Kultivierungshypothese (Cultivation Hypothesis)
Total Page：16
File Type：pdf, Size：1020Kb
Repositorium für die Medienwissenschaft Ingo Lehmann; Hans Jürgen Wulff Kultivierungshypothese (cultivation hypothesis). Eine Bibliographie 2003 https://doi.org/10.25969/mediarep/12740 Veröffentlichungsversion / published version Buch / book Empfohlene Zitierung / Suggested Citation: Lehmann, Ingo; Wulff, Hans Jürgen: Kultivierungshypothese (cultivation hypothesis). Eine Bibliographie. Hamburg: Universität Hamburg, Institut für Germanistik 2003 (Medienwissenschaft: Berichte und Papiere 12). DOI: https://doi.org/10.25969/mediarep/12740. Erstmalig hier erschienen / Initial publication here: http://berichte.derwulff.de/0012_03.pdf Nutzungsbedingungen: Terms of use: Dieser Text wird unter einer Creative Commons - This document is made available under a creative commons - Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0/ Attribution - Non Commercial - No Derivatives 4.0/ License. For Lizenz zur Verfügung gestellt. Nähere Auskünfte zu dieser Lizenz more information see: finden Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/ https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/ Medienwissenschaft / Hamburg: Berichte und Papiere 12, 2003: Kultivierungshypothese / Cultivation Hypothesis. ISSN 1613-7477. Redaktion und Copyright dieser Ausgabe: Ingo Lehmann u. Hans J. Wulff. Letzte Änderung der Bibliographie: 18. Dezember 1999. URL der Hamburger Ausgabe: .http://www1.uni-hamburg.de/Medien/berichte/arbeiten/0012_03.pdf. Inhalt: Ingo Lehmann / Hans J. Wulff: Kultivierungshypothese Kultivierungshypothese: Eine Bibliographie. Komp. v. Hans J. Wulff Ingo Lehmann / Hans J. Wulff: gen der „Cultural Indicators Research Group“ wurde Kultivierungshypothese (cultivation eine eigene Methodik etabliert: (1) In einem zwei- stufigen Verfahren erfolgte zunächst die möglichst hypothesis) umfangreiche Untersuchung der im Fernsehen dar- gebotenen Realität (message system analysis) hin- Im Rahmen der Medienwirkungsforschung von dem sichtlich geographischer, demographischer und the- Kommunikationswissenschaftler George S. Gerbner matischer Strukturen, unter Berücksichtigung räum- und der Annenberg School of Communication, Phil- licher und zeitlicher Dimensionen. Diese Daten wur- adelphia, seit Ende der 1960er Jahre entwickelte den auf die Persönlichkeitsmerkmale, den Beruf, das Theorie, nach welcher eine nachhaltige Einflussnah- Schicksal sowie die Handlungen und Haltungen der me durch das Fernsehen und die in den Programmen Akteure bezogen. (2) Den zweiten Schritt stellt die vermittelten Inhalte auf das Weltbild des Rezipienten eigentliche „Kultivierungsanalyse“ (cultivation ana- angenommen wird. Dem Fernsehen kommt nach lysis) dar – die erfassten markanten Merkmale der Gerbner und seinen Kollegen neben der Familie und „Fernsehwelt“ werden mit den Einstellungen von dem Freundeskreis die Rolle des Sozialisationsagen- Rezipienten verglichen, um so den Grad eines mög- ten unseres Zeitalters zu. Es ist demnach das ent- lichen „Kultivierungs-Effekts“ zu ermitteln. Gerbner scheidende Massenmedium der modernen (US-ame- ging hier von der Prämisse aus, dass sich mit stei- rikanischen) Industriegesellschaft, welches aufgrund gendem Fernsehkonsum die Wahrnehmung und die seiner allgegenwärtigen Verfügbarkeit, seiner Grundhaltung der Rezipienten gemäß dem verzerr- scheinbaren Realitätsnähe sowie der Kohärenz der ten Bild von der Wirklichkeit, wie es das Fernsehen transportierten Botschaften zur Formung eines kol- zeichnet, verändern. Ein dritter Schritt der Analyse, lektiven Bewusstseins in der Kultur beiträgt. Als ein der den beiden genannten vorgeschaltet ist, ist die schichten- und altersübergreifendes Ritual dient der Untersuchung der Selektionsprozesse, an deren Ende Fernsehkonsum Gerbner zufolge in der heutigen sä- die Nachrichten und Inhalte stehen, die tatsächlich kularisierten Gesellschaft geradezu als Religionser- von Fernsehveranstaltern distribuiert werden (insti- satz. Entsprechend interessiert sich die Kultivie- tutional process analysis). rungsforschung nicht für Effekte einzelner Sendun- gen oder Gattungen, für stilistische Eigenheiten oder Im Zuge der bis in die frühen 1980er Jahre erstellten ästhetische Qualitäten, sondern für langfristige Ef- „violence profiles“ konnte die Gerbner-Gruppe mit- fekte, die das Gesamtprogramm im Verhalten und in tels der Inhaltsanalyse (inklusive der Errechnung des Einstellungen von Zuschauern entfaltet. „Gewaltindexes“ und der „Risikoquote“) einerseits einen – im Verhältnis zu dem in der Realität tatsäch- Grundsätzlich grenzt sich dieser Ansatz bewusst von lich existenten – übermäßig hohen Anteil gezeigter herkömmlichen, bis dato in der Medienwirkungsfor- und thematisierter Gewalt in Fernsehprogrammen schung üblichen Kategorien wie „Effekt“ bzw. „Ein- nachweisen; andererseits ergaben Fragebogen-Erhe- fluß“ (impact) ab, mittels derer eine unmittelbare, bungen sowie die Auswertung anderer Untersuchun- also kurzfristige Wirkung des Mediums angedeutet gen (des „National Opinion Research Center“ bzw. worden war. Ausgehend von einer Studie über die des „Center for Political Studies“ an der University Präsenz und den Einfluss medialer Gewaltdarstellun- of Michigan), dass Vielseher im Gegensatz zu We- Kultivierungshypothese / Cultivation Hypothesis // Medienwissenschaft/Hamburg, 12, 2003 /// 2 nigsehern die Alltagsrealität für gewalttätiger halten, mäßigten öffentlichen Meinung eine Nivellierung er- als sie in Wirklichkeit ist. Gleichzeitig zeichneten fahren. Zur Ermittlung dieses Effekts wurden bspw. sich erstere laut den Umfrageergebnissen durch eine Wenigseher- bzw. Vielseherantworten aus unter- größere Angst vor Gewalt und durch Misstrauen ge- schiedlichen politischen Lagern untereinander ver- genüber den Mitmenschen aus. Die Gruppe der Viel- glichen. Bei der Auswertung ergaben sich bei den seher reagierte also eher mit „Fernsehantworten“, Wenigsehern viel größere Einstellungsdivergenzen wohingegen die Wenigseher sich in ihrem Antwort- als bei den Vielsehern. Die Resonanz-Annahme da- verhalten mehr an der Realität orientierten. Aus der gegen besagt, dass eine Botschaft des Fernsehens, Differenz der Prozentanteile der Vielseher und der die mit einer durch die Alltagserfahrung geprägten Wenigseher, die eine „Fernsehantwort“ gaben, wur- Einstellung des Rezipienten übereinstimmt, die Kul- de das „cultivation differential“ errechnet – als Indi- tivierungseffekte zusätzlich verstärkt; stimmen sie kator für das Ausmaß der Verzerrung des Weltbildes nicht überein, schwächen sich auch die Effekte ab. durch den Fernsehkonsum. Aus diesen Ergebnissen Allerdings werden oft konvergierende (also: verstär- leiteten Gerbner et al. eine direkte Beziehung zwi- kende) Programme selektiert. schen Sehdauer und Beeinflussungsintensität ab, die sich v.a. in der bei Vielsehern häufig auftretenden All diese Ergänzungen zur K. verweisen gemäß „erbärmliche Welt“ – Einstellung, einer generell pes- Gerbner deutlich auf die machterhaltende und -stabi- simistisch-misanthropen Haltung äußere. lisierende Funktion des kommerziellen amerikani- schen Fernsehens, welches, auch aus ökonomischen In den Folgejahren erweiterte und differenzierte sich Beweggründen, im Sinne einer politisch-weltan- das Forschungsgebiet, und es wurden in zahlreichen schaulichen Sozialisation die konservative Haltung Studien im Umfeld der Annenberg School auch an- des Durchschnittsbürgers propagiere, um so die brei- dere Themenfelder und Zusammenhänge Gegen- te Basis der Bevölkerung zu erreichen. stand von Untersuchungen, wie z. B. der Umgang mit dem Alter, politische Inhalte, Täter-Opfer-Kon- Seit Beginn der 1980er Jahre erfuhren die K. sowie stellationen, Drogen-Konsum oder Sexualität. Auch die Forschung der Annenberg School insgesamt eine wurde das Modell in zahlreichen nicht-amerikani- vehemente Kritik durch andere Wissenschaftler, und schen Mediensystemen mit weitestgehend überein- das Gerbnersche Konzept ist bis heute Gegenstand stimmenden Befunden angewendet. Im Anschluss an einer lebendigen Diskussion. Für besondere Auf- die zunächst dominante Inhalts- und Einstellungs- merksamkeit sorgte die Kontoverse zwischen dem analyse wurde die entsprechende Kultivierung der Gerbner-Team und Paul M. Hirsch, der, obwohl er präsentierten Werte und Normen auf Seiten des Re- den Ansatz prinzipiell für wichtig befand, insbeson- zipienten erforscht. Diese Öffnung im Ansatz der dere die methodische Vorgehensweise in Frage stell- „Vielseherforschung“ ging mit der Weiterentwick- te. Darüber hinaus zweifelte er die Grundannahmen lung der methodischen Praxis und des theoretischen und Ergebnisse der Annenberg School an und suchte Konzepts einher. Es wurden erstmalig die schon ge- deren Hauptargumente systematisch zu entkräften. festigte Haltungen und die Realitätserfahrung der Ein Hauptvorwurf richtete sich gegen Gerbners ver- Zuschauer mit in die Überlegungen einbezogen. einfachende und somit die Ergebnisse verfälschende Eine Beeinflussung der Einstellung des Zuschauers Aufteilung der Rezipienten in Viel- und Wenigseher durch die „Fernsehwelt“ bereits voraussetzend, dif- – Kategorien, die gleichfalls definitorisch unscharf ferenzierten einige Zusatzhypothesen zum Mainstre- verwendet würden. Nach Einführung der zusätzli- aming und zur Resonanz (resonance) besondere Ten- chen Gruppen der Nicht- und Extremseher sowie un- denzen und Ausrichtungen der medialen Einfluss- ter Berücksichtigung entscheidender personenspezi- nahme. Das Konzept des Mainstreaming beschreibt fischer Drittvariablen (Bildungsgrad, soziales Um- einen konvergierenden Effekt des Fernsehens, der feld, Geschlecht