Masarykova univerzita

Filozofická fakulta

Ústav germanistiky, nordistiky a nederlandistiky

ANALYSE DES FRÜHWERKS VON ERNST LOTHAR ANHAND VERSCHIEDENER ASPEKTE

(magisterská diplomová práce)

Eingereicht von: Renáta Tomášová Fach: Germanistik – Pädagogik SS 2005/2006 E-Mail: [email protected] Betreuer: PhDr. Mareček Zdeněk

Ich deklariere, dass diese Magisterarbeit original ist und dass alle verwendeten Quellen im Literaturverzeichnis angegeben werden.

Datum: ......

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Meinen herzlichen Dank verdient PhDr. Zdeněk Mareček, mit dem ich meine Arbeit konsultierte und der mir wertvolle Anregungen gab. Zugleich möchte ich mich bei PD Dr. habil. Jürgen Eder und Univ. Prof. Mag. Dr. Konstanze Fliedl für die Unterstützung bedanken, die mir während meiner Studienaufenthalte in Augsburg und Salzburg zuteil wurde.

2 Inhaltsverzeichnis

Einleitung...... 4 1. Zum Forschungsstand...... 5 2. Lothars Biographie...... 14 3. Kleine Freundin...... 18 3.1. Themenanalyse...... 18 3.2. Titelanalyse...... 18 3.3. Erzählstruktur und -stil...... 19 3.4. Inhaltsanalyse...... 33 4. Kinder...... 41 4.1. Erzählstruktur und -stil...... 41 4.2. Themenanalyse...... 42 4.3. Inhaltsanalyse...... 42 5. Ähnlichkeit dieser zwei Werke und Zusammenhang mit Ernst Lothar...... 45 6. Der Hellseher...... 46 6.1. Strukturanalyse...... 46 6.2. Titelanalyse...... 46 6.3. Themenanalyse...... 46 6.4. Spracheanalyse...... 47 6.5. Inhaltsanalyse...... 60 7. Ernst Lothar und im Vergleich...... 64 8. Schnitzlers Biographie und seine Romane...... 69 8.1. Schnitzlers Biographie...... 69 8.2. Therese...... 71 8.3. Der Weg ins Freie...... 75 Schlusswort...... 82 Literaturverzeichnis...... 84

3 Einleitung

Als Thema meiner Magisterarbeit habe ich „Analyse des Frühwerks von Ernst Lothar anhand verschiedener Aspekte“ ausgewählt. Der eine Grund für meine Wahl ist das Interesse an der österreichischen Literatur am Anfang des 20. Jahrhunderts, der andere ist die Herausforderung über einen damals populären Autor und sein Werk zu forschen, der jedoch heute aus dem Gedächtnis verschwunden ist. Diese Magisterarbeit befasst sich mit Lothars Frühwerk, und zwar aus mehrfacher Sicht. Zwei Romane – „Kleine Freundin“ und „Der Hellseher“ und eine Erzählung „Kinder“ werden ausgewählt, bei denen Themen- und Titelanalyse, Erzählstruktur und –stil sowie Inhaltsanalyse durchgeführt werden. Zu bestimmten inhaltlichen Merkmalen wird der historische Kontext beigefügt. Am Anfang dieser Arbeit steht das Kapitel „Forschungsstand“, in welchem Informationen zu Lothars Werk und seiner Persönlichkeit gesammelt werden. Danach folgt Lothars Biographie, damit man diesen wenig bekannten Verfasser und sein Leben den Lesern nahe bringt. Diese Passage ist von nicht geringer Bedeutung, weil sich Lothars Lebenserfahrungen und –erlebnisse in seinen Werken widerspiegeln. Da Lothars Stil Ähnlichkeiten mit Arthur Schnitzler aufweist, werden beide Schriftsteller und deren Werke verglichen. Es werden ihre Gestalten, deren Verhalten, Sprachmittel und der allgemeine Aufbau der Werke und ihre Auswirkung betrachtet. Eine ausführliche Analyse zweier Romane von Schnitzler und dessen Lebenslauf, die zu dieser Komparation benutzt werden, sind am Ende zu finden. Das Ziel dieser Magisterarbeit ist die Vorstellung von Lothars Frühwerk anhand verschiedener Aspekte. Dies ist ein neuartiger Ansatz, das Frühwerk Lothars als allein stehende Gesamtheit zu betrachten, das es in dieser Form noch nicht bearbeitet und analysiert wurde.

4 1. Zum Forschungsstand Nicht viele Autoren interessierten sich für Lothars Werk oder für seine Person. Seltene Erwähnungen sind trotzdem zu finden und werden in diesem Kapitel dargestellt. Darüber hinaus wird ein gesamtes Quellenverzeichnis beigefügt.

Castle Eduard, Deutsch-österreichische Literaturgeschichte, von 1890 bis 1918, Vierter Band, Wien, 1937 Bei der Vorstellung Lothars wird immer wieder betont, dass er der jüngere Bruder Hans Müllers war, in dessen Schatten der Anfang seiner schriftstellerischen Karriere stand. Castle findet seine erste Gedichtsammlung „Der ruhige Hain“ (1910) noch von Rilke beeinflusst, die zweite Sammlung „Die Rast“ (1913) bewertet er schon als reif. Seit dieser Zeit widmete sich Lothar der Prosaepik. Sein erstes „egoistisch-egoistische“ Drama „Ich“ (1921) ist jedoch misslungen. In dem Roman „Der Feldherr“ (1918) wird der Sturz eines Generals von der Höhe des Ruhms mit psychologischer Schärfe dargestellt. In der Romanfolge „Macht über alle Menschen“, die aus drei Teilen besteht: „Irrlicht der Welt“ (1921), „Irrlicht des Geistes“ (1922) und „Licht“ (1925) wählt der Wiener Scharfrichter Vitus diesen Beruf, um sich an den Menschen zu rächen, die ihn ausgestoßen haben. Er führt dabei ein Doppelleben. Die Kraft der Schilderung ist groß, manchmal sogar überspannt. In den Novellen „Gottes Garten“(1927) hebt dieser Dichter laut Castle „behutsam zarte Schleier von den Regungen kindlicher Seelen“, denen er auch in dem Roman „Kleine Freundin“ (1931) mit eindringlicher Psychologie nachgeht. In dem zu letzt genannten Roman steht die zwölfjährige im Scheidungsprozess der Eltern. In der Geschichte „Drei Tage und eine Nacht“ (1927) wird im Selbstgespräch berichtet, wie sich die herzkranke und sterbende Anna Wieser vergiftet, um ihren Geliebten, einen Universitätsprofessor, aus einem schweren Konflikt zu befreien. Das Treiben geschickter Manager mit hellseherischen Graphologen und Telepathen (Schermann, Hanussen) stellt Lothar in den Mittelpunkt eines mit brennenden Farben gemalten Zeitgemäldes „Der Hellseher“ (1929), in dem er seinen Helden erkennen lässt, dass in dem Geheimnis der Zukunft die tiefste Güte der Vorsehung liegt und es eine Sünde wäre, dieses zu durchbrechen, selbst wenn ein Mensch in der Tat die hellseherische Gabe besäße. Was Lothars journalistische Karriere betrifft, war er in der Redaktion der „Neuen Freien Presse“ tätig. Zu seinen Kollegen gehörte Raoul Auernheimer, dem nach Wittmanns Tod das Burgtheaterreferat zufiel. Anlässlich dessen 50. Geburtstages verfasste Lothar einen „Brief an Raoul Auernheimer“, der am 15. April in dieser Zeitung erschien.

5 Ernst Lothar vertrat zusammen mit Ehrenstein, Robert Müller, Fontana, Weiß, Neumann und Franz Werfel die Richtung des geblümten Expressionismus. Dabei wird ein reichlicher Gebrauch von Metapher, Synekdoche und Metonymie gemacht. Die Schreibweise ist mehr persönlich, sie ist durch die tropische Einkleidung sowie durch die Umkehrung des überimpressionistischen Formwillens vorausbestimmt. Dieser Expressionismus stellt nicht wie der wesentliche oder romantische Naturalismus die Welt im Spiegel der einzelnen Spieler, sondern gerade umgekehrt die einzelnen Gestalten im Lichte der Umweltmenschen dar. Das nötigt den Schriftsteller aus seiner „Verborgenheit“ herauszutreten und zu zeigen, nicht, was sein Held erlebt, sondern nur, wie sich sein Leben in den Köpfen der Mitmenschen spiegelt. Im Vergleich zu oben genannten Schriftstellern sind jedoch bei Lothar und Werfel immer noch Merkmale des alten naturalistischen Zwecksromans zu sehen. Die Krönung seines Romansschaffens soll ein Romankranz „Die Menschenrechte“ bilden, der in der Forderung nach Menschlichkeit gipfelt. In seinem Werk „Die Mühle der Gerechtigkeit“ wird das Recht auf den Tod behandelt, in „Eine Frau wie viele“ das Recht in der Ehe. 1 Castle weist darauf hin, dass eine Ähnlichkeit zwischen Lothar und Andreas Thom besteht. Thom hat genauso das rein Menschliche auch im geringsten Menschen herausgearbeitet und Gerichtssaalauftritte, gescheiterte Ehe, Scheidungsangelegenheiten und wirtschaftliches Elend dargestellt. Er ähnelt Lothar ebenfalls in der Wahl der Bilder, der Darstellungsweise und der Sprache. Friedrich Torberg, Vertreter einer gemäßigten Neuen Sachlichkeit, vergleicht Lothar durch Anfügung von Nebenbemerkungen in Klammern.

Fontana Oskar Maurus, Ernst Lothar zum 70. Geburtstag, Graz, 1960 In der Zeitschrift „Wort in der Zeit“ publizierte Fontana einen beifälligen Artikel über Lothars Literatur- und Theatertätigkeit zu dessen Jubiläum. Laut Fontana folgte und gehorchte Lothar in seinem umfangreichen erzählerischen Werk immer nur einer Stimme – der Stimme des Herzens. Jeder seiner Romane ist nicht bloß ein nach strengen Gesetzen aufgebautes Erzählwerk, sondern ist auch ein Bekenntnis zur

1 Thom, Andreas, eigentl.: Rudolf Csmarich, * 11. 5. 1884 Wien, + 25. 6. 1943 Mooskirchen bei Graz. Lehrer, Romanschriftsteller. Von 1923 an war er Vizepräsident des Schutzverbands deutscher Schriftsteller in Österreich. Im Roman „Ambros Maria Baal“ (1918) erscheinen der Immoralismus und die Lebensschwäche des negativen Helden als Verfallsform bürgerlicher Saturiertheit in einer von zugespitzter Metaphorik, Tempowechsel und unvermittelten Wendungen gekennzeichneten Erzählweise. Im Roman „Rufus Nemian“ (1921) griff Thom den zeitaktuellen Themenbereich von Revolution, Sozialismus und Anarchismus auf. Genauso wie Lothar beschäftigte er sich mit der Kinderthematik, was seine Werke „Ein Kinderbuch“ (1915) und „Noch spielt ein Kind“ (1934) beweisen. (Vgl. Killy, S. 337)

6 Menschlichkeit, ein Bekenntnis zum Humanen als dem Sinn und der Sicherung aller unserer Kultur und Gesittung überhaupt. Aber dieses Humane möchte er nicht in irgendeiner romantischen, traumhaften, kurz unverbindlichen Sphäre verlebendigt wissen, sondern inmitten unserer Zeit mit allen ihren Problemen, Krisen, Heimsuchungen und Gewalttaten. Lieber nimmt er die Gefahr des allzu Nahen, gelegentlich sogar Grellen und Zwielichtigen auf sich, als dass er den Erlebnissen der Gegenwart in seinen Erzählungen auswiche. Er hält sich da an ein Goethe-Wort, das er einem seiner Romane als Motto vorsetzte: „Und wendet es, wie es euch beliebt, das Wichtigste bleibt doch die Wahrheit.“ Deshalb geben alle seine Romane auch scharf gesehene und im Tatsächlichen das Dokumentarische suchende Bilder unserer Zeit wieder, gemalt von einem Temperament helläugiger Wachsamkeit und kämpferischen Elans. Nicht das Große und die Großen sind wichtig, zeigt uns Lothar im Gemälde der Zeit ebenso wie in der Durchleuchtung der Charaktere und der seelischen Vorgänge, sondern nicht minder wichtig, ja wichtiger im menschlichen Geschehen, sind das so genannt Kleine und die Kleinen – die Kleinen im sozialen Sinn wie auch in dem der Altersstufen verstanden. Im Blick auf diese Kleinen, auf diese noch nicht Erwachsenen und doch schon ganzen Menschen, im Blick auf die Kinder hat Ernst Lothar seinen eigenen dichterischen Ton gefunden und zur Vollendung gebracht. Wie Fontana erwähnt, ist Lothar nie müde geworden, die Kinder, die Halbwüchsigen zu erforschen und darzustellen. In ihnen blüht noch soviel Geheimnis des Lebens, das dann später von der Alltäglichkeit wie von Unkraut überwuchert wird. Darum wird Ernst Lothar in allen seinen Romanen und Erzählungen als ein Erzieher voll Mannhaftigkeit und Anmut, voll Würde und Wahrheit, als ein Erzieher zum Erkennen der Welt, aber auch zu ihrem Bewundern, als ein Erzieher zum Mitgefühl mit allen Leidenden, aber auch zur demütigen Ehrfurcht vor dem Erhabenen empfunden, wo es sich zeigen mag. Seine Romane halten immer auf irgendeine Weise Gerichtstag, sie versuchen das Ästhetische mit dem Sittlichen zu verbinden, selbst auf die Gefahr des Didaktischen hin, denn Lothar meint und fordert den ganzen Menschen. Seine Romane geben mit den individuellen Schicksalen auch immer den bestimmenden, den geistigen Hintergrund, und ganz besonders gern und vielfältig den von Österreich. Es zeugt von künstlerischem Können Lothars, dass die Gestalten trotz ihrer exemplarischen Bedeutung immer lebensnah blutvoll und menschlich dicht vor uns stehen. Das kommt daher, dass er jeder seiner Figuren auch die ihr gehörige Sprache, gewissermaßen als ihr phonetisches Angesicht mitgibt und dass er mit den Menschen auch die Landschaft, die zu ihnen gehört, bezwingend lebendig werden lässt, sei es Wien, sei es Salzburg, sei es Brünn, sei es Paris, sei es New York.

7 Fontana schätzt an Lothar, dass ihm die Reinheit und Klarheit der Sprache über alles geht. In den Jahren einer stetig wachsenden Sprachverschluderung und Verwilderung war er einer der wenigen Hüter der Sprache. Er zeigte und bewies durch die Zucht und Gebosseltheit seiner Sprache, dass sich in ihr und durch sie der Mensch ebenso verrät wie der Barbar. All sein Bemühen um das Wort ging dahin, die Sprache als ein Instrument des Geistes, als eine Botin der Musen, als eine Spenderin der Erleuchtung und Erweckung zu bewahren. Sieht man seine Romane als Gesamtheit, so zeigt sich, dass er immer wieder den Menschen zu sich selber zurückführt und den Menschen sein Menschsein entdecken lässt.

Hall Murray G., Der Paul Zsolnay Verlag, Tübingen, 1994 Viele Autoren – sofern sie keine Literaturneulinge waren – wanderten mit ihren Büchern von einem Verlag zum anderen, bevor sie bei Zsolnay eine endgültige Heimstätte fanden und durch einen Generalvertrag finanziell abgesichert waren. Das trifft auch bei Lothar zu, der von Piper zu Tempsky und von Georg Müller zu Ullstein und Hartleben wechselte, bevor er 1927 an den Speidel-Verlag in Wien geriet. Speidel brachte in diesem Jahr „Gottes Garten. Ein Buch von Kindern“ heraus. Im Herbst 1932 kaufte Zsolnay dem Speidel Verlag die Rechte und Restbestände gegen eine Pauschale ab und brachte eine neubearbeitete Ausgabe unter dem Titel „Kinder. Erste Erlebnisse“ im November auf den Markt. Lothar debütierte bei Zsolnay 1929 mit dem umfangreichen Roman „Der Hellseher“. Trotz der Startauflage von 10 000 Exemplaren konnte das Werk keinen buchhändlerischen Erfolg erringen, nicht zuletzt wegen der schwindenden Käuferlust. Mit seinem Buch „Kleine Freundin. Roman einer Zwölfjährigen“ ging es besser. Im Oktober 1934 wurde eine Sonderausgabe veröffentlicht, womit das Werk schließlich zum auflagenstärksten des Autors wurde. Lothar zählt zu den wenigen „jüdischen“ bzw. „liberalen“ Autoren im Zsolnay Verlag, deren Werk ab 1933 oder 1935 im Reich verboten war, die aber bis 1938 auch mit Neuauflagen oder Neuerscheinungen im Programm vertreten waren und deren Bindung zum Verlag erst 1938 abbrach. Die betreffenden Verlagswerke durften allerdings nicht ins Reich ausgeliefert werden. Auslösender Faktor für den Bannstrahl im Reich war Lothars Unterschrift unter einer Resolution, die sich gegen die auf dem Kongress in Ragusa 1933 praktizierte Literaturpolitik richtete. Das Gesamtverbot war Racheakt. Dass Lothar im Gegensatz zu anderen Kollegen nach 1933 weiterhin aktiv im Verlag blieb, mag darin

8 begründet sein, dass der Verlag sehr viel investiert hatte und zu seinem Geld wieder kommen wollte.

Herder, Lexikon der Weltliteratur im 20. Jahrhundert, Zweiter Band, Freiburg im Breisgau, 1961 Lothar, der wegen seiner Bevorzugung psychologisch-erotischer Probleme mit Arthur Schnitzler verglichen wurde, versucht in seiner Prosa die äußere und innere Situation Österreichs seit dem Zusammenbruch der Donaumonarchie, besonders nach der Machtergreifung durch Hitler, zu spiegeln.

Tassié Franz, Ernst Lothar, Salzburg, 1947 Tassié, der eine Ansprache bei einer Ernst-Lothar-Morgenfeier im Theater in der Josefstadt hielt, sprach über Lothars Werk und vor allem über seinen Aufenthalt in Amerika und seine Rückkehr nach Österreich. Bevor er sein Land verließ, waren von ihm bis dahin vor allem „Der Feldherr“, die Trilogie „Macht über alle Menschen“, „Der Hellseher“, „Der Kampf um das Herz“, „Kleine Freundin“, „Die Mühle der Gerechtigkeit“, „Romanze F-dur“ und „Eine Frau wie viele“ erschienen, Romane, in denen die verschiedensten gesellschaftlichen und menschlichen Probleme gestaltet wurden. In seinem amerikanischen Werk ist nichts von Emigrantenmüdigkeit oder elegisch- unfruchtbarem Heimweh. Man hat den Eindruck, dass Lothar nur nach Amerika gegangen ist, um sich dort mit klarem Kopf immer wieder die österreichische Kardinalfrage vorzulegen: „Wie ist es nur zu all dem gekommen? Welche Schuld trifft den Einzelnen und welche Schuld die Allgemeinheit?“. Gleichzeitig hat er in Amerika eine Mission erfüllt, indem er seinem Leben Sinn gegeben hat – seine Heimat gerecht zu lieben.

Wache Karl, Der österreichische Roman seit dem Neubarock, Leipzig, 1930 Wache erwähnt, dass Lothar verhältnismäßig spät mit Romanen hervorgetreten ist. „In diesen ist fast stets die Gewinnung der Macht über andere, das Hinausstreben über sie durch ihre Beherrschung das treibende Element und die handelnden Menschen sind seelisch krank, sei es, dass sie an einem Zuviel, sei es an einem Zuwenig seelischer Spannungszustände leiden.“ Das Werk „Der Hellseher“ hält Wache für einen sehr interessanten Roman, der deklariert, dass das Prophezeien eine unmögliche Gabe ist. Das Wahrsagen zerstört den

9 Ablauf des Lebens, da die Menschen dadurch von ihrer Wegrichtung abgelenkt werden und dergestalt die Vorhersage frustrieren. „Die Gliederung des Buches ist dekorativ - expressionistisch: der strenge Rhythmus mit seinen konsequent wiederholten Zäsuren, durch die jedes Kapitel wieder in drei Stücke zerschnitten wird, lehnt sich an Weiß an, ebenso die Titelgebung der Kapitel – „Ouvertüre“, „Galavorstellung“ – und die leitmotivische Wiederholung einzelner Wendungen und ganzer Sätze.“ Der Ton ist äußerst persönlich.

Zeman Herbert, Die österreichische Literatur, Ihr Profil von der Jahrhundertwende bis zur Gegenwart (1880-1980), Teil 1, Graz, 1989 Im Jahre 1927 wurde der „Gesamtverband Schaffender Künstler Österreichs“ gegründet, der eine starke Interessenvertretung gegenüber dem Staat bilden sollte. Er gliederte sich in drei Sektionen für Literatur, Tonkunst und Bildende Kunst und die Gesamtleitung wurde Ernst Lothar übertragen. Zu diesem Zeitpunkt bestand eine Chance, die hervorragendsten Autoren Österreichs für eine Mitarbeit auf der Basis des „Gesamtverbandes“ zu gewinnen. Es kam zu einer Sitzung mit Bundeskanzler Ignaz Seipel und Unterrichtsminister Richard Schmitz, an der auch viele österreichische Dichter wie Schnitzler, Musil, Broch, Roth, Beer-Hofmann teilgenommen haben. An dieser Konferenz ging es um das geplante Schmutz- und Schund-Gesetz, das von den Schriftstellern als Vorwand für die Wiedereinführung der 1918 abgeschafften Zensur angesehen wurde. Eine Einigung kam damals nicht zustande, die Politiker zeigten sich von dieser Dichterrunde wenig beeindruckt. Lothar legte aufgrund dieser negativen Erfahrung den Präsidententitel zurück.

Zeman Herbert, Literaturgeschichte Österreichs, Graz, 1996 Lothar, der zu dem österreichischen PEN-Zentrum gehörte, wurde zusammen mit anderen Mitgliedern attackiert und wegen der Passivität angeklagt, weil sie nicht viel für verfolgte und verbrannte deutsche Literatur unternommen haben. Auf diese Tatsache machte Hugo Sonnenschein auf dem Weltkongress des PEN-Clubs in Ragusa aufmerksam.

10 Quellen zu Ernst Lothar und seinem Werk

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11 HALL, Muray G. RENNER, Gerhard. Handbuch der Nachlässe und Sammlungen österreichischer Autoren. Wien, Köln, Weimar: Böhlau Verlag, 1995. 460 S. S. 218 HERDER. Lexikon der Weltliteratur im 20. Jahrhundert. Zweiter Band. Freiburg im Breisgau: Verlag Herder, 1961. 1323 S. S. 283 JAHN, Bruno. Die deutschsprachige Presse. Ein biographisch-bibliographisches Handbuch. Band 1. München: K. G. Saur, 2005. 666 S. S. 656 - 657 KILLY, Walther. VIERHAUS, Rudolf. Deutsche biographische Enzyklopädie. Band 6. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1997. 679 S. S. 481 KILLY, Walther. Literatur Lexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache. Band 7. München: Bertelsmann Lexikon Verlag, 1990. 512 S. S. 351 - 2 KLEIN, Michael. Österreichische Literatur von außen. Innsbruck: Innsbrucker Zeitungsarchiv, 1996. 534 S. S. 322 KLIMT, Andreas. Kürschners Deutscher Literatur – Kalender, Nekrolog 1971 – 1998. München, Leipzig: K. G. Saur Verlag, 1999. 770 S. S. 385 KOSCH, Wilhelm. Deutsches Literatur – Lexikon. Bern: Francke Verlag, 1963. 511 S. S. 256 KUTZBACH, Karl August. Autorenlexikon der Gegenwart. Bonn: H. Bouvier und Co. Verlag, 1950. 501 S. S. 236 - 237 MAURER, Susanne. Ernst Lothar: Leben und Werk. Wien, 1995. 145 S. SCHUDER, Werner. KÜRSCHNERS Deutscher Literatur – Kalender 1958. Berlin: Walter de Gruyter & Co., 1958. 958 S. S. 443 STOCK, Karl F. HEILINGER, Rudolf. STOCK, Maryléne. Personalbibliographien österreichischer Dichterinnen und Dichter. Band 2. München: K. G. Saur, 2002. 1235 S. S. 1063 STURZBECHER, Bernadeta. Bibliografia przekladów literatury austriackiej. Poznań: Ars Nova, 2000. 104 S. S. 55 TASSIÉ, Franz. Ernst Lothar. In: Das Silberboot. Zeitschrift für Literatur. III. Jahrgang. Heft 1 - 8. Herausgegeben von Ernst Schönwiese. Salzburg: Das Silberboot Verlag, 1947. 456 S. S. 147 - 8 WACHE, Karl. Der österreichische Roman seit dem Neubarock. Leipzig: Staackmann Verlag, 1930. WALLAS, Armin A. Zeitschriften und Anthologien des Expressionismus in Österreich. Band 1. München: K. G. Saur, 1995. 474 S. S. 424

12 WILPERT, Gero von. Lexikon der Weltliteratur. Erster Band. Biographisch-bibliographisches Handwörterbuch nach Autoren und anonymen Werken. Stuttgart: Alfred Kröner Verlag, 1975. 1793 S. S. 998 ZEMAN, Herbert. Die österreichische Literatur. Ihr Profil von der Jahrhundertwende bis zur Gegenwart (1880-1980). Teil 1. Graz: Akad. Dr.-und Verl.-Anst., 1989. 351 S. S. 148 ZEMAN, Herbert. Literaturgeschichte Österreichs. Graz: Akad. Dr.-und Verl.-Anst., 1996. 604 S. S. 461 http://www.dickinson.edu/departments/germn/glossen/heft4/hussong.html http://www.doev.at/thema/thema_alt/wuv/maerz38_2/instiantisem.html http://www.dtv.de/_google/autoren/autor3428.htm http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_deutschsprachiger_Schriftsteller/L http://www.euxus.de/wien-ehrengraeber.html http://filmarchiv.at/events/1103/qualtingertexte.htm http://www.imdb.com/name/nm0521435/#writer http://www.inst.at/trans/7Nr/bauer7.htm http://www.inst.at/trans/13Nr/pfanner13.htm http://www.josefstadt.org/content/c_theater_geschichte.html http://www.libraries.psu.edu/speecolls/FindingAids/mahlerwerfel/Gratulanten/lothar.htm# Kurzbiographie http://www.literaturepochen.at/exil/a5378.html http://www.literaturhaus.at/lh/40jahre/40jahre/ausstellung/ http://www.musikerbriefe.at/schrift.asp?Nr=829#981/10-1 http://nak.onb.ac.at/cgi-bin/allegro/nak http://www.tarockspiele.com/tarockbuch.html http://www.time.com/time/archive/preview/0, 10987, 743429, 00.html http://www.unet.univie.ac.at/~a0349272/mitschriften/archiv/mitschriften/Theaterim20Jahrhun dert.pdf http://www.wien.gr.at/ma53/45jahre/1963/0463.htm http://www.wien-konkret.at/kultur/sehenswuerdigkeiten-wien/theater-josefstadt/ http://www.wvu.edu/~lawfac/jelkins/lp-2001/lothar.html

13 2. Lothars Biographie In folgenden Zeilen wird Ernst Lothar vorgestellt, weil sowohl sein privates Leben als auch seine Karriere, vor allem in den ersten Phasen, einen großen Zusammenhang mit seinen Werken aufweisen. Der andere Grund ist ein relativ niedriger Bekanntheitsgrad des Autors. Obwohl er einst ein erfolgreicher Schriftsteller, Publizist und Theaterkritiker war, droht er nun in Vergessenheit zu geraten. Quellen werden sowohl aus den Lexika als auch aus seiner Autobiografie „Das Wunder des Überlebens“ geschöpft. 2 Ernst Lothar, ursprünglich Ernst Lothar Müller , wird am 25. 10. 1890 in einer 3 jüdischen Familie in Brünn geboren und stirbt am 30. 10. 1974 in Wien , am Zentralfriedhof. Seine frühe Kindheit verbringt er in dieser mährischen Stadt, wo die Bevölkerung teils aus Tschechen, teils aus Deutschen besteht. Im Frühling übersiedelt die Familie auf das Land, wo sie ein Sommerhaus mieten. Ernst ist ein spätgeborenes Kind, das immer ängstlich umsorgt und vor ansteckenden Krankheiten geschützt wird. Seine wesentlich älteren Brüder studieren 4 längst in Wien, Robert wird Jurist wie der Vater, Hans Schriftsteller. Weil der jüngste Müller wenig Kontakt mit anderen Kindern hat, verbringt er viel Zeit mit Lesen. Er ist weder hervorragender noch schlechter Schüler, der sein Abitur bereits in Wien ablegt und später an 5 der dortigen Universität Jura absolviert. 1914 wird er zum Kriegsdienst eingezogen. Die Liebe zum Theater und zur Literatur entwickelt sich während seines Studiums. Künstlerische Neigungen sind in Lothars Familie mütterlicherseits keine Seltenheit: einer der Onkel ist der Hofschauspieler Alois Wohlmuth, ein anderer der Musikkritiker Eduard Hanslick, der die Sängerin Sophie Wohlmut aus Brünn geheiratet hat. Lothar fängt mit Gedichten an, die in solchen Zeitungen wie „Zukunft“, „Münchner Allgemeine Zeitung“ oder 6 7 „Der Merkur“ abgedruckt werden und er selber schreibt für die „Neue Freie Presse“ , . Sein erster Roman „Der Strom“, den er zu verfassen versucht, erscheint nie. Im Jahre 1914 erhält Lothar das Doktorat und danach hat er vor, ein Jahr auf Reisen zu gehen. Diese Pläne enden jedoch sehr schnell wegen der Verlobung mit einer jungen

2 3 Bis zum Jahre 1910 verwendete Lothar seinen Geburtsnamen. (Vgl. Blumesberger, S. 867) 4 Lothars Wiener Adresse: Kärtner Ring 17, Wien 1 (Vgl. Bohmann, S. 461) Müller, Hans (Ps. Hans Müller-Einigen), * 25. 10. 1882 Brünn, + 8. 3. 1950 Einigen (Schweiz). Dr. jur.,

5Schriftsteller in Wien, seit 1930 in Einigen. Erzähler, Dramatiker. (Vgl. Giebisch, Gugitz, S. 269) Zahlreiche Juden wendeten sich den freien Berufen, vor allem der Medizin und Rechtspflege, zu, anstatt

6Handelsberufe auszuüben. (Vgl. Rozenblit, S. 55) 7 Neue Freie Presse (NFP, Wien), 1. Januar 1920 - 29. Januar 1932. (Vgl. Pauley, S. 447) „Der Vater des österreichischen Zionismus“ Nathan Birnbaum war ebenfalls ein erfolgreicher Schriftsteller der NFP. (Vgl. ebd. S. 92)

14 Wienerin – Mary. Während des Krieges arbeitet er widerwillig beim Kriegsgericht und schreibt einen Roman namens „Feldherr“. Die Tatsache, dass Österreich-Ungarn unterging, fällt Lothar nicht leicht. Er hat das Gefühl, als sei die Welt untergegangen. Ohne sein altes Land fühlt er sich wurzellos. In dieser Zeit hat er schon zwei Töchter, die ältere Agathe und die um drei Jahre jüngere Johanna. Zu seinen schriftstellerischen Freunden, die sich oft treffen, gehören , Robert Musil, Franz Werfel, Josef Roth, Hermann Broch, Felix Braun, die alle zum Kreis jüngerer Wiener Literatur zählen. Zu den älteren, immer als „Jung-Wien“ bezeichnet, gehören Hofmannsthal, Schnitzler, Wassermann, Bahr, Salten. Die Diskussion unter ihnen handelt häufig vom österreichischen Zusammenbruch, von dem alle betroffen sind. Von diesen oben genannten Schriftstellern wird Lothar oft mit Schnitzler in Zusammenhang gebracht, vor allem wegen ihrer Stilähnlichkeit. Es wird Lothar geraten, sich nicht allzu viel von ihm beeinflussen zu lassen und ihn nicht nachzuahmen. Nach dem Tode Hugo Wittmanns, des Operettenlibretisten Karl Millöckers und Johann Strauss´, übernimmt Lothar 1925 die Funktion des Theaterkritikers für das Deutsche Volkstheater in der „Neuen Freien Presse“. Diese Zeitung übt großen Einfluss im liberalen Bürgertum aus und hat literarische Ambitionen. Lothar versucht, immer sachlich und objektiv zu sein, wobei er Kritiken, die beleidigend und verletzend sind, vermeidet. Gleichzeitig lehnt er eine schwülstige Sprache, die alles in Superlativen schildert, ab. Lothar erwähnt ebenfalls, wie sich das Publikum nach dem Krieg verändert hat. Vor dem Jahre 1914 ging man ins Theater, weil es so üblich war und es zum gesellschaftlichen Leben gehörte. Was gespielt wurde, war nicht wichtig. Nach dem Krieg besteht kein Interesse mehr, ins Theater zu gehen – sowohl aus finanziellen Gründen, als auch aus psychischen, weil man nicht bereit ist, sich mit problematischen Stücken zu beschäftigen. Er spricht genauso von der Theaterkritik, die frei und unparteilich sein muss. Ihre größte Aufgabe ist zu dienen – die Theaterbesucher über das Gebotene zu informieren und über die Leistungen der Schauspieler zu berichten. Nach dem Ersten Krieg werden in Salzburg Festspiele gegründet, aus Max Reinhardts und Hugo von Hofmannsthals Initiative, worüber sich Lothar sehr freut und selbst dreißig Jahre später „Jedermann“ inszeniert. Festspiele haben es ihm so angetan, dass er in der Nähe ein kleines Haus kauft und jeden Sommer mit seiner Familie dort verbringt. In seiner Autobiographie geht Lothar auch auf die Poetik seiner Romane und Novellen ein. Obwohl er von Musil als Expressionist verdammt wird, bekennt er sich zu einer traditionellen Erzählkunst. Er ist der gleichen Meinung wie Wassermann, dass die Gestalt das

15 Bedeutendste an einem Erzählwerk ist, sogar wichtiger als die Handlung. Genauso identifiziert er sich mit Schnitzler, dass der Gegenstand frei ist und nicht verboten werden sollte. Abzulehnen ist nur eine künstlerisch mangelhafte Behandlung eines Stoffes, nicht der gewählte Stoff eines Werkes. Aufgrund dieser Haltung, die Schnitzler in seinen Werken vertritt, werden seine Bücher widerwillig akzeptiert (Professor Bernhardi) oder sogar verboten (Reigen). Lothars schriftstellerische Karriere wird außerdem von Auseinandersetzungen in der Ehe mit Mary beeinflusst. Missverständnisse geben ihm Anreiz, einen Roman zu schreiben – „Eine Frau wie viele“, in welchem er diese Problematik und das Thema „Das Recht in der Ehe“ behandelt. Beide Eheleute versuchen jedoch, Harmonie in der Familie zu erhalten, damit ihre Kinder nichts merken. Sie spüren jedoch diese Unstimmigkeiten sehr gut, ohne darauf aufmerksam zu machen und darüber zu sprechen. Agathe hängt mehr an ihrem Vater, die jüngere Johanna an der Mutter. Beide Töchter sterben sehr früh – Agathe mit 18 Jahren an Kinderlähmung in Innsbruck, Hansi wenige Jahre später, mit 27, in New York. Diese, nicht nur triste, Zeit seines Familienlebens wird im Werk „Kinder“ behandelt. Lothar frischt, noch 8 zu Lebzeiten seiner Kinder, seine alte Jugendliebe zu der Schauspielerin Adrienne Gessner wieder auf. Gessner hat in den Münchner Kammerspielen angefangen und zieht später wieder nach Wien, um im Theater in der Josefstadt unter Max Reinhardts Führung zu spielen. Sie versteht sich mit Lothar äußerst gut und unterstützt ihn in seiner schriftstellerischen und publizistischen Arbeit. Beide heiraten schließlich. Lothar wirkt in den Jahren 1933 - 35 im Burgtheater als Regisseur, wobei er dort das Werk „Bruderzwist“ inszeniert, seinen ersten Regieversuch. Später wird ihm angeboten, vorübergehend - statt , der nach Amerika fährt - Berliner Bühnen zu führen. Lothar lehnt ab, zu Berlin hat er keine Beziehung, zu dem nach der NS - Machtergreifung schon gar nicht. Als Reinhardt aber wieder seine Amerika - Reise plant, diesmal als Direktor der Josefstadt, weigert sich Lothar nicht mehr, die Leitung des Wiener Theaters zu übernehmen. Dort bleibt er von 1935 bis 1938. Lothars Regieerfolg beruht u. a. darauf, mit der Rollenbesetzung absichtlich gegen die Rassenvorurteile zu polemisieren. Die arische Schauspielerin Kitty Stengl lässt er die Jüdin in „Jüdin von Toledo“ spielen, der jüdische Schauspieler aus Prag Ernst Deutsch stellt auf der Bühne dagegen deutsche Heldentypen dar.

8 Adrienne Gessner (eigentl. Geiringer), * 23. 7. 1896 Semmering, + 23. 6. 1987 Wien. Außer Theatertätigkeit widmete sie sich auch den Film- und Fernsehaktivitäten. 1966 erhielt sie die Kainz-Medaille. (Vgl. Bamberger, Bruckmüller, Gutkas, S. 394)

16 (http://www.doew.at/thema/_alt/wuv/maerz38_2/instiantisem.html. Überprüft am 1. 8. 2005) Diesen Umstand missbrauchen die Nazis, um gegen Lothar als Theaterdirektor zu hetzen. (Vgl. Völkischer Beobachter, Wiener Ausgabe, 17. 3. 1938, zitiert nach: „Anschluß“ 1938. Eine Dokumentation, hrsg. v. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Wien 1988, S. 555 - 585) Lothar erfreut sich Schuschniggs Unterstützung, der das Theater oft besucht. Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges brechen alle Pläne zusammen und Lothar entscheidet sich, sein liebes Österreich im Jahre 1938 zu verlassen und zuerst in die Schweiz, dann nach Frankreich und schließlich in die USA zu emigrieren. (Lothar, 1960; Killy, 1990, S. 351) Mit dieser Lebensetappe endet die Darstellung von Lothars Biographie, weil ich in der vorliegenden Magisterarbeit nur dessen Frühwerk analysiere. Das Spätwerk Lothars wurde schon mehrmals behandelt und wird daher an dieser Stelle nicht fokussiert.

17 3. Kleine Freundin (Roman einer Zwölfjährigen)

Zur Analyse habe ich diesen Roman ausgewählt, weil er zu jener Zeit sehr populär war. Dieses in sieben Sprachen übersetzte und von im Jahre 1934 verfilmte Buch wurde auch von der Presse mit einhelliger Zustimmung aufgenommen: Die Baseler National-Zeitung bezeichnete Lothar, dank diesem Werk, als Dichter der Gerechtigkeit und der Kinderseele, dem es darum geht, sie vor nicht gutzumachender Schädigung zu bewahren. Die Frankfurter Zeitung lobte die bewundernswerte Kunst dieses Dichters, das Problem verlogener Kindererziehung schonungslos aufzurollen. Die Washington Post erklärte, dass dieser unvergessliche Roman zu den wichtigsten Büchern der Nachkriegszeit zählen wird. (Paul Zsolnay Verlag, 1962) Strelka benannte ihn als Lothars ersten Roman von internationaler Bedeutung. (Fiala- Fürst; Krappmann, 2002)

3.1. Themenanalyse Vier Hauptthemen sind in diesem Werk zu unterscheiden: das soziologische (Scheidung), psychologische (Gefühle der Menschen, vor allem eines Kindes), politische (Verfall der Monarchie und Antritt der sozialdemokratischen Regierung) und das religiöse Thema (Judenhass und religiöse Intoleranz). Als Hauptpunkt tritt die Kinderseele auf und ihre Wahrnehmung der Ereignisse, was früher ein wenig beachtetes Thema war, in der heutigen Zeit jedoch ein häufig diskutiertes Problem ist – meistens in der Pädagogik, Psychologie und Literatur. Die Ereignisse werden vom Blickwinkel des heranwachsenden Mädchens dargestellt, einer vor 1931 eher vernachlässigten Perspektive. Die Handlung spielt im Jahre 1931 in Wien und jede Person vertritt eine bestimmte soziale Klasse der Gesellschaft.

3.2. Titelanalyse Als „Kleine Freundin“ wird die Hauptdarstellerin Felicitas Tagman bezeichnet. Diese Benennung wird von Herrn Hilta verwendet und tritt mehrmals im Werk auf (S. 23, 133, 140, 142). Der Autor schreibt diesem zwölfjährigen Mädchen eine besondere Wichtigkeit und

18 Respekt zu, indem er sie als „Freundin“, also als gleichberechtigte Partnerin und Kameradin bezeichnet und nicht als ein Kind ohne Meinung und Bedeutung.

3.3. Erzählstruktur und -stil Das Buch umfasst 371 Seiten und wird in kurze, unnummerierte, titellose Kapitel gegliedert. Lothars Werk wird in der Er-Form geschrieben und von der direkten Rede der Personen ergänzt. Meinungen der Figuren, vor allem von Felicitas, werden oft zusätzlich in Klammern präsentiert. Alles spielt sich in dem gleichen Zeitraum ab, es kommen keine komplizierten Anachronien vor. Die einfache, übersichtliche Syntax dominiert sowohl den Erzählerbericht als auch die Dialoge. Ironische, lustige Bemerkungen, viele Metaphern und eine Menge von Partikeln und Interjektionen verleihen dem Text seine Frische und den Eindruck einer Nähe zur gesprochenen Sprache. Oft sind Ausrufe im Laufe einer Erzählung, eines Gesprächs oder am Beginn eines neuen Kapitels zu sehen oder kurze Sätze, die von einem Ausrufezeichen, Bindestrich oder von drei Punkten ergänzt werden. Dank diesen Merkmalen verliert dieser Roman nicht an seiner Dynamik und Natürlichkeit. Alltagsrede, Dialekt, Umgangsprache mischen sich mit der gehobenen Sprache einzelner Personen, ebenso wird der Kontrast zwischen Erzählbericht und Dialogen deutlich. Vor allem rein österreichische Wörter und Verbindungen erwecken die Aufmerksamkeit des Lesers. Sprachmerkmale werden unten erwähnt, laut gegebener Problematik benannt und in Absätze gegliedert. Zur besseren Übersicht wird kursive Schrift verwendet.

Österreichische (wienerische), bzw. süddeutsche Ausdrücke Die Handlung spielt in Wien und deswegen wählt der Autor die Sprache dieser Region, um die Situation und das Milieu authentisch zu schildern und um sich dem Leser anzunähern. Durch den österreichischen Dialekt wird außerdem die niedere von der höheren Schicht unterschieden. Einige Merkmale (Diminutiva + Dialektwörter) enthalten typische Endungen –l, -rl:

„Servus , Ludwig, wie geht´s dir?“ rief das Kind, ...“ (S. 29) „Da hast du ein Steindi – apportl , Tommy, aber nicht ins Beet, sonst ...“ (S. 29) „ ..., er trug eine weiße Schulterschürze, unmittelbar neben ihm befand sich ein zylindrischer ockergelber Kübel, ...“ (S. 30) „Ja. Fruchteis. Pfirsiche, Birnen, Marillen, Ribisel , alles künstlich.“ (S. 32)

19 „Was kommt denn da vor, hörst? Geh´, iss doch ein Stückerl !“ (S. 42) „Sie wird sich halt bissl überfressen haben, gnädige Frau!“ (S. 44) „ ..., die Tante Regin´(mit vollem Namen und Standt: Fräulein Regine Tagmann, im Verhältnis zu Felicitas: Großtante) seit letztem Jänner zählte, ...“ (S. 50) „Du bist ein Mädel , und ein Mädel hat immer die Mutter lieber, das is schon so.“ (S. 57) „Da stellt man sich hin, kauft ein Sackerl Kukuruzkörner und füttert sie.“ (S. 65) „Also bestellen wir das Gefrorene beim Leopold, der nett ausschaut .“ (S. 75) „Auch entschied sie sich für Vanille mit Erdbeer´. Zitron´sei zu fad .“ (S. 75) „Hallo, hallo?“ sagte jemand (Onkel Thuri war´s), „bist du´s, Mauserl ?“ (S. 79) „ ..., und die Kinderjause fange um Vier an.“ (S. 80) „Was sagst denn net, dass d´net willst, dass deine Mamma den Strizzi heirat´?“ (S. 218)

Bei manchen österreichischen und süddeutschen Wörtern ist die phonetische Affinität und deren Verwendung in der tschechischen Sprache zu sehen: - Schramme (šrám), Stamperl (štamprle), fesch (fešný), halt (holt), Malheur (malér), akkurat (akorát), Kredenz (kredenc), Volant (volant), Spagat (špagát) „Eine rote Schramme oder Narbe hinterm linken Ohrläppchen bemerkte sie heute zum erstenmal an ihm; ...“ (S. 40) „ ..., die Jause nahm ihren programmgemäßen Fortgang, zuletzt mit einem „ Stamperl Allasch“ für die Erwachsenen, woran auch Felicitas mit Vergnügen nippen durfte.“ (S. 54) „Keinen feschern gesünderen („gesintern“, sagte Tante Regin´) Burschen hat´s nicht gegeben!“ (S. 58) „Aber prachtvoll Eislaufen und Eishockeyspielen konnte er halt, schad´, dass nicht immer Eis war!“ (S. 77) „ ..., dabei war das Malheur passiert.“ (S. 87) „ ..., auf dem weißen Linoleumtisch befand sich ein von ihrer Hand akkurat beschriebener Zettel, ...“ (S. 116) „Er begab sich zur Kredenz , wo, auf silbernem Tablett, ...“ (S. 148) „ ..., der Mercedes (Chauffeur Scheitel am Volant ) stand an der Ecke der Hegelgasse.“ (S. 279) „Gleich darauf war es ihm endlich gelungen, den Spagat zu entknoten, ...“ (S. 365)

20 Bestimmte Redewendungen werden gleichfalls im Tschechischen in der übersetzten Form verwendet: - mich trifft der Schlag (trefí mě šlak), aus den Fingern zuzeln (vycucat si z prstů), aus der Schlamastik herauszureißen (vytáhnout ze šlamastiky), solche Tänze machen (dělat takový tanec), es ist putten (to je putna) „ ..., hab´ich geglaubt, mich trifft der Schlag – sag´ mir, Jo, bist du wahnsinnig!“ (S. 200) „Nach den Details, die er weiß, kann man sich das nicht aus den Fingern zuzeln !“ (S. 201) „Geheiratet, um den Thuri aus der Schlamastik herauszureißen, ...“ (S. 203) Es ist zu bemerken, dass dieser Ausdruck auch im Jüddischen verwendet wurde – „Schlamassel = Unglück, Pech. „Aufgeregt ganz einfach war das Wei, man wusste ja, dass sie vor der Entscheidung immer „solche Tänze machte “...“ (S. 261) „Auf ja und na heirat´st doch! Da is es eh putten !“ (S. 304)

Rein tschechische Wendung in der diminutiven Form: „Oft genug hab´ ich zu ihm gesagt, Karlitschku, hab´ich zu ihm gesagt, was hast du von solche Narreschkatten!“ (S. 58)

Wörter, die von Menschen tschechischer Abstammung ausgesprochen wurden und die in ihrem tschechischen Akzent transkribiert wurden Tante Reginas Sprache: „Auch sträubte sich alles in Felicitas gegen „ Zenen “ (wie Tante Regin´ laute Auseinandersetzungen nannte).“ (S. 45) „Schehn , dass du gekommen bist!“ sagte sie wie jedesmal, sich lediglich an Felicitas wendend, weil sie für Fräulein Damm keine übermäßige Neigung empfand.“ (S. 52)

Boženas Sprache: „Auch heute nahm Božena dem Kind Hut und Mantel ab, es sei, meinte sie, wieder „um so ein Stickl “ gewachsen, was zusammen mit dem Vorwurf, das Kind komme selten, ...“ (S. 50)

Frau Dobrals Sprache: „Und warum übrigens macht die Tagman Felicitas die Privatistinprüfung (die Dobral sagte „ ibrigens “ und betonte „Felicitas“ und „Privatistin“ auf der ersten Silbe) schon so zeitig?“ (S. 268) „No siehst du! Die eine Büste („ Biste “) ist Perikles, die andere Cäsar.“ (S. 271)

21 Sprache gewöhnlicher, gemeiner Menschen, Dialekt Die Apokope (Ausfall der Laute) und Ersatz der Diphtonge mit einem einsilbigen Buchstaben kommen oft vor, um die Nachlässigkeit der Sprache auszudrücken.

„Dass er nicht einmal heut´ seine Bas-Klassigkeiten sein laßt!“ (S. 13) „Brauchst keine Angst haben, in einer halben Stund´ hol´ich dich ... kannst auf die Uhr schauen!“ (S. 19) „So was! No da hätte ein schönes Malheur passieren können! Ham S´ das g´sehn ! Aber um ein Haar! Ja, was laufst denn als wie net g´scheit !“ (S. 30)

Abkürzungen, die im Jargon auftreten: - der Alte, ein Sozi „Grad´ früher war mein Alter am Telephon, ...“ (S. 84) „Mein Alter ! Der is doch a wilder Sozi !“ (S. 91)

Ungewöhnliche, auffällige Aussprache, die in Klammern notiert wird „Die Worte „Chor“ (was er „ Schor “ aussprach) und „Kindestgage“ schienen Onkel Thuri riesigen Spaß zu machen.“ (S. 14) „ ...und wogegen ihr Universalmittel „Nux vomica“ (von ihr „Nuxomica“ genannt) nichts half, ...“ (S. 157)

Fremdwörter englischer Herkunft „Nimm den Trenchcoat !“ verlangte Fräulein Damm, ....“ (S. 28)

Figuren der Wiederholung Diese Figuren verursachen, dass die Aussage an Wichtigkeit gewinnt.

„Die Mutti ... sie schaute den Papa nur an . Nur so an .“ (S. 16) „Wenn ich nicht wär´, wär´ die Mutti schon längst weggelaufen. Aus dieser Hölle ... Für die Mutti ist das eine Hölle , grässlich ist es der Mutti, es ist ihr so grässlich wie die Hölle, übersetzte sich das Kind den Sinn.“ (S. 48) „Du glaubst, die Tant´ Regin´is ein altes Weib , was versteht ein altes Weib ? Meglich. Aber etwas versteht auch ein altes Weib , glaub´mir: ...“ (S. 57) „Und der Mutti. Und dem Papa auch. Und dem Papa auch! “ (S. 62)

22 Sich wiederholende, von bestimmten Personen verwendete Ausdrücke (Frau Tagman, Damm) Worte, die für bestimmte Darsteller typisch sind, bewirken, dass man die Figur und deren Ausdrucksform in Verbindung bringt, somit wird die Vorstellung und Erinnerung an die Person vereinfacht.

„Kein Anlass “, antwortete Mutti.“ (S. 14) „Kein Anlass “, sagte Frau Tagman zu ihrem Bruder, der ... “ (S. 14) „Fährst du, Mutti?“ „ Keine Spur! Wer hat dir denn das gesagt?“ (S. 70)

„Felicitas, fand das Fräulein, hatte „ konfuse Tage “.“ (S. 25) „Mir scheint, du hast wieder deinen konfusen Tag !“ (S. 127) „Bei Öhlers wäre das unmöglich gewesen, und dabei habe Herr Öhler keinen akademischen Grad besessen, ...“ (S. 119) „Wie ich bei Öhlers war ...“ (S. 127)

Metaphorische Benennungen der Figuren – Felicitas, Leopold Lothars Sprache ist reich an Metaphern, die das ganze Werk beleben.

„Iß, mein Goldkind , in deinem Alter muss man essen!“ (S. 53) „Ja, da ist ja unsere kleine Freundin !“ sagte er.“ (S. 140) „Da antwortete Herr Hilta: „ Meine kleine Freundin war gerade im Begriff, ...“ (S. 142) „Frau Tagman, ... , fragte, wer Leopold sei. „ Der Zuckerbäckerbub !“ erklärte Felicitas.“ (S. 74)

Gesteigerte Adjektive – positiven, negativen, neutralen Charakters Bei der Verwendung zusammengesetzter Adjektive wirkt die Sprache nicht fad, sondern poetisch.

„Es waren nicht einfach blaue Augen: enzianblaue !“ (S. 14) „Welch ein Entzücken war dies junge schneegraue Tier, ....“ (S. 29) „Das Verkaufsgewölbe, indigoblau bemalt, verfügte über kleine runde Tische mit gläserner Platte, ...“ (S. 38) „ ..., doch wurde er so pfingstrosenrot wie gestern.“ (S. 40) „Sein krachblaues Taschentuch!“ wollte Fernande, ...“ (S. 96)

23 „Oder die kakerlgelben Schuh´?“ meinte Fexi.“ (S. 96) „Er glaubte es nicht nur. Er hielt es für bombensicher .“ (S. 193)

Ei – Endungen, die negative Aussage beinhalten Diese Endung ruft einen negativen Nachgeschmack und eine längere Zeitdauer hervor.

„ ..., beide sagten zu, Lizzie sofort, Fernande wie gewöhnlich mit Ziererei , ...“ (S. 81) „ ..., und sie hatte ja gerade deshalb die Spielsachen weggeräumt, damit die blöde Sekkiererei nicht wieder losging, wenn nachher die andern Kinder kamen!“ (S. 87) „ ..., eine „verschlafene Geherei “ nannte Fräulein Damm dieses oftmalige unvermittelte Langsamkeit und Pausieren, ...“ (S. 88) „Wann er ihr heut´ eine Spielerei kauft und übermorgen ein Pony, ...“ (S. 93) „Denn Herr Hilta (gräßlich war er ihr!) stieß böse die Luft durch die Lippen: „So eine Eselei !“ (S. 141)

Zusammengesetzte, gesteigerte Verbindungen „Onkel Thuri ließ ein Wort fallen, nur für sich, aber das Kind fing es trotzdem auf. „Saubauer !“ war das Wort.“ (S. 16)

Veraltete Ausdrücke Einige vor mehr als 70 Jahren verwendete Verbindungen sind heutzutage veraltet und können unnatürlich wirken.

„Felicitas jedoch wusste genau, dass sie sich unmittelbar vorher präpariert hatte, ...“ (S. 62) „Es hatte hie und da solche „konfusen“ Tage, wo es schwer lernte und ...“ (S. 61) „Herr Doktor Heller hatte Pfingstmontag gesagt: „Darauf steht Kerker !“ (S. 249) „Vom Laichen der Fische wollte sie etwas wissen, justament das jedoch konnte Felicitas, das konnte sie sogar so flott, ...“ (S. 267) „Allzu echauffiert war Fräulein Damm, um die von ihr geforderte Beherrschung auf den Gipfel treiben zu können!“ (S. 319)

Das veraltete Siezen: „ ..., denn sie entgegnete: „ Herr Tagmann sehen auch brillant aus! “ (S. 52)

24 Pejorative Ausdrücke Die Schmähworte drücken die offene Einstellung des Erzählers und der Darsteller zu einer Situation aus, ohne Verschleierung.

„Er erhob beide Arme, die dünne Goldkette zwischen seinen Manschettenknöpfen rasselte. Wie verrückt warf er die Arme hinauf. „ Bagage !“ schrie er.“ (S. 17) „Schnöde zurückzuweisen, aus kleinlichen Erwägungen zurückzuweisen, war Fräulein Damm zu empfinden und, ...“ (S. 37) „ ..., wenn er sieht, wie alles nix nutzt und wie er sich abrackern und zerreißen kann, ...“ (S. 59) „ ..., nicht nur, dass durch das Benehmen des Kindes bei dieser Aussage dargetan erscheint, dass es die vorgenannten beiden Personen in einem Zustand angetroffen hat, welchen es aus Gründen begreiflicher Dezenz hier zu verbergen oder zu beschönigen wünschte, der demnach so krass und in die Augen springend gewesen sein muss, ...“ (S. 333)

Von Kindern (Felicitas, Leopold) verwendete Schimpfwörter In diesem Fall kommt es zu einer untraditionellen Verbindung, in der man unschuldigen Kindern pejorative Wörter in ihre Münder legt. Folgendermaßen wirken die Situationen naturalistisch.

„Aber im gleichen Augenblick bedenkend, dass er, wenn sie ihn so anherrschte, absagen könnte, ekelhafter Kerl , der er war, und dass es dann nichts mit der Bestellung an Leopold werden würde, lenkte sie ein.“ (S. 80) „Warum gibst du mir keine Antwort, du Mistkerl !“ (S. 81) „Die Fernande lad´ich ihm nicht ein, dieses Scheusal! “ (S. 81) „Die Damm is eine alte Kuh !“ (S. 81) „Es klang, als wäre er überzeugt, „nur so“ sei eine außerordentlich gescheite Bemerkung. Blöder Kerl! “ (S. 81) „Jedenfalls stellte sie gnädigst in Aussicht, kommen zu wollen, die Gans, ...“ (S. 82) „ ... doch Fernande (dieses boshafte Luder !) widersprach, ...“ (S. 96) „Loslassen, du Rabenvieh !“ keuchte er dabei.“ (S. 100) „Aber ohne den Teppen !“ sagte er. (S. 110)

25 Ausrufe „Skandal?“ schrie er, „wer hat hier Skandal gesagt? Ich! Ich sag´, es ist ein Skandal, wie er noch nie da war! So etwas hat man noch nicht erlebt! Verheiratet! Da! Schwarz auf weiß! Bitte! Da! “ (S. 17) „Nein! Fräulein Damm wünschte die Dankzeremonie nicht ohne den Hauptbeteiligten abzuschließen, sie schüttelte energisch den Kopf.“ (S. 39) „So was! Felicitas hielt das Lachen zurück, dadurch verging ihr das Weinen - ...“ (S. 57) „Oho! Uns interessieren sie enorm! “ (S. 322)

Sprache der Adeligen, Modesprache Es werden meistens Fremdwörter französischer Herkunft verwendet, um sich von der Arbeiterklasse zu distanzieren. In diesem Falle dienen Fremdwörter auch dazu, zu verbergen, worüber gesprochen wurde, vor allem vor dem Kind, bzw. vor Dienern:

„Du bist aber nobel , Feeli, komm her zum Großpapa!“ (S. 15) „Die Zeit für dergleichen war definitiv vorbei, Uhren stellte man nicht zurück. Évidemment !“ (S. 36) „Madame besaß zweifellos exquisite Eigenschaften, wenngleich Fräulein Damm, ...“ (S. 37) „Und der Franzl ist mir attachiert ... ich muss schon sagen mit einer Passion , und dabei hat er eine Tenue – ...“ (S. 94) „Frag, ob´s herin im Zimmer ist oder nicht!“ soufflierte Felicitas verzweifelt.“ (S. 98) „Bitte, ich konzendier ´ dir ohneweiteres, dass es mit deinem Mann kein Spaß ist ... aber schließlich und endlich, so scheusälig, wie du ihn machst, ist er dezidiert nicht!“ (S. 201)

Rechtssprache Sie wird meistens vom Senatspräsident verwendet.

„Sagen tut er´s expressis verbis nicht.“ (S. 201) „Herr Doktor, Sie plädieren ja!“ (S. 306) „Hierzu konstantiere ich aus dem Akt Vr I 7036 ex heuer und Vr VII 2492 ex heuer des Straflandesgerichts I, dass diesfalls auf Grund einer Anzeige des Herrn Klägers gegen Sie und Frau Josepha Mary Tagman in der Richtung des Verbrechens der Bigamie Vorerhebungen eingeleitet wurden, die jedoch von der Staatsanwaltschaft gemäß Paragraph neunzig Strafprozessordnung eingestellt worden sind.“ (S. 326)

26 „Aber das ist ja jetzt irrelevant . Geht jetzt!“ (S. 336)

Medizinische Ausdrücke „Er hatte irgend etwas Lateinisches gesagt, was das Kind nicht verstand, es klang wie „Vorpubatät“ und außerdem „hochgradige Anämie“, beides hieß auf deutsch „blutarm“ (hatte die Mutti übersetzt), und Felicitas trank „China-Seravallo-Wein“ seither, abwechselnd mit „Lecithin-Perdynamin“, was beides angenehm schmeckte, und nahm „Vigantol“, ...“ (S. 61) „Kopfschmerzen hatte die Mutti oft, „Migräne“ hieß es, ...“ (S. 68)

Fremdwörter, die im Buch in anderer Schrift vorkommen, damit die Situation betont wird „Da habt ihr mir die Hand gegeben, weil Geld drin war – non olet , was?“ (S. 10) „ ..., dass die am 4. Oktober 1916 beim Wiener Magistrate eingegangene Zivilehe des unten genannten Ehepaares mit Ermächtigung des fürstersbischöflichen ... de dato ... von dem Gefertigten am 29. April 1919 konvalidiert, ...“ (S. 18) „Du bist unverschämt, Félicie. Du wirst zu Hause zur Strafe ein Dictée schreiben! Une trés longue dictée! “ (S. 55) „Papa nickte. „ Thank you !“ sagte er. Noch einmal: „ Thank you very much ...“, als wisse er nicht, dass er schon einmal gedankt habe.“ (S. 67)

Wörter mit Lücken, um die Bedeutung des Ausdruckes zu vergrößern „Papa! Tu der Mutti nichts – Papa! B i t t e!“ (S. 11) „L e i d e r schon dort in dem Haus – hätte sie da sagen sollen?“ (S. 33) „P –l-a-c-h-t ...?“ Großpapa buchstabierte.“ (S. 101)

Wörter mit einem (mehreren) Bindestrich(en) verbunden „Félicie – was – treibst - du? Warum schläfst du – denn - nicht - “ (S. 11) „Wenn es – zum Beispiel – wenn die Mutti länger in der Kur bleibt .... oder ... oder wenn es der Mutti nicht mehr bei uns gefällt – und die Mutti würde nicht mehr bei uns wohnen – ich mein´ nur, möchtest du da nicht beim Papa bleiben wollen, Fee?“ (S. 66)

Unterbrochene Sätze (Gedanken) in der Mitte „Das Fräulein schläft nebenan im Bett ... nirgends darf man allein hin, nicht von da bis dort, immer Punkt Neuen schlafen, nie bei Tisch, wenn Gäste da sind.“ (S. 12)

27 „Ja!“ soll ich sagen ... er wartet ja drauf ... Jesus im Himmel ... ich kann aber nicht „Ja!“ sagen ...!“ (S. 67)

Unvollendete Sätze am Ende Solche Sätze drücken unbeendete Gedanken aus und sollen den Leser zum Überlegen anregen.

„Bleib´ nur da, Veronika, du bist eine Puppe, und ich bin ein Kind, das mit Puppen spielt und vor dem man englisch redet, weil es erst seit heuer Englisch lernt ...“ (S. 12) „Tortur!“ murmelte Herr Doktor Fritsch. „Folter im Jahr 1931 ...!“ (S. 316)

Ein-Wort-Sätze Kurze Aussagen machen die Situation deutlicher.

„ ...; wenn wir heute keine Monarchie mehr hatten, wer trug die Schuld? Genug. Kein Liebäugeln nach Links, in jedem Sinne!“ (S. 21) „Leopold nannte seinen Namen. Vornamen. Vatersnamen .“ (S. 101) „Das sind“, wiederholte der alte Herr und blies die Backen auf, „die Einflüsse.“ Punkt. Pause. “ (S. 113)

Sätze in Klammern, um die Bedeutung zu präzisieren „Als das nichts nützte, trank es Wasser (was auch sehr gut zum Einschlafen war), einen langsamen Schluck.“ (S. 47) „Das Zusammentreffen ( telephonisch in der Früh verabredet ) hätte um viertel Sieben abends stattfinden solle, alles war diesmal ungleich gescheiter ausgedacht!“ (S. 187)

Interjektionen Die Darstellung der Geräusche dient zur besseren Vorstellung der Situation.

„ ..., sie hatte die Augen zu, pfiff ein bisschen durch die Zähne, wie immer. Ch – ß ging das, ch - ß ...“ (S. 11) „Tck, tck machten ihre Schritte.“ (S. 22) „Pfui, gemein von mir! wehrt sich das Kind, denkt trotzdem zwanghaft weiter.“ (S. 77) „Ta-ra-lala, ta-ra ...“, sang und taktierte Frau Hilde Stepanek, ...” (S. 83)

28 „Ich werd´ dich lehren, , Kusch !´, du Saubauer!“ sagte er noch.“ (S. 99)

Partikel am Anfang des Satzes „Ja, meine gute Tinett´.“ (S. 15) „Nun , hiermit hatte sie sich übernommen, es war weit übers Ziel geschossen, ...“ (S. 21)

Partikel mitten im Satz „Aber doch ja nicht, Fräulein, diese Extravaganzen und ...“ (S. 21) „Man schlief nicht, nein , doch es war ein so nettes behagliches Gefühl, ...“ (S. 77)

Partikel am Ende des Satzes „Die drei Menschen, die miteinander Mahlzeit hielten, in dem rundgebauten braunen Speisezimmer, vor dem maigrünen Garten, saßen nicht beieinander, nein .“ (S. 27) „Ein widerwärtiger Gedanke – entschlossen wehrte das Kind ihn ab, drehte das obere Kissen auf die kühle Seite, so .“ (S. 76)

Selbststehende Partikel „Wieder fiel der schnelle Schein auf Jo Tagmans Lippen. Soso . War das vielleicht der Bursch, den sie dort, in der Zuckerbäckerei, getroffen hatten?“ (S. 74)

Religiöse Ausdrücke, die Erschrockenheit oder Erleichterung ausdrücken „Schreit da wer? Jesus Maria , wenn sie - - “ (S. 13) „Der Papa ... es war eine Sünde, das zu denken – aber sie hatte ihn nicht sehr lieb, sei nicht bös, lieber Gott !“ (S. 23) „Er riss die Tür zum Salon auf, hatte Nebel vor den Augen, nichts war deutlich – Gottlob !“ (S. 25) „Sie brauchte nichts zu hören, nichts zu sehen – um Christi willen !“ (S. 31) „Na, Gott sei Dank !“ meinte sie, ...“ (S. 62) „Marandjosef ! Weil kane is!“ (S. 107)

Umgangssprachliche Ausdrücke „Ich will zu deinem Glück annehmen, dass du besoffen bist! Total.“ (S. 18) „Also, Schatzi. Geh´ jetzt.“ (S. 20)

29 „Der Radau im vorigen November hatte von dort seinen Ausgang genommen, Großpapa nannte den Bezirk seither „das Bolschewikenviertel.“ (S. 34) „ ..., fragte Lizzie perplex , und Fexi plärrte , die ambulanten Eisverkäufer nachahmend ...“ (S. 96) „Sapperlot, hast du eine Goschen !“ bemerkte Onkel Thuri, ...“ (S. 103)

Alliteration (Gleichklang von Anlauten) „Felicitas war es ganz und gar nicht gewohnt, über die Handlungen ihrer Mutter nachzudenken.“ (S. 77) „Fix und fertig jedenfalls waren alle drei, als Chauffeur Scheitel ...“ (S. 235)

Paarform „Es folgte Lizzie, dann Fernande, Lizzie gelang mit Ach und Krach die Ausforschung des Wimmerls am Kinn von Miß White, ....“ (S. 95) „Ganz umsonst hat mir der Herr Kläger seine Detektive auf Schritt und Tritt nachgehetzt – ohne dass das mindeste dabei herausgekommen wär´!“ (S. 331)

Vergleiche „Er hatte sich bestimmt das Haar stutzen lassen, denn es stand wie eine kurze Bürste steil von der Stirn auf, ...“ (S. 14) „Sitz´ nicht da wie ein Haftelmacher !“ krähte sie Felicitas dabei an.“ (S. 55) „Diese Antwort legte sich wie Stricke um die gelockerte Stimmung, ...“ (S. 285) „Wie aus dem Schachterl sah er aus!“ (S. 323)

Metapher „Da wurde alles hermetisch abgeschlossen, verriegelt, in Watte gewickelt , Angst vor jedem Luftzug, vorm Hauch dessen, was draußen unabstreitbar geschah.“ (S. 36) „Das Kind stand da, trank gierig jedes Wort von Muttis Lippen. Hoffnung trank sie !“ (S. 234) „Das war eben die ekelhafte Kleinlichkeit vom Wei, dass sie, wenn sie einmal beleidigt war, kein gutes Haar an einem ließ !“ (S. 259)

Oxymoron (gegensätzliche Verbindungen) „Das Wei schaute sauersüß .“ (S. 47) „Da muss sie mich schrecklich liebhaben !“ (S. 48)

30 „Der lebende Leichmann“ heiße das Stück. „Aber, Tante Regin´! Es heißt doch: „Leichnam !“ verbesserte das Kind.“ (S. 56)

Hyperbel Fakten werden übertrieben, um sie und den Sprecher interessanter zu machen.

„Ganz Wien laufe ja hinein!“ (S. 56) „ ... – Nächstes Jahr! Bis dahin dauerte es eine Ewigkeit !“ (S. 164) „Und es ist besser gewesen, früher – tausendmal !“ (S. 246) „Herr Doktor Fritsch aber, der also kein Arzt, sondern ein Rechtsanwalt war, blieb ewig !“ (S. 296)

Ironische Bemerkungen „Hat sie sonst noch etwas gesagt, dieser Schatz von einer Frau , die sich in alles hineinmischt, was sie nichts angeht?“ (S. 72)

Onkel Thuris Mischung und absichtsvolle Verwechslung der Buchstaben und Silben, um einen lustigen Effekt zu bilden „Ob also die Kinder kommen durften? „ Stelbstverständlich !“ sagte Onkel Thuri, das Wort verdrehend.“ (S. 79) „Weißt, Mauserl, am besten, du lasst uns Schnalzburger Sockerln machen?“ (S. 80) „Dann mussten sie gehen, es war höchste Zeit (Onkel Thuri meinte: „ Eichste Hösenbahn! “), ...“ (S. 286)

Eigene Antworten auf sich selbst gerichtete Fragen „ ...; ob da nicht etwas dazwischengekommen sei, was sie um diese Liebe gebracht hatte? Nichts! “ (S. 48)

Detaillierte Beschreibung des Aussehens, der Bewegungen, Bekleidung „Aber die Herrenzimmertür ging auf, und Großpapa trat ein. Seine rosa Backen, die unter den Augensäcken mit einem roten Gerinnsel durchzeichnet waren, blies er ein bisschen auf, das tat er oft, dadurch wurde der Mund spitzig. Er hatte sich bestimmt das Haar stutzen lassen, denn es stand wie eine kurze Bürste steil von der Stirn auf, und auch der staubgraue Spitzbart war kürzer. Großpapa trug den Salonrock, Pikeestreifen am Westenausschnitt, und Felicitas

31 hätte schwören mögen, es werde nirgendwo ein Pünktchen, Härtchen oder Fädchen an dem matten Schwarz haften, Großpapa hätte es sonst mit Daumen und Zeigefinger gefasst, hochgenommen, weggeknipst, die Backen aufgeblasen und eisig bemerkt: „Aha ... die Theres´ schlaft wieder, wenn sie Kleider putzt!“ (S. 15)

„Wenn der Papa so aussah, die Stirn wie mit Messern zerschnitten, die Brauenbüschel zusammengezerrt, von der schmalen geraden Nase eine Linie schräg weg in die Lippenwinkel, als laufe diese Linie weiß aufgemalt im Wangenfleisch: dann stand etwas sehr Schlimmes bevor.“ (S. 17)

„Am schmalrand der Tafel saß er, obenan, hatte Guglhupf auf dem Teller, schob ihn mit gerecktem Zeigefinger und Daumen in den Mund und knipste danach die Krümchen weg, nicht nur vom Handrücken, sondern auch vom Tischtuch.“ (S. 111)

Surrealistische, unsinnige Sprache, durch Felicitas Fieber verursacht „Die Lunge hat frei. Komisch. Da hat sie keine Schule. Aber eine Entschuldigung werd´ ich brauchen, die Mutti soll sie mir gleich schreiben. Die Lunge steht und schweiget – und aus den Wiesen steiget – der weiße Nebel wunderbar. Eine Lunge nach freier Wahl.“ (S. 353)

Aufrichtigkeit der Kinder, mit frechen Aussagen ausgedrückt „So elend wie noch nie sieht er aus! dachte Felicitas wieder.“ (S. 63) „Die Mutti sollte nur nichts reden! Die log noch viel mehr. Schauderhaft log sie – nur das nicht denken!“ (S. 155)

Das Kind - Felicitas in der Rolle eines Erwachsenen „Geh´ ins Bett, Mutti, dir ist kalt! “ bat das Kind, ...“ (S. 180) „Lieg´ nur “, redete das Kind ihr zu. „ Gib den Kopf unter die Decke - nein, wirklich, wenn mir kalt ist, mach´ ich´ s immer so, das hilft wunderbar!“ (S. 181) „Ganz bestimmt, Mutti ... ganz bestimmt ...“ Still war es im finstern Zimmer. Sacht streichelte das Kind die Liegende, deren Schultern zuckten, dann wurden sie unterm Streicheln ruhiger. Ruhiger ging der gepresste Atem. „Schsch!“ machte das Kind, „schsch!“, wie man´s mit Kindern tut, die schlafen sollen.“ (S. 187) „Merkst du, wie entzückt er dich anschaut?“ flüsterte Felicitas, als er wieder nach vorn sah, ihrer Mutter zu.“ (S. 236)

32 Geographische Angaben In diesem Werk werden geographische Angaben erwähnt, die nicht nur die gegebene Situation exakter für den Leser machen, was die Ortvorstellung betrifft, sondern auch was die gesellschaftliche und nationale Herkunft der Gestalten angeht. Es werden sowohl Straßen in jüdischen Vierteln als auch im Wohnbereich der Bourgeoisie dargestellt. Außerdem wird Lothars Geburtsland, sowie der in damaliger Zeit beliebte Urlaubsort Italien nicht vergessen. Die meisten Straßen sind auch heute unter denselben Namen zu finden.

„Es erwies sich indes, dass der Bursch mit dem Kübel gleichfalls die Villenstraße hinauf musste, er hatte dort Gefrorenes abzugeben, auf 28. “ (S. 32) „Insgesamt in dem Papier- und Buchladen an der Währingerstraßenecke .“ (S. 37) „Demnach läutete Felicitas, von Fräulein Damm begleitet (weil Mutti jetzt fast nie mehr mitging), zur vorgeschriebenen Stunde im zweiten Stock des Hauses Gonzagagasse 17, wie an jedem Donnerstag.“ (S. 49) „Hier in Brinn ... heißt das, in Wien !“, weil sie, die ihre Kinderjahre in Neutitschein, sodann aber zwei Jahrzehnte in Brünn zugebracht hatte, sich an ihre Übersiedlung nach Wien noch immer nicht gewöhnen konnte, ...“ (S. 52) „Die Mutti? Das ist noch – sie muss eine Kur machen. Nach Franzensbad wahrscheinlich.“ (S. 65) „Eine schöne große Reise. Ans italienische Meer vielleicht.“ (S. 65) „Ja, mit dem Telephon ging´s ihr fast ebenso wie mit den Eisenbahnwaggons, die sie, wenn sie Großpapa und Großmama in der Weyrgasse besuchte, ...“ (S. 79) „ ..., die Dame aus der Schwindgasse 3 , ...“ (S. 297)

3.4. Inhaltsanalyse Felicitas Tagman, die Hauptheldin dieses Romans, kommt aus gutem Haus, ist zwölf Jahre alt und von Reichtum umgeben. Sie steht zwischen ihren Eltern, die ständig streiten. Felicitas´ Mutter und deren Familie vertreten die österreichische Monarchie, die es jedoch nicht mehr gibt. Der Großvater ist ein sehr intelligenter Mann, beruflich Senatspräsident, der auf alten moralischen Vorstellungen und konservativen Erziehungsprinzipien beharrt, Sozialdemokraten hasst und gegen jede Extravaganz der modernen Zeit ist. Gut ist, was alt ist, es gab mehr Respekt. Mit armen, gewöhnlichen Menschen hat er kein Mitleid, mit Hausangestellten will er nicht einmal an einem Tisch sitzen. Er stellt sich grundsätzlich gegen alle „Artfremden“, auch gegen Preußen. Auch durch seinen Wortschatz mit zahlreichen

33 Fremdwörtern versucht er sich von der Umgebung abzusetzen und seine elitäre Einstellung zum Ausdruck zu bringen. Felicitas Vater, sehr arbeitsam, kommt dagegen aus einer jüdischen Familie, die Wurzeln in Mähren hat. In diesem Bürgerhaus wird seine jüdische Abstammung nur deswegen toleriert, weil er getauft ist. Mutti hat ein Verhältnis mit einem ehemaligen Rittmeister - mit Herrn Hilta, der zwar jung und sehr hübsch ist, aber eingebildet und charakterlos und sich von einer älteren Dame aushalten lässt. Er nennt Fee „Kleine Freundin“, sie kann ihn nicht ausstehen. Hilta wird als Verkörperung des Nazis dargestellt. Die Krise der Eltern gipfelt in dem Augenblick, wenn es sich herausstellt, dass Fees Mutter und deren Liebhaber verheiratet sind. Als Beweis dient der von Herrn Tagman gebrachte Trauungsschein, der die Bigamie bestätigt. Mutti hat ihren Ehemann nur wegen des Geldes geheiratet, damit die finanzielle Lage ihrer Familie besser wird. Die Ehe stellt jedoch für sie die Hölle dar. Für Fee ist ihre Mama die wichtigste Person, gleich danach folgt ihre Erzieherin Frau 9 Damm, von Felicitas Wei genannt. Diese Gouvernante behandelt ein Kind wie das andere, ist gegen Frechheit, Arroganz und übertriebener Sorgfältigkeit bei Kindern. Gehorsam, Selbstdisziplin, freies, aber trotzdem noch gutes Benehmen und sich frei zu fühlen gehören ihrer Meinung nach zu den wichtigsten Aspekten der Erziehung. Sie ist eine konsequente anspruchsvolle Lehrerin, besteht auf aktiver Mitarbeit und duldet keine Diskussionen über ihre Lernmethoden. Felicitas wird von ihr als Privatistin betreut, weil sie den normalen Schulanforderungen nicht gewachsen ist, obwohl sie keine schlechte Schülerin ist, im Gegenteil, nur manchmal langsamer und nach Frau Damms Worten – unkonzentriert und konfus. Das Fräulein verteidigt die arbeitende, „enterbte“ Klasse. Der Reichtum macht keine Unterschiede. Die Pädagogin stimmt den Meinungen und Ansichten der Familie oft nicht zu, mischt sich aber nicht ein. Frau Damm vertritt in diesem Werk atheistische Gedanken, ist 10 nicht fromm, betet und bekreuzigt sich nicht und glaubt nicht mehr an Gott. Mit Mühe

9 Die damalige Situation und Stellung der Frauen in der Gesellschaft waren nicht beneidenswert. Sie hatten keine Rechte, von Männern wurden sie als Minderwertige behandelt und nicht als gleichwertige Partner anerkannt. Ihre Interessen wurden nicht entwickelt. In dieser Zeit wurde den Frauen nicht ermöglicht, an der Universität zu studieren. Die meisten, die nicht verheiratet waren und von ihren Gatten ernährt und unterstützt wurden, arbeiteten als Erzieherinnen, Pflegerinnen, Kindermädchen, Gouvernanten oder Dienstpersonal. (Vgl. Lange, S. 88 - 102) Die Gouvernante der Jahrhundertwende führte eine rechtlose und abhängige Existenz in verschiedenen Häusern, hatte nie ein eigenes Heim. Meistens wurden hässliche Gouvernanten gesucht und bevorzugt, damit sie nicht Väter und Söhne verführen konnten. Außereheliche Liebe widersprach dem bürgerlichen Anstand.

10(Vgl. Kiwit, S. 151) Der Einfluss der Politik auf das Kriterium der Zugehörigkeit zur Katholischen Kirche war nicht gering. Die Zahlen der Austritte zeigen zwei markante Höhenpunkte: das Jahr 1923 und das Jahr 1927. Beide Male hatten

34 verbirgt sie ihre Schwäche und Leidenschaft für Herrn Carl Tagman. Sie bezeichnet ihn als einen kreuzbraven, zuvorkommenden Menschen. Felicitas verliebt sich in Leopold Placht, einen fünfzehnjährigen einfachen, netten, strengerzogenen Zuckerbäckerlehrling, dessen Sprache durch Dialekt, Jargon, Argot und manchmal grobe umgangssprachliche Ausdrücke charakterisiert ist. Dieser Bub ist an Arbeit gewöhnt und hat Verständnis für arme Menschen, genauso wie sein Vater – Ferdinand Placht, der die Funktion des sozialdemokratischen Abgeordneten ausübt und gegen Demoralisierung und Bolschewisierung des Landes ist. Ferdinand Placht hat im Jahre 1918 die Republik mitbegründet und seitdem hält er Parlamentsreden. Er kämpft dafür, dass alle etwas zum Essen haben, nicht verhungern und dass sich jeder wie ein Mensch fühlt und nicht wie ein Vieh. Leopold rettet Felicitas Leben, indem er sie im letzten Augenblick vor einem herankommenden Wagen zurückreißt. Fee leidet sehr unter den familiären Umständen, denkt viel darüber nach, erfährt aber nie die Wahrheit. Das Haus ist voll von Geheimnissen. Jede Woche donnerstags besucht Felicitas den Vater vom Papa, der noch mit seiner Schwester Regine und einer tschechischen Hausgehilfin Božena zusammenlebt. Božena wird oft angegriffen, kaum geachtet und anerkannt. Sie wird als Trampel bezeichnet, ohne gutes Benehmen. Opa und Großtante Regine sind herzliche, gewöhnliche Menschen, mit tschechischem Akzent. Gutes, aristokratisches Benehmen mit festen Regeln halten sie für keine Priorität. Das Wichtigste ist, dass die Familie zusammenhält und sich versteht. Was die Kriegsfolgen betrifft, beharrt Regine auf dem status quo. „Sie nahm es einfach nicht zur Kenntnis, weder daß die Landkarte anders aussah, noch daß es keinen Kaiser mehr gab, noch daß man in Schillingen und Groschen rechnete.“ (S. 51) Sie denkt, dass Mähren nach wie vor zum Kaiserreich Österreich - Ungarn gehört und rechnet deswegen auch noch in Kronen und Hellern. Die neuen sozialen Errungenschaften wie Krankenkassenbeiträge, Gas- und Elektrizitätsrechnung und Radiogebühren haben sie nicht beeinflusst. Ihre Kinderjahre verbrachte sie in Neutitschein, dann zwei Jahrzehnte in 11 Brünn. An Wien kann sie sich auch nach vierzig Jahren nicht gewöhnen. Der Opa, Samuel

die Sozialdemokraten eine massive Kirchenaustrittspropaganda lanciert. 1923 wurde die Parole ausgegeben: „Man kann nicht Sozialist und zugleich Kirchengänger sein! Darum: „Heraus aus der Kirche! Werdet konfessionslos“. 1927 wirkte sich die Propaganda gegen Ignaz Seipel - den „Prälaten ohne Milde“ aus. (Vgl.

11Hanisch, S. 3 - 4) Die Schwierigkeiten, die den Juden in Österreich entstanden, waren im Vergleich zu jenen in Deutschland noch ungleich größer. War die Lage der Juden in Wien schon als äußerst triste zu bezeichnen, so war sie in den slawisch besiedelten Gebieten Österreichs unerträglich. Dort lebten zwei Drittel der jüdischen Gesamtbevölkerung der Monarchie, die mit verschiedenen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten: z. B. drückende Steuerlasten und Begrenzung der Bewegungsfreiheit (Vgl. Hellwing, S. 19)

35 Tagmann, ist ein schweigsamer Mensch, der viele Stunden mit Lesen des Abendblatts der „Neuen Presse“ verbringt. Spannungen zwischen Artners und Tagmanns sind sichtbar. Im Roman werden sowohl Religionsintoleranz als auch antisemitische Vorurteile dargestellt. Die Anpassung der Juden wird jedoch ebenfalls kritisiert. Die alte Frau Tagmann verurteilt das Verhalten seines Sohnes, der in ein gojisches Haus geheiratet hat und sich 12 13 taufen ließ, damit er etwas im Leben erreicht. , „Sein Irrtum is, daß er glaubt, man wird ihm verzeihen, daß er ein Jud is, wenn er so macht, als wär´ er keiner! (S. 60) Er hat Stolz und Würde verloren, um sich in die Gesellschaft zu integrieren. Ebenfalls ließ er das N von seinem Namen wegtun und heißt Tagman statt Tagmann. In dieser Geschichte tritt der Gärtner Maishirn auf, der sich nie in Sachen der Herrschaften einmischt und ein gewöhnlicher, fleißiger und freundlicher Mensch ist. Felicitas hält ihn für ihren guten Freund und Ratgeber. Die familiäre Situation trägt dazu bei, dass Felicitas nervös ist und sich nicht auf das Lernen konzentrieren kann. Der Vater versucht sie an seine Seite zu ziehen und möchte, falls es zur Scheidung kommt, dass sie bei ihm bleibt. Um sie zu überzeugen, verspricht er ihr schöne Sachen, einen Hund und eine Reise ans Meer nach Italien. Er lügt, dass Mutter zur Kur nach Franzensbad fährt und dass sie nicht mehr mit ihnen wohnen will. Er hetzt sogar das Kind gegen ihre Mutter auf. Felicitas merkt, dass sich die Eltern anlügen und anschwindeln und dass ihre Mutter eine Affäre mit Herrn Hilta verheimlicht. Leopold wird zu einem Kinderfest eingeladen. Hier kommt es zu einem Konflikt zwischen den armen und reichen Kindern. Die Kinder lassen Leopold spüren, dass er aus einem anderen Milieu stammt, sie lachen über ihn, seine Kleider und seine Sprechweise und sie machen sich über seine Unkenntnis der Fremdwörter lustig. Dieses Treffen endet mit einer Schlägerei. Leo erfährt am eigenen Leib, dass die Freundschaft oder Kameradschaft zwischen Fee und ihm nicht funktionieren kann, weil die sozialen Unterschiede so groß sind. Er ist Prolet, sie Bourgeois. Die Tatsache, dass es damals rund 200 000 Arbeitslose in Wien gab, hat

12 Für Juden, die sich nicht taufen lassen wollten, war nur der Kaufmannsberuf möglich. (Vgl. Rozenblit, S. 55) Durch Mischehe zeigten sie, dass sie sich nicht länger an Geschichte und Schicksal des jüdischen Volks gebunden fühlten und dass sie in der nichtjüdischen Gesellschaft aufgehen wollten. Die Konvertation brachte ihnen beruflichen Erfolg und ermöglichte ihnen, sich vollständig zu assimilieren. (Vgl. ebd., S. 132) Diejenigen, die konfessionslose Partner heirateten, sind meistens in Wien, Mähren oder Böhmen zur Welt gekommen. (Vgl. ebd., S. 137) Unter Juden, die aus Mähren, Böhmen oder Ungarn kamen, stammten die Konvertiten öfter aus den Großstädten dieser Provinzen. (Vgl. ebd. S. 147) Lothar weist auf diese Tatsache indem auf, dass er seine Gestalt Tagman aus

13Brünn kommen lässt. Die Rate der Glaubensübertritte war in Wien am höchsten nicht nur auf dem Gebiet der Monarchie, sondern auch in Europa. (Vgl. Pauley, S. 96)

36 sicher zu diesen scharfen Auseinandersetzungen beigetragen und ein soziales Ungleichgewicht bewirkt. Frau Damm, Verteidigerin der Proleten, streitet mit dem Großpapa, nicht nur wegen der politischen Lage, sondern auch wegen der Erziehung. Dieser Zank mündet in ihrer Entlassung, auf ihren Wunsch hin. Sie verspricht, bis zu Felis Prüfung zu bleiben. Seit dieser Kündigung interessiert sie sich für nichts mehr, gibt einsilbige und distanzierte Antworten. Mit diesem unfreundlichen Benehmen will sie ihrem Zögling den Abschied leichter machen. Die Verhältnisse zu Hause verschlechtern sich, die Eltern reden nicht mehr miteinander, Wei beschränkt sich nur auf ihren Unterricht. Felicitas lebt in Angst, erlebt schlaflose Nächte. Zuhause wird alles düster und die Scheidung wird geplant und rückt näher. Frau Jo Tagmans Affäre und die Untreue zu ihrem Mann wird von den Dienstboten als offenes Problem behandelt und als Ursache für die Scheidung gesehen. Felicitas spürt, wie sich ihre Mutter von ihr entfremdet. Sie ist nicht mehr so freundlich und zärtlich, sondern immer ernster und unzugänglicher. Mutti stellte für sie immer die beste, fabelhafteste Person dar, die sie vergöttert hat. Fees positives Bild stürzt zusammen, sie sieht in ihr nun eine Lügnerin und hinterhältige Person. Die Tatsache, dass ihre Mutter einen anderen Mann hat und ihren Papa betrügt, findet sie verantwortungslos, ja ekelhaft. Feli kann unter diesen familiären Umständen nicht essen, schlafen, lernen und sieht blass und ungesund aus. Sie erschrickt, sooft die Tür aufgeht oder das Telefon klingelt. Jeder tut so, als wüsste man nichts, aber alle außer Fee wissen es. Das Haus ist voll von ewiger Spannung und Versteckenspielerei. Ihr größter Wunsch ist, dass ihre Eltern wieder zusammen sind und Herr Hilta ihre Mama in Ruhe lässt. Sie entschließt sich, ihn zu besuchen. Dabei ertappt sie ihn in flagranti mit ihrer Mutti in einer ausgeliehenen Wohnung. Seitdem neigt sie mehr zum Vater und dessen Familie. Papa tut ihr leid, sie sieht, wie er überfordert ist und will, dass er nichts von Herrn Hilta erfährt. Felicitas möchte beide Elternteile schützen - sie will Mama nicht verraten und Papa nicht wehtun - und entschließt sich für eine Notlüge. Sie sagt ihrem Vater, dass seine Frau ihn immer lieb habe. An dieser Situation lässt sich erkennen, wie die Rollen getauscht wurden. Das Kind ist reif geworden, verhält sich wie Erwachsene, ihre Eltern dagegen wie Kinder. Felicitas tröstet, beruhigt und unterstützt ihre Eltern, obwohl sie selber nicht weiß, was zu Hause abläuft und was unternommen wird. Sie dient als Blitzableiter, fühlt sich überfordert. Herr Tagman ist immer noch in seine Frau verliebt, Frau Tagman liebt ihn aber seit langem nicht mehr. In der Vernunftheirat, wo es nicht an Geld und Luxus mangelt, fühlt sie sich sehr unglücklich und müde, möchte auch mal Freude haben. Die Scheidung hat sie nur wegen ihres Kindes und wegen der Tränenausbrüche ihres Mannes

37 nicht beantragt. Seine Launenhaftigkeit bezeichnet sie als jüdische Sentimentalität. Ihre negative Einstellung zu Juden und deren Unterlegenheit drückt sie auch in folgenden Worten aus: „Die Juden behaupten immer, sie seien gescheiter als die Arier. Aber wenn ein Arier gescheit war, war er´s eben ohne Hintenherum und Kniffe, folglich hundertmal gescheiter!“ (S. 174) Ihr Bruder Thuri hat von Juden ebenfalls keine positive Meinung: „Juden seien schon an und für sich arg. Aber Mischjuden am allerärgsten, weil, da nütze gar nichts, ein Tropfen jüdisches Blut genüge, um den ganzen Menschen zu verjuden, das Christliche in ihm komme 14 dagegen nicht auf!“ (S. 247, 248) Mit der Scheidung riskiert Frau Tagman den Verlust ihres Kindes. Für die damalige Zeit ist es ein bahnbrechender Gedanke, das Kind in die Obhut des Vaters zu geben. Weil es Felicitas nicht gelungen ist, Herrn Hilta zu überzeugen, von ihrer Mutti zu lassen, engagiert sie Leopold. In ihm sieht sie eine Stütze, weil niemand anderer ihr hilft. Mit ihm erlebt sie auch die erste platonische Beziehung. Er versucht, sie zu küssen, sie lacht noch kindisch darüber. Leopold, der für sein Alter sehr reif ist und sich gut auskennt, übernimmt die Sache in eigene Hände – er berichtet Herrn Tagman über die Affäre und erzählt ihm alles. Die unangenehmen Angelegenheiten häufen sich, Feli leidet nicht nur unter der erwarteten Scheidung, sondern auch unter dem Tod der Tante Regine. Die Begegnung mit dem Tod bringt sie auf Gedanken, ob Religion einen Sinn hat und ob es überhaupt einen Gott gibt. Sie zweifelt daran, dass man nach dem Tod in den Himmel kommt. Sie denkt darüber nach, ob man etwas dafür kann, dass man Jude oder Christ ist, reich oder arm. Sie ist ein Mischling, aus zwei Religionen entstanden, was von den Antisemiten als das Schlimmste bezeichnet wird. Das Begräbnis bietet ihr die Gelegenheit, sich mit der jüdischen Religion und Kultur auseinanderzusetzen. Sie sieht Rabbiner mit Spitzbärten, bekleidet mit schwarzen 15 Soutanen, es wird Kaddisch gebetet und der Sarg ist aus unpoliertem, wenig prachtvollem Holz gemacht. Fee überlegt, ob die Juden beim Beten niederknien und zu welchem Gott sie überhaupt beten. Die Verzweiflung an Regines Tod verursacht, dass sich Božena nicht beherrschen kann. Sie spricht spontan manche Sätze auf tschechisch aus: „nasch dobri chudak“, „Jsou tady!“ (S. 227)

14 Die gefühlsmäßige Abneigung gegen die Juden beruhte im besondern auf der mittelalterlichen Hetze, die das Wort „Jude“ zu einem von Hass und Verachtung diktierten Schimpfwort gemacht hatte. Das religiöse Argument

15blieb vorherrschend. (Vgl. Hellwing, S. 15) Kad/disch, das; [hebr. qaddis geheiligt; nach dem Anfangswort eines Gebetes] (jüd. Rel.): jüdisches Gebet, das bes. um das Seelenheil Verstorbener während des Trauerjahres gesprochen wird. (Vgl. Duden – Deutsches Universalwörterbuch, 2003 [CD-ROM] )

38 Das Begräbnis gibt Felicitas Hoffnung, dass die Eltern wieder zusammen kommen und ohne Feindseligkeit reden werden. Das Kind verwandelt sich gleichzeitig in die Position der Vermittlerin und Psychologin und analysiert Gespräche ihrer Eltern. Dieser „Waffenstillstand“ bringt jedoch keine gewünschte Versöhnung, bedeutet nur Ruhe vor dem Sturm. Die Zeit der Prüfung nähert sich, aber niemand kümmert sich darum. Die Prüfung besteht sie hervorragend, bis auf einen Zwischenfall mit einer Lehrerin tschechischer Abstammung. Diese strenge Frau Dobral peinigt sie, erniedrigt und schreit sie während der Prüfung an. Frau Dobral identifiziert sich mit der nationalsozialistischen Gesinnung, wobei sie behauptet, die besten Schüler seien die des deutschen Volkes. Felicitas wird vom Gericht zur Scheidung als Zeuge vorgeladen. Je nachdem wie sie aussagen wird, entscheidet sie über ihr Schicksal – ob sie bei Mutter oder Vater bleiben wird. Sie steht zwischen ihren Eltern, möchte niemandem schaden. Das Gericht hinterlässt eine schreckliche Erfahrung in ihr. Die Advokaten greifen sich gegenseitig an, argumentieren mit psychisch - physischer Schädigung des Kindes, Fee wird wie eine Puppe von einer Seite zur anderen geworfen. Da sie bei ihrer Mutter bleiben möchte, ist sie auch zu einer belastenden Aussage fähig. Die Vorstellung, dass sie ohne sie leben würde, ist unerträglich. Sie fühlt sich von allen verstoßen, verraten und von niemandem geliebt. Als einzige und beste Rettung sieht sie den Selbstmord – Leuchtgasvergiftung im Bad. Verzweifelt schreibt sie Abschiedsbriefe an Mutter, Vater und Opa Tagmann. Nach Begehen jener Tat wird sie von Wei geistesgegenwärtig vor dem Tod gerettet. Die ersten Stunden ist sie bewusstlos, hat Halluzinationen und phantasiert. Wenn sie aufwacht, sind alle sehr nett zu ihr. Die Eltern bleiben zusammen, planen eine gemeinsame Ferienreise, auch Frau Damm wird auf ihren Auszug verzichten. Beide Großväter besuchen Felicitas und unterhalten sich erstaunlicherweise ohne Hass. Es geht nicht nur um Versöhnung der Familie, sondern auch um das Respektieren und die Toleranz gegenüber anderen Religionen. Herr Tagmann Senior erwähnt trotzdem, dass es nicht gut tut, wenn sich ein Jud für einen Christen ausgibt, weil Nichtjuden immer gegen Juden voreingenommen sind. Damit meint er, dass es immer Konflikte gab und geben wird. Über Kinder sagt er, dass „Vergötterei und Auf-den Händen Trägerei“ für sie nicht gut ist, es sei denn, man versteht und begreift nicht, dass ein Kind ein Kind ist. „Ein Kind hat eine schwache Seele! Da darf man doch nicht aufladen auf so ein Seelerl wie Möbelpacker auf en´ Streifwagen!“ (S. 370) „ ... lieber laßt´s hungern so ein Kind – lieber barfuß laßt´s es gehn, statt daß ihr ihm aufladet´s, was zu schwer is -“ (S. 370) „Die besten Eltern sind die, die ein Kind ein Kind sein lassen!“ (S. 370) Damit möchte er darauf

39 hinweisen, dass Reichtum und Verwöhnen nicht das Wichtigste in der Erziehung sind, sondern Verständnis dafür, dass Kinder ihre Kindheit frei genießen können. Die Geschichte des Lebens und Erlebens eines zwölfjährigen Mädchens wird glücklich mit Abrissen aus einem tschechischen Lied beendet, das vom Opa gesungen wird. „Šla Nanynka do zelí, do zelí, do zelí – Natrhala lupení, lupeničko ...“ (S. 371) Das Singen dieses Kinderliedes kann man als Erinnerungen an Tagmanns Heimat, als Heimweh oder Weiterleitung seiner Wurzeln und seiner Sprache interpretieren, damit sie nicht in Vergessenheit geraten. Ebenfalls ist es möglich, darin eine symbolische Erinnerung an ein Lied zu sehen, das eine tschechische Amme einem deutschsprachigen jüdischen Kind - Ernst Lothar - gesungen haben mag und die eine nicht konfliktfreie, aber nichts desto trotz eine gegenseitig befruchtende Koexistenz der Nationen in der Monarchie heraufbeschwört.

40 4. Kinder Erste Erlebnisse (urspr. Gottes Garten) Dieses Buch kennzeichnet sich durch biographische Züge Lothars.

4.1. Erzählstruktur und -stil 16 Dieses Werk wurde im Jahre 1932 herausgegeben, als Bearbeitung des Buches „Gottes Garten“ (1927). Es besteht aus 185 Seiten und wird in 15, nicht lange, Kapitel eingeteilt, die kurze verständliche Sätze beinhalten. Die Erzählungen werden in der Regel als selbstständige Einzelheiten ohne Verbindung dargestellt. Typisch für dieses Werk ist, dass jede Geschichte ein gutes Ende hat und eine lehrhafte Pointe für die Kinder enthält. Tägliche Gedanken und Erlebnisse werden in der Er-Form und Ich-Form verfasst. Erlebnisse der Kinder aus Sicht ihres Vaters und seine eigenen Erinnerungen an die Kindheit werden mit der direkten Rede gemischt, wobei Lothar großes Verständnis für Kindergefühle und die Kinderseele aufweist. Überlegungen, die meistenteils nicht ausgesprochen werden, werden in der inneren Rede und in inneren Monologen gehalten, analog zu Schnitzlers 17 „Leutnant Gustl“ (1900) oder „Fräulein Else“ (1924) . Fragen werden gestellt, die selbst beantwortet werden. Häufig finden sich Ergänzungen in Klammern: „Schöner als Weihnachten? (Aber wer, der Erwartungen geweckt hat, wollte sie mit Superlativen zerstören?)“ (S. 38) und satirische Bemerkungen: „Wie malte sich ihnen das, was ihnen bevorstand, da sie ihm mit einem Staubwedel und einem Fingerhut beikommen zu können glaubten? Lächerliche Frage! Sie besaßen noch die ungeheure Gewalt, die aus dem Staubwedel eine Palme, aus einem Fingerhut die Fülle macht.“ (S. 39) Ebenfalls mangelt es nicht an Interjektionen und Ausrufen, z. B.: „Halt!“, „Bravo, kleine Geprüfte!“ (S. 17), unvollendeten Sätzen: „Man zeigt nicht, wer man ist ...“ und unterbrochenen Sätzen: „Bitte ... nach Belieben ...“ (S. 19) Einfache Rede wird ab und zu mit Fremdwörtern ausgeschmückt, um das Komische der Situation auszudrücken: „Wenn du es schaffen kannst, machen wird die Sache, bitte, unter uns ab! Es wäre zu blamabel!“ (S. 117) Typische Kinderausdrücke und

16 Demselben Gegenstand in ihren Werken widmeten sich folgende Autoren: Schnitzlers Freund Hermann Bahr, „Die Kinder“ (Komödie), hrsg. 1920; Max Jungnickel, „Kinder“, 1921; Fritz Müller-Partenkirchen (Ps. f. F. Müller), „Kinder“ (Erzählung), 1932. (Vgl. Ahnert, S. 253) Obgleich der zuletzt genannte Schriftsteller Müller- Partenkirchen (1875 – 1942) sein Werk unter dem gleichen Namen und im selben Jahr wie Lothar herausgegeben hat, besteht kein geringer Zusammenhang zwischen diesen Autoren. Genauso die Identität ihrer

17Geburtsnamen ist zufällig. Die inneren Monologe in „Fräulein Else“ werden mithilfe einer neuen Technik verwendet. Der Autor macht die Trennung der Protagonistin von ihrer Umwelt auch graphisch deutlich, indem er die Dialoge aller anderen Figuren in Kursivschrift setzt. (Vgl. Farese, S. 253 - 254) Ähnliche Separation ist bei Lothars „Der Hellseher“ zu beobachten, wobei er mittels der Kursivschrift bestimmte Fremdwörter von anderen Ausdrücken trennt. (Vgl. Kapitel 3. 3)

41 Kinderfragen werden ausgesprochen: „Wird es lange dauern?“ (S. 42) Der Text wird um manche Redewendungen und Idiome ergänzt: „sich durch solche Kleinigkeiten aus dem Fahrwasser bringen lassen“, „die Sache war anders zu packen“ (S. 125). Details werden gründlich beschrieben, vor allem Gestik, Mimik, Geräusche und Bewegungen der Menschen in verschieden Alltagssituationen. Die Deskription der Einzelheiten wird durch zahlreiche Adjektive erreicht. Lustige Szenen, Ausschilderung der grotesken und peinlichen Situationen, Spaß über andere Menschen und vor allem über sich selbst bereichern dieses Werk. Der Text wird im Hochdeutschen geschrieben, es wird fast kein Dialekt verwendet.

4.2. Themenanalyse Lothar erzählt die Erlebnisse seiner zwei Töchter – der älteren, oft kranken Agathe und der um drei Jahre jüngeren Hanni. Banale, alltägliche Themen und typische Familiensituationen werden behandelt, die aber nicht an ihrer Wichtigkeit und Lebensbedeutung verlieren. Die Geschichten entwickeln sich ungefähr binnen sechs Jahren, von Agathes achtem bis zum vierzehnten Lebensjahr. Die Kinder werden nur vom Vater erzogen. Die Rolle der Mutter wird nicht einmal erwähnt, was für die damalige Zeit überraschend ist. Die Umgebung wird meistens idyllisch dargestellt, z. B. Meeraussicht mit goldblauem Himmel. Oft wird gesungen, vor allem Kinderlieder, mit religiöser oder Naturthematik.

4.3. Inhaltsanalyse Das erste Kapitel fängt mit Agathes Prüfung über die zweite Volksschulklasse an. Die Schule wird metaphorisch dargestellt - sie wird als „Pflicht“ und „unbekannte Besucherin“ benannt. (S. 12) Im zweiten Kapitel finden die Vorbereitungen zu Agathes Geburtstag statt. Die Feier fällt jedoch aus, weil Hanni krank ist und Fieber hat. Obwohl Agathe traurig ist, hat sie Verständnis dafür. Alle sind durch die Krankheit des Kindes betroffen. Andere Kapitel verraten, dass die Schwestern nicht leicht ertragen, dass ihre Erzieherin und private Lehrerin weggehen sollte. Sie wird in der Familie nicht mehr gebraucht, weil die Kinder in die Schule gehen werden und somit nicht mehr Privatschülerinnen sind. Der Dienst einer Gouvernante, nach Fräuleins Meinung, ist, mit Kindern zu leben und für alles verantwortlich zu sein – für das Essen, die Essgewohnheiten, den Unterricht, wobei sie oft von der Familie Undank und Vorwürfe erhält.

42 Zu den wichtigen Punkten dieses Buches gehört die Konfrontation mit dem wirklichen Leben, der Realität – der Begegnung mit dem Tode. Diesen schmerzlichen Abschied fühlen die Kinder zum ersten Mal bei Tieren, als ihr Hund starb, später der Kanarienvogel. Den Tod eines Menschen erleben sie, wenn ihre tschechische Dienerin - Marie Sedlačkowa stirbt. Hanni bemüht sich, sie noch zu beleben, indem sie ihr vorliest, ihr ins Gesicht tupft und sie an die Hand nimmt. Die Kinder versuchen, das Sterben zu verstehen. Trotzdem entsteht Polemik zwischen dem Leben und dem Tod und es treten Fragen auf wie: „Was ist nachher?“. Agathe erlebt die erste platonische Liebe im Tanzkurs zu einem blonden Knaben, der Handschuhe trägt. Hanni spürt dagegen die Niederlage, weil sie noch zu klein ist, an diesem Kurs teilzunehmen. Die Stellung der Kinder zu Behinderten und deren Behandlung werden bei der Gelegenheit eines Theaterbesuches geschildert. Die Schwestern sehen sich eine Vorstellung an, in der Taubstumme spielen. Obgleich die Kinder einander lieben, treten ab und zu Eifersucht und Schadenfreude auf. Eines Tages rettet Agathe einen kleinen Jungen, namens Peter, der seitdem an ihr hängt und sie ständig begleitet. Agathe kümmert sich um ihn wie um eine lebendige Puppe. Hanni, die alles nachmachen will und seine Zuneigung ebenfalls genießen möchte, entschließt sich, ihn absichtlich zu verletzen, damit sie ihn nachher wieder retten kann und er sie dafür lieb hat. Andere Menschen, vor allem Kinder, zu respektieren, lernen sie beim Zusammentreffen mit der jüngeren armen Pepi aus dem Souterrain. Sie begreifen, dass alle Kinder gleich sind und dass es keine Unterschiede zwischen ihnen gibt. Andere Themen, die nicht vermieden werden, sind beispielsweise Zeugung und Pubertät. Agathe fühlt sich im Laufe der Zeit erwachsen, sie will keinen kindlichen Haarschnitt mehr tragen, Hanni verwendet nicht mehr bei jedem die „Du“ Ansprache, sondern beginnt zu siezen. Kinder haben eigene Geheimnisse, man muss sie respektieren. Eltern irren sich, falls sie behaupten, dass sie ihre Kinder gut kennen. „Man kennt niemanden!“ (S. 182), laut Lothar. Nachdem Agathe und Hanni eine mehrtägige Reise unternehmen, spürt ihr Vater die unerträgliche Stille des Hauses, in dem er sich bisher ständig über den von den Kindern herstellenden Lärm und das Chaos beklagt hat. Er vermisst seine Mädchen und ängstigt sich, dass er sie verliert und dass sie sich ihm entfremden. Gleichzeitig hofft er, dass sie noch eine bestimmte Zeit zu Hause bleiben, bevor sie für immer weggehen, „aus Gottes Garten in die Welt“. (S. 175)

43 Der Autor betont, man sollte die Kinder Kinder sein lassen, ohne sie zu zwingen, sich wie Erwachsene zu verhalten. Sie entwickeln sich, man muss ihnen bloß die Freiheit geben, diese Verwandlung durchzuführen und man muss sie sich formen lassen, ohne einzugreifen. Lothar verteidigt Kinder, unterstützt sie und unterbindet nicht ihre Phantasie. Nie betrachtet er das Kind als etwas Minderwertiges oder Unvernünftiges.

44 5. Ähnlichkeit dieser zwei Bücher und Zusammenhang mit Ernst Lothar Bestimmte Merkmale erscheinen sowohl im Werk „Kleine Freundin“, als auch im Buch „Kinder“. Die weiblichen Hauptfiguren sind kränkelnde Kinder – genauso wie es Lothar war – die gerne ins Theater gehen, eine Privatlehrerin haben und unter dem Auseinanderleben und der Scheidung ihrer Eltern leiden, was sogar zum Selbstmord führen kann. Alle stellen sich die Frage, ob es einen Gott gibt und haben Schwierigkeiten, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen. Sie wachsen zu jener Zeit auf, als die Monarchie unterging und sich der Nationalismus zu verbreiten beginnt. Beide Familien stellen eine tschechische Gehilfin an, die als etwas Minderwertiges von der österreichischen Gesellschaft behandelt wird. Die Mädchen erleben ihre erste Liebe und lernen Kinder aus niedrigem sozialem Niveau kennen – Leopold, Pepi. In beiden Werken werden häufig Lieder gesungen. Lothars Leben und sein Beruf beeinflussten vor allem den Roman „Kleine Freundin“ – oftmalige Verwendung der Rechtssprache, Einkomponierung der Zeitung „Neue Freie Presse“ oder die Beseitigung des Buchstaben N bei Tagmann genauso, wie Lothar den Namen Müller entfernte und durch einen Pseudonym ersetzte. Seine tschechischen Wurzeln sind nicht zu verstecken – in Liedern, Kindergedichten, bei spontanen Ausrufen der Dienerinnen oder beim Wecken von Emotionen wie beim alten Herrn Tagmann am Ende des Buches. Warum wird der Nationalsozialismus gerade durch Frau Dobral, einer unfreundlichen Lehrerin tschechischer Abstammung verkörpert? Sind dies Lothars schlechte Erinnerungen an das strenge tschechische Schulwesen? In Lothars zweitem analysiertem Werk spielen vor allem seine Kinder und deren Weltempfindung die größte Rolle. Lothar präsentiert sich nicht nur als ein sehr guter Kenner der Kinderseele, sondern auch als ein objektiver Beobachter, der negative Eigenschaften sowohl bei Christen, als auch bei Juden kritisiert und der allen sozialen Schichten Raum bietet, damit sie ihre Meinungen ausdrücken und verteidigen können.

45 6. Der Hellseher Nach eher pädagogischen Werken wird ein Roman vorgestellt, der sich mit einer philosophischen Frage beschäftigt. An diesem Buch möchte ich demonstrieren, dass sich Lothar mit verschiedenen Bereichen befasste und sich nicht nur auf ein Thema konzentrierte. „Der Hellseher“ wurde im Jahre 1934 von Maurice Elvey verfilmt, unter dem Namen „The Clairvoyant“.

6.1. Strukturanalyse Es handelt sich um einen zweiteiligen Roman, der insgesamt sechs Kapitel hat. Diese wurden nochmals in kleinere benannte Sektionen unterteilt. Das Buch besteht aus 525 Seiten, die in der alten Schrift geschrieben sind. Im Jahre 1929 wurde dieses Werk zum ersten Mal herausgegeben. Die Handlung spielt im Jahre 1928, meistens in Wien.

6.2. Titelanalyse „Der Hellseher“ ist eine der Bezeichnungen für die Hauptfigur, Sebastian Trux. Einerseits sagt der kurze, treffende Titel das aus, worum es in diesem Werk geht - also um das Sehen in die Zukunft, das von einer Person ausgeübt wird, anderseits verbirgt sich hinter der Benennung eine Reihe von Geheimnissen, genauso wie es für die Fähigkeit „hellsehen“ charakteristisch ist.

6.3. Themenanalyse Als Hauptthema des ganzen Romans wird die philosophische Frage gestellt, ob man über sein eigenes Schicksal bescheid wissen sollte oder nicht. Die Hauptfigur, der Hellseher, tritt auf und zeigt dank seiner Fertigkeit beide Alternativen dieser Erkenntnis - sowohl positive als auch negative. Lothar wählt ein sehr aktuelles Thema jener Zeit, als Spiritualismus, Okkultismus und Mystik ihren Gipfel erreichten und sich fast die ganze 18 Gesellschaft dafür interessierte oder wenigstens damit in Kontakt gekommen ist.

18 In damaliger Zeit befassten sich viele Autoren mit der gleichen Thematik wie Lothar - mit der Hellseherei - und betitelten ihre Werke ebenso: „Der Hellseher“ (Novelle), Hans Christoph Kaergel (1920); „Hellseherei“ (Drama) von Georg Kaiser (1929); „Der Hellseher“ (Roman), Kurt Heynicke (1951). (Vgl. Ahnert, S. 199) Obwohl sich Arthur Schnitzler mit Vorliebe als rationalistischer Naturwissenschaftler hinstellte, verfasste auch er okkultistische und spiritistische Novellen „Die Hirtenflöte“ (1911), „Der Mörder“ (1911). Jede Metaphysik und menschliche Willensfreiheit bezweifelnd und immer wieder die strenge Kausalgesetzlichkeit des Lebens betonend, empfand Schnitzler zugleich das Schicksal als unverständliches Fatum, das in den Novellen „Das Schicksal des Freiherrn von Leisenbogh“ (1904), „Die Weissagung“ (1905) und „Die dreifache Warnung“ (1911) erscheint. Solche Stoffe, in denen er die geheimen Seelenzustände seiner Gestalten analysieren konnte

46 Außerdem wird ein anderes am Anfang des 20. Jahrhunderts immer häufiger auftretendes Problem in diesem Werke diskutiert - die gesellschaftliche Position der Frauen, die ein uneheliches Kind bekamen (Paula Rimpel), bzw. bekommen (Agnes Kasimir).

In der Zeit des Antisemitismus und dessen Bekämpfung dürfen jüdische Anzeichen bei diesem jüdischen Schriftsteller nicht fehlen. Das „Judenthema“, vor allem die Beleidigung dieses Volkes, erscheint in folgenden Beispielen. z.B.: - Sebastians jüdischer Ausruf „Judas Thaddaeus“ (S. 126) - „Und Herr v. Tosse, der Bankgouverneur? Dieser Tosse, ...? Getaufter Jude 19 übrigens? Hatte mal Traubensaft geheißen? Das nun nicht.“ (S. 20) - „Zur Strecke habe er sie gebracht, in Triest, India wie den saubern Patron, der noch 20 dazu ein Jude war.“ (S. 341)

In dem Roman ist ebenfalls zu spüren, dass Der Zweite Weltkrieg „hinter der Tür steht“. Der Diktator wird deshalb als eine unergründliche Macht dargestellt, von der man nicht weiß, was man erwarten kann. (S. 520)

Diese zwei zuletzt genannten Bereiche werden nur am Rande erwähnt. Dennoch haben sie – meiner Meinung nach – ihre feste Bedeutung und wurden im Werk gezielt angeführt.

6.4. Spracheanalyse Der Roman wird in der Er-Form geschrieben, von inneren Reden der Gestalten ergänzt, die nicht eingeleitet werden. Manche Gedanken werden in Klammern weiterentwickelt. Der Autor redet häufig den Leser an, stellt ihm Fragen, die nicht beantwortet werden. Er selbst nimmt oft Stellung zur Situation und bewertet sie mit subjektiver Meinung. Sätze werden nicht vollendet oder sind unterbrochen, mit drei Punkten oder mit einem Bindestrich. Ähnlich wie in vorigen Werken ist dieser Roman sehr reich an Metaphern, Redewendungen, Idiomen, Fremdwörtern, veralteten Wörtern, Interjektionen, verschiedenen wie in „Frau Bertha Garlan“ (1901), „Frau Beate und ihr Sohn“ (1913), zogen Schnitzler immer an. (Vgl.

19Herder, S. 891) Die meisten Konvertiten waren jung und ledig, wollten ihre Karriere vorantreiben, gesellschaftliche Situation

20verbessern und am europäischen Kulturleben teilnehmen. (Vgl. Rozenblit, S. 138) In der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg begann sich der Antisemitismus wieder erneut zu verschärfen und diente den entstehenden faschistischen Bewegungen zum Mittel der Politik. (Vgl. Bergmann, S. 70, 72)

47 emotionalen Ausrufen, pejorativen Ausdrücken, Partikeln und an Dialektsprache. Man kann sagen, dass diese oben genannten Sprachzeichen doppelt so häufig auftreten wie in „Kleine Freundin“ und „Kinder“. Oft wird eine ironische Sprache verwendet, damit die Eigenschaften der Menschen oder eine Situation verspottet werden kann. Der Autor macht sich über seine Gestalten lustig, er nimmt kein Blatt vor den Mund. Derbe, pejorative Ausdrücke sind ebenfalls zu sehen. Sie ermöglichen dem Leser, sich eine Situation realistischer vorzustellen. Zu jeder Problematik erwähne ich bestimmte Beispiele:

„Wir“- Anrede (des Lesers und Erzählers) „Wir sollten uns nach ihm umsehen!“ (S. 12) „Fragen wir Fedora!“ (S. 15) „ ... und führte den Taumelnden behutsam an ihrem Arme aus dem Saal. Seien wir froh, dass sie gegangen sind!“ (S. 27) „Denn nun wollen wir uns mit Neugier wappnen und die Gaben genießen, die uns Herr Trux hoffentlich nicht vorenthalten wird?“ (S. 124)

„Du“ – Anrede des Lesers, der Leser „ ... seine rosig glasierte Haut und seinen reitenden Gang vor allem, mit dem er, hast du nicht gesehen, um die Ecke schoss und ...“ (S. 34) „Die Zunge streckte er aus dem Munde, seht! “ (S. 141) „Werft keine Steine nach Fedora ... wisst ihr denn, durch welche Nacht ...?“ (S. 300)

Vom Erzähler selbst gestellte und selbst beantwortete Fragen (Vertretung des Lesers) „Warum? Fragen wir Fedoras Bankier!“ (S. 13) „Vermutungen? Heraus damit!“ (S. 21) „ ..., so spuckte er es einfach weg, mein Bester, sind wir im Wald? Nein, wir sind in einem rottapezierten, übersüßduftenden Separatkabinett, ...“ (S. 337)

Vom Erzähler gestellte Fragen, auf welche man keine Antwort erwartet (rhetorische Fragen) „Es erwecke ihm durchaus nicht den Eindruck, als ob der Neuling schwindle. Faktisch? Demnach solle es denkbar sein, dass jemand aus einer Schrift, ...“ (S. 80)

48 „Sie mögen nicht glauben, dass sie so leichtes Spiel mit mir haben. Auch Sie nicht, Herr Bimeter! Glauben auch Sie das nicht ...! Gewitter am Horizont? Auf dem Perron, wo diese sonderbare Unterredung stattfand, ...“ (S. 343)

Allgemeine emotionelle, subjektive Bemerkungen und Ausrufe des Erzählers „Allerhand Respekt !“ (S. 17) „Unheimlicher Geselle dieser Bassan!“ (S. 21) „Nicht nach Hause zurück, sondern in der Stadt bleiben. O, keine Angst! Sie wird ihm nicht lästig fallen.“ (S. 47) „Armer Sebastian!“ (S. 242)

Zusammenfassung der Gedanken „Kurz und bündig, es wurde zusammen mit den Mädchen der Wortlaut ausgetüftelt, ...“ (S. 54) „Auf alle Fälle – es hatte etwas scheußlich Unbequemes, dazusitzen und zu wissen, ...“ (S. 61)

Religiöse Ausrufe „Du lieber Himmel , der Bestohlene war Rafael Bassan, ...“ (S. 10) „O Gott!“ (S. 16) „Sie schaute hin, sie schaute ihn an. Gottlob, nein! Sie lächelte.“ (S. 47) „Sebastians Mutter ging es besser, Gott sei Dank. “ (S. 50) „Donner, der knurrend begann, halb verklang, jäh wie scharfe Schüsse knatterte und breite, dumpfe, dröhnende Wogen warf. Allmächtiger! Sie saßen im finstern Esszimmer, ...“ (S. 57) „Gott bewahre, dass der Blitz einschlug ...!“ (S. 60) „Mein Gott, die Wissenschaft schaute ja scheel auf derartige Übungen ...“ (S. 70) „Ich selbst glaube jetzt daran – heiliger Gott – ich selbst ...?“ (S. 186)

Flüche „Herrgott, nicht zehn Meter von mir weg!“ (S. 116) „Verflucht! dachte Sebastian.“ (S. 119) „Ich bin dessen fähig, was sie von mir behaupten! Donnerwetter , ja!“ (S. 185) „Hole ihn der Teufel!“ (S. 206) „Wie lange zum Kuckuck dauerte das?“ (S. 214) „ ... mit seiner verdammten Nüchternheit ...“ (S. 348)

49 „Dummes Zeug.“ (S. 385)

Lothars Anrede der Leser „Herrschaften!“ (S. 25) „ ... – ja, lieber Freund , ...“ (S. 258) „Denn, unter uns , ...“ (S. 261) „Meine Lieben, ...“ (S. 334) „Meine spazierenden Damen und Herren!“ (S. 381)

Interjektionen am Anfang eines Satzes „O, Bassan war nicht von gestern!“ (S. 12) „Aha, Harrasser also!“ (S. 21) „He! Heda ... Welch ein Skandal!“ (S. 27) „Ich schaue nicht wie ein Referendar aus, haha, das weiß ich, meine Herren!“ (S. 40) „Ach, wer hätte das gedacht, Agnes war es!“ (S. 218)

Interjektionen mitten im Satz „Das heißt – holla – einen Augenblick!“ (S. 78) „Er selbst, o, auch er rührte sich nicht.“ (S. 153)

Interjektionen am Ende eines Satzes „ ..., sie tat es nicht anders, weil es Garantien bot, basta. “ (S. 54) „Es setzte einen vielleicht sogar bei denen ein wenig in Respekt, haha ... “ (S. 76) „Gelungen, he ?“ (S. 84) „Wie er alles und jedes belobte, eh !“ (S. 283)

Partikel, mit denen ein Satz eingeleitet wird „Ja, nun fangen wir an, ...!“ (S. 9) „Nun, der Unerfreuliche besaß ...“ (S. 18) „Jawohl , fast ein Riese war der junge Mensch, ...“ (S. 36) „Nein, ein für allemal!“ (S. 57)

50 Partikel (des Ärgers, der Ablehnung, der Zustimmung, ...) mitten im Satz „Er zerriss sein famoses Konzept und er wusste nichts mehr, wollte nichts mehr, nein, als seinen Gästen ins Gesicht springen, ...“ (S. 26) „ Denn meine Mutter ist zwar eine Landfrau, ja ; aber von so starkem Geist ...“ (S. 41) „Liebe, wie ein Mann die Frau liebt und wie sie ihn liebte, nein, die hatte er für sie nicht!“ (S. 49)

Partikel am Ende eines Satzes „Eine Großstadt, jawohl. “ (S. 29) „Er wollte dahin, ja! “ (S. 58)

Vergleiche „ ... sendete den Ruf ihrer Untadligkeit wie Lakaien voraus ...“ (S. 14) „ ... stand auf und hielt, wie ein Schwimmer vom Trampolin ins Ganze springend, seine Anrede.“ (S. 23) „Dies da, dieser große junge Bauer, der hier hereinfiel wie ein Fisch aufs Trockne, ...“ (S. 37) „Da muss man sich in Acht nehmen! Brrr! Eine Energie wie ein Messer .“ (S. 64) „ ..., einem nach dem andern. Die kamen ja wie zum Zahnarzt !“ (S. 203) „Der Bursche benahm sich ja wie Neuschnee .“ (S. 237)

Redewendungen, Idiome „Es blieb nur übrig, in den sauren Apfel zu beißen und diesen odiosen Mann in Kauf zu nehmen, ...“ (S. 18) „Dabei glich er aufs Haar einer Miniaturausgabe seines Vaters, ...“ (S. 33) „Kam mit seinem Kurzrock in ein Bankbureau, ließ sich den Bären von der „Conduite“ aufbinden und erzählte am hellen Tage Märchen? “ (S. 43) „Spanische Dörfer für die Doppelwitwe.“ (S. 72) „Von oben hui, von unten Pfui!“ (S. 199) „Dann wurde es ihr zu bunt .“ (S. 203) „Deshalb packte Alma die Gelegenheit beim Schopf ...“ (S. 236) „Die Okkultisten, die Spiritisten, die Theosophen lachten sich ins Fäustchen .“ (S. 348) „Da liege der Hase im Pfeffer .“ (S. 348)

51 Ironische Ausdrücke „Gratuliere, Freund, gut hast du gewirtschaftet !“ (S. 153) „Doch zur Küche kam man querüber links und nicht geradeaus, meine Beste !“ (S. 169)

Namen der Hauptgestalten durch spezielle Verbindungen ersetzt, oft durch metaphorische Sebastian: „der lächerliche Mensch“ (S. 117), „das Wundertier“ (S. 190), „Weltwunder“ (S. 219), „Welthelfer“ (S. 256), „das Wunder der Welt“ (S. 299), „der Wundertäter“ (S. 328), „das Riesenbaby“ (S. 344), „der Mann der Welt“ (S. 350), „das Weltphänomen“ (S. 356), „Schreckgespenst“ (S. 373), „Übermensch“ (S. 374), „der große schwere Mensch“ (S. 380), „der Hüne“ (S. 381) „Sebastian vom Unterhof“ (S. 425), „Seher“ (S. 510) Alma: „ ...das Kind, das zum Film wollte, ...“ (S. 117) Bassan: „der Schwarzfärber“ (S. 137) „ der Hypochonder“ (S. 142) Bimeter: „der auf zwei Kontinenten Bekannte und Bewanderte“ (S. 260, 467, 479) Agnes: „Agnes von daheim“ (S. 425)

Ausdrücke in einer fremden Sprache, die vom Autor durch unterschiedliche Schrift gekennzeichnet sind „ ...; pünktlich legte man das ad acta. “ (S. 81) „Als, the three Nornen´! “ sagte Alma bissig ...“ (S. 109) „Bis zum Sonnabend noch, pro forma , sollte auf die Ausforschung ...“ (S. 137) „ ..., von den bonnes femmes zum Sandelholzbücherkasten, ...“ (S. 191) „Nicht sprechen, old fellow !“ (S. 331)

Wortschatz, der in anderen analysierten Werken von Lothar vorkommt „ ..., dass es einfach blamabel gewesen wäre, ...“ (S. 83) „ ...; konfus ist sie; ...“ (S. 83) „ ..., immer konfuser werdend, ...“ (S. 263) „ ..., wie steif sie dasaß, diese Selma, als wäre sie perplex. “ (S. 65) „Bravo! dachte Sebastian.“ (S. 95)

Alliteration (die Wiederholung von gleichen oder ähnlichen Anfangslauten nebeneinander stehender Wörter) „Ungeheuer Unterschied!“ (S. 75)

52 „Ganz und gar nicht!“ (S. 78) „Hier steht doch klipp und klar.“ (S. 164) „ ..., dass es ihn nicht mit Haut und Haaren unterjoche; ...“ (S. 131) „Sie wünschte, in Bausch und Bogen informiert zu sein.“ (S. 184) „ ..., dass Fedora heute morgen .... fix und fertig im Garten stand, ...“ (S. 281)

Oxymoron „Doch es war Alma, die kam und den Menschen zum Sterben komisch fand, ...“ (S. 116) „ ...; die andere, sagenhaft unhübsch übrigens ...“ (S. 184) „Eine hübsche kalte Dusche!“ (S. 241) „Sie hängt unauflöslich an ihm, liebt ihn katastrophal !“ (S. 402)

Hyperbel „Und ein kleines Lächeln gehörte ihm als Extrazugabe allein.“ (S. 253)

Personifikation „Bleibe, Nacht, warum wirst du Tag!“ (S. 226) Liebe wird da personifiziert, sie verhält sich wie eine Frau: „ ..., sieht er, leibhaft, in dem merkwürdigen, gemeinen Tanzlokal etwas sich nähern, nahe sein und bleiben: es ist die Liebe, die er sieht. Aus den gemurmelten fünf Worten kommt sie her, aus diesen ärmlichen paar Worten, und setzt sich an den Tisch und setzt sich in des Menschen Herz, der zwischen Traum und Wachen wartet und die fünf Worte immer sagt. Aus Rauch und Tanzgestampf und Saxophongeheul und Kleinheit kommt die Liebe und geht so schnell, dass sie noch schneller ist als du; ...“ (S. 404, 405)

Zusammengesetzte Adjektive, um die Aussage stärker auszuprägen (vor allem bei der Beschreibung von Farben) „ ... und schlägt Sie mausetot !“ (S. 165) „ ... an einer fliederlila und weiß geschmückten Tafel ...“ (S. 27) „ ..., hatte seines Vaters kniffige wasserblaue Augen, ...“ (S. 34) „Und Blicke trafen ihn, herzschlagschnell bemächtigten sie sich seiner.“ (S. 122) „Er fühlte sich gesund, Bassan, kerngesund .“ (S. 140) „ ..., das garantier´ich Ihnen, haben wir bumvoll !“ (S. 240) „Und dann bekam er einen krebsroten Kopf ...“ (S. 240)

53 Ungewöhnliche Verbindungen (z.B.: Fremdwort + Schimpfwort, bzw. umgangssprachliches Wort, Schimpfwort + abstraktes Wort, ...), um einen Ausdruck zu verstärken „ ...und bedeutete der Kollegin: Ein kapitaler Esel! “(S. 187) „Lass den Respekt fahren, Unkömmling, die stupide Ehrfurcht!“ (S. 242) „ ..., eine faktische Wissenschaft auszukramen , ...“ (S. 287) „ ..., „ absoluter Idiot !“...“ (S. 479)

Substantivierte Verben „Das Reden, das Denken, das Eilen, das Verschlossensein.“ (S. 75) „Es ist ein Warten, Werden, Wachsen , ...“ (S. 525)

Ausdrücke, die sich in bestimmten Situationen wiederholen und von bestimmten Personen ausgesprochen werden (Sebastian, Agaz) „Da redete Sebastian. .... wie ein Rad, das nun ins Rollen kommt. “ (S. 70, 78, 83, 195, 326) „Sebastian, wohin?“ (S. 106, 248) „Judas Thaddaeus, hilf!“ (S. 127, 194, 353) „ ... lachte er sein stilles langes Lachen.“ (S. 243, 439) Die Gestalt Agaz: „ Pardonn !“ (S. 291, 292, 294, 296)

Die vom Erzähler wiederholten Wörter oder Sätze, mit denen die Bedeutung betont und Steigerung oder Spannung erzielt wird „Komisch, nicht? Außerdem Sebastian. Überhaupt komisch ...“ (S. 35) „ ..., dass sie sich vor ein paar Jahren unbegreiflich verliebt hatte, besinnungslos verliebt , ...“ (S. 73) „Kein Durch blick , dunkel vor den Fenstern. Kein Blick voran, dunkel an der Wand. Kein Blick hinauf, dunkel an der Decke.“ (S. 153) „Der leichte Rausch verflog, ...“ (S. 299, Z. 10) „Der leichte Rausch verflog“ (S. 299, Z. 16) „Der leichte Rausch verflog“ (S. 299, Z. 20)

Ergänzende Gedanken in Klammern „ ...; wobei diese Bilanz sich keineswegs kraft seines Hypochonderblicks so finster zeigte (denn man muss wissen, er war ein Schwarzfärber!) , sondern ...!“ (S. 13) „Mama Rimpel ( sie fürchtete sich vor Gewittern) stand am Fenster, ...“ (S. 57)

54 „Der Amerikanismus oder was man so nenne ( stupides Wort, denn die Europäer ahnten ja gar nicht, wie die Amerikaner sind !) ...“ (S. 347)

Lücken zwischen Buchstaben in einzelnen Wörtern, um die Wichtigkeit auszudrücken „ ..., Ihr Plan ist vergebens. V e r g e b e n s.“ (S. 352) „Sagst d u das!“ fiel er ihr ins Wort. „Hast vielleicht d u mir die Wahrheit gesagt, obschon du sie hättest verantworten können, jede Silbe?“ (S. 423) „Unter der erdrückenden Fülle von Beweisen hat er ein v o l l e s Geständnis a b g e l e g t.“ (S. 469)

Detaillierte, präzise Beschreibung der Kleider, des Aussehens, der Geräusche, Gerüche und oft beleidigende, peinliche und intime Deskription der Charaktereigenschaften oder Gewohnheiten „Sein eminent geschneiderter Frack, gleichwohl durch Treffen, Börtchen und Kaprice – Täschchen keineswegs erbaulich; die mattweiße, von beiderseits schräg zulaufenden Malachitknöpfen geschmückte Weste; das aus der Brusttasche buschig vorquellende Seidentuch; die Tanzschuhe mit breiten Bändern; die damendünnen Strümpfe: ....“ (S. 11)

„ ..., als ein ungewöhnlich ordinäres Gesicht sich darüber plump erhob. Dieses feiste, faltige Gesicht glich einem Bänkelsängergesicht: doch ohne dessen Stumpfheit; einem Pfaffengesicht: doch ohne dessen Salbung; einem Schlächtergesicht: doch mit Geist und zäh gesammeltem Willen.“ (S. 12)

„ ... die Hupenschreie der kettenhaft gedrängten Autos, das Kolporteurgebrüll, das Zischen und Klingeln der Straßenbahn, das dumpf vom Hafen und den Freispeichern schallende Krangeknatter, die hohen Signalpfiffe der Rundfähren, das Trompeten der grünen kleinen Lokaldampfer, das Fauchen der auf- und abpfeilenden Fahrstühle, das heisere Raffeln der Telephone, das Scharren, Ziehen, Schleifen, Reiben, Knirschen, Rollen auf dem Holzquadratpflaster bekömmlich zum Genuss.“ (S. 28, 29)

„Diese breiten, schnittgeraden Straßen, deren jede jeder glich, waren herrlich; diese dünnen Stämmchen, die miserabel in Gittern gediehen wie mausernde Sperlinge im Käfig, waren herrlich; dieser Atem aus Benzin und schwerem Rauch und Abfall; herrlich dies Gedröhn, Gegell, Gestampf; ...!“ (S. 183)

55 „Grauer unter seinem Puder war der Gouverneur seither. Denn er puderte sich, ohne geradezu Schminke aufzutragen, was man von ihm log; nicht Schminke! Puder aber verteilte er peinlich auf seinen beiden Wangen, verrieb es wissend mit seinen magern, am Rücken rasierten Händen, befreite auch allmorgendlich die Nasenwurzel von den rechts und links wuchernden rötlichblassen Brauen, die ihrerseits mit dem geschliffnen Messer schmal im Zaum gehalten wurden.“ (S. 88) „Von Tosse hustete. Er hatte eine redende Art zu husten, zwei kurze spitze Schälle, die in ein gezogenes Räuspern übergingen.“ (S. 90)

„Denn wie ein Toter hockte Bassan neben seiner Frau. Gespenstisch sah er aus! Sein Gesicht glich einem ausgepumpten Ballon.“ (S. 132, 133)

„Die Wandlampen zu Seiten des Spiegels drehte er auf und bog ihnen die breiten Blenden weg. So! Jetzt sah man besser! Und zitternd riss er sich die Kleider ab. Nackt stand er vor dem Glase. Spiegel, was prophezeist du! Der gedunsene, durch Jahr und Tag der Bewegung beraubte, träg gewordne Leib drängte sich weißlich an die kalte Fläche.“ (S. 142)

„Siehe da! Den Mann, der mit einem Schlappschuh und einem Tanzschuh, in ungestraffter Tuchhose, mit über der Brust offnem, rot und golden gezacktem Pyjamaröckchen dastand, überrauschte wie vor ein paar Augenblicken, als er unter dem Kop des Arztes lag, ein heißer Strom von Glück.“ (S. 149)

Redundantes Erzählen, durch das sich eine Gestalt lächerlich macht (Similarität zum tschechischen „Schwejk“) „Die Sache ist die. Meinen Vater, müssen Sie wissen, habe ich kaum gekannt. Aber ich habe noch einen älteren Bruder, er heißt Michael, wir kürzen es El ab; El wird den Unterhof übernehmen, er ist der Ältere. Bibiana ist ja längst verheiratet, so heißt meine Schwester, der Name klingt Ihnen fremd? Es ist nämlich ladinischer Einschlag bei uns, die Familie meines Vaters ist in der Gegenreformation aus Südtirol nach Deutschland eingewandert, doch ich gerate ins Schwatzen, das passiert mir, meine Herren, Sie müssen mich dann einfach unterbrechen ...“ (S. 39, 40)

56 Lothars angedeutete Aussprache der Fremdwörter in Klammern, um die Aussprache der höheren Gesellschaft zu verspotten „Den Bonkott des „Clubs“ (sprich „Klöbh“) zu brechen, ...“ (S. 16) „Sie musste die Reserven aufmarschieren lassen, deren Kern im „Salonzimmer“ („Salonzimmer“ ausgesprochen) lag: ...“ (S. 54) „Hierzu erfahren wir von besonderer Seite ...“ „Seete“ stand da. Das „ei“ war verdruckt.“ (S. 161)

Erwähnter Akzent der Ausländer „Helloh? W i e geht´s?“ (mit dem Ton auf „Wie“.)“ (S. 234)

Pejorative Ausdrücke „Dieses feiste , faltige Gesicht ....“ (S. 11) „Dieser Lump !“ (S. 392) „Herr, erlauben Sie sich einen läppischen Spaß mit mir?“ (S. 396) „Dabei ist nichts Frappantes, und nur die Stupidität der so genannten Entlarver hindert sie einzusehen, ...“ (S. 399) „Solche Weiber sollte man ermorden dürfen! ...“ (S. 481) „Aber als er im Juni India Abel, dem Luderchen, nachjagte, ...“ (S. 511)

Schimpfwörter „Dummer Mensch! Das machte man so!“ (S. 116) „Bestien , hinaus!“ (S. 126) „Seid ihr denn alle Idioten !“ (S. 130)

Umgangssprachliche Ausdrücke „Besoffen. Tobsüchtig besoffen .“ (S. 27) „ ..., wenn da umherliefe und mir nichts dir nichts , ohne Farbe zu bekennen, ... (S. 69) „ – unter uns, kein kleiner Schieber gewesen! - ...“ (S. 185) „Quassel´ doch nicht, Paula!“ (S. 190) „So frag´ doch nicht – das ist doch alles schnuppe .“ (S. 190) „Mochte er ihr also mit seinem Mumpitz kommen ...“ (S. 191) „Damit bugsierte er Sebastian in das Prachtexemplar von Packard, ...“ (S. 268) „ ...alles im Nu , alles wie Kinderspiel und ebenso entzückend.“ (S. 279)

57 „Geheiratet haben Sie? Eine Eselei. Schön. Wie kommt das zu dem?“ (S. 445) „ ... und bei der es nur mit den Zähnen hapert , ...“ (S. 507)

Apokope (Ausfall der Wörter) „Gut ist gangen, nix is g´schehn.“ (S. 320) „Zigarre g´fällig! Nehmen S´, ´s isch a guete! Is´ denn a so a zarte Frau?” (S. 434)

Süddeutsche, österreichische Ausdrücke „ Schau! Vergnügt lachte die Doppelwitwe in sich hinein.“ (S. 112) „Ihre Luster funkelten, ...“ (S. 121) „Grüß dich Gott !“ sagte sie.“ (S. 218) „ ..., gehört und agnosziert , ...“ (S. 318) „Was plauschen Sie für Blech?“ (S. 445) „ ..., das rührte von dem vorherrschenden Weiß und Hellgrau her, zellen- und spitalhaft .“ (S. 451) „Ob ´s a Dirndl oder a Büebl is?” (S. 453) „Irgendein Schmäh artikel scheint in der Zeitung gestanden zu sein, ...“ (S. 510)

Veraltete Ausdrücke „Sie müssen einsehen, beste Dame, das wäre molest und unschicklich ...“ (S. 198) „Veritables bisschen Grün.“ (S. 209) „Sie vagabundiere so am Rande seiner Existenz.“ (S. 224) „ ..., als er seine Konkubine bereits gefunden hatte?“ (S. 342) „ ... wetterte der Gebieter .“ (S. 482)

Medizinische Ausdrücke „ ..., machen Sie sich nicht lustig über Ihren Konsiliarius.“ (S. 145)

Juristische Ausdrücke „Nun wollen wir Sie aber gleich media in res führen, wenn es Ihnen passt?“ (S. 42) „ ..., jeder dieser Besucher entrichte seinen Obolus, ...“ (S. 257)

58 Fremdwörter lateinischer Herkunft „ ...; es blieb, so oder so, fatal , dass man aus jener Fertigkeit fast ein Gewerbe machte!“ (S. 262) „Es war eine einsilbige und trotzdem so eruptive Liebeserklärung, dass ...“ (S. 253) „ ..., als wisse er nur allzu klar, wie ominös verwendet es hier sei.“ (S. 256) „ ..., was sich über Sebastians Herkunft eruiern ließ; ...“ (S. 281) „Alte Leute, gut – schwach und indolent und faul und opportunistisch ...“ (S. 294)

Fremdwörter griechischer Herkunft „Das ist der Mensch, der ...!“ sagte er apodiktisch zu Fedora.“ (S. 320)

Fremdwörter italienischer Herkunft „Sebastian jedoch fand die Einleitung grandios .“ (S. 253) „ ..., ein alerter junger Herr von kleinster Statur erschien ...“ (S. 317) „Burleske Entwicklung!“ (S. 344)

Fremdwörter englischer Herkunft „Vor meinen eigenen Augen gibt´ s keinen Humbug !“ (S. 65) „Nicht verabsäumt hätte sie, ihn knockout zu schlagen ...!“ (S. 149) „Der Gefragte machte sich an seinem Eversharp zu schaffen, ...“ (S. 163) „ ...; ob es sich um Trance handle; ...“ (S. 187)

Fremdwörter französischer Herkunft „Da links, oberhalb des Herzens und unterhalb, malträtierte es ihn längst.“ (S. 146) „ ... Sportsmann Rafael Bassan in seinem Kontor leblos aufgefunden. “ (S. 160) „Da traf sei aus den Augen des alten powern Menschen ein Blick ...“ (S. 176) „Ein Spiel war hier zu mischen, mit zwei Atouts gegen zwei.“ (S. 178) „ ... mit dem Kartenkontrolleur parlierte , ...“ (S. 275)

Unterbrochene Sätze „Denn es war Übereinkunft, Fedora Bassan mit dem Titel ihres Vaterhauses anzureden ... das erleichterte den Herren von Geblüt die unbequeme Lage.“ (S. 18) „Ich bin nur ein sehr simpler Mann ... der heute allerdings, an diesem glücklichsten Tage seines Lebens, in sich die ganze Kraft fühlt, ...“ (S. 24)

59 Unterbrochene Gedanken durch einen Bindestrich, bzw. Bindestriche „Wer hatte so geschrieen – nein – das ging über die Begriffe – wie – ich bitte - - Jawohl und bündig:“ (S. 25) „Schon Tag? Es – was hatte da – im Schlaf – vag schaute Bassan.“ (S. 146)

Unvollendete Sätze „Thas neue Stellung war ja nicht großartig und noch viel weniger das Existenzziel eines Standesherren – immerhin, nach dem Misserfolg damals im Postdepartement ...!“ (S. 20) „Höre Agnes von daheim, die neben dir geht ...“ (S. 224)

Ein-Wort-Sätze (um Bestätigung, Spannung zu betonen) „ ...; seit den „Ever“-Büstenhaltern aber ist er reich. Stimmt. “ (S. 32) „ ..., nahm das Papier, schaute es an. Sekundenlang. Sein Blick wurde ...“ (S. 62) „Sie haben mich telegraphiert?“ fragte er den Gewaltigen. Jawohl .“ (S. 236) „Antworten der Befragten, spaltenlang. Repliken. Dupliken .“ (S. 312) „Doch auch London fiel Mister Trux zu Füßen. Frage. Augen. Angst . Sebastian stürzte sich ins Fremde.“ (S. 350)

6.5 Inhaltsanalyse Die Geschichte fängt mit einem Banküberfall an, wobei es keine Spur von Tätern gibt. Der Bestohlene namens Rafael Bassan ist Präsident der Chemischen Werke und hat an diesem Tag ein Derby gewonnen. Menschen beneiden ihn – seines Reichtums und seiner attraktiven Frau Fedora Semjanova wegen. Bassan behauptet, dass er griechischer Abstammung - Levantiner - sei, obwohl alle wissen, dass er aus Armenien kommt. Am Abend des Diebstahls tafeln 23 Männer bei ihm, unter denen auch Fedoras Liebhaber – der griechische Fürst Meganopolis. Der erfährt, dass Bassan bankrott ist, verrät es vor der ganzen Gesellschaft und stellt ihn bloß. Der betrunkene Bassan tobt und brüllt. Fedora entschuldigt es mit einem angeblichen epileptischen Anfall, an dem er leidet. Mit diesem spektakulären Kriminalfall beschäftigt sich ein juristisches Bankbüro, das aus Hans Göttlicher, dem kurzsichtigen Bernhard Neu, Bassans Advokat Kranich und einem neuen Zuwachs Sebastian Trux besteht. Der aus dem Lande kommende Trux ist 24 Jahre alt, ohne Juristentitel, wohnt bei der Witwe Rimpel und ihren drei Töchtern und erzählt den Kollegen seine familiäre Lage, die niemanden interessiert. Er gibt ebenfalls zu, dass er eine besondere Gabe besitzt. Er verfügt seit seiner Gymnasialzeit über die Fähigkeit, aus der

60 Schrift eines Menschen vorherzusagen, was war oder was die Zukunft bringen wird. Wenn er 21 mit seiner Fertigkeit anfängt, redet er „wie ein Rad, das nun ins Rollen kommt.“ (S. 78) Anhand der quadratischen Schrift bezichtigt er den kleinen Grafen Gegenfeld als Dieb von Bassans Geld. Was zuerst für ausgeschlossen erscheint, beginnt an Wahrheit zu gewinnen. Gegenfeld verschwindet nämlich mit seiner Geliebten India und man verlautet, dass er ebenfalls finanzielle Schwierigkeiten hat. Die Gesellschaft beschäftigt sich mit dieser Sensation. Es wird die Frage gestellt, ob dies möglich ist oder nur Utopie. Sebastian wird von allen beobachtet, vor allem von Journalisten. Er fühlt sich unwohl und verwirrt. Er weiß, dass er sich von anderen unterscheidet. Sein Vorgesetzter - Gouverneur von Tosse -, welcher der Homosexualität verdächtigt wird, lädt ihn zu einem Junifest ein, an dem Adelige und wichtige Personen der Gesellschaft teilnehmen. Sebastian wird aufgefordert, seine Kunst vorzuführen. Bassan meldet sich als Freiwilliger. Es wird ihm vorhergesagt, dass er am Mittwoch in seinem Sessel Übelkeit verspüren wird. In Wirklichkeit sieht Trux dessen Tod. Der erschreckte Bassan allarmiert seinen Arzt in der Nacht, es werden aber keine Symptome gefunden. Fedora, die ihn hasst und scheut, zeigt Zuneigung aus Mitleid. Wenn er jedoch anfängt, sie zu küssen, verrät sie ihm aus Wut, dass er in ein paar Tagen sterben wird. Bassan, durch panische Angst vor seinem Schicksal in den Wahn getrieben, begeht Selbstmord. Er verscheidet am Montag, zwei Tage früher als Sebastian vorhergesagt hat. Alle Zeitungen sind voll von diesem Ereignis und Truxs Gabe. Er genießt Anerkennung, Popularität und Respekt, die er dank den Medien hat und lacht sein stilles langes Lachen. Er beobachtet, dass sich Leute komisch verhalten, wenn er sie ansieht. Ihre Augen sind wie stumpf und ausgelöscht und haben ein Schleierchen auf den Pupillen. Sebastian wird schnell hochmütig und eingebildet, lernt neue Manieren und wünscht sich, dass ihn alle kennen. Vor seiner Tür stehen Scharen von Leuten, die ihn um Hilfe bitten. Eine von ihnen ist Paula Rimpel, die ein uneheliches Kind mit Graf Gegenfeld hat, das sie sonntags bei seinen Pflegeeltern besucht. Am Todestag wird Sebastian zu Fedora eingeladen. Sie bezeichnet ihn als Mörder und sehnt sich danach, über ihn zu herrschen. Sebastian ist in ihrer Anwesenheit wie betäubt, sie

21 Was Sebastians Verhalten und Redeweise angeht, mag Lothar von Helena Petrovna Blavatsky, der Begründerin der Theosophischen Gesellschaft, beeinflusst sein. Sie besaß ebenfalls mediumistische Kräfte wie der Held. Als Kind hörte sie Stimmen, sah schattenhafte Umrisse ihrer Schutzgeister und beim Betreten eines Zimmers hörte sie Klopfzeichen an der Decke. Ihre Gesellschaft wurde zu einer Art Modesekte, die gutsituierte Bürger und Adelige angezogen hat. Blavatsky schrieb in ihrem Buch „Die Geheimlehre“, in dem sie sich mit der Frage befasste, was mit uns nach dem Tod passieren wird: Letztes Ziel der Entwicklung ist die Lösung von Samsara, vom ewig rollenden Rad der Wiedergeburten, zu denen man verdammt ist.“. (Vgl. Grandt, S. 167 - 9)

61 findet ihn hingegen kindisch und durchsichtig. Fedora manipuliert und beleidigt ihn, er gehorcht. Sebastian fühlt sich manchmal zerrissen, innere Stimmen erheben sich über sein Auserwähltsein. Die eine warnt vor der Vernichtung und dem Verderben seiner Seele, die andere spricht ihm Mut zu. Trux trifft seine alte Bekannte Agnes – ein fröhliches, aufrichtiges Mädchen, mit dem er aufgewachsen ist. Sie ist verliebt in ihn, er empfindet nur gute Freundschaft. Sebastian fühlt sich wohl und frei mit ihr, spürt Ruhe und Geborgenheit, muss nichts vortäuschen. Sie verbringen eine Nacht zusammen, sind glücklich, unbekümmert. Fedora, von Tosse und der Generalagent des Showbusinness Bimeter als Sebastians „Betreuer“ schließen ein Geschäft mit ihm ab – er wird vor dem Publikum auftreten oder Klienten in einer Praxis empfangen und dafür Geld verdienen. Jeder wird daran profitieren, 22 vor allem diese drei. Sebastian genießt Reisen ins Ausland, gewöhnt sich sehr schnell an Komfort und Luxus, trägt teure Kleider. Fedora, die ursprünglich nur an seiner Karriere schmarotzen will, verliebt sich unerwartet in ihn. Ihre gemeinsame Liebe wird nicht öffentlich und ihr ebenfalls geheimes Verhältnis mit Meganopolis bricht sie nicht ab. Sebastian erhält Briefe von seiner Mutter und Agnes. Die Mutter ist nicht damit einverstanden, was er tut. Er übernehme Gottes Arbeit, raube den Menschen Hoffnung. Die Zukunft sollte aber als Geheimnis verhüllt bleiben. Die gutmütige und naive Agnes unterstützt ihn dagegen, weil er Menschen rettet. Sebastian ist desorientiert, von allen beeinflusst. Er weiß nicht, in welche Richtung er gehen soll und wer Recht hat. Bei einem Auftritt verlangt er Fedoras Schrift und enthüllt, dass sie eine raffinierte, undurchschaubare Lügnerin ist. Von Bimeter lässt er sich zu einem weiteren Engagement überreden, um Fedora zu vergessen. Er empfängt seine „Patienten“ und sagt ihnen ihr Urteil. Nachdem eine Frau umfällt und ein Junge Selbstmord begeht, wird ihm klar, dass es manchmal besser ist, zu lügen und die Wahrheit zu verheimlichen. Er sollte die Leute nicht ruinieren und vernichten, sondern ihnen Stütze und Hoffnung bieten. Er weiß, dass andere vor ihm Angst haben und

22 Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich Lothar in seinem Roman von Friedrich von Schiller inspirieren ließ. Schiller verarbeitete ähnliche Thematik in der fragmentarischen Erzählung „Eine Geschichte aus den Memoiren des Grafen von O.“, die 1789 herausgegeben wurde. Sein Hauptheld ist ein Armenier, der „Unergründliche“ genannt, der sich in Venedig in zweifelhafter Gesellschaft bewegt, die ihm spiritistische Erscheinungen einredet. Durch Liebes- und Spielleidenschaft verstrickt er sich immer tiefer, wird verleumdet und überwirft sich mit allen Freunden und Verwandten. Nicht die von ihm enthusiastisch verehrte schöne Griechin bekehrt ihn, aber die unerhöhte Teufelei der Intrigen bringt seine sittliche Vernunft endlich zu Fall. (Vgl. Wilpert, S. 355)

62 23 24 einen Übermenschen, Messias , in ihm sehen. Er begibt sich auf die Suche nach jemandem, der jenes Schleierchen nicht hat und ihn nicht fürchtet. Sebastian wartet auf Agnes vor der Praxis von Dr. Sandleben, wo sie arbeitet. Dieser Zahnarzt beschäftigt sich nebenberuflich mit Levitation, wobei er schwindelt. Er sagt, dass eine große Nachfrage nach Spiritualismus, Mystik und Okkultismus in dieser Zeit besteht, weil Gott für Leute zu einfach ist. Sie suchen hingegen etwas Schwererklärbares. Agnes, die ein Kind von Sebastian erwartet, stellt für ihn eine Person dar, die Wärme ausstrahlt, der er sich anvertrauen kann und bei der er sich von Sorgen befreien darf. Sie hat keine Angst vor ihm, hat kein Schleierchen über den Pupillen. Er hat den richtigen Menschen in ihr gefunden und heiratet sie. Bevor das Kind auf die Welt kommt, liest er Agnes´ Schrift und erfährt aus dem Wort „Schwanenpelz“, dass ihr gemeinsamer Nachwuchs tot sein wird und Agnes ebenfalls sterben wird. Er denkt immer daran, betet zu Gott. Die Vorhersage wird nicht erfüllt, Agnes bekommt einen gesunden Sohn. Außerdem stellt es sich heraus, dass nicht Gegenfeld der Dieb ist, sondern Bernhard Neu. Diese Beweise bestätigen, dass sich Sebastian geirrt hat und seine Gabe nicht beherrscht. Er löst seinen Vertrag auf und fühlt sich endlich frei. Sebastian begreift, dass Hoffnung mehr ist als Wahrheit. Er besucht seine sterbende Mutter und gibt ihr Recht, dass Tod und Zukunft Geheimnisse sind. Fürst Babenhausen versucht Sebastian zu überzeugen, im Interesse des Volkes, eine Schriftanalyse des Diktators durchzuführen. Er lehnt ab und beschließt mit seiner Familie das Leben auf dem Lande zu verbringen. Dieser Roman endet idyllisch, mit Einschlafen.

23 Da wird eine Ähnlichkeit mit Rudolph Steiner gesehen, dem Begründer Der Anthroposophischen Gesellschaft im Jahre 1913 und ursprünglich dem Mitglied Der Theosophischen Gesellschaft, der ebenfalls „Messias“ genannt wurde. Steiner, der sich durch hellseherische Fähigkeiten auszeichnete, schrieb okkulte Schriften, hielt Vorträge in ganz Europa und gründete seine eigene Zeitschrift mit dem Titel „Luzifer“. (Vgl. Rudolph,

24S. 78 - 79) Sebastian wurde von Fedora, ähnlich wie Rudolph Steiner von Marie von Siver, in einen Kreis eingeführt, der für seine Ansichten und Spekulationen geeignet war. „Seine Eigenwelt und das Sinnbedürfnis geistbewegter Sucher passen endlich einmal zusammen: Er hat sein Publikum, aber dieses Publikum hat auch ihn und macht ihn zu dem Führer und Menschheitserwecker, zu dem er dann geworden ist. Darin entfaltet er dann eine immense Energie und einen stupenden Leistungswillen; es ist, als habe er beschlossen, Prophet zu werden.“ (Vgl. Prange, S. 49)

63 7. Ernst Lothar und Arthur Schnitzler im Vergleich

Ernst Lothar wurde und wird oft mit Arthur Schnitzler in Zusammenhang gebracht. Da entsteht eine Reihe von Fragen, wie es zu dieser Meinung kommt. War die Thematik ihrer Werke und ihr Stil einander ähnlich? Darf man Lothar unterstellen, dass er Schnitzler sogar kopiert hat? Oder ist diese Affinität bloß reiner Zufall und eine Verbindung erfolgt nur aus ähnlichen Schicksalen, die beide hatten und aus der Zeit, in der sie lebten? Der Problematik werde ich in diesem Kapitel nachgehen und versuche Gemeinsamkeiten, bzw. Verschiedenheiten, in ihren Leben, dann in ihren Werken zu finden.

Beide Autoren kamen aus einer jüdischen Familie und folgten den Spuren der Väter, was die Berufswahl betrifft. Lothar wurde Jurist, Schnitzler Arzt. Obwohl Arthur das älteste Kind in der Familie war, wurde er verwöhnt und war auf seine Eltern fixiert, genauso wie der jüngste Ernst. Sowohl Schnitzler als auch Lothar mussten sich mit einem traurigen Schicksal abfinden. Schnitzler verlor seinen Vater, seine Freundin Olga Waissnix und vor allem seine vergötterte Tochter Lili, die ihr junges Leben mit Selbstmord beendet hat. Lothar verließ seine zwei geliebten Töchter. Ihr Schmerz wurde mit Liebe und Beziehung zu Schauspielerinnen kompensiert. Beide Schriftsteller hatten ein besonderes Verhältnis zu Böhmen, bzw. zu der Tschechoslowakei – Lothar ein familiäres, Schnitzler ein berufliches, wobei er auch in Brünn, in Lothars Geburtsstadt, seine Lesungen gehalten hat.

Da ich von Lothar eine Novelle und zwei umfangreiche Romane analysiert habe, wähle ich von Schnitzler ebenfalls zwei Romane aus, die einzigen, die er je geschrieben hat. Der erste, „Der Weg ins Freie“, wurde im Jahre 1908 in „Der Neuen Rundschau“ herausgegeben, wofür er Glückwünsche von allen Seiten erhält. Von den Zeitungen ist ihm indes nur die „Neue Freie Presse“ wohlgesonnen. Zwei Aspekte werden in diesem Werk behandelt. Der eine ist das Verhältnis des jungen Barons Georg von Wergenthin zu seinen Geliebten, vor allem zu Anna Rosner. Der andere ist die Darstellung der jüdischen Bevölkerung in Wien, Antisemitismus und die zionistische Bewegung. Zwischen diesen beiden Aspekten gibt es keinen Zusammenhang. Im Roman treten vor allem Gestalten des Großbürgertums auf – Bankiers, Offiziere, Aristokraten, Schriftsteller und Gelehrte. Sie treffen sich im Salon der Familie Ehrenberg, einem der gesellschaftlichen Zentren, wo z. B. Baron Wergenthin, Demeter Stanzides (er

64 verkörpert die „high-society“) und die Schriftsteller Edmund Nürnberger (er neigt zur zionistischen Bewegung) und Heinrich Bermann (er spricht sich gegen den Zionismus aus) zu sehen sind. Zu den Frauen, die diesen Salon besuchen, gehören Else Ehrenberg (Tochter des Hauses), Therese Golowski (Sozialdemokratin), Anna Rosner (Mädchen aus kleinbürgerlichen Verhältnissen). Dieses Werk ist Schnitzlers Autobiographie, die Figur des Schriftstellers verbirgt sich hinter Georg Wergenthin, der seinen „Weg ins Freie“ sucht. 1928, zwanzig Jahre später, veröffentlicht Arthur Schnitzler seinen zweiten und letzten Roman „Therese“, benannt nach der Hauptdarstellerin. Diese Chronik besteht aus 106 Kapiteln, ist in der Er-Form erzählt, wobei die Rede der Gestalten meistens als direkte Rede und die Gedankengänge der Protagonistin als innerer Monolog wiedergegeben werden. Es gibt keine dargestellte Welt außerhalb des Erfahrungsbereichs von Therese. Innere Vorgänge anderer Figuren werden selten vermittelt, der Autor orientiert sich nur an Gefühlen, Erlebnissen und Gedanken der Protagonistin. Im Roman wird auch die benachteiligte Position der Frauen in der Gesellschaft um die Jahrhundertwende erwähnt, vor allem die lediger Mütter mit unehelichem Kind. Lothars zwei Romane und eine Novelle weisen im Vergleich mit diesen Werken von Schnitzler eine bestimmte Ähnlichkeit auf. Erstens werden identische politische, gesellschaftliche oder tabuisierte Themen behandelt, wie die Position der Juden in der Gesellschaft, der Hass gegen sie, der Verfall der Kaisermonarchie, der Gewinn der Sozialdemokratischen Partei zur Machtergreifung, der Zweifel an der Religion, die Berufstätigkeit der Frauen, die beginnende Emanzipation, die Untreue und das Problem der unehelichen Kinder. Beide Verfasser bemühten sich um die wahre Schilderung des realen Lebens, auch mit dessen Schattenseiten und versuchten die Orientierungs - und Haltlosigkeit des Individuums in einer Welt nachzuvollziehen, wobei sowohl das Einzelwesen als auch die Gesellschaft berücksichtigt werden. Bei Lothars Werken „Kleine Freundin“, „Kinder“, „Der Hellseher“ und auch bei Schnitzlers „Therese“ werden die Hauptprotagonisten bereits im Titel des Buches erwähnt. Eine geographische Affinität tritt gleichfalls auf. Wien, als Hauptstadt und Weltstadt, gehört zu dem Ort, in dem die meisten Geschichten ihrer Werke handeln. Italien gilt im Gegenteil dazu als Land, in dem man sich der Liebe und Leidenschaft hingibt und wo man gern den Urlaub verbringt. Eine Similarität in Meinungen und Handlungsweise der Gestalten ist ebenfalls zu sehen. In den folgenden Zeilen werde ich dies anhand von Beispielen demonstrieren.

65 Schnitzlers Anna Rosner und Therese erwarten ein uneheliches Kind genauso wie Lothars Agnes und Paula Rimpel. Ihre Erziehung bei Pflegeeltern auf dem Land oder mindestens ein Gedanke daran treten fast bei all diesen Protagonistinnen auf. Obwohl diese Frauen kein leichtes Schicksal haben, entwickeln sie sich zu starken Persönlichkeiten, die um ihr Ziel kämpfen und die ihre Meinungen offen ausdrücken. Zu diesen weiblichen Figuren gehören nicht nur oben erwähnte Frauen, sondern auch Frau Tagman, Felicitas, Fedora und Else Ehrenberg. Beide Autoren verdeutlichen damit den Einfluss der Frauenbewegung und die beginnende Emanzipation. Fast in allen Werken dieser Schriftsteller erscheint der Beruf der Gouvernante, Erzieherin, Pflegerin, wobei er zur damaligen Zeit die einzige mögliche Erwerbstätigkeit für Frauen darstellte. Was die Männerfiguren angeht, kann man auf folgende Attribute verweisen. Der Hellseher Sebastian Trux sucht genauso einen „Weg“ - eine Lösung - wie Georg Wergenthin. Eine Ähnlichkeit der Namen und des Verhaltens sind außerdem bei Personen wie Demeter und Bimeter zu erkennen. Der Salonlöwe Demeter Stanzides aus dem „Der Weg ins Freie“ steht im Mittelpunkt der Gesellschaft ebenso wie der Lebemann Bimeter. Ein anderes gemeinsames Zeichen ist die unerwiderte Kinder-, bzw. Jugendliebe. Alfred verliebt sich in Therese, während sie in einer Beziehung mit dem Leutnant Max steht. Das Dorfmädchen Agnes liebt Sebastian, er ist aber von Fedora geblendet. Später wird sowohl Therese, als auch Sebastian klar, dass sie sich geirrt haben. Alfred und Max werden für sie die Personen, zu denen sie Vertrauen haben und auf die sie sich verlassen können. Ungläubigkeit und Skepsis gegenüber der Religion treten sowohl in dem Roman „Kleine Freundin“ bei Felicitas, als auch bei Schnitzlers Therese auf. Im Zweifel wenden sie sich jedoch beide zu Gott. Das andere gemeinsame Merkmal - der Tod, vor allem der Tod eines Kindes - taucht in allen Büchern dieser Schriftsteller auf. Anna Rosner bekommt ein totes Kind, Therese denkt an ihr eigenes Lebensende und an Abtreibung ihres Kindes, Fee spielt mit Selbstmordgedanken und Sebastian Trux sagt den Tod seines ungeborenen Nachwuchses vorher. Die letzten Tage vor der Entbindung, teils mit Wehen, werden sowohl in den Romanen „Der Weg ins Freie“ und „Therese“, als auch im Roman „Der Hellseher“ beschrieben. Ein anderes, häufig verwendetes Thema, ist das Judentum und die Einstellung dazu. Feindseligkeiten und Vorurteile gegenüber Juden kommen in „Kleine Freundin“ bei Herrn Artner, Frau Tagman und Onkel Thuri in Verbindung mit Tagmanns Familie vor. In Schnitzlers „Therese“ ist der Judenhass bei dieser jungen Dame zu beobachten, nachdem sie eine Stelle in einer jüdischen Familie angetreten hat. Dem gegenüber zeigt sich der Stolz auf die eigene Herkunft und die politische Zugehörigkeit in den Romanen „Der Weg ins Freie“ und „Kleine Freundin“. Therese Golowski stammt aus einer jüdischen Familie wie Karel

66 Tagman und will ihren Ursprung nie verleugnen. Wie Ferdinand Placht ist sie in der Sozialdemokratischen Partei tätig, setzt sich für arme Menschen ein und kritisiert öffentlich das kaiserliche Haus. Auch Thereses Vater aus dem gleichnamigen Roman hielt Reden, die gegen das Kaiserreich gerichtet waren, wofür er in die Irrenanstalt eingewiesen wurde. Man kann festhalten, dass die Politik im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit ihrer Werke und deren Protagonisten steht, vor allem die komplizierte Situation der Nachkriegszeit. Ein interessanter Punkt ist die Tatsache, dass „Kleine Freundin“ Felicitas Schnitzlers Tochter ähnelt. Sie ist genauso magersüchtig, unkonzentriert, labil und hat Schwierigkeiten in der Schule. Beide leiden unter der Scheidung der Eltern. Während Fees Selbstmordversuch misslungen ist, wird Lili nicht mehr gerettet. Von beiden wird diese Tat im Bad begangen. Diese ähnlichen Attribute könnten beweisen, dass Lothar von Schnitzler beeinflusst wurde und Schnitzlers Werke eine Inspiration für ihn waren. Es gibt jedoch Merkmale, die Unterschiede zwischen ihnen aufweisen. Obwohl bei beiden Schriftstellern Frauengestalten starke Persönlichkeiten darstellen, sind Lothars Frauen emanzipierter und handeln in bestimmten Situationen wie Männer. Frau Tagman beherrscht und betrügt ihren Gatten genauso wie Fedora ihren Geliebten Sebastian. Bei Schnitzler werden meistens die Frauen betrogen. Ein treffendes Beispiel ist die ewige Untreue Georg Wergenthins gegenüber Anna Rosner. Schnitzlers Liebesgeschichten sind jedoch leidenschaftlicher und lebendiger beschrieben. Lothars allgemeine Entwicklung der Figuren ist im Gegenteil dazu nicht so markant und tief, die Härte des Schicksals und der Lebenserfahrungen werden weniger schockierend und tragisch geschildert. Die Bücher des Brünner Landsmannes haben ein gutes Ende – ein Problem wird gelöst, Menschen versöhnt, die Familie bleibt zusammen. Schnitzlers Romane enden dagegen mit Resignation, Aufgabe oder sogar mit dem Tod. Seine Helden erleben eine bittere Erkenntnis, die sie entweder vernichtet, wie bei Therese oder verstärkt, wie im Fall Anna Rosners. Diese naturalistische Schilderung hinterlässt größere Spuren beim Leser. Obzwar beide Schriftsteller innere Rede und Monologe verwenden, wirkt Lothars Sprache lustiger – durch Dialekt, Fluchen, Schimpfwörter, Fremdwörter, Redewendungen, Apokopen und ungewöhnliche Verbindungen. Schnitzler benutzt eher das Hochdeutsch und die geschriebene Sprache, das Komische wird nicht durch Sprachmittel, sondern vielmehr durch Beschreibung einer Situation erreicht. Lothar nähert sich den Lesern durch natürliche Redeweise, Schnitzler durch natürliche Geschichten. Wenn man diese Komparatistik zusammenfasst, zeigt es sich, dass diese beiden Autoren nicht vergleichbar sind. Es mag sein, dass Schnitzler Lothar Anregungen gab. Ernst

67 Lothar zeichnet sich jedoch durch seinen eigenen Stil aus, der zwar eine ähnliche Problematik behandelt, die aber nicht aus der Nachahmung, sondern aus der damaligen gesellschaftlichen Situation hervorgeht. Arthur Schnitzlers detaillierten Lebenslauf und die Analyse seiner zwei ausgewählten Werke werden im nächsten Kapitel vorgestellt.

68 8. Schnitzlers Biographie und seine Romane

8.1. Schnitzlers Biographie Am 15. Mai 1862 kommt Arthur Schnitzler in einer jüdischen Familie in Wien in 25 der Leopoldstadt zur Welt. Zusammen mit seinen jüngeren Geschwistern wird er ungewöhnlich behütet, aber es fehlt an warmer Herzlichkeit. Deshalb hat er später Probleme, seine Gefühle auszudrücken. Schon in der Kindheit entwickelt er eine Neigung zur Literatur und zur Musik. Er spielt Klavier und komponiert sogar einige Walzer. Zu Hause bleibt er bis zum Alter von 41 Jahren, weil er dort eine gewisse Behaglichkeit findet. Nach dem Tode seines Vaters toleriert seine Mutter Arthurs nächtliche Bummeleien und seine ständig wechselnden Beziehungen zu Frauen. 26 Im Jahre 1879 besteht Schnitzler sein Abitur und tritt in die Fußtapfen seines Vaters – er beginnt Medizin zu studieren. Seine erste Liebe ist Fanny Reich. Arthur genießt das Jugendleben in vollen Zügen. Er amüsiert sich auf Bällen und gibt viel Geld für Oper, Theater, Konzerte und Billardspielen aus. 1886 begegnet er einer verheirateten Frau – Olga Waissnix, die nicht nur seine Geliebte, sondern auch seine Muse und Ansprechpartnerin im künstlerischen Bereich und vor allem seine Seelenfreundin wird. Diese Beziehung dauert bis zu ihrem Tode (1897). Mehreren Affären mit anderen Frauen weicht er währenddessen aber nicht aus. Vor allem in eine junge Schauspielerin – Mizi Glümer - verliebt er sich sehr. 1893 wird sein fröhliches Leben durch eine Tragödie unterbrochen, nämlich dem Tod des Vaters. Ein Jahr danach tritt in Schnitzlers Leben die wichtigste Frau nach Mizi Glümer. Sie heißt Marie Reinhard, ist Gesangslehrerin und kommt aus dem gehobenen, christlichen Wiener Bürgertum. Diese junge Frau erweckt ein großes Interesse in ihm, weil sie nicht zu den süßen Mädchen gehört, mit denen er seine Abende verbringt. Obwohl er nicht die Absicht hat, eine Ehe einzugehen, weiß er, dass Marie eine Frau zum Heiraten ist. So beginnt eine komplizierte Beziehung, in der der unreife Arthur nicht immer fähig ist, seine Gefühle nur auf eine einzige Frau zu konzentrieren. Im Jahre 1897 stellt sich heraus, dass Marie Reinhard ein Kind von ihm erwartet. Schnitzler hat eine positive Einstellung dazu, eine Ehe

25 Mitte des 19. Jahrhunderts lebte mehr als die Hälfte der Wiener Juden konzentriert in einem Bezirk, der Leopoldstadt, dem früheren Ghetto. Im Jahre 1880 waren es noch 48, 3 Prozent aller Juden Wiens. (Vgl.

26Lichtblau, S. 27) Höhere Bildung (Gymnasium) hatte für Juden eine große Bedeutung. Sie gab ihnen Kenntnisse über antike und moderne europäische Kultur und führte sie in die Welt der Literatur, Musik, Philosophie und des Theaters. So wurden Juden nicht nur auf jüdische Werte und Gelehrsamkeit konzentriert. (Vgl. Rozenblit, S. 130)

69 kommt allerdings nicht in Frage. Als ihre Schwangerschaft schon sichtbar ist, reisen beide ab, um sich dem Wiener Klatsch zu entziehen. Über München fahren sie nach Paris, Schnitzler genießt diese Zeit und macht Ausflüge, besucht Galerien, Konzerte, Theater und trifft viele Leute. Er denkt in dieser Zeit über ein Lustspiel „Die Entrüsteten“ nach, in dem die tragische Situation der Marie Reinhard geschildert würde. Dieses Werk wird zwar nicht verwirklicht, aber seine Figuren, vor allem die Gestalt eines verführten Mädchens, erscheinen später in unserem Roman „Der Weg ins Freie“. Die letzten Monate ihrer Schwangerschaft verbringt Marie in einem Vorort von Wien, wo sie sich bis zur Geburt des Kindes aufhält. Von Schnitzler wird sie ab und zu besucht. Er lässt sich kurzfristig wieder auf eine Affäre mit einer verheirateten Frau ein. Es war geplant, dass das Kind von Marie und Arthur von fremden Eltern erzogen werden sollte. Es spielt sich aber anders ab. Marie bringt nach mehrtägigen Wehen einen toten Sohn zur Welt. Schnitzler ist entsetzt und fühlt sich schuldig an dem Tod des Kindes. Er denkt, dass seine Interesselosigkeit dieses Unglück verursacht hat. Traurige Tage setzen sein Leben fort. Im Jahre 1899 stirbt Marie Reinhard, was ihn sehr trifft. 1899 lernt Schnitzler eine interessante, um zwanzig Jahre jüngere Frau kennen. Ihr Name ist Olga Gussmann, sie will Schauspielerin und Sängerin werden. Diese intelligente, ambitionierte und ein wenig dickköpfige Dame stellt dann einen der wichtigsten Menschen in seinem Leben dar. Sie wird zu seiner Gesprächspartnerin auf hohem Niveau. Diese längste und bedeutendste Beziehung von Schnitzler ist nicht nur voll von Liebe, sondern auch von Streit und Zank. Den ersten gemeinsamen Schmerz erleben sie, nachdem Olga ihr erwartetes Kind verloren hat. Im Jahre 1902 stellt sie fest, dass sie wieder ein Kind bekommt. Die Situation ist identisch wie bei Marie Reinhard. Schnitzler sucht für Olga eine Sommerwohnung in der Nähe von Wien, damit sie den Verleumdungen entfliehen kann, dass sie ein uneheliches Kind erwartet. Im Sommer 1902 kommt ein Junge zur Welt und eine Stunde später fängt Schnitzler an, seinen Roman „Der Weg ins Freie“ zu schreiben. 1903 findet die Hochzeit statt. 1909 vergrößert sich Schnitzlers Familie um Tochter Lili. (Wagner, 1984) 1919 erreicht ihre Ehe eine Krise und endet mit der Scheidung. Auf die schwierige familiäre Situation reagieren die Kinder unterschiedlich. Der Sohn Heini betrachtet die Geschichte seiner Eltern neutral, Lili kann sich nicht damit abfinden und ist der Meinung, dass sich Eltern generell nicht scheiden lassen dürfen. Nach diesen familiären Erschütterungen hat sie Schwierigkeiten in der Schule und benimmt sich unvorhersagbar und labil. Beide Kinder bleiben beim Vater. Lili entwickelt eine Schizophrenie und ihre Nahrungsverweigerung treibt sie in die Magersucht. Die Wiener Gouvernante Wucki soll

70 entlassen werden, weil sie nicht fähig ist, Lilis Lauen in den Griff zu bekommen. Das nicht immer glückliche Schicksal der Gouvernanten war der Impuls zu dem großen Roman „Therese. Chronik eines Frauenlebens“. Lili, die bereits seit ihrer Jugend mit Selbstmordgedanken spielt, erschießt sich im Jahre 1928 im Badezimmer in Venedig. Für beide Eltern bricht eine Welt zusammen. Olga Gussmann erinnert sich an ihren Besuch bei der Graphologin und Wahrsagerin Grete Bauer- Chlumberg, die prophezeite, dass sich Lili in großer Gefahr befindet. Doch niemand hat die Worte ernst genommen. Arthur Schnitzler, der in seinen letzten Monaten an Herzrhythmusstörungen leidet, stirbt am 21. Oktober 1931 und wird im jüdischen Teil des Wiener Zentralhofs bestattet. (Farese, 1999)

8.2. Der Weg ins Freie Analyse der Frauengestalten und ihrer Schicksale

Drei Frauen werden darin vorgestellt, die eine große Rolle im Roman spielen. Es handelt sich um Anna Rosner, Therese Golowski und Else Ehrenberg. Anna Rosner stammt aus einer katholischen kleinbürgerlichen Familie, hat künstlerische Pläne, will sich dem Theater widmen. Sie ist eine junge Dame mit guten Umgangsformen, gut erzogen, immer vornehm, ehrenhaft, zurückhaltend und ein wenig empfindlich und naiv. Anna hat etwas Gemessenes und Konventionelles an sich, ist nie so laut und auffällig wie die Damen im Salon Ehrenbergs. Zu Hause ist sie nicht besonders zufrieden, möchte sich von den Stereotypen und der Langeweile des Elternhauses befreien. Zu ihrer täglichen Beschäftigung gehören Musikunterricht, Lesen und Stadtbummeln. Anna verliebt sich in Georg von Wergenthin – einen Baron, der komponiert. Dieser ist von ihrer Stimme bezaubert. Nach einer gewissen Zeit kommen sie sich näher, gehen spazieren. Als Georg ihr vorschlägt, in einem Gasthauszimmer das Nachtmahl einzunehmen, ist sie beleidigt. Trotzdem weiß sie, dass er mit ihr machen kann, was er will und sie wird das in ihrer Verliebtheit mit Leid und Seligkeit hinnehmen. Anna hofft, dass sie glücklich wird. Die Beziehung mit Georg stellt für sie ein neues Kapitel in ihrem Leben dar. Anna erwartet ein Kind von Georg. Sie fühlt sich verführt, schämt sich am Anfang dafür, dass sie ein uneheliches Kind bekommt. Sie wird reizbar, dann wieder melancholisch und schweigsam. Mit Georg entscheidet sie sich dafür, nach Italien zu reisen, um dort ihren

71 Zustand zu verbergen. Anna verlässt weinend Wien – ihr guter Ruf eines anständigen Mädchens ist vernichtet und sie weiß nicht, was die Zukunft alles bringen wird. Während ihres Aufenthaltes im Süden bleibt sie oft allein im Hotelzimmer, denkt viel nach und weint. Georg unternimmt inzwischen Ausflüge in die Umgebung und besucht Sehenswürdigkeiten. Anna spürt in dieser Zeit seine Kälte und findet ihn egoistisch und gefühllos. Trotzdem weiß sie, wie sehr sie ihn immer noch liebt. Obwohl sich Georg verantwortlich fühlt und wahre Liebe zu ihr empfindet, entschwindet sie ihm manchmal und ist nicht immer in seinen Gedanken. Die Monate der Schwangerschaft vergehen und in Anna wächst das Gefühl der Mütterlichkeit. Sie denkt oft an ihr Kind, träumt von ihm und auch die Beziehung zwischen ihr und Georg wird besser, zärtlicher, liebevoller. Er liebt diese Frau, die ihm ein Kind gebären soll. Auch Anna durchläuft eine gewisse Entwicklung. Nach der Geburt des Kindes will sie nicht von Georg abhängig sein, sondern auf eigenen Füßen stehen. Sie ist entschlossen, eine Musikschule zu gründen und ihr Kind zu sich zu nehmen. Auch in dem Fall, dass sie nicht Frau von Wergenthin wäre. Sie ist jetzt stolz darauf, dass sie Mutter wird. Nach der Rückkehr aus Italien wohnt sie in einem Vorort von Wien, damit sie den bösen Zungen entflieht. Hier verbringt Anna die letzten Monate ihrer Schwangerschaft. Nach der Geburt soll das Kind nicht bei den eigenen Eltern bleiben, sondern bei Menschen auf dem Land, die selbst ihr eigenes Kind verloren haben. Anna wird von Georg gleichzeitig geliebt und betrogen. Der unternimmt ab und zu Ausflüge außerhalb von Wien, wo er in Buhlschaften gerät. Leider kann er sich nicht mit dem Gefühl abfinden, dass er nur einer Frau gehört. Obwohl Anna keine direkten Beweise hat, ahnt sie seine Untreue und duldet still seine Sünden, ohne je danach zu fragen. Die letzten drei Tage vor der Entbindung liegt Anna in Wehen. In dieser Zeit wird Georg klar, wie stark er sie liebt und wie sehr er sich auf seinen Nachkommen freut. Das Kind, ein Junge, kommt aber tot auf die Welt. Seitdem ist Anna apathisch, das glückliche Gefühl während der Schwangerschaft ist vorbei. Den Tod ihres Kindes nimmt sie mit eiskaltem Gesicht auf, im Gegensatz dazu ist Georg entsetzt. Auf einmal sind Sorgen, Hoffnungen und Träume der vergangenen Monate weg. Jetzt ist es, als sei Annas Leben ausgelöscht. Nachdem sie alles durchgemacht hat, erlebt sie eine bittere Enttäuschung. Dadurch wird sie härter, stärker und ernster. Sie spürt sogar Hass auf die gesamte Welt. Von diesem Augenblick an ist sie erwachsen, nicht mehr ein naives Mädchen, sondern eine reife Frau mit Lebenserfahrung. Sie weiß, dass dies nicht nur das Ende ihrer Mütterlichkeit ist, sondern auch das Ende der Beziehung mit Georg – der

72 Beziehung voll von Glück und Leid. Sie akzeptiert es ruhig, ohne sich zu bemühen, es zu ändern. Die Gespräche, die sie dann noch mit Georg führt, sind eher formal als herzlich. Sie spricht wie eine Mutter und Beraterin zu ihm, benutzt einen spöttischen Ton. Sie weiß, dass es nie wieder so schön werden kann, wie es war. Das Band zwischen ihnen ist gebrochen, der letzte Funke von Hoffnung gelöscht. Es gibt keinen Grund, die Beziehung fortzusetzen. Es kommt zur gegenseitigen Entfremdung. Anna hat diesem Verhältnis mit Georg alles geopfert – ihren guten Ruf, die Karriere, ihre ehrenhafte Ehe – und sie hat nach der Geburt des toten Kindes alles verloren. Nach diesem tragischen Unglück erwacht Anna aus der blinden Verliebtheit. In Georg sieht sie nicht nur ihren Partner, sondern auch Buhler, der wegen ihrer Schwangerschaft dazu verpflichtet war, bei ihr zu bleiben. Er sehnt sich nach Freiheit und sie will ihn nicht fesseln. Anna kehrt wieder in die alte Lebensform zurück, sie wohnt bei ihren Eltern und gibt Musikunterricht.

Else Ehrenberg kommt aus der reichen Familie, hat Bewegungen einer großen Dame, eine gute Menschenkenntnis, ist intelligent, selbstbewusst und immer gut angezogen. Sie fühlt sich wohl in der Gesellschaft, führt Gespräche über das Leben, ist fähig sich über verschiedene Themen zu unterhalten und flirtet gerne mit Männern. Else ist direkt, nimmt kein Blatt vor den Mund. Alles, was sie meint, sagt sie auch direkt. Wäre sie ein Mann, würde sie eine Reise unternehmen, sie träumt von Abenteuer und Exotik. Später einmal möchte sie einen reichen Mann heiraten, am besten einen spanischen Offizier oder einen Violinvirtuosen. Else war als kleines Mädchen in Georg verliebt. Sie trafen sich ab und zu in Nizza oder Florenz, wo sie mit ihren Eltern im Sommerurlaub waren. Sie kann Georg sehr gut einschätzen – nennt ihn einen Dilletanten, dessen Karriere daran scheitern wird, dass er unpünktlich ist. Auf seine Faulheit macht sie oft ironische und sarkastische Anspielungen. Einmal erklärt Else, dass er eine Frau heiratet, die ihm ganz gleichgültig sein wird. Dabei denkt sie an Anna Rosner. Zwischen Georg und ihr gibt es eine Anziehungskraft, sie kokketieren. Wenn Georg bekannt gibt, dass er für eine bestimmte Zeit nach Italien reist, ist sich Else sicher, dass dies das Ende ihrer potenziellen Liebe und Beziehung ist. Sie ahnt auch, mit wem und warum er wegfährt. Nach dem Selbstmordversuch von ihrem Bruder Oskar, wird die etwas oberflächliche Else demütiger und menschlicher. Sie bietet Georg sogar an, sein Kind zu sich

73 zu nehmen und es zu erziehen. Erst später erfährt sie, dass das Kind tot zur Welt kam. Jetzt hat sie Mitgefühl mit Anna, aber Georg tut ihr nicht leid.

Therese Golowski ist eine hübsche, energische, dickköpfige junge Frau, die ihre Ansichten durchsetzen will. Sie diskutiert gern und kämpft für ihre Meinung. Von Anna Rosner ist sie eine vertraute Freundin, Else Ehrenberg lernte sie im Institut kennen. Therese stammt aus einer reichen jüdischen Familie. Ihr Vater ist ein ehemaliger Fellhändler, dessen Geschäft zu Grunde gegangen ist. Sie muss sich neuen, mäßigen Verhältnissen anpassen, gibt Unterricht in englischer und französischer Sprache. Dann beginnt sie, sich mit Politik zu 27 beschäftigen. Sie wird eine der Führerinnen der sozialdemokratischen Partei und hält gegen ein Mitglied des kaiserlichen Hauses eine Rede. Dabei handelt es sich um eine Majestätsbeleidigung. Sie wird dafür angeklagt und zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt. Therese ist stolz auf ihren jüdischen Ursprung, will ihn nicht verleugnen. Was sie aber hasst, sind hochmütige Menschen verschiedener Konfession und in diesem Fall macht sie keine Unterschiede zwischen orthodoxen Rabbinern oder katholischen Pfaffen, zwischen jüdischen Bankiers und feudalen Großgrundbesitzern. Mit Demeter Stanzides unternimmt sie einen Ferienausflug nach Italien. Sie verhalten sich aber nicht wie ein Paar. Dieses Verhältnis ähnelt mehr der Beziehung zwischen Geschäftsleuten als zwischen Verliebten. Beide sind zu ernst, zurückhaltend und korrekt. Therese kann ihre Gefühle nicht zeigen. Sie organisiert die ganze Reise, muss das letzte Wort haben und vergisst manchmal, dass sie nicht in einer politischen Versammlung ist. Zufällig begegnen sie Anna und Georg. Bei einem Spaziergang funkelt es zwischen ihr und Georg und sie kann ihre Leidenschaft nicht mehr verstecken und anhalten. Beide fangen an, sich spontan zu küssen. Diese Situation wiederholt sich nie wieder und auch Anna und Demeter erfahren nichts davon. Die Episode mit Demeter ist nach bestimmter Zeit beendet. Therese arbeitet in der Redaktion eines sozialistischen Blattes und ist entschlossen, sich für die Armen und Elenden zu engagieren. Sie hat vor, Asyle für Obdachlose und Arbeitshäuser zu errichten. Für Therese bedeutet eine gute Tat das, was man ohne Rachsucht und Eitelkeit für andere leisten kann. Therese Golowski ist ein Geschöpf, das zwei Gesichter hat. Sie ist einerseits eine ehrgeizige, kühle Frau, die nicht nur eine Führerin und Agitatorin in der Partei ist, sondern

27 Juden wünschten Bildung für ihre Töchter, um aristokratische Ansprüche ihrer Eltern zu symbolisieren. Die Ausbildung der Töchter in Englisch und Französisch stellte sowohl eine Akkulturation als auch Assimilation in die Wiener bürgerliche Gesellschaft dar. Frauen wurden jedoch erst im zwanzigsten Jahrhundert an der Universität zugelassen. (Vgl. Rozenblit, S. 126, 127)

74 auch im Leben. Sie will unabhängig sein und ist bemüht, sich den Männern anzugleichen oder sogar besser zu werden als sie. Anderseits ist sie ein warmherziger, liebevoller Mensch, der seine Gefühle gut zum Ausdruck bringen kann. Hinter der Maske verbirgt sich Opferwilligkeit und die Sehnsucht, anderen zu helfen. Therese bevorzugt wichtigere Dinge als die Kunst, die sie oberflächlich findet.

8.3. Therese Inhaltsanalyse

Therese wurde in der Familie des Oberstleutnants Hubert Fabiani und einer Baronin aus Slawonien geboren. Als sie 16 Jahre alt ist, zieht sie zusammen mit ihren Eltern und ihrem um drei Jahre älteren Bruder Karl nach Salzburg. Zu ihrem pensionierten Vater hat sie ein gutes Verhältnis, beide unternehmen gemeinsame Wanderungen. Therese ist die einzige Person, die ihm zuhört. Mit der Mutter versteht sich Therese weniger, ihre Beziehung ist kalt, ohne Vertrauen, Herzlichkeit und Verständnis. Die Mutter verhält sich ihr gegenüber manchmal sogar feindselig, unzugänglich, verdrossen und fremd, genauso wie bei ihrem Ehemann. Ihr Vater kann sich nicht damit abfinden, dass er jetzt überflüssig ist. Nachdem er einmal in einer Kneipe Reden gegen das Kaiserreich führte und zum General ernannt werden wollte, wurde er in die Irrenanstalt gebracht. Das hat Therese sehr schwer getroffen. Die häuslichen Umstände beginnen sich zu verschlechtern, die Mutter empfängt viele Freundinnen, die bis zur späten Nachtstunde bleiben. Auch die Anwesenheit von Herren ist keine Ausnahme. Therese entfremdet sich ihrer Mutter immer mehr und kommt sich vor, als sei sie für den Niedergang des Hauses verantwortlich. Obwohl Therese fleißig ist, Klavier spielt, Französisch und Englisch lernt und sich Handarbeiten widmet, findet sie zu Hause keine gute Atmosphäre zum Lernen und wünscht sich immer mehr, dieses Haus zu verlassen und in die Großstadt zu ziehen, am besten nach Wien. Bei ihren Mitschülerinnen, Freunden und Lehrern findet sie kein Verständnis. In der Schule spricht niemand ein Wort mit ihr, sie wird verleumdet. Die hübsche, bräunliche Therese wird bald von einem Jungen verehrt. Alfred, Mitschüler von Karl, möchte viel Zeit mit Therese verbringen. Er wünscht sich sogar, in seiner jungen Naivität, Therese einmal zu heiraten, nachdem er das Medizinstudium abgeschlossen hat und Arzt geworden ist. Therese bleibt jedoch unberührt, mag Alfred, aber ist nicht verliebt. Sie macht ihm heimlich Vorwürfe, dass er nicht fähig ist, ihr über das

75 Gefühl des Alleinseins hinwegzuhelfen. Seine Schüchternheit kommt ihr lächerlich und langweilig vor. Obwohl sie jünger ist, erscheint sie reifer und älter als er. Alfred weiß nichts von ihr, er ist zu edel und zu rein. Für Therese ist diese Beziehung nichts mehr als eine reine Kinderliebe. Die finanzielle Lage des Haushalts Fabiani verschlechtert sich. Deshalb überlegt Mutti, ihre Tochter mit einem älteren reichen Graf zu verkuppeln. Dagegen wehrt sich Therese. Die Mutter beginnt, Romane zu schreiben. In ihnen findet die alternde Frau ihren Sinn des Lebens. Das Schreiben stellt für sie Flucht aus dem realen Leben dar. In der Welt der adeligen Helden vergisst sie die Sorgen des Alltags, manchmal vergisst sie auch Therese. Frau Fabiani wird aber ruhiger und milder. Therese bekommt somit viel Freiheit, was ihr gut passt. Während Alfred in Wien studiert, lernt Therese bald einen Leutnant kennen, der lustig, witzig und frech ist. Dieser Max kann gut mit Frauen umgehen, sein Selbstbewusstsein zieht Therese an und er wird ihr Geliebter. Sie verbringen gemeinsame Nächte und Abende bei ihm im Zimmer oder in verschiedenen verrauchten Gasthäusern in der Gesellschaft von Bekannten des Leutnants, vor allem Offizieren und Schauspielerinnen. Es mangelt nicht an Alkohol und kleinen Geschenken, die sie von ihm erhält. Therese genießt diese wilde Zeit in vollen Zügen. Sie hofft, ihn zu heiraten, aber Max hält nie um ihre Hand an. Nach einer bestimmten Zeit stellt sie fest, dass er sie mit einer Schauspielerin betrügt. Enttäuscht fährt sie nach Wien. Hier wechselt sie verschiedene Stellen, wo sie als Erzieherin in Familien tätig ist. Sie muss sich immer an neue Verhältnisse anpassen und verschiedene Launen der Kinder und derer Eltern ertragen. Sie hat niemanden, dem sie sich anvertrauen könnte. Nachrichten aus Salzburg kommen selten und sie fühlt sich vereinsamt in der großen Stadt, wo sie niemanden kennt. Jetzt wird ihr klar, wie tief ihr Abstieg ist und wie schnell die Ereignisse geschehen. Zum ersten Mal denkt sie darüber nach, dass sie von ihrer Jugend und Schönheit Nutzen ziehen und sich verkaufen könnte. Diese Idee verwirklicht sie jedoch nicht und nimmt wieder eine Stelle als Erzieherin an. Inzwischen enthält einer der seltenen Briefe von ihrer Mutter eine Nachricht, dass der Vater gestorben ist. Therese fühlt sich schuldig und bedauert, dass sie ihn anfangs wenig und später gar nicht in der Anstalt besucht hat. Sie denkt an ihre Kindheit und an Ereignisse, die sie mit ihrem lieben Vater erlebt hat. Bei ihren Spaziergängen, immer am zweiten Sonntag im Monat, wenn sie Ausgang hat, wird sie von einem jungen Mann angesprochen, der sich komisch verhält, ständig

76 schwätzt und den sie für einen Narr hält. Bei seinem Reden ist sie nicht sicher, ob er nur Witze macht oder ob es ihm ernst ist. Nach besserem Kennenlernen weiß Therese, dass dieser Mann, mit Namen Kasimir Tobisch, zurückhaltend, melancholisch und verletzlich ist. Sie kommen sich näher, lachen viel, Therese findet eine vertraute Person in ihm. Gemeinsame Abende in Gasthofzimmern muss Therese aber für beide bezahlen, weil Kasimir ständig mittellos ist. Manchmal fühlt sich Therese in seiner Anwesenheit verlassen und übersehen. Es kommt ihr vor, als ob sie nur eine Art von Abenteuer für diesen „Komiker“ wäre, welches mit Liebe nichts zu tun hat. Schließlich entdeckt sie seine Unzuverlässigkeit, Unverantwortlichkeit und die ständig steigende Neigung zum Lügen und zum Betrug. Die Tatsache, dass sie mit ihm ein Kind erwartet, will er nicht wahrhaben. Therese unternimmt einen kurzen Ausflug nach Salzburg, wo sie ihre Mutter besucht. Bei einem zufälligen Treffen ihrer ehemaligen Mitschülerinnen wird ihr klar, dass sie ihnen trotz gleichem Alter um Jahre voraus ist, reifer, erwachsener und dass sie um, nicht immer positive, Lebenserfahrungen reicher ist. In dieser komplizierten Situation weiß Therese nicht, wem sie sich anvertrauen und wen sie um Hilfe bitten soll. Sie sehnt sich nach Kasimirs Umarmungen und Küssen, der ist aber verschwunden. Je schneller die Zeit vergeht, desto mehr denkt Therese an Abtreibung. Dann entschließt sie sich, in dieser Sache nichts zu unternehmen und das Kind auf die Welt zu bringen. Der Hauptgrund ist nicht Liebe zu Kasimir oder Freude an dem zukünftigen Nachwuchs, sondern Ratlosigkeit, Resignation und vor allem Angst vor dem Verbrechen, das sie gegen das neue Leben begehen würde. Ihre ganze Vergangenheit kommt ihr fremd und fern vor, Erlebnisse aus ihrer Kindheit und Jugend scheinen wie verschwunden zu sein und ihr ist, als ob ihre Verwandten und Bekannten nie existiert hätten. Ihre Gedanken konzentrieren sich nur auf das kleine Wesen, das in ihrem Schoß wächst. Ihre Arbeit in der Familie erfüllt sie mechanisch, ohne darüber nachzudenken. In diesen schweren Zeiten wendet sich Therese Gott zu, besucht die Kirche und betet, obwohl sie nie wirklich gläubig war. Zu Hause betet sie auch jeden Tag, nicht nur für sich, sondern auch für ihr ungeborenes Kind und dessen Vater, dem Thereses Schicksal gleichgültig ist. Das Haus, in dem sie angestellt ist, muss sie wegen ihres Zustands verlassen und wohnt in einer billigen Pension bei Frau Kausik. Ihre ganze Person verändert sich. Ihre Kleidung ist nicht mehr immer gebügelt und sauber, ihre Redeweise passt sich dem Milieu an, in dem sie wohnt.

77 Obwohl sie keine Beschwerden in der Schwangerschaft hat, erschreckt sie beim Blick in den Spiegel, wenn sie ein bleiches Gesicht mit bläulichen Lippen und leeren Augen sieht. Sie weiß, dass sie Mutter wird, aber sie spürt weder Liebe und Freude noch Reue. Sie spürt kein Zeichen von Mütterlichkeit, keine Sehnsucht nach dem Kind. Therese macht sich Gedanken, ob sie in Zukunft noch eine Frau unter anderen sein kann, ob sie noch einen geordneten Gang des Lebens findet und einen anständigen Beruf ausüben darf. Bei der Entbindung denkt sie an ihren Tod und zugleich an den Tod ihres Kindes. Sie findet, dass dies die beste Lösung wäre. Anfangs kann sie sich damit nicht abfinden, dass sie, selbst noch ein Kind, auf einmal Mutter wird. Ihren Jungen, Franz, gibt sie in Pflege zu einer Bäuerin aufs Land und sieht sich nach einer neuen Stelle um. Ihren Buben besucht sie regelmäßig, Muttergefühle werden in ihr erweckt, sie beginnt ihn zu lieben und zu vermissen. Therese führt als eine Erzieherin in den Familien und als Mutter ihres Kindes ein Doppelleben, von dem niemand eine Ahnung hat. Sie genießt diese Zeit und sieht sogar einen Vorteil darin, dass sie ihren Jungen nicht täglich bei sich haben darf. So kann es nicht vorkommen, dass sie das Kind satt hat. Ihre Muttergefühle, ihre Liebe zu Kindern und ihr Mitleid entfachen sich nicht nur bei Besuchen ihres Sohnes, sondern vor allem bei ihren Zöglingen, die sie zu pflegen hat. In einer Familie ist ihr ein kluger, hübscher Junge anvertraut, den sie schließlich mehr liebt als ihren eigenen Sohn. Therese klammert sich an ihn und spielt sogar mit dem Gedanken, ihn zu entführen und ihn nur für sich selbst zu haben. Die Zeit vergeht und sie denkt in ihrer Verzweiflung viel über sich selbst nach, fühlt sich allein, zum Alleinsein bestimmt und mit ihren 27 Jahren alt und verbraucht. Sie kommt sich nicht mehr hübsch vor. Obwohl sie sich in den Familien meistens über nichts beklagen kann, weiß sie, dass man keine Rücksicht auf sie nimmt und dass sich niemand dafür interessiert, ob sie Freude oder Schmerz empfindet. Sie ist empört über die anderen und unzufrieden mit sich selbst. Wenn sie eine Stelle in einer jüdischen Familie antritt, stellt sie fest, dass ein Hass gegen Juden bei ihr aufkommt. Sie hasst den jüdischen Jargon und ist diesem Volk gegenüber auch nicht frei von Vorurteilen. Mit ihrem Bruder hat sie wenig Kontakt, ihr seltenes Treffen nimmt bald ein schnelles Ende. Es folgt ein kühler Abschied. Die Beziehung zwischen ihnen ist förmlich. Karl kümmert sich nur um sich selbst und um seine Karriere, der Rest der Familie interessiert ihn nicht. Therese sieht eine unfreundliche, unsichere Person in ihm. Therese besucht ihre Mutter in Salzburg sporadisch, ist aber von ihr immer herzlich empfangen und beide kommen immer besser zusammen aus. Es scheint Therese, dass sich

78 ihre Mutter beim Schreiben ihrer Romane von den schlechten Eigenschaften, die sie besaß, befreit hat und dass sie eine ruhige, alternde Frau wird. Trotzdem fühlt sie sich bei ihr wie bei einer fremden Dame zu Besuch, nicht wie bei ihrer eigenen Mutter. Nach längerer Zeit hat sie seit ihrer Affäre mit Kasimir Tobisch ein paar Geliebte, diese Beziehungen dauern jedoch nicht lange an und Therese ist nie wirklich verliebt. Nach kurzer Zeit macht sie mit ihren Liebeseskapaden Schluss oder wird selbst von diesen Männern verlassen. Trotzdem führt sie ab und zu diese Beziehungen weiter, sie sehnt sich nach Küssen, Umarmungen und nach Leidenschaft. Während einer Fahrt zu ihrem Sohn nach Enzbach lernt sie im Coupé einen älteren, kahlköpfigen, aber gut angezogenen und anscheinend wohlhabenden Mann kennen. Sie kommen sich näher, werden ein Liebespaar. Er, als Ministerialrat, verbessert Thereses materielle Lage durch einen kleinen monatlichen Zuschuss. Bald stellt es sich heraus, dass sie wieder schwanger ist. Jetzt ist sie aber fest entschlossen, abzutreiben. Von diesem Augenblick an ist auch die Beziehung zu diesem Mann zu Ende. Therese fällt auf, dass ihr Sohn mit seiner Pflegemutter und deren Familie, vor allem deren Tochter, immer mehr vertraut ist. Franz verwendet bäuerliche Redewendungen und Gebärden, das Lernen macht ihm kein Vergnügen. Therese beginnt über ihr eigenes Familienleben mit ihrem Sohn nachzudenken. Sie ist müde, ständig die Plätze zu wechseln und andere Kinder anstatt ihres eigenen Sohnes zu betreuen. Sie sehnt sich nach Ruhe, Heimat, Häuslichkeit, will sich nicht mehr für die Kinder fremder Leute aufopfern und will nicht länger anderen Menschen gehören. Sie fühlt sich erniedrigt, unglücklich und sieht sich in der Welt ungerecht behandelt. Den Männern gegenüber verhält sie sich kühl, berechnend und an den eigenen Vorteil denkend. Therese begegnet zufällig Alfred und setzt sich mit ihm in Kontakt. Er wird ihr guter Freund, der sie versteht und zu dem sie Vertrauen hat. Sie verschweigt ihm nicht, dass sie Mutter eines Knaben ist. Diese Tatsache weiß er schon seit längerer Zeit - nicht nur er, sondern auch ihre Mutter und ihr Bruder. Alfred wird später Thereses Liebhaber. Die Leidenschaft und Sehnsucht, die sie sich von dieser Beziehung erwartet, fehlt jedoch und die Zuneigung zu ihm ist mehr Freundschaft als Liebe. Franz lebt inzwischen bei einer anderen Familie. Er wird frech, schwänzt die Schule, lügt und begeht kleine Diebereien. Seine Pfleger klagen darüber, dass er verdorben ist und in der Nacht herumzieht. Im Taumel des Wutes denkt Therese daran, Kasimir etwas Böses anzutun und sich auf diese Art und Weise an ihm zu rächen, weil er ein solch ungeratenes Kind gezeugt hat. Dann aber kommen Schuldgefühle in ihr hoch, da sie wenig

79 Zeit für Franz hatte, ihm gegenüber nicht genug Liebe aufbringen konnte und dass er seine Kindheit bei fremden Menschen und ohne Vater erleben musste. Therese zieht mit Franz in eine Wohnung und freut sich, dass sie zum ersten Mal ein eigenes Heim hat. Franzis Leistungen in der Schule werden nicht besser, er hat schlechte Noten und eine hohe Anzahl an versäumten Stunden. Wenn Therese mit ihm darüber sprechen will, überhäuft er sie mit frechen Antworten, Vorwürfen und hasserfüllten höhnischen Blicken. Jetzt weiß sie, dass er nicht nur wie ein Fremder, sondern auch wie ein Feind neben ihr lebt. Sie lässt Franz alles durchgehen, resigniert, fühlt sich einsam, müde und manchmal am Ende ihrer Kräfte. Was ihren Beruf betrifft, wird sie eine gesuchte und anerkannte Lehrerin, später eröffnet sie sogar Kurse, in denen sie mehrere Kinder auf einmal unterrichtet. Bei manchen Auseinandersetzungen benutzt Franz Schimpfwörter, die auf Thereses Vergangenheit und ihre Männergeschichten anspielen. Sie wird von ihm als Dirne und Frauenzimmer bezeichnet. Er spricht diese Wörter aus, ohne die tiefere Bedeutung zu verstehen und wirft ihr sogar vor, seine Geburt sei ein Fehler gewesen, sie hätte ihn nicht zur Welt bringen sollen. Dies verletzt Therese sehr. Als uneheliches Kind fühlt sich Franz benachteiligt, gefährdet und geschändet. Therese findet in Alfred einen Ansprechpartner und Ratgeber, sie traut ihm die Schwierigkeiten an, die sie mit ihrem Sohn hat und bittet ihn um Rat. Wieder quälen sie Selbstvorwürfe, sie weiß, dass sie nie eine richtige Mutter für Franz gewesen ist. Sie war vor allem mit ihrem Beruf und ihren Liebesaffären beschäftigt, ihren Sohn hat sie häufig als Last empfunden. Es passiert öfter, dass Franz nicht nur wie gewöhnlich für eine Nacht, sondern für einige Wochen verschwindet. Anfangs hat Therese Angst und Sehnsucht nach ihrem Kind, nach einer gewissen Zeit fühlt sie sich ohne ihn ruhiger und zufriedener. Therese unterrichtet die sechzehnjährige Thilda Wohlschein, zu der sie eine Zuneigung spürt. Thilda ist in manchen Eigenschaften Therese ähnlich, sie ist klug, kühl, aber trotzdem introvertiert, nach innen gewandt. Therese fühlt sich in ihrer Anwesenheit jünger, behandelt sie wie ihre eigene Schwester. Sonntags besucht sie oft Wohlscheins Haus, in dem Thilda mit ihrem Vater allein wohnt. Das Mädchen bemüht sich, seinen Vater mit Therese zu verkuppeln. Eines Abends steht Franz vor der Tür, hungrig, in zerrissener und schäbiger Kleidung und vertretenen Schuhen. Er übernachtet bei Therese, isst sich satt, verlangt Geld und verlässt anschließend ohne Abschied ihre Wohnung. Nach einiger Zeit kommen Briefe

80 von Franz, in denen er Geld fordert. Die Summen, die er verlangt, erhöhen sich ständig. Therese schickt ihm meistens nur die Hälfte. In der Nachbarschaft erzählt sie, dass er woanders eine gute Stelle hat, weil sie sich für seine zweifelhafte Existenz schämt. In den Ferien, wenn sie niemanden zu unterrichten hat, fühlt sie sich sehr allein. Deswegen fährt sie aufs Land, um ihrer Einsamkeit zu entfliehen, sich dort zu erholen und an der frischen Luft auf andere Gedanken zu kommen. Therese und Herr Wohlschein kommen sich näher, er unterstützt sie, kauft ihr neue Kleidung und schließlich erhält sie von ihm einen Heiratsantrag. Erstaunlicherweise freut sich Therese nicht darüber, empfindet Angst vor dieser großen Veränderung, wo sie als altes Fräulein auf einmal Ehefrau werden soll. Sie kann sich nicht vorstellen, dass sie den Rest ihrer Zukunft mit einem Mann verbringt. Nach einiger Überlegung ist sie doch einverstanden. Die Hochzeit findet jedoch nicht statt, weil Herr Wohlschein plötzlich an einem Herzinfarkt stirbt. Therese fühlt sich wieder allein, der Tod ihres Liebhabers verletzt sie aber nicht. In Wirklichkeit hat sie ihn nie geliebt. Sie empfindet keine Trauer. Bald folgt ihm ihre Mutter in die Welt der Toten. Für sie waren nicht nur diese zwei tot, sondern auch viele Lebendige wie ihr Bruder, Kasimir Tobisch, Alfred und schließlich auch Franz und alle ihre ehemaligen Geliebten und Kinder, die sie jemals zu pflegen hatte. Die letzten Muttergefühle zu ihrem Sohn sind erloschen und sie ist von Angst vor seiner Wiederkehr und seinem Geldverlangen überwältigt. Nach langer Zeit erinnert sie sich an jene Nacht, in der er geboren wurde und dass sie daran dachte, ihn umzubringen. Jetzt verspürt sie wieder diese Lust und Sehnsucht, eine Mörderin zu werden. Nach der Entlassung aus dem Gefängnis, in dem er wegen seiner Diebstähle eine mehrmonatige Strafe abbüßt, kommt Franz wieder zu seiner Mutter, um Geld zu holen. Diese lehnt es ab, die geforderte Summe herzugeben. Er beginnt sie zu würgen, bis sie in Ohnmacht fällt. Im Krankenhaus stirbt sie an den Folgen dieser Verletzung. In den letzten Stunden ihres Lebens verzeiht sie ihrem Sohn damit, dass er ihr nur das vergolten hat, was sie ihm angetan hat.

81 Schlusswort

Bei der ausführlichen Analyse dieser drei Werke von Lothar hat sich gezeigt, dass dieser oft unterschätzte und als unwichtig betrachtete Schriftsteller doch eine große schöpferische Qualität aufweist. Beweisend dafür sind die Bearbeitung aktueller gesellschaftlicher Probleme und die fesselnde Handlung. Er benutzt kein abstraktes – für den Leser nicht kompliziertes oder fremdes – Thema und abwechslungsreiche Sprachmerkmale aus allen sozialen Schichten, die die ganze Geschichte beleben und sie, infolgedessen, nicht an besonderem Reiz und Humor verliert. Lothar, der sich an seinen Geburtsort immer erinnerte und seine jüdische Herkunft nie vergessen hat, verarbeitete diese Merkmale in seinen Werken. Ebenso spiegeln sich die Erinnerungen an seine Kindheit, den Juristenberuf, seine Vaterrolle und die Liebe zum Theater in seinen Büchern wider. Der historische Hintergrund beeinflusste in großem Maße den Inhalt seines Schreibens. Der Untergang Österreich – Ungarns fällt ihm genauso schwer wie seinen Helden. Trotzdem bleibt er objektiv und schildert die damalige Situation unbefangen und als neutraler Beobachter. Er beschreibt nicht nur den Zerfall der Monarchie und die Enttäuschung ihrer Anhänger, sondern auch den Antritt der Sozialdemokraten, den Einfluss des politischen Katholizismus, den Antisemitismus und die beginnende Wirkung des Nationalismus. Eine ähnlich unparteiische Methode wählt er bei der Religionsfrage. Seine Figuren sind Menschen jeglicher Glaubensbekenntnisse – Juden, Katholiken, Atheisten, getaufte Juden oder auch die Gläubigen, die ins Zweifeln geraten sind, ob es überhaupt einen Gott gibt. Genauso werden alle sozialen Schichten der Gesellschaft erwähnt, von reicher Aristokratie über Bürgertum und Mittelschicht bis zu den armen Leuten. Bei einem Thema ist Lothar jedoch kompromisslos und prägt nur eine Variante, und zwar eine intakte Familie, die im Mittelpunkt jeder Handlung steht. Er weist auf die negativen Seiten des Zusammenlebens hin – auf die Scheidung und Treulosigkeit, wobei er anführt, wie sehr das Kind darunter leidet. Kinder als gleichberechtigte Partner zu behandeln, zu respektieren und sich in ihre Seele einfühlen zu können hält er für die Maxime des Familienglücks. Lothar fürchtet nicht, sich auch heiklen Themen zu widmen. Er beschäftigt sich mit dem Recht der Frauen – auf Ausbildung und Beruf, auf eine gleichberechtigte Stellung innerhalb der Ehe und der Gesellschaft und auf das Recht sich zu verhalten wie ein Mann,

82 ohne dafür bestraft oder kritisch beurteilt zu werden. Das betrifft vor allem die Frauen mit einem unehelichen Kind und jene, die Ehebruch begangen haben. Die Homosexualität einer seiner Figuren und die Tatsache, dass sich ein anderer Protagonist von seiner älteren Geliebten aushalten lässt, was umgekehrt meistens bei Frauen der Fall ist, sind mehr als delikate Fragen der damaligen Zeit. Ebenfalls meisterhaft verarbeitet er zwei wichtige Attribute des menschlichen Daseins – Liebe und Tod. Ersteres erscheint in Form einer unschuldigen Kinderliebe, einer Liebe unter Erwachsenen oder in Form einer unerfüllten, platonischen Liebe. Im Tod sieht er einen natürlichen Bestandteil der Existenz, der in jedem seiner Werke vorkommt und mit dem man sich auseinandersetzen muss, wobei es als ein sensibles Thema behandelt wird. Die Beendigung des Lebens durch Selbstmord oder zumindest durch versuchten Selbstmord treten ebenfalls in Lothars analysierten Werken auf. Was die Sprache anbelangt, verwendet Lothar mehrere Stufen. Das überwiegende Hochdeutsch wird sowohl von umgangssprachlichen Ausdrücken, pejorativen Wörtern, Argot oder Jargon als auch von Fachbegriffen und Fremdwörtern ergänzt. Die Handlungen jener Werke, die sich in Wien abspielen, tragen dazu bei, dass die Gestalten wienerischen Dialekt sprechen. Der Vergleich Ernst Lothars mit Arthur Schnitzler, dem ich mich in den letzten Kapiteln gewidmet habe, hat den Vorwurf, dass Lothar Schnitzler nachahme, meiner Meinung nach nicht bestätigt. Obwohl eine Ähnlichkeit in bestimmten Punkten festgestellt werden kann, sind beide Schriftsteller einzigartig und originell. Lothar ist es gelungen, einen eigenen Stil zu schaffen, den er in seinen Werken präsentiert. Das Ziel meiner Magisterarbeit war es, Ernst Lothars Frühwerk unter verschiedenen Aspekten zu analysieren. Mein Wunsch aber wäre, Lothars schöpferische Tätigkeit dem Leserpublikum näher zu bringen und damit das Interesse an seinen Werken und seiner Persönlichkeit zu wecken.

83 Literaturverzeichnis

Primärliteratur: LOTHAR, Ernst. Das Wunder des Überlebens. Hamburg, Wien: Paul Zsolnay Verlag, 1960. 448 S. LOTHAR, Ernst. Der Hellseher. Zürich: Paul Zsolnay Verlag, 1929. 525 S. LOTHAR, Ernst. Kinder. Berlin, Wien, Leipzig: Paul Zsolnay Verlag, 1932. 185 S. LOTHAR, Ernst. Kleine Freundin. Hamburg, Wien: Paul Zsolnay Verlag, 1962. 371 S. SCHNITZLER, Arthur. Der Weg ins Freie. In: Die erzählenden Schriften. Erster Band. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag, 1961. 1009 S. S. 635 - 958 SCHNITZLER, Arthur. Therese. Chronik eines Frauenlebens. In: Die erzählenden Schriften. Band 2. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag, 1961. 1050 S. S. 625 - 881

Sekundärliteratur: AHNERT, Heinz – Jörg. Deutsches Titelbuch. Zweiter Band. Berlin: Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung, 1966. 636 S. BAMBERGER, Richard, Maria. BRUCKMÜLLER, Ernst. GUTKAS, Karl. Österreich Lexikon. Band 1. Wien: Österreichischer Bundesverlag, 1995. 735 S. BERGMANN, Werner. Geschichte des Antisemitismus. München: Verlag C. H. Beck, 2002. 140 S. BLUMESBERGER, Susanne. DOPPELHOFER, Michael. MAUTHE, Gabriele. Handbuch österreichischer Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunf, 18. bis 20. Jahrhundert. Band 2. München: K. G. Saur, 2002. 8922 S. BOHMANN, Rudolf. TAYLOR, Stephen S. Who´s who in Austria. Wien: Weiss & Co, 1969. 979 S. DUDEN – Deutsches Universalwörterbuch, 5. Auflage. Mannheim, 2003 [CD/ROM] FARESE, Giuseppe. Arthur Schnitzler. Ein Leben in Wien 1862 – 1931. München: Verlag C. H. Beck, 1999. 359 S. GIEBISCH, Hans. GUGITZ, Gustav. Bio-Bibliographisches Literaturlexikon Österreichs. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Wien: Verlag Brüder Hollinek, 1963. 516 S. GRANDT, Guido. Schwarzbuch Anthroposophie: Rudolf Steiners okkult - rassistische Weltanschaung. Wien: Ueberreuter, 1997. 315 S.

84 HANISCH, Ernst. Die Ideologie des Politischen Katholizismus in Österreich 1918 – 1938. Wien – Salzburg: Geyer-Edition, 1977. 52 S. HELLWING, I. A. Der konfessionelle Antisemitismus im 19. Jahrhundert in Österreich. Wien, Freiburg, Basel: Verlag Herder, 1972. 311 S. KILLY, Walther. Literatur Lexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache. Band 7. München: Bertelsmann Lexikon Verlag, 1990. 512 S. KILLY, Walther. Literatur Lexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache. Band 11. München: Bertelsmann Lexikon Verlag, 1991. 512 S. KIWIT, Wolfram. Sehnsucht nach meinem Roman. Arthur Schnitzler als Romancier. Bochum: Winkler Verlag, 1991. 269 S. LANGE, Helene. Intelektuelle Grenzlinien zwischen Mann und Frau, 1896/1897. In: Hopf C., Matthes E.; Helene Lange und Gertrud Bäumer. Ihr Engagement für die Frauen- und Mädchenbildung. Bad Heilbrunn, 2001. LICHTBLAU, Albert. Antisemitismus und soziale Spannung in Berlin und Wien 1867 - 1914. Berlin: Metropol Verlag, 1994. 282 S. MALÁ, Jiřina. Einführung in die deutsche Stilistik. : Masarykova univerzita, 2003. 155 S. PAULEY, Bruce. Eine Geschichte des österreichischen Antisemitismus. Wien: Verlag Kremayr & Scheriau, 1993. 475 S. PRANGE, Klaus. Erziehung zur Anthroposophie: Darstellung und Kritik der Waldorfpädagogik. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt, 2000. 209 S. RUDOLPH, Charlotte. Waldorf-Erziehung. Darmstadt, Neuwied: Hermann Luchterhand Verlag, 1987. 207 S. ROZENBLIT, Marsha L. Die Juden Wiens 1867-1914. Wien, Köln, Graz: Böhlau Verlag, 1989. 254 S. WAGNER, Renate. Arthur Schnitzler. Eine Biographie. Frankfurt am Main: Fischer – Taschenbuch – Verlag, 1984. 408 S. WAHRIG, Gerhard. Deutsches Wörterburch. München: Bertelsmann Lexikon Verlag, 1997. 1420 S. WILPERT, Gero von. Lexikon der Weltliteratur. Zweiter Band. Hauptwerke der Weltliteratur in Charakteristiken und Kurzinterpretationen. Stuttgart: Alfred Kröner Verlag, 1968. 1253 S. http://www.doew.at/thema/thema_alt/wuv/maerz38_2/instiantisem.html

85 Gesamte Lothars Werke in der chronologischen Reihenfolge: Der ruhige Hain (Ged.), 1910 Die Einsamen (Nov.), 1912; Italien, 1915 Österreichische Schriften. Weltbürgerliche Betrachtungen zur Gegenwart, 1916 Der Feldherr (Rom.), 1918 Ich! Ein Theaterstück, 1921 Macht über alle Menschen (Romantrilogie), 1921 - 25 1. Irrlicht der Welt, 2. Irrlicht des Geistes 3. Licht Bekenntnis eines Herzsklaven (Rom.), 1923 (Neubearb. u. d. T.: Der Kampf um das Herz, 1930) Triumph des Gefühls. Zwei Erzählungen, 1925 Gottes Garten. Ein Buch von Kindern, 1928 (Neubearb. u. d. T.: Kinder. Erste Erlebnisse, 1932) Drei Tage und eine Nacht (Nov.), 1928 Der Hellseher (Rom.), 1929 Kleine Freundin. Roman einer Zwölfjährigen, 1931 Die Menschenrechte: Die Mühle der Gerechtigkeit oder Das Recht auf den Tod (Rom.), 1933 (Neuaufl. 1962) Eine Frau wie viele oder Das Recht in der Ehe (Rom.), 1934 Romanze F - Dur. Aus dem Tagebuch eines jungen Mädchens, 1935 Nähe und Ferne. Länder, Leute, Dinge, 1937 A Woman is Witness, New York, 1941 (dt.: Die Zeugin. Pariser Tagebuch einer Wienerin, 1951) Beneath Another Sun, New York, 1943 (dt.: Unter anderer Sonne, 1961) The Angel with his Trumpet, New York, 1944 (dt.: Der Engel mit der Posaune. Roman eines Hauses, 1945) The door opens. Short stories, New York, 1945 (dt.: Die Tür geht auf. Notizbuch der Kindheit, 1950) Heldenplatz (Rom.) Cambridge, 1945 The prisoner. A Novel, New York, 1945 Die Rückkehr (Rom.), 1949 Verwandlung durch Liebe (Rom.), 1951 Das Weihnachtsgeschenk (Erz.), 1954 Die bessere Welt. Reden und Schriften, 1955

86 Das Wunder des Überlebens. Erinnerungen und Ergebnisse, 1960 Ausgewählte Werke, 1961-68 Macht und Ohnmacht des Theaters, 1968

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