25 Jahre Deutsche Einheit – Fernsehnutzung in Ost Und West 455 | Media Perspektiven 10/2015
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453 | Media Perspektiven 10/2015 einige Kommissare der nach 1992 im Ersten Pro- Angleichungen und Unterschiede gramm der ARD weitergeführten Krimireihe Polizei- ruf 110, sowie weitere Sendereihen, Moderatoren und Darsteller, die von den neugegründeten Dritten 25 Jahre Deutsche Programmen der ARD oder auch anderen Sendern Einheit – Fernsehnutzung übernommen wurden (z. B. „Außenseiter Spitzen- reiter“, „Umschau“, „Defa Märchen“, als Modera- in Ost und West toren und Darsteller Carmen Nebel oder Wolfgang Von Gerlinde Frey-Vor* und Inge Mohr** Lippert, Wolfgang Stumpf, Andreas Schmidt- Schaller, Wilfried Glatzeder u.a.). Mit der Nutzung und Rezeption von medialen Angeboten im Transformationsprozess beschäftig- Die deutsche Wiedervereinigung im Jahre 1990 te sich 1994/1995 eine erste Schwerpunktstudie gilt – wie auch die politische und gesellschaftliche der ARD/ZDF-Medienkommission, die sogenannte Transformation unserer osteuropäischen Nachbar- Ost-Studie. Die Studie suchte nach Gründen für die staaten – inzwischen als einer der großen gesell- abweichende Fernsehnutzung in den neuen Bun- schaftspolitischen Umbrüche der jüngeren Ge- desländern und stellte unterschiedliche Bedürfnis- schichte. Die Vereinigung der Menschen, die mehr lagen fest. (3) als 40 Jahre in getrennten Staatssystemen lebten, wurde durch den offiziellen Akt der politischen In den Folgejahren wurde in mehreren Studien das 1990er Jahre: Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 jedoch nicht Nutzungs- und Rezeptionsverhalten in den neuen Ostdeutsche sehen vollendet. Sie ist vielmehr Teil eines andauernden Bundesländern untersucht und mit dem in den anders fern als Transformationsprozesses. Dieser Prozess betrifft alten Bundesländern verglichen. (4) Der Hauptfokus Westdeutsche die Menschen beider deutscher Teilstaaten. Für die lag dabei – wie schon bei der Ost-Studie von 1994/ Ostdeutschen hat er jedoch über lange Jahre mehr 1995 – auf dem Fernsehen. Hörfunk- und Printme- Veränderungen mit sich gebracht als für die West- dien wurden ergänzend einbezogen. Kernbefunde deutschen. dieser Forschung waren: – Ostdeutsche sehen länger fern als Westdeutsche. Deutsche Einheit Als ein Element in diesem Prozess veränderte sich – Ostdeutsche nutzen mehr als Westdeutsche kom- veränderte das das Mediensystem in Ostdeutschland grundle- merzielle Sender und weniger öffentlich-recht- Mediensystem gend. Es wurde an die Anforderungen einer demo- liche. Ostdeutschlands kratischen Gesellschaftsordnung und des deutschen – Unter den öffentlich-rechtlichen Sendern haben Föderalismus angepasst sowie im Bereich der pri- die Dritten Programme der ARD im Osten einen vatrechtlichen Medien auch an marktwirtschaft- Akzeptanzbonus. liche Strukturen. (1) Im öffentlich-rechtlichen Rund- – Ostdeutsche widmen sich in größerem Umfang funk wurden für die Bundesländer Sachsen, Sach- als Westdeutsche Infotainment- und Unterhal- sen-Anhalt und Thüringen sowie für Brandenburg tungsangeboten. 1991 zwei neue Landesrundfunkanstalten, der – Ostdeutsche haben von Anfang an eine stärker Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) und der Ostdeut- überlappende Nutzung von privaten und öffent- sche Rundfunk Brandenburg (ORB), gegründet. Die lich-rechtlichen Sendern. Gebiete Ost-Berlin und Mecklenburg-Vorpommern – Ostdeutsche haben zum Teil von den Westdeut- wurden in zwei schon vorher existierende Landes- schen abweichende Erwartungen an Sender und rundfunkanstalten, den Norddeutschen Rundfunk Programme. (NDR) und den Sender Freies Berlin (SFB), integ- – Medien sollen für Ostdeutsche vor allem einen riert. Im Jahr 2003 wurde aus SFB und ORB eine Nutzwert haben und werden weniger als von gemeinsame Landesrundfunkanstalt für Berlin und Westdeutschen als Mittel der sozialen und kul- Brandenburg, der RBB. turellen Differenzierung verwendet. – Ostdeutsche erwarten aber – scheinbar im Wi- Integration Im öffentlich-rechtlichen wie auch im privatrecht- derspruch zu ihrem größeren Maß an Nutzung Ostdeutschlands in lichen Mediensektor lagen die Akzente auf einer privater Fernsehsender – von öffentlich-recht- mediale Strukturen Integration Ostdeutschlands in die bestehenden lichen Sendern mehr als von privaten Sendern. der alten BRD medialen Strukturen der alten Bundesrepublik. Dies – Gegenüber den öffentlich-rechtlichen wird stär- bedeutete aber auch – wie aktuell in einer Recher- ker als gegenüber den privaten Fernsehprogram- chestudie des Berlin Instituts festgestellt wird –, men der Wunsch artikuliert, Themen und Akteure dass bekannte Sendungen des DDR Fernsehens aus Ostdeutschland zu sehen, die den eigenen und „die Stars der DDR-Musik- und Medienwelt Identitätsbedürfnissen entsprechen. mit der deutschen Einheit über Nacht aus den Fernseh- und Radiosendungen verschwunden“ waren. (2) Davon gab es nur relativ wenige Aus- nahmen, wie zum Beispiel das „Sandmännchen“, ** MDR Medienforschung. ** RBB Medienforschung. Gerlinde Frey-Vor/Inge Mohr Media Perspektiven 10/2015 | 454 Bestehen die Der vorliegende Beitrag nimmt anlässlich des Deutschland lag 2013 bei 44,2 Jahren, in den öst- Unterschiede auch 25-jährigen Jubiläums der deutschen Wiederver- lichen Flächenländern deutlich darüber: Sachsen- heute noch? einigung und 20 Jahre nach der Veröffentlichung Anhalt 47,3 Jahre (Differenz gegenüber 1991: der ersten Oststudie von ARD und ZDF bei einigen +8,5 J.), Thüringen 46,7 Jahre, (+8,4 J.), Sachsen der oben wiedergegebenen Befunden eine aktuali- 46,6 Jahre (+6,8 J.), Brandenburg 46,6 Jahre sierte Bestandsaufnahme vor, um festzustellen, ob (+9,1 Jahre), Mecklenburg-Vorpommern 46,3 Jahre sie noch zutreffen oder ob sich Ost- und Westdeut- (+10 J.). Dagegen ist die Bevölkerung in Berlin mit sche inzwischen ganz oder teilweise angenähert 42,8 Jahren (+3,6 J.) wesentlich jünger und zählt haben. Der Hauptfokus dieses Beitrages liegt – mit jener in Hamburg 42,4 Jahre (+0,9 J.) zu den wie bei den veröffentlichten Analysen und Studien jüngsten. Die größte Differenz und damit die der Vergangenheit – auf dem Fernsehen. stärkste Alterung aller Länder weist Mecklenburg- Vorpommern auf (+10 J.). Sozioökonomische Entwicklung und Mediennutzung Der Anteil der Migranten und Menschen mit Migra- Wenige Migranten in Mediennutzung hängt von verschiedenen Faktoren tionshintergrund ist in Westdeutschland erheblich östlichen Ländern ab. Nicht nur persönliche Vorlieben und Gewohn- höher als im Osten: 87 Prozent der Migrantinnen heiten prägen das Nutzungsverhalten, sondern auch und Migranten leben in den westlichen Flächen- strukturelle Gegebenheiten wie Altersstruktur, Ein- ländern, 10 Prozent in den Stadtstaaten und ledig- kommen, Beschäftigungssituation oder das Lebens- lich 3 Prozent in den östlichen Flächenländern. umfeld wirken sich auf die Mediennutzung aus. Eine Entwicklung in der deutschen Gesellschaft Mehr Privathaushalte Bevölkerungs- Am 29. September 2015 legten die Statistischen betrifft sowohl die westlichen als auch die öst- in Ost wie West rückgang im Osten Ämter des Bundes und der Länder einen Bericht lichen Haushalte: die zunehmende Individualisie- Deutschlands zum Thema „25 Jahre Deutsche Einheit“ vor. (5) rung und der steigende Anteil der älteren Bevölke- Demnach ist die Bevölkerungszahl in Ostdeutsch- rung insgesamt. Da die Anzahl der Ein- oder Zwei- land deutlich gesunken. Mehr als zwei Millionen personenhaushalte ansteigt, resultiert daraus eine Menschen sind nach der Einheit abgewandert. höhere Anzahl an Privathaushalten im Vergleich Aber auch der Geburtenrückgang seit dem Mauer- der Jahre 1991 und 2013. Gab es unmittelbar nach fall trägt zu dieser Entwicklung bei. Die prozentual der deutschen Wiedervereinigung gut 35 Millionen stärksten Verluste wurden im Vergleich der Jahre Haushalte, so waren es 2013 knapp 40 Millionen, 1991 und 2013 in Sachsen-Anhalt (-20,5 %), Thürin- ein Zuwachs von 4,7 Millionen (+13,3 %). Auch die gen (-16,0 %), Mecklenburg-Vorpommern (-15,6 %), Strukturen in den Haushalten haben sich gewandelt. Sachsen (- 13,5 %), Brandenburg (-3,7 %) und Ber- Die klassische „Familie“ geht bundesweit zurück. lin (-0,7 %) festgestellt. In den östlichen Flächen- Es gibt mehr unverheiratete Eltern und Alleinerzie- ländern summiert sich der Rückgang auf -13,9 Pro- hende, und den größten Zuwachs verbuchten die zent, während die westlichen Flächenländer um Ein-Personen-Haushalte, die in den westlichen Flä- +4,1 Prozent zugelegt haben. Dies ist nicht allein chenländern 39 Prozent ausmachen, in den öst- durch die Zuwanderung aus dem Osten begründet, lichen 40 Prozent und in den Stadtstaaten 53 Pro- sondern auch durch die Menschen, die aus dem zent. Entsprechend geringer ist der Anteil der Ausland nach Deutschland gekommen sind. (6) Haushalte, in denen Kinder leben. Das Verhältnis liegt bei etwa 70:30, während es 1991 noch etwa Abwanderung nach Der Trend der Abwanderung von Osten nach Wes- 60:40 betrug. (7) Westen lässt nach ten lässt jedoch immer weiter nach, und dies ist keine Einbahnstraße, sondern es sind auch viele Die ökonomischen Lebensbedingungen haben sich Ökonomische Lage Westdeutsche in den Osten gegangen. Zwar bleibt im Osten Deutschlands um Einiges verbessert. In verbessert der Wanderungssaldo insgesamt negativ, im Jahr Ostdeutschland ist die Arbeitslosenquote zwar wei- 2013 sind jedoch, Berlin einbezogen, erstmals mehr terhin höher als im Westen, der Abstand hat sich Menschen in den Osten gezogen als umgekehrt. jedoch in den vergangenen Jahren verringert (8) und Neben Berlin gilt dies insbesondere für Sachsen betrug im Jahr 2014 in Westdeutschland 5,9 Pro- (vor allem Leipzig). zent und in Ostdeutschland 9,8 Prozent (gesamt: 6,7 %).