Harold James, Martin L. Müller. – ein deutscher Bankier: Briefe aus einem halben Jahrhundert 1900–1956. München: C.H. Beck Verlag, 2012. 645 S. ISBN 978-3-406-62795-8.

Reviewed by Martin Münzel

Published on H-Soz-u-Kult (September, 2012)

Verschiedene historische Veröfentlichungen Bankiersdynastie an – sowohl sein Vater Adolph der letzten Jahre etwa zu Friedrich Flick, Paul Sil‐ als auch sein Cousin Arthur Salomonsohn waren verberg oder Hans Matthöfer zeigen, dass wissen‐ Geschäftsinhaber der Disconto-Gesellschaft – und schaftlich anspruchsvolle biografsche Monograf‐ trat nach Jurastudium und Promotion 1900 eben‐ en zu deutschen Unternehmern nicht mehr mit falls in die Disconto-Gesellschaft ein. Vier Jahre der Lupe zu suchen sind. Dies gilt auch für Reprä‐ darauf zum Direktor ernannt und 1911 zum Ge‐ sentanten großer Bankhäuser und nicht zuletzt schäftsinhaber berufen, wurde Solmssen auf dem des führenden Unternehmens unter ihnen, der Höhepunkt seiner Karriere nach der Fusion des Deutschen Bank. Nachdem Lothar Gall 2004 eine Unternehmens mit der Deutschen Bank 1929 Vor‐ Untersuchung zum „man for all seasons“ Her‐ standsmitglied des neuen Branchengiganten Deut‐ mann Josef Abs vorgelegt hat und Avraham Bar‐ sche Bank und Disconto-Gesellschaft (DD-Bank) kai 2005 in einer Darstellung Leben und Wirken und fungierte schließlich 1933/34 als deren Spre‐ des bis 1933 als Vorstandsmitglied agierenden Os‐ cher. Hinzu kamen seine Position als Vorsitzender car Wassermann würdigte Lothar Gall, Der Banki‐ des Centralverbands des Deutschen Bank- und er . Eine Biographie, München Bankiergewerbes (1930–1933) sowie seine Manda‐ 2004; Avraham Barkai, und te in den Aufsichtsräten zahlreicher Großunter‐ die . Bankier in schwieriger Zeit, nehmen. Nach seinem Ausscheiden aus dem Vor‐ München 2005. , zeichnet nun eine von Harold Ja‐ stand 1934 blieb Solmssen bis 1938 Mitglied des mes und Martin L. Müller herausgegebene Briefe‐ Aufsichtsrats der Deutschen Bank und Disconto- dition ein facettenreiches Bild des in der breite‐ Gesellschaft und emigrierte dann in die Schweiz, ren Öfentlichkeit zu Unrecht eher unbekannten wo er schon 1934 einen zweiten Wohnsitz errich‐ Bankdirektors Georg Solmssen. tet hatte. Ohne wieder in die deutsche Wirtschaft Solmssen, 1869 als Georg Salomonsohn in zurückzukehren, starb Georg Solmssen 1957 in geboren, gehörte einer einfussreichen Lugano. H-Net Reviews

Eingeleitet wird der vorliegende Band durch durch Solmssen verkörpert wurde. So wird deut‐ einen 42-seitigen biografschen Essay von Harold lich, dass im Zuge der Fusion von 1929 zwei un‐ James, der sich vor allem auf die Korrespondenz terschiedliche Unternehmskulturen aufeinander‐ Solmssens und dessen 1934 erschienene Aufsatz- trafen, die sich nicht ohne Weiteres harmonisie‐ und Redensammlung stützt, die überhaupt als ren ließen. Als „Aktivum“ für die DD-Bank sei er aufschlussreiche Ergänzung herangezogen wer‐ sich bewusst, „daß noch viel zu thun ist, um die den kann. Georg Solmssen, Beiträge zur Deut‐ klassische Disciplin der Disconto[-]Gesellschaft ge‐ schen Politik und Wirtschaft 1900–1933. Gesam‐ genüber den laxeren Methoden, wie wir sie bei melte Aufsätze und Vorträge, 2 Bde., München u.a. der Leitung der Deutschen Bank vorgefunden ha‐ 1934. James umreißt die einfussreiche Position ben, mit Erfolg durchzusetzen“, so Solmssen noch Solmssens im Finanz- und Wirtschaftsgefüge des 1933 (20. Juli 1933, S. 372). Als auf Solidität be‐ Deutschen Reiches gerade in den schwierigen Jah‐ dachter, seinem Selbstverständnis nach einer ren nach der Hyperinfation, während der Welt‐ „einzigartigen Geschäftsaristokratie“ (7. März wirtschaftskrise und im Zuge der deutschen Ban‐ 1938, S. 447) entstammender Bankier drückte kenkrise von 1931. Dass Walther Rathenau Solms‐ Solmssen zudem immer wieder seine besondere sen Anfang 1922 das Amt des Reichsfnanzminis‐ Abscheu gegenüber dem Geschäftsinhaber der ters antrug, zeigte, wie weit dessen Bedeutung 1931 kollabierten Darmstädter und Nationalbank, auch in die politische Sphäre hineinreichte. Eine Jakob Goldschmidt, aus. Selbst in der Nachkriegs‐ wichtige Ergänzung stellen die editorischen An‐ zeit äußerte er sich noch verächtlich über den sei‐ merkungen von Martin Müller dar, die dem Leser ner Überzeugung nach riskanten und verantwor‐ noch einmal die aufwändige Sorgfalt bei der Zu‐ tungslosen Stil Goldschmidts und dessen Rolle als sammenstellung der verstreuten Briefe und Ak‐ „Repräsentant […] der Dekadenz der wirtschaftli‐ tenvermerke vor Augen führen. Ein Anhang mit chen Moral“ (4. März 1954, S. 524), wobei zweifel‐ Lebenslauf, Schriftenverzeichnis und einer Aufis‐ los auch die soziale Außenseiterstellung Gold‐ tung der Aufsichtsratsmandate Solmssens sowie schmidts innerhalb der Finanzelite eine Rolle ein umfangreiches Personenverzeichnis mit bio‐ spielte. grafschen Kurzinformationen runden das Buch Zum anderen scheint an vielen Stellen die ab. Seinen Kern bilden indes 381 ungekürzte, zwi‐ „nicht nur zutiefst patriotisch[e], sondern gele‐ schen August 1900 und Dezember 1956 von Georg gentlich auch ganz unverhohlen nationalis‐ Solmssen verfasste und an ihn gerichtete Schrei‐ tisch[e]“ (S. 12) Grundhaltung Georg Solmssens ben. Rund die Hälfte der Schriftstücke entstand in auf. Besonders nach dem Ende des Kaiserreichs der Weimarer Republik, ein Drittel datiert aus der legte er in Reden, Aufsätzen und Briefen ultrakon‐ NS-Zeit, wobei das Jahr 1933 einen Schwerpunkt servative und an preußischen Tugenden orien‐ bildet. tierte Einstellungen an den Tag, die schließlich so‐ Inhaltlich bezieht sich die Mehrzahl der Brie‐ gar in Sympathiebekundungen gegenüber natio‐ fe naturgemäß vor allem auf geschäftliche Vor‐ nalsozialistischen Ideen mündeten. Zwar warnte gänge, auf Solmssens Mitwirkung an wirtschaftli‐ Solmssen vor den radikalen Auswüchsen der NS‐ chen Rekonsolidierungsprozessen und seine Ein‐ DAP-Programmatik auf wirtschaftlichem Gebiet, stellung zu wirtschaftspolitischen Fragen. Will zeigte sich dann aber in einer in der Retrospekti‐ man darüber hinaus aus der Fülle der Informatio‐ ve erschreckend anmutenden Loyalität begeistert nen einige Hauptmotive herausgreifen, bietet die von der „für das von Herrn Hitler in so großarti‐ Korrespondenz zum einen spannende Einblicke ger [Weise] verwirklichte Ziel der nationalen Er‐ in eine von konservativem Verantwortungsbe‐ hebung“ (20. Juli 1933, S. 372). Und noch 1936 wusstsein geprägte Kapitalismustradition, wie sie setzte sich Solmssen bei wirtschaftlichen Ver‐

2 H-Net Reviews handlungen im Ausland für deutsche Interessen tismus, im Grossen und Ganzen sofort zu Kreuze ein und hielt einen patriotischen Vortrag. krochen und vergangene Bindungen rücksichtslos Dies wirkt umso befremdlicher, als Solmssen verleugneten“ (19. Dezember 1953, S. 515). – um einen dritten Schwerpunkt zu benennen, Insgesamt handelt es sich bei der Auswahl den die Edition auf besonders eindrucksvolle Wei‐ der Briefe Georg Solmssens um eine Edition, die se dokumentiert – wie kaum eine zweite Unter‐ in vorzüglicher Weise von Kennern der Materie nehmerpersönlichkeit der 1930er-Jahre in kämp‐ zusammengestellt und bearbeitet worden ist. Zum ferischen und aufrüttelnden, aber auch von tiefer besseren Verständnis mancher Ansichten Solms‐ Verbitterung geprägten Briefen die Stigmatisie‐ sens als Bankier wünschte man sich zwar viel‐ rung und Entrechtung der jüdischen Deutschen leicht noch einige (direktere) Einblicke in seinen anprangerte. Schon 1930 hatte die Jüdische Rund‐ familiären und sozialen Hintergrund. Aber schon schau die Wahl des 30 Jahre zuvor vom Judentum allein dank der Produktivität Solmssens als Brie‐ zum Protestantismus konvertierten Solmssen zum feschreiber und seines hohen sprachlichen Ni‐ Vorsitzenden des Banken-Centralverbands zum veaus erweist sich der Band als wertvolle Quelle Anlass genommen, kritisch auf seine angebliche und Glücksfall für die (nicht nur unternehmens-) „Anbiederung“ an die Nationalsozialisten hinzu‐ historische Forschung. weisen, und festgestellt: „Wir glauben nicht, daß es Herrn Solmssen gelingen wird, Gnade vor den Augen der Herren Hitler und Goebbels zu fnden.“ Mangel an Würde, in: Jüdische Rundschau, Nr. 100, 19.12.1930. Und in der Tat sah sich Solmssen bald nach der Machtübergabe wie viele andere Unternehmer jüdischer Religion oder Herkunft dazu gezwungen, sich gegen die völlige Hinaus‐ drängung aus dem Wirtschaftsleben zur Wehr zu setzen. Ein zwei Tage nach Erlass des „Berufsbe‐ amtengesetzes“ an den Aufsichtsratsvorsitzenden der Deutschen Bank, Franz Urbig, gerichteter und in der Forschung immer wieder zitierter Brief kann in diesem Zusammenhang als eines der im‐ ponierendsten Dokumente des Bandes gelten. Mit visionärer Scharfsicht äußert Solmssen darin die Befürchtung, noch am Anfang einer Entwicklung zu stehen, „welche zielbewußt, nach wohlaufge‐ legtem Plane auf wirtschaftliche und moralische Vernichtung aller in Deutschland lebenden Ange‐ hörigen der jüdischen Rasse, und zwar völlig un‐ terschiedslos, gerichtet ist“ (9. April 1933, S. 357; vgl. auch 22. Mai 1934, S. 410). Und noch 1953 er‐ innerte Solmssen seinen früheren Vorstandskolle‐ gen Oswald Rösler an die „Weichheit der wirt‐ schaftlichen Kreise“, die nach Beginn der Diktatur „gegenüber den ersten Ausartungen des Nazis‐ mus, insbesondere auf dem Gebiet des Antisemi‐

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Citation: Martin Münzel. Review of James, Harold; Müller, Martin L. Georg Solmssen – ein deutscher Bankier: Briefe aus einem halben Jahrhundert 1900–1956. H-Soz-u-Kult, H-Net Reviews. September, 2012.

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