Rolf Kühn Jazz-Klarinettist Im Gespräch Mit Jürgen Jung Jung
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Sendung vom 31.5.2013, 21.00 Uhr Rolf Kühn Jazz-Klarinettist im Gespräch mit Jürgen Jung Jung: Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zu einer neuen Folge von alpha-Forum. Ich darf Ihnen heute einen deutschen Jazzmusiker von Weltformat vorstellen, einen, der auf seinem Instrument eine ganz eigene, moderne Ausdrucksweise gefunden hat, der die gesamte Geschichte des Jazz' seit 1945 verkörpert und der sogar in den USA, im Mutterland des Jazz, hohe Anerkennung gefunden hat. Meine Damen und Herren, freuen Sie sich mit mir auf Rolf Kühn. Kühn: (spielt zur Begrüßung auf seiner Klarinette) Jung: Ich freue mich sehr, dass es uns gelungen ist, dich von der Spree an die Isar zu holen. Denn du bist ja nach wie vor ein gefragter Mann und deswegen ist es keineswegs selbstverständlich, dass das gelingt. Rolf, das war eine sehr schöne Willkommensmusik. Ich würde gleich anfangen mit der Frage: Diesen schwarzen Stock mit den Löchern hast du mal als eine "kapriziöse Geliebte" bezeichnet. Wieso? Kühn: Das ist sie auch. Jung: Dass Sie eine Geliebte ist, leuchtet mir sofort ein, aber warum "kapriziös"? Kühn: Sie ist eine anspruchsvolle Geliebte und will immerzu bewundert werden, d. h. man muss sie verwöhnen, indem man sehr viel übt und sich mit ihr beschäftigt. Und das tue ich bis heute eigentlich täglich. Das ist für mich ein eisernes Gesetz: zwei, drei Stunden pro Tag üben, das ist eigentlich die Regel. Jung: Ich würde gerne die Position der Klarinette im Jazz wenigstens kurz mal problematisieren wollen. Denn wir wissen ja, dass seit der Zeit nach dem Swing die Klarinette eher ein Instrument ist, das nicht so sehr gepflegt wird. Wir kennen auch den berühmten Spruch von Tony Scott, deinem Kollegen auf der Klarinette. Er hat einmal, als man ihn fragte, warum er denn den USA den Rücken kehrt, gesagt: "Die Klarinette liegt dort im Sterben und ich schaue nur ungern bei Begräbnissen zu." Kühn: Oh Gott, was für eine fürchterliche Formulierung. Jung: Aber ein Körnchen Wahrheit steckt doch drin, oder? Kühn: Ja, es gibt da schon ein Körnchen Wahrheit. Die Klarinette war sehr, sehr populär in den 30er Jahren und auch noch in den 40er Jahren und z. T. auch noch in den 50er Jahren: allein durch Goodman, durch Artie Shaw und viele andere. Das war Swingmusik, das war tanzbare Musik, die Leute hatten Spaß, sich zu dieser Musik zu bewegen. Danach kam der Bebop und es wurde ein bisschen schwierig für die Klarinette. Diesen neuen Musikstil auf die Klarinette zu übertragen, ist damals eigentlich nur einem gelungen, nämlich Buddy DeFranco. Er hat damals in Minton's Playhouse in Harlem in New York zum ersten Mal Charlie Parker gehört und hat danach sofort gesagt: "So möchte ich Klarinette spielen." Er hat dann tatsächlich diesen Stil, der übrigens auf der Klarinette um einiges schwieriger zu spielen ist als auf dem Saxofon, auf sein Instrument übertragen. Bei mir selbst war es so: Wie fast jeder andere Klarinettist hatte auch ich mir Benny Goodman zum Vorbild genommen – und übrigens auch Artie Shaw. Und dann kam dieser neue Klarinettist und machte diese neue Musik, diesen neuen Stil auf der Klarinette. Ich dachte mir: "Ja, das möchte ich auch machen!" Jung: Bevor wir darauf näher eingehen, denn das werden wir zwangsläufig tun, würde ich gerne an den Anfang zurückkehren, sozusagen an den allerersten Anfang. Du bist im Jahr 1929 geboren und damit vier Jahre vor der sogenannten Machtergreifung. Dein Vater war ein Artist, ein Varietékünstler, und ich vermute mal, dass er wollte, dass du in seine Fußstapfen trittst. Ich habe übrigens ein wunderbares Foto gefunden aus der Zeit, als du ungefähr sechs Jahre alt warst. Kühn: Ja, das zeigt mich als Akrobat. Jung: Ja, du bist hier Akrobat. Du machst hier auf dem ausgestreckten Unterarm deines Vaters einen Handstand. Du warst offensichtlich gut in Form. Kühn: Ja, ich war gut in Form, war gut trainiert durch meinen Vater. Jung: Das muss so in etwa 1935 gewesen sein. Kühn: Ja. Jung: Das heißt, du hast im Grunde genommen bereits damals eine Fähigkeit entwickeln müssen, die dir dann hinterher sehr geholfen hat, wie ich annehme: das tägliche intensive Training, das du dann auch auf das Instrument übertragen hast. Rolf, du bist ja nun, darüber lässt sich nicht streiten, selbst wenn dieser Begriff ein wenig abgelatscht ist, ein Urgestein des deutschen Jazz: Seit dem Krieg mischt du an vorderster Front mit. Ich will aber dennoch noch ein bisschen genauer herausfinden, wie die Zeit des Nationalsozialismus für dich ausgesehen hat. Denn, und das ist jetzt ganz wichtig, es war ja nicht nur so, dass dein Vater Varietekünstler gewesen ist: Der zweite und wesentliche Aspekt war nämlich, dass deine Mutter Jüdin war. Dies hatte damals Konsequenzen. Kannst du uns davon ein bisschen erzählen? Kühn: Es wurde sehr schwierig. Mein Vater flog aus der Reichstheaterkammer raus, durfte also nicht mehr als Artist arbeiten. Das war ungefähr 1940/41: Man wollte ihn damit eigentlich zwingen, sich von seiner jüdischen Frau scheiden zu lassen. Jung: Man hat ihm Berufsverbot erteilt. Kühn: Ja, das war ein Berufsverbot. Und gleichzeitig kam er in ein Arbeitslager. Jung: Er ist ins Lager gekommen? Kühn: Er musste in ein sogenanntes Arbeitslager, das aber nicht vergleichbar war mit einem Konzentrationslager. Aber er war in einem Arbeitslager der Organisation Todt. Jung: Das heißt, wenn ich das richtig verstehe, er musste büßen dafür, dass er nicht bereit war, sich von seiner Frau zu trennen. Kühn: Richtig. Jung: Dein Schicksal als "Halbjude" hatte aber auch für deine Musik Konsequenzen. Kühn: Ja, das hatte sogar erhebliche Konsequenzen. Ich wurde z. B. auf keiner Musikschule aufgenommen. Ich hatte jedoch das Glück, Privatlehrer zu finden, die mich heimlich unterrichtet haben – in erster Linie auf der Klarinette. Der Gewandhaus-Klarinettist Hans Berninger war mein Lehrer: ein sehr mürrischer, sehr gestrenger Mensch, dem nichts gut genug war. Es war immer witzig, wenn ich zum Unterricht kam, denn da lag immer schon seine Klarinette – seine! – spielbereit auf dem Tisch. Und ich sollte dann anfangen mit dem, was er mir für die letzte Woche als Aufgabe gestellt hatte. Er unterbrach mich aber meistens schon nach drei, vier Takten und sagte: "Ach, das ist doch furchtbar! So muss es klingen." Dann nahm er seine Klarinette zur Hand und spielte. Jung: Er war immerhin Solo-Klarinettist beim Gewandhausorchester Leipzig. Kühn: Richtig. Ich muss jetzt aber erwähnen, dass mir damals diese ganze Disziplin, die zu diesem Instrument gehört oder zur Akrobatik oder zu jedem anderen künstlerischen Beruf, gänzlich fehlte: Ich war auf gut Deutsch stinkfaul. Ich habe eine Stunde vor der nächsten Unterrichtsstunde mit dem Üben angefangen! Das war natürlich zu wenig, statt täglich drei, vier, fünf Stunden zu üben, nur eine Stunde kurz vor dem Unterricht. Das ging so natürlich nicht. Aber mich hat ein Erlebnis dazu bewogen, das ernster anzugehen. Ich hörte nämlich in Leipzig einen italienischen Klarinettisten. Er spielte mit dem sogenannten RBT-Orchester, also dem "Radio Berlin Tanzorchester" bei einem Auftritt in Leipzig. Dieser italienische Klarinettist war Baldo Maestri. Und er spielte wirklich meisterlich Klarinette. Ihn lernte ich kennen und er meinte zu mir: "Nun, Junge, üben musst du schon! Ich selbst übe jeden Tag mindestens drei, vier Stunden." Und das habe ich dann bis heute durchgehalten. Aber um noch einmal zurückzukommen zu der Zeit, die du gerade angesprochen hast: Ich hatte auch einen wunderbaren Klavierlehrer, der mir Musikgeschichte und Instrumentations- und Kompositionslehre beigebracht hat. Er brachte mir bei, einen vierstimmigen Satz zu schreiben usw. Ich hatte einfach das Glück, dass mich meine Musiklehrer mochten – und vielleicht auch ein bisschen Talent schnupperten bei mir, weswegen sie wohl gedacht haben: "Dieser Junge muss gefördert werden." Jung: Bereits in der Schlussphase des Krieges hast du ja, wenn ich das richtig verstanden habe, angefangen, Geld zu verdienen mit deinem Klarinettenspiel, nämlich bei Beerdigungen. Kühn: Ja, das stimmt, aber da habe ich nicht Klarinette gespielt, sondern Harmonium. Das war unmittelbar nach dem Krieg. Alle kleinen Kapellen, in denen so etwas stattfindet, waren natürlich beschädigt durch den Krieg: Es fehlten die Fensterscheiben. Im tiefsten Winter hatte mir meine Mutter Handschuhe gemacht, die sie vorne an den Fingerspitzen abgeschnitten hat. Mit diesen Handschuhen bin ich dann in der Eiseskälte des Nachkriegswinters manchmal von einer Beerdigung zur anderen gegangen, um dort zu spielen. Und wenn ich den Sarg mit rausgetragen habe, dann habe ich sogar 50 Pfennig mehr bekommen. Insgesamt waren das dann 3 Mark und 50 Pfennig. Jung: In dieser schweren Zeit wird auch dieses Geld ein bisschen geholfen haben. Kühn: Ja, das hat ein bisschen geholfen. Jung: Es hat dann in dieser Zeit eine entscheidende Begegnung für dich gegeben. Begegnungen scheinen in deinem Leben ohnehin einen ganz wichtigen Teil deiner Karriere ausgemacht zu haben. Denn es ist dir immer wieder gelungen, auf Leute zu treffen, die dir weitergeholfen haben. In diesem Fall unmittelbar nach dem Krieg war das eine gewisse Jutta Hipp, die auch aus Leipzig kommt wie du. Sie hat eine gewisse Rolle gespielt in deinem Leben. Kühn: Sie hat sogar eine ziemlich große Rolle gespielt. Ich spielte damals nach dem Krieg – es war, um genau zu sein, im Jahr 1947 – auch in einem kleinen Club und an einem Abend tauchte eine Dame auf, die für Leipziger Verhältnisse kurz nach dem Krieg ungewöhnlich aussah. Sie war richtig aufgedonnert. Man kann sie vielleicht ein bisschen mit Nina Hagen vergleichen – vielleicht nicht ganz so schlimm. Sie war also jedenfalls sehr aufgetakelt: rote Haare, die bis zum Po reichten und ein rotes Käppi auf dem Kopf! Sie sprach mich an und meinte zu mir: "Du spielst eigentlich ganz nett Klarinette. Ich habe eine Platte für dich, so etwas hast du wahrscheinlich noch nie gehört." Sie hatte recht damit. Es gab nämlich damals diese amerikanischen Armee-Platten, die sogenannten V-Discs.