicht und immer wieder ver- ließen Führungskräfte das Unternehmen gegen den ausdrücklichen Willen des Vor-

29 Siehe die in Kapitel 3.4 dargestellten Beispiele von Köhler (Bankhäuser Bleichröder/Arnhold), Schulz (Simson/Suhl) und Pega (Wochinger-Brauerei). 283 Schlussbemerkungen standes. Den hohen Personalzulauf verdankte die Treuarbeit wohl eher ihrer heraus- gehobenen Stellung und den bei Bewerbern vermuteten Karrieremöglichkeiten. Der Vorstand hatte sich arbeitsteilig organisiert: Einzelne Vorstandsmitglieder waren für bestimmte unternehmensinterne Bereiche, Prüfungsgebiete und Niederlassungen zuständig. Auch die Verantwortung für Außenbeziehungen, wie zu den Reichswerken »Hermann Göring«, der SS und zum Berufsverband der Wirtschaftsprüfer, hatten die Vorstandsmitglieder untereinander aufgeteilt Bis Ende 1942 akzeptierte der Vorstand die der Treuarbeit wie von selbst zufallende Geschäftsausweitung gern. Die deutliche Steigerung der Bilanzsumme und der Erträge in den Geschäftsjahren 1939 bis 1941 war auch auf das wachsende Auslandsengagement zurückzuführen. Wie es die historische Forschung auch für andere Unternehmen fest- gestellt hat, orientierte sich die Staatsgesellschaft Treuarbeit in der Zeit danach um und wollte der Existenzsicherung Vorrang vor weiterem Wachstum geben.30 So übernahm sie die ausschließliche Prüfungsberechtigung für das Wirtschaftssondervermögen und die Ostgesellschaften in den »besetzten Ostgebieten« nur widerwillig. Vor allem das Personalproblem schien ihr kaum lösbar. Ihre größte Befürchtung war allerdings, durch die Aufgabenübernahme im Osten das »alte ureigene Geschäft«, die »Stammaufträge«, nämlich die Prüfung der Staatsbetriebe des Reiches, zu verlieren.31 Die Bedenken waren jedoch noch anders begründet: In der Ukraine hatten die Tätigkeiten der Niederlas- sungen wesentlich andere Ziele als in anderen besetzten Ländern. Die Geprüften waren keine ukrainischen Unternehmen, sondern unter deutscher Führung stehende Ostge- sellschaften. Die Prüfungen richteten sich damit nicht gegen »Feinde«, sondern gegen deutsche Besatzungsinstitutionen. Im Auftrag des Reiches sollte die Treuarbeit ausdrück- lich eine »staatliche Kontrolle politischer und finanzieller Art« vornehmen. Mit dieser Zielsetzung waren Konflikte vorprogrammiert. So ist es wohl zu verstehen, dass der Reichswirtschaftsminister dem Chef der Staatskanzlei erläuterte, die Reichsprüfungs- gesellschaft (RPG) müsse aufgrund der völlig andersartigen Verhältnisse des Ostens von den berufsrechtlichen und berufspolitischen Bedingungen frei sein. Die RPG sei daher auch »nicht als Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mit den für eine solche geltenden stren- gen berufsrechtlichen Vorschriften und Kontrollen zugelassen.«32 Expansion und Staatsnähe waren grundsätzlich im Sinne der Vorstandsmitglieder. Über selten offen geäußerte Kritik setzte sich die Prüfungsgesellschaft hinweg. Dies gelang wohl umso besser, je vielfältiger im Laufe der Jahre die Beziehungen der Treu-

30 Buchheim, »Unternehmen« (2006), 365. Es lässt sich nur spekulieren, ob die Ablösung Görings in Wirtschaftsfragen, das Scheitern der Blitzkriegstrategie in der UdSSR und die Unerfahrenheit Rosen- bergs Gründe für die Bemühungen der Treuarbeit waren, die Aufgabenübernahme zu verhindern. Auch nach der Niederlage der deutschen Armee bei Stalingrad spricht aus den Äußerungen das Nieder- lassungsleiters Laub ein angstfreies, unerschütterliches Engagement und die Überzeugung, Aufbau- arbeit zu leisten. 31 BAB R 2/17658: Niederschrift über die Arbeitsausschusssitzung des Aufsichtsrates der Treuarbeit am 24.11.1942, 3, 5; Niederschrift über die Aufsichtsratssitzung der Treuarbeit am 16.12.1942, 7. 32 BAB 3101/20486, Bl. 46, 46R: Brief des Reichswirtschaftsministers an Chef der Staatskanzlei, 2.4.1943. 284 Die Treuarbeit im Nationalsozialismus arbeit zu Reichsbehörden und zu NS-Institutionen wurden. Überdies waren mehrere Vorstandsmitglieder in der Leitung, dem Führerrat und in Fachausschüssen des IDW präsent. Die Treuarbeit nutzte ihre Position und weitete ohne Bedenken ihre Geschäfts- tätigkeit zu Lasten deutscher (und ausländischer) Wirtschaftsprüfer aus. Obwohl der Vorstand der Treuarbeit gegenüber dem Aufsichtsrat immer sehr zurückhaltend auf- trat,33 hatte er den starken Wunsch, die Vorrangstellung im Reich auch nach außen deutlich sichtbar werden zu lassen. Doch das Begehren der Geschäftsleitung, den Namen des Unternehmens unter Zustimmung des Aufsichtsrates in »Reichstreuhand Deutsche Revisions- und Treuhand AG« umzuwandeln, blieb unerfüllt.34 Den Tätigkeiten der Treuarbeit maß das NS-Regime eine hohe Bedeutung zu, sie war als Prüfungsgesellschaft der totalitären, von expansionistischen und rassistischen Zielsetzungen bestimmten Diktatur sehr nützlich. Die NS-Politik benötigte für Firmen- übernahmen und Kapitalverflechtungen im In- und Ausland, für Informationen über Rohstoffe und Beteiligungsverhältnisse sowie für »Arisierungen« und Ausbeutung Bilanzexperten, die sich einen Einblick in die wirtschaftliche und finanzielle Lage von Unternehmen verschaffen konnten. Die Treuarbeit sollte im Detail Eigentumsverhält- nisse darlegen, über Vermögenswerte informieren und die Ertragslage der Unternehmen beleuchten. Im Falle von »Arisierungen« beauftragten NS-Behörden die Treuarbeit mit Prüfungen, weil sie eine Werthaltigkeit der Unternehmen vermuteten und weil diese Werte dem Reich zugehen und nicht in private Hände gelangen sollten. Zudem sollte sie Treuhänder überwachen (und so moral hazard-Versuche unterbinden), Vermögen treuhänderisch verwalten und die Geschäftsführung für die Vergabe von Förderkrediten übernehmen. Die Prüfungs- und Treuhandaufträge zielten also darauf ab, Informations- asymmetrien zu verringern und positive, auch finanzielle, Wirkungen für wirtschafts- politische Zielsetzungen des NS-Regimes und für deutsche Unternehmen zu erreichen. Hierbei spielte die Höhe von Prüfungs- und Treuhandkosten bei inländischen Auftrag- gebern sehr wohl eine Rolle, wie die Einwendungen des Reichsrechnungshofes hin- sichtlich der Bearbeitungskosten der Treuarbeit für die Reichswirtschaftshilfe sowie die Vorstellungen der Reichswerke Hermann Göring und der deutschen Behörden und Gesellschaften in der Ukraine zeigen. Im Hinblick auf den Nutzen der Prüfungs- und Treuhandtätigkeiten für das NS- Regime ergibt sich ein facettenreiches Bild: Das übliche Prüfungsvorgehen war mit den Anforderungen, die sich der Treuarbeit im Ausland stellten, vielfach nicht vereinbar. So war es der Prüfungsgesellschaft in Österreich durch die wirtschaftspolitischen Ver- werfungen der Währungsreform und der Bewirtschaftung nicht möglich, Aussagen zur Ertragslage zu treffen. Andererseits ermöglichte die Treuarbeit mit ihren Bewertungen

33 Kapitel 3.4 und 4.1; in den Jahren 1938 und 1939 betonte der Vorstand gegenüber dem Aufsichtsrat, dass er von sich aus keine Expansionspolitik oder Aufgabenerweiterung betreibe, siehe FAH 4E 98, Bl. 52: Protokoll der Aufsichtsratssitzung am 5.3.1938, BAB R 2301/6129, Bl. 13: Protokoll der Auf- sichtsratssitzung am 29.3.1939. 34 Das Reichswirtschaftsministerium sprach sich – vermutlich wegen berufspolitischer Bedenken – dagegen aus, siehe BAB R 2301/6129, Bl. 140: Niederschrift über die Aufsichtsratssitzung am 15.5.1941. 285 Schlussbemerkungen beispielsweise den Reichswerken »Hermann Göring« preiswerte Unternehmenszukäufe. Die Treuarbeit scheiterte bei der Prüfung belgisch-kongolesischer Firmen, da sie sich nicht auf die Anforderungen der Auftraggeber, die über eine reine Bestandsaufnahme des Einzelbetriebes hinausgingen, einstellen konnte. Andererseits erhob die Niederlassung in Brüssel umfangreiches Datenmaterial belgischer Großkonzerne, das den Kapitalver- flechtungsbestrebungen des Deutschen Reiches und deutscher Firmen dienen konnte. Zwar wurde durch die Prüfung der Treuarbeit deutlich, dass das NS-Regime die belgische Kohleproduktion nicht steuern konnte und sie offenbarte, wie sich führende deutsche NS-Politiker an niederländischen Kunstgegenständen bereicherten. Das NS-Regime erhielt auch umfassende Informationen über die Rohstoffpotentiale Norwegens und Rumäniens. Die Feindvermögensverwaltung erbrachte hohe Überschüsse an Verwaltungs- gebühren, die für das Reich vereinnahmt wurden. Doch der Treuarbeit gelang es beispiels- weise nicht, die Kapitalverhältnisse einiger weniger, für das Deutsche Reich unter dem Aspekt der Kapitalverflechtung sehr wichtiger, niederländischer Firmen festzustellen.35 Die Verwaltungstätigkeit der Niederlassung Den Haag ermöglichte den Raub jüdischen Vermögens; die Totalerfassung des Feindvermögens ergab nur Sinn unter der Voraus- setzung, dass nach Kriegsende »Aufenthaltsfeinde« ihre Vermögen nicht zurückfordern würden. Dass Kapitelverflechtungen in den Niederlanden und in Belgien scheiterten, lag jedoch nicht an der Treuarbeit, sondern daran, dass deutsche Unternehmen – offensicht- lich aus vorrangig wirtschaftlichen Erwägungen heraus – ihre jahrelangen Beziehungen zu den westeuropäischen Unternehmen letztlich nicht zerstören wollten.36 Bilanz- prüfungen bei den Ostgesellschaften konnten kaum Entscheidungsgrundlagen bieten, weil die Unternehmensleitungen besondere Erschwernisse für ihre Gesellschaften geltend machten, so dass die in der aktienrechtlichen Pflichtprüfung vorgegebenen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung häufig nicht zum Tragen kamen. Um Korruption oder private Bereicherungen zu verhindern, hätten andere Prüfungsformen (Unterschlagungs- prüfungen, Organisationsprüfungen) gewählt werden müssen.

5.3 »… niemals parteipolitische Grundsätze vertreten« – links: Schlussbemerkungen Die Treuarbeit nach 194537 rechts: Die Treuarbeit nach 1945 Aus dem »Dritten Reich« ging die Treuarbeit letztlich unbeschadet hervor. Parallel zum Niedergang des »Dritten Reiches« verringerte sich der Geschäftsumfang, die Treu- arbeit verlor Niederlassungen und die Berliner Zentrale wurde in ländliche Regionen verlegt. Nach Kriegsende dauerte es etwa drei Jahre, bis sich die Gesellschaft erneut

35 Kapitel 4.6, BAB R 177/1908 »Zusammenfassender Bericht«, 4, 17. 36 Bähr, »Wirtschaftssteuerung« (2006), 96. 37 Das Zitat stammt aus einer Erklärung, die Reinhold Merckens zu Gunsten von Richard Karoli nach Kriegsende über dessen Verhalten in der NS-Zeit abgegeben hat, siehe BAB R 177/1897, 20.9.1945. 286 Die Treuarbeit nach 1945 konstituierte.38 In der unmittelbaren Nachkriegszeit waren es vor allem der Rechnungs- hof und die englische Besatzungsmacht, die umfangreiche Aufträge erteilten. Ab Herbst 1948 setzte eine »Wiederbelebung« ein. Die Treuarbeit sei, so ihr späterer Vorstands- vorsitzender Karl-Heinz Forster39, »unverändert als ‚genehmer’ sachverständiger Prüfer angesehen« worden. Der erste Aufsichtsratsvorsitzende der Nachkriegszeit und spätere Präsident des Bundesrechnungshofes, Josef Mayer, war entschlossen, »in bezug auf die Treuarbeit und die Prüfung der Beteiligungen des Bundes die Linie seiner Vorgänger fortzusetzen.«40 Das Personal stieg von 181 Mitarbeitern Ende 1948 auf 399 Personen Ende 1950.41 Von den in den frühen 1940er Jahren bei der Treuarbeit tätigen Führungs- kräften, arbeiteten, soweit sie noch als Wirtschaftsprüfer bestellt waren, etwa die Hälfte noch immer bei der Prüfungsgesellschaft.42 Einige, wie Reinhold Merckens, der ehe- malige Niederlassungsleiter in Den Haag, rückten in den Vorstand auf. Anfang der 1950er Jahre war die Treuarbeit erneut die zweitgrößte deutsche Wirtschaftsprüfungs- gesellschaft.43 Sie hatte also die geschäftliche Position erreicht, die sie vor der »Macht- ergreifung« innegehabt hatte. Zum Bund als alleinigem Eigentümer traten 1952 vier Bundesländer hinzu.44 Ende der 1960er Jahre war die Treuarbeit die mit Abstand umsatzstärkste WP-Gesellschaft Deutschlands.45 In der NS-Zeit waren mehrere Vorstandsmitglieder der Treuarbeit in ihrer Tätigkeit für das Regime persönlich besonders hervorgetreten. Voss hatte Vorstands- und Auf- sichtsratsfunktionen im Reichswerke-«Hermann Göring«-Komplex wahrgenommen, Rittstieg hatte sich einen Namen als »Veräußerungstreuhänder« gemacht, die Karoli- Brüder sich als betriebswirtschaftliche Berater von Oswald Pohl und als Revisionsleiter im SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt engagiert. Rudorf war Vorstandsvorsitzender der staatlichen Bank der Deutschen Luftfahrt gewesen. Adler schließlich hatte eine »Schlüsselstellung« im Berufsverband der Wirtschaftsprüfer übernommen.46 Mit einer Ausnahme blieben alle Vorstandsmitglieder der Treuarbeit auch nach dem Ende des »Dritten Reichs« beruflich erfolgreich und wurden gesellschaftlich anerkannt. Walter Hesse, der »Betriebsführer« der Treuarbeit wurde allerdings Ende Januar 1946 zu einem Verhör bei der russischen Militärbehörde abgeholt, von dem er nicht zurück-

38 Privatarchiv Dr. Frank Pega: zusammengefasster Geschäftsbericht mit Bilanzen für die Jahre 1944 bis 1946. Es ist zu beachten, dass die Bilanzen nachträglich und frühestens 1947 erstellt worden sind. Dies könnte die Gestaltung des Bilanzausweises beeinflusst haben. 39 Forster ist der Schwiegersohn des ehemaligen Vorstandsmitgliedes Kurt Schmaltz. 40 Forster, »Finanzkontrolle« (1989), 134 f. Forster, Jg. 1927, trat 1952 in die Treuarbeit ein. Vorstands- mitglied zwischen 1964 und 1991, führende Funktionen im Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW). 41 WiSo A, LB 1/1a: Geschäftsbericht der Treuarbeit für die Zeit vom 21.6.1948 bis 31.12.1950. 42 WP-Verzeichnis 1951 im Vergleich mit Handblatt Wien aus dem Handelsregister Abteilung B, Nr. 4032, Amtsgericht Wien, Auflistung der Gesamtprokuristen (Wiener Stadt- und Landesarchiv). 43 Markus, Wirtschaftsprüfer (1996), 121, gemessen am geprüften Grundkapital der Aktiengesell- schaften. 44 Forster, Wirtschaftsprüfung (1989), 136. 45 Schruff, Wirtschaftsprüfer, (1973), 39. 46 LAB, Entnazifizierungsakte Hans Adler C Rep. 031-02-18, Aussage von Peter van Aubel, 26.11.1945. 287 Schlussbemerkungen kehrte.47 Richard Karoli galt der US-Militärbehörde zwar als seine Persönlichkeit »ran- ging highly in German economical life«. Er erreichte jedoch zum 29. November 1948 seine Entnazifizierung, da man ihn als »no more than a nominal Pg« einstufte.48 Karoli eröffnete dann eine Wirtschaftsprüferpraxis in Berlin. Sein Bruder Hermann eröffnete ebenfalls eine eigene Wirtschaftsprüferpraxis in Essen. Er wurde Aufsichtsratsmitglied bei den Bayerischen Motorenwerken.49 1958 vereinten die Brüder ihre Praxen zur Karoli-Wirtschaftsprüfung GmbH.50 Fritz Rittstieg wurde bereits im Frühjahr 1948 als nomineller Nationalsozialist entnazifiziert.51 Zwischen 1951 und 1961 war er Vorstands- mitglied bei der Salzgitter AG, einer Nachfolgefirma der Reichswerke »Hermann Göring«. In Braunschweig übernahm er das Amt des Vizepräsidenten der IHK. Später erhielt er das Bundesverdienstkreuz.52 Kurt Schmaltz kam 1945 in amerikanische Gefangenschaft. 1950 wurde er Vorstandsmitglied bei der Portland Zementwerke AG in Heidelberg und auch Präsident der dortigen IHK. An der Wirtschaftshochschule Mannheim übernahm er Lehraufträge.53 Kurt Welland durfte als einziger nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes im Vorstand der Treuarbeit bleiben, da er kein NSDAP-Mitglied gewesen war. Er stieg später zum ordentlichen Vorstandsmitglied auf.54 Hans Adler betrieb seine Entnazifizierung zunächst in Berlin, ab 1949 in Frankfurt a. M. Nach erfolgreichem Abschluss des Verfahrens kehrte er in den Vorstand der Treuarbeit zurück, dem er bis zu seinem Tod im Jahr 1965, zuletzt als dessen Sprecher, angehörte. Für seine Verdienste zur »wissenschaftlichen Fundierung des Wirtschaftsprüfungswesens« erhielt er 1961 die Ehrenpromotion der Universität zu Köln. Neben seiner ehrenamtlichen Tätigkeit für den deutschen und den europäischen Wirtschaftsprüferverband war er auch Beisitzer des Senats für Wirtschaftsprüfungssachen beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Im Jahr vor seinem Tod wurde er mit dem Großen Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland geehrt. Adler galt als einer derjenigen »die den jungen deutschen Wirtschaftsprüferberuf geprägt, die Entwicklung zu seinem […] Ansehen im In- und Ausland mitbestimmt haben […].«55 Auch weitere Lebenswege ehemaliger Vorstandsmitglieder der Treuarbeit verliefen positiv, bisweilen sogar schillernd. Ernst Helmut Vits, der 1940 Vorstandsvorsitzender bei der Vereinigte Glanzstoff-Fabriken AG geworden war, blieb auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in diesem Unternehmen, bis zu seinem Ausscheiden im Jahr

47 LAB, Entnazifizierungsakte Walter Hesse B Rep. 004 Nr. 924 Vorgang OA 5483. 48 LAB, Entnazifizierungsakte Richard Karoli C Rep. 031-01-06, Nr. 431. 49 Schulte, Zwangsarbeit, (2001), 469. 50 »Zwei Treuhänder in einer Hand. Treuhandvereinigung und Karoli schließen sich zusammen«, Artikel in FAZ, 5.12.1978. 51 LAB, Entnazifizierungsakte Fritz Rittstieg C Rep. 031-02-19 Nr. 96 Vorgang P 241. 52 StA W NWA 2/7286: Todesanzeige der Salzgitter AG zu Fritz Rittstieg in der Salzgitter Zeitung vom 6.3.1973; Wer ist wer? Ausgabe 1963, 1262, Ausgabe 1967, 1599. 53 Eberle, Martin-Luther-Universität, (2002), 303; Habel (Hg.), Wer (1967), 1725. 54 WiSo A, LB 1/1a Geschäftsbericht für die Zeit vom 21. Juni 1948 bis […] 31. Dezember 1950. 55 LAB, Entnazifizierungsakten Hans Adler C Rep. 395-01-13 Vorgang 2814/A17 und C Rep. 031-02- 18; Hax, »Tode« (1966), 363–365; Hasenack, »Hans Adler« (1966), 114–115; o. V., »Hans Adler« (1964), 393 (Zitat). 288 Die Treuarbeit nach 1945 1969. Seit Januar 1947 war er als Financial Adviser einziges deutsches Mitglied in den Beratungsausschüssen der Combined Coal Control Group zur Neuordnung des deutschen Bergbaus. Vits nahm eine Vielzahl von Aufsichtsratsvorsitzen und -mandaten wahr und engagierte sich ehrenamtlich in wissenschaftlichen Gesellschaften. Er erhielt mehrere Würden und Auszeichnungen verliehen, unter anderem 1953 das Große Bundesverdienstkreuz.56 Wilhelm Voss, Generaldirektor des Rüstungskonzerns Škoda- Werke/Waffenwerke Brünn, wurde von Göring Mitte Januar 1945 »beurlaubt«.57 Noch vor Kriegsende soll er Kontakte zu den Alliierten aufgenommen haben. 1946 wurde Voss aus tschechischer Internierung entlassen.58 1951 beantragte er bei der deutschen Regierung, »mit seinem Mitarbeiterstab und den dazugehörigen Familienangehörigen nach Ägypten auszureisen. Die Ausreise liegt im dringenden wirtschaftlichen Interesse der Bundesrepublik.« Bis 1954 war er Chefberater im ägyptischen Kriegsministerium. »Mit ihm zusammen«, so berichtete die Wochenzeitschrift DER SPIEGEL im Herbst 1955, »stand zeitweilig mehr als ein halbes hundert deutscher Militär- und Waffen- experten im Dienst der ägyptischen Regierung«.59 Fritz Rudorf kam 1945 in sowjetische Gefangenschaft und wurde 1950 zu zehn Jahren Haft verurteilt. Vorzeitig aus der Haft entlassen ging er 1954 in den Bankenbereich zurück. Von 1957 bis 1967 war er Vorstands- mitglied der Dresdner Bank.60 Die in der Weimarer Republik begonnenen Karrieren bauten die Vorstands- mitglieder der Treuarbeit in der NS-Zeit erfolgreich aus und führten sie in der Bundes- republik weiter fort. Aus den Entnazifizierungsverfahren wird deutlich, dass sich die Vorstände als unpolitische Experten betrachteten, die eine »rein sachliche Linie […] ohne Störung durch parteipolitische Gesichtspunkte« vertreten hätten.61 Obwohl die Treuarbeit in ihrer Position als Vertrauensorgan »des nationalsozialistischen Staates und der Partei«62 Tag für Tag am Vollzug nationalsozialistischer Politik mitwirkte, weigerten sich die Mitglieder des geschäftsführenden Organs der Treuarbeit, sich zu ihrer Ver- antwortung zu bekennen. Stattdessen boten sie eine Vielzahl von Leumundszeugen auf,

56 Habel (Hg.), Wer (1967), 2066; http://www.archiv.nrw.de/bestand.asp?42100153Bergbau-Archiv Bochum, dort Hinweis auf Langebruch, Ernst Hellmut Vits (1970), 90–118. 57 BAB, Personaldatenbank: SS 212B, Voss an Reichsführer-SS, 3.2.1945. Wixforth, Expansion (2006), 281 (zur dominierenden Rolle von Voss in der Rüstungswirtschaft des Protektorats). 58 Meyer, Hitlers (1999), 293 f.; Klee, Personallexikon (2003), 646. 59 DER SPIEGEL, 30. Juni 1954, 5 (Zitat), DER SPIEGEL, 26. Oktober 1955, 13. 60 Ahrens, Dresdner Bank (2007), 79 (Prozess), 473 (biographischer Anhang). 61 BAB R 177/1897, Reinhold Merckens, betrifft: Wirtschaftsprüfer Dr. Richard Karoli, 20.9.1945. Auch Adler behauptete, die Geschäftsführung der Treuarbeit wäre von politischen Einflüssen frei gewesen, siehe LAB, Entnazifizierungsakte Hans Adler, C Rep. 375-01-13 Vorgang 2814/A17. Ferner bestätigte ein Dr. Winckelmann, Ministerial Collecting Center, dass die Vorstandsmitglieder gewissen- hafte, sachliche und korrekte Berufsangehörige gewesen wären, die alles vermieden hätten, was als Ver- stoß gegen die Berufsauffassung oder als anstößig oder gar unredlich bezeichnet werden müsste – siehe R 177/1903, Vermerk zur Aufarbeitung des Aktenmaterials der Treuarbeit zur Feindvermögensver- waltung in den Niederlanden, 2.10.1945, 4. 62 BAB R 3101/17697, Bl. 2: Vermerk für SS-Brigadeführer Ohlendorf, Betr.: Sitzung des Aufsichtsrats der Deutschen Revisions- und Treuhand A. G. am Freitag, dem 7. Juli 1944; erstellt von Dr. Winckel- mann/Reichswirtschaftsministerium. 289 Schlussbemerkungen die ihnen eine anti-nazistische und anti-rassistische Haltung bestätigten. Auch hätten die Vorstandsmitglieder »halb-arische« und mit Jüdinnen verheiratete Berufsangehörige oder Logenangehörige geschützt.63 Die gemeinsame Berufszugehörigkeit in einer ver- gleichsweise kleinen Berufsgruppe rief offensichtlich eine starke Bindung hervor, aus der persönliche Hilfsbereitschaft einzelner Vorstandsmitglieder resultierte. Die Unter- stützung für Bedrängte kann die Verantwortung als Mittäter im NS-Regime jedoch nicht negieren. Kein Wirtschaftsprüfer wurde in der NS-Zeit gezwungen, im Vorstand einer staatlichen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zu arbeiten. Kein Vorstandsmitglied der Treuarbeit hat darauf verzichtet, die Karrieremöglichkeiten, die sich ihm in der NS- Zeit boten, zu nutzen. Die Vorstände der Treuarbeit unterstützten bereitwillig die Ziele des NS-Regimes. Als sie zur Rechenschaft gezogen werden sollten, argumentierten sie mit der vermeintlichen Trennung von fachlicher und politischer Verantwortung. So wie das Institut der Wirtschaftsprüfer 1948 eine völlige Neubewertung bei der Erstellung der DM-Unternehmensbilanzen vorschlug, so wollten die Vorstandsmitglieder eine »politische Bereinigung« ihrer Vergangenheit erreichen.64 »Der Sinn einer Prüfung oder Begutachtung besteht ja gerade darin, daß ein Tat- bestand sachverständig und objektiv, d. h. ohne jede Willensrichtung tendenzlos fest- gehalten wird […] Es gilt unabhängig von der Staatsform und unabhängig von der wirtschaftlichen Organisationsform […] Es ist schlechthin der Wert jeden Rates, jeder geistigen Urteilsbildung […] bestimmt durch die Unabhängigkeit, d. h. [die] innere Freiheit des Ratgebers […]. Das Hindernis hierfür ist lediglich die menschliche Unzulänglichkeit, die stets zur inneren und äußeren Unfreiheit führt.«65 Im Hinblick auf die engagierte Mitwirkung der Treuarbeit bei der Umsetzung wirtschaftspolitischer Ziele des NS-Regimes haben deren Vorstände diese Unzulänglichkeit an den Tag gelegt. In einer Zeit, in der die Berufsgrundsätze ihren Wert hätten erweisen können, haben Berufsangehörige darin versagt, sie anzuwenden. Das NS-Regime bedeutete für die Treuarbeit in berufsethischer Hinsicht eine Prüfung, die sie nicht bestanden hat.

63 LAB, Entnazifizierungsakte Fritz Rittstieg, C Rep. 031-02-19 Nr. 96 Vorgang P 241; LAB, Entnazi- fizierungsakte Hans Adler, C Rep. 031-02-18 sowie C Rep. 375-01-13 enthält mehrere Aussagen von Wirtschaftsprüfern, die als »Mischling« und als mit einer Jüdin verheiratet Pressionen unterworfen waren und bestätigten, dass Adler sich für sie eingesetzt hätte. 64 Kapitel 2.5; LAB, Entnazifizierungsakte Hans Adler, C Rep. 375-01-13 – Zitat in Adlers Erklärung vom 25.8.1947. 65 Möhle, »Freiheit« (1948), 35. Wirtschaftsprüfer Dr. Dmitrij Fritz Möhle (1901–1965), 1947–1965 Vorstandsmitglied der Treuverkehr Deutsche Treuhand AG, 1945–1955 Vorstandsvorsitzender des Instituts der Wirtschaftsprüfer, 1961–1965 1. Präsident der Wirtschaftsprüferkammer. 290

6. Anhang

6.1 Danksagung links: Anhang rechts: Danksagung Die vorliegende Arbeit wurde im November 2011 von der Fakultät für Geschichts- wissenschaft der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation im Promotionsfach Sozial-, Wirtschafts- und Technikgeschichte angenommen. Sie wurde für die Veröffentlichung überarbeitet. Für das Erst- und das Zweitgutachten danke ich Prof. Dr. Dieter Ziegler (Bochum) und Associate Prof. Dr. Jonas Scherner (Trondheim). Associate Prof. Dr. Alfred Reckendrees (Kopenhagen) danke ich herzlich für die Empfehlungen und die konstruktive Kritik, durch die meine Arbeit sehr gewonnen hat. Dem Vorstand des AKKU (Arbeitskreis für kritische Unternehmens- und Industrie- geschichte) danke ich für die Aufnahme meiner Studie in die Bochumer Schriften zur Unternehmens- und Industriegeschichte. Dank sagen möchte ich auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Archive für ihre Auskünfte und Unterstützung, speziell dem Team des Bundesarchivs Berlin- Lichterfelde im Lesesaal und in der Mikrofilmstelle. Mein besonderer Dank geht darüber hinaus an Dr. Andreij Doronin (Deutsches Historisches Institut Moskau), Mag. Manuela Fellner-Feldhaus (Historisches Archiv Krupp, Essen), Dr. Martin Fimpel (Staatsarchiv Wolfenbüttel/Niedersächsisches Wirtschaftsarchiv), Dr. Boris Gehlen (Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn), Dr. Andreas Graul (Historisches Archiv der Commerzbank), Dr. Bernd Kulla (Historisches Archiv der Deutschen Bank), Martina Maasjosthusmann (Wirtschaftsarchiv der Wirtschafts- und Sozialwissenschaft- lichen Fakultät der Universität zu Köln), Univ. Doz. Dr. Gerhard Melinz (Wien), Robert Möllenberg, Dr. Sebastian Panwitz, Dr. Frank Pega und Gunnar Wendt. Dr. Regine Anacker, Tanja Roos und Cornelia Sonnleitner danke ich für das wissen- schaftliche Lektorat. Für Fehler durch nachträgliche Änderungen trage ich die Ver- antwortung. Ein herzliches Dankeschön geht außerdem an Dr. Dirk Reder, Dr. Severin Roeseling und Dr. Thomas Prüfer vom Geschichtsbüro Reder, Roeseling & Prüfer in Köln. Als Autorin der Festschriften für das Institut der Wirtschaftsprüfer, die Bayerische Treu- handgesellschaft und die Wirtschaftsprüferkammer konnte ich das Thema Wirtschafts- prüfung auch als »angewandte Geschichte« verfolgen. Der allergrößte Dank gebührt meinem Ehemann Dr. Andreas Paust, der Teile meiner Arbeit las und meine vielen langen Ausführungen über neue Erkenntnisse zum deutschen Wirtschaftsprüfungswesen geduldig ertrug. Gewidmet ist dieses Buch meinen Eltern Ernst und Ingrid Pothmann.

291 Anhang links: Anhang 6.2 Verzeichnis angefragter oder besuchter Institutionen rechts: Verzeichnis angefragter oder besuchter Institutionen In Berlin Amtsgericht Berlin-Charlottenburg Bundesarchiv, Standort Berlin-Lichterfelde Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Industrie- und Handelskammer Landesarchiv Landesdenkmalamt

In Deutschland Amtsgericht Frankfurt a. M. Bayerisches Wirtschaftsarchiv, München Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam Bundesarchiv, Standort Koblenz Bundesarchiv, Militärarchiv Freiburg Bundesrechnungshof Deutsches Bergbau-Museum, Montanhistorisches Dokumentationszentrum, Bochum Deutsches Rundfunkarchiv, Wiesbaden Gesellschaft von Freunden des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e. V., Münster Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Wilhelms-Universität, Münster Hessisches Hauptstaatsarchiv, Wiesbaden Hessisches Wirtschaftsarchiv, Darmstadt Historisches Archiv der Commerzbank, Frankfurt a. M. Historisches Archiv der Deutschen Bank, Frankfurt a. M. Historisches Archiv der Dresdner Bank (heute Commerzbank), Frankfurt a. M. Historisches Archiv Krupp, Essen Institut für Stadtgeschichte, Frankfurt a. M. Institut für Zeitgeschichte, München Staatsarchiv Hamburg Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Magdeburg Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Merseburg Mannesmann-Archiv, Mannesmannröhrenwerke GmbH, Mülheim PricewaterhouseCoopers, Frankfurt a. M. Privatarchiv Dr. Frank Pega, Delbrück Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv, Köln Schmalenbach-Gesellschaft Staatsarchiv Wolfenbüttel, Niedersächsisches Wirtschaftsarchiv Stadtarchiv Naumburg Thüringisches Hauptstaatsarchiv, Weimar Thüringisches Staatsarchiv, Rudolstadt

292 Verzeichnis angefragter oder besuchter Institutionen Wirtschaftsarchiv der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Uni- versität zu Köln

In Europa Archivum Państwowe w Krakowie Archivum Państwowe w Katowicach Archivum Akt Nowych w Warszawie Bezirksgericht Innere Stadt, Wien Nationalarchiv der Tschechischen Republik Nederlands Instituut for Oorlogsdocumentatie Österreichisches Staatsarchiv, Wien Russisches Militärarchiv, Moskau Wiener Stadt- und Landesarchiv, Wien

293 Anhang links: Anhang 6.3 Quellenverzeichnis rechts: Quellenverzeichnis Unveröffentlichte Quellen Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (BAB) NS 3 – SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt R 2 – Reichsfinanzministerium R 33 I – Zentralhandelsgesellschaft Ost R 43 II – Reichskanzlei R 87 – Reichskommissar für die Behandlung feindlichen Vermögens R 92 – Generalkommissar in Riga R 144 – Haupttreuhandstelle Ost R 177 – Feindvermögen in den besetzten Niederlanden R 1702 – Deutsche Umsiedlungs-Treuhand GmbH R 2301 – Rechnungshof des Deutschen Reiches R 3101 – Reichswirtschaftsministerium R 8119F – Deutsche Treuhand-Gesellschaft R 8135 – Deutsche Revisions- und Treuhand Aktiengesellschaft R 8905 – Reichskreditgesellschaft AG

Bundesarchiv Koblenz (BAK) N 1171 Nachlass Friedrich Saemisch

Bundesarchiv, Militärarchiv Freiburg RW 31/389

Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin (GStAPK) I HA Rep. 151 IA Nr. 37 und Nr. 38.

Historisches Archiv der Commerzbank, Frankfurt a. M. (HA Dresdner Bank) Geschäftsberichte der Treuhand-Vereinigung 1933 bis 1943

Historisches Archiv Krupp, Essen (FAH) FAH 4 E98

Landesarchiv Berlin (LAB) Entnazifizierungsakten zu Hans Adler, Walter Hesse, Richard Karoli, Fritz Rittstieg

Privatarchiv Dr. Frank Pega Geschäftsbericht der Deutschen Revisions- und Treuhand AG für die Jahre 1944 bis 1946

Staatsarchiv Hamburg (StA HH) Entnazifizierungsakte zu Kurt Welland

294 Quellenverzeichnis Staatsarchiv Wolfenbüttel, Niedersächsisches Wirtschaftsarchiv (StA W) NWA 2 – Reichswerke AG Hermann Göring

Wirtschaftsarchiv der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln, Köln (WiSo A) LB 1/1 – Geschäftsberichte der Deutschen Revisions- und Treuhand AG für die Jahre 1925 bis 1937 und 1940 bis 1942

Wiener Stadt- und Landesarchiv Handblatt Wien aus dem Handelsregister Abteilung B, Nr. 4032, Amtsgericht Wien

Bezirksgericht Innere Stadt, Wien Grundbuchseinlage 919, Reichsratsstraße 1, Abteilung »B«

Russisches Militärarchiv, Moskau (RMM) F(onds) 1464 – Reichsprüfungsgesellschaft für die besetzten Ostgebiete m. b. H.

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Zeitschriften/Jahrbücher/Sammelbände Archiv für das Revisions- und Treuhandwesen (ab 1927) Der Wirtschaftsprüfer (1932–1934) Der Wirtschaftstreuhänder (ab 1934) Die nationale Wirtschaft (ab 1933) Handbuch der deutschen Aktiengesellschaften Kongress-Archiv (5. Internationaler Prüfungs- und Treuhandkongress, Berlin) 1938 Wirtschaftstreuhänder (WT)-Jahrbuch (ab 1935) Wirtschaftsprüfer (WP)-Nachrichten vertrauliche Mitteilungen des Instituts der Wirt- schaftsprüfer (ab 1932) Wirtschaftsprüfer-Verzeichnis 1936, 1951 Zeitschrift für das Treuhandwesen 1927–1931

Lexika Deutsche Biographische Enzyklopädie, München 1999. Klee, Ernst: Das Personallexikon zum Dritten Reich, Frankfurt a. M. 2003. Stockhorst, Erich: Fünftausend Köpfe. Wer war wer im Dritten Reich, Velbert 1967. Weiß, Hermann (Hg.): Biographisches Lexikon zum Dritten Reich, Frankfurt 2002. Habel, Walter: Wer ist wer? Das deutsche Who’s who, Berlin 1967.

310 Abkürzungsverzeichnis 6.5 Abkürzungsverzeichnis links: Anhang rechts: Abkürzungsverzeichnis

ADS Adler, Hans/Düring, Walther/Schmaltz, Kurt: Rechnungslegung und Prüfung der Aktiengesellschaft, Handkommentar für die Bilan- zierungs- und Prüfungspraxis, Stuttgart 1938 AG Aktiengesellschaft AktG Aktiengesetz Bl. Blatt/Blätter BWL Betriebswirtschaftslehre bspw. beispielsweise bzw. beziehungsweise DIHT Deutscher Industrie- und Handelstag DSGV Deutscher Sparkassen- und Giroverband Ebd. ebenda FAVAG Frankfurter Allgemeine Versicherungs-AG Fn. Fußnote GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung GVR Gewinn- und Verlustrechnung HGB Handelsgesetzbuch hfl holländische Gulden HTO Haupttreuhandstelle Ost IDW Institut der Wirtschaftsprüfer IHKn Industrie- und Handelskammer(n) Jg./Jge. Jahrgang/Jahrgänge Jhd. Jahrhundert OKW Oberkommando der Wehrmacht ORR Oberregierungsrat PrFM Preußisches Finanzministerium PrOK Preußische Oberrechnungskammer RDI Reichsverband der deutschen Industrie REM Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft RFM Reichsministerium der Finanzen RGBl. Reichsgesetzblatt RJM Reichsjustizministerium RLM Reichsluftfahrtministerium RM Reichsmark RMfBuM Reichsministerium für Bewaffnung und Munition RMO Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete RRH Rechnungshof des Deutschen Reiches RVM Reichsverkehrsministerium RWM Reichswirtschaftsministerium SA SS Schutzstaffel 311 Anhang TRM Tausend Reichsmark UK-Stellung Unabkömmlichstellung VfZ Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte VSWG Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte WP-Gesellschaft Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ZUG Zeitschrift für Unternehmensgeschichte

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