SWR2 Musikstunde
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SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Musikstunde "... er wird uns alle in den Schatten stellen!" Eleganz und Charme, Esprit und Gelehrsamkeit - zum 250. Todestag von Jean-Philippe Rameau (4) Von Antonie von Schönfeld Sendung: Donnerstag, 11. September 2014 9.05 – 10.00 Uhr Redaktion: Ulla Zierau Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Musik sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für € 12,50 erhältlich. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de 2 Musikstunde mit Antonie v. Schönfeld SWR2 Donnerstag, 11. September 2014, 9.05-10.00 „...er wird uns alle in den Schatten stellen!“ Eleganz und Charme, Esprit und Gelehrsamkeit - zum 250. Todestag von Jean-Philippe Rameau (1-5) IV. Lulliste contre Ramoneurs Denis Diderot, Rameau’s Neffe, etwa Seite 5: Ich: Àpropos den Onkel; seht Ihr ihn manchmal? Er: Ja, manchmal auf der Straße vorbeigehn. Ich: Tut er Euch denn nichts Gutes? Er: Tut er jemanden Gutes, so weiß er gewiß nichts davon. Es ist ein Philosoph in seiner Art; er denkt nur an sich, und die übrige Welt ist ihm wie ein Blasebalgsnagel. Seine Tochter und Frau können sterben, wann sie wollen, nur daß ja die Glocken im Kirchsprengel, mit denen man ihnen zu Grabe läutet, hübsch die Duodezime und Septdezime nachklingen, so ist alles recht.“ (...) Das Buch Rameaus Neffe von Denis Diderot ist ein herrlich satirischer Dialog: Das literarische ‚Ich’ - Diderot - inszeniert hier ein Gespräch mit dem Neffen des Komponisten, der ebenfalls Musiker ist, jedoch im Schatten des großen Onkels steht. Die beiden Dialogpartner gehen philosophischen Fragen nach, zunächst in eher leichtem und gerne maliziösem Tonfall, oder weinerlich, wenn´s der Neffe ist, später dann zunehmend ernsthaft. Die zentrale Figur ist dabei der Onkel, Jean-Philippe Rameau, der als unsichtbarer Dritte im Bunde manche der Fragen auslöst, der Onkel mit seinen Erfolgen und theoretischen Überzeugungen, dessen erste Oper Hippolyte et Aricie 1733 wie ein Coup de foudre in die Welt der Musikliebhaber und -kenner in Paris eingeschlagen hatte und der fortan als Figur des öffentlichen Lebens in einen ästhetischen Disput nach dem nächsten verstrickt worden war. In Rameaus Neffe skizziert Diderot diesen Onkel gleich zu Beginn und wenn er im Verlauf des Dialogs auch einiges hinzugedichtet hat (um der Pointe willen), so benennt er hier doch die Dinge, die zum Auslöser von zentralen Kontroversen geworden sind. 3 Er spricht von ... diesem „berühmten Tonkünstler, der uns von Lullis Kirchengesang gerettet hat, die wir seit hundert Jahren psalmodieren(...), der so viel unverständliche Visionen und apokalyptische Wahrheiten über die Theorie der Musik schrieb, wovon weder er noch irgendein Mensch jemals etwas verstanden hat; in dessen Opern man Harmonie findet, einzelne Brocken guten Gesangs, unzusammenhängende Ideen, Lärm, (...) Triumphe, Lanzen, Glorien, Murmeln und Viktorien, daß den Sängern der Atem ausgehen möchte...“ ________________________________________________________ Musik 1 Jean-Philippe Rameau 3´41 <10> Ariette de Nérine et d´Atis: Pour voltiger dans le bocage aus: Les Paladins Sabine Devieilhe, Sopran Samuel Boden, Tenor Les Ambassadeurs Ltg. Alexis Kossenko Erato 509999 9341492 0, LC 4281 ________________________________________________________ „Der Vogel flieht aus der Gefangenschaft um im Hain umherzuschwirren. Welche Stille, wenn er im Käfig ist, welch´ zartes Gezwitscher in Freiheit.“ Vielleicht mochte dem damaligen Publikum „manche Idee“ in Rameaus Opern tatsächlich ‚unzusammenhängend’ erscheinen, - von ‚psalmodierendem Kirchengesang’ aber waren sie wahrlich weit entfernt, - Diderot spielt damit auf die endlosen Rezitative bei Lully an: Generell haben Rezitative in der französischen Oper einen ganz anderen Stellenwert als in der italienischen, in der die Arie vorherrscht und beide Typen klar voneinander getrennt sind, doch Rameau hat in das Erzählen einer häufig kleinere Airs und Ariettes eingeschoben: Sabine Devieilhe und Samuel Boden sangen die Ariette von Nérine und Atis aus der Buffokomödie Les Paladins aus dem Jahr 1760. 1760 - da lag der Beginn von Rameaus Opernkarriere schon fast dreißig Jahre zurück: Seine erste Oper Hippolyte et Aricie war im Oktober 1733 an der Académie Royale de Musique uraufgeführt worden, damals Triumph und Skandal zugleich: Triumph für Rameau, der in der Opernkomposition im reifen Alter von 50 eine Art Freiheit des persönlichen Ausdrucks als Komponist gefunden hatte, eine Art universellen 4 musikalischen Ausdruck, der wie das Ziel seiner ganzen Laufbahn wirkt: Ob seine Tätigkeit als Organist, als Lehrer und Komponist (bis dahin von Cembalostücken, Motetten und Kantaten) - alles scheint ihn, der zugleich Musiktheoretiker ist, vorbereitet zu haben auf das Musiktheater. Und Skandal, weil Rameau in einer Opernwelt, in der noch immer Jean-Baptiste Lully der Maßstab war, völlig neue Klänge wagte. Das Pariser Publikum und vor allem die intellektuellen Kreise in Paris haben sich schon nach der Uraufführung seiner ersten Oper aufgespaltet in begeisterte Anhänger und vehemente Gegner. Doch für Rameau stand im Vordergrund, dass es funktionierte, dass er menschliche Gefühle und seelische Empfindungen so in Musik umsetzen konnte, dass die Hörer - egal ob begeistert oder empört - in jedem Fall berührt war! Nach diesem Auftakt gab es für Rameau kein Halten mehr: Von Hippolyte et Aricie an hat er fast nur noch für die Oper geschrieben: Tragédies en musique in all ihren Facetten und Spielarten! -Hier, auf der Bühne des Musiktheaters, wirkt er als Komponist wie freigelassen und um Szenen zu schaffen und Theater zu zaubern brauchte er nicht einmal Text oder Stimme oder die handelnde Figur: Ihm war ein kleiner Contredanse, ein Ritournell, ein Ballet figuré waren Einladung genug – ...und es schwirrt und glitzert, kokettiert und tändelt, da wird Haschen gespielt, dort eine lange Nase gemacht, und unsere Phantasie ... ist schon unterwegs: ________________________________________________________ Musik 2 Jean-Philippe Rameau 1´07 <5> Contredanse aus: Les Fetes de l´Hymen et de l´Amour Les Ambassadeurs Ltg. Alexis Kossenko Erato 509999 9341492 0, LC 4281 ________________________________________________________ Und husch, fort sind sie - wer auch immer da war. Doch - von der anderen Seite der Bühne ziehen die nächsten schon auf! - Was sind das für Wesen: Amouretten? Nereiden? Zephir und seine Winde? Oberon und sein Gefolge? Also Kobolde? Waldelfen? 5 In jedem Fall kommen sie zum Ritournell wohlgeordnet in einer Fuge daher, einer nach dem anderen: ________________________________________________________ Musik 3 Jean-Philippe Rameau 0´53 <11> Ritournelle aus: Hippolyte et Aricie Les Ambassadeurs Ltg. Alexis Kossenko Erato 509999 9341492 0, LC 4281 ________________________________________________________ - Und fort auch die! Und noch ein Aufzug - Ballet figuré: Jetzt wird der Tonfall gewichtiger, gravitätischer: der Rhythmus, ein schwerer Vierertakt; zunächst allerdings verschleiert durch den schnellen Abwärtslauf zu Beginn, im zweiten Takt ordnen sich die Betonungen dann: die Oberstimme fädelt sich zu den schweren Schlägen der tiefen Streicher ein, - man braucht ein, zwei Takte, um sich zu orientieren. Kaum aber begreift man den Rhythmus, dann ändert sich die Richtung der Melodie, jetzt strebt sie nach oben. - Dann plötzlich eine kurzer Einwurf tänzerischer Leichtigkeit, die Harmonien changieren, die Rhythmen verschieben sich - und der nächste Stimmungswechsel, ausgelöst jetzt durch beunruhigende Tremoli in den Streichern. Ein Blick zum Himmel: Zieht Sturm auf? ________________________________________________________ Musik 4 Jean-Philippe Rameau 1´25 <13> Ballet figuré aus: Zoroastre Les Ambassadeurs Ltg. Alexis Kossenko Erato 509999 9341492 0, LC 4281 ________________________________________________________ Drei kurze Ausschnitte aus drei verschiedenen Bühnenwerken von Jean-Philippe Rameau: Les Ambassadeurs unter Alexis Kossenko spielten als erstes einen Contredanse aus dem opéra-ballet Les Fetes de l´Hymen et de l´Amour, dann ein Ritournelle aus Rameaus erster Oper Hippolyte et Aricie und zuletzt: Ballet figure aus Zoroastre. 6 „AnschauungsMaterial“ für die Ohren war das, um vielleicht den Hauch einer Idee davon zu bekommen, was das Pariser Publikum vor rund 250 Jahren so schockiert haben mag, was die einen zu stürmischer Begeisterung, die anderen zu vehementer Ablehnung gebracht hat. Doch das wird uns schwer fallen: Mitten im 21. Jahrhundert können wir uns das eben nicht vorstellen, weder was das Schockierende an dieser Musik gewesen sein soll noch die Wellen der Empörung, und vor allem nicht die Dimensionen der öffentlichen Diskussion, die ästhetischen Dispute, die zum Teil über Jahre in der Zeitung, in öffentlichen Briefen, in den Salons geführt wurden, -eigentlich überall, wo man sich zum Gedankenaustausch traf. Die erste Auseinandersetzung wurde ausgelöst durch die neue Musiksprache in Hippolyte et Aricie, im