Norbert Bangert
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HEINRICH LÜBKE Norbert Bangert Wer gegenwärtig Heinrich Lübkes sauerländischen Geburtsort Enkhausen besucht, muss fast zwangsläufig zu dem Schluss kommen: Enkhausen ist Lübke und Lübke ist Enkhau - sen. Fast omnipräsent sind auch heute noch die Spuren der zweifelsohne wichtigsten Per - sönlichkeit der Region: Immerhin war Lübke nach Theodor Heuss der zweite Bundesprä - sident der damals noch jungen Bundesrepublik. Allerdings stellen sich bei der Annäherung an den Erinnerungsort ‚Heinrich Lübke‘ sehr schnell drei Fragen: 1. Was ist das ‚Westfäli - sche‘ an dieser Erinnerung? 2. Haben Charakter und Eigenarten Heinrich Lübkes dazu beigetragen, das Stereotyp des angeblich typischen Westfalen zu transportieren und zu ver - festigen? 3. Wird Heinrich Lübke auch in Zukunft ein Erinnerungsort bleiben? Lässt man die Rezeptionsgeschichte Lübkes Revue passieren, wird schnell deutlich, dass sein Wirken als Minister und Bundespräsident in biografischen Schriften und Ver - lautbarungen aus seinem näheren und weiteren Umfeld zwar durchaus gewürdigt wird, dass er aber auch – angefeuert durch eine zeitgenössische kritische Gegenöffentlichkeit – zum Gegenstand von Alltagsspott und kritischer Berichterstattung in meinungsbil - denden Medien sowie zum Objekt ideologischer Auseinandersetzungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik geworden ist. Der vorliegende Text kann diese drei Aspekte allenfalls tangieren und zu weiterer Forschung anregen. Die historische Person Lübke und die Erinnerungsinitiativen seit den 1970er Jahren sind aus Sicht des Historikers noch lange nicht endgültig bewertet; zu sehr prallen historische Befunde auf der einen und Vorurteile, Halbwahrheiten und reine Fiktion auf der anderen Seite in der Rückschau und in der allmählich nachlassen - den Erinnerung aufeinander. Eine kurze Biografie Heinrich Lübkes Heinrich Lübke wurde am 14. Oktober 1894 im Sauerland geboren, dort wurde er auch nach seinem Tod am 6. April 1972 begraben. 1 Die Grabstelle befindet sich nahe seinem Geburtshaus und unmittelbar gegenüber dem Museum „Heinrich-Lübke-Haus“. Der Politiker wuchs in einem kleinen Dorf namens Enkhausen auf, das damals gerade ein - mal 100 bis 200 Einwohner zählte. Er war gläubiger katholischer Christ und seit 1929 mit der Studienrätin Wilhelmine Lübke verheiratet. Nach dem Abitur 1913 studierte er Geodäsie 2 und Kulturtechnik in Bonn. Es folgte die Teilnahme am Ersten Weltkrieg, an dessen Ende Lübke den Rang eines Leutnants der Reserve erreicht und die Auszeichnung mit dem Ehrenkreuz Erster Klasse erhalten 347 Norbert Bangert ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– hatte. Im Zweiten Weltkrieg wurde er nicht mehr zum Kriegsdienst eingezogen, jedoch im Rahmen von Reserveübungen bis zum Hauptmann der Reserve befördert. Nach Ende des Ersten Weltkriegs nahm er ein Studium der Volkswirtschaft mit dem Schwerpunkt Boden- und Siedlungsrecht auf, das ihn nach Bonn, Berlin und Münster führte. 1921 legte er sein Examen als Vermessungs- und Kulturingenieur ab. Noch in seiner Zeit als Geschäftsführer der deutschen Bauernschaft von 1926 bis 1933, einem Zusammen - schluss von kleinen und mittelständischen Bauernorganisationen, wurde er 1932 für das Zentrum in den Preußischen Landtag gewählt. Die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland erlebte er von Februar 1934 bis Oktober 1935 zunächst in politischer Unter - suchungshaft, die ihm körperlich zusetzte. Die neuen Machthaber warfen ihm Korrup - tion vor, eine durchaus übliche Methode, um unter dem Anschein der Rechtstaatlichkeit missliebige Personen zu entfernen. 3 Zu einer Anklage kam es jedoch nicht, so dass er 1937 eine berufliche Tätigkeit im Bau- und Siedlungswesen aufnehmen konnte. Mit Aus - bruch des Zweiten Weltkriegs 1939 kam Lübke in den Zuständigkeitsbereich des späte - ren Reichsministers Albert Speer und arbeitete zunächst in Peenemünde, später in Mit - teldeutschland. Dass er unter anderem für den Bau von Unterkünften und militärischen Anlagen zuständig war, nahm die DDR-Führung in den 1960er Jahren zum Anlass, die sogenannte „KZ-Baumeister-Kampagne“ zu starten. 4 Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg trat er noch 1945 in die CDU ein. Bereits ein Jahr später erfolgte der Einzug in den nordrhein-westfälischen Landtag. Dort und im Folgenden auch bundesweit machte Lübke relativ schnell Karriere: Von 1947 bis 1952 war er Landesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und von 1953 bis 1959 Bundesminister im gleichen Ressort. 1959 erfolgte schließlich der Höhepunkt seiner politischen Laufbahn. Nachdem zunächst Konrad Adenauer das Amt des Bundespräsi - denten angestrebt hatte, wurde nach dessen Verzicht Heinrich Lübke in das höchste Staatsamt gewählt und so Nachfolger von Theodor Heuss. Nach zunehmender Kritik an seiner Person auf Grund von wiederholten Ungeschicklichkeiten − vor allem während seiner zweiten Amtszeit, in der er gelegentlich mit Gedächtnisverlusten zu kämpfen hatte – und wegen körperlicher Schwächen trat er zum 30. Juni 1969, zweieinhalb Mona - te vor dem Ende seiner Amtszeit, zurück. Heinrich Lübke überlebte also zwei Weltkriege sowie zwanzig Monate politische Haft in den ersten Jahren der NS-Herrschaft. Er saß in drei hochrangigen Parlamenten − dem Preußischen Landtag, dem nordrhein-westfälischen Landtag und dem Bundestag − und stand während der Aufbaujahre der Bundesrepublik durchgehend in politischer Verant - wortung. Vor allem seine biografischen Stationen vor 1945 wurden zum Gegenstand ideologischer Auseinandersetzungen. In seiner Zeit als Bundespräsident musste er darü - ber hinaus viel Hohn und Spott ertragen, denn Lübke war alles andere als ein guter Red - ner. Wie im Folgenden noch genauer dargestellt wird, zog vor allem das Satiremagazin 348.