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FDP „Häßliches Gesicht“ SPIEGEL-Reporter Hans-Joachim Noack über die Liberalen vor ihrem Sonderparteitag in Gera

er Beschluß wurde einmütig gefaßt auf die verworrene Seelenlage der ge- sich bestätigt. Hat er nicht immer gepre- und ist, was seine Begründung an- schrumpften Pünktchen-Partei – und die digt, die FDP benötige „ein Koordina- Dbelangt, ein Novum im Parteienle- soll sich am kommenden Wochenende tenkreuz von Werten und Grundsät- ben der Bundesrepublik. Auf einer De- ins deutlich Positive wandeln. Im thürin- zen“, um im Ernstfall sturmfest dazuste- legiertenkonferenz saß der FDP-Kreis- gischen Gera wollen die Freidemokra- hen? Aber der Vorstand habe das verband Herford beisammen, um seine ten einen grundlegenden Erneuerungs- „weggebügelt“. Kandidaten für die im Mai 1995 prozeß einleiten. Gottlob macht sich nun, wenn man in Nordrhein-Westfalen anberaumten Eine „schonungslose Bestandsaufnah- Hoyer folgen darf, die um ihre Identität Landtagswahlen zu bestimmen. Er ver- me“ kündigt der Bundesvorsitzende ringende Basis auf die blaugelben Sok- zichtete einstweilen darauf. an; sein auf Abruf arbei- ken – eine etwas geschönte Behauptung. Ungerührt nennt der Vorsitzende tender Adlatus preist die Zwar mag der Ausstand von Herford Burkhard Zurheide den bis Januar be- erstaunliche Hingabebereitschaft der nicht symptomatisch sein. Doch der fristeten Streik einen „Akt der politi- Freunde. Quer durch die Reihen wer- frohgemut-beherzte Aufbruch, wie ihn schen Notwehr“, der die Führungscrew den zu seinem Entzücken Konzepte en der Manager zweckdienlich suggeriert, in Bonn unter Druck setzen möchte. masse verfertigt. „Vom kleinen Ortsver- wird von einer schmerzlichen Selbstka- Werde dort nämlich „drauflosgewursch- ein bis zum einzelnen Hochschulprofes- steiung begleitet. telt, wie wir das täglich erfahren“, sei es sor“ gehen im Bonner Thomas-Dehler- Das Dilemma ist, daß sich die FDP als sicher vernünftiger, eine „Freie Liste“ Haus Papiere darüber ein, wie die Libe- „die Partei mit dem häßlichen Gesicht“ aufzustellen. ralen noch zu retten sind. (so der Hamburger Landesverbandschef Droht den eh schon schwer gebeutel- „Es ist einfach irre“, entfährt es dem Rainer Funke) gebrandmarkt sieht. Der ten Liberalen die erste Absplitterung? ansonsten eher zurückhaltenden Gene- Bonner Vorturner Kinkel benutzt dafür Noch ist es nicht soweit. Das seltsame ralsekretär, der im Hauptquartier den die Metapher „Unbeliebtheitskurve“, in Junktim wirft aber immerhin ein Licht Sonderkongreß vorbereitet, und er fühlt die sich die Liberalen nach seinem Emp- finden verrannt haben, und dieses Dauermanko schlägt jetzt auch zuneh- mend nach innen. Weh- leidigkeit und eine aus geschädigtem Selbst- wertbewußtsein gespei- ste Aggressivität beherr- schen den internen Dis- kurs. Im Vorfeld des Gera- er Großversuchs und ih- res eigenen Parteitags (am vergangenen Sonn- abend in Castrop-Rau- xel) präsentiert sich so die NRW-FDP in einer Serie von Bezirkskonfe- renzen: Im Kern geht es da nicht nur um das po- litische Überleben ihres ausgefeilten Egomanen Jürgen Möllemann – der Unterbau des mit 20 000 Mitgliedern weitaus be- deutendsten Landesver- bands probt die Revolte und zeigt sich zugleich ziemlich desorientiert. Im sauerländischen Attendorn etwa ist es keineswegs bloß der eit- le Störenfried aus Düs- seldorf, der Kinkel & Co. für den Absturz Frankfurter Allgemeine verantwortlich macht.

40 DER SPIEGEL 49/1994 Selbst der bedächtige Bielefelder Mölle- mann-Rivale Joachim Schultz-Tornau bekennt sich, nachdem er gegen die Bonner Kollegen vom Leder gezogen hat, zu seinen „erheblichen Depressio- nen“. Natürlich sähe man an Rhein und Ruhr, wo die FDP in zahllosen Kommu- nen zur bespöttelten Krümeltruppe her- absank, am liebsten Köpfe rollen: Aber wo sind die Alternativen? „Personelle Konsequenzen“, wie sie der schleswig- holsteinische Chefliberale Jürgen Kop- pelin nach dem Wahldesaster am 16. Oktober forderte, werden auch an- dernorts unverhüllt ersehnt – und dann entmutigt wieder verworfen. Die sich windende Partei leidet unter ihrer Führung, und so gerinnt denn vie- les, was sie mit Blick auf Gera an tief- greifendem Umbruch propagiert, zur schieren Ersatzhandlung. Was heißt das schon, sich ein „geschärftes Profil“ ge- ben zu wollen? Und gelänge es ihr tat- In der blanken Not erinnert sich die FDP ihrer Sozialliberalen sächlich: Wo ist die Kraft, die das neue – unbekannte – Programm in Politik um- setzt? Aus dem Wust der Schlagworte, die dem „Grundsatz-Konvent“ den Weg weisen, schält sich der schillernde Impe- rativ des künftigen Generalsekretärs : Eine gesäuberte und „reinrassige FDP“ möchte der sei- ner Organisation verordnen und trifft sich insoweit mit dem munteren Quer- denker Fritz Fliszar, der der partei- nahen Friedrich-Naumann-Stiftung vor- steht. Beider Sorge gilt dem verödeten In- nenleben der Liberalen, das sich an der jahrzehntelangen Machtteilhabe aufge- rieben hat. Zwar empfehlen sie der FDP nicht die Rekonvaleszenz in der Opposi- tion, aber der Parteikörper soll gesun- den, indem er sich von den kompromiß- behafteten Regierungsgeschäften ab- koppelt. Fliszar argumentiert, daß jene, die in Gera „die Gruppe der Erneuerer“ bil- den, „nicht mit denen identisch sein können, die in Bonn im Koalitionsma- nagement wirken“. Dem Obersten Klaus Kinkel, der ja bereits die Tren- nung von Amt und Mandat als Schnaps- idee verhöhnt, dürfte das kaum gefal- len. Und wahrscheinlich ist der schmal- brüstigen FDP auch die Traute dazu ab- handen gekommen. Daß die einen „über den Wolken“ (Hoyer) am hehren Theoriegebäude basteln, während sich das Spitzenpersonal an der täglichen Realität abarbeitet, könnte die ohnedies

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DEUTSCHLAND J. H. DARCHINGER Freiburger FDP-Programmparteitag 1971*: Die Schuld der Alt-Elefanten

beträchtliche Spaltungsgefahr weiter Fraktion als Firlefanz attackiert, in der vorantreiben. Die Angst davor (die zu- Partei neuerdings an Gewicht? Er sei weilen eine heimliche Lust-Angst ist) ni- „stolz auf den linken Flügel“, hat sich in stet schon jetzt in den meisten unteren der vergangenen Woche der Vorsitzen- Gliederungen. de Klaus Kinkel gegenüber dem SPIE- Was da im Thomas-Dehler-Haus als GEL offenbart und den vermuteten erfreulich und vital ausgegeben wird, Rechtstendenzen den Kampf angesagt. beschreibt in Wahrheit die wachsenden Damit habe er „nichts am Hut“. Fliehkräfte, die die Partei durchrütteln. Doch Zweifel sind angebracht, daß Je geringer der Wählerzuspruch, desto dem erst im Februar 1991 in die FDP ungebremster wuchern unter den ver- eingetretenen langjährigen Staatsbeam- bliebenen Resten der FDP die Erlö- ten der Kongreß in Gera wirklich ein sungsphantasien. Herzensanliegen ist. So einen Parteitag Wohin steuert das freidemokratische könne „man immer machen“ – lapidarer Panikorchester, wenn es denn über- O-Ton Kinkel noch nach dem nieder- haupt noch steuert? Die einzigen wirkli- schmetternden 16. Oktober. Das nährt chen Schlagzeilen trug ihm bislang das den Verdacht auf rhetorische Pflicht- sogenannte Berliner Manifest einer Cli- übung. que um den vormaligen Generalbundes- anwalt Alexander von Stahl ein. Der möchte die Partei auf strammen Rechts- Liberaler Existenzkampf kurs trimmen. Der populistisch-alerte „in der Gesäßtasche Alpenkönig aus dem benachbarten Österreich, Jörg Haider, läßt grüßen. des Bundeskanzlers“ Als Gegenpol dazu meldet sich ein Zirkel zurück, in dem die Justizministe- Denn der zwischen Flattrigkeit und rin Sabine Leutheusser-Schnarrenber- aufgesetzter Entschlußkraft schwanken- ger das Wort führt und dessen völlige de Schwabe, der die Rolle als Chef Auszehrung schon besiegelt schien. In „mittlerweile angenommen“ zu haben der blanken Not erinnert sich die FDP behauptet, liegt noch mit sich selbst im ihrer Sozialliberalen, die einst vor gut Konflikt. Er zeigt sich fortwährend ge- zwei Jahrzehnten die Richtung be- kränkt darüber, daß alle Welt vorwie- stimmten. gend ihm den traurigen Zustand seiner Für Gesprächsstoff sorgen nun wieder Couleur anlastet, „während doch ande- insbesondere jene 1971 zum Programm re auch ihren Teil dazu beitrugen“. Sol- erhobenen „Freiburger Thesen“ – che Mißstimmungen beeinträchtigen die Hauptautoren: der früh verstorbene Ge- Souveränität, die der programmatische neralsekretär Karl-Hermann Flach und Befreiungsschlag verlangt. der ehemalige Innenminister Werner In der Sache hat Kinkel wohl recht, Maihofer. Sogar der theoretisch nicht wenn er die von ihm gern als „Alt-Ele- gerade ausgewiesene Jürgen Möllemann fanten“ apostrophierten Hans-Dietrich plädiert mit flotter Inbrunst dafür, Genscher und für „diese Grundorientierung“ („Freiburg den schleichenden Niedergang in die zwo“) fortzuschreiben. Gewinnt, was die auf völkisch-natio- * Walter Scheel, Werner Maihofer, Heiner Bre- nalen Vorstellungen fußende Stahl- mer, Hans-Dietrich Genscher.

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flüsterungen offensteht. Soll sie sich nach links oder rechts davonmachen, die Mitte ins Visier nehmen oder besser doch die Peripherie besiedeln? Für na- hezu alles gibt es Souffleure – etwa die Frankfurter Allgemeine, der „ein Platz am Rande nicht verkehrt“ erscheint. Da hierzulande aber nur die Behaup- tung, der politischen Mitte anzuhängen, ein halbwegs positives Image befördert, hören das die Führungsfiguren mit Grausen. Von Kinkel über bis hin zum irrlichternden Günter Rexrodt wird die freidemokrati- sche „Unverrückbarkeit“ beschworen. Direkter zeigt die FDP an der Basis – zum Beispiel auf dem jüngsten Parteitag des hessischen Landesverbandes – ihre Neigung zum Sprunghaften. Ermutigt von starkem Applaus sah dort die Delegierte Julia Kappel die Li- beralen „am Scheideweg“. Einen Spalt im besetzten Mitte-Links-Spektrum ver- teidigen zu wollen, hält sie längst für

A. SCHOELZEL vergebliche Liebesmüh – „auch wenn FDP-Rechter von Stahl das noch so bitter sein mag“. Zu suchen, Haider läßt grüßen heißt das im Klartext, ist also die rechte Nische, in die alsdann die entsprechen- Verantwortung zwingt. Gewiß ist dem den Themen einzuschleifen sind. Existenzkampf der FDP eine geraume Möglich, daß sich die Kappels und Inkubationszeit vorausgelaufen, ehe er Stahls noch in der Minderheit befinden, sich jetzt, wie der Grüne Joschka Fi- doch die vermeintliche Renaissance der scher stichelt, „in der Gesäßtasche des Sozialliberalen steht auf ebenso schwa- Kanzlers“ abspielt. chen Füßen. Deren Clou, den alten Aber was bringen derartige Einsich- „Freiburger“ Werner Maihofer aus der ten? Im ausgehenden Katastrophen- Versenkung zu holen, belegt wohl eher Wahljahr 1994, in dem die Liberalen ihr Unvermögen. weder über einen Genscher auf der Hö- Ein bißchen fühlt sich der 76jährige he seiner Finessen noch über zugkräfti- Rechtsprofessor aus Überlingen schon ge Inhalte verfügen, empfiehlt Fritz Flis- gelockt, aber er stellt Bedingungen. Zu- zar ein der Lage angepaßtes Verfahren: nächst einmal müsse die Partei den „Neue Themen“ müssen aus der Taufe Nachweis erbringen, „daß es ihr wirk- gehoben werden, die sich erst danach lich ernst mit dem Neuanfang ist“. In ei- „ihre Personen suchen“. nem „Weiter-so, wie ich es über zwei Erschwerend kommt sicher hinzu, Jahrzehnte hinweg erlebt habe“, will daß eine Partei, der die charismatischen sich der einstige Vordenker nicht mehr Vorleute fehlen, wenig hilfreichen Ein- verschleißen. Y K. HOLZER / ZEITENSPIEGEL FDP-Veteran Maihofer: Comeback unter Bedingungen

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