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Ca. 3300 Stolpersteine erinnern inzwischen in an Menschen, die während der NS-Zeit ermordet worden sind: an Juden, Sinti, Homo - sexuelle, politisch Verfolgte, „Euthanasie“-Er mor -

dete, Zeugen Jehovas oder andere. Spurensuche Biographische

Carmen Smiatacz und ihre Mitautorinnen und -autoren haben die Biographien von mehr als siebzig Personen aus Barmbek und Uhlenhorst

recherchiert, für die Stolpersteine verlegt wor- Uhlenhorst den sind. Ihre Lebens- und Leidensgeschichten sind hier nachzulesen.

und Hamburg- Stolpersteine in Hamburg-Barmbek und Hamburg-Uhlenhorst

Barmbek Biographische Spurensuche

Carmen Smiatacz Stolpersteine in Hamburg-

Freie und Hansestadt Hamburg Behörde für Schule und Berufsbildung Amt für Bildung Landeszentrale für politische Bildung 001-045 Titelei-Plan Korr:. 30.08.10 10:24 Seite 1

Carmen Smiatacz Stolpersteine in Hamburg-Barmbek und Hamburg-Uhlenhorst Biographische Spurensuche

mit Beiträgen von

Eva Acker Ulf Bollmann Ingrid Budig Erika Draeger Björn Eggert Bernhard Rosenkranz† Stefanie Rückner Ulrike Sparr

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Carmen Smiatacz Stolpersteine in Hamburg-Barmbek und Hamburg-Uhlenhorst Biographische Spurensuche

Freie und Hansestadt Hamburg Behörde für Schule und Berufsbildung Amt für Bildung Landeszentrale für politische Bildung 001-045 Titelei-Plan Korr:. 30.08.10 22:08 Seite 4

Die Landeszentrale für politische Bildung ist Teil Die Verfasserinnen/Verfasser dieser Reihe haben der Behörde für Schule und Berufsbildung der die Bildrechte eingeholt. Sollte dies nicht in Freien und Hansestadt Hamburg. Ein pluralistisch allen Fällen möglich gewesen sein, bitten wir die zusammengesetzter Beirat sichert die Überpar- Rechte inhaber, sich an die Landeszentrale zu teilichkeit der Arbeit. wenden. Zu den Aufgaben der Landeszentrale gehören: © Landeszentrale für politische Bildung; Ham- burg 2010. – Herausgabe eigener Schriften Alle Rechte vorbehalten, insbesondere die der – Erwerb und Ausgabe von themengebunde- Übersetzung, der Sendung in Rundfunk und Fern- nen Publikationen sehen und der Bereitstellung im Internet. – Koordination und Förderung der politischen Bildungsarbeit © Institut für die Geschichte der deutschen – Beratung in Fragen politischer Bildung Juden, Beim Schlump 83, 20144 Hamburg – Zusammenarbeit mit Organisationen und Projektleitung und Redaktion: Vereinen Dr. Rita Bake/Dr. Beate Meyer – Finanzielle Förderung von Veranstaltungen politischer Bildung Wissenschaftliche Betreuung: – Veranstaltung von Rathausseminaren für Dr. Beate Meyer Zielgruppen Wissenschaftliches Lektorat: – Öffentliche Veranstaltungen Joachim Szodrzynski Gesamtherstellung: Unser Angebot richtet sich an alle Hamburgerin- Andrea Orth nen und Hamburger. Die Informationen und Veröffentlichungen können Sie während der Öff- Druck: nungszeiten des Informationsladens abholen. Roco-Druck, Wolfenbüttel Gegen eine Bereitstellungspauschale von 15 P pro ISBN: 978-3-929728-53-8 Kalenderjahr erhalten Sie bis zu 6 Bücher aus einem zusätzlichen Publikationsangebot. Die Landeszentrale Hamburg arbeitet mit den Landeszentralen der anderen Bundesländer und der Bundeszentrale für politische Bildung zusam- men. Unter der gemeinsamen Internet-Adresse Abbildungen Umschlag Die Hartwicusstraße und www.hamburg.de/politische-bildung werden alle der Eilbekkanal, Uhlenhorst, 1920er Jahre (o. l., Angebote erfasst. Bildarchiv Hamburg); die Geschwister Kauf- mann: Lissi, Käthe und Gertrud, dahinter Mutter Die Büroräume befinden sich in der Dammtor- Franziska Kaufmann (o. r., Privatbesitz); Willi straße 14, 20354 Hamburg; Ladeneingang Häussler (r.) mit einem Freund (u. l., Geschichts- Dammtorwall 1 werkstatt Barmbek); die Bramfelder Brücke, Öffnungszeiten des Informationsladens: Barmbek, 1920er Jahre (u. r.; Geschichtswerkstatt Montag bis Donnerstag: 13.30 Uhr bis 18.00 Uhr, Barmbek) Freitag: 13.30 Uhr bis 16.30 Uhr In den Hamburger Sommerschulferien: Montag bis Freitag: 12.00 Uhr bis 15.00 Uhr Redaktionsschluss Zu allen Personen, für die bis Erreichbarkeit: April 2010 Stolpersteine verlegt oder deren Telefon: (040) 428 23-48 26 Namen uns bis zu diesem Zeitpunkt bekannt (Sprechzeiten Mo, Mi, Fr: 10–12 Uhr; wurden, finden Sie in dieser Broschüre Biogra- Di u Do: 13.30–15.30 Uhr) phien. Telefax: (040) 428 23-4813 Für einige der bislang nicht verlegten Stolper- steine können Sie gerne noch Patenschaften über- E-Mail: [email protected] nehmen. Auskunft hierüber erteilt die Hambur- Internet: www.hamburg.de/politische-bildung ger Stolpersteininitiative. 001-045 Titelei-Plan Korr:. 30.08.10 22:08 Seite 5

Inhalt

Einleitung I Rita Bake/Beate Meyer__7 Die Namen in Erinnerung bringen Gunter Demnig__12 Die Hamburger Stolpersteininitiative __15 Einleitung II Carmen Smiatacz__16 Spurensuche im Stadtteil Erika Draeger__19 Erinnerungen eines Davongekommenen Erika Draeger__40

Stolpersteine in den Stadtteilen Barmbek und Uhlenhorst Übersichtsplan, Positionen, Nummerierung __42

Biographien von A bis Z Carmen Smiatacz__46

Anhang Glossar Beate Meyer__216 Zeitleiste der antijüdischen Maßnahmen und Aktionen __233 Zeitleiste „Euthanasie“ __235 Zeitleiste der politischen Verfolgung __236 Zeitleiste der Verfolgung homosexueller Männer __238 Quellen: Abkürzungen, häufig genutzte und weitere Quellen, Archive und gedruckte Quellen, Literatur __240 Straßenverzeichnis __246 Personenregister __248

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Rita Bake/Beate Meyer Einleitung I

m Oktober 2006 stellten das Institut für die Geschichte der deutschen Juden I(IGdJ) und die Landeszentrale für politische Bildung das Buch „Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden 1933–1945. Geschichte. Zeugnis. Erinne- rung“ vor. Entgegen der landläufigen Meinung, des Gedenkens sei bereits zu viel getan, waren die Buchvorstellungen sehr gut besucht und das Werk schon nach zwei Monaten vergriffen, während die Nachfrage anhielt. Inzwischen liegt die zweite Auflage in der Landeszentrale zum Abholen bereit. Deren Leserinnen und Leser kön nen sich im Einzelnen über die Verfolgung der Hamburger Juden in den Jahren 1933 bis 1941, die Organisation der Deportationstransporte, die Arbeit des „Jüdi- schen Religionsverbandes“ in dieser Zeit, über das Leben und Leiden der De por - tierten in den Gettos von Lodz, Minsk, Riga und Theresienstadt, ihre Ermordung im Vernichtungslager Auschwitz oder durch tödliche Arbeitsbedingungen in den Zwangsarbeiterlagern informieren. Ergänzend finden sie Aufsätze über Initiativen und Reaktionen aus Hamburg und die Verfolgungserfahrungen derjenigen, die in einem vermeintlich sicheren Exilland doch von den deutschen Truppen eingeholt und von dort deportiert wurden. Der Kölner Künstler Gunter Demnig rief die Idee, Stolpersteine zur Erinnerung an NS-Opfer zu setzen, ins Leben und fand in erstaunlich kurzer Zeit Bürgerinnen und Bürger, die Patenschaften übernahmen. Seine Absichten und Erfahrungen skizziert er in einem Interview, das wir in diesem Band abgedruckt haben. Der Kunstsammler Peter Hess holte die Stolperstein-Aktion dann im Jahr 2002 nach Hamburg. Über die vielfältigen Hindernisse, die Hess noch als Einzelkämpfer überwinden musste, und die zustimmenden Reaktionen, auf die er stieß, berichtet er in dem oben genannten Band ausführlich. In dem vorliegenden Buch finden Sie eine kurze Beschreibung der Initiative und Kontaktdaten. Ca. 3300 Stolpersteine liegen inzwischen in Hamburg. Über 90% von ihnen tragen die Namen ermordeter Jüdinnen und Juden, andere die von „Euthanasie“- Opfern, politisch Verfolgten, Homosexuellen, Bibelforscherinnen und Bibelfor- schern oder Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern. Die Stolpersteine ermög- lichen dezentrales Gedenken im Alltag an den Wohn- oder Wirkungsorten derer, an die der Stein erinnert. Ein Großteil der Hamburger Juden lebte bekanntlich im Grindelgebiet. So finden wir hier, in den Stadtteilen Rotherbaum und Harveste-

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hude, auch die meisten Stolpersteine. Doch im Zuge ihrer Assimilation hatten viele ihre angestammten Wohngebiete in der Nähe der Synagogen und Einrich tungen der jüdischen Gemeinde verlassen und sich in anderen Teilen der Stadt angesiedelt. Auch dort haben sich in den letzten Jahren Bürgerinnen und Bürger gefunden, die Stolpersteine für sie oder andere Opfer des NS-Regimes haben setzen lassen. Der Name auf dem Messingstein und die wenigen Daten halten die Erinnerung wach, wenngleich oft genug über die Biographie der oder des Genann ten nur wenig oder gar nichts bekannt ist. Deshalb entstand während der Arbeit an dem oben genann- ten Buch die Idee, auch die Biographien derjenigen zu erforschen, für die in ande- ren Stadtteilen Stolpersteine gesetzt worden sind. Während sie im Grindelgebiet überwiegend an Jüdinnen und Juden erinnern, finden sich in den übrigen Stadtteilen viele dieser Erinnerungssteine an andere Opfer der NS-Herrschaft. Unsere stadtteil- bezogenen Broschüren spiegeln deshalb auch weniger, wie viele Verfolgte während der nationalsozialistischen Herrschaft in einem Quartier ermordet wurden, sondern vor allem, wie aktiv die heutigen Bewohner, Initiativen oder Organisationen Hinweise geben, Patenschaften einwerben bzw. übernehmen. Unsere 2006 gestartete Initiative zur „Biographischen Spurensuche“ stieß auf großes Interesse bei Personen, die sich in „ihren“ Hamburger Stadtteilen um die Erinne rung an ermordete Hamburger bemühen. Unter der Leitung von Rita Bake (Landeszentrale) und Beate Meyer (IGdJ) gehen mittlerweile mehr als fünfzig For- sche rinnen und Forscher diesen Lebensgeschichten nach. Ihre Arbeitsergebnisse werden in stadtteilbezogenen Broschüren von der Landeszentrale für politische Bildung publiziert und verteilt. Zu Hamm, Altona mit den Elbvororten, Wandsbek mit den Walddörfern, Winterhude, St. Pauli, St. Georg und der Isestraße liegen be- reits Broschüren vor. Zu erwarten sind welche zu Eimsbüttel, Eppendorf, Fuhls- büt tel, Harburg/Wilhelmsburg, Neustadt/Altstadt, Eilbek und umliegende Quartie- re und eine Broschüre, die vereinzelte Steine in den nicht genannten Stadtteilen umfasst. Die Forschenden stammen teils aus Geschichtswerkstätten, teils sind sie Studentinnen, pensionierte Lehrerinnen und Lehrer oder andere engagierte Bürge- rinnen und Bürger. Ihre Motive, einen Großteil ihrer Freizeit in diese Arbeit zu ste- cken, sind sehr unterschiedlich. Die Beweggründe erläutern sie jeweils in ihren Einleitungen.

Doch was finden sie in den Archiven? Wie schlägt sich ein menschliches Leben in Akten nieder? Das Standesamt registriert die Geburt, den/die Namen oder Namens - änderungen einer Person; sie oder er wird bei den Eltern als Mitglied einer jüdi- schen oder christlichen Gemeinde eingetragen; der Schulbesuch wird vermerkt; als Erwachsene mit einem eigenen Einkommen werden Männer wie Frauen dann als eigenständige Gemeindemitglieder geführt, so lange sie allein stehend bleiben oder

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durch Scheidung oder Tod wieder werden (minderjährige Kinder und verheiratete Frauen werden bei ihrem Ehemann als dem Haushaltsvorstand eingetragen); Krank - heiten, Strafverfolgungen und Haftverbüßungen sind manchmal nur auf Verpfle - gungslisten, manchmal aber in umfangreichen Gerichtsakten dokumentiert; für jeden Deportationstransport existiert eine Namensliste inklusive derer die zur „Reserve“ aufgerufen wurden; erhaltene Registraturen einiger Gettos geben karge Hinweise auf Lebens- und Arbeitsbedingungen dort, eine Todesfallanzeige hält das Sterbedatum fest. Diese und weitere Unterlagen stehen den Forscherinnen und Forschern zur Verfügung, wenn sie nicht kurz vor Kriegsende gezielt vernichtet oder durch Kriegseinwirkung zerstört wurden wie die meisten solcher Akten, die nur in Ausnahmefällen überliefert sind. Überlebten Familienangehörigen, existiert vielleicht eine Wiedergutmachungsakte, die einen Rückblick auf Verfolgung und Verluste ermöglicht, so weit Angehörige darüber informiert waren. Bezogen auf Juden sind in Hamburg die Akten des Oberfinanzpräsidenten erhalten, aus denen sich die finanzielle Ausplünderung verfolgen lässt. Lesen wir diese Akten heute, so begegnen uns große oder kleine Reichsmarkbeträge, deren jetziger Geldwert sich nicht unmittelbar erschließt. Ist in einem Dokument der 1930er Jahre von einer Geldsumme die Rede, müssen wir den Betrag mit fünf bis sechs multiplizieren, um annäherungsweise den heutigen Wert in Euro zu erhal- ten. Zum Vergleich: Ein Hilfsarbeiter verdiente in den 1930er Jahren 100 bis 120 Reichsmark (eine Hilfsarbeiterin weniger), ein Facharbeiter zwischen 150 und 180 Reichsmark, eine Volksschullehrerin knapp 200 und ein Gymnasiallehrer ca. 500 Reichsmark. Berücksichtigen wir diese Relationen, bekommen wir eine ungefähre Vorstellung von den Vermögensverhältnissen der Personen, deren Biographien hier beschrieben werden.

Die Bearbeiterinnen und Beiträger des vorliegenden Bandes haben sich intensiv mit den Biographien derer befasst, für die in Barmbek Stolpersteine verlegt worden sind. Barm bek als einstige Hochburg der Arbeiterbewegung zeichnet sich durch ver- gleichsweise viele Stolpersteine für ermordete politisch Verfolgte aus, deren Lebens- wegen die Verfasserinnen nachgegangen sind. Im einleitenden Teil versuchten sie aber auch, die Veränderung dieses „roten“ Stadtteils in ein „ganz normales“ Ham- burger Quartier nachzuzeichnen, in dem Widerstand geübt wurde, aber auch die Strukturen der NSDAP zu finden waren, wo Anpassung und Mitmachen bald das (äußere) Bild bestimmten.

Die am Projekt beteiligten Forscherinnen und Forscher folgen den Spuren, die die auf den Stolpersteinen Genannten in den Archiven und in der Erinnerung ehema- liger Nachbarn, überlebender Leidensgenossen oder in der Literatur hinterlassen

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haben. Je nach den zur Verfügung stehenden Informationen variieren Umfang und Aussagekraft der Lebensläufe stark: Während von einzelnen Personen so viel bio- graphisches Material gefunden wurde, dass ihre Schicksale etliche Seiten umfassen, erschöpfen sich unsere Kenntnisse bei anderen – selbst nach intensivsten Nach - forschungen – nach wenigen Sätzen. Anfangs hofften alle Projektbeteiligten, mög- lichst jedem Lebenslauf ein Foto oder wenigstens ein personenbezogenes Doku - ment beifügen zu können, doch dies ist trotz aller Bemühungen nur bei einem (kleineren) Teil der Biographien möglich. Die Projektbeteiligten nehmen Kontakt zu emigrierten Verwandten auf, sie korrespondieren mit Gedenkstätten und durchsuchen die pages of testimony auf der webside von Yad Vashem und andere Internetseiten nach Hinweisen auf Ver - wandte und Fotos der Ermordeten. Bernhard Rosenkranz (†) und Ulf Bollmann steuerten die Lebensläufe ermordeter Homosexueller bei. Wir empfehlen ihre Homepage www.hamburg-auf-anderen-wegen.de/Stolpersteine. Die Projektarbeit gelingt nur durch die enge und für beide Seiten fruchtbare Zusammenarbeit mit Peter Hess und Johann-Hinrich Möller von der Stolperstein-Aktion, denen wir herzlich danken. Das Hamburger Staatsarchiv ermöglicht uns den Zugang zu wich tigen Aktenbeständen. Wir danken zudem Dr. Daniel Uziel von der Gedenk - stätte Yad Vashem/Jerusalem für seine freundliche Unterstützung. Über das US Holo caust Memorial Museum erhalten wir letzte Lebenszeichen Hamburger De- por tierter aus Lodz, die uns Fritz Neubauer mit vielen zusätzlichen Informationen zukommen lässt. Auch die Forschungsstelle für Zeitgeschichte, die dortige „Werk- statt der Erinnerung“ und das Institut für die Geschichte der deutschen Juden stel- len Archivalien bereit, das Institut Theresienstädter Initiative in Prag und viele andere Archive, Zeitzeuginnen und Zeitzeugen und Sammler unterstützen die Arbeiten, auch ihnen sei an dieser Stelle herzlich gedankt.

Da nicht in jeder Broschüre die historiographischen Hintergründe wiederholt wer- den sollen, die in dem eingangs erwähnten Buch bereits nachlesbar sind (mit Lite- raturhinweisen zur weiteren Information), uns andererseits jedoch rudimentäre Kenntnisse der damaligen Vorgänge zum Verständnis der Verfolgungsprozesse not - wendig scheinen, enthält jede stadtteilbezogene Broschüre ein umfangreiches Glossar und eine Zeitleiste zur jüdischen Verfolgung und anderen Gruppen ver- folgungen. Diese Erläuterungen beziehen sich auf Aspekte, die in der vorliegenden Broschüre angesprochen werden, sie geben keine umfassende Erklärung und Be - schreibung der NS-Verfolgung insgesamt oder in Hamburg im Besonderen.

Mittlerweile erforschen nicht nur die Projektbeteiligten die Lebensläufe. Auch künftige Patinnen und Paten und die Mitglieder der Hamburger Initiative für die

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Stolpersteine erstellen biographische Skizzen, bevor neue Steine verlegt werden. Damit dieses Wissen nicht nur verstreut in stadtteilbezogenen Broschüren präsen- tiert wird oder in privaten Aktenordnern ruht, sondern zentral und auf dem neues- ten Stand abgerufen werden kann, ermöglicht die Landeszentrale der Stolper stein- Initiative, unter www.stolpersteine-hamburg.de eine Homepage zu unterhalten, von der der aktuelle Stand der in Hamburg verlegten Steine sowie das bisher ge- sammelte biografische Wissen über die Ermordeten abgerufen werden kann.

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Die Namen in Erinnerung bringen Interview mit dem Künstler Gunter Demnig

Wie ist die Idee entstanden, Stolpersteine zur Erinnerung an Menschen zu verle- gen, die während der NS-Herrschaft ermordet worden sind?

Ich habe in Köln mit dem Verein ROM e. V. zusammengearbeitet. Anlässlich des 50. Jahrestages der Deportation der „Zigeuner“ (1940–1990) habe ich beim Ord- nungsamt Köln einen Antrag gestellt, eine Schriftspur zu legen zu dürfen: 16 km von deren Wohnhäusern zum Deportationssammellager. Zu der Spur gab es einen Stein, auf dem Anweisungen zur Deportation der „Zigeuner“ mitsamt den Verwaltungsanordnungen eingelassen waren. In Bitumen gegossen, wurde der vor dem Kölner Rathaus versenkt. Daraus entstand die Idee für die Stolpersteine. Ich überlegte, wie ein solcher aussehen könnte, betrachtete es aber noch als kon zeptionelles Kunstwerk, das nicht unbedingt umgesetzt werden musste. 200 Steine habe ich 1994 für eine Ausstellung in der Kölner Antoniterkirche gefertigt und wollte sie von dort aus verlegen. Aber bürokratische Hürden standen dem entgegen. Die ersten Steine in Köln (1995) und Berlin (1996) wurden ohne Geneh - mi gung verlegt. Dann wurde ich ermutigt, noch einen Anlauf zu nehmen, wieder dauerte es fast drei Jahre, bis ich die ersten 600 Stolpersteine verlegen konnte. Von da an hat sich das Projekt sofort verselbstständigt. Es kamen Anrufe, Anfra - gen, Angebote, sich zu beteiligen. In kürzester Zeit waren es 1000 Steine, und auch der örtliche Radius erweiterte sich stetig.

Was bezweckst du mit den Steinen?

Vor Ort erinnert der Stolperstein die Anwohner an das Geschehen. Er verhindert das Vergessen, er bringt den Namen des einzelnen Verfolgten zurück. Das Grau en begann nicht in Treblinka, son dern im heimischen Wohnzim mer. Ich meine da mit, dass Men schen so zial immer weiter heruntergestuft wurden, bis sie im „Juden - haus“ landeten und ihre Heimat ver las sen mussten. Und alle haben es ge lesen, ge - sehen und gehört! Auch deshalb bringe ich die Namen in die alte Um gebung zurück und setze nicht irgendwo ein zentrales Denkmal, wo Kränze für alle nieder - gelegt werden. Mir sind die Namen der Einzelnen wichtig. Der Stein schafft einen Ort der Erinnerung, denn fast alle Steine setze ich ja für Menschen, die kei nen Grab - stein haben. Ich möchte die heutigen Stadtteilbewohnerinnen und -be wohner an - stoßen, sich mit dem Geschehen damals zu befassen. Und ich möchte etwas für

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die Angehörigen tun. Ihre Erinnerung ist mit Trauer verbun den, aber sie zeigen auch Freude über diese Art der Erinnerung und großes Inte resse an dem, was heute in Deutschland passiert und wie viele Menschen zu dem Gesamtprojekt beitragen.

Wie hat sich die Idee inhaltlich verändert?

Die grundsätzliche Idee, dass die Stolpersteine ausschließlich für NS-Opfer ge- setzt werden, ist geblieben, aber in Einzelheiten gibt es durchaus Änderungen. Bei spielsweise habe ich heute ein stärkeres Sprachgefühl. „Verschollen in Ausch witz“, wie in den Gedenk- büchern, schreibe ich heute nicht mehr, das verharmlost den geplan - ten Mord. Bei politisch Verfolgten ist es meist nicht möglich, alle Haftstätten aufzu füh ren, so kann der Stein nur symbolisch sein. Die ??? ver wende ich nach wie vor, wenn nichts über den Tod be kannt ist. Das ist ja noch schrecklicher. Verändert hat sich meine Auffas- Gunter Demnig Demnig sung, wie weit der Opferbegriff zu fassen ist. Inzwischen tendiere ich dazu, ihn weiter als früher zu fassen und das gesamte Familienschick sal zu sehen.

Wo erinnern heute überall Stol persteine an NS-Opfer?

Über 15 000 Stolpersteine sind bisher verlegt (inzwischen 22 000, Stand Sommer 2010, B. M.). Sie liegen in Deutschland, Österreich, Ungarn und den Niederlan den. Ich habe Anfragen aus Rom. Für Frankreich beginnen wir jetzt mit Verle gungen in Lyon, Toulouse und Paris. In Oslo gibt es einen ersten Stein für einen ermor- deten jüdischen Sportler, in Prag und Umgebung sollen ebenfalls Steine gesetzt werden. In Polen sind wir zweimal gescheitert, aber im Herbst 2008 werden wir mit einem ersten Stolperstein in Wroclaw (Breslau) an Edith Stein erinnern.

Wie sieht es in Hamburg aus?

Das Interesse und die Reaktionen der Hamburgerinnen und Hamburger sind für mich etwas Besonderes. Sie unterscheiden sich durchaus von anderen Städtern.

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Die Anwohner begegnen mir mit großer Offenheit, sind interessiert, informiert und stellen Fragen. Für mich ist es in jeder Beziehung angenehm, hier zu ar beiten, weil die Anteilnahme so groß ist. Ganze Hausgemeinschaften fangen manch mal zu forschen an und sammeln das Geld für Patenschaften. So intensiv habe ich das noch nirgends erlebt. In Hamburg liegen von allen deutschen Städ ten die meis - ten Steine, das wird sicher noch lange so bleiben. Außer am Engage ment der Bevölkerung liegt das natürlich auch an der Unterstützung durch die örtlichen Organi satoren um Peter Hess.

Wie funktioniert das Projekt heute?

Zwei Säulen tragen es: Die Initiatoren vor Ort, die entscheiden, wer einen Stein bekommt, die Biographien aufarbeiten und die privaten Patenschaften einwer- ben. Die Patenschaften übernehmen Privatpersonen, manchmal auch die Ange- hö ri gen, wenn sie das unbedingt wollen, manchmal Berufsverbände, Parteien oder Schüler, die sammeln. Manchmal kommt Geld für einen bestimmten Stein zusammen, manchmal wird für den Zweck generell geworben, werden Aktionen erdacht, oder Patenschaften zum Geburtstag oder zu Weihnachten verschenkt. Ich will nicht, dass Stiftungen oder Verwaltungen Steinverlegungen von oben ini- tiieren, sondern die Städte sollen die Stolpersteine – wie Bürgermeister Ole von Beust es formuliert hat – annehmen als Geschenk der Bürgerinnen und Bürger und sich dann darum kümmern. Und last not least natürlich: Ohne Uta Franke, die das Gesamtprojekt von Köln aus koordiniert, wäre das Vorhaben längst zusammengebrochen. Denn das Inte - resse von allen Seiten hält seit Jahren an. Es sind nicht nur die Angehörigen, sondern die Bürger, die sich ein set zen, und immer wieder junge Menschen, vor allem Schüler. Da entstehen Forschungen, die die traditionelle Wissenschaft nicht erbrin gen könnte, und Kontakte zwischen heute lebenden jungen Leuten, Über lebenden und Emigranten. Ich habe eine Reihe von Aus zeichnungen erhalten und die Ehrungen auf der Büh - ne entgegen genommen, aber eigentlich kann sich inzwischen jeder der Paten oder Initiatoren gemeint fühlen. Allein hätte ich die Idee der Stolpersteine nicht verwirklichen können. Was dieses Projekt an Kommunikation angeregt hat, ist eine soziale Skulptur geworden. Es hat sich ein Netzwerk gebildet, das in großen Teilen längst unabhängig von mir existiert.

Das Interview führte Beate Meyer

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Die Hamburger Stolpersteininitiative

Im Jahre 2002 holte Peter Hess die Stolperstein-Aktion nach Hamburg. Er über- zeugte Verwaltungsbeamte und Politiker, dass die Stolpersteine auf öffentlichen Geh wegen keine Gefahr für Fußgänger, sondern Denk- und Erinnerungsanstöße für Anwohner und Passanten darstellen. Die Resonanz gab ihm recht, das Projekt fand großen Anklang in Hamburg. Er warb bei Interessierten um Patenschaften, sprach mit Angehörigen, recherchierte im Staatsarchiv, entfaltete rege Pressearbeit und suchte geeignete Verlegeorte ... Schon bald fand er Unterstützerinnen und Un- terstützer, die heute die Arbeit mittragen: Gesche Cordes, die die Aktionen photo- graphisch festhält und Johann-Hinrich Möller, der u. a. die von der Landeszentrale für Politische Bildung bereitgestellte homepage betreut. Wer sich informieren, die Initiative unterstützen oder eine Patenschaft über- nehmen will, kann sich wenden an Peter Hess: Telefon 00 49-40-410 51 62 Fax 00 49-40-45 03 94 53 E-mail [email protected] Homepage www.stolpersteine-hamburg.de

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Carmen Smiatacz Einleitung

ie ersten Stolpersteine, die in Barmbek und Uhlenhorst im Jahr 2004 verlegt Dwurden, fielen wegen ihrer geringen Anzahl den meisten Stadtteilbewohnern kaum ins Auge. Im Sommer 2007 begann unsere Stolpersteingruppe mit der Erfor- schung der ersten Biografien für Barmbek-Nord und -Süd, damals lagen dort gera- de einmal 17 Steine. Kurz darauf entschlossen wir uns, den Stadtteil Uhlenhorst mit hinzuzunehmen, da beide Stadtteile eine gemeinsame Geschichte verbindet. So erhielten wir 20 „neue“ Steine. Neben diesen Biografien begannen wir auch nach weiteren Namen von Personen zu suchen, die in Barmbek oder Uhlenhorst gelebt hatten und ebenfalls Opfer des Nationalsozialismus geworden waren. Dabei erhiel - ten wir Unterstützung aus anderen Stolpersteingruppen und von den Stadtteilbe - wohnerinnen und -bewohnern. Inzwischen liegen in beiden Stadtteilen zusammen bereits 94 Stolpersteine, in Barmbek 50 und in Uhlenhorst 44 (Stand Dezember 2009), welche nun kaum noch zu übersehen sind. Die Menschen in unseren Stadtteilen, die durch das nationalsozialistische Re- gime verfolgt wurden, entstammten den unterschiedlichsten Gesellschaftsschich - ten und litten aus den verschiedensten Gründen unter Diskriminierung. So gibt es neben den jüdischen Opfern auch politisch Verfolgte, Homosexuelle, Opfer der „Eu thanasie“ und Zeugen Jehovas. Gemeinsam ist den meisten Personen, über die wir forschten, dass sie keine oder nur eine geringe Rolle im öffentlichen Leben spielten. Deswegen gestaltete sich die Quellenlage auch zumeist schwierig. Oft waren nur winzige Bruchstücke erhalten und wir mussten feststellen, wie wenig von einem Menschenleben übrig geblieben war. Zudem wurden die meisten Quellen von Tätern verfasst, in deren Darstellung und Sprache sich ihre Verachtung widerspiegelte. Umso schwieriger gestaltete es sich, die Quellen zu interpretieren und zu stichhaltigen Erkenntnissen über die Menschen zu gelangen. In den meisten Fällen leben heute keine Ange hö - rigen mehr, die uns etwas hätten berichten können. Deswegen können die Biogra - fien nur Fragmente des Lebens der Personen darstellen und sollen auch nur als sol- che verstanden werden. Gleichzeitig stellte sich uns auch die Frage, was wir veröffentlichen können. Die Informationen, die wir den Quellen entnehmen konnten, geben nicht immer die vollständigen und korrekten Umstände wieder. Soweit es uns möglich war,

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haben wir mit Angehörigen der Opfer die Biografien abgeglichen und bekamen von ihnen Zustimmung für unsere Arbeit. Unsere Hoffnung ist es, dass durch die Stolpersteine und unsere Texte eine Erinnerung an all die Menschen geschaffen wird, die durch das nationalsozialisti- sche Regime verfolgt wurden und zu Tode kamen. Sie sollen in unseren Stadtteilen einen festen Platz erhalten. Zugleich möchten wir aber auch die Leser und Lese- rinnen dieser Broschüre dazu anregen, sich mit dem Terrorregime der National- sozialisten auseinanderzusetzen und die Geschichte ihres Stadtteils und ihrer di- rek ten Nachbarschaft kritisch zu hinterfragen.

Ohne die tatkräftige Unterstützung zahlreicher Personen und Institutionen wäre diese Broschüre nicht zustande gekommen. An dieser Stelle gilt es ihnen zu dan- ken, wobei es fast unmöglich ist, jeden Einzelnen zu nennen. Der größte Dank geht an meine Mitautorinnen und Mitstreiterinnen bei diesem Projekt: Eva Acker, Ingrid Budig, Erika Draeger und Stefanie Rückner. Sie haben mit guten Ideen, Rat- schlägen und Tipps die Entwicklung der Broschüre vorangetrieben. Auch wenn mal nicht alles so lief, wie wir es uns wünschten, konnten wir uns doch immer gegenseitig motivieren weiterzumachen. Bedanken möchten wir uns vor allen Dingen bei den Angehörigen, die bereit waren, mit uns zu sprechen, sich zu erinnern und wertvolle Dokumente und Fotos bereitzustellen. Unser Dank gilt Antje Kosemund, Ralph Michelson, Alexander Schulenburg und Alice Turner, die viel geleistet haben, um die Biografien ihrer An- gehörigen zu vervollständigen. Die Biografien für die homosexuellen Opfer wurden von Bernhard Rosen- kranz (†) und Ulf Bollmann beigesteuert, wofür wir beiden danken möchten. Auch das Gym nasium Lerchenfeld steuerte einen Beitrag bei. Die Geschichtswerkstatt Barmbek bot unserer Stolpersteingruppe nicht nur die räumlichen Kapazitäten, sondern konnte uns auch nützliche Tipps und Materia - lien geben. Dafür möchten wir den Mitarbeitern und insbesondere Dieter Thiele danken. Ein besonderes Dankeschön richten wir an Beate Meyer, ohne deren wissen- schaftliche Betreuung diese Broschüre nie entstanden wäre. Sie stand unserer Stol- per stein-Gruppe jederzeit als Ansprechpartnerin mit Rat und Unterstützung zur Verfügung. Auch Rita Bake begleitete den gesamten Entstehungsprozess mit vielen positiven Impulsen. Bedanken möchten wir uns zudem für die Gastfreundlichkeit im Kulturhaus Eppendorf, wo es beim Jour Fixe immer wieder nützliche Tipps und Ideen gab, sowie die Möglichkeit Fragen offen zu diskutieren. Die meisten Dokumente und Akten, die für diese Broschüre verwendet wur- den, stammen aus dem Hamburger Staatsarchiv. Insbesondere Ulf Bollmann, Helga

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Wunderlich und Barbara Koschlig waren mit ihrer umfassenden und kompetenten Beratung eine große Hilfe. Weiterer Dank gilt folgenden Personen und Institutio - nen: Jürgen Sielemann, Fritz Neubauer, Reimer Möller von der Gedenkstätte Neu- engamme, dem Institut für die Geschichte der deutschen Juden, der Forschungs- stelle für Zeitgeschichte in Hamburg, der Landeszentrale für politische Bildung, Jens Wunderlich, Björn Eggert, Susanne Lohmeyer, Hildegard Thevs, Günther Peter- lein aus dem Amt für Wiedergutmachung, Eckart Krause von der Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte, Johannes Wrobel aus dem Geschichtsarchiv der Zeugen Jehovas, dem Verein der Verfolgten des Naziregimes und dem International Tra- cing Service (ITS). Wir bedanken uns beim Bundesarchiv, den zahlreichen Stadt-, Kreis- und Landesarchiven, den Bibliotheken, Museen, Verlagen, Behörden und sons - tigen Institutionen und den zahlreichen Einzelpersonen, die uns in unserer Arbeit unterstützt haben sowie allen Menschen, die eine Patenschaft für einen „Stolper - stein“ übernommen haben.

Hamburg, im Januar 2010

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Erika Draeger Spurensuche im Stadtteil

ie lässt sich das Unfassbare fassbar machen, das Unbegreifliche verstehen? WWir Jüngeren, ohne Kriegserfahrung in einem demokratischen System mit Meinungsfreiheit aufgewachsen, haben wohl manches Mal einen Älteren gefragt: „Wie konntet ihr dies zulassen, warum ließ es nicht verhindern?“ Überzeugt, selbst heldenhaft Widerstand geleistet, Verfolgte gerettet zu haben, wären wir damals dabei gewesen, klagten wir pauschal und selbstgerecht die Eltern- und Großelterngeneration an. Damit versagten wir ihnen und uns oft die Verständi - gung, das gemeinsame Nachdenken über Hintergründe, die überhaupt erst er mög - lich ten, was in den Jahren 1933 bis 1945 in Deutschland und in unserer Stadt geschah. Historikerinnen und Historiker leisteten die Arbeit, klärten uns über damalige Verbrechen auf, gaben ihnen Namen – einer lautet Holocaust, ein anderer Shoah. Doch die Geschehnisse lagen in ihrem Ausmaß weit jenseits unseres Erfahrungs - ho rizonts und Vorstellungsvermögens und beanspruchten Phantasie und Empathie in einer Weise, die nur mit großer innerer Distanz zu bewältigen war. Diese Dis- tanz förderte auch den Glauben, es habe sich um eine einmalige geschichtliche Ver irrung der Menschheit gehandelt: „Nie wieder“, war ein beruhigendes, oft wieder holtes Mantra: aufgeklärte Generationen werden es zu verhindern wissen. Die Existenz einer Neonazi- Szene und deren frem den feindliche Parolen schreckten je - doch immer wieder auf, in den vergangenen Jahren wurde unser Stadt teil mehrfach zum Schau platz ihrer Auf- mär sche. Vielleicht haben sie unabsichtlich einen Bei trag ge gen das Vergessen geleis - tet? Wer am 1. Mai 2008 den großen, friedli chen „Marsch gegen Rechts“ entlang der Fuhls büttler Straße miter- lebt hat, an dem spontan viele Stadtteilbewohner und

Demonstration „gegen Rechts“ am 1. Mai 2008 in Barmbek, Fuhlsbüt te - ler Straße Privat

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Stadtteilbewohnerinnen teilnahmen – die Medien berichteten später nahezu aus- schließlich über Vorkommnisse nach Ende der Demo, als es zu Konfrontationen zwischen Linken, Rechten und Polizei gekommen war –, könnte den Eindruck ge- wonnen haben, Barmbeker hätten ihr Geschichtsbe wusst sein geschärft und an alte Traditionen angeknüpft. Denn große Teile Barmbeks zählten für die Nazis zu den politisch unzuverlässigen, „gemeinschädigenden“ Re gionen, Keimzellen von Rot- front und Widerstand, die Rede war von „marxistisch verseuchter Arbeiterschaft“. Und doch ... auch hier gelang es ihnen ab 1933, ihr menschenverachtendes Regime zu errichten, ihre Strukturen zu installieren und nach und nach breite Zu- stimmung zu gewinnen, die zur kollektiven Tragödie und zur Ermordung so vieler Verfolgter führte. Nicht als Historikerin, sondern als an der Geschichte des Stadtteils interessier- te Bewohnerin unternahm ich im Rahmen des Stolpersteinprojektes den Versuch einer Annäherung an die Zeit des Nationalsozialismus und seine Ausprägungen in Barmbek und dem benachbarten Uhlenhorst.

Barmbek damals

Das „Barmbeck“ der Vorkriegszeit, dessen Schreibweise sich 1946 in Barmbek änder - te, ist in den Bombennächten 1943 untergegangen und lebt nur noch in den Er inne - rungen noch lebender damaliger Bewohnerinnen und Bewohner. Das Ar chiv der hie- sigen Geschichtswerkstatt, die seit über zwei Jahrzehnten systematische his torische Forschung und Auswertung zahlreicher Gespräche mit Zeitzeugen durch geführt, Bücher und Broschüren dazu veröffentlicht hat, ermöglicht zusätzliche Einblicke.

Was prägte den damaligen Stadtteil? Barmbek war ehemals ein Dorf mit bewirtschafteten Höfen vor den Toren Ham- burgs. In den 1860er Jahren begann, nach Wegfall der Hamburger Torsperre, die Entstehung von Vororten in Hamm, Hammerbrook und Barmbek, das sich inner- halb einer Generation zum bevölkerungsreichsten Stadtteil Hamburgs entwickeln sollte. Das alte Barmbeck, heute Barmbek Süd, breitete sich auf bisherigem Acker- boden und Weideland aus zwischen Osterbek- und Eilbekkanal um den früheren Dorfkern herum. Neben intensivem Wohnungsbau mit entsprechender Infrastruk - tur siedelten sich auch zahlreiche große und kleine Industrie- und Handwerksbe - triebe an und nutzten die zu diesem Zweck ausgebauten Wasserwege für Trans- por te, vor allem auf dem Osterbekkanal. Ein großes Gaswerk am südlichen Ufer erhielt so seine Koks- und Kohlenvorräte und versorgte schon ab 1876 die halbe Stadt mit Gas. Neue Straßenzüge mit fünf- bis sechsgeschossiger Randbebauung, gewerblich genutzten Hinterhöfen oder eher lichtlosen Wohnterrassen prägten das

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Bild nördlich der Hamburger Straße. Es musste schnell Wohnraum entstehen für eine große Zahl von Menschen, die im Aufschwung der Industrialisierung nach Hamburg kamen und in den expandierenden Betrieben Arbeit fanden. Allein die Hartgummifabrik „New-York-Hamburger Gummi-Waaren Compagnie“ an der Mau rienstraße beschäftigte um 1910 ca. 1100 Arbeiter und Arbeiterinnen. Hinzu kam in den 1880er Jahren der Neubau der Speicherstadt auf einem Gelände, das bis dahin Wohngebiet für etwa 24 000 Menschen gewesen war und für deren zum Teil ärmliche Unterkünfte in den neuen Vororten Ersatz benötigt wurde. Der schnell errichtete Wohnungsbestand entsprach oft der geringen Zahlungsfähigkeit vieler Arbeiter, er war von minderer Bausubstanz und nicht selten feucht. In klei- nen Zwei- bis Vier-Zimmer-Wohnungen lebten bis zu zehnköpfige Familien. Auch Kaufleute und andere sozial Bessergestellte siedelten sich an, bevorzugt im Viertel zwischen Hamburger Straße und Eilbekkanal, ausgewiesen für Ein- zelhäu ser und Stadtvillen für Familien mit Hauspersonal, das teilweise aus den Arbeiterfamilien im nördlichen Wohngebiet stammte. In großbürgerlichen Wohn- häu sern mit Vier- bis Sieben-Zimmer-Wohnungen lebten u. a. Geschäfts leute des Stadtteils, auch Arztpraxen waren darin untergebracht. Um die Jahrhundertwende entstanden in Barmbek Süd vereinzelt genossen- schaftliche „Burgen“, so in der Wohldorfer Straße, an der Dehnhaide und der PRO- Block im Quarée von Schleidenstraße/Bruckner-/Lohkoppel- und Ortrudstraße. Mie ter waren überwiegend SPD-Mitglieder, von denen sich viele am kulturellen Leben im Stadtteil, an Projekten für Arbeiterbildung und -freizeitgestaltung aktiv beteiligten. Das um 1842 von ca. 1240 Seelen bewohnte Dorf war bis 1894, als es Stadtteil wurde, auf 38 000 und bis zu Beginn des Ersten Weltkrieges bereits auf annähernd 100000 Einwohner angewachsen. Um 1939 war Barmbek, einschließlich Duls- berg, das am dichtesten besiedelte Wohngebiet Hamburgs, in dem sich mehr als 190 000 Menschen drängten, denn nach Inflation und Währungsreform waren in den zwanziger Jahren auch der Barmbeker Norden und Dulsberg erschlossen, von Stadtplanern nach neuesten Erkenntnissen konzipiert. Der damalige Oberbau di - rek tor Fritz Schumacher hatte besonderen Anteil am Entstehen menschenfreund- licher Quartiere. Große Teile des Stadtbilds tragen seine Handschrift, der Dulsberg galt lange als vorbildliche Mustersiedlung. Hier und in Barmbek Nord traten als Bau herren größerer Wohnblocks oft gemeinnützige Unternehmen, Wohnungs bau - genossenschaften, Verbände und Innungen auf, die mit Förderung durch die Be- leihungskasse bezahlbare Wohnungen zu erstellen suchten. Der Bedarf war groß, doch die für eine Genossenschaftswohnung aufzubringenden Eigenanteile für die meisten Arbeiterfamilien, deren Pro-Kopf-Einkommen in Barmbek im Vergleich zu anderen Stadtteilen am unteren Ende lag, immer noch unerschwinglich. Die Be-

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wohner der neuen Wohnquartiere waren in der Mehrzahl kleine und mittlere An- gestellte, Beamte und aufstrebende Freiberufler. Der Barmbeker Süden blieb überwiegend Arbeiterwohnquartier, die sozialen Ver hältnisse teilweise dem Milieu vergleichbar, das der Zeichner Zille in Berlin fest gehalten hat. Armut, Enge und Verzicht, Krankheit durch schlechte Wohnsi tu - ation, unsichere Einkommensverhältnisse und Lebensperspektiven lähmten viele, erzeugten aber – als starkes Unrecht empfunden – bei anderen die Energie zur Auflehnung, besonders in Zeiten zusätzlicher Härten wie während der Inflation An fang der zwanziger Jahre und in der Weltwirtschaftskrise ab 1929. Im alten Barmbek verharrten die Menschen nicht in Passivität, die Arbeiterbewegung war stark, auch genährt von den Werften am Hafen, in denen viele Männer aus dem Stadtteil tätig und gewerkschaftlich organisiert waren. Gleiches galt für die großen Fabriken an Osterbek- und Stichkanal wie z. B. Heidenreich und Harbeck, Carl Spae ter, Kampnagel AG. Obgleich geschwächt durch die Spaltung der Arbeiterschaft um 1918, waren insbesondere SPD und KPD in der Arbeiterbewegung aktiv. Trotz eines vorüberge- henden Verbots der KPD nach dem „Hamburger Aufstand“ der Kommunisten im Herbst 1923, als der Barm- beker Süden um das Quartier Dehnhaide herum zum Schau - platz der Kämpfe wurde, die von der regierenden SPD nie - dergeschlagen wurden, blieben beide Parteien stark vertreten. 1932 erlangten sie punktuell, etwa im Umfeld der Hum - boldtstraße, gemeinsam 76 Prozent, während die NSDAP auf gerade 15 Prozent kam. Bei der letzten Reichstagswahl im März 1933 erzielten SPD und KPD zusammen in Barmbek noch beinahe 53 Prozent der Hamburger Aufstand 1923, Barrikaden an der Vogelweide, Ecke Stimmen, die NSDAP verbuch- Wohldorfer Straße Geschichtswerkstatt Barmbek te im bessergestellten Vier tel südlich der Ober altenallee bis Eilbek kanal größere Erfolge. Bei den sogenannten Wahlen 1936, als längst alle anderen Parteien verboten waren, hat es im Bezirk um den genossenschaftlichen PRO-Block nahe Schleidenpark noch knapp 27 Prozent Nein-Stimmen gegeben.

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Hamburger Stra ße und Ober - alten allee um 1930, im Vorder- grund der Winterhuder Weg Ullstein Bild

Im alten Barmbeck gab es Vielfalt und großstädtisches Flair, Armut neben rela- tivem Wohlstand, geschäftiges Treiben auf den Straßen, in Betrieben und Ein zel - handel. Als Magnet galt die Ham burger Straße, eine Einkaufs straße mit vielfältigen Angeboten in über 300 Geschäften, Gaststätten und Restaurants, die in da maliger Zeit mit der Mönckeberg straße in Hamburgs Innenstadt kon kurrie ren konnte und, ab 1911 gut erreich bar über drei Hochbahn sta tionen, für Kunden aus nahen und fernen Stadtteilen Anziehungskraft bot. Ab 1928 war die besondere Attraktion das zwischen Deseniß- und Rönn haidstra ße (heute Adolph-Schönfelder-Straße) gele- gene, seinerzeit modernste Kaufhausge bäu de Europas der Rudolf Karstadt AG. Vier- geschossig, auf 5000 qm Grundfläche, 26 Meter hoch mit einer neuartigen großen Rolltreppenanlage und sechs Personen auf zügen. Der riesige Dachgarten war im Sommer ein Freiluftcafé mit Tanzkapelle und Blick über den Stadtteil.

Uhlenhorst

Im Gegensatz zu Barmbek ist das Gebiet entlang der Außenalster, zwischen Alster - ufer und ehemals Bachstraße, nicht aus einer vorhandenen Ansiedlung entstanden, sondern ab 1867 nach einem von den Stadtplanern Plath und Lindley entworfenen Bebauungsplan für Mundsburg und Hohenfelde neu errichtet worden. Auf tro- ckengelegten ehemaligen Schaf- und Rinderweiden in exponierter Lage entstanden bürgerliche Stadthäuser und großbürgerliche Villen, geprägt von der Architektur der ausgehenden Gründerzeit. Ab 1871 war Uhlenhorst ein Vorort Hamburgs und ab 1894 – wie Barmbek – als Stadtteil eingegliedert. Seine Größe beträgt ca. 2,2 qkm, etwa ein Fünftel des Barmbeker Gebiets, die Einwohnerstärke um 1933 bezifferte sich auf 40102 Personen.

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Bewohner des Stadtteils leben nicht in, sondern „auf der Uhlenhorst“, bis heute eine der exklusivsten – und teuersten – Gegenden Hamburgs. Man orientierte sich mehr am angrenzenden Hohenfelde und am westlichen Winterhude oder dem ge - gen überliegenden, mit Direktverbindung durch Alsterdampfer erreichbaren Harveste hude. Zum benachbarten Barmbek hin entstanden nordöstlich des Hofwegs auch schlichtere Wohnhäuser für Menschen mit geringeren Einkommen und Gewer be - flächen für Handwerksbetriebe und Kleinindustrie, während sich die Bebauung vom Winterhuder Weg bis zur östlich gelegenen Bachstraße nicht mehr vom übri- gen Wohn- und Gewerbegebiet Barmbeks unterschied. Westlich des Hofwegs bis zur Alster gab es kaum Gewerbe, hier finden wir noch heute reines Wohngebiet mit hohem Standard. Der westliche Teil Uhlenhorsts und seine östlichen Nachbarn profitierten von- einander, weil Barmbek viele Handwerks- und Dienstleistungen anzubieten hatte, für die in Uhlenhorst eine Nach- frage bestand. Fortsetzung der Hamburger Straße Richtung In - nen stadt war und ist auf heutigem Uhlenhorster, da mals teilweise Hohenfelder Ge biet der Munds - burger Damm, vor der Zerstörung ebenfalls mit hohen Wohn ge bäu- den bebaut, die in den Erdge - schos sen Ge schäf te und Cafés und darüber sehr große, auch als Blick in den Mundsburger Damm um 1910, Eckgebäude Win - Praxen und Kanzleien genutzte terhuder Weg Bildarchiv Hamburg Woh nun gen enthielten. Zu Zeiten der natio nal so zialistischen Verfolgung fan den in diesen Häusern verschiedene jüdi- sche Fami lien und Einzel per sonen vorübergehend Zu flucht. Der Charakter einer Wohn- und Geschäftsstraße setzt sich in der Papenhuder Straße fort, die, von Norden kommend, an der Mundsburger Brücke auf den Munds burger Damm trifft und schon damals den Stadtteil mit Lebensnot wen di - gem versorgte. Die politische Ausrichtung spiegelte den sozialen Stand der Bewohner wider und war im westlichen Uhlenhorst überwiegend konservativ bis liberal, später zu großen Anteilen nationalsozialistisch. Im wohlsituierten Gebiet zwischen Adolf- straße (heutige Herbert-Weichmannstraße) und Alster erreichte die NSDAP bei der letzten freien Wahl 1932 einen Stimmenanteil von 43 Prozent, während SPD und KPD zusammen knapp 16 Prozent auf sich vereinigten.

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Ursprünglich verlief die Grenze zwischen Uhlenhorst und Barmbek entlang der Bachstraße, Hamburger Straße und Lerchenfeld, seit 1951 entlang dem Winterhu - der Weg, der Oberaltenallee und Richardstraße. Das Gebiet südlich des Uhlen- hors ter Wegs gehörte zu Hohenfelde, die Grenze verschob sich 1951 bis an den Kuh müh lenteich und Eilbekkanal. Wir haben Biographien von Betroffenen aus diesen Stra ßen in unsere Sammlung aufgenommen und dabei die aktuellen Um- risse Uhlenhorsts berücksichtigt. Ein Gedenkbuch zum heutigen Stadtteil Hohen- felde ist in Vorbereitung.

Zeit des Nationalsozialismus

Im Rückblick können wir davon ausgehen, dass auch in Barmbek und Uhlenhorst ein großer Teil der Bevölkerung die nationalsozialistische Machtübernahme 1933 hinnahm oder in der Hoffnung auf bessere Zeiten begrüßte. Bei Gesprächen über diese Epoche wird von Barmbeker Zeitzeugen vor allem die hohe Arbeitslosigkeit ge nannt, die sich infolge des Krieges und der Inflation seit Beginn der zwanziger Jahre hinzog und aufgrund der Weltwirtschaftskrise 1929 einen neuen Höhepunkt erreichte. Rückzüge von Investoren, Auftragsrückgänge und Firmeninsolvenzen führ ten zu Massenentlassungen und versetzten unzählige Familien in wirtschaftli- che Not. Staatliche Möglichkeiten, diese aufzufangen, waren gering und politische Parteien, die zersplittert waren und keine Koalitionsbereitschaft zeigten, erzeugten eine Atmosphäre der Resignation und den Ruf nach einer „starken Hand“. Zwar gab es in Hamburg eine relativ stabile politische Mehrheit, hier war die SPD stärk- ste Partei und fand Koalitionspartner im bürgerlichen Lager, musste dafür aber auch die Ver ant wortung für die Situation vor Ort übernehmen. Die Regierung in Berlin und die noch junge, sich in der Entwick lung befindliche Republik wur de als schwach und un entschlossen wahrgenommen, zu groß war das politische Spek- trum mit teils extremen Vorstellungen einzelner Gruppen. Un einigkeit über Kon- se quen zen nach der Kriegsniederlage und das Verhalten der Siegermächte führten immer wieder zu Spannungen, etlichen schien die Rückkehr zu einem autokrati- schen Sys tem, ei nem Obrig keitsstaat ein Ausweg zu sein. Eine an der Kaiserzeit orientierte Opposition bekam Aufwind, reprä sentiert etwa durch die Deutsch - nationale Volkspartei (DNVP) und ihren militärischen Arm „Stahlhelm, Bund der Frontsol daten“. Einer ihrer Aufmärsche fand auf der Festwiese im Stadtpark statt, die Aufnahme zeigt möglicherweise eine Parallelveranstaltung zur Berliner Groß- ver anstal tung „Zehn Jahre Versailler Vertrag“ im Juni 1929. Diese größte para- militärische Organisation mit annähernd 500000 Mitgliedern um 1930 (die Reichs- wehr war in diesem Frie dens vertrag auf 100 000 Angehörige beschränkt,) erhielt von Unternehmern und Großgrund besitzern finanzielle Unterstützung, zur Reichs-

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wehr existierten gute Ver bindun - gen. Auch andere Parteien hatten enge Verbindungen zu Front - kämp fergruppen, die zu großen Teilen aus ehemaligen Soldaten und Offi zieren des aufgelösten Welt kriegsheeres bestanden, je- doch unterschiedliche politische Ziele verfolgten. Beinahe drei Mil - Aufmarsch der „Stahlhelme“ im Stadtpark um 1929 lionen Männer waren im repub- Geschichtswerkstatt Barmbek liktreuen Reichsbanner Schwarz- Rot-Gold organisiert. Dazu kamen weitere kleine regionale Kampf- und Ord ner- grup pen, schwarze Reichswehrverbände, die zur NSDAP gehörige SA und bis zu 100 000 Rote Frontkämpfer. Die Existenz dieser das Bild der Öffentlichkeit mitprä - genden Gruppen trug weiter zur spannungsgeladenen Alltagsatmosphäre bei. Die NSDAP-Forderung nach „Schaffung einer starken Zentralgewalt“ entsprach durchaus den Vorstellungen vieler konservativer Wähler. Ihr Ziel war eine „Deut- sche Revolution“. Bereits seit den frühen zwanziger Jahren gehörten Aufmärsche der NSDAP zum Straßenbild, ihre sich als Avantgarde der Revolution verstehende „Sturmabteilung“ (SA) zeigte als Demonstration politischer Stärke Präsenz, wo immer sich Gelegenheit ergab, nicht nur als Saalschutz bei Parteiver sammlun- gen, sondern auf Umzügen mit Musik- be gleitung, Massen veranstaltun gen, die als „Kampf um die Straße“ bezeichnet wurden. Von Geschäftsleuten und Mit- telstand teilweise als Schutzmacht an - ge sehen, die Kriminellen und Kom mu - nisten, der „roten Gefahr“, entgegentrat, provozierte die SA auch in Barmbek viele Schlägereien mit Vertretern des kom munistischen „Rotfront kämpfer bun- des“ (RFB), vereinzelt auch mit dem „Reichsbanner“, in Hamburg der SPD- Regierung nahestehend. So wohl KPD als auch NSDAP galten vielen unpoliti- schen Bürgern als Extremisten, gegen beide gab es zahlreiche Polizeieinsätze Die „Hakenkreuzfeste“ am Wiesendamm war Zen- in Hamburg unter SPD-Regierung und - trale der Barmbeker NSDAP-Ortsgruppe Zoll Geschichtswerkstatt Barmbek Polizei senatoren.

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Einzelne Parolen der NSDAP-Propaganda sprachen unterschiedliche Zielgrup - pen an, wie das Versprechen nach Wiederherstellung der „Ehre des deutschen Volkes“, das sich auf den von großen Teilen der Bevölkerung als Demütigung emp- fundenen Versailler Vertrag bezog und dem bereits der Revanchegedanke inne - wohnte. Im Parteiprogramm heißt es u. a.: „Wir fordern ... Land und Boden (Kolo - nien) zur Ernährung unseres Volkes“, „... daß sich der Staat verpflichtet, in ers- ter Linie für die Erwerbs- und Lebensmöglichkeit der Staatsbürger zu sorgen. Wenn es nicht möglich ist, die Ge samt - bevölkerung des Staates zu ernähren, so sind die An gehörigen fremder Nationen (Nicht-Staatsbürger) aus dem Reiche aus zuweisen ...“, „... großzügigen Aus- bau der Altersversorgung“. Krise und Ar beitslosigkeit verursachten schon da - mals Angst vor Altersarmut. Die For de - rungen suggerierten Ein satz für die Inte- Aufruf des Reichsstatthalters Kaufmann NSDAP-Gaunachrichten 1935 ressen des „kleinen Mannes“. Ehemals sozialistische Forderungen wie die Ge- winnbeteiligung an Großbetrie ben bis hin zur Kommunalisierung der Groß- Wa renhäuser zwecks Vermietung zu bil- ligen Preisen an kleine Gewerbe trei ben- de wurden relativiert, als Hitler sich um Spenden zum Aufbau seiner Par tei an Das monatlich auch in Barmbek erscheinende Pro - pagandablatt NSDAP-Gaunachrichten 1936 Unternehmer wandte und Privatver - mögen favorisierte. Kern der NSDAP-Ideologie war die Beschwörung einer „gesunden Volksge - mein schaft“, eines Wir-Gefühls unter Aus schluss alles Fremden. Allen an dieser Gemeinschaft Beteiligten – vorrangig Parteimitgliedern – stellte man Vorteile in Aussicht, u. a. Arbeitsplätze durch die Vertreibung aller „Gemeinschaftsfremden“ aus öffentlichen Ämtern, die allein Staatsbürgern vorbehalten sein sollten: „Staats- bürger kann nur sein, wer Volksge nosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deut- schen Blutes ist, ohne Rück sichtnahme auf Konfession. Kein Jude kann daher Volks genosse sein.“ Der Antisemi tis mus war fest im Parteiprogramm verankert. Die Ressentiments fielen auf fruchtbaren Boden, es waren Schuldige an der Misere benannt, Fremde und Juden bzw. jüdisches Kapital, während sich deut- sches Staatsbürgerkapital zum Verbündeten erklären ließ. Wer als Wähler seine po litische Heimat in anderen Parteien nicht finden konnte, sah in der NSDAP eine Chance zum Protest, ein Vehikel zur Verbesserung der eigenen Lebenssituation

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oder fühlte sich insgesamt von dieser Ideologie angesprochen – die Ergebnisse der Wahl im März 1933 sprechen für sich. Bei Durchsicht historischer Werke drängt sich der Anschein auf, als habe ein Interessenverbund aus Wirtschaft und Militär, während der Weimarer Republik in Schach gehalten, die neue Stimmung sehr begrüßt. Bot sich doch nun eine durchs Volk legitimierte Gelegenheit, sich dem Diktat der Siegermächte zu widersetzen.

Widerstand und politische Verfolgungen

Wie sah es in unserer Stadt und unserem Stadtteil aus? Taktische Bemühungen der KPD, noch kurz vor der Wahl am 5. März 1933 zusam- men mit SPD und linken Splittergruppen eine Einheitsfront herzustellen, waren ge- scheitert, zu groß waren die jahrelangen Differenzen. SPD und KPD erhielten zwar in Hamburg 1933 gemeinsam mehr Stimmen als die NSDAP, letztere war aber stärkste Fraktion, bildete ab 24. April zusammen mit DNVP (Stahlhelm), DVP und DStP den neuen „nationalen“ Senat und stellte mit Carl Vincent Krogmann den Bürger meister. Besondere Macht konzentrierte sich in den Händen des bis herigen Gau leiters und von Hitler nun zum Reichsstatthalter ernannten Karl Kaufmann, der aus Hamburg einen „Mustergau“ machen wollte und eine bisher beispiellose Terrorwelle gegen Arbeiterbewegung, innerparteiliche Gegner, Juden und Aus länder in Gang setzte. SA- Razzien zur Einschüchterung politischer Gegner waren an der Tages ord nung. Binnen kurzem hatte die Partei ihre Strukturen im gesamten Stadtgebiet und allen öffentlichen Einrichtungen verankert. Wenige Tage nach Verabschiedung des „Ermächtigungsgesetzes“ im April 1933, das einer Blankovollmacht für Adolf Hitler gleichkam, folgte das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufs beam ten tums“, das alle „rassisch“ und politisch unerwünschten Personen aus dem Staatsdienst ver - treiben sollte; die frei werdenden Stellen besetzten vorzugsweise arbeits lose Partei- und SA-Mitglieder, „alte Kämpfer“ der Bewegung, oft ohne erfor derliche Qua lifi - kationen. Viele Beamte hatten sich rechtzeitig für eine NSDAP-Mitgliedschaft ent- schieden, um ihre Position und Karriere zu sichern. Dies blieb nicht unbemerkt: wer sich mit der Partei arrangierte, durfte mit Arbeit und einer besseren beruflichen Perspektive rechnen. Materielle und soziale Interessen konnten politische Ein stel - lungen ins Wanken bringen, auch Skeptiker, denen seit Jahren die Mittel fehlten, Grundbedürfnisse ihrer Familien zu erfüllen, kamen ins Nachdenken. In Barmbek Nord und Süd waren um 1933 knapp über 4000 Parteimitglieder ver zeichnet, das entsprach etwas mehr als 2 Prozent der Bevölkerung. Die SPD ver zeichnete im Stadtteil knapp 10 000 Mitglieder, die KPD etwa 1300. Unter den NSDAP-Anhängern gab es viele Einzelhändler, selbstständige Handwerker, An- gestellte, Beamte, Hausbesitzer und auch Gastwirte, die Räumlichkeiten zu Ver-

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samm lungszwecken anzubieten hatten. Zwar war die Neuauf - nahme von Mitgliedern bis 1937 blockiert, aber die Übernahme von Ehrenämtern in anderen Or- gani sa tio nen der NSDAP war gern gesehen. Dort gab es unzählige Ämter und Pöstchen, durch die Beteiligte in die Parteiarbeit einge- bunden wurden, gleichzusetzen mit einem System gegenseitiger Fuhlsbütteler Straße, Ecke Pestalozzistraße mit Wahlaufruf für die NSDAP Geschichtswerkstatt Barmbek Kontrolle und zugleich Überwa - chung der An dersden kenden. Bis 1945 stieg die Zahl der Barmbeker Parteimitglieder auf ca. 16000 an, wobei er - wach sene Männer – wie überall – den größeren Anteil stellten. Überzeugte Natio - nalso zia lis ten glaubten, einer Verwirk lichung der „Volksgemein schaft“ mithilfe von De nun ziationen und Bespitzelun gen ihres Wohn- und Berufs- um feldes näher zu kommen. Die Parteistruktur im Stadtteil war hierarchisch gegliedert, sie bestand aus Haus gruppen (15 Haushalte), Blocks (40–60 Haushalte) mit Blockleitern, Zellen (4–8 Blocks) mit Zellenleitern, darüber standen Ortsgruppenleiter, Kreisleiter und an der Spitze der Gauleiter. Teilnahme an Schulungen war erwünscht, Diskus sio - nen oder gar kritisches Hinterfragen jedoch nicht. Ziel war die gemeinsame Arbeit am idealisierten „großen Werk“. Mit Verbot oder Auflösung aller übrigen Parteien und der Gewerkschaften entfie- len auch die meisten bisherigen Jugend- und Freizeitangebote, für die Gliede run gen der NSDAP Ersatz anboten. Viele Angebote richteten sich an Kinder und Jugendliche und übten Anziehung aus, boten gleichzeitig Möglichkeiten der In dok trination. In den Schulen, deren Leitungen durch Parteimitglieder ausgetauscht waren, standen Schüler und Lehrer unter Kontrolle, letztere nicht selten selbst begeisterte NSDAP- An hänger. Außerschulische Aktivitäten fanden in Jungvolk, Hitler jugend (HJ) und Bund deutscher Mädel (BdM) statt mit ihren Sport-, Wander-, Bastel-, Tanz-/Sing- kreisen mit Kurs- und Aufstiegsangeboten. Die zunächst freiwillige Mitgliedschaft war später Pflicht, wie beim Reichsarbeitsdienst, aus dem junge Män ner für Partei- organisationen, SA und SS/Waffen-SS angeworben wurden, umschmeichelt mit dem Nimbus der Elite: „aus SS-Mannen und ihren Angehörigen (wird) eine Führerschaft heranwachsen, die sich aus den Besten des Deutschen Volkes zusammensetzt“. Auch junge Barmbeker fühlten sich von diesem Ruf angezogen und leisteten Schwüre, deren Bedeutung sie vielleicht erst nach Kriegsbe ginn in Gänze ermessen konnten.

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Es gab Zwangsverbände für alle Berufsstände, Studentenbünde, NS-Frauen- schaf ten, Gau-Frauenschaften, eingebunden in Tätigkeiten für Volkswohlfahrt und Winterhilfswerk, deren Angebote für Bedürftige im Rahmen umfangreicher ehren- amtlicher Arbeit realisiert wurden und den Nutznießern nach langen Entbehrun - gen das Gefühl vermittelte, dankbar sein zu müssen. Die neue Organisation „Kraft durch Freude“ ermöglichte armen Familien neben einer Vielzahl an Freizeitan ge - boten erstmals, an Urlaubsreisen in andere Länder teilzunehmen. Die Partei als Hel fer und Wohltäter ließ sich feiern, die Zahl der NSDAP-Sympathisanten und - Mitläufer wuchs. Das Gros des Volkes erfreu- te sich in Friedenszeiten auch in unserem Stadtteil an „Brot und Spielen“, ehemals Arbeits - lose hatten zu essen, trotz Ra - tionierung, die Olympischen Spiele 1936 hielten das Land in Atem, Kriegs vorbe reitungen waren noch nicht deutlich Apell zur Identifikation mit der Volksgemeinschaft sichtbar und wer dies behaup- NSDAP-Gaunachrichten 1935 tete, wurde wegen Verleum - dung verfolgt. Spiele, Ausfahr- ten und Sommerfeste, Theater- und Filmvorfüh run gen dien ten der Propaganda. Erst relativ wenige Haushalte verfügten zu Beginn der dreißiger Jahre über ein teures Rundfunkgerät oder bezogen überregionale Tages zeitun gen. Flugblätter, Wandzei - tungen und Transparente oder Parteiorgane wie die „Gau nach richten“ sorgten für die Verbreitung gefilterter Informationen, die Massenproduktion eines preiswerten „Volks empfängers“, ei nem Radio mit Sender auf einer Frequenz, diente der Ver - breitung von Nachrichten aus Berlin und Worten des „Führers“, dem es mit Hilfe von Rundfunk und Film gelang, die Massen für seine Zwecke zu mobilisieren. Trotz aller Zustimmung, Machtdemonstrationen, Gleichschaltungen und Ein- schüchterungskampagnen wissen wir aber auch von Anstrengungen innerhalb der Arbeiterparteien, sich in Barmbek zu formieren und Widerstand zu leisten. Wie ist „Widerstand“ zu definieren? Organisierte politische Aktionen konnten nach dem Verbot sämtlicher Parteien und Gewerkschaften und der Abschaffung de mokratischer Rechte ab 1933 nur in der Illegalität stattfinden. Führende Kom- munisten und Sozialdemokraten wurden zur Einschüchterung gleich nach der Machtübernahme der NSDAP in Hamburger Gefängnisse verbracht, hamburgweit über 5000 Verhaftungen vorgenommen. Im selben Jahr wurde das KZ Fuhlsbüttel eröffnet, ein SS-Sturmbannführer als Leiter der Staatspolizei eingesetzt. Ab Ende

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1933 gab es kaum jemanden, der unabhängig Recht sprechen konnte, kritische Rich ter waren aus ihren Ämtern verdrängt. Viele Inhaftierte verbrachten lange Jahre in Gefängnissen und Zuchthäusern, manche waren schweren Misshandlungen und Folterungen ausgesetzt. In öffentlichen Schauprozessen wurden Todesurteile ausgesprochen. Unter diesen Umständen offen Widerstand zu leisten, waren nur we nige Menschen bereit oder sahen darin einen Sinn. Es gibt Berichte über ver- deckte Aktionen der Barmbeker Reichsbannerabteilungen (SPD) und deren Schutz- forma tio nen („Schufos“), die zwar nicht aufsehenerregend, aber gefährlich waren. Rechtzeitig versteckte Waffen kamen nicht zum Einsatz, es wurden Netzwerke ge knüpft zwischen unerschrockenen Genossinnen und Genossen, die als Kuriere Informa tionen und Schriften schmuggelten und verbreiteten und in Kontakt mit den Büros der Exil-Vorstände standen. Widerstandsgruppen ehemaliger Reichs - banner-Mitglieder, meist jüngerer Sozialdemokraten in Arbeiter stadtteilen und von Mitgliedern des Internationalen Sozialistischen Kampfbunds (ISK) hat es noch bis mindestens 1937 gegeben. Kämpferische junge Kommunisten ließen sich trotz brutalster Verfolgungen lange nicht einschüchtern, Tausende sollen in den ers ten Jahren der NS-Herrschaft in Hamburg aktiv gewesen sein, wobei auch der Einsatz von Schusswaffen überliefert ist. In Dulsberg wurden Schüsse auf einen SA-Um- zug abgegeben, in der Von-Essen-Straße ein Bombenanschlag auf ein SA-Ver- samm lungslokal durchgeführt. Die Gestapo zerschlug immer wieder KPD-Wider- standsgruppen (illegale Nachfolgegruppen des verbotenen RFB) und hob illegale Druckereien aus, auch in Barmbek und dem benachbarten Winterhude, bis die Strukturen 1937/38 zerstört waren und die wichtigsten Initiatoren sich in Zucht- häusern oder KZs befanden. Vorzugsweise nachts führte die Gestapo Haus durch - suchungen und oft willkürlich wirkende Verhaftungen mit brutaler Gewalt durch. Neben immer perfekteren Überwachungsmethoden gab es auch zahlreiche Spitzel und Denunzianten, die sich den Parteiorganen andienten und persönliche Vorteile erhofften. Schwerpunkte der Untergrundarbeit waren Kurierdienste, die Weitergabe von Informationen und Schriften, die legal nicht erhältlich waren, sowie das Sammeln von Geld zur Unterstützung von Familien, deren Männer in Gefängnissen oder Zuchthäusern saßen, und zur Ausschleusung besonders gefährdeter Verfolgter. Nach Kriegsbeginn entstanden neue Widerstandsgruppen, besonders aus den Reihen der KPD nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1942. In Fabriken, die kriegswichtige Produkte herstellten, gab es Sabotageakte. Die Oppositionellen nahmen auch Kontakte zu polnischen und russischen Zwangs - arbeitern auf, die in der Firma Heidenreich und Harbeck tätig und in einem Lager an der Burmesterstraße untergebracht waren. Auch aus den Firmen Spaeter und Kamp nagel ist betrieblicher Widerstand aus den Kriegsjahren überliefert.

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Kleinen, KPD-nahen Gruppen (z. B. Bästlein-Jacobs-Abshagen-Gruppe oder Etter- Rose-Hampel-Gruppe) gelang es nach Auskunft von Zeitzeugen noch bis Kriegs - ende, unter Lebensgefahr Flugblätter zu produzieren und zu verteilen, in der Ab- sicht, damit Berichte über die tatsächlichen Zustände im Reich und an der Front zu verbreiten und verbliebene Genossinnen und Genossen zu ermutigen. Zusam men- künfte waren als Ausflüge oder Wanderungen getarnt, als neutrale Treffpunkte dien - ten Sportveranstaltungen und -Vereine; so haben SPD- und KPD-Mitglieder im Arbei- ter sportverein USC Paloma gemeinsame Aktionen geplant und Fluchten vorbereitet. Neben politisch motivierten Widerständlern gab es Verweigerer und sich der An passung widersetzende Menschen aus unterschiedlichen sozialen Kreisen, de - nen Anstand und Gewissen verbot, sich an der Ausgrenzung von Mitmenschen oder an Denunziationen zu beteiligen. Sie behielten den ungetrübten Blick für die alltäglichen gewaltsamen Übergriffe auf Andersdenkende und halfen im Rahmen ihrer Möglichkeiten Verfolgten mit kleinen Gesten. Zeitzeugen, auch jüdische Über lebende, berichteten später darüber. Manche Helfer blieben unbehelligt, an- dere waren selbst Denunziationen ausgesetzt. Diesen Menschen entgingen auch nicht die stetigen Verschärfungen gegen jüdische Mitmenschen und deren Ver- drän gung aus öffentlichen Einrichtungen, aus Schulen, Mietverhältnissen, Lebens- räumen. Wer gut beobachten und kombinieren konnte, ahnte den künftigen Kurs und den Beginn eines Krieges und konnte dennoch nur wenig tun, ohne sich oder Angehörige zu gefährden. Dann gab es die Empörten und Nonkonformisten, die sich wagemutig über persönliche Einschränkungen hinwegsetzten, sich des Risikos entweder nicht be- wusst waren oder es ignorierten. Dazu zählt die „Swingjugend“, die auch in Barm- bek Anhänger hatte, sich im weit über den Stadtteil hinaus bekannten „Café Kö- nig“ zum Tanzen traf und schließlich Verfolgungen und Verhaftungen ausgesetzt war. Andere hörten trotz Verbot ausländische Radiosender, ließen sich den Mund nicht verbieten und äußerten sich kritisch zur Lage im Land, zeigten Mangel an Respekt gegenüber nationalsozialistischen Amtsträgern und Anordnungen oder gefährdeten sich durch die Weigerung, den Hitlergruß zu praktizieren. Ab Juni 1935 begann nach Verschärfung des § 175 – der bis 1969 Bestand hatte – eine Jagd auf Homosexuelle; in Barmbek und Uhlenhorst wurde seit dem Jahr 2000 mehreren Opfern durch Stolpersteinverlegungen gedacht. Roma und Sinti unterlagen wie Juden den sogenannten Rassegesetzen, es gab in Barmbek einzelne Verfolgte und Opfer, deren Biographien in diesem Buch nicht enthalten sind, da die Rom und Sinti Union eine eigene Publikation vorbereitet, die nicht mit der Gedenkform „Stolpersteine“ im Zusammenhang steht. Ärzte des Krankenhauses Barmbek beteiligten sich an Zwangssterilisationen von angeblich „Fortpflanzungsunwürdigen“ und „Erbkranken“, oft handelte es sich

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um Menschen mit sogenanntem abweichenden Verhalten, das nicht ins Schema der Machthaber passte. Zu erforschen bleibt, in welchem Maße Anstalten dieses Stadtteils beteiligt waren an der „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ im Rah- men des Euthanasieprogramms, später auch T4-Aktion genannt. Es gibt Hinweise auf Deportationen von Opfern aus dem Versorgungsheim Oberaltenallee, dem Waisenhaus in der Averhoffstraße – über einen Fall wird in diesem Buch berichtet – und der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg, in der psychisch Kranke oder so zial auffällige Menschen behandelt wurden.

Ressentiments gegen Juden im Stadtteil

Um 1925 lebten 544 Menschen „israelitischer“ Religionszugehörigkeit in Barmbek, nach einer Volkszählung im Juni 1933 waren es 724 Personen, 344 weibliche und 380 männliche. In Uhlenhorst waren 242 Personen gemeldet, davon 139 männliche und 103 weibliche. Die Gesamtzahl ist im Vergleich zu anderen Stadtteilen gering. Während politische Verfolgte in Barmbek und Uhlenhorst sich oft auf ein sozi- ales Netz in ihrem Wohnumfeld verlassen konnten, waren die jüdischen Mit bür - ger nach Beginn der Verfolgungen weitgehend auf sich gestellt. Bis 1933, mit Einschränkungen sogar noch ein paar Jahre darüber hinaus, war dies anders, die im Vergleich zur Bevölkerungszahl in Barmbek und Uhlenhorst sehr kleine Minderheit war nach Zeitzeugenberichten soweit integriert oder assi- miliert, dass ihre Existenz kaum jemandem als etwas Besonderes erschien. Jü di - sche Geschäfte konnten im Stadtteil auch nach den NSDAP-Boykottaktionen auf ihre Kunden zählen, von jüdischen Ärzten ist bekannt, dass sie sehr beliebt waren und nicht selten Patienten aus armen Haushalten kostenlos versorgten. Jüdische Kran kenhausärzte hatten mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbe am - tentums“ schon 1933 ihre Arbeitsplätze verloren, ihre niedergelassenen Kollegen mit eigenen Praxen mussten spätestens 1938 aufgeben. Interviewte Barmbeker und Barmbekerinnen mit unterschiedlicher politischer Herkunft haben gleichlautend versichert, Judenfeindlichkeit sei innerhalb der Be- völkerung bis 1933 unbekannt und bis 1938 kaum zu bemerken gewesen. Manch- mal habe man erst in diesen Jahren von der jüdischen Abstammung eines Nach - barn, Klassenkameraden oder Ladeninhabers in nächster Nähe erfahren. Staatliche Eingriffe in das Leben jüdischer Mitbürger und -bürgerinnen zeigten allerdings be- reits 1933 auch in Barmbek Auswirkungen in Form von Auswanderungen jüdischer Nachbarn, ihrem Verschwinden aus öffentlichen Ämtern oder der aggressiven Par- tei politik gegen sie. Den „Nürnberger Gesetzen“ 1935 folgten weitere Ausgren zun - gen, ab Ende 1938 mussten jüdische Schüler staatsliche Schulen verlassen, Juden wurden aus Vereinen gedrängt, Firmen trennten sich von Mitarbeitern.

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Zwischen staatlichem Terror und dem Verhalten der Bevölkerung bestanden offenbar Diskrepanzen, in Barmbek und Uhlenhorst blieben Nachbarschaften noch einige Jahre relativ intakt. Auch jüdische Betroffene, soweit noch Zeugen be - fragt werden konnten, haben sich ähnlich geäußert; im Rückblick führten sie ein ganz normales Alltagsleben und beteiligten sich am sozialen Miteinander in der Nachbarschaft, Erinnerungen an Übergriffe vor 1933 gab es im Stadtteil keine und bis 1938 allenfalls in verdeckter Form, die der Öffentlichkeit oft nicht auffiel. Kaum bekannt – selbst für Juden, die sich nicht aktiv am Gemeindeleben betei- ligten und eher säkular lebten – war die Existenz einer Synagoge im Stadtteil seit

Grundriss der Synagoge in der Gluckstraße; leider existieren keine Fotos Geschichtswerkstatt Barmbek/Bauakte Bauprüfamt Barmbek-Uhlenhorst

1920, betrieben vom „Jüdischen Gemeinschaftsbund Barmbeck, Uhlenhorst und Umgegend“, der sich später „Schewes Achim“ nannte, d. h. Brüdereintracht. In der Gluckstraße 7–9 erwarb der Deutsch-Israelitische Synagogenverband ein Grund- stück von der benachbarten „Barmbecker Brauerei“, zwei daraufstehende, zurück- liegende Villen wurden umgebaut und am 9. September als Synagoge eingeweiht und genutzt bis zu ihrer zwangsweisen Schließung im November 1938. Gewalt- same Übergriffe oder Schändung in der Pogromnacht fanden nicht statt. Eine Gedenktafel auf dem Gehweg erinnert heute an die Synagoge, das Grund - stück wird inzwischen von einer freikirchlichen Gemeinde genutzt. Veränderungen nach der nationalsozialistischen Machtergreifung fanden für jüdische Menschen in Barmbek also zunächst überwiegend auf offizieller Ebene statt, im Kontakt mit Behörden und Ämtern und aufgrund der massiv gegen Juden gerichteten nationalsozialistischen Hetze und Propaganda, flankiert von immer

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neu en Gesetzen und Verordnungen mit dem Ziel ihrer Ausgrenzung, Einschrän - kung ihrer Bewegungsfreiheit und letztlich ihrer Vertreibung aus dem öffentlichen Leben, aus Stadt und Land. Den vorgelegten Biographien sind die schrittweisen Verschärfungen zu entneh- men, die schließlich auch in unserem Stadtteil spätestens ab 1938 nicht mehr zu übersehen waren. Jüdischen Ärzten, die bisher durchgehalten hatten, wurden 1938 die Approbationen entzogen. Sie mussten Praxen schließen und verloren damit ihre Existenzgrund lage. Mit der Pogromnacht am 9. November schließlich und der kurz darauf folgenden „Verordnung zur Ausschaltung von Juden aus dem deutschen Wirt - schafts leben“ war die systematische „Arisierung“ abgeschlossen. Verbliebene jüdi- sche Be triebe verloren ihre Lizenz, wurden „abgewickelt“ oder zwangsweise „ari - siert“ bzw. an „politisch unbedenkliche“ Interessenten verkauft, oft zu Spottprei sen. Allein in der Hamburger Straße waren mindestens 30 Geschäfte betroffen. Juden wurden ab Ende 1938 letzte Freiräume genommen, das Bleiberecht strei- tig gemacht, Judenfeindlichkeit von Antisemiten offen ausgelebt. Jüdische Nach- barn verschwanden, weil sie wochen- oder monatelang in „Schutzhaft“ genommen waren, ab 1939 ihr Wohnrecht verloren und in „Judenhäusern“ Zuflucht suchen mussten, emigriert waren oder Suizid begangen hatten. Trotzdem kennen wir Berichte von nachbarschaftlichem Zusammenhalt, von freundlichen älteren Polizisten etwa, die einen jüdischen Schüler begleiteten und ihm zur Sicherstellung der familiären Ritualgegenstände Zugang zur geschlosse- nen Synagoge verschafften. Einer ihrer Kollegen in Barmbek Nord warnte seine jüdische Nachbarin vor der Pogromnacht und forderte sie auf, Verwandte aus ei- nem anderen Stadtteil zur Sicherheit zu sich zu holen (s. Familie Acker). Mit Kriegsbeginn im September 1939 verschärften sich die Drangsalierungen. Betriebene Auswanderungen, die oft per Schiff über England stattfinden sollten, muss ten storniert werden. Nur wenige Länder erteilten überhaupt noch ein Visum. Gab es nach hohen Zwangsabgaben noch Vermögen, so war es anzumelden und auf ein Sicherungskonto einzuzahlen, von dem nur geringe monatliche Summen ab- gehoben werden durften. Auf Lebensmittelkarten standen Juden nur halbe Rationen zu, Pro dukte wie Fleisch wurden ihnen ganz verwehrt. Sie unterlagen nächtlicher Aus gangs sperre, durften nicht telefonieren, ihren Wohnort nicht verlassen, kein Radio hören. Wö chentliche neue Verordnungen schränkten ihr Leben weiter ein. 1941 erfolgten von Hamburg aus die ersten Deportationen, betrieben von Reichs statthalter Kaufmann, der in Berlin darauf mit der Begründung drängte, es werde nach ersten Zerstörungen durch alliierte Bomben Wohnraum gebraucht. Die genaue Zahl der davongekommenen oder ermordeten jüdischen Familien und Einzelpersonen aus Barmbek und Uhlenhorst ist unbekannt. Unsere Recher- chen anhand vorhandener Namen haben traurige, bedrückende Schicksale aufge-

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zeigt. Zerrissene Familien, deren Kinder in der Fremde einer ungewissen Zukunft ausgesetzt waren, während die Eltern, bis zuletzt die Auswanderung betreibend, ihrer Deportation nicht entkommen konnten. Familien, die komplett ausgelöscht wurden. Nichtjüdische oder „halbjüdische“ Angehörige, die als Hinterbliebene wei teren Repressalien ausgesetzt waren. In einem Fall dann ein Lichtblick in all dem Grauen. Familie Kern, Inhaber einer Eiergroßhandlung in der Volksdorfer Straße mit Wohnadresse Richardstraße 11, hatte bereits 1936 verkauft und war nach Kopenhagen entkommen. Von deutschen Besatzungstruppen 1943 dort ge- fan gengenommen und nach Theresienstadt deportiert, galt die Familie als ver - schol len. Schließlich führte ein Zufall auf ihre Spur und ergab, dass sie zu den ca. 400 dänischen Juden gehörten, die auf Betreiben der zwar entmachteten, aber in Teilen weiter aktiven dänischen Regierung und des Königs noch kurz vor Kriegs - ende mit Rotkreuz-Bussen aus dem Lager herausgeholt und nach Schweden gebracht worden sind. Die Familie lebte später in Kopenhagen. Beiläufig erhielten wir Informationen über das Verhalten der dänischen Bevölkerung, die in großen Teilen zu ihren jüdischen Mitbürgern stand und ihnen im Herbst 1943 nach dem Befehl aus Berlin, Dänemark „judenfrei“ zu machen, mehrheitlich in Nacht- und Nebelaktionen zur Flucht nach Schweden verhalf.

Zerstörung

Das alte Barmbek wurde im Zweiten Weltkrieg nahezu vollständig zerstört, es über- lebte nur in Erinnerungen. Die „Operation Gomorrha“ im Sommer 1943, eine Ant- wort auf die Goebbelsche Ankündigung des „totalen Krieges“, sollte nicht nur die Stadt zerstören, sondern auch die Übereinstimmung zwischen NS-Regime und Be- völkerung. Eine Fehlannahme der Alliierten: wer in Kriegszeiten sein Hab und Gut verliert, nach Bombenangriffen traumatisiert ist und nicht weiß, wo Angehörige geblieben sind oder wie es weitergehen soll, hat keine Energie für Revolten übrig. Zwischen dem 24. Juli und 2. August erfolgten vier Nacht- und zwei Tagesan - griffe mit insgesamt mehr als 3000 Bombereinsätzen. Neben Eimsbüttel, Hammer - brook, Rothenburgsort, Wedel, Hamm, Horn und Eilbek traf es Barmbek, überwie- gend dicht besiedelte Arbeiterwohnbezirke und gleichzeitig Industriestandorte. 23 Quadratkilometer Stadtgebiet verwandelten sich in ein Trümmerfeld, rund 34 000 Menschen verloren während dieser Angriffe ihr Leben. In Barmbek waren über 90 Prozent der Bausubstanz nach den Angriffen – der schwerste in der Nacht vom 29. auf den 30. Juli – komplett zerstört oder nicht mehr nutzbar, die Einwoh- ner zahl von 200 000 im Juli auf 15 000 im August 1943 gesunken. Zu den in der Ham- burger Straße beidseitig zerstörten Gebäuden gehörte auch das Kaufhaus Karstadt, in dessen öffentlichem Luftschutz raum etwa 370 Schutzsuchende an einer Kohlenmon -

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Trümmerfelder in Barmbek Süd, Blick von der Von-Essen-Straße nach Norden Geschichtswerkstatt Barmbek

oxydvergiftung starben, ver ursacht durch einen im Nachbarkeller in Brand geratenen Koksvorrat. Auch in Uhlenhorst waren schwere Schäden zu verzeichnen, besonders betrof- fen die Straßenzüge zwischen Hofweg, Winterhuder Weg und Bachstraße. Das westliche reine Wohngebiet blieb teilweise erhalten, am Mundsburger Damm und in seinen Seitenstraßen waren nach den Angriffen nur noch wenige Häuser be- wohnbar.

Resümé

Die eingangs erwähnte Frage „Wie konntet ihr dies zulassen?“ ist nicht mit weni- gen Sätzen zu beantworten. Was damals geschah und nie wieder geschehen darf, haben Historikerinnen und Historiker unterschiedlich bewertet und in vielen Wer- ken aufgearbeitet. Die Mitarbeit an diesem Rechercheprojekt, die Auseinan der - setzung mit Einzelschicksalen konnte eine Ahnung vermitteln wie das Leben in der Nazizeit einerseits für Verfolgte, aber auch für „Normalbürger“ ausgesehen haben mag. Die Mehrheit beugte sich der schnellen, machtvollen Installation neu- er Herrschaftsstrukturen, weil sie keine Alternativen mehr sah oder meinte, nun würde endlich „Ruhe im Land“ einkehren. Manche glaubten der Parole vom „tau- sendjähigen Reich“ und integrierten es in ihre Zukunftsplanung. Die Hinwendung großer Teile des Mittelstandes und sogar der Oberschicht zur NSDAP kann hier Vorbildcharakter gehabt haben. Das NS-Regime bot Aufstiegsmöglichkeiten, inte- grierte Frauen und Männer in Berufsverbände, die Gliederungen der NSDAP und ihre angeschlossenen Verbände. Die Männer wurden zur Wehrmacht, später zum „Volkssturm“ eingezogen, Frauen teilweise dienstverpflichtet, Kinder über die

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„Kinderlandverschickung“ evakuiert und der Obhut ihrer Eltern entzogen. Selbst wer mit nobelsten Absichten angetreten war, konnte sich nur schwer der umfas- senden Beeinflussung und Kontrolle entziehen. Gewalt und primitive Herrschafts - mentalität bewirkten ein Übriges zur Entsolidarisierung, um Maßstäbe humanen Handelns zu verlieren und/oder keine Möglichkeit zu deren Umsetzung zu sehen. Menschen, die sich nicht in das System integrierten, waren Sanktionen und unbe- rechenbarem Terror ausgesetzt. Die Mitarbeit an dem Projekt war lehrreich und bereichernd, wenn auch manch- mal schwierig, weil die Auseinandersetzung mit der Materie nicht ohne Emotio- nen stattfinden konnte und hin und wieder etwas Abstand nötig war. Um einzelne Lebensstationen der Opfer besser einordnen zu können, wurde die Auffrischung von Geschichtskenntnissen erforderlich, ganz sicher kein Nachteil und eine gute Grundlage zum besseren Verständnis der Ereignisse. Nie vorher war mir so be- wusst, welche Macht Politiker haben können, binnen Kurzem per Gesetzgebung ein gewachsenes System auszuhebeln und eigene Ziele auf „legale“ Weise rück- sichtslos durchzusetzen. (Ich kann nicht verhehlen, auch das aktuelle politische Tages geschehen mit wacherem Blick wahrzunehmen.) Beeindruckend finde ich, wie viele Menschen sich an der Spurensuche in Ham - burg beteiligen und bereit sind, Patenschaften für Gedenksteine zu übernehmen. Dem Dank für das Entgegenkommen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in zu- vor schon genannten Archiven möchte ich mich anschließen und die Liste ergän- zen um Frau Noeske, Leiterin der Bibliothek des Gymnasiums Christianeum, für Informationen und Hilfe bei der Suche nach Dokumenten. Dr. Beate Meyer und Joachim Szodrzynski von der Hamburger Forschungsstelle für Zeitgeschichte gaben viele hilfreiche Denkanstöße und Literaturempfehlungen. Große Hilfe bei der Suche nach historischen Bildern und Fakten aus dem Stadtteil erhielten wir von den Mitarbeitern der Geschichtswerkstatt Barmbek, Dieter Thiele, Reinhard Saloch und Christian Albrecht. Besonders bedanke ich mich bei Eva Acker, die unsere Arbeit von Anfang an be gleitet und unterstützt hat und uns in vielen Gesprächen aus eigener Anschau- ung einen Eindruck vermitteln konnte, welche weitreichenden Folgen für Überle- bende und Angehörige auch lange nach der Shoah noch zu spüren waren. Wir lernten Eva kennen als einen wunderbaren Menschen mit großer Hilfsbereitschaft und hohem sozialen Anspruch, der auf Mitmenschen zugeht und sich für die Be- lange Benachteiligter einsetzt. Ihre Biographie weist Parallelen auf zu Ralph Gior- dano, der unsere Forschungen aus der Ferne begrüßt und ebenfalls – trotz allem Erlebten – seinem Stadtteil verbunden bleibt. Nur schwer ist der Gedanke zu ertra- gen, dass Menschen wie sie vor noch zwei Generationen Bedrohte und Verfolgte gewesen sind.

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Den Mitstreiterinnen unserer kleinen Arbeitsgruppe, Carmen Smiatacz, Ingrid Budig und Stefanie Rückner danke ich für die gute Zusammenarbeit und Carmen für die große Geduld! Für das vorliegende Buch war unsere Zeit begrenzt, es berücksichtigt vorrangig Biographien zu schon verlegten Gedenksteinen oder solchen, für deren noch aus- stehende Stolpersteine sich schon Paten gemeldet haben. Doch wir wollen wei ter - machen, soweit möglich, es gibt noch viele Namen. Neue Texte sollen dem Bestand des Internetportals www.stolpersteine-hamburg.de hinzugefügt werden. Wir freuen uns auf interessierte Mitstreiterinnen und Mitstreiter, die über die Ge- schichtswerkstatt Barmbek Kontakt zu uns aufnehmen können.

Quellen: Klaus, Andreas: Gewalt und Widerstand in Hamburg-Nord während der NS-Zeit; Büttner, Ursula: Hamburg zur Zeit der Weimarer Republik, S. 189ff.; Hochmuth, Ursel/Meyer, Gertrud: Streiflichter aus dem Hamburger Widerstand; Meyer, Beate: Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden; Meyer, Beate: „Goldfasane“ und „Nazissen“ ; Von Villiez, Anna: Mit aller Kraft verdrängt; Bajohr, Frank: Arisie- rung in Hamburg; Rosenkranz, Bernhard/Bollmann, Ulf/Lorenz, Gottfried: Homosexuellenverfolgung in Ham burg; Thiele, Dieter/Saloch, Reinhard: Auf den Spuren der Bertinis; Thiele, Dieter: Gerda Ahrens – eine aus Barmbek; Barmbeker Geschichtswerkstatt: Barmbeker Geschichtstafeln, Textbuch; Giordano, Ralph: Erin nerungen eines Davongekommenen; Barber-Kersovan, Alenka/Uhlmann, Gordon (Hg.): Getanzte Frei- heit, Swingkultur zwischen NS-Dikatatur und Gegenwart; Statistische Jahrbücher für die freie und Hanse- stadt Hamburg, Jahrg. 1936/37 und 1937/38; Brunswig, Hans: Feuersturm über Hamburg; Grassmann, Ilse: Ausgebombt, ein Hausfrauen-Kriegstagebuch; „NSDAP-Gaunachrichten“ für Barmbeck-Nord, Barm- beck-Süd und Uhlenhorst , Jahrg. 1935, 1936, 1938 (Mikrofilme, Bibliothek der Forschungsstelle für Zeit- geschichte, Hamburg).

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Erika Draeger Erinnerungen eines Davongekommenen

alph Giordano, in Barmbek aufgewachsen, ist als Betroffener ein Kronzeuge Rder Verfolgungen in der NS-Zeit und der sehr schleppenden Aufarbeitung in der Zeit danach. Er schrieb uns: „Ich freue mich überaus, daß nun dieses Buch über Barmbek erscheint, meiner Urheimat, die es auch geblieben ist bis heute, also bis in mein 87. Jahr. Und es blei- ben wird, solange ich lebe.“ In seinen Erinnerungen lesen wir: „Ich bin später oft gefragt worden: ,Warum habt ihr Deutschland nicht verlassen?‘ ... Ich habe darauf immer die gleiche Antwort gegeben: ‚Weil wir nicht wollten und weil wir nicht gekonnt hätten, wenn wir gewollt hätten.‘ Wir wollten nicht, weil dies unsere Heimat war – wir hatten keine andere. Und wir hät- ten, selbst wenn wir gewollt hätten, nicht gekonnt, weil dieses Deutschland uns nicht hätte gehen lassen.“ Deutlicher lässt sich nicht ausdrücken, wie sehr alle Verfolgten und Opfer ein Teil vom Gan zen waren und sind, Stadt und Land Ralph Giordano wa ren ihr Zuhause, wie für jeden von uns. Archiv der Auferstehungskirche Barmbek Aus ge grenzt und vertrieben, misshandelt und ermordet wegen eines anderen Glau bens, eines angeblichen Fremdseins im Land der Heimat, einer anderen Welt anschauung, wurden sie auch nach Beendigung der NS-Zeit oft verdrängt und vergessen. Bis heute ist Ralph Giordano interessiert an Geschehnissen im Stadtteil, am Aus tausch mit seinen Menschen – und die Menschen an ihm. Auf Initiative der Geschichtswerkstatt Barmbek erhielt ein Weg am ehemaligen Standort des Wohn- hauses in der Hufnerstraße, in dem Familie Giordano bis zur Ausbombung 1943 lebte, deren Namen. Im März 2008 folgte er einer Einladung zur nachträglichen Feier seines 85. Ge- burtstags in der Barmbeker Auferstehungskirche. Alle Plätze waren besetzt, als er

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aus seiner Biographie las, sich an die Kindheit in Barmbek erinnerte, den Bruch ab 1933 und die Zeit danach. Die Gemeinde setzte ein Zeichen und bat Ralph Giordano, eine im Kirchen - schiff angebrachte Inschrift zu enthüllen. Mit bewegter Stimme las er den Text:

Die Gedenktafel in der Auferstehungskirche in Barmbek Archiv der Auferstehungskirche Barmbek

In diesem Sinne verstehen wir auch unsere Arbeit an diesem Buch, es soll ein Zeichen sein gegen das Ver gessen. Wir hoffen und glauben, dass die Vergangenheit bis in die Ge genwart reicht, dass wir alle daraus gelernt, unser Bewusstsein ge- schärft haben und zur Gestaltung einer Zukunft beitragen werden, die für alle ein Leben ohne Angst, Vorurteile und Ausgrenzung ermöglichen soll.

Quelle: Giordano, Ralph: Erinnerungen eines Davongekommenen

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Stolpersteine in Barmbek und Uhlenhorst Übersichtsplan, Positionen, Nummerierung

ie benachbarten Stadtteile Barmbek und Uhlenhorst gehören zum Bezirk Hamburg Nord. DAm östlichen Alsterufer gelegen, grenzt Uhlenhorst im Norden an Winterhude, im Süden an Hohenfelde. Ein Teil des heutigen Uhlenhorst – zwischen Uhlenhorster Weg und Kuh- mühlenteich – gehörte bis 1951 ebenfalls zu Hohenfelde. Uhlenhorst und der im Osten angrenzende Stadtteil Barmbek Süd liegen zwischen zwei Kanälen, dem Osterbekkanal im Norden und dem Eilbekkanal im Süden, die in die Außen - alster fließen. Wasserstraßen, die in der Vergangenheit zu Transportzwecken für anliegende Industriebetriebe oder eine Alsterdampferlinie ausgebaut worden sind, werden heute gern von Wassersportlern genutzt. Barmbek Süd grenzt südlich an den Wandsbeker Stadtteil Eilbek, im Osten an Dulsberg. Am nördlichen Ufer des Osterbekkanals beginnt Barmbek Nord, das sich langgestreckt bis Ohls dorf hinzieht, im Westen an Winterhude, im Osten an Steilshoop, Bramfeld und Duls - berg grenzend. Barmbek wie Uhlenhorst haben schwere Kriegsschäden erlitten. Während in Uhlenhorst jedoch ein großer Teil alter Gründerzeitwohnhäuser und Stadtvillen erhalten geblieben oder nach dem Krieg restauriert werden konnten, sind auf ehemals dichtbesiedeltem Barmbeker Ge biet bis zu 90% der Bausubstanz bei Luftangriffen zerstört, ein Stadtteil in eine Trümmer- wüste verwandelt worden. Beim Wiederaufbau spielten verkehrsplanerische Aspekte eine große Rolle, Barmbek Süd wird heute von der mehrspurig ausgebauten Hamburger Straße zerschnitten, Teil einer Ver- kehrs ader zwischen Stadtgebiet und nordöstlichen Randgebieten, auf der sich täglich mehr als 40 000 Fahrzeuge bewegen. Einige Straßen sind verlegt worden, andere umbenannt, einige kleine Straßen heute ganz verschwunden und nur noch auf alten Stadtplänen zu fin- den. Ein Teil früher bebauter Grundstücke wurde zu Freiflächen erklärt, die sich heute als Grün- züge durch die Wohnanlagen der Nachkriegszeit ziehen, als Spielflächen oder Parkplätze zur Verfügung stehen. Dies hat zur Folge, dass verlegte Stolpersteine nicht immer vor bebauten Grundstücken liegen – die ehemaligen Wohnhäuser gehören der Vergangenheit an.

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au Hohenfelde

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Carmen Smiatacz Biographien von A bis Z*

Robert Carl Albert Abshagen, geb. 12.1.1911, hingerichtet im Untersuchungs - gefängnis Hamburg-Holstenglacis am 10.7.1944 1 Wachtelstraße 4

Als Sohn des Bäckergesellen Albert Abshagen und seiner Frau Adelheid, geb. Heidenreich, wuchs Robert Abshagen mit sei- nen drei Schwestern, Louise, Agnes und Elfriede, in einem sozialistischen Elternhaus auf. Nach dem Besuch der Ver - suchs schule „Telemannstraße“ und der Aufbauschule „Hohe Weide“ bis zur Untersekunda begann Robert Abshagen eine kaufmännische Lehre. Zudem fuhr er für kurze Zeit zur See, arbeitete als Versicherungs ange stellter und auf dem Bau. Im Jahr 1931 trat er der KPD bei, wurde ab 1932 im „Poli zei - zersetzungsapparat“ und Nach richtendienst der Partei einge- setzt und war ab 1933 als Funktionär des illegalen RFB („Rot- Robert Abshagen VVN frontkämpferbund“) tätig. Im Herbst desselben Jahres wurde er deswegen erstmals in „Schutz haft“ genommen. Ein Jahr später, im September 1934, erfolgte eine erneute Verhaftung, die Anklage lautete auf „Vorbereitung zum Hochverrat“. Diesmal wurde Robert Abshagen vom Strafsenat des Ham- burger Oberlandesgerichts zu zwei Jahren und sechs Monaten Zuchthaus verurteilt, die er im Zuchthaus Bremen-Oslebshausen verbüßte. Anstatt ihn anschließend zu entlassen, wurde er jedoch ins KZ Sachsenhausen überführt, wo er erstmals mit Franz Jacob und Bernhard Bäst- lein zusammentraf. In Sachsenhausen kümmerte sich Robert Abshagen als Vorarbeiter im Häftlingsrevier um die Kranken und Geschwächten. Während dieser Zeit erlernte er auch einige medizinische Kennt nisse und gab sein Wissen an seine Mithäftlinge weiter. Zu Silvester 1937 wurde im Lager sein selbst komponierter Song „Hamburger Jungs“ als „Äquatortaufe“ aufgeführt.

* In alphabetischer Reihenfolge des Nachnamens. Nummern beziehen sich auf verlegte Stolpersteine. Biographien geplanter Stolpersteine sind durch graue Schrift gekennzeichnet. Die letzte Adres se bzw. Verlegeorte der Stolpersteine sind fett gedruckt, in Klammern folgt ggf. die damalige Adresse, wenn sie von der heutigen abweicht.

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Im April 1939 wurde Robert Abshagen aus dem KZ Sachsenhausen entlassen. Trotzdem blieb er mit einigen Mithäft lingen in Kontakt, so zum Beispiel mit Hein Bretschneider und Hans Chris- toffers. Zusammen mit diesen beiden war er als Bauarbeiter bei der Wandsbeker Firma Crone tätig. Die drei Männer waren unter dem Namen „A-B-C-Kolonne“ bekannt und machten durch antinationalsozialistische Propaganda von sich reden. Im März 1941 heiratete Robert Abs - seine Verlobte Manja (Minna) Hildebrandt und zog mit ihr in die Wachtelstraße. Seit seiner Entlassung aus Sachsenhausen hatte Robert Abs- ha gen in der elterlichen Wohnung ge- lebt. Manja Abshagen war eigentlich Schauspielerin und bis zur Saison 1933/34 am Deutschen Schauspiel - haus tätig gewesen. Doch ihr Ge- sundheits zustand, sie litt an Herz- und Die Wachtelstraße Nr. 2 bis Nr. 8 in den 1920er Jahren Geschichtswerkstatt Barmbek Kreislaufschwäche, ließ keine weitere Erwerbstätigkeit mehr zu. Mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 setzte unter Kommunis - ten (nicht nur) in Hamburg im Vergleich zur Phase des Hitler-Stalin-Paktes ein Wandel ein und die illegale Arbeit wurde stark ausgeweitet. Anfang Dezember 1941 fand in der Wohnung von Robert Abshagen eine Zusammenkunft statt, die den Beginn einer neuen Wider stands- gruppe markierte. Von da an organisierte sich die sogenannte Bästlein-Jacob-Abshagen- Gruppe unter der Führung von Bernhard Bästlein, Franz Jacob, Oskar Reincke und Robert Abs hagen. Gemeinsam bauten sie ein Netzwerk aus sogenannten Betriebszellen in über 30 Fa briken und Werften auf. Zudem unterhielten sie zahlreiche Kontakte zu anderen Wider - standsorganisationen in Norddeutschland und nach Berlin. Insbesondere auf den Werften von Blohm & Voss bildete sich eine große Gruppe von rund 100 Kontaktpersonen, die sich im Widerstand engagierten. Eine ihrer wichtigsten Aufgaben lag in der Unterstützung der Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen. Diese wurden oftmals in den Werften oder Betrieben eingesetzt und so konnte der Kontakt zu ihnen hergestellt und gesichert werden. Robert Abs hagen übernahm vorerst die Leitung der illegalen Betriebsgruppe in den „Vereinigten Deut schen Metallwerken“ (VDM) Groß Borstel. Mitte des Jahres 1942 kam es zu einer größeren Flugblatt-Aktion der „Bästlein-Jacob-Absha - gen-Gruppe“. Nach einer Vorlage von Robert Abshagen schrieb Franz Jacob das „Merkblatt für Bauarbeiter“. Es richtete sich vor allem an Hamburger Bauarbeiter, die im Frühjahr 1942 zur Dienstleistung bei Bauvorhaben der „Organisation Todt“ (OT) in Norwegen und der Sow - jetunion zwangsverpflichtet worden waren. In diesem Flugblatt hieß es unter anderem „Hit - lers Niederlage ist nicht unsere Niederlage, sondern unser Sieg!“.

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Im Herbst 1942 gelang es der Staatspolizeistelle Hamburg die Widerstandsorganisation um Bernhard Bästlein, Franz Jacob und Robert Abshagen von „oben“ nach „unten“ aufzurollen. Einer der Gründe dafür war ein Gestapo-Spitzel, der sich in die Gruppe eingeschlichen hatte. In diesem Zusammenhang wurde Robert Abshagen am 19. Oktober 1942 erneut von der Ge stapo inhaftiert und ins Gefängnis Fuhlsbüttel eingewiesen. Dort wurde er bei der Ver- nehmung von den Beamten schwer gefoltert, wie sein Freund Roger Fridman berichtete: „Ich denke besonders an Robert Abshagen, dessen Gesicht ich nach seinem Verhör auf der Ge - sta po nicht mehr wieder erkennen konnte.“ (Ansprache auf einer Veranstaltung des Kura - toriums Ehrenhain am 19. September 1962 in Hamburg.) Zuerst wurde Robert Abshagen zu Weih nachten aus der Einzelhaft auf den Saal II und später im März 1943 in das Unter - suchungsgefängnis Hamburg-Holstenglacis verlegt. Bei den alliierten Bombardierungen Hamburgs im Juli 1943 wurde auch die Wohnung der Abshagens völlig zerstört. Manja musste daraufhin zu Robert Abshagens Eltern ziehen. Einen Monat später wurde Robert Abshagen zusammen mit Bernhard Bästlein nach Berlin-Plötzen - see überführt, um dort in einem Prozess gegen Martin Weise als Zeuge auszusagen. Kurze Zeit später, im November, beschuldigte die Anklage des Oberreichsanwalts des Volksgerichtshofs Robert Abshagen, Bernhardt Bästlein, Oskar Reincke, Gustav Bruhn und Walter Bohne der „Vorbereitung zum Hochverrat“ und der „Feindbegünstigung“. Am 6. März 1944 begannen vor dem Hamburger Oberlandesgericht die ersten der sogenannten Hamburger Kom mu nis- tenprozesse, in denen auch die Anklage gegen Robert Abshagen verhandelt wurde. Zur Hauptverhandlung wurde Robert Abshagen aus Berlin nach Hamburg zurückgeholt. Der Volksgerichtsrat Löhmann sprach am 2. Mai 1944 gegen Oskar Reincke und Robert Abs - hagen das Urteil, es lautete auf Todesstrafe durch Enthauptung. Zwei Monate später, am 10. Juli, wurde das Urteil gegen Robert Abshagen im Untersuchungsgefängnis Hamburg voll streckt. Zu diesem Zeitpunkt waren die Mitangeklagten Gustav Bruhn und Walter Bohne bereits tot und Bernhard Bästlein aus der Haft geflohen und mit Franz Jacob im Berliner Widerstand aktiv. Noch bis kurz vor seinem Tod hielt Robert Abshagen zu seiner Frau Manja Kontakt und wurde in Berlin finanziell mit 20 RM monatlich von ihr unterstützt. Nach seiner Hinrichtung wurden die sterblichen Überreste von Robert Abshagen an die Anatomie der Universität Kiel übergeben und dort in einem Massengrab zwischen Berufs- und Schwerverbrechern verscharrt. Im Sommer 1947 wurde seine Leiche in dem Massengrab auf dem Friedhof der Gemeinde Kronshagen gefunden und in Kiel eingeäschert. Am 14. Sep- tember 1947 wurde seine Urne während einer Gedenkkundgebung im Ehrenhain Ham bur- ger Widerstandskämpfer auf dem Friedhof Ohlsdorf beigesetzt. Zudem wurde in der DDR ein Grenzregiment nach ihm benannt. Quellen: StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 12.01.11 Abshagen, Robert; VVN, A2 Abshagen, Manja; Bäst- lein: „Hitlers Niederlage ist nicht unsere Niederlage, sondern unser Sieg!“, S. 55ff., S. 65f.; Hochmuth: Nie - mand und nichts wird vergessen, S. 18ff.; Hochmuth: Illegale KPD und Bewegung „Freies Deutschland“, S. 25, S. 45f., S. 72, S. 112, S. 156, S. 164f., S. 188; Puls: Die Bästlein-Jacob-Abshagen Gruppe, S. 179ff.; Sparr: Stolpersteine in Hamburg-Winterhude, S. 46f.; Suhlig: Der unbekannte Widerstand, S. 38f., S. 160f., S. 177; Weber/Herbst: Deutsche Kommunisten, S. 51f.

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Franz Josef Acker, geb. 18.10.1903, im Konzentrationslager Sachsenhausen-Oranien- burg am 26.5.1943 gestorben 2 Genslerstraße 16

Franz Acker stammte aus einer katholischen Familie. Er hatte zwei Brüder, Hermann und Heinrich, die in den zwanziger Jah - ren nach Nordamerika auswanderten. Mitte der zwanziger Jahre kam er in Ausübung seines Berufes als Koch, später Küchen - chef, nach Hamburg, wo er seine künftige Frau Lissi kennenlern- te. Lissi, geboren am 25. April 1904, war die dritte von vier Töch tern der in Barmbek lebenden jüdischen Fa milie Kaufmann. Die beiden heirateten am 15. No vember 1930 im Standesamt Barm bek und wohnten zuerst bei Lissis ver heirateter Schwester Margarete Meyer in der Habicht straße, später in der Otto- Speckter-Straße, im Lambrechtsweg und in der Genslerstraße. Vor der Hochzeit hatte Franz eine Anstellung als Küchenchef Franz Acker Privatbesitz in Magdeburg angetreten, wo ein gemeinsames Leben ge - plant war. Möbel waren bereits bestellt, eine Wohnung hatte das Paar in Aussicht. Als Franz jedoch den Arbeitgeber um Hei ratsurlaub bat und dieser von der jüdischen Abstammung der künftigen Ehefrau erfuhr, kam es zu einem Eklat, dem eine Be endigung des Arbeitsver hält- nisses folgte. Erste Repressalien fanden also bereits 1930 statt. Franz kehrte entrüstet nach Hamburg zurück und fand eine An stellung im damaligen Ernst-Merck-Hotel. 1933 wurde das erste Kind geboren. Auf Lissis Wunsch sollte der Junge Iwan heißen, nach einem von ihr sehr geschätzten Onkel, der als Soldat im Ersten Weltkrieg gefallen war. Doch auf dem Stan - desamt forderte man vom Vater, einen deutschen Namen auszuwählen, sodass der Sohn den Namen Helmut erhielt. Im Januar 1935 musste Franz die Arbeitsstelle wechseln, weil die Verwaltung in Hamburg eine neue Verordnung umgesetzt hatte, die den Ausschluss von Juden oder Ehepartnern von Juden aus Berufen und Ausbildungsgängen vorantreiben sollte. Franz durfte keine Lehrlinge mehr ausbilden. Die Gestapo forderte ihn auf, sich von seiner Frau zu trennen, selbst Lissi bot ihm diese Lösung an, doch für ihn kam nicht einmal eine Scheintrennung in Frage, weil ihm klar war, dass er damit die Sicherheit seiner Frau gefährden würde. Der Versuch eines Pfa r - rers, Lissi zum Übertritt zum katholischen Glauben zu bewegen, wurde von ihr abgelehnt. Franz’ in den USA lebende Brüder boten an, sich für die Auswanderung der Familie nach Amerika einzusetzen, doch Lissi schreckte davor zurück, ihre Mutter zu verlassen. Vom 21. Januar 1935 bis 30. Juni 1936 war Franz Acker im noch nicht zu Hamburg gehören- den Harburg im Gloria-Café als Küchenchef tätig. Wegen der weiten Anfahrten wünschte der neue Arbeitgeber einen Umzug nach Harburg. Eine Wohnung fand sich in der Wilstor fer Stra- ße. Zu dieser Zeit hingen an Geschäften bereits Schilder, dass Juden unerwünscht seien bzw.

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jüdische Geschäfte nicht betreten werden sollten. Es dauerte nicht lange, bis sich herumgesprochen hatte, dass Lissi Jüdin war. Sie selbst bekannte sich offen dazu, lehnte es auch ab, aus den zur Straße führenden Fenstern ihrer Wohnung die Haken- kreuzfahnen zu hängen, was ihrem Mann erlaubt, ihr aber ver boten gewesen wäre. Die Anfein dun- gen führten zu einem weiteren Arbeitsplatzwech - sel. Franz hatte ab Juli 1936 eine neue Stelle in Bremer haven im Hotel Excelsior. Lissi und der klei- ne Sohn zogen mit ihm. Das Arbeitsverhältnis dauerte zwei Jahre an, in den Sommermonaten 1937 wurde Franz in ei nem wei teren Hotel des Inhabers in Wes terland auf Sylt eingesetzt. Doch die Repressalien holten die Familie auch in Bre - merhaven ein, sodass erneut ein Umzug anstand. Franz und Lissi Acker, ca. 1933 Privatbesitz Der nächste Ort in dieser Odyssee war für Franz dann Köln, wo er von Juli bis September 1938 in der Restauration eines Aus flugsdampfers beschäftigt war, während Lissi mit dem Kind wie- der in Hamburg lebte, weil der kleine Helmut sich nach einer Masernerkrankung nicht erhol- te und ein Kinderarzt starkes Heimweh diagnostiziert hatte. Tatsächlich ging es ihm gleich besser, als Großvater Kauf mann die beiden am Hamburger Hauptbahnhof empfing. Nicht auszuschließen ist, dass auch Lissi selbst sich in eine vertraute Umgebung zurücksehnte, war sie doch die meiste Zeit allein mit dem Kind in fremder, oft feindseliger Umgebung. Überdies wird ihr die groteske Situation klar gewesen sein, in der ihr Mann als Ernährer der Familie bessere Arbeits bedin gungen hatte, wenn sie nicht in seiner Nähe war. Lissis Eltern und zwei Schwestern waren 1938 in den Lambrechtsweg in Barmbek Nord gezo- gen, wo sich auch für Lissi und ihr Kind eine kleine Wohnung im Nachbarhaus fand. Im glei- chen Jahr wurden Eltern und Schwestern durch Denunziation aus der Straße vertrieben und wichen in eine kleinere Wohnung im Bendixensweg aus, ein Grund für Lissi Acker, dort auch wegzuziehen. Ein für damalige Verhältnisse sehr toleranter Vermieter namens Oberländer, der sich über ihre jüdische Abstammung hinwegsetzte und klarmachte, dass sie für ihn zu - allererst Mensch sei, bot ihr eine Wohnung in der Genslerstraße 16 an. Ab 1939 war der Mieterschutz für Juden per Erlass aufgehoben, doch auch vorher war es schon äußerst schwierig, Wohnungen zu finden. In der Genslerstraße erlebte Lissi Acker auch positive Nachbarschaft, besonders hervorzuhe- ben sind ihr zugegangene Warnungen vor der Pogromnacht am 9. November 1938. Durch einen benachbarten Polizisten erhielt sie geradezu eine Aufforderung, Verwandte im Stadt - teil Hoheluft zu warnen und zu sich zu holen, um sie vor Verhaftungen zu schützen.

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Mit Kontrollbesuchen der Gestapo in dieser Zeit waren diverse Schikanen verbunden, so durfte der kleine Helmut seinen Hund nicht behalten. Eine kostbare Bücher- sowie eine wert- volle Briefmarkensammlung des abwesenden Franz wurden beschlagnahmt. Die Absurdität der Verordnungen gipfelte darin, dass Lissi als Jüdin kein eigenes Radio nutzen durfte, wäh- rend Sohn und Ehemann in der gleichen Wohnung ein Radio besitzen konnten. Helmut Acker besuchte ab 1940 die Schule Genslerstraße, Ecke Rübenkamp. Eines Tages kam er weinend nach Hause, weil er von der Lehrerin bestraft worden war wegen seiner Äu - ßerung, sein Großvater habe als Soldat im Ersten Weltkrieg ein Eisernes Kreuz erhalten und sein Onkel sei als Soldat gefallen. Die Lehrerin hatte ihn der Lüge bezichtigt, angeblich habe es keine jüdischen Soldaten gegeben. Von Lissi zur Rede gestellt, gab sie später zu, selbst Angst um ihren Arbeitsplatz gehabt zu haben. Unterdessen hatte Franz von Oktober 1938 bis August 1939 eine Tätigkeit in Saarbrücken aus geübt, im Café Kiefer, und sah die Familie nur selten. Der Weg nach Hamburg war weit, sicher hatte ihn die Frage beunruhigt, ob seine ständige Abwesenheit Frau und Kind trotz sogenannter privilegierter Mischehe gefährdete. Er wird von der Vertreibung der Schwie ger - eltern und Schwägerinnen gehört haben, die auch im Bendixensweg nicht bleiben durften und inzwischen in einer jüdischen Stiftswohnung in der Bogenstraße untergekommen waren. Mit Hilfe alter Kontakte in Hamburg gelang es, ab August 1939 einen neuen und dauer haf - teren Arbeits platz im Hotel Königstadt in Berlin-Potsdam zu bekommen. Besuche zu Hause konnten nun öfter stattfinden, gab es doch mit dem „fliegenden Hamburger“ eine schnelle Zug ver bin dung zwischen Hamburg und Berlin. Auch finanziell war es vielleicht lukrativer, denn Franz sparte, um sich eines Tages den Wunsch eines selbstständigen Betriebes erfüllen zu können. Die Sorge um die Familie wuchs, es gab weitere Schikanen gegenüber Juden, immer schär- fere Gesetze und Verordnungen. Ab 1941 dann die Deportationen deutscher Jüdinnen und Juden, 1942 waren Lissis Angehörige verschleppt worden, die Schwestern am 11. Juli nach Auschwitz, der Vater eine Woche später am 17. Juli nach Theresienstadt, ihre geliebte Mutter ver starb kurz darauf im Krankenhaus. Bei seiner Arbeit in einem Hotel in Hauptstadtnähe wird Franz Möglichkeiten gefunden haben, sich über aktuelle Nachrichten ein Bild zu ma - chen von den Zuständen im Land. Im Januar 1943 besuchte Franz Acker Frau und Sohn, er sprach mit Lissi über seinen Wunsch nach einem zweiten Kind. Sohn Helmut war nun bald zehn Jahre alt, vielleicht blieb ein wei- terer Kinderwunsch bisher wegen der beruflichen Unsicherheiten und zeitlichen Unwäg - barkeiten zurückgestellt, nun aber schien er einen sicheren Arbeitsplatz zu haben. Außerdem glaubte Franz, ein weiteres Kind könne Frau und Sohn zusätzlichen Schutz vor Verfolgung bie- ten. Zurück in Potsdam legte Franz Acker wenig später in seiner offenen Art einem Küchen - jungen nahe, sich „lieber für seine Ausbildung zu interessieren, statt seine Freizeit bei den Mördern (HJ) zu verbringen“. Die Gestapo verhaftete ihn am 13. Februar 1943 aus der Küche heraus, man brachte ihn am 13. Februar 1943 in das KZ Sachsenhausen, Oranienburg.

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Lissi Acker bekam zunächst keine Nachricht und wartete auf das dringend benötigte Haus - haltsgeld. Erst bei einem Anruf in Potsdam erfuhr sie vom Inhaber des Hotels von der Ver haf tung ihres Mannes. Nach Wochen bekam sie die erste Postkarte von ihm, datiert bereits am 21. Fe - bruar. Insgesamt existieren vier zensierte Karten, die Lissi bis Mitte des Jahres von ihrem Mann erhielt, als bereits sicher war, dass sein Wunsch nach einem zweiten Kind sich erfüllen würde. Sie hatte kaum Geld und wusste nicht weiter, bis eine Bekannte für sie nach Potsdam fuhr, um Franz’ Sachen aus dem Hotel zu holen, zu denen auch ein Sparbuch über 6000 RM gehörte. Als Jüdin hätte sie Ersparnisse anmelden und mit einer Sicherungsanordnung rechnen müssen, doch es ergab sich eine Möglichkeit, dieses Sparbuch bis Kriegsende in der Schweiz zu deponieren. Franz starb laut Sterbeurkunde am 26. Mai 1943 um 5:30 Uhr, ausgestellt vom Standesamt Oranienburg II am 16. Juni 1943, die Umstände sind unklar. Lissi bekam eine Vorladung zur Gestapo in der ABC-Straße, wo sie und andere Betroffene sich regelmäßig zu melden hatten.

Franz Ackers letzter Brief aus Oranienburg- Sachsenhausen Privatbesitz

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Diesmal ging sie in Begleitung des jüdischen Rechtsanwalts Plaut, mit dem ihre Familie gut bekannt war. Man teilte ihr den Tod ihres Mannes mit und erklärte, die Todesursache sei eine angebliche Krebserkrankung gewesen. Im Juni erhielt sie ein Paket mit verschimmelten Le - bensmitteln zurück, die sie ihm geschickt und die man ihm offensichtlich nicht ausgehändigt hatte. Die Lebensmittel stammten von verschiedenen Geschäftsleuten in Barmbek, die Lissi und ihre Familie kannten und ihr illegal hin und wieder Nahrungsmittel zusteckten, die sie offiziell als Jüdin nicht hätte bekommen dürfen. In einem weiteren Paket wurden ihr Franz’ Kleidungsstücke zugestellt, seine Wäsche mit Blut und Eiter verschmutzt. Das Haus Genslerstraße 16, in dem Lissi – inzwischen hochschwanger – und ihr nun zehnjäh- riger Sohn Helmut wohnten, wurde Ende Juli 1943 während der „Operation Gomorrha“ aus- gebombt, selbst ihre Koffer kamen durch Diebstahl abhanden, als der aufgesuchte Keller wegen Gefahr geräumt werden musste. Mit Hilfe anderer Bombenflüchtlinge gelangten sie und ihr Sohn in den Ort Brunau, wo sie allerdings fast verhungerten, da Lissi sich als Jüdin identifizieren musste und vom Bauern, bei dem ihnen eine Unterkunft zugewiesen wurde, schlecht behandelt wurden. Lissi erinnerte sich später, dass Helmut zu ihr sagte: „Mutti, lass uns lieber in die Trümmer zurückkehren und da sterben.“ Nach der Rückkehr im September 1943 lebten sie übergangsweise unter ärmsten Bedin gun - gen in kleinen Zimmern zur Untermiete am Klosterstern, in der Hartungstraße, schließlich in einem „Judenhaus“ in der Rutschbahn, wo in einer großen Wohnung fünf Familien unterge- bracht waren. Helmut war zusammen mit einem älteren Cousin beim Bergen von Leichen aus Trümmergrundstücken in der Grindelallee beteiligt, erinnerte sich Lissi später. Im Oktober 1943 kam ihre Tochter Eva Maria im Jüdischen Notkrankenhaus in der Schäfer- kampsallee zur Welt, als der Vater des Kindes bereits fünf Monate tot war. Noch im Kran ken- haus bestand für Lissi die Gefahr einer Verhaftung, weil sie ihren Zwangsnamen Sara nicht auf die Geburtsanzeige geschrieben hatte. Zusammen mit einem anderen Patienten wartete sie auf den Abtransport, es war der jüdische Filmregisseur Walter Koppel, der ihr sagte, sie möge sich um Hilfe an ihn wenden, falls sie beide überleben sollten. Der Abtransport fand nicht statt, vielleicht wegen eines Fliegeralarms, der Grund blieb unklar. Lissi äußerte später in ei- nem Interview, sie habe es nicht über sich gebracht, das Angebot Koppels wahrzunehmen. Außer 64 RM Waisenrente pro Kind erhielt Lissi Acker keine Unterstützung. Nur mit Hilfe von Bekannten und Freunden, darunter ehemalige Nachbarn aus der Genslerstraße, bekam sie die Babyausstattung zusammen. In ihrer Erinnerung hatte sie große Angst um die Kinder, sprach von Anfeindungen, aber oft auch von Hilfe aus der Nachbarschaft. Nach dem Krieg lag ihr viel daran, in die Barmbeker Gegend zurückzukehren. Sie fand zunächst eine Woh - nung für sich und die Kinder in der Meister-Francke-Straße, fühlte sich aber dort nicht wohl. Ihr größter Wunsch war, wieder in die Genslerstraße zurückzukehren, die Jahre dort und die erlebte gute Nachbarschaft bedeuteten für sie Heimat. Nach weiteren Wohnungswechseln – in einer Zeit der Wohnungsnot – gelang eines Tages die Rückkehr, Lissi Acker wohnte dort bis zu ihrem Tod 1991.

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Lissi und die Kinder haben Krieg und „Drittes Reich“ überlebt, der Deportationsbefehl für jü dische Frauen aus „Mischehen“ im Februar 1945 erreichte sie nicht. Für alle Fälle war sie immer gewappnet, ein Arzt hatte ihr ein sicheres Mittel gegeben, das sie stets bei sich trug und mit dem sie im Ernstfall ihrem Le- ben ein Ende hätte setzen können. Aber die Zeit hatte tiefe Spuren hinterlassen. Lissis Ehemann und ihre gesamte Familie – Schwestern, Eltern, weitere Verwandte – waren dem Naziregime zum Opfer gefallen, sie litt an Angina Pectoris sowie einer chronischen Gallenerkrankung. Ab 1954 bezog sie eine kleine Arbeitsunfähigkeitsrente. Behörden be - suche und der Kampf um Entschädigungs leis tun gen Lissi Acker mit ihren Kindern Helmut und raubten ihr die Kraft und verursachten Koliken, sie Eva, ca. 1946 Privatbesitz hatte mehrfach lieber Verzicht geübt als sich diesen Torturen auszusetzen. Helmut kränkelte schon mit 14 Jahren, erlitt in seinem Le ben verschiedene Herz- und andere Operationen und wurde nur 64 Jahre alt. Mutter und Sohn litten zeitlebens an Schlafstörungen, nächtliche Schritte im Trep- penhaus weckten Erinne rungen an Gestapobesuche. Tochter Eva, Ende 1943 geboren und auf gewachsen mit trauma tisierter Mutter und Bruder, ohne weitere nahe Verwandte, hat oft erlebt, wie beide aus Selbstschutz verstummten, wenn es um die NS-Zeit ging. Viele Fragen hat sie vergeblich oder aus Rücksicht gar nicht gestellt und sich allein auf die Suche nach Ant- worten begeben müssen. – Eva Acker/Erika Draeger Quellen: 1; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 25.04.04 Acker, Lissi; Interview mit Lissi Acker, Dez. 1990, Geschichtswerkstatt Barmbek; Arbeitsbuch Franz Acker, geführt 1918 bis 1943; VVN; IGdJ: Das jüdische Hamburg, S. 206f; Meyer: Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden, S. 48, S. 79ff, S. 206.

Friedrich Adler, geb. 29.4.1878, am 11.7.1942 nach Auschwitz deportiert 3 Lerchenfeld 2 (Kunsthochschule)

Schon in seiner Jugend zeigte sich die künstlerische Begabung Friedrich Adlers. Er wuchs in Taupheim bei Ulm auf und zog nach dem Abitur nach München, um dort eine Ausbildung zum Zeichner an der Königlichen Kunstgewerbeschule zu machen. Im Jahr 1903 leitete Friedrich Adler eine der dortigen Fachwerkstätten. Vier Jahre später, nach dem Ende seiner Ausbildung, zog es ihn nach Hamburg an die Landeskunstschule, wo er als Studienrat tätig war. Zu diesem Zeitpunkt war Friedrich Adler bereits ein gefragter Künstler. Seine Arbeiten schwank- ten zwischen Jugendstil, Neoklassizismus und Art déco. Er wirkte als Designer für mehr als 60

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Firmen, entwarf Gabeln, Teelöffel, Tabletts, Bodenbeläge, Haus halts- waren, Kunststoffe und ganze Inneneinrichtungen. In Hamburg heiratete Friedrich Adler seine jüdische Verlobte Bertha Heymann, mit der er fünf Kinder hatte. Das älteste der Geschwister, Hermann, kam am 14. April 1908 zur Welt, Max Wolfgang folgte am 25. November 1910, Ingeborg Elisabeth wurde am 10. März 1912 ge bo ren und Paul Wilhelm kam am 15. Februar 1915. Zum Schluss erblickte Berta am 22. Novem ber 1918 das Licht der Welt. Während des Ersten Weltkrieges diente Friedrich Adler als Unter - offizier. Später stieg er zum Feldwebel und zum Offizier stellver tre - Leuchter Museum zur Geschichte ter auf. Nach Kriegsende kehrte er nach Hamburg zu rück, um wie- von Christen und Juden, Schloß Großlaupheim der als Künstler und Lehrer tätig zu sein. Kurz nach der Geburt ihres letzten Kindes starb seine Ehefrau Bertha. Die neue Frau in Friedrich Adlers Leben hieß Frieda Fabisch, die ursprünglich aus Berlin stamm te. Die Hochzeit fand am 21. Dezember 1920 statt. Ihr erstes gemeinsames Kind, Eva Ama rand Friederike, kam am 29. Januar 1925 zur Welt. Die Familie lebte gemeinsam im Or - chideen stieg 41, in einer großzügigen Acht-Zimmer-Wohnung. Von 1927 an lehrte Friedrich Adler als Professor an der Kunstgewerbeschule am Lerchenfeld 2 und beschäftigte sich zudem intensiv mit dem Textildruck, er gründete sogar eine eigene Firma. Sein Leben änderte sich jedoch schlagartig mit der Machtübernahme der Natio nalso - zialisten. Im Jahr 1933 wurde er zuerst in den Wartestand und am 31. Oktober in den Ruhe- stand versetzt. Dies hing mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 zusammen, nach dem Beamte, die keine „arische“ Abstammung nach- weisen konnten, in den Ruhestand zu versetzen waren. Da die Reichskulturkammer keine Juden aufnahm, war ihm zudem fast jede Möglichkeit genommen, in Deutschland als freier Künstler zu arbeiten. Deswegen konnte er lediglich im Jüdischen Kulturbund lehren. Aufgrund dieser Entwicklungen wanderten Frieda und ihre Toch ter Eva im Januar 1934 nach Zypern aus. Friedrich Adler blieb in Hamburg und zog in eine kleinere Wohnung in der Burg straße 32. Seine älteren Kinder Hermann, Max und Inge borg waren bereits Ende der zwanzi- ger Jahre in die USA ausgewandert. Noch im Frühjahr 1936 reiste Friedrich Adler nach Zypern, um sich dort über Möglichkeiten einer Existenzgründung zu infor- mieren. Leider musste er feststellen, dass es für ihn auf Zy pern kaum Möglichkeiten gab, einen Neuanfang zu starten. Deswe - gen verabschiedete er sich von Frau und Tochter und kehrte nach Hamburg zurück. Dort wollte er sich um eine Emi gration in die USA bemühen, doch seine Bemühungen schei terten Friedrich Adler Yad Vashem letztlich.

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Noch im selben Jahr erhielt Friedrich Adler aufgrund eines Missverständnisses eine Gold me - daille für einige seiner Entwürfe für Industrieprodukte. Versehentlich hatte man ihn für einen „Arier“ gehalten. Am 22. März 1937 wurde sein Sohn Kurt Jack Michael in Nicosia, Zypern geboren. Friedrich Adler sollte sein jüngstes Kind nicht mehr zu Gesicht bekommen. 1938 wanderte schließlich auch seine Tochter Berta nach Israel aus. Allein sein Sohn Paul Wilhelm blieb bei ihm in Hamburg. 1940 heiratete dieser Eva-Senta Stern und zog mit ihr zusammen. Friedrich Adler musste oft umziehen und lebte zuletzt in der Innocentiastraße 37, in einem sogenannten Judenhaus. Von dort aus wurde er am 11. Juli 1942 nach Auschwitz deportiert, wo er ums Leben kam. Dort liegt ein Stolperstein für ihn. Auch sein Sohn Paul Wilhelm starb in Auschwitz. Der Rest der Familie überlebte den Holocaust im Ausland. Keiner von ihnen kehrte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nach Deutschland zurück. Für Paul Wilhelm Adler wurde ein Stolperstein am Isekai 5 in Eppendorf verlegt. Quellen: 4; 5; 8; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 29.04.78 Adler, Friedrich; StaHH ZAS 751, Friedrich Adler; Museum zur Geschichte von Christen und Juden, Schloß Großlaupheim; http://www.zeichen-der- erinnerung.org/n5_1_adler.htm, Zugriff am 16.4.2009; Bruhns: Kunst in der Krise, S. 314f., S. 413f.

Robert Anasch, geb. 22.12.1907, am 22.10.1942 verhaftet, am 15.4.1945 im Zuchthaus Bützow-Dreibergen ermordet 4 Schenkendorfstraße 25

Mit seiner Ehefrau Käthe, geb. Clasen, bekam Robert Anasch insgesamt sechs Kinder. Nor- bert, Ingeborg, Waltraut, Rita, Lothar und Peter kamen zwischen Mai 1931 und Juni 1941 in Hamburg zur Welt. Die Großfamilie lebte in einer Wohnung in der Schenkendorfstraße 25. Robert Anasch arbeitete seit dem 28. Januar 1938 als Schiffsbauhelfer in der Schlosserei bei Blohm & Voss und verdiente rund 60 RM pro Woche. Engagiert in der KPD, beteiligte er sich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten an illegalen Aktionen seiner Partei. Dadurch knüpfte er Kontakte zur „Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe“, einer Hamburger Widerstands - organisation um Bernhard Bästlein, Franz Jacob und Robert Abshagen. Auf den Werften von Blohm & Voss entstand ein gut ausgebautes Netzwerk der Gruppe, an deren Aktivitäten sich Robert Anasch beteiligte. Durch seine illegale Arbeit wurde die Gestapo auf Robert Anasch aufmerksam und verhafte- te ihn am 22. Oktober 1942 auf dem Werftgelände. Er wurde in Untersuchungshaft nach Fuhlsbüttel gebracht und verlor seine Anstellung. Seine Ehefrau Käthe musste nun mit Hilfe der Wohlfahrt die sechs Kinder versorgen. Am 7. März 1944 wurde Robert Anasch wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ vom Hanse- a tischen Oberlandesgericht in Hamburg zu einer Zuchthausstrafe von drei Jahren und sechs Monaten und drei Jahren Ehrverlust verurteilt unter Anrechnung der Untersuchungshaft von 14 Monaten. Die Strafe sollte er im Zuchthaus Celle-Mühlhausen verbüßen, wo er seit dem

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Gefangenen- karteikarte von Robert Anasch aus dem Unter- suchungsgefäng - nis Fuhlsbüttel StaHH

1. April 1944 inhaftiert war. Am 15. April 1945 wurde Robert Anasch im Zuchthaus Bützow- Dreibergen ermordet. Quellen: StaHH 242-1 II, Gefängnisverwaltung II , Abl. 1998/1, Untersuchungshaft Männer (jüngere Kar- tei); StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 22.12.07 Anasch, Robert; Hochmuth/ Meyer: Streiflichter aus dem Hamburger Widerstand, S. 351, S. 386.

Etkar Josef André, geb. am 17.1.1894 in Aachen, hingerichtet am 4.11.1936 in Hamburg 5 Adlerstraße 12

Etkar Josef André kam am 17. Januar 1894 in der Aachener Friedrichstraße 73 zur Welt. Sein Vater Bernhard André war Kaufmann und gehörte laut Geburtsurkunde zur jüdischen Glau- bens gemeinschaft, Mutter Sofie, geb. Koch, war der Religion ebenfalls beigetreten. Etkar wuchs mit einem Bruder auf. Bereits 1899 starb der Vater an Lungentuberkulose, worauf die Mutter mit den Söhnen zu Verwandten nach Lüttich, Belgien, zog. Da sie selbst auch tuber- kulös war, wurden die Kinder wegen der Ansteckungsgefahr mehrere Jahre in einem Wai sen - haus untergebracht. Etkar André nahm nach dem Schulabschluss eine kaufmännische Aus - bildung auf, die ihm nicht lag, er absolvierte dann eine Lehre im Schlosserhandwerk. Seit 1911 war er als Mitglied der Sozialistischen Partei Belgiens aktiv, später als Sekretär der Sozialistischen Arbeiterjugend in Brüssel. Da er die deutsche Staatsbürgerschaft behalten hatte,

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Geburtsurkunde Etkar André FZH

meldete er sich 1914 im Rheinland als Kriegsfreiwilliger, wenn auch zu Beginn nur mit geringen deutschen Sprachkenntnissen. Als Soldat im Inf.-Res.-Regiment 236 Köln-Deutz nahm er an den Kämpfen an der Flandernfront teil, geriet 1918 in französische Kriegsgefan genschaft und wurde 1920 entlassen. Seine freiwillige Kriegsteilnahme hat er später bedauert. Zunächst hielt er sich dann ab 1920 in Koblenz auf, wo er sich der Sozialistischen Arbei ter jugend und der SPD anschloss. Auf der Suche nach Arbeit gelangte er 1922 nach Hamburg und war als Schau er- mann im Hafen beschäftigt, zeitweilig auch als Bauarbeiter. Er wurde Mitglied im Deutschen Bauarbeiter-, später im Deutschen Transportarbeiterverband. Ein Schwerpunkt seiner Partei- und Verbandsarbeit bestand darin, sich um die Belange der Arbeits losen zu kümmern, immer

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mehr haderte er aber mit der Politik der SPD und trat Anfang 1923 der in seinen Augen poli- tisch konsequenteren KPD bei. Schon bald gehörte er zum engeren Kreis um Ernst Thälmann, seine offene, kameradschaftliche Art, seine Hilfsbe reitschaft und sein soziales Engagement machten ihn sehr beliebt, für jeden hatte er ein Ohr. Auch jetzt setzte er sich weiter stark für die Interessen der Arbeitslosen und ihrer Familien ein, deren materielle Not ihn erschütterte. Bis 1925 war Etkar André Führer der Er werbs losenbewegung in Hamburg. 1924 gehörte er zu den Gründern des Roten Frontkämpferbundes Was- serkante – Ernst Thälmann bezeichnete den RFB als „antifaschistische Schutz- und Wehrorganisation des Proletariats“ –, und war deren Leiter, außerdem Mit- glied der 1925 in Hamburg gegründeten Roten Ma- rine. Ähnlich wie Betriebsgruppen des RFB in den Fabriken sollten in ihrem Namen Bordgruppen unter den Besatzungen aller See- und Handelsschiffe ent- ste hen, bei gegenseitiger Hilfe und Unterstützung der Angehörigen. RFB und Rote Marine unterstützen u. a. den Kampf der KPD gegen den Neubau von Panzer kreuzern der Reichsmarine oder übernahmen die Sicherung von Wahllokalen und Veranstaltungen, beide wurden 1929 verboten. Ihre Mitglieder blieben auch in der Illegalität überwiegend aktiv, André für Etkar André, ca. 1925 FZH die Nachfolgeorganisation „Kampfkomitee gegen das RFB-Verbot“. Als politischer Leiter des KPD-Gaues Wasserkante erhielt er ein kleines Salär von monatlich 100,– RM. Für die Internationale der Seeleute und Hafenarbeiter übernahm er, geschult in der Reichsparteischule der KPD, Aufgaben als Instrukteur und Pro pagan dist, was aufgrund seiner Französisch kenntnisse auch mit Reisen nach Belgien und Frankreich verbunden war. André war mehr Aktivist als Parteifunktionär, er sah sich als „Mann von der Straße“, begegnete seinen Mitmenschen in Augenhöhe und mit Respekt, gleichzeitig galt er als umsich- tig, kühn und entschlossen, packte mit an, wo es erforderlich war und blieb immer fair. Dafür wurde er ge schätzt. Innerhalb des Parteiapparats war seine Rolle nicht herausragend, er gehör- te weder dem Zentralkomitee noch dem Politbüro an, nahm weder an programmatischen Auseinan der setzungen teil noch an innerparteilichen Flügelkämpfen. Andrés Lebensgefährtin Martha Berg, geb. Schmidt, betätigte sich aktiv in der KPD-Frauen- gruppe, sie lernten sich kennen als Parteigenossen, ab 1926 entwickelte sich eine Beziehung, obwohl Marthas Ehe noch nicht geschieden war. Daraus wurde der Vorwurf Ehebruch abge- leitet, der einer späteren Legalisierung der Beziehung im Wege stand und eine Heiratsge - neh migung verhinderte. Die beiden zogen 1928 von der Grindelallee nach Barmbek in die Adler straße 12, wo sie bis 1933 wohnten. Hauptmieterin der Wohnung und im Hamburger Adressbuch eingetragen war Frau Berg, Martha.

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Als Abgeordneter der KPD wurde André 1928 in die Hamburger Bürgerschaft gewählt, 1931 ein weiteres Mal, diesmal als Mitglied der Stadtvertretung Cuxhaven, bis 1937 zu Hamburg gehörend, wo er vorübergehend einen Zweitwohnsitz in der Poststraße 8 (bei Wesel) führte. Andrés Name war inzwischen nicht nur innerhalb der KPD und der Arbeiterbewegung ein Begriff, sondern auch allen Gegnern der kommunistischen Partei. Der RFB war in diverse Straßenkämpfe verwickelt, Konfrontationen gab es sowohl mit SA-Angehörigen als auch mit der Polizei und den SPD-nahen Reichsbannergruppen. Gegenseitige Provokationen und Rache- aktionen zwischen NSDAP/SA und KPD/RFB hatten Verletzte und Tote zur Folge, vereinzelt gab es Schusswechsel. Etkar André als einem der bekanntesten und charismatischsten Arbei - terführer in Hamburg wurde Verantwortung und Rädelsführerschaft für nahezu alle KPD- Aktionen unterstellt. Im März 1931 kam es zu einem Anschlag, der wahrscheinlich ihm gelten sollte, dem aber sein Parteifreund Ernst Henning zum Opfer fiel. Henning war ebenfalls Bürgerschafts ab ge ordneter, er wohnte in Bergedorf und hatte in den Vierlanden an einer Parteiveranstaltung teilgenom- men. Auf der Rückfahrt in einem gut besetzten Nachtbus wurde er nach der Frage „sind Sie André?“ trotz Richtigstellung von SA-Männern erschossen, weitere Fahrgäste erlitten teils schwere Schusswunden. Die Täter flüchteten anschließend, stellten sich aber später der Polizei bzw. wurden verhaftet und angeklagt. Der Tat vorausgegangen war einige Monate zuvor die Sprengung einer NSDAP-Versammlung in Geesthacht durch Kommunisten, es war zu schwe- ren Kämpfen gekommen, bei der zwei SA-Leute getötet wurden. Ob André etwas damit zu tun hatte, ist nicht erwiesen, der Hass auf ihn hatte sich allerdings weiter vergrößert. An der Trau erfeier für Ernst Henning nahm Etkar André jedenfalls teil, das belegen Aus- sa gen und Fotos. Es war eine Großver an - staltung mit geschätzten 35 000 Teil neh- mern. Der Trauerzug begann in der Jar re - straße vor einer damals dort befindlichen Leichenhalle. Hinter dem von berittenen Schutzleuten begleiteten Leichenwagen gingen dreißig Angehö rige des Rotfront - kämpferbundes mit erhobener Faust, Etkar André hält Totenwache für seinen Freund Henning FZH Etkar André an der Spitze. Ihnen folg- ten 120 Kranzträger und 150 Fahnen und Standarten kommunistischer Gruppen aus Hamburg und dem Reichsgebiet, anschließend die vielen Trauergäste, überwiegend schwarz gekleidet, mit Musik- und Schalmeienkapellen, es ertönten Kampflieder und Sprechchöre. Der Vorbeimarsch des Zuges zur Krematoriumshalle in Ohlsdorf dauerte über eine Stunde. An der Gedenkfeier nahmen neben Familienmitgliedern auch der Bürger schaftspräsident und der Vizepräsident teil, während Ernst Thälmann die Ge- denkrede hielt. Der größere Teil des Trauerzuges musste im Freien bleiben und demonstrierte

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Geschlossenheit. Auf dem Rückweg löste sich die Versammlung zunächst auf, doch kleinere Gruppen in der Fuhlsbüttler Straße sammelten sich wieder, man entrollte die Fahnen, mar- schierte in breiter Front zum Barmbeker Bahnhof. Von André wird später behauptet, er habe die Führung übernommen. Die Menge steigerte sich in Sprechchöre hinein, bis es kurz vor den Bahnhofsbrücken zur Eskalation kam. Von der Baustelle eines Neubaus wurden Bretter und Steine geholt, eine Barrikade gebaut, die Straßenbahn gestoppt, es erscholl die „Interna tio - nale“. Zwanzig den Zug begleitende Polizisten fühlten sich immer stärker bedrängt, bis einige von ihnen die Waffen zogen und Warnschüsse, schließlich Schüsse in die Menge abgaben. Ein un beteiligter 20-Jähriger erlag einem Kopfschuss, er war sofort tot, was den Aufruhr weiter an- heizte. Ein getroffene Polizeiverstärkung und Demonstranten bekämpften sich stundenlang, bis zum Barmbeker Markt zogen sich die Kämpfe hin, auf beiden Seiten gab es viele Verletzte. Der Prozess gegen die drei 20- bis 25-jährigen Henning-Attentäter, von einem NSDAP-Funk tio- när zur Tat angestiftet aber laut Parteierklärung angeblich keine Mitglieder, fand im Novem ber 1931 statt. Sie erhielten Zuchthausstrafen von je 6 bzw. 7 Jahren, verbüßten die Strafen bis zum 9. März 1933 und gelangten aufgrund der Hindenburg-Amnestie in die Freiheit. Wenige Tage zuvor, am 5. März 1933, war Etkar André verhaftet worden. Bereits seit der Macht ergreifung durch die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 galt André als höchst ge- fährdet, ihm wurde von Freunden nahegelegt, Deutschland zu verlassen, doch er lehnte ab. Am 1. März zogen er und Martha von der Adlerstraße in die Zeughausstraße 4. Er beteiligte sich noch am Wahlkampf für die Reichstagswahlen am 5. März in Cuxhaven, hielt dort am 4. März eine Rede. Tags darauf fuhr er mit dem Zug zurück nach Hamburg, wo durch die Gestapo unter Missachtung der Abgeordnetenimmunität seine Festnahme erfolgte. Die An kla ge gegen ihn lautete auf Vorbereitung zum Hochverrat in Tateinheit mit gemeinschaftlichem, vollendetem Mord im Fall des SA-Truppenführers Dreckmann im September 1932 und versuchtem Mord in sieben Fällen bei dem schon beschriebenen Vorfall in Geesthacht im Januar 1931. Auf ihn wartete eine dreieinhalbjährige Einzelhaft im Untersuchungsgefängnis, Zelle 122, er war laut Strafakte „streng getrennt zu halten von allen wegen Hochverrats inhaftierten Per- sonen“. Man fürchtete offenbar seinen möglichen Einfluss auf Mithäftlinge. Um die Isolation ertragen zu können, stellte er Anträge, Zeitungen halten und Bücher ausleihen zu dürfen, gern löste er Kreuzworträtsel und Schachaufgaben und bat um entsprechende Zeitungen, einen Bleistift, auch mal ein Dominospiel. Ein Antrag auf das Tragen eigener Wäsche wurde genehmigt. Martha Berg als Verlobte besuchte ihn regelmäßig, so oft sie durfte: zweimal monatlich eine halbe Stunde. Sonst kamen nur der Staatsanwalt und sein Verteidiger Dr. Grise bach; andere Angehörige lebten nicht in Deutschland und Freunde hatten kein Be - suchsrecht. Mit seinem als Zahnarzt in Belgien lebenden Bruder hielt er Briefkontakt. Von Anfang 1935 gibt es den Hinweis, die Braut wolle ein Aufgebot bestellen, Etkar beantragte die nötigen Papiere, eine Trauung ist in den Gefängnisakten nicht festgehalten. Die Haft war begleitet von Misshandlungen und brutalsten Folterungen. Zeitweilig konnte Etkar André sich nur mit Hilfe von Krücken fortbewegen. Als er wegen schwerer Verlet zun -

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gen nicht mehr liegen konnte, wurde ein Wasserbett organisiert, damit er bis zum nächsten Verhör und neuen Misshandlungen wiederhergestellt sein würde. Kopfverletzungen führten zeitweilig zum Verlust des Gehörs. Die Folterungen sprechen dafür, dass er für die Anklage brauchbare Aussagen verweigerte, keine Freunde, Genossen, Parteinterna verriet, sich nicht von seiner Weltanschauung zu distanzieren bereit war. Er stand zu seinen Überzeugungen und stellte das nationalsozialistische System und damit seine Ankläger in Frage. Der Prozess nach drei Jahren gehörte zu den größten politischen Schauprozessen seiner Zeit, er begann am 4. Mai 1936, zog sich über 32 Verhandlungstage hin bis zur Urteils ver kün - dung am 10. Juli 1936. Aufgrund der am 1. August in Berlin eröffneten Olympiade hielten sich viele ausländische Journalisten in Deutschland auf, von denen einige gespannt den Pro - zessverlauf verfolgten. Am 7. Mai wurde auch Martha Berg verhaftet, einen Tag vor ihrer Vor - ladung als Zeugin. Befürchtete man ihretwegen Unruhen? Sie kam später wieder frei. Die Staatsanwaltschaft konnte nur unzureichende Beweismittel für Andrés Schuld vorweisen, annähernd 100 Zeugen traten auf, überwiegend NSDAP/SA-Mitglieder. Zeugen aus dem Zuchthaus Fuhlsbüttel, die selbst Gefangene und bereit waren, gegen André auszusagen, wurden später von Mitgefangenen geschnitten oder so deutlich drangsaliert, dass die Lei - tung sich zu Umverlegungen in andere Zuchthäuser entschloss. Die Anklage blieb schwach, trotzdem plädierte der Staatsanwalt auf Todesstrafe. Etkars Verteidigungsrede war gleich - zeitig Anklage des NS-Regimes, er äußerte u. a.: „Ihre Ehre ist nicht meine Ehre. Denn uns trennen Weltanschauungen, uns trennen Klassen, uns trennt eine tiefe Kluft. Sollten Sie hier das Un mögliche möglich machen und einen unschuldigen Kämpfer zum Richtblock bringen, so bin ich bereit, diesen schweren Gang zu gehen. Ich will keine Gnade! Als Kämpfer habe ich gelebt und als Kämpfer werde ich sterben mit den letzten Worten: Es lebe der Kom mu - nismus!“ Das Gericht unter dem Vorsitz des Richters Otto Roth, der schon im Jahr zuvor das Todes- urteil über den Kommunisten Friedrich (Fiete) Schulze gesprochen hatte, folgte dem Antrag des Staatsanwalts und sprach das Urteil: Tod durch Enthauptung, Aberkennung der bürger- lichen Ehrenrechte. Etkar André beschloss, für sein Recht zu kämpfen. Einen Antrag auf Begnadigung lehnte er ab und schrieb in einem seiner letzten Briefe am 12. Juli an Martha: „Das Urteil ist unter allen Umständen ein Fehlurteil und deshalb ist es meine Aufgabe, die wenigen zur Verfügung ste- henden Rechtsmittel zu nutzen. Ich spreche von Rechtsmitteln, nicht von Gnade. Ein Gna den- gesuch werde ich nicht einreichen, weil ich nicht um Gnade bitten sondern mein Recht haben will.“ Er sah nur den Weg eines Wiederaufnahmeverfahrens, die Zeit eilte, er musste aber auf das schriftliche Urteil und die Akte warten, worüber Wochen vergingen, in denen auch kein Besuch zugelassen war. Schriftlich versuchte er Martha davon zu überzeugen, dass es ihm gut ginge, sogar „... ausgezeichnet, die Nerven sind intakt, mein Appetit hat nicht im geringsten gelitten ... und was den Schlaf anbelangt, so habe ich wahr und wahrhaftig nicht zu klagen ...“ Ein zum Tode Verurteilter, der seiner besorgten Partnerin nahe legte, sich nicht zu beunru-

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higen. Erst am 1. August durfte Martha ihn sehen, zuvor musste sie sich auf Waf fen untersu- chen lassen. Möglicherweise die letzte Begegnung des Paares, denn auch Martha war gefähr- det und emigrierte kurz darauf nach Paris – vielleicht auf Anraten Etkar Andrés. Am 19. August beantragte er Papier, um von der Staatsanwaltschaft die Genehmigung für einen Brief an den Reichskanzler zu erbitten. Der Generalstaatsanwalt äußerte keine Beden ken. Ob und wie der Brief geschrieben worden ist, ging aus vorliegenden Akten nicht hervor, aller- dings teilte der Generalstaatsanwalt mit Schreiben vom 3. Oktober mit, „...dass André nach Anweisung des Herrn Reichsministers der Justiz bis zu dem Zeitpunkt, in dem eine Entschlie - ßung des Führers und Reichskanzlers zur Frage des Vollzugs des ergangenen Urteils vorliegt, nicht besser als ein Gefangener zu behandeln ist, der zu einer zeitigen Zuchthausstrafe verur- teilt worden ist. Ich ersuche, dem André auch künftig das Schreiben von Briefen in diesem Umfang zu gestatten. Weiter ersuche ich, mir sämtliche Briefe zur Kontrolle vorzulegen“. Für jedes Schriftstück war ein Antrag auf Papierblätter zu stellen, jedes verwendete Blatt nach - zuweisen. Etkar André entwarf die Einleitung eines Wiederaufnahmeverfahrens, das sich auf die Punkte „1. Zu Unrecht erfolgte Verurteilung“ und „2. die sowohl während des Ver fahrens sowie Verhandlungen vorgekommenen Rechtsverstöße“ konzentrieren sollte. Eine internatio- nale Protestbewegung ging für die Wiederaufnahme des Verfahrens auf die Straßen, in Paris, Prag, Kopenhagen, Amsterdam und Stockholm gab es Demonstrationen. Vergeblich. Wenn eine Antwort des „Führers“ eingegangen ist, war sie eindeutig. Am Nach- mittag des 3. November erhielt Etkar André die Nachricht über den Termin seiner Hinrichtung am folgenden Morgen. Ein Mithäftling, der zufällig an diesem Tag für eine Reparaturarbeit in seine Zelle kam, gab später an, André habe keine Angst gezeigt und gesagt „Habt Ver - trauen, es wird sich alles zu unseren Gunsten entwickeln.“ Die letzte Nacht verbrachte sein Anwalt Dr. Grisebach bei ihm, er schrieb letzte Briefe an seinen Bruder und an Martha. Dem Bruder teilte er mit, wie sehr er ihn liebte und ihm dankte für die gemeinsamen Zeiten, auch ihn wollte er beruhigen: „Jammern ist nicht mein Fall und darum werde ich bis zur letzten Sekunde gerade und ungebrochen stehen.“ Er wünschte sich eine Bestattung in Belgien bei den Angehörigen. Der schwere Brief an Martha Berg, geschrieben am frühen Morgen um 3:45 Uhr, ist ein Dank für zehn gemeinsame Jahre, er wünschte sich, dass sie keinen Trübsal blase, nicht allein bleibe und einen guten Freund als Stütze fände. Er schreibt auch: „Bis zu - letzt bleibe ich ein ehrlicher Kerl, habe mich bis zuletzt verteidigt und kehre ins Nichts zurück ohne irgendwelche Gewissensbisse.“ Joachim Szodrzynski schreibt: „Bis zuletzt äußerlich ungebrochen ermöglicht er durch seine Haltung während der Haft und sein furchtloses Auftreten im Prozess der internationalen Presse die Entlarvung des NS-Regimes. Umgekehrt schützt ihn wahrscheinlich gerade das Be- wusstsein, mit seiner Person für die ‚gerechte Sache’ zu stehen, vor dem Zusammen bruch (...) Die Erfahrung, daß ein nicht geringer Teil seiner Genossen, die das vermeintliche Glück hat- ten, rechtzeitig vor den Nazis in die Sowjetunion zu entkommen, dort wenige Monate nach seiner Hinrichtung im Namen des von ihm hochgehaltenen Ideals liquidiert wird (darunter der

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2. Bundesvorsitzende des RFB, Willy Leow und der Vertraute Thälmanns, Hermann Schubert), bleibt André erspart. Möglicherweise wäre er d a r a n zerbrochen.“ Am 4. November 1936 um sechs Uhr morgens wurde Etkar André, zweiundvierzig Jahre alt, im Hamburger Untersuchungsgefängnis Holstenglacis unter Leitung des General staatsan - walts Dr. Drescher von dem Scharfrichter Gröpler aus Magdeburg mit dem Handbeil hinge- richtet. Es soll sich um die letzte Hinrichtung dieser Art in Hamburg gehandelt haben, später ging man zum Einsatz einer Guillotine über, die inzwischen zu den Exponaten eines Krimi nal - museums gehört. Bereits zu Lebzeiten Legende, nahmen Millionen Menschen in Europa Anteil an seinem Tod. Protest- und Trauermärsche fanden statt, im Hamburger Zuchthaus Fuhlsbüttel traten 5000 Insassen in einen Proteststreik. Er hatte keine Berühmtheit als Politiker oder „Parteibonze“ erlangt, sondern wurde als aufrechter Mensch, der für seine Mitmenschlichkeit, seine Über- zeugungen und als Gegner des Naziregimes in den Tod gegangen war, zum Symbol des anti- faschistischen Widerstands. Ein Stoff, aus dem Mythen gewoben werden, der Text dieser Bio- graphie ist ein Versuch, anhand vorhandener Unterlagen und Veröffentlichungen sowie Be richten von Zeitzeugen dem realen Etkar André auf die Spur zu kommen. Aus Furcht vor weiteren Unruhen ordnete die Gestapo eine Beisetzung „in aller Stille und un - ter strengster Verschwiegenheit“ an, die Urne wurde heimlich vergraben und erst zehn Jahre später gefunden, weil die Verwaltung des Ohlsdorfer Friedhofs nicht der Anordnung gefolgt war, alle Unterlagen zu vernichten. Zusammen mit 26 weiteren, vom Komitee ehemaliger poli tischer Gefangener aus Brandenburg überführten Urnen fand die Beisetzung im Septem - ber 1946 auf dem Platz der Revolutionsopfer von 1918 nahe dem Haupteingang des Fried - hofs Ohlsdorf statt. Mit Erlaubnis des britischen Stadtkommandanten waren die Urnen zuvor in Begleitung eines großen Schweigemarsches vom Standort des Komitees in der Maria-Lui- sen-Straße zu einer Gedenkveranstaltung ins Hamburger Rathaus gebracht worden, anschlie - ßend nach Ohlsdorf, in strömendem Regen. Zeitzeugen berichteten von einer eindrucksvol- len Demonstration. Heute befindet sich die Grabstätte von Etkar André im Ehrenhain für die Opfer des Faschis - mus auf dem Ohlsdorfer Friedhof, wohin sie zusammen mit den Urnen weiterer Wider- standskämpfer im April 1962 über- führt worden ist. An der Gedenkfeier nahm auch Martha teil, die Etkars Namen angenommen hatte und nun Berg-André hieß. Von seinem Tod hatte sie 1936 in Paris erfahren, wo sie bei Freunden wohnte und sich im Wider stand enga gierte. 1940 von der deutschen Besat zung Martha Berg-André bei der Gedenkfeier 1962 FZH festgenommen, muss te sie längere

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Zeit im Lager Gurs verbringen. Sie ging später nach Ostberlin und war u.a. als Leiterin tätig für die Gemeinschaft Opfer des Fa schismus. Ehrungen Etkar Andrés in der DDR spiegelten sich wider in der Benennung von Straßen, Schulen und Plätzen. 1974 erschien anlässlich seines 80. Geburts tags eine Briefmarke mit seinem Konterfei. – Erika Draeger Quellen: StaHH ZC1, Kasten 11, Strafakte André, Etkar; StaHH 433/1a, Mitgliederverzeichnis der Hambur- ger Bürgerschaft 1921–1931; StaHH, Handschriftensammlung DCIII (603); Gedenkstätte Ernst Thälmann, Hamburg: Personenarchiv, Etkar André; Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg: Männer im Widerstand 1933–1945, Akte A-F, 13-3-3-1; Szodrzynski, Joachim in: Arbeitskreis zur Erforschung des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein; Hochmuth, Ursel/Meyer, Gertrud: Streiflichter aus dem Hambur- ger Widerstand, S. 248, 504, 529; Ebeling, Helmut: Hamburger Kriminalgeschichte 1931–36, Band 2; Ebeling, Helmut: Schwarze Chronik einer Weltstadt, S. 275ff., 281f., 294ff.

Paul Karl Bach, geb. 11.3.1903, am 20.7.1934 im Konzentrationslager Fuhlsbüttel ermordet 6 Detmerstraße 28

Bis zu seinem fünften Lebensjahr verbrachte Paul Bach eine glückliche Kindheit bei seinen Eltern in Wandsbek. Dann starb seine Mutter jedoch an Schwindsucht und Paul Bach wuchs von nun an in einem Waisenhaus auf. Später erhielt er die Möglichkeit, den Beruf des Zim- mermanns zu erlernen. Durch seinen Beruf reiste Paul Bach in Norddeutschland umher und kam nach Klein Lobke in der Nähe von Hannover. Hier lernte er die Tochter des Arbeiters Wilhelm Klages, Frieda Gret - chen Klages, kennen. Paul Bach und Frieda heirateten und 1926 kam ihre gemeinsame Toch - ter Louise Grete in Klein Lobke zur Welt. 1927 zog die Familie nach Hamburg und wohnte hier in Barmbek in der Detmerstraße 28. Im selben Jahr be- gann Paul Bach auch seine Arbeit für die KPD. 1930 wurde er auf die Par tei- schule nach Berlin geschickt. Nach sei- ner Rückkehr übernahm er den Posten des Haupt kassierers. Ge meinsam mit seinem Kollegen Walter Gröber hatte er ab 1933 diesen Posten bis zu seiner Die Detmerstraße in den 1930er Jahren Geschichtswerkstatt Barmbek Inhaftierung inne. Seit der Machtübernahme der Natio - nalsozialisten 1933 wurde Paul Bach verfolgt. Letztendlich holte die Ge sta po ihn am 18. Juli 1934 von zu Hause ab, um ihn ins Kon zentra tionslager Fuhlsbüttel zu bringen. Als Begrün - dung wurde die Gefahr des Hoch verrats, die von Paul Bach ausginge, angegeben. Schon zwei Tage später, am 20. Juli, erhielt seine Frau Gretchen die Nachricht vom angeblichen

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Selbstmord ihres Mannes. Mithäft lin ge berichteten ihr jedoch später, ihr Mann sei durch die Gewaltanwendung der SS umgekommen. Quellen: StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 11.03.03 Bach, Paul Karl; Diercks: Gedenkbuch „Kola-Fu“, S. 15; VVN, Hinterbliebenenkartei; VVN, B1 Bach, Louise; Totenliste Hamburger Widerstandskämpfer und Verfolgter 1933–1945.

Paul Heinrich Wilhelm Bachert, geb. 25.3.1909, am 7.3.1945 verhaftet und im Konzentrationslager Fuhlsbüttel inhaftiert, am 23.4.1945 in das Konzentrationslager Neuengamme verlegt und dort ermordet 7 Schenkendorfstraße 19

Das Ehepaar Wilhelm und Henriette Bachert lebte in Hamburg und hatte zwei gemeinsame Söhne. Otto wurde am 13. Oktober 1903 geboren, sein Bruder Heinrich folgte am 25. März 1909. Die Familie lebte in der Desenißstraße 7 in einer kleinen Wohnung. Beide Brüder absolvierten eine Schlos- serlehre und wurden später Monteu re. Heinrich fand eine Anstellung als Elek- tromonteur bei der Firma Conz Bah - renfeld in der Gasstraße in Altona. Seine erste eigene Wohnung fand Heinrich Bachert in der Schenken dorf - straße 19, wo er bis zu seiner Verhaf - tung wohnte. Heinrichs Vater Wilhelm war evange- lisch und seine Frau Henriette, eine Die Schenkendorfstraße um 1905 Bildarchiv Hamburg geborene Levy, war Jüdin, die beiden Söhne wuchsen mit dem christlichen Glauben auf. Doch mit den „Nürn berger Gesetzen“ aus dem Jahr 1935 wurden Heinrich und Otto zu „Halbjuden“ und litten unter Anfeindungen und Verfolgung. Zudem war Heinrich politisch aktiv und beteiligte sich an der illegalen Arbeit der KPD. Privat hatte Heinrich sein Glück bei Grete Ella Schulz gefunden. Sie war drei Jahre jünger als er, evangelisch und stammte ebenfalls aus Hamburg. Seit 1938 waren beide miteinander ver- lobt, doch sie waren vielen Anfeindungen ausgesetzt, weswegen es zunächst zu keiner Hoch zeit kam. Am 4. März 1944 kam ihr einziges gemeinsames Kind, Heidi Henny, zur Welt. Doch schon im Herbst desselben Jahres kam der nächste Schicksals schlag für die Familie. Heinrich verlor am 1. Oktober seine Anstel lung, weil er „Halbjude“ war und seine politische Gesinnung be kannt wurde. Inzwischen beteiligte er sich auch an der Arbeit der „Bästlein-Jacob-Absha gen- Gruppe“, einer Widerstandsor ga nisation in Hamburg.

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Die Gestapo wurde Anfang 1945 auf Heinrich Bachert aufmerksam und verhaftete ihn aus ras sischen und politischen Gründen am 7. März. Er wurde in Fuhlsbüttel inhaftiert. Grete hoffte, ihrem Verlobten mit einer Heirat helfen zu können. Die beiden schlossen deswegen am 1. April 1945 die Ehe, obwohl dies für sie eigentlich verboten war. „Halbjuden“ war die Ehe mit „Nichtjuden“ ohne besondere Ge neh migung untersagt, und diese wurde nur in sehr wenigen Fällen erteilt. Wie Heinrich und Grete Bachert es trotzdem schafften, getraut zu werden, ist unbekannt. Heinrich Bachert wurde am 23. April 1945 von Fuhlsbüttel ins Konzentrationslager Neuen- gamme verlegt. Seither fehlt von ihm jede Spur, er soll dort ohne Urteil gehenkt worden sein. Seine Mutter Henriette Bachert starb bereits am 3. Juli 1940 in Hamburg, ihr Mann folgte ihr am 3. August 1951. Otto und seine Ehefrau Hanna überlebten den Holocaust. Auch Hein - richs Ehefrau Grete und ihre gemeinsame Tochter Heidi überstanden den Zweiten Weltkrieg. 1953 heiratete Grete erneut und lebte in Winterhude. Quellen: StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 04.03.44 Bachert, Heidi; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 53395; Diercks: Gedenkbuch „KOLA-FU“, S. 51; Hochmuth/Meyer: Streiflichter aus dem Hamburger Wi - derstand, S. 386; KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Totenbuch; Totenliste Hamburger Widerstandskämpfer und Verfolgter 1933–1945.

Wilhelm Baum, geb. 16.12.1892, am 11.7.1942 nach Auschwitz deportiert und dort umgekommen Hedwig Bernhardine Baum, geb. Hirschfeld, geb. 27.3.1904, am 11.7.1942 nach Auschwitz deportiert und dort umgekommen Hannelore Baum, geb. 22.6.1935, am 11.7.1942 nach Auschwitz deportiert und dort umgekommen 8 Papenhuder Straße 42/Durchschnitt 8

Wilhelm Baum, der Sohn des Ehepaares Leopold und Johanna Baum, geb. Salomon, wuchs in Bernkastel-Kues bei Trier auf. Das Ehepaar Baum hatte noch einen weiteren Sohn, Carl war zwei Jahre älter als Wilhelm. Seine Kindheit verbrachte Wilhelm Baum in seiner Hei mat- stadt, doch dann zog es ihn nach Gelsenkirchen und später nach Frankfurt am Main. Mit der Hochzeit im Juni 1934 wurde Hamburg Wilhelm Baums neues Zuhause. Seine Ehe - frau Hedwig Hirschfeld war die Tochter von Julius und Amalie Hirschfeld, geb. Weinthal, und stammte aus der Hansestadt. Sie hatte zwei jüngere Schwestern, Bertha und Liselotte. Ein Jahr nach der Hochzeit kam Wilhelms und Hedwigs einziges gemeinsames Kind, Hannelore, am 22. Juni 1935 zur Welt. Gemeinsam mit seinem Schwiegervater betrieb Wilhelm Baum das Schuhgeschäft „Julius Hirschfeld I. W. Meyer“ am Steindamm 92, welches seit 1925 existierte. Wilhelm Baum trat am 1. Oktober 1934 als Mitinhaber ein, woraufhin das Geschäft in eine Kommandit ge sell schaft (KG) umgewandelt wurde. Das Geschäft hatte meist zwischen sieben und acht Ange stellte. Trotzdem lebte die Familie Baum in bescheidenen Verhältnissen. Wilhelm war lediglich mit

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6000 RM an dem Schuhgeschäft beteiligt und die Miete für die Privatwohnung, welche im selben Haus lag, wurde direkt vom Geschäft bezahlt und mit seinem Verdienst verrechnet. Die Wohnung von Hedwigs Eltern befand sich ebenfalls im gleichen Haus im Steindamm 92. Am 18. Dezember 1935 wurde die KG in eine offene Handelsgesellschaft (OHG) umgewan- delt und Wilhelm und Julius traten der OHG als persönlich haftende Gesellschafter bei. Da sich die Verhältnisse im Deutschen Reich für die Familie Baum zusehends verschlechter- ten, entschlossen sie sich 1938 nach Melbourne, Australien, auszuwandern. Amalie Hirsch- feld war bereits im August 1938 mit ihrer Tochter Bertha, deren Ehemann Robert Philipp und den zwei gemeinsamen Kindern Heinz und Kurt über die Niederlande und England nach Aus tralien ausgewandert. Zwar besaß die Familie etwas Eigenvermögen, doch für eine Auswanderung reichte es nicht aus. Deswegen beschlossen Julius und Wilhelm das Schuhgeschäft zu verkaufen. Julius Hirsch- feld wollte nicht emigrieren, sondern vom Verkaufserlös seinen Lebensabend finanzieren. Außerdem lieh er seinem Schwiegersohn Wilhelm noch 5000 RM, damit dessen Familie die Auswanderung organisieren konnte. Als die Devisenstelle von dem bevorstehenden Verkauf des Schuhgeschäftes erfuhr, wurden die Konten der Familien Baum und Hirschfeld im Oktober 1938 aufgrund der Sicherungs- anordnung gegen Juden ein- gefroren. Von nun an konnten die Familien nicht mehr frei über ihr Geld verfügen. Zudem wurde das Schuhgeschäft „ari- siert“: Die Geschäftsleute Erich und Ernst Rehder übernahmen den Laden zum 1. November und benannten ihn in Schuh - ge schäft Rehder um. Die beste- hende OHG wurde am 8. De - zember 1938 aufgelöst. Nach dem Verlust des Schuh - geschäftes mussten sowohl Familie Baum als auch Julius Hirschfeld umziehen und fan- den ein neues zu Hause am

Gedenkblatt für Wilhelm Baum Yad Vashem

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Steindamm 65. Von der Devisenstelle wurde der Familie zusammen mit Julius Hirschfeld ein monatlicher Lebensunterhalt von 1100 RM gewährt. Durch die Beschlagnahmung der Kon- ten konnten die letzten Rech nun gen des Schuhgeschäftes nicht bezahlt werden, sodass Julius Hirschfeld verärgerte Liefe ranten beruhigen musste, ohne für seine Zahlungs unfähig- keit verantwortlich zu sein. Zu Beginn des Jahres 1939 stellte Familie Baum den Auswanderungsantrag und erhielt alle nötigen Bescheinigungen. Lediglich die Einreiseerlaubnis nach Australien fehlte noch, sodass Wilhelm Baum Kontakt mit dem Hohen Kommissar für Australien in Berlin aufnahm. In der Zwischenzeit wurde ein Großteil der Möbel bei der Spedition Friedrich Wiese, die ihren Sitz in der Schäferkampsallee 16 hatte, eingelagert. Zudem mussten noch das Klavier, der Radioapparat und die Schreibmaschine verkauft werden. Im Sommer 1939 zog Familie Baum an den Eppendorfer Baum 19 I und Julius Hirschfeld in die Isestraße 104. Von nun an waren auch die Konten wieder getrennt und Familie Baum wurden monatlich 360 RM zum Leben zugestanden. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges endeten alle Hoffnungen der Familie Baum auf eine Emigration. Wilhelm Baum fand ab November 1940 eine neue Anstellung als Lagerarbeiter bei der Firma Rasch & Jung, wo er einen Wochenlohn von 35 RM erhielt. Julius Hirschfeld zog im April 1942 ins Jüdische Altersheim in der Be ne - ckestraße 6. Auch Familie Baum mus- ste noch mehrmals umziehen, eine ihrer Adressen war die Papenhuder Straße 42, wo heute die Stolper steine für die Familie liegen. Im Dezember 1940 zog sie in die Haynstraße 5 und ab März 1942 lebten sie im Durch - schnitt 8. Von dort aus wurde die Familie am 11. Juli 1942 nach Ausch - Die Papenhuder Straße im Jahr 1902 Bildarchiv Hamburg witz deportiert. Julius Hirschfeld wurde vier Tage nach Familie Baum am 15. Juli 1942 ins Getto The re sienstadt deportiert und starb dort am 1. No- vember 1942. Auch Hedwigs Schwester Liselotte wurde ermordet, sie starb in Auschwitz. Carl Baum emigrierte in die USA und überlebte dort den Holocaust. Außer den Stolpersteinen für die Familie Baum in der Papenhuder Stra ße 42 liegt auch ein Stolperstein für Han nelore Baum im Durchschnitt 8. Quellen: 1; 2; 4; 5; 8; StaHH 314-15, OFP, FVg 5916; StaHH 314-15, OFP, R 1938/1398; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 16.12.92 Baum, Willi; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 27.03.04 Baum, Hedwig Bern- hardine; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 22.06.35 Baum, Hannelore; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 20.06.90 Baum, Carl; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 24.09.99 Philipp, Robert.

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Dorothea Bernstein, geb. 10.8.1893, am 25.10.1941 nach Lodz deportiert, dort gestorben am 5.6.1942 9 Lerchenfeld 10 (Gymnasium Lerchenfeld)/Hauersweg 16

Dorothea Bernstein wurde in Tilsit geboren. Seit ungefähr 1919 lebte sie in Hamburg. Als Lehrerin unterrichtete sie von März 1927 bis September 1933 an der Oberrealschule für Mäd- chen am Lerchenfeld, dem heutigen Gymnasium Lerchenfeld. Aus Anlass des 90-jährigen Bestehens des Gymnasiums setzten sich Schülerinnen und Schüler in einer Arbeitsge mein- schaft, die von Schulleiter Hans-Walter Hoge geleitet wurde, mit der Geschichte ihrer Schule von 1933 bis 1945 auseinander. In diesem Rahmen erforschten sie auch das Schicksal von Do- ro thea Bernstein. Auf Initiative der Schule wurde ein Stolperstein für sie vor ihrer ehemaligen Wirkungsstätte verlegt. Anlässlich der Einweihung des Stolpersteins am 14. November 2005 hielt die damalige Schü - lerin Maris Hubschmid folgende Rede: „Die Geschichte unserer Schule während der schrecklichen Jahre von 1933 bis 1945 ist lange im Dunkeln geblieben. Kaum einem lag daran, in den Nachkriegsjahren und bis in die Sech ziger- und Siebzigerjahre hinein das Licht auf die dunklen Flecken deutscher Vergan - genheit zu richten. Flecken, die da heißen: Wegschauen, Schweigen, die Gefahr nicht er- kennen wollen, Verdrängen. Den Schülern unserer Generation hat man in der Schulchronik große Lü cken hin terlassen. Die Zeit von 1933 bis 1945 wird darin nur äußerst spärlich behandelt. Einige Anek doten, einige Daten, viel über Kinderlandverschickung und einiges über die Bom bar dierung 1943 – mehr nicht. Nichts, was darin hinweist auf die Verän de - rungen des Schulalltags am Lerchenfeld während dieser Zeit, kein Vermerk über Schicksale einzelner Schülerin nen, nur ungenaue Angaben über das Aus-dem-Dienst-Scheiden einiger Lehrer und Lehrerinnen. Vor zwei Jahren haben einige von uns es sich gemeinsam mit unse- rem Schulleiter Herrn Hoge zur Auf- gabe gemacht, diese Lücken zu fül- len. Wir wollten mehr wissen über die Geschichte des Gymnasiums Ler- chen feld, mehr wissen über eine Ge- ne ration, die einmal im selben Alter und am selben Ort eine so andere Schulzeit erlebt hat, als wir es heute Die Oberrealschule für Mädchen am Lerchenfeld 1935 tun. Also haben wir uns auf die StaHH Suche begeben. Informationen ge - sucht, Zeit zeugen gesucht, Ant worten ge sucht. Der Stolperstein, den wir heute einweihen, ist Symbol für ein Ergebnis unserer Suche. Er soll er innern an Frau Dr. Dorothea Bernstein, die von 1927 bis 1933 Lehrerin unserer Schule war, und die 1942 im Kon zentrationslager […] ermordet wurde, weil sie Jüdin war. Er soll aufmerksam machen darauf, dass unsere

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Schule Vergangenheit hat, dass wir alle eine Ver gan genheit haben. Er soll mit seinen 10x10 cm eine erste Lücke füllen. Dorothea Henriette Bernstein wurde am 10. August 1893 in Tilsit in Ostpreußen geboren. Ihre Eltern Aaron und Sophie Bernstein waren beide jüdischen Glaubens. 1914 legte sie ihre Reifeprüfung in Danzig ab, studierte Deutsch, Französisch und Philo so - phie in Königsberg, München und Hamburg und legte hier 1922 ihre Prüfung für das höhe- re Lehramt ab. Im gleichen Jahr promovierte sie zum Doktor der Philosophie. An die Mädchen-Oberrealschule am Lerchenfeld kam sie zunächst als Vertretung für eine er- krankte Lehrkraft, im März 1927, nachdem sie am Oberlyzeum in Altona und an der Helene- Lange-Schule einen Vorbereitungsdienst ab- sol viert hatte. Zweieinhalb Jahre später wur de sie zur außerplanmäßigen Beamtin ernannt. Fräulein Bernstein unterrichtete Fran zö sisch und Deutsch in allen Klassenstufen. Zeitzeugen beschreiben sie als sozial enga- gierte Lehrerin, deren Unterricht streng, aber ausgezeichnet war. Sie gehörte zu den jüng- sten Kolleginnen und stand den Problemen ihrer Schülerinnen sehr aufgeschlossen ge - gen über. Eine ehemalige Schülerin erinnerte sich daran, dass Frau Bernstein jeden Mor- gen einem Mädchen, dessen alkoholkranker Vater sie stark ver nachlässigte, ein Frühstück mitbrachte. Die Schüler schätzten ihre Art. Es heißt, man erlaubte sich in ihrer Gegenwart Bemerkun - Stolpersteinverlegung vor dem Gymnasium am Ler chenfeld gen, die man gegenüber anderen Lehrern Hamburger Wochenblatt/Sabine Rodenbäck nicht zu äußern gewagt hätte. Am 25. September 1933 wurde Frau Dr. Bernstein auf Grund § 3 des Reichsgesetzes zur Wie derherstellung des Berufsbeam ten tums vom 7. April desselben Jahres ohne jedes Gehalt in den Zwangsruhestand versetzt […] Am 1. Juni 1939 wurde sie an der letzten jüdischen Schule Hamburgs eingestellt, die aus der Zu sammenlegung der Mädchenschule der Deutsch-Israelitischen Gemeinde mit der Talmud Tora Oberrealschule für Jungen hervorgegangen war und sich „Volks- und Höhere Schule für Juden“ nennen musste. Diese Schule wurde von der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland unterhalten […] Diese war allerdings kaum noch zahlungsfähig und sah sich gezwungen, viele der letzten jüdi schen Lehrer zu entlassen. So bekam Dr. Dorothea Bern- stein im Juni 1941 das Kündi gungs schreiben und schied am 16. Juli 1941 gänzlich aus dem Schuldienst aus.

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Eine Lehrerin namens Dr. Duhne, zu der Frau Bernstein engen Kontakt hatte, berichtet von einem Anruf, in dem Dorothea Bernstein ihren Abtransport für den kommenden Tag ankündig- te. Sie soll gesagt haben, sie habe noch einmal eine warme, menschliche Stimme hören wollen. Am 25. Oktober 1941 wurde Frau Dr. Bernstein mit dem ersten Deportationszug und 1033 anderen Juden nach Lodz (ehemals Litzmannstadt) in Polen deportiert [...] Seit dem Jahr 2000 verlegt der Künstler Gunter Demnig sogenannte Stolpersteine und er- innert so an die Opfer der NS-Zeit, indem er vor ihrem letzten selbstgewählten Wohnort Gedenktafeln aus Messing ins Trottoir einlässt. […] Der Stolperstein, den wir heute für Dorothea Bernstein einweihen, unterscheidet sich etwas von den meisten anderen. Statt der üblichen Zeile ,Hier wohnte‘ sind auf ihm die Worte ,Hier lehrte‘ eingraviert. Wir haben ihn bewusst hier verlegen lassen, um auszudrücken, dass Frau Bernstein als Lehrerin und Mensch an unserer Schule unvergessen ist. Und um deutlich zu machen, dass sie für uns hier herge- hörte, an diese Schule, und dass sie damit für immer ein Teil unserer Schule und der Ge - schichte des Gymnasiums Ler chen feld bleiben wird. ,Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist‘, sagt Gunter Demnig. Mit diesem Stein vor unserem Schul eingang wollen wir die Erin ne rung an diesen Menschen, Frau Dr. Dorothea Bern stein, die einst hier lehr te, lebendig halten. [...]“ Ein weiterer Stolperstein für Dorothea Bernstein liegt im Hauersweg 16, vor ihrer letzten Woh - nung, die sie selbst wählen konnte. Ihre allerletzte Adresse in Hamburg vor ihrer De por tation war die Klosterallee 11, wo sie zur Unter miete wohnte. Dorothea Bernstein starb am 5. Juni 1942 in Lodz. Künftig wird es noch einen weiteren Ort des Gedenkens geben. In der Nachbarschaft des Gymnasiums Lerchenfeld entsteht ein Neubaugebiet. Dort wird der Dorothea-Bernstein-Weg an sie erinnern. – Ingrid Budig Quellen: 1; 5; 8; Arbeitsgemeinschaft des Gymnasiums Lerchenfeld, Hamburg; Hamburger Wochenblatt, Wochenzeitung für Barmbek, 29.4.2009.

Aron Bezen, geb. 5.4.1899, am 25.10.1941 nach Lodz deportiert und dort gestorben Erna Berta Bezen, geb. Hecht, geb. 26.6.1905, am 25.10.1941 nach Lodz, am 29.9.1942 in Chelmno ermordet Leonhard Bezen, geb. 2.7.1938, am 25.10.1941 nach Lodz deportiert, am 29.9.1942 in Chelmno ermordet Bilha Erna Bezen, geb. 5.12.1939, am 25.10.1941 nach Lodz deportiert, am 29.9.1942 in Chelmno ermordet 10 Winterhuder Weg 86

Aron Bezen war gebürtiger Rumäne und wurde in Targoviste bei Bukarest als Sohn von Salo- mon Bezen und seiner Frau Anna Wilder geboren. Er hatte vier Brüder: Noa, Josef, Bernhard und Heinrich. Alle fünf Brüder wanderten nach Deutschland aus und verteilten sich im gan- zen Land. Aron Bezen zog es nach Hamburg.

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In Hamburg lernte er seine erste Ehefrau Frieda Bleiweiss kennen. Mit ihr hatte Aron ein ge - meinsames Kind, die Tochter Hannelore kam am 13. Juli 1931 in Hamburg zur Welt. Die Ehe scheiterte und wurde in den dreißiger Jahren wieder geschieden. Der gelernte Tapezierer Aron Bezen be trieb seit 1927 eine kleine Repara turwerkstatt in der Wex - straße 42, wo er auch kurzzeitig mit seiner Familie wohn te. Am 4. Mai 1930 eröffnete er zuerst in der Elbstraße 60 ein Polster- und Tape zier geschäft. Schnell wechselte die Ge schäfts adresse in den Winterhuder Weg 86, wo gleichzeitig immer ein bis zwei Ge sellen angestellt waren. Nach der Scheidung zog Frieda mit ihrer Tochter Hannelore in den Neuen Stein - weg 79. Seit dem 4. Juni 1936 wohnte Aron auch im Winterhuder Weg 86 in einer kleinen Wohnung. Mitte der drei- ßiger Jahre lernte er seine zweite Ehe - frau kennen. Erna Berta Hecht war die Toch ter von Arthur Hecht und seiner Ehe frau Rosalie Löwen thal und wurde am 26. Juni 1905 in Herford geboren. Winterhuder Weg um 1915 Bildarchiv Hamburg Sie arbeitete als Ver käuferin bei Alfred Laassen in der Kaiser-Wilhelmstra ße 49. Im Jahr 1938 zog sie zu Aron in den Winterhuder Weg 86. Am 2. Juli 1938 kam ihr erstes gemeinsames Kind Leonhard zur Welt. Im März 1939 heirateten Aron und Erna und ein weiteres Kind folgte, Bilha Erna wurde am 5. Dezember 1939 geboren. Im selben Jahr musste Arons erste Tochter Hannelore von der Volks schule auf die jüdische Talmud Tora Schule wechseln. Mit der „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ vom 12. November 1938 verlor auch Aron Bezen sein Geschäft. 1939 wurde die Polsterei „arisiert“ und ein Herr Flashar erwarb das Geschäft für wenig Geld. In der Folge musste Aron Bezen als Geselle in fremden Werkstätten arbeiten, um seine Familie versorgen zu können. Die Wohnung verlor Familie Bezen ebenfalls und musste zur Untermiete in den Eppendorfer Weg 9 ziehen. Dies war auch ihre Deportationsadresse. Am 25. Oktober 1941 wurde die ganze Familie ins Getto nach Lodz deportiert. Dort wechselten sie einmal ihre Adresse. Zuerst lebten sie in der Reiterstraße 27 und zogen dann Ende November 1941 in den Bleicherweg 17. Seit dem 16. Dezember 1941 arbeitete Aron Bezen als Tapezierer im Getto Lodz und wechsel- te am 12. März 1942 zur Holzwollefabrik Marysin, um dort als Tapezierer tätig zu sein. Im Sep - tem ber 1942 erhielt Familie Bezen ein Schreiben, in dem mitgeteilt wurde, sie werde aus dem Getto „ausgesiedelt“. Aron Bezen legte daraufhin Einspruch ein und begründete diesen mit seiner Arbeitsstelle. Tatsächlich wurde Aron Bezen von der „Ausreise“ zurückgestellt. Seine Frau Erna und ihre Kinder Leonhard und Bilha wurden jedoch am 29. Septem ber 1942 aus dem Getto Lodz „ausgesiedelt“. Dies bedeutete für sie den sicheren Tod in einem Gaswagen auf dem Schlosshof von Chelmno. Das weitere Schicksal von Aron Bezen ist ungeklärt.

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Letztes Lebenszeichen von Aron Bezen aus dem Getto Lodz.

„An die Abtg. f. d. Eingesiedelten Ich ersuche Sie von einer Ausreise- Aufforderung an mich oder meine Frau Erna, geb.Hecht, Abstand zu nehmen (Kinder: 1 Junge Leon- hard 3 1/2 Jahre, 1 Mädchen Bilha 2 1/4 Jahre) und begründe das Ansuchen mit nachfolgendem: Ich bin seit 12.3.42 als Tapezierer in der Holzwollefabrik Marysin II zur vollsten Zufriedenheit meiner Vorgesetzten tätig, vorher war ich ab 16.XII.41 im Tapezierer- Ressort tätig. Ich bin 43 Jahre, meine Frau 37 Jahre alt. Hochachtungsvoll Arno Bezen (5.V.1942)“ USHMM

Frieda und Hannelore wur den am 8. November 1941 von Ham burg ins Get to nach Minsk de - portiert und kamen dort ums Leben. Quellen: 1; 2; 4; 5; 8; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 17.04.99 Bezen, Aron; StaHH 741-4, Fotoarchiv, Sa 1246; Archivum Panstwowe, Lodz; USHMM, RG 15.083 301/103-105; ITS/ARCH/Transportlisten Gestapo (Hamburg)/11198207#1 (1.2.1.1/0001-0060/0017G/0045); ITS/ARCH/Getto Litzmann- stadt/1202403#1 (1.1.22.1/0006/ 0096).

Rudolf Borgzinner, geb. 17.4.1896, am 23.6.1943 nach Theresienstadt deportiert und am 28.9.1944 nach Auschwitz weiterdeportiert; am 5.12.1944 im Konzentrationslager Dachau Kaufering gestorben 11 Bramfelder Straße 23/Schäferkampsallee 29

Als einziges Kind des Ehepaares Dr. med. Paul Borgzinner und seiner Frau Minna, geb. Kem - pe nich, kam Rudolf in Hamburg zur Welt. Nach einem dreijährigen Vorschulbesuch wechsel- te Rudolf Borgzinner 1905 auf die Oberrealschule auf der Uhlenhorst, wo er im August 1914 sein Abitur bestand. Schon Rudolfs Vater war Arzt gewesen und besaß eine eigene Praxis in der Bramfelder Stra - ße 5. Auch Rudolf fasste den Entschluss, Medizin zu studieren. Im Wintersemester 1914/15

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war er in Kiel immatrikuliert und wechselte im nächsten Semester nach Würzburg. Zwischen Herbst 1915 und Januar 1919 unterbrach Rudolf Borgzinner sein Studium, um in verschiede- nen Infanterieregimentern am Ersten Weltkrieg teilzunehmen. Im Februar 1919 nahm er sein Studium in Hamburg wieder auf und bestand im Frühjahrs - zwi schensemester 1920 in Würzburg seine ärztliche Vorprüfung. Auch an der Ludwig-Maxi - milians-Universität in München war Rudolf Borgzinner kurzzeitig eingeschrieben. Im Dezember 1922 be stand er sein Staatsexamen in Hamburg. Während der Semesterferien absol vierte er ein Prak tikum am Pathologischen Institut und auf der zweiten Inneren Abteilung des Allge - mei nen Kran kenhauses Barmbek, wo er seit Januar 1923 zur Ableistung seines Probejahres beschäftigt war. Im Oktober 1923 legte Rudolf Borgzinner seine 27-seitige Dissertation mit dem Titel „Über Pneu matosis cystoides intestini hominies“ der Medizinischen Fakultät der Universität Ham - burg vor. Sein Prüfer war Prof. Dr. Theodor Fahr aus dem Pathologischen Institut des Allge- mei nen Krankenhauses Barmbek. Die Dissertation behandelte das seltene Krankheitsbild „Pneu matosis cystoides intestini“, die Ausbildung gashaltiger Zysten in der Darmwand. Nach seiner Promotion war Rudolf Borgzinner als Assistenzarzt im Krankenhaus Barmbek tätig und arbeitete in der dortigen Chirurgie. Doch aufgrund seiner jüdischen Herkunft wur- de er 1933 entlassen. Danach ließ er sich als Facharzt für Chirurgie in der alten Praxis seines Vaters, in der Bramfelder Straße 5, nie- der. Im Reichsmedizinkalender war er von 1931 bis 1937 verzeichnet. In die- sen Jahren lag seine Wohnung ganz in der Nähe seiner Praxis, in der Bramfel - der Straße 23. Eine neue Anstellung fand Rudolf Borg zinner beim Israelitischen Kran- Eine Gastwirtschaft in der Bramfelder Straße 23 zu Beginn des 20. Jahrhunderts Geschichtswerkstatt Barmbek kenhaus. Dort wirkte er ab 1940 als Leiter der chirurgischen Abteilung. Zu dem Zeitpunkt hatte das Kranken haus seinen ursprünglichen Standort an der Eckern för der - straße (heute Si mon-von-Utrecht-Straße) in St. Pauli aufgeben müssen und war in das Siloah- Diakonissenhaus in der Johnsallee 68/Ecke Schlü terstraße gezogen. 1942 musste es in das ehe malige Jüdische Siechenheim in der Schä ferkamps allee umziehen. 1940 zog Rudolf Borgzinner in die Husumerstraße 16, wo auch seine Eltern lebten. Am 30. Ja - nuar 1940 erging gegen Rudolf Borgzinner und seine Eltern eine Sicherungsanordnung. Auf- grund des Devisengesetzes vom 12. Dezember 1938 wurde ihr gesamtes Vermögen auf ein Sicherungskonto überwiesen, über welches die Familie nicht frei verfügen konnte. Dem Ehe- paar Borgzinner standen monatlich 350 RM zu, Rudolf Borgzinner musste sich mit 240 RM be- gnü gen. Paul Borgzinner, der bis dahin seine verarmte Schwester Betty Aronstein, die in Dort- mund wohnte, mit 30 RM im Monat unterstützt hatte, musste diese Hilfe nun einstellen.

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Im September 1941 verstarb Paul Borgzinner, seine Ehefrau Minna folgte ihm am 18. Januar 1942. Rudolf wechselte daraufhin erneut seinen Wohnsitz und lebte ab Februar 1942 in der Johnsallee 57. In seinem Beruf wurde Rudolf Borgzinner immer wieder mit den Problemen seiner Patienten konfrontiert, die ebenfalls jüdisch waren und unter der Verfolgung litten. So konnte bei- spielsweise das Ehepaar Agnes und Leo Offenstadt ihre Rechnung über 82 RM nicht mehr begleichen, da sie im Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert wurden. In solchen Fällen mus- ste Ru dolf Borgzinner die Honorarrechnung beim Oberfinanzpräsidenten geltend machen. Ab 14. September 1942 lebte Rudolf Borgzinner in der Schäferkampsallee 29. Ein knappes Jahr später traf ihn dasselbe Schicksal, welches vor ihm schon zahlreiche seiner Patienten ereilt hatte: er erhielt für den 23. Juni den Deportationsbefehl nach Theresienstadt. Eine Operationsschwester aus dem Israelitischen Krankenhaus erinnerte sich später, dass sie mit Rudolf Borgzinner und ihren Eltern Schlüsselwörter verabredet hatte, um sich trotz der Zen sur Nachrichten zukommen zu lassen. Rudolf Borgzinner war zu diesem Zeitpunkt der ein- zige Chirurg am Israelitischen Krankenhaus und wahrscheinlich auch der einzige Arzt mit Kran- kenhauserfahrung. Die Operationsschwester berichtete, dass Rudolf Borgzinner von alten Be- kannten aus Barmbek versteckt werden sollte, falls er einen Deportationsbefehl erhielt. Doch er lehnte dies ab und wurde am 23. Juni 1943 ins Getto nach Theresienstadt deportiert. Rudolf Borgzinner scheint ein Bücher - freund gewesen zu sein. Seine Bibli - othek mit ungefähr 800 Bü chern und Heften wur de am 14. Oktober 1943 versteigert. Die 261,20 RM Erlös wur- den an die Oberfinanzkasse Hamburg überwiesen. Nach einem Jahr im Getto Theresien - stadt wurde Rudolf Borgzinner am 28. Karteikarte für Rudolf Borgzinner von der Reichsvereini gung September 1944 nach Auschwitz de- der Juden ITS portiert und von dort aus ins Kon zen- trationslager Dachau Kaufering weiter deportiert. Hier starb Rudolf Borgzinner am 5. De zem - ber 1944 im Alter von 48 Jahren. Außer dem Stolperstein in Barmbek wurde auch in Eimsbüttel ein Stolperstein für Rudolf Borgzinner in der Schäferkampsallee 29 verlegt. Quellen: 1; 2; 4; 5; 7; 8; StaHH 214-1, Gerichtsvollzieherwesen, 174 Dr. Rudolf Borgzinner; StaHH 314-15, OFP, R 1940/86; StaHH 314-15, OFP, R 1940/88; StaHH 352-8/5, Allgemeines Krankenhaus Barmbek, 73; StaHH 741-4, Fotoarchiv, D 1174/36; ITS/ARCH/Transportliste Gestapo/11198038#1 (1.2.1.1/0001- 0060/0017C/0079); ITS/ARCH/Transportliste Gestapo/11197632#1 (1.2.1.1/0001-0060/0017/0139); ITS/ ARCH/Kartei Getto Theresienstadt/5023671#1 (1.1.42.2/THERES30/1699); ITS/ARCH/Getto Theresien- stadt/4958816#1 (1.1.42.1/0026/0003); ITS/ARCH/Konzentrationslager Dachau/9895779#1 (1.1.6.1/0001-0189/0032/0006); ITS/ARCH/Konzentrationslager Dachau/9911959#1 (1.1.6.1/0001- 0189/0111/0173); ITS/ARCH/Konzentrationslager Dachau/9924018#1 (1.1.6.1/0001-0189/0170/0013); Denkmalpflege Hamburg, Nr. 5/Mai 1991, Das ehemalige Israelitische Krankenhaus; Borgzinner: Über

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Pneumatosis cystoides intestini hominies; Meyer: Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden, S. 193; Villiez: Die Vertreibung der jüdischen Ärzte, S. 126; WdE/FZH, Aliasname: Elke Petsch, Teil 1 vom 24.6.1994 autorisierte Fassung.

Willi Ferdinand Bröckler, geb. 6.3.1897, inhaftiert 1937,1938–1940, gestorben am 22.10.1941 im KZ Groß Rosen 12 Humboldtstraße 122

Willi Bröckler kam 1897 als eines von fünf Kindern des Lademeisters Heinrich Bröckler und der Maria, geb. Greve, in Hamburg-Hammerbrook zur Welt. Nach dem Besuch der Volks - schule machte er eine Ausbildung zum Verkäufer in einem Eisenwarengeschäft und war dort bis zu seiner Einberufung zum Militär 1916 tätig. Nach dem Ersten Weltkrieg eröffnete er Ende 1920 einen Tabakwarenhandel in der Harburger Chaussee 119, den Ende 1924 seine Ehe frau Christine, geb. Lüsing, übernahm. Mit dieser schloss er 1923 die Ehe und hatte mit ihr einen Sohn. 1925 wurde Bröckler vom Amtsgericht Hamburg wegen Unterschlagung zu einer zweimonatigen Gefängnisstrafe verurteilt. 1927 ging seine Ehe aufgrund seiner homo- sexuellen Neigungen und wegen wirtschaftlicher Zerrüttung in die Brüche, auch das gemein- same Geschäft musste aufgegeben werden. Nach 1927 fand Bröckler zunächst als Arbeiter bei der Behörde für Strom- und Hafenbau, später im Büro der Behörde eine Beschäftigung, die er in der Wirtschaftskrise 1931 jedoch wieder verlor. Nach 1933 übte er eine geringfügi- ge Beschäftigung in einer Lesehalle für das WHW (Winterhilfswerk des Deutschen Volkes) aus, die er 1937 nach seiner ersten Verurteilung nach § 175 einbüßte. Über seinen ersten Prozess hat sich leider keine Akte erhalten. Bekannt ist nur, dass Willi Bröck- ler vom 9. Januar bis 19. Februar 1937 im KZ Fuhlsbüttel inhaftiert wurde und am 20. Februar 1937 durch das Amtsgericht Hamburg wegen widernatürlicher Unzucht in zwei Fällen, da- von ein Fall in fortgesetzter Handlung, zu sieben Monaten Gefängnis verurteilt wurde. Diese Strafe hatte er am 7. August 1937 verbüßt, in welchem Gefängnis ist nicht überliefert. Sein zweiter Prozess wurde im Oktober 1938 durch die Aussage eines ehemaligen Sexual - partners vor der Wilhelmshavener Polizei ausgelöst, den Willi Bröckler 1935 im Lesesaal des WHW kennengelernt hatte. Bröckler bezeichnete sich während seiner Vernehmungen durch das 24. Kriminalkommissariat im Hamburger Stadthaus als bisexuell, der seine Partner zu- meist zufällig in St. Pauli auf der Straße oder in Lokalen wie dem „Grenzfass“ [vgl. Stolper- steine in Hamburg-St. Pauli, S. 214] oder dem „Anker“ kennengelernt hatte. Darunter war auch der Strichjunge Karl Baumgart, Jahrgang 1916, von dem er im Zuge der Ermittlungen Ende November 1938 anhand einer Lichtbildkartei erkannt und verraten wurde. Seit dem 29. November 1938 befand sich Bröckler in der Untersuchungshaftanstalt Hamburg- Stadt. Am 1. Februar 1939 wurde ihm vor dem Amtsgericht Hamburg der Prozess ge macht, der ihm zwei Jahre Gefängnis wegen verschiedener nachgewiesener Vergehen nach § 175 einbrachte. Der damalige Amtsgerichtsrat Günther Riebow verstieg sich in seinem Urteil zu

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Entlassungsschreiben für Willi Bröckler, 1940 Staatsarchiv Wolfenbüttel 43 A Neu 4 Jg. 1938 Nr. 744

einer heute skurril anmutenden Definition der Homosexualität des Angeklagten: „Zwei felhaft bleibt es, ob der Angeklagte ein Reinhomosexueller ist oder nicht. Urhomosexu el ler ist er zweifellos nicht, denn er war verheiratet und hat ein Kind gezeugt. Es scheint aber fast so, als ob er im Laufe der Zeit zu einem Reinhomosexuellen geworden ist.“ Am 24. Februar 1939 wurde Willi Bröckler aus der Untersuchungshaft zur Verbüßung seiner Strafe ins Strafgefängnis Wolfenbüttel überstellt, wo er bis zur Entlassung am 27. November 1940 verblieb. Das ihm ausgestellte Zeugnis des Regierungsrates Linder vom Wolfenbüttler Gefängnis bescheinigte ihm zwar gute Führung und Fleiß, stellte ihm jedoch mit den Worten „Ob Bröckler jedoch in der Freiheit seine homosexuelle Veranlagung unterdrücken wird, erscheint zweifelhaft, zumal er den ihm erteilten Rat, sich entmannen zu lassen, nicht befolgt hat“ quasi sein Todesurteil aus. Am 30. November 1940 wurde er ins Polizeigefängnis Hüt- ten überstellt. Von dort kam er wahrscheinlich, ohne wieder in Freiheit gelangt zu sein, am 22. Februar 1941 ins KZ Sachsenhausen, wo er die Häftlingsnummer 36268 führte. Von dort gelangte er am 25. April 1941 in das zunächst „Ar beitsla ger Groß-Rosen“ ge nannte Gefäng - nis, das am 1. Mai 1941 den Rang eines selbstständigen Kon zentra tionslagers erhielt. Willi Bröck ler befand sich auf der Liste der ersten 722 Häftlinge. Am 22. Oktober 1941 starb er dort laut Sterbe urkunde des Standesamtes Groß-Rosen an einem Herzkollaps und an Kreis - laufschwäche. – Bernhard Rosenkranz/Ulf Bollmann

Quellen: StaHH, 376-2 Gewerbepolizei, Gewerbeanmeldungen 1915–1930; StaHH, 213-11 Staatsanwalt- schaft Landgericht – Strafsachen, 1561/39; StaHH, 213-8 Staatsanwaltschaft Oberlandesgericht – Verwal- tung, Abl. 2, 451 a E 1, 1 a; StaHH, 242-1 II Gefängnisverwaltung II, Ablieferung 16; Staatsarchiv Wolfenbüttel 43 A Neu 4 Jg. 1938 Nr. 744; B. Rosenkranz/U. Bollmann/G. Lorenz: Homosexuellen-Verfol- gung in Hamburg 1919–1969, S. 202–203. Auskünfte Janusz Barszcz, Muzeum Gross-Rosen, Monika Liebscher, Archiv der Gedenkstätte Sachsenhausen, Rainer Hoffschildt, Hannover und Christian-Alexander Wäldner, Ronnenberg-Weetzen, alle aus 2009 und 2010.

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Carl August Bruns, geb. 10.2.1885, inhaftiert 1936,1942–1943, zuletzt im KZ Sachsenhausen, gestorben nach dem 21.4.1945 auf einem Todesmarsch 13 Papenhuder Straße 32

„Er ist ins Gefängnis gekommen, weil er als Textilkaufmann so viele Kontakte zu Juden hatte“, war die Begründung seiner Angehörigen dafür, dass Carl Bruns den Zweiten Welt - krieg nicht überlebt hatte. Die Wahrheit wollte die Familie vor der Umwelt verborgen halten, schließlich wurden Homosexuelle (noch bis 1969) als Kriminelle behandelt. Erst Jahrzehnte später erfuhr Wolfgang Schreiber vom Schicksal seines homosexuellen Großonkels. Wolfgang Schreiber: „Meine Oma, Marta Busse, war die jüngere Schwester von Carl Bruns. Als ich klein war, versuchte sie mich vor ‚Männern mit Kettchen‘ an Bahnhöfen zu warnen, was ich als kleiner Junge natürlich nicht begriff. Wahrscheinlich wollte sie mir das Schicksal ihres Bru ders ersparen.“ Erst als seine Großmutter 1985 verstorben war und sich Wolfgang Schreiber 1986 in einem Brief gegenüber seiner Tante Ursula Becker, einer Nichte von Carl Bruns, als schwul geoutet hatte, brach diese das Schweigen und erzählte ihm von seinem Großonkel. „Nun war meine Neugierde entfacht, und ich begab mich auf Spurensuche. Im Hamburger Staats- archiv wurde ich fündig, dort befinden sich die Strafjustizakten. Heute lebe ich selbst als offen schwuler Mann in Amsterdam und fühle mich meinem Großonkel sehr verbunden, auch wenn ich leider nur sehr wenig von seinem Leben weiß.“ Ursula Becker, Jahrgang 1924, die am 19. Juni 2006 zur Einweihung des Stolpersteins für ihren Onkel nach Hamburg gekommen war, hatte ihn zuletzt gesehen als sie zehn Jahre alt war. „Er war eine elegante Erscheinung und ein Kunst liebender Mensch, man könnte sagen, ein Ästhet. In der Wohnung Papenhuder Straße hatten sie mehrere Untermieter, die dort zu sam- men mit meiner Großmutter, die den Haushalt führte, On kel Otto und Onkel Carl lebten. Carl nähte die Gar- di nen und knüpfte Teppiche. Er war eines von insge- samt sieben Ge schwistern, darunter waren auch einige Nazis. Das war wohl auch der Grund dafür, über sein Schicksal in der Familie zu schweigen“, erinnerte sich Ursula Becker. Ihre Mutter hatte das Schicksal ihres Bru - ders als Schande empfunden. „Als ich 25 Jahre alt war, hat sie mir die Wahrheit gesagt. Meine Mutter hegte den Verdacht, dass Wolfgang ge nauso sein wird wie Carl Bruns, um 1936 Privatbesitz sein Großonkel. Sie mochte aber nicht mit ihm darüber sprechen, also habe ich das übernommen. Ich bin sehr glücklich darüber, dass ein Stol perstein an meinen Onkel erinnert. Ich kann es nicht verstehen, dass so viele Menschen die Schre cken der Nazi-Zeit nicht wahrhaben wollen. Es muss alles getan werden, um daran zu erinnern.“ Carl Bruns wurde am 10. Februar 1885 in Hollerdeich/Kreis Kehdingen (heute Oederquart/ Kreis Stade) geboren. Von seinen elf Geschwistern starben fünf sehr früh an Kinderkrank hei -

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ten. Nach der Dorfschule absolvierte er eine kaufmännische Lehre, arbeitete als Kaufmann in der Textilbranche und zog nach Hamburg. Am Ersten Weltkrieg nahm Carl Bruns von 1915 bis 1918 teil, zuletzt als Kanonier im Fußartillerie-Regiment 45 Hamburg-Altona. Für seine Ver dienste erhielt er das „EK II, Verw.Abzeichen und Frontkämpferehrenzeichen“. Im Poli zei - ver hör 1942 sagte Carl Bruns: „Meine homosexuelle Veranlagung hat sich erst während des Weltkrieges richtig entwickelt … Nach meiner Mili tärzeit habe ich mich nicht wieder Frauen ge nähert.“ Ob er seinen späteren Geschäfts- und Lebenspartner Otto Schildt, Jahrgang 1882, im Krieg kennengelernt hatte, ist nicht überliefert. 1919 wurden die beiden Geschäfts - führer und ab 1927 Inhaber des Tuchlagers Welzien & Co. am Graskeller 3, dann am Neuen Wall 103. Beide Ge bäude wurden im Zweiten Weltkrieg durch Bom ben zerstört. 1929 lernte Carl Bruns den Fotografen Heinrich Roth, Jahrgang 1907, in dem einschlägigen Lokal „Goldene 13“ in der Koppel in St. Georg kennen. Beide hatten über mehrere Jahre ein Ver hältnis miteinander. Fotos belegen, dass Heinrich Roth sich offenbar auch mit Bruns’ Le - bens partner Otto Schildt gut verstand. Am 1. April 1933 zogen Otto Schildt, Carl Bruns und dessen Mutter in eine 8-Zimmer-Wohnung in die zweite Etage des Wohnhauses Papenhuder Straße 32. 1936 wurde Carl Bruns wegen seiner Beziehung zu Heinrich Roth nach § 175 RStGB zu vier Monaten und zwei Wochen Gefängnis verurteilt. Heinrich Roth erhielt acht Monate Gefängnis. Am 27. März 1942 geriet Carl Bruns erneut in die Fänge der Kriminal - polizei: Ein ehemaliger Sexual partner hatte seinen Namen im Verhör genannt. Noch am sel- ben Tag nahmen Beamte des Kriminalkommissariats 24 Carl Bruns fest. Er bestritt die An- schul digungen, gab aber einen Sexualkontakt mit einem Unbekannten im Sommer des Jah res 1941 zu. Vom 4. bis zum 13. April 1942 befand sich Carl Bruns als polizeilicher „Schutz häftling“ im KZ Fuhlsbüttel. Seinen Part ner Otto Schildt konnte er aus den Ermitt- lungen heraushalten. Am 6. Juli 1942 fand der Prozess vor dem Amtsgericht Hamburg statt. Amtsgerichts rat Friedrich Bertram verhängte eine einjährige Gefängnisstrafe wegen Ver - gehens nach § 175 RStGB, die Carl Bruns im Män ner gefängnis Fuhlsbüttel und im Gefäng- nis Altona verbüßte. Nach seiner Entlassung am 9. März 1943 war sein Leidensweg noch nicht zu Ende: Er wurde der Hamburger Polizei überstellt und in „Vorbeugehaft“ ge nom- men. Im April 1943 folgte seine Verbringung ins KZ Sachsenhausen. Ende April 1945 kam er auf dem Todes marsch Richtung Parchim ums Leben. Otto Schildt starb 1943 eines natürlichen Todes. Heinrich Roth wurde nach zwei Jahren Zwangs - arbeit in den Emslandlagern zunächst ins KZ Sachsenhausen und später ins KZ Neuengamme verbracht. Er starb am 3. Mai 1945 beim Untergang der Cap Arcona (vgl. Stolpersteine in Ham burg-St. Georg, S. 163–166). An sein Schicksal erinnert ein Stolperstein am Steindamm 91/97 in St. Georg. – Bernhard Rosenkranz/Ulf Bollmann

Quellen: B. Rosenkranz/U. Bollmann/G. Lorenz: Homosexuellen-Verfolgung in Hamburg 1919–1969, S. 118– 119; Wolfgang Schreiber, Biographie Carl Bruns (1885–1945), unveröffentlichtes Manuskript sowie Gesprä- che zwischen Wolfgang Schreiber bzw. Ursula Becker und Bernhard Rosenkranz am 19.6.2006; StaHH, 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen, 5209/42; StaHH 331-1 II Polizeibehörde II, Ablieferung 15 Band 2; StaHH, 242-1 II Gefängnisverwaltung II, Ablieferungen 13 und 16.

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Ernst Valentin Burchard, geb. 26.1.1891, am 8.11.1941 nach Minsk deportiert Olga Burchard, geb. Jonas, geb. 15.6.1894, am 8.11.1941 nach Minsk deportiert Gabriele Olga Burchard, geb. 23.3.1923, am 8.11.1941 nach Minsk deportiert Marianne Lilly Burchard, geb. 3.4.1928, am 8.11.1941 nach Minsk deportiert 14 Papenhuder Straße 53

Der Sohn von Konsul Martin Burchard und dessen Frau Bertha, geb. Goldzieher, Valentin Bur - chard, wurde in Hamburg geboren. In Eimsbüttel besuchte er die Oberrealschule und absol- vierte danach eine kaufmännische Ausbildung in verschiedenen Hamburger Exportge schäf- ten. 1912 trat er freiwillig der kaiserlichen Armee bei und verbrachte sein „Einjähriges“ bei einer Einheit in Schwerin. Erste Berufserfahrungen sammelte er im Ausland. Zwischen 1913 und 1915 lebte und arbeitete Valentin Burchard in Buenos Aires. Nach Beginn des Ersten Welt- krieges traf er Vorbereitungen, um ins Deutsche Reich zurückzukehren. Ausgestattet mit fal schen Papieren gelang ihm auf Umwegen seine Rückkehr in die Heimat, wo er sich zur Armee meldete und als Unteroffizier an der Westfront eingesetzt wurde. Nach Kriegsende zog es Valentin Burchard erneut ins Ausland. Bis 1920 arbeitete er als Kauf- mann in den Niederlanden, danach kehrte er nach Hamburg zurück, um sich selbstständig zu machen. Im März 1921 heiratete Valentin Burchard die drei Jahre jüngere ebenfalls jüdische Olga Jonas, die Tochter von Otto Nathan Jonas und seiner Frau Emma, geb. Jonas. Das Ehe- paar zog in eine gemeinsame Wohnung am Schwanenwik 34. Kurz darauf kam ihr erstes Kind, Martin Otto, am 2. Februar 1921 zur Welt. Die Tochter Gabriele Olga wurde am 23. März 1923 geboren und ein Jahr später folgte der Sohn Ernst Valentin am 5. April 1924. Marian ne Lilly erblickte als jüngstes der vier Geschwister am 3. April 1928 das Licht der Welt und vervollstän- digte die Familie. In den zwanziger Jahren hatte Valentin Burchard einige wichti- ge Ämter inne. So war er Mitglied der Industriekommission der Handelskammer, Mitglied der Hamburger Bürgerschaft und Arbeitsrichter. Eine berufliche Veränderung brachte das Jahr 1928, als Valen tin Burchard Vorstandsmitglied der Firma Hugo Peters & Co. AG, einer Weinhandels- und Spirituosenfabrik, wur de. Weni ge Jahre später gründete Burchard dann eine eige- ne Wein groß handlung auf der Uhlenhorst in der Papenhuder Straße 53. Als die Burchards im August 1935 ihr Haus am Schwanen wik 34 aufgrund der sich verschärfenden Diskrimi nie - rung und Entrechtung jüdischer Bürger aufgeben mussten, zo - Passfoto von Valentin Burchard aus dem Bürgerschaftsausweis gen sie in das Firmengebäude in der Papenhuder Straße 53. StaHH Angesichts sinkender Umsätze seines Weinhandels gründete Burchard im August 1935 die Firma Valentin Burchard & Co., die pharmazeutische Präparate für den Export herstellte. Bur chard war persönlich haftender Gesellschafter der Firma und für den kaufmännischen Be reich zuständig. Unter der Adresse Vogelreth 3 im Hamburger Frei-

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hafen lag der Sitz des Unter nehmens. Die auf den Export von Fluid-Extrakten und Tinkturen spe- zialisierte chemisch- pharmazeutische Fabrik besaß Abnehmer in der ganzen Welt. Ihre Er zeug - nisse wurden nach Süd- und Zentralamerika, Afrika, aber auch in einige Teile Europas verschifft. Obwohl die Firma eine gute Entwicklung nahm und die Auslandskontakte Bur chards für wach- sende Um sätze sorgten, brachte der Austritt der Kommanditisten Oscar Friedl änder und John Haus mann im April 1937 die Firma in ernste Schwierigkeiten. Schließlich sicherte aber der Eintritt von Emmy Jonas, der Schwester von Burchards Ehefrau Olga, der Fabrik das Überleben. Während der nächsten Jahre verschlechterte sich das Leben der Familie Burchard zusehends. Valentin Burchard beantragte im September 1938 bei der Industrie- und Handelskammer Hamburg ein Auslandsvisum für eine Geschäftsstelle. Eine Anfrage der IHK bei der Finanzbe - hörde, ob Burchard bei einer Visaerteilung Sicherheiten für den Fall einer Flucht zwecks Be- gleichung der dann fällig werdenden „Reichsfluchtsteuer“ zu hinterlegen habe, machte ihn zum Ziel behördlicher Zwangsmaßnahmen. Unmittelbar nach Bekanntwerden des Antrags lei- tete die Devisenstelle der Finanzbehörde Ermittlungen wegen des Verdachts der Kapitalflucht ein. Die Polizeibehörde wurde eingeschaltet und beauftragt, Nachforschungen anzustellen, bei der Zollfahndungsstelle wurde ein Ermittlungsverfahren wegen einer möglicherweise be- stehenden Auswanderungsabsicht eingeleitet. Obgleich die polizeilichen Ermittlungen erga- ben, dass eine Auswanderungsabsicht nicht bestand, wurde ein Visum verweigert. Am 16. Februar 1939 wurde die Firma Valentin Burchard & Co. „arisiert“ und von der Ham- burger Chinosolfabrik AG übernommen. Für Familie Burchard bedeutete dies, dass sie faktisch mittellos war. Für ein bescheidenes Entgelt konnte Valentin Burchard nach seiner Ent eignung und der Übernahme durch Chinosol dann noch für die Dauer der Abwicklung des Kauf vertra- ges im Betrieb tätig sein. Diese Tätigkeit war zunächst bis zum Jahresende 1939 befristet, wurde dann aber durch den Kriegsbeginn noch einmal bis zum 1. September 1940 verlängert. Marianne Lilly, die jüngste Tochter des Ehepaares Burchard, besuchte seit 1934 das Paul sen - stift. Allerdings musste sie diese Schule zum 13. April 1939 verlassen und wie die meisten an - deren jüdischen Kinder auf die Talmud Tora Schule gehen. Weil sich die Situation der Familie Burchard im Deutschen Reich zunehmend verschlechterte, bemühte sich Valentin Burchard im Januar 1939 um Pässe für die Ausreise seiner Familie in die Niederlande. Bis Juli 1939 gelang es ihm, alle von der Devisenstelle der Hamburger Finanz behörde für eine Bearbeitung des Antrages ge forderten Bescheinigungen und Unter lagen zusammenzutragen. Finanziert werden sollte die Aus wanderung durch den Rückkauf einer in England bestehenden Lebensversicherung. Allerdings war Burchard nach seiner Ent eignung nicht mehr in der Lage, den von der Devisenstelle geforderten Gegenwert der Versicherung in Höhe von 410 Pfund Sterling abzuliefern. Im selben Jahr ereilte Familie Burchard ein weiterer Schicksalsschlag. Ihr Sohn Martin Otto verstarb aus ungeklärten Gründen. Im Juli 1939 konnte Ernst Valentin mit einem Kindertransport nach England gebracht wer- den. Dort kam er bei einem Pastor, der außerhalb der Stadt Worcester lebte, unter. Bis zu ihrer Deportation hielt die Familie Kontakt zu dem Sohn.

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Anfrage an die Devisenstelle zur Auswanderung von Ernst Burchard StaHH

Am 8. November 1941 wurde das Ehepaar Burchard mit ihren Töchtern Gabriele Olga und Ma- rianne Lilly ins Getto nach Minsk deportiert. Seit diesem Zeitpunkt gelten sie als verschollen. Ein letztes Lebenszeichen von Valentin Burchard traf Anfang 1942 in Hamburg ein: Max Plaut, der Leiter des Jüdischen Religionsverbandes, erhielt einen Brief (es ist unbekannt, wie dieser nach Hamburg gelangen konnte), in dem Burchard die Zustände im Getto Minsk schil- derte. Leider ist das Schreiben nicht erhalten.

Quellen: 1; 2; 4; 5; 8; StaHH 121-3, Bürgerschaft I, A 17; StaHH 314-15, OFP, J 2/124/126/128/129; StaHH 314-15, OFP, FVg 5192; StaHH 314-15, OFP, FVg 7658; StaHH 314-15, OFP, R 1938/2404; StaHH 314-15, OFP, R 1939/1239; StaHH 314-5, OFP, R 1940/31; StaHH 741-4, Fotoarchiv, Sa 1246; Müller: Mit- glieder der Bürgerschaft, S. 23ff.; Leo Baeck Institut New York, AR 7183, Max Kreuzberger, Box 7 Folder 9, MM reels 129, Schr. Plaut an Lowenthal v. Dezember 1968.

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Carl Burmester, geb. 12.3.1901, nach Folterungen durch die Gestapo am 17.9.1934 im Treppenhaus des Stadthauses zu Tode gestürzt 15 Wiesendamm 20

Der Kommunist Carl Burmester entstammte einem sozialdemokratischen Elternhaus und wuchs in Hamburg auf. Nach dem Besuch der Volksschule wechselte Burmester zur Gewer be schule und machte anschließend eine Ausbildung zum Schiffszimmermann und Bootsbauer, ein Be- ruf, den bereits sein Vater Franz Burmester ausgeübt hatte. Seit 1917 war Carl Burmester Mit - glied im Schiffszimmerver band und trat 1918 auch der Frei en Jugend bei. Anfang des Jahres 1924 heiratete Carl Burmester die zwei Jahre jüngere Charlotte Clausen. Sie stammte aus Flensburg und war gelernte Gärtnerin. Am 31. Oktober 1924 kam ihr Sohn Jens Peter in Hamburg zur Welt und am 4. Mai 1926 wurde ihre Tochter Greta in Harxbüttel geboren. Gemeinsam mit seiner Ehefrau trat Carl Burmester 1922 der KPD bei und beteiligte sich aktiv am politischen und gewerkschaftlichen Leben. So war er Zweiter Vorsitzender des Interna - tionalen Hafenarbeiter- und See leuteverbandes, Mitglied des Vorstandes der KPD im Bezirk Wasserkante und ließ sich 1932 als Kandidat für die Hamburger Bürgerschaft aufstellen. Zudem stand er in Verbindung mit dem Maler Heinrich Vogeler in Worpswede, der dort für Kinder aus kommunistischen Familien eine Art Erholungsheim betrieb. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 arbeiteten Carl und Char lotte Burmester weiterhin „ille- gal“ für die KPD. Aufgrund dieser Tatsache kündigte ihre Woh- nungsbaugenossenschaft der Familie im Frühjahr 1933 ihre Wohnung am Wiesendamm 20. Familie Burmester zog darauf- Carl Burmester hin in die Schlettstadter Straße 5 um. Photoarchiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme Am 1. April 1933 wurde Carl Bur mester aufgrund seiner konspi- rativen Aktivitäten von der Gestapo verhaf tet und in „Schutz - haft“ genommen, wurde aber nach einigen Monaten am 30. November 1933 wieder freigelas- sen. Auch Charlotte befand sich vom 11. Juli 1933 bis zum 21. No vem ber in „Schutzhaft“. Nach ihrer Frei lassung beteiligte sich das Ehe paar er neut an der illegalen politischen Arbeit und wurde im Sommer 1934 gemeinsam verhaftet. Charlotte Burmester kam am 17. Juni in „Schutzhaft“ und Carl musste zur Ver nehmung ins Stadthaus. Grund für die erneute Ver haf tung war der Wiederaufbau ge werk schaftlicher Gruppen, an dem sich das Ehepaar beteiligt hatte. Inzwischen war die Ehe der Burmesters gescheitert, vor dem Hamburger Landgericht wurden die beiden am 9. Juli rechtskräftig geschieden. Während Charlotte Burmester in „Schutzhaft“ saß, wurde ihr Mann von der Gestapo im Stadt- haus vernommen und dabei schwer gefoltert. Nach Aussagen seines Vaters Franz Burmester

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stürzte Carl am 17. September 1934 im Zusammenhang mit einem Verhör im Treppenhaus des Stadthauses. Angeblich soll die Gestapo ihn dort hinuntergestürzt haben. Daraufhin wur- de er ins Hafenkrankenhaus überführt. Carl Burmester erlag seinen Verletzungen noch auf dem Transport. Der Todeszeitpunkt wurde mit 18:09 Uhr datiert. Charlotte Burmester erfuhr vom Tod ihres Ex-Ehemannes im Gefängnis. Auf Anraten ihres An waltes Paul Nevermann beantragte sie am 20. September eine Haftunterbrechung, um ihre Kinder bei Verwandten unterzubringen. Am 11. Dezember wurde sie vom Ober landes - gericht Hamburg zu einem Jahr Haft wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ verurteilt. Ihre Haftstrafe verbüßte sie im Gefängnis Lübeck-Lauerhof. Aufgrund einer schweren Asthmaerkrankung wurde Charlotte Burmester am 12. August 1935 aus der Haft entlassen, ins Krankenhaus Lübeck eingeliefert und für haftunfähig erklärt. Kurz darauf kehrte sie nach Hamburg zu ihren Kindern zurück und zog mit ihnen in eine Wohnung in der Dehn- haide 11. Trotz all der Verfolgungen und Bedro - hungen durch die National sozialisten bot Charlotte Burmester politischen Gefangenen ihre Hilfe an. Des wegen sollte sie 1937 erneut verhaftet wer- den. Kurz vor der Inhaftierung floh sie Die Stockhausenstraße mit Blick auf den Wiesendamm in den 1930er Jahren Geschichtswerkstatt Barmbek mit ihren Kindern Greta und Jens Peter im Juli 1937 nach Schweden. In Schweden war Charlotte Burmester erneut für eine kommunistische Organisation tätig und sortierte Paketsendungen an Familien politischer Gefangener. Zudem bemühte sie sich, das Leben der zum Tode verurteilten Liselotte Hermann mithilfe einer Protestkampagne zu retten. Die Kinder gingen in Schweden zur Schule und machten ihren Abschluss. Zur Familie Burmester zog 1944 Richard Herbert Wehner, der bis dahin in einem schwedischen Inter- nierungslager in Smedsbo eingesessen hatte. In Deutschland hatte er als KPD-Abgeordneter dem sächsischen Land tag angehört und wurde von den Nationalsozialisten steckbrieflich gesucht. Am 1. Juli 1947 kehrten Familie Burmester und Herbert Wehner aus Schweden zurück. Char- lotte und er heirateten am 2. Februar 1953 in Hamburg. In dieser Zeit war Herbert Wehner als Hamburger SPD-Abgeordneter bereits Bundestagsmitglied. Ein weiterer „Stolperstein“ für Carl Burmester wurde an der Stadthausbrücke vor dem Ein- gang der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) verlegt. Quellen: StaHH 242-1 II, Gefängnisverwaltung II, Abl. 16, Untersuchungshaft; StaHH 314-15, OFP, FVg 7718; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 12.03.01 Burmester, Carl; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 20.08.03 Wehner, verw. Burmester, geb. Clausen, Charlotte; http://www.politisch-verfolgte.de/ Zugriff am 14.03.2009; VVN, B50 Burmester, Greta; Diercks: Gedenkbuch „KOLA-FU“, S. 16f.

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Max Heinrich Werner Dahms, geb. 14.2.1914, nach einem Suizidversuch am 16.10.1940 im Lazarett des Polizeigefängnisses Fuhlsbüttel gestorben 16 Zimmerstraße 47

Der Seemann Max Dahms wurde als eines von vier Kindern des Ehepaares Heinrich und He - lene Dahms, geb. Sassarath, in Hamburg geboren. Die Familie lebte in der Zimmerstraße 45. Schon in seiner Jugend politisch engagiert, trat Max Dahms der KPD bei. Später wurde er Mit glied des Rotfrontkämpferbundes (RFB) „Einheit“, welcher ab 1929 nach dem Verbot des RFB illegal weiterarbeitete. Der RFB und die SA lieferten sich zu Beginn der dreißiger Jahre erbitterte Straßenkämpfe. Ab 1933 war Max Dahms an zahlreichen Aktionen des RFB betei- ligt, für die er später angeklagt und verurteilt wurde. Am 26. Februar 1933 überfiel er mit 26 Genossen das SA-Lokal Kirchmayer im Alten Teichweg. Bei diesem Vorfall kam es zu einem Schusswechsel zwischen SA und RFB, in dessen Folge eini- ge RFB-Mitglieder verhaftet wurden. Die nächste Aktion fand Anfang März statt. Max Dahms wurde kurzzeitig am 5. März, dem Sonntag der Reichstagswahl, verhaftet, weil man ihm Propaganda vorwarf. Aber nach einer halben Stunde auf dem Polizeirevier konnte er wieder nach Hause gehen. Am Abend desselben Tages trafen sich die RFB-Mitglieder Max Dahms, Adolf Olsson, Werner Stockmann, Paul Krahn und Rudolf Bramfeld in der Wohnung von Bertha und Helmuth Buchholz zwischen 19:00 und 24:00 Uhr. Im Laufe des Abends teilte der

Gefangenenkarteikarte von Max Dahms aus dem Gefängnis Fuhlsbüttesl StaHH

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Führer des Zweiten Verbandes des RFB sie zum Schutz des RFB-Lokals von Herrn Ledig in der Schumannstraße 6 ein. Bis Mitternacht schoben sie jeweils zu zweit vor der Gaststätte Wache. Für den nächsten Tag, den 6. März 1933, war Max Dahms erneut zum Wachdienst eingeteilt, da es hieß, die SA plane das Lokal von Herrn Ledig zu stürmen. Treffpunkt war diesmal das Lokal von Düe in der Humboldtstraße 100. Gegen 19:00 Uhr kamen 17 Personen aus dem Ju gend sturm des Zweiten Verbandes und dem Vierten Verband des RFB zusammen. Jedes Mit glied erhielt eine Schusswaffe, deren Verteilung unter anderem Max Dahms übernahm, nachdem ein Genosse namens Sonntag sie besorgt hatte. Danach legten sich alle Beteiligten rund um die Gaststätte von Ledig auf die Lauer und warteten auf die SA. Tatsächlich kam die se um 20:00 Uhr beim Lokal vorbei, woraufhin das Feuer sofort eröffnet wurde und die SA zurückschoss. Max Dahms lag zusammen mit Rudolf Bramfeld auf einer Terrasse, als der Schusswechsel be- gann. Beide feuerten auf den SA-Trupp, doch schon nach drei Schüssen hatte Max Dahms´ Waffe eine Ladehemmung. Daraufhin sprangen Rudolf Bramfeld und Max Dahms auf und rannten zur Schumannstraße, Ecke Beethovenstraße. Auch die anderen Rotfrontkämpfer ver- suchten zu entkommen und unterzutauchen, doch die meisten wurden innerhalb der nächsten Tage von der Polizei verhaftet. Max Dahms gehörte zu den wenigen, denen die Flucht gelang. Obwohl Max Dahms sich eigentlich vor der Polizei verstecken musste, war er trotzdem noch an einigen RFB-Aktionen gegen die SA beteiligt. Am 21. März 1933 überfiel er gemeinsam mit einigen Kameraden den SA-Mann Angerstein in Barmbek-Uhlenhorst, eine Racheaktion, denn die SA hatte wenige Tage zuvor einen Kommunisten in eines ihrer Sturm-Lokale gezerrt und dort zusammengeschlagen. Die letzte nachweisbare Tat von Max Dahms ereignete sich im April 1933. Bei Bom benan - schlägen auf das Lokal Wucherpfennig in der Barmbeker Straße und auf das Mühlenkamper Fährhaus gehörte Dahms zu den Drahtziehern. Hintergrund der Anschläge war die Übernah- me des Lokals durch die SA, das bis dahin ein kommunistisches Stammlokal gewesen war. Bei der Aktion wurde niemand verletzt. Schließlich wurde Max Dahms am 28. August 1933 von der Polizei geschnappt, inhaftiert und vor Gericht gestellt. Nach zweimonatiger Verhandlung verurteilte ihn am 23. Oktober 1933 das Hanseatische Sondergericht unter anderem wegen „Landfriedensbruchs“, illega- lem Waffenbesitz und versuchtem Mord zu einer Zuchthausstrafe von insgesamt 11 Jahren und 6 Monaten. Zu diesem Zeitpunkt war Max Dahms gerade 19 Jahre alt. Nach sieben Jahren Haft im Gefängnis Fuhlsbüttel versuchte Max Dahms in seiner Zelle Suizid zu begehen und starb wenige Tage später, am 16. Oktober 1940, an den Folgen seiner Ver - let zungen im Gefängnislazarett.

Quellen: StaHH 213-11, Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafakten, L 17/38; StaHH 213-11, Staatsan- waltschaft Landgericht – Strafakten, L 115/36; StaHH 213-11, Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafak- ten, 681/89, Bd. 1; StaHH 213-11, Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafakten, 818/41; StaHH 242-1 II, Gefängnisverwaltung II, Abl. 13 Ältere Gefangenenkartei; Diercks: Gedenkbuch „KOLA-FU“, S. 61; Toten- liste Hamburger Widerstandskämpfer und Verfolgter 1933–1945.

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Anton Carl Engelbert Decker, geb. 10.8.1889, inhaftiert 1936, 1937–1938, 1941, Selbstmord am 30.3.1941 im Polizeigefängnis Hütten 17 Mundsburger Damm 65

Engelbert Decker, der sich Egbert nannte, wurde als achtes von insgesamt neun Kindern des Joseph Decker und der Maria, geb. Wachtmeister, in Werne/Westfalen geboren. Er besuchte das Gymnasium und nahm in München ein Studium der Zahnheilkunde auf, das er 1912 mit der Note „gut“ abschloss. Von 1913–1915 arbeitete er als Assistent in Vegesack bei Bremen, im Ersten Weltkrieg wurde er nicht eingezogen, sondern arbeitete im Zivildienst in einem La- za rett für Kieferverletzte in Münster/Westfalen. 1919 ging er nach Hamburg, wo er sich zum 1. Januar 1920 als selbstständiger Zahnarzt nie- derließ und wo er am 22. Dezember 1920 die Doktorwürde von der Medizinischen Fakultät der Hamburgischen Universität verliehen bekam. 1937 gab er für seine Hamburger Praxis am Mundsburger Damm 65 an, dass sie „so einigermaßen“ gehe, „so daß meine wirtschaftliche Lage geregelt ist“. Ob seine 1918 und 1932 klinisch behandelte Medikamenten- und Alko - hol abhängigkeit mit seiner homosexuellen Veranlagung in Verbindung standen, geht aus den überlieferten Akten der Staatskrankenanstalt Langenhorn nicht hervor. Jedes Mal fand Eg bert Decker wieder zurück in ein geregeltes Leben. Vom 16. bis 31. Oktober 1936 wurde Egbert Decker vermutlich erstmals wegen des Vor - wurfs, homosexuelle Handlungen begangen zu haben, im KZ Fuhlsbüttel festgehalten, ohne dass es jedoch zu einer Verurteilung kam. Zu Fall brachte ihn am 18. Oktober 1937 erst die Anzeige eines Stabsheizers, der zuvor mit Egbert Decker sexuelle Handlungen gegen Geld - zahlung vorgenommen hatte. Unmittelbar danach rief er die Polizei, um Egbert Decker fest- nehmen zu lassen. Dieser wies alle Anschuldigungen zurück. Das wenig plausible Verhalten des Stabsheizers, der außerdem in Deckers Wohnung einen schweren Diebstahl begangen hatte, bewahrte den Zahnarzt jedoch nicht vor der Festnahme und der Gestapo-Haft im KZ Fuhlsbüttel, wo er vom 19. Oktober bis 13. November 1937 festgehalten wurde. Danach folgte ein Aufenthalt in der Untersuchungshaftanstalt an der Holstenglacis und Verhöre im Hamburger Stadthaus. Kriminal oberassistent Mertens zufolge „spricht man nur gut von ihm und er soll auch ein guter Zahnarzt sein. Unter seinen Kunden finden sich sämtliche Berufe vor, also vom einfachen Ar beiter bis zum Professor“. Engelbert Decker bezeichnete sich als homosexuell und wurde auf Grund seiner sexuellen Orientierung mehrfach in Polizei- und Justizakten erfasst, ohne aber ver urteilt worden zu sein. Am 22. April 1938 wurde er vom Amtsgericht Hamburg zu acht Monaten Gefängnis nach § 175 verurteilt. Aus dem Urteil des Amtsgerichtsdirektors Erwin Krause: „Das Gericht ist der Auffassung, dass der Angeklagte hartnäckig leugnet und daher kei neswegs irgendwelche besondere Milde verdient. Er als Arzt und einem gebildeten Stande angehörend, darf sich nicht erlauben, der Wahrheit derartig mit seinen Behauptungen ins Ge sicht zu schlagen. Von einem ungebildeten Manne kann man wohl so etwas erwarten und es einem solchen nicht so verübeln wie dem Angeklagten, von

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dem man erwartet hätte, daß er mut voll seine Tat eingestanden hätte“. Nach Anrechnung der „Schutz“- und Unter suchungshaft wurde Decker acht Wochen später, am 24. Juni 1938, aus der Haft im Männergefängnis Fuhlsbüttel entlassen. Während seine Haushälterin und ein ver- trauter Freund ihn in keiner Weise belasteten, versuchte seine Familie, ihn unter Vormund- schaft stellen zu lassen. Hierzu mag auch Deckers Alkoholismus beigetragen haben. Ob diese Bemühungen Erfolg hatten, lässt sich den Akten nicht entnehmen. Aufgrund des Gerichtsverfahrens wurde Engelbert Decker von der Hansischen Universität am 23. November 1938 der Titel „Dr. med. dent.“ aberkannt. Vermutlich ist ihm auch vom Ham-

Antrag des Dekans auf Entziehung der Doktorwürde durch die Universität Hamburg StaHH

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burger Polizeipräsidenten die Approbation entzogen worden, darauf lässt Deckers Klage vor dem Verwaltungsgericht Hamburg schließen. Am 29. März 1941 wurde Engelbert Decker erneut festgenommen und ins innerstädtische Poli zeigefängnis Hütten eingewiesen. Dieses Mal hatte ein Strichjunge seinen Name im Poli - zeiverhör preisgegeben. Am 30. März 1941, also nur einen Tag nach seiner Verhaftung, er - häng te er sich mit seinem Leibriemen in der Zelle. Als ein von seiner Familie beauftragter Rechtsanwalt am 7. April 1941 beim Oberstaatsanwalt nach dem Verbleib Deckers fragte, war dieser bereits verstorben. Vor seiner Praxis und seiner Wohnung am Mundsburger Damm 65 wird ein Stolperstein an sein Schicksal erinnern. Die Patenschaft für den Stolperstein hat die Hamburger Zahn ärzte- kammer übernommen. – Bernhard Rosenkranz/Ulf Bollmann

Quellen: StaHH, 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen, 5531/38 und 6908/42; StaHH, 213-8 Staatsanwaltschaft Oberlandesgericht – Verwaltung, Abl. 2, 451 a E 1, 1 a und 1 b; StaHH, 242-1 II Gefängnisverwaltung II, Ablieferungen 13 und 16; StaHH, 364-5 I Universität I, L 50.6 Heft 22; StaHH, 331-5 Polizeibehörde – Unnatürliche Sterbefälle, 955/41; StaHH, 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langen- horn, Abl. 1995/2, 19863; B. Rosenkranz/U. Bollmann/G. Lorenz: Homosexuellen-Verfolgung in Hamburg 1919–1969, S. 204; Gert Eisentraut: Stolperstein für Hamburger Zahnarzt gesetzt. Dr. Engelbert Decker durch KZV Hamburg geehrt, in: Hamburger Zahnärzteblatt Nr. 5, Mai 2009, S. 8–9; Einen Stolperstein für Hamburger Zahnarzt gesetzt, in: Die ZahnarztWoche DZW, Ausgabe 20/09 vom 05.05.2009, S. 32.

Selma Drews, geb. Schönfeld, geb. 4.1.1898, Flucht in den Tod am 2.1.1942 18 Bendixensweg 15

Die Tochter von Johann und Serine Schönfeld wuchs mit ihren fünf Schwestern, Katharina, Me lanie, Frieda, Bertha und Therese, in Winterhude auf. Ihre Mutter verstarb schon 1920 im Alter von fünfzig Jahren. Ende der zwanziger Jahre lernte Sel ma Schönfeld ihren späteren Ehe mann Richard kennen. Dieser war zuvor mit einer anderen Frau verheiratet ge wesen, die jedoch kurz nach der Ge burt ihres gemeinsamen Kindes Claus-Heinz 1926 verstarb. Drei Jahre später heirateten Selma Schönfeld und Ri - chard Drews am 28. März 1929 und zogen ge mein - sam mit Claus-Heinz nach Barmbek.

Der Bendixensweg in den 1930er Jahren Geschichtswerkstatt Barmbek

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Anders als ihr Ehemann war Sel ma Drews Jüdin und litt unter der Bedrohung durch die Na- tional so zialisten. Aufgrund der psychischen Belastung bekam sie Ischias und ein Nerven - leiden, weswegen sie sich im September 1941 zur Behandlung in die Nervenabteilung des Kran ken hauses Eppendorf begab. Acht Wochen später verließ sie freiwillig die Klinik, doch schon im Dezember ließ ihr Mann sie wieder einweisen. Diesmal bekam sie jedoch keinen Platz mehr in Eppendorf und wurde stattdessen ins Hilfskrankenhaus am Kaiser-Friedrich- Ufer verlegt. Nach nur acht Tagen Behand lung kehrte sie auf eigenen Wunsch nach Hause zurück. Die Aufforderung vom Arbeitsamt Sägerplatz, die am 30. Dezember bei den Drews eintraf, ver setzte Selma in Angst. In dem Schreiben wurde sie aufgefordert, sich am 5. Januar zwi- schen acht und neun Uhr beim Arbeitsamt einzufinden, zwecks einer Arbeitszuteilung. Fak- tisch bedeutete dies, dass Selma Drews Zwangsarbeit leisten sollte. Ihr Mann bemühte sich, sie zu be ruhigen, indem er ihr versicherte, sie werde aufgrund ihrer Krank heit nicht zur Arbeit eingeteilt. Doch das gute Zureden nützte nichts. Immer wieder ließ Selma verlauten, dass es sich nicht mehr zu leben lohne. Am 2. Januar verließ Richard Drews die gemeinsame Wohnung gegen 7 Uhr früh, um zu seiner Arbeit bei Emil Fenzelmann in der Alster krugchaus - see 550 zu gehen. Claus-Heinz blieb bei seiner Stiefmutter, bis diese ihn um 11 Uhr zu ihrem kranken Be kann - ten Me yer schickte. Als Claus-Heinz gegen 16 Uhr nach Hause kam und nach Selma Drews rief, antwortete diese ihm nicht. Daraufhin durch- Karteikarte der Reichsvereinigung der Juden ITS suchte er die Wohnung, bis er schließ- lich vor dem verschlossenen Wohnzimmer stehen blieb. Die Tür ließ sich nur einen Spalt öff- nen, doch Claus-Heinz konnte erkennen, dass Selma Drews sich mit einer Wäscheleine an der Türangel erhängt hatte. Sofort lief er ins Treppenhaus, um Hilfe zu holen. Zwei Nachbarn halfen ihm, seine Mutter loszumachen. Kurz darauf erschienen auch die Polizei und ein Krankentrans port. Noch lebte Selma Drews, doch auf dem Weg ins Kran kenhaus Barmbek verstarb sie und wurde in die Leichen halle des Hafen krankenhau ses über führt. Von ihren fünf Schwestern überlebten nur zwei den Holocaust. Katharina starb in Theresien- stadt, Melanie in Minsk und Bertha an einem unbekannten Deportationsort. Quellen: 1; 4; 5; StaHH 331-5, Polizeibehörde – Unnatürliche Sterbefälle, Akte 1942 79/42 Drews, geb. Schönfeld, Selma.

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Else Blum, geb. Eisenstein, geb. 28.4.1910, am 8.11.1941 nach Minsk deportiert Karl Blum, geb. 27.11.1907, am 18.11.1941 nach Minsk deportiert Ruth Eisenstein, geb. 16.1.1931, am 8.11.1941 nach Minsk deportiert 19 Heitmannstraße 68

Else Eisenstein kam als Tochter des Zimmermanns Gustav Eisenstein und seiner Ehefrau Emmi, geb. Meyer, in zur Welt. Das Ehepaar Eisenstein hatte noch zwei weitere Kinder, Hilde gard und Günther. Nach dem Besuch der Volksschule machte Else eine Lehre zur Schneiderin. 1930 verließ Else Eisenstein ihre Heimatstadt, um nach Göttingen zu ziehen. Am 16. Januar 1931 kam hier ihre erste Tochter Ruth zur Welt. Der Vater des Kindes ist nicht bekannt. Mut - ter und Tochter verschlug es von Göttingen nach Hamburg, wo sie ab 1934 offiziell gemel- det waren. Ihre erste Adresse war am Steindamm 12. In Hamburg fand Else zunächst eine Anstellung als Schneiderin und arbeitete später als Hausangestellte. Hier traf Else Eisenstein den Arbeiter Erwin Albert Carl Uterhardt. Die beiden verliebten sich und heirateten am 20. Juli 1935 standesamtlich. Erwin Uterhardt war evangelisch. Die Familie musste oft umziehen. So lebte sie anfangs in der Heimhuderstraße 27, dann in der Hammer Landstraße 17, in der Isestraße, der Anger- straße und ab dem 25. Oktober 1939 in der Heitmannstraße 68, ihrer letzten Adresse in Hamburg. Ruth Eisenstein wurde 1937 in die Mädchenvolksschule in der Angerstraße 33 eingeschult und musste zwei Jahre später zur Jüdischen Mädchenschule wechseln. Erwin und Else hatten auch gemeinsame Kinder, ihre Tochter Edith Ilse kam am 15. März 1937 zur Welt und die zweite Tochter Alice wurde am 13. September 1940 geboren. Seit 1938 war Else Uterhardt ar- beitslos und die finanzielle Situation der Familie dementsprechend schwierig. Die Ehe von Erwin und Else scheiterte und wurde am 21. Februar 1941 geschieden. Das Sor ge - recht für beide Kinder erhielt Erwin Uter hardt. Edith verbrachte einen Teil ihrer Kindheit und Ju - gend in Kinderheimen. Alice lebte bis zu ihrer Hei rat 1966 in einer Ham bur ger Pflege familie. Am 27. Juni 1941 heiratete Else den jüdischen Bau hilfsarbeiter Karl Blum und zog mit ihm zu sammen. Trauzeugen waren Siegfried Ro sen - blum und Max Piltz. Karl Blum stammte aus Idstein in Hessen und war der Sohn des Ehe paa - Ruth Eisenstein mit ihrer kleinen Schwester Edith Privatbesitz res Jonas und Zerline Blum, geb. Gold schmidt.

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Else Blums letzte Arbeitsstelle war die Jute-Fabrik Stein in Bahrenfeld, wo sie Säcke näh te. Am 8. No vember 1941 wurden Else und Ruth Eisen stein ins Getto nach Minsk deportiert. Karl Blum folgte ihnen zehn Tage später am 18. November. Keiner von ihnen kehrte zurück. Auf dem Transport von Hamburg nach Minsk am 8. November 1941 befanden sich auch die Trauzeugen von Karl und Else Blum. Sowohl Siegfried Rosenblum als auch Max Piltz gelten seit her als verschollen. Elses Eltern Gustav und Emmy Eisenstein kamen ebenfalls im Holo - caust um. Sie wurden am 27. Januar 1942 von Dortmund ins Getto nach Riga deportiert. Erwin und Elses gemeinsame Töchter Edith und Alice überlebten den Holocaust. Quellen: 1; 4; 5; 8; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 26.04.10 Blum, Else; StaHH 362-3, Mädchenschule Angerstraße, 1 Schulstatistik; StaHH 741-4, Fotoarchiv, Sa 1246; ITS/ARCH/Transportlisten Gestapo/ 11197706#1 (1.2.1.1/0001-0060/0017A/0041); ITS/ARCH/Transportlisten Gestapo (Hamburg)/ 11198264#1 (1.2.1.1/0001-0060/0017G/0102).

Maier David Freschel, geb. 28.5.1888, am 28.10.1938 nach Bentschen (Zbaszyn), Polen, ausgewiesen, später verschollen Henny Freschel, geb. Urich, geb. 20.3.1889, am 25.10.1941 nach Lodz deportiert Heinz Leon Freschel, geb. 13.1.1918, am 28.10.1938 nach Bentschen (Zbaszyn), Polen, ausgewiesen, später verschollen 20 Hamburger Straße 164

Der Kürschner Maier David Freschel, genannt Max, wuchs in dem kleinen Städtchen Przemysl im äußersten Südosten Polens an der Grenze zur Ukraine auf. Seine Eltern Leon (Leib) und Schajndel Freschel (auch als Freschl oder Fröschel notiert) hatten noch vier weitere Kinder: Adolf, Eva, Heinrich und Michael. Bis auf den jüngsten Bruder Adolf und die Mutter Schajn - del wanderte die gesamte Familie nach Hamburg aus. Max Freschel heiratete die gebürtige Hamburgerin Henny Urich, welche die Tochter von David und Anita, geb. Italiener, war. Henny hatte noch zwei Brüder. Hermann kam im Jahr 1887 zur Welt, Jacob 1892. In Hamburg baute sich Max Freschel sein eigenes Geschäft auf, die Textilfirma Max Freschel. Der gelernte Kürschner fertigte hier meist für Hamburger Damen Pelzmäntel und andere Acces soires aus Tierfell an. Auch Max’ Bruder Michael war gelernter Kürschner und betrieb am Schulterblatt 41 ein Pelzwarengeschäft. Max und Henny wurden 1918 das erste und einzige Mal Eltern. Ihr Sohn wurde am 13. Ja- nuar geboren und erhielt den Namen Heinz Leon, benannt nach seinem Großvater Leon Fre- schel. Die Familie lebte gemeinsam in einer Wohnung in der Hamburger Straße 164, wo sich auch die eigene Firma gefand. Im Oktober 1924 wurde Heinz Leon in die Talmud Tora Schule eingeschult und verbrachte dort seine gesamte Schulzeit bis zum Abschluss. In den dreißiger Jahren musste Familie Freschel in die Heinrich-Barth-Straße 11 umziehen. Dies war ihre letzte gemeinsame Adresse in Hamburg vor ihrer Abschiebung nach Polen am 28. Oktober 1938. Sie gehörte zu den insge samt 17000 während der sogenannten Polenaktion aus Deutschland abgeschobenen Juden.

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Kultussteuerkarteikarte von Max Freschel StaHH

Am 31. März 1938 verabschiedete die polnische Regierung ein Gesetz, welches vorsah, allen polnischen Staatsbürgern, die länger als fünf Jahre ununterbrochen im Ausland lebten, die Staats bürgerschaft zu entziehen. Um einer Massenausweisung aus dem Deutschen Reich zu- vorzukommen, forderte die polnische Regierung ihre Staatsbürger im Ausland auf, sich bei ihrem zuständigen Konsulat zu melden, um sich ihren Pass mit einem Kontrollvermerk versehen zu lassen. Ansonsten wäre der Pass zum 30. Oktober 1938 ausgelaufen und der Besitzer staa- tenlos geworden. Familie Freschel ließ keinen derartigen Kontrollvermerk in ihren Pass auf neh- men, da Henny im Deutschen Reich geboren war und auch Max sich als Deutscher fühlte. Als dieser Erlass über die deutsche Botschaft in Warschau auch in Berlin bekannt wurde, er - hiel ten kurz darauf tausende polnischer Juden im Deutschen Reich einen Ausweisungs be - fehl. Zwischen dem 27. und dem 29. Oktober 1938 wurden sie zu Fuß oder in einem Sam- meltransport über die deutsche Grenze nach Polen geschickt. Familie Freschel ereilte dieses Schicksal am 28. Oktober. Mit ihnen wurden auch Max’ ältester Bruder Heinrich Freschl mit seinen Söhnen Kurt, Erwin und Herbert sowie der Ehemann der Schwester Eva, Leon Kitz, aus dem Deutschen Reich abgeschoben. Die Familie wurde zusammen mit ca. 4800 anderen polnischstämmigen Juden zum Grenzort Bentschen (Zbaszyn) getrieben. Dort herrschten chaotische Zustände, die Menschen irrten im Niemandsland umher, drängten sich auf dem Bahngelände, hausten im Stationsgebäude oder auf einem der nahegelegenen Plätze in Bentschen. Die polnischen Grenzbeamten wa - ren völlig überfordert und wussten nicht, was sie mit den vielen Menschen anfangen sollten. Waren in Polen Verwandte vorhanden, durften einzelne Personen ins Landesinnere einreisen.

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Familie Freschel gehörte dazu, weil Max Freschels Eltern noch immer in seinem Heimatort Przemysl wohnten. Ob Familie Freschel wirklich nach Przemysl reiste und dort zusammen wohnte, lässt sich nicht mehr feststellen. Bis zum deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 lebten Max und Heinz Leon Freschel definitiv in Polen. Henny Freschel wurde hingegen im Juni 1939 aus Polen ausgewiesen und ins Deutsche Reich abgeschoben. Mit einer Einreisegenehmigung für sechs Wochen kehrte Henny Freschel nach Hamburg zu - rück, offiziell galt sie jetzt als staatenlos. Bei ihrer Mutter Anita Urich konnte sie in der Bun - des straße 35 unterkommen. In den folgenden Wochen bemühte sich Henny Freschel um eine Auswanderung nach Polen. Zudem erhoffte sie sich, ihren Hausrat, den die Familie hatte zu rücklassen müssen, nach Polen überführen zu können. Bevor die Familie 1938 abgeschoben worden war, hatte sie ihren Hausrat bei der Spedition Brasch & Rothenstein unterbringen können. Außerdem existierte noch ein Schließfach bei der Deutschen Bank, Filiale Hamburg, in dem Schmuck aufbewahrt war. Diese Gegenstände soll- ten nun mit nach Polen genommen werden. Doch Henny Freschel gelang es nicht, sich gegen die Bürokratie durchzusetzen und langsam lief ihr die Zeit davon. Ihr deutsches Visum musste verlängert werden und am 1. September 1939 begann der Zweite Weltkrieg. Nun musste Henny Freschel erfahren, dass sie nicht mehr zu Mann und Sohn gelangen konnte. Im Oktober 1939 ließ die Deutsche Bank den Schließfachinhalt verkaufen. Der Erlös in Höhe von 1080 RM wurde auf ein Auswandererkonto eingezahlt, auf das Henny Freschel keinen Zugriff hatte. Die Devisenstelle genehmigte ihr lediglich eine monatliche Summe von 80 RM. Henny Freschel musste in eine kleine Wohnung in der Bornstraße 8 umziehen, von wo aus sie am 25. Oktober 1941 ins Getto nach Lodz deportiert wurde. Seit diesem Zeitpunkt gilt sie als verschollen. Max und Heinz Leon Freschel gelten als an einem unbekannten Deporta tionsort umgekom- men. Sollten sie sich zu Beginn des Zweiten Welt krieges in der Stadt Przemysl aufgehalten ha- ben, kamen sie wahrscheinlich beim Mas sa ker an der jüdischen Be völkerung am 16. Septem- ber 1939 ums Leben, welches durch deutsche Einsatzgrup pen verübt wurde. Max‘ Brüder Heinrich und Michel wurden nach Auschwitz deportiert und kamen dort ums Leben. Heinrich wurde am 23. Mai 1942 ermordet und Michel starb am 16. Januar 1943. Hennys Mutter Anita wurde am 15. Juli 1942 nach Theresien - stadt deportiert und starb dort am 18. Dezember desselben Jahres. Quellen: 1; 2; 4; 5; 8; StaHH 314-15, OFP, F 592; StaHH 314-15, OFP, R 1939/2932; StaHH 621/86, Firmenarchiv, 21; StaHH 741-4, Fotoarchiv, Sa 1244; Jung bluth/ Ohl-Hinz: Stolpersteine in Hamburg-St. Das Haus in der Hamburger Straße 164 nach der Bombardie - Pauli, S. 92ff. rung Geschichtswerkstatt Barmbek

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Kurt Albin Friedrich, geb. 30.5.1903, am 13.8.1944 im Konzentrationslager Fuhlsbüttel gestorben 21 Höltystraße 15

Der Kommunist Kurt Albin Friedrich wurde in Hild burg- hausen im Süden Thüringens geboren. Nach dem Ende seiner Schulzeit begann Kurt Friedrich ein Studium der Volkswirtschaft, welches er auch abschloss. In Hamburg fand Kurt Friedrich eine Arbeit als kaufmännischer An - ge stellter bei der Firma I. G. Far ben. Mit seiner Ehefrau Gerda lebte er in der Hölty straße 15, das Ehepaar hatte keine Kinder. Aufgrund seiner Zugehörigkeit zur KPD wurde Kurt Friedrich mehrmals nach der Machtüber nahme der Nationalsozialisten verhaftet. Seine Ehefrau und er betä- Wohnhaus von Kurt Friedrich in der tigten sich im illegalen kom mu nistischen Widerstand. So Höl tystraße 15, 2009 Privatbesitz erinnerte sich seine Ehefrau Gerda später: „Im Winter 1943/44 bat mein Mann mich einige Male, Silbergeld und Kleidungsstücke zu beschaffen. Es sollte für Genossen sein, die 1943 nach der Kata - s trophe nicht ins Gefängnis zurückgegangen waren und seither illegal lebten.“ Kurt Friedrich gehörte der engeren Leitung der illegalen „Bästlein-Jacob-Abshagen“-Wider- stands organisation an. Friedrich war im sogenannten I-Apparat tätig, einem Informations dienst, durch den NS-kritische Informationen an Wehrmachtsangehörige weitergegeben wur den. Am 13. Juni 1944 wurde Kurt Friedrich von der Gestapo wegen „Vorbereitung zum Hoch - ver rat“ verhaftet und im Konzentrationslager Fuhlsbüttel inhaftiert. Zwei Monate später, am 13. August 1944, starb Kurt Friedrich im Konzentrationslager an den Folgen von Folte run gen. Quellen: StaHH 213-9, Staatsanwaltschaft Oberlandesgericht, Js 13/45; Diercks: Gedenkbuch „KOLA-FU“, S. 21; Hochmuth/Meyer: Streiflichter aus dem Hamburger Widerstand, S. 357, S. 371, S. 385; VVN, Hin- terbliebenenkartei; VVN, Unsere Toten; Totenliste Hamburger Widerstandskämpfer und Verfolgter 1933–1945.

Else Amalie Geiershoefer, geb. Kann, geb. 9.11.1879, am 25.10.1941 nach Lodz deportiert und dort am 22.10.1942 gestorben 22 Immenhof 10 (Pastorat der St. Gertrud Kirche)

Else Amalie Kann wurde als Tochter des jüdischen Ehepaares Mayer und Pauline Kann, geb. Dreyfuss, in Nürnberg geboren. Ihr Vater war Kaufmann und handelte mit Textilien. Am 10. Juni 1902 heiratete Else Kann den ebenfalls in Nürnberg geborenen Unternehmer Otto Geiershoefer. Dieser stammte zwar auch aus einer jüdischen Familie, war jedoch bereits

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vor der Hochzeit zum evangelisch-lutherischen Glauben übergetreten. Seine Frau Else kon - ver tierte erst am 28. Juni 1936, als sie schon verwitwet war, bei einem Besuch in Meran. Das Ehepaar hatte zwei Kinder, Erik Ludwig kam am 24. Mai 1903 zur Welt und Herbert Theodor folgte am 20. Januar 1906. Beide Kinder wurden getauft und wuchsen mit dem christlichen Glauben auf. Im Jahre 1894 hatte die Familie Geiershoefer die Firma Jacob Gilardi erworben, die ihren Sitz in Allersberg bei Nürnberg hatte. Unter der Leitung von Otto Geiershoefer, der die Firma 1904 von seinem Bruder Anton als Alleineigentümer über- nahm, wurde in erster Linie Christ baumschmuck aus leoni- schen Drähten (versilberte, vermessingte oder vergoldete dün- ne Drähte) hergestellt. Die Familie Geiershoefer wohnte im an Else Geiershoefer die Fabrikgebäude angebauten barocken Gilardihaus. Die Firma Gilardi war nicht nur der größte Arbeitgeber in Allersberg, die Geiershoefers enga- gierten sich auch sozial. So ließen sie der Gemeinde Allersberg unter anderem Stiftungs gel - der zukommen: 5000 Mark im Jahr 1918 für bedürftige Kriegsinvaliden und 3000 Mark im Jahr 1927 für bedürftige ältere Männer und Frauen, die früher bei der Firma Gilardi beschäf- tigt gewesen waren. Die Geiershoefers stifteten auch die Glocken für die 1933 erbaute evan- gelisch-lutherische Kir che in Allersberg. Als Otto Geiershoefer am 11. März 1936 starb, ging die Fir- ma in den Besitz seiner Witwe Else und deren Söhne über; der älteste Sohn Erik wurde Geschäftsführer. Im Juli 1938 besuchte Else einige Wochen ihren Bruder Char - les in New York, kehrte aber trotz der Verhältnisse in Deutsch - land nach Allersberg zurück. Am 10. November 1938 wurden Else und ihr Sohn Erik ver- haftet. Else kam acht Tage in „Schutzhaft“. In dieser Zeit wurden von den Geiershoefern Vollmachten erpresst, mit denen die Kreisleitung der NSDAP die Firma Gilardi an den Weissenburger Nationalsozialisten Hermann Gutmann ver- kaufte. Das Gilardihaus, in dem die verwitwete Else weiter- Else und Otto Geierhoefer in Marienbad in den 1930er Jahren hin wohnte, wurde vorher von der Kreisleitung fast kom- Sammlung Familie Geiershoefer/Schulenburg (2) plett geplündert. Nach der Haftentlassung zog Else sofort von Allersberg nach Hamburg. Hier fand sie in der Heinrich- Barth-Straße 6 eine neue Unterkunft, wie Erik Geiershoefer 1939 berichtete: „Obwohl in Hamburg wie in fast allen übrigen Orten für Juden keine Zuzugsgenehmigung erteilt wurde, gelang es meinem Bruder, diese für Mutter zu erhalten. Einer der maßgeben- den Polizeibeamten war zufällig ein alter Bekannter von ihm. Auch gelang es ihm seine bis-

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herige Wohnung – er hatte dieselbe bereits gekündigt, da er im Laufe des Dezembers nach Basrah, Irac [sic] auswandern wollte – für Mutter zu erhalten.“ Bereits in Nürnberg wurden Teile des Vermögens der Familie Geiershoefer beschlagnahmt. So musste Else zum Beispiel für die Reichsfluchtsteuer ihrer Söhne aufkommen. Trotzdem blieb ihr, als sie nach Hamburg zog, ein Eigenkapital von rund 122 000 RM. Dies änderte sich mit der Sicherungsanordnung, welche gegen sie im Dezember 1938 erging. Von nun an durfte sie nicht mehr frei über ihr eigenes Vermögen verfügen, weil sie Jüdin war. Ihr Konto wurde ein gefroren, und sie erhielt monatlich einen Freibetrag von lediglich 350 RM. Mit dieser Einschränkung konnte Else Geiershoefer kaum umgehen. Sie musste ihren Haus - halt neu bestücken und war es schlicht weg nicht gewohnt, so wenig Geld zur Verfügung zu haben. Ein weiteres Prob lem für Else Geiershoefer waren fehlende Bekannte und Freunde in Ham burg, die sie hätten unterstützen können. In keinem Geschäft bekam sie Kredit. Des - wegen musste sie fast jeden Monat bei der Hamburger De visenstelle um weitere Geldmittel bitten. Schließlich verbot die Devisenstelle Else Geiers hoefer im Mai 1940, nachträglich Rech-

Letztes Lebenszeichen von Else Geiershoefer: Brief aus dem Getto Lodz USHMM

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nun gen einzureichen. Stattdessen sollte sie bereits zum Mo natsbeginn all ihre zusätzlichen Aus gaben anführen, was ihr fast unmöglich erschien. Als Erik Geiershoefer mit seiner Frau Magda und der gemeinsamen Tochter Susanne im April 1939 nach England auswanderte, überlegte auch Else zu emigrieren. Dafür hinterlegte sie ihre Wertsachen in einem Depot bei der Deutschen Bank. Der Juwelier Otto Hilcken aus der Spitalerstraße schätzte den Wert des Depotinhalts auf 2000 RM. Aufgrund der Siche rungs- anordnung durfte sie auch über die Gegenstände im Depot nicht mehr frei verfügen. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges schwanden für Else Geiershoefer alle Hoffnungen auf eine Auswanderung. Etwas Halt fand sie während dieser schweren Zeit in der Gemeinde St. Ger trud in Uhlenhorst und bei dem dortigen Pastor Walter Uhsadel. Zudem erhielt sie wohl auch ein kleines Zusatzeinkommen durch ihre Arbeit im Gemeindebüro. Pastor Uhsadel erinnerte sich nach Kriegsende an Else Geiershoefer: „Die schmerzlichsten Erinnerungen ver- binden mich mit Frau Else Geiershoefer, die ihres großen Ver mö gens beraubt worden war und nun unter Auf sicht der Gestapo ein kärgliches Leben führ te. Sie war fast täglich in mei- nem Hau se, um mir Schreib arbeit und ande res abzunehmen. Ihr einziger Trost war die regel- mäßige Teil nahme am Gottesdienst und am Heili gen Abendmahl. An einem Mittwoch im Herbst 1941 schickte sie mir die Schreckensnachricht, dass sie am Frei tag unter Zurücklas - sung ihrer bescheidenen Habe auf einem Sammelplatz zum Ab transport erscheinen müsse. Ich war am Mittwochnachmittag bei ihr, um die Verzweifelte zu trösten, und nahm mich ihrer auch fast den ganzen Donnerstag an. Am Freitagmorgen um 7 Uhr kam sie zum letz- ten Male in mein Haus. Ich hatte eine kleine Schar von Gemeindegliedern eingeladen, und wir hielten mit ihr das Heilige Abendmahl. Unter unserer Fürbitte trat sie in festem Glauben den schweren Weg an. Ein paar Zettelchen mit Dankesworten aus dem Güter zug, mit dem sie abtransportiert wurde, waren das letzte Lebenszeichen. Kurz vor Ostern 1942 muss sie in Polen mit vielen Tausenden von Leidensgefährten ermordet worden sein.“ Am 25. Oktober 1941 wurde Else Geiershoefer mit einem Transport in das Getto Lodz depor- tiert. Dort wohnte sie in der Steinmetzstraße 21, Wohnung 2. Eigentlich sollte Else Geiers- hoe fer am 7. Mai 1942 nach Chelmno „ausgesiedelt“ werden, was ihren sicheren Tod in einem Gaswagen bedeutet hätte. Doch aufgrund eines Oberschenkelhalsbruches, den sie sich im Getto zugezogen hatte, wurde sie vom Transport zurückgestellt. Else Geiershoefer starb am 22. Oktober 1942 im Getto Lodz. Vor der Heinrich-Barth-Straße 6 erinnert ein Stolperstein an sie. Erik Geiershoefer kehrte nach Kriegsende im Jahr 1946 mit seiner Familie nach Allersberg zu - rück und begann mit dem Wiederaufbau der Firma Jacob Gilardi und der teilweise schwer zer störten Gebäude. Herbert Geiershoefer und dessen Frau Rita verbrachten den Krieg im Ausland und lebten später in Uganda.

Quellen: 1; 2; 4; 5, 8; StaHH 314-15, OFP, F 664; StaHH 314-15, OFP, FVg 2306; StaHH 314-15, OFP, FVg 2307; StaHH 314-15, OFP, R 1938/3551; Uhsadel: Persönliche Erinnerungen an St. Gertrud 1928–1943; USHMM, RG 15.083 301/1123; Dr. Alexander Schulenburg, Sammlung Familie Geiershoefer/Schulenburg (England).

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Max August Grote, geb. 12.4.1882, am 21.10.1940 im Strafgefängnis Wolfenbüttel an den Folgen der Haft gestorben 23 Von-Essen-Straße 53

Nach bestandener Reifeprüfung erlernte Max Grote das Konditorenhandwerk und legte auch eine Meisterprüfung ab. Im Jahr 1906 erfüllte er sich seinen Traum und baute eine Fabrik zur Herstellung von Biskuit- und Schokoladenerzeugnissen auf. Im selben Jahr heira- tete Max Grote die 26-jährige Berta Westmeier, die aus Tüßling in Oberbayern stammte. Am 21. November 1909 kam Max und Bertas gemeinsame Tochter Hilde in Hamburg zur Welt. Kurz danach ereilte die Familie ein Unglück: bei einem Feuer brannte die Fabrik voll- ständig nieder. Für einen Wiederaufbau fehlten Max Grote die finanziellen Mittel. Eine neue Arbeitsstelle fand er ab 1910 als Werkmeister bei den Reichard-Kakao-Werken in Wandsbek, wo er rund 350 RM brutto verdiente. Max und Berta Grote traten 1912 den Zeugen Jehovas bei und waren seither „aktive Bibel forscher“. Ihr Glaube wurde für sie mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 zur Gefahr. Die Zeugen Jehovas, wie sich die Internationale Bibelforscher-Vereinigung seit 1931 offiziell nannte, wurden am 24. Juni 1933 als erste Glaubensgemeinschaft verboten. Der Grund dafür lag in ihrer Distanz zum nationalsozialisti- schen Staat. Sie verweigerten den Hitlergruß, weil nach ihrem Verständnis nur Gott „Heil“ zuzusprechen war. Zudem traten sie keiner nationalsozialistischen Vereinigung bei, ließen ihre Kinder nicht in die Hitlerjugend und leisteten keinen Kriegs - dienst, wegen des biblischen Gebotes, nicht zu töten. Für die Na tio nalsozialisten waren die Zeugen Jehovas „Wegbereiter Max Grote bei einem Kongress des jüdischen Bolschewismus“ und sie kritisierten ihre „Fremd- der Zeugen Jehovas in Berlin- Wilmersdorf am 25. Juni 1933 lenkung“ aus den USA. Wachturm-Ges., Geschichtsarchiv Einen Tag nach dem Verbot der Zeugen Jehovas fand als Reak tion auf diese Entwicklung in Berlin-Wilmersdorf eine Konfe renz der Bibelforscher statt, an der auch Max Grote teilnahm. In der Folge der Kon- ferenz bildeten sich in ganz Deutschland zahlreiche „illegale“ Bibelforschergruppen, die sich heimlich re gelmäßig versammelten. Max Grote nahm in Hamburg eine herausragende Stellung ein, er war der Gesamtleiter der Stadtteilgruppen und betreute diese. Schnell wurde die Gestapo auf Familie Grote aufmerk- sam und verhaftete Max Grote erstmals am 28. Juni 1934. Einen Monat verbrachte er dar- aufhin im Unter suchungs ge fängnis. Anfang Dezember 1934 griff die Gestapo erneut bei einem Treffen der Zeugen Jehovas zu. Einen Tag nach dem Treffen, am 7. Dezember, wurde Max Grote wieder verhaftet und muss-

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te bis zum 11. Februar 1935 in Gestapohaft bleiben. Nach seiner Verurteilung wurde Max Grote vom 15. März bis zum 8. Septem ber 1935 im Gefängnis Bergedorf inhaftiert. Diesmal wurde auch Berta festgenommen und war insgesamt fünf Wochen in „Schutzhaft“ im Konzentrationslager Fuhlsbüttel. Während dieser Zeit trat bei ihr ein Magenleiden auf, wel- ches sie für den Rest ihres Lebens begleiten sollte. Neben den zahlreichen Verhaftungen wurde die Familie Grote ständig von der Gestapo über- wacht und ihre Wohnung in regelmäßigen Abständen durchsucht. Berta Grote erinnerte sich später an mindestens neun Durchsuchungen seit 1934. Besonders niederschmetternd war je- doch der Verlust ihrer kleinen Bibliothek mit 80 bis 100 Bänden, welche der Familie von der Gestapo weggenommen wurde. Unter den Wertgegenständen befanden sich auch zwei Bil - der von Pastor Russèl und Richter Rutherford, den Begründern der Zeugen Jehovas. In den Jahren 1936 und 1937 beteiligte sich Max Grote an zwei Flugblattaktionen der Zeu - gen Jehovas, bei denen die Flugblätter „Resolution“ und „Offener Brief“ verteilt wurden. Zu - dem beteiligte er sich an der Taufe von vier Frauen und einem Mann im Jahr 1936 in Har - burg. Daraufhin richtete die Gestapo ihr Augenmerk erneut auf Familie Grote. Am 11. September 1937 verhaftete die Gestapo Max Grote erneut. Wie die „Hamburger Nach richten“ vom 13. April 1938 berichteten, wurden 39 Bibelforscher nach dreitägiger Ver- handlung vom Sondergerichtshof Hamburg wegen „staatsfeindlicher Betätigung“ schuldig ge sprochen. Unter ihnen befand sich auch Max Grote, der zu einer Haftstrafe von vier Jahren verurteilt wurde. Max Grote wurde zur Verbüßung seiner Strafe ins Gefängnis Wolfenbüttel eingeliefert. Seine Ehefrau Berta berichtete, ihr Mann sei dort von der SS mit Schlägen ins Gesicht misshandelt worden. Am 21. Oktober 1940 starb Max Grote in der Justizhaft im Strafgefängnis Wolfen - büttel im Alter von 58 Jahren an den Folgen der Haft. Quellen: Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium, S. 221ff.; Gewehr: Stolpersteine in Hamburg- Altona, S. 25; „39 Bibelforscher verurteilt“ in: Hamburger Nachrichten vom 13.04.1938; StaHH 231-9, Staatsanwaltschaft Oberlandesgericht, 11256/41, Bd. 1; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 4392.

Karl Johann August Hacker, geb. 11.4.1906, am 23.11.1933 im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel ermordet 24 Weidestraße 125

Der Maschinenbauer Karl Hacker wurde in Hamburg geboren. Mit seiner Ehefrau Irmgard Enke hatte er einen gemeinsamen Sohn, Peter, welcher am 10. Juli 1931 in Hamburg zur Welt kam. Die Familie lebte in einer kleinen Wohnung Das Eckhaus Weidestraße und Von-Axen-Straße in den 1930er Jahren in Barmbek in der Weide straße 125. Geschichtswerkstatt Barmbek

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Schon in seiner Jugend war Karl Hacker politisch aktiv und trat dem Kommunistischen Ju- gend ver band Deutschland (KJVD) bei. Als Erwachsener wur de er Mitglied der KPD und enga- gierte sich zudem im Arbeitersport, dem RS (Rotsport) „Fichte“. Kurz vor seiner Verhaftung wurde Karl Hacker zum Vorsitzenden des Barmbeker Kraftsportvereins gewählt. Während der Voruntersuchung zum Rotsport-Prozess „Walter Bohne und Genossen“ wurde Karl Hacker am 23. Oktober 1933 von der Gestapo verhaftet und ins Polizeigefängnis Fuhls - büttel gebracht. Der Grund für die Verhaftung lautete auf „Vorbereitung zum Hochverrat“. Seine Ehefrau Irmgard Hacker erhielt am 23. November 1933 die Nachricht vom angeblichen Suizid ihres Ehemannes. Ein Familienangehöriger durfte die Leiche in Augenschein nehmen, entdeckte an ihr Würgemale und erstattete Mordanzeige. Das Verfahren wurde später er- geb nislos eingestellt. Willi Gerlach, ein Freund Karl Hackers, berichtete über dessen Tod in Fuhlsbüttel: „Nach Abschluss der Vernehmung kam ich bis zum 31. Dezember 1933 ins KOLA-FU. Dort erlebte ich den Tod unseres Freundes Karl Hacker, der, als Funktionär des Hamburger Kraft - sportvereins festgenommen, im November 1933 von der SA zu Tode gemartert und dann aufgehängt wurde. Ich sah ihn selbst in seiner Zelle hängen.“ Karl Hacker starb im Alter von 27 Jahren. Seine Familie hatte auch nach seinem Tod noch unter der Verfolgung und Bedrohung durch die Gestapo zu leiden. Quellen: StaHH 213-9, Staatsanwaltschaft Oberlandesgericht, OIV 354/33; StaHH 332-5, Personenstands- unterlagen, 9867 und 191/1933; Diercks: Gedenkbuch „KOLA-FU“, S. 21; Hochmuth/Meyer: Streiflichter aus dem Hamburger Widerstand, S. 317, S. 322; VVN, Hinterbliebenenkartei; VVN, H9 Hacker, Peter; Totenliste Hamburger Widerstandskämpfer und Verfolgter 1933–1945.

Wolff William Hagenow, geb. 21.11.1871, am 19.1.1944 nach Theresienstadt depor- tiert und dort am 16.4.1944 gestorben 25 Heinskamp 20

Nach dem Besuch des Gymnasiums und der Erlangung der Mittleren Reife begann Wolff Hagenow eine kaufmännische Lehre. Danach war er als selbstständiger Kaufmann in einem Textilhandel tätig, dessen Sitz in der Conventstraße 32 lag. Mit seiner ersten Ehefrau Helene, die ebenfalls jüdisch war, hatte Wolff Hagenow eine ge meinsame Tochter, Erna, die am 7. Januar 1903 zur Welt kam. Die Ehe hielt nicht lange und wur de letztendlich geschieden. In den

Der Heinskamp in den 1930er Jahren Geschichtswerkstatt Barmbek

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dreißiger Jahren wanderte Helene mit Erna nach New Jersey aus, wo sie auch nach Kriegs - ende blieb. Wolff Hagenows zweite Ehefrau war die 20 Jahre jüngere nichtjüdische Betty Adolphine Berta Dittmann aus Hamburg. Die Hochzeit fand am 16. Februar 1920 statt. Sechs Jahre später, am 1. Juli 1926, kam ihr Sohn Curt Siegmund zur Welt. Die Halbgeschwister Erna und Curt wussten bis kurz nach Ende des Krieges nichts voneinander. Den Textilhandel musste Wolff Ha ge now aus finanziellen Gründen aufgeben und arbeitete kurzzeitig als Vertreter und schließlich als Lagerist bei der Firma Jacobsen in der Wolt mann - straße 7–9, bis er 1929 arbeitslos wurde. Ab 1934 bezog Wolff Hage now eine kleine Rente und die Fa mi lie musste in eine kleinere Wohnung im Heinskamp 20 umziehen. Nach der NS-Terminologie lebten Wolff und Betty Hagenow in „privilegierter Mischehe“, da sie „Arierin“ war und beide ein gemeinsames Kind hatten. Dadurch war Wolff Hagenow zu- nächst vor dem Zugriff der Nationalsozialisten geschützt. Dies änderte sich mit der Scheidung des Ehepaares am 29. Januar 1941. Wolff Hagenow musste aus der gemeinsamen Wohnung im Heinskamp ausziehen und zur Untermiete in der Weide straße 6 wohnen. Von seiner klei- nen Rente, die monatlich 64,40 RM betrug, zahlte er 10,50 RM an Alimenten. Curt Hagenow, nach der NS-Ter mi no - logie ein „Mischling ersten Grades“, wurde 1939 kurz vor Beginn des Krieges aufgrund des „Dienstpflicht - gesetzes“ aufgefordert, dem Jungvolk beizutreten. Zwei Jahre später kam er zur Hitler ju gend, die jüdische Her- kunft seines Vaters schien dabei nicht aufzufallen. Im Som mer 1943 wurden Betty Hagenow und ihr Sohn ausge- bombt und zogen in das Jugend- wohn heim der Hitlerjugend an der Elbchaussee 88/90. Kurz darauf wur- Karteikarte von Wolff Hagenow aus dem Getto There sien- stadt ITS de seine jüdische Herkunft aber doch noch bekannt und Betty und Curt mussten das Wohnheim verlassen. Wolff Hagenow wurde am 19. Januar 1944 aus seiner letzten Wohnung in der Rappstraße 15 ins Getto Theresienstadt deportiert. Dort traf er seine Schwester Ida, die bereits am 20. Juli 1942 dorthin deportiert worden war. Wolff Hagenow starb am 16. April 1944 im Getto, seine Schwester Ida folgte ihm am 15. Mai 1944. Quellen: 1; 4, 5; 7; 8; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 12.03.91 Hagenow, Betty; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 01.07.26 Hagenow, Curt; ITS/ARCH/Kartei Getto Theresienstadt/5039313#1 (1.1.42.2/THE- RES37/1177); ITS/ARCH/Transportlisten Gestapo, zum Getto Theresienstadt/11197641#1 (1.2.1.1/0001- 0060/0017/0148); ITS/ARCH/Transportlisten Gestapo, Hamburg/11198449#1 (1.2.1.1/0001-0060/ 0017G/0287).

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John Hasenberg, geb. 8.10.1892, aus den Niederlande am 16.2.1944 in das Konzen- tra tionslager Bergen-Belsen deportiert; gestorben an den Folgen seiner Inhaftierung am 23.1.1945 26 Schwanenwik 29

John Hasenberg wurde als eines von sieben Kindern des jüdischen Ehepaares Julius und Hen- ny Hasenberg, geb. Lippstadt, in Neumünster geboren. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war die Familie nach Elmshorn gezogen, wo Julius Hasenberg in der Kirchenstraße 40 eine Im mo- bilienfirma betrieb. Von 1902 bis 1909 besuchte John Hasenberg die Bismarckschule und beendete diese mit dem Abschluss eines Realgymnasiums. Im Ersten Weltkrieg war er Soldat und erhielt für seine Verdienste das Eiserne Kreuz II. Klasse. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges blieb John Hasenberg nicht mehr lange in Elmshorn. Er zog nach Hamburg, wo er zuerst in der Hammer Straße 27 und dann am Schwanenwik 29 wohnte. In der Bank von Willi Seligmann am Gänsemarkt 35 fand er eine Anstellung als Kaufmann. 1927 verließ John Hasenberg Hamburg, um nach Berlin zu gehen. Dort heiratete er die elf Jahre jüngere Gertrud Meyer und bekam zwei Kinder mit ihr. Sein Sohn wurde 1928 gebo- ren und seine Tochter Irene kam 1930 zur Welt. Zehn Jahre nach seiner Ankunft in Berlin erhielt John Hasen - berg die Chance, Deutschland zu verlassen. Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft wurde das Leben für Familie Hasenberg in Deutschland immer schwieriger und bedrohlicher. Die Firma American Express bot ihrem Mit arbeiter John Hasenberg nun die Möglichkeit, diesem Land zu entkommen. Er bekam die Op tion entweder in Curaçao oder in den Niederlanden zu John Hasenberg arbeiten. Die Familie entschied sich für die Niederlande und Yad Vashem zog 1937 nach Amsterdam. Als die deutsche Wehrmacht 1940 auch in den Niederlanden einmarschierte, begann die Verfolgung für die jüdischen Menschen erneut. Weil Familie Hasenberg eine Straßenbahn be nutzte, wurde sie inhaftiert und nur durch Glück kurze Zeit später wieder freigelassen. Die Firma American Express durfte keine jüdischen Mitarbeiter mehr beschäftigen und muss- te somit auch John Hasenberg entlassen. Kurz darauf begann er beim Joodse raad, einem von den Nationalsozialisten eingerichteten Judenrat, zu arbeiten. Eine seiner Aufgaben be - stand darin, den durch Razzien deportierten Juden ihr Gepäck in die Durchgangslager nach- zusenden. Er hoffte darauf, dass er durch seine Arbeit den deportierten jüdischen Menschen noch irgendwie helfen konnte.

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Am 23. Juni 1943 durchkämmte die SS das Stadtviertel, in dem Familie Hasenberg lebte. Gegen 10 Uhr klopften sie bei ihnen an der Wohnungstür. Die Familie durfte noch etwas Ge - päck und Proviant mitnehmen, wurde dann mit anderen jüdischen Menschen zur Sammel - stelle getrieben und in Güterwaggons gepfercht. Der Zug fuhr zum Durchgangslager Wester- bork, wo Familie Hasenberg die nächsten acht Monate verbrachte. Noch in Amsterdam hatte John Hasenberg durch einen Freund von einem Schweden erfah- ren, der gefälschte Papiere besorgen konnte. Auf Johns schriftliche Anfrage erhielt die Fa - milie Hasenberg vier ecuadorianische Pässe. Wie die gefälschten Ausweise die Familie über- haupt erreichen konnten, ist ungeklärt. Fest steht, dass die Pässe ihr enorm halfen. Eigentlich sollte die Familie nach Auschwitz deportiert werden, doch da sie nun keine deutschen Staats - bürger mehr waren, wurden sie von der Liste gestrichen. Am 16. Februar 1944 wurde die gesamte Familie ins Konzentrationslager Bergen-Belsen de - portiert. Dort herrschten furchtbarere Zustände als im Durchgangslager Westerbork. Die Men schen litten an Mangelernährung, mussten hart arbeiten und erduldeten Prügelstrafen. Dies alles schwächte auch Familie Hasenberg sehr. Anfang 1945 hatte die Familie plötzlich Glück. Bei einem Gefangenenaustausch zwischen Ame rikanern und Deutschen gab es auf deutscher Seite zu wenige amerikanische Soldaten, sodass sie auf ausländische Gefangene zurückgreifen musste. Die ecuadorianischen Pässe hal fen der Familie Hasenberg erneut, sie gehörte zu den Gefangenen, die freikamen. Mit einem Zug wurde sie in die Schweiz gebracht. John Hasenberg war durch die letzten Prü - gelstrafen jedoch so schwer verletzt, dass er auf der Zugfahrt am 23. Januar 1945 in der Nähe von Laub heim verstarb. Seine Familie erreichte die sichere Schweiz und emigrierte spä- ter in die USA. Auch in Elmshorn wurde für John Hasenberg ein Stolperstein in der Kirchenstraße 40 ver- legt. Quellen: 1; 4; 5; 8; ITS/ATCH/Durchgangslager Westerbork/5146036#1 (1.1.46.1/0009/0142); ITS/ ARCH/Konzentrationslager Bergen Belsen/3394120#1 (1.1.3.1/0006/0029); ITS/ARCH/Verschieden Kon- zentrationslager/5165765#1 (1.1.47.1/0001-0181/0062/0001); „Aktion Stolpersteine: Die Serie. Doppelt so viele Elmshorner Juden ermordet wie bisher angenommen“, in: Elmshorner Nachrichten vom 5.4.2008; Stolpersteine in Elmshorn: http://www.stolpersteine-elmshorn.de/themen/juden/hasenberg/hasen- berg.htm, Zugriff am 25.6.2009.

Theodor Haubach, geb. 15.9.1896, hingerichtet in Berlin-Plötzensee am 23.1.1945 27 Hartwicusstraße 2

Theodor Haubachs Vater, ein Großkaufmann, verstarb ein Jahr nach der Geburt seines Sohnes. Deswegen zog seine Mutter, die Jüdin war, mit ihm von Frankfurt am Main nach Darmstadt in die Kiesstraße. Ein Vormund ermöglichte ihm den Besuch eines Gymnasiums. Seit 1906 be- suchte Theodor Haubach daraufhin das Ludwig-Georg-Gymnasium in Darmstadt, wo er Carlo Mierendorff kennenlernte, mit dem er sein Leben lang eng befreundet bleiben sollte.

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Als einer der letzten seiner Altersklasse besuchte Theodor Haubach noch zwölf Jahre lang die Schule, bis zum Jahr 1914, als er sein Notabitur machte. Danach meldete er sich freiwillig zum Kriegsdienst. 1918 wurde er zum Leutnant befördert. Allerdings wurde er während des Krieges einige Male verwundet und erlitt vor Kriegsende noch eine schwere Verletzung. Durch einen Schulterschuss gerieten Uniformstücke in seine Wunde, die durch eine Opera - tion entfernt werden mussten. Im Zusammenhang mit dieser Verwundung entstanden auch die markanten Narben an seinem Kinn, die auf Schnittwunden zurückzuführen waren. Nach Kriegsende kehrte er zunächst nach Darmstadt zurück. Das Ende des Ersten Welt krie - ges stellte für Theodor Haubach den Zusammenbruch einer alten Epoche und zeitgleich den Beginn einer neuen deutschen und europäischen Ära dar. Deswegen wuchs sein Interesse für die Politik, insbesondere für die Sozialdemokratie. In Darmstadt wurde er 1920 Kommandant der Abwehrkräfte gegen den sogenannten Kapp- Putsch. Zudem studierte er seit 1919 in Heidelberg Philosophie, Soziologie und Staats wis - senschaften. Vier Jahre später schrieb er im Fach Philosophie seine Doktorarbeit bei Professor Karl Jaspers. Während dieser Zeit stand er zusammen mit seinem Freund Carlo Mierendorff an der Spitze der sozialdemokratischen Stu dentenbe we - gung. Dadurch kam es zu ersten Aus einan dersetzungen mit der nationalsozialistischen Szene, in der sich sowohl Studenten als auch Professoren engagierten. Theodor Haubach genoss schon damals den Ruf eines talentier- ten Redners. Nach dem Ende seines Studiums zog es Theodor Hau - bach nach Hamburg, um für das Institut für Außen- politik zu arbeiten. Ein Jahr später, 1924, begann er sein Wirken als außenpolitischer Redakteur der sozialdemo- kratischen Tageszeitung „Hamburger Echo“. Diesen Pos- ten be hielt er bis 1929. Zeitgleich trat er der Leitung des Theodor Haubach Enge Zeit, S. 57 „Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold“ bei, einem sozialde- mokratischen Wehrverband, der es sich zur Auf ga be ge - macht hatte, die demo kratische Grundordnung in der Weimarer Republik zu verteidigen. Zudem sahen sich die Mitglieder als Gegengewicht zu den immer stärker auftretenden natio- nalen und nationalsozialistischen Kampfverbänden. Theodor Haubach wohnte in Hamburg in seiner Wohnung in der Hartwicusstraße 2 nicht allein. Seine Mutter zog zu ihm und lebte bis zu ihrem Tod im Jahr 1939 bei ihrem Sohn. Sie kümmerte sich um den Haushalt, während Theodor Haubach sich ganz der Politik widmete. Dadurch entwickelte sich sein Ruf eines ewigen Junggesellen. Während seiner Jahre in Hamburg stand Theodor Haubach oft als Redner auf Bühnen bei demokratischen Groß ver anstal tungen. 1927 wurde er als SPD-Mitglied in die Hamburger Bür gerschaft gewählt. Zwei Jahre später endete seine Zeit in Ham burg, denn er wurde zuerst

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Pressechef beim Reichs innen ministerium und danach beim Berliner Polizeipräsidenten. Ein Ziel Theodor Haubachs lag in der Stärkung und Förderung der demokratischen Kräfte in der Berliner Polizei. Zudem übernahm er ab 1932 die politische Redaktion des „Reichs banners“, einer SPD-nahen Zeitung. Nach dem Staatsstreich von Franz von Papen am 20. Juli 1932 wurde Theodor Haubach, wie viele andere auch, aus dem Staatsdienst entlassen. Danach konzentrierte er sich auf seine Arbeit im „Reichsbanner“, die ab 1933 illegal fortgeführt wurde. Im Kampf gegen den Na - tio nalsozialismus trafen sich die Mitglieder des „Reichsbanners“ zu geheimen Sit zungen, warben neue Aktive, verbreiteten politische Schriften und Aufklärungsmaterial. Aufgrund dieser Arbeit wurde Theodor Haubach 1933 zum ersten Mal verhaftet, aber schon nach kur- zer Zeit wieder entlassen. Ein Jahr später, am 24. November 1934, wurde er jedoch erneut festgenommen. Diesmal sollte seine Haft länger andauern. Bis 1936 war er zuerst im Kon- zentra tions lager Columbiahaus und später im Konzentrationslager Esterwege bei Papenburg im Emsland in Gefangenschaft. Hier musste er mit den anderen Insassen an der Tro cken - legung des Börgermoores arbeiten. Nach seiner Entlassung 1936 sah man ihm die Spu ren der Inhaf tie rung an – er schien um Jahre gealtert. Seine erste Anstellung nach der Haft fand Theodor Haubach als Handels- und Versi cherungs - vertreter. Danach bekam er eine Stelle als Mitarbeiter seines Freundes Viktor Bausch in dessen Papierfirma Felix Schoeller & Bausch. Durch diese Arbeit stellte sich auch wieder der Kontakt zu alten Sozialdemokraten und Gewerkschaftern her. Zudem wurde 1938 Carlo Mierendorff nach fünfjähriger Haft aus dem Konzentrationslager entlassen. 1939 wurde Theo dor Haubach noch einmal kurz verhaftet, da man ihm Spionage für die Tschechoslowakei vorwarf. Als 1940 der „Kreisauer Kreis“ als Widerstandsgruppe gegen das nationalsozialistische Regi- me entstand, trat auch Theodor Haubach ihm bei. Carlo Mierendorff hatte schon länger Kon takt zu der Widerstandsgruppe um Helmuth James Graf von Moltke und führte nun auch Theodor Haubach in den Kreis ein. Dieser nahm zum ersten Mal an einem Treffen vom 18. bis 20. Oktober 1942 teil. Das Ziel der Widerstandsorganisation lag in der geistigen, poli- tischen und sozialen Neuordnung Deutschlands nach dem Ende der Diktatur. Eine ihrer For - derungen lautete: „Nie wieder Krieg – nie wieder Faschismus!“ Ab 1943 wandte sich der „Kreisauer Kreis“ auch anderen Widerstandsgruppen zu, um sich an einer aktiven Verschwörung gegen den Nationalsozialismus zu beteiligen. So kamen die Mit glie - der in Kontakt mit Graf von Stauffenberg und Carl Friedrich Goerdeler. Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 auf Adolf Hitler wurden viele Beteiligte in Berlin sofort verhaftet. Theodor Hau bach befand sich noch in Oberstdorf im Allgäu. Obwohl er wusste, wie gefährlich es für ihn in Berlin geworden war, kehrte er Anfang August dorthin zurück. Carlo Mie ren dorff lebte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Eine Fliegerbombe hatte ihn am 4. Dezember 1943 in Leipzig ge tötet. Am Morgen des 9. August 1944 wurde Theodor Haubach von der Gestapo in seiner Woh- nung im Falterweg 1 in Berlin verhaftet. Man brachte ihn in die Sicherheitspolizei-Schule Drö- gen bei Ravensbrück, danach wurde er ins Berliner Gefängnis Lehrter Straße überführt.

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Kurz vor seiner Festnahme hatte Theodor Haubach die Sängerin Anneliese Schellhase ken- nengelernt, die seine große Liebe werden sollte. Theodor Haubachs langjährige gute Freun - din Alma de l’Aigle schrieb im Vorwort zu dem Abdruck einiger Briefe Haubachs an Anne - liese Schellhase: „Es ist wie ein Wunder, wie eine ganz besondere Gnade, die in allem Unglück in seinem Leben waltete, dass er nicht lange vor dem gewaltsamen Abschluss seines Lebens noch die große Liebe kennen lernte, die auch zu einem späten Lebensbündnis geführt hätte, wenn der Tod nicht gewaltsam dazwischen geschlagen hätte. Er kannte Anneliese Schellhase schon vor seiner Verhaftung. Die herbe knabenhafte Erscheinung, das klassische Gesicht und der rege Geist der jungen Sängerin hatten ihn bald angezogen. Aber das große Wunder der See - len begegnung fand erst statt, als Haubach in der Zelle des Gefängnisses Lehrter Straße saß.“ Aus dem Gefängnis schrieb Theodor Haubach Briefe an Anneliese Schellhase, zog sie von Partenkirchen nach Berlin. Nach der Verlobung war es ihr gestattet, ihn regelmäßig zu besu- chen und ihm die nötigsten Dinge für den täglichen Bedarf zu besorgen. Nichts konnte Anneliese Schellhase davon abhalten, ihren Verlobten im Gefängnis zu besuchen. Selbst als sie bei einem Bombenangriff schwer verletzt wurde und fortan gehbehindert war, besuchte sie ihn regelmäßig. Sein letztes gemeinsames Weihnachtsfest feierte das Paar im Gefängnis Lehr ter Straße. Der wachhabende SS-Untersturmführer Knuth hatte den beiden seine Kam- mer zur Verfügung gestellt. Im Gefängnis Lehrter Straße schrieb Theodor Haubach am 6. Januar 1945 einen letzten Brief an Anneliese Schellhase, bevor das Urteil gegen ihn gefällt wurde: „Mein Liebes, Geliebtes! Wir wollen doch die Dinge richtig sehen. Entweder lässt Gott in Gnade und Barmherzigkeit zu, dass alles gut geht – dann schadet auch Dr. W. nichts – oder er lässt es nicht zu, dann helfen auch alle Götter nicht … Wo immer Deutschland in Not stand, stand auch immer ich. Einen kleinmütigen und verzag- ten Angeklagten werden die Herren in mir nicht kennen lernen. Vielleicht werden sie sich sogar wundern. Voriges Jahr um diese Zeit stand ich auf so manchem brennenden Dach in Berlin, heute soll ich mich darüber rechtfertigen, ob ich ein nationaler Mann bin.“ Den Vorsitz bei den Gerichtsverhandlungen nach dem 20. Juli 1944 hatte der Präsident des Volksgerichtshofes, Roland Freisler. Für ihn stand das Todesurteil schon vor Beginn der Ver- handlung fest. Während der Prozesse liefen Kameras und Tonbandgeräte. Theodor Haubach wirkte ernst und gefasst. Mit leicht nach hinten geneigtem Kopf und den Blick in die Ferne gerichtet, saß er vor dem Richter. Da er bereits im Gefängnis an einer schweren Gallenkolik erkrankt war, brach er während des Prozesses zusammen und musste aus dem Saal getragen werden. Seine Verhandlung wurde daraufhin von den anderen abgetrennt. Am 15. Januar 1945 wurde der Schwerkranke wegen Hoch- und Landesverrats zum Tode verurteilt. Anneliese Schellhase reichte zwei Gnadengesuche ein. Sie drang sogar bis zu Roland Freisler vor, um ihn von dem Todesurteil abzubringen. Doch alle Hoffnungen zerschlugen sich mit der Hinrichtung Theodor Haubachs am 23. Januar 1945 im Gefängnis Plötzensee.

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Einige Tage vor der Hinrichtung wurden die Gefangenen, unter ihnen auch Theodor Hau bach, in die Todeszelle gebracht. Wegen seiner Gallenerkrankung musste Theodor Haubach am 23. Ja - nuar zum Galgen getragen werden. Dann wurde er, wie seine Mitgefangenen auch, er hängt. Heute gibt es in Deutschland zwei Schulen, die nach Theodor Haubach benannt sind. Eine steht in Berlin-Charlottenburg, die andere in Hamburg-Altona. Zudem existieren in Berlin- Char lottenburg, Hamburg, Frankfurt am Main, und Lüneburg Straßen mit seinem Namen. In Berlin trägt der Briefingsaal im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung seinen Namen. Quellen: StaHH 121-3, Bürgerschaft I, A 17; Beuys: Verteidigung der Republik; Brakelmann: Die Kreisauer, S. 373ff.; Ditt: Sozialdemokraten im Widerstand, S. 74; Hamburg im „Dritten Reich“, S. 45f. ; Leber: Das Gewissen steht auf, S. 215ff.; Zimmermann: Theodor Haubach (1896–1945).

Wilhelm „Willi“ Häussler, geb. 18.4.1907, am 22.3.1945 bei Zwangsarbeiten in Wilhelmsburg gestorben 28 Halbenkamp 16 (Pestalozzistraße 72)

Der Wohnblock der Genossenschaft Produktion, genannt PRO-Block, wurde 1906 erbaut und galt seitdem in Barmbek als Hochburg der Arbeiterkultur. In diesem PRO-Block, in der Hin rich - senstraße (heute Brucknerstraße), wuchs Willi Häussler mit seinen Geschwistern Karl und Helmi auf. So verwundert es nicht, dass Willi Häussler sich schon in der Schulzeit mit Anhän - gern der linken und rechten politischen Szene auseinandersetzte und sich an zahlreichen Diskussionen beteiligte. Sein Freund Bruno Wagner berichtete über ihn: „Willi war ein schlan- ker Bursche, dunkelblond, 1,75 m bis 1,80 m groß. Unerschrocken in der Verteidigung der Republik gegen Gegner von links wie rechts. Von Hause aus war er ein überlegter, eher ruhi- ger, freundlicher Mensch, kein großer Redner, jedoch mit festen Prinzipien, die er vorzubrin- gen wusste.“ Schon in frühester Jugend trat Willi Häussler linksgerichteten Vereinen bei. So war er Mit glied der Kinderfreunde, der Sozialistischen Arbeiter Jugend (SAJ) und trat im Alter von 18 Jahren der SPD bei. Auch bei dem 1924 gegründeten Reichsbanner, einem sozial- demokratischen Wehrverband, und der 1930 ge gründeten Schutzformation, kurz „Schufo“, war er en ga giert. In Barmbek exis tierte die „Schufo 10“, deren Mitglie - der sich regelmäßig in der Gast stätte von Gus tav Mause in der PRO-Block-Ecke Lohkoppel straße/Schlei den straße trafen. Auch Willi Häuss ler saß dort oft mit sei- nen Freun den, darunter auch Bruno Wag- ner, zu sam men. Dieser erinnerte sich auch Der Biergarten von Gustav Mauses Lokal in der Lohkop - Jahre spä ter noch an eine abenteuerliche pel straße Geschichtswerkstatt Barmbek

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Fahrt der „Schufo 10“ nach Wilhelmsburg: „Wie andere Abteilungen fuhren wir auf Last wa - gen verfrachtet über die Elbbrü cken, als unser Wagen plötzlich ins Schleu dern geriet, die Seitenplan ken des Wagens brachen und 40 Män ner – unter ihnen Willi Häussler – auf die Straße stürzten. Willi wurde schwer verletzt mit et li chen anderen Männern ins Lohmühlen- Krankenhaus gebracht. Just in der Zeit wollte Willi mit seiner Frau Mimi eine Neubau woh - nung in der Schwansenstraße auf dem Dulsberg beziehen. Er war sehr dankbar dafür, dass ich es übernahm, während seines Kranken hausauf ent halts mit seiner Frau zusammen die Wohnung einzurichten und die Behördenwege zu erledigen.“ Die „Schufos“ wurden 1932 vom Reichsbanner aufgelöst, da sonst ein Verbot des gesamten Reichsbanners gedroht hätte. Doch 1933 lebte die „Schufo 10“ erneut auf, um Widerstand gegen die nationalsozialistische Herrschaft zu leisten. Hierbei schrieben die Mitglieder zum Bei spiel antifaschistische Parolen auf Hauswände oder verteilten Flugblätter. Aufgrund seines Mitwirkens in der „Schufo 10“ erhielt Willi Häussler 1933 die Kündigung. Bis dahin war er bei einer Lagerhausgesellschaft angestellt, für die er als Kaiarbeiter im Hafen tätig war. Wegen seiner „staatsfeindlichen Einstellung“ wurde er entlassen. Ein Jahr später er nannte ihn die „Schufo 10“ zum Leiter. Eine seiner Aktionen war die Verteilung von Konfir ma tions- glückwunschkarten, die zur Tarnung dienten, um Appelle gegen den Nationalso zia lismus zu verbreiten. Willi Häussler lebte mit seiner Frau Wilhelmine, genannt „Mimi“, vor seiner Verhaftung in der Pestalozzistraße 72, heute Halbenkamp 16. Sie hatten eine gemeinsame Tochter, die zum Zeitpunkt der Verhaftung ihres Vaters fünf Jahre alt war. Im Sommer 1936 lebte die Familie einige Wochen in ihrer Schrebergartenlaube. Bei der Rückkehr in ihre Wohnung berichteten Nachbarn ihnen, dass nachts zu vor die Ge - stapo da gewesen sei, um sie zu suchen. Da raufhin schlüpfte Willi Häussler bei einem Freund, einem ehe- maligen KPD-Mitglied, unter, der in der Kegel hofstraße wohnte. Am 13. Juni 1936 flog das Versteck jedoch auf und Willi Häussler wurde von der Gestapo verhaftet. Seine Frau Mimi erinnerte sich an die Zeit bis zur Ver haf - Willi und seine Ehefrau Mimi tung: „Bis zu seiner Verhaftung seit dem ersten Besuch Geschichtswerkstatt Barmbek erschien die Gestapo Nacht für Nacht bei mir, um aus mir herauszubekommen, wo mein Mann sich aufhält. Mein Mann besorgte sich alle nötigen Papiere und Fahr karten, um nach Dänemark fliehen zu können. Doch zwei Stun den vor der Abfahrt erfolgte die Verhaf tung.“ Der Prozess gegen Willi Häussler zog sich in die Länge, rund 45 weitere Personen waren darin involviert. Seine Verurteilung erfolgte schließlich am 13. Juni 1938. Zu erst wurde er zu

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sieben Jahren Zuchthaus verurteilt. Allerdings wurde ihm wenigstens ein Jahr seiner Unter suchungshaft angerechnet, sodass er schließlich sechs Jahre Haft im Zuchthaus Bremen-Oslebshausen verbüßen mus- ste. Während dieser Zeit war es seiner Frau nur alle vier Monate gestattet, ihn zu besuchen. Seine Toch - ter erhielt zudem in ihrer Schulakte den Vermerk: „Vater politisch in Haft.“ Am 13. April 1943 wurde Willi Häussler entlassen und sofort an das Polizeigefängnis Fuhls büttel über- stellt. Dort blieb er bis Mai, um dann ins Gestapo- Lager Wilhelmsburg verlegt zu werden. Hier musste er bis zu seinem Tod Zwangsarbeit leisten. Mimi Häussler konnte während der gesamten Haft- Willi Häussler im Gestapo-Lager Wilhelms- burg, 1944 zeit nur knapp ihre kleine Familie ernähren. Ab und Geschichtswerkstatt Barmbek zu gelang es ihr eine Arbeitsstelle zu finden, die sie jedoch jedes Mal schnell wieder verlor. „Eine Unterstützung während der ganzen Haftzeit durch Freunde war so gut wie gar nicht möglich. Zweimal, bald nach der Verhaftung 1936, erhielt ich etwas Geld. Von der damaligen Wohlfahrtsbehörde erhielt ich keine Unter stüt zung. Nur dann sollte ich sie erhalten, wenn ich mich scheiden lasse. Erst musste ich Pflichtar beiten für einen Lohn von 0,75 RM pro Tag verrichten, später leistete ich Fürsorgearbeit.“ In das Gestapo-Lager Wilhelmsburg musste Mimi ihrem Ehemann regelmäßig frische Wäsche bringen. Dadurch konnten sich die beiden allerdings auch wie der öfter sehen. Zwei Wochen vor seinem Tod besorgte Mimi ihrem Mann Geld, Papiere und Lebens mittelkarten. Die Häf t - linge wussten, dass der Krieg verloren war und dass sich ihr Schicksal bald entscheiden wür - de. Willi Häussler versprach, dass er zu fliehen versuchen würde, sollte er etwas von seiner ge planten Hin richtung erfahren. Am 22. März 1945 starb Willi Häussler bei der Zwangsarbeit in Wilhelmsburg. Seine Frau er- hielt einen Todesschein, auf dem vermerkt war: „Bei Feindeinwirkung am 22. März 1945 im Lager Wilhelmsburg ums Leben gekommen.“ Seine Leiche wurde trotz eines Antrages nicht freigegeben. Willi Häusslers Leichnam konnte 1946 in einem Massengrab in Harburg identifiziert werden. Daraufhin wurde seine Leiche am 2. November 1946 nach Wandsbek-Tonndorf überführt. 1968 setzten sich Bekannte und Angehörige dafür ein, dass seine sterblichen Überreste auf dem Areal der „Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“ der Geschwister-Scholl-Stiftung auf dem Friedhof Ohlsdorf beigesetzt wurden. Quellen: Ditt: Sozialdemokraten im Widerstand, S. 91; Hochmuth/Meyer: Streiflichter aus dem Hamburger Widerstand, S. 124, S. 128ff., S. 590; Leber: Das Gewissen steht auf, S. 86ff.; Interview mit Willi Häuss- lers Freund Bruno Wagner, Geschichtswerkstatt Barmbek.

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Gustav Heidtmann, geb. 20.8.1873, am 20.8.1936 im Konzentrationslager Fuhlsbüttel gestorben 29 Wachtelstraße 48

Bereits in seiner Jugend war der gebürtige Hamburger Gustav Heidtmann politisch und ge - werkschaftlich organisiert. Zuerst war er Mitglied der SAJ und trat danach der SPD bei. Von 1895 bis 1933 war Gustav Heidtmann Bezirksführer der SPD in Wandsbek. Hauptberuflich arbeitete Heidtmann als Werkzeugmacher. Mit seiner ein Jahr älteren Ehefrau Auguste, geb. Schmidt, wohnte er in einer kleinen Wohnung in der Wachtelstraße 48. Das Ehepaar hatte keine gemeinsamen Kinder. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten organisierte Gustav Heidtmann den Widerstand der SPD in Hamburgs Norden. Deshalb wurde er am 14. August 1936 auf seiner Arbeitsstelle von der Gestapo verhaftet und im Konzentrationslager Fuhlsbüttel inhaftiert. Eine Woche nach seiner Festnahme, am 20. August 1936, an seinem 63. Geburtstag, starb Gustav Heidtmann im Konzentrationslager Fuhlsbüttel. Quellen: StaHH 213-9, Staatsanwaltschaft Oberlandesgericht, OIV 144-7; StaHH 332-5, Personenstands- unterlagen, 9882 und 191/1936; Diercks: Gedenkbuch „KOLA-FU“, S. 23; Totenliste Hamburger Wider- standskämpfer und Verfolgter 1933-1945; http://verfolgte.spd-hamburg.de/gedenkbuch/ Gedenkbuch_G-H.pdf Zugriff am 3.11.2008; VVN, H28 Heidtmann, Auguste.

Wilhelm Karl Ferdinand Jastram, geb. 21.6.1895, inhaftiert 1936–1937, 1938, Selbstmord am 13.7.1938 KZ Fuhlsbüttel 30 Vogteiweg, gegenüber Hausnummer 11

Wilhelm Jastram gehört zu den Homosexuellen, über deren Schicksal nur in einer Polizeiakte über„unnatürliche Sterbefälle“ Hinweise enthalten sind. Auf seine homosexuelle Veranlagung als Grund für die Inhaftierung deutete lediglich der Aktenvermerk „K.24“ (Kriminal kom mis sa riat 24, das für die „Bekämpfung der Homosexualität“ zuständig war) hin. Die Straf justizakte, die Auskunft über seine Biographie hätte geben können, ist vernichtet wor- den. Der technische Zeichner Wilhelm Jastram wurde am 21. Juni 1895 in Altona bei Eldena in Meck lenburg geboren. Laut Gefangenenkarteikarte wurde er am 14. September 1936 vom Land gericht Hamburg we- gen „widernatürlicher Unzucht“ zu einer einjährigen Gefängnis stra fe verurteilt, die er vom 18. September Der Vogteiweg 3–9 in den 1930er Jahren Geschichtswerkstatt Barmbek 1936 bis zum 30. Juli 1937 im Männergefängnis

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Hamburg-Fuhlsbüttel verbüßte. Zuvor befand er sich seit dem 31. Juli 1936 im Unter su - chungs gefängnis an der Holstenglacis, wo er zunächst unter die Kategorie „Sittenver brecher“ eingeordnet wurde. Nach erneuter Verhaftung, die für ihn ab dem 7. Juli 1938 in einem Aufenthalt im KZ Fuhls- büttel mündete, erhängte sich Wilhelm Jastram am 13. Juli 1938 in seiner Zelle. Da der letzte frei gewählte Wohnsitz von Wilhelm Jastram bei seiner Schwester im Vogtei- weg 8 in Barmbek-Süd war, soll dort ein Stolperstein an sein Schicksal erinnern. In die Mes - singplatte wurde der Text „Flucht in den Tod“ eingraviert. – Bernhard Rosenkranz/Ulf Bollmann Quellen: StaHH, 331-5 Polizeibehörde – Unnatürliche Sterbefälle, 1180/38; StaHH, 213-8 Staatsanwalt- schaft Oberlandesgericht – Verwaltung, Abl. 2, 451 a E 1, 1 c; StaHH, 242-1 II Gefängnisverwaltung II, Ablieferungen 13 und 16; B. Rosenkranz/U. Bollmann/G. Lorenz: Homosexuellen-Verfolgung in Hamburg 1919–1969, S. 221.

Jacob Kaufmann, geb. 23.4.1870, deportiert nach Theresienstadt am 19.7.1942, dort am 8.2.1943 gestorben Franziska Kaufmann, geb. Cohn, geb. 27.6.1872 in Hamburg, verstorben am 23.7.1942 in Hamburg Gertrud Silberberg, geb. Kaufmann, geb. 21.5.1898, deportiert am 17.3.1943 nach Auschwitz Käthe Selma Kaufmann, geb. 18.1.1902, deportiert am 11.7.1942 nach Auschwitz Margarete Meyer, geb. Kaufmann, geb. 15.10.1905, deportiert am 11.7.1942 nach Auschwitz 31 Bendixensweg 11

Jacob Kaufmanns Eltern Moses Kaufmann und Gertrud, geb. Stock, lebten in Sürth bei Köln. Hier wurde er am 23. April 1870 geboren und wuchs als jüngster Sohn mit sechs Ge schwis- tern auf. Die Eltern hatten gehofft, dass er Interesse für den Viehhandel entwickeln würde, doch Jacobs Interesse ging schon früh in andere Richtungen, er schloss sich einem Zirkus an und gelangte so nach Hamburg. Franziska Kaufmann, geb. Cohn, kam am 27. Juni 1872 in Hamburg zur Welt und hatte acht Geschwister. Ihre Eltern waren Catharina, geb. Brose, und Abraham Joachim Cohn. Der Vater kam aus einer jüdischen Familie, während die Mutter evangelisch getauft und zum jü - dischen Glauben übergetreten war. Großvater Johann Brose, ein Bildhauer, war einst aus Tarnow/Galizien nach Norddeutschland gekommen. Jacob und Franziska lernten sich in Hamburg kennen, die Trauung fand am 3. Juni 1897 im Standesamt Rotherbaum statt. Die beiden bekamen vier Töchter: Gertrud, Käthe, Lissi und Margarete, die alle zeitlebens sehr an der Mutter hingen. 1912 wohnte die Familie – laut Hamburger Adressbuch – in der Karolinenstraße 24, sodass die Schwestern einen kurzen Weg zur Israelitischen Töchterschule auf der gegenüberliegenden Straßenseite hatten. Später besuchten sie ein Lyzeum. Die Bildung der Töchter war der Mutter ein wichtiges Anliegen,

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auch war es für sie selbstverständlich, dass alle schließlich einen Beruf erlernten, um sich selbst versorgen zu können. Vater Jacob, dem Theater und Schauspiel weiter verbunden, war unter anderem als Bühnen- arbeiter und -techniker tätig. Im Ersten Weltkrieg wurde er zum Kriegsdienst eingezogen und war stolz auf seine Auszeichnung, ein Eisernes Kreuz. Seine Einstellung oder Haltung, so schilderte es die einzig überlebende Tochter Lissi Jahrzehnte später, war patriotisch und ging in die sozialdemokratische Richtung. Bis 1926 wohnte die Familie in der Gneisenaustraße im Stadtteil Hoheluft in einer 5 ½-Zim- mer-Wohnung und zog dann, wohl aus finanziellen Gründen, nach Barmbek Nord in eine 3- Zimmer-Neubauwohnung in der Straße Heidhörn/Ecke Steilshooper Straße. Die älteste Toch - ter Gertrud heiratete am 8. Juni 1926 in Hamburg Siegfried Silberberg, geboren am 14. Juni 1895 in Wandsbek. Das Ehepaar Gertrud und Siegfried Silberberg zog 1932 nach Berlin, wo Siegfried eine Tätigkeit als Buchhalter annahm. Die beiden adoptierten einen Sohn, Peter, geb. Binner, geboren am 3. Juni 1936 in Berlin. Seine Mutter Käthe Binner trug später den Namen Klein. Familie Silberberg wohnte bis 1934 in der Storkower Straße 18, danach Brun - nenstraße 40; ab 1939 gibt das Berliner Adressbuch über sie keine Auskunft mehr. Nach einem Schreiben des Internationalen Suchdienstes in Bad Arolsen wohnten sie möglicherwei - se zuletzt in der Rosenstraße 14. Die noch zu Hause lebenden Töchter Käthe, Lissi und Margarete schienen zunächst nicht sehr be- geistert von dem Umzug, sollten sie sich doch als inzwischen berufstätige junge Frau en ein Zim- mer teilen. Liebevoll eingerichtet von der Mutter, fand es schließlich doch ihre Zustimmung, wobei das gute Verhältnis zu den Eltern die Ent schei - dung erleichterte. Trotz eigener kleiner Einkünfte Die Schwestern Lissi, Käthe und Margarete dürfte das Geld für eine größere Wohnung nicht mit Mutter Franziska Kaufmann, Lissis Sohn Hel mut und einer Freundin bei der Erd beer - gereicht haben. ernte im Schrebergarten, Sommer 1934 Franziska Kaufmann, die als sehr kinderlieb galt, zog für einige Jahre auch ein Pflegekind auf, nach dem ihre Töchter selbstständig und erwachsen geworden waren. Mutter des Kindes war eine Freundin ihrer Töchter. Tochter Margarete ging zwischen 1931 und 1933 eine kurze Ehe ein, die geschieden wurde, nachdem sich die SA-Mitgliedschaft ihres Mannes herausgestellt hatte. Sie zog anschließend wieder zu den Eltern. Tochter Lissi heiratete 1930 ihren christlichen Mann Franz Acker und lebte ebenfalls überwiegend in Barmbek, in der Nähe der Eltern und Schwestern. Die Familie unterhielt gute soziale, nachbarschaftliche Kontakte. So engagierte sich Jacob Kauf mann unter anderem für die Gründung eines Schrebergartenvereins an der Otto-Speck - ter-Straße, woran sich viele Familien aus der Nachbarschaft beteiligten. Hier konnte nicht nur

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freie Zeit im Grünen verbracht werden, der Anbau von Nutzpflanzen war für die oft geringen Haus haltseinkommen gleichzeitig ein Beitrag zum Lebensun ter halt. Ab 1935 jedoch wurden Juden, auch Familie Kaufmann, aus ihren Schrebergärten vertrieben. Jacob Kaufmanns damalige Arbeit beim Hamburger Stadttheater (heute Staatsoper) fand 1935 ebenfalls aus rassischen Gründen ein abruptes Ende. Als Leiter der Werkstätten hatte man ihn nach 15-jähriger Mit arbeit entlassen. Daraufhin fand er eine Beschäf ti gung beim Jüdischen Kulturbund Ham- burg, wo er bis Ende 1937 im Theater am Besen- binderhof für die technische Bühneneinrichtung zu- ständig war. Doch der Verdienst war gering, der Kul turbund war auf die Beiträge seiner Mitglieder an- gewiesen und hatte etliche andere vom Berufsverbot betroffene jüdische Künstler und Mitarbeiter ange- stellt, um ihnen Arbeit und eine Existenzgrund lage zu verschaffen. Die schwierige Wirtschaftslage zwang die Kaufmanns, sich an die Jüdische Wohlfahrt zu wenden und vorübergehend Unterhalt zu bean tra - gen. Hinzu kam eine Anklage gegen Jacob wegen Betruges, weil unregelmäßige Einkünfte aus Neben- Lissi, Käthe und Margarete, ca. 1932 tätigkeiten als Kassierer auf Veranstaltungen angeb- lich nicht ausreichend angegeben worden waren. Die Strafe war ein dreimonatiger Gefängnis auf ent halt, wo bei unklar ist, ob er sie antreten musste. Jacob und Franziska Kaufmann sowie beide noch bei ihnen lebenden Töchter Käthe und Margarethe wechselten in den folgenden Jahren im Stadtteil eini- ge Male die Wohnungen, aus Geldmangel und we- gen zunehmender Feindseligkeiten in der Nachbar - schaft. Sie wohnten, wie vorübergehend auch Lissis Franziska und Jacob Kaufmann mit ihrem Enkel Helmut Acker, ca. 1936 Familie, im Lambrechtsweg, bis sie aufgrund von De- Privatbesitz (3) nunziationen auch hier nicht bleiben konnten. Im Bendixensweg 11 fanden sie 1938 schließlich noch eine äußerst beengte Wohnung. Am 30. November 1938 erhielten sie durch einen Boten des Gerichtsvollzieheramts eine Kün- di gung der Wohnung zum 1. Januar 1939. Margarete Kaufmann, bis dahin die Haupt ver - dienerin der Familie, hatte gerade ihre Anstellung verloren. Sofort nahm sie telefonisch Kon - takt zur Hausverwalterfirma Adalbert Hansen in der Mönckebergstraße auf und erfuhr vom Brief eines Anwohners des Hauses Bendixensweg 11. Hierin wurde mitgeteilt, dass die Haus - gemeinschaft sich gegen das Zusammenwohnen mit Juden aussprach, deren Verbleib aber

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billigen wollte, wenn den übrigen Mietern eine Mietermäßigung zugestanden würde. Die Haus verwaltung entschied sich für eine Kündigung. Im Telefongespräch räumte man Familie Kaufmann eine Frist bis Ende Februar ein, doch angesichts der angespannten finanziellen Lage bot Margarete Kaufmann einen Auszug zu einem früheren Termin an. Bereits zum 10. Januar 1939 sollte die Wohnung zur Verfügung stehen, es gab eine telefonische Verabredung, auf die Januarmiete die mit 16 RM vorausbezahlte Gasuhr und die beim Einzug wenige Monate zuvor gänzlich renovierte Wohnung anzurechnen. Die mündliche Zusage am Telefon wurde jedoch nicht eingehalten, sodass ein Gerichtsverfahren folgte. Der Grundeigentümer Adal- bert Hansen, An der Alster 3, verklagte Jacob Kaufmann und dessen Ehefrau wegen nicht ge zahlter Miete für den Monat Januar. Am 17. Mai 1939 erging das Urteil und Familie Kauf- mann wurde schuldig gesprochen. Strafe: 44 RM und 4 Prozent Zinsen, zahlbar an Adalbert Hansen. Ein damals hoher Betrag, der nur in kleinen Raten abgezahlt werden konnte. Familie Kaufmann wohnte nun in einer jüdischen Stiftswohnung in der Bogenstraße 25, wo Jacob eine Tätigkeit als Hausverwalter übernehmen konnte. Nach Beschlagnahmung dieses Hau ses durch die Gestapo folgte als letzter unfreiwilliger Wohnsitz eine Unterkunft in einem „Judenhaus“ in der ehemaligen Schlachterstraße 46/47, Neustadt (nahe der Michaeliskirche). Mutter Franziska war bereits seit längerem krank und wurde von Tochter Käthe gepflegt. Mit Käthes eigener Gesundheit stand es auch nicht gut, sie kränkelte häufiger und war sehr kurzsichtig. Margarete trug durch ihre Berufstätigkeit weitgehend zum Familienunterhalt bei. Es ist anzunehmen, dass beide aus Rücksicht auf die kranke Mutter davon abgesehen hatten, Fluchtmöglichkeiten wahrzunehmen. Eine hätte zu Bekannten nach Palästina auswandern, die andere den Heiratsantrag eines amerikanischen Freundes annehmen können. Wie groß die Bedrohung wirklich war, hat auch Familie Kaufmann sich offenbar bis kurz vor dem Ende nicht vorstellen können. Laut Tochter Lissi hatte die Mutter zu kursierenden Ge rüch - ten gesagt, „so etwas gibt es nicht, das kann kein Mensch tun!“. Als der Depor tations befehl für die Töchter kam, wollte man immer noch an ein „Arbeitslager“ glauben, Jacob kaufte Over alls und eine gut gefüllte Werkzeugkiste, damit sie in der Lage wären, sich zur Not eine Hütte zu bauen. Die Deportation der Töchter Käthe und Margarete nach Ausch witz fand am 11. Juli 1942 statt. Ihre Schwester Gertrud mit Ehemann Siegfried und dem gemeinsamen 5-jäh rigen Sohn Peter Silberberg wurden am 12. März 1943 von Berlin aus durch die Ge stapo mit dem 36. Osttransport nach Auschwitz „evakuiert“. Alle fanden dort den Tod. Wusste Jacob Kaufmann, was ihn erwartete? Er wurde am 17. Juli 1942 von seiner kranken Frau getrennt und eine Woche nach Abtransport der Töchter nach Theresienstadt deportiert, wo er im Gebäude Q 418 unterkam und nach Aussagen Überlebender dem Hungertyphus er legen sein soll. In der vorhandenen Todesfallanzeige vom 8. Februar 1943 wurde offiziell an gegeben, es habe sich um eine Sepsis/Blutvergiftung gehandelt mit Todesursache Myo - dege neratio Gordis/Herzmuskelentartung. Seine Frau Franziska Kaufmann blieb in Hamburg zurück, nachdem sie zuvor nach einem Schlaganfall ins Israelitische Krankenhaus in der Schäferkampsallee eingewiesen worden war.

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Tochter Lissi durfte sie nicht zu sich nehmen und berichtete später vom qualvollen Tod ihrer Mutter, die immer nur laut nach ihren Kindern und dem Ehemann gerufen habe. Vielleicht ahnte sie, was ihren Angehörigen widerfahren würde? Sie starb am 23. Juli 1942, zwei Wochen nach der Deportation ihrer Töchter und eine Woche nach dem Abtransport ihres Ehemannes. In der Sterbeurkunde war als Todesursache ein weiterer Schlaganfall vermerkt. Die einzige überlebende Tochter von Jacob und Franziska Kaufmann war Lissi, verheiratet mit Franz Acker, deren Schicksal in diesem Buch gesondert nachzulesen ist.

Brief von Margarete Meyer an ihren Anwalt im März 1939 StaHH

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Ja cob Kaufmann wird noch seinem verwitweten Bruder Samuel Kaufmann, geb. am 31. Juli 1868 in Sürth, begegnet sein, dessen Transport nach Theresienstadt am 1. September 1942 stattfand. Beide kamen dort um. Ihre jüngste Schwester Adelheid, verh. Wolff, geb. am 22. Juni 1871 in Sürth, und ihr Ehemann Alexander Wolff wurden in Minsk ermordet. Die Schick sale zweier weiterer Brüder und zweier Schwestern so wie der Geschwister von Fran- ziska Kaufmann sind noch unbekannt. – Eva Acker/Erika Draeger Quellen: 1; 3; 4; 5; 8; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 25.04.04 Acker, Lissi; StaH, 621-1/85, 71, Konsul- entenakte; Interview mit Lissi Acker, Dez. 1990, Geschichtswerkstatt Barmbek; Private Familienunterlagen; Wamser/ Weinke: Eine verschwundene Welt, S. 236; IGDJ: Das Jüdische Hamburg, S.131, S.144; Meyer: Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden, S. 29, S. 51, S. 68ff, S. 206.

Franz Klein, geb. 18.7.1892, am 24.3.1943 nach Theresienstadt deportiert und am 29.9.1944 nach Auschwitz weiterdeportiert 32 Rübenkamp 78

Franz Klein kam als Sohn des jüdischen Ehepaares Maximilian und Malwine Klein, geb. Freud, in Budapest zur Welt. Zu einer Ingenieursausbildung zog es ihn nach Deutschland, wo er am 13. November 1922 an der Technischen Hochschule in Darmstadt sein Studium ab- schloss. Danach arbeitete Franz Klein bis Ende 1925 als Bauleiter in Heidelberg. Seit dem 1. Januar 1928 wohnte und arbeitete er in Hamburg. Sein neuer Ar beitgeber war die Elektro installa - teurs-Firma von Wilhelm Wolfson. Franz Kleins zukünftige Ehefrau, Marie Braker, stammte ebenfalls aus Ham - burg. Die 36-Jährige brachte eine Toch ter aus erster Ehe mit in die Be- ziehung. Am 14. April 1928 heirateten Der Rübenkamp nach der Bombardierung 1943 Franz und Marie in Hamburg und Geschichtswerkstatt Barmbek zogen kurz darauf in eine gemeinsa- me Wohnung am Rübenkamp 78. Seine Anstellung bei Wilhelm Wolfson endete schon am 31. Mai 1928. Das Röntgenwerk C. H. F. Müller AG wurde ab 1934 zu Franz Kleins neuem Arbeitgeber. Allerdings bezahlten sie ihm nur 450 RM im Monat, obwohl er Diplom-Ingenieur war. Dies lag nicht zuletzt an seiner jüdischen Herkunft. In dieser Firma war Franz Klein bis zum 31. März 1939 beschäftigt. Da- nach fand er bis zu seiner Deportation 1943 immer wieder kurzfristige Anstellungen. Marie Klein war evangelisch und dadurch ging das Ehepaar davon aus, dass es in einer soge- nannten privilegierten Mischehe lebte und Franz somit vor dem Zugriff der Gestapo ge- schützt war. Da das Ehepaar aber keine gemeinsamen Kinder hatte, galt es als „nichtprivile-

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gierte Mischehe“, die vielen Verfolgungsmaßnahmen unterlag. Deshalb wurde Franz Klein 1942 mit den Vorwürfen konfrontiert, er trage nicht den „Davidstern“, beziehe ungekürzte Lebensmittelkarten und besäße eine Kleiderkarte für Nichtjuden. Zudem wohne er noch immer in der gemeinsamen Wohnung im Rübenkamp, obwohl er eigentlich in die Rutsch - bahn, in eines der dortigen „Judenhäuser“, ziehen sollte. Marie Klein machte sich nun zunehmend Sorgen um ihren Ehemann und war bereit, mit ihm in die Rutschbahn zu ziehen, wenn ihm dies helfen sollte. Anfang 1943 bekam Franz Klein je doch einen Deportationsbefehl: Er sollte am 12. Februar nach Auschwitz deportiert wer- den. Nun suchte das Ehepaar Rat bei Max Plaut, dem damaligen Leiter des Jüdischen Reli - gions verbandes und Vorstand aller jüdischen Organisationen in Hamburg. Dieser erklärte den Eheleuten, es gebe für Franz Klein nur eine Hoffnung, und das sei die Abschiebung nach The re sienstadt. Damit sollte er vor dem Zugriff der Gestapo geschützt sein und in The re sien - stadt erschienen die Überlebenschancen größer als in Auschwitz. Bevor aber Franz Klein nach Theresienstadt deportiert werden konnte, tat sich noch ein Prob- lem auf. Für die „Abschiebung“ musste er geschieden sein. Nach zahlreichen Gesprächen und in der Hoffnung, sie könne ihn später in besseren Zeiten erneut heiraten, willigte Marie Klein schließlich „unter Tränen“ in die Scheidung von ihrem Mann ein. Tatsächlich war genau das Gegenteil der Fall: Ungeschieden wäre Franz Klein nicht deportiert worden, als Geschie dener stand ihm das Deportationsziel Theresienstadt zu, das jedoch die Durchgangsstation ins Ver- nichtungslager Auschwitz war. Dies wussten allerdings weder Max Plaut noch Marie Klein. Nun musste es schnell gehen, da niemand wusste, wie viele Transporte noch nach There sien - stadt gehen würden und der nächste bereits für den 24. März vorgesehen war. Vor dem Landgericht Hamburg wurde das Scheidungsverfahren verhandelt. Am 22. April 1943 erklär- te das Hamburger Landgericht die Ehe zwischen Marie und Franz Klein für ungültig. Zu die- sem Zeitpunkt befand sich Franz Klein bereits seit einem Monat im Getto Theresienstadt. Auch in Theresienstadt blieben die Eheleute so gut es ging in Kontakt. Marie schickte ihrem Ehemann kleine Lebensmittelpakete und animierte Freunde und Verwandte dazu, dies eben- falls zu tun. Erst mit seiner Deportation nach Auschwitz am 29. September 1944 brach der Kontakt zwischen dem Paar ab. Franz Klein starb in Auschwitz in einer Gaskammer. Nach seinem Tod machte Marie sich noch Jahrzehnte lang Vorwürfe, dass sie einer Scheidung letztlich doch zugestimmt hatte.

Franz Klein auf der Deportationsliste nach Theresienstadt ITS

Quellen: 2; 4; 5; 7; 8; StaHH 214-1, Gerichtsvollzieherwesen, 396; StaHH 314-15, OFP, R 1940/492; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 31.10.91 Klein, Maria; ITS/ARCH/Kartei Getto Theresienstadt/4997392#1 (1.1.42.2/THERES18/1162); ITS/ARCH/Transportlisten Gestapo (Hamburg)/11198433#1 (1.2.1.1/0001- 0060/0017G/0271); ITS/ARCH/Transportliste Gestapo/11197794#1 (1.2.1.1/0001-0060/0017A/0129); ITS/ARCH/Getto Theresienstadt, Transport zum Konzentrationslager Auschwitz/4958969#1 (1.1.42.1/ 0027/0039); Meyer: „Jüdische Mischlinge“, S. 88ff.

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Fritz Klein, geb. am 10.9.1901, am 24.6.1934 im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel gestorben 33 Langenrehm 14

Fritz Klein wurde als Sohn des Arbeiters Gustav Klein und dessen Ehefrau Auguste, geb. Schusster, im ostpreußischen Pikallen geboren. Vom sechsten bis vierzehnten Lebensjahr be - suchte Fritz die Volksschule und begann nach seinem Schulabschluss eine Malerlehre. 1920 bestand er seine Gesellenprüfung und zog vier Jahre später nach Hamburg, wo er eine An - stellung als Maler fand. Zudem begann er sich politisch zu engagieren und wurde Mitglied der KPD. Später wurde Fritz Klein Hauptkassierer der Roten Hilfe in Barmbek, einer politischen Hilfsorganisation für inhaftierte Genossen, die der KPD nahestand. Am 28. Januar 1928 heiratete Fritz Klein die 21-jährige Verkäuferin Mariechen Dorothea Elisa beth Griem. Sie war die Tochter von Max und Martha Griem und stammte aus Bramfeld. Ein Jahr später kam am 4. März 1929 ihre Tochter Inge Karla zur Welt. Die Familie wohnte im Langenrehm 14. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde die Rote Hilfe 1933 verboten, arbeitete je - doch illegal weiter. Auch Fritz Klein blieb weiterhin engagiert und musste nun sehr vorsichtig sein, denn die Mitglieder wurden politisch verfolgt. Am 8. Juni 1934 wurde Fritz Klein von der Gestapo verhaftet, als Begründung wurde „Vorbereitung zum Hochverrat“ angegeben. Im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel wurde Fritz Klein inhaftiert und vernom- men. Bei diesen Vernehmungen muss er schwer ge - Fritz Klein foltert worden sein, denn nur zwei Wochen nach Photoarchiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme seiner Verhaftung war Fritz Klein tot. Am 24. Juni 1934 teilte die Gestapo Mariechen Klein mit, dass ihr Mann gestorben sei. Angeblich hatte er sich erhängt. Die Leiche wurde beschlagnahmt und durfte nicht besichtigt werden. Schon einen Tag später, am 25. Juni, wurde sie im Krematorium Ohlsdorf eingeäschert, wobei auch die Gestapo anwesend war. Nach Fritz Kleins Tod geriet die Familie in finanzielle Not. Mariechen Klein bemühte sich immer wieder um Arbeit, um ihre Tochter ernähren zu können. Während dieser Zeit wuchs Inge bei ihren Großeltern auf. Letztlich überstand die Familie den Zweiten Weltkrieg, aber durch den Verlust ihres Ehemannes und Vaters mussten Mariechen und Inge mit zahlreichen Problemen allein fertig werden. Quellen: StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 04.03.29 Detjen, Inge; Diercks: Gedenkbuch „KOLA-FU“, S. 26f., S. 34; VVN, K 34 Klein, Mariechen; Totenliste Hamburger Widerstandskämpfer und Verfolgter 1933–1945.

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David Herz Hermann Kobritz, geb. 12.8.1865, deportiert am 17.7. / 19.7.1942 nach Theresienstadt, dort gestorben am 8.12.1944 34 Herbert-Weichmann-Straße 51 (Adolphstraße 51)

David Herz Hermann Kobritz wurde in Brody geboren. Über seine Eltern, seine Kindheit und Jugend ist uns nichts bekannt. Im Mai 1890 heiratete er in Brody Rosalia, genannt Rosa, Kleinmann, die am 23. Mai 1874 in Odessa geboren worden war. Ihr erstes Kind, die Tochter Eleonore/Leonora, kam im Dezem ber 1890 oder im Januar 1891 in Wien zur Welt. In Moskau wurden am 18. Juli 1894 die Tochter Juliette und am 12. Juli 1896 der Sohn Maximilian geboren. Es folgte Katharina, genannt Katja, die im Dezember 1897 in Odessa geboren wurde. Die beiden letzten Kinder kamen wieder in Moskau zur Welt, Richard am 27. September 1899 und Heinrich am 1. Novem ber 1903. Ungefähr seit 1906 lebte die jüdische Familie in Hamburg. Spätestens seit diesem Zeitpunkt ist in allen Unterlagen lediglich der Vorname Hermann angegeben. Hermann Kobritz betrieb als Kaufmann ein Ex- und Importgeschäft. Firmensitz war zunächst Raboisen 5, ab etwa 1914 Mönckebergstraße 9 und in den Jahren 1931/32 Spitalerstraße 16. Mindestens von 1912 bis 1919 unterhielt die Firma Hermann Kobritz gemäß Adressbucheintrag Niederlassungen in Moskau und Charbin. Die Firma wurde im September 1908 ins Handelsregister eingetragen. Am 4. März 1933 wurde der Eintrag „von Amts wegen gelöscht“. Für die Jahre 1933 bis 1935 wird als Firmensitz das Wohnhaus der Familie in den Adressbüchern angegeben. Dieses Haus kaufte Hermann Kobritz 1913. Es handelte sich um ein Einzelwohnhaus mit Gar ten in der Adolphstraße 51, in das die Fa- milie, die zuvor in der Schäferkampsallee 28 gewohnt hatte, einzog. Im Erdgeschoss des Hau ses befanden sich unter anderem ein Saal, ein Salon, ein Herrenzimmer und eine Terras - se. In den beiden Obergeschossen lagen meh- rere geräumige Zimmer. Im Keller befanden sich Küche und weitere Wirtschaftsräume. In der Beschreibung des zum Verkauf stehen- Die Villa in der Herbert-Weichmann-Straße 51, 2009 Privatbesitz den Hauses wurde ausgeführt: „Dieses Grund - stück verdient besondere Beachtung wegen seiner hübschen ruhigen Lage inmitten des besten Teils der Uhlenhorst und bequemer Ver bin- dung mit der Stadt durch Dampfschiff und Straßenbahn.“ 1926 war Hermann Kobritz Trauzeuge bei der Hochzeit seiner Tochter Katja in Hamburg, die zu diesem Zeitpunkt noch im Haus ihrer Eltern in der Adolphstraße lebte. Ab etwa 1930 hatte die Familie neben dem Haus in der Adolphstraße eine Wohnung in der Ge - meinde Ratekau, Timmendorfer Strand, Strandallee 41 a (später umbenannt in Timmendor fer

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Platz 5). Das Haus Adolphstraße 51 wurde1932 in ein Mehrfamilienhaus umgebaut. Nach dem Umbau wohnten in dem Haus mehrere Mieter. Hermann und Rosa Kobritz wohnten spätestens seit 1936 nicht mehr in Hamburg. Sie lebten nun in der Wohnung in Tim mendorfer Strand, bei der es sich um eine große 4-Zimmer-Wohnung handelte, die gut eingerichtet war. Im Februar 1942 wurde das Haus Adolphstraße 51, das bis dahin Hermann Kobritz gehört hatte, zwangsversteigert. Anfang der fünfziger Jahre schlossen die Kinder des Ehepaars Ko- britz als deren Erben vor dem Wiedergutmachungsamt beim Landgericht Hamburg einen Vergleich mit dem neuen Eigentümer des Grundstücks über eine Entschädigungszahlung. Hermann und Rosa Kobritz wurden am 17. Juli 1942 von ihrer Wohnung in Timmendorfer Strand aus deportiert. Über eine Sammelstelle in Lübeck wurden sie mit etwa 40 anderen Jüdinnen und Juden, die vorwiegend aus Kiel und Lübeck kamen, nach Hamburg gebracht und dem Transport zugewiesen, der am 19. Juli 1942 nach Theresienstadt fuhr. Dort kamen sie am 20. Juli 1942 an. Die Wohnungseinrichtung und der Hausrat des Ehepaars Kobritz wurden 1942 durch das Amtsgericht Schwartau versteigert. Der Versteigerungserlös wurde der Oberfinanzkasse in Kiel zugeleitet und an die Reichshauptkasse abgeführt. Hermann Kobritz starb am 8. Dezember 1944 in Theresienstadt. Rosa Kobritz hat überlebt. Sie kehrte am 2. August 1945 aus Theresienstadt zurück und wohnte zunächst einige Mo- nate bei ihrer Tochter und deren Ehemann, bevor sie in eine andere Wohnung umzog. Rosa Kobritz starb am 14. Januar 1947 in Hamburg. Alle sechs Kinder von Hermann und Rosa Kobritz haben den Nationalsozialismus überlebt. Die Tochter Katja war in Hamburg mit einem nichtjüdischen Mann verheiratet. Sie, ihr Mann und die zwei Söhne waren zahlreichen Repressalien ausgesetzt. Die anderen fünf Kinder leb- ten in den fünfziger Jahren in Frankreich, Holland, Australien, Venezuela und in den USA. Wann sie dorthin auswanderten ist nicht bekannt. – Ingrid Budig Quellen: 5; 8; StaHH 213-13, Landgericht Wiedergutmachung, Z 3818; StaHH 231-7, Amtsgericht Ham- burg - Handels- und Genossenschaftsregister, A1 Band 41; StaHH 332-5, Personenstandsunterlagen, 6646 + 293/1926; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 29.12.97 Brinkama, Katharina; StaHH 552-1, Jüdische Gemeinden, 992m Band 2; Landesarchiv Schleswig-Holstein, Abt. 510 Nr. 9699, Abt. 761 Nr. 17347; Wie- ner Stadt- und Landesarchiv; Bezirksamt Hamburg-Nord, Dezernat Wirtschaft, Bauen und Umwelt, Fach- bereich Bauprüfung, Akte Herbert-Weichmann-Str. 51; AB 1907, 1912 bis 1919, 1924, 1929, 1931 bis 1938, 1941, 1943.

Ida Kohn, geb. Grünhut, geb. 13.10.1874, am 25.10.1941 nach Lodz deportiert und dort am 20.4.1942 gestorben Gertrud Kohn, geb. 28.4.1897, am 25.10.1941 nach Lodz deportiert 35 Mundsburger Damm 26

Ida Kohn kam in Prag als zweitälteste Tochter des jüdischen Ehepaares Simon und Johanna Grünhut, geb. Jetmar, zur Welt. Simon und Johanna Grünhut hatten noch vier weitere Töchter: Adele, Gisela, Selma und Alice.

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Ida heiratete den österreichischen Kaufmann Isidor Kohn. Am 28. April 1897 wurde ihr ein- ziges gemeinsames Kind Gertrud in Jungbunzlau in Österreich geboren. Kurz nach Gertruds Geburt verstarb Isidor. Daraufhin zog Ida Kohn mit ihrer Tochter nach Deutschland. Mutter und Tochter Kohn verbrachten einige Jahre in Magdeburg, wo Gertrud die Luisen- schule, ein Gymnasium, besuchte, ehe sie nach Hamburg zogen. Hier bestand Gertrud 1917 ihr Abitur im Kloster St. Johannis am Holzdamm. Nach bestandenem Abitur begann Gertrud Kohn ein Studium der Geschichte, der Nationalökonomie, der Philosophie, der Mathematik und der Naturwissenschaften an den Universitäten Rostock, Berlin und Hamburg. An der Universität Hamburg war ihr Hauptfach Mittlere und Neu ere Geschichte bei Prof. Max Lenz und Prof. Friedrich Keutgen. Bei Prof. Ernst Cassirer studier- te sie Philosophie und National - öko nomie lehrte Prof. Heinrich Sieveking. Gertrud Kohn pro- movierte bei Prof. Otto Lauffer und Prof. Conrad Borchling an Urkunde von Gertrud Kohn zur Erlangung der Doktorwürde StaHH der Universität Hamburg am 19. Juni 1923 mit der Doktor- arbeit „Fried rich der Große in der Gesch ichtsschreibung Ran kes und der kleindeutschen His to- riker“. Sie bestand die schriftliche wie die mündliche Prüfung am 29. Juli 1922. Die zwei Frauen Kohn wohnten zusammen in einer Wohnung am Mundsburger Damm 26. Ida war verwitwet und Gertrud blieb bis an ihr Lebensende ledig. Zwischen dem 6. De zem - ber 1922 und dem 31. März 1923 arbeitete Gertrud Kohn als Bürogehilfin in der Konsu men - tenkammer, die 1919 initiiert und 1920 als rechtsfähige Kammer der Deputation für Handel, Schifffahrt und Gewerbe unterstellt wurde. Im März 1933 wurde diese Kammer von den Natio nalsozialisten aufgelöst. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten änderte sich das Leben der Familie Kohn radikal. Ida galt nicht als deutsche Staatsbürgerin, da sie in Prag geboren war und konnte nur mit Hilfe ihrer Schwester Adele ihr Leben finanzieren. Adele war rechtzeitig nach London emigriert und schickte ihrer Schwester Ida nun monatlich 200 RM. Ida und Gertrud Kohn zogen im Juli 1939 aus ihrer Wohnung am Mundsburger Damm aus und wohnten seither in der Parkallee 8. Zwischen März und Mai 1941 erhielten beide noch einmal finanzielle Unterstützung. Bekannte von Ida, das Ehepaar Kurt und Mary Schindler aus Prag, überwiesen monatlich 2000 Kronen an die Kohns. Ihr gesamtes Vermögen wurde zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen.

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Auf dem ersten Transport von Hamburg ins Getto Lodz am 25. Oktober 1941 befanden sich auch Ida und Gertrud Kohn. Im Getto bezogen sie die Wohnung Nummer 23 in der Reiterstraße 15. In der Anmeldekarte für das Getto wurde Gertruds Beruf mit Journalistin angegeben. Ob und wann sie diesen Be ruf ausgeübt hatte, ist ungeklärt. Ida Kohn starb am 20. April 1942 im Getto Lodz. Ihre Tochter Gertrud musste das Getto am 13. Mai 1942 verlassen. Wahrscheinlich wurde sie nach Chelmno gebracht und dort in einem Gaswagen ermordet. Quellen: 1; 4; 5; 8; StaHH 314-15, OFP, R 1939/3066; StaHH 364-13, Fakultäten, Phil Fak Prom A 2; StaHH 371-12, Konsumenten- kammer I, A II 3 Personalakte; USHMM, RG 15.083 300/17; ITS/ARCH/Getto Litzmann- stadt/1203239#1 (1.1.22.1/0007/0552); ITS/ARCH/Kartei Gestapo Hamburg/ 12425847#1 (1.2.3.2/GHH016/0089); ITS/ ARCH/ Transportliste Gestapo/ 11198203#1 (1.2.1.1/0001-0060/0017G/0041); Archivum Panstwowe, Lodz.

Anmeldekarte von Ida Kohn aus dem Getto Lodz Archivum Panstwowe, Lodz

Gabriel Jakob (Georg) Lehr, geb. 11.10.1861 in Posen, deportiert am 15.7.1942 nach Theresienstadt, dort am 6.9.1942 verstorben 36 Barmbeker Markt 37 (Am Markt 37)

Gabriel Jakob – genannt Georg – Lehr kam am 11. Oktober 1861 als Sohn der jüdischen Eheleute Abraham und Bertha Lehr in Posen zur Welt. Nach einem Medizinstudium erlangte er 1888 die Approbation und ließ sich im gleichen Jahr, zunächst als praktischer Arzt, in Ham - burg nieder. Seine Ehefrau war Hedwig, geboren am 31. März 1875 als Tochter von Simon Kaufmann und Paula, geb. Gumpertz. Georg und Hedwig Lehr bekamen zwei Söhne, Hans Walter wurde am 31. August 1895 geboren und Fritz Herbert am 6. Juni 1900. Die Zulassung für Georg Lehr zu allen Kassen erfolgte 1909. Etwa zu dieser Zeit verlegte er seine Praxis von den Colonnaden an den Markt in Barmbek, die Familie lebte in einer großen Wohnung mit 6 ½ Zimmern am Immenhof 16. Georg Lehr war inzwischen ein in Hamburg anerkannter HNO-Spezialist. Sein großer Erfolg mehrte das Vermögen, später erinnerten sich Zeitzeugen an eine kostbare, mit erlesenen Din gen ausgestattete Wohnungseinrichtung.

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Die Söhne des Ehepaars Lehr ergriffen andere Berufe. Hans Walter studierte Jura und war für die Hamburgische Gesandtschaft in Berlin tätig. Er kam im Alter von 30 Jahren bei einem Lawinenunglück in der Schweiz ums Leben. Der jüngere Bruder Fritz Her- bert, Doktor der Kunstgeschichte, leb - te ebenfalls in Berlin und litt sehr unter den Verfolgungen. Als er seine Tätig - keit als Redakteur 1936 aus „rassi- Häuserzeile Am Markt 35 bis 40 zwischen Farmsener Straße (heute Beimoorstraße) und Dehnhaide. Im Haus Nr. 37 be- schen“ Gründen verlor, entschied er fand sich auch das Postamt 22. Geschichtswerkstatt Barmbek sich für den Freitod. Die Eltern in Hamburg waren nun allein, sie hatten keine Enkel. Hedwig Lehr wurde bald sehr krank. Ihr Mann Georg Lehr verlor am 1. Januar 1938 die Kassenzulassung, am 30. Septem- ber wurde ihm wie allen anderen jüdischen Ärzten in Hamburg die Approbation entzogen. Kurz darauf – am 13. Oktober, zwei Tage nach seinem 77. Geburtstag – starb seine Frau. Ein ehemaliger Nachbar schrieb später, sie habe Brustkrebs gehabt. Das Ehepaar war etwa zwei Jahre zuvor in eine 3 ½-Zimmer-Wohnung in der Eppendorfer Landstraße 30 gezogen, die Georg Lehr bis 1941 weiter bewohnte. Im Juni 1939 legte ein Mitarbeiter des Oberfinanzdirektion, Devisenstelle, eine Akte zu Georg Lehr an mit dem Vermerk „Es erschien der obengenannte Dr. Lehr und überreichte anliegen- des Vermögensverzeichnis, wonach außer einer Leibrente nur geringe Vermögenswerte vor- handen sind. Daher keine Sicherheitsanordnung erforderlich.“ Das handschriftlich gefertigte Verzeichnis vom 1. Juni 1939 listete Werte in erstaunlich gerin- ger Höhe auf: RM 600 Goldpfandbriefe der Hamburgischen Hypothekenbank, 200 £ Ham - bur gische Staatsanleihe, 300 £ Brasilianische Staatsanleihe. Auf dem Girokonto bei der Deut - schen Bank, Filiale Hamburg, waren 233,14 RM und beim Postscheckamt Hamburg 1 147,89 RM. Hinzu kamen die Leibrente von 3614 RM per Anno und die Kassen vereini gungs - rente in Höhe von 95 RM, unterzeichnet von Dr. med. Gabriel Jacob Israel Lehr, Eppendorfer Landstraße 30 in Hamburg 20. Ein weiteres Schreiben vom Nordischen Assekuranzcontor an den Oberfinanzpräsidenten vom 20. Mai 1942 teilte mit: „Herr Dr. ... Lehr, wohnhaft in Hamburg 13, Beneckestraße 4, unterhält seit dem 9. Dezember 1938 durch uns bei der Baseler Lebensversiche rungs ge sellschaft eine Rentenversicherung, worauf er vierteljährlich eine Rente von RM 903,65 ausbezahlt be kommt.“ Nachgefragt wurden die Zahlungsmodalitäten, da nach einer neuen Information Baraus - zahlungen an Juden nicht mehr vorgenommen werden durften. „Der Rentner verlangt das Geld auf das Konto des Altersheims Dr. Simon, wo er wohnt. (...) Welche Zahlungsmöglichkeiten liegen für uns noch vor?“ Die Antwort lautete unter anderem:

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„Gegen Herrn Dr. Lehr habe ich eine S. A. nicht erlassen. Es bestehen da- her devisenrechtlich keine Be denken, dass Sie die Ren te an ihn in bar oder an das Alters heim zahlen.“ Der Vorgang wirft die Frage auf, was aus Georg Lehrs Vermögen geworden sein mag, von dem angenommen wer - den kann, dass es nicht un be trächt - lich gewesen und nicht allein durch Zwangsabgaben so stark reduziert worden ist. Die Leibrente könnte eine Erklärung sein, denn eine der we- nigen Möglichkeiten, dem Unrechts - staat Zu griff auf jüdische Ersparnisse zu entziehen, bestand bis 1941 darin, sie als einmalige Kapitaleinzahlung einer Lebensversiche rungs gesellschaft Handschriftliches Vermögensverzeichnis von Dr. Lehr, 1939 zu über schreiben gegen lebenslängli- StaHH che, unveräußerliche Leibrenten. Den Vertrag mit der Schwei zer Versicherung hatte er im Dezember 1938 abgeschlossen. Ab September 1941 musste auch Georg Lehr den „Judenstern“ tragen. Er zog in diesem Jahr von der Eppendorfer Landstraße vorübergehend in die Hallerstraße 72 und 1942 für kurze Zeit ins Jüdische Altenheim Beneckestraße 4. Hier erreichte ihn der Deportationsbefehl. Der Transport nach Theresienstadt fand für den fast 81-Jährigen am 15. Juli 1942 statt, wo er am 6. September des gleichen Jahres starb. – Erika Draeger Quellen: 1; 2; 3; 5; 8; StaHH 314-15, OFP, R 1941/223a; StaHH 314-15, OFP, 9 UA 8; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 731, Lehr, Georg; von Viliez: Mit aller Kraft verdrängt, S. 329; Bajohr: „Arisierung in Ham- burg“, S. 153ff., S. 369.

Jon Levie, geb. 10.9.1878, 1938 in die Niederlande emigriert und von dort am 21.9.1942 nach Auschwitz deportiert Hertha Levie, geb. Goldschmidt, geb. 11.3.1892, 1938 in die Niederlande emigriert und von dort am 21.9.1942 nach Auschwitz deportiert 37 Papenhuder Straße 22

Über die Herkunft Jon Levies ist nur wenig bekannt. Der niederländisch-jüdische Staatsbürger wurde in Hamburg geboren. Seine Eltern waren der Cigarrenfabrikant Tanchum (Theodor) Levie und Hannah Levie, geb. Ricardo-Rocamora. Er hatte einen sechs Jahre jüngeren Bruder namens Iwan.

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Seine spätere Frau Hertha wurde am 11. März 1903 als jüngstes von drei Kindern des Ehepaares Natan, genannt Louis, und Johanna Goldschmidt, geb. Mayer, geboren. Schwes - ter Irma wurde 1895, Hilde drei Jahre später geboren. Louis Goldschmidt betrieb in Krefeld ein Konfektionsgeschäft in der Hochstraße 128. Im Jahr 1904 zog Familie Goldschmidt nach Berlin und lebte dort im Stadtteil Schöneberg. In Hamburg war Jon Levie zuerst selbstständig und arbeitete später als Vertreter für Roh- tabak. Wann und wo sich Hertha und Jon kennenlernten, ist unbekannt. Nach ihrer Hochzeit zogen sie Anfang der zwanziger Jahre in die Papenhuder Straße 22. In den dreißiger Jahren zog das Ehepaar Levie in den Hofweg 45 und eröffnete dort in der 3. Etage die Pension „Holland“. Aufgrund zunehmender Anfeindungen und der stärker wer- denden Bedrohung durch die Nationalsozialisten entschloss sich das Ehepaar, in die Nie der - lande zu gehen. Louis Goldschmidt half seiner Tochter und seinem Schwiegersohn bei den Vorbereitungen zur Auswanderung. Ein großer Teil der Möbel wurde an die Nachbarin, Margarethe Seifert, verkauft, die zum 1. Dezember 1938 auch die Pension übernahm. Zu diesem Zeitpunkt lebte das Ehepaar Levie bereits in Amsterdam in der Pension „Otens“, Singel 52. Deswegen regelte Louis Goldschmidt alle Anträge bei der Devisen- und der Ver mö- gensverwertungsstelle. Die Möbel des Ehepaares lagerten im Januar 1939 noch immer bei der Speditionsfirma Carl Luppy im Eppendorfer Weg 155 und wurden erst im August in die Nie - derlande überführt. Außerdem verfügte das Ehepaar Levie noch über ein Vermögen von 1390 RM, welches auf einem Konto bei der Deutschen Bank ruhte. Louis Goldschmidt be mühte sich verzweifelt, das Geld in die Niederlande zu schaffen, doch das Deutsche Reich behielt es ein. 1941 lebten Jon und Hertha in einem Mehrfamilienhaus in Amsterdam in der Vossius stra ße 14. Dort wurden sie 1942 verhaftet und ins niederländische Durch gangs lager Westerbork ge bracht. Am 21. Sep tem ber 1942 erfolgte die Deportation nach Ausch witz, wo sie umkamen. Jon Levies Bruder Iwan wurde 1942 nach Auschwitz deportiert und kam dort ums Leben. Für ihn ist ein Stolperstein in der Bis- marck straße geplant. Louis Gold- schmidt beging nach dem Tod sei- ner Ehefrau am 31. Oktober 1942 in Berlin Selbstmord. Als einzige Karteikarte von Jon Levie aus dem Durchgangslager Westerbork ITS überlebte Irma Goldschmidt den Holocaust.

Quellen: 1; 2; 4; 5; 8; StaHH 314-15, OFP, FVg 5514; StaHH 314-15, OFP, R 1940/674; ITS/ARCH/Durch- gangslager Westerbork/5145028#1 (1.1.46.1/0005/0205); ITS/ARCH/Kartei Durchgangslager Westerbork/ 12768379#1 (1.2.4.2/LEGR-LEVIN-H/1912); Stadtarchiv Felsberg; Stadtarchiv Krefeld; http://www.joods- monument.nl/person-481905-nl.html, Zugriff am 14.6.2009.

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Albert Levisohn, geb. 17.3.1891, am 25.10.1941 nach Lodz deportiert und dort am 18.2.1942 gestorben Cilly Levisohn, geb. Magnus, geb. 31.12.1894, am 25.10.1941 nach Lodz deportiert und im Mai 1942 in Chelmno gestorben Rolf William Levisohn, geb. 11.9.1920, am 25.10.1941 nach Lodz deportiert und im Mai 1942 in Chelmno gestorben 38 Gluckstraße 24

Albert Levisohn wurde als Sohn des jüdischen Ehepaares William und Bertha Levisohn in Hamburg geboren. Seine spätere Ehefrau war die gebürtige Hamburger Jüdin Cilly Magnus, die Tochter von Adolf und Jenny Magnus. Albert und Cilly Levisohn lebten allein in ihrer Wohnung in der Gluckstraße 24, bis im Sep tember 1920 ihr erstes ge - meinsames Kind Rolf geboren wur de. Ihr Sohn war von Geburt an körperlich be - hindert, er litt an Kleinwuchs. Acht Jahre später kam im Februar ihre Tochter Ruth zur Welt. Die wirtschaftlichen Ver hält - nisse der Familie waren be scheiden. Albert Levisohn war als Frontkämpfer im Ersten Weltkrieg aktiv ge wesen und mit dem Hanseatenkreuz ausgezeichnet wor den. Nach dem Krieg machte er sich als Kaufmann selbstständig. Dann arbei- tete er als Buchhalter und später als Bü - cherrevisor bei der Firma Siegfried Hal - berstadt, Hohe Blei chen 31, und ver - diente dort durchschnittlich 350 RM im Ein Haus in der Gluckstraße in den 1930er Jahren Monat, mit de nen er seine Familie zu Geschichtswerkstatt Barmbek ernähren versuchte. Bis März 1935 besuchte Rolf Levisohn die Lichtwarkschule, eine bekannte reformpädagogi- sche Schule, die er verlassen musste, weil er jüdisch war. Seine ehemaligen Schulkameraden erinnerten sich später zwar noch an ihn, doch wirkliche Freunde besaß er dort nicht. Nach seiner Entlassung aus der Lichtwarkschule wechselte er zur Talmud Tora Schule, der orthodo- xen jüdischen Volks- und Oberrealschule in Hamburg. Im November 1938, kurz nach dem Novemberpogrom, wurde der 18-jährige Rolf Levisohn fest- genommen und zusammen mit rund 6000 jüdischen „Schutzhäftlingen“ aus dem gesamten Reich ins Konzentrationslager Oranienburg-Sachsenhausen gebracht. Dort erwarteten ihn zahl- lose Quälereien und Schikanen. So musste er unter anderem 24 Stunden lang re gungslos in eisi-

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ger Kälte ausharren oder im Laufschritt schwere Steine transportieren. Bei „Ungehorsam“ wur- den die Häftlinge zu stundenlangem Stehen vor einem elektrisch geladenen Stachel draht zaun ge zwungen. Rolf Levisohn berichtete, dass sich viele Häftlinge in den Zaun stürzten, nur um nicht mehr stehen zu müssen. Nach sechs Wochen Haft kehrte er nach Hamburg zurück. Spätes - tens seit diesen Erfahrungen konzentrierte sich Rolf Levisohn darauf, Deutschland zu verlassen. Da er schon über 18 Jahre alt war, bestand für ihn nicht mehr die Möglichkeit, mit einem Kin dertransport auszureisen. Insbesondere seine Mutter Cilly Levisohn bemühte sich sehr, Verwandte und Bekannte in der ganzen Welt zu kontaktieren, um ihren Sohn irgendwo un - terzubringen. Mehr Glück hatte seine damals elfjährige Schwester Ruth. Sie gelangte im Juni 1939 mit einem Kindertransport nach England und entging so weiterer Verfolgung. Zeit wei - se schien es so, als könne auch Rolf Levisohn mit Hilfe eines Schülerzertifikats zu Bekannten über Basel nach Palästina fliehen, doch alle unternommenen Schritte scheiterten. Das letzte Abitur an der Talmud Tora Schule fand im Schuljahr 1939/40 statt. Nur noch zwei Schüler waren übrig geblieben, die sich den Prüfungen stellten: Oskar Judelowitz und Rolf Levisohn. Im Fach Deutsch absolvierte Rolf Levisohn sein schriftliches Abitur zum Thema: „Un- glück selber taugt nicht viel, doch es hat drei gute Kinder: Kraft, Erfahrung, Mitgefühl“. Die Erinnerungen an seine Internierung im KZ Sachsenhausen, die Stigmatisierung durch seine Be hinderung und das Leben als Jude im Deutschen Reich beeinflussten seinen Abituraufsatz sicherlich zutiefst. Das Fazit seines Aufsatzes zeigt dies deutlich: „So dürfen wir wohl zusam - menfassend sagen, dass wohl das Unglück für den Menschen im Augenblick etwas Ent - setzliches ist, dass aber gerade durch das Unglück ein Mensch zur Vollkommenheit gelangt.“ Am 12. Januar 1940 bestand Rolf Levisohn die Reifeprüfung, die unter dem Vorsitz von Ober - schulrat Oberdörffer abgenommen wurde. Nach seinem Abitur bemühte sich Rolf Levisohn weiterhin um seine Auswanderung. Aus die- sem Grund gehörte er dem zionistischen Jugendbund Habonim an, mit dem er auch an Sommerlagern teilnahm und so etwas Abwechslung und Hoffnung erhielt. Zudem begann Rolf Levisohn eine Lehre in einer Lehrwerkstatt für Schlosserei, die zu der „Volks- und Höhe- ren Schule für Juden“ gehörte und ihren Sitz in der Weidenalle 10 b hatte. Dies war eine jüdische Einrichtung zur Förderung und Vorbereitung der Auswanderung nach Palästina. Bevor Rolf Levisohn mit seiner Ausbildung beginnen konnte, musste er dort zunächst eine Pro bezeit überstehen. Doch am 4. März 1940 erhielt sein Vater die Benachrichtigung, dass sein Sohn eine Ausbildung zum Schlosser beginnen könne. Henry Halle, ebenfalls Aus zu - bildender in der Schlosserei und ein Freund Rolfs, berichtete später, dass es Rolf Levisohn mit seiner Be hin derung in der Schlosserei oft nicht leicht fiel. Er sei wesentlich zierlicher und zer- brechlicher gewesen als die anderen Jungen dort. Deswegen habe man ihn an einen Schraubstock in der hin tersten Ecke gestellt, sodass er nicht von den anderen Auszu bilden - den angerempelt werden konnte. Im Oktober 1941 kam die Wende im Leben der Familie Levisohn. Sie erhielten die Auf for - derung, sich am 24. Oktober in der „Provinzialloge für Niedersachsen“ in der Moor weiden -

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straße einzufinden, von wo sie einen Tag später mit dem ersten Transport von Hamburg nach Lodz deportiert wurden. Die Fahrt dauerte insgesamt zwei Tage und führte in ein völlig über- fülltes Getto, in dem katastrophale Lebensbedingungen herrschten. Die Häuser, in denen die Bewohner leben mussten, besaßen keine sanitären Einrichtungen und waren zum größten Teil baufällig. Die hygienischen Bedingungen waren erschreckend, es herrschten Hunger, Typhus und rote Ruhr. Zudem fehlte es an Medikamenten, Kleidung und Heizmaterial. Familie Levisohn wohnte in der Rubensgasse 2 und Rolf Levisohn wurde als Schlosser in den Listen geführt. Vier Wochen nach der Ankunft der Familie in Lodz, am 18. Februar 1942, starb Albert Levisohn im Alter von 51 Jahren. Die Todesursache ist nicht bekannt. Ein Großteil der Gettobewohner erhielt im April die Aufforderung, sich zu medizinischen Untersuchungen einzufinden. Diese Nachricht löste Aufruhr unter den Bewohnern aus, wes- wegen sich auch nicht genügend Personen meldeten. Als Konsequenz daraus holte die SS einzelne Einwohner gewaltsam aus ihren Wohnungen. Am 25. April wurden auch Rolf und Cilly Levisohn abgeholt und zu einer Sammelstelle gebracht. Dort blieben sie acht Tage lang, wurden untersucht und erhielten einen Stempel auf den Brustkorb und eine Suppe. Am 4. Mai 1942 wurden Cilly und Rolf Levisohn nach Chelmno „ausgesiedelt“, was für sie den sicheren Tod durch Giftgas bedeutete. Zusammen mit anderen Bewohnern des Gettos Lodz wurden die beiden auf Lastwagen verladen und auf den Schlosshof von Chelmno gefahren. Dort wurde den Deportierten erzählt, sie würden in ein Arbeitslager nach Öster-

Gedenkblätter für Albert und Cilly Levisohn Yad Vashem (2)

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reich kommen und müssten vorher noch entlaust und gebadet werden, weswegen sie sich zu entkleiden hätten. Nach der Entkleidung wurden sie durch den Keller auf eine hölzerne Rampe geführt, an deren Ende ein Gaswagen stand. Die Möglichkeit zur Flucht war ausge- schlossen. Nachdem 30 bis 40 Personen in den Wagen gezwängt waren, wurden die Flügeltüren geschlossen. Schließlich wurde die Verbindung von Auspuff und Wageninnerem hergestellt und der Motor angestellt. Daraufhin waren Schreie und Stöhnen der Kinder, Frauen und Männer zu hören. Nach zehn Minuten verstummten diese Geräusche. Die Opfer wurden später in einem Massengrab in den Wäldern rund um Chelmno vergraben. Cilly Levisohn war 46 Jahre, ihr Sohn Rolf 21, als sie auf diese Art getötet wurden. Ihr wahrschein- liches Todesdatum ist der 5. Mai 1942. Quellen: 1; 4; 5; 8; StaHH 362-2/20, Lichtwarkschule, 45; Hochmuth/de Lorent: Hamburg: Schule unterm Hakenkreuz, S. 98; Louven: Stolpersteine in Hamburg-Wandsbek, S. 120; Offenborn: Jüdische Jugend, S. 837, S. 1211; Pritzlaff: Entrechtet – ermordet – vergessen, S. 16ff.

Jacob Rosenbacher-Levy, geb. 25.3.1867, Flucht in den Tod am 27.2.1942 Sara Levy, geb. Fehr, geb. 14.1.1868, Flucht in den Tod am 27.2.1942 39 Heinrich-Hertz-Straße 19

Der Kaufmann Jacob Levy kam als jüngster Sohn von Nachmann Jacob Levy und der gebürti- gen Pragerin Sophie, geb. Rosenbacher, in Hamburg zur Welt. Er hatte eine drei Jahre ältere Schwester, Anna, die am 30. Mai 1864 geboren wurde. Die Familie lebte bereits seit 1875 in der Sophienstraße 17, einer kleinen Privatstraße zwi- schen Mittelweg und Außenalster. Der Vater Nach- mann Jacob Levy war von Beruf Kaufmann und be - saß eine eigene Firma „Mobi lien-Lager, Holz- und Fournier=Handl“ mit Sitz in der Catharinenstraße 31 direkt am Fleet. Sophie Levy starb 1892 und ihr Mann folgte ihr im Jahr 1904. Danach wurde der Hausstand in dem ge - räumigen Stadthaus aufgelöst. Jacob Levy zog dar- aufhin in den Uhlenhorster Weg 37 in seine erste eigene Wohnung. Seine spätere Frau, Sara Fehr, war die Tochter von Salomon und Johanna, geb. Behrens, und stammte eigentlich aus Braunschweig. Jacob und Sara heira- teten am 23. März 1906 in Berlin, Charlottenburg. Heinrich-Hertz-Straße 19, 2009 Privatbesitz Nach ihrer Hochzeit zogen sie nach Hamburg in eine gemeinsame Wohnung in der Heinrich-Hertz-Straße 19. Das jüdische Ehepaar hatte keine Kinder.

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Nach 30 Jahren in ihrer Wohnung in der Heinrich-Hertz-Straße wurde das Ehepaar aufgefor- dert, zum 1. März 1936 umzuziehen. Dieser Aufforderung kamen sie nach und zogen in die Leipziger Straße 19, heute eine Verlängerung der Heinrich-Hertz-Straße. Mit ihren neuen Nach barn hatten sie kaum Kontakt. Als im Februar 1942 ein weiteres Schreiben der Gestapo die Levys erreichte, in dem sie aufgefordert wurden, ihre Wohnung zum 1. März zu räumen, entschloss sich das Ehepaar, sich das Leben zu nehmen. Zu diesem Zeitpunkt waren beide 74 Jahre alt. Am Abend des 26. Februar 1942 warfen sie den Schlüssel zu ihrer Wohnung in den Brief - kasten des Büros ihres Rechtsanwaltes Samson in der Ferdinandstraße 76; Samson war zu - gleich ihr Testamentsvollstrecker. Der Anwalt entdeckte am nächsten Morgen den Haus tür- schlüssel und ging direkt zum Polizeirevier, da er bereits annahm, die Eheleute hätten Suizid begangen. Zusammen mit einem Hauptwachtmeister fuhr der Anwalt zur Wohnung der Levys. In der Wohnung fanden beide dann die Eheleute. Jacob Levy saß auf einem Sessel, seine Frau Sara lag daneben auf dem Fußboden. In der Küche lagen vier leere Hülsen Veronaltabletten. Da - raufhin wurde der jüdische Arzt Berthold Hannes gerufen. Dieser diagnostizierte eine Vero - nal vergiftung und ordnete eine Überführung ins Israelitische Krankenhaus in der Johnsallee 54 an, denn noch waren beide Eheleute am Leben. Samson kümmerte sich um die Sicherung der Wohnung und den Nachlass des Ehepaares Levy. Die Ehefrau des Hauswarts aus der Leipziger Straße gab bei der Vernehmung folgendes zu Protokoll: „Zu den Eheleuten Levy kam hin und wieder eine Reinemachefrau, wie sie heißt und wo sie wohnt, kann ich nicht sagen. Die Wohnung Levy liegt über der unseren. Gestern, Donnerstag, wurde um 22 Uhr in der Wohnung Levy Klavier gespielt. So gegen 23:30 Uhr hörten wir Möbelstücke von vorn nach der nach hinten gelegenen Küche tragen. Hier im Haus war allgemein bekannt, dass die Eheleute Levy ihre Wohnung räumen sollten. Um die- sem aus dem Weg zu gehen, werden sie wohl übereingekommen sein, freiwillig aus dem Leben zu gehen.“ Jacob Levy verstarb noch am 27. Februar. Seine Frau Sara folgte ihm wenige Tage später am 1. März 1942. Jacobs Schwester Anna Levy beging ebenfalls Selbsttötung, sie starb am 15. Juli 1942 an einer Schlaftablettenvergiftung. Quellen: 1; 4; 5; 8; StaHH 314-15, OFP, R 1941/181; StaHH 331-5, 3 Akte 378; StaHH 331-5, 3 Akte 377; Sparr: Stolpersteine in Hamburg-Winterhude, S. 141.

Hans Lieber, geb. 29.4.1890, am 20.2.1945 im Zuchthaus Celle gestorben 40 Von-Essen-Straße 82 (ehemalige Volksschule)

Der Sohn eines Angestellten entstammte kleinbürgerlichen Verhältnissen und trat im Alter von 15 Jahren nach seinem Schulabschluss in das Lehrerseminar ein. 1911 wurde Hans Lieber

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Hilfslehrer, vier Jahre später bekam er eine Festanstellung an der Volksschule „Von-Essen-Straße“. Noch im selben Jahr, in dem er seine Festanstellung erhielt, zog Hans Lieber als Soldat in den Ersten Weltkrieg. Doch schon nach einem halben Jahr wurde er aufgrund einer Ver - letzung kriegsunfähig. Nach der Rückkehr aus dem Krieg trat Hans Lieber wieder seine alte Stellung an der Volks schule

in Barmbek an und unterrichtete dort Englisch, Biologie und Hans Lieber HLZ Chemie. Neben diesen Fächern bemühte er sich, seinen Schülern seine Vorliebe für den Sport, insbesondere das Wandern, nahezubringen. Während der Weimarer Republik war Hans Lieber Mitglied in der Lehrergewerkschaft „Ge - sell schaft der Freunde“, welche vor allem sozialdemokratische Mitglieder hatte. Trotzdem traten viele der Kollegen 1933 dem NS-Lehrerbund bei, so auch Hans Lieber. Der Zweite Weltkrieg beeinflusste auch Hans Liebers Arbeit. 1941 musste er im Rahmen der Kinderlandverschickung seine Schulklasse ins sichere Oberbayern begleiten und dort unter- richten. Das Schulgebäude wurde unterdessen für kriegswichtige Einrichtungen genutzt. Bei der Bombardierung Hamburgs im Sommer 1943 wurde Barmbek stark zerstört. Sowohl die Volksschule „Von-Essen-Straße“ als auch Hans Liebers Wohnung im Eilbektal 24 brannten aus. Nach seiner Rückkehr aus Oberbayern wurde Hans Lieber als Vertrauenslehrer für Luft waf - fen helfer im Kreis Harburg eingesetzt. Seine Schüler bedienten Flak-Geschütze, was Hans Lie ber in einen tiefen inneren Konflikt stürzte und ihn am Sinn des Krieges zweifeln ließ. Diese Zweifel führten letztlich zu der Äußerung, die ihn sein Leben kostete. Im Kreis seiner Schüler äußerte Hans Lieber im Winter 1943/44 Zweifel am Endsieg der Na tio - nalsozialisten. Damit gerieten die Schüler nun ihrerseits in einen Gewissenskonflikt. Ein Schü ler meldete die Äußerung einem Leutnant der Flak-Batterie. Daraufhin wurde Hans Lieber ange- zeigt und der Vorfall gelangte zur Gestapo-Stelle in Harburg. Nun galt Hans Lieber als „Wehrkraftzersetzer“ und wurde im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel inhaftiert, ehe er zu seiner Verhandlung nach Berlin-Plötzensee verlegt wurde. In Berlin verurteilte ihn der Volksgerichtshof zu fünf Jahren Zucht- haus, die er im Zuchthaus Celle verbüßen sollte. Im August 1944 beteuerte Hans Lieber in seinem Lebenslauf an die Zuchthausbehörde in Celle, er sei nie politisch aktiv gewesen. „Ich habe mich vor 1933 niemals politisch be- tätigt, habe keiner Partei oder Loge angehört. Ich gehöre seit 1933 dem NS-Lehrerbund und dem NS-Reichsbund für Leibesübungen an und bin seit 1936 ehrenamtlich in der NS- Ge meinschaft Kraft durch Freude tätig. Ich bin seit Mai 1937 Hans Lieber im Zuchthaus Celle Mitglied der NSDAP.“ HLZ

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Am 20. Februar 1945, fünf Tage nach der Inhaftierung im Zuchthaus Celle, starb Hans Lieber an den Folgen eines unzureichend behandelten Erschöpfungszustandes. Zu diesem Zeitpunkt war er gerade 54 Jahre alt. Er wog nur noch 58 kg und wurde als nicht „moorfähig“, wohl aber als „kommandofähig“, eingestuft. Nach seinem Tod wurden seine Kleider verbrannt. Hans Liebers Familie, seine Ehefrau und seine Tochter, erhielten eine kurze Mitteilung über seinen Tod. 1946 wurde Hans Liebers Urne auf dem Friedhof Ohlsdorf beigesetzt. Bei der Beerdigung hielt der Schulleiter der Volksschule „Von-Essen-Straße“ eine kurze Ansprache für seinen ehe maligen Kollegen. Quellen: Hamburger Lehrerzeitung 11/83; Hochmuth/de Lorent: Hamburg: Schule unterm Hakenkreuz, S. 256ff.

Andreas London, geb. 24.1.1882, am 26.2.1943 deportiert nach Theresienstadt und dort am 18.1.1944 gestorben 41 Friedrichsberger Straße 35

Andreas London wurde als ältestes Kind des jüdischen Ehepaares Adolf und Marianne Lon - don, geb. Os, in Lingen geboren. Einige seiner jüngeren Geschwister waren Sophie, Moritz, Elise und Ottilie. Beide Eltern verstarben Anfang der zwanziger Jahre. Schon von Geburt an litt Andreas London an einer Augenkrankheit und an einer körper- lichen Missbildung. Deswegen benötigte er Zeit seines Lebens Unterstützung. Außerdem be - suchte er lediglich zwei Jahre lang die Volksschule, da er bereits fast erblindet war. Lesen und Schreiben erlernte er nie, sodass er auch keinen Beruf ergreifen konnte. Im Jahr 1904 bekam er einen Pfleger zugesprochen, der ihm helfen sollte. Dieser traf Andreas London jedoch nur selten zu Hause an. Da er keinen richtigen Beruf ausüben konnte, bemühte sich London, mit einem Hausierhandel Geld zu verdienen und war meist unterwegs. Zeitweise schlief Andreas London bei seiner Tante auf einer Couch. Seine Eltern, die ein klei- nes Geschäft besaßen, hätten ihn vielleicht unterstützen können, doch sie schienen keinen Platz für ihn zu haben. Die Nachbarn beklagten sich mehrfach über Andreas London. Man warf ihm vor, er sei ein Betrüger. Seit 1908 war er vollständig erblindet und fortan auf Fürsorge angewiesen. Deswegen bezog er bis Dezember 1915 auch Armenhilfe, die zwischen 12 und 20 Mark monatlich betrug. Zu- dem erhielt er mehrmals Geld aus Stiftungen. Mit seinem Freund Berthold Freundlich verließ Andreas London Hamburg. Die beiden wollten eigentlich in Berlin ihr Glück versuchen und dort in den Handel einsteigen. Da dies jedoch nicht funktionierte, kehrten sie schon nach we nigen Tagen ohne Geld in ihre Heimatstadt zurück. Ab Januar 1915 sollte Andreas London in das Werk- und Armenhaus eingeliefert werden. Jedoch weigerte er sich und erschien dort nie. Andreas London wurde immer wieder wegen kleinerer Straftaten festgenommen und verur- teilt. So musste er erstmals 1913 für sechs Monate ins Gefängnis, aufgrund eines Sitt lich -

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keitsverbrechens. Drei Jahre später wurde er noch einmal zu einem Jahr und neun Monaten wegen Hehlerei verurteilt. Während seiner Haftstrafen bezog eine seiner Schwestern die für ihn bestimmte Armenhilfe. Dies war Betrug und wurde auch geahndet. Im Jahr 1914 wohnte Andreas London kurzzeitig bei einer Bekannten im Bäckerbreitergang 76. Zu diesem Zeitpunkt kannte er wohl schon seine zukünftige Ehefrau Dora Plackmeyer, die evangelisch war. Am 7. Juli 1915 heiratete Andreas Lon - don die acht Jahre ältere Dora Plack - meyer. Diese unterstütze fortan ihren Ehemann bei seinem zumeist illegalen Handel. Dies änderte sich jedoch ab dem Jahr 1931, da Dora London er - krankte. 1935 zog das Ehepaar London in die Die Friedrichsberger Straße in den 1950er Jahren Geschichtswerkstatt Barmbek Friedrichsberger Straße 35. Im De zem- ber desselben Jahres erlitt Dora Lon - don einen schweren Unfall, bei dem sie sich vier Rippen brach und im Allgemeinen Kranken - haus Barmbek behandelt werden musste. Wann genau sie verstarb, ist unklar. Jedoch muss sie vor der Deportation ihres Mannes verstorben sein, denn zu diesem Zeitpunkt wurde er als Wit- wer geführt. Die letzte Adresse von Andreas London lag in der Beneckestraße 6. Von dort aus wurde er am 26. Februar 1943 in das Getto Theresienstadt deportiert, wo er am 18. Januar 1944 starb. Ein ähnliches Schicksal erlitt auch seine Schwester Sophie, die ebenfalls in There sien - stadt ums Leben kam. Quellen: 1; 4; 5; 7; 8; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 24.01.82 London, Andreas.

Emilie Löwenstein, geb. 19.4.1875, deportiert am 15.7.1942 nach Theresienstadt, am 21.9.1942 nach Treblinka weiterdeportiert 42 Papenhuder Straße 27

Als eines von drei Geschwistern wurde Emilie Löwenstein in Uelzen geboren. Ihre Eltern Jacob und Cecilie, geb. Esberg, bekamen noch zwei weitere Kinder, Carl und Selma. Nach dem Tod von Jacob Löwenstein zog die Familie in eine kleinere Wohnung um. Anfang der zwanziger Jahre verstarb auch Cecilie Löwenstein und die Geschwister, die bis dahin noch alle zusammengelebt hatten, zogen aus der gemeinsamen Wohnung aus. Im Jahr 1929 entschied sich Emilie Löwenstein, nach Ham burg zu gehen und dort zu leben und zu arbeiten. In der Papenhuder Straße 27 fand sie eine eigene kleine Wohnung und blieb dort bis 1935. Im Warenhaus der Gebrüder Als berg fand Emilie Löwenstein eine An-

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stellung als Verkäuferin und stieg zur Einkäuferin auf. Dadurch besaß sie ein gutes Ein kom - men und konnte problemlos für sich sorgen. Gehei ratet und eine Familie gegründet hat Emilie Löwenstein nicht. Ihr Neffe Julius Neuhaus erinnerte sich später an das Erschei nungs- bild seiner Tante: „Sie war stets modisch und elegant angezogen und trug wertvollen Schmuck, der zum Teil von der Mutter ererbt war.“ 1935 ging Emilie Löwenstein in Rente und damit änderten sich auch ihre finanziellen Mög - lichkeiten. Von ihrer kleinen Rente konnte sie gerade die Miete zahlen. Zudem musste sie 1935 aus ihrer Wohnung ausziehen und sich ein neues Zuhause suchen. Bis 1939 wohnte sie unter annähernd einem halben Dutzend Adressen bis sie schließlich in der Bornstraße 22, in einem sogenannten Judenhaus unterkam. Am 15. Juli 1942 wurde Emilie Löwenstein ins Getto Theresienstadt deportiert und im Sep- tember desselben Jahres in das Vernichtungslager Treblinka weiterdeportiert. Dort wurde sie in einer Gaskammer umgebracht. Auch ihre Geschwister Carl und Selma Löwenstein starben im Holocaust. Quelle: 1; 4; 5; 7; 8; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 19.04.75 Löwenstein, Emilie; Juth: Bornstraße 22, S. 97.

Julius Löwenstein, geb. 2.4.1881, am 8.11.1941 nach Minsk deportiert und dort verschollen Marianne Martha Löwenstein, geb. Bielefeld, geb. 13.8.1884, am 8.11.1941 nach Minsk deportiert und dort verschollen Ilse Löwenstein, geb. 21.9.1924, am 8.11.1941 nach Minsk deportiert und dort verschollen 43 Humboldtstraße 56

In der Baustraße in Hameln wuchs Julius Löwenstein als Sohn der jüdischen Eheleute Moses und Sara auf. Seine zukünftige Ehefrau Martha war gebürtige Hamburgerin und die Tochter von Hermann und Jeanette Bielefeld. Gemeinsam lebten beide in Hamburg in ihrer Woh - nung in der Rutschbahn 25 a. Ihre erste Tochter Margot wurde am 25. Dezember 1914 geboren und am 21. September 1924 folgte ihre zweite Tochter Ilse. Julius Löwenstein war ge lernter Konditor und eröffnete 1925 seine eigene Konditorei mit Café im Stroh hause. Nach ein paar Jahren muss te er dieses Geschäft jedoch aufgeben, da es sich nicht rentierte. Er verlegte den Betrieb in die Humboldt straße 54, wo er eine neue, kleinere Kon ditorei führte. Doch auch hier konnte er sich nicht lange hal- ten. Durch die andauernde Weltwirtschaftskrise und die damit verbundene steigende Arbeitslosigkeit blieben die Kunden aus. Schließlich schloss Julius Lö wenstein am 7. Juli 1932 sein Geschäft für immer und lebte seitdem von der Fürsorgeunter stützung. Seine Frau Martha Löwenstein war zwar gelernte Friseurin, allerdings ebenfalls erwerbslos. Die Töchter Margot und Ilse verlebten trotzdem eine glückliche Kindheit in der Weimarer Re- publik. 1921 wurde Margot eingeschult und blieb bis zu ihrem 13. Lebensjahr in der Privat -

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schule in der Johnsallee bei Dr. Lö wen- berg. Anschließend besuchte sie für zwei Jahre die Jüdische Mädchen schule in der Carolinenstraße. Zu Ostern 1931 wurde auch Ilse eingeschult und blieb bis 1939 auf der Volksschule. Margot Löwenstein bekam nach ihrer Schul zeit eine Lehrstelle bei der Firma Freundlich, die an der Ecke Neuer Wall/ Poststraße ihren Sitz hatte. Dort erlernte sie den Beruf einer Verkäu ferin. 1934 fand sie eine Anstellung im Modehaus Alsterdamm, wurde jedoch schon ein Jahr später aufgrund ihrer jüdischen Re- ligion entlassen. Danach fand sie keinen Arbeits platz mehr und beschloss des- Die Humboldtstraße in den 1920er Jahren Geschichtswerkstatt Barmbek halb, in die Niederlande auszuwandern. Dort konn te sie bei einer holländischen Familie unterkommen, der sie für Kost und Logis im Haushalt half. 1936 kehrte Margot Löwenstein nach Hamburg zurück, weil ihre Mutter Martha erkrankt war. Margot bemühte sich um eine Arbeitserlaubnis und erhielt letztendlich eine Erlaubnis für Arbeiten im Haushalt. Bis zum Ende des Jahres 1938 konnte sie so bei Katzenstein in der Grindelallee im Haushalt aushelfen. Anfang 1939 emigrierte Margot nach Großbritannien, wo sie Kurt Rosen, einen britischen Soldaten, heiratete und mit ihm in London lebte. Noch im selben Jahr am 17. Dezember kam ihr einziges Kind, Dennis Winston, zur Welt. In Hamburg hatte Julius Löwenstein seit 1935 eine Arbeit als Provisionsreisender gefunden. Nach dem Novemberpogrom erhielt er eine Anstellung als Konditor bei Hellmann’s Gast stät- ten. Trotzdem reichte das Gehalt kaum aus, um die Familie zu ernähren. Zu Ostern 1939 verließ Ilse Löwenstein die Schule und bemühte sich um eine Lehrstelle. Da sie Jüdin war, gab ihr kein Arbeitgeber einen Ausbildungsplatz. Schließlich fand sie im Mai 1940 eine Anstellung als Arbeiterin und war dort bis zu ihrer Deportation tätig. Familie Löwenstein musste in ihren letzten Jahren in Hamburg, wie viele andere jüdische Fa- milien auch, häufig umziehen. Ihre letzte Adresse lag in der Grindelallee 21, wohin auch der Deportationsbefehl für den 8. November 1941 geschickt wurde. An diesem Tag wurden Julius, Martha und Ilse Löwenstein ins Getto nach Minsk deportiert und gelten seither als verschollen. Margot Löwenstein überlebte als einziges Familienmitglied den Holocaust. Sie verstarb am 25. Dezember 1957 in einem Londoner Krankenhaus.

Quellen: 1; 4; 5; 8; StaHH 314-15, OFP, Abl. 1998, J 2/539; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 25.12.14 Rosen, Margot.

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Paul Lucht, geb. 13.1.1899, inhaftiert 1939–1940, gestorben am 19.1.1942 KZ Neuengamme 44 Mozartstraße 6a

Der am 13. Januar 1899 in Hamburg geborene Paul Lucht versuchte sich als Musiker, Schau - steller, Hausierer und Arbeiter seinen Lebensunterhalt zu verdienen, was ihm nicht in ausrei- chendem Maße gelang, sodass er auch durch Betteln und kleinere Diebstähle zu überleben versuchte. Das führte dazu, dass er zwischen 1922 und 1937 zu insgesamt 28 Geld- und Ge- fängnisstrafen wegen Eigentumsdelikten, Gewerbevergehens, Hausfriedensbruchs und Bet- telns verurteilt wurde. Im Frühjahr 1936 kam zudem eine Verurteilung unbekannten Straf- maßes wegen „Verbreitung unzücht[iger]. Schriften“ hinzu. Im Zusammenhang mit einem „Vergehen gegen den § 175“ wurde er erstmals vom 7. bis 15. November 1939 vom 24. Kriminalkommissariat im KZ Fuhlsbüttel inhaftiert. Daran schlos- sen sich eine Untersuchungshaft und – nach Verurteilung am 9. Februar 1940 vom Amtsge - richt Hamburg zu einer neunmonatigen Gefängnisstrafe nach § 175 – Aufenthalte in den Strafgefängnissen Altona und Glas moor an. Nach seiner Strafverbüßung am 5. August 1940 wurde Paul Lucht zur Kripo Hamburg überstellt und vermut- lich ohne wieder in Freiheit zu gelangen im November 1940 ins KZ Neuengamme eingewiesen, wo er die Häft lingsnum - mer 3363 tragen musste. Für den 19. Januar 1942 wird dort sein Tod ver merkt. – Bernhard Rosenkranz/Ulf Bollmann Quellen: StaHH, 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen, 1351/37 und 4478/38; StaHH, 213-8 Staatsanwaltschaft Oberlandesgericht – Verwaltung, Abl. 2, 451 a E 1, 1 d; StaHH, 242-1 II Gefäng- nisverwaltung II, Ablieferungen 13 und 16; B. Rosenkranz/U. Bollmann/G. Lorenz: Homosexuellen-Verfol- gung in Hamburg 1919–1969, S. 233. Foto: Thomas Seelig

Max Bernhard Kurt Lübcke, geb. 1.6.1899, inhaftiert 1940–1941, 1943, Selbstmord am 30.4.1943 Polizeirevier Hachmannplatz 45 Hartwicusstraße 3

Max Lübcke kam in Hof Redefin in Mecklenburg als Sohn des Landgestütsdieners Georg Lüb - cke und der Friederike, geb. Krüger, zur Welt. Als Berufsbezeichnung gab er Dekorateur an, vor seiner letzten Verhaftung arbeitete er als Reichsangestellter beim Flakstützpunkt in der Kaserne Osdorf. Am 24. Februar 1940 war Max Lübcke erstmals wegen homosexueller Handlungen in die Fän ge der Kriminalpolizei geraten. Er war bis zum 29. Februar 1940 in „Schutzhaft“ im KZ Fuhlsbüttel und anschließend bis zu seinem Prozess in Untersuchungshaft. Am 10. April 1940

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wurde er vom Amtsgericht Hamburg wegen „widernatürlicher Unzucht in zwölf Fällen“ zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Aus dem Urteil: „Es handelt sich bei dem Angeklagten um einen Mann, der in sexueller Hinsicht sich zu allen Verirrungen verleiten lässt und hemmungs- los sich seinen geschlechtlichen Verirrungen hingibt.“ Am 29. April 1943 wurde Max Lübcke von einem Kriminalsekretär des 24. Kriminalkommis- sariats bei einer Razzia in der öffentlichen Bedürfnisanstalt Lan ge Reihe/Ecke Spadenteich erneut verhaftet, nachdem er mit einem Flaksoldaten in fla- granti erwischt worden war. Nach ersten Verhören im 44. Polizeirevier der Bahnhofswache am Hachmannplatz nahm sich Max Lübcke in seiner Arrest zelle in der Nacht zum 30. April 1943 das Leben. Ein von seinem Tod benachrichtigter Onkel lehnte die Übernahme der Beerdigung mit den Worten „Von dem Verstorbenen haben wir uns alle losgesagt gehabt, weil er leichtsinnig war“ ab. – Bernhard Rosenkranz/Ulf Bollmann Quellen: StaHH, 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen, 1247/41; StaHH, 331-5 Polizeibe- hörde – Unnatürliche Sterbefälle, 910/43; StaHH, 213-8 Staatsanwaltschaft Oberlandesgericht – Verwal- tung, Abl. 2, 451 a E 1, 1 e; StaHH, 242-1 II Gefängnisverwaltung II, Ablieferung 16; B. Rosenkranz/U. Bollmann/G. Lorenz: Homosexuellen-Verfolgung in Hamburg 1919–1969, S. 234.

Esther (Elise) Mansfeld, geb. David, geb. 27.9. oder 15.10.1854, deportiert am 23.6.1943 nach Theresienstadt, dort gestorben am 2.10.1943 46 Hofweg 9

Ihr „offizieller“ Vorname war Esther – gerufen wurde sie aber immer Elise. Sie wurde in Gro- ßendorf, heute Rahden/Kreis Minden-Lübbecke in Nordrhein-Westfalen, geboren. Ihre Eltern waren Ascher David und seine Frau Mina, geb. Leeser. Ihr Vater arbeitete als Handelsmann und Metzger. Er unternahm mehrmals Reisen, „um Handelsgeschäfte zu verrichten“, z. B. „nach Tecklenburg über Osnabrück“. Dafür wurden ihm die damals erforderlichen Pässe aus- gestellt. Elise hatte eine ältere Schwester, die aber im Alter von vier Jahren starb. Von ihren fünf jüngeren Geschwistern starben zwei im Säuglingsalter. Elise besuchte in Großendorf die Schule. Etwa 1864 oder 1865 verließ die Familie Großendorf. Wohin sie von dort aus verzog, ist nicht bekannt. Ab März 1874 lebte die jüdische Familie David in Hannover. Am 2. Januar 1879 heiratete Elise David, die jetzt 24 Jahre alt war, den drei Jahre älteren Albert Mansfeld. In der Heiratsurkunde ist zu ihr vermerkt „ohne besonderes Geschäft“, sodass wohl anzunehmen ist, dass sie nicht berufstätig war. Sie zog von der elterlichen Wohnung am Engelborsteler Damm 2 in die Wohnung ihres Ehemanns am Engelborsteler Damm 74, der dort eine Tabak- und Zigarrenhandlung betrieb.

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Erste Seite der Heiratsurkunde von Elise und Albert Mansfeld:

„Hannover, am zweiten Januar tausendachthundertsiebenzi- gundneun Vor dem unterzeichneten Stan- desbeamten erschienen heute zum Zweck der Eheschließung:

1. Der Kaufmann Albert Mans feld, der Persönlichkeit nach durch die nachbenannten beiden Zeugen anerkannt, mosaischer Religion, geboren den fünfzehnten September des Jahres tausendachthundert- fünfzigundein zu Wustrow, wohnhaft zu Hannover, Engel- borstelerdamm Nr. 74, Sohn der Eheleute: verstorbener Kaufmann Marcus Mansfeld und Hannchen, geborene Cohn, erster zuletzt, letztere noch wohnhaft zu Wustrow, Amt Lüchow

2. die Esther, gerufen Elise, David, ohne besonderes Ge- schäft, der Persönlichkeit nach durch die nachbenannten beiden Zeugen anerkannt, mosaischer Religion, geboren den 15. Oktober des Jahres tausendachthundertfünfzigund- vier zu Grossendorf, Kreis Rahden, wohnhaft zu Hannover, Engelborstelerdamm Nr. 2, Tochter der Eheleute: Handels- mann Ascher David und Minna, geborene Leeser, beide wohn- haft zu Hannover“

Vermerk am linken Rand des Dokuments (hier nicht zu sehen): „Hannover, den 16. Juli 1955 Die Frau Mansfeld ist am 2. Oktober 1943 in Theresienstadt verstorben. Sterbebuch 588, 1955 des Sonderstandesamts Arolsen, Kreis Waldeck. …“ Stadtarchiv Hannover

Am 14. November 1879 wurde das erste Kind geboren, der Sohn Paul. In seiner Ge burtsur - kunde ist vermerkt, „… daß von der Esther, gerufen Elise, Mansfeld, geborene David, Ehe - frau des Kaufmanns Albert Mansfeld, beide mosaischer Religion, wohnhaft bei ihrem Ehe- manne, zu Hannover, Engelborsteler Damm 74, in der Wohnung ihres Ehemannes … ein Kind

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männlichen Geschlechts geboren worden sei, welches die Vornamen Marcus Paul erhalten habe. …“. Am 28. August 1881 wurde das zweite Kind, die Tochter Bertha, geboren. Es folg- ten Sohn Otto am 7. März 1884 und die Tochter Martha am 13. Januar 1886. Als letztes Kind kam am 28. Februar 1890 die Tochter Clara zur Welt. Elise Mansfeld war jetzt 35 Jahre alt. Ab 1890 zog die Familie in Hannover einige Male um. Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahr- hunderts verließen alle Mitglieder der Familie Mansfeld nach und nach Hannover. Elise und Albert Mansfeld zogen mit Clara am 1. April 1905 zunächst nach Neuruppin. Etwa ab 1909 lebten sie in Boxhagen-Rummelsburg, einem Vorort von Berlin. Albrecht Mansfeld war, wie schon in Hannover, im Adressbuch als Kaufmann verzeichnet. Spätestens seit 1913 wohnten sie in Berlin in der Graudenzer Straße 2. In diesem Jahr starb Albert Mansfeld. Elise Mansfeld war mittlerweile 59 Jahre alt. Sie blieb noch etwa zwei Jahre in der Wohnung und lebte dann in der in der Nähe gelegenen Gubener Straße 13. Hier wohn te sie etwa 20 Jahre bis 1938. Am 1. Juli 1938 zog sie im Alter von 83 Jahren zu ihrer in Hamburg lebenden Tochter Bertha und deren Ehemann in den Hofweg 9. Hier wohnte sie die letzten fünf Jahre ihres Lebens, bis sie am 23. Juni 1943 nach Theresienstadt deportiert wurde und dort am 2. Oktober 1943 starb. Elise Mansfelds jüngere Schwester Jette, geboren 1861, erlitt ein ähnliches Schicksal. Sie wur de am 3. Oktober 1942 von Berlin aus nach Theresienstadt deportiert und starb dort am 3. Februar 1943.

Was wurde aus Elise Mansfelds Kindern? Der älteste Sohn Paul machte eine kaufmännische Ausbildung in Hannover. Seit 1907 lebte er mit seiner ersten Frau in Berlin. Diese Ehe wurde ungefähr 1926 geschieden. Paul Mans - feld heiratete seine zweite Frau Thea im Februar 1935 in Berlin. Er wurde vom 18. Juni bis 12. September 1938 im Konzentrationslager Sachsenhausen inhaftiert. Am 3. Februar 1939 meldete er sich zusammen mit seiner Frau bei der polizeilichen Meldebehörde in Berlin nach Paris ab, wo sie ihre Visen für die USA abwarten wollten. Nach Kriegsbeginn wurden sie in Frankreich interniert. Als die Visen endlich vorlagen, war eine Ausreise aus einem französi- schen Hafen nicht mehr möglich. Zu Fuß flohen beide über die Pyrenäen nach Spanien und weiter nach Lissabon. Von dort aus fuhren sie im Mai 1941 mit dem Schiff in die USA zu Thea Mansfelds Tochter aus erster Ehe. Paul Mansfeld starb im Juli 1963 in den USA. Die Tochter Bertha wurde im Alter von 26 Jahren am 13. Februar 1908 in Hannover von ihrer Tante Sophie, der Schwester von Elise Mansfeld, und deren Ehemann Benjamin Biene Bar ge - boer adoptiert. Bertha Bargeboer lebte spätestens seit 1914 in Hamburg. Auch ihre Adoptiv - eltern lebten hier für einige Jahre. Als Dentistin betrieb Bertha Bargeboer mehrere Jahre eine Zahnpraxis. Am 26. Juni 1917 heiratete sie Arnold Adolf Wilhelm Welschen, Kaufmann und Fotograf. Er zog in die Wohnung seiner Frau am Steindamm, in der sie noch viele Jahre wohnten. Sie lebten dann einige Jahre im Graumannsweg und zogen im Oktober 1936 in eine große Wohnung im Hofweg 9, in die dann 1938 auch Elise Mansfeld einzog, die von

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hier aus deportiert wurde. Bertha Welschen-Bargeboers nichtjüdischer Ehemann musste von Ende Oktober 1944 bis Ende April 1945 Zwangsarbeit leisten – wie alle „jüdisch Versippten“. Er war auf dem Ohlsdorfer Friedhof eingesetzt. Dort lebten sie in einem bewachten Lager und leisteten schwere Arbeit: sie rodeten Bäume, harkten Erde und hoben immer wieder Gräber für KZ-Häftlinge aus Neuengamme aus. Hinzu kam die Angst um den jüdischen Ehe - partner, der schutzlos zurückgeblieben war. Bertha Welschen-Bargeboer schrieb in einem Unterstützungsantrag im März 1946: „Ich stand unter dem dauernden seelischen Druck, abgeholt zu werden. Meine Mutter, meine Schwes - ter und mein Bruder wurden nach dem Osten evakuiert, von wo sie nicht zurückgekehrt sind.“ Bertha starb am 19. April 1948 in Hamburg. Otto Mansfeld war von Beruf Kellner. Er heiratete im April 1906 in Hannover. Das Ehepaar zog im Juli 1907 nach Berlin-Rummelsburg. Über den weiteren Verlauf dieser Ehe ist nichts bekannt. Otto Mansfeld lebte bis zu seiner Deportation in Berlin, von 1924 bis 1940 in Neu - kölln in der Emser Straße. Er wurde am 27. November 1941 von Berlin aus nach Riga depor- tiert. Das Bundesgedenkbuch weist aus, dass er dort am 30. November 1941 gestorben ist. Vom Berliner Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg wurde er 1955 mit dem 31. Dezember 1945 für tot erklärt. Die Tochter Martha Mansfeld meldete sich von Hannover am 11. März 1906 nach Hassel - felde/Harz ab. Als Beruf ist „Verkäuferin und Stütze“ bei der Abmeldung angegeben. Über ihren weiteren Lebensweg ist nur wenig bekannt. Sie lebte später in Berlin. Sie heiratete, ihr Ehename war Gottberg. Die Ehe wurde geschieden. Von Berlin aus wurde sie am 2. März 1943 nach Auschwitz deportiert. Martha Gottberg, geb. Mansfeld, wurde für tot erklärt. Die jüngste Tochter Clara machte in Hannover eine Ausbildung zur Putzmacherin. Mit ihren Eltern zog sie 1905 nach Neuruppin. Sie heiratete am 4. März 1922 in Berlin den nichtjüdi- schen Fritz Ambos. Diesen lernte sie wohl in der Gubener Straße 13 kennen, wo sowohl ihre Mutter als auch die Mutter von Fritz Ambos wohnten. Clara und Fritz Ambos wohnten spä- testens seit 1927 in Berlin SO 36 in der Cuvrystraße 36. Clara Ambos musste ihre Arbeits- stelle als Putzmacherin auf Veranlassung der Gestapo zum 1. April 1943 aufgeben und den Betrieb verlassen. Auch ihr Mann hatte unter Repressalien zu leiden, weil seine Frau Jüdin war. Fritz Ambos starb im Juni 1949. Clara Ambos, geb. Mansfeld, die weiterhin in der Cuvrystraßr 36 wohnte, ist am 14. November 1970 gestorben. – Ingrid Budig Quellen: 5; 8; StaHH 332-5, Personenstandsunterlagen, 726 + 871/1915; StaHH 332-5, Personenstands- unterlagen, 878 + 385/1924; StaHH 332-5, Personenstandsunterlagen, 1281 + 378/1948; StaHH 332-5, Personenstandsunterlagen, 3753 + 185/1917; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 15.10.54 Mansfeld, Elise; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 28.08.81 Welschen, Bertha; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 22.04.86 Welschen, Wilhelm; StaHH 522-1, Jüdische Gemeinde, 992e; StaHH 741-4, Fotoarchiv, K 2401 L; StaHH 741-4, Fotoarchiv, K 2416 L; Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten, Abt. I –Entschädi- gungsbehörde, Berlin, Reg.Nr. 773, 61.631, 327.509, 348.829, 348.830; Landesarchiv Nordrhein-Westfa- len, Sign. P 2 Nr. 237, 239; Stadtarchiv Rahden , Sign. A 416, A 417, A 831, A 832; Stadtarchiv Hannover; AB 1914 bis 1919, 1927, 1938; AB Berlin, 1908, 1909, 1910, 1911, 1912, 1913, 1914, 1915, 1917, 1918, 1920, 1924,1925,1927, 1928, 1935, 1938; Meyer: „Sonderkommando J“, S. 102ff.

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Friedrich Theodor Christian Heinrich Meier, geb. 1.7.1865, inhaftiert 1939, Selbstmord am 2.3.1940 in Hamburg 47 Framheinstraße 4

„Ich bringe dich noch dahin, wo du hingehörst“, wa ren nach Aussage der Vermieterin Frau Lampa in der Framheinstraße 4 im 1. Stock die Worte eines un bekannten Mannes, der am Morgen des 2. März 1940 ihren Untermieter Friedrich Meier aufsuchte. Dieser Unbekannte soll von ihm Geld gefordert und mit Zuchthaus gedroht haben. Ohne Widerstand ließ sich der 74-jährige Mann seinen Mantel durch- suchen und 10 Mark entwenden. Am späten Vor - mittag fand die Vermieterin Friedrich Meier dann er-

hängt in seinem Zimmer, das er erst seit Februar Ein Haus in der Framheinstraße, um 1940 Geschichtswerkstatt Barmbek 1940 bei ihr gemietet hatte. Der am 1. Juli 1865 Neu Lüblow in Mecklenburg ge - borene Rentner Friedrich Meier war verwitwet und hatte einen Sohn und eine Stieftochter, ersterer konnte von der Polizei nicht ermittelt werden, letztere wollte mit ihrem Stiefvater nichts zu tun haben. Möglicherweise war Friedrich Meier wegen homosexueller Handlungen erpresst worden, denn es ist wahrscheinlich, dass er mit jenem Friedrich Meier identisch war, der vom 10. bis 16. März 1939 im KZ Fuhlsbüttel auf Anordnung des 24. Kriminalkommissariats in Haft saß. – Bernhard Rosenkranz/Ulf Bollmann Quellen: StaHH, 331-5 Polizeibehörde – Unnatürliche Sterbefälle, 765/40; StaHH, 213-8 Staatsanwalt- schaft Oberlandesgericht – Verwaltung, Abl. 2, 451 a E 1, 1 d; B. Rosenkranz/U. Bollmann/G. Lorenz: Homosexuellen-Verfolgung in Hamburg 1919–1969, S. 235–236.

Hugo Meier-Thur, geb. 26.10.1881, am 5.12.1943 im Konzentrationslager Fuhlsbüttel gestorben 48 Lerchenfeld 2 (Kunsthochschule)

Der Maler und Grafiker Hugo Meier-Thur lehrte als Professor an der heutigen Hochschule für Bildende Künste am Lerchenfeld 2, die während des Nationalsozialismus noch Hansische Hoch schule für bildende Künste hieß. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges musste Hugo Meier-Thur um eine Anstellung an der Kunsthochschule kämpfen und litt unter finanzieller Not. Seine ehemaligen Lehrer brachten ihm Neid und Missgunst entgegen, da sie in ihm einen Kon kurrenten an der Kunsthochschule sahen. Deswegen beklagten sie sich über seine Lehr methoden beim damaligen Direktor Prof. Richard Meyer. Seine größten Konkurrenten

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waren Prof. Carl Otto Czeschka und Prof. Paul Helms. Doch noch konn te Hugo Meier-Thur sich ge gen die Anfeindungen wehren. Durch eine erfolgreiche Ausstellung konnte Hugo Meier-Thur 1932 auch Anschuldigungen des damaligen Bundes deutscher Gebrauchsgrafiker entgegenwirken. Allerdings gab es nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten einige Perso nal - wechsel und Paul Helms wurde neuer Direktor der Kunsthoch - schule. Nun wurde es für Hugo Meier-Thur immer schwieriger seiner Arbeit nachzugehen. Seine Zeichnungen und Grafiken Hugo Meier-Thur galten als „entartet“ und er verlor immer mehr Schüler. Eine Stütze fand er in seinem Kollegen Walter Funder, der sich be- reits seit Anfang der zwanziger Jahre in sei- ner Zeitung „Der Zeitungshändler“ gegen die National so zi alisten aussprach. Zu Hause bei Hugo Meier-Thur herrsch te eine gemütliche und freund liche Atmo- sphä re. Er leb te mit seiner Frau Lina und den beiden Kin dern Annemarie und Hans Hugo in einer Woh nung in der Wagner - straße 72. Hugo Meier-Thur besaß kein ei genes Atelier, sondern zeichnete mit ten Landschaftsskizze von Hugo Meier-Thur, gezeichnet am 22.11.1943 im Gefängnis StaHH (3) in der Wonung, während um ihn herum das Familien leben tobte. Annemarie heira- tete in den dreißiger Jahren und zog von zu Hause aus. Sein Sohn Hans studierte Archi tek tur und arbeitete bei dem Architekten Lan gen maack. Während dieser Zeit blieb er in der Woh - nung in der Wag ner straße. Hans Meier-Thur wurde im Frühjahr 1939 zum Pflichtarbeitsdienst einberufen und musste sich dafür zumindest räumlich von seiner Freundin Malve Wilckens trennen. Sie verließ dar- aufhin Hamburg und fand eine Anstellung in der Werkstatt von Eva Danielzig in Lasdehnen in Ostpreußen. Dort wurde 1940 auch die Verlobung von Hans und Malve gefeiert. Malve Wilckens kehrte im Sommer nach Hamburg zurück und zog zu Hugo und Lina Meier-Thur. Sie schildert Hugo Meier-Thur als einen fürsorglichen und rücksichtsvollen, gleichzeitig aber auch zurückhaltenden und scheuen Mann. Eigentlich sollte die Hochzeit von Hans und Malve im Juni 1941 gefeiert werden, doch dann wurde der Heiratsurlaub für Hans, der sich zu diesem Zeitpunkt als Soldat an der Ostfront be - fand, gestrichen. Ende Juni 1941 erhielt Familie Meier-Thur die Nachricht, Hans sei am 25. Juni in Litauen an der Front gefallen. Nach diesem Schock kehrte Malve an die Hamburger Kunst - hochschule zurück und nahm eine Tätigkeit als Hugo Meier-Thurs Assistentin an.

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Zwischen Walter Funder und Hugo Meier- Thur entwickelte sich im Laufe der Jahre eine enge Freundschaft, da beide das nationalsozi- alistische Regime ablehnten und sich von den überwiegend regimetreuen Lehrkräfte an der Kunsthochschule abzugrenzen suchten. Ge- meinsam verfassten sie Aufsätze und Walter Funder veröffentlichte zu Hugo Meier-Thurs 60. Geburtstag eine Denkschrift. Hugo Meier-Thur und einer seiner Schüler im Jahr 1937 Doch im Dezember 1942 ereilte die Familie Meier-Thur ein weiterer Schicksalsschlag. Lina starb Anfang Dezember auf dem Rückweg von einem Friseurbesuch, als sie von einer Straßen - bahn erfasst wurde. Tags darauf wurde Hugo Meier-Thur zur Gestapo zitiert, wo ihm unmiss - verständlich klargemacht wurde, dass er mit einer sofortigen Verhaftung zu rechnen habe, wenn er weiterhin als Gegner der nationalsozialistischen Kunstauffassung auftrete. Er solle Linas Tod als einen fühlbaren Ordnungsruf verstehen. Diese Drohung nährte in ihm den Ver- dacht, dass Linas Tod kein Unfall gewesen sei und sie vor die Straßenbahn gestoßen wurde. Bei der Bombardierung Hamburgs im Sommer 1943 wurde die Wohnung in der Wagner- straße 72 vollständig zerstört. Hugo Meier-Thur wurde verschüttet, überlebte aber leicht ver- letzt. Er trug lediglich eine Schwerhörigkeit davon. Allerdings war fast seine gesamte 30-jäh- rige Kunstsammlung, sowie die Werke seines verstorbenen Sohnes, zerstört worden. Da Hugo Meier-Thur und Malve Wilckens ausgebombt waren, zogen sie nach Klein Borstel in die Wohnung von Gerda Rosenbrook, der Lebensgefährtin von Walter Funder. Dieser zog ebenfalls dorthin, da auch seine Wohnung in der Bismarckstraße zerstört worden war. Am 1. August 1943 nahm das Verhängnis seinen Lauf. Hugo Meier-Thur und Walter Funder be suchten einen ehemaligen Freund und Nachbarn, Alexander Freiherr von Seld. Beide fühl- ten sich bei ihm sicher und Walter Funder sprach offen über seine ablehnende Haltung ge- gen über den Nationalsozialisten. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Sohn von Herrn von Seld, Alexander jr., gerade Fronturlaub und war zu Hause. Er kannte die Freunde seines Vaters nicht und als Hugo Meier-Thur und Walter Funder das Haus verließen, folgte er beiden mit einem Gewehr bewaffnet, eine „Heldentat“, für die er später Sonderurlaub bekam. Auf der Straße war Geschrei zu hören, weswegen Gerda Rosenbrook Malve Wilckens nach drau ßen schickte, um nach dem Rechten zu sehen. Als sie Hugo Meier-Thur und Walter Funder fand, saßen beide auf einem Tempo-Wagen mit erhobenen Armen und eine bewaff- nete Meute verhöhnte sie als „englische Agenten“, die über Klein Borstel abgesprungen seien. Der Wagen fuhr zur Gestapo. Malve Wilckens musste alleine zurückkehren und beide Frauen bemühten sich daraufhin herauszufinden, was mit den Männern geschehen sei. Hugo Meier-Thur und Walter Funder wurden ins Konzentrationslager Fuhlsbüttel gebracht, wo Gerda Rosenbrook und Malve Wilckens sie einmal im Monat besuchen durften.

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Anfang September wurden beide Männer nach Berlin gebracht und vor dem Volksge richts - hof angeklagt. Die Frauen folgten ihnen nach Berlin und nach fünf Wochen trafen alle vier wieder aufeinander. Hugo Meier-Thur und Walter Funder waren müde, erschöpft und ausge- hungert. Während gegen Walter Funder Anklage erhoben wurde, schickte man Hugo Meier- Thur als „Schutzhäftling“ zurück nach Hamburg in die Hände der dortigen Gestapo. Dies war für ihn das Todesurteil. Malve Wilckens wurde telefonisch von dem Gestapobeamten Heyen über den Tod Hugo Meier-Thurs informiert. Eigentlich wollten sie und Hugo heiraten. In ihrer Verzweiflung rann- te Malve zur Geschäftsstelle der Gestapo in der Dammtorstraße 25 und machte die im Raum anwesenden Beamten für den Tod Hugo Meier-Thurs verantwortlich. Der Leichnam Hugo Meier-Thurs wurde den Angehörigen zur Bestattung übergeben und we nige Tage später durfte Malve Wilckens seinen Nachlass von der Gestapo abholen. Inwieweit die ehemaligen Gegner an der Kunsthochschule am Tod Hugo Meier-Thurs betei- ligt waren, lässt sich nicht nachweisen. Fest steht, dass die Kunsthochschule fast alle Doku - mente Hugo Meier-Thurs vernichten ließ. Walter Funder wurde im März 1945 aus der Haft entlassen und überlebte das nationalsozia- listische Regime. Allerdings hinterließ die Folter in der Haft ihre Spuren. Walter Funder war nach seiner Entlassung schwer gehbehindert, seine Gesundheit und seine Existenz waren für immer ruiniert. Quellen: StaHH 622-1, Familienarchiv, Meier-Thur, Hugo; Heisig: Der Mord an Hugo Meier-Thur; Bruhns: Kunst in der Krise, S. 414f.

Hertha Melhausen, geb. Lübeck, geb. 8.11.1866, deportiert nach Theresienstadt am 19.7.1942, Todesdatum 18.8.1942 Jonni Melhausen, geb. 20.12.1891, gestorben am 26.8.1943 in Auschwitz 49 Otto-Speckter-Straße 1

Hertha Melhausen wurde am 8. November 1866 als Tochter der jüdischen Eheleute Wilhelm Lübeck und Hannchen, geb. Lilienfeld, in Hamburg geboren. Ihr Ehemann war Isaak Mel - hausen. Das Ehepaar hatte mehrere Kinder, neben Jonni hatte Hertha 1907 und 1910 auch die Söhne Walter und Kurt geboren, ein älterer Sohn Max stammte möglicherweise aus der ersten Ehe Isaak Melhausens. Hertha Melhausen war in den dreißiger Jahren verwitwet. Sie wohnte in verschiedenen Stadtteilen, in den 1930er Jahren in Barmbek Nord, zuletzt in der Otto-Speckter-Straße 1. Von ihr wissen wir, dass sie am 19. Juli 1942 nach Theresienstadt de - portiert wurde. Als Todesdatum gilt der 18. August 1942. Im gleichen Transport befanden sich ihre Verwandten Marianne Melhausen, geboren am 9. April 1864 in Hamburg, und Louis Melhausen, geboren am 2. Januar 1867. Beide kamen um, Louis am 26. Januar 1943 in Theresienstadt und Marianne am 26. September 1942 im Ver nichtungslager Treblinka.

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Hertha Melhausens Sohn Jonni wurde am 20. Dezember 1891 in Hamburg geboren. Er be - suchte die Volksschule und absolvierte eine kaufmännische Lehre in einer Mehlhandlung. Am 28. August 1918 heiratete er die evangelisch getaufte Auguste Karoline Luise Haberland, ge - boren am 14. November 1998. Im Jahr darauf wurde am 2. September Tochter Käthe gebo- ren, drei Jahre später, am 8. Juni 1922, die Tochter Edith. Jonni Melhausen betrieb einen kleinen Kolonialwarenladen in der Grindelallee, das Amt für Wirtschaftsordnung stellte den Gewerbeschein am 15. November 1914 aus. Nach dem Verkauf des Ladens 1921 eröffnete er einen weiteren Laden in der Schwenkestraße, der nicht gut lief. Ab 1932 arbeitete Jonni als selbstständiger Vertreter, anfangs bei seinem Bruder Max Melhau - sen, dem ein Ladengeschäft für Tabakwaren gehörte. Nach Differenzen zwischen den Brüdern war er unter anderem für die Firmen Matthes am Schulterblatt und Elektro-Lux als Vertreter für Staubsauger und Radioapparate tätig. In dieser Zeit soll er ca. 500 RM im Monat verdient haben. Seine Miete im Jahre 1932 betrug 90 RM. 1934 war Jonni Melhausen kein Mitglied der Jüdischen Gemeinde und zahlte keine Kultussteuern. Nach Erlass der „Nürnber ger Gesetze“ fand er keine Arbeit mehr, weil niemand einen Juden beschäftigen wollte. Er musste sich als arbeitsuchend beim Arbeitsamt melden. Dadurch wurde er in der Folge von verschiedenen Firmen dienstverpflichtet zu einem äußerst geringen Lohn von monatlich 50 RM. 1938 musste Jonni Melhausen – wie alle jüdischen Haushaltsvorstände – sein Radio abge- ben. Die Familie hatte nacheinander Wohnsitze in Barmbek und Uhlenhorst, im Hamburger Adress- buch von 1938 ist die Otto-Speckter-Straße 1 genannt. Möglicherweise lebten sie aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage zusammen mit der Mutter Hertha Melhausen, die eben - falls in diesem Haus wohnte und zuvor noch eine ältere Verwandte in ihrer Wohnung ge - pflegt hatte. Die beiden Töchter hatten früh geheiratet, es ist nicht sicher, bis wann sie bei den Eltern lebten. Im Herbst 1939 wurde Jonni Melhausen als Jude vom Arbeitsamt zur Zwangsarbeit als Stra- ßenfeger und in andere Stellen verpflichtet. Am 27. Februar 1943 wurde er im Rahmen der sogenannten Schallert-Aktion an seinem Arbeitsplatz in der Fabrik einer Harburger Mühle (evtl. Reismühle) verhaftet, wie weitere Zwangsarbeiter auch. Betroffen waren insgesamt 17 männliche Juden, die „privilegierte Mischehen“ führten und in deren Rahmen eigentlich einen gewissen Schutz genossen. Willibald Schallert, Leiter der Sonderdienststelle des Ar beitsamtes für jüdischen Arbeitseinsatz, hatte nach der „Fabrik-Aktion“, bei der reichsweit Tausende jü- di scher Zwangsarbeiter verhaftet und nach Auschwitz deportiert worden waren, in Hamburg eine Liste jüdischer „Arbeitssaboteure“ erstellt, die allesamt in „Mischehen“ lebten. Jonni Mel hausens Frau Auguste erhielt die Nachricht über seine Gefangennahme durch einen anderen Arbeiter. Zwei Wochen vor der Verhaftung, am 12. Februar, war Jonnis erstes Enkelkind zur Welt ge- kommen, das von seinem Großvater nur kurz begrüßt werden konnte und ihn nicht mehr kennenlernen durfte. Auguste Melhausen hatte nur einmal für zehn Minuten Möglichkeit,

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mit ihrem Mann in Gegenwart eines Beamten zu sprechen. Dabei rätselte er über den Grund für seine Inhaftierung, weil es keine Verurteilung gegeben hatte. Seine Frau durfte ihm ein- mal wöchentlich Lebensmittel bringen und frische Wäsche gegen gebrauchte austauschen. Darin fand sie einen Zettel von ihrem Mann mit dem Hinweis, er solle deportiert werden. Nach zwölf Wochen als „Schutzhäftling“ im KZ Fuhlsbüttel wurde er am 27. April 1943 nach Auschwitz deportiert. Dort starb Jonni Melhausen laut Todesurkunde in der Kasernenstraße am 26. August 1943. Seine Frau forderte eine Sterbeurkunde an und erhielt sie unter dem Datum des 11. November 1943. Auguste Melhausen erhielt weder Unterstützung noch Arbeit, weil niemand sie als Witwe eines Juden beschäftigen wollte. Ihre Wohnung wurde während der Bombenangriffe zer- stört, vom Hausrat konnte nichts gerettet werden. So war sie gezwungen, Geld zu leihen und sich zu verschulden. Nach dem Krieg fand sie eine Stelle als Raumpflegerin und Botin im Niederländischen Konsulat. Sie musste ihre Schulden abbezahlen und lange um eine Wie der - gutmachungsrente kämpfen, weil Jonni Melhausens Einkommen während seiner freiberuf- lichen Tätigkeiten schwer geschätzt werden konnte. So bestätigte ein Kaufhaus Matthes, in dem er als Staubsaugervertreter tätig gewesen war, dass er dort in den dreißiger Jahren gear- beitet hatte. Unterlagen darüber existierten jedoch nicht mehr, sodass keine Angaben zur Verdiensthöhe gemacht wer- den konnten. Angeschriebene Mühlen behaupteten später, nie mit ihm in Kontakt gewe- sen zu sein – niemand wollte in den Ruf geraten, Zwangsar - beiter beschäftigt zu haben. Bewilligt wurde eine Sonder- rente von 140 Mark. Für 4 Mo- nate anerkannte Haftzeit ihres verstorbenen Mannes gab es 225 Mark Entschädi gung und eine kleine Summe wurde für bei der Verhaftung einbehalte- ne Wert gegenstän de wie Uhr und Ringe genehmigt.

Auguste Melhausen erklärt den ehemaligen Besitz eines Radios, das von ihrem Mann abgeliefert werden musste StaHH

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Auguste Melhausens Darstellung zur Verhaftung ihres Ehemannes, seinem Tod und der eigenen Lebenssituation StaHH

Auch ihre inzwischen verheirateten Töchter musten um ihre materielle Existenz kämpfen. Augus te Melhausen starb am 8. Juni 1962 in Hamburg. – Eva Acker/Erika Draeger

Quellen: 1; 4; 5; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 20.12.91 Melhausen, Jonni; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 14.11.98 Melhausen, Auguste; Beate Meyer: Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden, S. 70ff; S. 84; Beate Meyer: Jüdische Mischlinge – Rassenpolitik und Verfolgungserfahrung 1933–1945, S. 199; Archivum Panstwowe, Lodz.

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Margarethe Meyer, geb. Kaufmann, siehe Jakob Kaufmann Bendixensweg 11

Bertha Michelsohn, geb. Hirsch, geb. 23.10.1899, deportiert am 1.7.1942 nach Auschwitz 50 Kanalstraße 2

Bertha Michelsohn war das dritte von vier Geschwistern: Dem Erstgeborenen Arthur, geb. 3. April 1895, folgten Käthe (27. Juli 1893), dann Bertha und am 4. Mai 1902 kam der Jüngs te, Hermann, zur Welt. Der Vater Leopold Hirsch, geb. 14. Juni 1862, arbeitete als Schuster, ob seine Frau Johanna, geb. Lehmann, (31. Oktober 1871) im Betrieb mitarbeitete oder sich ausschließlich um den Haushalt und die vier Kinder kümmerte, ist nicht bekannt. Leopold starb spätestens 1925. Bertha heiratete den kaufmännischen Angestellten Walde - mar Michelsohn, der am 25. Januar 1890 als Sohn von Simon Arye Michelsohn und seiner ersten Ehefrau Adele, geb. Lilien feld, geboren wurde. Waldemar und Bertha Michelsohn wohnten in der Kanal - straße 2 „auf der Uhlenhorst“. Bertha wurde früh Witwe, da Waldemar am 28. März 1928 mit nur 37 Jahren verstarb, nachdem er drei Jahre an den Folgen eines Raubüberfalls gelitten hatte. Er wurde, wie seine Eltern und seine 1996 verstorbene Halb - schwester, die Tänzerin und Choreographin Erika Milee, auf Das Haus in der Kanalstraße 2, dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel bestattet. 2009 Privatbesitz Bertha Michelsohn verdiente Ihren Lebensunterhalt als Haus- angestellte, ihr letzter Wohnort und möglicherweise gleichzeitig ihr Arbeitsplatz, war in der Johnsallee 54 (einem sogenannten Judenhaus). Das Haus gehörte der Jüdischen Gemeinde, im Laufe der Zeit waren verschiedenste jüdische Institutionen in dem Gebäude untergebracht, u. a. diverse Jugendorganisationen, eine Mu sik- schule, die Gemeindebibliothek, ein Sportverein und eine Außenstelle des Israelitischen Kran- kenhauses. Das alte Gebäude existiert nicht mehr, es wurde in einer Bombennacht zerstört. Bertha Michelsohn wurde am 11. Juli 1942 von Hamburg nach Auschwitz deportiert. Wahrs- cheinlich starb sie dort bald nach ihrer Ankunft in den Gaskammern. Nach Kriegsende wurde Bertha Michelsohn für tot erklärt. – Stefanie Rückner

Quellen : 1; 4; 5; 8; ITS/ARCH/Transportliste Gestapo, Hamburg am 11. Juli 1942/11197782#1 (1.2.1.1/0001-0060/0017A/0117); E-Mails mit Ralph Michelson, Israel, 2009; Jüdischer Friedhof Ilandkoppel.

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Rudolf Albert Müller, geb. 9.3.1910, inhaftiert 1936–1937, 1939, Selbstmord am 3.2.1939 im KZ Fuhlsbüttel 51 Diesterwegstraße 4

Der am 9. März 1910 in Hamburg geborene Rudolf Müller war einer von mindestens vier Kin - dern des Wilhelm Müller und der Luise, geb. Wichmann. Rudolf Müller erlernte das Schnei- derhandwerk und arbeitete in diesem Beruf als Geselle. Zusammen mit seinem ebenfalls homosexuellen Bruder Herbert verkehrte er Mitte der dreißi- ger Jahre regelmäßig in den Homosexuellenlokalen „Colibri“ (Raboisen), „Stadtcasino“ (Gras - keller) und im Alsterpavillon. In dieser Zeit wohnte er bei seinen Eltern in der Straße Ölmühle 27 auf St. Pauli. Im Sommer 1936 sollten in Berlin die internationalen Gäste der Olympiade die Stadt unbe- helligt von der Homosexuellenverfolgung der Gestapo erleben. Während dieser Zeit wurde das Sonderkommando Nord der Gestapo zur gezielten Verfolgung Homosexueller von Alto - na aus in Hamburg eingesetzt. Im Zuge der Ermittlungen dieser Fahndungsgruppe wurde am 25. Juli 1936 auch Herbert Müller verhaftet und bis zum 24. August im KZ Fuhlsbüttel fest- gehalten. Bei der Durchsuchung der elterlichen Wohnung des Verhafteten am 28. Juli wurde auch Rudolf Müller angetroffen. Dessen „äusserliche Erscheinung ... und sein dabei zu Tage

Bericht der Gestapo vom 29. Juli 1936 StaHH

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tretendes Gebahren“ veranlassten die Polizei, „den dringenden Verdacht der homosexuellen Veranlagung“ gegen Rudolf Müller zu erheben. Auch er wurde einen Tag später verhaftet und blieb bis zum 24. August 1936 im KZ Fuhlsbüttel. Nach anfänglichem Leugnen räumte er in späteren Verhören eine bisexuelle Veranlagung ein und bekannte sich auch zu gleichge- schlechtliche Handlungen, nannte jedoch keine Namen seiner Partner. Am 4. September 1936 wurde er vom Amtsgericht Hamburg zu einem Jahr Gefängnis nach § 175 alter und neuer Fassung verurteilt, 1937 erreichte sein Vater durch ein Gnadengesuch einen Straferlass von 61 Tagen. Am 24. Januar 1939 wurde er erneut wegen Vergehens nach § 175 festgenommen und nach Verhören zum Geständnis zweier sexueller Handlungen mit einem Soldaten und dem 20-jährigen Reisevertreter Egon Hartmann, seinem damaligen festen Freund, gebracht. Vom 25. Januar bis 3. Februar 1939 befand er sich im KZ Fuhlsbüttel, wo er sich am 3. Februar 1939 mit einem Schal erhängte. – Bernhard Rosenkranz/Ulf Bollmann Quellen: StaHH, 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen, 8168/36; StaHH, 331-5 Polizeibe- hörde – Unnatürliche Sterbefälle, 369/39; StaHH, 213-8 Staatsanwaltschaft Oberlandesgericht – Verwal- tung, Abl. 2, 451 a E 1, 1 a; StaHH, 242-1 II Gefängnisverwaltung II, Ablieferungen 13 und 16; B. Rosenkranz/U. Bollmann/G. Lorenz: Homosexuellen-Verfolgung in Hamburg 1919–1969, S. 239.

Max Carl Nathan, geb. 19.3.1878, inhaftiert am 10.7.1936 im Konzentrationslager Fuhlsbüttel, Todesdatum 30.10.1936 Wilhelm Sander (früher Nathan), geb. 21.2.1905, inhaftiert am 10.7.1936 im Konzentrationslager Fuhlsbüttel, deportiert nach Auschwitz, Todesdatum 14.5.1943 52 Karlstraße 2

Max Nathan war in erster Ehe mit Emma Schürmann, die evangelisch war, verheiratet und gründete mit ihr eine Familie. Das Ehepaar hatte drei Kinder, ihr Sohn Alfred kam am 9. April 1902 zur Welt, dann folgte Wilhelm am 21. Februar 1905 und zuletzt wurde ihre Tochter Nanni am 9. Oktober 1907 geboren. Die Familie lebte in der Rothenbaumchaussee 158. Doch das Familienverhältnis war schon früh gestört, da sich beide Elternteile oft stritten und rasch trennten. Nanni zog zu ihrer Mutter und ihre Brüder Alfred und Wilhelm blieben beim Vater und ihrem Kindermädchen Elna Leopold. Max Nathan zog mit seinen beiden Söhnen aus der Wohnung in der Rothenbaumchaussee aus und betrieb einen kleinen landwirtschaft- lichen Hof in Wandsbek-Eichthal. Schon während seiner Schulzeit musste sich Sohn Wilhelm abfällige Bemerkungen über seine Familiensituation gefallen lassen, was zu einigen Zusammenstößen mit Schulkameraden führte. Als strebsamer Schüler war Wilhelm Klassenbester, was ihn von einem Studium träu- men ließ. Doch diesen Traum setzte er nicht in die Tat um, weil sein Vater ihm wohl nie die lange Studienzeit finanziert hätte. Denn obwohl die Familie wohlhabend war, achtete Max Nathan sehr auf sein Geld. Dadurch war das Verhältnis zwischen den Geschwistern und ihrem Vater oft angespannt.

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Mit sechzehn Jahren begann Wilhelm Nathan eine Lehre bei der Firma Kuhlmann. Diesen Ausbildungsplatz besorgte ihm sein Vater. Der Inhaber stellte sich jedoch als Betrüger heraus und nach nur drei Monaten brach Wilhelm seine Lehre ab. Die nächste Ausbildung begann er, erneut auf Anraten des Vaters, bei der Commerz und Industrie GmbH in der Humboldt- straße. Doch auch dieses Unternehmen stellte sich als unseriös heraus. Nun besorgte sich Wilhelm Nathan eigenständig einen Ausbildungsplatz bei der Bankfirma Samson & Co. Zuerst durfte Wilhelm Nathan keinen Börsendienst tätigen, da seine Garderobe zu schäbig war und sein Vater sich weigerte, ihm Geld für einen neuen Anzug zu geben. Nachdem Wil- helm jedoch das erste eigene Gehalt erhielt, konnte er sich neu einkleiden, stieg zum Arbitra - geur (Händler, der Kursunterschiede aufspürt und ausnutzt) auf und leitete bis zum Ende sei- ner Lehre eine Filiale. Mit 19 Jahren hatte Wilhelm Sander ausgelernt und trat ins väterliche Geschäft ein. Max Na - than führte einen Möbel-Groß- und Einzelhandel in der Werderstraße 38, in dem auch schon sein ältester Sohn Alfred mitarbeitete, meist als Chauffeur für seinen Vater. Wilhelm Nathan zeigte einiges Talent für den Beruf, woraufhin ein Konkurrenzkampf zwischen Vater und Sohn entbrannte. 1925 heiratete Max Nathan erneut. Seine neue Ehefrau war die inzwischen 36-jährige Elna Leopold, das ehemalige Kindermädchen. Auch sie war evangelisch. Zu den Söhnen hatte Elna ein gutes Verhältnis, da sie die beiden aufgezogen hatte. Emma Schürmann bat ihren Sohn Wilhelm häufig um Geld, welches er ihr auch gerne gab. Allerdings fand er, dass sich seine Eltern zu sehr für materielle Dinge interessierten. Mit 21 Jahren entschloss sich Wilhelm Nathan, in die USA auszuwandern. Dort angekom- men, fand er zwar rasch Arbeit, vertrug jedoch das Klima nicht und musste im Herbst 1926 nach Hamburg zurückkehren. Nach seiner Rückkehr trennte sich Wilhelm Nathan endgültig von seiner Mutter. Beide sahen sich danach nie wieder. Seit diesem Zeitpunkt beschloss er für immer zu seinem Vater zu hal- ten, der ihn zuvor schon vor seiner Mutter gewarnt hatte. Doch das Jahr 1926 brachte für Wilhelm Nathan auch Erfreuliches. In einem Café lernte er Lina Wilhelm, die Tochter des Schlachtermeisters Heinrich Schröder aus Bremen, kennen. Sie war evangelisch, hatte 1921 den Kaufmann Wilhelm geheiratet und ein gemeinsames Kind mit ihm, die Scheidung erfolgte im Jahr 1927. Wilhelm Nathan und Lina Wilhelm blieben bis zu seiner Inhaftierung ein Paar, sie waren zwischen 1928 und 1933 verlobt. Nach seiner Rückkehr aus den USA zog Wilhelm Nathan wieder bei seinem Vater Max Na than ein und gründete sein erstes Geschäft in der Motorradbranche. Da er recht erfolgreich war, überredete ihn Max Nathan dazu, ihn zur Hälfte am Geschäft zu beteiligen. Als Gegenleistung sollte Wilhelm Nathan zu einem Viertel am Möbelhandel seines Vaters beteiligt werden. Außer- dem kaufte Max Nathan zu dieser Zeit die Firma Sewerin auf und ließ seinen Sohn Alfred offi- ziell als Inhaber eintragen, obwohl dieser weiterhin lediglich der Chauffeur seines Vaters blieb. Von nun an liefen die meisten Finanztransaktionen von Max Nathan über die Firma Sewerin.

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Immer wieder geriet Max Nathan bei seinen Geschäften an die falschen Geschäftspartner und dementsprechend oft in Schwierigkeiten mit der Justiz. Einige kleinere Verfahren wälzte er auf seine Söhne ab. Dadurch geriet der Name Nathan in Verruf, was sogar dazu führte, dass Tochter Nanni keine Anstellung als Kassiererin bekam, als ihr Vorgesetzter erfuhr, dass sie eine gebürtige Nathan war. Letztlich musste Wilhelm Nathan feststellen, dass sein Vater sein Leben lang dem Geld nachgejagt war und dabei seine Familie vernachlässigt hatte. Des- wegen entschlossen sich die Brüder Alfred und Wilhelm 1930, ihren Nachnamen in Sander ändern zu lassen. So bestand für sie die Chance, wieder einen unbelasteten Namen zu füh- ren und ohne Probleme ihren Geschäften nachzugehen. 1929 erkrankte Wilhelm Sander. Aufgrund eines Herzleidens musste er zweimal zur Kur nach Nauheim. Die Krankheit begleitete ihn bis an sein Lebensende. Nanni heiratete 1930 und Alfred zog ebenfalls von zu Hause aus. Seit einiger Zeit arbeitete er an verschiedensten Patenten, hatte jedoch wenig Erfolg damit. Als Wilhelm Sander ihn da - rauf ansprach, entbrannte ein Streit zwischen den Brüdern, der zu einem Zerwürfnis der Geschwister führte, das erst 1935 beigelegt wurde. Zu diesem Zeitpunkt war Alfred Sander bereits verheiratet und hatte eigene Kinder. Zu Beginn der dreißiger Jahre nahm der wirtschaftliche Konkurrenzkampf angesichts der Weltwirtschaftskrise erheblich zu. Max Nathan beteiligte sich zunehmend an nicht ganz lega- len Geschäften, vergab hohe Kredite, rechnete aber nicht ordentlich ab. Wilhelm Sander grün dete seine eigene Firma, Sander & Weiß (Dammthor-Lombard) und etablierte einen eigenen Handel mit neuen Möbeln. 1931 reiste er geschäftlich für kurze Zeit nach Holland. Ein Jahr später trat erstmals das Finanz- amt an ihn heran, da es den Verdacht hegte, die Bücher könnten nicht stimmen und es gäbe Steuerrückstände. Max Nathan reagierte darauf mit einer für ihn typischen Redens art, die seine Einstellung zu Steuern deutlich machte: „Der alte Bücherrevisor Gabriel Meyer habe ihm gesagt, bezahlen müsse man erst, wenn der Gerichtsvollzieher zum Abholen vor der Tür stände.“ Bis 1936 zahlte Wilhelm Sander allein seinen Anteil der Steuern an den Familien unterneh - men, erst ab Sommer 1936 beteiligte sich auch Max Nathan. Dementsprechend sorgfältig kontrollierte das Finanzamt seit 1932 Wilhelm Sanders Bücher und Steuerzahlungen. Die Söhne bemühten sich, Max Nathan aus den Geschäften möglichst herauszuhalten. Wilhelm Sander übernahm den Mö- belhandel und investierte sein Vermögen teilweise in Grund- stücke. Eines dieser Grundstücke lag an der Ecke Karl straße/ Schöne Aussicht. Dorthin verlegte Wilhelm Sander auch seinen Wohnsitz und Max und Elna Nathan zogen zu ihm. Obwohl Wilhelm und Alfred sich bemühten, den Namen Sander zu schützen, begann Max Nathan Mitte der dreißiger Der Eingang des Hauses in der Karlstraße 2, 2009 Privatbesitz Jahre regelmäßig mit Sander zu unterschreiben. Dadurch rui-

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nierte er in kürzester Zeit auch den Ruf dieses Namens und es kam zu Streitigkeiten in der Fa- mi lie. Auf einer Familienreise zu Pfingsten 1936 nach Kopenhagen eskalierte der Streit. Da Wil helm und Elna befürchteten, hinter Max Nathans Handlungen könne vielleicht eine Krank- heit stecken, schickten sie ihn im Sommer 1936 zur Erholung nach Marienbad. Während Max Nathan noch dort war, wurde Wilhelm Sander am Morgen des 10. Juli von der Gestapo verhaftet und ins Polizeigefängnis Fuhlsbüttel gebracht. Zuerst hieß es, er müsse nur solange in Haft bleiben, bis Max Nathan wieder da sei. Man wolle eine Kollisionsgefahr aus- schließen. Doch schon drei Tage später wurde Wilhelm Sander in „Schutzhaft“ genommen und musste 14 Tage auf seine erste Vernehmung warten. Dabei gab er zwar zu, dass die Bücher nicht ganz stimmten, hielt jedoch seinen Vater vollständig heraus. Inzwischen waren auch sein Vater und sein Bruder verhaftet worden.

Gefangenenkarteikarte von Wilhelm Sander aus Fuhlsbüttel StaHH

Auf dem Gefängnishof wurden die drei Männer zu einem einstündigen Dauerlauf gezwun- gen. Vorn lief Alfred, hinter ihm Max und zum Schluss folgte Wilhelm. Dieser litt wegen sei- nes Herzleidens unter starken Schmerzen. Später brach er in seiner Zelle bewusstlos zusam- men und wurde daraufhin in Eisen gelegt. Er berichtete darüber: „Die furchtbarste Zeit mei nes Lebens. Stunde um Stunde lief ich in der Zelle herum, die Nerven zerrüttet, von trü- ben Gedanken zerquält, was war denn auch schon mein Leben bisher gewesen. Familien - streitigkeiten von Anfang an. Da beschloss ich, alles, mag es sein was es war, zu ertragen, um meinen Vater zu unterstützen.“

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Zwar weigerte sich Wilhelm Sander, bei den Vernehmungen gegen seinen Vater auszusagen, doch alle Bemühungen waren vergeblich. Am 31. Juli 1936 fand die Gestapo in der Woh - nung von Max Nathan Bargeld, Schmuck, Wilhelm Sanders Pass und den Schlüssel zu einem Schließfach in Kopenhagen, in dem dänische Devisen deponiert waren. Damit hatte die Ge - stapo genügend Beweise beisammen, um die Familie anzuklagen. Auf dem Rückweg von einer Vernehmung sah Wilhelm Sander seinen Vater ein letztes Mal: „Ich sah meinen Vater vor seiner Tür essen, also auch in Eisen! Ein armer, armer zerbroche- ner alter Mann! Irgendetwas in mir zerbrach. Ich war fertig, restlos, unfähig auch nur einen Gedanken zu fassen. Es war das letzte Mal, dass ich meinen Vater gesehen hatte. Dieses Bild meines Vaters in Zuchthauskleidung, zerbrochen, vor der Tür essend, ist wie mit Feuer in meine Seele eingebrannt! Es verfolgt mich heute noch Tag und Nacht.“ Noch am selben Tag versuchte Wilhelm Sander, sich in seiner Zelle zu erhängen. Doch der Hosen träger zerriss, und er stürzte zu Boden. Inzwischen war er aufgrund seines Herzleidens und wegen der schlechten Behandlung im Gefängnis physisch und psychisch am Ende seiner Kräfte. Trotzdem leugnete er bei Vernehmungen weiterhin alles, was mit Max Nathans Finan- zen zu tun hatte. Anfang November 1936 wurde Wilhelm Sander mitgeteilt, man habe nun alle nötigen Be - wei se beisammen und er könne deswegen aus der Einzelhaft entlassen und auf den Saal zu den anderen Häftlingen verlegt werden. Erst von anderen Häftlingen erfuhr Wilhelm Sander, dass sein Vater bereits am 30. Oktober an den Folgen seiner Haft verstorben war. Im November begann der Prozess gegen Wilhelm und Alfred Sander, Elna Nathan und Lina Wilhelm. Die Anklageschrift besagte, dass die Familie Nathan zwischen 1926 und 1936 dem deutschen Staat durch nicht gezahlte Umsatz-, Einkommens-, Gewerbeertrags- und Vermö - genssteuer rund 400 000 RM vorenthalten hatte. Wilhelm Sander wurde zudem noch wegen des Verstoßes gegen das „Gesetzes zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“, also wegen „Rassenschande“, angeklagt. Das Hanseatische Sondergericht verurteilte Wilhelm Sander zu sechs Jahren und sechs Mona- ten Haft, sowie zu einer Geldstrafe von 150 000 RM. Lina Wilhelm wurde zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt und Elna Nathan erhielt eine Strafe von drei Monaten Zuchthaus und 600 RM Strafe. Nach seiner Verurteilung wurde Wilhelm Sander ins Zuchthaus Bremen-Oslebshausen ver- legt. Im Oktober 1942 bestimmte ein Erlass, dass reichsdeutsche Gefängnisse und Zucht- häuser „judenfrei“ werden sollten. Wilhelm Sander wurde nach Auschwitz deportiert, wo er am 14. Mai 1943 den Tod in einer Gaskammer fand. Seine Geschwister Alfred und Nanni, sowie seine Mutter Emma, seine Stiefmutter Elna und seine Verlobte Lina überlebten den Holocaust. Quellen: 1; 4; 5; 8; StaHH 221-5, Verwaltungsgericht, 219; StaHH 314-15, OFP, R 1936/83; StaHH 314- 15, OFP, R 1939/2486; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 21.2.05 Sander, Wilhelm; Meyer: „Jüdische Mischlinge“, S. 248f.

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Heinrich Georg Orgler, geb. 3.2.1905, inhaftiert 1936–1937, Selbstmord am 11.8.1944 in Hamburg 53 Hufnertwiete 2

Der Damenschneider Heinrich Orgler gehört zu den Fällen, deren Biografien mit den Akten vernichtet wurde. Lediglich einige Gefangenkarteikarten und ein Polizeibericht über das Auf finden seiner Leiche können noch Hinweise auf sein Schick sal geben. Heinrich Orgler wurde am 3. Februar 1905 in Rosenheim als unehe licher Sohn der Franziska Orgler geboren, sein Stiefva ter Die Hufnertwiete im Sommer 2009 Privatbesitz hieß Paul Danner. Möglicherweise hat ihn seine in Hamburg wohnende Schwester dazu bewogen, von Bayern in den Norden zu ziehen. Im Oktober 1936 geriet er wegen homosexueller Handlungen in die Fänge des NS-Regimes. Vom 20. Oktober bis zum 27. November 1936 befand er sich deshalb in poli zei li cher „Schutzhaft“ im KZ Fuhls - büttel. Am 12. Dezember 1936 wurde er zu 12 Monaten Haft we gen Vergehens gegen § 175 verurteilt. Durch eine Verfügung der „Gnaden ab tei lung“ wurde er am 1. August 1937 vorzei- tig aus dem Gefängnis entlassen. Dann verlieren sich seine Spuren. Anfang 1939 heiratete er die acht Jahr ältere Irma, geb. Lehmbecker. Während des Krieges wurde er in einer Fabrik dienstverpflichtet und soll herzkrank gewesen sein. Am 11. August 1944 wurde er tot in der Parterrewohnung Hufnertwiete 2 aufgefunden, in der er mit seiner Ehefrau und zwei Untermietern wohnte. Seine Ehefrau war zu diesem Zeitpunkt verreist. Er hatte sich mit Leuchtgas vergiftet. Aus der Polizeiakte über den „unnatürlichen Sterbefall“ von Heinrich Orgler geht nicht hervor, ob er den Selbstmord aus Furcht vor einer erneuten Inhaftierung wählte oder aus Verbitterung über eine nicht gelebte Homosexualität. – Bernhard Rosenkranz/Ulf Bollmann Quellen: StaHH, 331-5 Polizeibehörde – Unnatürliche Sterbefälle, 1103/44; StaHH, 213-8 Staatsanwalt- schaft Oberlandesgericht – Verwaltung, Abl. 2, 451 a E 1, 1 a; StaHH, 242-1 II Gefängnisverwaltung II, Ablieferungen 13 und 16; B. Rosenkranz/U. Bollmann/G. Lorenz: Homosexuellen-Verfolgung in Hamburg 1919–1969, S. 243.

Kurt Ferdinand Lothar Perels, geb. 9.3.1878, Flucht in den Tod am 10.9.1933 54 Gustav-Freytag-Straße 7/Edmund-Siemers-Allee 1

Kurt Perels wurde als Sohn von Ferdinand und Anna, geb. Volkmar, in Berlin geboren und entstammte dem dortigen Bildungsbürgertum. Sein Vater Ferdinand Perels hatte jüdische Eltern, konvertierte jedoch schon früh zum Christentum. Auch seine zukünftige Frau Anna war Christin. Dementsprechend wuchsen die gemeinsamen Kinder Kurt, Friederike, Leopold und Ernst auch mit dem christlichen Glauben auf.

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Ferdinand Perels war Geheimer Admiralitätsrat im Reichs ma ri neamt und zudem noch Pro- fessor für „Internationales See recht“ an der Universität Berlin. Seine Söhne Kurt und Leopold traten in seine Fußstapfen. Der jüngste Sohn Ernst begann ein Geschichtsstudium und avan- cierte zu einem geachteten Mit tel alterhistoriker an der Berliner Universität. Nach dem Abitur am Joachimsthalschen Gymnasium begann Kurt Perels ein Studium der Rechtswissenschaften, das ihn nach Kiel, Heidelberg und Berlin führte. 1899 wurde er Refe - rendar und ein Jahr später mit seiner Dissertation „Strei tig keiten Deutscher Bundesstaaten aufgrund des Art. 76 der Reichsverfassung“ promoviert. Nach beendetem Studium war Kurt Perels in der Gerichtspraxis und bei den „Ältesten der Kaufmannschaft“ in Berlin tätig. Seine Habilitation erfolgte in Kiel bei Albert Hänel. 1908 wurde Kurt Perels zum Professor in Greifswald berufen. Schon ein Jahr später wechselte er nach Hamburg, um dort die Nach- folge von Richard Thoma am Kolonialinstitut anzutreten. Hier hatte er den Lehrstuhl für „Öf- fentliches Recht“ inne und befasste sich zudem mit dem Aufbau der Bibliothek für „Öffent- liches Recht“. Kurt Perels wurde einer der ersten Ordinarien und erster Dekan der gerade neu ge schaffenen Fakultät für Rechtswissenschaften der Universität Hamburg. An der Gründung der Universität war er maßgeblich beteiligt und beeinflusste wesentlich deren Rechtsform und Struktur. 1922 übernahm er zudem noch das Amt eines Rats am Hamburgischen Oberlan - des gericht, wodurch er automatisch Mitglied des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts wurde. Bis zu seinem Tod hatte Perels sowohl sein Richteramt als auch sein Ordinariat inne. Neben diesen Verpflichtungen war er seit 1912 auch Mitglied der Patriotischen Gesellschaft und blieb wohl auch bis 1933 in ihr. Nachdem Kurt Perels Lebensgefährtin 1926 verstorben war, vereinsamte der Professor zusehends und seine Kollegen be - merkten, dass er auch seelisch angeschlagen war. Im Sommer 1933 veränderte sich Perels Leben radikal. Eigentlich hätte er wohl keine politische Verfolgung zu erwarten gehabt, denn seine Gesinnung war national geprägt. Er war Monarchist und Preuße aus Überzeugung. Doch durch die nationalsozia- listische Machtübernahme war er gezwungen, einen soge- nannten Ariernachweis zu erbringen. Im „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 wurde festgelegt, dass Beamte, die keine Prof. Dr. jur. Kurt Ferdinand „arische“ Abstammung nachweisen konnten, in den Ruhe - Lothar Perels Enge Zeit stand zu versetzen seien. Zwar war Kurt Perels getauft, muss - te aber im Fragebogen die jüdische Herkunft seines Vaters angeben. Dabei war ihm wohl bewusst, dass er durch diese Aussage sein Amt verlieren würde. Lediglich die Fürsprache seiner Kollegen hätte ihm vielleicht noch etwas Aufschub ge - währt. Eine Emigration ins Ausland scheint für ihn jedoch auch nicht in Betracht gekommen zu sein.

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Die Hamburger Universität im Hamburger Fremdenblatt vom 9. April 1919. Zu den ersten Dekanen gehörte auch Kurt Perels (unten, 2. v. r.) Enge Zeit

Der Verlust seines Amtes und seines Ansehens sowie die Demütigung seiner Entlassung tra- fen ihn in seiner konservativen und preußischen Überzeugung schwer. Dies zeigt sich in einem Brief Perels an Albrecht Mendelssohn-Bartholdy, den damaligen Leiter des Instituts für Auswärtige Politik. Am 25. August 1933 schrieb Perels an ihn: „Lieber Herr Mendelssohn, Unser Dekan hat mir heute eine Mitteilung gemacht, die mich so bewegt und bedrückt hat wie kaum etwas, was mir in den sechzig Semestern, seitdem ich akademischer Lehrer bin, begegnet ist. Ich versuchte, Sie im kleinen Rechtshaus zu treffen. Sie waren gerade fortge- gangen. So möchte ich Ihnen wenigstens auf diesem Wege sagen, dass, wie auch die Ent - scheidung fallen möge, bei mir nichts von dem verloren gehen wird, was ich in langjähriger gemeinsamer Arbeit mit Ihnen für mich gewann.“ Zwei Wochen später, am 10. September 1933, nahm sich Kurt Perels im Alter von 56 Jahren das Leben.

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Die Einäscherung fand am 14. September 1933 im damals neuen Krematorium des Ohlsdor - fer Friedhofes statt. An der Trauerfeier nahmen der Rektor der Universität, die in Hamburg anwesenden Professoren, Vertreter der Studentenschaft und viele Männer des geistigen Le - bens teil. Vier Studenten in Stahlhelm-Uniform hielten die Totenwache. Die Grabrede hielt Prof. Dr. Bonn, ein Fachkollege von Perels. Die Zeitungen berichteten kurz danach, Kurt Perels sei nach langer Krankheit gestorben. Seine Nachfolge trat ein strenger Antisemit an. Ernst Forsthoff war ein Schüler Carl Schmitts und machte sich 1933 mit seinem Werk „Der totale Staat“ einen Namen. Doch seinen Schü - lern blieb Kurt Perels in guter Erinnerung. Stets hatte er sich um ihre väterlich fürsorgliche Be- treuung bemüht. Wenn sie nach seiner Auffassung Begabung, Charakter und Leis tungs- fähig keit besaßen, förderte er sie nicht nur pädagogisch und wissenschaftlich, sondern auch materiell. Zahlreiche spätere Rechtswissenschaftler hatten so ihre Karriere vor allen Dingen Kurt Perels zu verdanken. Von den Verfolgungen durch die Nationalsozialisten waren nicht nur Kurt Perels, sondern auch seine Geschwister betroffen. Sein Bruder Ernst überlebte den Holocaust ebenfalls nicht. Da sein Sohn Friedrich-Justus am Attentat vom 20. Juli 1944 auf Adolf Hitler beteiligt war, wur de Ernst Perels im Oktober 1944 in „Sippenhaft“ genommen und ins Kon zentrations - lager Flossenbürg gebracht. Er erlag kurz nach der Befreiung durch die Alliierten im Mai 1945 den Folgen der Haft. Quellen: 4; 5; 8; Bottin/Nicolaysen: Enge Zeit, S. 46; Krause/Huber/Fischer: Hochschulalltag im „Dritten Reich“, Bd. 2, S. 870; Lebensbilder hamburgischer Rechtslehrer, S. 69ff.; Schicksal jüdischer Juristen in Hamburg im Dritten Reich, S. 29ff.; Roß: Der Ausschluss der jüdischen Mitglieder, S. 35f.; StaHH ZAS, A 765, Perels, Prof. Dr. jur. Kurt.

Hans Karl Louis Hermann Podeyn, geb. 2.7.1888, inhaftiert 1937–1938, 1939–1941, gestorben am 13.3.1942 KZ Buchenwald 55 Elsastraße, gegenüber der Einmündung Mesterkamp

„... Ich habe schon immer den Verdacht gehabt, daß mit dem Manne irgendetwas nicht stimmt“ beginnt ein Denunziationsschreiben, das Helene Manuel, geb. Nitschke, wohnhaft im Mesterkamp 6 in Barmbek-Süd an die Hamburger Kriminalpolizei schickte. Die Nachbarin von Hans Podeyn, der in einer Parterrewohnung im Mesterkamp 36 wohnte, kannte diesen vom Sehen und führte die Polizei auf die Spur eines Freundes ihres Untermieters. Mit seiner Festnahme am 13. Mai 1939 um 12:30 Uhr auf Anordnung der Gestapo begann das letzte Kapitel im Leben des Hans Podeyn, er sollte nie wieder in Freiheit gelangen. Hans Podeyn wurde am 2. Juli 1888 in Neumünster als ältester von drei Söhnen des Gendar- me riewachtmeisters Johannes Podeyn und der Marie, geb. Schuldt, geboren. Er absolvierte eine kaufmännische Ausbildung. Im Juli 1937 wurde er vom Schöffengericht Neumünster erstmals wegen „Vornahme unzüchtiger Handlungen mit Männern“ zu einer achtmonatigen

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Gefangenenkarte von Hans Podeyn StaHH

Gefängnisstrafe verurteilt. Nach einer weiteren Verurteilung im Oktober 1937 aus gleichem Grunde vom Landgericht Kiel, erhöhte sich die Strafe auf 15 Monate. Der kaufmännische Angestellte Hans Podeyn verbüßte diese Strafen bis Ende August 1938 und war seither erwerbslos. Finanziell wurde er von seiner Mutter unterstützt, die jedoch kurz darauf verstarb. Nachdem die Polizei erneut auf die Spur Podeyns gekommen war, wur- den ihm erneut sexuelle Kontakte mit Männern nachgewiesen, für die er als Wiederholungs- täter nun eine deutlich höhere Strafe von 2 Jahren und 6 Monaten Gefängnis erhielt. Der vorsitzende Richter, Amtsgerichtsrat Bertram, konstruierte gegenüber Podeyn, der einver- nehmliche Kontakte mit erwachsenen Männern pflegte, eine Gefahr für Jugendliche allein aus dem Umstand, dass sich die Bedürfnisanstalt in der Langen Reihe, wo Podeyn einen sei- ner Partner kennengelernt hatte, in der Nähe eines Kinderspielplatzes befand. Die Haft ver-

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brachte er im Gefängnis Wolfenbüttel, aus dem er am 12. November 1941 zwar entlassen, jedoch für die Kripo Hamburg weiter im Polizeigefängnis Hütten in „polizeilicher Vorbeu- gungs haft“ verblieb. Vom 2. Dezember 1941 bis zum 3. Februar 1942 wurde er ins KZ Fuhls - büttel verlegt. Am 13. Februar 1942 erfolgte unter der Häftlingsnummer 6856 sein Zugang im KZ Buchenwald. Bereits einen Monat später verstarb er dort im Alter von 53 Jahren an- geb lich an Herzversagen. – Ulf Bollmann Quellen: StaHH, 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen, 5110/39; StaHH, 213-8 Staatsan- waltschaft Oberlandesgericht – Verwaltung, Abl. 2, 451 a E 1, 1 d; StaHH 331-1 II Polizeibehörde II, Ablie- ferung 15 Band 1 und Band 2; StaHH, 242-1 II Gefängnisverwaltung II, Ablieferung 16; Auskunft Rainer Hoffschildt, Hannover, im Februar 2010.

Leo Julius Raphaeli, genannt Willy Hagen, geb. 15.11.1878, am 25.10.1941 nach Lodz deportiert und dort am 5.4.1942 gestorben 56 Mundsburger Damm 38

Der gebürtige Erfurter Leo Raphaeli war in Hamburg unter dem Namen Willy Hagen als Schauspieler, Kabarettist und Textdichter bekannt. Sein Debüt feierte Raphaeli in dem Stück „Fräulein Julie“ von Strindberg in der Rolle des Jean im Jahr 1903. Seit 1906 trat er regelmä- ßig als Kabarettist in Hamburg auf und übernahm 1913 die Leitung des Kleinen Theaters in den Großen Bleichen, dem heutigen Sitz des Ohnsorg-Theaters. Zusammen mit seiner Ehefrau, der ge- bürtigen nichtjüdischen Wienerin Gi- se la Gollerstepper, wohnte Leo Ra- phaeli am Mundsburger Damm 38. Das Ehepaar hatte keine gemeinsa- men Kinder. In der Weimarer Republik avancierte Leo Raphaeli zu einem gefragten Der Mundsburger Damm im Jahr 1902 Schrei ber von Revuen für die großen Bildarchiv Hamburg Hamburger Theater. Außerdem ge - hör te er seit 1929 zum Mitarbeiter- kreis der Nordischen Rundfunk AG. Hier hatte er fast wöchentliche Programme, welche von Hu mor und Esprit geprägt waren. Zahlreiche Hörerbriefe und liebevolle Karikaturen seiner Kol legen stellen ein Zeugnis seiner Popularität dar. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde es für Leo Raphaeli aufgrund seiner jüdischen Herkunft immer schwieriger, Engagements zu erhalten. Im Mai 1934 eröffnete er im Curiohaus sein Kabarett „Die Rosenrote Brille“, welches ein beachtliches Ensemble aus bekannten jüdischen Musikern und Schauspielern besaß. Zunächst wurde immer vor ausver- kauftem Haus gespielt und dies trotz strenger Zensur und kritischen Kommentaren in der

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jüdischen Presse. Doch Ende 1934 folgte das Aus, nachdem Leo Raphaeli seinem Publikum einen selbstverfassten „Offenen Brief eines deutschen Juden“ vortrug, den er den Zensoren vorenthalten hatte. Das Kabarett wurde umgehend geschlossen und Leo Raphaeli erhielt Auftrittsverbot, das für ihn Arbeitslosigkeit bedeutete. Zusammen mit seiner Frau Gisela musste er die gemeinsame Wohnung An der Alster 29 auf- geben und in die Klopstockstraße 30 ziehen. Schon im September 1935 erfolgte der nächste Umzug in die Schlüterstraße 54 a, in eine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung. Erst 1936 bekam Leo Raphaeli wieder eine Anstellung. Er übernahm die Leitung der Klein - kunst im Hamburger Kulturbund, durfte selbst jedoch nur selten auftreten und die meisten seiner Stücke wurden nie veröffentlicht. Im Herbst 1938 erhielt Leo Raphaeli eine kleine Rolle in dem Stück „Die kleine ungarische Kirchenmaus“ beim Jüdischen Kulturverbund in Hamburg. Die Central-Verein-Zeitung be- richtete in ihrer Ausgabe vom 29. September 1938 darüber: „Leo Raphaeli (Willi Hagen) [setzte] als angegrauter Schwerenöter mit liebenswürdiger Sicherheit Stiche und Pointen.“ Im Sommer 1939 ereilte Leo Raphaeli der nächste Schicksalsschlag. Seine Ehefrau Gisela starb am 18. Juni. Von nun an lebte Raphaeli allein in der Wohnung in der Schlüterstraße 54 a. Bei seiner Arbeit ließ Leo Raphaeli seiner Wut auf das NS-Regime freien Lauf. Seine Pro gram- me enthielten fast schon tollkühne Formulierungen und auf der Bühne improvisierte er mit ironischen Seitenhieben auf die Nationalsozialisten. Hinzu kam eine nie veröffentlichte Persiflage auf die Bücherverbrennung. All dies zog ihm endgültig den Hass der nationalsozi- alistischen Verfolgungsorgane zu. Am 25. Oktober 1941 wurde Leo Ra - phaeli mit dem ersten Transport von Hamburg ins Getto Lodz deportiert. Im Getto wohnte er in der Rauch Gasse 25 und litt dort unter Hunger und Krankheiten. So erkrankte er kurz vor seinem Tod an einer Blut ver gif - tung. Leo Raphaeli starb am 5. April 1942, dreiundsechzigjährig, im Getto Lodz. An ihn wurde in zahlreichen Le - sun gen, Ausstellungen und im Jüdi - Ein letztes Lebenszeichen von Leo Raphaeli aus dem Getto schen Kulturbund erinnert. Lodz USHMM Quellen: 1; 4; 5; 8; StaHH 214-1, Gerichtsvollzieherwesen, 572; USHMM, RG 15.083 300/575; ITS/ARCH/ Getto Litzmannstadt/1203968#1 (1.1.22.1/0008/0584); „Arm wie eine Kirchenmaus“ in: Central-Verein- Zeitung. Allgemeine Zeitung des Judentums vom 29.9.1938, S. 4; Hagen: Du siehst, Emanuel, es geht auch so!; IGDJ: Das jüdische Hamburg, S. 104f.; Müller-Wesemann: Theater als geistiger Widerstand, S. 270ff.; Offenborn: Jüdische Jugend, S. 839, S. 1180; Stengel/Gerigk: Lexikon der Juden in der Musik, S. 221.

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Markus Rieder, geb. 17.3.1870 in Szobrancz, Deportation 9.6.1943 nach Theresienstadt, 18.12.1943 nach Auschwitz Sophie Rieder, geb. Braunschweiger, geb. 9.7.1874 in Hamburg, Deportation 9.6.1943 nach Theresienstadt, 18.12.1943 nach Auschwitz 57 Averhoffstraße 22

Markus Rieder wurde 1879 im seinerzeit österreichisch-ungarischen Szobrancz geboren, einem Kurort bei Ungvár im Dreiländereck zwischen Ungarn, der Ukraine und der Slowakei. Nach 1918 gehörte das Gebiet zur Tschechoslowakei, heute zur Ukraine. Seine Eltern waren Joseph Ridder und Rachel, geb. Goldenberg. Infolge des seit Mitte der 1870er Jahre in Ungarn zunehmenden Antisemitismus verließen viele jüdische Familien das Land. Um 1889 kamen Markus Rieder und weitere Familienangehörige nach Norddeutschland. Er hatte das Schuhmacherhandwerk erlernt und war in diesem Beruf in Hamburg tätig, wo er bald sein erstes kleines Geschäft am Neuen Steinweg 32 eröffnete. 1895 heiratete er Sophie, die am 9. Juli 1874 als Kind der jüdischen Eheleute Louis Braun - schweiger und Betty, geb. Benjamin, in Hamburg zur Welt gekommen war. Markus und Sophie Rieder hatten drei Kinder: Grete Recha wurde am 2. Juni 1897 geboren, ihr folgten die Brü der James am 7. Mai 1899 und Max am 31. Dezember 1901. Die Familie bewohnte ein eigenes Haus in der Johnsallee 20.

Geburtsurkunde (Ausschnitt) und „für tot“-Erklärung auf den 8. Mai 1945 für Sophie Rieder StaHH

Markus Rieder war fleißig, geschäftstüchtig und erfolgreich. Zu Beginn des neuen Jahr hun - derts hatte er die Kette „M. Rieder“ mit mehreren Schuhläden aufgebaut, Schuhe von Rieder wurden ein Markenzeichen. Nach Ende des Ersten Weltkriegs wollte sich Markus Rieder, durch langjährige harte Arbeit in seiner Gesundheit beeinträchtigt, als 50-Jähriger aus dem

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Geschäft zurückziehen und von den Zinsen seines Ersparten leben. Einige Läden wurden an neue Inhaber verpachtet. Die Inflation zu Beginn der zwanziger Jahre änderte jedoch alle Pläne, da er einen beträchtlichen Teil seines Vermögens verlor. Dies veranlasste ihn zu einem Neubeginn. In kurzer Zeit gelang es ihm mit seinen Kenntnissen und Fähigkeiten, den neuen Schuhwarenhandel Rieder & Sohn zu etablieren, die Geschäfte gehörten zu den größten der Stadt. Eine Filiale in der Lappenbergsallee, Eimsbüttel, wurde von seinem Schwieger sohn Julius Mamelok geführt und später übernommen. Die Hauptfilialen lagen in der Ham burger Straße 164 und in der Bramfelder Straße 23 in Barmbek, außerdem gab es Geschäfte am Schulterblatt, am Neuen Steinweg, in Glückstadt und Itzehoe, das von einem Verwandten Markus Rieders geleitet wurde, Aaron und seiner Frau Giska Rieder. Aarons älterer Bruder Simon Rieder leitete das Schuhgeschäft S. Rieder in Hamburg, Fruchtallee 45, wo auch Julius Mamelok als Geschäftsführer tätig war, bevor er zur Filiale von Markus Rieder & Sohn in die Lappenbergsallee wechselte. Marcus und Sophie Rieder hatten ihr bisheriges Wohnhaus in der Johnsallee ab 1932 vermie- tet und waren seither in Uhlenhorst in der Averhoffstraße 22 gemeldet. Grete Recha, einzige Tochter der Familie, heiratete 1920 Julius Mamelok. Er wurde am 27. Mai 1884 in Freystadt/Westpreußen geboren als Sohn von Nathan Mamelok und Rahel, geb. Mar cus. Nach einer kaufmännischen Ausbildung arbeitete er vor dem Ersten Weltkrieg in Berlin als Abteilungsleiter und Einkäufer und kam nach vier Frontdienstjahren 1918 nach Ham burg. Er und Recha heirateten, sie wohnten zu Beginn der Ehe im Haus von Rechas Eltern in der Johns allee 20 in Harvestehude, wo ihr einziger Sohn Hans Norbert am 11. Mai 1921 geboren wurde. Später wohnte die Familie im Stellinger Weg 4 in Eimsbüttel. Julius Mame loks Geschäft wurde 1938 „arisiert“, der Erlös lag unter seinen finanziellen Ver bind - lich keiten, er sollte 13 699,60 RM betragen und auf ein Sonderkonto eingezahlt wer den. Am 12. Januar 1939 schrieb Julius an den Oberfinanzpräsidenten: „Ich habe mein Geschäft an Herrn Hans-Christian Hermann verkauft. Ich bitte gefl. um Genehmigung der Auszahlung, da ich meinen Verpflich tungen nachkommen muss.“ Es folgt der Zusatz: „Bemerke noch, daß ich 54 Jahre alt bin und eine Auswanderung für mich ... nicht in Frage kommt, zumal ich leidend bin.“ Die Familie war nun nahezu mittellos und musste von den Eltern/Schwiegereltern Rieder unterstützt werden. Nach Kündigung der Wohnung im Stellinger Weg zogen sie in angemie- tete Zimmer im Hause Mundsburger Damm 28, unweit von Rechas Eltern in der Averhoff - straße 22. Eine Auswanderung wurde zwar von Julius und Recha Mamelok nicht angestrebt, doch für den Sohn Hans konnte im Frühjahr 1939 mit Hilfe der Großeltern eine Schiffs pas - sage nach Shanghai organisiert werden, der 18-Jährige begab sich allein auf die Reise. Rechas Bruder James Rieder hatte bis 1914 die Talmud Tora Schule besucht und eine zweijäh- rige Lehrzeit in der Schuhfabrik Th. Müller + Co. in Frankfurt absolviert. Zurück in Hamburg, übernahm er Aufgaben im väterlichen Geschäft und leistete dann 1917 bis 1919 seinen Mili- tärdienst an der Front. Anschließend wurde er Teilhaber in der großen Filiale Ham burger

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Straße 164, Ecke Volksdorfer Straße. Er war verheiratet mit Alice, die ihm drei Kinder schenk- te: Werner, Eva und Ellen. Die Familie wohnte in der Hansastraße 78, Rotherbaum. Max, der Jüngste der Geschwister, besuchte die Talmud Thora Schule bis zum „Einjährigen“ (mittlere Reife). Er absolvierte im Betrieb des Vaters eine kaufmännische Ausbildung, sam- melte in anderen Firmen außerhalb Hamburgs Erfahrungen in Leitungspositionen und war nach seiner Rückkehr wieder in der Fa. Rieder & Sohn tätig. In Barmbek baute er eine große Schuhreparaturwerkstatt mit auf. Er hatte ebenfalls geheiratet, seine Frau hieß Ruth, geb. am 2. Dezember 1909, beide wohnten in der Hufnerstraße 42. Bis zu Beginn der dreißiger Jahre florierten die Geschäfte, die Firma hatte zu dieser Zeit einen Gesamtumsatz von knapp einer Million RM, das Vermögen Markus Rieders wurde auf 200 000 RM beziffert. Mit Beginn des Boykotts und der Verfolgungen durch immer ein- engendere Gesetze und Verordnungen ging der Umsatz zurück, obgleich die Qualität der Ware weiter einen größeren Kundenstamm sicherte. Der Gedanke an Verkauf und Auswanderung war für Geschäftsleute schon zu Beginn des „Dritten Reiches“ äußerst unattraktiv, weil damit hohe Steuern und Zwangsabgaben verbun- den waren. Die „Reichsfluchtsteuer“ stieg ab 1933 fortlaufend an, wer zwecks Aus wan - derung Geld transferieren wollte, musste dies als „Auswanderersperrguthaben“ beim Um - tausch von Devisen an die Deutsche Golddiskontbank entrichten mit Abschlägen von 65 Pro zent bereits im Jahr 1934, die im Juni 1938 auf 90 Prozent und Ende 1939 auf 96 Prozent anstiegen. Vielleicht spielte zunächst auch noch die Illusion einer Veränderung der politi- schen Verhältnisse eine Rolle. Viele zögerten jedenfalls, rechtzeitig Konsequenzen zu ziehen. Die zunehmend bedrohlichere Situation raubte jedoch alle Zukunftsperspektiven und veran- lasste zunächst die Familien von Max und James Rieder, eine Emigration in die Wege zu lei- ten. Der NS-Staat wollte die wirtschaftliche Vernichtung von Existenzen durch die „Arisie- rung“ jüdischer Geschäfte bis Ende 1938 abschließen, auch Firma Rieder & Sohn war ge zwungen, sich nach einem „politisch zuverlässigen“ Käufer umzusehen. Max und Ruth Rieder hatten als erste alle Bescheinigungen für die Auswanderung beisam - men, er und seine Frau erwarteten gerade das erste Kind. Am 12. Juli 1938 reiste Max jedoch allein nach Australien, um die Ankunft der übrigen Familie vorzubereiten. Ruth litt an Schwan- gerschaftskomplikationen und sollte zunächst bis zur Geburt des Kindes in Hamburg bleiben. Sie wohnte, da die Wohnung bereits aufgelöst war, vorübergehend im Stellinger Weg in Eims- büttel bei Familie Mamelok und nach deren Umzug an den Mundsburger Damm bei den Schwiegereltern in der Averhoffstraße. Die Emigration der Familie James Rieders war ebenfalls eingeleitet. Als Mitinhaber der Firma war er vor Ausstellung aller erforderlichen Unbedenklichkeitsbescheinigungen zusätzlichen Prü fungen seitens der Finanzbehörden, Zoll- und Devisenfahndungen, Banken und übrigen eingeschalteten Behörden unterworfen. 1936 war seine jüngste Tochter Ellen zur Welt ge- kom men, Sohn Werner im Jahre 1923 und Tochter Eva 1926. Die Zukunft der Kinder zu sichern war in den meisten jüdischen Familien eines der wichtigsten Anliegen, oft wurden sie

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vorausgeschickt oder irgendwie außer Landes gebracht, wie auch Hans Norbert Mamelok. James und Alice Rieder gelang es, gemeinsam mit den Kindern im September 1938 über Rot- terdam und London nach Melbourne in Australien auszuwandern. Bis September 1938 durfte eine vierköpfige jüdische Familie maximal 50 000 RM ins Ausland transferieren bei Kursver - lusten bis zu 70 Prozent, danach verschlechterten sich die Kurse weiter. Zwangsab gaben, Transportkosten, Schiffspassagen, Sonderabgaben für Freigabe von Umzugsgut verschlangen die Mittel von James Rieder, am Ende blieben 3000 RM übrig, die er seiner Schwester Recha überließ. Um an 200 australische Pfund zu gelangen, die er bei der Einwan derung in Austra - lien vorzuweisen hatte, war er zur Auflösung seiner Lebensversicherung gezwungen. Das Auswanderungsbegehren der Söhne führte zur Überwachung von Markus und Sophie Rieder. In einer Notiz des zuständigen Polizeireviers an die Devisenfahndung wurde mitgeteilt, es habe „nicht den Anschein, daß R. auswandern will, der gesamte Hausrat ist noch vorhan- den. Unterhält noch ein Schuhgeschäft in der Hamburger Straße. Beide besitzen seit Jahren Reisepässe.“ Beamte des Oberfinanzpräsidiums, Devisenstelle, legten am 15. Juli 1938 folgende Akten - notiz an: „... stelle anheim, eine Sicherungsanordnung zu erlassen“. Darunter die An mer- kung „Das Auswanderungsverfahren wird noch nicht eingeleitet.“ Am 20. Juli heißt es: „Wie ich erfahre, hat der Schuhwarenhändler Markus Rieder ... die Absicht, sein Geschäft in der Hamburger Straße zu verkaufen. Da R. Jude ist und sein Sohn bereits ausgewandert ist, ist anzunehmen, daß er und seine Ehefrau gleichfalls auswandern werden. R. besitzt die tsche chische Staatsangehörigkeit. Nach Mitteilung des Finanzamts Hamburg Barmbeck ... hat das Vermögen der Rieders am 1.1.1935 RM 117 000 und das Einkommen 1927 RM 22 632,– betragen. .... prüfen, ob Maßnahmen gem. § 37a Dev. zu treffen sind.“ Die Zollfahn dungs - stelle schrieb am 27. Juli: „Da James Rieder bereits seine Auswanderung betreibt, mussten auch gegen seinen Vater vorläufige Sicherungsanordnungen getroffen werden, um einer mög- lichen Kapitalflucht entgegen zu steuern.“ Weiter sei es zur Erteilung der Unbe denklich keits - bescheinigung an James Rieder notwendig, von ihm „den einwandfreien Nach weis über die Ver wendung der aus dem Geschäft stammenden Mittel zu fordern, um einer möglichen Kapi talflucht auf die Spur zu kommen.“ Das gesamte Vermögen von Markus Rieder wurde vorläufig sichergestellt. Am 22. August 1938 „...erscheint Frau Sophie Rieder, geb. Braunschweiger, und erklärt, daß ihr Mann krankheitshalber nicht erscheinen kann.“ Sophie Rieder stellte künftig mit Voll- macht Ihres Mannes Markus notwendige Anträge und tätigte Geschäfte. Markus Rieders Ge - sundheitszustand hatte sich verschlechtert, er war jetzt 68 Jahre alt. In einem späteren Wiedergutmachungsverfahren wird von einer familiären Belastung im Zusammenhang mit Herzerkrankungen gesprochen. Das Kesseltreiben gegen jüdische Mitmenschen spitzte sich 1938 dramatisch zu, Angst vor der Zukunft, um die Kinder, um Verlust der Früchte einer Lebensarbeit und der Wahlheimat lieferten viele Gründe für unerträgliche Belastungen für alle Betroffenen.

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Am 17. September traf eine Genehmigung über Ver - fügung von Grundstücken ein, die ver kauft/„arisiert“ werden mussten. Ein Schuhgeschäft M. Rie der, Inha- ber Joseph Leva am Neuen Steinweg 1–3 stand auf der Liste jüdischer Geschäfte, die aufgelöst werden sollten. Es ging um die Liegenschaften am neuen Stein weg 20 in Hamburg (Sophies Geburtshaus, am Sandberg 11 in Itze hoe und an der Großen Deich stra- ße 15 in Glück stadt. Ver kaufserlöse waren auf das Sperr kon to einzuzahlen, gleiches galt für Hypo the ken - for de rungen und Wertpapiere. „Über das Wa ren la ger darf nur im Rahmen des laufenden Einzel han dels ver- fügt werden.“ Als Inte res sen ten aus der Schuhbran - Das Schuhgeschäft Citreck in der Hambur- che für den Kauf der Ge schäfte und das dazugehöri- ger Straße 164 Verlag Weidmann ge Waren lager in Barmbek traten Michael und Her - mann Citreck mit Ge schäftsadresse in der Mo zart- straße 26–28 auf. Am 31. Oktober 1938 kam der Kauf zustande, der Erlös von 105 000 RM wurde dem Sperrkonto gutgeschrieben, die Schuhgeschäfte Rieder unter dem Namen Citreck neu eröffnet. Das Gebäude Hamburger Straße 164 existierte nur noch bis zur Zerstörung am 27. Juli 1942 durch Bom ben - an griffe, ein Jahr später bei den „Gomorrha“-An grif fen traf es auch die Bramfelder Straße 23. Ruth Rieders Gesundheits zu - stand führte schließlich zur sta- tionären Auf nah me im Israel i ti - schen Krankenhaus. Kurz vor der Entbindung musste sie das Kran kenhaus verlassen, im An - schluss an die Pogromnacht vom 9. November gab es Ver - Das brennende Haus in der Hamburger Straße 164 nach der Bombar - dierung Archiv Hans Brunswig haf tungen von Ärzten und Pfle gekräften durch die Gesta - po. Ein zig das katholische Marienkran kenhaus war bereit, die Patientin aufzunehmen, nachdem sie zuvor mehrere Abweisungen erlebt hatte. Am 17. No vember 1938 wurde Ruth von ihrem ers ten Kind entbunden, im Januar 1939 konnte sie mit ihm dem Ehemann nach Aus tralien fol- gen, da die Reise genehmigt und wegen der Kom pli kationen nur aufgeschoben war. Für Markus und Sophie Rieder war ein Verbleib in Deutschland nun auch nicht länger denkbar. Sie strebten den schnellstmöglichen Abschluss aller Geschäfte an – die Grundstücke wurden

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zur Belastung – und stellten Auswanderungsanträge, um ebenfalls nach Australien zu gelan- gen. Für die Tochter wurde ein Sperrkonto eingerichtet und eine Genehmigung für den Transfer von 23 000 RM als Geschenk eingeholt. Recha durfte laut Sicherheitsverord nung über einen monatlichen Freibetrag von zunächst 400, später 300 RM von diesem Konto verfügen. Das Genehmigungsverfahren für Markus und Sophie zog sich hin, während hohe Zwangs - abgaben wie Judenvermögensabgaben, Reichsfluchtsteuer, Auswanderungsabgaben die Ersparnisse schwinden ließen. Es existieren viele Belege über Anschaffungen für die Aus wan- de rung, Transportkosten, Frachtgut, Beratungsgebühren. Am 29. Juli 1939 stellte das „Welt- reisebüro“ eine Quittung für Schiffspassagen und zwei Fahrkarten Hamburg–London aus, doch der Kriegsbeginn verhinderte die Reise. Ende Oktober 1939 teilte der Oberfinanzpräsident eine Minderung des monatlichen Frei be trags auf 550 RM für das Ehepaar Rieder mit, das sich entschloss, die Wohnung in der Aver hoffstraße aufzugeben. Ein großer Teil des Mobiliars wurde als Umzugsgut verpackt und im Freihafen gela- gert. Im Januar 1940 teilten die Rieders den Behörden ihre neue Adresse in der Haynstraße 5 mit. Inzwischen warteten sie auf Unbedenklichkeitsbescheinigungen, die sich u. a. wegen vorge- blicher Unklarheiten und Zuständigkeiten bezüglich der Grund stücks verkäufe in Hamburg und Schleswig-Holstein verzögerten. Zu Spottpreisen hatten die Grund stücke Käufer gefunden, das Wohnhaus in der Johnsallee übernahm der Zahnarzt und bisherige Mieter Carl Koopmann. Das Ehepaar änderte noch zweimal seine Adresse. Von der Haynstraße zog es in das May-Stift, Bogenstraße 25, von dort in ein „Judenhaus“ in der Dillstraße 13; die letzte Unterkunft war ein weiteres „Judenhaus“ in der Beneckestraße 2. Ab 19. September 1941 mussten auch Mar kus und Sophie Rieder den gelben Stern tragen. Im Oktober erfolgte die Deportation ihrer Tochter Recha und des Schwiegersohnes Julius Mamelok. Knapp zwei Jahre nach deren Verschwinden ereilte sie der eigene Deportationsbefehl. Auf Zwang der Gestapo mussten sie noch einen „Heimeinkaufsvertrag“ unterschreiben und bezahlen, bevor am 9. Juni 1943 die Deportation ins „Vorzeigelager“ Theresienstadt stattfand, von dort am 18. Dezem ber 1943 ins Ver nich- tungslager Auschwitz. Sophie und Markus Rieder galten nach Kriegsende als verschollen und wurden 1951 vom Amtsgericht Hamburg mit Datum 8. Mai 1945 für tot erklärt. Für die Tochter und den Schwiegersohn kam der Deportationsbefehl schon 1941. Wie Agnes und Iwan Schumacher wurden sie laut Anordnung der geheimen Staatspolizei, Leitstelle Hamburg, mit dem Transport am 25. Oktober 1941 ins Getto Lodz verbracht. Mit dem 10. Mai 1942 ist ihre Weiterdeportation ins Vernichtungslager Chelmno dokumentiert, da nach gal- ten sie als verschollen. Nach 812 Tagen im Getto Shanghai erlebte Hans Mamelok die Befreiung durch die Ameri- kaner am 3. September 1945. Er litt allerdings zeitlebens unter den Folgen einer unzureichend behandelten Amöbenruhr. Von Shanghai aus gelang ihm mit Hilfe seines Onkels James dann die Überfahrt nach Australien, wo die Brüder seiner Mutter, Max und James Rieder, seit 1938 mit ihren Familien den Holocaust überlebt haben. Hans ließ sich später in St. Kilda, Victoria, nieder. Erst durch die Verwandten erfuhr er vom Schicksal seiner Eltern und Großeltern.

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James und Max Rieder mit Familien versuchten in Australien unter schwierigen Bedingungen, neue Existenzen aufzubauen. Über Max, der eine Arbeit als Schuhmacher gefunden hatte, und James Rieder, der als Chemiearbeiter tätig war, wissen wir aus den Wiedergut ma - chungsakten, dass ihre Gesundheit stark angegriffen war. Beide Brüder waren schwer herz- krank und deshalb erwerbsgemindert, Max starb 1960 mit 58 Jahren an Herzversagen, Ursache Coronarverschluss, sein Bruder James hatte 1955 einen Hinterwandinfarkt, litt an Coronarsklerose und Angina Pectoris. Ähnliche Diagnosen traten häufig bei überlebenden Nachkommen auf, es kann wohl angenommen werden, dass Verluste, Trauer und Ver zweif- lung einen nicht geringen Anteil an den Krankheitsentwicklungen hatten. Simon Rieder betrieb seine Auswanderung frühzeitig, ihm und seiner Familie gelang 1937 die Emigration in die USA. Aaron Rieder aus Itzehoe mit Frau und zwei Töchtern sowie drei seiner Brüder und weitere sechs Kinder sind in Auschwitz ermordet worden. Sophie Rieder, geb. Braunschweiger, war eine Verwandte von Agnes Schumacher, geb. Braun- schweiger, die mit ihrem Ehemann Iwan 1941 nach Lodz verschleppt worden und dort um- ge kommen ist. Stolpersteine für Recha und Julius Mamelok sollen im Stellinger Weg/Eims - büttel verlegt werden. – Erika Draeger Quellen: 1; 2; 5; 7; 8; StaHH 314-15, OFP, R 1938/1059; StaHH 314-15, OFP, R 1939/204; StaHH 314-15, OFP, R 1938/204; StaHH 332-3, A 181; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 2482 Rieder, Sophie; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 24.08.09 Rieder, Max; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 07.05.99 Rieder, James; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, E 11.05.21 Mamelok, Hans Norbert; Bajohr: „Arisierung in Ham- burg“, S. 153ff, S. 369; Meyer: Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden, S. 25ff, S. 42–74; Brunswig: Feuersturm über Hamburg, S. 248ff; Galerie Morgenland: „Wo Wurzeln waren...“, S. 114ff.; König: „... wohl nach Amerika oder Palästina ausgewandert“, http://www.akens.org/akens/texte/info/ 29/3.html Zugriff am 4.10.2009.

Jacob Rosenbacher-Levy, siehe Sara Levy Heinrich-Hertz-Straße 19

Charlotte Rosenfeld, geb. 10.9.1905, am 1.12.1941 von Stuttgart aus nach Riga deportiert und dort ermordet 58 Papenhuder Straße 40

Charlotte Rosenfeld wurde als eine von drei Töchtern des jüdischen Ehepaares Benjamin und Theresia Rosenfeld, geb. Meyer, in Stuttgart geboren. Ihr Vater Benjamin Rosenfeld war In - haber der Firma B. Rosenfeld, Maschinenöle und Putzwollfabrik. Die Familie wohnte in einer Sechs-Zimmer-Wohnung im zweiten Stock in der Militärstraße 35 (heute Breitscheidstraße 35) in Stuttgart, im Hinterhaus befand sich das Firmengebäude. Auch das Gebäude selbst gehörte seit 1898 Benjamin Rosenfeld. Die gelernte Kontoristin Charlotte Rosenfeld zog Anfang der dreißiger Jahre nach Hamburg, um hier als „Sozialbeamtin“ tätig zu sein. Eine Wohnung fand sie in der Papenhuder Straße

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40. Durch das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 verlor Charlotte ihre Anstellung und kehrte daraufhin am 1. Juni 1933 nach Stuttgart zurück, wo sie wieder in die elterliche Wohnung zog. Im August 1937 starb Charlottes Vater Benjamin Rosenfeld und sein Besitz ging auf seine Familie über. Zwei Jahre später zog das Deutsche Reich das Haus der Familie Rosenfeld ein und die Firma wurde „arisiert“. Doch zunächst konnten die restlichen Fa mi - lienmitglieder in der Militärstraße Die Deportationsliste aus Baden-Württemberg ITS woh nen bleiben. 1941 zog Theresias Schwester, Char lotte Behr, zu ihnen in die Wohnung. Sie war geschieden und hatte zuvor im fünften Stock des Hauses in einer eigenen Wohnung gelebt. Charlotte Rosenfeld wurde am 1. Dezember 1941 von Stuttgart in das Getto Riga deportiert und gilt seitdem als verschollen. Zu diesem Zeitpunkt war sie 36 Jahre alt, unverheiratet und hatte keine Kinder. Die zwei Schwestern von Charlotte und ihr Schicksal sind unbekannt. Mutter Theresia Rosen- feld und ihre Schwester Charlotte Behr wurden 1942 gezwungen, ins Jüdische Altersheim nach Dellmensingen zu ziehen. Lediglich zwei Koffer und einen Teppich durfte Theresia mitnehmen. Am 22. August 1942 wur- den die Schwestern nach Theresienstadt deportiert und von dort aus nach Treblinka weiterdeportiert. Vor dem Gebäude in der Stuttgarter Breitscheidstraße 35, ehe - mals Militärstraße 35, liegen drei Stolpersteine in Gedenken an Charlotte Behr, Theresia Rosenfeld und ihre Tochter Charlotte Rosenfeld. Quellen: 1; 4; 5; 8; ITS/ARCH/Transportlisten Gestapo, Baden-Württemberg/11201363#1 (1.2.1.1/0001- 0060/0026C/0221); Israelitische Kulturvereinigung in Württemberg und Hohenzollern (Hg.): Deportierten- liste der von 1939 bis 1945 zwangsweise in KZ’s, Arbeitslager usw. verbrachten Juden aus Württemberg und Hohenzollern; Zelzer: Weg und Schicksal der Stuttgarter Juden S. 359; Stolpersteine in Stuttgart: http://www.stolpersteine-stuttgart.de/index.php?docid=196, Zugriff am 11.6.2009.

Wilhelm Sander, siehe Max Nathan Karlstraße 2

Jakob Schoeps, geb. 10.9.1877 in Zerkow, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk Irma Schoeps, geb. Levy, geb. 20.9.1890 in Altona, deportiert 8.11.1941 nach Minsk 59 Bramfelder Straße 23

Jakob Schoeps, auch Jacob oder Jaques, wurde am 10. September 1877 in Zerkow, Provinz Posen, geboren. Seine Eltern waren Hermann Schoeps und Pauline, geb. Brinn. Er wohnte ab

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1905 in Hamburg. Am 8. Januar 1910 heiratete er seine Frau Irma, die am 20. September 1890 in Altona als Kind der Familie Levy zur Welt gekommen war. Ihre früh verwitwete Mutter hieß Rosa. Das Ehepaar hatte drei Kinder. Sohn Walter Max Ludwig wurde am 22. Ok- tober 1910 geboren, Tochter Anne - liese am 17. Januar 1914 und das Nesthäkchen Eva Pauline am 26. Sep - tember 1927. Jakob Schoeps erhielt seine ärztliche Approbation 1902 und war seit 1905 zu den Kassen zugelassen. Nach der Bramfelder Straße 23, ca. 1910 Hochzeit praktizierte er als niederge- Geschichtswerkstatt Barmbek lassener praktischer Arzt und Geburts - helfer in Barmbek, Praxis und Woh - nung befanden sich in der Bramfelder Straße 23. Am Ersten Weltkrieg nahm er als Kriegs freiwilliger teil, wurde Offizier und leitete ein Lazarett. Seine Tochter Anneliese erinnerte sich später an mehrere Auszeichnungen, die der Vater für den Kriegsdienst erhalten hatte. Der Junior Walter Schoeps besuchte zunächst das Realgymnasium in Barmbek, später die Oberrealschule in Eppendorf bis zum „Einjährigen“ (mittlere Reife) und absolvierte eine Aus- bildung als Drogist in der Firma Krenzin & Seifert AG und der Hamburger Drogistenfach schu - le. Danach besuchte er die höhere Handelsschule des Gewerkschaftsbundes für Angestellte und begann 1932 durch Vermittlung seines Onkels Max Schoeps in Mülhausen eine kaufmän- nische Ausbildung, denn geplant war für später der Kauf und Aufbau einer eigenen Dro gerie. Die Boykottaktionen im Jahr darauf bewogen ihn zum Abbruch, er kehrte nach Ham burg zurück und entschied sich nach eingehender Beratung mit den Eltern für die Auswanderung nach Palästina. Schon im Oktober 1933 war es soweit. Der Vater Jakob Schoeps transferierte Geld zum Kauf einer Siedlungsgelegenheit und zum Bau eines Hauses in Pardess-Channa. Ge- plant war, dass die übrige Familie folgen würde. Ende 1934 unternahm Jakob Schoeps allein eine Reise nach Palästina. Das Palästina-Amt Berlin der Jewish Agency for Palestine bescheinigte ihm eine geplante Informationsreise zur Klärung der Frage, ob das Land für eine Auswanderung in Frage komme. Vom Landesfinanz - amt benötigte er im September dafür die Genehmigung eines Antrags auf Einzahlung von 500 RM an die Bank der Tempelgesellschaft in Jaffa und die gleiche Summe für Hotel gut- scheine für eine Person. Walters Schwester Anneliese besuchte zunächst in Hamburg die höhere Töchterschule und war in der Privatklinik Dr. Kalmann in Hamburg als Lehrschwester tätig. Anschließend nahm sie eine Ausbildung als Laborantin im Jüdischen Krankenhaus auf. Sie stellte im Oktober 1935 einen Antrag auf Ausfuhrgenehmigung von 27 500 RM wegen Auswanderung nach

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Palästina und heiratete am 31. Januar 1936 Erich Eckmann. Ihr Abmeldeschein trägt das Da- tum vom 3. März 1936, über London gelangten sie nach Palästina. Während die älteren Kinder sich in relativer Sicherheit befanden, führte Jakob Schoeps die Praxis in Barmbek bis zur Aberkennung der Approbation 1938 fort. Im August desselben Jahres stellte er einen Antrag auf Genehmigung zur Einzahlung von 50 000 RM auf das Son- der konto für Palästina-Auswanderung wegen beabsichtigter Auswanderung. Die Genehmi - gung wurde ihm am 26. August in Aussicht gestellt, Anfang September kam der Bescheid einer Sicherungsanordnung. Verbliebenes Vermögen war auf ein Sonderkonto einzuzahlen, genehmigt wurden monatlich 1000 RM zur Verfügung der Familie. In einer Notiz der Finanz- behörde heißt es „Nach Vorladung erschien Dr. med. Jacob Schoeps und überreichte Ver - mögensaufstellung ... Er beabsichtigt, innerhalb des nächsten Jahres nach Palästina auszu- wandern.“ Sein Vermögen wurde mit ca. 70 000 RM angegeben. Am 16. September war eine Reichsfluchtsteuer von 16 000 RM zu zahlen. Das Finanzamt Hamburg Barmbek teilte der Gestapo am 8. Oktober mit, Jakob Schoeps habe die Absicht zur Auswanderung geäußert. Verteiler waren die Zollfahndungsstelle, die Reichsbankenanstalt, die Devisenstelle und der Steuerfahndungsdienst. Im November 1938 wurde Jakob Schoeps mit vielen anderen Juden in „Schutzhaft“ genommen und im KZ Sach - senhausen misshandelt. Nach seiner Entlassung gelang es den Eltern Schoeps, Tochter Eva auf die Reise zur Schwester Anneliese in Tel Aviv zu schicken. Jakob und Irma Schoeps mussten nun die große Wohnung und ehemalige Praxis in der Bramfelder Straße 23 aufgeben, ein Teil der Möbel war bereits ab Oktober 1938 für die Auswanderung als Umzugsgut bei der Firma Keim, Krauth und Co. in Altona gelagert. Für die Zeit bis zur eigenen Ausreise wollten sie bei Irmas verwitweter Mutter Rosa Levy wohnen und zogen zu ihr in die Parkallee 10. Laut einer Bescheinigung der „Gemeindeverwaltung, öffentliche Ankaufstelle“ lieferte Jakob Schoeps Ende Mai 1939 Gegenstände aus Gold und Silber ab, Schalen, Besteck, Schmuck im Gegenwert von 520 RM, davon 10 Prozent Ver wal - tungsgebühr. Im August 1939 wurden neue Anträge auf benötigte Unbedenklichkeitsbescheinigungen und Mitnahme von Umzugsgut gestellt, geplant war nun eine Ausreise nach England, um von dort nach Palästina zu gelangen. Doch am 1. September begann durch den deutschen Einmarsch in Polen der Zweite Weltkrieg, zwei Tage später folgte die Kriegserklärung Eng - lands als Antwort und Reisepläne mussten auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Gleich- zeitig führte der Oberfinanzpräsident eine neue Befragung zum jüdischen Vermögen durch, auf die eine Neufestsetzung des monatlichen Betrags folgte, der vom Sperrkonto abgehoben werden durfte. Monatlich 275 RM wurden dem Ehepaar am 20. Oktober genehmigt. Im November reichte Jakob Schoeps die Bitte um Ermäßigung der 5. Rate der Juden- vermögensabgabe ein. „Mein und meiner Ehefrau Vermögen hat sich durch die Abgaben der letzten Jahre und durch die im August 1939 bezahlte Reichsfluchtsteuer in Höhe von 11 505 RM stark vermindert und beträgt lt. der letzten Aufstellung zur Sicherungsanordnung

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Antrag auf Mitnahme einer größeren Menge Wäsche und Haushaltsgegenstände als Umzugsgut StaHH

... 14 430 RM. Da unsere für den September 1939 vorgesehen gewesene Auswanderung in - zwischen unmöglich geworden ist und da wir andere Einnahmen nicht haben, sind wir für eine nicht absehbare Zeit auf dieses Vermögen zur Bestreitung unseres Lebensunterhalts an - gewiesen. Ich bitte darum um Gewährung der Ermäßigung.“ Die Antwort des Oberfinanzpräsidenten: „Für Ihren Antrag bin ich nicht zuständig. Ich stelle anheim, den Antrag bei Ihrem zuständigen Finanzamt zu erneuern.“ Ein neuer Anlauf erfolgte zu Beginn des Jahres 1940, wieder mussten Bescheinigungen be - antragt, Fragebögen ausgefüllt werden. Jakob Schoeps beantragte die Freigabe von 100 RM als Anzahlung für Reisegeld („betr. Auswanderung“), Zahlungsempfänger war das Atala- Reisebüro Frankfurt/M., Vertretung Hamburg. Am 27. Juni 1940 erfolgte ein neuer Antrag über die gleiche Summe, „zur Verrechnung zukünftiger Auslagen in meiner Auswande rungs- angelegenheit, insbes. Telegrammkosten.“ Inzwischen hatte auch ein Wohnungswechsel stattgefunden, die Postanschrift lautete nun auf Haynstraße 5.

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Unbedenklichkeitsbescheinigungen von Kämmerei, Reichsbank und Finanzamt waren erfor- derlich zur Erlangung der Reisepässe. Die Prozedur zog sich hin, im Februar 1941 mussten neuerlich Gebühren zur Prüfung des Umzugsguts errichtet werden. Ab September waren sie gezwungen, den „Judenstern“ zu tragen und im November 1941 erhielten Jakob und Irma Schoeps den Deportationsbefehl, sie wurden ins Getto Minsk verschleppt und galten nach Kriegsende als verschollen. Beide wurden für tot erklärt, Irma Schoeps zum 8. Mai 1945 und Jakob Schoeps zum Jahresende 1945. Ihre Kinder überlebten den Holocaust in Palästina. Evas künftiger Ehemann war Hanan Ep- stein, später führte sie den Namen Chawa Avni und lebte in Haifa. Ihr Bruder Walter Schoeps heiratete 1938 Anneliese, geb. Todtenkopf, sie bekamen 1941 einen Sohn. Walter litt inzwi- schen an einer schweren Wirbelsäulenerkrankung, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die ungewohnte schwere Arbeit zurückzuführen war, infolge der von ihm allein bewerkstelligten Bewirtschaftung des Siedlungsgrundstücks und des Hausbaus, in dem auch seine Eltern ihren Lebensabend hatten verbringen sollen. Er konnte keine Landarbeit mehr ausüben und ver- suchte durch Kauf von Pferd und Wagen ein kleines Fuhrunternehmen aufzubauen, um die Fa milie zu ernähren. Auch diese Arbeit war zu schwer, vorübergehend war er als Lagerar bei- ter tätig und schließlich als Pfleger in einem Krankenhaus für psychisch kranke Menschen. Im Rahmen der Wiedergutmachung beantragte Walter Schoeps 1957 ein Darlehen von 10 000 DM und war bereit, weitere Ansprüche an die Bundesrepublik Deutschland abzutre- ten. Das Geld wurde dringend benötigt, auch seine Frau Anneliese war körperlich einge- schränkt und erwerbsgemindert, doch der Bearbeitungsprozess zog sich in die Länge. Im September 1958 reiste Walter Schoeps in Begleitung seines 17-jährigen Sohnes nach Ham - burg, um sich nach dem Stand der Dinge zu erkundigen, wohl in der Hoffnung, vor Ort mehr erreichen zu können als auf dem Postwege. Hier wurde er am 4. Oktober Opfer eines Ver - kehrs unfalls und starb am gleichen Tag im Krankenhaus Lohmühlenstraße. Sein Sohn erlitt einen Nervenzusammenbruch, Mutter Anneliese Schoeps musste aus Palästina kommen und sich um alles Notwendige kümmern. Es wird schwer gewesen sein, diesen neuen Schick sals - schlag zu verkraften. – Erika Draeger Quellen: 1; 2; 5; 8; StaHH 314-15, OFP, F 2196 Bd. 1+2; StaHH 314-15, OFP, R 1938/1874; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 22.10.10 Schoeps, Walter; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 23.07.13 Schoeps, Anne- liese; von Villiez: Mit aller Kraft verdrängt, S. 395.

Heinrich Friedrich Karl Schrage, geb. 30.9.1893, am 12.9.1944 im Konzentrations- lager Fuhlsbüttel erhängt aufgefunden 60 Hofweg 6

Karl Schrage wurde am 30. September 1893 als Sohn des Schneiders Carl Ludwig und des- sen Ehefrau Emma, geb. Arend, geboren. Die Familie wohnte in Kassel in der Schäfergasse 39. Mit 18 Jahren verließ Karl Schrage sein Elternhaus und lebte vorübergehend zur Unter -

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miete. Seinen Unterhalt verdiente er als Schlosser und Monteur. 1913 zog er nach Saarlouis. Dort erlebte er den Beginn des Ersten Weltkrieges und wurde Soldat. Nach einer Verwundung kam er 1915 ins Lazarett und kehrte dann zu seinen Eltern in die Gießbergstraße 38 in Kassel zurück. Am 17. September 1921 heiratete er die vier Jahre jüngere Annemarie Thiessen aus Marne in Schleswig-Holstein in ihrem Heimatort. Das Ehepaar lebte zunächst in Kassel. Am 1. März 1929 zogen Annemarie und Karl Schrage nach Hamburg. Sie wohnten anfangs in Ro then- burgs ort, in der Vierländer Straße 39. Ganz in der Nähe, in der Markmannstraße 125, eröffnete Karl Schrage im Jahr 1935 eine Tankstelle. Im Februar 1940 bezog das Ehe paar, das inzwischen die beiden verwaisten Kinder einer Cousine von Annemarie Schrage aufgenommen hatte, eine größere Wohnung in der ersten Etage des Hauses Hofweg 6. Am 9. September 1944 wurde Karl Schrage auf seiner Tankstelle verhaftet und in das Konzentra tions lager Fuhlsbüttel gebracht. Der gleiche Schlag traf seinen Bruder Adolf, der in Wellingsbüttel lebte (von ihm wird in einer weiteren Stolperstein-Broschüre die Rede Das Haus Hofweg 6, 2009 Privatbesitz sein). Am 12. September 1944 wurde Karl Schrage er- hängt in seiner Zelle aufgefunden. Genau einen Mo - nat später, am 12. Oktober 1944, wurde sein Bruder unter den gleichen Umständen entdeckt. In beiden Fällen konstatierte der Lagerarzt als Todesursache: „Strangulation, Selbst mord“. Karl Schrages Witwe berichtete nach dem Krieg, dass er erst kurz zuvor nach einer schweren Nieren-Operation aus dem Krankenhaus entlassen worden sei. Sie selbst sei am Tag der Ver - haftung bei Bekannten in Marne gewesen und unruhig geworden, als sie ihren Mann an die- sem und dem folgenden Tag nicht telefonisch erreichen konnte. Daraufhin sei sie nach Ham - burg zurückgekehrt, habe Nachforschungen angestellt und bald darauf von seinem Tod er fahren. Gegenüber dem Wiedergutmachungsamt führte sie (nach dem Krieg wieder ver- heiratet) die Verhaftung ihres Mannes auf seine Gegnerschaft zum Nationalsozialismus zu- rück und brachte auch schriftliche Zeugenaussagen von Bekannten ihres damaligen Mannes bei, die be stätigten, dass er sich ihnen gegenüber abfällig über das Regime geäußert hatte. Das Amt bezweifelte jedoch, dass dies der Verhaftungsgrund gewesen sei und verweigerte die An er ken nung der politischen Verfolgung Karl Schrages und damit eine Entschädi gungs- zahlung. Die erhaltene Akte über die Todesumstände gibt ebenfalls keinen Hinweis auf einen politi- schen Verhaftungsgrund – einschlägige Vorwürfe hätten etwa auf „Wehrkraftzersetzung“, „Heimtücke“ oder „Defaitismus“ lauten können. Stattdessen heißt es in der Akte: „Der Inhaber der Grosstankstelle Hamburg-Rothenburgsort, Karl Schrage, geb. 30.9.93 in Kassel,

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wohnhaft in Hamburg, Hofweg 6, wurde am 9.9.44 von der Geheimen Staatspolizei wegen Treibstoff-Sabotage festgenommen. In der Vernehmung am 11.9.44 gab Schrage zu, durch Vermittlung seines Bruders Adolf Schrage, der technischer Angestellter bei der Firma Klöck- ner [...] ist, wiederholt größere Mengen Benzin erhalten zu haben, das er an verschiedene Personen gegen bezugsbeschränkte Lebensmittel abgegeben habe. Karl Schrage [...] hat sich in der Nacht vom 11. zum 12. 9.44 in seiner Zelle erhängt.“ Es bleibt unklar, wie weit diese Vorwürfe zutrafen. Auch kann ein politischer Kontext der hier genannten Delikte nicht völlig ausgeschlossen werden, den die Gestapo vielleicht nicht er - kannt hat. Klar ist jedoch, dass Karl und Adolf Schrage nicht nach rechtstaatlichen Grundsätzen behan- delt wurden. Was wirklich mit ihnen geschah, ist nicht mehr sicher aufzuklären. Emil Schacht, der spätere Ehemann der Witwe, berichtete von einem ihm namentlich nicht bekannten Zeu gen, der 1950 in der Wohnung am Hofweg 6 auftauchte: „Der Zeuge gab sich als Auf sichtsbeamter des Konzentrationslagers Fuhlsbüttel aus und erklärte, daß dort in seinem Bereich auch die Zelle mit dem inhaftierten Herrn Schrage vorhanden war. [...] Der Zeuge teilte mit, daß er eines Tages den Häftling Herrn Schrage an einem Türpfosten an einer Schnur erhängt vorfand. Der Tod muß kurz vorher eingetreten sein. Auf meine Frage, ob die Häftlinge mißhandelt worden sind, versicherte der Zeuge, daß Mißhandlungen vorgekomm- men sind, er daran aber nicht aktiv beteiligt gewesen sei. Vielmehr hätten andere [...] die Gefangenen im Keller zusammengetrieben und schwer mit Knüppeln mißhandelt. Unter den Mißhandelten sei auch Herr Schra ge gewesen. [...] Die Todesursache konnte der Zeuge auf mein Befragen nicht erklären. Auf meine Frage nach der Herkunft der Schnur, an der der Tote hing, blieb der Zeuge die Antwort schuldig. Es fiel auf, daß Gefangene nicht selbst im Besitz einer Schnur sein konnten.“ Vielleicht hat es sich so oder so ähnlich abgespielt. Extreme Misshandlungen waren im Konzen trationslager Fuhlsbüttel an der Tagesordnung. Vielleicht wurde Karl Schrage durch eine solche Erfahrung in den Tod getrieben. Genauso ist aber möglich, dass er von den dort Wäch terdienste versehenden Schlägern ermordet wurde. – Carmen Smiatacz/Ulrike Sparr

Quellen: StaHH 332-5, Personenstandsunterlagen, 9953 und 1373/1944; Diercks, Herbert, Gedenkbuch „KOLA-FU“, S. 37; Stadtarchiv Kassel; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 19217; StaHH 331-5, Polizeibe- hörde – Unnatürliche Sterbefälle, 3 1944 1420; StaHH 331-5, Polizeibehörde – Unnatürliche Sterbefälle, 1193; Bajohr, Parvenüs und Profiteure; Garbe, Institutionen des Terrors; Hochmuth, Gestapo-Gefängnis Fuhlsbüttel.

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Isaak (Iwan) Schumacher, geb. 28.9.1875, am 25.10.1941 nach Lodz deportiert, Todesdatum 12.1.1943 Auguste (Agnes) Schumacher, geb. Lichtenstein, adopt. Braunschweiger, geb. 13.8.1875, deportiert am 25.10.1941 nach Lodz, Todesdatum 6.7.1944 61 Richardstraße 11

Isaak Schumacher, genannt Iwan, wurde in Libau geboren, einer Stadt in Lettland. Seine jüdi- schen Eltern waren der Kaufmann Jacob Isaac Schumacher, geb. am 20. Juli 1838 in Libau und Johanna (Hannchen), geb. am 26. Juni 1851 in Altona. Ihr Vater Hermann Lewandowski war Kantor und Diament der Israelitischen Gemeinde. Nach der Trauung am 20. Januar 1874, die von einem Rabbiner der Deutsch-Israelitischen Gemeinde in Hamburg durchgeführt wurde, zogen beide nach Libau. Wenige Jahre später verstarb Jacob Isaac Schumacher und der kleine Sohn kam zu den Großeltern Lewandowski nach Altona, wo er aufwuchs und die Schule besuchte. Als Schüler des Christianeums lernte er Moses Goldschmidt kennen, ein Mitschüler, der in seinen Erinnerungen später von einer lebenslangen Freundschaft berichtete. Auguste Schumacher, die Agnes genannt wurde, kam am 13. August 1875 in Altona zur Welt. Ihre ebenfalls jüdischen Eltern waren Abraham Lichtenstein und Marianne, geb. Braun - schweiger. 1897 wurde sie vom Kaufmann Moses Braunschweiger adoptiert und nahm des- sen Namen an. Sie und Iwan Schumacher waren gleichaltrig und kannten sich schon lange, bevor sie 1907 heirateten. Das Ehepaar hatte keine Kinder. Aus Moses Goldschmidts Erinne - run gen wissen wir, dass Iwan und Agnes die Rufnamen des Paares waren. Moses Goldschmidt und der zwei Jahre jüngere Iwan Schumacher besuchten das Christia neum in Altona ab Ostern 1884 und erlangten das Abitur mit Wiederholungen 1894. In ihrer Klas- se waren sie die einzigen jüdischen Schüler und zeigten sich an den humanistischen Fä chern nicht sonderlich interessiert. Gute Leistungen erzielten sie in den Fächern Physik und Mathe- matik und entschieden sich beide im Abgangsjahr für ein Medizinstudium. Für Moses war die Fakultät in Würzburg erste Wahl, sein Freund Iwan schrieb sich zunächst in Heidelberg ein, wechselte aber nach einem Semester ebenfalls nach Würzburg. Hier verbrachten sie laut Moses Goldschmidt eine sehr schöne Zeit, waren Mitglieder einer studentischen Verbindung namens Wirceburgia und knüpften enge Kontakte zu Kommilitonen, Bundesbrüder genannt, von denen etliche später auch in Hamburger Kliniken tätig wurden oder sich hier in der Stadt niederließen. Erwähnt werden die Namen Heinrich Katz, Oettinger, Cramer, Jacoby, Julius Jolowicz, Georg Manes und Richard Lewinsohn. Wir erfahren einiges über den damals unver- zichtbaren Fechtsport und eine Mensur, der Iwan Schumacher sich zu stellen hatte und von der er die Narbe eines tiefen Schnitts vom Ohr über die Wange bis zum Mundwinkel davon- trug. Iwans Dissertation aus dem Jahre 1898, in Würzburg erschienen und im Staatsarchiv Berlin einsehbar, trägt den Titel „Über verästelte Knochenbildung in der Lunge“. Nach dem Studium fand die medizinische Ausbildung in Norddeutschland ihre Fortsetzung. Es folgten schlecht bezahlte Tätigkeiten in Krankenhäusern und verschiedene Aushilfen. Mo - ses Goldschmidt, inzwischen Familienvater und niedergelassener Arzt in St. Georg mit zahl-

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reichen Patienten, traf 1907 seinen strahlenden Freund Iwan Schuma cher, der soeben seine große Kassenzulas - sung erhalten hatte und im Stadtteil Barmbek eine Praxis eröffnen wollte. Endlich konnte er seiner langjährigen Verlobten Agnes eine vermeintlich si- chere Zukunft bieten und sie heiraten. Die Praxis befand sich zunächst am Markt, später wurden Wohn- und Pra- Blick in die Richardstraße, das mittlere hohe Gebäude in der Häuserzeile war die Nr. 11. xisräume im ersten Stock der Richard - Geschichtswerkstatt Barmbek straße 11 gefunden, gut erreich bar für Patienten aus den ärmeren Arbeiterquartieren nördlich und zahlungskräftigere Bewohner süd- lich der Hamburger Straße, der damals belebten und beliebten Einkaufs- und Flaniermeile. In diesem Haus wohnten beide bis zu ihrer „Aussiede lung“. Iwan Schumacher diente während des Ersten Weltkrieges beim Heer, Nachweise gibt es für die Jahre 1916 und 1917. In dieser Zeit betrug sein Jahres einkommen 6000 RM, das nach dem Krieg und der anschließenden Infla tion langsam anstieg. In Goldschmidts Erinnerungen ist die Rede von einem Unfall des Freundes im Jahre 1923, einem nächtlichen Sturz bei der Rückkehr von einem Hausbesuch. Gerade hatte der „Ham - bur ger Aufstand“ stattgefunden, in Barmbek war es zu heftigen Straßenkämpfen zwischen Kommunisten und der Polizei gekommen. Auf unbeleuchteten Gehwegen lagen noch Sta - chel drahtrollen, von der Polizei noch nicht entfernt und für Spätheimkehrer Iwan Schuma- cher im Dunkeln eine Stolperfalle. Bei seinem Sturz erlitt er eine Fraktur des Ellenbogen - gelenks und trug dauerhafte Bewegungseinschränkungen davon, doch seine Tätigkeit als prak tischer Arzt übte er aus, bis das Naziregime es nicht mehr zuließ. Über das Alltagsleben des Ehepaars in Barmbek wissen wir nichts. Im April 1939, nachdem im Jahr zuvor jüdischen Ärzten erst die Ersatzkassenzulassungen, dann die Approbationen aberkannt worden waren und viele jüdische Kollegen bereits das Land verlassen oder ihre Emigration vorbereitet hatten, wurde gegen Iwan Schumacher eine Siche rungsanordnung erlassen. Aus einem Schreiben der Zollfahndungsstelle an die Devi sen - stelle des Oberfinanzpräsidiums geht hervor, ein Kapitalfluchtverdacht begründe sich „auf die Tatsache, dass Schumacher Jude ist und auszuwandern beabsichtigt.“ Es gelte „zu ver- hindern, dass unter Verletzung oder Umgehung bestehender Vorschriften Devisen entzogen werden.“ Zugestellt wurde diese Anordnung neben dem Betroffenen auch der Commerz- und Privat- bank Hamburg, die sein Vermögen und ein Girokonto verwaltete, der Depositenkasse Barm - bek, die ein weiteres Konto führte und der Iduna-Germania-Lebensversicherung, bei der eine Police abgeschlossen war. Iwan Schumacher hatte bei der Gewerbepolizei sein Vermögen an -

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zumelden, es belief sich auf 121 985,84 RM zzgl. Lebensversicherung und sonstigen Werten wie Ölbilder, Teppiche, Schmuck und Silber, die auf 4000 RM geschätzt wurden. Per Ein - schrei ben wurde ihm mitgeteilt, dass er auf Grund von § 59 des Devisensteuergesetzes vom 12. Dezember 1938 nur noch mit ausdrücklicher schriftlicher Genehmigung der Devisenstelle über sein inzwischen gesperrtes Girokonto verfügen dürfe, auf das auch alle anderen Ver mö - genswerte „gutzubringen“ seien. Die monatliche Entnahme von 800 RM war ihm gestattet sowie Zahlungen für öffentliche Abgaben und Steuern einschließlich der Judenvermögens - abgabe. Für Zuwiderhandlungen wurden Gefängnis und Geldstrafe, in schweren Fällen

Brief der Versicherungsgesellschaft StaHH

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Zuchthaus und Geldstrafe angedroht. Begründung: „Herr Dr. I. Schumacher ist Jude. Bei den in letzter Zeit mit Juden gemachten Erfahrungen ist es erforderlich, Verfügungen über ihr Vermögen nur mit Genehmigung der Devisenstelle zuzulassen.“ Möglicherweise legte Iwan Schumacher Beschwerde ein, denn mit Schreiben vom Ober - finanzpräsidenten wird die Sicherungsanordnung bestätigt: „Beschwerde ist an den Herrn Reichs wirtschaftsminister, Berlin, gegeben. Sie ist – in doppelter Ausführung – bei mir einzu- reichen.“ Die Commerzbank informierte die Zollfahndungsstelle über Guthabenhöhe und Wertpapiere, die Iduna-Lebensversicherung fragte beim Oberfinanzpräsidenten an, ob sich die Sicherungsanordnung auch auf die Ehefrau bezöge, die bei vorzeitigem Tod des Ver siche - rungsnehmers Zahlungsempfängerin sein würde. Die Antwort kam per Ergänzungs anord - nung: „... ordne mit sofortiger Wirkung an, dass Frau Schumacher als Bezugsberechtigte ... nur mit meiner Genehmigung verfügen darf.“ Im September 1939 musste Iwan Schumacher für eine neue Festsetzung des monatlich zur Verfügung stehenden Betrags einen Fragebogen über laufende Kosten ausfüllen: Miete 180 RM, Lebensunterhalt 250 RM, Hausangestellte 80 RM, Zuwendung an Erna Lewandowski im Jüdischen Siechenheim Altona 10 RM und Sonstiges 250 RM = 800 RM. Es gibt also einen Hinweis auf eine ältere Verwandte mütterlicherseits. Mit Sicherungsanordnung vom 20. Ok- to ber 1939 wurde der bisher genehmigte Betrag von 800 auf 600 RM reduziert. Die Anordnungen vom Oberfinanzpräsidium, Devisenstelle, waren immer noch an die An- schrift Richardstraße 11 gerichtet. Die Wohnung konnte weiter bewohnt werden, da Hypo- theken auf das Grundstück von der Depositenkasse milder Stiftungen des Jüdischen Religions - verbandes Hamburg e. V. verwaltet wurden und der seit 1939 aufgehobene Mieterschutz für Juden hier nicht die üblichen Auswirkungen hatte. 1943 gehörte das Haus zu den von der Gestapo beschlagnahmten Immobilien, doch deren Freude daran währte nicht lange. In der Nacht vom 29. auf den 30. Juli wurde es im Rahmen der „Operation Gomorrha“ durch Bomben zusammen mit den benachbarten Häusern bis auf die Grundmauern zerstört. Moses Goldschmidt befand sich seit 1939 im Exil in Brasilien. Unter widrigen Umständen war ihm die Auswanderung zu seinen bereits dort lebenden Söhnen gelungen, während die Tochter in Frankreich einen Mann mit britischer Staatsangehörigkeit geheiratet hatte und damit vor Verfolgungen geschützt war. Seine Frau war bereits einige Jahre zuvor verstorben, Freund Iwan hatte die Trauerrede gehalten. Das erarbeitete Vermögen war aufgebraucht oder beschlagnahmt, nahezu mittellos und mit angeschlagener Gesundheit lebte Moses Gold schmidt nun bei einem seiner Söhne und ahnte, dass er nicht mehr viel Zeit haben würde. Er war schon lange herzkrank. 1941 begann er mit der Aufzeichnung seiner Erinne- run gen und sorgte sich um die Hamburger Freunde. Sie hatten keine Verwandten im Aus - land, mit deren Hilfe sie an ein Visum gelangen konnten. Als er seine Aufzeichnungen anfertigte, waren Agnes und Iwan, von denen er keine Nachricht hatte, vielleicht schon fort, der Deportationsbefehl erreichte sie im Herbst. Am 25. Ok to ber 1941 fand der erste Deportationstransport Hamburger Juden statt, deren letzte Reise an der

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Dr. med. I. Schumacher, Litzmannstadt/ Getto, 7/11/41 Herr Max Nagel leidet an hochgradiger Spondylitis und Nervenentzündung der aus- tretenden Nervenstämme. Es ist infolge seines Leidens unmöglich, dass er auf dem Fussboden liegt. Es wird ärztlicherseits empfohlen, ihm möglichst bald ein Quartier zu verschaffen. gez. Dr. Schumacher, Lagerarzt, Mühlgasse 25

Richard Baer, Fischstr. 15, ist noch fieberhaft erkrankt und noch arbeitsunfähig bis 20. Mai. 10/V/42 Dr. Schumacher

Weitere Atteste, die Iwan Schumacher ausstellte, Ärztliches Zeugnis lauteten beispielsweise: Frau Schloss, Zelda (?), 46 Jahre, hat hochgradige Oedeme bis in die Oberschenkel hinauf, Asates (?). Ärztliches Attest Sie ist für die Ausreise nicht transportfähig. Frau Nath, Rachel, Hanseatenstraße 76/10, ist 7.V.1942 Dr. Schumacher wegen eines Uterusprolapses und Senkung für eine Operation im Krankenhaus bereits vorge- merkt. Die Qualification ist beim Gesundheitsamt Ärztliches Attest, Litzmannstadt G. 7.V.42 bereits abgegeben. Frau Nath, die jetzt eine Herr Gutenberg, Marcus, 43 Jahre, ist seit mehre- Aussiedlungsaufforderung erhalten hat, ist durch ren Monaten bettlägerig krank. Er leidet an einer ihr Leiden so behindert, dass sie nicht längere Thrombose des linken Beines und an einer Wege zu Fuss machen kann und sie kann auch Kreislaufstörung. Herr Gutenberg ist nicht trans- nichts tragen. portfähig für die Ausreise. Dr. Schumacher 9.V.42 Dr. Schumacher

Ärztliches Attest Ärztliches Zeugnis Frau Gutenberg, Rosa, 41 Jahre, ist an einer hoch- Herr Schloss, David, 60 Jahre alt, liegt seit gradigen körperlichen Schwäche mit Schwindel an - 6 Wochen an Herzmuskelschwäche und Nie- fällen erkrankt. Sie leidet an Unterleibsblu tungen. renentzündung krank. Er hat Ödeme an Händen, Frau Gutenberg hat fünf Kinder im Alter von Gesicht und Füssen und ist in einem hochgradig 14, 11, 9, 7, 5 Jahren zu pflegen. Sie ist durch die geschwächten Ermat tungszustand. Herr Schloss ist Pflege körperlich dermassen überanstrengt, dass zur Zeit nicht für die Ausreise transportfähig. sich Schwindel und Ohnmachtsanfälle einstellen. 7.V.1942, Dr. Schumacher Sie ist meines Erachtens zur Zeit nicht transportfä- hig. Zimmer 13, Haus 15 7.V.42 Dr. Schumacher Kind Ruth Schernez, 15 Jahre ist plötzlich fieber- haft an Grippe erkrankt (38,7 recht oft 42) und nicht transportfähig. 6.V.42 Dr. Schumacher Quelle: USHMM

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Moorweide am Dammtor begann und im polnischen Getto Lodz endete. Drei Tage zuvor wurde das Finanzamt Hamburg-Dammtor mit der Verwertung des von der Gestapo be schlag- nahmten Eigentums beauftragt. Transportteilnehmer waren auch Isaak Iwan Schumacher und seine Frau Auguste Agnes, beide 66 Jahre alt und damit zu den 30 über 65-Jährigen gehö- rend, die entgegen den „Richtlinien“ mit diesem Transport „ausgesiedelt“ wurden. Iwan Schumacher starb am 12. Januar 1943 im Getto Lodz, ein Aktenvermerk nennt als Todesursache „Unterernährung“. Letzte Lebenszeichen besagen, dass er als Lagerarzt ande- re Gefangene betreut und versucht hatte, Erleichterungen für sie zu erreichen, so etwa durch erbetene Verbesserungen der katastrophalen Unterbringungssituation im Lager oder Atteste, die seine Patienten wegen Transportunfähigkeit vor der „Ausreise“ retten sollten. Doch half dies in den meisten Fällen nicht, denn der Auftrag der Aussiedlungskommission bestand ja gerade darin, diejenigen Leute zu deportieren, die nicht mit der Produktion von Waren be - schäftigt waren. In den meisten Fällen führte die Bestätigung „nicht transportfähig“ nur dazu, dass die Kommission „przewoz“ vermerkte, also „mit Wagen transportieren“. Auguste Agnes Schumacher folgte ihrem Mann Iwan im Jahr darauf am 6. Juli 1944, ihre Todes umstände sind unbekannt. Moses Goldschmidt erlag 1943 einem Herzan fall. Seine Aufzeichnungen gelangten Jahr - zehnte später in die Hände seiner in England lebenden Enkelin, deren Ehemann Raymond Fromm sie überarbeitet und 2004 veröffentlicht hat. – Erika Draeger Quellen: 1; 2; 5; 8; StaHH 314-15, OFP, R 1939/2318; StaHH 314-15, OFP, St Ic 1424; USHMM, RG 15.083 299/77, 719, 720; 300/701-702, 891; 302/351, 611, 662; Meyer: Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden, S. 29, S. 43, S. 48, S. 206; von Villiez: Mit aller Kraft verdrängt., S. 279, S. 396; Goldschmidt/ Fromm: Mein Leben als Jude in Deutschland, S. 59, S. 70, S. 96, S. 109, S. 153; USHMM, RG 15.083 299/77, 719, 720; 300/701-702, 891; 302/351, 611, 662; Brunswig: Feuersturm über Ham- burg, S. 248ff.; Humanistisches Gymnasium Christianeum in Hamburg, Archiv der Schulbibliothek; Staats- bibliothek Berlin online: http://stabikat.de/DB=1/SET=6/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT= LST_aty&TRM=iwan+schumacher, Zugriff am 11.12.2009.

Karl Schumann, geb. 21.6.1902, verhaftet wegen Hochverrat im Jahr 1937, am 26.6.1945 in Jugoslawien in Kriegsgefangen schaft gestorben 62 Prechtsweg 15

Der Sozialdemokrat Karl Schumann wurde als Sohn des Ehepaares Carl und Margarethe Schu - mann in Hamburg geboren. Er hatte noch zwei weitere Geschwister. Zwar war er gelernter Tischler, doch eine Anstellung fand er bei der Hamburgischen Zimmererkrankenkasse in der Hamburger Straße, wo er im Büro tätig war. Karl Schumann heiratete Anfang der dreißiger Jahre die vier Jahre jüngere Margarethe Stol - ten, mit der er zwei Kinder bekam. Sein erster Sohn Wolfgang wurde am 6. September 1936 in Hamburg geboren. Von seinem monatlichen Gehalt, rund 260 RM, finanzierte Karl Schu- mann für seine Familie eine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung im Prechtsweg 15.

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Am 1. Dezember 1936 wurde Karl Schu mann von der Gestapo verhaftet. In einer Karteikarte des Sicher heitsdienstes der SS heißt es zu ihm: „Ta gesrapport Stapo Ham burg 1.12.36, fest- genommen wegen Verbreitung illegaler Schrif - ten bis Mitte 1935. So zia listische Aktion, Neu - er Vor wärts, Rote Bücher, ‚Kunst des Selbst ra sierens’“. Durch die Verhaftung verlor Karl Schumann seine Anstellung und Mar ga - Der Prechtsweg 11–19 im Nationalsozialismus rethe musste die Wohnung aufgeben und ihre Privatbesitz Familie mit Hilfe der Wohlfahrt ernähren. Karl Schumann wurde vom Hanseatischen Ober landesgericht Hamburg zu einer Zuchthausstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt, welche er vom 11. Mai 1937 bis 5. Februar 1938 im Konzentrationslager Fuhlsbüt - tel und anschließend bis zum 4. September 1939 im Emslandlager Aschendorfermoor ver- büßte. Nach seiner Entlassung kehrte er zu seiner Familie zurück. Ende 1942 wurde Karl Schumann zum sogenannten Bewährungsbataillon 999 eingezogen. Dies war eine Strafdivision der Wehrmacht, in der sich Gefangene aus Zuchthäusern und Kon zentrationslagern wiederfanden. Zum Teil waren es politische Gefangene, aber auch

Gefangenenkarteikarte aus Fuhlsbüttel von Karl Schumann StaHH

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Kriminelle wurden dem Bataillon zugeteilt. Seit dem 5. Mai 1943 musste Schumann als Sol- dat beim 2. Afrika-Schützen-Regiment 963 dienen. Zu diesem Zeitpunkt war seine Frau Mar- garethe bereits mit seinem zweiten Sohn Manfred schwanger, welcher am 26. August 1943 in Ludwigslust zur Welt kam. Karl sollte seinen Sohn nicht mehr zu sehen bekommen. Nach seinem Einsatz in Afrika wurde Karl Schumann nach Jugoslawien versetzt. Der letzte Eintrag in seinem Soldbuch lautete: Ersatzbrigade 999, Truppenübungsplatz Baumholder. Am 26. Juni 1944 geriet Karl Schumann in jugoslawische Gefangenschaft. Ein Jahr später, am 26. Juni 1945, starb er in Pancevo, Jugoslawien, in Kriegsgefangenschaft an den Folgen der Ruhr. Quellen: StaHH 242-1 II, Gefängnisverwaltung II, Abl. 13, Gefangenenkartei Männer (ältere Kartei); StaHH 242-1 II, Gefängnisverwaltung II, Abl. 16, Untersuchungshaftkartei Männer; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 21.06.02 Schumann, Karl; Totenliste Hamburger Widerstandskämpfer und Verfolgter 1933–1945.

Harald Seligmann, geb. 9.5.1886, am 26.6.1942 im Konzentrationslager Neuengamme gestorben 63 Schwanenwik 29

Harald Seligmann kam als Sohn des Auswanderer- Expedienten Carl Seligmann und seiner Ehefrau Jo - hanna, geb. Peine, in Hamburg zur Welt. Nachdem er seinen Schulabschluss an der Dr.-Anton-Rée-Real - schule bekommen hatte, begann er eine Lehre zum Gastronomen. Seine Arbeit als Gastwirt führte ihn durch ganz Deutschland bis er schließlich im Jahr 1908 zur Armee ging. Zwei Jahre lang diente Harald Seligmann beim 85. Infanterieregiment. Nach seiner Dienstzeit fuhr Harald Seligmann meh- rere Jahre zur See. Mit Beginn des Ersten Welt krie - Das Haus im Schwanenwik 29, 2009 Privatbesitz ges wurde er zur Marine eingezogen und in Kiel sta- tioniert, wo er bis Kriegsende bei der Spionage- Ab wehr tätig war. 1916 heiratete Harald Seligmann seine Verlobte Bian ka Diek. Sie war katholisch und auch er trat ihrem Glauben bei. Ihr einziges Kind, Harald jr., wurde am 19. Oktober 1918 in Kiel ge boren. Nach Kriegsende musste Harald Seligmann sich um eine neue Anstellung bemühen. Seit 1925 arbeitete er als Nachtportier im Hamburger Hotel „Vier Jah res zei ten“. Sein Sohn wurde im sel- ben Jahr eingeschult und besuchte bis 1935 eine katholische Realschule. Da nach wechselte er auf die Ober real schule auf der Uh len horst, wo er 1937 sein Abitur bestand. Wie sehr sich die Familie Seligmann von ihren jüdischen Wur zeln gelöst hatte, zeigt sich darin, dass Harald jr., „Mischling ersten Grades“, zwei Jahre lang Mitglied der Hitlerjugend war, bis er 1936 aufgrund seines jüdischen Vaters ausgeschlossen wurde.

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Nach dem Arbeitsdienst begann Harald jr. ein Chemiestudium an der Universität Hamburg. Die sozialen Verhältnisse der Familie verschlechterten sich 1938, weil Harald Seligmann im März entlassen wurde. Um sein Studium finanzieren zu können, begann Harald jr. bei den Hamburger Gaswerken am Grasbrook als Laborant zu arbeiten. Doch das Geld der Familie reichte auf Dauer nicht aus, um das Studium weiterhin bezahlen zu können. Deswegen ent- schloss sich Bianka Seligmann, eine Gastwirtschaft zu eröffnen. Die Konzession für den Be - trieb wurde ihr jedoch verwehrt. Nur wenn sie sich innerhalb von vier Wochen von ihrem Ehemann scheiden ließ, würde sie die Konzession erhalten, lautete die Forderung. Letztlich beschloss das Ehepaar Seligmann, sich dem Druck zu beugen und Bianka Seligmann reichte 1939 die Scheidung ein. Zwar war das Ehepaar nun geschieden, doch besuchte Harald Seligmann seine Familie wei - terhin in der ehemals gemeinsamen Wohnung am Schwanenwik 29. Nach einem dieser Besuche wurde er denunziert und am 6. März 1939 von der Polizei verhaftet. Er habe gegen die §§ 2 und 5 II des „Gesetzes zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ verstoßen, lautete die Anklage. Am 11. August 1939 wurde Harald Seligmann wegen „Ras - sen schande“ zu zwei Jahren Haft verurteilt, von denen er drei Monate bereits in Unter - suchungshaft verbüßt hatte. Am 19. August 1939 trat Harald Seligmann seine Strafe im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel an. Während seiner Haft erlitt er am 18. März 1940 einen Schwindelanfall und stürzte, wodurch er sich eine schwere Platzwunde am Hinterkopf zuzog. Im selben Jahr bemühte sich Harald Seligmann um ein Gnadengesuch beim zuständigen Richter, welches jedoch abgelehnt wurde. Noch während seiner Haft versuchte Harald Seligmann, eine Auswanderung für die Zeit nach seiner Entlassung zu organisieren. Hierzu schrieb er die Jüdische Gemeinde an und hoffte auf Unterstützung durch seinen Vetter Hans Seligmann. Doch eine Auswanderung war für ihn zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich. Nach der vollständigen Verbüßung seiner Strafe wurde Harald Seligmann am 18. Mai 1941 um 18:00 Uhr abends aus dem Polizeigefängnis Fuhlsbüttel entlassen und mit der Be grün- dung der „Schutzhaft“ ins Konzentrationslager Neuengamme überstellt. Dort starb er am 26. Juni 1942. Offiziell hieß es, er sei an einer Lungen- und Darmtuberkulose in der Landes- heil- und Pflegeanstalt Bernburg gestorben. Auch sein Sohn Harald jr. war kurzzeitig in Fuhlsbüttel inhaftiert. Im Mai 1939 traf er seinen alten Schulfreund Hippa auf der Straße. Beide unterhielten sich über Politik und Harald jr. ließ während des Gesprächs verlauten, er halte die aktuelle politische Lage in Deutschland für bedenklich. Im Oktober trafen sich beide zufällig wieder auf der Langen Reihe. Diesmal spra- chen sie über den Polenfeldzug und Harald jr. ließ sich zu der Aussage hinreißen: „Der Krieg mit Polen musste so schnell zu Ende gehen, weil wir mit Giftgas geschossen haben. Die Polen sind umgefallen wie die Fliegen.“ Außerdem meinte er, das Naziregime werde bald ver- schwinden und dann sei der Krieg zu Ende. Harald jr. wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, dass Hippa Politischer Leiter der NSDAP war und jedes Gespräch seiner Ortsgruppe meldete.

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Sterbeurkunde aus dem Konzentrationslager Neuengamme Photoarchiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme

Es folgten noch mehrere Zusammentreffen der ehemaligen Schulkameraden und bei ihrem letzten wurde Hippa von einem Passanten mit „Heil Hitler!“ gegrüßt. Daraufhin bemerkte Harald Seligmann jr.: „Du kannst ja auch später mal sagen, du hättest anstelle des Partei - abzeichens eine Leuchtplakette getragen.“ Hippa zeigte Harald jr. kurzerhand an und dieser wurde verhaftet. Wegen „Heimtücke“ wurde Harald Seligmann jr. zu einer Gefängnisstrafe von 10 Monaten verurteilt, die er am 15. März 1940 antrat. Im Oktober desselben Jahres wurde er wieder entlassen. Harald Seligmann jr. überlebte den Holocaust.

Quellen: 1; 2; 4; 5; 8; StaHH 242-1 II, Gefängnisverwaltung II, 1094/39 Seligmann; StaHH 314-15, OFP, R 1940/937; KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Totenbuch; Sonderstandesamt Neuengamme, Sterberegister.

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Noemi Carola Sello, geb. Weil, geb. 26.12.1890, Flucht in den Tod am 24.10.1941 64 Hartwicusstraße 2

Noemi Weil kam als Tochter von Henri Weil und seiner Frau Ada, geb. Wodiska, in Paris zur Welt. Wann sie nach Deutschland zog, ist nicht bekannt, ihre Eltern und Verwandten blieben in Frankreich. Noemi Weil heiratete am 24. April 1922 den neun Jahre älteren Heinrich Sello in Berlin- Wilmersdorf. Schon drei Jahre nach der Hochzeit wurde die Ehe am 25. Juni 1925 vom Berliner Landgericht geschieden. Nach ihrer Scheidung verließ Noemi Sello Berlin und zog nach Hamburg in die Hartwicus - straße 2. Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft musste sie ihre Wohnung 1939 aufgeben und in die Höltystraße 6 umziehen, wo sie bei Emmi Schanze zur Untermiete wohnte. Bis zuletzt versuchte Noemi Sello, sich ihren Lebensunterhalt als Arbeiterin selbst zu verdienen. Im Herbst 1941 erhielt Noemi Sello die Aufforderung, sich am 24. Oktober in der Nieder- sachsen Provinzialloge in der Moorweidenstraße einzufinden. Von dort aus sollte sie einen Tag später mit dem ersten Transport von Hamburg ins Getto Lodz deportiert werden. Ihre Vermieterin berichtete der Polizei, dass Noemi Sello am Vorabend der Deportation ihren Koffer packte. Sie selbst ging zu Bett und wachte erst am nächsten Morgen gegen 6 Uhr 20 wieder auf, weil sie einen starken Gasgeruch wahrnahm. In der Küche fand sie Noemi Sello. Diese saß auf einem Küchenstuhl und hatte den Gasschlauch im Mund. Emmi Schanze dreh- te den Gashahn ab und benachrichtigte die Polizei, die kurz darauf zusammen mit der Feuer- wehr erschien. Die Feuerwehr öffnete Fenster und Türen und versuchte Noemi Sello zu reanimieren, doch der herbeigerufene Arzt konnte nur noch ihren Tod feststellen. Noemi Sello wurde nur fünf- zig Jahre alt, keiner ihrer Angehörigen konnte ihr in ihren letzten Stunden beistehen. Quellen: 1; 4; 5; 8; StaHH 331-5, Polizeibehörde – Unnatürliche Sterbefälle, 3 Akte 1941/1680.

Die Hartwicusstraße im Jahr 1916 Bildarchiv Hamburg

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Irma Sperling, geb. 20.1.1930, Todesdatum 8.1.1944 in der Heilanstalt „Am Steinhof“ in Wien 65 Adolf-Schönfelder-Straße 31 (früher Rönnhaidstraße 30, gegenüber)

Irma Sperling wurde nur dreizehn Jahre alt. Da sie eine geistige Behinderung hatte, wurde sie von Ärzten in der Heilanstalt „Am Steinhof“ in Wien ermordet und somit ein Opfer der Eutha nasie. Bei ihrer Geburt deutete alles auf ein gesundes Kind hin, laut Bericht der Geburtsklinik Fin - kenau war sie 50 cm groß, 3200 gr. schwer und hatte keine weiteren Auffälligkeiten. Als siebtes von zwölf Kindern wuchs sie in ärmlichen Verhältnissen auf. Ihr Vater, Bruno Sperling, arbeitete als Angestellter bei der „Allgemeinen Ortskrankenkasse Hamburg“. Da er aktiv in der Arbeiterbewegung tätig gewesen war, wurde er am 5. Mai 1933 von der Gestapo ver- haftet und verlor während der Haft seine Anstellung. Danach geriet die Familie in immer grö- ßere finanzielle Not. Die Mutter, Anna Katharina Helene Sperling, geb. Pappermann, war zu dem Zeitpunkt schon lange krank und musste unter anderem wegen einer Herzbeutelentzündung und Rheuma- tismus auch stationär behandelt werden. Trotz der schwierigen Verhältnisse, in denen sich Familie Sperling befand, blieb zu Hause immer noch Zeit für schöne Momente. Die Kinder und ihre Eltern sangen und musizierten gemeinsam, und auch Irma zeigte als kleines Mädchen eine musikalische Begabung. Ihre zwei Jahre ältere Schwester Antje Kosemund erinnerte sich später daran, dass Irma oft in ihrem Bettchen saß, sich zur Musik wiegte und im Takt zu klatschen versuchte. Damit Irma Sperlings Behinderung be - han delt werden konnte, wurde sie für mehrere Monate ins Krankenhaus Ro - then burgsort eingeliefert. Dort entwi- ckelte sie sich gut, erlernte das Sitzen, Stehen und Laufen. Ihr Vater schickte sie danach in eine Tageskrippe. Im Au - gust 1933 attestierte ihr jedoch ein Arzt „Schwachsinn“ und forderte die Eltern Irma Sperling (2. v. r.) im Sommer 1936 im Park der ehe- maligen Alsterdorfer Anstalten Privatbesitz auf, Irma Sperling in die damaligen Alster- dorfer Anstalten zu verlegen. Die Einwei - sung erfolgte dann am 21. Dezem ber 1933. Dort bekam das kleine Mädchen weder die För- de rung noch die Zuwendung, die sie dringend benötigte. Deshalb dauerte es auch nicht lange, bis sie ihre Fähigkeiten wieder verlernte und sogar aggressive Züge zeigte. Für Antje Kosemund blieb Irma immer wie folgt in Erinnerung: „Lange braune Locken hatte sie und schöne braune Augen – ein ausdrucksvolles Gesicht. Heute würde man so ein Kind auf die Förderschule schicken, wo sie sich hätte entwickeln können.“

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Zusammen mit 227 anderen Mädchen und Frauen wurde Irma Sperling am 16. August 1943 in als „Reichspost“ getarnten Bussen in die Heilanstalt „Am Steinhof“ in Wien gebracht. Dort begannen ihre Qualen. Das Mädchen wurde kaum noch ernährt und erhielt stattdessen eine Überdosierung der Medi - kamente. Nach acht Wochen wog sie statt 40 nur noch 28 Kilogramm. In ihrer Krankenakte vom 26. Sep tem ber 1943 wurden zudem auch ihre zunehmenden Aggres sionen ver- merkt: „[Sie] schlägt eine große Fensterscheibe ein, ohne sich zu verletzen. Zwangsjacke.“ Mit dreizehn anderen Kindern wurde Irma Sperling schließlich in die Kinderfachabteilung „Am Spiegelgrund“, Pavillon 15, Irma Sperling 1934 verlegt. Keines der Kinder überlebte die „Behandlung“. Privatbesitz Zwischen 1942 und 1945 wurden mehr als 300 Kinder in der Heilanstalt „Am Steinhof“ in Wien getötet. Ihre Gehirne wur- den gesammelt und nach 1945 von Dr. Heinrich Gross, der bis in die achtziger Jahre hinein nahezu unbehelligt praktizierte, für gehirnanatomische For schungen weiterverwendet. Irma Sperling starb am 8. Januar 1944. In der Sterbeurkunde wurde die damals übliche Todes- ursache angegeben: Grippe und Lungenentzündung, sowie zusätzlich angeborene zerebrale Kinderlähmung. Tatsächlich starben die meisten Kinder an den Folgen des Medikaments Luminol. Auch Irma Sperlings Gehirn wurde nach ihrem Tod präpariert und zu anderen Präparaten in eine Ge - hirnkammer gestellt. Erst 1996 erreichte ihre Schwester Antje Kosemund eine Überführung der Überreste nach Hamburg. Am 8. Mai 1996 wurden die sterblichen Überreste von Irma, sieben weiteren Kindern bzw. Jugendlichen und zwei Frauen feierlich auf dem Ehrenfeld der Geschwister-Scholl-Stiftung auf dem Friedhof Ohlsdorf bestattet. 2002 erreichte Antje Kosemund die Nachricht, dass die Krankenakte von Irma aufgetaucht sei. Jahrelang hatte sie nach dieser Akte immer wieder gefragt. Man hatte in Wien einen ver- schlossenen Metallschrank aufgebrochen und dort vier Akten von Opfern noch aus der Alsterdorfer Zeit entdeckt. Auch fanden sich weitere präparierte Gehirnschnitte von Irma und unzähligen weiteren Menschen auf einem Dachboden des Wiener Institutes, die am 28. April 2002 in der Gedenkstätte auf dem Wiener Zentralfriedhof beigesetzt wurden. In Alsterdorf trägt heute eine Straße den Namen Irma-Sperling-Weg. – Stefanie Rückner/Carmen Smiatacz Quellen: Bake: Wer steckt dahinter?, S. 91f.; Kosemund: Spurensuche Irma.; Persönliche Gespräche mit Frau Antje Kosemund, Hamburg 2009; Wunder: Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr, S. 23ff, S. 222; Spiegelgrund – ein Film von Angelika Schuster und Tristan Sindelgruber, Österreich 2000.

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Walter Wolfgang Stock, geb. 17.1.1897 in Altona, Verhaftung 9.3.1944, Deportation nach Auschwitz im Juli 1944 66 Bendixensweg 3

Walter Wolfgang Stock kam am 17. Januar 1897 in Altona zur Welt als Sohn seiner unver- heirateten jüdischen Mutter Adelheid Stock, geboren am 7. Januar 1867 in Fliestedten. Wal - ter hatte eine ältere Schwester Helena, geb. 1888, und eine jüngere Schwerster Louise Stock. Adelheid Stock heiratete später Ludwig Behr, geb. am 17. März 1877 in Leimersheim, und hatte mit ihm einen weiteren Sohn, Joseph Behr. Walter Stock besuchte die Talmud Tora Schule bis zum „Einjährigen“ (mittlere Reife), darauf folgte eine kaufmännische Lehre in einer Firma für Schneiderbedarfsartikel. In diesem Beruf war er bis 1928 tätig, danach als Handelsvertreter bei dem Wohnungsanzeiger Lessner in der ABC-Straße. Sein durchschnittliches Monatsgehalt betrug 360 RM. 1936 heiratete er die evangelische Erna Marie Sophie Baumgartl, geboren am 28. August 1899, und lebte mit ihr und Ernas Tochter Marianne, geboren am 2. September 1924 und evangelisch getauft, in einer „privile- gierten Mischehe“. Die Familie wohnte in der Alten Wöhr 2a und im Ben di xens - weg 3 in Barmbek und hatte viel Kon - takt mit Lissi Acker, deren Großmutter väterlicherseits eine ge bo rene Stock und mit Walters Mutter verwandt war. Mit Lissi und ihrem neun jährigen Sohn Helmut verbrachten Walter und Erna Stock auch Weihnachtsfest und Sylves - terabend 1942 bei Ackers in der Gens - Walter und Erna Stock zum Jahreswechsel 1942/43 bei Fa- milie Acker Privatbesitz lerstraße 16. Walter Stock verlor seine Arbeit aus Grün den „rassischer“ Verfolgung. Er ging davon aus, „Halbjude“ zu sein und einen „arischen“ Vater zu ha ben, doch bei der Gestapo galt er als „Volljude“. Nach längerer Arbeits losig keit betätigte er sich ab 1941 im Schneiderhandwerk und übernahm Aufträge als Heimarbeiter. Die Familie überlebte 1943 die verheerenden Bombenangriffe auf Hamburg. Aufgrund einer Be - merkung vor oder während eines der Bombardements im Luftschutzkeller („es leben die Luft- gangster und Nichtarier“) wurde Walter Monate später von einem Mann aus der Nach barschaft denunziert. Am 9. März 1944 erfolgte die Verhaftung, man brachte ihn ins Poli zeige fängnis Fuhlsbüttel, im Juli 1944 mit einem Deportationstransport nach Auschwitz. Seine Frau erhielt Briefe von ihm mit Datum vom 24. September, 8. Oktober, 26. November und 10. Dezem ber, danach gab es kein Lebenszeichen mehr, er galt als verschollen. Mit Beschluss vom 6. Oktober 1946 hat das Hamburger Amtsgericht Walter Stock für tot erklärt auf den 8. Mai 1945, 24 Uhr.

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Es bestand Unklarheit, von wem die Anzeige ausgegangen war. Vermutungen richteten sich gegen zwei Nachbarn, von denen sich einer im Jahre 1946 schriftlich bei der Witwe Erna Stock gegen den Verdacht der Denunziation verwahrte und ein Ehepaar benannte, das sich ihm gegenüber für die Anzeige verantwortlich erklärt habe. Erna Stock gab später an, dass gegen sie während der Inhaftierung ihres Mannes eine Wohnungsräumung durchgeführt wurde. Sie war wohnungslos, mittellos, krank und musste gleich nach dem Krieg eine Son - der hilfsrente beantragen, die nach dem Bundesergänzungsgesetz von 1953 aufgebessert werden sollte. Noch 1957 galten jedoch die Ermittlungen als nicht abgeschlossen, erst ein Jahr später kam endlich der neue Rentenbescheid.

Ehemalige Nachbarn wollen nicht in den Verdacht der Denunziation geraten Privatbesitz

Walters Bruder Joseph Behr war Leiter des Verlags M. Lessmann, in dem auch das Israelische Familienblatt erschien. Er und seine Ehefrau Hildegard, geb. Holland, bewohnten eine 3 ½-Zim- mer-Wohnung im Alten Teichweg 7 in Barmbek. Der Verlag wurde am 9. November 1938 auf Anordnung der Gestapo liquidiert und Joseph Behr in der Pogromnacht aus der Wohnung der Schwiegereltern in der Hufnerstraße verhaftet. Erst brachte man ihn ins Polizeige fängnis Fuhls- büttel, von dort ging es weiter ins KZ Sachsenhausen. Am 15. Dezember wurde er freigelassen, weil er seine Bemühungen um Emigration nachweisen konnte. Bis zur endgültigen Aus reise musste er die zermürbende Prozedur durchstehen, sich täglich bei der Gestapo zu melden. Joseph Behr und seine Frau traten am 29. März 1939 mit dem Schiff „General Osono“ die Fahrt in die Emigration nach Buenos Aires an. In Argentinien konnte das Paar zunächst auf-

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atmen, aber die Ehe wurde geschieden oder die erste Frau Behr verstarb dort. Es gab später zwei weitere Ehefrauen. Joseph Behr konnte aufgrund anfänglicher Sprachschwierigkeiten beruflich nur schwer Fuß fassen; nach längerer Eingewöhnung arbeitete er als Buchhalter. Zudem war er durch seine angeschlagene Gesundheit beeinträchtigt, jahrelang quälten ihn ein Zwölffingerdarm ge - schwür und eine Ohrenerkrankung. Auch das tropische Klima bekam ihm nicht gut. Joseph – inzwischen José – Behr konnte für einen Teil seiner durch politische Umstände und Flucht bedingten Einschränkungen im Rahmen langwieriger Wiedergutmachungsverfahren Ent- schä digungen erstreiten. Er starb mit knapp 65 Jahren am 18. Juli 1969. Hildegard Stocks Eltern wohnten in der Hufnerstraße 40, ihre Mutter Lisette Holland, geboren am 15. Mai 1881 in Fliestedten, war eine Tante von Walter Stock. Lisette wurde am 15. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert und von dort am 15. Mai 1944 weiter nach Auschwitz, wo sie ermordet wurde. Hildegards Vater Eugen Holland, geb. am 13. August 1876 in Bad Rappenau, folgte mit dem Transport am 23. Juni 1943 nach Theresienstadt und kam dort am 24. Januar 1944 um.Walters Mutter Adelheid Behr und sein Stiefvater Ludwig Behr wurden nach Minsk verschleppt und fanden dort den Tod. Seine jüngere Schwester Louise wurde nach Auschwitz deportiert, die ältere, Helena, verheiratete Sein, überlebte den Holocaust. – Eva Acker/Erika Draeger Quellen: 1; 4; 5; 8; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1 28.08.99 Stock, Erna; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1 14.08.04 Behr, José; Interview mit Lissi Acker, Dez. 1990, Geschichtswerkstatt Barmbek.

Hugo Strauß, geb. 6.6.1878, deportiert am 4.12.1941 nach Riga und dort verschollen Agnes Strauß, geb. Steinfeld, geb. 20.1.1891, Flucht in den Tod am 11.11.1941 Edith Hilde Strauß, geb. 22.6.1914, am 4.12.1941 nach Riga und dort verschollen 67 Hans-Henny-Jahnn-Weg 8 (Osterbeckstraße 8)

Hugo Strauß wurde am 6. Juni 1878 in Hamburg als Kind der jüdischen Eheleute Strauß geboren. Sein Vater Selig war Lehrer. Er besuchte die Talmud Tora Realschule, später das Ham- burger Wilhelmgymnasium und verbrachte seine Studienzeit in Würzburg, München und Ber - lin. Die Approbation erhielt er 1903, etwa 1906 ließ er sich als praktischer Arzt in Hamburg nieder und heiratete 1913 seine ebenfalls jüdische Frau Agnes, geb. Steinfeld. Im gleichen Jahr mieteten sie eine 5 ½-Zimmer-Wohnung im Stadtteil Uhlenhorst, in der Osterbeckstra- ße 8 nahe Hofweg und Mühlenkamp. Hier eröffnete er auch seine Praxis und war gleichzei- tig als Schul- und Wohlfahrtsarzt tätig. Er gehörte frühzeitig der Jüdischen Gemeinde an und nahm am Ersten Weltkrieg teil. Hugo Strauß wurde 1933 gezwungen, seine Tätigkeit als Schularzt aufzugeben, kurz darauf verlor er die Zulassung als Wohlfahrtsarzt und einen Teil seiner Privatpatienten. Seine Praxis erhielt er bis zur Aberkennung der Approbation 1938 aufrecht. Hugo und Agnes Strauß hat- ten zwei Töchter, Hilde wurde am 22. Juni 1914 geboren und Eli sa beth am 17. März 1920.

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Hilde besuchte das Real-Gymnasium Mittell-Redlich im Graumannsweg bis zum Abitur 1934, erhielt jedoch aus „rassischen“ Gründen keine Berechtigung zum Hochschulstudium. Sie wäre gern Lehrerin geworden wie ihr Großvater; auch die Schwester ihrer Mutter, die in Essen lebende Margarethe Steinfeld, übte diesen Beruf aus. Der Wunsch, außerhalb der Schule mit Kindern zu arbeiten, wurde ebenfalls erschwert. Das Fröbel-Kindergärtnerinnen-Seminar nahm keine jüdischen Anwärterinnen auf und jüdische Kindergärtnerinnen-Anstalten in Berlin waren hoffnungslos überfüllt. Es gelang ihr jedoch, nach dem Besuch einer Haushaltungs - schule, eine Stelle im Heim des Jüdischen Frauenbundes in Wyk auf Föhr zu bekommen, um dort mit Kindern zu arbeiten und anschließend im Privathaushalt der Familie Liebschütz in Blan kenese tätig zu werden. Ab 1938 war sie im Israelitischen Krankenhaus zunächst im haus- wirtschaftlichen Bereich beschäftigt und erlernte dann die Krankenpflege.

Hildes Abschlusszeugnis aus dem Jahr 1934 vom Real- Gymnasium Mittell-Redlich StaHH

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Antrag auf Freigabe von 600 RM StaHH

Auch die jüngere Schwester Elisabeth besuchte das Real-Gymnasium Mittell-Redlich. Laut Zeug nis von 1935 sollte sie in die Obersekunda versetzt werden, aber wegen der Aus sichts- losigkeit, später ein Studium zu beginnen, brach sie die Schule ab. Gern hätte sie eine medi- zinisch-technische Ausbildung gewählt, hatte aber keine Chance auf einen Ausbildungsplatz und folgte dem Beispiel der Schwester. Sie erlernte die Hauswirtschaft und war in jüdischen Institutionen in Hamburg, Wyk auf Föhr und Hannover tätig, wo der Bruder ihres Vaters, Hermann Strauß, mit seiner Familie lebte. Im Juni 1939 konnte die 19-jährige Elisabeth dank einer schottischen Quäker-Hilfs organi sa - tion der bedrohlichen Situation im Land durch Emigration entkommen, sie gelangte nach

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Edinburgh. Zunächst fand sie eine Beschäftigung als Haushaltshilfe und lernte ihren künfti- gen Ehemann, den Österreicher Stefan Wirlander kennen, der als Emigrant und Angehöriger des österreichischen Widerstands in der britischen Armee aktiv war und einen Rundfunk sen - der betreute. Die beiden heirateten im März 1943. Kurz darauf konnte sie eine Ausbildung in ihrem Wunschberuf beginnen und wurde 1946 medizinisch-technische Assistentin. An- schlie ßend folgte sie ihrem Mann, der 1945 nach seiner Entlassung aus der Armee schon nach Wien vorausgereist war. Sie gründeten eine Familie mit zwei Kindern. Hugo Strauß geriet im Zuge der Novemberübergriffe 1938 als „Schutzhäftling“ ins KZ Sach- senhausen, wurde jedoch wieder entlassen. Die große Wohnung in der Osterbeckstraße ließ sich nicht mehr halten, es fand sich eine kleinere Unterkunft in der Parkallee 10. Ein Auswanderungsvorhaben von Hugo Strauß und seiner Frau Agnes konnte nicht nachge- wiesen werden, trotzdem bestand seitens der Behörden ein Kapitalfluchtverdacht. Die Siche - rungsanordnung wurde im Dezember 1938 zugestellt, Reisepässe waren bei der Passpolizei abzugeben, alle Versicherungen, Barbestände und Wertpapiere waren einem Sperrkonto gutzuschreiben. Zunächst durfte die Familie monatlich über 1000 RM verfügen, ein Jahr spä- ter waren es nur noch 450 RM. Hugo Strauß erhielt zum 1. Oktober 1939 die Zulassung als „Krankenbehandler“ für jüdi- sche Patienten und führte seine Praxis im Israelitischen Krankenhaus, wo auch Tochter Hilde tätig war. 1941 erhielt die Familie Nachricht vom Tod der Mutter und Großmutter Luise Stein- feld, wohnhaft in Düsseldorf. Der Erbanteil für Agnes Strauß wurde auf das Sperrkonto des Ehemannes eingezahlt. Die Zunahme der Ressentiments gegen Juden und das Damoklesschwert der Deportation wurden für Hugo und Agnes Strauß schließlich unerträglich. Ein Freund schrieb1946 an Eli- sabeth: „Ihre Eltern haben, als die Evakuierung für sie drohend wurde, im gegenseitigen Ein- verständnis den Entschluss gefasst, freiwillig aus dem Leben zu scheiden. Sie wurden zu früh geweckt und ins Krankenhaus gebracht, wo Ihre Mutter nach einigen Tagen, am 11. No- vember 1941, starb. Ihr Vater und Hilde gingen am 4. Dezember 1941 mit einem Transport nach Riga. Ich war bis zum letzten Augenblick, da ich dort Bahnwache hatte, bei Ihrem Herrn Vater ... man hat leider nie mehr etwas von den beiden gehört.“ Ein Zeitzeuge erinnerte sich, dass Hugo Strauß vor die Wahl gestellt worden sei, entweder eine Anklage wegen Mordes an seiner Frau zu erwarten oder den nächsten Transport als Arzt zu begleiten. Hugo Strauß und seine Tochter Hilde kamen im Getto Riga um, genaue Um - stände sind nicht bekannt, beide wurden zum 31. Dezember 1945 vom Amtsgericht Ham - burg für tot erklärt. Wie bei vielen anderen Überlebenden haben jahrelange Verfolgung und die Verluste der nächsten Angehörigen auch Elisabeths weiteres Leben stark beeinträchtigt. Sie litt an chroni- schen Zwölffingerdarm- und Magengeschwüren, 1958 mit 44 Jahren war sie zu 66 Prozent erwerbsgemindert und nach einer Magenblutung zu schwach für eine Operation. – Erika Draeger

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Quellen: 1; 2; 5; 8; StaHH 314-15, OFP, R 1938/3402; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 22.06.14 Strauß, Hilde; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 17.03.20 Wirlander, Elisabeth; von Villiez: Mit aller Kraft ver- drängt, S. 405.

Willy Erich Georg Unger, geb. 19.9.1908, inhaftiert 1938–1940, Selbstmord am 22.1.1943 in Hamburg 68 Schenkendorfstraße 30

Mit „wechselseitige Onanie im Mittelmeer“ beginnt eine Aufzählung von Sexualpraktiken, die das Landgericht Hamburg dem knapp 30-jährigen Willy Unger auf seinen zum Teil drei Jahre zurückliegenden Fahrten als Steward der Levante-Linie und der HAPAG vorhielt. Aus - gelöst wurden die umfangreichen Nachforschungen in seinem Privatleben durch eine An - zeige seines letzten Vorgesetzten, dem Kapitän des HAPAG-Dampfschiffes „Ionia“, im April 1938 bei der Hamburger Polizei. Dieser hatte von den „homosexuellen Umtrieben“ des 1. Stewards mit jugendlichen Besatzungsmitgliedern Kenntnis erhalten. Am 3. Mai 1938 wur - de Unger in Untersuchungshaft genommen. Der am 19. September 1908 in Ham burg als Sohn des Wilhelm Unger und der Frida, geb. Hopp, ge borene Willy Unger begann 1923 zunächst eine kaufmänni- sche Lehre in einem Ex- und Im - port geschäft und fuhr dann für ein Jahr als Küchenjunge zur See. Bis 1930 war er dann als kaufmän - nischer Angestellter in Hamburg tätig. Danach fuhr er erneut zur See, nunmehr als Steward auf dem Dampfer „Ruhr“ auf Ostasienfahrt, später dann als 1. Steward für die HAPAG auf dem Dampfer „Ionia“ im Mittelmeer. Seine Verurteilung wegen versuchten und vollendeten Verbrechens nach § 175 a Ziffer 3 in vier und wegen Vergehens nach § 175 in sechs Fällen führte im Sep tember 1938 zu einer Zucht - hausstrafe von 2 Jahren, die er in Fuhlsbüttel und ab Ende Februar Gefängniskarteikarte für Willy Unger StaHH

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1939 in verschiedenen Emslandlagern wie dem in Bör ger moor absitzen musste. Nach seiner am 1. Mai 1940 erfolgten Freilassung arbeitete er als Kellner in Hamburg. Möglicherweise geriet Willy Unger Anfang 1943 wieder ins Visier der Hamburger Kripo, denn am 22. Januar 1943 nahm er sich in seinem Zimmer in der Schenkendorfstraße 30, wo er im 3. Stockwerk zur Untermiete wohnte, mithilfe von Gas das Leben. Als nach seinem Tode zu benachrichtigenden Personen wurde neben seiner Schwägerin Erna Unger auch sein Freund Max Paustian genannt, der sich seinerseits 1940–1941 wegen des § 175 in Haft befand. – Bernhard Rosenkranz/Ulf Bollmann Quellen: StaHH, 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen, 10587/39; StaHH, 331-5 Polizeibe- hörde – Unnatürliche Sterbefälle, 337/43; StaHH, 213-8 Staatsanwaltschaft Oberlandesgericht – Verwal- tung, Abl. 2, 451 a E 1, 1 e; StaHH, 242-1 II Gefängnisverwaltung II, Ablieferungen 13 und 16; Staatsarchiv Osnabrück, Rep. 947 Lingen II Nr. 7227; B. Rosenkranz/U. Bollmann/G. Lorenz: Homosexuel- len-Verfolgung in Hamburg 1919–1969, S. 263. Auskünfte Rainer Hoffschildt, Hannover und Christian- Alexander Wäldner, Ronnenberg-Weetzen, aus 2009 und 2010.

Gustav Wagner, geb. 28.3.1896 in Hamburg, Deportation nach Auschwitz, am 11.11.1943 umgekommen 69 Fraenkelstraße 6 II (Schaudinnsweg)

Gustav Wagner wurde am 28. März 1896 in Hamburg geboren, seine jüdischen Eltern waren Moritz Wagner und Mary, geb. Nathan. Das Ehepaar hatte sechs Kinder. Gustav besuchte in Hamburg die Volksschule und wurde aus der ersten Klasse entlassen. Nach Absolvierung einer Schneiderlehre arbeitete er in seinem Beruf, bis er sich 1914 freiwillig zum Kriegsdienst meldete. In diesem Jahr war seine Mutter gestorben. Er machte den ganzen Krieg mit und wurde nach Kriegsende mit dem Eisernen Kreuz, 2. Klasse und dem Hanseatenkreuz entlas- sen. Anschließend war er wieder als Schneider tätig. Am 6. November 1920 heiratete er die evangelische Marie Elise Frieda Helene Schnee, gebo- ren am 30. März 1892 in Magdeburg, die nach der Volksschule in einer Buchbinderei tätig war. Sie war 1910 nach Hamburg gekommen und hatte kurz darauf geheiratet; ihr Sohn Franz wurde im November 1911 geboren. Als Frieda Note wurde sie 1919 geschieden und brachte aus dieser ersten Ehe zwei Kinder mit, die Ehe mit Gustav Wagner blieb kinderlos. Frieda arbeitete als Näherin, Gustav war bis 1928 als Schneider und anschließend – bis 1938 – bei der Hamburger Stadtreinigung beschäftigt. Als er diese Arbeit verlor, fand er eine Tätig - keit als Hausmeister und Maschinist im Israelitischen Krankenhaus. Sein Wochenlohn betrug 46,69 RM, auch ein monatlicher Mietzuschuss von 40 RM wurde ihm zugestanden. Be reits am 9. Oktober 1922 hatte Gustav Wagner seinen Austritt aus der Jüdischen Gemeinde er- klärt, in die er am 16. Oktober 1939 zwangsweise wieder als Mitglied eintrat, weil er als „Volljude“ der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, deren aktiver Zweig die Jüdische Gemeinde Hamburgs war, angehören musste. Früher hatte er dem Staatsarbeiterverbund angehört, seit 1933 der Arbeitsfront. Mit – sicher- lich erzwungenem – Ausscheiden aus dem Staatsdienst bei der Stadtreinigung beendete er

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auch die DAF-Mitgliedschaft. Seine Frau Frieda trat 1932 aus der ev.-luth. Landeskirche aus. Die beiden „Mischehepaare“ Gustav und Frieda Wagner und ihre Nachbarn Otto und Fran - ziska Schulze wurden 1940 „im Namen des Deutschen Volkes“ vom Hanseatischen Sonder - gericht angeklagt und wegen „fortgesetzten Abhörens feindlicher Sender“ und Vergehens gegen die Rundfunkverordnung zu Zuchthaus- bzw. Gefängnisstrafen verurteilt. Aus der Strafakte lassen sich die Ereignisse rekonstruieren: Die Familien wohnten im Schau - dinnsweg Nr. 6, der heutigen Fraenkelstraße. Gustav und Frieda Wagner seit 1932 im zweiten Stock, ein Stockwerk höher Otto Schulze und seine jüdische Ehefrau Franziska, geb. Wolfs- berg, seit 1924 miteinander verheiratet. Otto Schulze, am 29. Juni 1898 in Havelsberg geboren, ebenfalls WK I-Veteran und Inhaber eines Eisernen Kreuzes, 2. Klasse, war bei der Sparkasse von 1864 beschäftigt, die ihm 1937 kündigte, weil er eine jüdische Ehefrau hatte. Seine Frau Franziska, geboren am 24. Februar 1894, war nach einer kaufmännischen Lehre in verschiedenen Firmen tätig und 1933 aus der Jüdischen Religionsgemeinschaft ausgetreten. Das Ehepaar Schulze hatte keine Kinder. Ende August bis Ende September 1939 wurde Otto Schulze zum Bahnschutz eingezogen. In dieser Zeit nahm seine Frau engeren Kontakt zur Nachbarin Wagner auf, wodurch nach Otto Schulzes Rückkehr auch die beiden Ehemänner miteinander bekannt wurden. Die Paare be- suchten sich gegenseitig, bis zum Jahresende trafen sie sich oft samstags in der Wohnung der Schulzes, redeten miteinander, hörten Radio. Im Haushalt Wagner gab es kein Radio mehr, weil allen Juden der Besitz inzwischen untersagt war. Frau Schulze war zwar auch Jüdin, aber ihr „arischer“ Mann als Haushaltsvorstand durfte weiterhin ein Radio besitzen. Es ergab sich, dass auch Nachrichten gehört wurden, dabei – möglicherweise auf Anregung Gustav Wag- ners – der Sender Radio London mit seinen deutschsprachigen Nachrichten. Die Beklagten gaben zu, es sei drei- bis viermal vorgekommen, zuletzt kurz vor Silvester 1939. Erst im De - zember hätten sie von dem Verbot erfahren und nicht gewusst, welche hohen Strafen damit verbunden waren. Am 28. März 1940 stellte die Gestapo Strafantrag gegen die Ehepaare, im späteren Urteil wurde die erlittene Polizei- und Untersuchungshaft auf die erkannte Strafe angerechnet, die Verhaftungen hatten also bereits einige Zeit zuvor stattgefunden. In der Verhandlung sagten alle aus, weder politisch aktiv gewesen zu sein noch einer Partei angehört zu haben. Nach den Geständnissen wurde festgestellt, die Angeklagten hätten sich eines Vergehens oder „fortgesetzten Verbrechens gegen § 1 der Rundfunkverordnung vom 1. September 1939, § 47 StGB“ schuldig gemacht. Das Hanseatische Sondergericht, Kammer 3, bestehend aus Oberlandesgerichtsrat Haack als Vorsitzendem, Landgerichtsrat Ehlers sowie Assessor Rodowinsky als beisitzenden Richtern, dem ersten Staatsanwalt Jauch und Justizinspektor Kister, verurteilte die beteiligten Ehemänner zu je eineinhalb Jahren Zuchthaus und die Ehefrauen zu je neun Monaten Gefängnis. Es gebe keinen Zweifel hinsichtlich der Schuldfrage, das Verbot sei in allen Zeitungen und auch im Rundfunk mitgeteilt worden. Im Gegensatz zur Anklage, die „Vorbereitung zum Hochverrat“ unterstellte, nahm das Ge- richt nicht an, dass die Angeklagten primär zum Zweck des Hörens feindlicher Sender zu sam -

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mengekommen seien. Es ging vielmehr von persönlichen Besuchen aus, bei denen gelegent- lich auch der Londoner Sender gehört worden sei. Das Gericht unterschied auch zwischen dem Handeln der Ehefrauen und der Ehemänner und hielt erstere für sekundär beteiligt und politisch indifferent, während ihre Partner die „ganze Härte des Gesetzes treffen müsse“, da es sich bei ihnen um „politisch reife Leute handele, die den Sinn und Zweck des Gesetzes ohne weiteres erkennen mussten und auch erkannt haben“. Berücksichtigt wurde, dass die beiden Angeklagten bisher unbestraft waren und politisch Nachteiliges nicht bekannt war; auch ihre Teilnahme am Weltkrieg wurde gewürdigt. Das Strafmaß wurde als angemessen er achtet und die Anrechnung der Polizei- und Untersuchungshaft damit begründet, dass alle „im Großen und Ganzen geständig gewesen“ seien. Nach neueren Archivfunden lässt sich Gustav Wagners Lei - densweg folgendermaßen re - konstruieren: Nach der Urteils - verkündung am 20. März 1940 blieb er zunächst im Unter su- chungsgefängnis, von dort er - folg te am 25. April die Einlie fe- rung ins Zuchthaus Fuhls büttel. Gefäng nispapiere sagen über sei ne Erscheinung aus, er sei von kräftiger Figur, 1,72 m groß und dunkelblond gewe-

Karteikarte Zuchthaus Fuhlsbüttel ITS sen und habe blaue Augen gehabt. Zur Arbeitsverwend- bar keit gab es die Vermerke „moorfähig“ und „außenarbeitsfähig“. Unter normalen Umständen hätte seine Strafzeit am 19. November 1941 enden müssen. Mit Schreiben vom 4. August 1940 vom Oberstaatsan - walt, Landgericht Hamburg, wurde jedoch eine Verordnung nach RGBl. I vom 11. Juni dessel- ben Jahres herangezogen, die dieses Strafmaß in Frage stellte: für in Kriegszeiten begangene Delikte sei die in die Kriegszeit fallende Vollzugszeit nicht in die Strafzeit einzurechnen. Gustav Wagner war im Zuchthaus mit Tütenkleben beschäftigt. Ein Führungsbericht vom 6. Januar 1941 enthält Anmerkungen von drei Aufsichtspersonen. Ein Wachtmeister bewer- tete sein Verhalten als „sehr gut“ und die Hoffnung auf Besserung mit „ja“. Der Werk- meister hielt seine Führung für anständig, die Arbeiten würden zu seiner Zufriedenheit aus- geführt. Ein Fürsorger bemerkte lediglich „ist Jude!“. Frieda Wagner hatte im Januar ein Gnadengesuch auf Erlass der Reststrafe ihres Mannes bzw. Umwandlung in eine Gefängnisstrafe bei der Oberstaatsanwaltschaft eingereicht, auf das sie einen abschlägigen Bescheid erhielt. Am 25. Januar 1941 wurde Gustav Wagner in

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ein Strafgefangenenlager bei Papenburg (Ems) verlegt. Nach einem weiteren Gnadengesuch Friedas wurde die Lagerverwaltung zur Stellungnahme aufgefordert, in der sie am 7. März 1941 auf die erwähnte Verordnung, nach der ein Strafende nicht zu errechnen sei, verwies. Unter Hinweis auf Wagners kurze Haftzeit im dortigen Lager, sah sich die Lagerverwaltung nicht in der Lage, ein Urteil über des- sen Gna denwürdigkeit abzugeben. Frieda Wag ner ließ sich nicht beirren, reichte ein weiteres Gnadengesuch ein und bat zu - gleich um die Rückfüh rung ihres Mannes nach Hamburg. Die Ablehnung der Ober - staatsanwaltschaft erfolgte am 28. Mai 1941. Der Kommandeur des Strafgefan ge- nenlagers beurteilte Gustav Wagner als ge - sund und voll arbeitsfähig und sah keine Veranlassung für eine Rückführung. Nach Gnadengesuch von Frieda Wagner ITS einem Aktenvermerk war Gustav Wagner zu dieser Zeit im Brunnenbau eingesetzt. Auch ein weiteres, im August eingereichtes Gesuch wurde letztlich abgelehnt. Immerhin hat man den Ehe leuten im Juni eine persönliche „Unterredung“ gestattet, sodass Frieda nach Papenburg reiste, um ihren Mann für eine halbe Stunde sehen zu können. Auf ein viertes Gnadengesuch am 19. August 1941 erfolgte die Ablehnung erst im November. Inzwischen hatte sich ein Vorfall ereignet. Im Oktober 1941 fand man heraus, dass Gustav Wagner über einen – möglicherweise als Spitzel einge- setzten – Mittelsmann Pakete seiner Frau erhalten und einen Brief an sie hinausgeschmug- gelt hatte. Die Pakete hatten Ess- und Rauchwaren enthalten. Welche Haftverschärfungen die Folge waren, geht aus den Unterlagen nicht hervor. Bekannt ist aber Gustavs Verlegung in ein anderes, der Papenburger Kommandantur unterstehendes Lager in Neu Sustrum. Am 11. Januar 1942 erbat Frieda Wagner bei der dortigen Lager lei tung erfolgreich die Erlaubnis, ihren Mann am 29. März besuchen zu dürfen, – Gustav Wagner wurde am 28. März 46 Jahre alt. Eine weitere Besuchserlaubnis liegt für den 7. Juni 1942 vor. Wenig später ging bei der Lagerverwaltung am 20. Juni eine Verfügung ein, nach der Gustav Wagner im Rahmen einer „Zuweisung fachlich vorgebildeter Gefangener“ erneut verlegt werden sollte, diesmal ins Zuchthaus Brandenburg (Havel)-Görden. Die Überführung erfolgte am 25. Juni. Gustavs körperliche Verfassung lässt sich am Gewicht des ehemals kräftigen Mannes able- sen. Wie sein Häftlingsbogen vermerkte, wog er nur noch 54 Kilo. An beiden Beinen hatte er Ödeme und litt unter einem allgemeinen Schwächezustand. Auf ein erneutes Gna denge - such Friedas vom 4. Juni antwortete die Brandenburger Zuchthausverwaltung am 2. Juli, der Zuchthausgefangene Wagner habe wegen hausordnungswidrigen Verhaltens mit vier Wo - chen Arrest bestraft werden müssen. Zwar gebe seine Arbeitsleistung keinen Anlass zur Klage, jedoch lägen keine Gründe zur Rechtfertigung eines Gnadenerweises vor.

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Über die Art von Wagners Tätigkeit wissen wir nichts. Vielleicht war er als Schneider gefragt, zumindest gewährte man im Oktober 1942 die Beschaffung einer Brille. Da sein eigenes Barvermögen von 7,38 RM nicht ausreichte, sollte die Ehefrau die Kosten übernehmen, muss te aber auf ihre eigene Notlage verweisen. Im Dezember 1942 bat Frieda für den 19. Januar 1943 um eine Besuchserlaubnis und darum, ihren Mann über den Tod ihres Soh - nes Lothar zu informieren, der ebenso wie sein Bruder Franz zur Wehrmacht eingezogen worden war. Frieda erhielt die Genehmigung mit der Auflage, ihrem Mann keine Esswaren mitzubringen. Offenbar missachtete sie diese zusätzliche Schikane, denn ein Vermerk berich- tet von einem „Hausstrafverfahren“ gegen Gustav Wagner, der „gestern Kautabak und Ziga - retten von seiner Ehefrau zugesteckt bekommen hat“. Die Strafe bestand in einer dreimona- tigen Verschärfung der Haftbedingungen. Noch vor Ablauf dieser Zeit wurde Gustav Wagner nach Auschwitz deportiert. Dort verstarb er – laut Abschrift der Sterbeurkunde 146/1943 – in der Kasernenstraße am 11. November 1943 um 22 Uhr 25 an „Herzmuskelschwäche“. Frieda Wagner trat ihre Gefängnisstrafe ebenfalls am 20. März 1940 an. Sie litt an Diabetes und hatte infolge der psychischen Belastungen durch Gerichtsverhandlung und Haft einen Krankheitsschub erlitten, doch als Frau eines Juden gestand man ihr kein Recht auf besonde- re Diät zu. Erst nach der Haftentlassung am 20. Oktober 1940 erhielt sie nach ärztlicher Untersuchung eine Insulinbehandlung. 1942 wurden Myome im Uterus festgestellt und im Universitätskrankenhaus mit Röntgenstrahlen behandelt. In einem späteren ärztlichen Gut - achten ist von „Röntgenkastration“ die Rede. Ihre Gesundheit war insgesamt stark beein- trächtigt, die Sorgen um den Ehemann und ihre in Russland stationierten Söhne, eine Total - ausbombung der Wohnung, der Kampf um Hafterleichterung für ihren Mann und schließlich die Nachricht von seinem Tod trugen zur ständigen Verschlechterung bei. Herz- und Ner ven - leiden machten ihr zu schaffen, bei andauerndem Erschöpfungszustand war ein regelmäßi- ger Broterwerb kaum möglich. Etwas Geld konnte sie als Hausnäherin verdienen; ansonsten brauchte sie ihre bescheidenen Ersparnisse auf und musste sich Geld leihen, um existieren zu können. Nach Kriegsende erhielt Frieda Wagner eine Sonderrente von 140 RM. Neben einer Haftent - schädigung, von der sie Schulden begleichen konnte, bekam sie eine kleine Entschädigung für die Ausbombung. Sie bemühte sich um Rückgabe ihres Schrebergartens in Steilshoop, um dort Gemüse anbauen zu können, das sie als Zuckerkranke dringend benötigte. Der Nach folger hatte versprochen, den Garten nach Beendigung des Krieges zurückzugeben, weigerte sich aber nun mit der Begründung, den Garten von ihrem Sohn gekauft zu haben. Sohn Franz befand sich in russischer Gefangenschaft und konnte nicht helfen. Ab 1947 galt Frieda Wagner als „invalidisiert“ und erhielt eine kleine Invalidenrente von 50 RM. Sie lebte zu dieser Zeit im Laeisz-Stift in St. Pauli. Verschiedene Bemühungen um Auf besserung der Rente als Entschädigung für den gesundheitlichen Schaden, der durch die falsche Behandlung in der Haftzeit entstanden war, scheiterten. Obwohl Mitarbeiter der So- zial behörde sich für sie einsetzten, wollten mehrere ärztliche Gutachten, das letzte von

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einem Professor des AK St. Georg, keinen Zusammenhang ihrer Beschwerden mit den erlit- tenen Verfolgungen und der Haftstrafe erkennen, sodass der Rentenantrag abgelehnt wurde. Frieda Wagner starb am 28. März 1954. Otto Schulze war in den fünfziger Jahren wieder in einer Bank beschäftigt und wohnte mit seiner Frau Franziska in der Schedestraße in Eppendorf. Er bat die Staatsanwaltschaft beim Landesgericht Hamburg im August 1957 um Prüfung, ob er als vorbestraft gelte, weil er aus politischen Gründen 1940–42 Strafgefangener gewesen sei. Die Antwort lautete, er könne sich als unbestraft betrachten. Die Verurteilung durch das Sondergericht sei gemäß §§ 1, 5 + 7 der Verordnung über die Gewährung von Straffreiheit v. 3. Juni 1947 – Verordnungsblatt für die britische Zone, S. 68 – aufgehoben und getilgt. Die Strafakte wurde vernichtet, nach Vermerk vom 21. Juni 1951 wurde im Februar eine Notakte angelegt. – Eva Acker/Erika Draeger Quellen: 1; 5; 8; StaHH 213-11, Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafakten, 2087/40; StaHH, 351-11, AfW, Abl. 2008/1 300392, Wagner, Frieda IST-Archieves, Copy of doc. No. 1187958 #1, No. 12021625#1 bis 12021703#1, No. 12030103#1, No. 625193#1, Meyer: Die Verfolgung und Ermordung der Hambur- ger Juden, S. 68.

Ernst Friedrich August Wetzstein, geb. 2.12.1883, beging am 31.10.1933 im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel Selbstmord 70 Dennerstraße 15

Ernst Wetzstein wurde als Sohn des Arbeiters Christian Carl Heinrich und dessen Frau Mariet - ta Dorothea, geb. Wrage, in Hamburg geboren. Die Familie war evangelisch-lutherisch und lebte in Eimsbüttel. Ernst Wetzstein hatte noch einen zwei Jahre älteren Bruder, Heinrich. Während des Ersten Weltkrieges diente Ernst Wetzstein an der Front und wurde schwer ver- wundet. Dadurch war er zu 50 Prozent kriegsbeschädigt und hatte Mühe einen Arbeitsplatz zu finden. Nach dem Krieg begann er eine Töpferlehre. Am 31. Dezember 1920 heiratete Ernst Wetzstein die 21-jährige Helene Anna Auguste Hardt aus Strippow bei Coeslin. Die Trauzeugen waren sein Bruder Heinrich und seine Mutter Ma - rietta. Zu diesem Zeitpunkt war sein Vater bereits verstorben. Helene zog nach der Hochzeit zu Ernst in die Löwenstraße 33, Haus 10, wo auch Marietta Wetzstein wohnte. Ernst Wetzsteins Kriegsverletzung führte dazu, dass er sich ein Magengeschwür entnehmen lassen musste und zum Frührentner wurde. Am 15. August 1933 wurde Ernst Wetzstein wegen des Verdachts des Sittenverbrechens an Mädchen von der Polizei verhaftet und im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel inhaftiert. Zu diesem Zeitpunkt wohnte das Ehepaar Wetzstein in der Dennerstraße 15, gemeinsame Kinder gab es keine. Aufgrund der Anschuldigungen war Ernst Wetzstein in Einzelhaft. Mehrmals wurde von der Gefängnisverwaltung angefragt, ob man diese nicht aufheben könne, doch es geschah nicht. Noch vor Beginn seines Prozesses sollte Ernst Wetzstein seiner Kastration zustimmen.

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Das Verfahren gegen ihn wurde am 14. Oktober 1933 eröffnet und die Verhandlung hätte am 1. November begonnen. Doch zu diesem Zeitpunkt war Ernst Wetzstein bereits tot. Er soll sich in seiner Zelle erhängt haben, wie ein Oberinspektor Körner in seinem Bericht schrieb: „Herrn Präsidenten des Strafvollzugsamtes. Der seit dem 16.8.1933 für gr. Strafkammer VII 336/33 (Staatsanwaltschaft VII b 4306/33) wegen Verdachts des Sittenverbrechens an kleinen Mädchen in Untersuchungshaft befindli- che Ernst Friedrich August Wetzstein, geb. 2. Dezember 1883 zu Hamburg, Renten empfän - ger, verheiratet, ist heute Vormittag beim Aufschluss 7 Uhr 5 Minuten in seiner Zelle 210 an einem Stück Bettlaken am Zellenfensterkreuz hängend tot aufgefunden worden. Der Sta - tionsbeamte, Wachtmeister Plüschau, hat den Wetzstein sofort abgeschnitten und mit dem sofort benachrichtigten Heilgehilfen gemeinsam Wiederbelebungsversuche angestellt, die aber erfolglos waren. Wetzstein sollte am 1. November 1933 Hauptversammlungstermin ha- ben. Das Motiv seiner Tat ist nicht bekannt. Den Stationsbeamten ist er nie verdächtig vorge- kommen. Er war ruhig und still und hat sich um niemand gekümmert und war in Einzelhaft. Der um 9 Uhr erschienene Distriktsarzt Dr. Spaethe stellte ,Selbstmord durch Erhängen‘ fest. Die Ehefrau und die zuständigen Behörden sind benachrichtigt worden; die Leiche wird im Laufe des Tages ins Hafenkrankenhaus (Totenhalle) überführt werden.“ Der herbeigerufene Arzt stellte keine Spuren von Misshandlung fest. Da es nie zu einer Verhandlung und deswegen auch zu kei- nem Urteil kam, konnte nicht festgestellt werden, ob die Vor- würfe gegen Ernst Wetzstein der Wahrheit entsprachen. Der Künstler Gunter Demnig hat sich trotzdem dazu entschlossen, einen Stein zu setzen. Quellen: StaHH 242-1 II, Gefängnisverwaltung II, Abl. 12, 683 – Wetz- stein; StaHH 332-5, Personenstandsunterlagen, 1008 und 288/1933; StaHH 332-5, Personenstandsunterlagen, 1762 und 288/1933; StaHH 332-5, Personenstandsunterlagen, 8982 und 4579/1883; Diercks: Gedenkbuch „KOLA-FU“, S. 43.

Leopold Winterfeld, geb. 22.5.1887, aus Frankreich deportiert nach Auschwitz, am 11.11.1942 in Lublin umgekommen Lissi Helena Winterfeld, geb. Stern, geb. 28.2.1896, verstarb am 28.12.1959 in Paris Werner Martin Winterfeld, geb. 30.1.1918, aus Frankreich deportiert nach Auschwitz, am 11.11.1942 in Lublin umgekommen 71 Uhlenhorster Weg 39

Leopold Winterfeld kam als Sohn von Julius und Marianne, geb. Nissel, in Hamburg zur Welt. Er war das älteste von drei Kindern. Sein Bruder Bruno wurde am 4. August 1890 geboren, seine Schwester Louise am 23. März 1893. Leopold besuchte die Gelehrtenschule des Johan-

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neums zu Hamburg. Nach dem Abitur begann er ein Jurastudium, welches dazu führte, dass er sich am 8. Mai 1914 als Rechtsanwalt niederlassen konnte. Doch vorerst konnte er den Beruf nicht lange ausüben, da der Erste Weltkrieg gerade begonnen hatte. Wie viele andere auch wurde Leopold Winterfeld Soldat. Seit 1915 kämpfte er beim 81. Feldartillerieregiment. Lissi Winterfeld war die Tochter des Kaufmanns Bernhard Stern und seiner Frau Martha, geb. Elias. Am 28. Februar 1896 kam sie, als die ältere von zwei Schwestern, in Hamburg zur Welt. Ihre jüngere Schwester Hertha folgte kurze Zeit später. Während ihrer Jugend besuchte Lissi Winterfeld die „Höhere Töchterschule“ und verbrachte anschließend ein Jahr auf einem Pen- sionat in Brüssel. Während des Ersten Weltkrieges ver- lobten sich Leopold Winterfeld und seine Freundin Lissi Stern. Die Hoch- zeit fand am 17. August 1916 statt, zu diesem Zeitpunkt war Lissi bereits mit ihrem ersten Kind Ilse schwanger. Tochter Ilse kam am 21. Februar 1917 in Thorn zur Welt und ein Jahr später, am 30. Januar 1918, wurde ihr Sohn Werner Martin in Danzig geboren. Der Uhlenhorster Weg im Jahr 1925 Bildarchiv Hamburg Nach dem Ende des Ersten Welt krie- ges kehrte die jüdische Familie Win ter- feld nach Hamburg zurück und Leopold nahm seine Tätigkeit als Rechtsanwalt wieder auf. Eine weitere Tochter, Ruth, wurde geboren, die jedoch schon am 1. Januar 1921, kurz nach ihrer Geburt, verstarb. Leopold Winterfelds erste Kanzlei lag am Rathausmarkt 3 oder 5, später wechselte er ins Bal lin - haus. Die Familie lebte zu dieser Zeit in der Hochallee 102, später wohnte sie im Uhlenhorster Weg 39, wo heute die Stolpersteine für Lissi, Leopold und Werner Winterfeld liegen, und zo- gen anschließend in die Straße Am Markt 39 um, die heute Barmbeker Markt heißt. 1931 änderte sich das Leben der Familie Winterfeld radikal. Leopold Winterfeld wurde we - gen Unterschlagung und Untreue angeklagt. Zudem musste er 1932 in Untersuchungshaft, da angeblich Fluchtgefahr bestand. Das Urteil wurde am 19. Juli 1933 gefällt. Leopold Win- terfeld wurde für schuldig befunden und zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Hierbei entschied das Gericht angeblich noch zu seinen Gunsten, weil es den Grund für die veruntreuten Gelder strafmildernd bewertete. Das Gericht sah es nämlich als erwiesen an, dass Leopold Winterfeld das Geld ausschließlich genutzt hatte, um den kost- spieligen Lebenswandel seiner Frau zu finanzieren und es nicht für sich ausgegeben hatte. Be- vor Leopold Winterfeld seine Haftstrafe antreten musste, flüchtete er im August nach Fran k- reich. Zuvor ließ er sich noch aus der Liste der Rechtsanwälte streichen und kam damit einem Ausschluss zuvor.

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Lissi Winterfeld blieb noch kurze Zeit in Hamburg, um ihre Kinder bei ihren Eltern unterzu- bringen. Danach folgte sie ihrem Mann in die Emigration. Ihre offizielle Wohnadresse behielt sie jedoch unter der Anschrift ihres Vaters, Bernhard Stern, bei. Die Kinder Werner und Ilse bemühten sich in Hamburg ihrem normalen Alltag nachzugehen. Doch besonders Werner war dies fast unmöglich. Eigentlich träumte er davon, Abitur zu ma - chen und zu studieren, um Ingenieur werden zu können. Doch bereits 1932 musste er die Schule wechseln, da er sowohl von Schülern als auch von Lehrern beschimpft und angegrif- fen wurde. Deswegen blieb ihm nichts anderes übrig, als das Johanneum zu verlassen und auf das Wilhelm-Gymnasium zu wechseln. 1934 verließ er das Gymnasium ohne Abschluss, um eine Lehre anzufangen. Er hoffte darauf, dass sich die politischen Verhältnisse bessern würden und er seinen Abschluss und das Studium nachholen könne. Eine dreijährige Lehre bei Carsten Jacobsen, der eine Autowerkstatt besaß, konnte Werner beenden. Danach bekam er ein An- gebot von Arnold Bernstein, welcher eine Schifffahrtsgesellschaft besaß, die Red Star Linien GmbH. Dort war Werner Winterfeld ab Ostern 1937 als Ingenieur-Assistent tätig. Arnold Bernstein wurde jedoch aufgrund seiner jüdischen Herkunft noch im selben Jahr verhaftet und im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel inhaftiert, woraufhin auch Werner Winter feld seine Anstellung zum 21. Dezember 1937 verlor. Daraufhin emigrierte er 1938 nach Italien. Ilse Winterfeld blieb ebenfalls zunächst bei ihren Großeltern. Ende der dreißiger Jahre heira- tete sie Benjamin Fränkel. Gemeinsam emigrierten sie 1940 nach England und suchten sich eine Wohnung in London, wo sie auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges blieben. In Paris konnte Leopold Winterfeld sich allein kaum versorgen, da es schwierig war, an Arbeit zu kommen. Deshalb erhielt er regelmäßig Geld von seinem Schwiegervater Bernhard Stern. Bis 1939 lebte Leopold Winterfeld zusammen mit seiner Frau Lissi abwechselnd in Frankreich und Italien. Mal arbeitete er in Nizza, dann ging er nach Neapel, um dort als Gerber tätig zu sein. In Italien trafen die Eltern auch wieder mit Werner zusammen, der gerade aus Deutsch - land emigriert war. 1939 hielt sich Lissi Winterfeld für kurze Zeit im mittlerweile von deutschen Truppen be - setzten Prag auf und wurde dort von der Gestapo verhaftet. Vom 10. März bis zum 18. April blieb sie in Haft. Nach ihrer Freilassung floh sie nach Paris, wo bereits Mann und Sohn auf sie warteten. Am 14. März 1940 wurden Leopold und Werner Winterfeld verhaftet und im Camp de la Viscose interniert, wo sie in der 15. Fremdarbeiterkompanie Zwangsarbeit leisten mussten. Von dort aus wurden sie am 17. Dezember 1941 ins Konzentrationslager Camp les Milles in der Nähe von Marseille verlegt. Auch hier leisteten sie in einer Fremdarbeiterkompanie Zwangs- arbeit. Ihre Inhaftierung dauerte bis zum 31. Oktober 1942; an diesem Tag wurden sie mit einem Transport ins Durchgangslager Drancy, welches nordöstlich von Paris lag, gebracht. Von dort aus gingen fast wöchentlich Transporte in Konzentrationslager in Osteu ropa, meist nach Auschwitz. Leopolds Bruder, Bruno Winterfeld, war bereits auf diesem Weg am 28. August 1942 von Drancy nach Auschwitz deportiert worden. Leopold und Werner Winterfeld wurden

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gemeinsam mit einem Transport am 11. November ins Konzen tra tionslager Auschwitz depor- tiert. Dort überlebten beide bis zum Frühjahr 1943. Am 4. März wurden sie nach Lublin de- por tiert und dort ermordet. Lissi Winterfeld blieb nach der Verhaftung von Mann und Sohn in Paris und versteckte sich unter dem Namen Rougier bei verschiedenen Bekannten. Mal lebte sie bei Marie-Augustine Baumann in der Rue Marbeuf, dann zog sie zu Adéle Silmain in die Rue MacMahon und lebte zuletzt bei Marthe Weinsztock in der Rue du Collisée. Mit Übersetzungen und Gele genheits - arbeit versuchte Lissi Winterfeld zu überleben. Am 18. April 1944 wurde sie jedoch entdeckt und von der Gestapo verhaftet. Daraufhin begann ein Leidensweg, der sie durch mehrere Kon - zentrationslager führte. Zuerst wurde sie im Konzentrationslager Fresnes in Frankreich fest ge - halten. Am 30. Mai 1944 wurde sie in ein Gefängnis nach Berlin überführt und von dort aus weiter nach Auschwitz deportiert. Nach der Auflösung des Konzentrationslagers Auschwitz ge- langte Lissi Winterfeld nach Bergen-Belsen und kurz danach ins Außenlager Salzwedel, wo sie in einer Munitionsfabrik Zwangsarbeit leistete. Dort wurde sie am 11. April 1945 von den Alliier ten befreit. Schon einen Monat später gelangte sie mit einem Transport französischer KZ-Insassen nach Paris und erfuhr dort vom Tod ihres Mannes und ihres Sohnes. Sie bemühte sich, in Paris Ar - beit zu finden und kam kurzzeitig beim Film unter. Jedoch reichte dies auf Dauer nicht für ihren Lebensunterhalt, sodass sie beschloss, nach Hamburg zurückzukehren. Am 20. Dezem - ber 1949 traf sie in ihrer Heimatstadt ein und wohnte zunächst in der Se - dan straße 23, im Jüdischen Pflege - heim, bis sie eine Wohnung in der Sen - tastraße 44b bekam. Lissi Win terfeld, ihre Tochter Ilse sowie ihre Schwester Hertha Stern und Leopolds Schwester Louise überlebten den Holocaust. Leo - polds Bruder Bruno kam in Auschwitz um. Lissis Vater Bernhard Stern wur- de nach Theresienstadt deportiert und starb dort. Ihre Mutter verstarb schon vorher in Hamburg an Darmkrebs. Da Lissi Winterfeld bis 1944 in Hamburg unter der Adresse ihres Vaters gemel- det war, stand auch ihr Name auf der Deportationsliste nach Theresienstadt. Daher lässt sich auf ihrem Stolper - stein auch die Angabe nachlesen, sie sei 1944 in There sien stadt verstor- Das Gedenkblatt für Leopold Winterfeld Yad Vashem

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ben. Dies entspricht jedoch nicht der Realität. Nach ihrer Befreiung aus dem Kon - zen trationslager litt Lissi Winterfeld unter ständigen Kopf schmerzen, ei- nem Herzfehler und einem Nerven - leiden. 1957 erlitt sie während einer Reise nach Paris einen Schlaganfall und war linksseitig gelähmt. Am 28. Dezember 1959 verstarb sie in Paris. Quellen: 1; 4; 5; 8; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 04.08.90 Winterfeld, Bruno; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 22.05.87 Winter- feld, Leopold; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 28.02.96 Winterfeld, geb. Stern, Lissy; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 30.01.18 Winterfeld, Werner.

Das Gedenkblatt für Werner Winterfeld Yad Vashem

Hugo Wolfers, geb. 22.10.1875 in Hamburg, deportiert am 6.12.1941 nach Riga Olga Wolfers, geb. Oppenheimer, geb. 14.10.1885 in Hamburg, deportiert am 6.12.1941 nach Riga 72 Hofweg 31

Die Vorväter von Hugo Wolfers hatten es in der preußischen Garnisons- und Beamtenstadt Minden in Westfalen zu Ansehen und Vermögen gebracht. Drei Kaufleute mit dem Namen Wolf(f)ers gehörten 1848 von ihrem jährlichen Einkommen her zur Mindener Oberschicht. Seit 1851 war das siebengeschossige Giebelhaus in der Bäckerstraße 1 im Besitz der verschie- denen Zweige und Generationen der Wolfers. In dem Haus befand sich auch das Geschäft „Wolffers Söhne. Manufacturen, Modewaren, Putzgeschäfte, Schreib- und Zeichen materia- lien, Tapisserie“. Der Familienname wurde im Grundbuch zeitweilig auch nur mit einem „f“ geschrieben. Samuel Philip(p) Wolf(f)ers (1799–1851), der Großvater von Hugo Wolfers, zählte zu den wichtigsten Kaufmannspersönlichkeiten der Stadt Minden. Seine Bedeutung war auch daran ablesbar, dass er Mitglied der Stadtverordnetenversammlung und Präsident des Gewerberates war. In dieses selbstbewusste bürgerlich-jüdische Milieu hinein wurde 1839 Eduard Wolfers

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geboren (sein Familiennamen wurde konsequent mit nur einem „f“ geschrieben). Eine gute Schulbildung und ausreichende finanzielle Mittel für eine spätere Selbstständigkeit dürfen bei Eduard Wolfers vorausgesetzt werden. Mit dieser Qualifikation und Sicherheit im Rücken zog er gen Norden. 1869 gründete er in Hamburg gemeinsam mit Moses Salomon Schönfeld (ge- storben 1885 in St. Georg, Großer Kirchenweg 3) die „Textilhandelsgesellschaft Schönfeld & Wolfers“ (Großhandel mit Leinen und Teppichen); zu diesem Zweck erwarben sie das Lager- geschäft von „Gebrüder Jaffé“ (Inhaber David Abraham Jaffé und J. Jaffé), das bereits 1842 als „Leinen- u. Drell Lager en gros, gr. Burstah no 35“ im Hamburger Adressbuch existierte. Schon im Adressbuch von 1870 lauteten die Einträge für Schönfeld & Wolfers und Gebrüder Jaffé gleichlautend „Leinen-Lager, Alterwall 20“. Ganz in der Nähe, am Neuen Wall 13 (Arca- den-Passage), hatte sich Wolfers eine Wohnung gemietet. 1875 erhielt der 36-jährige Eduard Wolfers das Hamburger Bürgerrecht. Voraussetzung für den Erhalt des Hamburger Bürger brie- fes war ein nachgewiesenes Jahreseinkommen von 1200 Mark in fünf aufeinander folgenden Jahren. Der Bürgerbrief bedeutete zugleich auch die Berechtigung zu wählen. Im selben Jahr wurde auch sein Sohn Hugo in der Hansestadt geboren. Vier Jahre später kam die Tochter Elisabeth zur Welt. Das Geburtsjahr des Sohnes Gustav ist nicht bekannt. 1885 wohnte die Familie in der Moorweidenstraße 15 (Rotherbaum). In der Hamburger Einwoh- ner meldekartei von 1892 wurde Eduard Wolfers als Kaufmann geführt, die Spalte mit der Religionszugehörigkeit blieb unausgefüllt. Er war Mitglied in der Jüdischen Gemeinde, schon 1884 war in der Schülerkarte des Sohnes Hugo unter „Bekenntnis“ die Bezeichnung „mo sa - isch“ eingetragen. Daneben war Eduard Wolfers vermutlich schon vor 1897 Mitglied der 1847 gegründeten „Loge zur Bruderkette“. Eduard Wolfers und seiner Ehefrau Natalie, geb. Alsberg (1847–1906), gelang es in rund zwanzig Jahren, sich in Hamburg eine wirtschaftlich und gesellschaftlich geachtete Position aufzubauen. Von 1892 bis 1919 lebten sie in der Hochallee 64 im angesehenen Stadtteil Har- veste hude. Am 17. Mai 1919 verstarb Eduard Wolfers im Alter von achtzig Jahren. Er wurde auf dem Jüdischen Friedhof Ohlsdorf neben seiner 1906 verstorbenen Ehefrau beigesetzt. Ihr ältester Sohn Hugo Wolfers besuchte die angesehene Gelehrtenschule des Johanneums bis zur Mittleren Reife 1890, erlernte anschließend den Beruf des Kaufmanns, ging danach für ein Jahr nach Paris „zur weiteren Ausbildung“ und war schließlich bei Schönfeld & Wol - fers tätig – erst als Angestellter, ab 1897 als Prokurist und ab 1903 als Teilhaber. Ein Jahr zu - vor war bereits sein Bruder Gustav Wolfers (gestorben 1909) als Teilhaber in die Firma einge- treten. 1907 hatten Hugo Wolfers und Olga Oppenheimer geheiratet. Die Oppenheimers leb ten bereits seit Generationen als Kaufleute und Juristen in Hamburg. Olgas Vater war der Rechtsanwalt Philipp (genannt Paul) Oppenheimer (1854–1937), ihre Mutter soll kurz nach ihrer Geburt gestorben sein. Ihre Stiefmutter, Alice Oppenheimer, geb. Oppenheim (1867– 1942), stammte aus einer Kaufmannsfamilie. Hugo und Olga Wolfers hatten vier Kinder: zwei Jungen und zwei Mädchen. Die Familie lebte anfänglich in der Rothenbaumchaussee 73 (Rotherbaum). 1919, nach dem Tod des

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Vaters zog die Familie ins elterli- che Haus in der Hochallee 64 (Harvestehude). 1928 folgte ein weiterer Umzug in den Hof weg 31 (Uhlenhorst). Die Eheleute gehörten seit mindestens 1913 der Deutsch-Israe litischen Ge - mein de sowie dem liberalen Isra - elitischen Tempel ver ein an, der Ref ormen des herkömmlichen synogalen Got tesdienstes durch- geführt hatte, wie z. B. die Pre - Silberhochzeit von Hugo und Olga Wolfers, geb. Oppenheimer digt in deutscher Sprache und (Mitte), auch deren Eltern Dr. Philipp Oppenheimer (o., 2. v. l.) und Alice Oppenheimer (r. außen stehend) sind auf dem Foto, das der das Orgelspiel. Sohn Gustav Wolfers im August 1932 schoss Privatbesitz Der jüngere Sohn Gustav (geb. 1910), benannt nach seinem ein Jahr zuvor verstorbenen Onkel, besuchte das Heinrich-Hertz-Realgymnasium im Stadtteil Win- terhude bis zur Ober sekundarreife (Mittlere Reife). Nach dem Besuch der Grone Han delss chule und einer dreijährigen kaufmännischen Lehre bei der „Hamburger Regenmantelfabrik GmbH Harefa“ machte er sich 1932 als Handelsvertreter und Textilgroßhändler (u. a. Ober hemden und Oberhemden stoffe) selbstständig. Dafür nutzte er die vorderen Räume der sechseinhalb Zim - mer-Woh nung der Eltern im Hofweg 31. Die Boykottaufrufe der NSDAP im Jahre 1933 führten bei dem Jungunternehmer zu einem starken Geschäftsrückgang. Ab 1935/36 erwog er die Emi - gration und besuchte zu diesem Zweck Sprachkurse an der Uni versität in Englisch, Franzö sisch und Spanisch – das genaue Auswanderungsziel stand also noch nicht fest. Auch die Erlernung des Tischlerhandwerks erfolgte unter diesem Aspekt. Eine Woche nach der Heirat mit Grete Abrahamssohn (geb. 1912) reiste das frisch vermählte Ehepaar im Oktober 1937 über Holland und England nach Australien aus. Um die neunzigprozentigen Trans fer verluste der Geldüber - weisungen für die Schiffspassage nach Austra lien zu vermeiden, ließ Gus tav Wolfers von einem deutschen Matrosen Textilien nach Eng land schmuggeln. Von dem Verkaufs er lös bezahlte Wolfers die Schiffspassage auf der „Orama“ von Tilbury nach Sydney. Zehn Kisten und mehre- re Koffer wurden ihm von den Eltern nachgeschickt; die Möbel blieben in Hamburg zurück. Die zehn Jahre jüngere Schwester Ellen (geb. 1920) hatte die private Mädchen-Oberschule von „Frl.“ Firgau (Sierichstraße 53) von 1927 bis 1937 besucht. Aus „rassischen Gründen“ wur de sie aus der Untersekunda ausgeschlossen. 1937 bis 1938 besuchte sie den Zeichen- und Malunterricht bei Gretchen Wohlwill (Flemingstraße 3), immer noch mit dem Ziel, eine Ausbildung zur Dekorateurin zu machen. Doch die Restriktionen gegen Juden waren bereits so weitreichend, dass eine Lehre für Ellen Wolfers nicht mehr möglich war. So blieb ihr nur übrig, die Haushaltungsschule der Jüdischen Gemeinde zu besuchen.

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Ellen Wolfers emigrierte im Februar 1939 nach London. 1940 wurde sie nach Somerset in den Südwesten der Insel evakuiert. Als das Gebiet zur „protected area“ erklärt wurde, in dem Flüchtlingen der Aufenthalt nicht gestattet war, kehrte sie nach 18 Monaten in die bri- tische Hauptstadt zurück. Die Firma Schönfeld & Wolfers bildete die Grundlage für den Wohlstand der Familie. Das Un - ternehmen importierte Leinen- und Baumwollwaren aus England, indische Teppiche, Stroh - matten und seidene Taschentücher aus China und Japan sowie Angora-Felle. Exportiert wur- den Leinenstoffe, Taschentücher aus Baumwolle, Leinen oder Seide sowie Reisedecken in den gesamten europäischen Raum. Um die Jahrhundertwende unterhielt die Firma auch eine Zweigniederlassung in Manchester. Von 1906 bis 1909 war der Absolvent der Talmud Tora Realschule, Henry Pels (geb. 1890), als Lehrling in der Firma tätig, um danach in die väterli- che Firma Wolf Pels (gegründet 1882) „Vertretung der Strick-Wirk- u. Webwaren-Industrie in Hamburg und Umgebung“ einzutreten. Ernst Alsberg (geb. 8. Juni 1879 in Kassel), vermut- lich ein Neffe von Natalie Wolfers, geb. Alsberg, der Ehefrau des Geschäftsinhabers, besaß von 1911 bis 1919 die Gesamtprokura für die Firma. (Er wurde am 15. Juli 1942 zusammen mit seiner Ehefrau Gertrud nach Theresienstadt deportiert, siehe Biografie in der Eimsbüttel- Broschüre). 1920, nach dem Tod des Firmen-Mitbegründers Eduard Wolfers, wurde die Rechtsform der Firma von einer OHG in eine KG umgewandelt. Hugos Schwester Elisabeth Gorden, geb. Wolfers, und seine Schwägerin Gertrud Wolfers, geb. Fränkel, beteiligten sich mit hohen Geldsummen an der Firma. Einziger persönlich haftender Gesellschafter der Kom- manditgesellschaft war Hugo Wolfers. Ende 1928 geriet das Unternehmen in wirtschaftliche Schwierigkeiten, ein Konkurs konnte durch ein gerichtliches Vergleichsverfahren abgewen- det werden. Ab 1929 änderte sich der Firmensitz, der vom Rödingsmarkt 40 zu den Hohen Bleichen 31–32 (Brandenburger Haus) verlegt wurde. Noch 1931 bemühte sich die Firma um eine größere Beihilfe aus einem Härtefond der Handelskammer Hamburg. Als Jude wurde der Geschäftsmann Hugo Wolfers ab 1933 in steigendem Maße behindert. Über die Zuteilung von Einfuhrkontingenten waren Importfirmen dem Wohlwollen der natio- nalsozialistisch kontrollierten Bürokratie ausgeliefert. Eher geräuschlos konnte auf diese Wei - se jüdischen Firmeninhabern die wirtschaftliche Basis entzogen und ein Verkauf der Firma erpresst werden. Nach der „3. Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ vom 14. Juni 1938 wur- den Betriebe als „jüdisch“ eingestuft, wenn ihre Inhaber nach NS-Maßstäben als Juden gal- ten. Dennoch konnte die Firma im Geschäftsjahr 1938 einen Reingewinn von 38 500 RM ausweisen. 1939 erfolgte die „Arisierung“ von Schönfeld & Wolfers; dies bedeutete den Zwangs verkauf der Firma unter dem tatsächlichen Wert, meist einhergehend mit der Sper- rung aller privaten Vermögenswerte der ehemaligen Eigentümer. Bereits im Februar 1939 war ein erster Übernahmevertrag mit dem gleichaltrigen Kaufmann Ernst Kistenmacher (Im- u. Exportfirma E. G. Kistenmacher & Co., Mönckebergstraße 9) aufgesetzt worden, der aber vom NSDAP-Reichsstatthalter abgelehnt wurde. Unter anderem wurde bemängelt, dass für die Firma der bei Eigentümerwechseln übliche „Good will“ gezahlt werden sollte, eine Art

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Firmenmehrwert, der z. B. den guten Ruf des Unternehmens und positive Ertragsaussichten berücksichtigte. Diese Zahlung war bei „Arisierungsverträgen“ generell nicht zulässig. Wa - rum es nicht zu einer Vertragsänderung kam ist unbekannt. Möglicherweise sprachen gegen Ernst Kistenmacher dessen fehlende Parteimitgliedschaft und eventuell auch dessen Teil ha - ber, der mit einer Jüdin verheiratet war. Im Juni 1939 wurde dann mit dem Kaufmann Peter Schlumbom (1887–1959) ein Vertrag geschlossen. Über seinen Rechtsanwalt teilte der Käu- fer im Jahre 1947 seine Version der Übernahme mit. Über einen Hamburger Kaufmann habe er erfahren, „dass der Kaufmann Hugo Wolfers, Inhaber der Firma Schönfeld & Wolfers für sein Handelsgeschäft einen Käufer suche, weil er zu seinem Sohn nach Australien auswan- dern wolle. Dieser Hinweis geschah nicht lange vor Ausbruch des Krieges. Der Berufungs- kläger (Schlumbom) hat sich daraufhin mit Herrn Hugo Wolfers in Verbindung gesetzt. Die Verhandlungen führten am 29. Juni 1939 zum Abschluss des Kaufvertrages. Herr Wolfers wurde jedoch, obwohl er schon die Ausreiseerlaubnis erwirkt und die Passage belegt hatte, durch den Ausbruch des Krieges an der Ausreise gehindert.“ Daraufhin sei die Übernahme noch hinausgezögert und erst am 25. September 1940 mit einem Vertragsnachtrag in Kraft gesetzt worden. Ob dies den tatsächlichen Gegebenheiten entsprach, wurde zumindest vom Berufungsausschuss für Entnazifizierungsverfahren im Juni 1948 angezweifelt. Dieser hatte den Eindruck gewonnen, „dass der Berufungskläger (Schlumbom) die Zwangslage der jüdi- schen Verkäufer in unrechtmäßiger Weise ausgenutzt und sich auf deren Kosten bereichert hat.“ Peter Schlumbom, von 1934 bis 1938 glückloser Ostasienkaufmann in Japan, hatte noch aus dem Ausland seine „politische Rückfahrkarte“ gebucht und war der Deutschen Ar - beits front (1. Juni 1935) und der NSDAP (1. November 1936) beigetreten. 1939 folgte die Mitgliedschaft im „Reichsbund der Kinderreichen“ (er hatte vier Kinder) sowie eine Tätigkeit als Blockhelfer/Blockleiter. Neben dem „Arisierungs-Kauf“ von Schönfeld & Wolfers erwarb er zum 1. Januar 1942 die Firma des niederländischen Großhändlers für Berufskleidung Jo - seph Veffer (Amsterdam, Jodenbreestraat 15) über eine Firma, die von der deutschen Besat - zung smacht mit dem Zwangsverkauf „jüdischer“ Firmen beauftragt wurde. Dem Kaufvertrag stimmte der Hamburger NSDAP-Reichsstatthalter im Oktober 1940 zu. Noch im selben Monat wurde ein notarieller Vertrag aufgesetzt: „Das Geschäft ist mit dem Firmenrecht auf den Kaufmann Peter Christoph Schlumbom übertragen worden. Dieser führt das Geschäft als alleiniger Inhaber unter unveränderter Firma fort.“ Am Ende des Vertrages wurde in einem einzigen Satz die Essenz der NS-Rassegesetze in die nüchterne Sprache der Behörden und Kaufleute übertragen und vom Notar besiegelt: „Die zu 1), 2), 4) und 5) Genannten (Anmerkung: Hugo Wolfers, Elisabeth Gorden geb. Wolfers, Sigrid Hess geb. Wolfers, Natalie Kramer geb. Wolfers) sind Juden, die zu 3) Genannte (Anm.: Gertrud Wol- fers geb. Fränkel) ist Mischling ersten Grades, der zu 6) Genannte (Anm.: Peter Schlumbom) ist Arier.“ Reichsstatthalter Karl Kaufmann hatte den Kauf allerdings nur unter Auflagen genehmigt. So hieß es in einem Passus: „Die Beschäftigung des Herrn Wolfers als Ange stell- ter wird zunächst nur bis zum 31. Dezember 1940 genehmigt.“ Auch bezüglich der Firmen -

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bezeichnung wurden Vorgaben gemacht: „Der bishe- rige Firmenname darf auch mit einem die Nachfolge - schaft ausdrückenden Zusatz nur bis längstens bis zum 31. Dezember 1940 fortgeführt werden.“ Hugo Wolfers quittierte am 2. April 1941 den Erhalt von 4026,33 RM für seine Firma inklusive Geschäfts - ausstattung und Warenlager. Laut Käufer Schlumbom wurde der ehemalige Firmeninhaber noch bis zum 31. März 1941 als Angestellter gegen Entgelt be- schäftigt. Obwohl demütigend, sicherte es Hugo Wolfers in dieser Situation immerhin den Lebensun - Hugo Wolfers, 1930er Jahre Privatbesitz terhalt. Die Jahreseinnahmen des „Ariseurs“ Schlum - bom vervierfachten sich durch die Firmenzukäufe. Die zwanzigmonatige Verzögerung des Firmenverkaufs erschwerte eine mögliche Ausreise dramatisch. Neben dem behinderten Sohn Heinz war es auch die Ehefrau Olga, die einer see- lischen Stütze bedurfte und Hugo Wolfers wohl zum Bleiben bewog. Das Fernsprechbuch des Jahres 1940 wies nun den Uhlenhorsterweg 2 als Wohnadresse aus. Ehepaar Wolfers war, ihrer Einnahmequelle beraubt, im November 1939 zur Untermiete in die nahegelegene Wohnung der Witwe Eugenie Zimmermann, geb. Isaacs, (geb. 27. Oktober 1873 in Ham- burg, deportiert am 19. Juli 1942 nach Theresienstadt, dort am 16. April 1945 gestorben) ge zogen. Zu diesem Zeitpunkt waren schon zwei der Wolfers-Kinder emigriert (die ältere Tochter Alice war 1932 mit 17 Jahren an Polio/Kinderlähmung gestorben). Der älteste Sohn Heinz (geb. 14. September 1908) litt unter Schizophrenie. Noch 1933 wohn te er in der Rothenbaumchaussee 103, 1. Stock zur Untermiete bei Rosa Rothenburg (geb. 18. März 1866 in Güstrow/Mecklenburg), die am 15. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert und am 23. September 1942 nach Treblinka weiterdeportiert wurde. Rosa Rothen - burg verdiente mit der Vermietung von Zimmern ihrer Wohnung so wenig, dass sie zusätz- lich auf Zuwendungen der Wohlfahrt angewiesen war. Möglicherweise hatte sie neben der Zimmervermietung auch die Pflege von Heinz Wolfers übernommen. Nachdem 1934 das „Ge setz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ in Kraft getreten war, wurde Heinz Wol - fers in die „Staatsirrenanstalt Friedrichsberg“ eingewiesen. Als die Anstalt Friedrichsberg 1935 aufgehoben wurde, erfolgte am 18. Januar 1935 seine Verlegung in die „Staats kran - ken anstalt“ Langenhorn (1893 als Außenstelle der Irrenanstalt Friedrichsberg gegründet). Seit Anfang der dreißiger Jahre verschlechterten sich die Lebensbedingungen der Patienten in den Anstalten durch Sparmaßnahmen und politisch motivierte Einschränkungen. In der Kriegszeit verschlechterte sich auch noch die Personalsituation durch die Einberufung von Ärzten und Pflegepersonal. Am 24. Januar 1940 wurde Heinz Wolfers, eingenäht in eine Woll decke, mit einem Sammeltransport per Bus in die Heilanstalt Strecknitz bei Lübeck ver- legt (Ratzeburger Allee 160). Aufgrund negativer ärztlicher Diagnosen nahm er nicht an ar-

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beitstherapeutischen Maßnahmen teil. Er war bereits körperlich sehr schwächlich und lag zuletzt fast nur noch im Bett. Am 3. Mai 1940 starb er laut ärztlichem Bericht an den Folgen einer Lungen-Tbc, was auf eine schlechte pflegerische Versorgung hindeutet. Im September 1940 wurden die übrigen jüdischen Patienten von Strecknitz über Hamburg nach Branden - burg deportiert, wo sie höchstwahrscheinlich mit Gas getötet wurden. Hugo und Olga Wolfers wurden am 6. Dezember 1941 ins Getto Riga deportiert. Der Ham- burger Transport wurde in das Staatsgut Jungfernhof eingewiesen. Dort starben Hugo und Olga Wolfers; die genauen Todesumstände sowie das Todesdatum sind nicht bekannt. Vom Amtsgericht Hamburg wurde das Todesdatum später rückwirkend auf den 8. Mai 1945 fest- gelegt. Bereits am 25. Oktober 1941 war die Schwester von Hugo Wolfers, Elisabeth Gorden, geb. Wolfers (geb. 23. Dezember 1879 in Hamburg) mit ihrem Sohn Herbert Gorden (geb. 24. Sep- tember 1902 in Hamburg) ins Getto Lodz deportiert worden. Sie war verheiratet mit dem Amtsrichter Felix Gorden (1863–1939) und Mitglied der evangelisch-lutherischen Kirche. Mit 23 Jahren hatte der Referendar Felix Gorden seinen jüdischen Familiennamen Cohn in Berlin abgelegt und den britisch klingenden Namen Gorden angenommen. 1892 wechselte er als Assessor nach Hamburg, wo er 1895 zum Richter ernannt und am 15. Juli 1933 in den Ruhe- stand versetzt wurde. Noch im Februar 1939 hatte der selbstständige Kaufmann Herbert Gorden alle erforderlichen Unterlagen für seine Ausreise bei den entsprechenden Amtsstellen vorgelegt. Warum die Emigration dennoch nicht zustande kam, ist nicht bekannt. Möglicher - weise hatte der Tod seines Vaters am 15. März 1939 zu einem Umdenken geführt. Die Schwes ter Hildegard war bereits nach Palästina ausgewandert, und so war Herbert Gorden der Einzige, der seiner Mutter in der Zeit nach dem Todesfall Halt und Hilfe geben konnte. Zweieinhalb Jahre später wurden Mutter und Sohn deportiert und starben im Getto Lodz. Von Elisabeth Gorden ist das Todesdatum nicht bekannt. Herbert Gorden starb am 9. März 1942. An beide erinnern Stolpersteine in der Parkallee 84 in Hamburg-Harvestehude, wo die Familie seit mindestens 1902 wohnte. Für Alice Oppenheimer, geb. Oppenheim (1867–1942), und ihren Sohn Ernst Oppenheimer (1897–1942?) wurden in der Sierichstraße 58 im Stadtteil Winterhude Stolpersteine verlegt. An die Eltern von Grete Wolfers, geb. Abrahamssohn, Joel Abrahamssohn (1869–1942) und Pauline Abrahamssohn geb. Meyer (1872–1942), erinnern Stolpersteine“ in der Peterstraße 33 in Hamburg-Neustadt. – Björn Eggert

Quellen: 1; 2; 5; 8; StaHH Staatsangehörigkeitsaufsicht, A III 21 Bd.2, Aufnahme-Register 1865-1879, M- Z; StaHH 332-8, Alte Einwohnermeldekartei; StaHH 351-11, AfW, 221075 (Hugo Wolfers); StaHH 351-11, AfW, 271090 Henry Pels; StaHH 352-8/7, Staatskrankenanstalt Langenhorn, Abl. 1/1995, 21121 (Heinz Wolfers); StaHH 231-7, Handels- u. Genossenschaftsregister, B 1982-104, Band 1 u. 3 (Schönfeld & Wol- fers); StaHH 314-15, OFP, FVg 4758; StaHH 314-15, OFP, R 1940/492; StaHH 241-2, Justizverwaltung, Per- sonalakten, A 1229; StaHH 221-11, Staatskommissar für die Entnazifizierung, C 3169; StaHH 221-11, Staatskommissar für die Entnazifizierung, C 6984; AB 1842 (Jaffé), 1870, 1885, 1896; Amtliche Fern- sprechbücher Hamburg 1895, 1906, 1914, 1917, 1919–1920, 1925, 1928–1930, 1933, 1938–1940; Gräberkartei Jüdischer Friedhof Ohlsdorf; Auskünfte des Historikers Hans-Werner Dirks (Warmsen), 2008; Auskünfte und Privatfotos von Howard Wolfers (Australien), 2008 u. 2009; Auskünfte von Ernest Stiefel,

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Seattle/USA, 2009; von Rönn/ Lunderup: Wege in den Tod. S. 233ff.; Press, Judenmord in Lettland 1941- 1945, S. 67ff., S. 71, S. 89ff.; Sparr, Stolpersteine in Hamburg-Winterhude. S. 188ff.; Hamburger Börsen- firmen, 11. Auflage, Hamburg 1910, S. 591, S. 720f.; Hamburger Börsenfirmen, 34. Auflage, Hamburg Febr.1933, S. 764, S. 931; Hamburger Börsenfirmen, 36. Auflage, Hamburg 1935, S. 446 (Kistenmacher & Co.); Hamburger Handel und Verkehr, Illustriertes Export-Handbuch der Börsenhalle 1912/14, Hamburg ohne Jahresangabe, S. 130 (Schönfeld & Wolfers); Bajohr, „Arisierung“ in Hamburg, S. 371 (Schönfeld & Wolfers); Landschaftsverband Westfalen-Lippe und Westfalen, Amt für Denkmalspflege, Bau- u. Kunst- denkmäler von Westfalen, Band 50, Stadt Minden – Teil IV, Minden 2000, S. 132ff. (Wolffers-Haus); Her- zig, Das Sozialprofil der jüdischen Bürger von Minden; Storz: Als aufgeklärter Israelit wohltätig wirken. S. 172ff.; Gelehrtenschule des Johanneums, Bibliotheca Johannei (Schülerkarte Hugo Wolfers); Königliche Kunst – Freimaurerei in Hamburg seit 1737, Ausstellung im Jenisch-Haus vom 24.3.–22.11.2009, Schrift- stück von 1897 in der Ausstellung (darauf erwähnt Ed. Wolfers u. Ernst Wolfers).

Theodor Rudolf Jonni Wulff, geb. 1.2.1922, Selbstmord am 27.7.1938 in Hamburg 73 Oertzgarten, Rückseite des Hauses Oertzweg 15 a

Eines der jüngsten Opfer der nationalsozialistischen Homo - sexuellenverfolgung war Theodor Wulff. Am 27. Juli 1938 er- hängte er sich im Alter von 16 Jahren. Geboren wurde er am 1. Februar 1922 in Hamburg. Theodor Wulff, der Theo genannt wurde, erlernte das Bäcker hand - werk und war Mitglied der Marine Hitler Jugend (MHJ). Im No vember 1939 kam durch kriminalpolizeiliche Ermittlungen gegen einen anderen Homo sexuel len heraus, dass er ein Ver- hältnis zu dem 26 Jahre älteren Johannes Wagner (*1896, †1942 Tötungsanstalt Bernburg) unterhielt. Zudem soll er zwei etwas jüngeren Jungen gezeigt ha ben, wie man ona- niert. Vermutlich lagen hier die Gründe der polizeilichen Er- mittlungen gegen Theodor Wulff und für dessen Selbstmord. Theodor Wulff, ca. 1937 StaHH – Bernhard Rosenkranz/Ulf Bollmann Quellen: StaHH, 331-5 Polizeibehörde – Unnatürliche Sterbefälle, 1146/38; StaHH, 213-11 Staatsanwalt- schaft Landgericht – Strafsachen, 2970/40; B. Rosenkranz/U. Bollmann/G. Lorenz: Homosexuellen-Verfol- gung in Hamburg 1919–1969, S. 267–268.

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Beate Meyer Glossar

„Arisierung“ Unter „Arisierung“ wird in der Regel die Entfernung der Juden aus dem Berufs- und Wirt- schaftsleben und der damit erzwungene Transfer ihres Vermögens von Juden auf Nichtjuden verstanden. Aus wirtschaftlichen Gründen – Hamburg war Notstandsgebiet – forcierte die Stadt Hamburg diesen Prozess bis 1938 noch nicht so stark. Nach dem Novemberpogrom vom 9./10. November 1938 kam es jedoch zu einem „Bereicherungswettlauf“ (Frank Ba- johr). Bis 1939 wurden in Hamburg 1500 jüdische Unternehmen zwangsweise liquidiert oder weit unter dem marktüblichen Preis an nichtjüdische Erwerber verkauft. Den jüdischen Be- sitzern wurde zumeist nur ein Teil des Wertes vergütet; insbesondere der „goodwill“, der immaterielle Wert einer eingeführten Firma, ihr Kundenstamm, das Ansehen, die Ver bindun - gen usw. wurde nach 1935 nicht mehr angerechnet. Außerdem wechselten Hunderte von Immobilien den Besitzer oder wurden unter Zwangsverwaltung gestellt. Im weiteren Sinne „arisiert“ wurde auch das private Vermögen über Steuern und Zwangsabgaben. Schließ lich griff der NS-Staat auch auf das zurückgelassene Vermögen emigrierter und de portierter Juden zu, das er zugunsten des Deutschen Reiches einzog.

Auschwitz (Konzentrations- und Vernichtungslager) Das Lager Auschwitz wurde am Rand der polnischen Stadt Oswiecim gebaut und umfass - te ein Gebiet von ca. 40 Quadratkilometern. Es bestand aus drei Teilen: dem Stammlager (Ausch witz I), Auschwitz-Birkenau, dem späteren Vernichtungslager (Auschwitz II) und dem Zwangsarbeiterlager Monowitz (Auschwitz III), dem Buna Monowitz und 45 weitere Lager angegliedert wurden. In Auschwitz I wurden zunächst einheimische Juden und politische pol nische Häftlinge interniert, später kam eine Frauenabteilung hinzu, die jedoch nach Auschwitz II überführt wurde. In Auschwitz II befanden sich die meisten Häftlinge, vor allem Juden, eine Zeitlang auch die Familienlager für „Zigeuner“ und für tschechische Juden. Ab Herbst 1941 wurde dort mit dem Gas Zyklon B experimentiert und ab März 1942 mit der industriellen Ermordung der Juden begonnen. In den vier Gaskammern wurden bis No - vem ber 1944 zwischen 1 und 1,5 Millionen Juden getötet. Hamburg verließen zwei Trans - porte mit Ziel Auschwitz: am 11.7.1942 mit 300 Personen, am 12.2.1943 mit 24 Personen, die über das zentrale Berliner Sammellager dorthin deportiert wurden. Weitere Hamburger Juden gelangten aus den Gettos dorthin. In Auschwitz III schufteten die Häftlinge bei den Buna-Werken (synthetisches Gummi), den IG Farben oder den Oberschlesischen Hydrier wer - ken. Wurden sie arbeitsunfähig, wurden sie nach Birkenau überstellt und ermordet.

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Auswanderung Zwischen 1933 und 1941 emigrierten mehr als die Hälfte der in Deutschland lebenden 525 000 Jüdinnen und Juden, aus Hamburg zwischen 10 000 und 12 000. Sie verließen Deutschland in mehreren Wellen: Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme, nach Ver abschiedung der Nürnberger Gesetze und nach dem Novemberpogrom 1938. Zwischen 1933 und 1935 war die Auswanderung noch vergleichsweise ohne große Vermögens ver luste möglich; ab 1935 wurden Steuern und Abgaben erhöht, ab 1938 erschwerte es eine Vielzahl von Bestimmungen, über- haupt das Land zu verlassen. Auswanderer durften gerade 10 RM mitnehmen. Wer auswan - dern wollte, musste einen gültigen Reisepass und ein Visum besitzen, die „Reichsfluchtsteuer“ entrichtet haben, eine Abgabe für ins Ausland transferiertes Geld bezahlt haben (die Dego- Abgabe, die 1934 65% der Gesamtsumme betrug und bis Sep tember 1939 auf 96% erhöht wurde). Sie/er musste eine Packerlaubnis besitzen, eine Um zugsliste erstellt haben, die geneh- migt worden war (auf neu gekaufte Gegenstände muss te eine Abgabe bis zu 300% des An - schaffungswertes gezahlt werden), das Umzugsgut vor der Ausreise kontrollieren lassen und eine Unbedenklichkeitsbescheinigung der Behörde des Oberfinanzpräsidenten erhalten haben (dass alle Steuern und Abgaben entrichtet waren). Na türlich musste sie/er aus eigenen Mitteln oder mit Unterstützung einer Hilfsorganisation die Schiffs- oder Bahnfahrkarten erworben haben und etliches mehr. Wenn sich eine dieser vorgeschriebenen Formalitäten verzögerte, konnte die Ausreise oft gar nicht angetreten werden. Ein Teil der jüdischen Emigranten ging nach Palästina, das britisches Mandatsgebiet war. Andere versuchten, die Einreisegenehmigung für die USA und Großbritannien zu bekommen oder flüchteten in europäische Nachbarländer, wo die deutschen Truppen sie später einholten. 1939–1941 kamen als Zielgebiete nur noch wenige südamerikani- sche Länder oder Shang hai in Frage, das kein Visum verlangte. Am 23. Oktober 1941, zeitgleich mit dem Beginn der De portationen, wurde die Auswanderung verboten.

Bewährungsbataillone 999 und „SS-Sonderkommando Dirlewanger“ In die Bewährungsbataillone 999 der Wehrmacht wurden ab 1942 aufgrund eines „Führer- be fehls“ Männer zwangsweise verpflichtet, denen ursprünglich die „Wehrwürdigkeit“ we- gen krimineller, militärstrafrechtlicher oder politischer Delikte aberkannt worden war (Juden oder „Mischlinge“ ausgenommen.) Die neuen Einheiten sollten die Wehrmacht nach den schweren Verlusten an der Ostfront vor allem an anderen Fronten personell entlasten. Vom Okto ber 1942 bis August 1944 wurden aus dem Deutschen Reich und den neuangeschlos- senen Gebieten insgesamt ca. 28 000 „Wehrunwürdige“ zu den Bewährungsbataillonen ein- gezogen. Die meisten hatten ihre Strafen bereits verbüßt, 30–40% kamen direkt aus den Ge fängnissen, Zuchthäusern und Straflagern der Justizverwaltung, eine kleine Minderheit un mittelbar aus den Konzentrationslagern. 30% der Eingezogenen waren politisch Vor be - strafte, die anderen „Kriminelle“ im Sinne der NS-Strafrechts. Die Bewährungsbataillone wurden insbesondere in Nordafrika, dem Balkan und Griechenland, einige auch an der West- und Ostfront und als Pioniertruppen in Deutschland selbst eingesetzt. Unter den politisch

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Vorbestraften dominierten die Mitglieder der Arbeiterparteien. Sie versuchten in vielen Ein - heiten, ihre Widerstandsaktivitäten fortzusetzen und vor allem möglichst viele „Bewäh rungs- soldaten“ zum Überlaufen zu den alliierten Truppen zu bewegen oder in Einzelfällen sogar eine bewaffnete Rebellion in den eigenen Reihen herbeizuführen. Eine andere „Bewährungseinheit“, die den Namen ihres Leiters Oskar Dirlewanger trug, war als „Freiwilligenabteilung“ der Waffen-SS angegliedert. Diese Einheit wurde im Sommer 1940 ausschließlich aus vorbestraften Wilddieben zusammengestellt. Ihr Kommandeur musste sich selbst wegen eines Sittlichkeitsdelikts „bewähren“. Von 1942 bis Herbst 1944 bekämpfte das Bataillon im sogenannten Generalgouvernement Widerstandsgruppen, bewachte Arbeits la ger und Zwangsarbeiter oder ging gegen Partisanen in Weißrussland vor. Ukrainische und russi- sche „Hilfswillige“ verstärkten die Truppe auf 1000–1200 Mann. Im Mai 1943 wurden erst- mals KZ-Häftlinge, „Berufsverbrecher“ und „Asoziale“, sowie verurteilte SS-Männer und von Militärgerichten verurteilte Soldaten zum „Sonderkommando Dirlewanger“ eingezogen, das jetzt auf 6500 Mann anwuchs. Die Brigade erwarb sich einen Ruf als brutale Schlächter bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes und der Aufstandsbewegung in der Slowa - kei im Herbst 1944. Nun wurden 1000 politische KZ-Häftlinge zwangsweise rekrutiert, die eine rudimentäre militärische Ausbildung und Waffen erhielten und Anfang Dezember ins slo- wa kisch-ungarische Grenzgebiet geschickt wurden, um gegen die vorrückende Sowjet armee zu kämpfen. Aus der Brigade, in der einige Kompanien fast ausschließlich aus „Politischen“ zu sammengesetzt waren, flüchteten Hunderte ehemaliger politischer Häftlinge zu den Sow - jets – wobei eine nicht bekannte Anzahl wegen ihrer SS-Uniformen in sowjetischen Kriegs - gefangenenlagern inhaftiert wurden und bei der Zwangsarbeit ums Leben kamen. – Benedikt Behrens

Chelmno, dt. Kulmhof (Vernichtungslager) Dieses erste Vernichtungslager lag ca. 70 km von Lodz entfernt. Nach Schätzungen wurden hier zwischen 152 000 und 320 000 Juden ermordet, darunter die Häftlinge des Gettos Lodz. Das Lager Chelmno bestand aus zwei Teilen: 1) Im „Schloss“ wurden die Menschen auf ge - nommen und in Gaswagen am Ende einer Rampe ermordet. Hier lebte auch das Mordper - sonal. Im Dezember 1941 „arbeiteten“ drei Gaswagen. 2) Im „Waldlager“ mussten ausge- suchte Deportierte, die später erschossen wurden, Massengräber ausheben und die Leichen begraben bzw. diese später in zwei Verbrennungsöfen verbrennen.

DIGH (Deutsch-Israelitische Gemeinde Hamburg = Jüdische Gemeinde), Jüdischer Religionsverband e. V., Bezirksstelle Nordwestdeutschland der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland Die Deutsch-Israelitische Gemeinde Hamburgs gab sich 1867 eine Toleranzverfassung: Unter dem organisatorischen Dach der Gemeinde, die für das Schul- und Erziehungswesen, das all- gemeine Wohlfahrts- und Begräbniswesen verantwortlich zeichnete, existierten zwei (später

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drei) Kultusvereinigungen, die sich um die religiöse Betreuung kümmerten. Jeder Hamburger Jude konnte entscheiden, ob sie/er der Gemeinde und/oder einer Kultusvereinigung angehören wollte. Kultusverbände waren der orthodoxe Synagogenverband, der liberale Tempel verband und die 1894 gegründete gemäßigt-orthodoxe Neue Dammtor-Synagoge. Während der Wei- marer Republik zählte die Gemeinde ca. 20000 Mitglieder und stellte damit die viertgrößte jüdische Gemeinschaft im Deutschen Reich dar. Nur ca. 40% der Gemeindemitglieder gehör- ten einem der Kultusverbände an. Außerhalb der Hamburger Stadtgrenzen hatten sich jüdische Gemeinden in Altona, Wandsbek und Harburg-Wilhelmsburg gebildet. Als mit dem Groß-Ham- burg-Gesetz von 1937 diese Städte dem Hamburger Gebiet zugeschlagen wurden, gingen de- ren jüdische Gemeinden Anfang 1938 in der Hamburger auf, die sich in „Jüdi scher Religi - ons verband“ umbenennen und später – als die jüdischen Gemeinden nur noch als Vereine exis - tieren durften – ein „e. V.“ anhängen musste. Nach dem Novemberpogrom 1938 bestimm te die Gestapo den bisherigen Syndikus, Max Plaut, zum Allein verantwortlichen für den Religions - verband. Die Kultusverbände mussten ihre Tätigkeit im Frühjahr 1938 beenden. 1939 zählte die jüdische Gemeinde Hamburgs nach den ersten Emigrationswellen noch 10 131 Mitglieder. Im Juli 1939 wurde per Gesetzesakt die „Reichsvereinigung der Juden in Deutsch- land“ gegründet, deren „Bezirksstelle Nordwestdeutschland“ Plaut nun ebenfalls leitete. Mit glied der Reichsvereinigung musste jeder Angehörige eines aufgelösten Kultus ver bandes und der Gemeinde werden mit Ausnahme der in „privilegierter“ Mischehe lebenden Juden. Plauts Betreuungsgebiet umfasste über Hamburg hinaus auch große Teile des heutigen Schles wig-Holsteins und Niedersachsens. Der „Jüdische Religionsverband“ blieb für die Ham - burger als Abteilung innerhalb der Reichsvereinigung zuständig, bis er der Zwangs organi sa - tion im August/November 1942 endgültig eingegliedert wurde. Im Juni 1943 löste der NS- Staat die Reichsvereinigung auf, ließ aber eine Rest-Reichsvereinigung die Angele genheiten der Mischehen noch bis Kriegsende weiterführen. Deren Hamburger Büro wurde von dem Arzt Martin-Heinrich Corten geleitet.

Emigration siehe Auswanderung

„Euthanasie“ Die Tötung „lebensunwerten Lebens“ wurde seit Ausgang des 19. Jahrhunderts unter Rasse - hygienikern in etlichen Ländern diskutiert. In Deutschland ermöglichten nach der NS-Macht- übernahme etliche Gesetze die Erfassung und Aussonderung erbkranker, körperlich oder gei- stig behinderter Personen. Mit der sog. Kindereuthanasie wurden 1939 mindestens 5000 Säuglinge und Kinder ermordet. Der kurz darauf folgenden „Erwachseneneuthanasie“ („Ak - tion T4“) fielen ca. 70 000 Personen zum Opfer. Diese wurde im August 1941 nach Protesten kirchlicher Kreise offiziell eingestellt. Doch die Ermordung kranker und nicht mehr arbeitsfä- higer KZ-Häftlinge lief bis Ende des Krieges als „Aktion 14f13“ in drei der Tötungsanstalten wei ter (Bernburg, Sonnenstein und Hartheim). Sie betraf ca. 20 000 Häftlinge.

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Ab 1943 folgte die „wilde Euthanasie“ oder „Aktion Brandt“, benannt nach Hitlers Begleit - arzt. Es wurden Heil- und Pflegeanstalten geräumt und die Patienten in besonderen Anstal - ten konzentriert, wo sie gezielt mit überdosierten Medikamenten oder durch Unter er näh - rung getötet wurden. Dies betraf ca. 30 000 Personen. Juden, die sich in staatlichen Heimen befanden, wurden im Rahmen der ersten beiden „Euthanasie“-Phasen mit ermordet. Jüdi - sche Geisteskranke wurden dann in einer eigenen Anstalt in Benndorf-Sayn gesammelt und den systematischen Deportationen angeschlossen. Insgesamt sollen 150 000 nichtjüdische und jüdische Patienten aus Deutschland getötet wor- den sein.

Fuhlsbüttel, Polizeigefängnis bzw. Konzentrationslager „Kolafu“ (auch: „Kola-Fu“) Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wurden 400 bis 600 politische Gegner in der Strafanstalt Fuhlsbüttel inhaftiert, mehr als 100 weitere im „wilden KZ“ Wittmoor, das im Oktober 1933 aufgelöst wurde. Von diesem Zeitpunkt ab nutzte die Staatspolizei unter Bruno Streckenbach Gebäudeteile der Strafanstalt Fuhlsbüttel, das „Kolafu“, als Haftstätte für ca. 700 bis 800 „Schutzhäftlinge“. Unter dem Kommandanten Paul Ellerhusen und Wach- mann schaftsführer Willi Dusenschön galt Fuhlsbüttel als eines der brutalsten Lager im Deut - schen Reich. Nachdem Todesfälle unliebsames Aufsehen erregt hatten, wurde die Lei tung aus ge wechselt und das Konzentrationslager 1936 in Polizeigefängnis Fuhlsbüttel um be - nannt. Es unterstand der Gestapo, die hier vor allem politische Häftlinge, Homosexuelle und Zeugen Jehovas inhaftierte. Während des Novemberpogroms 1938 sammelte sie hier einen Großteil der Juden, die in das KZ Sachsenhausen transportiert wurden. Später durchliefen auch ca. 400 Swing-Jugendliche das Polizeigefängnis. Im „Kolafu“ herrschte große Fluk tu a - tion, weil die Häftlinge in der Regel nach einiger Zeit in andere Lager verlegt wurden. Wäh - rend des Zweiten Weltkrieges wies die Gestapo vermehrt in Mischehe lebende Juden, die kri- minalisiert worden waren, und ausländische Zwangsarbeiter hier ein.

Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums Das am 7. April 1933 erlassene Gesetz erlaubte den nationalsozialistischen Machthabern, po litisch missliebige oder „nichtarische“ Staatsdiener zu entlassen bzw. in den Ruhestand zu versetzen, wenn sie vor August 1914 bereits Beamte gewesen waren. Auch „Front kämp fer“ blieben von der Entlassung verschont. Wer zwangsweise in den Ruhestand versetzt war, er - hielt eine Pension, die später mehrfach reduziert wurde. In der Folgezeit musste jeder Be - amte den „Ariernachweis“ erbringen und mit Dokumenten belegen, dass kein Jude unter den Vorfahren zu finden war. Etliche Durchführungsverordnungen weiteten das Gesetz auf An gestellte und Arbeiter im öffentlichen Dienst wie bei halböffentlichen Unternehmen aus. „Ariernachweise“ verlangten später nicht nur Arbeitgeber, Schulen und Universitäten, son- dern auch Clubs oder Vereine und andere.

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Hachschara(h) Mit diesem Begriff wird die geistige und körperliche Vorbereitung auf ein Leben in Palästina be zeichnet. Die Bewegung entwickelte sich Ende 19. Jahrhunderts. In Deutschland strömten nach der nationalsozialistischen Machtübernahme angesichts der bedrückenden Situation vor allem Jugendliche in die sog. Hachschara-Zentren. Sie lebten während dieser Zeit in Wohn heimen oder Wohngruppen und bereiteten sich in Lehrwerkstätten oder anderen Ein - richtungen auf ihre Auswanderung und eine spätere landwirtschaftliche, handwerkliche oder hauswirtschaftliche Tätigkeit in Palästina (Erez Israel, das gelobte Land) vor, wo sie Kibbuzim aufbauen wollten. Dafür befassten sie sich auch intensiv mit jüdischer Geschichte und lern- ten Hebräisch. Die Träger dieser Ausbildung waren meist zionistische Organisationen, insbe- sondere der Hechaluz (dt.: Pionier). Dieser linksorientierte Verband war 1917 entstanden und hatte 1922 einen deutschen Landesverband eingerichtet. In Hamburg bestanden Einrichtungen für die Älteren-Hachschara (über 18 Jahre) und die Jün geren- und Mittleren-H. (14–17 Jahre). Junge Männer konnten auch eine Seemanns- Hach schara auf den Schiffen der Fairplay-Reederei, später auch der Bernstein- und Schindler- Reederei absolvieren. Bis 1938 hatten in Hamburg 800 Jugendliche diese Vorbereitungszeit durchlaufen. Zwischen 1938 und 1941 wurden reichsweit die meisten Hachschara-Zentren zwangsweise geschlossen, einige durften als Zwangsarbeiterlager weitergeführt werden. Der Hechaluz arbeitete von 1938 an im Rahmen des Palästina-Amtes weiter, einer Hilfs organi - sation zur Auswanderung nach Palästina, die 1941 aufgelöst wurde.

Hechaluz siehe Hachschara und Zionistische Bewegung

Homosexuellen-Verfolgung Homosexuelle Handlungen zwischen Männern standen in Deutschland von 1871 bis 1994 unter Strafe (§ 175 des Strafgesetzbuches). Von 1871 bis zum 27. Juni 1935 musste für eine Strafverfolgung eine beischlafähnliche Handlung nachgewiesen werden. Die Nationalsozialisten stellten homosexuelle Männer als „Volksschädlinge“, „gefährliche Ge - wohnheitsverbrecher“, „Staatsfeinde“ und „bevölkerungspolitische Blindgänger“ dar, die es zu bekämpfen und aus der „gesunden Volksgemeinschaft“ „auszumerzen“ galt. Viele Deut - sche teilten diese Meinung offenbar, denn ein Großteil der Homosexuellen geriet durch De nunziationen in das Netz von Gestapo und Kriminalpolizei. Am 28.6.1935 wurde das Strafrecht verschärft (§ 175, § 175a), sodass bereits ein begehrlicher Blick oder eine Kör per - be rührung für eine Verurteilung ausreichten: Eine sexuelle Handlung musste nicht mehr nach gewiesen werden. Polizei und Justiz sollten eine „Verführung“ heterosexueller Männer ver hindern, um das Volk „rein“ zu halten. Insgesamt wurden in der NS-Zeit rund 54 000 Män ner nach § 175 und/oder § 175a zu Gefängnis und Zuchthaus verurteilt bzw. in An - stalten eingewiesen (z. B. Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn). Das ging fast immer einher mit der Zerstörung sozialer Existenzen (Verlust von Arbeitsplatz, Wohnung und Eigentum,

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Entzug der Approbation, Aberkennung akademischer Titel). Viele Beschuldigte entzogen sich vor oder während des Verfahrens durch Selbstmord der Verurteilung. Die Männer wurden nicht nur strafrechtlich verfolgt, sondern auch in Konzentrationslager oder Tötungsanstalten einge- wiesen und dort ermordet oder zur „freiwilligen“ Kastration gezwungen. Der Zusam menbruch des NS-Regimes beendete die Verfolgung der Homosexuellen keineswegs. Der ver schärfte § 175 galt weiter in den Besatzungszonen und später in der Bundesrepublik Deutschland. Von 1949 bis 1969 wurde gegen ca. 100 000 homosexuelle Männer ermittelt. In etwa der Hälfte der Fälle kam es zu Verurteilungen. Erst 1969, 24 Jahre nach Kriegsende, wurden gleichge- schlechtliche Handlungen zwischen erwachsenen Männern (damals über 21 Jahre) straffrei. Weibliche Homosexualität stand nicht unter Strafandrohung, wenngleich sie sich strafver- schärfend auswirkte, wenn Frauen wegen anderer Delikte auffällig geworden waren.

„Judenhäuser“ Das Reichsgesetz über die Mietverhältnisse mit Juden vom 30.4.1939 schaffte den Mieter- schutz für Juden ab und schränkte ihr Recht auf freie Wohnungswahl erheblich ein. Damit bekamen die Behörden die Möglichkeit, Juden in bestimmten Stadtteilen zu konzentrieren. „Judenwohnun gen“ galten der NSDAP-Gauleitung als Verfügungsmasse für sozialpolitische und städtebauliche Maß nahmen, später auch als Ersatzwohnraum für Bombengeschädigte. In Hamburg befahl die Gestapo Max Plaut 1941, Wohnraum freizumachen. Der Religions ver- band wies die Be trof fenen vor allem in Wohnstifte, Alters- und Pflegeheime ein, über die er als Gemeindeeigentum (bzw. dann Eigentum der Reichsvereinigung der Juden in Deutsch - land) verfügen konnte. Die meis ten Wohnhäuser lagen im Grindelgebiet, Eimsbüttel-Süd und Altona. Zunächst traf der Um quartie rungsbefehl ungeschützte „Volljuden“, dann die in „nicht - privilegierter“ Mischehe und schließ lich die in „privilegierter“ Mischehe lebenden Juden. Die schweren Luftangriffe auf Hamburg im Juli/August 1943 verstärkten die Wohnraumknapp - heit in Hamburg. Der Religions verband musste weitere Zimmer für Ausgebombte freima- chen. Dabei waren 600 von den 1257 noch in Hamburg befindlichen Juden selbst betroffen. Dies konnte trotz der Drohung, die Ham burger Juden ersatzweise in Baracken auf dem jüdi- schen Friedhof umzuquartieren, nur ansatzweise verwirklicht werden. Viele Juden lebten nur eine kurze Zeit im „Judenhaus“, bis sie den Depor ta tionsbefehl erhielten. Der Wohnraum, der ihnen zustand, wurde immer geringer be mes sen. Die „Judenhäuser“ waren ge kennzeich net und standen unter Gestapokontrolle. Aus die sem Grund entschied nach dem Krieg das Ober- verwaltungsgericht Hamburg, den zwangsweisen Aufenthalt von „Stern trägern“ dort als haftgleich anzuerkennen.

„Judenreferat“ der Gestapo Das „Judenreferat“ der Hamburger Gestapo mit ihrem Leiter, dem „Judenreferenten“ Claus Gött sche, war 1938 als eigenständige Abteilung aus dem Referat „Juden, Freimaurer, Logen“ (II B) hervorgegangen. Später erhielt es die Bezeichnung IV B 4. Unter Göttsche arbeiteten dort

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u. a. Fritz Beck, Walter Wohlers, Hans Stephan, Ferdinand Amberger, Walter Mecklenburg, Her - mann Kühn sowie Beamte namens Götze und Hammerschlag. Die Sicherheitspolizei baute das Jüdische Gemeinschaftshaus in der Rothenbaumchaussee 38 um und quartierte hier das „Ju- denreferat“ ein, das zuvor in der Staatspolizeileitstelle Hamburg im Stadthaus seinen Sitz ge - habt hatte. Inmitten des Grindelviertels organisierte Göttsche nun die Überwachung, Kontrolle und schließlich die Deportation der Hamburger Juden. Im Herbst 1943 kehrte er ins Stadthaus zurück und übernahm die Nachrichtenabteilung. In das ehemalige Gemeinschaftshaus zog das Ausländerreferat der Gestapo. Im Mai 1945 verübte Claus Göttsche Selbstmord, sein Unter- gebener Walter Mecklenburg folgte ihm 1947, während andere Gestapoleute abtauchten. Die Beamten des „Judenreferats“ wurden nie wegen ihrer Taten in Hamburg vor Gericht gestellt. Aus eingestellten Ermittlungsverfahren wird deutlich, dass sie sich nicht nur immer wieder allein und gemeinschaftlich bereichert, sondern Juden auch schikaniert, erpresst, in den Tod getrie- ben oder wegen geringer Vergehen auf die Deportationslisten gesetzt hatten.

„Judenstern“ Die Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden vom 1.9.1941 verpflichtete alle Juden, die älter als sechs Jahre waren, ab 19.9.1941 einen gelben „Judenstern“ sichtbar auf der linken Brustseite zu tragen. Erwerben mussten sie diesen für 10 Pf. bei der Reichsver eini gung, in Ham burg beim Jüdischen Religionsverband. Sie mussten ihn ausschneiden, säu men und fest aufnähen. Ausgenommen von der „Sternpflicht“ waren die in „privilegierten“ Mischehen lebenden Juden und die „Mischlinge ersten Grades“. Ohne „Stern“ das Haus zu verlassen oder ihn zu verdecken, zog Strafen nach sich, die oftmals zur schnelleren Deportation führten.

Judenvermögensabgabe siehe „Sühneleistung“

Jüdischer Religionsverband siehe DIGH

Jungfernhof siehe Riga

Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), Kommunistischer Jugendverband Deutschlands (KJVD), Revolutionäre Gewerkschaftsopposition (RGO) und andere Unterorganisationen Die KPD, im Dezember 1918 gegründet, kämpfte für die Errichtung einer „Diktatur des Prole - tariats“ nach sowjetrussischem Vorbild. Bewaffnete Aufstandsversuche in den 1920er Jahren blieben erfolglos. Im Juli 1920 beteiligte sich die KPD erstmals an Reichstagswahlen mit dem Ziel, das Parlament als politische Bühne zu nutzen. Die Demokratie der Weimarer Republik be kämpfte sie weiterhin. Die Zentren der KPD lagen in den Großstädten und den Industrierevieren in Nord-, West- und Mitteldeutschland. Ende der 1920er Jahre wuchs die KPD durch Vereinigung mit der Unab-

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hängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD) zur Massenorganisation, 1930 gehörten ihr 120 000, Ende 1932 ca. 300 000 Genossen an. Hier kann nicht auf die Führungspersönlichkeiten und nur auf einige Unterorganisationen oder KP-nahe Vereinigungen eingegangen werden, mit denen die Partei versuchte möglichst viele Mitglieder, Unterstützer und Anhänger zu erreichen: Der seit 1924 existierende parami - litärische Wehrverband „Rotfrontkämpferbund“ (RFB) schützte Versammlungen vor Überfällen und lieferte sich Straßenschlachten mit der SA. Die 1924 gegründete „Rote Hilfe“ unterstütz te inhaftierte Kommunisten, Gewerkschafter und andere Gefangene. Der 1925 ge gründete Kommunistische Jugendverband Deutschlands (KJVD) bot jungen Leuten politische Dis kus - sio nen, verknüpft mit attraktiven Freizeit ange boten an; der gleichzeitig ins Leben gerufene „Rote Frauen- und Mädchenbund“ (RFMB) setzte sich u. a. für die Abschaffung des Abtrei - bungsparagraphen 218 ein, um nur einige zu nennen. 1929 erklärte die KPD unter dem Begriff „Sozialfaschismus“ den Kampf gegen die Sozial de - mokratie zum Hauptziel ihrer künftigen Politik. Die Partei wollte versuchen, die Masse der sozialdemokratischen Arbeiter zu gewinnen, deren Führer sie als „Arbeiterverräter“ ansah, u. a. weil sie zum Schutz der Weimarer Republik Polizei gegen streikende/demonstrierende Arbeiter einsetzte. Die KPD propagierte die „Einheitsfront“ der Arbeiterschaft unter ihrer Füh rung. Um die Gewerkschafter aus dem sozialdemokratischen Kontext heraus zum Klas - sen kampf zu führen, wurde die Revolutionäre Gewerkschaftsopposition (RGO) gegründet. Ihre Unterorganisationen wie beispielsweise die Interessengemeinschaft Oppositioneller Leh - rer sollten die Mitglieder der Einzelgewerkschaften für die Politik der KPD gewinnen – was diese allerdings als Spaltungsversuche werteten. Ende der 1920er Jahre war die KPD mittler- weile eher zur Partei der Arbeitslosen geworden. Die KPD bündelte linksgerichtete Protest- wähler und konnte bei der Reichstagswahl am 6.11.1932 als drittstärkste Partei fast sechs Mil- lionen Stimmen erlangen. Der Vorsitzende der KPD, der Hamburger Ernst Thälmann, schlug der SPD nunmehr eine gemeinsame „Antifaschistische Aktion“ vor, doch auch dieses Angebot beinhaltete ein gemeinsames Vorgehen unter Federführung der KPD und stieß deshalb auf wenig Zustimmung bei den Sozialdemokraten. Anlässlich der nationalsozialistischen Macht - übernahme rief die KPD ohne Erfolg zum Generalstreik auf. Nach ihrer Machtübernahme verboten die Nationalsozialisten die KPD, ihre Organisationen, Ver sammlungen und Publikationen auf der Grundlage der Reichstagsbrandverordnung vom 28.2.1933 als staatsfeindlich. Am 3.3.1933 wurde Ernst Thälmann in „Schutzhaft“ genom- men. Dennoch erhielt die KPD bei den Reichstagswahlen am 5.3.1933 noch einmal 12,3% der Stimmen. Ihre Sitze im Reichstag konnten die kommunistischen Abgeordneten nicht mehr einnehmen. Sie wie andere KPD-Mitglieder wurden systematisch verfolgt, ins Exil ge- jagt oder in Konzentrationslager eingewiesen. Im Exil widerrief die Kommunistische Partei die verhängnisvolle Sozialfaschismustheorie und propagierte mit der Volksfrontpolitik ein Zu sam - men gehen mit der SPD, was jedoch angesichts des tiefen gegenseitigen Misstrauens nur sel- ten gelang. Viele der in Deutschland zurückgebliebenen Kommunisten organisierten sich in

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Widerstandsgruppen, deren Mitglieder massenweise verhaftet wurden, so dass die Gruppen bis Ende 1936 weitgehend zerschlagen waren. Die zentralistische Struktur der KPD stand einer erfolgreichen Widerstandstätigkeit entgegen, die große personelle Fluktuation vor der nationalsozialistischen Machtübernahme ermöglichte es der Gestapo zudem, Spitzel in die Gruppen einzuschleusen. 1940/41 gelang es den entlassenen KZ-Häftlingen Bernhard Bästlein und Franz Jacob noch einmal, ein größeres Widerstandsnetz aufzubauen, das 300 Personen umfasst haben soll. In den 1940er Jahren entstanden weitere kommunistische Widerstandsgruppen in etlichen deutschen Städten. Gemeinsame Erfahrungen in Konzentrationslagern ermöglichten jetzt eine par tielle Zusammenarbeit zwischen Kommunisten, Sozialdemokraten und anderen Wider- ständ lern. Die neuen Gruppen wurden unter den Namen „Rote Kapelle“, Schulze-Boysen/ Har nack-Kreis oder als Baum-Gruppe bekannt, die sich um den jungen Berliner Juden Herbert Baum geschart hatte. Viele Mitglieder dieser Gruppen wurden verraten oder aufgespürt, fest- genommen, gefoltert und hingerichtet. Auch in den Konzentrationslagern organisierten sich die Kommunisten in Widerstandsgruppen. KP-Führer Ernst Thälmann saß ohne Gerichtsverfahren elf Jahre in Gefängnissen und Kon- zen trationslagern ein, bis er am 17.8.1944 im KZ Buchenwald erschossen wurde.

Kreisauer Kreis Diese 1940 gegründete Widerstandsgruppe trägt den Namen ihres Treffpunkts, des Guts Krei sau in Niederschlesien, das Helmuth James Graf von Moltke gehörte. Der Kreis bestand aus ca. 20 Aktiven und ebenso vielen Sympathisanten. Unter ihnen befanden sich Adlige und Bürgerliche, Sozialdemokraten und Angehörige beider christlicher Konfessionen. Sie disku- tierten die grundlegende soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Neuordnung Deutsch - lands nach einem Sturz der NS-Diktatur. Sie strebten eine enge Verbindung von Kirche und Staat an; „kleine Gemeinschaften“ wie Familien, Betriebsgemeinschaften oder Kirchen ge - mein den sollten ein Bollwerk gegen eine manipulierbare Massengesellschaft bilden. Der Staatsaufbau sah direkte Wahlen einzelner Persönlichkeiten statt eines Parteiensystems vor. Mitglieder des Kreisauer Kreises suchten Kontakte zu anderen Widerstandsgruppen, so zum militärischen Widerstand und Organisationen in den besetzten Ländern Norwegen, Däne - mark und den Niederlanden. Ab 1943 wuchs die Bereitschaft der Mitglieder, an einem Staats - streich teilzunehmen. Als von Moltke im Januar 1944 verhaftet wurde, schlossen sich einige der Gruppe um Claus Schenk Graf von Stauffenberg an und beteiligten sich an den Vor be - rei tungen des Attentats auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944. Etliche von ihnen wurden nach dessen Scheitern hingerichtet.

Lodz, Getto (Getto „Litzmannstadt“) Die deutschen Besatzer benannten die polnische Stadt Lodz nach General Litzmann um, der sie im Ersten Weltkrieg erobert hatte. Sie richteten im jüdischen Armenviertel Baluty ein vier

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Quadratkilometer großes Getto für 164 000 einheimische Juden ein. Im Oktober und No- vem ber 1941 trafen mit 20 Großtransporten ca. 20 000 deutsche, österreichische und tsche- chi sche Juden ein, darunter jene 1034 Hamburger, die den Deportationsbefehl für den 25.10.1941 erhalten hatten. Weniger als 20 Hamburger sollen überlebt haben. 96 Ar beits- stätten, in denen über 90% der Bewohner arbeiteten, dienten meist der Textilpro duk tion, vor allem für die Wehrmacht. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Holzhäusern des Gettos, die weder Wasser- noch Abwasserleitungen hatten, waren menschenunwürdig, Hunger, Kälte und Seuchen forderten bereits in den ersten Monaten tausende Todes opfer (nicht nur) unter den deutschen Insassen. Zudem erwies sich das Getto als Durch gangs - station zum 70 km entfernten Vernichtungslager Kulmhof/Chelmno. Dort wurden zunächst über 4000 „Zigeuner“ und ca. 45 000 polnische Juden ermordet, bis im Mai 1942 auch ca. 10 000 Juden aus dem „Altreich“, die als nicht mehr arbeitsfähig galten, umgebracht wur- den. Die verbliebenen deutschen Juden wurden bei Auflösung des Gettos im Au gust 1944 nach Auschwitz transportiert, wo die meisten in den Gaskammern ermordet wurden. Ein kleinerer Teil wurde in Zwangsarbeiterlager verlegt.

Logenhaus (Provinzialloge von Niedersachsen), Moorweide 36 Dieses Gebäude gehörte bis 1941 (und nach dem Krieg wieder) der Provinzial-Loge von Niedersachsen. Die Freimaurer-Vereinigung musste sich in der NS-Zeit auflösen und trug ab 1937 den Zusatz „in Liquidation“. Sie blieb allerdings bis 1941 als Eigentümerin des An we - sens im Grundbuch eingetragen, erst 1942 erschien dort die Stadt Hamburg. Dennoch nutz- te die Gestapo das Haus von Oktober bis Dezember 1941 als Sammelstätte für die ers ten vier Deportationen, durch die mehr als 3100 Hamburger Juden nach Lodz, Minsk und Riga ver- schleppt wurden. Dort fertigten Gestapo- und Finanzbeamte die zu Deportierenden ab, die einen Tag vor dem Transport hier erscheinen mussten. Sie und ihr Gepäck wurden kon trol- liert und, nachdem sie im Logenhaus übernachtet hatten, am nächsten Tag zum Han no ver- schen Bahnhof gefahren, wo sie den Zug ins Getto bzw. das Vernichtungslager be stiegen. Daran erinnert heute auch der Name des Geländes, „Platz der Deportierten“, sowie der Ge - denkstein, den der Künstler Ulrich Rückriem 1982 entworfen hat.

Minsk, Getto In Minsk, der Hauptstadt Weißrusslands, richteten die deutschen Besatzer ein etwa zwei Qua dratkilometer großes Getto für ca. 100 000 einheimische Juden ein. Kurz bevor der erste Transport reichsdeutscher Juden dort am 11.11.1941 eintraf, erschoss die SS ca. 12 000 Juden, um „Platz zu schaffen“ für ein Sondergetto der Juden aus dem „Altreich“. Das Son dergetto stand kaum mit dem Hauptgetto in Verbindung. Von Hamburg aus gingen zwei De porta - tionen in das Getto von Minsk: am 8.11.1941 mit 968 Personen, von denen 952 er mordet wurden, und 18.11.1941 mit 407 Personen, von denen 403 ermordet wurden. Die Neu - ankömmlinge aus dem Deutschen Reich arbeiteten für die Wehrmacht, die SS oder die

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Organisation Todt in Werkstätten, Lazaretts oder Außenkommandos. Fast alle, die Hunger, Kälte und Infektionskrankheiten in den folgenden eineinhalb Jahren überlebten, wurden in einem der Massaker am 8.5.1943 bzw. bei der Auflösung des Gettos am 14.9.1943 erschos- sen bzw. in Gaswagen ermordet. Wenige Arbeitsfähige wurden in andere Zwangsarbeits- bzw. Konzentrationslager verbracht.

Mischehe, „privilegierte“ und „nichtprivilegierte“ Mit der Einführung der Zivilehe im 19. Jahrhundert konnten Juden auch nichtjüdische Part- ner heiraten. Anfang der 1930er Jahre lebten ca. 35 000 Juden (d. h. hier: Mitglieder jüdi- scher Gemeinden) in Mischehen im Deutschen Reich, davon die Mehrzahl Paare mit jüdischen Ehemännern. Bis 1938 trafen die antijüdischen Maßnahmen diese genau so wie an dere Juden. Im Dezember 1938 schuf Hitler die Kategorien der „privilegierten“ und der „nichtpri- vilegierten“ Mischehe, die nie gesetzlich fixiert wurden. Als „privilegiert“ galten nun Paare, bei denen die Frau jüdisch (jetzt nicht mehr nach Mit - glied schaft in einer jüdischen Gemeinde, sondern im „rassischen“ Sinne des NS-Regimes) und der Mann nichtjüdisch war, wenn sie keine oder nichtjüdisch erzogene Kinder hatten und Paare, bei denen der Mann jüdisch und die Frau nichtjüdisch war, wenn sie nichtjüdisch erzogene Kinder hatten. Familien in diesen Konstellationen durften in der bisherigen Woh- nung verbleiben, und das Vermögen konnte auf den nichtjüdischen Partner bzw. die Kinder übertragen werden. Später musste der jüdische Partner aus „privilegierter“ Mischehe keinen „Juden stern“ tragen und wurde von der Deportation (bis Jahresbeginn 1945) befreit. Als „nichtprivilegiert“ galten Paare, wenn der Mann Jude und die Ehe kinderlos war, wenn ein Ehepartner jüdisch war und die Kinder jüdisch erzogen wurden, oder wenn der nichtjü- dische Partner bei der Eheschließung zum Judentum konvertiert war. Diese Paare besaßen die o. a. Rechte nicht, bei der Auswanderung wurden sie wie Juden behandelt. Der jüdische Part - ner unterlag der Kennzeichnungspflicht, von der Deportation wurde er/sie „zurückgestellt“. War eine Mischehe durch Scheidung oder Tod aufgelöst, wurde der jüdische Partner depor- tiert, meist nach Theresienstadt. Unabhängig vom Status der Ehe entfiel der Schutz vor De - por tationen, wenn der jüdische Partner kriminalisiert wurde. Die „Schutzhäftlinge“ wurden dann nach Auschwitz deportiert. Bei Kriegsende lebten noch 12 000 Juden in Mischehe in Deutschland, davon 631 in Hamburg.

„Mischlinge“ Nach den Ausführungsverordnungen der Nürnberger Gesetze galten „Halbjuden“, die nicht - jüdisch erzogen waren, als „Mischlinge ersten Grades“. Gehörten sie allerdings einer jüdi - schen Gemeinde an, unterlagen sie als „Geltungsjuden“ allen antijüdischen Maßnahmen. Als „Mischlinge ersten Grades“ standen sie hingegen unter Sonderrecht: Sie durften keine päda- gogischen, medizinischen, juristischen, künstlerischen Berufe ergreifen und nicht im öffentlichen Dienst beschäftigt werden. Dafür standen ihnen technische und kaufmännische Berufe offen.

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Universitäts- und Schulabschlüsse wurden ihnen erst erschwert, dann verwehrt. Der NS-Staat zog sie zunächst zur Wehrmacht ein, entließ sie dann jedoch wieder, es sei denn, sie hatten sich durch besondere Tapferkeit ausgezeichnet. „Mischlinge“ wurden nicht de portiert, es sei denn, sie saßen nach Oktober/November 1942 als Häftlinge in einem Ge fängnis oder KZ ein. Im Deutschen Reich lebten 1939 ca. 8000 „Geltungsjuden“ und ca. 64 000 „Mischlinge ersten Grades“, davon in Hamburg 4428. In der NSDAP, insbesondere in der SS, versuchten die Rassefanantiker immer wieder, die Gleich - behandlung von „Mischlingen ersten Grades“ mit Juden einzuführen. Auf der Wannsee-Kon - ferenz am 20.1.1942 und zwei folgenden „Endlösungskonferenzen“ erreichte die Ge- fährdung der Mischehen wie der „Mischlinge“ den Höhepunkt. Erstere sollten zwangsweise geschieden und der jüdische Partner deportiert werden, die „Mischlinge“ entweder sterilisiert oder deportiert werden. Doch eine Entscheidung wurde auf die Zeit nach dem Kriege verscho- ben, was ihr Leben rettete. Ab 1942 wurden die schulpflichtigen „Mischlinge ersten Grades“ von Haupt- und weiterführenden Schulen verwiesen, ab 1943/1944 die über 17-jährigen zur Zwangsarbeit eingezogen, teils in Lagern fernab ihrer Heimatorte.

Novemberpogrom 1938 („Reichskristallnacht“ 9./10.11.1938) In der Nacht vom 9./10.11.1938 wurden in Hamburg unzählige jüdische Geschäfte, Arzt- oder Anwaltspraxen und mindestens fünf Synagogen und Betstuben demoliert. Reichs weit wurden ca. 30 000 Juden verhaftet, in Hamburg waren es zwischen 800 und 1000, die über das „Kolafu“, das Gefängnis Hütten oder kleinere Sammelstätten in das Konzen trationslager Sachsenhausen transportiert wurden. Eine nicht bekannte Zahl jüdischer Häftlinge starb wäh- rend der brutalen Behandlung dort. Die meisten wurden bis August 1939 entlassen, wenn sie Auswanderungsvorbereitungen nachweisen konnten.

„Rassenschande“ Das „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ vom 15.9.1935 verbot Juden, Mischehen einzugehen und stellte außerehelichen Sexualverkehr unter Ge - fäng nis- bzw. Zuchthausstrafe. Nach Hitlers Vorgaben sollte der beteiligte Mann bestraft wer den. Das Gesetz rief unzählige Denunzianten auf den Plan, tausende Verfahren wurden eingeleitet. Zwischen 1935 und 1945 wurden ca. 2000 jüdische und nichtjüdische Männer verurteilt, die Juden unter ihnen nach Strafverbüßung oftmals in „Schutzhaft“ genommen und deportiert. Eine nicht bekannte Anzahl jüdischer Frauen wurde ohne Gerichtsverfahren in Konzentrationslager eingeliefert und von dort – nach Oktober/November 1942 – in Ver- nichtungslager überstellt.

Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, siehe DIGH

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Riga, Getto Nachdem die deutsche Wehrmacht Riga am 1.7.1941 besetzt hatte, ermordete sie tausende lettischer Juden. Im August richteten die deutschen Besatzer im „Moskauer Viertel“ ein Get to von 9000 Quadratmetern für ca. 30 000 einheimische Juden ein. Bevor der erste reichs- deutsche Transport eintraf, wurden 27 500 Gettobewohner am „Rigaer Blutsonntag“ (30.11. 1941) und am 8.12.1941 erschossen, um für die Neuankömmlinge „Platz zu schaffen“. Insgesamt 20 Transporte von deutschen, österreichischen und tschechischen Juden trafen zwischen November 1941 und Februar 1942 im Gebiet um Riga ein. Aus Hamburg wurde am 6.12.1941 ein Transport mit 753 Personen (von denen 726 umkamen), der eigentlich nach Minsk gehen sollte, dorthin geschickt. Als die Hamburger Juden, unter ihnen Ober- rabbiner Joseph Carlebach, im Zielgebiet eintrafen, war die zweite Erschießungsaktion noch nicht beendet. Deshalb wurden sie in das sechs Kilometer entfernte Gut Jungfernhof ge- bracht. Dieses heruntergekommene Anwesen bestand aus einem Gutshaus, drei Holz scheu - nen, fünf kleinen Häusern und Viehställen, wo knapp 4000 Menschen (außer den Ham bur- gern Transporte aus Nürnberg, Stuttgart und Wien) zusammengepfercht wurden. 1700 bis 1800 von ihnen wurden im März 1942 in der „Aktion Dünamünde“ erschossen, 200 Frauen und ein Teil der übrigen wurden nach und nach in das Getto Riga eingewiesen. Ein Teil der Männer zwischen 16 und 50 Jahren wurde in das 18 km vor Riga gelegene Zwangs arbei ter- lager Salaspils eingeliefert, das nur die wenigsten überlebten. Ab Sommer 1944 wurden die jüdischen Häftlinge aus dem baltischen Raum Richtung Deutschland zurückverlegt, Hauptziel war das KZ Stutthof bei Danzig. Von dort aus gelangten Frauen nach Neuen gamme bei Hamburg, männliche Häftlinge nach Buchenwald, andere nach Auschwitz, Sach senhausen, Dachau, Mauthausen, Natzweiler. Vereinzelte Häftlinge aus Riga befanden sich dann in den Kolonnen der Todesmärsche, die diese Lager im April 1945 verließen.

„Schutzhaft“ Bereits vor 1933 konnte die Polizei eine Person, angeblich zum eigenen Schutz, für 24 Stunden festhalten. Ab 4.2.1933 erlaubte es eine „Verordnung zum Schutze des deutschen Volkes“, einen Verdächtigen bis zu drei Monaten in Haft zu nehmen, zwei Wochen später ent fiel diese zeitliche Begrenzung. „Schutzhaft“ wurde zu einem Instrument, das ab 1938 allein der Gestapo zur Verfügung stand, um jenseits aller Rechtswege missliebige Personen in Konzentrationslager einzuweisen und den Zeitpunkt ihrer Entlassung zu bestimmen. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme richtete sich diese Maßnahme zunächst gegen politische Gegner, später verstärkt gegen Juden, Homosexuelle, „Arbeitsbummelanten“, aus- ländische Zwangsarbeiter und andere. Insbesondere nach Kriegsbeginn gaben unzählige Erlasse des Reichssicherheitshauptamtes in Berlin den Gestapostellen vor, bei welchen „Delik - ten“ sie Verhaftungen vornehmen sollten. Das Schutzhaftreferat des Reichssicherheitshaupt - amtes koordinierte die Maßnahmen, d. h. es genehmigte Verhaftungen und ordnete Ver - legungen an.

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Betrafen die „Schutzhaftsachen“ jüdische Häftlinge, wurden sie in Eichmanns Judenreferat be arbeitet. Verhaftete ein Gestapobeamter einen Juden, kam dieser zunächst in das örtliche Polizeigefängnis oder Konzentrationslager (in Hamburg ins „Kolafu“). Dann beantragte der Stapostellenleiter in Berlin die Einweisung in eines der großen Konzentrationslager, was im Regelfall bewilligt wurde. Im November 1942 verfügte ein Erlass, die Konzen trationslager im Deutschen Reich „judenfrei“ zu machen und die dort einsitzenden Juden nach Auschwitz zu überstellen. Da zu diesem Zeitpunkt ein Großteil der deutschen Juden bereits deportiert wor- den war, betraf diese Bestimmung insbesondere die in Mischehen lebenden Juden. Sie gab der Gestapo die Möglichkeit, hunderte Juden in „Schutzhaft“ zu nehmen und in die Gas - kammern nach Auschwitz zu schicken. Genaue Zahlen sind nicht bekannt.

Sicherungsanordnung Ab Januar 1937 erhielten die Devisenstellen beim Oberfinanzpräsidenten die Befugnis, beim Verdacht von Vermögensverschiebungen die Konten der betroffenen Juden zu sperren. Ver - fügungen von diesen Konten durften nur mit Genehmigung des Oberfinanzpräsidenten er- folgen. Dieses Prinzip wurde später ausgeweitet. Während Steuern und Abgaben direkt ab - gebucht werden konnten, mussten betroffene Juden ihre regelmäßigen Kosten für den Lebensunterhalt detailliert nachweisen und sich bewilligen lassen, dass sie monatlich über diese Summe von ihrem Konto verfügen durften. Sonderausgaben wurden extra beantragt.

„Sühneleistung“, Judenvermögensabgabe Nach dem Novemberpogrom 1938 erlegte Hermann Göring den deutschen Juden eine Kol- lektivstrafe von 1 Milliarde Reichsmark „Sühneleistung“ für die Schäden auf. Auf der Grund - lage ihrer Vermögenserklärungen wurden alle Juden, die mehr als 5000 RM besaßen, zur Zahlung in vier (später: fünf) Raten im Jahr 1939 herangezogen, so dass die tatsächlich ein- gezogene Summe 1,2 Milliarden RM betrug.

Theresienstadt, Getto Schon bei den ersten Deportationen von Oktober bis Dezember 1941 ordnete das Reichs- sicherheitshauptamt an, über 65-jährige oder gebrechliche Juden über 55 Jahre, solche mit Kriegsauszeichnungen aus dem Ersten Weltkrieg, ausländische Juden, solche aus Mischehen oder „Halbjuden“, die wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Jüdischen Gemeinde als „Geltungs - juden“ behandelt wurden, zunächst zurückzustellen. Für sie sollte das eigentlich für tsche- cho slowakische Juden vorgesehene Getto Theresienstadt zum „Altersgetto“ erwei tert wer- den. Später wurden dort auch Niederländer, Dänen und etliche deutsche oder österreichische Prominente eingewiesen, die unter dem Schutz hochrangiger Nationalsozialisten standen. So gelangten insgesamt ca. 141 000 Menschen in die kleine Festungsstadt, ca. 88 000 wurden in Vernichtungslager weiterdeportiert, 33 000 starben in Theresienstadt, ca. 16 800 erlebten dort die Befreiung. Unter den 50 000 deutschen Gettobewohnern befanden sich 2490 Ham -

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burger, die mit 11 Transporten zwischen dem 15.7.1942 und dem 14.2.1945 dorthin ge- bracht worden waren. Die überwiegend älteren Menschen, die vor der Abreise in einem sog. Heimeinkaufsvertrag ihr restliches Vermögen für diese Unterbringung hatten abtreten müs- sen, starben meist schnell an Hunger, Kälte, Krankheiten oder Seuchen. Nur für jüngere, kräftigere war die Überlebenschance hier höher als an anderen Depor ta tionszie l or ten. Aus den Transporten bis 1944 überlebten ca. 220 Hamburger, und von den erst zu Jahres beginn 1945 angelangten 213 Hamburgern aus Mischehen wurden 209 be freit.

Treblinka, Vernichtungslager Zwischen Mai und Juli 1942 errichtete die SS das 400 m breite und 600 m lange Ver - nichtungslager in einem wenig besiedelten, dicht bewaldeten Gebiet nahe der Eisen bahn - strecke Warschau-Bialystok. In einem abgetrennten Teil lag ein Backsteingebäude mit drei Gaskammern von je 4 x 4 m Größe. Ein Dieselmotor erzeugte in einem angrenzenden Schup- pen das Kohlenmonoxyd, das durch Röhren in die als Duschräume getarnten Gaskammern geleitet wurde. Die Leichen wurden in zwei großen Gruben beerdigt. Insgesamt – so Schät zun- gen – sollen 870 000 Juden aus div. Ländern hier ermordet worden sein, darunter 8000, die aus Theresienstadt weiterdeportiert worden waren.

USPD (Unabhängige sozialdemokratische Partei Deutschlands) Aus Opposition gegen den Pro-Kriegskurs ihrer Partei gründeten sozialdemokratische Abge - ordnete 1917 die USPD. In dieser heterogenen Gruppe arbeiteten Marxisten, Reformer und ein linker, revolutionär ausgerichteter Flügel um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zusam- men. Das einigende Hauptziel war die Beendigung des Krieges. Das Bündnis hielt nicht lange. Während die USPD mit der SPD Regierungsverantwortung übernahm, gründete der linke Flü- gel zusammen mit anderen sozialistischen Gruppierungen im Januar 1919 die KPD. Bei der Reichstagswahl 1920 erfuhr die USPD ihre größte Zustimmung mit 17,1% der Wähler stim- men.1920 verließen die meisten Mitglieder die USPD, um sich der KPD oder wieder der SPD anzuschließen, die restliche USPD existierte als Splittergruppe weiter. Die Mitglie der zahl spie- gelt diesen Prozess: Sie betrug im November 1918 ca. 100 000 Personen, stieg bis September 1920 auf ca. 894 000 und sank in der Folge auf 291 000 im Jahr 1922 und 10 000 im Jahr 1925. Bei Wahlen erzielte sie nur noch 0,33% (1924) und schließlich 0,03% im Jahr (1930).

Vermögenseinziehung Schon mit dem „Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit“ und dem über die „Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens“ konnte das Vermögen (nicht nur) von Juden zugunsten des Deutschen Reiches ein gezogen werden. Mit der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25.11.1941 wurde das Verfahren vereinfacht: Lag der „gewöhnliche Aufenthalt“ eines Juden im Aus land, konnte der deutsche Staat sich sein Vermögen aneignen. Dies traf auf Emigranten wie Deportierte zu.

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Westerbork, Durchgangslager in den besetzten Niederlanden Das Lager wurde 1939 von der niederländischen Regierung eingerichtet, um illegal einge- wanderte jüdische Flüchtlinge aufzunehmen. Nach der deutschen Besetzung diente es von 1941 bis 1944 als Durchgangslager für Juden, die in den Osten deportiert werden sollten. Über Westerbork wurden ab Juli 1942 ca. 98 000 Juden nach Auschwitz, Sobibor, The re sien - stadt und Bergen-Belsen transportiert, darunter auch deutsche Juden, die in die Niederlande geflüchtet waren.

Zionistische Bewegung Ziel der zionistischen Bewegung, deren deutsche Sektion (ZVfD = Zionistische Vereinigung für Deutschland) sich 1897 gründete, war die Errichtung eines jüdischen Staates in Palästina. Innerhalb der zionistischen Bewegung existierten religiöse wie säkulare Strömungen neben- einander. Ihre Gruppierungen kandidierten für die Gremien der Jüdischen Gemeinden, und sie betrieben Kinder- und Jugendarbeit. Dazu gehörten Wander- und Turngruppen („Blau- Weiss“ und „Bar-Kochba“), literarische Vereinigungen und eine Frauengruppe. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme erhielten die zionistischen Gruppen starken Zulauf. Sie förderten die Palästina-Emigration durch Hachschara-Zentren, Spendensammlungen und Sprachkurse. In Hamburg gehörten rd. 1000 Personen zionistischen Gruppen an. Die ZVfD wurde 1938 aufgelöst. Ihre Arbeit konnte sie aber bis 1941 fortführen, da die Emigration der deutschen Juden mit den Zielen des Nationalsozialismus übereinstimmte.

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Beate Meyer Zeitleisten

Zeitleiste der antijüdischen Maßnahmen oder Aktionen*

01.04.1933 Boykott jüdischer Geschäfte sowie Aktionen gegen Ärzte und Anwälte. 07.04.1933 Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums ermöglicht die Ent - lassung „nichtarischer“ Beamter. 1933/34 Übernahme des „Arierparagraphen“ in Berufsvereinigungen, bei den Kam - mern, Turn- und Sportvereinen, der Wehrmacht, bei Studienabschlüssen etc. führt zum Ausschluss von Juden aus Berufen, Wirtschaftszweigen oder ver- hindert Studien- und Berufsabschlüsse. 15.09.1935 Die Nürnberger Gesetze verbieten die Eheschließung von Jüdinnen/Juden mit nichtjüdischen Partnern und stellen den außerehelichen Sexualverkehr zwischen Jüdinnen/Juden und nichtjüdischen Partnern unter Strafe („Rassenschan de“); sie verbieten Juden die Beschäftigung von nichtjüdischen Hausgehilfinnen unter 45 Jah ren und das Hissen der Reichs- und Natio nal flagge. In den Aus - führungsver ordnungen wird Juden das Wahlrecht und die Fähigkeit, öffentli- che Ämter zu bekleiden, aberkannt. Andere Regelungen betreffen die „Misch- l inge ersten und zweiten Grades“ (siehe Glossar). 1936/37/38 Weiterer Ausschluss von Juden oder mit Jüdinnen/Juden Verheirateten aus Be- rufen, Ausbildungsgängen usw.; Erschwerung der Auswanderung durch Ver - schärfung der finanziellen Bestimmungen. 26.04.1938 Juden müssen ihr Vermögen anmelden, wenn es mehr als 5000 RM beträgt. Juni 1938 Während der „Juni-Aktion“ werden reichsweit „Asoziale“ verhaftet und in Kon - zentra tions lager gebracht, darunter ca. mehrere tausend Juden (in Ham burg 200 von 700 Verhafteten insgesamt). 23.07.1938 Juden müssen ab 1. Januar 1939 eine Kennkarte bei sich führen. 25.07.1938 Jüdischen Ärzten wird die Approbation ab 30. September 1938 aberkannt; in Ausnahmefällen werden sie als „Krankenbehandler“ für jüdische Patienten zu gelassen. 05.10.1938 Einziehung der Reisepässe und Kennzeichnung mit einem „J“. 28.10.1938 Zwischen 12 000 bis 17 000 Juden polnischer Herkunft werden über die Grenze nach Polen abgeschoben.

* Diese Aufstellung enthält nur einen Teil der antijüdischen Maßnahmen, weitere Informationen fin- den Sie u. a. bei Joseph Walk, Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat. Eine Sammlung der ge - setzlichen Maßnahmen und Richtlinien, Heidelberg 1981.

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07.11.1938 Der 17-jährige Herschel Grynszpan, dessen Eltern von der Abschiebung der pol- nischen Juden betroffen waren, schießt in Paris auf den deutschen Legationsrat Ernst vom Rath. 9./10.11.1938 Vom Raths Tod dient der NSDAP als Vorwand, einen reichsweiten Pogrom anzu- zetteln, der als „spontaner Volkszorn“ ausgegeben wird; 26 000 bis 30 000 männliche Juden werden verhaftet und in Konzentrationslager eingewiesen. 12.11.1938 Göring ordnet an, die Juden müssten kollektiv eine „Sühneleistung“ von 1 Mil- liarde Reichs mark aufbringen. Außerdem müssen Juden alle Schäden des Po - groms selber tragen. 15.11.1938 Jüdische Kinder müssen jüdische Schulen besuchen. Jüdische Geschäfte und Gewerbebetriebe müssen „arisiert“ oder geschlossen werden. 30.11.1938 Jüdische Rechtsanwälte dürfen nicht mehr tätig sein, nur in Ausnahmefällen wer den sie als „jüdische Konsulenten“ für Juden zugelassen. 01.01.1939 Juden müssen die Zwangsnamen „Israel“ und „Sara“ führen (wenn sie nicht einen zugelassenen „jüdischen Namen“ tragen). 17.01.1939 Jüdische Zahnärzte, Apotheker und Tierärzte verlieren ihre Zulassungen. 30.04.1939 Das Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden nimmt Juden den Mieterschutz und bereitet ihre Zusammenlegung in „Judenhäusern“ vor. September 1939: Anlässlich des Kriegsbeginns wird über Juden eine nächtliche Aus gangs - sperre verhängt, sie müssen in besonderen Lebensmittelgeschäften einkaufen, ihre Rundfunkgeräte abgeben und Zwangsarbeit leisten; polnische Juden wer- den in Konzentrationslagern inhaftiert. 1940 bis Frühjahr 1941: Erste Deportationen von Juden aus Stettin, Pommern, Baden, der Pfalz und dem annektierten Österreich. 01.09.1941 Erlass: Ab 19.09. müssen Juden vom 6. Lebensjahr an den „Judenstern“ tra- gen; sie dürfen öffentliche Verkehrsmittel nicht mehr benutzen, es sei denn, sie er halten als jüdische Zwangsarbeiter eine Genehmigung. Oktober 1941 Die systematischen Deportationen aus dem „Altreich“ beginnen, gleichzeitig er - geht ein Ver bot auszuwandern; Verordnung, nach der das Vermögen depor - tierter Juden dem Deutschen Reich verfällt; nichtjüdischen Personen, die Juden helfen, droht ein Erlass des Reichssicherheitshauptamtes „Schutzhaft“ an. Oktober 1941 bis Januar 1942: Noch nicht deportierte Juden müssen weiter Zwangsarbeit leisten; sie müssen Schreibmaschinen, Fahrräder, Fotoapparate, Wollsachen, Pelze, Skier und Bergschuhe u. a. abgeben. Juden werden in „Judenhäusern“ konzentriert. 20.01.1942 Auf der Wannsee-Konferenz, die eigentlich im Dezember 1941 hätte stattfin- den sollen, ko ordinieren die Vertreter der Reichsbehörden und der SS die Er - mordung der europäischen Juden.

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13.03.1942 Wohnungen von Juden müssen mit einem Stern auf weißem Papier gekenn- zeichnet werden. 02.06.1943 bis April 1945: Juden über 65 Jahre, verwitwete oder geschiedene jüdische Part- ner aus Mischehen, Juden, die während des Ersten Weltkrieges Auszeich nun - gen erhalten haben und Prominente werden in das Konzentrations lager/ Getto Theresienstadt deportiert, das sich für viele als Durch gangs station in Ver nichtungslager erweist. Tausende sterben an Hunger, Kälte und Krank hei - ten in Theresienstadt selbst. 27.02.1943 Beginn der „Fabrik-Aktion“, während derer ca. 11 000 jüdische Zwangs arbei - ter und andere noch im „Altreich“ verbliebene Juden verhaftet und – wenn sie nicht in Misch ehen lebten – deportiert werden. Nach dieser „Aktion“ be - finden sich keine „Volljüdinnen/Volljuden“ mehr in Deutschland (ausgenom- men Misch ehe partner). Januar bis April 1945: Der Schutz der Mischehe entfällt: Mehr als 2000 Personen werden nach Theresienstadt deportiert, obwohl sowjetische Truppen bereits Majda - nek (20.07.44), Auschwitz (27.01.45) und die US-Truppen Buchenwald (11.04.45) befreit haben. 08.05.1945 Die deutsche Wehrmacht kapituliert.

Zeitleiste „Euthanasie“*

Am 14. Juli 1933 wird das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ verabschiedet, das ab 01.01.1934 in Kraft tritt. Ohne Einwilligung der Betroffenen sollen „Schwachsinnige“, Schizophrene, Manisch-Depressive, Epileptiker, Personen, bei denen Blindheit, Taubheit, Kleinwüchsigkeit, spastische Lähmungen, Mus - keldystrophie, Missbildungen an Fingern, Füßen und Hüften als erblich diag - nostiziert worden sind, und Personen, denen schwerer Alkoholismus angelas- tet wird, von Ärzten und anderen Angehörigen medizinischer Berufe ge mel- det und nach Entscheidung eines Erbgesundheitsgerichts sterilisiert werden. 18.08.1939 Erlass zur Erfassung behinderter Kinder 21.09.1939 Erfassung der Heil- und Pflegeanstalten, die ersten Tötungen von mehreren tau send Patien ten in Westpreußen Oktober 1939 Hitler unterschreibt die „Euthanasie“-Ermächtigung und datiert sie auf den Kriegs beginn (01.09.39) zurück; die vorbereitete „Aktion T4“ läuft an. Oktober–Dezember 1939: Überall im Land werden Kinder und erwachsene Patienten erfasst und getötet.

* Zusammengestellt aus: Ernst Klee, „Euthanasie“ im NS-Staat. Die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“, Frankfurt/M. 1983; Henry Friedlander, Der Weg zum NS-Genozid. Von der Euthanasie zur Endlösung, Berlin 1997; Klaus Böhme/Uwe Lohalm (Hrsg.), Wege in den Tod. Hamburgs Anstalt Langenhorn und die Euthanasie in der Zeit des Nationalsozialismus, Hamburg 1993.

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Dezember 1939–Juni 1940: Gaswagen werden eingesetzt, die Tötungsanstalten Branden- burg, Grafeneck, Hartheim und Sonnenstein eingerichtet. Juli 1940 Jüdische Geisteskranke werden nun gesondert gesammelt und die ersten in Brandenburg getötet; später werden jüdische Patienten in der Heil- und Pfle - ge anstalt Bendorf-Sayn konzentriert. Juli/August 1940 bis August 1941: Etliche Geistliche und der Mediziner Sauerbruch protes- tieren gegen den Krankenmord; die Bischofskonferenz verbietet den kirch- lichen Mitarbeitern, aktiv beim Abtransport mitzuwirken; Kirchen verhandeln, auf welchen Personenkreis „Euthanasie“ begrenzt werden soll; parallel wer- den die Tötungsanstalten umorganisiert: Bernburg löst Brandenburg ab, Ha- da mar löst Grafeneck ab. 24.08.1941 Offizieller Stopp der „Euthanasie“ aus außen- und innenpolitischen Gründen, Hadamar beendet Vergasungen, doch Tötungen gehen als Aktion „14 f 13“ weiter, vorzugsweise nun durch Medikamente bzw. Hunger (z. B. Tiegenhof und Meseritz-Obrawalde 16 000 Tote). November 1941–Juli 1942: Das im massenhaften Mord geschulte Personal der Tötungsan - stalten wird in die Vernichtungslager Belzec, Sobibor oder Treblinka versetzt. Frühjahr bis Herbst 1942: Die jüdischen Geisteskranken aus Berlin und Bendorf-Sayn werden den systematischen Deportationen angeschlossen; alle Psychiatriepatienten müs sen gemeldet werden. 1943 Massenverlegung Kranker in die Ostgebiete und nach Österreich zur Tötung 27.04.1943 „14 f 13“ wird beendet, die potentiell Betroffenen sollen stattdessen zur Ar- beit eingesetzt werden; Ärzte bekommen weiter Einzelerlaubnis zur Tötung von Kranken. April 1944 Zweite Phase von „14 f 13“ beginnt, bis März/April 1945 werden Kranke ge - tötet. Reichsweit wurden mehr als 150 000 deutsche Patienten getötet, die Zahl derer aus den be - setzten Ostgebieten ist nicht bekannt. Aus Hamburgs einziger staatlicher An- stalt für Geisteskranke in Langenhorn wurden ca. 4000 Patienten verlegt, von denen mehr als 70% ermordet wurden.

Zeitleiste der politischen Verfolgung*

1933 30.01. Ernennung Hitlers zum Reichskanzler 02.02. Demonstrationsverbot für die KPD in Preußen und fünf weiteren Ländern

* Ausführlicher siehe Ursula Büttner/Werner Jochmann (Hrsg.), Zwischen Demokratie und Diktatur. Nationalsozialistische Machtaneignung in Hamburg – Tendenzen und Reaktionen in Europa, Ham- burg 1984.

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27.02. Reichs tagsbrand 28.02. Verordnungen des Reichspräsidenten zum „Schutze von Volk und Staat“ und ge gen „hochverräterische Umtriebe“: die Verfolgung der KPD beginnt. 01.03. Fünf Hamburger KPD-Funktionäre werden verhaftet, ihre Publikationen, Ver - sammlungen usw. sind verboten. 02./03.03. Erste Schritte gegen Hamburger Sozialdemokraten, der sozialdemokratische Chef der Ordnungspolizei und sozialdemokratische Polizeioffiziere werden be - urlaubt, das „Hamburger Echo“ wird 14 Tage verboten. 05.03. Reichstagswahl, in Hamburg gewinnt die NSDAP 38,8% und die mit ihr ver- bündete DNVP 8% der Stimmen. 08.03. Die Bürgerschaft wählt einen Koali tionssenat (sechs Mitglieder der NSDAP, vier der „Kampffront Schwarz-Weiß-Rot“, drei der DVP und der Staatspartei). 14.03. Ernennung des Reichstagsabgeordneten der NSDAP Hans Nieland zum Ham - bur ger Polizeipräsidenten, Verbot des „Ham burger Echos“ wird zunächst 14 Tage, dann auf unbestimmte Zeit verlän gert. 20.03. Aufstellung einer Hilfspolizei aus SA, SS und „Stahlhelm“-Mitgliedern von mehr als 300 Männern. 23.03. Das „Ermächtigungsgesetz“ wird verabschiedet. 24.03. Das „Kommando z. b.V.“ wird aufgestellt, das Aktionen gegen politische Geg- ner durchführt (am 04.01.1934 wird es aufgelöst). 29.03. Der Senat untersagt allen Beamten, Angestellten und Arbeitern in hamburgi- schen Diensten die Mitgliedschaft in „marxistischen“ Parteien. 31.03. Das „wilde“ Kon zentrationslager Wittmoor wird eingerichtet. März/April 1933: Parteien und Verbände schalten sich gleich oder lösen sich auf. 10.05. Das Vermögen der SPD und des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold wird be - schlagnahmt; aus Protest bleibt die SPD der Bürgerschaftssitzung fern. 11.05. Der Hamburger SPD-Reichstagsabgeordnete Adolf Biedermann wird bei Reck - ling hausen tot aufgefunden. 16.05. NSDAP-Gauleiter Karl Kaufmann wird zum Reichsstatthalter Hamburgs ernannt; in den folgenden Tagen treten die Senatoren der Staatspartei und DNVP zu - rück bzw. zur NSDAP über, sechs sozialdemokratische Abgeordnete treten aus ihrer Fraktion aus und hospitieren bei der NSDAP. 16.06. Die Staatspolizei verhaftet 30 führende SPD-Mitglieder, am 21.06.33 folgt das Betätigungsverbot für die SPD im gesamten Deutschen Reich; am 26.06.33 löst sich die Staatspartei auf, am 27.06.33 die DNVP, am 04./05.07.33 die DVP und die Zentrumspartei; bis Juli 1933 sind in Hamburg ca. 2400 Kom - munisten festgenommen. 14.07. Nach dem Gesetz über die Neubildung der Parteien ist die NSDAP die einzige zu gelassene Partei in Deutschland.

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04.09. Einrichtung des Konzentrationslagers Fuhls büttel im ehemaligen Frauenge - fäng nis; SA-Standartenführer Paul Eller husen wird zum Kommandanten er- nannt. 17.10. Auflösung des KZs Wittmoor, Überführung der Häftlinge nach Fuhlsbüttel. 20.10. SS-Sturmbannführer Bruno Stre cken bach wird zum Leiter der Staatspolizei Hamburg ernannt. Januar bis Juli 1934: Die Gestapo zerschlägt die neuorganisierten KPD-Widerstandsgruppen und nimmt 650 Personen fest; weitere 3000 sollen in Hamburg aktiv sein; bis 1936 sind die KPD-Strukturen weitgehend zerschlagen. 1933–1937: Ehemalige Reichsbanner-Mitglieder gründen Widerstandsgruppen, die 1934/35 zerschlagen werden; lediglich eine kann sich bis 1937 halten, dann werden ihre über 100 Mitglieder verhaftet. Jüngere Sozialdemokraten um Walter Schme - demann organisieren sich in etlichen Arbeiterstadtteilen. 1934/35 werden 150 Beteiligte vor Gericht gestellt, auch die Mitglieder ihrer Nach folge organisatio - nen werden schnell verhaftet, so dass Mitte 1935 der sozialde mokratische Widerstand weitgehend zerschlagen ist. Bis 1936 können die konspirativen Grup pen des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes ihre Wider stands- arbeit fortsetzen, dann werden sie bis 1937 reichsweit verhaftet, in Hamburg ca. 30 Personen.

1940/41 Die aus dem KZ Sachsenhausen entlassenen Kommunisten Bernhard Bästlein, Robert Abshagen und Franz Jacob knüpfen Kontakte, aus denen neue KPD- Widerstands gruppen hervorgehen, an denen ca. 300 Personen beteiligt sind.

Zeitleiste der Verfolgung homosexueller Männer*

24.10.1934 Anordnung von Heinrich Himmler an alle Polizeidienststellen, eine „namentli- che Liste sämtlicher Personen, die sich irgendwie homosexuell betätigt ha - ben“, für das Geheime Staatspolizeiamt Berlin anzufertigen. Dort wird Ende Oktober 1934 ein Sonderdezernat „Homosexualität“ eingerichtet. 26.06.1935 Die Änderung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ ermög - licht auch die „kriminalpolitisch indizierte Kastration“ homosexueller Män ner. Fortan entscheiden sich viele verurteilte Homosexuelle für eine sogenannte freiwillige Entmannung, um der Verschleppung in ein Kon zentra tions lager zu entgehen. 28.06.1935 Verschärfung des aus dem Strafgesetzbuch des Deutschen Reichs von 1871 stammenden § 175 und Einführung des § 175a: Ein Nachweis homosexueller Handlung entfiel (siehe auch Glossar). Nach § 175a konnten homosexuelle

* Weiteres ist nachzulesen in: Bernhard Rosenkranz/Ulf Bollmann/Gottfried Lorenz: Homosexuellen- Verfolgung in Hamburg 1919–1969, Hamburg 2009.

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Handlungen zwischen einem Mann von über einundzwanzig Jahren mit einer männlichen Person von unter 21 Jahren und u. a. auch männliche Prostitution mit einer Zuchthausstrafe bis zu zehn Jahren geahndet werden. 10.10.1936 Errichtung der Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Ab - treibung zur „zentralen Erfassung“ und „wirksamen Bekämpfung“ der bei den „Volksseuchen“. Sommer 1936 Das Berliner Gestapo-Sonderkommando übernimmt von Altona aus in Ham- burg die Verfolgung der Homosexuellen und führt „Säuberungsaktionen“ in Lokalen und Großbetrieben wie den Hamburgischen Electricitäts-Werken (HEW) und dem Warenhaus Tietz (1935 von den Nationalsozialisten in Alster - haus umbenannt) durch. 12.07.1940 Anordnung von Heinrich Himmler: Homosexuelle, die nach § 175 verurteilt und mehr als einen Partner „verführt“ haben, sind „nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis in polizeiliche Vorbeugehaft zu nehmen“. Das heißt, sie wer- den in Konzentrationslager verschleppt und müssen dort in der Regel den „Rosa Winkel“ tragen. 15.11.1941 Hitler ordnet im „Erlass des Führers zur Reinhaltung von SS und Polizei“ an, für homosexuelle Handlungen durch Angehörige von SS und Polizei die Todesstrafe zu verhängen. 1942 In Konzentrationslagern werden Zwangskastrationen erlaubt. 19.05.1943 General Keitel, Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, erlässt die „Richt- linien für die Behandlung von Strafsachen wegen widernatürlicher Unzucht“. Danach kann in „besonders schweren Fällen“ die Todesstrafe verhängt wer- den. 1944 Im KZ Buchenwald führt der dänische SS-Arzt Carl Vaernet medizinische Expe - rimente an Homosexuellen durch. 08.05.1945 Kriegsende. Befreiung der Konzentrationslager. Der § 175 StGB wird erst 1998 abgeschafft; am 17.05.2002 werden nur die Urteile aus der NS-Zeit nach den §§ 175 und 175a StGB aufgehoben. – Bernhard Rosenkranz/Ulf Bollmann

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Quellen

Abkürzungen AB Adressbuch (plus Jahreszahl u. Bd.) AfW Amt für Wiedergutmachung (plus Aktennummer) BA Bundesarchiv DIGH Deutsch Israelitische Gemeinde Hamburg DP Displaced Person FZH/WdE Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg/Werkstatt der Erinnerung Gestapo Geheime Staatspolizei HJ Hitlerjugend IGdJ Institut für die Geschichte der deutschen Juden ITS International Tracing Service (Internationaler Suchdienst) Kola-Fu Konzentrationslager Fuhlsbüttel KPD Kommunistische Partei Deutschlands NDR Norddeutscher Rundfunk NS Nationalsozialismus NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei o. D. ohne Datum OFP Oberfinanzpräsident OHG Offene Handels Gesellschaft RA Rechtsanwalt RM Reichsmark SA „Sturmabteilung“ der NSDAP SD Sicherheitsdienst der SS SS „Schutzstaffel“ der NSDAP StaHH Staatsarchiv Hamburg (plus Signatur) USHMM United States Holocaust Memorial Museum VVN Verein der Antifaschisten und Verfolgten des Naziregimes Z. H.G. Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte

Nummerierungen häufig genutzter Quellen 1.Staatsarchiv Hamburg, 552-1, Jüdische Gemeinden, 992b, Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg 2.Staatsarchiv Hamburg, 314-15, Akten des Oberfinanzpräsidenten 3.Institut Theresienstädter Initiative/Nationalarchiv Prag, Jüdische Matriken,

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Todesfallanzeigen 4.Hamburger jüdische Opfer des Nationalsozialismus. Gedenkbuch, Veröffentlichung aus dem Staatsarchiv Hamburg Bd. XV, bearbeitet von Jürgen Sielemann unter Mitarbeit von Paul Flamme, Hamburg 1995 5.Gedenkbuch. Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933–1945, Bd. I-IV, herausgegeben vom Bundesarchiv Koblenz, Koblenz 2006 6.Wolfgang Scheffler/Diana Schulle (Hg.), Buch der Erinnerung. Die ins Baltikum deportier- ten deutschen, österreichischen und tschechoslowakischen Juden, Bd. 1 und Bd. 2, München 2003. 7.Theresienstädter Gedenkbuch. Die Opfer der Judentransporte aus Deutschland nach Theresienstadt 1942–1945, Prag 2000 8.Yad Vashem, The Central Database of Shoah Victims, Names www.yadvashem.org

Archive und sonstige Archivalien Arbeitsstelle und Bibliothek für Universitätsgeschichte Archiv der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes (VVN), Landesverband Hamburg Archivum Panstwowe, Lodz (Ghetto-Archiv und Internet-data-base) Bezirksamt Hamburg-Nord, Dezernat Wirtschaft, Bauen und Umwelt, Fachbereich Bauprüfung Forschungsstelle für Zeitgeschichte Hamburg Hamburger Bildarchiv Israelitische Kulturvereinigung in Württemberg und Hohenzollern ITS – International Tracing Service Arolsen KZ-Gedenkstätte Neuengamme Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten, Abt. I –Entschädigungsbehörde, Berlin Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Landesarchiv Schleswig-Holstein Staatsarchiv Hamburg – StaHH: StaHH 121-3, Bürgerschaft I StaHH 213-8 Staatsanwaltschaft Oberlandesgericht – Verwaltung StaHH 213-9, Staatsanwaltschaft Oberlandesgericht StaHH 213-11, Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafakten StaHH 213-13, Landgericht Wiedergutmachung StaHH 214-1, Gerichtsvollzieherwesen StaHH 221-5, Verwaltungsgericht StaHH 231-7, Amtsgericht Hamburg – Handels- und Genossenschaftsregister StaHH 242-1 II, Gefängnisverwaltung II StaHH 314-15, Oberfinanzpräsident Hamburg, Devisenstelle und Vermögensverwaltungsstelle StaHH 331-1 II Polizeibehörde II

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StaHH 331-5 Polizeibehörde – Unnatürliche Sterbefälle StaHH 331-5 II, Polizeibehörde II, Ablieferung 15, 1, Zu- und Abgänge des Polizeigefängnisses (Verpflegungslisten des Konzentrationslagers Fuhlsbüttel) StaHH 332-5, Personenstandsunterlagen StaHH 351-11, Amt für Wiedergutmachung StaHH 352-8/5, Allgemeines Krankenhaus Barmbek StaHH 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn StaHH 362-2/20, Lichtwarkschule StaHH 362-2/30, Gymnasium Lerchenfeld StaHH 362-3, Mädchenschule Angerstraße StaHH 364-5 I Universität I StaHH 364-13, Fakultäten StaHH 371-12, Konsumentenkammer I StaHH 376-2 Gewerbepolizei StaHH 552-1, Jüdische Gemeinden, 992b, Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg StaHH 621, Firmenarchiv StaHH 622-1, Familienarchiv StaHH 741-4, Fotoarchiv StaHH ZAS Staatsarchiv Osnabrück Stadtarchiv Felsberg Stadtarchiv Göttingen Stadtarchiv Hannover Stadtarchiv Kassel Stadtarchiv Krefeld Stadtarchiv Rahden Stadtarchiv Stuttgart Wiener Stadt- und Landesarchiv Yad Vashem, The Central Database of Shoah Privatbesitz

Literaturverzeichnis Arbeitskreis zur Erforschung des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein, Info Nr.10/Gratwanderung zwischen Mythos und Geschichte. Zum 50. Todestag Etkar Andrés. Bästlein, Klaus: „Hitlers Niederlage ist nicht unsere Niederlage, sondern unser Sieg!“ Die Bästlein-Organisation. Zum Widerstand aus der Arbeiterbewegung in Hamburg und Nordwestdeutschland während des Krieges (1939–1945), in: Meyer, Beate/Szodrzynski, Joachim (Hg.): Vom Zweifeln und Weitermachen. Fragmente der Hamburger KPD- Geschichte, Hamburg 1988, S. 44–101.

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Bajohr, Frank: „Arisierung“ in Hamburg. Die Verdrängung der jüdischen Unternehmer 1933–1945, Hamburg² 1998. Bake, Rita: Wer steckt dahinter? Nach Frauen benannte Straßen, Plätze und Brücken in Hamburg, Hamburg4 2005. Barber-Kersovan, Alenka/Uhlmann, Gordon (Hg.): Getanzte Freiheit, Swingkultur zwischen NS-Dikatatur und Gegenwart, Hamburg 2002. Beuys, Barbara: Verteidigung der Republik: Der sozialdemokratische Reformer Theodor Haubach (1896–1945), Hamburg 2000. Borgzinner, Rudolf: Über Pneumatosis cystoides intestini hominies, Hamburg 1923. Bottin, Angela/Nicolaysen, Rainer: Enge Zeit. Spuren Vertriebener und Verfolgter der Hamburger Universität, Hamburg 1991. Brakelmann, Günter: Die Kreisauer: folgenreiche Begegnungen. Biographische Skizzen zu Helmuth James von Moltke, Peter Yorck von Wartenburg, Carlo Mierendorff und Theodor Haubach, Münster² 2004. Bruhns, Maike: Kunst in der Krise. Künstlerlexikon Hamburg: 1933–1945. Verfemt, verfolgt – verschollen, vergessen, Hamburg 2001. Brunswig, Hans: Feuersturm über Hamburg. Die Luftangriffe auf Hamburg im Zweiten Weltkrieg und ihre Folgen, Stuttgart 2003. Büttner, Ursula: Hamburg zur Zeit der Weimarer Republik, Hamburg 1996. Central-Verein-Zeitung. Allgemeine Zeitung des Judentums. Die ZahnarztWoche DZW. Diercks, Herbert: Gedenkbuch „Kola-Fu“: für die Opfer aus dem Konzentrationslager, Gestapogefängnis und KZ-Außenlager Fuhlsbüttel, Hamburg 1987. Ditt, Karl: Sozialdemokraten im Widerstand. Hamburg in der Anfangsphase des Dritten Reiches, Hamburg 1984. Ebeling, Helmut: Schwarze Chronik einer Weltstadt. Hamburger Kriminalgeschichte 1919 bis 1945, Hamburg 1980. Elmshorner Nachrichten. Garbe, Detlef: Zwischen Widerstand und Martyrium: die Zeugen Jehovas im „Dritten Reich“ (Studien zur Zeitgeschichte, Bd. 42), München³ 1997. Gewehr, Birgit: Stolpersteine in Hamburg-Altona mit Elbvororten Altona-Altstadt, Altona- Nord, Ottensen, Bahrenfeld, Othmarschen, Groß Flottbek, Nienstedten, Blankenese und Iserbrook. Biographische Spurensuche, Hamburg 2008. Giordano, Ralph: Erinnerungen eines Davongekommenen, Köln 2007. Goldschmidt, Moses/Fromm, Raymond: Mein Leben als Jude in Deutschland 1873–1939, Hamburg 2004. Grassmann, Ilse: Ausgebombt, ein Hausfrauen-Kriegstagebuch, Erinnerungen von Ilse Grassmann, Hamburg 1943–1945, Hamburg 2003. Guth, Karin: Bornstraße 22. Ein Erinnerungsbuch, Hamburg 2001. Hagen, Willy: Du siehst, Emanuel, es geht auch so! Gedichte von Willy Hagen, Hamburg 1917. Hamburg im „Dritten Reich“, hg. von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte, Göttingen² 2008. Hamburger Zahnärzteblatt Nr. 5, Mai 2009.

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Weber, Hermann/Herbst, Andreas: Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945, Berlin 2004. Wunder, Michael: Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr. Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, Hamburg 1988. Zimmermann, Peter: Theodor Haubach (1896–1945). Eine politische Biographie, Hamburg 2002. Zelzer, Maria: Weg und Schicksal der Stuttgarter Juden. Ein Gedenkbuch, Stuttgart 1964.

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Straßen mit Hausnummern, an denen in Barmbek und Uhlenhorst Stolpersteine verlegt oder geplant sind. Nicht alle zerstörten Gebäude wurden nach dem Krieg wieder aufgebaut, alte Hausnummern sind teilweise verändert.

Adlerstraße 12 Adolph-Schönfelder-Straße 31 Averhoffstraße 22 Barmbeker Markt 37 Bendixensweg 3, 11, 15 Bramfelder Straße 23 Dennerstraße 15 Detmerstraße 28 Diesterwegstraße 4 Elsastraße, gegenüber Mesterkamp

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Fraenkelstraße 6 Framheinstraße 4 Friedrichsberger Straße 35 Genslerstraße 16 Gluckstraße 24 Gustav-Freytag-Straße 7 Halbenkamp 16 Hamburger Straße 164 Hans-Henny-Jahnn-Weg 8 Hartwicusstraße 2, 3 Heinrich-Hertz-Straße 19 Heinskamp 20 Heitmannstraße 68 Herbert-Weichmann-Straße 51 Höltystraße 15 Hofweg 6, 9, 31 Hufnertwiete 2 Humboldtstraße 56, 122 Immenhof 10 Kanalstraße 2 Karlstraße 2 Langenrehm 14 Lerchenfeld 2, 10 Mozartstraße 6a Mundsburger Damm 26, 38, 65 Oertzgarten 15a Otto-Speckter-Straße 1 Papenhuder Straße 22, 27, 32, 40, 42, 53 Prechtsweg 15 Richardstraße 11 Rübenkamp 78 Schenkendorfstraße 19, 25, 30 Schwanenwik 29 Uhlenhorster Weg 39 Vogteiweg, gegenüber Haus Nr. 11 Von-Essen-Straße 53, 82 Wachtelstraße 4, 48 Weidestraße 125 Wiesendamm 20 Winterhuder Weg 86 Zimmerstraße 47

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Personenregister

Abrahamssohn, Joel 214 Bachert, Heidi Henny 66f. Bielefeld, Hermann 136 Abrahamssohn, Pauline, geb. Meyer Bachert, Henriette, geb. Levy 66f. Bielefeld, Jeanette 136 214 Bachert, Otto 66f. Blum, Else, geb. Eisenstein 92f. Abshagen, Adelheid, geb. Bachert, Paul Heinrich Wilhelm 66f. Blum, Jonas 92 Heidenreich 46 Bachert, Wilhelm 66 Blum, Karl 92f. Abshagen, Agnes 46 Bajohr, Frank 216 Blum, Manfred Abshagen, Albert 46 Bargeboer, Benjamin Biene 141 Blum, Zerline, geb. Goldschmidt 92 Abshagen, Elfriede 46 Bargeboer, Sophie, geb. David 141 Bohne, Walter 48 Abshagen, Louise 46 Bästlein, Bernhard 46ff., 56, 225, Bonn 160 Abshagen, Manja (Minna), geb. 238 Borchling, Conrad 123 Hildebrandt 47f. Baum, Herbert 225 Borgzinner, Minna, geb. Kempenich Abshagen, Robert Carl Albert 46ff., Baum, Carl 67, 69 74, 76 56, 238 Baum, Hannelore 67, 69 Borgzinner, Paul 74ff. Acker, Eva Maria 53f. Baum, Hedwig Bernhardine, geb. Borgzinner, Rudolf 74ff. Acker, Franz Josef 49–53, 114, 117 Hirschfeld 67ff. Bramfeld, Rudolf 86f. Acker, Heinrich 49 Baum, Johanna, geb. Salomon 67 Braunschweiger, Auguste, gen. Acker, Helmut 49ff., 53f., 191 Baum, Leopold 67 Agnes 178f. Acker, Hermann 49 Baum, Wilhelm 67ff. Braunschweiger, Betty, geb. Benjamin Acker, Lissi, geb. Kaufmann 49–54, Baumann, Marie-Augustine 207 164 113–117, 191 Baumgart, Karl 77 Braunschweiger, Louis 164 Adler, Berta (jun.) 55f. Baumgartl, Marianne 191 Braunschweiger, Moses 178 Adler, Bertha, geb. Heymann 55 Bretschneider, Hein 47 Baumgartl, Marie Sophie 191 Adler, Eva Amarand Friederike 55 Bröckler, Christine, geb. Lüsing 77 Bausch, Viktor 107 Adler, Eva Senta, geb. Stern 56 Bröckler, Heinrich 77 Beck, Fritz 223 Adler, Frieda, geb. Fabisch 55 Bröckler, Maria, geb. Greve 77 Becker, Ursula 79 Adler, Friedrich 54ff. Bröckler, Willi Ferdinand 77f. Behr, Adelheid 193 Adler, Hermann 55 Brose, Johann 113 Behr, Charlotte, geb. Meyer 171 Adler, Ingeborg Elisabeth 55 Bruhn, Gustav 48 Behr, Hildegard, geb. Holland 192f. Adler, Kurt Jack Michael 56 Bruns, Otto 79 Behr, Joseph (José) 191ff. Adler, Max Wolfgang 55 Bruns, Carl August 79f. Behr, Louise 191, 193 Adler, Paul Wilhelm 55f. Buchholz, Bertha 86 Behr, Ludwig 191, 193 Alsberg, Ernst 211 Buchholz, Helmuth 86 Alsberg, Gertrud 211 Berg, Martha, geb. Schmidt 59, 61–64 Burchard, Bertha, geb. Goldzieher Amberger, Ferdinand 223 81 Bernstein, Arnold 206 Ambos, Clara, geb. Mansfeld 141f. Burchard, Ernst Valentin 81ff. Bernstein, Aaron 71 Ambos, Fritz 142 Burchard, Ernst Valentin (jun.) 81f. Bernstein, Dorothea Henriette 70ff. Anasch, Ingeborg 56 Burchard, Gabriele Olga 81, 83 Bernstein, Sophie 71 Anasch, Käthe, geb. Clasen 56 Burchard, Marianne Lilly 81ff. Bertram 161 Anasch, Lothar 56 Burchard, Martin 81 Bertram, Friedrich 80 Anasch, Norbert 56 Burchard, Martin Otto 81f. Anasch, Peter 56 Beust, Ole von 14 Burchard, Olga, geb. Jonas 81f. Anasch, Rita 56 Bezen, Anna, geb. Wilder 72 Burmester, Carl 84f. Anasch, Robert 56f. Bezen, Aron 72ff. Burmester, Charlotte, geb. Clausen Anasch, Waltraut 56 Bezen, Bernhard 72 84f. André, Bernhard 57 Bezen, Bilha Erna 72f. Burmester, Franz 84 André, Etkar (Edgar) Joseph 57–65 Bezen, Erna Berta, geb. Hecht 72f. Burmester, Greta 84f. André, Sofie, geb. Koch 57 Bezen, Frieda, geb. Bleiweiss 73f. Burmester, Jens Peter 84f. Aronstein, Betty, geb. Borgzinner 75 Bezen, Hannelore 73f. Busse, Marta 79 Bach, Frieda Gretchen, geb. Klages Bezen, Heinrich 72 Carlebach, Joseph 229 65 Bezen, Josef 72 Cassirer, Ernst 123 Bach, Louise Grete 65 Bezen, Leonhard 72f. Christoffers, Hans 47 Bach, Paul Karl 65 Bezen, Noa 72 Citreck, Hermann 168 Bachert, Grete Ella, geb. Schulz 66f. Bezen, Salomon 72 Citreck, Michael 168 Bachert, Hanna 67 Biedermann, Adolf 237 Cohn, Abraham Joachim 113

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Cohn, Catharina, geb. Brose 113 Geiershoefer, Anton 97 Hänel, Albert 158 Corten, Martin-Heinrich 219 Geiershoefer, Else Amalie, geb. Kann Hansen, Adalbert 116 Cramer 178 96–99 Hannes, Berthold 132 Czeschka, Carl Otto 144 Geiershoefer, Erik Ludwig 97, 99 Hartmann, Egon 152 Dahms, Heinrich 86 Geiershoefer, Herbert Theodor 97, Hasenberg, Gertrud, geb. Meyer Dahms, Helene, geb. Sassarath 86 99 104 Dahms, Max Heinrich Werner 86f. Geiershoefer, Magda 99 Hasenberg, Henny, geb. Lippstadt Danner, Paul 157 Geiershoefer, Otto 96f. 104 David, Ascher 139 Geiershoefer, Rita 99 Hasenberg, Irene 104 David, Jette 141 Geiershoefer, Susanne 99 Hasenberg, John 104f. David, Mina, geb. Leeser 139 Gerlach, Willi 102 Hasenberg, Julius 104 Decker, Anton Carl Engelbert 88ff. Gilardi, Jacob 97 Haubach, Theodor 105–109 Decker, Joseph 88 Giordano, Ralph 38, 40f. Häussler, Helmi 109 Decker, Maria, geb. Wachtmeister Goerdeler, Carl Friedrich 107 Häussler, Karl 109 88 Goldschmidt, Hilde 127 Häussler, Wilhelm 109ff. Demnig, Gunter 72, 204 Goldschmidt, Irma 127 Häussler, Wilhelmine (Mimi) 110f. Dirlewanger, Oskar 218 Goldschmidt, Johanna, geb. Mayer Hausmann, John 82 Dreckmann 61 127 Hecht, Arthur 73 Drescher 64 Goldschmidt, Moses 178, 181, 183 Hecht, Rosalie, geb. Löwenthal 73 Drews, Claus-Heinz 90f. Goldschmidt, Natan 127 Heidtmann, Auguste, geb. Schmidt 112 Drews, Richard 90f. Gorden, Elisabeth, geb. Wolfers 211f., 214 Heidtmann, Gustav 112 Drews, Selma, geb. Schönfeld 90 Gorden, Felix 214 Helms, Paul 144 Düe 87 Gorden, Herbert 214 Henning, Ernst 60 Duhne 72 Gorden, Hildegard 214 Hermann, Hans-Christian 165 Dusenschön, Willi 220 Göring, Hermann 230, 234 Hermann, Liselotte 85 Eckmann, Erich 173 Gottberg, Martha, geb. Mansfeld Hess, Sigrid, geb. Wolfers 212 Ehlers 199 141f. Heyen 146 Eichmann, Adolf 230 Göttsche, Claus 222f. Hilcken, Otto 99 Eisenstein, Emmi, geb. Meyer 92f. Götze 223 Himmler, Heinrich 238f. Eisenstein, Günther 92 Griem, Martha 120 Hippa 186f. Eisenstein, Gustav 92f. Griem, Max 120 Hirsch, Arthur 150 Eisenstein, Hildegard 92 Grisebach 61, 63 Hirsch, Hermann 150 Eisenstein, Ruth 92f. Gröber, Walter 65 Hirsch, Johanna, geb. Lehmann 150 Ellerhusen, Paul 220, 238 Gröpler 64 Hirsch, Käthe 150 Epstein, Hanan 175 Gross, Heinrich 190 Hirsch, Leopold 150 Fahr, Theodor 75 Grote, Berta, geb. Westmeier 100f. Hirschfeld, Amalie, geb. Weinthal Fehr, Johanna, geb. Behrens 131 Grote, Hilde 100 67f. Fehr, Salomon 131 Grote, Max August 100f. Hirschfeld, Julius 67ff. Firgau 210 Grünhut, Adele 122f. Hirschfeld, Liselotte 67, 69 Flashar 73 Grünhut, Alice 122 Hitler, Adolf 28, 107, 160, 220, Forsthoff, Ernst 160 Grünhut, Gisela 122 225, 227f., 235f. Fränkel, Benjamin 206 Grünhut, Johanna, geb. Jetmar 122 Hoge, Hans-Walter 70 Freisler, Roland 108 Grünhut, Selma 122 Holland, Eugen 193 Freschel, Adolf 93 Grünhut, Simon 122 Holland, Lisette, geb. Stock 193 Freschel, Erwin 94 Grynszpan, Herschel 234 Hubschmid, Maris 70 Freschel, Eva 93f. Gutmann, Hermann 97 Jacob, Franz 46ff., 56, 225, 238 Freschel, Heinrich 93ff. Haack 199 Jacobson, Carsten 206 Freschel, Heinz Leon 93, 95 Haberland, Auguste Karoline Luise Jacoby 178 Freschel, Henny, geb. Urich 93ff. 147 Jaffé, David Abraham 209 Freschel, Herbert 94 Hacker, Irmgard, geb. Enke 101f. Jaffé, J. 209 Freschel, Kurt 94 Hacker, Karl Johann August 101f. Jaspers, Karl 106 Freschel, Leon (Leib) 93 Hacker, Peter 101 Jastram, Wilhelm Karl Ferdinand Freschel, Maier (Max) David 93ff. Hagenow, Betty Adolphine Berta, 112f. Freschel, Michael 93, 95 geb. Dittmann 103 Jauch 199 Freschel, Schajndel 93 Hagenow, Curt Siegmund 103 Jolowicz, Julius 178 Freundlich, Berthold 134 Hagenow, Erna 102f. Jonas, Emma, geb. Jonas 81 Fridman, Roger 48 Hagenow, Helene 102f. Jonas, Emmy 82 Friedländer, Oscar 82 Hagenow, Ida 103 Jonas, Otto Nathan 81 Friedrich, Gerda 96 Hagenow, Wolff William 102f. Judelowitz, Oskar 129 Friedrich, Kurt Albin 96 Halberstadt, Siegfried 128 Kalmann 172 Fromm, Raymond 183 Halle, Henry 129 Kann, Charles 97 Funder, Walter 144ff. Hammerschlag 223 Kann, Mayer 96

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Kann, Pauline, geb. Dreyfuss 96 Lehr, Fritz Herbert 124f. Lübeck, Hannchen, geb. Lilienfeld Katz, Heinrich 178 Lehr, Gabriel (Georg) Jakob 124ff. 146 Katzenstein 137 Lehr, Hans Walter 124f. Lübeck, Wilhelm 146 Kaufmann, Franziska, geb. Cohn Lehr, Hedwig, geb. Kaufmann 124f. Lucht, Paul 138 113–118 Lenz, Max 123 Luppy, Carl 127 Kaufmann, Gertrud, geb. Stock 113 Leow, Willy 64 Luxemburg, Rosa 231 Kaufmann, Jacob 50, 113–118 Lessmann, M. 192 Magnus, Adolf 128 Kaufmann, Karl 27, 28, 35, 212, Lessner 191 Magnus, Jenny 128 237 Leva, Joseph 168 Mamelok, Hans Norbert 165, 167, Kaufmann, Käthe Selma 113–116 Levie, Hannah, geb. Ricardo- 169 Kaufmann, Moses 113 Rocamora 126 Mamelok, Julius 165, 169f. Kaufmann, Paula, geb. Gumpertz Levie, Hertha, geb. Goldschmidt Mamelok, Nathan 165 124 126f. Mamelok, Rahel, geb. Marcus 165 Kaufmann, Samuel 118 Levie, Iwan 126f. Mamelok, Recha, geb. Rieder 165, Kaufmann, Simon 124 Levie, Jon 126f. 169 Keitel, General 239 Levie, Tanchum (Theodor) 126 Manes, Georg 178 Kern 36 Levisohn, Albert 128, 130 Mansfeld, Albert 139ff. Keutgen, Friedrich 123 Levisohn, Bertha 128 Mansfeld, Marcus Paul 140 Kiefer 51 Levisohn, Cilly, geb. Magnus Mansfeld, Otto 141f. Kistenmacher, Ernst 211f. 128–131 Mansfeld, Paul 140f Kister 199 Levisohn, Rolf William 128–131 Mansfeld, Thea 141. Kitz, Leon 94 Levisohn, Ruth Lotte 128f. Mansfeld, Esther (Elise), geb. David Klages, Wilhelm 65 Levisohn, William 128 139ff. Klein, Auguste, geb. Schusster 120 Levy, Anna 132 Manuel, Helene, geb. Nitschke 160 Klein, Franz 118f. Levy, Nachmann Jacob 131f. Matthes 147 Klein, Fritz 120 Levy, Rosa 172f. Mause, Gustav 109 Klein, Gustav 120 Levy, Sara, geb. Fehr 131f. Mecklenburg, Walter 223 Klein, Inge Karla 120 Levy, Sophie, geb. Rosenbacher 131 Meier, Friedrich Theodor Christian Heinrich 143 Klein, Käthe, geb. Binner 114 Lewandowski, Erna 181 Meier-Thur, Annemarie 144 Klein, Malwine, geb. Freud 118 Lewandowski, Hermann 178 Meier-Thur, Hans Hugo 144 Klein, Marie, geb. Braker 118f. Lewinsohn, Richard 178 Meier-Thur, Hugo 143–146 Klein, Mariechen Dorothea Elisabeth, Lichtenstein, Abraham 178 Meier-Thur, Lina 144f. geb. Griem 120 Lichtenstein, Marianne, geb. Klein, Maximilian 118 Braunschweiger 178 Melhausen, Auguste Karoline Luise, geb. Ha(l)berland 147ff. Knuth 108 Lieber, Hans 132ff. Melhausen, Edith 147 Kobritz, David Herz Hermann 121f. Liebknecht, Karl 231 Melhausen, Hertha, geb. Lübeck Kobritz, Heinrich 121 Linder 78 146 Kobritz, Juliette 121 Lindley 23 Melhausen, Isaak 146 Kobritz, Katharina (Katja) 121f. Litzmann, General 225 Melhausen, Jonni 146ff. Kobritz, Leonora (Eleonore) 121 London, Adolf 134 Melhausen, Käthe 147 Kobritz, Maximilian 121 London, Andreas 134f. Melhausen, Kurt 146 Kobritz, Richard 121 London, Dora, geb. Plackmeyer 135 Melhausen, Louis 146 Kobritz, Rosalia, geb. Kleinmann London, Elise 134 Melhausen, Marianne 146 121f. London, Marianne, geb. Os 134 Melhausen, Max 146f. Kohn, Gertrud 122ff. London, Moritz 134 Melhausen, Walter 146 Kohn, Ida, geb. Grünhut 122ff. London, Ottilie 134 Mendelssohn-Bartholdy, Albrecht Kohn, Isidor 123 London, Sophie 134f. 159 Koopmann, Carl 169 Löwenstein, Carl 135f. Mertens 88 Koppel, Walter 53 Löwenstein, Cecilie, geb. Esberg Meyer, Gabriel 14 Körner 204 135 Meyer, Margarete, geb. Kaufmann Kosemund, Antje, geb. Sperling Löwenstein, Emilie 135f. 49, 113–116 189f. Löwenstein, Ilse 136f. Meyer, Richard 143 Krahn, Paul 86 Löwenstein, Jacob 135 Michelsohn, Adele, geb. Lilienfeld Kramer, Natalie, geb. Wolfers 212 Löwenstein, Julius 136f. 150 Krause, Erwin 88 Löwenstein, Margot 136f. Michelsohn, Bertha, geb. Hirsch 150 Krogmann, Carl Vincent 28 Löwenstein, Marianne Martha, geb. Michelsohn, Simon Arye 150 Kühn, Hermann 223 Bielefeld 136f. Michelsohn, Waldemar 150 L’Aigle, Alma de 108 Löwenstein, Moses 136 Mierendorff, Carlo 105ff. Lampa 143 Löwenstein, Sara 136 Milee, Erika 150 Lauffer, Otto 123 Löwenstein, Selma 135f. Mittell-Redlich 194f. Ledig 87 Lübcke, Friederike, geb. Krüger 138 Moltke, Helmuth James Graf von Lehr, Abraham 124 Lübcke, Georg 138 107, 225 Lehr, Bertha 124 Lübcke, Max Bernhard Kurt 138f. Müller, Herbert 151

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Müller, Luise, geb. Wichmann 151 Rieder, Alice 166f. Schönfeld, Frieda 90 Müller, Rudolf Albert 151f. Rieder, Ellen 166 Schönfeld, Johann 90 Müller, Th. 165 Rieder, Eva 166 Schönfeld, Katharina 90f. Müller, Wilhelm 151 Rieder, Giska 165 Schönfeld, Melanie 90f. Nathan, Alfred 152–156 Rieder, Grete Recha 164, 167, 169f. Schönfeld, Moses Salomon 209 Nathan, Elna, geb. Leopold Rieder, James 164–167, 169 Schönfeld, Serine 90 152–156 Rieder, Joseph 164 Schönfeld, Therese 90 Nathan, Emma, geb. Schürmann Rieder, Markus 164f., 167ff. Schrage, Adolf 176f. 152, 156 Rieder, Max 164, 166, 169f. Schrage, Annemarie, geb. Thiessen Nathan, Max Carl 152–156 Rieder, Rachel, geb. Goldenberg 176 Nathan, Nanni 152, 154, 156 164 Schrage, Carl Ludwig 175 Neuhaus, Julius 136 Rieder, Ruth 166, 168 Schrage, Emma, geb. Arend 175 Nevermann, Paul 85 Rieder, Simon 165, 170 Schrage, Heinrich Friedrich Karl 175f. Nieland, Hans 237 Rieder, Sophie, geb. Braunschweiger Note, Franz 198, 202 164f., 167–170 Schreiber, Wolfgang 79 Note, Lothar 202 Rieder, Werner 166 Schröder, Heinrich 153 Oberdörffer 129 Rodowinsky 199 Schubert, Hermann 64 Oberländer 50 Rosen, Dennis Winston 137 Schulze, Franziska, geb. Wolfsberg 199, 203 Oettinger 178 Rosen, Kurt 137 Schulze, Friedrich (Fiete) 62 Offenstadt, Agnes 76 Rosen, Margot Jeanette, geb. Schulze, Otto 199, 203 Offenstadt, Leo 76 Löwenstein 136f. Schumacher, Auguste (Agnes), geb. Olsson, Adolf 86 Rosenbacher-Levy, Jacob 131 Lichtenstein, adopt. Braun schwei- Oppenheimer, Alice, geb. Oppenheim Rosenblum, Siegfried 92f. ger 169f., 178f., 181, 183 209f., 214 Rosenbrook, Gerda 145 Schumacher, Fritz 21 Oppenheimer, Ernst 214 Rosenfeld, Benjamin 170f. Schumacher, Isaak (Iwan) 169f., Oppenheimer, Philipp 209 Rosenfeld, Charlotte 170f. 178f., 181, 183 Orgler, Franziska 157 Rosenfeld, Theresia, geb. Meyer Schumacher, Jacob Isaac 178 Orgler, Heinrich Georg 157 170f. Schumacher, Johanna (Hannchen), Orgler, Irma, geb. Lehmbecker 157 Roth, Heinrich 80 geb. Lewandowski 178 Papen, Franz von 107 Roth, Otto 62 Schumann, Carl 183 Paustian, Max 198 Rothenburg, Rosa 213 Schumann, Karl 183ff. Pels, Henry 211 Rückriem, Ulrich 226 Schumann, Manfred 185 Pels, Wolf 211 Russèl 101 Schumann, Margarethe 183 Perels, Anna, geb. Volkmar 157 Rutherford 101 Schumann, Margarethe, geb. Stolten 183 Perels, Ernst 157f., 160 Samson 132 Schumann, Wolfgang 183 Perels, Ferdinand 157f. Sander, Alfred 152–156 Seifert, Margarethe 127 Perels, Friederike 157 Sander, Wilhelm 152–156 Seld, Alexander Freiherr von 145 Perels, Friedrich-Justus 160 Sauerbruch, Ferdinand 236 Seld, Alexander von (jun.) 145 Perels, Kurt Ferdinand Lothar Schacht, Emil 177 Seligmann, Bianka, geb. Diek 185f. 157–160 Schallert, Willibald 147 Seligmann, Carl 185 Perels, Leopold 157f. Schanze, Emmi 188 Seligmann, Harald 185f. Philipp, Bertha, geb. Hirschfeld 67f. Schellhase, Anneliese 108 Seligmann, Harald (jun.) 185ff. Philipp, Heinz 68 Schildt, Otto 80 Seligmann, Johanna, geb. Peine 185 Philipp, Kurt 68 Schindler, Kurt 123 Seligmann, Willi 104 Philipp, Robert 68 Schindler, Mary 123 Sello, Heinrich 188 Piltz, Max 92f. Schlumbom, Peter Christoph 212f. Sello, Noemi Carola, geb. Weil 188 Plath 23 Schmedemann, Walter 238 Sieveking, Heinrich 123 Plaut, Max 53, 83, 119, 219, 222 Schmitt, Carl 160 Silberberg, Gertrud, geb. Kaufmann Plüschau 204 Schnee, Marie Elise Frieda Helene 113, 116 Podeyn, Hans Karl Louis Hermann 198 Silberberg, Peter, geb. Binner 114, 160f. Schoeps, Anneliese 172 116 Podeyn, Johannes 160 Schoeps, Anneliese, geb. Todtenkopf Silberberg, Siegfried 114, 116 Podeyn, Marie, geb. Schuldt 160 175 Silmain, Adéle 207 Raphaeli, Gisela, geb. Gollerstepper Schoeps, Eva Pauline 172f., 175 Simon 125 162f. Schoeps, Hermann 171 Sonntag 87 Raphaeli, Leo Julius, gen. Willy Schoeps, Irma, geb. Levy 171ff., Spaeter, Carl 22, 31 Hagen 162f. 175 Spaethe 204 Rath, Ernst vom 234 Schoeps, Jakob (Jacques) 171–175 Sperling, Anna Katharina Helene, Rehder, Erich 68 Schoeps, Max 172 geb. Pappermann 189 Rehder, Ernst 68 Schoeps, Pauline, geb. Brinn 171 Sperling, Bruno 189 Reincke, Oskar 47f. Schoeps, Walter Max Ludwig 172, Sperling, Irma 189f. Riebow, Günther 77 175 Stauffenberg, Claus Schenk Graf von Rieder, Aaron 165, 170 Schönfeld, Bertha 90f. 107, 225

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Stein, Edith 13 Uterhardt, Alice 92f. Winterfeld, Leopold 204–207 Steinfeld, Louise 196 Uterhardt, Edith Ilse 92f. Winterfeld, Lissi Helena, geb. Stern Steinfeld, Margarethe 194 Uterhardt, Erwin Albert Carl 92 204–208 Stephan, Hans 223 Vaernet, Carl 239 Winterfeld, Louise 204, 207 Stern, Hertha 205, 207 Veffer, Joseph 212 Winterfeld, Marianne, geb. Nissel Stern, Martha, geb. Elias 205 Vogeler, Heinrich 84 204 Stern, Bernhard 205ff. Wagner, Bruno 109 Winterfeld, Ruth 205 Stock, Adelheid 191 Wagner, Frieda, geb. Schnee Winterfeld, Werner Martin 204ff. Stock, Erna Marie Sophie, geb. 198–203 Wirlander, Elisabeth, geb. Strauß Baumgartl 191f. Wagner, Gustav 198–202 195f. Stock, Helena 191, 193 Wagner, Johannes 215 Wirlander, Stefan 196 Stock, Louise 191 Wagner, Mary, geb. Nathan 198 Wohlers, Walter 223 Wohlwill, Gretchen 210 Stock, Marianne 191 Wagner, Moritz 198 Wolfers, Alice 213 Stock, Walter Wolfgang 191ff. Wehner, Richard Herbert 85 Wolfers, Eduard 208f., 211 Stockmann, Werner 86 Weil, Ada, geb. Wodiska 188 Wolfers, Ellen 210f. Strauß, Agnes, geb. Steinfeld 193, Weil, Henri 188 196 Weinsztock, Marthe 207 Wolfers, Gertrud, geb. Fränkel 211f. Strauß, Edith Hilde 193f., 196 Weise, Martin 48 Wolfers, Grete, geb. Abrahamssohn 210, 214 Strauß, Elisabeth 193, 195f. Welschen, Arnold Adolf Wilhelm Wolfers, Gustav 209f. Strauß, Hermann 195 141 Wolfers, Heinz 213 Strauß, Hugo 193, 196 Welschen-Bargeboer, Bertha, geb. Wolfers, Hugo 208–214 Strauß, Selig 193 Mansfeld 141f. Wolfers, Natalie, geb. Alsberg 209, Streckenbach, Bruno 238 Wetzstein, Anna Auguste, geb. Hardt 203 211 Szodrzynski, Joachim 63 Wetzstein, Christian Carl Heinrich Wolfers, Olga, geb. Oppenheimer Thälmann, Ernst 59f., 64, 224f. 203 208ff., 213f. Thoma, Richard 158 Wetzstein, Ernst Friedrich 203f. Wolfers, Samuel Philipp 208 Uhsadel, Walter 99 Wetzstein, Heinrich 203 Wolff, Adelheid, geb. Kaufmann Unger, Erna 198 Wetzstein, Marietta Dorothea, geb. 118 Unger, Frida, geb. Hopp 197 Wrage 203 Wolff, Alexander 118 Unger, Wilhelm 197 Wilckens, Malve 144ff. Wolfson, Wilhelm 118 Unger, Willy Erich Georg 197f. Wilhelm, Lina, geb. Schröder 153, Wulff, Theodor 215 Urich, Anita, geb. Italiener 93, 95 156 Zille 22 Urich, David 93 Winterfeld, Bruno 204, 206f. Zimmermann, Eugenie, geb. Isaacs Urich, Hermann 93 Winterfeld, Ilse 205ff. 213 Urich, Jacob 93 Winterfeld, Julius 204

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Mit diesem Buch entstand die Projektidee ... Beate Meyer (Hrsg.) Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden 1933–1945 Geschichte. Zeugnis. Erinnerung*

Inhalt Teil I Geschichte Die Verfolgung der Hamburger Juden 1933–1938 Beate Meyer Das „Schicksalsjahr 1938“ und die Folgen Beate Meyer Die Deportation der Juden: Initiativen und Reak - tionen aus Hamburg Frank Bajohr Die Deportation der Hamburger Juden 1941–1945 Beate Meyer Die Entscheidung zur Deportation der deut- schen Juden | Die Organisation der Transporte in Hamburg | Die Arbeit des Jüdischen Reli - gionsverbandes zur Zeit der Deportationen | In den „Freitod“ getrieben | Die Deportatio - nen nach Lodz, Minsk und Riga | Die Depor - tationen nach Auschwitz | Die Deportationen nach Theresienstadt

Fragwürdiger Schutz – Mischehen in Hamburg (1933–1945) Beate Meyer „Sie bringen uns wohl nach Warschau“. Die Lebensgeschichte des deportierten Hamburger Juden Alfred Pein Beate Meyer Keine Zuflucht. Verfolgungserfahrungen emigrierter Hamburger Juden Linde Apel Teil II Zeugnis Rosa und Koppel Friedfertig aus Hamburg, Bericht über ihre Abschiebung aus Hamburg Edgar Eichholz, Brief an seinen Sohn über den Novemberpogrom Max Plaut, Die Deportationsmaßnahmen der Geheimen Staatspolizei in Hamburg Ingrid Wecker, Helferin der Jüdischen Gemeinde bei den Deportations vorbereitungen Fritz Sarne, Bericht über seine Deportation nach Lodz Heinz Rosenberg, Das Getto von Minsk Rita Springfield, Brief an eine Klassenkameradin über ihre Deportation nach Riga Martin Starke, Bericht über seine Schreckensjahre in den Konzentrationslagern Fuhlsbüttel und Auschwitz Alice Kruse, Aufzeichnungen über unseren Transport nach Theresienstadt Walter Zwi Bacharach, G’tt hat mich geleitet. Emigration – Deportation – Überleben Teil III Erinnerung „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist“. Die Aktion Stolpersteine Interview mit Peter Hess Rundgang: Stolpersteine im Grindelgebiet Beate Meyer Liste der in Hamburg verlegten Stolpersteine (Stand Februar 2006)

* Gegen eine Bereitstellungs pauschale von 2 Euro erhältlich über: Landeszentrale für politische Bildung, Dammtor- straße 14, 20354 Hamburg, oder im Informationsladen Dammtorwall 1, 20354 Hamburg.

253 248-256 Personenregister:Personenregister Stolpersteine 30.08.10 09:12 Seite 254

In der Reihe „Stolpersteine in Hamburg – Biographische Spurensuche“ sind bisher erschienen*:

Hildegard Thevs Stolpersteine in Hambug-Hamm Biographische Spurensuche Dezember 2007, 212 Seiten

Birgit Gewehr Stolpersteine in Hambug-Altona Biographische Spurensuche April 2008, 174 Seiten

Astrid Louven/ Ursula Pietsch Stolpersteine in Hamburg- Wands bek mit den Wald - dörfern Biographische Spurensuche Mai 2008, 228 Seiten

Ulrike Sparr Stolpersteine in Hamburg- Winterhude Biographische Spurensuche November 2008, 323 Seiten

* Gegen eine Bereitstellungs pauschale von 2 Euro erhältlich im Infoladen der Landeszentrale für politische Bildung, Dammtorwall 1, 20354 Hamburg, Öffnungszeiten: Mo.–Do. 13:30–18:00 Uhr, Fr. 13:30–16:30 Uhr.

254 248-256 Personenregister:Personenregister Stolpersteine 30.08.10 09:12 Seite 255

Christiane Jungbluth/ Gunhild Ohl-Hinz Stolpersteine in Hamburg-St. Pauli Biographische Spurensuche August 2009, 256 Seiten

Benedikt Behrens Stolpersteine in Hambug-St. Georg Biographische Spurensuche November 2009, 244 Seiten

Christa Fladhammer/ Maike Grünwaldt Stolpersteine in der Hamburger Isestraße Biographische Spurensuche Mai 2010, 294 Seiten

255 Umschlag v+r:. 30.08.10 10:00 Seite 1

Ca. 3300 Stolpersteine erinnern inzwischen in Hamburg an Menschen, die während der NS-Zeit ermordet worden sind: an Juden, Sinti, Homo - sexuelle, politisch Verfolgte, „Euthanasie“-Er mor -

dete, Zeugen Jehovas oder andere. Spurensuche Biographische

Carmen Smiatacz und ihre Mitautorinnen und -autoren haben die Biographien von mehr als siebzig Personen aus Barmbek und Uhlenhorst

recherchiert, für die Stolpersteine verlegt wor- Uhlenhorst den sind. Ihre Lebens- und Leidensgeschichten sind hier nachzulesen.

und Hamburg- Stolpersteine in Hamburg-Barmbek und Hamburg-Uhlenhorst

Barmbek Biographische Spurensuche

Carmen Smiatacz Stolpersteine in Hamburg-

Freie und Hansestadt Hamburg Behörde für Schule und Berufsbildung Amt für Bildung Landeszentrale für politische Bildung