Der Heidengraben „Ein geheimnisvolles Befestigungswerk aus uralter Zeit“

Auf den ersten Blick liegen sie wie zufällig verstreut auf der Albhochfläche zwi- schen Bad Urach und dem Tal der Lenninger Lauter, rund 35 km südöstlich von Stuttgart: Ein halbes Dutzend Abschnittswälle, die allesamt „Heidengraben“ heißen und zwischen wenigen Hundert bis deutlich über 1000 m Länge auf- weisen. Die stark zergliederte Berghalbinsel um die Ortschaften Erkenbrechts- weiler, und Hülben ist nur durch eine schmale Landbrücke mit der Albhochfläche verbunden und bildet mit den frühkeltischen Hügelgräbern beim Burrenhof und der spätkeltischen Befestigungsanlage des Heidengrabens eine bedeutende eisenzeitliche Fundlandschaft in Baden-Württemberg. Dorothee Ade/ Gerd Stegmaier/ Andreas Willmy

Forschungsgeschichte „Elsachstadt“ sowie an den Toren A und F klären. Danach rückten die Mauertechnik sowie die Tor- Die auffälligen Wälle und Gräben waren seit je- anlagen und deren mögliche mediter rane Vorbil- her Orientierungsmarken im Gelände, deren Her- der in den Blickpunkt der Forschung, wobei hier kunft man nur vermuten konnte. Bereits im Uracher jedoch keine weiteren Ausgrabungen stattfanden. Lagerbuch von 1454 ist vom „Haidengraben zu Schließlich fasste Franz Fischer, Professor für Ur- Nyffen [Neuffen]“ die Rede, dem Relikt einer un- und Frühgeschichte an der Universität Tübingen, vordenklichen, heidnischen Vergangenheit. Die 1971 den Forschungsstand zur Befestigung und lange Periode des Spekulierens über den Ursprung den wichtigsten Funden zusammen. Sein Stan- der Befestigungen beendete Landeskonservator dardwerk wurde bis 1982 zweimal neu aufgelegt. Eduard Paulus d.J. 1882 mit seiner überzeugenden Erst 30 Jahre später erfolgte für das „Keltenjahr“ Zuordnung in vorrömische Zeit. Dass die Wälle zu 2012 und angesichts der mittlerweile hinzuge- einem der von Cäsar in Gallien beschriebenen kommenen Erkenntnisse und Neufunde eine Neu- 1 Trauf der Schwäbischen spätkeltischen Oppida gehörten und nicht zu den bearbeitung auf aktuellem Forschungsstand. Alb von Nordwest. Im Vor- älteren Grabhügeln beim Burrenhof, konnte Fried- dergrund der Heidengra- rich Hertlein noch vor dem Ersten Weltkrieg durch Frühe Besucher ben. Grabungen am Wall der von ihm so benannten Die Kelten waren nicht die ersten, die die Hochflä - che um den Heidengraben aufsuchten. Steinarte- fakte bezeugen eine Begehung von der Eiszeit bis ins 3. Jahrtausend v.Chr. Halbfabrikate, Abfälle und fehlende Siedlungskeramik zeigen, dass die jungsteinzeitlichen Bauern offenbar nicht zum Sie- deln auf die Hochfläche kamen, sondern um nach dem dort anstehenden Jurahornstein zu schürfen. Während aus der mittleren Bronzezeit (1600– 1300 v.Chr.) nur ein Grabhügel mit Schwert und Armringen bei bekannt ist, gibt es aus der jüngeren Urnenfelderzeit (1000– 800 v.Chr.) verstärkt Spuren von Besiedlung. Bei Grabungen am Tor G des spätkeltischen Walls kam 1981 eine große Menge spätbronzezeitlicher Kera - mikscherben zum Vorschein, die auf eine nahe ge- legene Siedlung hinweisen. Außer einigen Gräbern beim Burrenhof kennt man aus dieser Zeit einen weiteren, 1929 entdeckten Grabhügel bei Hülben

82 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2013 sowie ein 1916 am Hang des Hohenneuffen ge- fundenes außergewöhnliches Bronzegehänge.

Burrenhof und Strangenhecke

Das Grabhügelfeld beim Burrenhof ist einer von mehreren Bestattungsplätzen der späten Bronze- und frühen Eisenzeit im Gebiet des Heidengra- bens. Seinen Namen verdankt das Gräberfeld ei- nem 1838 gegründeten landwirtschaftlichen Be- trieb, dessen Benennung auf die noch sichtbaren Grabhügel („Burren“) zurückgeht. Erste Ausgrabungen fanden hier Mitte und Ende des 19. Jahrhunderts statt. Sie zielten vor allem auf die Zentralgräber der Hügel mit ihren reichen Bei- gaben, von denen einige bis heute ein wichtiger Bestandteil der Dauerausstellung des Landesmu- seums Württemberg in Stuttgart sind. Zwischen 1983 und 1990 sowie ab 2004 führte die archäologische Denkmalpflege erneut Untersu- chungen am Burrenhof durch. Sie waren notwen- dig geworden, da intensive Landwirtschaft sowie Straßenbau die Reste noch erhaltener Grabhügel gefährdeten. Die Ergebnisse dieser modernen Gra- stattungsplätzen frühkeltischer Zeit in Baden- 2 Gesamtplan des Gräber- bungen übertrafen die Erwartungen bei Weitem Württemberg. Insgesamt konnten bis dato rund felds beim Burrenhof mit und erbrachten zahlreiche neue Ergebnisse zum 30 Grabhügel gezählt werden, aus denen etwa Bestattungen der späten Bestattungsbrauchtum und der damit verbunde- 40 Bestattungen der frühen Eisenzeit stammen. Bronze- (UK) und frühen nen Grabarchitektur während der frühen Eisenzeit. Weitere acht Brandgrubengräber der Hallstattzeit Eisenzeit (HA). Darüber hinaus ermöglichte in den letzten Jahren (800– 450v.Chr.) sowie drei der Urnenfelderzeit der Förderverein für Achäologie, Kultur und Tou- (1200– 800v.Chr.) fanden sich zwischen oder un- rismus (FAKT e.V.) großflächige geomagnetische ter den Hügeln (Abb. 2). Die Zahl der Bestattungen Messungen und Grabungen mit dem Ziel, die dürfte ehemals noch wesentlich größer gewesen 3 Gefäß und Bruch stück Nekropole am Burrenhof in ihrer Gesamtheit zu er- sein, doch wurden die meisten Gräber wohl bereits eines Bronzearmrings aus dem spätbronzezeitlichen fassen. Die Untersuchungen dauern nach wie vor durch natürliche Erosion der Hügel, landwirtschaft- Brandgrab eines 9-jährigen an und werden die archäologische Forschung und liche Eingriffe und die Grabungen des 19. Jahr- Kindes beim Burrenhof. Denkmalpflege auch in den kommenden Jahren hunderts zerstört. beschäftigen. Die ältesten am Burrenhof geborgenen Bestattun- 4 Alb-Hegau-Keramik aus Dennoch zählt die Nekropole beim Burrenhof gen sind Grablegen der Urnenfelderkultur, die als der Zentralbestattung von bereits heute zu den am besten erforschten Be- einfache Gruben in den Boden eingetieft waren Hügel F beim Burrenhof.

Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2013 83 5 Goldohrringe aus einem Männergrab (Dm. ca. 1,3 und 1,6 cm).

6 Bronzene Spiralfibel der frühen Latènezeit aus einem Grubenhaus der Siedlung „Strangenhecke“ (L. ca. 3,0 cm).

7 Der späthallstattzeit- liche Dolch mit eiserner Klinge und Bronzegriff steckt in einer Eisen- und in denen sich neben den verbrannten Skelett- nun unverbrannt, in aller Regel als Nachbestattung scheide, an der noch resten Beigaben aus Bronze und Keramik fanden. in bereits bestehenden Grabhügeln beigesetzt. Reste von Leder und Darunter ist ein nur 8 cm hohes, filigran gearbeite - Neue Hügel wurden nur noch selten aufgeschüttet. Textil haften. tes Zylinderhalsgefäß hervorzuheben, das 2006 im Ebenso zeigt sich ein Wechsel in der Beigabensitte. Grab eines etwa neunjährigen Kindes entdeckt Waren es in der älteren Hallstattzeit vor allem As- wurde (Abb. 3). pekte des Toten- oder Gastmahls, so spiegeln sich Mit dem Übergang zur Eisenzeit kam es ab dem nun vor allem Rang und Status der verstorbenen 8. Jahrhundert v.Chr. zur Aufschüttung mächtiger Person in den Grabbeigaben wider. Schmuck- Tumuli aus Erde mit hölzernen Grabkammern im gegenstände wie Gürtelbleche, Ohr-, Arm- und Zentrum. Nach wie vor wurden die Verstorbenen Beinringe aus Bronze sowie Perlenketten und Arm- in dieser Zeitstufe, der älteren Hallstattkultur (800– bänder aus Lignit und Gagat dominieren das Fund- 650 v.Chr.), vor der Bestattung auf einem Schei- spektrum. Als neue Errungenschaft treten erstmals terhaufen verbrannt. Als Beigaben finden sich in Fibeln auf, die als eine Art Sicherheitsnadel zum den Gräbern Schmuck- und Trachtbestandteile aus Verschluss der Kleider dienten. Metall, zu denen unter anderem diverse Arm- und Als Status- und Rangabzeichen müssen auch die Beinringe gehören. Zum Verschluss der Gewänder eisernen Waffen der Männergräber erachtet wer- dienten Nadeln aus Bronze oder Eisen. Darüber den. Unter ihnen stellt die Beigabe kunstvoll ge- hinaus sind für diesen Abschnitt der Hallstattzeit arbeiteter Dolche eine Besonderheit dar (Abb. 7). kleine Toilettebestecke charakteristisch, wie sie Gleiches gilt für Schmuck aus Gold (Abb. 5). Mehr auch am Burrenhof mehrfach geborgen werden als jedes andere Objekt unterstreicht jedoch ein konnten. Sie bestehen meist aus einem Nagel- vierrädriger Wagen den Status einer verstorbenen schneider, einer Pinzette und einem kleinen Ohr- Person. Deshalb ist ein solcher am Burrenhof be- löffelchen aus Bronze. merkenswert. Des Weiteren finden sich in den Gräbern dieser Zeitgleich mit der Nekropole existierten auf dem Zeit umfangreiche Keramiksätze, die geometrische Gebiet des späteren Heidengraben Ritz-, Stempel- und Kerbschnittverzierungen so- mehrere Siedlungen. Von diesen ist bislang nur die wie Bemalung mit roter Farbe und schwarz glän- späthallstatt- und frühlatènezeitliche Fundstelle in zendem Grafit aufweisen. Ergänzt wurde dieses der „Strangenhecke“ genauer untersucht. Neuere mehrfarbige Dekor durch eine Füllung der plasti- Grabungen in den Jahren 1994 bis 1999 durch das schen Vertiefungen mit weißer Inkrustationspaste Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäolo- (Abb. 4). Diese sicher nicht für den alltäglichen Ge- gie des Mittelalters der Universität Tübingen er- brauch gefertigte und nach ihrem Verbreitungs- brachten ein reichhaltiges Inventar an Metall- und gebiet Alb-Hegau-Keramik genannte Tonware Keramikfunden des 5. bis 3. Jahrhunderts v.Chr. findet sich vor allem in Gräbern und zeigt einen Hervorzuheben ist dabei eine vollständig erhaltene eindeutigen Bezug zu rituellen und sakralen Hand- Spiralfußfibel der frühen Latènezeit (Abb. 6). Meh- lungen. Die paarweise Beigabe von Tellern, Ke- rere Werkstatt- und Wohnstrukturen sowie die zu- gelhalsgefäßen und dazugehörigen Schälchen gehörigen Vorrats- und Abfallgruben vermitteln deutet in Richtung einer rituellen Speisung oder das Bild einer Siedlung, in der neben Landwirtschaft eines Gastmahls im Totenreich. und alltäglichem Nahrungserwerb die Herstellung Ab der jüngeren Hallstattzeit (650– 450v.Chr.) än- von Keramik und Textilien sowie die Verarbeitung derte sich der Bestattungsritus. Die Toten wurden von Bronze betrieben wurden.

84 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2013 In der nachfolgenden mittleren Latènezeit (ca. lischen Bronzekanne gehört. Solche „Kelheimer 250– 150v.Chr.) scheint das Heidengrabengebiet, Kannen“ sind auch aus anderen Oppida überlie- dem fehlenden Fundniederschlag nach, weitge- fert. Aus dem Odenwald stammt dagegen der hend verlassen gewesen zu sein. Stein für mehrere Handdrehmühlen, die vermut- lich wie die Weinamphoren auf dem an- Das größte auf dem transportiert wurden. europäischen Festland Die zahlreichen Fragmente verschiedener Armrei- fen und Perlen aus meist mehrfarbigem Glas spre- Schluss- und Höhepunkt der keltischen Besiedlung chen für ihre Herstellung am Ort, zumal manche bildet das Oppidum des späten 2. und frühen Typen fast nur auf dem Heidengraben vorkommen 1. Jahrhunderts v.Chr., dessen Wallanlagen noch (Abb. 9). Man produzierte aber wohl kaum nur für heute beeindrucken. Der steil aufragende und von den Eigenbedarf. Das Rohglas musste aus dem Bal- tiefen Taleinschnitten zerklüftete Nordrand der kan- oder Ostmittelmeerraum eingeführt werden, Schwäbischen Alb bot seit jeher vielfältige Mög- vermutlich über die Donau. Das meiste Handels- lichkeiten für Befestigungen jeder Größe, niemand gut dürfte jedoch vergänglich gewesen und heute aber nutzte die Topografie so großzügig und effi- nicht mehr nachweisbar sein, etwa Nahrungs - zient wie die Baumeister des Oppidums. Wohl- mittel, Salz oder auch Sklaven. Was etwa mit der überlegt platzierte Wallabschnitte von zusammen 1998 gefundenen Balkenschnellwaage mit einem kaum 2,5 km Länge queren die Engstellen der Wiegebereich bis weit über 100 kg abgewogen Hochfläche von Steilhang zu Steilhang und um- wurde, ist völlig offen (Abb. 10). schließen so eine Fläche von fast 1700 ha (17 km2) Neben den gewöhnlichen Überresten des Alltags- (Abb. 8). Damit ist dies das größte Oppidum des lebens fügen sich die Spuren von Eisen- und Bunt- europäischen Festlands. metallverarbeitung gut ins Bild eines Oppidums. Der Standort hatte noch weitere Vorzüge. Inner- Hauptsächlich aufgrund der intensiven Bodenbe- und außerhalb der Wälle liegen 2000 ha frucht- arbeitung sind aussagekräftige Befunde und baren Ackerbodens, der nur zum kleinsten Teil als Strukturen jedoch allgemein spärlich. Siedlungsfläche diente. Zudem ist hier trotz der Ein zugehöriger Friedhof ist, wie so oft, bisher nicht Höhenlage um 700 m das lokale Klima milder als bekannt und angesichts der noch recht rätselhaf- in den Nachbarregionen der Albhochfläche. Den ten Bestattungssitten dieser Zeit vielleicht auch notorischen Wassermangel des Albkarstes mildern nicht zu erwarten. Noch zu klären ist zudem die mehrere Vulkanschlote, über deren undurchlässi- Rolle des Gräberfelds beim Burrenhof in spätkel- 8 Im Laserscan treten die gen Basaltstotzen sich bis heute Wasserstellen fin- tischer Zeit. Zahlreiche Funde und Befunde der jün- obertägig erhaltenen den und die auch die Standorte der heutigen Ort- geren Latènezeit legen eine Nutzung des Areals als Befestigungen und ihre schaften bestimmten. Hinzu kommen Quellhori- Ritual- und eventuell auch als Bestattungsplatz zur Einbindung in die Topo- zonte an den Abhängen zu den umgebenden Zeit des Oppidums nahe. grafie deutlich hervor. Tälern. Die aussichtsreiche Lage ermöglichte die Kontrolle des Neckartals, der Albaufstiege im Erms- und Lau- tertal und auch über den kürzesten Weg zwischen Neckar und der von hier nur gut 30 km entfern- ten Donau. Die Einbindung in überregionale Handelsnetze gilt als weiteres wesentliches Merkmal der Oppida. Obwohl bisher kaum ein Prozent der enormen Flä- che dieses Oppidums ergraben wurde, liegen vom Heidengraben dank intensiver Feldbegehungen ehrenamtlicher Mitarbeiter der Denkmalpflege zahlreiche Zeugnisse weitreichender Beziehungen vor. Dies sind zunächst erstaunlich viele Bruchstücke römischer Weinamphoren. Sie dürften mehr als 2000 l eingeführten Weines repräsentieren, was aber gewiss nur einen Teil der ursprünglichen Men - ge darstellt. Ihre Datierung in die Jahre 130/ 120 bis 100/90 v.Chr. wird wohl zugleich in etwa die Blütezeit des Oppidums umreißen. Auf eine wohl- habende, Wein trinkende Oberschicht deutet auch eine kleine Attasche hin, die zum Henkel einer ita-

Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2013 85 Wallanlagen Den eigentlichen Kern des Oppidums bildet die 153 ha große Elsachstadt, von wo auch die aller- Die oft noch über 3 m hoch erhaltenen Wälle des meisten Siedlungsnachweise stammen. Sie wird Oppidums sind die Überreste typischer Pfosten- zur Hochfläche hin von einem Wall mit Doppel- schlitzmauern aus Stein, Holz und Erde und nur der graben und drei Toren sowie dem zur Außenbe- augenfälligste Teil der Gesamtanlage. festigung gehörenden Wall im Lauereck begrenzt. Die äußere, die Gesamtfläche einschließende Be- Offenbar nur um die Elsachstadt waren auch die festigung besteht aus vier Wallabschnitten mit vor- steilen Talhänge gesichert: Eine rund 1 bis 3 m gelegtem Graben und je einem Tor. Sie sperren die breite, sich terrassenartig an oder knapp unterhalb Verbindung zur Albhochfläche und schließen drei der Hangkante entlangziehende Verebnung wird schwerer zu sichernde, unübersichtliche Bereiche als Basis einer leichten, bisher nicht näher unter- der Berghalbinsel aus. Das zeitliche Verhältnis der suchten Befestigung interpretiert, ergänzt durch einzelnen Abschnitte zueinander innerhalb des kleinere Wälle, die die in die Hochfläche ein- 2./1. Jahrhunderts v.Chr. ist noch nicht genauer schneidenden Seitentälchen sperren. bestimmbar, da bisher nur deren zwei (an insge- 9 Die ringförmigen Glas- samt drei Stellen) modern untersucht werden Tiguriner? Riusiava? perlen wurden möglicher- konnten. So ist etwa auch die Rolle des Walls durch weise im Oppidum selbst Grabenstetten, der augenscheinlich als eine Art Leider sehr spekulativ sind Erwägungen, ob der aus importiertem Rohglas zweite Linie ebenfalls gegen die Albhochfläche ge- Heidengraben Hauptort der Tiguriner gewesen hergestellt. richtet war, bisher nicht befriedigend erklärbar. sein könnte. Dieser Teilstamm der Helvetier be- Die für Oppida charakteristischen Zangentore wur- wohnte vor deren Rückzug ins Schweizer Mittel- 10 1988 wurden nahe den auf dem Heidengraben je nach Gelände als land Teile von Südwestdeutschland. Bekannt ist, Tor B zusammen mit dem Stein einer Hand- trichterförmige (Abb. 11), recht- oder schiefwink- dass sich ein Kontingent Tiguriner dem Zug der drehmühle die eisernen lige Varianten errichtet, wobei das von Hertlein Kimbern und Teutonen durch Süddeutschland Bestandteile einer 1906 sondierte Tor F mit seiner rund 35 m langen nach Gallien angeschlossen hatte. Die Verbindung Waage mit Steingewicht Torgasse zu den größten und besterhaltenen sei- zum Heidengraben fußt jedoch lediglich auf der ge funden. ner Art gehört. Interpretation einiger Münzfunde. Auch die Gleichsetzung mit dem Ort Riusiava, den der Geo- graf Claudius Ptolemäus im 3. Jahrhundert n.Chr. in Süddeutschland verortet, ist nicht gesichert. Ebenso wie der Anlass für die Gründung des Op- pidums liegt auch das Ende der Anlage im Dun- keln. Wie viele andere in Süddeutschland wurde sie in der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts v.Chr. verlassen. Spuren einer gewaltsamen Zerstörung fanden sich nicht. Anscheinend gerieten die über- regionalen politischen und wirtschaftlichen Struk- turen weithin in Auflösung. Welche Rolle das Vor- dringen von Germanen nach Süden oder das der Römer nach Gallien, innere Konflikte oder andere Faktoren dabei spielten, ist offen.

Pause nach den Kelten

Nach dem Ende des Oppidums setzte die Besied- lung offenbar aus. Erst nach der römischen Beset- zung der Alb um 85 n.Chr. scheinen hier wieder mehrere Gutshöfe oder Herbergen (mansiones) gestanden zu haben, aus denen auch eine 1870 entdeckte, leider verschollene Götterstatuette stam- men dürfte sowie ein 2008 gefundenes Köpfchen des Kriegsgottes Mars mit Helmbusch. 291 römi- sche Schuhnägel im Straßenschotter belegen, dass der Weg durch Tor G noch in Benutzung war. Nach Abzug der Römer um 260 n.Chr. sind erst wieder aus dem 7. Jahrhundert Spuren einer ala- mannischen Besiedlung nachweisbar. Das Grab eines bewaffneten Kriegers und Siedlungsfunde legen die Gründung Grabenstettens in dieser Zeit Thomas Knopf u.a.: Der Heidengraben bei Graben- 11 Das Tor G der spät - nahe, für Hülben und Erkenbrechtsweiler fehlen stetten. Universitätsforschungen zur Prähistorischen keltischen Befestigung bislang entsprechende Belege. Spärliche Keramik - Archäologie, Bd. 141, Bonn 2006. wurde nach den Ergebnis- funde sprechen für eine nur schwache Besiedlung Franz Fischer: Der Heidengraben bei Grabenstetten. sen der Ausgrabungen von 1981 teilrekonstruiert. im Mittelalter. Dennoch scheint die Hochfläche des Ein keltisches Oppidum auf der Schwäbischen Alb. Heidengrabens auch in dieser Zeit von Interesse Führer zu archäologischen Denkmälern in Baden- 12 Blick aus Südost über gewesen zu sein. Auf dem nach Nordwesten ra- Württemberg Bd. 2, 3. Aufl., Stuttgart 1982. den Heidengraben beim genden Sporn entstand zu Anfang des 12. Jahr- Burrenhof. In zwei schnur- hunderts die Burg Hohenneuffen, die seit 1301 im Praktischer Hinweis geraden, zum Teil baum- Besitz der Grafen von Württemberg war und zur bestandenen Abschnitten Festung ausgebaut wurde. Östlich von Graben- Die Geländedenkmale des Heidengrabens sind durch überquert der Wall die stetten lag die Burg Hofen der Adeligen von einen Wanderweg erschlossen, den „Achsnagelweg“. Hochfläche. Schwenzlin, später von Hofen genannt. Eine aktuelle Beschreibung mit Übersichtskarte findet Noch viele Fragen birgt der 55 ha große nördliche sich im neuen Heidengraben-Führer (Ade u.a. 2012, Vorsprung der so genannten Bassgeige, der zur s.o.). Hochfläche hin mit Wall und Graben doppelt be- Es empfiehlt sich ein Besuch des neu gestalteten Mu- festigt war. Der südliche Wall ist Teil der spätkelti- seums in Grabenstetten: schen Befestigung und wurde, wie Ausgrabungen Keltenmuseum Grabenstetten 1976 ergaben, wohl im Spätmittelalter „umge- Böhringer Straße 7, 72582 Grabenstetten widmet“ und dahinter ein weiterer Wall aus Tuff- Öffnungszeiten: Mai bis Oktober sonntags 14–17 Uhr steinblöcken errichtet. (Führungen nach Vereinbarung) Durch eine inzwischen abgeschobene Tuffstein- Kontakt: mauer war auch der nordwestlichste Sporn der Förderverein Heidengraben e.V., Böhringer Str. 7, Bassgeige, der „Beurener Fels“, abgeriegelt. Am 72582 Grabenstetten „Brucker Fels“ und auf dem „Burghörnle“ wurden Tel. 07382/387; [email protected] Gebäude in ähnlicher Bauweise beobachtet, deren www.kelten-heidengraben.de Fundleere Rätsel aufgibt. Möglicher Hintergrund könnten die Auseinandersetzungen zwischen Habs - Dr. Dorothee Ade burgern und Württembergern zwischen 1301 und Andreas Willmy M.A. 1304 sein. Fest steht, dass es auch zur Klärung der IKU Institut für Kulturvermittlung GbR mittelalterlichen Anlagen dringend weiterer For- Hirschgasse 3 schungen bedarf. 72108 Rottenburg am Neckar

Literatur Gerd Stegmaier M.A. c/o Institut für Ur- und Frühgeschichte und Dorothee Ade u.a.: Der Heidengraben – Ein keltisches Archäologie des Mittelalters Oppidum auf der Schwäbischen Alb. Führer zu archäo - Eberhard-Karls-Universität Tübingen logischen Denkmälern in Baden-Württemberg Bd. 27, Schloss Hohentübingen Stuttgart 2012. 72070 Tübingen

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