JFSG – März 2017

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JFSG – März 2017 Band 5, Ausgabe 1 Volume 17 | März 2017 Just For Swing Gazette Swing is the Thing! - Mitteilungsblatt für Freunde swingender Musik in und um Leipzig Die legendäre Jutta Hipp (1) von Siegfried Schmidt-Joos (Un)vergessene Jazzmusiker: Ken Colyer in Berlin - Teil 2 von Winfried Maier „Das kleine Jazz-Mekka“ Amateurjazz in Halle in den sechziger Jahren - Teil 2 von Hans-Joachim Kertscher Nachruf: Der Dresdner Erzmusikant Dieter „Es-Alt“ Kluge Eine Lanze für Ghost- und Repertory Bands von Gerhard Klußmeier Jazztitel und ihre Bedeutung Teil 6 von Gerhard Klußmeier Let‘s play Jazz, Mr. Bach Sing! Inge, Sing! Das Buch von Marc Boettcher über die Sängerin Inge Brandenburg 20 Jahre LeipJAZZig Jazz in Chemnitz 2017 JUST FOR SWING - Interna Schallplatten, Bücher, DVDs .. Termine ... S e i t e 2 Just For Swing Gazette Liebe Jazzfreunde, weist. Der Film „Sing! Inge, Sing!“ über die charismatische Künstlerin sorgte vor einigen Jahren für große in Anbetracht einer verkorksten, auf Aufmerksamkeit. Marc Boettcher materielle Werte und oberflächlichen nahm sich Zeit, einige Fragen zum Genuss orientierten Welt, die schein- Buch per E-Mail zu beantworten. Dies bar nur noch von Demagogen und und die Vorstellung des Buches findet Oligarchen beherrscht wird, bietet Ihr auf Seite 19. Musik eine Quelle zur Orientierung und inneren Balance. Schon immer Mit dieser Ausgabe wollen wir auch litten Menschen, die ein kulturelles ein paar Restbestände an Erinnerungen Leben lebten an der Wahrnehmung aufarbeiten. durch ihre Umwelt. Der walisische Wir beschließen mit dem 2. Teil die beiden Beiträge über den britischen Philosoph John Cowper Powys EDITORIAL schrieb in seinem Buch „The Mean- Trompeter Ken Colyer und seine Zeit ing of Culture“ 1929: in Berlin von Winfried Maier sowie „Der heutige Mensch von Kultur ist den Rückblick auf Jazz in Halle von von der Natur dazu verdammt, ein be- Hans-Joachim Kertscher, runden das trächtliches Maß an sozialer Ächtung ganze mit Archivfunden ab, die uns ei- zu erleiden. Das liegt daran, dass die nen Einblick in die Rhetorik und Re- Kultur selbst in ihren einfachsten, frü- zeption des Jazz nach dem 2. Welt- hesten Stadien dazu neigt, das krieg geben. Besonders der Beitrag menschliche Leben mit all seinem ver- von Olaf Hudtwalcker über einen Auf- bitterten Gezänk aus dem Abstand der tritt Kurt Widmanns in Hamburg ist Vogelperspektive zu betrachten; sie lesenswert. Aus Hamburg kommen nimmt eine Haltung der Kontemplati- wieder zwei Beiträge von Gerhard on und kritischen Scharfsinns ein, die Klußmeier, der die Reihe über Ge- den Vereinsmeiern mehr als allen an- heimnisse von Titeln fortsetzt und deren zuwider ist. Keine Partei er- über die sogenannten „Ghost– and Re- greifen, nicht den anderen verteufeln pertory Bands geforscht hat. In unserem Mitteilungsblatt möchten und sich selbst für heilig erklären - ist das nicht höchst verdächtig?“ wir besonders der lokalen Jazzszene Raum geben. Am 13. Januar hatte ich Das musste Siegfried Schmidt-Joos die Gelegenheit, das Jubiläumskonzert dern auch um den Nachwuchs. Immer selber erfahren und spricht über seine der Jazzinitiative LeipJAZZig in der wieder gern weisen wir auf das lobens- Zeit als argwöhnisch, werte Engagement des von staatlicher Seite be- Vereins Kids Jazz L.E. und obachteter Jazzfreund in „Die Bedeutung der Kulturen Europas für die Qualität des Saxophonisten Reiko den 1950er Jahren am 25. der europäischen Gesellschaft, der Beitrag der Kultur- Brockelt hin, die auch in März 2017 im Rahmen schaffenden, Künstler und Handwerker zum Glück unse- diesem Jahr wieder ein der Leipziger Buchmesse rer Bürger haben bei den politischen Entscheidungsträ- Jazzfestival für Kinder or- im Saal der BStU am Dit- ganisiert haben (S.24). trichring. JUST FOR gern Europas bislang nicht die gebührende Aufmerksam- Hingehen! SWING wird die Lesung keit gefunden. Und doch ist es nur die Ausübung der Des weiteren gibt es hier musikalisch umrahmen Kunst, unserer Sinne und der Vielfalt der Kulturen in Eu- und da subjektive Hinwei- (siehe Anzeige S. 27). ropa, die dazu in der Lage ist, wirklichen Respekt für den se über Neuveröffentli- Wir hoffen, auch Leser Anderen und jenen Friedenswunsch hervorzubringen, der chungen auf dem Buch– unseres Blattes dort be- und Schallplattenmarkt. grüßen zu dürfen. es erlaubt, unsere eigenen Realisationen zu vollenden wie auch die gemeinsamen Realisationen all derer, die unser Die Auswahl aus hunder- Wir beginnen mit der ten Neuerscheinungen mo- Veröffentlichung des ers- Verantwortungsbewusstsein für diese leidende Erde tei- natlich ist schwierig. Mehr ten Teils des Kapitels len. [...] Indem Sie die Kultur so offensichtlich ignorie- Rezensionen finden Jazzin- über die legendäre ren, bauen Sie sich einen Elfenbeinturm auf Sand.“ teressierte in von uns emp- Leipziger Pianistin Jutta fohlenen Magazinen wie Hipp, das Schmidt-Joos (Violinist und Dirigent Yehudi Menuhin in Le Monde vom 14. März 1999 in JAZZPODIUM oder dem für sein Buch „Die Stasi einem veröffentlichten Brief an die Staats- und Regierungschefs der EU) Journal von „Swinging swingt nicht“ geschrieben Hamburg e.V.“ hatte, aber schließlich Schille zu besuchen und das Glück ei- doch nicht veröffentlichte. Zwei wei- nen Sitzplatz zu ergattern, so groß war Wir hoffen, wieder ein paar interessante tere Teile sind für Juni und September der Andrang. Darüber berichte ich auf Beiträge zusammengestellt zu haben und geplant. Seite 22 in einem Beitrag, der auch freuen uns wie immer über freundliche Derweil erschien auch eine interes- vom JAZZPODIUM übernommen und uns inspirierende Rückmeldungen, sante Biografie von Marc Boettcher wird. Hinweise und Anregungen. über die in Leipzig geborene Sängerin In Leipzig kümmert man sich nicht keep swingin‘ Inge Brandenburg, die einige signifi- nur um etablierte Jazzmusiker, son- kante Parallelen zu Jutta Hipp auf- Detlef A. Ott Band 5, Ausgabe 1 S e i t e 3 Goin’ Home – Ken Colyer in Berlin - Teil 2 Winfried Maier, Berlin Foto: Melanie Kühn m selben Jahr nach unserer mer verlängert wurde, sodass wir sehr gefragt und das Publikum ersten Begegnung 1959 er- in einem gegenüberliegenden Pub damals war ein sehr junges. Auch hielt ich eine Einladung uns noch eine letzte Runde holen wenn es nicht immer große Kon- I nach London zu kommen. konnten. Mit einem Schlag war zerte waren, war die Bezahlung Das war schon sehr erstaunlich der Club immer leer. ordentlich. Ken Colyer war nicht für mich. Von Juli bis August Ich erinnere mich noch daran, derjenige, der sich über die Mit- 1959 hatte ich die Möglichkeit, dass August 1959 der heißeste musiker stellte, sondern hat die mit der Band Colyers in London Sommer in England seit der offi- Gage gerecht geteilt. Die Lynn und Umgebung zu touren. Ich bin ziellen Temperaturmessungen Dutton Agency machte für ihn mit dem Zug nach Hoek von Hol- ausgebrochen war. Die Sonne das Management. Nach den Kon- land gefahren, anschließend mit brannte so stark auf den Asphalt, zerten sind wir ins Häuschen von dem Schiff nach England. Dort dass dieser weich wurde und im- Bowden außerhalb Londons ge- wieder mit dem Zug nach Lon- mer an den Bussen unschöne fahren und haben jeden Abend don, wo mich der Schlagzeuger Spuren hinterließ. Wir haben am Fish and Chips gegessen. Er Colin Bowden abholte. Er hat Haus von Colin Bowden immer kannte den besten Stand dafür, mich betreut, bei ihm habe ich ge- eine Badewanne mit kaltem Was- der selbst bis spät in die Nacht wohnt. Das war die schönste ser stehen gehabt, in der wir stun- geöffnet hatte. Es gab dort ein Fahrt meines Jazzerlebens. Ich denlang saßen, um wieder auf spezielles Lokal für Musiker, in war jeden Tag mit meiner Traum- Normaltemperatur zu kommen. dem es auch später noch Alkohol band unterwegs. Auftritte gab es Der Bruder von Colyer Bob war gab. Dort habe ich auch eines Ta- in diversen Clubs in London, in unser Fahrer. Wir haben in den ges erlebt, wie der Posaunist der unmittelbaren Umgebung von Auftrittsorten auch ordentlich Chris Barber in den Laden kam. London, an der Küste und in sei- dem Bier zugesprochen. Auf der Er hatte bei Ken Colyer jahrelang nem eigenen Laden im „Studio Rückfahrt hatte ich dann immer gespielt, hat sich dann von ihm 51“ in der Great Newport Street mächtig Bammel, dass bei den getrennt und ist kommerziell sehr in London. Das war ein kleiner engen Straßen in England nichts erfolgreich geworden. Erstaunlich Jazzclub mit einer schönen Atmo- passiert. war, dass man als Außenstehen- sphäre. In Englands Pubs wurde Musikalisch gesehen war die der die Verletzungen merkte, die nach 22.00 Uhr nichts mehr aus- Band einmalig. Es war eine groß- durch die Trennung entstanden geschenkt. Ein Kuriosum war, artige Zeit. Jeden Tag war etwas waren. Es gab zwischen beiden dass in Kens Club die Pause im- anderes los, denn die Musik war kein Gespräch. Ken hat sich mir S e i t e 4 Just For Swing Gazette war ich schon Mitarbeiter und Mitbegründer des Club 18 beim RIAS. Am Sonnabend den 12. Mai 1962 war diese große Ver- anstaltung im Sportpalast in Ber- lin, die „Jazz aus London“ hieß, statt. Es traten auf: Ken Colyer Jazzmen and Skiffle Group, so- wie das Ronnie Ross Quartett. Ronnie Ross spielte Baritonsa- xofon, Bill Lessage Vibrafon, Bill Stanton Bass und Ron Parry Schlagzeug. Das war keine reine New Orleans Veranstaltung. Die Preise waren noch moderat. Rei- he 10 kostete 10 DM. Man woll- te unterschiedliche Stilrichtun- gen auf einer Bühne präsentie- ren. Ich weiß nicht genau, was der Veranstalter sich dabei ge- Peter Müller (cl) und Ken Colyer (tp) am 16. November 1971 in Berlin, Bild unten: Der Club 18 bedankt sich bei Ken dacht hat. Nur eins weiß ich, we- Colyer und seinen Mitstreitern mit einem großen Banner, auf dem alle Beteiligten unterschrieben haben. gen Ronnie Ross wäre ich nicht zwar nie gegenüber darüber aus- hingegangen. Sicher war das da- gelassen, dazu war er zu sehr mals ein Vorurteil. Die Lager im Gentleman, aber man merkte Jazz waren stark gespalten, in schon, dass er verärgert war.
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