Band 5, Ausgabe 1 Volume 18 | Juni 2017 Just For Swing Gazette

Swing is the Thing! - Mitteilungsblatt aus für Freunde swingender Musik in aller Welt

Leipzigs Jazzkeller von Detlef A. Ott

Die legendäre Jutta Hipp (2) von Siegfried Schmidt-Joos

Reinhard Wenskat ein Jazzpionier aus Leipzig von Peter M. Colev

Ella Fitzgerald zum 100. Eine Hommage an die „First Lady of Song“ von Scott Yanow

100 Jahre auf Schallplatte - die ODJB von Freddy Schauwecker und Detlef A. Ott

(Un)vergessene Jazzmusiker: Omer Simeon? Nie gehört... von Detlef A. Ott

Jazztitel und ihre Bedeutung von Gerhard Klußmeier

Big Band Spectacular… und Clare Teal! von Gerhard Klußmeier

We called it music Eddie Condon revisited von Gerhard Klußmeier

Jazz in der Loge von Klaus Kirst

Neuerscheinungen auf dem Label Sonorama und aus dem Niederländischen Jazz Archiv

S e i t e 2 Just For Swing Gazette

Liebe Jazzfreunde, der Zeit in Vergessenheit geraten sind die Zahl 100 kommt in dieser Ausgabe und denen durch ihren stillen Anteil maß- mehrfach vor. Zum einen halten wir geblich der Erfolg bei der Verbreitung Rückschau auf 100 Jahre Jazz auf des Jazz, einer durch die Verschmelzung Schallplatte. Freddy Schauwecker aus unterschiedlichster kultureller Einflüsse Düsseldorf schreibt über die Original entstandenen Musik, zu verdanken ist. Dixieland Jazz Band und ihre erste Jazz- Aus diesem Grund habe ich auf Anre- platte. Am 25. April wäre die FIRST gung unseres Jazzfreundes Klaus Kirst LADY OF SONG Ella Fitzgerald 100 über den Klarinettisten Omer Simeon re- Jahre alt geworden. Der renommierte cherchiert, um festzustellen, dass er als amerikanische Kritiker Scott Yanow ge- Sideman auf vielen Platten vertreten ist, stattete uns freundlicherweise, seinen aber kaum bekannt war, auch weil von Beitrag, den er für „The Rag“ in England ihm, der sich durch eine unglaubliche Be- geschrieben hatte und der auch in „The scheidenheit auszeichnete, nur sehr weni- Syncopated Times“ in New York er- ge Soloaufnahmen existieren. Während EDITORIAL schien, für unser Blatt ins Deutsche zu der Recherchen ergaben sich auch neue übersetzen. Sichtweisen auf den Musiker. Besonders erstaunt war ich, dass einige meiner ame- Das schon oft besprochene Label Sono- rikanischen Jazzfreunde Omer Simeon rama aus Berlin legt mit der Nummer noch persönlich kannten. Klarinettist Bob 100 die neueste Platte vor, welche wie- Murphy und der schon in den Bands von derum Raritäten aus Schatzkisten des Lu Watters und Turk Murphy agierende Jazz vorstellt. Carl Lunsford aus San Francisco teilten All dies hat in letzter Zeit wieder die ihre Erinnerungen an den wunderbaren Frage provoziert, was denn eigentlich Klarinettisten mit uns. Der Beitrag dient den klassischen Jazz ausmacht. Jazz- als Anregung, sich immer mal wieder äl- freund Gerhard Klußmeier aus Ham- tere Aufnahmen anzuhören, die im Zuge burg, der mit großem Engagement das der Schnelllebigkeit und Überhäufung Journal der Hamburger Swingfreunde des Musikmarktes mit vor Beliebigkeit gestaltet und mit dem wir in engem Aus- strotzenden Veröffentlichungen drohen, tausch stehen, schrieb adäquat im Intro in Vergessenheit zu geraten. Es ist oft seines neuen Heftes: verblüffend, welcher Qualität diese Mu-

sik oft war. Also, hin zum Plattenschrank „Während des Entstehens dieses Jour- und alte, lange nicht mehr gehörten Rari- nals verfestigte sich mir immer mehr die täten aufgelegt! Überzeugung, dass „unsere Musik“ JAZZPODIUM kann man in Leipzig in der ganz und gar nicht „abgetan“ ist, auch Was die Leipziger Jazzgeschichte be- Buchhandlung Ludwig auf dem Hauptbahnhof wenn die Medien durch Verschweigen trifft, führen wir im zweiten Teil die Sto- kaufen oder besser noch direkt abonnieren jeglicher Ereignisse aus dieser lebendi- ry über die Leipziger Pianistin Jutta Hipp (Kontakt: siehe Rückseite). gen Musiksparte solchen Eindruck ent- von Sigi Schmidt-Joos fort. Sein Buch Peter M. Colev ist es durch intensive Recher- stehen lassen (wollen!). Wenn ein re- „Die Stasi swingt nicht“ wurde am 26. chen gelungen, Informationen über einen Pio- nommierter Verlag wie Langen Müller April 2017 in Berlin von unseren Freun- nier des Jazz in Leipzig zusammenzustellen. in München die Autobiografie eines Mu- den aus Hamburg mit dem Hamburg Jazz In seiner Rubrik über Leipziger Geschichte(n) sikers des traditionellen Jazz, die 1960 Award 2017 ausgezeichnet. Darüber erzählt er mit vielen interessanten Fakten die erstmals in Deutschland erschien, neu mehr im Anschluss an den Beitrag über Geschichte des Schlagzeugers Reinhard und erweitert auflegt (siehe Seite 26), Jutta Hipp. Wenskat und räumt mit der weitverbreiteten wenn bisher unveröffentlichte Aufnah- Ein weiteres bisher unveröffentlichtes Behauptung auf, Wenskat sei dänischer Her- men von aus den Kapitel aus dem Buch „Die Stasi swingt kunft gewesen. 1950er Jahren international in Luxus- nicht“ von Schmidt-Joos über seinen und Standard-Ausgaben herausgebracht Ich wünsche im Namen aller Mitarbeiter wie Freund, den Klarinettisten Rolf Kühn, immer eine anregende Lektüre. werden (siehe Seite 13) und englische wird ab Juli/August in mehreren Teilen Musiker den klassischen Swing in Origi- im JAZZPODIUM erscheinen. Das keep swingin‘ Detlef A. Ott nal-Arrangements mit aufwendigen Pro- duktionen auf CDs und Langspielplatten präsentieren (siehe Seite 11), dann Augustusburg plant eine Dau- erausstellung über den Jazzer kommt man nicht umhin, ohne Wenn und Fips-Fleischer Aber festzustellen: „Der klassische Jazz lebt!“ Der Ortschaftsrat Augustusburg plant in Zusammenarbeit mit der Chronikgruppe Diesem Statement schließen wir uns im Stadthaus eine Dauerausstellung zu Leben und Wirken von Fips Fleischer. freudvoll an und wünschen uns, dass Der Musiker wurde am 2. Mai 1923 als Leipziger Bands und Musiker noch mehr Hans-Joachim Fleischer in Hohenfichte geboren und lebte viele Jahre in der vom Angebot der Präsentation in unse- Stadt. Er starb am 25. Juni 2002 in rem Heft Gebrauch machen, aber auch Chemnitz. Die Organisatoren bitten um Unterstützung bei der Sammlung von über Probleme der Rezeption swingen- Programmen, Plakaten oder Eintritts- der Musik diskutieren, die es ja schließ- karten, die für die Ausstellung zur Verfügung gestellt werden können. lich auch gibt. Eröffnet werden soll die Schau zum Männelmarkt im Dezember. Materia- Wie in schon anderen Beiträgen älterer lien und Leihgaben für die Ausstellung Ausgaben möchten wir hin und wieder können in der Augustusburger Tourist- auch an Musiker erinnern, die im Laufe information, Schloßstraße 1, Telefon 037291 39550, abgegeben werden...."

Band 5, Ausgabe 1 S e i t e 3 Leipzigs Jazzkeller Über eine kurzlebige Jazz-Initiative in den sechziger Jahren

ls mich der jazzclub leipzig da- eure Kraft? Und überhaupt… Jazzkeller, Karl-Marx-Universität glänzt dort mit ei- rum bat, zum 40. Jubiläum einen das zieht doch gerade die an, die ihr nicht nem Chanson. Beitrag über Leipzigs Jazzge- wollt.“ Das Experiment ist geglückt, der Funkwa- A schichte zu schreiben, spürte ich „Wir suchen uns unsere Gäste aus, und wer gen mußte nicht kommen. Und die Studen- während der Recherchen zum Beitrag, der krakeelt, der fliegt erbarmungslos raus. Die ten – als Köche, Kellner, Garderobier, als fragmentarische Vorgeschichte von Mehrzahl unserer Besucher wird uns unter- Empfangschef und Gaststättenleiter tätig – 1920 bis 1970 am Ende des Buchs „Von stützen.“ haben sich mit ihrem Jazzkeller einen gu- Flamingos und anderen Paradiesvögeln“ Gaststättenleiter Bogen und Handelsleiter ten Start in ihren Beruf geschaffen. zu finden ist, dass selbst der jüngsten Ver- Seig zögern noch. Die Zwölf hatten Großes, Das Gästebuch, das bereits nach einer Wo- gangenheit zu erinnern, ein schwieriges Gutes vor, zweifellos. Und schließlich eine che halbvoll war, weist nach, wie sehr der Unterfangen werden kann. Die 1960er Jah- 800-Jahr-Feier und Jazzkeller. Das wäre studentische Schuß ins Schwarze getroffen re „überlebten“ die meisten von uns ohne schon was. hat. Neben nicht so bekannten fanden viele moderne Kommunikationsmittel, Fotoap- Der Chef des Gastronomie-Dutzends ließ namhafte Gäste lobende Worte – der Di- parate oder Telefone. So ist es kein Wun- nicht locker, und schließlich willigten die rektor des Zirkus Busch, der Chefredakteur der, dass über eine kurzlebige Jazzinitiative Verantwortlichen ein – mit einem Vorbe- einer dänischen Zeitung… und der Genosse von Studenten, die im Gutenbergkeller am halt: „Die Existenz des Jazzkellers hängt Moosdorf, Referatsleiter für Kultur der BUGRA-Messehaus einen Jazzkeller mit davon ab, wie oft der Funkwagen vor der SED-Stadtleitung schrieb: “Na endlich, Leben füllen wollten, nur noch vom Hören- Tür steht.“ und das ohne Beschluß.“ sagen vage Erinnerungen existieren. Unberechtigte Skepsis der Jugend gegen- Verantwortliche der Kulturabteilung des Unser Aufruf um Mithilfe bei der Material- über? Keineswegs. Schlechte Beispiele gab Rates der Stadt waren da und klatschten beschaffung blieb allerdings nicht ganz un- es in Leipzig in letzter Zeit. Beifall. „Ein gutes Beispiel das wert ist, gehört. So schickte uns der ehe- verallgemeinert zu werden. Dort malige Klarinettist der Jenaer sollten andere in die Schule ge- Oldtimers Klaus Schneider hen.“ Und Fachschuldirektor selbstlos seine Originalalben Götze ist zufrieden mit seinen mit Zeitungsausschnitten und Schützlingen, beweist doch ihr Fotos, worunter sich ein Artikel Einsatz, daß das Gelernte auf von einem Reiner Lidschun in fruchtbaren Boden fiel. der DDR Zeitschrift Wochen- (1) Einzig diejenigen, die für solche post mit der reißerischen Initiativen ein ganz besonderes Überschrift „Der Funkwagen Interesse haben müßten – die kam nicht“ vom 6. November Freunde von der FDJ- 1965 befand, der aus heutiger Stadtleitung, hielten es bisher Sicht - auch rhetorisch gesehen nicht für nötig, sich eine Mei- - ein interessantes Zeitdokument nung über den Jazzkeller zu bil- ist, wo aufschlussreich aber den. „Eingeladen haben wir auch kritisch über die Umstände sie“, versicherte Hajo Müller, der Eröffnung des Jazzkellers „gekommen ist niemand.“ berichtet wird. Klaus Schneider Diese Jugendfunktionäre täten schrieb uns dazu am 11. Februar Jenaer Oldtimer: v.l.n.r. Peter "Pitt" Kroneberger dr, Heinz Pietschmann tuba, Rolf Litzek gut daran, sich das Jugendkom- 2017: bj, Rudolf Thiele tb, Klaus Schneider cl, ld, Klaus Weinhardt tp. muniqué noch einmal vorzuneh-

men mit offenen Augen durch Leipzig – und „Ich glaube, daß meine kleine Kapelle am Doch ein Jazzkeller, wie Hans-Joachim und in den Jazzkeller! – zu gehen und sich eine allerersten Jazzkonzert im Keller beteiligt die anderen Studenten ihn schaffen wollten, dicke Scheibe von der Arbeitsweise der war und ich meinen späteren öffnet nicht kultureller Dekadenz Tür und Tor. SED-Stadtleitung und des Rates der Stadt ‚Angestellten‘ (Redaktionsleiter) Walter abzuschneiden. Bartel, Pianist b. B. Jazzoptimisten, ken- Mit Feuereifer stürzten die Zwölf sich in die nengelernt habe. Er ist jener, der von Arbeit. Am 25. September sollte Premiere Letztere nämlich waren die ersten, als das Manne Krug im Film „Auf der Sonnensei- sein – am Tag, an dem die 800-Jahr-Feier Neue im „Gutenberg-Keller“ wuchs. Sie te“ vom Klavier weggeschupst wurde…“ begann. waren es auch, die sich bei der HO- Gaststättendirektion dafür einsetzten, daß Der Reigen wurde von den Berliner Jazzop- der Jazzkeller nicht mit Beendigung der Nun wissen wir wenigstens schon mal, timisten eröffnet. Sie blieben länger als ge- 800-Jahr-Feier stirbt, sondern als Beispiel, dass der Jazzkeller am 25. September 1965 plant, es gefiel ihnen. Die Jenaer Old Timer wie Jugendliche die Jugend Kultur lehren, eröffnet wurde und die Berliner Jazzopti- waren mit von der Partie. Jetzt spielt eine Leipziger Gruppe, und ein Student der erhalten bleibt. misten und die Jenaer Oldtimer den Rei- gen an Jazzmusikern kommender Konzerte eröffneten. Vielleicht finden sich noch an- Fortsetzung folgt … (hoffentlich) (DO) dere Puzzleteilchen von Jazzfreunden, die dabei waren. Mit einem großen Dankeschön an Klaus (1) Die Wochenpost (Zeitung für Politik, Kultur, Wirtschaft, Unterhaltung) erschien zwischen dem Schneider drucken wir den Artikel zur ver- 22. Dezember 1953 und dem 23. Dezember 1996 gnüglichen Lektüre ab: mit 2.244 Ausgaben und gehörte mit einer Auflage von ca. 1,3 Millionen Exemplaren zu den auflagen- „Die Langmähnen glauben, s i e haben die stärksten Wochenzeitungen der DDR. moderne Musik gepachtet. Wir wollen zei- (https://de.wikipedia.org/wiki/Wochenpost, gen, was wirklich modern ist.“ 21.3.2017) „Gut und schön. Aber überschätzt ihr nicht

S e i t e 4 Just For Swing Gazette

Die legendäre Jutta Hipp von Siegfried Schmidt-Joos (Teil 2)

„Jazz: Wo das Leben noch Lust, Leid und Risiko ist und nicht vom Staat geschützte Gleichförmigkeit und Langeweile (Improvisation = Freiheit, Risiko, Wagnis).“

Friedrich Gulda (1) Der Kritiker und nach dem Ende des Glanzes dieser Der Kritiker, der mit seiner Frau Straße Mitte der Fünfzigerjahre noch Jane in einem eleganten Apartment- die Musikantin regelmäßig Jazz gespielt, und zahl- haus am Riverside Drive 9 mit sen- uf Leonard Feathers reiche Jazzmusiker wie Ellington, sationellem Blick auf den Hudson Veranlassung hin waren Hampton, Goodman und Gillespie River und die Sonnenuntergänge sechs Stücke von ihr mit verzehrten dort ihre Steaks. Das über der Lichterkette des New- neben Auf- Klaviertrio arbeitete auf einem er- Jersey-Ufers gegenüber wohnte, A höhten Podest im Inneren einer riesi- hatte die deutsche Pianistin zu- nahmen von Mary Lou Williams und Beryl Booker auf einer LP gen ovalen Mahagoni-Bar mit der nächst im Stockwerk über sich un- „First Ladies of Jazz“ veröffentlicht Pianistin im Fokus. Jutta Hipp konn- tergebracht. worden. Blue Note brachte vor ih- te dort viele ihrer Idole kennenler- Jutta: „Feather schleppte mich rem Eintreffen ein Vorabalbum nen. gleich in ein Restaurant, um (den ihres Quintetts aus dem Jahr 1953 Fernsehmann) Steve Allen zu tref- auf den US-Markt: „New Faces - fen. Es wurden Pläne geschmiedet, New Sounds from Germany“. Auf mich in seine Steve Allen Show zu dem Cover hatte Feather angekün- bringen, aber das mochte ich nicht. digt: „Jutta Hipp will so schnell wie Diese ganze Szene... Ich dachte, ich möglich nach Amerika kommen. kann sie nicht aushalten, diese Ihre Position, nicht mehr nur als Park-Avenue-Atmosphäre! Diese eine Überraschung, sondern als Bars: Das hatte mit Jazz doch gar eine eigenständige und wichtige nichts zu tun, das war eine Cocktail neue Stimme auf der internationa- - Bar! Ich sagte: Ich halt‘ das nicht len Jazz-Szene, erscheint inzwi- aus, das ist zu kalt für mich!“ (10) schen gesichert.“ Wie Jutta Hipp Feather brachte sie mit dem Ex- bisher über den grünen Klee gelobt Berliner Alfred Lion zusammen, hatte, so ließ er sie kurze Zeit später der 1956 im Zeitraum von nur drei wie eine heiße Kartoffel fallen Monaten ganze drei LPs von ihr auf (siehe farbig markierte Zitate). Blue Note veröffentlichte - in ei- Sie und ihre Langspielplatten ka- nem Katalog, der mit einer einzigen men in der nächsten Ausgabe sei- Ausnahme nur aus männlichen nes Standardwerkes „Encyclopedia schwarzen Musikern bestand. (9) of Jazz“ 1960 nicht mehr vor. „Ich Er sorgte auch dafür, dass Jutta kann mir nicht vorstellen," so der Hipp - mit (Bass) und Ed Platten-Profi und Publizist George Thigpen (Schlagzeug) - den Piano- Avakian, „warum sich Feather so Job im Hickory House bekam, als abrupt und gehässig von ihr abge- die reguläre Pianistin Marian wandt hat. Man kann sagen, dass er McPartland für sechs Monate au- Jutta Hipp im Hickory House ihre Karriere zerstörte, bevor diese ßerhalb New Yorks auf Tournee mit (dr) und Peter Ind (b). Fotograf: unbekannt. Mit freundlicher Genehmigung dem Buch über noch recht beginnen konnte.“ (11) ging. Jutta Hipp von Gerhard Evertz entnommen. Leonard Feather über Jutta Hipp, Das Hickory House war kein Auch ihre ersten beiden US-LPs 1955 Nachtclub, sondern ein holzgetäfel- wurden dort - Gläserklirren und Tel- tes Speiserestaurant in dem Ab- „Während des vergangenen Jahres lerklappern inklusive - live produ- schnitt der West 52nd Street zwi- ist eine neue Persönlichkeit wie ein ziert; Leonard Feather steuerte die schen der fünften und sechsten Komet ins Bewusstsein der ameri- Hüllentexte dazu bei. Avenue, der bis heute als „Swing kanischen Jazzfans geblitzt. Dass Street“ firmiert. Nur hier wurde ein neuer Star aus Deutschland

Band 5, Ausgabe 1 S e i t e 5 stammen sollte, erschien fast beispiel- hier grob, bedrohlich und hässlich Leonard habe, wie auch immer, von los. Dass diese brillante Entdeckung aus. diesen Briefen Kenntnis erhalten. ein Mädchen sein sollte, war selten, Sie hatte inzwischen begonnen, sich Zweitens: Sie habe es abgelehnt, und ein hübsches Mädchen - noch einen Namen zu machen, arbeitete wie berühmte Kollegen (Dinah seltener. Jutta Hipp ist das alles - und im Hickory House, aber ihr Klavier- Washington, Mel Tormé, B.B. King mehr. Viele Worte über sie und ein stil veränderte sich auf eine Weise, u.a.) Kompositionen des Kritikers in paar Klänge von ihr hatten dieses die ich verstörend fand. Sie kam un- ihr Repertoire aufzunehmen. Land vor 1954 erreicht. Sie hatte mit ter den Einfluss von , korrespondiert, und Fakt ist, dass nicht nur ihr verdienst- und so sehr ich auch Horace bewun- voller Förderer sich von ihr ab- es kursierten ein paar Aufnahmen mit dere, schien dies nur den Effekt zu dem Hans-Koller-Quartett. Sowie ich wandte, sondern dass bald nach dem haben, Juttas Individualität zu zer- Hickory House-Gig auch Louis erfuhr, dass meine bevorstehende stören. JAZZ CLUB USA-Konzerttournee Armstrongs Manager Joe Glaser, auch nach Deutschland führen wür- Ihre Persönlichkeit war ein großes zu dessen Agentur de, beschloss ich, diese fesselnde Per- Problem. Sie war außerordentlich sie vermittelt hatte, die Pianistin sönlichkeit zu suchen und dem ameri- introvertiert und völlig ohne Selbst- fallen ließ. Der Verschwörungstheo- kanischen Publikum weitere Belege vertrauen. Später wurde mir klar, rie zufolge geschah dies, weil Jutta ihrer Schallplattentätigkeit zugäng- dass einige ihrer emotionalen Prob- auf Veranlassung von dessen Sekre- lich zu machen. leme mit dem Trauma zu tun haben tärin eine gut gemeinte Karikatur mussten, während der russischen von Joe Glaser gezeichnet hatte, die Sie zu finden war ein Problem. Aber Besetzung ihre Heimat verlassen zu diesem missfiel. als wir in Düsseldorf eintrafen, erfuh- müssen. Die Jutta-Hipp-Story, soweit ren wir, dass sie mit ihrem Quintett in Eine andere Erklärung hatte ihr es ihre musikalische Karriere be- Freund Dan Morgenstern, ehemals Duisburg spielte. Nach dem Konzert trifft, kam zu einem abrupten Ende. an diesem Abend machten sich Buddy „Down Beat“-Herausgeber und Um 1958 hatten wir den Kontakt zu langjähriger Direktor des Institute DeFranco, Billie Holiday und einige ihr verloren.“ andere in Begleitung von Horst Lipp- of Jazz Studies an der Rutgers Uni- mann auf den Weg. Als wir den über- (Aus: Leonard Feather: „The Jazz Years. versity in Newark, New Jersey: Earwitness of an Era“. Da Capo Press, New „Ich bin nicht überrascht, dass diese füllten Kellerclub in Duisburg betra- York, 1987, S. 135f) ten, flutete uns Musik in die Ohren, Verbindung nicht hielt. Wir wissen, Leonard Feather ist offenbar nie da- die wir schwerlich für das Werk von wie wählerisch sie mit ihren Enga- nach befragt worden. Aber der Zorn fünf Deutschen gehalten hätten. Um- gements umging, und Glaser war wäre doch nachvollziehbar, den die- geben von Altsax, Tenor, Bass und kein geduldiger Mann. Nachdem ser selbstbewusste und erfolgreiche Drums saß da ein attraktives Girl am sie ein paar Mal seine Gig- Mann auf eine offenbar undankbare Piano, das kastanienfarbene Haar Angebote abgelehnt hatte, wird er Person entwickelte, die er nach Kräf- locker auf dem Rücken baumelnd, sie rausgeschmissen haben.“ (13) ten gefördert hatte, und die seine aus total unbeeindruckt von der lärmen- So versuchte Jutta Hipp 1957 in kleinen Anfängen in England ziel- den Menge um sie herum. Juttas ame- New York ohne kommerzielle Ver- strebig erschaffene amerikanische rikanische Besucher konnten es kaum tretung und außerhalb aller professi- Welt und deren Regeln so grundsätz- glauben. Europas feinsten Jazz, den onellen Netzwerke zu überleben. lich in Frage stellte. wir bisher gehört hatten, ausgerech- Sie suchte sich mühsam Auftritts- net in dem Land zu entdecken, das möglichkeiten fürs Wochenende in durch die Nazizeit und den Krieg so Ein ungeklärtes Geheimnis Clubs und Bars in Queens, viele Jahre von Erscheinung und Jutta selbst hat sich gegenüber ihren Brooklyn und auf Long Island, litt Klang echter Jazzmusik abgeschnit- publizistischen Gesprächspartnern, an Geldmangel, an Versagensängs- ten war, musste uns einfach unvor- auch mir gegenüber, stets geweigert, ten und an ihrem Minderwertig- stellbar erscheinen.“ über diese Angelegenheit zu spre- keitskomplex. (Covertext: „Jutta Hipp Quintet 1954: „Cool chen: „Diese Zeit war die Schlimms- Eines Nachts, so erzählte sie, habe Dogs & Two Oranges“. te meines Lebens, an die ich nicht sie im Café Bohemia Lippmann + Rau Records, 1980) erinnert werden möchte.“ (12) Und aufgefordert, bei seinen Jazz Mes- doch erging sie sich hin und wieder sengers einzusteigen. Sie entgegne- in Andeutungen, die Verschwörungs- te: Leonard Feather über Jutta Hipp, theorien Raum boten und zwei Er- 1987 klärungsmöglichkeiten nahe legten. „Nein, ich bin zu betrunken und will nicht mitspielen.“ Jutta hatte an der Kunstakademie in Erstens: Feather habe die Pianistin Leipzig Malerei studiert. Viel von handgreiflich oder abartig sexuell Da sei er an ihren Tisch gekommen, ihrer kostbaren Zeit in New York ver- bedrängt. Sie habe ihn entschieden habe sie auf die Bühne gezogen, ans brachte sie damit, Schwarz-Weiß- zurückgewiesen, dieses aber brieflich Klavier gesetzt und am Schlagzeug Sketche in einem Stil zu zeichnen, den dem Gitarristen mitge- in sehr schnellem Tempo losgelegt. ich irgendwie erschreckend fand. All teilt, mit dem sie sich wieder einmal Jutta: „Ich saß einfach da und lä- diese Gesichter, auch die von Freun- verlobt fühlte, und der ihr 1956 auch chelte. Ich war nicht gut genug, um den, die wir als heitere und wohlge- für kurze Zeit nach New York folgte. mit Art Blakey zu spielen.“ staltete Menschen kannten, sahen

Just For Swing Gazette S e i t e 6 Anschließend sei er ans Mikro- phon gegangen und habe gesagt: Swinging-Hamburg-Jazz Award 2017 „Nun wissen Sie, warum wir nicht für Sigi Schmidt-Joos wollen, dass die Europäer hierher kommen und uns unsere Jobs m 26. April wurde das Buch wegnehmen.“ „Die Stasi swingt nicht“ von Einige Tage später sei sie Art Sigi Schmidt - Joos mit dem „Swinging-Hamburg-Jazz- Blakey auf der Straße begegnet A Award 2017“ in der Sparte und habe ihn angesprochen: „Jazz-Buch“ ausgezeichnet. Die Aus- „Warum taten Sie mir das an? In zeichnung fand im Rahmen einer Le- den lauten, kleinen Clubs, in de- sung in der Landesvertretung Sachsen- nen ich auftrete, wollen Sie doch Anhalts in Berlin statt. Siegfried gar nicht spielen!“ Schmidt-Joos stellte das Buch im Ge- spräch mit Ingo Langner vor. Der Blakeys Antwort: „Sie sind wirk- Abend wurde mit swingenden Klängen lich ein seltsamer Mensch!“ (14) des Jazzklarinettisten Rolf Kühn ge- Der letzte Teil erscheint in der staltet, der von Wolfgang Köhler am September Ausgabe der JFSG Flügel begleitet wurde.

In der Laudatio begründete Gerhard Klußmeier die Auswahl des Buches:

„Mit dem Buch ‚Die STASI swingt nicht‘ legt der Musikjournalist Sieg- fried Schmidt-Joos, eingebettet in sei- ne ausführlich geschilderte Autobio- ren scharfsinnig als Vor- und Über- grafie und parallel zur internationa- gang zur Nachkriegsdrangsalierung len Historie des Jazz, eine umfassen- im Gebiet der Sowjetzone, bald der de Geschichte dieser Musik in DDR sowie dabei und damit verbunden Deutschland vor, die so aufschluss- auch die westdeutsche Jazz-Szene. Al- reich bisher noch nicht erzählt wurde. les einbezogen in die einst durchaus bedrohliche politische Ost-West- Der renommierte Autor verbindet da- Situation. rin überzeugend Jahrzehnte des Ge- Anmerkungen: schehens perfekt dokumentiert mit Mit dem Buch ‚Die STASI swingt (1) Friedrich Gulda, zit. in: Walter Meinrad: der jeweiligen politisch-aktuellen nicht‘ schufen Autor und Verlag ein „Tango, Swing und Blues,“ Benzinger Verlag, Zü- Weltlage und den mit Jazz verbunde- erhellend und detailreich konzipiertes rich / Düsseldorf 2002, S. 14 nen Musikfreunden und Musikern Jazzbuch, das auch sprachlich unge- (9) LPs „At the Hickory House“ (Vol. 1 & 2), vom Beginn der 1920er Jahre, über „Jutta Hipp with “, 1956 auf Blue Note. mein erfrischend daherkommt und die Weimarer Republik hin zu den sich an keiner Stelle fachsimpelnd ver- (10) Jutta Hipp, zit. bei Meinecke, 5d, S. 332 1930er Jahren. liert, sondern wahrlich spannend bis (11) George Avakian, zit. bei Meinecke, 5d, S. 333 zum Schluss bleibt.“ (12) Jutta Hipp, zit. bei Kaiser, 5c, S. 10 Und er zeigt die Musik- und Lebenssi- (13) Dan Morgenstern, zit. bei Meinecke, 5d, S. 333 tuation der Menschen zur Zeit der Wir schließen uns den Glückwünschen (14) Marc Crawford, 5a, S. 9 NS-Diktatur sowie in den Kriegsjah- an. Die Redaktion JFSG Bob Dylans Freundin Suze Rotolo, zusammen mit ihm auf dem LP/CD-Cover „The Freewheelin´ Bob Dylan“ (1963) abgebildet, beobachtete diese oder eine identische Szene, die sie aber Charles Mingus zuschrieb und im Club Five Spot an der Ecke St Mark´s Place und Third Avenue verortete, und schrieb darüber in ihrem Buch „Als sich die Zeiten zu ändern begannen, Erinnerungen an Greenwich Vil- lage in den Sechzigern“ (Parthas Verlag, Berlin 2010), ohne den Namen Jutta Hipp zu erwähnen. S. 244f: „An diesem Abend saß eine weiße Frau am Klavier. Die Band hatte bereits losgelegt, als Min- gus, während er weiter Bass spielte, anfing, der Pianistin gegenüber Bemerkungen zu machen. Mit immer lauter und eindringlicher werdender Stimme stellte er ihre musikalischen Fähigkeiten in Zweifel. „Mach schon, Schlampe, zeig´s mir, du kannst es sowieso nicht; ´ne weiße Lady, die Jazz spielen will!“ Er war brutal und hörte nicht auf. Ich sah zu und fühlte mich an ihrer Stelle gedemütigt. Aber sie spielte weiter wie ein Profi, ihr Gesicht verriet nichts als Konzentration. Sie schlug so schwungvoll die Tasten, als hinge ihr Leben davon ab. Mingus quälte sie bis zum Ende des Sets und sagte dann nichts mehr. Die Leute in dem dünn besuchten Club starrten in ihre Drinks und taten, als wäre nichts Ungewöhnli- ches geschehen. Es dauerte eine Weile, bis wir begriffen, was wir da gerade miterlebt hatten.“ G. Klußmeier überreicht S. Schmidt-Joos den Swinging Hamburg Award | Foto: © Uwe Mahlstedt, 26.04.2017

Band 5, Ausgabe 1 S e i t e 7 Zum 100. Geburstag von Ella Fitzgerald „Ella Turns“ by Scott Yanow

enn man Aufnahmen und Auf- Idols Connie Boswell auf und gewann den von 30 Jahren, am 16. Juni 1939. Es wurde tritte von Ella Fitzgerald hört Wettbewerb. Das führte dazu, dass sie kurz- beschlossen, seine Band mit Ella als Band- oder sieht, fragt man sich un- zeitig mit dem Orchester von Tiny Brad- leader weiterzuführen, wobei andere (zuerst W willkürlich: Könnte jemand sie shaw sang und bei Fletcher Henderson vor- Teddy McRae) als musikalische Leiter fun- je übertreffen? Gab es eine aufregendere und singen durfte. Jedoch war Henderson von gierten. Innerhalb von 13 Tagen nach Webbs erfinderischere Scat-Sängerin? Gab es jemals ihrem Auftritt nicht begeistert (auch ihrer Ableben trat sie als Chefin ihres "Famous eine freundlichere Stimme? Und wer sonst hat ärmlichen und verschlissenen Kleidung we- Orchestra" auf. Ella war praktisch die erste für alle Zeiten gültige Versionen von über 100 gen) und ließ sie durchfallen. Benny Carter, Frau, die ihr eigenes, ein rein männliches Or- Standards gesungen? Mancher könnte sicher der im Apollo im Publikum saß, drängte chester während der Swing Ära leitete. Die- einen oder mehrere Anwärter für die ein oder Chick Webb, dass er sie unter Vertrag neh- ses Unternehmen hielt zwei Jahre, bevor sie andere dieser Fragen benennen, aber es wäre men solle. Webb war zwar auch nicht von offiziell ihre Solokarriere startete. schwierig, mehrere Sängerinnen oder Sänger ihrem Aussehen beeindruckt, aber gab ihr Obwohl es nicht sicher war, dass Ella Fitz- aufzuführen (vielleicht Louis Armstrong und eine Chance für einen Auftritt. Das Publi- gerald erfolgreich sein würde, hatte sie einen Sarah Vaughan ausgenommen), die mit Ella in kum war von ihrem temperamentvollen Ge- festen Vertrag mit dem Decca-Label. Ihre allen vier Bereichen konkurrieren könnten. sang begeistert und Webb nahm sie schließ- lich unter Vertrag. Innerhalb eines Jahres Popularität wuchs schnell, weil sie hart daran Hin und wieder sollte man sich selbst einen arbeitete, ihren Gesang weiterzuentwickeln. war sie die Hauptattraktion der Band. Gefallen tun und Ellas Version des "C Jam Angesagte Stücke wurden zu Gunsten von Blues" vom 2. Juni 1972, aufgenommen für Swing-Standards, Balladen und Blues fallen- das Label Pablo im Santa Monica Civic, anhö- gelassen. Ihre Stimme entwickelte sich in ih- ren. Das Konzert sollte ursprünglich nur von rer Schönheit und Perfektion. Hat sie jemals der Sängerin und dem Count Basie Orchester eine Note falsch gesungen? 1946, als die bestritten werden, aber der Produzent Norman Pop-Charts von SängerInnen diverser Swing Granz überraschte alle, indem er auch eine -Bands gestürmt wurden, zeigte Ella, dass All-Star-Gruppe von „Jazz at the Philharmo- sie in beiden Welten - dem Jazz und Pop - nic“ - Musikern einlud, darunter Oscar Peter- zu Hause sein konnte. Sie nahm ihre ersten son, Roy Eldridge, Harry "Sweets" Edison, Duette mit Louis Armstrong auf. („You Will Stan Getz und Eddie "Lockjaw" Davis. Um Not Be Satisfied", „The Frim Fram Sauce") den großartigen Abend noch zu toppen, und beeindruckte Norman Granz so stark mit schlossen sich alle Musiker der Jamsession mit ihrem Auftreten, dass er sie auf seine „Jazz dem "C Jam Blues" an. Ella scattete wild, at the Philharmonic“-Touren mitnahm. die Bläser (plus Posaunist Al Grey) spielten Schließlich wurde Granz ihr Manager. Inspi- kurze Soli, und Ella sang mit jedem der fünf riert vom Bebop und Dizzy Gillespie (1947 Bläser einzeln. In allen Fällen entstand etwas tourte sie mit dessen Big Band) wurde sie ei- sehr Spontanes und Humorvolles. Ella imitier- ne meisterhafte Scat-Sängerin. Ihre Aufnah- te Greys Posaune, mit Edison gelang ihr in men von "Lady Be Good", "How High The perfekter Harmonie eine komplizierte Phrase Moon" und" Flying Home" wurden in der (zur Überraschung beider), Stan Getz und sie Jazzwelt hochgeschätzt und zeigten, dass sie ergänzten gegenseitig ihre Phrasen, und sie ge- Ella Fitzgerald debütierte mit Chick Webb einen Standard in leichter Art und Weise wann den Kampf mit Lockjaw. Als der immer am 12. Juni 1935 als 18-Jährige mit "I Cha- swingen konnte, womit sie ein größeres Pub- gern zum Wettstreit aufgelegte Eldridge eine se The Blues Away". Die Mehrheit der Auf- likum erreichte. schrille High-Note traf, beendete Ella ihre nahmen, die Webb in den nächsten vier Jah- Konfrontation, indem sie perfekt im Rhythmus ren machte, entstanden mit ihrer Stimme. Bis 1944 hatte sie sich schon einen Namen gemacht und war ohne Unterbrechung aufge- sang: "Du wirst meine Stimme heute Abend Von Anfang an hörte sich ihr beschwingter treten. Jedoch war ihr Privatleben unauffällig mit dieser Note nicht ruinieren!" („You ain’t Gesang angenehm und reizvoll an. Sie be- und oftmals einsam. Sie war von 1948 bis going to ruin my voice tonight with that note! “) reicherte Webbs Band durch ihre Vielfalt 1952 mit Ray Brown verheiratet (sie bleiben Ella Fitzgerald war einen weiten Weg von ih- und Anziehungskraft, meistens durch ihre Interpretation gerade angesagter neuer in späteren Jahren Freunde), und sie hatte ei- ren bescheidenen Anfängen gegangen. Sie ne kurze zweite Ehe, aber im Allgemeinen wurde am 25. April 1917 in Newport News, Songs und Balladen. Mit Stücken wie "When Dreams Come True" und "I Want To war ihr Leben ihre Musik. Sie reiste, trat auf Virginia geboren. Ihr frühes Leben, über das und nahm ständig auf, schien irgendwie nie- Be Happy" zeigte Ella, dass sie bereits die sie selten sprach, war ähnlich düster dem Bil- mals müde oder launenhaft zu sein. lie Holidays. Sie wuchs in armen Verhältnis- Fähigkeit besaß, enorm zu swingen, obwohl sen auf und war als Jugendliche ein Jahr lang ihr Scat-Gesang sich erst ein paar Jahre spä- Für Kritiker war es immer schwierig, an El- obdachlos. Zu behaupten, dass sie was ihre ter entwickeln sollte. "You’ve Got To Swing las Gesang etwas zu kritisieren. Als einziger Zukunft betraf mehr als verunsichert war, ist It" (später in "Mr. Paganini“ umbenannt) Makel wurde ihr Mangel an emotionaler Tie- noch untertrieben. Doch Ella packte ihr Leben wurde zum festen Bestandteil ihres Reper- fe angesehen, weil ihr Singen in der Regel in ganz anderer Art und Weise als Lady Day toires ab 1936, dem Jahr, in dem sie auch voller Frohsinn war. Aber diese Kritik war an. Während Billie Holiday ihre Texte oft au- auf Schallplattenaufnahmen mit Teddy Wil- unberechtigt, denn sie konnte eine einfache tobiographisch interpretierte (besonders in den son und Benny Goodmans Orchester gas- Ballade oder einen Blues mit tiefem Einfüh- fünfziger Jahren), verlor Ella sich ganz in der tierte. Für Ellas erste eigene Schallplatten- lungsvermögen singen und sich dabei in den Musik und verbarg ihr Privatleben vor der Öf- aufnahme im darauffolgenden Jahr leitet sie Worten verlieren. Ihr erstes Songbook, eine fentlichkeit. Sie liebte das Singen so sehr, dass eine kleine Gruppe aus der Band von Webb. Anzahl von Gershwin-Songs, die als Duette es ihr ganzes Leben ausfüllte. Mit ihrer Aufnahme von "A-Tisket, mit dem Pianisten Ellis Larkins 1950 und A-Tasket" von 1938 hatte Ella Fitzgerald ih- 1954 aufgenommen wurden, zeigt sie in Zunächst hoffte Ella, Tänzerin zu werden und ren ersten Riesen-Hit, der ihr Signature- Wort und Ton als Interpretin, die leise und schrieb sich 1934 als Tänzerin für den Ama- Tune bleiben sollte. Ihre Gesangsversion emotional sein konnte. teurwettbewerb des Apollo Theaters ein. Ihres von "Undecided" (1939) war ebenso popu- großen Lampenfiebers wegen entschied sie lär. Während der 1950er Jahre und eines Groß- sich spontan in letzter Minute zum Gesang zu teils des nächsten Jahrzehnts war Ella auf wechseln, trat mit "Judy" im Stil ihres frühen Chick Webb, der sein ganzes Leben von dem Höhepunkt ihrer Karriere angekommen. schwacher Gesundheit war, starb im Alter

S e i t e 8 Just For Swing Gazette

Sie fing an, in Filmen mitzuspielen, er- das war eigentlich nicht nötig. Ihre Fans wähnt seien vor allem „Pete Kelly's Blues“ wollten, dass sie ihr klassisches Material 1955 (der eine unvergessliche Version von sang, was auch weiterhin zum Großteil ih- "Hard Hearted Hannah" enthält) und als res Repertoires gehörte. Ihre Capitol- drogenabhängige Sängerin in „Let No Man Aufnahmen von 1967 und 68 sind in der Write My Epitaph“ (1960). Ihre Aufnah- Regel zu vernachlässigen, aber erstklassig ie Firma Dot Time Records, New men für Decca, obwohl einige nur auf Um- bleiben ihre Reprise-Alben von 1969 und York, hat einen Schatz gehoben: In wegen zu Hits wurden, waren im Allge- 1970. Norman Granz sollte ihr weiter ge- deren „Legends-Serie“ erscheint jetzt meinen recht gut und unterschätzt. Sie ging wogen bleiben. 1972 gründete Granz das D eine Reihe von nie zuvor veröffent- weiter mit Jazz at the Philharmonic auf Plattenlabel Pablo, was für den Rest ihrer lichten Louis-Armstrong-Aufnahmen, die vier Tour und trat regelmäßig im Fernsehen auf. Karriere Ellas musikalisches Zuhause wur- Produktionen aus den Armstrong Archiven ent- Allerdings hatte Norman Granz ehrgeizige- hält. Die erste Ausgabe ist unter der Bezeich- de. Sie hatte Gelegenheit, mit Musikern nung „The Standard Oil Sessions“ seit 12. Mai re Pläne für sie. wie Count Basie, All-Star-Bands und Oscar 2017 erhältlich. Zusätzlich wurde eine gesonder- Peterson, sowie Duette mit dem Gitarristen Im Jahr 1955 überredete Granz sie, ihren te, limitierte „Collector's Edition“ konzipiert, die Joe Pass aufzunehmen. 1972 im Alter von Vertrag mit Decca nicht zu erneuern und nicht im üblichen Handel angeboten wird, son- 55 Jahren begann sich Ellas Stimme und dern nur über Dot Time Records stattdessen ein wichtiger Teil seines neuen Gesundheit allmählich zu verschlechtern. (www.dottimerecords.com/louis-armstrong) zu Labels Verve zu werden. Neben Band- In den nächsten 15 Jahren wurden ihre erhalten ist. Terminen und anderen Projekten (darunter Auftritte immer weniger. Ihre Stimme war drei unvergesslichen Duett-Alben mit Produzent Jerry Roche sagt zu den Veröffentli- nicht mehr so fest und beständig wie bis- chungen: „Als ich diese Aufnahmen von Louis Louis Armstrong) produzierte Granz mit her. Aber sie verlor nie ihr hervorragendes Armstrong hörte, war ich völlig überwältigt. Ella ausführliche Songbook-Sets, die sich Timing und die Fähigkeit zu swingen. Ihre Diese Musik zu produzieren bedeutet, dass die mit dem Werk der großen Songwriter be- letzte Aufnahme von 1989 „All That Jazz“ Menschen erneut in Kontakt mit Louis Arm- fassten. Von 1956 bis 1962 veröffentlichte ist etwas schwach, aber immer noch wert strong kommen und die Größe dieses Künstlers Ella Alben mit Songs von Cole Porter, den vergegenwärtigt bekommen. Ich bin wie auf ei- gehört zu werden. Ella Fitzgerald zog sich Gershwins, Rodgers und Hart, Duke ner Missionsreise um diese Musik verfügbar zu Anfang 1990 zurück und verstarb am 15. Ellington, Harold Arlen, Jerome Kern und machen.“ Juni 1996 im Alter von 79 Jahren. In den dem Texter Johnny Mercer. Mit Ausnahme Oscar Cohen, Louis Armstrongs Tour-Manager, nachfolgenden 21 Jahren hat keine Sänge- des Ellington-Projektes (das sie mit Dukes nach Joe Glasers Tod 1970 übernahm er dessen rin ihren Platz eingenommen oder ihr Ni- Big Band und einer All-Star-Gruppe mit Funktion, leitet heute die „Louis Armstrong veau erreicht, und es ist schwer vorstellbar, Ben Webster und Stuff Smith durchführte), Educational Foundation, Inc.“: „Louis Arm- dass dies jemals geschehen wird. Sie bleibt waren dies alles orchestrale Aufnahmen, strong ist der am meisten geschätzte und gelieb- die First Lady of Song auch zum 100. Jah- te Musiker unserer Zeit. Sein Sound, seine Stim- auf denen Ella ziemlich straight sang, an restag ihres Geburtstages. Es gibt nur eine me, seine Liebe erreichte und erreicht auch heu- den Texten klebte und dabei mit der Musik Ella. te die Herzen der Menschen überall in der sanft swingte. Wenn SängerInnen in späte- Welt“. Jede einzelne Ausgabe der Sammler- ren Jahren wissen wollten, wie ein be- Edition enthält ein 20-seitiges Booklet mit vie- stimmtes Lied zu singen sei, waren sie mit len raren Fotoaufnahmen geschrieben von Ricky Anleihen und dem Studium von Ellas Der Beitrag „Ella Turns“ erschien erst- Riccardi, Director of Research Collections im mals in „The Jazz Rag“ (GB), als Nach- Songbook-Aufnahmen immer auf der si- Louis Armstrong House Museum. druck im April 2017 in der New Yorker cheren Seite. 1 Der erste Teil der Reihe enthält eine Studioauf- Zeitung „The Syncopated Times“ und nahme von 50 Minuten, aufgenommen in San Ein Höhepunkt dieser Zeit war ihr 1960er nun erstmals mit freundlicher Genehmi- Francisco am 20. Januar 1950 von der „Standard Berliner Konzert (als „Ella in Berlin“ er- gung des Autors in deutscher Übersetzung Oil Company“ und war für dessen Radiosen- hältlich). Während ihr Auftritt mitgeschnit- in der JUST FOR SWING GAZETTE. dung „Musical Map of America“ als Episode 19 der „Musical Story Of New Orleans“ vorgese- ten wurde, vergaß sie die Worte zu "Mack Many thanks to Scott Yanow, Ginna & The Knife". Anstatt nur zu scatten, erfand hen. Sie brachte Louis Armstrong mit Jack Phil J. Crumley. sie an den Stellen neue Texte, die man ge- Teagarden und zusammen. Aus un- hört haben muss, um es zu glauben. Sie er- bekannten Gründen, wurde diese Aufnahme nie- Scott Yanow lebt in den USA und schreibt mals gesendet, Armstrong erhielt lediglich die fand Strophen darüber, dass sie jetzt die seit vielen Jahren über alle Stilrichtungen Bänder der Session. Worte vergessen habe und wie sie aus dem des Jazz. Er ist Autor von elf Büchern (u.a. Song ein Wrack machen würde. Ein ande- The Jazz Singer, Afro-Cuban Jazz, Bebop), Weitere Ausgaben werden ausgewählte Aufnah- men aus Konzerten der 1950er und 1960er Jahre res Album, das man gehört haben sollte, ist schrieb über 800 Linernotes und ca. 20.000 sein, darunter die einer Tournee durch Südame- „Ella In Hollywood“, eine ihrer besten CD Besprechungen. rika 1957, welche als Doppel-CD erscheint. Mu- Jazzplatten. Während der Live-Aufnahme Kontakt: [email protected] siker wie Jack Teagarden, Earl Hines, Cozy Co- ist Ella mit ihrer für alle Zeiten wohl längs- le, Edmond Hall und Trummy Young sind da- ten mitgeschnittenen Version von "Take Webseite: www.scottyanow.com runter, um ein paar Namen zu nennen. The A Train“ zu hören, wo sie über ein 1 Dot Time Records begann 2015 ihre „Legends paar Chorusse mehr als neun erfinderische “The Syncopated Times” übernahm die Zeitschrift “American Rag”, welche zuvor als Serie“ mit zuvor nicht veröffentlichten histori- und aufregende Minuten scattet. Und wenn “West Coast Rag” bekannt war und veröffen- schen Aufnahmen von Jazzgrößen wie Ella Fitz- sie nur mit dieser einzigen Aufnahme do- tlicht Beiträge des traditionellen Jazz und Swing gerald, Gerry Mulligan, Buck Clayton und ande- kumentiert worden wäre, wäre dies der Be- besonders von der Ostküste der USA. ren. Alle diese Produktionen wurden sorgfältig weis, dass sie eine der Großen aller Zeiten restauriert und gemastered unter der Prämisse, war. diesen Aufnahmen ein modernes Format zu ge- ben, und die originale Atmosphäre der Aufnah- Die 1960er und 1970er waren durch regel- men zu erhalten. mäßige Geschäftigkeit geprägt. Norman Die Veröffentlichung der Armstrong-Editionen Granz verkaufte Ende 1960 Verve, Ella erfolgt in Zusammenarbeit mit der „Louis Arm- aber blieb bis 1966 mit dem Label verbun- strong Educational Foundation, Inc.“. den. Während die populäre Musik sich weiter verbreitete, versuchte Ella mit der Zeit zu gehen, indem sie einige Pop-Songs http://www.louisarmstrongfoundation.org wie "Can‘t Buy Me Love" der Beatles (welche sie swingte), "Sunshine of your lo- Information: G. Klußmeier ve" und sogar "Hey Jude" aufnahm. Aber

Band 5, Ausgabe 1 S e i t e 9 Leipziger Jazz-Geschichte(n) Die zwanziger Jahre - von Peter M. Colev Johann Wolfgang von Goethe beschrieb Leipzig anlässlich seiner Aufenthalte als „Klein-Paris“ und fügte hinzu: “…und bildet seine Leute“, womit er sicher nicht nur seinerzeit recht hatte.

ier und heute geht es um Fabrikationen mit unterschiedlichen beliebteste Freizeit- und Vergnügungsin- eine weitere Folge der Auflagen und Firmennamen verbreiteten halt der Deutschen. Dazu kam ab 1922 Leipziger Jazz-Geschichten. sich zu dieser Zeit europa- und weltweit der Rundfunk mit bereits drei Millionen H Die Stadt der Klangkörper, inflationär. Ein in Deutschland im Jahr Hörern, die im Jahr 1931 auf 15 Millio- Literaten und Komponisten, sie alle 1901 ergangenes Urheberrechtsgesetz nen Rundfunkteilnehmer anstiegen. Der waren der neuen Musik, die sich zu- zum Schutz geistigen Eigentums in Ver- Rundfunk selbst trug expansiv zur Popu- nächst auf den Schallplatten-Etiketten bindung mit der Produktion von Tonträ- larisierung der englischen und amerika- als Ragtime, One und Quickstepp, gern wurde nicht immer konsequent nischen Hot- und Tanzmusik bei und Blues, mitunter auch Jass darstellte, beachtet, manchmal sogar ignoriert. weckte das große Interesse des Hörer- und nach Ende des ersten Weltkrieges So wurde auf der Leipziger Messe im Publikums. Das Hörerlebnis war dabei über England und Frankreich auch sehr diffus, von euphorischer und be- nach Deutschland und Europa kam, geisterter Zustimmung bis hin zu skep- sehr aufgeschlossen. Viele Musiker tisch vornehmer Zurückhaltung. und diverse Kapellen in unserer Region übernahmen nun zunehmend dieses Paul Whiteman, der 1926 in Deutsch- anglo-amerikanische Repertoire durch land gastierte, schaffte es aber zumin- Beschaffung von Notenmaterial und dest das gespaltene Interesse für die Fu- durch Kauf des damals noch einge- sion von sinfonischer Klassik und Jazz- schränkten Umfanges an Schallplatten- Hotmusik im positiven Sinn zu modifi- Angeboten sowie der permanenten zieren und die Leute neugierig für diese Geldknappheit (eine Folge des Ersten neue Musikform zu machen. Weltkrieges). Es fehlte außerdem an Die Tanzsäle der Stadt (um nur einige zu Devisen. Nach 1923 besserte sich die nennen: Kongresshalle, Deutsches Haus Situation zunehmend durch die Einfüh- Lindenau, CT Casino, Concordia-Säle in rung der Deutschen Rentenmark. Gohlis, Felsenkeller, Forsthaus In einigen großen Städten, vorwiegend Raschwitz) waren permanente Anlauf- aber in Berlin, Leipzig und punkte, im Sommer natürlich in Hannover, entstand eine Viel- illuminierten Gärten zum Schwof zahl von Schallplatten-Firmen, und zur Unterhaltung. deren Namen, Etiketten und Aus den USA wurden immer neue Bezeichnungen teils unüber- Tänze mit Namen wie Cake Walk, sehbar waren. Für die Käufer selbst Jahr 1908 eine doppelseitige Caruso- One und Two-Step, Quick-Step, Turkey- waren vor allem der Titel, der Musik- Platte mit Etikett als Bootleg, also als Trot, Wackel-Tanz, Shimmy, später stil und die Interpreten wichtig. Einige Fälschung zum Vertrieb angeboten. Ein auch Charleston u. a. publik. Schallplatten-Firmen sowie auch Kauf- Skandal! Abhilfe und Kontrolle in dieser Merkwürdigerweise spielten zunächst haus-Produktionen existierten nur Richtung schuf die in Deutschland zwi- kleinere Musikgruppen mit einem oder kurzzeitig und gingen in Konkurs. Be- schenzeitlich gegründete Anstalt für zwei Banjos sowie mit Xylophon, Kla- sonders in Leipzig etablierte sich nach musikalische und mechanische Rechte vier oder Akkordeon. Vor allem gewann dem Ende der Ära der Musikautomaten (Ammre - gegründet 1909). Ab diesem das Schlagzeug an Bedeutung (nach dem eine umfangreiche Schallplattenpro- Zeitpunkt musste jede verkaufte Schall- Vorbild der Harry-Reser-Gruppen in den duktion. So zum Beispiel die Firma platte einen Ammre-Aufkleber auf dem USA). Erst die Vergrößerung der Bands Polyphon, Corona, später dann das Etikett nachweisen, um den Urheber- in Form von Marsch-Kapellen, Salon- Label Hypnophone und Lipsia der Fir- rechts- und Fabrikationsschutz zu si- Orchestern sowie sogenannter Tanzsport ma Holzweißig u. a. in Leipzig-Gohlis. chern. -Orchester erweiterten das Instrumenta- Später kamen außerdem die Firma Kal- Schallplatten, Grammophone und Tanz- rium durch Blechbläser, Saxophone und liope, Isiphon hinzu. Die entstandenen veranstaltungen waren zu dieser Zeit der Streichinstrumente. Die 1925 erfundene

S e i t e 10 Just For Swing Gazette elektrische Aufnahmetechnik ermög- Mitja Nikisch hatte ein Händchen für Reinhard Wenskat lichte nicht nur eine technisch- hervorragende Solisten, die er sich aus akustische Aufwertung, sondern auch verschiedenen Klangkörpern Ein Jazzpionier aus Leipzig eine bessere musikalische Intonierung „ausborgte“ und damit eine Superbeset- Ebenfalls in den zwanziger Jahren zur Wahrnehmung von Schallplatten- zung klassisch-jazzsymphonischer Mu- machte ein sächsischer Bandleader, Aufführungen. sik auf höchstem Niveau schuf. Komponist, Arrangeur und Schlagzeu- In den Besetzungen der Klangkörper ger von sich Reden, ja man könnte sa- spielte von Anfang an das gen, er machte Furore. Sein Schlagzeug oder Schlag- Name: Reinhard Wenskat werk eine dominierende (geb. 25.01.1896) in Wüsten- Rolle, da es durch seine mark bei Schwerin. Ein Todes- rhythmische Funktion und datum wird erst nach 1960 durch den Einsatz von vermutet. Da seine Biographie Zusatzinstrumenten wie bis heute lückenhaft ist, kann Raspeln, Waschbretter, sein Lebenslauf nur fragmenta- Trillerpfeifen, selbstgebau- risch nachvollzogen werden. ten Rhythmusmakern, ja Zunächst das Wichtigste: Von selbst durch den Einsatz diversen Bands unter seiner von Kuhglocken für ge- Leitung wurden zwischen wisse Attraktionen sorgte, 1925 und 1927 ca. 40 Schel- manchmal auch eine regel- lackplatten, meistens der Fir- rechte „Clownerie“ dar- men Homocord und Deutsche stellte. Das gefiel dem Grammophon/Polydor, produ- Publikum! (Heute nennt ziert. Als Highlight gelten u.a. man sowas Show!) die Ellington-Komposition „Jig Walk“ - aufgenom- Nachdem 1917 in den Piccadilly four Jazzband (auch Piccadilly Jazz Four genannt) im Lindström-Studio (Aufnahme USA die erste Jazz- vom 26.01.1921) Ansicht des Fotos: Vier Musiker, ganz rechts im Bild eindeutig erkennbar - R. men1926 - sowie „Sweet Ge- Schallplatte durch die Ori- Wenskat am Schlagzeug, nicht, wie vermutet, ein gewisser E. Giese. Ein Vergleich mit dem orgia Brown“, ebenfalls 1926 Cover-Foto von Bobsmusic-CD (Fräulein Lehmann) des Labels Ultraphon zeigt die Überein- aufgenommen, außerdem ginal Dixieland Jazz Band stimmung und Identifikation in der Personendarstellung Wenskats. (Victor: Livery Stable „Sugar Foot Stomp“ - aufge- Blues) produziert wurde, folgte 1918 Er hatte seinerzeit bekannte Musiker in nommen im Dezember 1925 bereits in Deutschland eine erste Jazz- seiner Band integriert, so zum Beispiel und Milenberg Joys vom August 1926. Schallplatte auf Homocord (Tiger- Wilhelm Kurz (tp) und A. Brosche (tb). Es hat sich in Jazz-Kreisen herumge- Rag). Diese Aufnahme war jedoch Vielen ist auch der Name Theo Macke- sprochen, dass besonders die Formation mehr eine Mixtur aus orchestralem ben, ein bedeutender deutscher Kompo- um die Musiker Louis de Vries (tp), Ragtime und Marschmusik. Das ver- nist und Musiker in der Unterhaltungs- Walter Lindemann (p), Sascha Lumm wunderte aber nicht, denn die Entwick- szene bis in die Gegenwart hinein be- (bj), des Belgiers Henry van den Bosshe lung des Jazz war immer evolutionär. kannt. (tb) sowie E. Warkentin (bj) als die jaz- Es vereinten sich viele musikhistori- zigste seiner vielfältigen Orchester- Der Freitod Mitja Nikischs im August Besetzungen war. sche Gegebenheiten dieser Zeit, ein 1935 in Venedig beendete die hoff- Konglomerat aus negroiden Spielwei- nungsvolle Karriere eines talentierten Wenskat firmierte seine Bands auch als sen diverser Couleurs sowie europäi- Komponisten und Bandleaders aus unse- „Tanz- u. Sport-Orchester Wenskat, scher Einflüsse, besonders aus Frank- rer Region. Giusto Sinfoniker, Wenskat Symphoni- reich und Spanien (was dann besonders ans sowie weiterer diverser Bezeichnun- für die kreolische Musik von Bedeu- gen. Er spielte sowohl in kleinen als tung war). auch in größeren Formationen (bis 16 Nun aber einige Bemerkungen zur Musiker), deren Personalien permanent sächsischen bzw. Leipziger Jazz-Szene variierten. Ein großer Teil seiner Schall- der zwanziger Jahre (1921 bis 1928) platten waren jedoch reine Tanzmusik, des vorigen Jahrhunderts. An vorders- hatten nur teilweise eine Hot-Stilistik. ter Stelle stand hier Mitja Nikisch (geb. Der Jazz war in seiner Zeit ohnehin 1898, gest. 1935). Der Sohn des Ge- hauptsächlich eine Tanz- und Unterhal- wandhausdirigenten Arthur Nikisch, tungs- sowie intime Barmusik. Jazzmu- der als ausgebildeter Pianist nicht ohne sik, wie wir sie heute rückblickend be- Argwohn seines Vaters ein innewoh- trachten und definieren, gab es in dieser nendes Interesse an amerikanischer Zeit in Deutschland kaum oder nur mit Hot-und Tanzmusik hatte. Unter seiner wenigen Ausnahmen (vorwiegend Ägide wurden ca. 20 Schellacks 30cm Hauptstadt Berlin). auf Parlephon gepresst. Der Titel Wenskat (Reiny) - sein Spitzname - war „Ain’t She Sweet“ war zum absoluten ein Allround-Könner, besonders als Verkaufshit geworden. Eine einmalige Komponist, Arrangeur, Kapellenleiter Interpretation (ich habe selbige Schel- und natürlich Schlagzeuger. lackplatte vor ca. 15 Jahren an einen Das mir freundlicherweise zugesandte CD-Cover-Foto Im Jahr 1930 veröffentlichte er mit dem Sammler in Frankreich für knapp durch Herrn Hertwig (Bob‘s Music) ist ein hervorragen- des fotografisches Zeitdokument des Drummers R. Leipziger Musikprofessor Baresel 100,00 € verkauft). Nikisch war der Wenskat in den Jahren zwischen 1925 bis 1927. Die CD (Konservatorium Leipzig) eine 30seitige deutsche Paul Whiteman. Er tourte ist übrigens bei Bob‘s Music zu ordern. Jazz-Schlagzeug-Schule, die ebenso wie europaweit, sowie in Südamerika. Baresels erstes und zweites Jazz-Buch

Band 5, Ausgabe 1 S e i t e 11

(1925-1927), erschienen im Leipziger den im Hintergrund sichtbaren Metallo- war. Hier wurden offensichtlich alle Gen- Zimmermann-Verlag, Furore machte phon- Klangröhren zwei große Bass- res der Musik, also auch Ragtime und und für die deutsche Jazz-Historie Trommeln. In der Jazz-Literatur wird der Jazz, beispielhaft vorgeführt. Außerdem bedeutsam war. Einsatz von Bass-Trommeln in den fünf- soll R. Wenskat im Jahre 1926 für einen Es ist umstritten, dass Wenskat die ziger Jahren erstmals als Verdienst des Abiturienten-Ball der Nikolaitaner die dänische Staatsangehörigkeit hatte, berühmten Mainstream-Drummers Louis immerhin horrende Summe von 600 denn er war Mecklenburger, in der Bellson genannt. Das zurückliegende Reichsmark Gage erhalten haben. Das ist Schweriner Region geboren und hielt Foto-dokument von 1925/1927 stellt für diese Zeit, bezugnehmend auf den sich lebenslang meistens in Sachsen diese genannte Feststellung zumindest in Preis- und Verdienst-Index, eine nicht un- sowie auch in Berlin zur Produktion Frage. erhebliche Größe. von Tonaufnahmen auf, obwohl er in Abschließend können von mir bezüglich ganz Deutschland Tourneen hatte, die einer Komplett-Biografie von Reinhard ihn vorzugsweise in die sogenannten Wenskat keine weiteren Ergebnisse, Fak- Kaiser-Bäder an die Ostsee sowie an ten und Begebenheiten genannt werden. die Nordsee führte. Weitere und häufi- Auch über seine Mitwirkung und seine gere Engagements hatte er in Chem- Aktivitäten in der Zeit der Swing-Periode nitz, Halle und Weimar. Es ist auch in den dreißiger Jahren tritt Wenskat nicht die Rede von einem vierwöchigen in Erscheinung. Seine letzten Aufnahmen Gastspiel in Hamburg. Die Veröffent- in diversen Schallplatten-Studios sollen lichung von Nordisc-Platten, einer nur noch am Anfang der 30er Jahre ge- Tochtergesellschaft der Deutschen macht worden sein, später trat er dann Grammophon GmbH in Skandinavien nicht mehr in Erscheinung. Entsprechende lässt vermuten, dass er als „Däne“ Recherchen von Studio-Unterlagen der personifiziert wurde. Es gibt übrigens beteiligten Schallplatten-Firmen haben von den Bands unter seiner Leitung nichts Wesentliches zur weiteren künstleri- und Mitwirkung keine Fotos. Aber es schen Tätigkeit von R. Wenskat ausgesagt. ist mithin trotzdem gelungen, mit Hil- Zuletzt berichtete mir der Jazz-Historiker fe des Herausgebers der Jazz-Gazette Hot-Geyer (Kurt Michaelis), er hätte D. Ott sowie durch eine kürzlich er- Wenskat als Schlagzeuger in einer Kleinst- schienene CD der Marke Ultraphon besetzung in den späten fünfziger Jahren (Vertrieb Bobs‘-Music, Hamburg) anlässlich einer Leipziger Messe im be- zwei Fotos bereitzustellen, die den kannten Leipziger Restaurant „Auerbachs Musiker und Schlagzeuger R. Wens- Keller“ gesehen und gehört. kat eindeutig identifizieren: Zu Reinhard Wenskat ist weiterhin be- Danach gibt es, auch jazz-historisch, keine Der Vergleich der Gesichts- kannt, dass er die Absicht hatte, mit einer speziellen Musiker-Formation eine weiteren relevanten Aussagen in der ein- Physiognomie durch lupenunterstützte schlägigen Literatur. Möglicherweise wäre Betrachtung zwischen dem Foto der Nordamerika-Tournee zu absolvieren. Dazu ist es offensichtlich nicht gekom- es von Interesse, aber auch mit größerem Piccadilly Jazzband mit dem Schlag- Aufwand verbunden, weitere Fakten zu zeuger Wenskat von 1921 im Ver- men. Interessant ist auch, dass Allround- Könner Wenskat ebenso wie der Musiker den Jazz-Aktivitäten von Wenskat zu er- gleich mit dem Ultraphon-Cover von mitteln. Die Schellackplatten von R. 1925/1926 (Großfoto Wenskat) sind Bernhard Ettè (bedeutende Berliner Band) vom Beruf gelernte Friseure wa- Wenskats Jazz- bzw. Hot-Formationen die einzig erhaltenen Foto-Dokumente werden auch in amerikanischen Katalogen des Kapellmeisters und Schlagzeugers ren. Wenskat war mit einer Frau namens Käthe verheiratet. Er widmete ihr übri- und Discographien sowie im Internet als R. Wenskat. Aus der Bildoptik ist ein- bedeutend eingeschätzt. Für gut erhaltene deutig erkennbar, dass es sich auf bei- gens eine Komposition (Cat und Käthe), wohnte in Leipzig-Zentrum, 1a Lage Exemplare wurden bei „ebay“ zwischen den Fotos ohne Zweifel tatsächlich um 150 und 200 Euro Angebote unterbreitet. R. Wenskat handelt (nicht aber wie gegenüber dem Reichsgericht, Harkort- vermutet im Foto Nr. 1 um den straße 5. Ein mir vom Namen her unbe- Die sächsischen und besonders die Leipzi- Schlagzeuger E. Giese). Übrigens die kannter Leipziger Musiker berichtet in ger Jazz-Freunde werden die Verdienste Piccadilly four Jazzband von 1921 gilt einem Handmanuskript, dass Wenskat Wenskats, der offensichtlich lange Zeit in Deutschland als wirklich erste au- bei den sogenannten Nikolaitanern Wahl-Leipziger war, nicht in Vergessen- thentische Jazzband, die den Namen (Schüler der Nikolai-Schule) auch Schü- heit geraten lassen. verdient. Es worden von dieser Forma- lerkonzerte veranstaltete, was für die damalige Zeit immerhin ungewöhnlich tion in dieser Besetzung mindestens Ich danke Robert “Bob“ Hertwig und Rainer vier Schellackplatten Lotz für freundliche Unterstützung produziert. Im Zusammenhang Diskographische Quellen: mit der vorgenannten http://www.redhotjazz.com/wenskat.html Ultraphon-CD (Fräulein Lehmann) muss an dieser Stelle Hörbeispiele auf Youtube: noch auf eine Beson- derheit hingewiesen Reinhard Wenskat 1926: Let's talk about my werden. Das von sweetie Wenskat auf dem Foto sichtbare Drum- https://www.youtube.com/watch?v=iyOYcCHFqOM set zeigt bereits außer

S e i t e 12 Just For Swing Gazette Gerhard Klußmeier, Rosengarten Was ist damit eigentlich gemeint? Von „Geheimnissen“ hinter Jazz-Titeln (Teil 7)

[At The] Woodchopperʼs Ball gentlich alles was Bing aufnahm, ein Hit me: Judy Johnson) sie war bei der Aufnah- (Bishop-Herman) wurde“, sagte Sy Oliver, „doch Yes, In- me 13 Jahre jung. Die amerikanische Woody Herman & His Orchestra 1939 deed! nicht. Fragen Sie mich nicht wa- Baseball-Legende Joe (Joseph) Paul rum. Wie auch immer, Tommy Dorsey DiMaggio (1914-1999) heiratete 1954 den mochte es und wir vereinbarten einen Film-Star Marilyn Monroe – ihre Ehe wur- Aufnahmetermin. Eigentlich war die de nach neun Monaten geschieden. Band für den Background-Gesang vorge- sehen, doch die Boys waren nun mal kei- Geechee Joe ne Sänger und hätten in kurzer Zeit auch (Calloway-Palmer-Gibson) kein Feeling dafür bekommen können. Cab Calloway & His Orchestra 1941 So änderte ich die Vocal-Parts nur für Ein typischer Cab-Calloway-Titel auf Joe Stafford und mich. Wir hatten nur Blues-Harmonien, mit dem nur der Star Zeit für einen Take – und der klappte auf des Cotton Club in den Hit-Listen und Anhieb, Jo machte ihre Sache hervorra- Jazz-Discographien aufgeführt ist. gend.“ Entstanden war einer der ganz „Geechee“ bezieht sich hier vor allem auf großen Swing-Hits, den die Band immer die Schwarzen der Ogeechie River- wieder zu spielen hatte. Außer Dorseys Landschaft in Georgia, dem südlichen Teil und Crosbys Aufnahmen gibt es von South Carolinas. So nannten die ländli- Yes, Indeed! aus der Zeit noch eine Auf- chen, im Norden lebenden Schwarzen, ei- Woodchopperʼs Ball bekam seinen Ti- nen naiven Schwarzen aus Carolina (Nord tel, als die Band bei einer sportlichen nahme von Harry James (mit Dick Hay- mes, Gesang) und Süd), Alabama oder Georgia Wettbewerbsveranstaltung im alten „Geechee“. Boston Garden spielte. In der Pause schlenderte der Bass-Spieler Walt Yo- Twenty-One Dollars A Day-Once A der zu einem Holzhackerwettbewerb, Month (Klages-Bernard) an dem die Pfadfinder von Maine teil- Tony Pastor & His Orchestra 1941 nahmen. Er rannte zurück und teilte Nur einmal ist dieser Song in den Hit- der Band eine Eingebung mit – das Listen notiert und nur in dieser Aufnah- Stück wurde der Swing-Hit Wood- me in den Jazz-Discographien aufge- chopperʼs Ball. führt. Der Titel bezieht sich auf den An- fangssold eines Rekruten am Anfang des Yes, Indeed! Zweiten Weltkriegs. Der Text gibt die (Oliver) Tommy Dorsey & His Orchestra 1941 international wohl üblichen Soldaten- Klagen wieder: „They wake you up at 5 o'clock in the morning / For 21 dollars a day – once a month / The bugle blows at you without any warning / For 21 dollars a day – on- ce a month."

Joltinʼ Joe DiMaggio (Courtney-Homer) Les Brown & His Orchestra 1941 Die Swing-Musiker waren überwiegend Baseball-Fans, manche Bandleader finan- zierten oder unterstützen ganze Mann- schaften. Wie schon Larry Clinton mit

seinem Dipsy Doodle 1937 Carl Hubbell Bereits 1948 erschien Joe DiMaggios (1903-1988), dem Star der New York Gi- Autobiografie bei Bantam in New York. ants, ein musikalisches Denkmal gesetzt Yes, Indeed! (Aber ja!) hatte Sy Oli- Ration Blues hatte, so machten es Ben Homer und (Jordan-Cosey-Clark) ver geschrieben, als er noch Trompeter Alan Courtney mit Joe DiMaggio, dem und Arrangeur bei Louis Jordan an his Orchestra 1943 außergewöhnlich populären Star von den Der Titel bezieht sich auf die damals auch war. Oliver hatte das Stück für die New York Yankees und verwandten den in den USA notwendig gewordenen Zutei- Luncefordband vorgesehen, doch Spitznamen des Sportlers „Joltinʼ Joe“ lungen – Rationalisierungen – von Ver- Lunceford hielt den Song mit dem Un- für den Titel (jolting = schütteln / rüt- brauchsgütern wie u. a. Benzin sowie von tertitel A Jive Spiritual für ein Sakrileg teln). Alan Courtney, der den Text ge- Schellack, dem für die Schallplattenherstel- und weigerte sich, ihn aufzunehmen. schrieben hatte, war derzeit Disc-Jockey lung wichtigen Rohstoff. Wichtigster Lie- Bing Crosby nahm ihn dann mit beim New Yorker Radiosender WOV- ferant für Schellack war bis zum Kriegsein- Connee Boswell begleitet von den AM. Nur Les Brown ist mit Joltinʼ Joe tritt der Vereinigten Staaten Deutschland. Bob Cats seines Bruders Bob am 13. DiMaggio in den Charts und in den Jazz- Weitere nennenswerte Aufnahmen dieses Dezember 1940 auf, nachdem es bei Discographien verzeichnet. Das Mäd- Titels gibt es aus der Zeit nicht. einer Radioshow begeistert hatte. chen, das mit der Brown-Band sang, wur- FORTSETZUNG FOLGT >>>>>>>>>> „Man muss bedenken, dass damals ei- de Betty Bonney genannt (richtiger Na-

Band 5, Ausgabe 1 S e i t e 13 Big Band Spectacular… und Clare Teal! Eine längst überfällige Entdeckung

Gerhard Klußmeier, Rosengarten

enn man das neue und Als, zugegeben, absoluter Fan des briti- Und beide Produktionen gibt es als aktuelle Geschehen um schen Syd Lawrence Orchestra, erhalte „Direkt to disc“-Langspielplatte wie auch „unsere Musik“ nur ich auch die vierteljährlichen Mitglieder- als CD. noch wenig wahrnimmt, Journale der „SLO Society“ mit den üb- W Die Aufnahmen von „Chasing the Dra- so hängt dies ganz sicherlich auch mit lichen Interna zum Orchester, Terminen einer jahrzehntelangen intensiven Be- etc. gon“ entstanden in den „air studios“, in schäftigung und einer daraus resultie- einem einstigen Sakral-Bau im Londoner rende „Abgeklärtheit“ zusammen, mit Eine kleine Annonce darin zu einer CD Stadtteil Hampstead. Das Aufnahmestu- vermeintlicher Kenntnis aller Bands, „A Tribute to Ella Fitzgerald“ ließ mich dio befindet sich dort im Haupt- Solisten und unzähligen Aufnahmen. erstmal „Na und, was soll’s?“ denken. Kirchenraum mit einer dementsprechend Und die Sängerin Clare Teal? Clare wer? perfekten Akustik und einer großen, z. Diese nur schwer zu unterdrückende Nie von ihr gehört. Doch da gab es in Zt. nicht funktionierenden Orgel. Gleichgültigkeit schirmt zwar ab, der Anzeige neben dem Website- schützt auch irgendwie gegen vieles, für Hinweis noch die Zeile „New SLO Di- das sich Zeit zu investieren oft nicht rect Cut Recording“ – was es einst in lohnt. Doch durch den vielfach vorherr- den 1980er Jahren gab, diesen Verweis schenden Gedanken, dass es eigentlich auf klanglich besonders herausragende, nichts geben kann, was man nicht schon spezielle Schallplatten. Und nun, zur Genüge kennt, oder sicherlich von dadurch einmal neugierig geworden, sowieso vermeintlich „besseren“ Inter- folgte der Besuch der Homepage preten gehört hat, versiegt auch etwas „Chasing the Dragon“, dem wohl vom Die „air studios“ in London Wichtiges, was einst als diese Musik gleichnamigen Buch des britischen Au- insgesamt für uns neu unaufregend war tors Jackie Pullinger übernommenen Fir- – die Neugierde. Sie blieb auf der Stre- mennamen. Mike Valentine, Produzent nicht nur der cke, die Lust an einst durchaus auch mit Platten mit Chris Dean, teilte mir auf An- Stolz vorgeführten Entdeckungen. Da- Und die Neugierde zahlte sich aus. frage mit: „Ich wählte das Syd Lawrence bei wurden und werden nun allerdings „Audiophile Recordings“ in diversen Orchestra, da ich mich an die Zusam- auch manche Interpreten ignoriert, die Musiksparten werden darin offeriert, menarbeit mit Chris erinnerte, als ich vor doch genau das machen, was unser aller sind sogar anzuhören – Kopfhörer wer- über 35 Jahren als Sound-Ingenieur für Bestreben ist: aktiv den Jazz am Leben den dazu empfohlen. Und es gibt neben das BBC-Fernsehen arbeitete und Chris zu erhalten. Schwer ist es, sich davon bzw. mit der „Ella“-CD noch eine mit als Posaunist in den TV-Orchestern. So wenigstens ab und an einmal frei zu ma- dem von Chris Dean geleiteten Syd war es eine große Freude ihn nach so vie- chen und über den eigenen Tellerrand Lawrence Orchester: „Big Band Specta- len Jahren wiederzusehen, denn ich woll- zu schauen. cular“. te ein Album mit Bigband-Musik produ- zieren. Wenn nicht mit ihm und seiner Band, mit wem denn? Wir nahmen die Musik direkt und live auf, wie bei einem Konzert – keine digitale oder sonstige Bearbeitung erfolgte, es gab keine Mehr- fach-Takes, die zusammengeschnitten wurden, nur ein einziger Fehler, und wir mussten neu anfangen. Doch Chris und die Band spielten absolut perfekt.

Nach den Aufnahmen wurden wir einge- laden zur „Clare Teal Show“ im BBC Radio 2. Clare, eine der bekanntesten Jazz-Sängerinnen in Groß Britannien prä- sentiert dort seit 2009 jeden Sonntag- Abend von 21.00 bis 23.00 Uhr ihre eige- ne Show. Bei unserem Besuch wurden wir schnell über ein gemeinsames Projekt von uns mit Clare, Chris Dean und seiner Band einig. Die Homepage www.chasingthedragon.co.uk

S e i t e 14 Just For Swing Gazette

Eine Swing-CD entsteht: Schnappschüsse von den Proben und „Direct-to-Disc“-Aufnahmen mit Chris Dean und seinem Syd Lawrence Orchestra am 29. Mai 2015 in den Londoner „air studios“.

Nach ein paar Monaten war alles soweit Jazz! Das erste Album dort, „Don't Und damit nun zum Eigentlichen dieses vereinbart, und ich schlug vor, dass es Talk“ (Columbia 5186702), erschien Beitrags: zu den beiden bei „Chasing eine Verbeugung vor der großartigen 2004 und wurde ihr endgültiger musika- the Dragon“ erschienenen Swing- Ella Fitzgerald zu deren 100. Geburts- lischer Durchbruch. Es erreichte Platz 1 Scheiben. tag in diesem Jahr (25. April) sein soll- der UK Jazz Charts und Platz 20 der UK Zuerst – und nach diesem Vorspann oh- te. Die Idee war geboren und wurde Album Charts. Während viele ihrer Auf- nehin – Ladies first : umgesetzt. Wieder verwandte ich die nahmen Jazzstandards sind, enthalten „Direct“-Aufnahme, also auch dieses frühere Alben auch eigene Titel und so- Mal ohne Tricks, wobei der „Jump Fac- gar Interpretationen von Songs, die nach tor“, wie ich es nenne, eine spürbare der Swing-Zeit entstanden. 2005 und doch auch irgendwie lockere Anspan- 2007 wurde Clare Teal bei den British nung mit absolutem Live-Charakter Jazz Awards zum „Jazz Vocalist of the entstand, pures Musizieren wurde dabei Year“ ernannt, und erhielt 2006 die eingefangen und ist dann auch wieder Auszeichnung als „BBC Jazz Vocalist durch die Platte erlebbar. Die Pressung of the Year“. hat eine große Tiefe und Reichhaltig- Wo wäre dies hierzulande aktuell zu er- keit, schier unwiderstehlich, vor allem fahren gewesen? Vielleicht bei den nur mit einer solchen Bigband, deren Ti- dem sogenannten zeitgenössischen Jazz ming absolut perfekt ist.“ verbundenen Musik-Zeitschriften. Und … performed by Clare Teal … hätte man danach folgern können, dass es für Freunde des klassischen Swing Clare, who? Pardon, Clare, look at the von Interesse ist? Wohl kaum. Wie auch „A Tribute to Ella Fitzgerald per- introduction, so: shame on me! Diese immer – nunmehr bin ich um Erfahrung formed by Clare Teal“ (Chasing the britische Sängerin Clare Teal war mir und Kenntnis reicher, verbunden mit Dragon AG 44578-01). Rec. 27. Mai 2016 bislang völlig unbekannt geblieben, ob- dem Vergnügen, jetzt auch noch eine für wohl es eine Vielzahl von CDs mit – in mich neue und überzeugende Jazz- Und gleich vorweg: Der durch das m.E. England bei nahezu allen Jazzmusikern Stimme zu kennen. Ein Blick auf ihre unpassende Coverbild suggerierte Ein- und Vokalisten üblich – unterschied- Homepage druck einer lautstarken und fetzigen lichster Musik von ihr gibt, die auch bei Ehrerbietung für Lady Ella täuscht. Amazon angeboten werden. Doch die http://www.clareteal.co.uk Auch den sich dabei einstellenden Ge- Jazz-Informationen erreichten mich da- danken einer Anmaßung, sich mit Ella zu leider nicht. Daher und nun hier belegt Clare Teals Vielseitigkeit durch Fitzgerald zu vergleichen oder so sin- nachgeholt (Quelle: Wikipedia): Clare viele Hörbeispiele mit unterschiedlicher gen zu wollen, sollte man schnell bei- Teal (geb. 1973) unterschrieb nach drei Combo und Orchester-Begleitung. seiteschieben: „A Tribute to Ella Fitz- Alben bei Candid Records den höchst- gerald“ ist, was diese Zeile sagt, als dotierten Plattenvertrag einer britischen Widmung zu verstehen und nicht, was Jazz-Sängerin überhaupt … bei Sony ja oft und meistens unzulänglich ge-

Band 5, Ausgabe 1 S e i t e 15

JUST FOR SWING GAZETTE Leserbriefe Vielen Dank für die Email und den schönen Artikel über unser Jubiläums-Konzert. Beste Grüße aus Leipzig – Stephan König

Hallo liebe Freunde, wie immer eine schöne Überraschung diese Jazz Nachrichten zu bekommen. Es ver- spricht wieder viel an Erinnerungen. Das Buch „Die Stasi swingt nicht“ habe ich letz- te Woche zu Ende gelesen und neben schon bekannten Erinnerungen aus der Jazzver- gangenheit viel erfahren was mir in meiner ländlichen Idylle Stadtroda nicht nahe ge- kommen ist. Dieser Kleinkrieg zwischen in- tellektuellen Jazzern und Jazzanhängern und den doch oft sehr beschränkten Funkti- Immer heiter: Chris Dean gibt onären war mir damals nicht so bewusst. der Reed-Sektion Anweisun- Für mich als junger Musikhörer und später gen für die nächste Aufnahme. Amateurtanzmusiker war der Jazz einfach eine Möglichkeit von nur reproduzierter macht wird, ein Produkt à la „XYZ Swingära und danach. Mag man die Titel Musik, klassischer Klavierunterricht und vier Jahre Kampf gegen die Meinung des sings/ plays Armstrong, Sinatra etc.“ auch schon etliche Male von diversen Klavierlehrers „das sei doch keine Musik“, Doch nähert man sich unter solchem Ge- Orchestern gehört haben, so kann ich weg, zu einer Musik zu kommen in der Ei- danken trotzdem diesem Album, so ver- hier Thilo Wolf zitieren, der mir bei ei- genes einfließen konnte. schwindet nach nur wenigen Takten je- nem „Convent“ in England nach Aus- Vielen Dank und herzliche Grüße, Pitt (Peter Kroneberger) der voreingenommene Vergleich mit El- klingen der Moonlight Serenade von die- la. Clare singt auf wunderbar eigene ser Band sagte: „Wenn das so gespielt Vielen lieben Dank für die neue Ausgabe Weise unangestrengt und relaxed über- wird, dann kann man es sich auch wieder der Swing Gazette. Tolle Themen, super gu- te Recherchen und hoch informativ, zumal wiegend im Medium Tempo acht Titel, mit Freude und Genuss anhören.“ Und ich persönlich mit Jutta Hipp in Briefkon- die wir aus dem Repertoire von Ella ken- das lässt sich auch ohne Einschränkung takt stand. Freue mich nun, am Wochenen- nen. Begleitet wird die Künstlerin von auf die weiteren sieben Klassikern dieser de jazzmäßig dank dieser Gazette ausgelas- einem satten Bigband Sound in ganz Produktion übertragen. Wobei der wahr- tet zu sein. Viele Grüße aus der Hauptstadt, neuen frischen Arrangements (von Tre- lich echte Bigband-Sound hier entweder Klaus Gottwald vor Brown, Colin Skinner), die jedem per Kopfhörer oder über eine Top- Vergleich standhalten. Somit rundum Anlage wiedergegeben, wirklich zu erle- Herzlichen Dank für die veredelten Exemp- lare der New Gazette. Jedes Exemplar im- empfehlenswert mit dem einzigen Man- ben ist – so klang es einst tatsächlich. mer wieder Prädikat "Sehr gut". Für mich ko der mit 30 Minuten außergewöhnlich die beste Swing - u. Jazzzeitung D-lands. Es kurzen CD-Spieldauer. Vermutlich wegen der Direkt- gibt keine Steigerung mehr. Aufnahmetechnik ist nur bei Little Hervorzuheben ist Deine unerhörte und per- Brown Jug zu hören, dass die Band auch manente Fleißarbeit. Danke dafür. Boogie P. hervorragende Solisten aufzuweisen hat. Und leider auch hier – wie bei Clare Teal Als neuerdings von Ihnen mit der SWING – eine sehr kurze CD-Spieldauer, denn GAZETTE "versorgten" Empfänger wird es von solcher Musik möchte man doch Zeit, mich hiermit herzlich dafür zu bedan- ken. Die Beiträge sind größten- mehr hören. teils hochinteressant und ich (als Leipziger Uralt-Musiker und leider nur "Semi- Thanks to Françoise und Mike Valenti- Jazzer") stoße darin immer wieder mal auf ne, and to Belinda Biggam for their Freunde und Leute, mit denen man irgend mal was zu tun hatte. Dieses Mal waren es kindness and information. z.B. Thomas Buhé (Jutta Hipp) und der Schauspieler Wolfgang Dehler (Gitarrist der "Elb Meadow Rambles"), mit dem ich in frühester Jugend ab und zu gitarristisch gejamt hatte und ihm damals das abgebil- dete Instrument (Otwin-Gitarre) abgekauft Big Band Spectacular – The Syd Law- habe. Da werden Erinnerungen wach. Nochmals für alles vielen Dank und freund- rence Orchestra (Chasing the Dragon liche, swingende Grüße 40807-01). Rec. 29. Mai 2015 Gerhard Heitmann

Chris Deans Syd Lawrence Orchestra Danke für die neue Ausgabe der Zeitung. setzt weiter auf adäquate Wiedergabe – Die Artikel waren wieder sehr interessant. Keep smiling nicht Neu-Interpretation! – der klassi- Geschafft: Bandleader Chris Dean, Sängerin Clare Teal und Produzent Eberhard B. schen Bigband-Arrangements aus der Mike Valentine (v.l.n.r.) freuen sich über die gelungenen Aufnahmen.

S e i t e 16 Just For Swing Gazette Neuerscheinungen auf dem Plattenmarkt

de, die in den 1950er Jahren ihren Wohnsitz hierher Leonard Feather sehr erstaunt war, als er im Frank- verlegten. Mit Koryphäen wie Dexter Gordon, Stan furter Jazzkeller Jutta Hipp hörte, und das in einer Getz, Ed Thigpen, Ben Webster, Oscar Pettiford Qualität, die erstaunlich und begeisternd zugleich uvm. zu musizieren, den Spirit des Jazz direkt vom war. 14 Stücke mit Musikern, die ein Who‘s Who Hersteller verabreicht zu bekommen, beeinflusste der europäischen Jazzgeschichte waren und noch natürlich die Spielweise dänischer Musiker in dieser sind, komprimiert auf einem Silberling oder Doppel Zeit in eine Richtung, die dem Original sehr nahe LP sind durch die Bank weg sensationelle moderne war. Das wird in den vier Kompositionen von Allan swingende Filetstücke mit großartigen Solisten wie Botschinsky „Around ¾ Time“, One more chant“, Joki Freund, den kürzlich erst verstorbenen Micha- „Little Annie Fanny“ und „Yake-De-Yak“ hörbar. el Naura, Roland Kovac, Helmut Brandt Attila Zol- Auch alle anderen Stücke – u.a. Horace Silvers „St. ler, Barney Wilen, Hermann Mutschler, Fats Sadi, Vitus Dance“ - sind genial arrangiert und demonst- Karlhanns Berger und Jack Sels. Über jeden Ein- rieren die Fähigkeiten zum Solospiel jedes einzel- zelnen könnte man Seiten füllen. Hervorzuheben nen. Sie sind in keiner Weise ein verklärter histori- sind besonders das Francy Boland Ensemble mit scher Rückblick, sondern machen Lust auf mehr Musikern der Kurt Edelhagen Band, Rolf Ericson zeitlosen Jazz einer Ära, als dieser mit Neugier auf- mit dem schon damals sensationellen Klarinettisten gesogen wurde und kreative Ideen aufflackern ließ. Rolf Kühn. Ebenso besticht das Götz Wendland (DO) Quintet mit einer Komposition des noch nicht wei- ter bekannten Pianisten Wolfgang Dauner „Marihuana“ und der Andeutung, sich von starren Jazz Quintet 60 Konventionen frei spielen zu wollen, was dann Dauner ja später zur Genüge tat. Die Namen allein The Last Call – Lost Files 1962-1963 genügen schon, um diese Aufnahmen als Sternstun- den des frühen Jazz in Deutschland zu klassifizie- Sonorama L-99 ren. Für den Monat Juni ist schon die nächste Ver- öffentlichung mit dem Helmut Brandt Orchestra Einmal pro Monat ist Weihnachten. Dann ver- ”Spree Coast Jazz” Lost Modern Jazz 1963 ange- kündet das Sonorama Label aus Berlin dem ge- kündigt. Vormerken! (DO) wogenen Jazzvolk die frohe Botschaft in Form neuentdeckter Raritäten, welche uns immer wie- Mehr Informationen im Internet: der vor Ohren führen, wie wichtig es für den Ver- www.sonorama.de, www.grooveattack.com gleich mit heutigen Veröffentlichungen ist, die Vergangenheit hin und wieder zu beleuchten. In diesem Fall handelt es sich um ‚echten‘ amerika- nischen Jazz aus Dänemark und eine sensationel- le Aufarbeitung von Reel-to-Reel Bändern aus dem privaten Archiv des dänischen Saxophonis- ten Niels Husum, einer absoluten Rarität vom le- gendären Jazzkvintett 60, das 1957 gegründet wurde und als „Jazz Quintet 58“ – später in ver- änderter Besetzung als „Jazz Quintet 60“ umbe- nannt - feinsten swingenden Jazz moderner Spiel- weise oder Hardbop à la The Jazztet von Benny Various Artists Golson/ Art Farmer zelebrierte. Da Schallplatten aus dieser Periode seltener sind als ein vollständi- Cool Europe - European Progressive Jazz ges Gebiss bei Sammlern unserer Generation, lie- in Germany 1959-63 gen die Preise für Originalplatten fern manch mo- netärer Möglichkeiten. Beispiel gefällig? Der Sonorama C-100 Höchstpreis, der 2011 für die LP „JAZZ QUIN- TET 60“ (Danish Metronome MLP 15124 -62) 2004 begann Ekkehart Fleischhammer in Berlin mit gezahlt wurde, liegt bei knapp 2000 Euro. Zum einer 7“ Single des Elsie Bianchi Trio aus der Glück kann man die Gruppe nun mit einer Neu- Schweiz rare und vergessene Aufnahmen aus dem entdeckung auf Sonorama preisgünstiger hören. Bereich Jazz, Funk und Soul zu veröffentlichen. Die acht Stücke wurden 1962 und 1963 mit jun- Sein Label nannte er Sonorama, ein Wortspiel aus gen dänischen Musikern in Kopenhagen aufge- „Sonus“ und „Panorama“. (Ein ausführliches in Ella Fitzgerald - `s Wonderful nommen, von denen später der hier erst 17jährige englischer Sprache geführtes Interview kann man Niels-Henning Ørsted Pederson als Bassist zu auf der Internetseite www.allaboutjazz.com nachle- Live in Amsterdam 1957 & 1960 sen) Da wir in unserem Mitteilungsblatt etwas eu- Weltruhm gelangen sollte. Schon mit 16 Jahren NJA 1701 - www.jazzarchief.nl stand er auf der Bühne, bekam von Count Basie phorischer als in kommerziellen Magazinen schrei- ein Angebot, in dessen Band zu spielen, was er ben wollen, kann ich ohne Übertreibung sagen, dass ausschlug. Internationales Ansehen erhielt er be- die Veröffentlichungen zu den besten gehören, die Am 25. April 2017 wäre Ella Fitzgerald 100 Jahre sonders durch seine Arbeit mit dem kanadischen man als Sammler von Jazzraritäten zurzeit für sein alt geworden. Sie war die bedeutendste Jazzsänge- Pianisten Oscar Peterson, mit dem er kontinuier- Geld bekommen dürfte. Die Jubiläumsnummer 100 rin, die nicht nur ihres Gesangstalents, sondern lich swingte. Auf den vorliegenden Aufnahmen ist nun so was wie ein „Best of“ der Schatzkisten, auch ihrer Natürlichkeit und Bescheidenheit wegen hört sich NHØP an, als wäre er mit einem Bass aus denen die bisher unveröffentlichten Stücke in der ganzen Welt beliebt war. Starallüren kannte zur Welt gekommen. Sein kraftvolles Spiel treibt stammen (manche auch von kaum noch erhältlichen sie nicht. Besonders die Niederländer hatten sie ins nicht nur einem Metronom gleich die Rhythmus- Platten), entweder von alten verstaubten Reel-to- Herz geschlossen. Von 1952 bis 1965 war sie hier gruppe an, sondern ist auch in diversen Soli Reel Tapes, die auf irgendwelchen Regalen in Mu- jährlich Gast, zu Beginn mit Norman Granz‘ „Jazz ideenreich dominierend, setzte schon zu jener sikbibliotheken entdeckt wurden, bevor sie ganz vor at the Philharmonic“, wo ihre Auftritte zum krö- Zeit hohe Maßstäbe und macht uns schmerzlich lauter Staub verschollen sind oder aus privaten nenden Abschluss jedes Abends wurden. Zwei un- bewusst, wie sehr der 2005 plötzlich verstorbene Nachlässen und Archiven. Das Cover ziert ein Bild veröffentlichte Konzerte aus dem privaten Archiv NHØP heute noch fehlt. Der Trompeter Allan der Fotografin Susanne Schapowalow, deren Fotos des holländischen Impresarios Lou van Rees wur- Botschinsky war mit 23 Jahren ein weiterer man übrigens auch im Ellington Hotel in Berlin be- den anlässlich des Jubiläums für die 12. Ausgabe Youngster dieses Konglomerats, der später mit wundern kann, falls man mal zufällig da in der Nä- der Reihe „Jazz at the Concertgebouw“ der „Dutch der Danish Radio Big Band und in Deutschland he sein sollte. Es zeigt den Trompeter Fred Bunge Jazz Archive Series“ zur Veröffentlichung ausge- mit Peter Herbolzheimer arrangierte, komponierte des Joe Wick Orchesters, der leider nur 36 Jahre alt wählt. Im ersten Mitschnitt vom 5. Mai 1957 be- und spielte. Niels Husum als Tenorsaxophonist, wurde, auf den Ruinen Berlins posierend und eine gleiten Don Abey am Piano, Gitarrist Herb Ellis, Pianist Bent Axen und Bjarne Rostvold am Aufbruchsstimmung demonstrierend, deren Sound- Bassist und Ex-Ehemann Ray Brown sowie der Schlagzeug gehören ebenso zu den wichtigsten track die swingenden Klänge des Jazz waren. Diese Schlagzeuger Jo Jones die Sängerin und brillieren Protagonisten des Jazz in Dänemark, der beson- konnte man trotz der unseligen Kulturpolitik der mit Stücken wie „Angel eyes“, „Love for sale“, ders durch amerikanische Musiker inspiriert wur- Nazis auch in Deutschland wiederfinden, worüber „Just one of those things“ uvm. Der zweite Teil

Band 5, Ausgabe 1 S e i t e 17 enthält ihren Auftritt im Mitternachtskonzert im ley schon im März 1968 auf Einladung von Wim solistischen Glanztaten. Der Titel dieser wunderba- Concertgebouw vom 27. Februar 1960, zwei Wo- Johan Kuipers, einem Impresario, der normaler- ren CD wurde übrigens einem Eintrag Mobleys in chen nach dem umjubelten Konzert vor 12.000 weise Bluesmusiker nach Holland brachte, zur das Scrapbook eines Jazzfreundes entnommen. Fans in der Berliner Deutschlandhalle. Dieses Mal Tour nach Holland eingeladen wurde. Mobley ist Jede CD kann man auf der Seite des holländischen wurde sie von so genialen Kollegen wie Paul während drei unterschiedlicher Auftritte zu hören Jazzarchivs bestellen. (DO) Smith am Piano, Jim Hall an der Gitarre, Wilfred (von denen zwei Stücke aus den VARA Studios in Middlebrook am Bass und Gus Johnson am Hilversum von einer privaten Tonbandsammlung Schlagzeug unterstützt. In jedem Song wird hörbar, stammen). Sie schließen eine wichtige Lücke im dass jene Jahre den Höhepunkt ihres Schaffens Schaffen eines der wichtigsten Tenoristen der markierten. Sie hatte eine Professionalität erreicht, Hard-Bop Ära, indem sie Mobley in unterschied- mit der sie jedes Konzert zu etwas Einzigartigem lichen Konstellationen mit holländischen Musi- machen konnte. Ihre klare Stimme, die drei Okta- kern zeigen. „Summertime“, „Sonny’s Tune“ und ven umfasste, swingt mit einem unverwechselba- “Airegin“ aus dem Bellevue Theater in Amster- ren Timbre. Mit Leichtigkeit schwebt sie, wie in dam mit dem vorzüglichen Pim Jacobs Quintett, „Misty“, lässig und sicher durch schwierige Ge- dem der damals noch swingende Schlagzeuger sangspassagen. Der Einfallsreichtum des improvi- Han Bennink angehörte, demonstrieren seine sierten Scat-Gesangs scheint grenzenlos. Ihre Meisterschaft besonders in mid-Tempostücken. gleichsam mühelos perfekte Intonation, ein instink- Zwei Studio Aufnahmen mit dem achtzehnköpfi- tives Gefühl für die richtigen Pausen, die Stimme gen Hobby Orkest und weitere fünf Stücke, die wie ein Instrument einsetzend, sowie ihr wunder- mit dem Trio Agerbeek (p), van Rossem (b) und barer Sinn für subtilen Humor hinterlassen ein eu- Cees See (dr) in relaxter Atmosphäre im Rotterda- phorisiertes Publikum, welches zu vergessen mer Jazzclub B14 entstanden, sind rare Schnapp- schien, dass es schon 3.00 Uhr morgens war, als schüsse von Mobleys Genialität. Mit seinem lyri- die letzten Töne angestimmt wurden. Dem Jazzar- schen Ton, über den Kollege Benny Golson sagte, chiv in Amsterdam sei Dank, dass mit diesen Pre- er würde in sein Horn singen, schafft er flüssige ziosen die „First Lady of Jazz“ gewürdigt wird, Melodielinien und inspiriert seine Mitspieler zu aber auch beiläufig deutlich wird, dass es nie eine zweite Ella Fitzgerald geben wird. Noch erwähnt werden muss, dass wie bei allen anderen Ausgaben dieser Reihe ein sehr informatives Booklet beiliegt, Jazz in der Loge dass anschaulich die Zeit der Entstehung der Auf- nahmen reflektiert. (DO)

ieses Jahr feiert die Freimaurerloge sammlungsraum der Freimaurer, das denk- Altenburg ihre Gründung vor 275 würdige Konzert statt. Das erste Mal Jazz- Jahren. klänge in der Loge. Unser Repertoire ent- D 1742, nur fünf Jahre nach der hielt Titel, welche die Freimaurer Louis Logengründung in Hamburg, entstand hier die Armstrong, Duke Ellington, Fats Waller, Hank Mobley in Holland erste deutschsprachige Loge „Archimedes zu William Christopher Handy und andere den drei Reißbretern“. 1935 von der Gestapo komponiert oder gespielt hatten. Es war eine TO ONE SO SWEET STAY THAT WAY aufgelöst, nach 1945 inaktiv, wurde sie am sehr dichte Atmosphäre in dem relativ klei- Treasures of Dutch Jazz NJA 1604 - 18.11.2000 durch die „Lichteinbringung“ mit nen, bis zum letzten Platz gefüllten Raum. www.jazzarchief.nl der Hilfe von Brüdern aus Baden- Ein Teil der Gäste erlebte hier die erste Württemberg wiederbelebt. Begegnung mit lebendig dargebotenem Die glorreichen Tage regelmäßiger Konzerte mit Traditionellen Jazz. Überwältigender Beifall amerikanischen Jazzmusikern besonders im Con- Dem Logenbruder und Organisator des Jubilä- belohnte uns, und alle werden diesen Abend certgebouw in Amsterdam gehörten der Vergan- ums Stefan Lowisch war bekannt, dass eine mit der „hot & blue jazz band“ in Erinne- genheit an, als 1968 die hier erstmals publizierten Reihe von Jazzmusikern Freimaurer waren. Er rung behalten. Mitschnitte mit dem Tenorsaxophonisten Hank Mobley, den Leonard Feather einst als bot uns, der „hot & blue jazz band“, einen Text: Klaus Kirst „Mittelgewicht-Champion des Tenorsaxophons“ Auftritt im Rahmen der zahlreichen Festveran- Fotos: Sylvio Blüthner bezeichnete, entstanden. Der Musikgeschmack be- staltungen an. Wir waren sofort von dieser gann sich zu ändern. Somit wurden Mobleys Auf- Idee begeistert. tritte in Holland als von jemandem angesehen, der einer vergangenen Generation angehörte (obwohl Our music is a secret order Der ehemalige Sklave Prince Hall hatte bereits Louis Armstrong erst 37 Jahre alt), weil er scheinbar nicht mit dem 1775 in Boston eine erste „schwarze“ Loge Zeitgeist (in diesem Fall dem Free Jazz) ging. gegründet, der er von 1791 bis zu seinem Tod Mobley, dessen wichtigste Schaffenszeit auf vielen Blue Note Platten dokumentiert ist, kam in diesem 1807 vorstand. Sie war ausschließlich Afro- Jahr angeblich als gebrochener Mann nach Europa, amerikanern vorbehalten. In der Folge entstan- der Hilfe von Freunden suchte, die seine Musik zu den weitere gleichartige Logen im ganzen schätzen wussten, von Ronnie Scott in London mit Land. Die freimaurerischen Tugenden Frei- offenen Armen aufgenommen wurde und ab 22. heit, Gleichheit, Brüderlichkeit und Toleranz April ein Engagement in dessen Londoner Club er- sowie auch eine Neigung zu Spiritualität zo- hielt. So lautet die häufig zitierte offizielle Version gen Jazzmusiker in ihren Bann. einer Geschichte, die sich gut anhört, aber nur zur Hälfte stimmt und mit der im sehr detailreichen und mit raren Fotos gestalteten Covertext dieser Am 17. März 2017 fand dann im Altenburger CD Klarheit geschaffen wird nämlich, dass Mob- Logenhaus im sogenannten Tempel, dem Ver-

S e i t e 18 Just For Swing Gazette

Vor hundert Jahren wurde ein wichtiger Meilenstein gesetzt. Damit fing alles an. von Freddy Schauwecker

uch in diesem Jahr waren etliche Bands von Jack Laine ihre ersten Erfahrun- Live-Veranstaltungen mit Oldti- gen gesammelt haben. Dabei lernten sie me Jazz angesagt. Erfolgreich und beispielsweise auch, Auftritte diszipliniert A gut besucht. Aber war auch wie- zu spielen und bekamen mit, wie sich Musi- der Trauer über manchen Verstorbenen zu ker auf der Bühne und im Team verhalten vermelden, besonders wenn der eine oder sollten. andere Jazzgeschichte mitgeschrieben hat So auch Frank Christian (Kornett), Eddie oder einen festen Platz in der Liga der Aus- Edwards (Posaune), Alcide Nunez nahme-Interpreten belegte. So verließen uns (Klarinette), Henry Ragas (Piano) und beispielsweise Anfang des Jahres der Brite Johnny Stein (Schlagzeug). Sie hatten alle Rod Mason und Svend Asmussen aus Däne- in „Papa Jack Lane’s Reliance Brass Band“ mark. gespielt. Bald wurden diese Fünf für Auf- Ein vielleicht in Vergessenheit geratenes, für tritte nach Chicago engagiert. diese Szene sehr wichtiges Ereignis jährte Diese Fünf sollten den Sound von New sich im Februar. Zum hundertsten Mal. Die Orleans spielen, ähnlich wie die Band des Aufnahme der ersten Jazz-Schallplatte, am 1888 in New Orleans geborenen weißen 28. Februar 1917. Eine Schellackplatte. Sie Posaunisten Tom (Red) Brown, die bereits kam am 7. März 1917 auf den Markt. Vor ab 1915 im Lamb’s Cafè in Chicago, später hundert Jahren, wenn man so will. Die A-Seite der am 26. Februar 1917 aufgenommenen, ersten Platte mit der damals neuartigen Jazzmusik. auch bei verschiedenen Veranstaltungen in Für Viele war diese Gegebenheit damals Die Laufzeit der Aufnahme ist 2:35 min. New York auftrat. Einige Interpreten dieser eine echte Revolution. Aber so mir nichts dir Dieser Tonträger gilt als Jazz-Meilenstein. Formation hatten vorher ebenfalls erste nichts ist es dazu auch nicht gekommen. Ein Erfahrungen bei Jack Lane gesammelt. Die interessanter, spannender Weg wurde gegan- Mexikaner. Musik, die sie in der Band von Brown gen, bis es soweit war. Ein Weg durch viele Bedingt durch die Chronologie und die spielten, wurde auch mit ,Hot Ragtime‘ Pioniere der ersten Jahre mit dieser Musik. Gegebenheiten um „Papa Jack“ Lane ist für bezeichnet. Neben dem 1877 geborenen Kornettisten viele Experten klar, dass Dixieland-Jazz Gerade aus New Orleans gekommen, traten Buddy Bolden zählt, wie bekannt, der sieben weißen Ursprungs ist. die fünf jungen Musiker in Chicago erst- Jahre jüngere Oscar Phillip Celestin mit zu Tatsache jedenfalls ist, dass die meisten der mals am 3. März 1916 auf und zwar als den Pionieren der Musik, die später mit weißen Musiker, die später in den Norden „John Stein’s Dixie Jass Band“. So hieß der „Jazz“ bezeichnet wird. Er war, wie Bolden der USA zogen, in einer der verschiedenen Schlagzeuger. Ab Juni 1916 dann als ,The auch farbig, spielte ebenfalls Kornett Original Dixieland Jass und trat hin und wieder auch als Sänger Band‘ (ODJB) in den Chicagos Casi- auf. Er wurde in Napoleonsville, Loui- no Gardens. siana, geboren, einem kleinen Ort ca. Der Erfolg dieser neuen Gruppe mit 120 km westlich von New Orleans den Musikern der ODJB wurde in entfernt. Dahin zog er 1906 im Alter Chicago immer größer. Ihre Musik von 21 Jahren. war völlig neu. Die Presse bezeichne- Ab 1910 war er Bandleader der Haus- te das, was sie machten, als absolute band der Tuxedo Dance Hall auf der Sensation. So beispielsweise berichte- damaligen North Franklin, heute Cro- te der Chicago Herald in seiner Aus- zat Street, einer Parallel-Straße der gabe am 30 April 1916. Basin Street in Storyville. Dort spielte Nach einiger Zeit allerdings gab es er mit seiner Band zum Tanz. In der Das damalige ,Reisenweber’s Cafè‘. Ab 1910 war es der elegante für über unter den Musikern unterschiedliche 10 Jahre mit wichtigste Treff in New York für das gehobene Nachtleben. Story des Jazz nimmt er als „Papa Ce- Auf mehreren Etagen war kultiviertes Feiern angesagt. Vorstellungen, auch hinsichtlich der lestin“ einen der vordersten Plätze ein. Es lag am Columbus Circle an der 58th Street, Ecke 8th Avenue, an der süd- Gagen. Diese und andere Schwierig- „Papa Jack“ Laine gilt als erster westlichen Ecke des Central Park. Hier spielte ab Anfang 1917 die Original keiten hatten Umbesetzungen zur Dixieland Jazz Band zum Tanz und machte mit ihrer Musik Furore. Diese Jazzmusiker mit weißer Hautfarbe. Er sensationellen Veranstaltungen sollen die Einführung des Jazz in New York Folge. wurde im September 1873 als George bewirkt haben. Bereits kurze Zeit nach ihrem ersten Auftritt nahmen sie die Schließlich folgten das Quintett 1916 Vitell Laine in New Orleans geboren. erste Schallplatte mit Jazzmusik auf. dem Ruf von Al Jolson, einem damals Er war Schlagzeuger. Lane gründete bekannten Entertainer vom Broad- 1888 seine erste Band, die hauptsäch- way, und die Jungs spielten ab Januar lich Ragtime spielte und auch bei den 1917 im mehr geschossigen New vielen Straßenparaden mit dabei war. Yorker Nobelrestaurant Reisenwe- Das war sieben Jahre bevor Buddy ber‘s am Columbus Circle zum Tanz. Bolden seine erste Musikgruppe zu- Das war an der Ecke 58th und 8th sammengestellt hatte. Schon wenige Avenue, am süd-westlichen Ende des Monate danach fuhr der geschäftige Central Parks. Hier waren zu der Zeit Laine mit seiner „Reliance Brass verschiedene Locations fürs gehobe- Band“ einen Erfolg nach dem anderen nes Amüsement in unmittelbarer ein. Nachbarschaft. Über die 1876 in den USA wieder Mittlerweile spielte u. a. in der eingeführten Rassentrennungsgesetze ODJB Larry Shields für Alcide setzte er sich hinweg und bezeichnete Nunez Klarinette und für Frank die afro-amerikanischen Musikerkolle- Christian war jetzt der 1889 geborene gen in seiner hauptsächlich aus Weißen Werbeanzeige für die Tanz-Veranstaltungen im Reiseweber‘s am Columbus Circle in New York. Hier spielte ab Januar 1917 ,The Original Dixieland Nick LaRocca am Kornett. Er wurde bestehenden Band als Kubaner oder Jazz Band‘ ihre Auftritte ab 21:00 Uhr auf der zweiten Etage, im ,400 Club‘. bald Bandleader.

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Das werbewirksame Verhalten der Musiker führten ihn in New York ein. Jazz Band“ und die anderen Formationen und die einzigartige, schnelle, hektische Art In dieser Zeit schuf Nick LaRocca, auch in spielten „jetzt“ nur noch den Original Di- mit wildem Staccato zu spielen waren mit Co-Arbeit mit anderen Musikern der Band xieland One Step und nicht mehr den Dixie Gründe dafür, dass schon nach wenigen weitere, zahlreiche Kompositionen, die auch Jass Band One Step. Wochen Tonaufnahmen mit den Fünf an- heute noch gespielt werden, sich nach wie Der 1961 in New Orleans geborene Aus- standen. Eine 78er Schellackplatte. So wur- vor großer Beliebtheit erfreuen und als Ever- nahmetrompeter Wynton Marsalis interpre- de am 26. Februar 1917 der erste Tonträger green in dieser Szene gelten. Fast alle Kom- tiert leidenschaftlich und gekonnt den stim- mit Jazz aufgenommen – somit vor exakt positionen der ODJB wurden auf Noten fest- mungsvollen, traditionellen, alten Stil der 100 Jahren. Das war im Studio in der 12. gehalten und auf Tonträger veröffentlicht. Musik dieser Epoche, die heute unverständ- Etage des Hauses 46 West, Ecke 38th Der beste und populärste Titel, so Louis licher Weise mehr und mehr vernachlässigt Street, bei der Victor Talking Machine Armstrong, war der am 25. März 1918 aufge- wird. Marsalis erklärt, dass ernsthaft davon Company in Manhattan in New York, im nommene „Tiger Rag“. Auch diese Nummer, auszugehen ist, dass die Bezeichnung Top Floor dieses Gebäudes. im Grunde genommen aber alle von LaRocca „Jazz“ vom Jasmin-Blüten-Parfum der Ma- Diese Platte kam am 7. März mit dem Label gespielten Phrasierungen, inspirierte den dams in den Bordellen von Storyville abge- „Victor“ auf den Markt. Sie gilt als Jazz- jungen Bix Beiderbecke wenig später so, dass leitet worden sei. Meilenstein. Schon nach kurzer Zeit stand er leidenschaftlich kopierte. Seit jeher ist bekannt, dass Jasmin-Blüten sie für fast 3 Monate in den Charts. Ihre Man könnte sagen, dass anfangs fast die ge- nicht nur heilende Wirkung haben. Schon höchste Platzierung war Position 4. Das war samte „Original Dixieland Jass Band“, wie vor Jahrhunderten war klar, dass der verfüh- die Zeit, als der Jazz noch nicht so populär die Formation anfangs genannt wurde, Kom- rerische Duft dieser Pflanze belebend wirkt. war bzw. gerade noch in den Kinderschu- ponist des Dixie Jass Band One Step ist. Bei Schon immer wurde Jasmin auch mit Sinn- hen steckte. einigen Pressungen wird die gesamte Band lichkeit und Erotik in Zusammenhang ge- Die Produzenten der Schallplatte bezeich- als Komponist genannt. Auf anderen Labels bracht. Das englische Verb „to jazz“ steht neten die ODJB „Creators of Jazz“, Erfin- steht nur Nick LaRocca, oder Nick LaRocca, für schneller werden, beleben und in der/Urheber des Jazz. Diese Bezeichnung der Pianist J. Russel Robinson und Jo Jordan Schwung bringen. wurde später von diversen Musikern ange- zusammen. Mit belebend und Schwung wird auch das fochten. Beispielsweise auch von Jelly Roll Aber nicht nur, dass die wenig später auch charakterisiert, was anfangs von den Jazz- Morton. international bekannte Gruppe vor fast genau veteranen in und um New Orleans mit ihren Die beiden Titel auf dieser Platte waren der einhundert Jahren den Begriff „Jazz“ einge- Instrumenten zustande kam. Viele der farbi- Dixieland Jass Band One-Step auf der führt bzw. verbreitet hatte. Auch hatte sie die gen, teilweise temperamentvollen, mit viel A-Seite, mit einer Laufzeit von 2:35 min, Bezeichnung Dixieland mit ins Spiel ge- Enthusiasmus und Leidenschaft versehenen und der vom Kornettisten Raymond bracht, der Begriff für die Musik aus ver- farbigen Musiker hatten ihre Instrumente Edward Lopez sowie dem Klarinettisten schiedenen Staaten im Süden der USA. Die nach dem Ende des Amerikanischen Bür- Alcide Nunez komponierte Foxtrott Livery „Bank der Bürger von Louisiana“ in New gerkriegs, dem Civil War, 1865 von den Stable Blues mit 3:10 min. Um diesen Titel Orleans hatte um 1860 einen Zehn-Dollar- sich auflösenden Militärkapellen der Süd- gab es über einen längeren Zeitraum urhe- Schein heraus gebracht. Auf der rot bedruck- staaten Armeen erhalten. berrechtliche Probleme. ten Rückseite war das französische Wort Ab da war es ein langer, weiter Weg bis Die weißen Musiker der ODJB aus New „ZEHN“, also „DIX“ aufgedruckt. Andere zum 26. Februar 1917, dem Tag, an dem, Orleans machten in verschiedenen New Banken in Louisiana zogen wenig später wie es heißt, die erste Platte mit dem ersten Yorker Clubs durch ihre Auftritte bei den nach. kommerziell frei gegebenen Jazztitel aufge- gut besuchten Tanzveranstaltungen ab Mitte 1917 verschwanden, wie bekannt, nommen wurde. Geschweige denn bis zu 1917 mit ihrem Sound für das bessere, wei- die ,“ss“ und es hieß auch nicht mehr „Jas“, der Zeit, als diese Musik Weltkarriere ge- ße Publikum, den Jazz salonfähig. Sie „Jass“, „Jasz“ usw. Die „Original Dixieland macht hatte. Mit all ihren Facetten.

Die New Yorker Produzenten vermarkteten sie als ,Creaters of Jazz‘. Die fünf jungen, Auch die Band der ehemaligen US-Vaudeville Sängerin Sarah Martin, dritte von rechts, weißen Musiker aus New Orleans hatten durch ihre Auftritte ab März 1916 in Chicago, bediente sich der alten Schreibweise für die damalige Jazzmusik. vor allem aber ab Januar 1917 in New York, bemerkenswerte Erfolge. Anfang 1919 ging die Gruppe nach London, spielte dort etliche Auftritte und nahm für Columbia Records 20 Titel auf.

Freddy Schauwecker (Jg. 1943) begeisterte sich schon in jungen Jahren für den New Orleans Jazz und lernte Ende der 1950er Jahre Jazz-Posaune zu spielen. Seine Vorbilder waren und Chris Barber. Mit seiner Band THE JOLLY JAZZ OR- CHESTRA feierte Schauwecker in New Orleans das 25-jährige Bandjubiläum. Er hatte Einladungen ins Mississippi- Delta erhalten, wo er und seine Band 20 Auftritte spielten und Live- Mitschnitte auf der Bourbon Street für 4 CDs machten. Verschiedene TV- Statio- nen berichteten über die "Boys from Germany". Schon immer interessierte er sich für alten Jazz und die Swing-Musik aus der Zeit des Cotton Clubs, der im New Yorker Stadtteil Harlem lag. Im Laufe der letzten Jahre sprach er mit unzähligen Zeitzeugen und namhaften Musikern, besuchte historische Orte des Jazz und sammelte interessante, teilweise unbekannte und bisher kaum veröffentlichte Infor- mationen über die Historie dieser Szene. Er schreibt regelmäßig für das Jazz-Journal, Swinging Hamburg' und veröffentlichte 2013 das Buch „So war's wirklich: Die Geschichten der Titel und andere Storys aus der Welt des traditionellen Jazz und Swing“. Ein erstes Buch „Der Titel und seine Story“ von 2011 ist mittlerweile vergriffen. Das Buch ist bei AMAZON erhältlich.

S e i t e 20 Just For Swing Gazette The Original Dixieland Jazz Band The London Recordings oder wie ein englischer Pianist der erste europäische Jazzmusiker wurde Detlef A. Ott (1)

azz wurde in New Orleans gebo- pularität hatten es hier Varietés und ren. Diesen Satz findet man fast Chöre, die Negro Spirituals sangen, in jedem Buch, das enzyklopädi- gebracht. In den ersten beiden Jahrzehn- sches Wissen bietet und sich mit ten des 20. Jahrhunderts wurde die eng- J lische Szene von witzigen Music-Hall- dem Studium des Jazz der frühen Tage befasst. Es gibt aber auch Experten, die Songs dominiert, die oft vom Ragtime diese Behauptung in Frage stellen. Be- inspiriert waren. Es ist daher nicht ver- denkt man allerdings, dass die Mehr- wunderlich, dass England das erste eu- heit der schwarzen und weißen Jazz- ropäische Land war, welches für die Musiker, die in den frühen zwanziger Neuheit, die „Jass“ oder „Jazz“ genannt Jahren in den nördlichen Städten der wurde, aufgeschlossen war. Vereinigten Staaten Jazz spielten, aus Auf Einladung des Impresarios Albert dem Delta des Mississippi und seiner de Courville(2) reisten die Mitglieder der Umgebung kamen, dass zahlreiche Original Dixieland Jazz Band am 22. Schallplattenaufnahmen während des März 1919 mit dem Dampfer Adria vom Great Revival in den vierziger und New Yorker Hafen Richtung Liverpool fünfziger Jahre mit Musikern aus New und von da per Zug nach London. In der Orleans gemacht wurden, und schaut 30. Januar 1917 spielte eben diese Grup- Liste der Passagiere wurden registriert: man sich die vielen Zeitdokumente in pe, die Original Dixieland Jazz Band, für Dominick J. LaRocca, Emile Christian, den Archiven der Tulane Universität in das Columbia Label die ersten Aufnah- Anthony Sbarbaro, J. Russell Robinson New Orleans an, ist an der Legitimität men ein, die aber aufgrund der schlechten und Lawrence Shields. Die letzten bei- des ersten Satz eigentlich nicht zu rüt- Tonqualität nicht veröffentlicht werden den reisten mit ihren Frauen. Es war teln. sollten, jedoch nach dem Erfolg der spä- bereits die Originalbesetzung, mit der Ein Beweis fehlt allerdings. Es ist un- ter für das Label Victor gemachten Auf- die Original Dixieland Jazz Band aus umstritten, dass nicht eine einzige Jaz- nahmen doch noch Ende Mai 1917 hin- New Orleans kam, nachdem deren erster zaufnahme aus New Orleans vor 1917 terhergeworfen wurden. Die ODJB stellte Pianist Henry Ragas(3) 1919 an der welt- existiert. Und so gibt es immer wieder weniger als ein Jahr zuvor, von New Or- weit grassierenden Spanischen Grippe wissenschaftliche Kontroversen dar- leans nach Chicago kommend, unter den verstarb und Posaunist Eddie Edwards(4) über, ob der ursprüngliche New Or- dortigen Anhängern der modernen Tänze zum Militärdienst einberufen wurde. An leans Jazz doch eigentlich mehr Ragti- eine echte Novität und Sensation dar. Der ihrem Repertoire hatte sich trotz kleiner me Charakter hatte. Das ganze wird Chicago Herald schrieb am 1. Mai 1916: Umbesetzung so gut wie nichts geän- noch durch die Tatsache komplizierter, „… die Menschen strömten vom Norden, dert. dass der ursprüngliche New Orleans Süden, Osten und Westen zum Schiller Der Empfang in England war nicht so Jazz keinen einheitlichen stilistischen Café. Das Publikum kämpfte um Einlass. stürmisch wie der zwei Jahre zuvor in Charakter hatte. Es gab Unterschiede in Verschwitzte Türsteher riefen: ‚Wir sind New York. Mehrere lokale Zeitungen der Musik kreolischer Musiker und in überfüllt, wer nicht verhaftet werden will, stellten die Frage, was ist eigentlich der Spielauffassung der weißen Musi- sollte warten, bis jemand den Laden ver- Jazz. Der englische Markt war zu die- ker. Bedingt durch unterschiedliche lässt.‘ Die Szenen spielten sich bis 3 Uhr sem Zeitpunkt noch auf jene Schallplat- Einflüsse und Stilelemente war es ins- morgens ab.“ In Schillers Café hatten die ten angewiesen, die die ODJB für Vic- gesamt ein sehr stürmischer, synerge- jungen Musiker aus New Orleans bereits tor aufgezeichnet hatte und die zu einem tisch musikalischer Prozess, dessen den beliebten Entertainer Al Jolson, der hohen Preis verkauft wurden. De Cour- einzelne Stufen man ohne authentische der Star des ersten Tonfilms wurde, ge- ville hatte geplant, dass die ODJB im Dokumente nicht zu entziffern in der hört. Jolson setzte sich auch für ein Enga- Hippodrome spielen sollte. Die Premie- Lage ist. Die amerikanische Musikin- gement der Band in New Yorks Restau- re der musikalischen Revue „Joyful dustrie hat Hunderte von Aufnahmen rant „Reisenweber“ ein, wo die Original Bells“ fand am 7. April 1919 statt und mit populärer Musik aus den ersten Dixieland Jazz Band für mehr als zwei das Eröffnungsstück, das die Original beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhun- Jahre die Attraktion war. Kein Wunder! Dixieland Jazz Band spielte, wurde von derts gemacht. Aber keine dieser kann Der Beginn moderner Gesellschaftstänze herzlichem Applaus besonders mehrerer mit gutem Gewissen als Jazz in Be- forderte auch neue Musik, und es war Dutzender US-Truppen begrüßt. Aber tracht gezogen werden. Und so bleibt nicht möglich, mit herkömmlichen Ragti- das Orchester eroberte auch die Herzen die Frage, wann die Geschichte des me Orchestern, in denen hauptsächlich des englischen Publikums, was dem in Jazz begann und wann diese auf Saiteninstrumente dominierten, oder mit England sehr beliebten Sänger und Ko- Schallplatten gebannt und damit sein einer Art militärischer Blaskapelle die- mödianten George Robey(5) nicht pass- Klang dokumentiert wurde. sem Bedürfnis zu entsprechen. te. Nach dem Ende der Vorstellung Bekanntermaßen gilt der 26. Februar Auch in England gab es mehr als in je- stellte dessen Agent dem Veranstalter 1917 als Datum der ersten Schallplat- dem anderen europäischen Land vor dem ein Ultimatum: entweder Robey oder tenaufnahme des Jazz. Aber schon am Aufkommen des Jazz ein großes Interesse die. Und weil Robey bereits eine sehr an amerikanischer Musik. Zu großer Po-

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erfolgreiche Show hatte, mussten die Anmerkungen: Jungs der ODJB nach dem ersten Abend das Feld räumen. De Courville wusste (1) nach einem Beitrag von Z. Mácha auf jedoch Rat und verschaffte den Musi- der LP „The Original Dixieland Jazz Band - kern ein Engagement im London Palla- The London Recordings “, Supraphon, EMI, dium im Londoner Westend und später Gramofonový Klub 1015 328, 1984 in verschiedenen Clubs der Stadt. (2) Albert de Courville (1887–1960) wurde Zu dieser Zeit nahm die Original Dixie- in Croydon, England geboren. Er war Direk- land Jazz Band die ersten acht Titel für tor verschiedener Revuetheater. In den die englische Columbia Graphophone 1930er Jahren wand er sich dem Filmge- Company auf und verschaffte sich schäft zu. dadurch große Popularität in England. Im Frühherbst 1919 verschlechterte sich (3) Henry W. Ragas (* 1. Januar 1898 in Mrs. Robinsons Asthma-Krankheit New Orleans; † 18. Februar 1919 in New durch den dichten Londoner Nebel, so York City) dass sie und ihr Mann, Pianist Russell Robinson, nach Amerika zurückkehrten. (4) Edwin Branford „Eddie“ Edwards (* 22. Der Leiter des Ensembles, Kornettist Mai 1891 in New Orleans; † 9. April 1963 in ) war ein Posaunist des Nick LaRocca, fand einen talentierten Oldtime Jazz. Pianisten Billy Jones aus London, der mit seinem eigenen Quartett Ragtime (5) Sir George Edward Wade, CBE (20. spielte und bot ihm den Stuhl des Pia- September 1869-1829 November 1954), nisten an. So wurde der Londoner der beruflich bekannt als George Robey, war ein erste europäische Jazzmusiker. Billy beliebter englischer Komödiant, Sänger und Jones blieb mit dem Ensemble bis zu Schauspieler. Wie immer möchten wir an dieser Stelle das sehr dessen Abreise in die Vereinigten Staa- lesenswerte Heft der Freunde von „Swinging Ham- ten im Juli 1920 zusammen. Er ist auf burg e.V.“ empfehlen. den Aufzeichnungen der ODJB, die die Band vom 8.1. bis 14.5. 1920 in London www.swinginghamburg.de machte, zu hören. Vor ihrer Rückkehr nach Amerika hatte die Original Dixieland Jazz Band Ge- schichte geschrieben, in diesem Fall eher die einer jazzigen Tanzmusik und hat nicht unwesentlich für die Verbrei- tung der neuen Rhythmen in England und Europa gesorgt. The London Recordings sind mittlerwei- le auf unterschiedlichen Labels erschie- nen. Auch das tschechische Label Sup- raphon gab 1983 und 1984 zwei Ausga- ben heraus. Diese erfassen alle Titel, welche die ODJB in London gemacht hat. Die Toningenieure der Plattenfirma EMI erreichten eine großartige Sound- qualität, um für Jazzliebhaber die An- fänge des Jazz akustisch zu bewahren.

Plattentipp:  The London Recordings , Supraphon, EMI, Gramofonový Klub 1015 328, 1984  The London Recordings, World Record Club, R-03039, Australia, 1975 (als CD erschienen die Aufnahmen als “In London 1919-1920“ Retrieval RTR 79033, Holland, 2001)

Buchtipp:  Horst H. Lange, Nick La Rocca, Jazz Bü- cherei 8, Pegasus Verlag Wetzlar, 1960

siehe auch die Kritik zum kontrovers disku- tierten Buch von Manfred Sack in DIE ZEIT Nr. 14 von 1961: http://www.zeit.de/1961/14/waren-weisse- die-ersten-jazzmusiker (13.04.2017)

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The most unsung hero among musicians (1) „Der kreolische Klarinettist Omer Simeon“ Eine Investigation von Detlef A. Ott

or 100 Jahren, am 26. Februar mit ausgefeilten melodischen Linie auch wie- 1917, entstand die erste der zurückkehrte, würden an Noone erinnern. Schallplattenaufnahme mit Seine grellen und explosiven Töne im hohen V Jazz. Im Zuge der Erinne- Register klängen wie bei Johnny Dodds. Er rungsarbeit rückt der New Orleans Jazz besaß eine große Gabe, wunderbare Melodien mal wieder kurzzeitig in den Fokus von zu entwickeln. Trotzdem ist sein Name nur diversen Zeitungs- oder Rundfunkbeiträ- noch wenig bekannt. Das liegt hauptsächlich gen. Dann fallen neben der ODJB immer daran, dass Simeon als Solist nicht so oft in wieder häufig genannte Namen von pro- Erscheinung trat und seine musikalischen Fä- minenten Musikern, mit denen man den higkeiten, „hot“ zu spielen, in größeren For- in New Orleans kreierten Stil in Verbin- mationen von Earl Hines, Jimmy Lunceford dung bringt. Altbekannte Stories werden oder Fletcher Henderson nicht zur Geltung aufgewärmt und höchstens individuell ab- bringen konnte. „Die lange Zeit, die er in gewandelt. Dagegen bleiben andere Mu- großen Orchestern verbrachte, trug sicher siker in Vergessenheit, die zurückhaltend dazu bei, daß er sich nicht den Ruf zu ver- waren und dennoch einen maßgebenden schaffen mochte, wie etwa Jimmy Noone, ob- Anteil an der Verbreitung des Jazz hatten. wohl er ein weitaus fähigerer Solist war als Zu ihnen gehört der kreolische Klarinet- dieser.“ (5) tist und Saxophonist Omer Simeon. Die Zeit in Bigbands, in denen er mehr Saxo- Mancher müsste gestehen, diesen Namen phon spielte, hatte auch sein Spiel auf der noch nicht gehört zu haben. Dabei wurde Klarinette verändert. In den spärlich gesäten er in seiner aktiven Zeit zu den besten Aufnahmen in kleineren Formationen kann Klarinettisten des traditionellen Jazz ge- man sich am klaren Ton und der spielerischen zählt und von Mitspielern hoch- Improvisationsfreude von Omer Sime- geschätzt. Der legendäre ameri- on berauschen und würde sich mehr kanische Musikkritiker John S. „[…] Omer Simeon played in all jazz set- von diesen Aufnahmen wünschen. Wilson beschrieb Simeons Klari- tings, from small groups to the large swing Seinen ersten professionellen Job ver- nettenspiel begeistert als schaffte Simeon 1920 sein älterer Bru- (3) bands. His recorded legacy leaves no doubt „graceful“. der, der Violine spielte, in dessen Band Am 21. Juli 1902 wurde Omer that Simeon was one of the jazz world’s Al Simeon’s Hot Six. Von 1923 bis Victor Simeon in New Orleans most accomplished instrumentalists. It has 1927 spielte er in und um Chicago mit geboren. Im Alter von 14 Jahren been said that his facility, tonguing, Charles Elgar in dessen Creole Or- zog er mit seiner Familie nach chestra(6). Aufnahmen mit Elgar soll es Chicago, wo später seine musi- phrasing, tone and improvisational ideas nur eine vom 17. September 1926 ge- kalische Karriere beginnen soll- were unmatched by any other jazz clarine- ben. Allerdings ist bestätigt, dass er te. Hier wurde er vom ebenfalls tist in the 1920’s.” zwei Tage davor seine ersten Aufnah- aus New Orleans stammenden Ross Wilby,1995 men machte, die Jazzgeschichte ge- Klarinettisten Lorenzo Tio Jr.(4) schrieben haben, nämlich als Mitglied unterrichtet. Tio gehörte einer Klarinettis- von Jelly Roll Mortons , ei- ten-Dynastie aus New Orleans an, die ner Studioband für die Plattenfirma Victor in man mit der heutigen Marsalis Familie Chicago. hatte großen Res- vergleichen könnte. Als Lehrer unterrich- pekt vor Simeon und hielt ihn für den besten tete er neben Simeon eine Reihe von Klarinettisten, besser noch als Benny Good- Schülern, die später wichtige Jazzmusiker man. Auch Simeon verehrte Morton, dessen wurden: Sidney Bechet, Albert Nicholas, Band ausschließlich aus Musikern aus New Jimmie Noone, Johnny Dodds, Louis Orleans bestand. Er und der Gitarrist Johnny Cottrell Jr., Emile Barnes, Wade Whaley St. Cyr schätzten besonders die ihnen einge- und Barney Bigard. Er brachte ihnen mu- räumte Freiheit bei Morton. Simeon be- sikalische Grundlagen wie das Notenle- richtete: ”He was exact with us. Very jolly, sen und Grundbegriffe der Musiktheorie very full of life all the time, but serious. We bei. Omer Simeon hielt er von allen für used to spend maybe three hours rehearsing seinen besten und begabtesten Schüler. four sides and in that time he’d give us the Simeon stand mit seinem Spiel keines- effects he wanted, like the background be- falls im Schatten der berühmteren und in hind a solo . . . The solos, they were ad lib. der Jazzliteratur häufiger erwähnten Kla- We played according to how we felt.” Johnny rinettisten wie Johnny Dodds oder Jimmy St Cyr bestätigte diese Aussage: “Reason his Noone. Sein späterer Stil wurde von ein- records are so full of tricks and changes is the liberty he gave his men . .. he was always zelnen Kritikern zwischen Noone und (7) Dodds liegend definiert. Die langen flie- open for suggestions.” ßenden Phrasen, in denen er vom tiefen Der Smoke-House Blues vom 15. September ins hohe Register wechseln konnte und 1926 ist ein grandioses Beispiel für einen ge- (2) Foto: http://www.redhotjazz.com/omar.html

Band 5, Ausgabe 1 S e i t e 23 fühlvoll gespielten Blues. Neben Morton Jazz […]. The chorus he plays in this last und Simeon waren daran der Posaunist Kid number (Aunt Hagar’s Blues, Anm. d. A.), Ory, Kornettist George Mitchell, der Ban- with its biting inflections, is a model of jospieler Johnny St. Cyr, Bassist John Lind- “mean”, funky blues on clarinet.” Die Auf- say und Schlagzeuger Andrew Hilaire be- nahmen sind schlicht sensationell, sowohl teiligt. der Arrangements als auch der solistischen 1927 ging Simeon mit nach Leistungen wegen. Zumindest die LP King New York, wo er im Savoy in Harlem auf- Oliver „Papa Joe“ (1926-1928) King Oliver trat. Die Aufnahme ‚Organ Grinder Blues‘ and his Dixie Syncopators (Coral COPS 1955, New York) sollte sich in jeder Jazz- sammlung befinden. Von 1928 bis 1930 war Simeon wieder in Chicago und mit der Big Band des Violinis- ten Erskine Tate aktiv, und machte 1929 vielbeachtete Aufnahmen mit dem Bassisten Hayes Alvis und Jabbo Smith’s Rhythm Aces. 1931 wurde er Mitglied des Orchesters des Simeon eine enorme Aufwertung, was fast Pianisten Earl Hines, indem er bis 1940 Kla- schon einem modernen Bigband Sound äh- rinette, Bariton- und Altsaxophon spielte. nelt. In den Linernotes der LP hebt der re- Earl Hines hatte eine hohe Meinung von ihm nommierte britische Musikkritiker Stanley und beschrieb den Klarinettisten als einen Dance besonders das Bestreben Hines‘ her- ruhigen, auf seine Arbeit konzentrierten Mu- vor, all seinen Solisten genügend improvisa- siker. Simeon gehörte nicht zu denen, die torischen Freiraum zu geben. Außerdem er- mit Skandalen auf sich aufmerksam mach- wähnt er auch hier wieder die Sonderstel- ten: lung Simeons, für den sich Duke Ellington „Omer Simeon was a very quiet sort of fel- sogar interessiert habe: vom 12. September 1928 aus dieser Zeit low and serious about his work. He always „Prominent among these was Omer Sime- wurde sogar auf einer der ersten Jazzplatten stayed by himself and didn’t hang out with on, whom Duke Ellington once sought for des ostdeutschen Labels Amiga veröffent- the wilder guys. But whenever we went to his band, but who opted for the Chicago licht (Various Artists, Pioniere des Jazz, New Orleans, his people used to open the scene. ‘The most unsung hero among mu- doors, and we’d have a great time at his ho- Amiga 8 50 050). King Oliver (cor), Ed (8) sicians’, was how Barney Bigard described Cufee (tb), Omer Simeon (cl), me.” him to Anna Judd in a Jazz Clarence Williams (p) und der Gi- Journal interview (September tarrist Eddie Lang begleiten hier die My connection to Omer Simeon is that 30 1967).” Bluessängerin Victoria Spivey. Ne- or 40 years ago, I transcribed, memorized, Omer Simeon war in jenen benbei erwähnt sei, dass die repro- Jahren ein gefragter Solist, duzierte Tonqualität von 78er and performed his feature on "Shreveport was sein weiteres Mitwirken Schellackplatten auf der LP hervor- Stomp." That is the extent of my research auf Platten von Jimmy Mundy ragend ist. (1937 für das Label Variety), and understanding of him. Fletcher Henderson (1936 für Dieselbe enthält zudem eine rare Aufnahme ‚Bouncing around‘ mit (Bob Murphy, clarinet player, San Francisco, California Victor), Paul Mares (1935 für Piron’s New Orleans Orchestra, auf in an Email to the author, May 1st, 2017) OKeh’s) und Lionel Hampton der Lorenzo Tio Jr., der frühere (Victor, 1938) dokumentiert. Lehrer Simeons, zu hören ist. Die Atmosphäre im Orchester war sehr Mit einem frühen Wegbegleiter, dem Posau- Der französische Jazzexperte Hugues Panas- freundschaftlich, was sich auch auf die Qua- nisten Kid Ory, dem das sogenannte Great sié war von Simeons Spielweise ebenfalls lität der Musik auswirkte. George Dixon er- Jazz Revival ab 1939 in San Francisco wie- angetan. In seiner Analyse der Aufnahmen zählt, dass den Bandmitglie- der zu Aufmerksamkeit und öf- von King Oliver schreibt er über Simeon: dern aufgrund markanter Ei- fentlicher Reputation verhalf, “Other first-class soloists are […] Omer genschaften Spitznamen Simeon, featured on soprano sax and clari- verabreicht wurden. Simeon https://jazzlives.files.wordpress.com/2013/07/omer net: he plays both instruments, in that or- nannten sie den „Graf“, weil der, in Every Tub and Willie The Weeper; er aufgrund seiner Statur is on soprano in Black Snake Blues and und seines Aussehen diesem Farewell Blues; and on clarinet in Doctor ähnelte, der in jenen Jahren Furore machte: “John E- wing was just ‚Streamline‘ because he was thin and skinny. Darell Howard was ‚Bonzo‘. And Omer Sime- on was ‚Graf‘, short for Graf Zeppelin. He had those wide shoulders, and the Graf Zeppelin was making news that ti- me.” (9)

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Die LP „Hines Rhythm“ (Epic Records EE simeon 22021) dokumentiert einige der besten

Aufnahmen, die Earl „Fatha“ Hines and his - Orchestra zwischen 1933 und 1938 aufge- 1958.jpg nommen haben und an denen Omer Sime-

on maßgeblich beteiligt war. Das etwas schwülstige Stück ‚Rosetta‘ am Beginn der Platte erfährt durch das Saxophon-Solo von

S e i t e 24 Just For Swing Gazette spielte Simeon 1944 und 1945 be- Schlagzeuger Zutty Sin- Veröffentlicht auf dem 1947 vom Impresario achtete Aufnahmen ein, von denen gleton. Angestachelt Ahmet Ertegün gegründeten Label Atlantic an dieser Stelle zwei erwähnt wer- vom genialen spiegelt die LP „Wilbur De Paris At Sym- den sollen. Die Stücke „South“ ‚shuffelnden‘ Rhythmus phony Hall“ mit Wilbur De Paris & his New und „Blues for Jimmy“ stehen für schwingt er sich zu im- New Orleans Jazz das in den fünfziger Jah- die Vielfalt des Spiels Simeons und provisatorischen Höhen- ren kurz aufgeflackerte Interesse an authenti- wurden am 3. August 1944 in Los flügen auf, wühlt in den schem Jazz aus New Orleans wider. Das da- Angeles mit Mutt Carey (tp), Bus- Tiefen des Blues und rauf enthaltene Stück ‚Juba Dance‘, welches ter Wilson (p), Bud Scott (g), Ed zeigt, dass er ein Meis- von Simeon arrangiert wurde, ist ein Parade- Garland (b) und dem Schlagzeuger ter im Gestalten melodi- beispiel für das extravagante Klarinettenspiel Alton Redd aufgenommen. Omer Sime- öser Soli ist. des Vollblutjazzers. on demonstriert, dass er sich nicht nur Mit Louis Armstrong gibt es nur eine Auf- Kurz vor seinem Tod traf ihn der britische als Verzierer der kraftvollen Posaune nahme, obwohl beide Musiker ungefähr im Jazzkritiker Brian Rust in New York. Über Orys und strahlenden Trompete Careys gleichen Alter waren und oft mit denselben die Begegnung schrieb er im Text zur versteht, sondern gleichberechtigt als Mitmusikern spielten. Warum Armstrong Schallplatte „Omer Simeon Playing Solist jedes dieser Stücke zu etwas Be- und Simeon nicht mehr gemeinsam gespielt with“ (Ace of Hearts AH.097) sonderem macht. Mit seinem kraftvol- haben, bleibt Spekulation. Satchmo soll ja Within a few hours of docking in New York len Ton, einem leichten Vibrato und großen Wert darauf gelegt haben, dass seine on my first visit there in October, 1951, my lässigen Oktavsprüngen schlurft er be- Mitspieler ihn niemals übertrumpften. Am host and co-author of the King Joe Oliver sonders im „Blues for Jimmy“ durch ei- 13. August 1954 jedenfalls nahmen Louis book, Walter Allen, took me to hear Wilbur nen genialen Blues March. Armstrong und das Sy Olivers Orchestra de Paris and his New Orleans Jazz in ac- as Stück SKOKIAAN (Name eines illegal hergestellten Schnaps) wurde vom Saxophonisten August Musarurwa aus dem ehemaligen Südrhodesien komponiert und von Gallo D Records in Südafrika 1952 veröffentlicht. Musarurwa war eine Gallionsfigur des Bulawayo Jazz. Die instrumentale Version mit der Gruppe ‚The Bulawayo Sweet Rhythms‘ wurde 1954 in den USA Bill- board Charts auf Platz 17 gelistet. Armstrong war von dem Song so be- geistert, dass er während seiner Afrika Tournee 1961 den Komponisten kennenlernen wollte. Auf der ‚US State Department Goodwill Ambassa- dor Tour‘ sollte Musarurwa mit Armstrong auf der Bühne stehen. Satchmo wurde von Musarurwa am Flughafen von Harare abgeholt. Armstrong hatte extra für ihn ein cremefarbenes Jackett mit schwarzen Streifen und mit dem Namen Musarurwas auf dem Rücken anfertigen lassen. Die Tochter Musarurwas berichtete, dass beide Musiker auf dem Weg zur US Botschaft ununterbrochen den Song Skokiaan gesungen hätten. August Musarurwa (rechts) mit Louis Armstrong in Zimbabwe 1961

Im Laufe der Jahre war Simeon als free- mit Omer Simeon (ss), Charlie Shavers, tion at Ryan’s on 52nd Street. There were lance-musician in unterschiedlichen Taft Jordan, Abdul Salaam [William Chie- three of us. The third member of our party Bands gefragt, spielte mit Coleman fie Scott] (tp), Al Cobbs Elmer Crumley, was Omer Simeon, who was also a member Hawkins (Mai 1941), Walter Fuller Paul Seiden, (tb); Barney Bigard (cl); Dave of Wilbur de Paris’s band. We picked him (1940 bis 1942), ab 1942 bis 1950 bei Martin (p), Danny Barker (bj), Arvell Shaw up at his room in the Salvation Army hostel Jimmy Lunceford und ab Beginn der (b), Barrett Deems (dr) das afrikanische where he was living pretty frugally in an at- 1950er Jahren bis zu seinem Tod mit Stück Skokiaan auf, das mit einem grandio- tempt to get his seventeen-year-old daugh- der Band von Wilbur De Paris. Mit ihm sen Solo auf dem Sopransaxophon von ter through college, and'at his suggestion und Posaunist Jimmy Archey, Pianist Omer Simeon eingeleitet wird und zum Hit and invitation, we went with him to Ryan’s Bob Green, Pops Foster am Bass und wurde. Die Geschichte des Stückes kann and stayed through several sets, between Joe Smith am Schlagzeug nahm er am man ausführlich auf der CD „Bulawayo which this friendly, stockily-built Creole 14. Juni 1951 in den WOR Studios in Jazz“ von SWP Records nachlesen. musician sat with us and introduced us to New York City(10) eine Platte all the members of the band. für das von Francis Wolff und In the 1950s I played with The Red Onion Jazz Band in Alfred Lion im Jahr 1939 ge- New York City while I was going to school. Nearly eight years later, in June, gründete Label für Jazzmusiker I was fortunate enough to be able to sit in with Wilbur 1959, I was again in New York, Blue Note auf, die mittlerweile DeParis many times. Not only was Omer a wonderful and this time it was my host and für dreistellige Beträge im In- musician, but a tremendous man. He was very soft spoken business partner J. Robert Mantler ternet gehandelt wird (Sidney and considerate. He also played occasionally with The Red who came with me (and the great De Paris‘ Blue Note Stompers, radio and recording artist Annette (11) Onion Jazz Band subbing for our regular clarinet player. Blue Note LP 7016). Sometimes I would take him home after the gigs. He lived Hanshaw) to Ryan's, where the Aber eigentlich zeigen Simeons in Harlem. Musicians in those days were trying to integrate band, originally booked for two weeks, was still enjoying tre- Trio-Aufnahmen erst dessen black and white musicians. ganzes Potential. Die Platte mendous acclaim after eight years. I am happy to have been a part of that movement. The show had started, and as we „Clarinet à la creole“ halte ich persönlich für die beste. Sechs Carl Lunsford, Banjoplayer, San Francisco, California came in, Omer Simeon was taking der acht Stücke dieser seltenen in an Email to the author, May 5th, 2017) a typical flowing solo on Muskrat Platte wurden auch auf einer Ramble. He saw us, waved with o- LP ‚Jazz à la creole‘ auf Jazztone Eine der letzten Schallplatten, auf denen ne hand while continuing to play, and as J-1213 veröffentlicht. Das Trio bestand Omer Simeon zu hören ist, wurde am 26. soon as the set was over, he came at once to aus dem Pianisten Sam Price und dem Oktober 1956 in Boston live mitgeschnitten. our table, greeting me as a valued and long- lost friend.

Band 5, Ausgabe 1 S e i t e 25

His voice, once so deep and vibrant, was now little more than a croak. The dread disease of the throat that killed him three short months later was already fully appa- rent. Yet he cheerfully allowed me to inter- view him in the intermission, recording his remarks, and those of Wilbur de Paris, as they reminisced and did their best to recall personnels and anecdotes about the musici- ans each had worked with.

Those with whom Omer Simeon had recor- ded would alone make a pretty impressive Who’s Who of jazz, for in Chicago he had played on sessions directed by Jelly Roll Morton, Tiny Parham, Richard M. Jones, King Oliver, Earl Hines and Charles Elgar, apart from the names included on this LP. In New York, he had again worked with Jel- ly Roll, Oliver and Hines, and the last eight years of his life were spent-with Wilbur de Paris, with whose band he had visited Gha- na. (12) Am 17. September 1959 verstarb Omer Simeon an den Folgen von Kehlkopfkrebs. Er hinterließ seine Frau Eleanor, mit der er 33 Jahre verheiratet war und eine Tochter. Seine Enkelkinder Scacia (geb. 1962 und ei- nen Jungen (geb. 1968) lernte er leider nie Schallplatten mit Omer Simeon (Auswahl): mehr kennen. Seine Frau beschrieb „Simi“, wie er im Familienkreis genannt wurde:  Bechet, Sidney/ Simeon, Omer, Jazz a lá creole, Jazztone J 1213 „He was a fine gentleman, father and hus-  Reeves, Reuben/ Simeon, Omer, Complete recorded works in chronological order 1929-1933 RST Records band. We were married 33 years when he JPCD 1516-2 died. Simi came from a fine background  Omer Simeon, Playing With, Ace Of Hearts AH.97 and was very social and not apart of his working life, which was blowing that horn.  Oliver, King and his Dixie Syncopators, Coral COPS 1955 We have a lovely daughter and Simi loved  Smith, Jabbo, Volume one 1928-1929, Retrieval, FJ-131 her dearly, but he never lived to see his  Smith, Jabbo, Volume two 1929-1938, Retrieval, FJ-132 beautiful grandchildren.“(13)  Lunceford, Jimmie, The Golden Swing Years Storyville SLP 828 Seinen besonderen Charakter würdigte der amerikanische Jazzkritiker und King Oliver  Morton, Jelly Roll and Red Hot Peppers & Trios, Joker C 70/7 Diskograph Walter C. Allen wie folgt:  Wilbur DeParis & His New New Orleans Jazz, „Marchin‘ and swingin“,Atlantic 1233 „Er war bescheiden und umgänglich und  Simeon, Omer, Playing with, Ace of Hearts AH.097 kam mit jedermann gut aus, was seine lang-  Sidney DeParis And His Blue Note Stompers: währende Verbindung in vier Bands über * Sidney DeParis - DeParis Dixie, Blue Note B 6501 * The Complete Edmond Hall/James P. Johnson/Sidney DeParis/Vic Dickenson Blue Note Sessions, Mosaic, MR6-109 die Dauer von 36 Jahren beweist. Ich glau- * Sidney DeParis' Blue Note Stompers with Jimmy Archey And Omer Simeon, Blue Note BLP 7016 be nicht, dass er sich je richtig bewusst war, wie sehr er in der ganzen Welt geachtet wurde… Er erhob keinen Anspruch auf die Führerschaft, sondern war damit zufrieden, Anmerkungen: seine Rolle innerhalb der Formation der Big Bands oder als New Orleans Klarinettist (1) Klarinettist Barney Bigard im Interview mit Anne Judd für das Magazin Jazz Journal 1967 in den kleinen Bands zu spielen.“ (2) Foto: http://www.redhotjazz.com/omar.html (13.03.2017) (3) Linernotes LP „Marchin‘ and swingin“, Wilbur De Paris & His New New Orleans Jazz, Atlantic 1233 (4) Tio, Lorenzo (Junior) wurde ca. 1880 in New Orleans geboren. Sein Onkel war eine lokale Berühmtheit und Omer Simeon ist ein gutes Beispiel dafür, bekannter Klarinettist, der Allerdings keinen Jazz spielte. Tio wird in der Überlieferung von Musikern aus New sich immer wieder mit dem, was im Jazz Orleans als einer der besten Klarinettisten der frühen Jazzgeneration beschrieben. Die meisten Klarinettisten war, auseinanderzusetzen oder wie der Pia- wurden von einem Spiel beeinflusst. Er ging wie andere Musiker New Orleans‘ nach Chicago, von da nach New York, wo er zunächst auf Riverboat Shuffles von New York nach Albany spielte und später bis zu seinem nist Thelonious Monk sagte: Tod im Jahr 1932 in The Nest in NYC auftrat. Er leitete eine Band, in der auch Sidney Bechet spielte. Auch „Jazz keeps alive the flame of the sein Bruder Louis Tio, den man „Papa“ Tio nannte, war ein berühmter Klarinettist. Tio Jr. machte nur wenige Aufnahmen, die sei Talent dokumentieren. Neben der im Text erwähnten, ist Bright Star Blues mit Piron’s past, the love of the present and New Orleans Band von 1924 eine weitere, die sein Können zeigt. the hope for a better future.“ (5) John Jörgensen, Erik Wiedemann, Jazzlexikon, S.326 (6) “…and they were really quite swinging.” http://www.redhotjazz.com/elgars.html (17.03.2017) (7) Lyttelton, Humphrey, The Best of JAZZ, Robson Books, 1999, ISBN 1 86105 187 5, S. 95 Ich danke Klaus Kirst, Gerhard Kluß- (8) Dance, Stanley, The World of Earl Hine, Scribner; First Edition (September 1977), ISBN-10: 0684150301, ISBN-13: 978-0684150307, S. 77 meier, Dr. Phil Crumley, Bob Murphy, (9) Ebenda, S. 129 (10) Die WOR Radiostation ging 1922 als eine der ersten Stationen der Stadt New York auf Sendung Carl Lunsford und Thomas Schinköth (11) Sidney DeParis And His Blue Note Stompers: (12) Rust, Brian, Covertext, Ace of Hearts AH.097 für Anregungen, Hilfe und kritische (13) Eleanor Simeon in Doctor Jazz Magazine Nr. 42, 1970, www.doctorjazz.nl

Hinweise.

S e i t e 26 Just For Swing Gazette Es ist wieder da … Eddie Condons Jazzbuch Ein Klassiker der Jazz-Literatur – endlich neu entdeckt!

Gerhard Klußmeier, Rosengarten

s waren Geschichten wie die- ‚Fertig‘, sagte er. ‚Also los‘, sagte ei- se, welche Eddie Condons ner der Charlies. Die Warnlichter Buch „jazz – wir nanntenʼs flammten auf. Wir legten los, jeder für musik“, 1960, als es erstmals sich, während Fats uns zusammen- E hielt. Als wir die Nummer durchge- in Deutschland herauskam, zu einem puren Jazzvergnügen machten: spielt hatten, kam Mr. Adams aus dem Kontrollraum. Er sagte kein Wort. „Bix Beiderbecke hatte ständig Last Wir hörten uns das Rückspiel an. Ich mit seinem Stiftzahn, der vorn oben ei- konnte kaum glauben, was ich da hör- nen Schneidezahn ersetzte und ständig te, so wundervoll klang es. Ich sah heraus fiel. Dann stand Bix da und Mr. Adams an. Er lächelte. ‚Sie se- konnte nicht einen einzigen Ton blasen. hen‘, sagte er zu mir, ‚was sorgfältige Wo immer er auch arbeitete, war es Proben ausmachen. Sie haben sich Brauch, dass die Jungs aus der Band Ihrer Aufgabe ausgezeichnet entle- auf dem Podium herumkrochen und digt.‘ Ich ging zu Fats hinüber. ‚Was nach Bix' Zahn suchten. Als ich einmal spielen wir denn nun für die andere um fünf Uhr morgens in Cincinnati mit Seite?‘ flüsterte ich. ,Was ist denn Wild Bill Davison und Carl Clove in Harlem Fuss!‘ ‚Das ist nur ein klei- einem Essex 1922 über eine schneebe- ner Blues in Dur.‘ Wir schafften auch deckte Straße fuhr, rief Bix plötzlich: das. Als die Aufnahme geschnitten ,Halte den Wagen an!‘ Eine Kneipe wurde, war Mr. Adams hocherfreut. war nirgendwo zu erblicken. ‚Was ist […] ‚Wir müssen mehr solcher Auf- denn jetzt los?‘, fragte Davison. ,Ich nahmen machen‘, sagte Mr. Adams. habe meinen Zahn verloren‘, sagte Bix. Nicht minder aufregend verlief Eddie ‚Das hier ist ein ausgezeichnetes Bei- Wir stiegen aus und durchsuchten Condons Auftrag, Fats Waller für eine spiel für kluge Planung und Vorberei- sorgfältig den frisch gefallen Schnee. Schallplattenaufnahme zu engagieren. tung.‘“ Nach langem Suchen sichtete Davison Ohne Vorbereitung und nach chaoti- „Anschließend brachte die Southern ein winziges Loch. Darinnen fand er schen und mit Gin durchtränkten Tagen Music Company nach sorgfältiger den Zahn, der sich langsam einen Weg drohte ein Fiasko: durch den Schnee bahnte. Bix befestig- Planung und Vorbereitung die Platten te ihn wieder in seinem Mund. Wir fuh- „Zehn Minuten vor zwölf spazierten wir auf ‚Victor‘ heraus, jedoch mit ver- ren weiter zur ‚The Hole in the Wall‘, in die Liederkranz Hall an der 58. Stra- tauschten Titeln: Harlem Fuss nannte wo wir jeden Morgen für Koteletts, ße und Lexington Avenue. Mr. Adams sich The Minor Drag und The Minor Butterbrote und Gin spielten. Es war wartete bereits auf uns. ‚Ich stelle fest, Drag hieß Harlem Fuss. Ich erhielt bezeichnend für Bix, dass er den Zahn dass Sie pünktlich sind‘, sagte er zu meine fünfundsiebzig Dollar für den nie richtig festmachen ließ. Er fand mir. ‚Meinen Glückwunsch!‘ Zu Fats Auftrag […]“ einfach den Weg zum Zahnarzt nicht.“ sagte er: ,‘Nun, Mr. Waller, was soll es denn heute Morgen werden?‘ ‚Nun, Mr. Adams‘, antwortete Fats artig, ‚ich denke, heute Morgen werden wir mit ei- ner Kleinigkeit beginnen, die wir The Minor Drag nennen. Es ist eine langsa- me Nummer. Dann haben wir da eine kleine Sache für die Rückseite, die wir…‘ – er zögerte – Harlem Fuss nen- nen.‘ ‚Exzellent‘, sagte Mr. Adams, ‚Beginnen wir mit The Minor Drag.‘ Als dieses Buch 1960 bei der Nym- Wir stimmten unsere Instrumente. Fats phenburger Verlagshandlung in Mü- wiederholte seine Instruktionen. Er chen erschien, wurden lange Passagen spielte uns das Thema vor. Als ich ihn davon im „Jazz Podium“ abgedruckt. hörte, wusste ich auch, warum wir kein Das Buch (Originaltitel: „We called it Textbild der deutschen. Erstausgabe Schlagzeug benötigten – seine linke music. A Generation of Jazz“, 1947), Hand würde schon für den Bass sorgen. war wie Jazz in Buchstaben und traf

Band 5, Ausgabe 1 S e i t e 27 genau den Ton damaliger Jazzfreunde diese inspirierende Musik hatten: absolut Eddie Condon und vor allem den der Musiker, die begeisternd und anregend wie der Jazz sich darin wiederfanden, wie bislang in selbst … jetzt sicherlich auch für jüngere „jazz – wir nanntenʼs musik“ keiner noch so interessanten Abhand- Freunde der swingenden Musik. lung über diese Musik. Anstelle der (anonymen) Zeichnungen der Eddie Condon zeigt u.a., welch integ- deutschen Erstausgabe, wartet das mehr Übersetzt aus dem Amerikanischen rierende Wirkung diese neue Musik in als empfehlenswerte Buch nun mit 16 Fo- von Rolf Düdder und Herbert Schüten den 1920er Jahren zwischen der to-Seiten sowie 50 weiteren Fotografien schwarzen und weißen Bevölkerung zum Text auf – überwiegend unveröffent- Erweiterte Neuausgabe. 368 Seiten sowie Musikern hatte. Er belegt, dass lichte aus dem Condon Privatarchiv. Langen Müller Verlag, München der Jazz für Musiker und Zuhörer ne- ben den später sicherlich meist überbe- Eddie Condon (1905-1973), nach dem ISBN: 978-3-7844-3409-4. 25,00 € Charakteristischen seines Buches befragt, werteten soziologischen Aspekten vor Preis eBook: 19,99 € allem die Bedeutung frischer, fröhli- antwortete: „Man kann es kaufen.“ cher, doch musikalisch herausragender, Und das kann man nun endlich auch hier- Unterhaltung hatte. zulande wieder. Foto: Eddie A. Condon posiert fürs TIME Magazine Dabei galt es, sowohl bei „schwarz“ und „weiß“ oder auch „gemischt“, Spaß zu haben und das Publikum dabei zu begeistern. Jetzt ist dieses, besonders durch die au- tobiografische, oft selbstironische Dar- stellung eines bedeutenden Insiders wichtige Buch endlich wieder neu er- schienen: Mit Vorworten von Götz Alsmann und Condons Tochter Maggie Condon, Essays von Thomas Sugrue sowie Hank OʼNeal über Condon und einer Übersicht der Chicagoer Bands der 1920er Jahre. Das Vorwort von Louis-Armstrong- Preisträger Götz Alsmann belegt auch die Wirkung, die dieses Buch bei sei- nem Ersterscheinen einst bei jenen er- zeugte, die das erkennende Gespür für

Die Erstauflage von 1947 wurde 1962 nochmals aufgelegt. Eine neue Ausgabe von Gary Giddins erschien 1988 und 1992 (Abb.)

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Herausgeber WWW.JAZZCLUB-LEIPZIG.DE JUST FOR SWING Just For Swing ist eine Non-Profit Organisation zur I never have to rehearse, all I need is a group Verbreitung des Swing-Virus of good jazzmen.“ (Sarah Vaughan) Redaktion: Detlef A. Ott (Herausgeber)

Mitarbeit an dieser Ausgabe: Peter M. Colev, Phil J. Crumley (USA), Hans-Joachim Kert- scher, Klaus Kirst, Gerhard Klußmeier, Harald Krause, Gerd Mucke, Kerstin Ott, Uwe Mahlstedt, Winfried Maier, Freddy Schauwecker, Siegfried Schmidt-Joos, Klaus Schnei- der, Thomas Schinköth, Scott Yanow (USA)

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DRUCK: ESF-PRINT.DE, RIGISTR. 9, 12277 BERLIN

Samstag, 19.August 2017 14.30 Uhr Open Air Konzert "Chemnitz swingt" Neumarkt in Chemnitz Freddy Schauwecker Stephan Schulz / Detlef A. Ott Let’s go to What a wonderful world THE VERY BEST OF JAZZ Als Louis Armstrong durch den Osten tourte

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