Sendung vom 31.5.2013, 21.00 Uhr

Rolf Kühn -Klarinettist im Gespräch mit Jürgen Jung

Jung: Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zu einer neuen Folge von alpha-Forum. Ich darf Ihnen heute einen deutschen Jazzmusiker von Weltformat vorstellen, einen, der auf seinem Instrument eine ganz eigene, moderne Ausdrucksweise gefunden hat, der die gesamte Geschichte des Jazz' seit 1945 verkörpert und der sogar in den USA, im Mutterland des Jazz, hohe Anerkennung gefunden hat. Meine Damen und Herren, freuen Sie sich mit mir auf Rolf Kühn. Kühn: (spielt zur Begrüßung auf seiner Klarinette) Jung: Ich freue mich sehr, dass es uns gelungen ist, dich von der Spree an die Isar zu holen. Denn du bist ja nach wie vor ein gefragter Mann und deswegen ist es keineswegs selbstverständlich, dass das gelingt. Rolf, das war eine sehr schöne Willkommensmusik. Ich würde gleich anfangen mit der Frage: Diesen schwarzen Stock mit den Löchern hast du mal als eine "kapriziöse Geliebte" bezeichnet. Wieso? Kühn: Das ist sie auch. Jung: Dass Sie eine Geliebte ist, leuchtet mir sofort ein, aber warum "kapriziös"? Kühn: Sie ist eine anspruchsvolle Geliebte und will immerzu bewundert werden, d. h. man muss sie verwöhnen, indem man sehr viel übt und sich mit ihr beschäftigt. Und das tue ich bis heute eigentlich täglich. Das ist für mich ein eisernes Gesetz: zwei, drei Stunden pro Tag üben, das ist eigentlich die Regel. Jung: Ich würde gerne die Position der Klarinette im Jazz wenigstens kurz mal problematisieren wollen. Denn wir wissen ja, dass seit der Zeit nach dem Swing die Klarinette eher ein Instrument ist, das nicht so sehr gepflegt wird. Wir kennen auch den berühmten Spruch von Tony Scott, deinem Kollegen auf der Klarinette. Er hat einmal, als man ihn fragte, warum er denn den USA den Rücken kehrt, gesagt: "Die Klarinette liegt dort im Sterben und ich schaue nur ungern bei Begräbnissen zu." Kühn: Oh Gott, was für eine fürchterliche Formulierung. Jung: Aber ein Körnchen Wahrheit steckt doch drin, oder? Kühn: Ja, es gibt da schon ein Körnchen Wahrheit. Die Klarinette war sehr, sehr populär in den 30er Jahren und auch noch in den 40er Jahren und z. T. auch noch in den 50er Jahren: allein durch Goodman, durch Artie Shaw und viele andere. Das war Swingmusik, das war tanzbare Musik, die Leute hatten Spaß, sich zu dieser Musik zu bewegen. Danach kam der Bebop und es wurde ein bisschen schwierig für die Klarinette. Diesen neuen Musikstil auf die Klarinette zu übertragen, ist damals eigentlich nur einem gelungen, nämlich Buddy DeFranco. Er hat damals in Minton's Playhouse in Harlem in New York zum ersten Mal Charlie Parker gehört und hat danach sofort gesagt: "So möchte ich Klarinette spielen." Er hat dann tatsächlich diesen Stil, der übrigens auf der Klarinette um einiges schwieriger zu spielen ist als auf dem Saxofon, auf sein Instrument übertragen. Bei mir selbst war es so: Wie fast jeder andere Klarinettist hatte auch ich mir Benny Goodman zum Vorbild genommen – und übrigens auch Artie Shaw. Und dann kam dieser neue Klarinettist und machte diese neue Musik, diesen neuen Stil auf der Klarinette. Ich dachte mir: "Ja, das möchte ich auch machen!" Jung: Bevor wir darauf näher eingehen, denn das werden wir zwangsläufig tun, würde ich gerne an den Anfang zurückkehren, sozusagen an den allerersten Anfang. Du bist im Jahr 1929 geboren und damit vier Jahre vor der sogenannten Machtergreifung. Dein Vater war ein Artist, ein Varietékünstler, und ich vermute mal, dass er wollte, dass du in seine Fußstapfen trittst. Ich habe übrigens ein wunderbares Foto gefunden aus der Zeit, als du ungefähr sechs Jahre alt warst. Kühn: Ja, das zeigt mich als Akrobat. Jung: Ja, du bist hier Akrobat. Du machst hier auf dem ausgestreckten Unterarm deines Vaters einen Handstand. Du warst offensichtlich gut in Form. Kühn: Ja, ich war gut in Form, war gut trainiert durch meinen Vater. Jung: Das muss so in etwa 1935 gewesen sein. Kühn: Ja. Jung: Das heißt, du hast im Grunde genommen bereits damals eine Fähigkeit entwickeln müssen, die dir dann hinterher sehr geholfen hat, wie ich annehme: das tägliche intensive Training, das du dann auch auf das Instrument übertragen hast. Rolf, du bist ja nun, darüber lässt sich nicht streiten, selbst wenn dieser Begriff ein wenig abgelatscht ist, ein Urgestein des deutschen Jazz: Seit dem Krieg mischt du an vorderster Front mit. Ich will aber dennoch noch ein bisschen genauer herausfinden, wie die Zeit des Nationalsozialismus für dich ausgesehen hat. Denn, und das ist jetzt ganz wichtig, es war ja nicht nur so, dass dein Vater Varietekünstler gewesen ist: Der zweite und wesentliche Aspekt war nämlich, dass deine Mutter Jüdin war. Dies hatte damals Konsequenzen. Kannst du uns davon ein bisschen erzählen? Kühn: Es wurde sehr schwierig. Mein Vater flog aus der Reichstheaterkammer raus, durfte also nicht mehr als Artist arbeiten. Das war ungefähr 1940/41: Man wollte ihn damit eigentlich zwingen, sich von seiner jüdischen Frau scheiden zu lassen. Jung: Man hat ihm Berufsverbot erteilt. Kühn: Ja, das war ein Berufsverbot. Und gleichzeitig kam er in ein Arbeitslager. Jung: Er ist ins Lager gekommen? Kühn: Er musste in ein sogenanntes Arbeitslager, das aber nicht vergleichbar war mit einem Konzentrationslager. Aber er war in einem Arbeitslager der Organisation Todt. Jung: Das heißt, wenn ich das richtig verstehe, er musste büßen dafür, dass er nicht bereit war, sich von seiner Frau zu trennen. Kühn: Richtig. Jung: Dein Schicksal als "Halbjude" hatte aber auch für deine Musik Konsequenzen. Kühn: Ja, das hatte sogar erhebliche Konsequenzen. Ich wurde z. B. auf keiner Musikschule aufgenommen. Ich hatte jedoch das Glück, Privatlehrer zu finden, die mich heimlich unterrichtet haben – in erster Linie auf der Klarinette. Der Gewandhaus-Klarinettist Hans Berninger war mein Lehrer: ein sehr mürrischer, sehr gestrenger Mensch, dem nichts gut genug war. Es war immer witzig, wenn ich zum Unterricht kam, denn da lag immer schon seine Klarinette – seine! – spielbereit auf dem Tisch. Und ich sollte dann anfangen mit dem, was er mir für die letzte Woche als Aufgabe gestellt hatte. Er unterbrach mich aber meistens schon nach drei, vier Takten und sagte: "Ach, das ist doch furchtbar! So muss es klingen." Dann nahm er seine Klarinette zur Hand und spielte. Jung: Er war immerhin Solo-Klarinettist beim Gewandhausorchester . Kühn: Richtig. Ich muss jetzt aber erwähnen, dass mir damals diese ganze Disziplin, die zu diesem Instrument gehört oder zur Akrobatik oder zu jedem anderen künstlerischen Beruf, gänzlich fehlte: Ich war auf gut Deutsch stinkfaul. Ich habe eine Stunde vor der nächsten Unterrichtsstunde mit dem Üben angefangen! Das war natürlich zu wenig, statt täglich drei, vier, fünf Stunden zu üben, nur eine Stunde kurz vor dem Unterricht. Das ging so natürlich nicht. Aber mich hat ein Erlebnis dazu bewogen, das ernster anzugehen. Ich hörte nämlich in Leipzig einen italienischen Klarinettisten. Er spielte mit dem sogenannten RBT-Orchester, also dem "Radio Berlin Tanzorchester" bei einem Auftritt in Leipzig. Dieser italienische Klarinettist war Baldo Maestri. Und er spielte wirklich meisterlich Klarinette. Ihn lernte ich kennen und er meinte zu mir: "Nun, Junge, üben musst du schon! Ich selbst übe jeden Tag mindestens drei, vier Stunden." Und das habe ich dann bis heute durchgehalten. Aber um noch einmal zurückzukommen zu der Zeit, die du gerade angesprochen hast: Ich hatte auch einen wunderbaren Klavierlehrer, der mir Musikgeschichte und Instrumentations- und Kompositionslehre beigebracht hat. Er brachte mir bei, einen vierstimmigen Satz zu schreiben usw. Ich hatte einfach das Glück, dass mich meine Musiklehrer mochten – und vielleicht auch ein bisschen Talent schnupperten bei mir, weswegen sie wohl gedacht haben: "Dieser Junge muss gefördert werden." Jung: Bereits in der Schlussphase des Krieges hast du ja, wenn ich das richtig verstanden habe, angefangen, Geld zu verdienen mit deinem Klarinettenspiel, nämlich bei Beerdigungen. Kühn: Ja, das stimmt, aber da habe ich nicht Klarinette gespielt, sondern Harmonium. Das war unmittelbar nach dem Krieg. Alle kleinen Kapellen, in denen so etwas stattfindet, waren natürlich beschädigt durch den Krieg: Es fehlten die Fensterscheiben. Im tiefsten Winter hatte mir meine Mutter Handschuhe gemacht, die sie vorne an den Fingerspitzen abgeschnitten hat. Mit diesen Handschuhen bin ich dann in der Eiseskälte des Nachkriegswinters manchmal von einer Beerdigung zur anderen gegangen, um dort zu spielen. Und wenn ich den Sarg mit rausgetragen habe, dann habe ich sogar 50 Pfennig mehr bekommen. Insgesamt waren das dann 3 Mark und 50 Pfennig. Jung: In dieser schweren Zeit wird auch dieses Geld ein bisschen geholfen haben. Kühn: Ja, das hat ein bisschen geholfen. Jung: Es hat dann in dieser Zeit eine entscheidende Begegnung für dich gegeben. Begegnungen scheinen in deinem Leben ohnehin einen ganz wichtigen Teil deiner Karriere ausgemacht zu haben. Denn es ist dir immer wieder gelungen, auf Leute zu treffen, die dir weitergeholfen haben. In diesem Fall unmittelbar nach dem Krieg war das eine gewisse Jutta Hipp, die auch aus Leipzig kommt wie du. Sie hat eine gewisse Rolle gespielt in deinem Leben. Kühn: Sie hat sogar eine ziemlich große Rolle gespielt. Ich spielte damals nach dem Krieg – es war, um genau zu sein, im Jahr 1947 – auch in einem kleinen Club und an einem Abend tauchte eine Dame auf, die für Leipziger Verhältnisse kurz nach dem Krieg ungewöhnlich aussah. Sie war richtig aufgedonnert. Man kann sie vielleicht ein bisschen mit Nina Hagen vergleichen – vielleicht nicht ganz so schlimm. Sie war also jedenfalls sehr aufgetakelt: rote Haare, die bis zum Po reichten und ein rotes Käppi auf dem Kopf! Sie sprach mich an und meinte zu mir: "Du spielst eigentlich ganz nett Klarinette. Ich habe eine Platte für dich, so etwas hast du wahrscheinlich noch nie gehört." Sie hatte recht damit. Es gab nämlich damals diese amerikanischen Armee-Platten, die sogenannten V-Discs. Ich habe sie dann ein paar Tage später an einem Sonntagvormittag besucht und sie spielte mir die erste Goodman-Platte meines Lebens vor. Jung: Deine erste Jazzplatte? Kühn: Meine erste Jazz-Klarinettenplatte. Insofern war sie sehr wichtig. Jung: Auf Jutta Hipp kommen wir nachher noch einmal zu sprechen, denn sie hatte auch später noch einmal einen gewissen Stellenwert für deine Karriere. Aber es war zunächst so, dass du nach ein paar Jahren in Leipzig – Leipzig war in der Sowjetzone! – dieser Stadt den Rücken gekehrt hast und nach Berlin gegangen bist. Warum? Kühn: Leipzig wurde mir ein bisschen zu eng, ganz einfach auch deswegen, weil durch die russische Besatzungsmacht unser Repertoire eingeschränkt war. Ich spielte damals in der Radio-Big-Band von Kurt Henkels. Das war meine erste Band, in der ich als richtiger Berufsmusiker spielte. Das Repertoire wurde sehr beschnitten: Wir mussten 60 Prozent DDR-Musik bzw. Ostmusik spielen und durften nur maximal 40 Prozent amerikanische Musik spielen. Das wurde also immer enger. Jung: Amerikanische Musik galt eben auch als Musik des Klassenfeindes. Kühn: Richtig. Jung: Das war die Musik der Imperialisten und damit von vornherein verpönt. Kühn: Ja, das stimmt. Das war mit der Hauptgrund dafür, warum ich mir gedacht habe, dass ich nun weg müsse aus Leipzig. Es wurde immer enger und enger und enger. Und so bin ich dann eben nach Berlin gegangen. Jung: Dort hast du, wie man wohl sagen darf, auch gleich Karriere gemacht, nämlich im RIAS-Tanzorchester. Kühn: Ja, das ging schnell. Ich spielte in Berlin in einem Club und eines Tages kam Werner Müller mit Gefolgschaft in diesen Club. Jung: Müller war der Leiter des RIAS-Tanzorchesters. Kühn: Richtig. Er engagierte mich noch am gleichen Abend. Und beim RIAS- Tanzorchester blieb ich dann sechs Jahre. Jung: Du warst dort vor allem Solo-Saxofonist. Kühn: Ja, und auch Klarinettist. Jung: Du hast damals auch schon erste Sendungen bekommen, oder? Kühn: Ja, ich durfte mir ein Jazz-Quintett zusammenstellen und für die Deutsche Grammophon Aufnahmen machen. Das war immerhin ein sehr guter und auch rasanter Weg. Jung: Das kann man wohl sagen, denn du bist in etwa zu dieser Zeit in verschiedenen Polls, wie man heute Neudeutsch sagt, zum besten Klarinettisten Deutschlands gewählt worden. 1954 wählte man dich sogar zum besten Klarinettisten Europas usw. Der Erfolg blieb also nicht aus. Das Überraschende ist aber, dass du dann 1956 tatsächlich in den Westen gegangen bist, nämlich nach Amerika. Wie kam das zustande? Nachdem du hier in Europa so erfolgreich warst, ist das ja nicht sofort einsichtig. Kühn: Es hat mir einfach nicht genügt. Ich hätte eigentlich zufrieden sein können, ich hatte diese wunderbare Position, ich hatte meine Selbstständigkeit und ich habe teilweise sogar das Orchester einstudiert oder mit meinem Quintett Konzerte gegeben usw. Aber das blieb irgendwann stehen. Ich kam auch musikalisch nicht mehr weiter. Ich glaubte, bereits alles ausgeschöpft zu haben, und dachte mir: "So, jetzt kannst du nur noch etwas lernen, wenn du in das Land gehst, aus dem diese Musik kommt." Das habe ich gemacht und ich glaube, das war im Nachhinein betrachtet die wichtigste Entscheidung überhaupt. Jung: Zu diesem Schritt hat dich ja gewissermaßen auch dieser von dir vorhin schon erwähnte Buddy DeFranco eingeladen. Denn den hattest du kennengelernt und er hatte dir das empfohlen. Kühn: Er sagte zu mir: "Du musst nach Amerika kommen!" Ich hatte ihn kennengelernt anlässlich eines Konzerts von mit Billie Holiday, dem Red Norvo Trio und dem Buddy DeFranco-Quartett. Ich habe ihn bei diesem Konzert angesprochen und wir sind dann noch nachts um zwei Uhr in meine Berliner Wohnung gefahren. Wir hatten schon ein bisschen was getrunken und dort in meiner Wohnung habe ich ihm ein paar Sachen vorgespielt, die ich bis dahin gemacht hatte. Er meinte, das gefalle ihm sehr gut. Im "Down Beat" hat er damals sogar darüber geschrieben. Jung: "Down Beat" ist immer noch die bedeutendste Jazzzeitschrift der Welt. Kühn: Richtig. Er erwähnte also diesen Abend mit mir in dieser Zeitschrift, und zwar im Rahmen der Beschreibung seiner Europatournee. An diesem Abend hatte er mir also schon gesagt, dass ich unbedingt nach Amerika kommen müsse: "Vielleicht spielen wir eines Tages mal zusammen." Jung: Das sagt sich so leicht, man müsse unbedingt nach Amerika kommen, aber das war damals doch recht schwierig. Kühn: Ja, das war wirklich nicht ganz einfach. Ich wollte ja nicht als Tourist in die USA einreisen, um dann schon nach ein paar Monaten wieder nach Hause zurückzukehren. Ich wollte die Sache gleich richtig machen, aber in die USA einzuwandern, war damals nicht so leicht. Also brauchte ich die berühmte Greencard. So ungefähr im Jahr 1955 lernte ich glücklicherweise eine junge Amerikanerin kennen, der ich erzählte, dass ich sehr gerne in den USA in einer Big Band spielen würde, z. B. bei Tommy Dorsey oder möglicherweise sogar bei Goodman. Ich schwärmte ihr vor, wie toll das für mich wäre. Das wiederum schrieb sie ihrer Mutter, die in Kalifornien lebte. In diesem Brief bat sie ihre Mutter, für mich zu bürgen. Und das hat diese wildfremde Frau dann auch tatsächlich für mich gemacht! Ich habe diese Frau später noch nicht einmal in den USA kennengelernt, als ich dann drüben war. Ich lebte nämlich in New York und die beiden in Kalifornien. Das heißt, ich habe auch dieses junge Mädchen nie wieder gesehen. Jung: Und dennoch haben diese Leute für dich gebürgt. Kühn: Ja, das haben sie gemacht. Jung: Das hatte für diese Familie ja auch ganz konkrete finanzielle Folgen ... Kühn: Ja, klar. Jung: ... denn sie mussten ja Geld für dich deponieren. Kühn: Ja, die Bürgschaft bestand darin, dass sie Geld für mich deponieren mussten. Jung: Das waren 5000 Dollar! Damals war das sehr viel Geld. Kühn: Ja, das stimmt, das war sehr viel Geld. Jung: Deine erste Phase in New York war ja offensichtlich sehr schwierig. Du hattest zwar ein bisschen Geld mitgenommen, aber dieses Geld hat nicht lange gereicht. Kühn: Weiß Gott nicht. Ich hatte mir vorher gedacht, dass ich ungefähr sechs Monate mit diesem Geld auskommen würde, um dann meine Gewerkschaftskarte, die Union-Card zu bekommen ... Jung: Dafür musstest du aber zuerst einmal ein halbes Jahr warten. Kühn: Ja, im ersten halben Jahr, bis man diese Gewerkschaftskarte bekommt, darf man überhaupt nicht spielen, jedenfalls nicht öffentlich. Jung: Oh Gott. Kühn: Aber mein Geld war dann schon nach drei Monaten alle. Und dann spielte erneut ein großer Zufall eine Rolle. Friedrich Gulda, der berühmte Beethoven-Pianist, war ein Bekannter von mir aus Berlin. Er war ein großer Jazzliebhaber und spielte auch ausgezeichnet Jazz-Klavier. In Berlin hatten wir ein paar Mal zusammen gespielt und ihn traf ich doch tatsächlich zufällig in New York auf der Straße. Jung: Auf der 52nd Street, wie ich nachgelesen habe. Kühn: Ja, an einer Straßenecke der berühmten 52nd Street. Er fragte mich, ob ich John Hammond kennen würde. Ich sagte, ich wüsste natürlich, wer das ist: "Hammond ist der Schwager von Benny Goodman und ein berühmter Impresario!" Jung: Er hatte Goodman auch entdeckt, wie man sagen kann. Kühn: Ja, er hatte Anfang der 30er Jahre Goodman entdeckt. Ich sagte also, ich würde Hammond nicht persönlich kennen, dass ich ihn aber sehr gerne kennenlernen würde. Daraufhin meinte Gulda: "Er ist ein guter Freund von mir. Ich arrangiere ein Probespiel für dich bei ihm." Genau das hat er gemacht: Wir mieteten uns ein Studio am Broadway, Friedrich Gulda spielte Klavier und ich Klarinette, aber ansonsten waren wir beide mutterseelenallein. Aber plötzlich saß auf einmal zwei Meter entfernt John Hammond und hörte zu. Anschließend meinte er zu mir: "Ja, das hat mir gefallen. Was machst du denn hier in New York?" "Bis jetzt noch gar nichts, ich suche noch nach einer Agentur." "Gut, dann gehen wir zu der Agentur, die auch der Benny hat." Die Agentur "Willard Alexander" existierte damals nämlich noch. So kam es, dass ich plötzlich bei "Willard Alexander" war. Und John hat dann auch meine allererste LP in New York produziert. Jung: Das war also wieder einmal eine dieser für dich typischen Begegnungen, die eine ungeheure Bedeutung für dein ganzes Leben gewonnen hat. Lieber Rolf, spiel uns doch zwischendurch noch einmal ein bisschen was. Kühn: Noch ein Stück? Gerne (spielt auf der Klarinette). Jung: Das erste professionelle Engagement, das du dann in New York hattest, war witzigerweise eines mit Caterina Valente. Wie hat es sich denn ergeben, dass du dort gerade auf Caterina Valente gestoßen bist? Kühn: Das klingt schon fast komisch, weil da so viele Glücksfälle passiert sind. Und das war einfach ein weiterer. Caterina kannte ich von Berlin, wir hatten dort zusammen Plattenaufnahmen gemacht, z. B. ihre großen Hits auch in den USA wie "Malaguena", "The Breeze and I" usw. Ich habe bei diesen Aufnahmen im Orchester von Werner Müller gespielt und wir hatten uns dabei angefreundet. Kurz vor meiner Abreise in die USA habe ich auch die Familie Valente, also Caterina und ihren damaligen Mann, in Mannheim besucht. Meine letzten drei Tage in Deutschland habe ich also nicht in Berlin verbracht, sondern bei ihr in Mannheim. Sie brachten mich dann noch alle gemeinsam zum Flughafen in Frankfurt, um mich nach New York zu verabschieden. Wir hielten dann natürlich weiter Verbindung, wir schrieben uns und telefonierten auch ab und zu miteinander. Deswegen wusste ich, dass sie nach New York kommen würde, weil sie ein Engagement im Hotel "Pierre" bekommen hatte, einem der besten und größten Hotels in New York – und sicherlich auch eines der teuersten. Sie kam also und wir trafen uns irgendwo an einem Nachmittag zum Kaffeetrinken. Dabei sagte sie: "Wir könnten das doch eigentlich zusammen machen." "Ja, ich habe gerade im Moment meine Gewerkschaftskarte bekommen. Ich wäre bereit, das würde ich sehr gerne machen." So ist das entstanden. Jung: Es ging dann in der Folgezeit eigentlich Schlag auf Schlag. Du hast wirklich große Erfolge gefeiert in den USA und wurdest dann ganz schnell von der schon genannten Zeitschrift "Down Beat" zum New Star auf der Klarinette erklärt, was einen wirklich sehr großen Erfolg darstellte. Du hattest sogar das unvorstellbare Glück, in der Band von Benny Goodman spielen zu dürfen und hast dort sogar seine Stelle übernommen. Kühn: Ja, ich habe oft seine Soli gespielt. Jung: Und das, wenn er selbst mit dabei gewesen ist? Kühn: Ja, auch. Dieser Mann war wirklich immer neugierig. Er ließ mich in der Regel in den ersten 20 Minuten eines Auftritts spielen. Und wenn die Leute dann fleißig applaudierten, hat ihm das nicht so sehr gefallen und er spielte wieder lieber selbst. Jung: Du durftest sozusagen zum Aufwärmen spielen. Kühn: Ja, ich durfte sozusagen zum Aufwärmen spielen – aber immerhin! Das war eigentlich der Traum eines jeden Musikers damals. Da gab es diese vielen Platten von Goodman, die man kannte und die man sich zu Hause immer angehört hatte. Wie gesagt, noch in Leipzig hatte ich meine erste Platte von ihm gehört – und auf einmal stand er vor mir und ich spielte mit ihm zusammen. Da ist doch eigentlich ein Traum wahr geworden. Jung: Das kann man wohl sagen. Danach hast du dann so ungefähr eineinhalb Jahre lang in der kaum weniger berühmten Band von Tommy Dorsey gespielt. Kühn: Ja, das stimmt. Jung: Später hast du mal über diese Zeit gesagt, du hättest dich gefühlt, als würdest du in den Himmel gehoben werden. Das kann man wohl ganz gut nachvollziehen, denn eine steilere Karriere kann man ja kaum machen. Dennoch bist du 1959 für ein halbes Jahr nach Deutschland zurückgekehrt. Kühn: Ja, um meine Eltern zu besuchen. Jung: Zurück in den USA ging eigentlich alles wieder von vorne los, dieser harte Kampf ums Überleben in diesem Geschäft. Kühn: Ja, das ist richtig. Jung: Das hat dann dazu geführt, dass du zeitweilig sogar Schuhverkäufer gewesen bist. Kühn: Ja, das habe ich auch gemacht. Jung: Und das bringt mich jetzt wieder auf die vorhin schon angesprochene Jutta Hipp, die sich wohl als Allererste in die USA abgesetzt hatte. 1958, nach einer verblüffenden und sehr erfolgreichen Karriere in den USA – sie war ja auch wirklich ein riesengroßes Talent – hat sie sich dann aber ganz aus dem Musikgeschäft zurückgezogen. Warum? Kühn: Jutta Hipp hat sozusagen von Knall auf Fall ihre Musikkarriere aufgegeben. Sie konnte diesen Druck in New York nicht mehr aushalten: Aufgrund der vielen, vielen guten Pianisten gab es – und gibt es – einen enormen Konkurrenzkampf. Sie wollte sich dem nicht mehr länger aussetzen. Jung: Sie war auch bekannt dafür, dass sie ihre Nervosität bei Live-Auftritten bis zum Schluss nicht ablegen konnte. Kühn: Ja, das stimmt. Jung: Ihr war das also einfach zu viel und so ist sie quasi im Schmelztiegel USA einfach "weggeschmolzen". Kühn: Ja, leider. Jung: Sie hat dann wirklich nie wieder öffentlich Klavier gespielt. Und dabei war sie wirklich ein riesengroßes Talent gewesen. Das merkt man bis heute, wenn man sich ihre Platten anhört. Sie war eine sagenumwobene Frau, die, wie ich meine, immer noch der Entdeckung harrt. Du selbst bist 1961 kurz vor dem Mauerbau wieder nach Deutschland zurückgekehrt und hast sofort ein Engagement in Leipzig angenommen. Aber auch das war damals eine ziemlich problematische Angelegenheit. Kühn: Ja, das war nun wirklich kein Glücksfall. Ich habe dieses Engagement deshalb angenommen, um nach diesen langen Jahren in den USA meine Eltern besuchen zu können, die damals immer noch in Leipzig lebten. Ich wollte vor allem auch meinen Bruder besuchen, der in der Zwischenzeit ziemlich herangewachsen war. Jung: Er ist 14 Jahre jünger als du. Kühn: Ja, und er hatte zu dieser Zeit schon sein Klaviertrio gegründet: mit Klaus Koch und Reinhard Schwartz. Da zu dieser Zeit gerade die Mauer gebaut worden ist, wurde mir in Berlin mein Engagement in Leipzig sehr übel genommen. Daraufhin hatte ich in den beiden Sendern "RIAS" und "SFB" Auftrittsverbot. Jung: Wieder einmal ein Berufsverbot, aber dieses Mal ereilte es dich selbst. Kühn: Die Entschuldigung, dass ich meine Eltern und meinen Bruder besuchen wollte, wurde nicht verstanden. Jung: Du wolltest ja nicht nur deinen Bruder besuchen, sondern auch mit ihm spielen. Kühn: Ja, wir wollten endlich mal zusammenspielen. Ich musste also die Konsequenzen ziehen und so bin ich nach Hamburg gegangen. Jung: Dort hast du dann gleich die Leitung des NDR-Fernsehorchesters übernommen. Diese Leitung hast du dann lange Jahre beibehalten. Kühn: Ja, ich habe sechs oder sieben Jahre lang dieses Orchester geleitet. Jung: Gleichzeitig hast du bei Charles Mackerras ein Dirigierstudium aufgenommen. Kühn: Ja, bei Charles Mackerras, einem englischen Dirigenten, der damals erster Kapellmeister an der Hamburgischen Staatsoper war. Ich selbst war nämlich auch ein Opernfan, bin sehr oft in die Oper gegangen und habe dabei die Dirigenten bewundert. Ja, ich habe dann für zwei volle Jahre noch einmal so richtig das Dirigieren studiert. Das war sehr, sehr hilfreich für meine weitere Tätigkeit im Hinblick auf das Theater. Jung: Auf deine Arbeit am Theater kommen wir gleich noch zu sprechen. Zunächst einmal gelang es über die Vermittlung von Friedrich Gulda, deinen Bruder Joachim in den Westen zu holen. Dein Bruder Joachim ist seit vielen Jahren ein absoluter Weltklassepianist. Kühn: Ja, das muss man so sagen. Jung: Er wurde sehr häufig als der beste europäische Jazzpianist bezeichnet. Er konnte jedenfalls im Jahr 1966 aus der DDR herausgeholt werden. Kühn: Das ist richtig. Jung: Ihr beide habt dann gemeinsam und mit ungeheurem Erfolg auf den Berliner Jazztagen ein Konzert absolviert. Wie war das? Kühn: Es war eigentlich ein rein amerikanisches Programm zusammengestellt worden mit dem Dave Brubeck Quintett, mit Sonny Rollins, mit Freddie Hubbard ... Jung: Das waren damals wirklich die großen Stars. Kühn: Ja, das waren die ganz großen Stars. Und wir beide waren die einzige deutsche Gruppe bei diesen Jazztagen. Joachim und ich spielten zusammen mit der Rhythmusgruppe von . Das war wirklich ein ganz phantastischer Abend. Man muss sich vorstellen: Der damalige Sportpalast in Berlin, der ja leider nicht mehr existiert, fasste 8000 Leute. Und 8000 Leute mochten die Musik, die wir gespielt haben! Jung: Diese Leute haben getobt, nach allem, was ich weiß. Kühn: Ja, das stimmt. Jung: Und Ihr wart die einzige Gruppe, die eine Zugabe machen musste. Kühn: Das ist richtig. Wir durften also noch einmal fünf Minuten spielen, und anschließend stand hinten am Garderobeneingang George Wein, der Macher und Promoter vom Newport Festival. Er hörte also von weit hinten diesen Applaus und ich fragte ihn daraufhin: "George, how about Newport?" Er wartete eine Sekunde und sagte dann: "Ja, diesen Deal machen wir!" Er streckte mir seine Hand entgegen und so fuhren wir nach Newport. Jung: Das heißt, Ihr habt dann auf dem berühmtesten Jazzfestival der Welt in Newport einen Auftritt gehabt. Anschließend machtet Ihr gleich eine Plattenaufnahme mit dem Titel "Impressions of New York", die mittlerweile eine wahre Kultplatte geworden ist. In dieser Phase warst du sehr frei in deinem Spiel: Ich glaube, der Free Jazz hat dich damals stark beeinflusst. Dieser Einfluss kam wohl vor allem auch über deinen Bruder Joachim. Er gehörte ja gewissermaßen schon zu der Generation nach dir und war deswegen vielleicht ein bisschen offener für diese neuen Klänge. Du warst jedenfalls in der Lage, das alles sofort umzusetzen. Kühn: Wir hatten ja bei diesen Aufnahmen Jimmy Garrison, den Bassisten von John Coltrane, mit dabei und den Franzosen Aldo Romano am Schlagzeug, der bei allen unseren europäischen Konzerten mit uns spielte. Wir hatten damals genau drei Stunden Zeit, um diese Platte einzuspielen. Genau drei Stunden! Jung: Oh Gott! Kühn: Nach zweidreiviertel Stunden waren wir fertig. Das hatte bis dahin noch niemand geschafft. Coltrane hat damals zu diesem Zeitpunkt sehr frei gespielt: Er hat das Thema kurz angespielt und dann ging's ab. Wir haben das genauso gemacht. Ich höre mir diese Platte heute noch gerne an. Jung: Das kann ich verstehen, denn sie ist immer noch sehr spannend, wie ich finde. Kühn: Das stimmt. Jung: Der berühmte Kritiker Nat Hentoff hat damals zu dieser Platte und speziell zu deinem Solo gesagt: "Das zerrissene, zitternde und tief in Abgründe stürzende Klarinettensolo Kühns ist Ausdruck einer sich selbst verschlingenden Zeit, in der Fernsehbilder das Grauen napalmverbrannter Kinder aus Vietnam übertragen." Unglaublich! Er hat offensichtlich, selbst wenn dir das nicht so bewusst war ... Kühn: Das stimmt. Jung: ... gespürt, dass diese Zeitläufte, diese Umstände irgendwie mitschwangen, dass sich das alles in deiner Musik irgendwie ausgedrückt hat. Das fand ich doch bemerkenswert. Kühn: Ja, es ist natürlich schon toll, was er da geschrieben hat. Jung: Du hast dann in Deutschland als Leiter des NDR-Fernsehorchesters und vor allem später eine Unmenge von Tätigkeiten ausgeübt: Du hast Kompositionsaufträge für Film und Fernsehen angenommen; du hast für die klassische Klarinettistin Sabine Meyer und für die zwölf Cellisten der Berliner Philharmoniker komponiert; du hast eigene Versuche mit Symphonieorchester und Jazzgruppe gemacht; du hast eine Kinderrevue gemacht; du hast nebenbei die damals und heute noch sehr bekannte Schauspielerin Judy Winter geheiratet; du hast die musikalische Leitung verschiedener Theaterhäuser übernommen usw. Es ist verblüffend, was du alles gemacht hast. Wie hast du das alles geschafft? Denn im Grunde genommen war das ja, wenn ich das im Rückblick richtig sehe, eine Art Rückzug vom Jazz. Sehe ich das richtig? Kühn: Nein, denn der Jazz spielte doch durchgehend die Hauptrolle. Ich habe die Klarinette nie vernachlässigt, trotz all der Tätigkeiten, die du aufgezählt hast: und das waren wirklich viele und auch sehr verschiedener Art. Mich interessierte einfach auch immer der große Bogen: Was macht ein Filmkomponist? Er ordnet sich dem Bild unter, er hebt möglicherweise den Film. Das waren interessante Aufgaben, aber die Klarinette spielte trotzdem immer die Hauptrolle. Jung: Das heißt, der Jazz stand immer im Vordergrund und das andere hatte eher damit zu tun, deinen Lebensunterhalt zu bestreiten, wenn ich das so sagen darf. Denn der Jazz hat das ja nicht so ohne Weiteres gestattet. Kühn: Ja und nein. Sagen wir mal: Diese anderen Tätigkeiten haben dabei geholfen. Jung: Gegen Ende der 90er Jahre hast du ein, wie ich glaube, relativ wichtiges Projekt auf die Beine gestellt, nämlich die berühmte "The New Clarinet Connection". Erzähl uns doch bitte noch etwas darüber. Kühn: Mit meinem Freund Buddy DeFranco und mit Eddie Daniels ... Jung: Eddie Daniels ist neben Buddy DeFranco vermutlich der bedeutendste Klarinettist des neuen Jazz – neben dir. Du hast euch drei sozusagen verbunden. Kühn: Ich machte Ende der 90er Jahre in New York eine Produktion und hatte die Möglichkeit, viele Gäste einzuladen, u. a. Buddy DeFranco, Eddie Daniels, Dave Liemman, Randy Brecker usw. Jung: Und vor allem Ornette Coleman, oder? Kühn: Ja, schon, aber das lief doch ein bisschen separat, aber das kann ich gerne erzählen. Ich habe ihn witzigerweise in Leipzig kennengelernt. Jung: Ornette Coleman war der große Revolutionär des Free Jazz, er war der Mann, der dem Free Jazz den Weg geebnet hat. Und es ist doch verblüffend, dass sich dieser Heros in diesem Projekt engagiert hat. Kühn: Ich habe ihn an einem Vormittag in New York angerufen, ganz so, wie wir das davor in Leipzig nach einem Konzert von ihm ausgemacht hatten, als ich ihn kennengelernt habe. Er war total offen für mein Vorhaben und ich fragte ihn, wann er ins Studio kommen möchte, damit wir gemeinsam etwas aufnehmen können. Ich sagte: "Morgen wäre ich im Studio, hast du da auch Zeit?" "Ja, habe ich." "Gut, dann komm morgen ins Studio." Wir haben dann eine Komposition von ihm gespielt: wir beide alleine, also nur Saxophon und Klarinette. Dabei haben wir ungefähr 80 oder 90 Takes nur von diesem einen Stück aufgenommen. Jung: Oh Gott. Kühn: Er sagte immer wieder: "Wir machen noch eine, es wird immer besser." Es war wirklich ganz toll, wie sich dieser Mann engagiert hat. Das war wirklich ein tolles Erlebnis mit ihm, wie ich sagen muss. Man wusste zum Schluss auch gar nicht mehr, welche Aufnahme nun die bessere ist. Ich denke, wir haben jedenfalls eine der sehr guten ausgewählt für diese Produktion. Jung: Anschließend hast du auch eine Tournee mit der "Clarinet Connection" gemacht. Kühn: Ja, mit Buddy und Eddie. Jung: Du hast sowohl für diese Tournee wie auch für die Platte, die vorher unter dem Titel "Just Friends" entstanden war, wahre Lobeshymnen bekommen. Es hieß, die Musik sei atemberaubend, eine Traumkombination dreier Klarinettisten, die für fünf Sterne gut ist usw. Du hast im Laufe deines Lebens auch jede Menge Auszeichnungen bekommen, die jüngste ist übrigens ein "Berliner Bär", der dir im Jahr 2013 überreicht worden ist. Zuvor hast du bereits den Preis "ECHO Jazz" für dein Lebenswerk erhalten, die "Ehrenurkunde" vom "Preis der Deutschen Schallplattenkritik" usw. usf. Jetzt am Schluss unseres Gesprächs würde ich gerne noch auf deine jüngsten Arbeiten und Projekte eingehen. Wir beide haben uns ja vor Jahren bei einem Konzert hier in der "Unterfahrt" in München persönlich kennengelernt, nachdem ich dich, wie ich zugeben muss, davor einige Jahre sozusagen aus den Ohren verloren hatte. Als ich dich da in der Unterfahrt gehört habe, war ich absolut verblüfft über die Aktualität, über die Jetztzeitigkeit deiner Musik. Ich darf daher unsere Zuschauer aufmerksam machen auf dieses jüngste Projekt von dir, nämlich die CD Rolf Kühn & Trio Feat. Matthias Schriefl: "Close Up". Rolf, erlaube mir das zu sagen, aber mir scheint das der Höhepunkt deines musikalischen Schaffens zu sein. Ich finde es unglaublich, was man auf dieser CD von dir zu hören bekommt. Das ist eine unglaublich freie Musik, in der dennoch die gesamte Tradition mitschwingt. Wie kam das zustande? Kühn: Ich wollte endlich in Europa eine eigene Gruppe haben. Und Joachim, mein Bruder, war gerade in Berlin. Wir saßen zusammen in einem Caféhaus und auf einmal kam ein junger Mann herein und Joachim sagte zu mir: "Das wäre dein Schlagzeuger! Das ist der Christian Lillinger." Er spielt auf dieser Produktion auch mit. Diesen Christian fragte ich wiederum: "Sag mal, kennst du einen guten Gitarristen, denn ich möchte gerne eine Gruppe zusammenstellen?" Er antwortete mir: "Ja, einen sehr guten, einen ungewöhnlichen, den Ronny Graupe." Zusammen mit dem Kontrabassisten Johannes Fink ist das nun meine Gruppe. Jung: Man muss dabei erwähnen, dass das alles Leute sind, die in den Zwanzigern sind, also ganz junge Burschen, die deine Enkel sein könnten. Kühn: Meine Urenkel könnten sie sogar schon sein. So kam diese Band zustande, denn es kam dann auch noch Johannes Fink am Bass mit dazu. Wir haben sehr viel Spaß, wenn wir miteinander spielen, und entwickeln uns ständig weiter. Jung: Das ist ein wirkliches Hörabenteuer für meinen Geschmack, das ich nur wärmstens empfehlen kann. Kühn: Vielen Dank. Jung: Wenn jemand hochklassigen, modernen Jazz hören will, dann greife er getrost zu dieser CD. Lieber Rolf, die Zeit läuft uns davon und wir hätten noch so viel zu erzählen. Ich bedanke mich ganz herzlich bei dir, dass du gekommen bist, und wünsche dir weiterhin viel Erfolg. Kühn: Danke. Jung: Ich würde dich bitten, am Schluss noch einmal ein paar Takte zu spielen. Kühn: Ein paar Töne? Jung: Ja. Und Ihnen, meine Damen und Herren, wünsche ich alles Gute. Ich hoffe, Sie schalten sich das nächste Mal wieder ein bei alpha-Forum. Kühn: (spielt zum Abschluss auf seiner Klarinette)

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