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Forum Kritische Archäologie 3 (2014)

Forum Kritische Archäologie 3 (2014) Forum Kritische Archäologie 3 (2014)

Inhaltsverzeichnis

THEMENHEFT: Zeit

Kerstin P. Hofmann, Sabine Reinhold 17 ZeitSpurenSuchen. Eine Einleitung.

Ulrike Sommer 25 Zeit, Erinnerung und Geschichte.

Ulf Ickerodt 60 Gleichzeitiges und Ungleichzeitiges, Lebensrhythmen und Eigenzeiten in Vergangenheit und Gegenwart – Bemerkungen zur Unbestimmtheitsrelation von archäologischen Zeitbeobachtungen.

Undine Stabrey 90 Archäologie als Zeitmaschine: Zur Temporalisierung von Dingen.

Eva Rosenstock 110 Zyklische Abläufe als Hilfsmittel zur Deutung von Zeit in der Archäologie.

Stefanie Samida 136 Moderne Zeitreisen oder Die performative Aneignung vergangener Lebenswelten. Forum Kritische Archäologie 3 (2014)

STREITRAUM: Niemand hat die Absicht

Stefan Maneval 1 Niemand hat die Absicht, einen Aufsatz zu zensieren. Archäologie, Politik und Zensur im Zusammenhang mit der Ausstellung „Roads of Arabia. Archäologische Schätze aus Saudi-Arabien“.

Dominik Bonatz 11 Archäologie, Politik und Zensur im Zusammenhang mit der Ausstellung ‘Roads of Arabia‘

Susanne Bocher 13 Museen und ethische Grundsätze

Mamoun Fansa 15 Schuld haben die Politik und die Geschichte

STREITRAUM: Entanglement

Susan Pollock, Reinhard Bernbeck, Carolin Jauß, Johannes Greger, Constance von Ruden, Stefan Schreiber 151 Entangled Discussions: Talking with Ian Hodder About His Book Entangled, Berlin, 14. December 2013.

Ian Hodder 162 Dis-entangling entanglement: a response to my critics Forum Kritische Archäologie 3 (2014) Streitraum: Niemand hat die Absicht

Niemand hat die Absicht, einen Aufsatz zu zensieren. Archäologie, Politik und Zensur im Zusammenhang mit der Ausstellung „Roads of Arabia. Archäologische Schätze aus Saudi-Arabien“

Stefan Maneval

Berlin Graduate School of Muslim Cultures and Societies, Freie Universität Berlin

Zitiervorschlag Stefan Maneval. 2014. Niemand hat die Absicht, einen Aufsatz zu zensieren. Forum Kritische Archäologie 3: 1-10.

URI http://www.kritischearchaeologie.de/repositorium/fka/2014_3_01_Maneval.pdf

DOI 10.6105/journal.fka.2014.3.1

ISSN 2194-346X

Dieser Beitrag steht unter der Creative Commons Lizenz CC BY-NC-ND 4.0 (Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitung) International. Sie erlaubt den Download und die Weiterverteilung des Werkes / Inhaltes unter Nennung des Namens des Autors, jedoch keinerlei Bearbeitung oder kommerzielle Nutzung.

Weitere Informationen zu der Lizenz fi nden Sie unter: http://creativecommons.org/licenses/by- nc-nd/4.0/deed.de. Forum Kritische Archäologie 3 (2014) Streitraum: Niemand hat die Absicht

Niemand hat die Absicht, einen Aufsatz zu zensieren. Archäologie, Politik und Zensur im Zusammenhang mit der Ausstellung „Roads of Arabia. Archäologische Schätze aus Saudi-Arabien“

Stefan Maneval [email protected], Berlin Graduate School of Muslim Cultures and Societies, Freie Universität Berlin

Zusammenfassung

Am Beispiel der Berliner Ausstellung „Roads of Arabia. Archäologische Schätze aus Saudi-Arabien“ (Musuem für Islamische Kunst, Frühjahr 2012) diskutiert dieser Essay die Verbindung von archäologischer Wissensvermittlung mit politischen Zielen. Ausge- hend von der Zensur eines Aufsatzes für den Ausstellungskatalog durch die saudische Generalbehörde für Tourismus und Altertümer erörtere ich, inwiefern die Ausstellung einen Beitrag zum Machterhalt des saudischen Königshauses lieferte. Der Essay nimmt Bezug auf öffentliche Debatten über die Zusammenarbeit deutscher Kulturinstitutionen mit autoritären Staaten und fragt nach den Konsequenzen, die aus dem Vorfall für ver- gleichbare zukünftige Kooperationen zu ziehen sind. Mein Vorschlag in dieser Hinsicht lautet, dass sich kulturelle und wissenschaftliche Einrichtungen über die forschungsethi- schen Grundlagen der Kooperation mit Institutionen autoritärer Staaten verständigen sollten, um Bedingungen und Grenzen der Zusammenarbeit zu formulieren.

Abstract

This essay deals with the connection between knowledge transfer and politics in ar- chaeology, taking the exhibition “Roads of Arabia: Archaeological treasures from Sau- di-Arabia” as an example. The exhibition was shown in the Museum for Islamic Art in Berlin in spring 2012. Based upon the censorship of an article for the exhibition catalogue through the Saudi Commission for Tourism and Antiquities, I argue that the exhibition was used in various ways as a means to stabilize Saudi rule. The essay refers to recent public debates about the cooperation of German cultural institutions with au- thoritarian regimes and discusses the consequences that should be drawn for future co- operations. I conclude with the suggestion to initiate a dialogue on the ethical principles of international cultural and research collaboration in order to formulate conditions and boundaries of cooperation.

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I. Ein Ereignis mich dafür, den Vorfall öffentlich zu machen. Das Ergebnis dieser Entscheidung ist der vorliegende Vom 26. Januar bis 9. April 2012 war im Museum Essay, mit dem folgende Absichten verfolgt werden. für Islamische Kunst Berlin die Ausstellung „Roads Zum einen soll der Vorfall dokumentiert werden, of Arabia. Archäologische Schätze aus Saudi-Arabi- damit er nicht in Vergessenheit gerät. Zum anderen en“ zu sehen. Der Kern der Ausstellung, die einen soll der Zusammenhang zwischen archäologischer Zeitraum von der Jungsteinzeit bis zum 20. Jahrhun- Wissensproduktion und -vermittlung einerseits und dert abdeckte, war von saudischen und französischen Politik andererseits ins Bewusstsein gerufen werden. ArchäologInnen für den Pariser Louvre konzipiert Jede Deutung archäologischer oder, allgemeiner ge- worden (Al-Ghabban et al. 2010) und von dort be- sprochen, historischer Befunde ist von teils bewuss- reits nach Barcelona und Sankt Petersburg gereist. ten, teils unhinterfragten ideologischen Grundannah- Die Berliner Ausstellung ergänzte den Grundbe- men durchdrungen und besitzt somit eine politische standteil der Exponate mit zahlreichen Objekten aus Dimension. Die Zensur des Artikels für den Ausstel- Berliner Sammlungen beziehungsweise aus Ausgra- lungskatalog zeugt davon, dass die Darstellung der bungen von Berliner Archäologinnen und Archäolo- Vergangenheit von entscheidender Bedeutung für die gen. Die meisten Exponate waren vorher noch nie politischen Verhältnisse in der Gegenwart sein kann. außerhalb von Saudi-Arabien zu sehen gewesen. Im vorliegenden Essay geht es um einen besonderen Begleitet wurde die Ausstellung von einem Ka- Aspekt des Politischen, nämlich um den Machter- talog, der gemeinsam vom Museum für Islamische halt eines autoritären Regimes. Ich möchte anhand Kunst und der saudischen Generalbehörde für Tou- einiger Beispiele darlegen, wie der saudische Staat rismus und Altertümer (im folgenden vereinfachend die archäologische Ausstellung auf unterschiedliche Antikenbehörde genannt) in deutscher und engli- Weisen dazu nutzte, die Herrschaftsverhältnisse im scher Sprache herausgegeben wurde (Franke et al. Königreich Saudi-Arabien zu festigen. Darum gehe 2011). Der saudische Mitherausgeber verweigerte ich nicht nur auf die Aufsatz-Zensur ein, sondern das Einverständnis zu einem Katalogbeitrag über den auch auf die Sponsorensituation und das Rahmen- Staatsbildungsprozess und die jüngere Geschichte programm, auf einen Raum der Ausstellung, der dem Saudi-Arabiens. Bei dem betroffenen Beitrag han- Gründer des saudischen Königreichs gewidmet war, delte es sich um einen knappen historischen Über- und auf den Ersatz des zensierten Beitrags durch den blick von der Eroberung des späteren Staatsgebiets Aufsatz eines saudischen Historikers. Anknüpfend Saudi-Arabiens unter der Führung Abdulaziz ibn an öffentliche Kontroversen um die Grenzen der Sauds (auch bekannt als Ibn Saud), der 1932 das Kö- Kooperation mit autoritären Staaten im kulturellen nigreich Saudi-Arabien ausrief, bis zur Gegenwart. Bereich, schließt der Essay mit dem Vorschlag ab, Dass die saudische Antikenbehörde ihre Mitheraus- zukünftig größere Klarheit über die Rahmenbedin- geberschaft dazu nutzte, eine unerwünschte politi- gungen derartiger Zusammenarbeit herzustellen, sche Meinung in der in Deutschland erscheinenden beispielsweise in Form eines Richtlinienpapiers. Publikation zu unterdrücken, überraschte insofern, Die Namen derjenigen, die unmittelbar an den als die im Aufsatz enthaltene Kritik nicht über die Auseinandersetzungen um den zensierten Text betei- Darstellungsweise gängiger Publikationen zur Lan- ligt waren, einschließlich des Autors/der Autorin des 1 desgeschichte hinaus reichte . Allerdings handelt es Beitrags - eine Person, die im Folgenden als „Autor sich dabei um ausländische Veröffentlichungen, die A.“ bezeichnet werden soll - , werden im Essay nicht in Saudi-Arabien nicht auf dem regulären Buchmarkt genannt, um die Aufmerksamkeit auf den Vorfall als erhältlich sind, während der Ausstellungskatalog in solchen zu richten. Ich selbst war in der Organisa- Saudi-Arabien verbreitet wurde. tion der Ausstellung geringfügig involviert, indem Da dieser Verstoß gegen die Prinzipien der freien ich für einen Themenraum über aktuelle Berliner Wissenschaft aus dem Katalog nicht eindeutig her- Forschungsprojekte zur Geschichte der arabischen vorgehen würde, zog ich meinen eigenen Beitrag Halbinsel eine Auswahl historischer und zeitgenös- zur Stadtgeschichte Jiddahs zurück und entschied sischer Fotografien aus Jiddah zusammenstellte und kommentierte. Dazu nahm ich an einigen Vorberei- tungstreffen teil. Im Zuge der Aufsatz-Zensur führte 1 Die wichtigsten zitierten Referenzwerke im zensierten Aufsatz sind Vassiliev (2000); Steinberg (2002); ders. ich zahlreiche Gespräche mit Autor A. und mit den (2004); Ibrahim (2006); Commins (2009).

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Entscheidungsträgern im Museum für Islamische Die Kritik, einer politischen Instrumentalisierung Kunst. zu dienen, erntete Anfang 2012 auch die Ausstellung „Roads of Arabia“ im Museum für Islamische Kunst in Berlin, wenngleich die öffentliche Diskussion in diesem Fall relativ leise verlief. Am schärfsten kri- II. Ein Dilemma tisiert wurde die „Roads of Arabia“ Ausstellung in Sollten deutsche Museen und Forschungseinrich- der Online-Ausgabe des Berliner Tagesspiegel vom 4 tungen bei Ausstellungsprojekten mit autoritären 23. Januar 2012. In der Printausgabe des Tages- Staaten kooperieren oder lieber auf eine Zusammen- spiegel vom 26. Januar 2012 wurde die Kritk in ab- arbeit verzichten? Diese Frage wurde in den vergan- geschwächter Form wiederholt. Das ZDF sendete in genen Jahren wiederholt in den Medien diskutiert. der Reihe Aspekte am 27. Januar 2012 einen sehr Ins Kreuzfeuer der Kritik geriet etwa die am 1. Ap- polemischen Beitrag anlässlich der Ausstellungser- 5 ril 2011 im chinesischen Nationalmuseum eröffnete öffnung. Andere Medien, an erster Stelle die Frank- Ausstellung zur „Kunst der Aufklärung“, die vom furter Allgemeine Zeitung, die Süddeutsche Zeitung Auswärtigen Amt der BRD mit rund zehn Millio- und die Berliner Zeitung, berichteten hingegen be- nen Euro großzügig mitfinanziert und aus Berliner, geistert von der Ausstellung, die aufgrund ihrer Münchner und Dresdner Museumsbeständen zusam- Qualität und Einmaligkeit über politisch bedingten mengestellt wurde. Der Vorwurf lautete, die spekta- Zweifeln erhaben sei. Die Anzahl dezidiert kritischer kuläre Schau würde dem chinesischen Staat dabei Kommentare blieb somit im Fall von „Roads of Ara- helfen, sich in einem freiheitlichen aufklärerischen bia“ vergleichsweise gering. Licht zu sonnen, während die politische Realität von Wenn repressive Regime ihr schlechtes Image in Menschenrechtsverletzungen, Pressezensur und po- der eigenen Bevölkerung und im Ausland mithilfe litischer Verfolgung von Regimekritikern gekenn- von spektakulären Kulturveranstaltungen aufpolie- zeichnet sei.2 ren wollen, dürfe dies nicht unterstützt werden – so Im Vorfeld einer Ausstellung zum Thema „Mythos lautet das Hauptargument der Gegner der erwähnten Olympia – Kult und Spiele“ (31. August 2012 bis 7. Kooperationen. Auf der anderen Seite weisen die Januar 2013) im Berliner Martin-Gropius-Bau wur- Befürworter der Zusammenarbeit darauf hin, dass de eine Mediendebatte ausgelöst, als bekannt wurde, geistiger Austausch in der Regel eher einen gesell- dass die Ausstellung inhaltlich neu ausgerichtet wer- schaftlichen und politischen Wandel bewirkt als Iso- den würde. Das Emirat von Qatar, dessen Hauptstadt lation und Konfrontation. Sie sehen in den Projekten Doha sich als Austragungsort für die olympischen wahlweise Anzeichen einer politischen Öffnung, die Spiele 2020 beworben hatte, war als Geldgeber für es zu fördern gelte, oder politische Bildungsarbeit, 6 das kostspielige Projekt gewonnen worden und hatte die auf die erwünschte Demokratisierung hinwirke. die Finanzierungshilfe mit Änderungswünschen am ursprünglichen Ausstellungskonzept verknüpft. Tat- sächlich wurde schließlich auf den Ausstellungsteil 4 „Wandel durch Annäherung hat schon einmal nicht zu den olympischen Spielen der Neuzeit, der kri- funktioniert“, Tagesspiegel 23.01.2012, http://tages- tische Aspekte wie Doping, Kommerzialisierung, spiegel.de/kultur/ausstellung-roads-to-arabia-wan- del-durch-annaeherung-hat-schon-einmal-nicht-funk- Korruption und Umweltzerstörung enthalten sollte, tioniert/6095174.html, aufgerufen am 08.08.2012. verzichtet.3 5 Siehe http://zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/1553 682/Die-Ausstellung-Roads-of-Arabia#/beitrag/vi- 2 Vgl. z.B. „Was Aufklärung in China bedeutet“, FAZ deo/1553682/Die-Ausstellung-Roads-of-Arabia, auf- 01.04.2011; „Aufklärung in Marmor“, FAZ 05.04.2011; gerufen am 08.08.2012. „Aufklärung als höchste Kunst“, SZ 07.04.2011, http://sueddeutsche.de/kultur/china-nach-der-festnah- 6 Neben den bereits erwähnten Beiträgen wird das Für me-von-ai-weiwei-wo-aufklaerung-hoechste-kunst- und Wider mit ähnlichen Argumenten beispielsweise ist-1.1082189, aufgerufen am 03.04.2013. in folgenden Zeitungskommentaren erörtert: „Gehen oder bleiben?“, Tagesspiegel 05.04.2011, http://ta- 3 Vgl. „Die verkaufte Olympia-Ausstellung“, Zeit-On- gesspiegel.de/kultur/nach-der-verhaftung-von-ai-wei- line 14.02.2012, http://zeit.de/sport/2012-02/gropi- wei-gehen-oder-bleiben/4028250.html, aufgerufen am us-olympia-ausstellung-sievernich, aufgerufen am 22.04.2013; „Gesicht gewinnen. Der Dialog mit China 03.04.2013; „Gropius-Museum verzichtet auf das mo- muss auf Augenhöhre geführt werden, nicht mit Ko- derne Olympia“, Zeit-Online 10.05.2012, http://zeit. tau“, Tagesspiegel 15.04.2011, http://tagesspiegel.de/ de/sport/2012-05/gropius-bau-olympia-katar, aufgeru- kultur/gesicht-gewinnen/4067598.html, aufgerufen fen am 03.04.2013. am 22.04.2013.

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Beide Sichtweisen haben ihre Berechtigung, und Vergabe von Forschungsvisa nur auf der Grundlage die tatsächlichen Auswirkungen der kulturellen Zu- von Einladungen hochrangiger wissenschaftlicher sammenarbeit lassen sich nicht messen, geschweige Einrichtungen) kann schnell der wissenschaftliche denn im Voraus abschätzen. Die beteiligten Wissen- Austausch auf dem Spiel stehen. Selbst Projekte schaftlerinnen, Kuratoren und Ausstellungsorgani- von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die satorinnen und -organisatoren stehen darum häu- nicht unmittelbar mit dem Vorfall oder der Ausstel- fig vor einem Dilemma. Dieser Artikel kann keine lung zu tun hatten, sind potentiell gefährdet. Von pauschale Antwort auf die Eingangsfrage geben und einem Abbruch dieser Beziehungen und der auf aka- das Dilemma nicht lösen. Der Nutzen einer wissen- demischem Austausch basierenden Forschungspro- schaftlichen oder kulturellen Zusammenarbeit mit jekte hätte niemand etwas gewonnen. den Behörden eines autokratisch regierten Staates muss in jedem Einzelfall gegen die Bedenken und So habe ich in Absprache mit Autor A. darauf ver- Gefahren abgewogen werden. Eine Auseinanderset- zichtet, den Vorfall vor oder während der Ausstel- zung mit den Schwierigkeiten und Interessenkon- lung an die Öffentlichkeit zu tragen, um nicht unnö- flikten, die im Zuge der Vorbereitung der Berliner tig zu provozieren,. Aus demselben Grund sehen wir Ausstellung „Roads of Arabia“ auftraten, kann das von einer Veröffentlichung des zensierten Beitrags in Bewusstsein für die Probleme einer solchen Koope- dieser Zeitschrift bis auf weiteres ab. Ich bedaure, ration stärken. Da sich der Interessenkonflikt wie so dass dem Leser/der Leserin dadurch die Möglichkeit oft erst im Nachhinein klar abzeichnete, richtet sich verwehrt bleibt, sich ein vollständiges Bild davon zu die Diskussion der involvierten Positionen auf po- machen, welche Äußerungen und Formulierungen tentielle zukünftige Kooperationen – nicht mit dem das Missfallen der saudischen Antikenbehörde erregt Anliegen, vergleichbare Projekte künftig prinzipiell haben. abzulehnen, sondern mit dem Ziel, auf ähnliche Pro- Meine Auslassungen sind nicht als ausgewogene bleme besser vorbereitet zu sein. Ausstellungsrezension zu verstehen. Im Schlaglicht Den Vorfall zu dokumentieren erscheint mir not- der Kritik treten die Probleme in den Vordergrund, wendig, um die Bedingungen der archäologischen während die positiven Aspekte ins Hintertreffen ge- Wissensproduktion und -vermittlung zu reflektieren raten. Viel zu kurz kommt die Anerkennung der Ar- und offenzulegen. Die Überraschung der Betroffe- beit des Kuratoren-Teams, das eine in jeder Hinsicht nen – mich selbst inbegriffen – in Anbetracht des ansprechende und beeindruckende Ausstellung or- zensorischen Eingriffs beruht nicht zuletzt auf einer ganisiert und gestaltet hat. Die vielen kleineren und fehlenden vorangehenden Auseinandersetzung mit größeren Schritte, die die saudische Antikenbehörde den politischen Interessen, die die archäologische hinsichtlich der Darstellung der Landesgeschichte Leistungsschau motivierten. Der Artikel soll in Er- im Rahmen der Schau erstmals gewagt hat, werden innerung rufen, dass auch eine Ausstellung, in der nur kursorisch erwähnt. Ohne die Verdienste der es vordergründig nur um neolitische Speerspitzen, Ausstellung schmälern zu wollen, werden im Fol- früharabische Inschriften und antike Handelswege genden die unterschiedlichen politischen Facetten zu gehen scheint, eine ausgeprägte politische Di- des musealen Großereignisses beleuchtet und die da- mension besitzt und eindeutige politische Anliegen mit verbundenen Schwierigkeiten aufgezeigt. verfolgen kann.

Der Inhalt des vorliegenden Essays ist selbst ein III. Interessen im Konflikt Kompromiss zwischen unterschiedlichen Positionen zu den Grenzen der Kooperation. Dem Bestreben, Die Vorbereitungen zur Berliner „Roads of Ara- einen politischen Eingriff in die freie Wissenschaft bia“ Ausstellung begannen im Herbst 2010, nach- – die Zensur eines Beitrags für den Ausstellungs- dem der Grundbestandteil der Exponate vom 12. katalog – publik zu machen, stand die berechtigte Juli bis 27. September 2010 im Pariser Louvre zu Sorge um die Fortsetzung der wissenschaftlichen sehen war. Die Ausstellung brach erstmals mit der Zusammenarbeit mit saudischen Partnern entge- in Saudi-Arabien gelehrten Unterteilung in ein prä- gen. Angesichts ohnehin schon schwieriger Einrei- islamisches Zeitalter der Dunkelheit und Ignoranz sebedingungen für Saudi-Arabien (keine Vergabe (jahiliyya) und die Zeit seit der Entstehung des Is- von Touristenvisa abgesehen von der Pilgerfahrt, lam, der alles besser werden ließ. Erstmals boten

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sich Einblicke in die Einbindung der meist als öde Kulturerbe wurde eine zweistündige Vortrags- und Peripherie behandelten Halbinsel in die überregiona- Diskussionsrunde mit geladenen Referentinnen und len Handelsnetzwerke und Kulturhorizonte. Auf der Referenten gewidmet – bei einer Konferenzlänge Seite des Berliner Museums und seiner Kooperati- von zwei Tagen besaß es nur marginalen Charakter. onspartner wurde die Chance gesehen, eine in ihrer Die Idee, die Ausstellung zur Verbesserung der Wirt- Art einmalige Ausstellung nach Berlin zu holen, den schaftskontakte zu nutzen, existierte nicht allein sei- wissenschaftlichen Austausch und den im Ausstel- tens der deutschen Institutionen. Der Präsident der lungskonzept verankerten Paradigmenwechsel in der saudischen Generalbehörde für Tourismus und Al- offiziellen saudischen Geschichtsschreibung zu för- tertümer, Prinz Sultan bin Salman bin Abdulaziz Al dern und der Öffentlichkeit hierzulande bislang un- Saud, wies in seinem Vortrag auf der Eröffnungsfei- bekannte Aspekte aus der Geschichte der arabischen er wiederholt darauf hin, dass es in Saudi-Arabien, Halbinsel zu präsentieren. Die Ausstellung rückte wie die Ausstellung zeige, nicht nur Sand und Erd- das ferne Land näher an Ägypten, Griechenland, öl gebe. Es sei aber kein Geheimnis, dass Sand und Rom – und somit näher an Europa. Erdöl reichlich vorhanden seien. Ein Wink mit dem Zaunpfahl aus dem Land mit dem vielen Geld für die Die Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten für Hauptstadt der Exportnation Deutschland, mit dem die Ausstellung im Berliner Museum für Islamische der Redner implizierte, dass deutsche Unternehmen Kunst gestaltete sich als schwierig, da der erhoffte und Technologie aus Deutschland beim Ausbau der Geldsegen aus der saudischen Staatskasse ausblieb. Infrastruktur in Saudi-Arabien willkommen seien. Mittelfristig drohte das Projekt zu scheitern. Schließ- lich konntenMitteln der Stiftung Deutsche Klassen- Nichts an diesem Geschehen ist ungewöhnlich lotterie, diverser privater saudischer und deutscher oder illegitim, weder das Konferenzthema, das, ab- Sponsoren sowie des saudischen Außenministeri- gesehen vom Titel, kaum etwas mit der Ausstellung ums für die Schau gewonnen werden. Am 25. Januar zu tun hatte, noch die Nutzung des kulturellen Events 2012 fand die Eröffnung statt, nur wenige Monate für handelsstrategische Werbezwecke. Die Abhän- später als anfänglich geplant. Hinter diesem Gelin- gigkeit des Kulturbetriebs von privatwirtschaftlichen gen stand der unermüdliche Einsatz der Berliner Sponsoren erscheint heutzutage wie eine Selbstver- Museumsleitung sowie saudischer und deutscher Di- ständlichkeit. Gerade weil die Verbindung von Kul- plomaten. Die politische Bedeutung, die der Ausstel- turveranstaltungen mit Wirtschaftsinteressen in der lung beigemessen wurde, kann unter anderem an der Regel unhinterfragt akzeptiert wird, lohnt es, daran Schirmherrschaft abgelesen werden, die gemeinsam zu erinnern, dass eine Archäologie-Ausstellung öko- vom damaligen deutschen Bundespräsidenten Chris- nomischen Akteuren – von Unternehmen bis hin zu tian Wulff und dem saudischen König Abdullah bin Volkswirtschaften – eine Bühne zur Profilierung bie- Abdulaziz übernommen wurde. tet. Es ist nicht gleichgültig, wem auf dieser Bühne ein Platz eingeräumt wird. Die Stabilität des saudi- Durch die Notwendigkeit, Gelder aus der Pri- schen Regimes hängt, wie häufig festgestellt wird, vatwirtschaft einwerben zu müssen, traten zu den nicht zuletzt von der wirtschaftlichen Prosperität ab musealen, bildungspolitischen und kulturdiplomati- (vgl. z.B. Champion 2003; Hertog 2006, 2010). Be- schen Interessen andere Interessenlagen der Spon- reits seit Ende der 1990er Jahre verfolgt die saudische soren hinzu. Dies machte sich in der Planung der Regierung erfolgreich den Ausbau des Privatsektors, Begleitkonferenz mit dem Titel „Roads to Arabia“ um das Land aus der Abhängigkeit vom Weltmarkt- bemerkbar. Organisiert vom Berliner Senat, diente preis für Erdöl zu befreien (vgl. Fürtig 2007). Die die Konferenz zum Thema Infrastruktur mit Panels Förderung von Wirtschaftskontakten muss als Teil zur Gesundheitsversorgung und zum Städtebau aus- der politischen Strategie betrachtet werden, den drücklich dazu, eine Plattform für Berliner Unter- Staat für Zeiten niedriger Erdölpreise bzw. sinkender nehmen und Dienstleistungsanbieter zu schaffen, Erdölreserven krisenfester zu gestalten. um nach Möglichkeit lukrative Aufträge im Land des schwarzen Goldes zu erhalten.7 Dem Thema Der Vertrag zwischen den beiden Ausstellungs- veranstaltern, dem Museum für Islamische Kunst 7 Vgl. „Saudis locken den Berliner Mittelstand“, Tages- der Staatlichen Museen zu Berlin und der saudi- spiegel 13.03.2012, http://tagesspiegel.de/wirtschaft/ schen Generalbehörde für Tourismus und Altertümer partner-gesucht-saudis-locken-den-berliner-mittel- in Riad beinhaltete, dass die Publikation sämtlicher stand/6318962.html, aufgerufen am 03.04.2013.

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Texte, die im Rahmen der Ausstellung zum Zweck blieben. Ganze Absätze waren gestrichen und sogar der Wissensvermittlung produziert wurden, das Ein- ein Zitat aus einer Primärquelle war umgeschrieben verständnis beider Vertragspartner benötigt. Dies worden. Der Zensor rechtfertigte sein Vorgehen ge- bezog sich insbesondere auf die Beiträge für den Be- genüber Autor A. damit, Fehler korrigieren und den gleitband und die Erläuterungen auf den Wandtafeln Text einem Laienpublikum leichter zugänglich ma- der Ausstellungsräume. In der Umsetzung bedeutete chen zu wollen. Unter diesem Vorwand ersetzte er diese Regelung, dass alle Katalog- und Ausstellungs- die Außensicht auf die Geschichte und Gegenwart texte in englischer Übersetzung der saudischen Anti- des Landes durch das offizielle Geschichtsbild der kenbehörde zur Prüfung vorgelegt werden mussten. saudischen Monarchen. Der Staatsgründungsprozess Geprüft wurde, so ist aus dem hier geschilderten wurde im Zuge der Zensur als Wiederherstellung Vorfall zu schließen, ob die Inhalte im Einklang mit einer natürlichen Ordnung dargestellt, die vorange- den Interessen des saudischen Staates stehen. Umge- henden Kriegszüge Abdulaziz ibn Sauds als unver- kehrt wurden auch die Texte saudischer Autoren den meidliches Mittel zur Durchsetzung eines legitimen deutschen Mitherausgebern vorgelegt und zum Teil Zwecks. Einzelheiten gewaltsamer Auseinanderset- erheblich redigiert. zungen wurden gestrichen. Der Begriff „schiitischer Glaube“ wurde durch „religiöse Neuerungen“ ersetzt Man kann den Verantwortlichen in den Staatli- – eine für Muslime stark abwertende Bezeichnung, chen Museen zu Berlin die Frage stellen, ob die Au- die die Abkehr (bid’a) vom rechten Glauben impli- torinnen und Autoren auf den vollen Umfang dieser ziert. Jegliche im ursprünglichen Text erwähnten Abmachung hingewiesen wurden bzw. warum diese Streitigkeiten innerhalb der saudischen Königsfami- Bedingung überhaupt akzeptiert wurde. Man kann lie (z.B. der Machtkampf zwischen König Saud bin genauso den Autorinnen und Autoren, die zumindest Abdulaziz und seinem Bruder Faysal) oder Formen mündlich, wenngleich eher beiläufig, von der Re- von Widerstand der Bevölkerung gegen die sau- gelung erfuhren, vorwerfen, sich auf die ausgehan- dische Regierung (z.B. die Ermordung von König delten Bedingung eingelassen zu haben. Tatsächlich Faysal im Jahr 1975 oder die Besetzung der Großen rechnete wohl kaum jemand damit, dass von dem Moschee in Mekka durch islamistische Oppositio- „Zensurrecht“ Gebrauch gemacht werden würde – nelle im Jahr 1979) wurden gelöscht. schließlich ging es vornehmlich um, wie es scheint, politisch unbedenkliche Steinwerkzeuge, antike In- Für Autor A. kam es nicht in Frage, den eigenen schriften und Karawanenrouten. Außerdem ist es Namen unter die Modifikationen zu setzen. Er/Sie nicht ungewöhnlich, dass dem Mitherausgeber eines hätte damit die eigene wissenschaftliche Seriosität Sammelbandes die Textbeiträge vorgelegt werden. und Integrität aufs Spiel gesetzt. Der Vorschlag, so- Entscheidend ist vielmehr, wie mit dem Mitbestim- wohl den Text von Autor A. als auch den des sau- mungsrecht über die Textauswahl umgegangen wird, dischen Historikers als zwei unterschiedliche Sicht- das heißt, ob es bei einem formellen Verfahren bleibt weisen auf die Landesgeschichte im selben Band zu oder ob und nach welchen Kriterien in die Aussagen veröffentlichen, wurde von der saudischen Antiken- der Texte eingegriffen wird. behörde abgelehnt. Zeit für lange Verhandlungen war nicht vorhanden, so dass die HerausgeberInnen Sechs Wochen vor dem Eröffnungstermin und im Berliner Museum sich gezwungen sahen, die Vor- nur wenige Tage vor dem finalen Abgabetermin der gaben zu akzeptieren, um die Veröffentlichung und Katalogtexte teilte die saudische Antikenbehörde die Zusammenarbeit nicht zu gefährden. Es steht mit, dass der Katalogtext zur jüngeren saudischen nicht in meinem Ermessen zu beurteilen, ob der Ver- Geschichte nicht erscheinen dürfe. Stattdessen sollte handlungsspielraum vollständig ausgeschöpft wur- ein Aufsatz zum Staatsbildungsprozess aus der Hand de. Dieser war sicherlich eingeschränkt durch die be- eines saudischen Historikers und Leiters einer staat- rechtigte Sorge des Museums für Islamische Kunst, lichen Behörde abgedruckt werden. Der Verfasser/ die Veranstaltung könne noch kurzfristig abgesagt die Verfasserin des betroffenen Textes forderte die werden. Es geschieht in Saudi-Arabien oft, dass saudische Antikenbehörde auf, Änderungsvorschlä- von langer Hand geplante Großereignisse kurz vor ge anzubieten, um den Artikel gegebenenfalls in Veranstaltungsbeginn auf Geheiß der Regierung ver- modifizierter Form abzudrucken. In der Version des hindert werden. So musste zum Beispiel das jährlich Textes, den der saudische Zensor daraufhin als Kom- stattfindende Jeddah Economic Forum im Jahr 2009 promiss vorlegte, war kaum ein Satz unverändert ge- kurzfristig abgesagt werden. Es ist nachvollziehbar,

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dass das Museum ein solches Risiko zu diesem Zeit- Weg hin zum heutigen Staat, der – wie viele andere punkt nicht eingehen wollte. Staatsbildungsprozesse – über gewaltsame Konflik- te und blutige Auseinandersetzungen führte, wurde Spekulationen, ob die Zensur durch ein anderes ausgeklammert. Die bis in die Gegenwart reichende Vorgehen hätte abgewendet werden können, sind Herrschaft der saudischen Königsfamilie wurde als meines Erachtens wenig sinnvoll. Entscheidend sind selbstverständliche Tatsache dargestellt, die ebenso vielmehr die Implikationen, die sich aus dem Vorfall unwiderruflich erscheinen sollte wie die zivilisati- ergeben, sowie die Frage, was daraus für zukünftige onsgeschichtliche Abfolge von der Steinzeit zu den Kooperationen gelernt werden kann. An dieser An- frühen Staatsformen. wendung von Zensur wird deutlich, dass Saudi-Ara- bien mit der Ausstellung mehr als nur Imagepflege Der zensierte Aufsatz endete mit der Frage nach im westlichen Ausland betreiben wollte. Ein kriti- der zukünftigen Herrschaftslegitimität der saudi- scher Blick auf den Staatsbildungsprozess wurde zu- schen Königsfamilie. Autor A. knüpfte diese an die gunsten einer Glorifizierung des Staatsgründers und Reformbereitschaft des Regimes: eines Lobliedes auf dessen als Vereinigungsprozess In terms of foreign policy, the changed situa- (Al-Simari 2011: 286) beschriebenen Eroberungszug tion in the Middle East brought about by the verhindert. Damit verfolgte das Ausstellungsprojekt ‘Arab spring’ also means that Saudi Arabia’s ein geschichtspolitisches Ziel von hoher Relevanz role in the region must be readjusted. As such, für die Gegenwart, nämlich die Herrschaftslegitimie- a decisive factor will be whether Ibn Sa‘ud’s rung des saudischen Königshauses. Diese zielte zu heirs succeed in continuing the cautious re- form process in the coming years and reconci- einem großen Anteil auf ein saudisches Publikum ab, ling the conflicting interests. denn im Laufe der Vorbereitungen für die Ausstel- lung entschied die saudische Antikenbehörde, dass Dieser Absatz wurde – neben einigen weiteren 1000 Exemplare des englischsprachigen Katalogs in Passagen – vom Zensor ersatzlos gestrichen. In An- Saudi-Arabien verbreitet werden sollten. Vermutlich betracht der politischen Umbrüche in anderen ara- achteten die Zensoren vor dem Hintergrund dieser bischen Ländern – Tunesien, Ägypten, Libyen und Entscheidung besonders sorgfältig auf den Inhalt der Syrien – sieht sich auch das saudische Regime auf Katalogtexte. dem Prüfstand. Deutlich zeichnete sich die Angst des Herrscherhauses vor einem Übergreifen der Es ist nicht auf den ersten Blick ersichtlich, war- arabischen Protestbewegung auf die Bevölkerung um überhaupt in die Landesgeschichte, die die Aus- im eigenen Land an den Reaktionen auf Demonst- stellung anhand archäologischer Objekte erzählte, rationsaufrufe im März 2011 ab. Am Freitag, den die Familiengeschichte des Herrscherhauses einge- 11. März, für den landesweite Proteste angekündigt flochten wurde. Das Thema der Staatsgründung füg- waren, wurden kaum Demonstranten gesichtet, doch te sich alles andere als glatt in die Ausstellung. Selbst der Staat stellte in den Zentren der Großstädte eine wenn die ausgestellten Exponate zu diesem Kapitel massive Polizeipräsenz zur Schau. Das Ausbleiben – Schwert, Mantel und Porträt des Staatsgründers der Massenproteste hielt König Abdullah nicht da- und ersten Königs Abdulaziz ibn Saud sowie eine für von ab, eine Woche später, am 18. März 2011, in die Eroberung des Landes bedeutsame Holztür – als einer Fernsehansprache Gehaltserhöhungen in Mil- archäologische Objekte bezeichnet werden können, liardenhöhe für alle Beschäftigten des Öffentlichen setzten sie keinesfalls die Erzählung von Handels- Dienstes zu versprechen, um Kritik am bestehenden straßen, Transportwegen, Pilgerrouten und Pfaden Herrschaftssystem zuvor zu kommen. kulturellen Austauschs auf der arabischen Halbinsel fort (zur Bedeutung der genannten Objekte für die Die Regierung Saudi-Arabiens unterbindet nicht offizielle saudische Historiographie siehe al-Ras- erst seit den Revolten in den Nachbarländern öffent- heed 2004: 189-192). Ohne Zweifel begann mit der liche Äußerungen, die die Legitimität der saudischen Eroberung weiter Teile der Halbinsel durch die Trup- Herrschaft in Frage stellen (vgl. Hagmann 2010; Ma- pen Abdulaziz ibn Sauds ein wichtiger neuer Ab- neval 2010). Repressalien gegen Journalistinnen und schnitt in der Geschichte des Landes. Doch an Stelle Journalisten sorgen für ein hohes Maß an Selbstzen- einer kritischen Auseinandersetzung mit dieser Ge- sur, Internetseiten mit regierungskritischen Inhalten schichte erfolgte die Apotheose des Staatsgründers, werden von einer dem Innenministerium unterstell- dessen Söhne bis heute die Thronfolger stellen. Der ten Zensurbehörde gesperrt (siehe hierzu den Inter-

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netauftritt der Zensurbehörde http://internet.gov.sa/ Gründung des Islam durch den Propheten Muham- learn-the-web/guides/content-filtering-in-saudi-ara- mad (vgl. auch Straßmaier 2012: 56 f.). Die präch- bia). Die Nervosität der saudischen Regierung seit tigen Exponate der Ausstellung und die publizierten Beginn der arabischen Protestbewegung führte zu Texte unterstützten diese Sichtweise in keiner Weise, einer verstärkten Einschränkung der Meinungsfrei- sondern gestatteten einen anderen Blick auf diese heit. Regimekritiker wurden vermehrt verhaftet, die Epochen. Der tolerantere Umgang mit diesen Kapi- Ausreisebedingungen für saudische Intellektuelle teln in der Geschichte der arabischen Halbinsel ist erschwert und zahlreiche Kulturveranstaltungen der ebenso als politisches Signal zu verstehen wie der europäischen Auslandsvertretungen in Saudi-Arabi- zensorische Eingriff. In Hinblick auf die entferntere en verboten. Möglicherweise wäre der Aufsatz für Vergangenheit ließ der saudische Staat erstmals ein den Ausstellungskatalog auch vor dem so genannten pluralistisches Geschichtsbild zu – was die Herr- „Arabischen Frühling“ zensiert worden. Doch die er- scherdynastie der Al Saud betrifft, ist dies weiterhin höhte Wachsamkeit des Regimes steigerte zumindest Tabu. die Wahrscheinlichkeit eines derartigen Eingriffs. In- dem die saudische Antikenbehörde sich nicht damit Das Problem des Vorfalls besteht folglich nicht begnügte, den Katalogbeitrag aus der Publikation darin, dass ein politisch neutraler Artikel gegen ei- auszuschließen, sondern auf dem Ersatz aus saudi- nen tendenziösen ausgetauscht wurde, sondern dass scher Feder beharrte, untermauerte sie gezielt den die Zensur die freie Meinungsäußerung verhinderte Herrschaftsanspruch des Königshauses. und die Behörde eines autoritären Staates ihre Macht dazu nutzte, durch eine Selektion von Informati- Diese Feststellung bedeutet nicht, das Vorgehen onen die Meinungsbildung über ebendiesen Staat der saudischen Antikenbehörde sei ein politischer im In- und Ausland zu beeinflussen. Das Erschei- Eingriff in eine politisch neutrale Sphäre objektiver nen des Ersatz-Artikels in einer wissenschaftlichen Wissensproduktion gewesen. Der Blick jeder Histo- Publikation im westlichen Ausland, herausgegeben rikerin und jedes Archäologen auf ihr/sein Untersu- von einer international renommierten Institution chungsmaterial ist geprägt von bestimmten Wertvor- wie den Staatlichen Museen zu Berlin, steigerte die stellungen. Die Meinung eines Autors/einer Autorin Glaubwürdigkeit dieser selektiven Darstellung der zu politischen Ereignissen oder historischen Sach- Landesgeschichte (von ähnlichen Fällen berichtet verhalten fließt unweigerlich auf mehr oder weniger al-Rasheed 2004: 192). Die Selbstdarstellung der offensichtliche Weise in die Textproduktion ein. Der Autokraten erhielt einen seriösen wissenschaftlichen ursprünglich vorgesehene Beitrag war nicht weniger Anstrich. politisch als der abgedruckte Aufsatz des saudischen Historikers. Das geht eindeutig aus den wenigen zi- tierten Zeilen hervor. Als Prognose formuliert, lässt IV. Fazit sich aus der Einschätzung zur zukünftigen Stellung Saudi-Arabiens im Nahen Osten unmissverständlich Es ist deutlich geworden, dass das Zustandekom- die Forderung nach politischen Reformen herausle- men und die Vermittlung von Inhalten der Berliner sen. Selbst die Tatsache, dass die Zensoren keinen „Roads of Arabia“ Ausstellung bei Weitem nicht nur anderen eingereichten Aufsatz beanstandeten, be- von musealen und wissenschaftlichen Interessen ge- deutet nicht, dass die Behandlung antiker Perioden leitet waren. Als Beispiel für eine Verknüpfung des und Objekte keine politische Dimension besitze. Im kulturellen Ereignisses mit anderen Zwecken wurde Gegenteil stellt der Umgang mit der präislamischen die Verfolgung markt- und volkswirtschaftlicher In- Geschichte beziehungsweise mit der Zeit vor der teressen angesprochen, die sich bei der Eröffnungs- Gründung des saudischen Königreichs im Rahmen feier und der Begleitkonferenz abzeichnete. Wenn- der Ausstellung einen signifikanten geschichtspo- gleich die Abhängigkeit von privatwirtschaftlichen litischen Wandel dar. Wie die Historikerin Madawi Sponsoren zum Alltag des Kulturbetriebs gehört und al-Rasheed (2004: 184) in ihrem Aufsatz zur Histo- die angeführten Beispiele alles andere als außerge- riographie in Saudi-Arabien gezeigt hat, vermittelte wöhnlich sind, ist es wichtig, diese Verflechtung zu die offizielle saudische Geschichtsschreibung bis- reflektieren. Denn die Pflege von Wirtschaftskon- lang ausnahmslos das Bild, dass vor der Staatsgrün- takten dient der ökonomischen Stabilität, und diese dung durch Abdulaziz ibn Saud Chaos und Ignoranz gilt – sicherlich nicht nur im Fall von Saudi-Arabien im Land geherrscht hätten – analog zur Zeit vor der

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– als wichtiger Pfeiler für die Regimestabilität (vgl. zen, bekam der Faktor der Herrschaftslegitimierung u.a. Champion 2003; Perthes/Glosemeyer 2003; plötzlich unerwünschtes Gewicht. Hertog 2006, 2010). So lautet eine Schlussfolgerung, die aus dem Vor- Durch die Zensur des Katalogbeitrags traten die fall zu ziehen ist, dass eine unvorhergesehene Ver- politischen Ziele, die der saudische Staat mit der schiebung der Parameter bei der Gratwanderung der Ausstellung verfolgte, offen zu Tage. Es reicht mei- kulturellen und wissenschaftlichen Zusammenarbeit ner Meinung nach nicht aus, den Vorfall als Verhin- mit autoritären Staaten eine besonders hohe politi- derung einer kritischen Sichtweise auf die Landesge- sche Brisanz besitzt. Der systemreformierende As- schichte zu bewerten. Der Austausch des zensierten pekt, der die Kooperation rechtfertigt, kann schnell Artikels durch einen regierungskonformen Text so- vom Zweck des Machterhalts überschattet werden, wie der Themenraum zum Staatsgründer Abdulaziz wenn im Verlauf der Zusammenarbeit eine unerwar- ibn Saud zeugen von der Absicht, mithilfe einer tete Wendung eintritt. ausschnitthaften Darstellung der saudischen Vergan- genheit die Machtverhältnisse in der Gegenwart zu Wie können sich Forschungs- und Kulturinsti- legitimieren und zu zementieren. Das kann und darf tutionen auf unvorhersehbare Änderungen der Be- kein wissenschaftlicher Anspruch sein. dingungen vorbereiten, ohne von Grund auf jede Kooperation mit Institutionen autoritärer Staaten ab- Das Problem bei der Zensur des Katalogbeitrags zulehnen? Wie sind die Grenzen der Abhängigkeit, besteht meiner Meinung nach nicht darin, dass ein die jede Zusammenarbeit dieser Art mit sich führt, wissenschaftlicher Aufsatz gegen einen politischen zu bestimmen? Derzeit liegt die Beurteilung, welche ausgetauscht wurde. Es gibt keine politisch neutrale Kompromisse vertretbar sind, in den Händen indi- Geschichtschreibung beziehungsweise Archäologie. vidueller Entscheidungsträger: Beim Führungsper- Das Problem besteht in der Verhinderung einer po- sonal von Forschungseinrichtungen und kulturellen litischen Meinungsäußerung und im Ausschluss von Institutionen, bei Projektleiterinnen, einzelnen Wis- bestimmten Informationen aus der Publikation – In- senschaftlern und Mitgliedern von Forschungsgrup- formationen, die dazu geeignet erschienen, die Legi- pen. In dieser Situation erscheint es angebracht, sich timität der saudischen Monarchie in Frage zu stellen. auf institutioneller Ebene über die publikations- und forschungsethischen Bedingungen solcher Koopera- Es ist mir wichtig zu betonen, dass der vorliegen- tionen zu verständigen. Es ist wünschenswert, dass de Essay nicht als einseitiges Plädoyer gegen die ein Erfahrungsaustausch zwischen betroffenen Kul- wissenschaftliche Zusammenarbeit mit autoritären tur- und Forschungseinrichtungen und Wissenschaft- Staaten wie Saudi-Arabien zu lesen ist. Die Legitimi- lerInnen initiiert wird, um die Notwendigkeit und tät einer Kooperation muss einerseits bemessen wer- die Möglichkeiten zu erörtern, der Kompromissbe- den an den Möglichkeiten, die bestehenden Grenzen reitschaft gegenüber den Behörden eines autoritären dessen, was gesagt werden darf, auszuweiten und Staates Grenzen zu setzen. Idealerweise würde aus andererseits am Beitrag des Projekts zur Festigung einem solchen Austausch ein öffentlich zugängliches der existierenden Machtverhältnisse. Dass sich ein Richtlinienpapier oder eine Selbstverpflichtungser- autoritäres Regime, das seinen Machtanspruch in klärung hervorgehen. Richtlinien dieser Art würden Frage gestellt sieht, mitunter durch die Ausweitung den betroffenen Einrichtungen, Wissenschaftlerin- der Grenzen der Äußerungsfreiheit höhere Überle- nen und anderen Verantwortlichen nicht nur helfen, benschancen erhofft, gestaltet die Einschätzung der Entscheidungen zu treffen und öffentlich zu recht- progressiven Wirkung einer Kulturveranstaltung fertigen, sondern auch in Verhandlungen mit auslän- nicht gerade einfacher. Das Spannungsfeld zwi- dischen Kooperationspartnern Rückhalt verschaffen. schen Machterhalt und Regimeveränderung, in dem Die Chancen, einen unerwünschnten politischen sich die Ausstellung „Roads of Arabia“ bewegte, Eingriff in den Inhalt einer Gemeinschaftspublikati- verschob sich im Laufe der Vorbereitungen gravie- on verhindern zu können, würden steigen durch den rend. Indem der saudische Mitherausgeber kurz vor Verweis auf ein Richtlinienwerk, das die Zustim- Redaktionsschluss sein Recht auf Mitbestimmung mung hierzu untersagt. über den Kataloginhalt dazu nutzte, einen Beitrag aus offenkundig politischen Gründen zu verhindern bzw. durch einen propagandistischen Text zu erset-

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Danksagung en. Ein Königreich im Wandel? Paderborn: Ferdinand Schöningh, S. 61-87. Ich danke Stephan Frielinghaus, Lars Ostermeier und Benedikt Ponzen für ihre Unterstützung und ihre Perthes, Volker und Iris Glosemeyer. 2003. Refor- kritischen Kommentare. men gegen den Terror? Bestandsaufnahme in Saudi-Arabien. SWP-Aktuell 48.

al-Rasheed, Madawi. 2002. A History of Saudi Ara- Literatur bia. Cambridge: Cambridge University Press. Champion, Daryl. 2003. The Paradoxical Kingdom. Saudi Arabia and the Momentum of Reform. al-Rasheed, Madawi. 2004. The Capture of Riyadh New York: Columbia University Press. Revisited: Shaping Historical Imagination in Saudi Arabia. In Madawi al-Rasheed und Commins, David. 2006. The Wahhabi Mission and Robert Vitalis, Hrsg.: Counter-narratives: Saudi Arabia. London/New York: I.B. Tau- History, Contemporary Society, and Poli- ris. tics in Saudi Arabia and Yemen. New York: Franke, Ute, Ali Al-Ghabban, Joachim Gierlichs und Palgrave Macmillan, S. 183-200. Stefan Weber, Hrsg. 2011. Roads of Arabia: Al-Simari, Fahd A. 2011. Die Anfänge des König- Archäologische Schätze aus Saudi-Arabien. reiches Saudi-Arabien. In Ute Franke et al., Tübingen: Wasmuth Verlag. Hrsg. S. 282-287. Fürtig, Henner. 2007. Reformkampagne in Sau- Steinberg, Guido. 2002. Religion und Staat in Sau- di-Arabien: Brise oder Sturm? GIGA-Focus di-Arabien: Eine Sozialgeschichte der wah- Nahost 11. habitischen Gelehrten 1912-1953. Würz- Al-Ghabban, Ali Ibrahim, Béatrice André-Salvini, burg: Ergon Verlag. Françoise Demange, Carine Juvin und Ma- Steinberg, Guido. 2004. Saudi-Arabien: Politik, Ge- rianne Cotty, Hrsg. 2010. Roads of Arabia: schichte, Religion. München: C.H. Beck Archaeology and History of the Kingdom of Verlag. Saudi Arabia. Paris: Somogy éditions d‘art. Straßmaier, Christine. 2012. Die Macht des Wortes. Hagmann, Jannis. 2010. Medienkontrolle durch Der Kampf der Saud-Familie um Legitimi- Medienbesitz? Presse, Rundfunk und Inter- tät. INAMO 72: 55-59. net in Saudi. In Ulrike Freitag, Hrsg.: Sau- di-Arabien. Ein Königreich im Wandel? Pa- Vassiliev, Alexei. 2000. The History of Saudi Arabia. derborn: Ferdinand Schöningh, S. 107-134. London: Saqi Books.

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Maneval, Stefan. 2010. Die liberale Reformbewe- gung in Saudi-Arabien. Analyse und Über- setzung der Reformpetition vom 2. Februar 2007. In Ulrike Freitag, Hrsg.: Saudi-Arabi-

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Archäologie, Politik und Zensur im Zusammenhang mit der Ausstellung ‘Roads of Arabia‘

Dominik Bonatz

Institut für Vorderasiatische Archäologie, Freie Universität Berlin

Zitiervorschlag Dominik Bonatz. 2014. Archäologie, Politik und Zensur im Zusammenhang mit der Ausstellung ‘Roads of Arabia‘. Forum Kritische Archäologie 3: 11-12.

URI http://www.kritischearchaeologie.de/repositorium/fka/2014_3_02_Bonatz.pdf

DOI 10.6105/journal.fka.2014.3.2

ISSN 2194-346X

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Archäologie, Politik und Zensur im Zusammenhang mit der Ausstellung ‘Roads of Arabia‘

Dominik Bonatz

Institut für Vorderasiatische Archäologie, Freie Universität Berlin

Der Autor demonstriert wissenschaftliche Coura- sendes Hintergrundwissen, dass sich interessierten ge, indem er mit seinem Artikel „Niemand hat die Laien nicht anders als das verbürgte Wissen über Absicht, einen Aufsatz zu zensieren“ öffentlich Kri- eine Region, ein Land, seine Kultur und Geschichte tik an der Zensur eines im Rahmen der Ausstellung darbietet. „Roads of Arabia. Archäologische Schätze aus Sau- di-Arabien“ geplanten Katalogbeitrages übt. Der Wer aber verfügt über das Wissen, Ausstellungs- Katalog erschien als Begleitbuch zu der im Museum texte zu produzieren und wer kontrolliert deren In- für Islamische Kunst in Berlin im Frühjahr 2012 ge- halt? Anders als in fachwissenschaftlichen Kreisen zeigten Ausstellung. Mitherausgeber war die Saudi- sind die AutorInnen von Ausstellungskatalogen in sche Generalbehörde für Tourismus und Altertümer, der Regel der Öffentlichkeit unbekannte Persönlich- die kurz vor Drucklegung des Kataloges ihr Einver- keiten. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Käu- ständnis zur Publikation eines Beitrages über den ferInnen des Katalogs ‘Roads of Arabia“ dem Beitrag Staatenbildungsprozess und die jüngere Geschichte zur jüngsten Geschichte Saudi-Arabiens misstrauen, Saudi-Arabiens entzog. Der Aufsatz hätte histori- nur weil er von einem saudischen Historiker verfasst sche Hintergrundinformationen zu dem in der Aus- ist. Und auch über dessen Inhalt scheinen sich nach stellung dem Gründer des saudischen Königreichs, Erscheinen des Katalogs keine kritischen Stimmen Ibn Saud, gewidmeten Raum geliefert. Da die darin erhoben zu haben. Erst der Artikel von S. Maneval gebotene kritische Darstellung der geschichtlichen erhebt dagegen Einspruch. Er kontrolliert den Text Ereignisse nicht dem offiziellen, durch die saudische des saudischen Historikers, dem er anhand des ur- Regierung vertretenen Geschichtsbild entsprach, sprünglich an dieser Stelle vorgesehenen Beitrags wurde der Aufsatz zunächst bis zur Unkenntlichkeit die Unterschlagung wichtiger historischer Details zensiert und schließlich durch einen regimekonfor- nachweist und ihn dadurch als propagandistischen men Beitrag eines saudischen Historikers ersetzt. Text, mit dem eindeutig politische Ziele verfolgt werden, entlarvt. Gleichzeitig wird dadurch indirekt Der Fall ist nicht einzigartig und beschreibt ein die vermeintlich objektive, wissenschaftliche Ge- Dilemma, das bei archäologischen oder generell mit schichtsdarstellung des ursprünglich vorgesehenen Kulturgütern befassten Ausstellungen nahezu imma- Beitrags gestärkt. nent ist. Die ausgestellten Exponate sprechen nicht für sich selbst, sondern werden durch ein vermittel- Die Argumente von S. Maneval mögen aus west- tes Wissen den Ausstellungsbesuchern zugänglich licher wissenschaftlicher Sicht stichhaltig sein und gemacht. Die mit dem Anspruch auf Wissenschaft- machen deutlich, dass es in diesem Fall nicht allein lichkeit verfassten Begleittexte einer Ausstellung um den Austausch eines wissenschaftlichen mit ei- liefern in der Regel Erklärungen, die nicht nur die nem propagandistischen Text geht, sondern mehr formal-ästhetischen und funktionalen Aspekte der noch um Herrschaftslegitimation des saudischen Kö- Exponate beleuchten, sondern auch deren histori- nigshaus, wozu auch der erwähnte Ausstellungsraum schen, politischen, kulturellen und wirtschaftlichen mit Realien aus der Familiengeschichte des Herr- Kontext. Sie erzeugen auf diese Weise ein umfas- scherhauses diente. Aber in diesem westlichen Wis- senschaftsblick auf die Landesgeschichte Saudi-Ara-

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biens liegt auch die Gefahr eines eben einseitigen gelangt, an dem es nicht mehr um Archäologie, son- Polarisierens. Wenn sich ein Land wie Saudi-Ara- dern allein um Politik geht. bien durch eine aufwendige Ausstellung im Westen präsentieren will (man denke auch an die Ausstel- Dass bei der Kooperation mit Saudi-Arabien im lungsorte in Paris, Barcelona und Sankt Petersburg) Rahmen einer archäologischen Ausstellung unter- und dieses Unterfangen durch großzügige finanzielle schiedliche Auffassungen von Geschichte und damit Mittel unterstützt, ist ihm das Recht auf Mitbestim- verbundene politische Intentionen zur Geltung kom- mung der Ausstellungsinhalte nicht zu nehmen. Frei men würden, muss eigentlich schon im Vorfeld der von politischen Äußerungen sind Ausstellungen, die Ausstellung als unausweichlich erkannt worden sein. das Kulturerbe eines modernen Staates zeigen, ohne- Ein öffentlich zugängliches Richtlinienpapier, wie es hin nicht. Bereits der Untertitel der Ausstellung „Ar- S. Maneval fordert, um sich im Rahmen von inter- chäologische Schätze aus Saudi-Arabien“ verrät ein nationalen Ausstellungen über die publikations- und politisches Konzept. Es setzt Jahrtausende alte Ob- forschungsethischen Bedingungen der Zusammenar- jekte aus unterschiedlichen Kulturen in Beziehung beit zu verständigen, hätte womöglich in der Tat dazu zur Geschichte eines sehr jungen, innerhalb künstli- verhelfen können, den eingetretenen Fall der Zensur cher Grenzen geschaffenen Staats. Dass dieser Staat eines Katalogbeitrages zu vermeiden. Denkbar wäre bislang eine präislamische Zeit nahezu aus seinem auch ein Szenarium, wonach beide Beiträge der sau- Geschichtsbild verbannt hat, wird in der Ausstellung dische und der westliche, veröffentlicht worden wä- „Roads of Arabia“ erstmals korrigiert und stellt, wie ren und sich somit LeserInnen die Möglichkeit der S. Maneval bemerkt, in der Tat einen geschichtspo- Gegenüberstellung unterschiedlicher Geschichtsauf- litischen Wandel in der Selbstdarstellung Saudi-Ara- fassungen geboten hätte. biens dar. Man kann dem saudischen Part also auf S. Maneval leistet mit seinem Artikel minutiö- der einen Seite eine neue Form der Toleranz bei der se Aufklärungsarbeit und er unterbreitet diskussi- Darstellung der frühen Landesgeschichte zugute onswürdige Vorschläge, um Fälle wie die von ihm halten, auf der anderen Seite aber auch Propaganda publik gemachte Zensur eines Katalogbeitrages in unterstellen, wenn es um die Legitimation von Herr- Zukunft zu vermeiden. Es ist nur zu bedauern, dass schaftsansprüchen im jüngsten Teil dieser Geschich- sein Artikel in einer Fachzeitschrift erscheint, die te geht. In beiden Fällen sind politische Intentionen den meisten BesucherInnen der Ausstellung „Roads unverkennbar, ist die präsentierte Landesgeschichte of Arabia“ bzw. KäuferInnen des Ausstellungskata- eine konstruierte Geschichte, mit der ein arabischer loges (der auch in Saudi-Arabien vertrieben wird) Staat um ein positives Image im Westen wirbt. unbekannt sein wird. Sein Artikel wird also das Ziel- Wie S. Maneval unterstreicht, gibt es keine po- publikum der Ausstellung nicht erreichen, so dass es litisch neutrale Geschichtsschreibung bzw. Archäo- wissenschaftlichen Kreisen vorbehalten bleibt, über logie. Das eigentlich Problem bei der Herausgabe einen Fall zu debattieren, der die Verstrickung von des Katalogs zu „Roads of Arabia“ besteht für ihn Archäologie, Wissensvermittlung und Politik aufs in der Unterbindung der freien Meinungsäußerung, Neue deutlich macht. die durch die Zensur des Beitrages zur Staatsgrün- dung Saudi-Arabiens erfolgte. Die Kritik richtet sich in diesem Zusammenhang auch an die Staatli- chen Museen zu Berlin als Herausgeber des Kata- logs, da sie den politisch eindeutig tendenziösen Ersatzartikel akzeptierten und im Rahmen einer wis- senschaftlichen Publikation, die dessen Glaubwür- digkeit bestärkte, veröffentlichten. Es geht also um zwei fragwürdige Entscheidungen im Falle zweier politisch unterschiedlicher Meinungsäußerungen. Spätestens hier ist die Ausstellung an einen Punkt

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Museen und ethische Grundsätze

Susanne Bocher

Kuratorin der Ausstellung ‚Mythos Olympia – Kult und Spiele in der Antike‘

Zitiervorschlag Susanne Bocher. 2014. Museen und ethische Grundsätze. Forum Kritische Archäologie 3: 13-14.

URI http://www.kritischearchaeologie.de/repositorium/fka/2014_3_03_Bocher.pdf

DOI 10.6105/journal.fka.2014.3.3

ISSN 2194-346X

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Museen und ethische Grundsätze

Susanne Bocher

Kuratorin der Ausstellung ‚Mythos Olympia – Kult und Spiele in der Antike‘

Der Essay von Stefan Maneval greift einen bri- ländern und -gemeinschaften fördern“ (ICOM santen und sehr aktuellen Themenkomplex auf: den 2010, 22, 6.1). Umgang mit archäologischen Objekten aus anderen Ein aktiver Kontakt soll anhand dieser ethischen Ländern in Ausstellungen in Deutschland und die Grundsätze also auf jeden Fall bestehen und auch ge- Frage der Einbeziehung dieser Herkunftsländer bzw. fördert werden. ihrer Vertreter in die Einordnung und Interpretation der Funde in Hinblick auf historische sowie aktuelle Im Falle des genannten Projektes hat der Au- politische und kulturrelevante Themen. Anhand eige- tor auf dem Gebiet der archäologischen Forschung ner persönlicher Erlebnisse bei den Vorbereitungen diese für die Entstehung der Ausstellung relevante zur Ausstellung „Roads of Arabia“ 2012 in Berlin Zusammenarbeit als fruchtbar beschrieben. Lang- beschreibt der Autor seine Erfahrungen auf diesem jährige Kooperationen haben ein gegenseitiges Ver- Gebiet, die er zum Teil objektiv und relativierend, trauensverhältnis etabliert, auf dem eine konstruk- zum Teil aber auch sehr emotional formuliert. tive Zusammenarbeit auf diesem Gebiet möglich war. Probleme beschreibt er jedoch bezüglich der Informiert man sich anhand der ethischen Richt- Instrumentalisierung des Ausstellungskatalogs in der linien des ‚Internationalen Museumsrates‘ (ICOM) aktuellen politischen Lage, welche in direktem Zu- allgemein zu diesem Thema, so findet man folgen- sammenhang mit der Einordnung der jüngeren Ge- den Grundsatz zum Umgang mit Kulturgütern und schichte des Landes steht. deren Herkunftsländern: „Museumssammlungen spiegeln das kulturel- Die Ursachen für die Entstehung dieses Dilem- le und natürliche Erbe der Gemeinschaften mas sieht er unter anderem in mangelnden Abspra- wider, aus denen sie stammen. Somit reicht chen im Vorfeld der Ausstellungsvorbereitungen. ihr Charakter über jenen von gewöhnlichem Als mögliche Lösung schlägt Maneval daher vor, Eigentum hinaus, da enge Bindungen an na- für zukünftige Kooperationen ein „Richtlinienpapier tionale, regionale, lokale, ethnische, religiöse “ zu erstellen, in dem „forschungsethische Grund- oder politische Identitäten bestehen können. Es ist daher wichtig, dass die Museumstätigkeit sätze“ formuliert werden. Hierzu ist zu bemerken, diesen Umständen aufgeschlossen gegenüber- dass solche Richtlinien durchaus existieren, wie die steht“ (Ethische Grundsätze für Museen von gerade zitierten ‚Ethischen Grundsätze für Museen ICOM, 2010, 22 Grundsatz Nr. 6).1 der ICOM‘. Auch die ‚UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kulturel- Zur Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern ler Ausdrucksformen‘2 formuliert Grundsätze zur steht im Anschluss daran: Einhaltung menschenrechtlicher und grundfreiheit- „Museen sollen den Austausch von Wissen, licher Voraussetzungen (Artikel 2.1) innerhalb der Dokumenten und Sammlungen mit Museen kulturellen Arbeit. Hierbei ist jedoch nicht nur die und Kulturorganisationen in deren Herkunfts- Existenz von Grundsätzen von Belang, sondern auch

1 s. auch: http://www.icom-deutschland.de/schwerpunk- 2 s. hierzu: http://www.unesco.de/kulturelle-vielfalt. te-ethische-richtlinien-fuer-museen.php (Nov. 2013) html (Nov. 2013)

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der selbstreflektierte Umgang mit den aufgestellten Richtlinien, wie dies beispielsweise im 2009 heraus- gegebenen „Weißbuch - Kulturelle Vielfalt gestalten. Handlungsempfehlungen aus der Zivilgesellschaft zur Umsetzung des UNESCO-Übereinkommens zur Vielfalt kultureller Ausdrucksformen (2005) in und durch Deutschland“3 geschieht. Eine kritische Aus- einandersetzung mit ethischen Grundlagen einer in- ternationalen Zusammenarbeit ist meines Erachtens von elementarer Bedeutung, doch sollte diese auch von beiden Seiten im Vorfeld kritisch reflektiert wer- den, damit sowohl eine politische als auch eine wirt- schaftliche Instrumentalisierung in jedem Falle hier wie dort ausgeschlossen werden kann.

3 http://www.unesco.de/3938.html?&L=0#c20112 (Nov. 2013)

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Schuld haben die Politik und die Geschichte

Mamoun Fansa

Direktor i.R., Landesmuseum für Natur und Mensch, Oldenburg

Zitiervorschlag Mamoun Fansa. 2014. Schuld haben die Politik und die Geschichte. Forum Kritische Archäologie 4: 15-16.

URI http://www.kritischearchaeologie.de/repositorium/fka/2014_3_04_Fansa.pdf

DOI 10.6105/journal.fka.2014.3.4

ISSN 2194-346X

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Schuld haben die Politik und die Geschichte

Mamoun Fansa

Direktor i.R., Landesmuseum für Natur und Mensch, Oldenburg

Warum ist die Zusammenarbeit zwischen den Mu- Zusammenarbeit der beiden Kulturen angeht. Alles, seen in Deutschland und den arabischen Ländern so was durch die europäischen Länder im Nahen Osten schwierig? Die Antwort ist vielschichtig und stützt an Ideen angekommen ist, wurde von den Orientalen sich auf viele historische Fakten. als Einmischung und mit Zurückhaltung aufgenom- men. Es herrschen zwischen Europa und den Ländern des Vorderen Orients sowohl auf politischer als auch auf menschlicher Ebene Misstrauen und Ängste, die aus historischen Ereignissen resultieren. Man muss Kolonialismus leider, um die Ressentiments der Bevölkerung und Beginnend im 18. Jahrhundert mit dem Einfall der der Verantwortlichen im Kulturbereich im Nahen Franzosen unter Napoleon in Ägypten und später in Osten zu verstehen, weit in die Geschichte der Be- Syrien, wurde der gesamte Kolonialismus als Ein- ziehungen zwischen Mitteleuropa und dem Vorderen mischung und Ausbeutung betrachtet und mit Hass Orient zurückgreifen. Ich möchte hier einige mar- gegen die Europäer bekämpft, obwohl es auch groß- kante historische Ereignisse kurz schildern. artige Errungenschaften – Entwicklungen im techni- Seit Gründung der islamischen Religion ist eine schen und kulturellen Bereich – durch die Europäer Barriere zwischen der christlichen Religion im gab. Abendland und der islamischen Religion im Vorde- Die zweite Phase der Kolonialisierung des Na- ren Orient entstanden. hen Ostens im 19.und 20. Jahrhundert führte dazu, dass Ausgrabungen durch europäische Archäolo- gInnen durchgeführt und zahlreiche Objekte nach Die Kreuzzüge Europa gebracht wurden. Auch das Entsenden von Spionen unter dem Deckmantel der archäologischen Seit dem 12. Jahrhundert und im Zusammenhang Forschung hat dazu geführt, dass die Beziehungen mit der Eroberung Syriens und Palästinas während erheblich gestört und von ständigen Verschwörungs- der Kreuzzüge ist die Beziehung zwischen dem theorien begleitet sind. Orient und Europa gestört und durch Misstrauen bestimmt. Die neuere Forschung zu den Gründen Die vermehrten Einkäufe von Kulturgütern aus für die Kreuzzüge in der westlichen Literatur zeigt, dem Nahen Osten durch die Europäer zu einer Zeit, dass diese nicht allein in religiösen Phänomenen zu in der das Bewusstsein für die eigene Kultur in den finden sind, sondern auch in politischen und sozia- orientalischen Ländern noch nicht ausgeprägt war, len Situationen im Europa des 12.Jahrhunderts. Die hat dazu geführt, dass die Zusammenarbeit mit Skep- Aufarbeitung dieser historischen Ereignisse des Mit- sis betrachtet wird. Das Nationalbewusstsein und das telalters in Europa hat zwar zu einer Relativierung Interesse an der eigenen Kultur der arabischen Län- dieser Feindschaft geführt, aber die Bevölkerung der wurde durch die lange Unterdrückung seitens der im Nahen Osten ist seither sehr skeptisch, was die Osmanen und den Einfluss des konservativen Islam

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verdrängt. So haben die Europäer zahlreiche wichti- ge und interessante kulturgeschichtliche Objekte in die europäischen Museen bringen können.

Das Bewusstsein für die eigene Kultur in den ori- entalischen Ländern fand erst nach Beendigung der Kolonialherrschaft im Nahen Osten eine deutliche Ausprägung. So entstanden in einigen Ländern die Forderungen, die Kulturgüter wieder in den eigenen Kulturraum zurückzuführen, wie z.B. die Rückga- be der Nofretete-Büste an Ägypten oder des Perga- mon-Altars an die Türkei.

Diese Fakten haben die Zusammenarbeit im Be- reich der Ausleihe musealer Objekte beeinträchtigt. Hinzu kommen erhebliche Mittelanforderungen für die Leihgebühren durch die orientalischen Länder, die die Kosten für die Begleitung der Objekte und die Zusammenarbeit oftmals nahezu unmöglich ma- chen.

Um dieser Misere der Zusammenarbeit ein Ende zu setzen, helfen nur der intensive Dialog und ständi- ge Kontakt zwischen Kulturschaffenden und Muse- umsfachleuten in Europa und im Nahen Osten. Das wird nicht von heute auf morgen die Zusammenar- beit positiv beeinflussen, sondern sollte dazu führen, dass das über Jahrhunderte aufgestaute Ressentiment abgebaut wird. Die Ereignisse der letzten drei Jahre im Nahen Osten zeigen, dass die unklare Linie der europäischen Politik einer guten Zusammenarbeit im kulturellen Bereich nicht förderlich ist.

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ZeitSpurenSuchen. Eine Einleitung

Kerstin P. Hofmann und Sabine Reinhold

Zitiervorschlag Kerstin P. Hofmann, Sabine Reinhold. 2014. ZeitSpurenSuchen. Eine Einleitung. In Sabine Reinhold und Kerstin P. Hofmann, Hrsgin.: Zeichen der Zeit. Archäologische Perspektiven auf Zeiterfahrung, Zeitpraktiken und Zeitkonzepte (Themenheft). Forum Kritische Archäologie 3: 17–24.

URI http://www.kritischearchaeologie.de/repositorium/fka/2014_3_5_Einleitung.pdf

DOI 10.6105/journal.fka.2014.3.5

ISSN 2194-346X

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ZeitSpurenSuchen. Eine Einleitung

Kerstin P. Hofmann

Freie Universität Berlin, Topoi Building Dahlem, Hittorfstraße 18, D-14195 Berlin. kerstin.hofmann[AT]topoi.org

Sabine Reinhold

Deutsches Archäologisches Institut, Eurasien-Abteilung, Im Dol 2-6, Haus II, D-14195 Berlin. sabine.reinhold[AT]dainst.de

Schlüsselwörter

Prähistorische Archäologie, Zeit, Zeiterfahrung, Zeitpraktiken, Zeitkonzepte

Keywords , time, experience of time, time practices, concepts of time

„Zeiterfahrung gehört zu den Grundgegeben- scher Untersuchungen sind, interessiert man sich für heiten des Menschseins. Der Mensch erfährt letztere meist als Bedingungen für oder Hintergrund Zeit im Wandel und in den Tiefen seiner Selbst, von Wandlungsprozessen. So ist die Zeitlichkeit als Fluch der Natur und als Leistung seines von Menschen, Kulturen und Dingen schon durch Geistes. Er kann die Zeit nicht so lassen, wie die zahlreichen Phasen-, Stufen- und Epochen- sie ihm geschieht… Indem er sich kulturell Bezeichnungen in der archäologischen Forschung deutend mit ihr auseinandersetzt, erhebt er allgegenwärtig. Insbesondere für das Ordnen von sich über die Zeit, versucht sie zu bannen und archäologischen Funden und Befunden und die Ent- zu beherrschen, aber immer bleibt er ihrem wicklung adäquater Methoden zur Datierung und Wandel unterworfen.“ ‚Rekonstruktion der Vergangenheit‘ wurde stets viel Rüsen 2003: Klappentext Arbeit aufgewandt. Anstatt Zeit als konstant gegeben vorauszusetzen, gilt es, als Geschichtswissenschaft- Mit diesen Worten zeigt der Bielefelder Historiker ler_innen jedoch die soziale Zeit – die als solche Jörn Rüsen einprägsam auf, welche Bedeutung das selbst und in ihrem Erleben historisch, kulturell als Thema Zeit für den Menschen hat. Für die Archäo- auch sozial variabel ist – zu untersuchen (s. Kosel- logie ist Zeit eine der, wenn nicht sogar die grund- leck 1979; Rüsen 2004). legendste Kategorie. Ohne sie bzw. eine bestimmte Konzeption ihrer selbst gäbe es keine Vorstellung Die Annahme, dass man sich daher mit Zeiter- von Geschichte und damit auch keine Versuche, Zeit fahrung, Zeitpraktiken und Zeitkonzeptionen in der anhand materieller Kultur zu erfassen. Zudem ist es Archäologie besonders intensiv auseinandergesetzt das zentrale Anliegen der Archäologie, den kulturel- hätte, ist jedoch leider irreführend. Von dem sich in len und sozialen Wandel in vergangenen Zeiten zu anderen Fächern ankündigenden bzw. bereits ange- untersuchen. Selbst wenn immer wieder auch gezielt kommenen temporal turn (siehe z. B. Elias 1988; Zustände oder Strukturen Gegenstand archäologi- Patomäki 2008) ist zumindest in der deutschsprachi-

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gen Archäologie1 noch nicht viel zu spüren. Dies gilt, de Anordnungen von Objekten mit sich wandelnden obwohl zumindest die Chronologie stets ein zentra- Formen oder von übereinanderliegenden – also ver- les Thema war und in den letzten Jahrzehnten auch meintlich nacheinander entstandenen – Erdschichten Zeiterfassung, kulturelles Gedächtnis sowie Konti- sind (siehe Kubler 1962; Eberhardt 2011: 232–234; nuität und Diskontinuität zunehmend diskutiert wur- siehe Beitrag Stabrey und Rosenstock in diesem den (Knopf 2002; Veit 2005; Schmidt-Kaler 2008). Band)? Sind unsere Chronologien reine Hilfskon- Den Auslöser für die Beschäftigung mit den letztge- strukte oder können wir mit ihnen Innovationshori- nannten Phänomenen bildeten einerseits Neufunde zonte oder gar die von Claude Lévi-Strauss (1968 wie der Berliner Goldhut, die Himmelsscheibe von [1962]: 270) unterschiedenen ‚heißen‘ und ‚kalten‘ Nebra oder Kreisgrabenanlagen mit ihren postulier- Gesellschaften ausmachen (s. a. Bernbeck 2004; ten astronomischen Bezügen (siehe Beitrag Rosen- Siegmund 2012; Beitrag Sommer in diesem Band)? stock in diesem Band). Andererseits bewirkten die Gab es unterschiedliche tempi kultureller Verände- zeitgenössischen Debatten zu Zeit und Zeitempfin- rungen und wie lassen sich diese fassen? Kann man den (z. B. Nowotny 1989; Adam 1990; Rosa 2005) vielleicht sogar mit Jan Assmann (1997) unterschied- eine zunehmende Berücksichtigung dieser Themen liche Zeitkonzepte und Geschichtsverständnisse für auch in der Prähistorischen Archäologie (vgl. Eggert die Vergangenheit postulieren? Welches Bild der 2011). Dennoch wird über den ‚Sinn der Zeit‘ in der Zeit entwerfen wir in unserem Fach für wen? Archäologie im Gegensatz z. B. zur Historie (siehe Rüsen 2003) viel zu wenig reflektiert. Neben ontologischen Sinnfragen gilt es daher dringend, über Zeit sowohl aus erkenntnistheoreti- Weshalb ist es bedeutsam, den Anfang bzw. Ur- scher als auch wissenschaftstheoretischer Sicht zu sprung von etwas zu kennen, und warum fragen wir reflektieren. Von zentralem Interesse für die Prähisto- nach den Anfängen aber viel seltener nach der Ge- rische Archäologie sind sicherlich die Wahrnehmung nealogie der Dinge (siehe Foucault 2002 [1971])? und der Umgang des in der Vergangenheit lebenden Welche Zeitkonzepte gibt es, wann und wo finden Menschen mit seiner Zeit, auch wenn die sozialen sie Anwendung (siehe Beitrag Sommer in diesem Zeiten der Vergangenheit als Untersuchungsgegen- Band)? Wie prägend ist für die menschlichen Zeit- stand ohne Interviewmöglichkeiten und Schriftquel- vorstellungen die so wichtige Orientierungstechnik len allein anhand materieller Quellen nur schwer des Spurenlesens, welche es erlaubt, in der Gegen- zu erschließen sind. Materielle Zeugnisse einstiger wart anhand von Materialisiertem auf Vergangenes Zeiterfassung (Menghin 2000; Schmidt 2002), Mo- zu schließen und daraus Entscheidungen für die numente als Zeugnisse kulturellen Gedächtnisses Zukunft zu treffen (Ginzburg 1983; Krämer u. a. (Assmann 1997; Veit 2005) und die Nutzung der Res- 2007; siehe Beitrag Ickerodt in diesem Band)? Wie source Vergangenheit z. B. in Form von Wiederauf- verändert sich das Verhältnis bzw. die Differenz nahmen von Bestattungsplätzen (Sopp 1999; Holtorf von „Erfahrungsraum“ und „Erwartungshorizont“ 2000–2008) wurden dabei z. T. aber auch jenseits ex- (Koselleck 1979: 349–375), also der in der Realität plizit theoretischer Diskussionen behandelt. Fragen stets gekoppelt vorkommenden und in einem dialek- nach den Zeitkonzepten und Geschichtsmodellen der tischen Verhältnis zueinander stehenden, aber unter- Vergangenheit und ihrem Bezug zu erfahrbarer und schiedlich gewichteten gegenwärtigen Vergangen- messbarer Zeit stellten sich Archäolog_innen dahin- heit und prognostizierten Zukunft (siehe Bernbeck gegen vergleichsweise wenig. Deren Reflexion sind 1996)? Gibt es auch für prähistorische Phasen Hin- aber schon allein wegen der Neigung, allzu leicht weise auf einen ihnen eigenen Zeitgeist (vgl. Rebay- Rückschlüsse von eigenen auf fremde Zeitvorstel- Salisbury u. a. im Druck)? Wann wird Vergänglich- lungen zu ziehen, von Relevanz. keit und Wandel als Gefahr, wann als stabilisierend empfunden? Gab es auch früher schon ein Bedürf- Mit Paul Ricœur (1988: 22) wäre es zudem in- nis, sich gewissermaßen gegen die Zeit zu stemmen teressant, die Dimensionen von – prähistorischer – und wie wurde diesem dann konkret nachgegangen? Zeit und ihre spezifischen Zeitlichkeiten zu untersu- Weshalb benötigt der Mensch überhaupt Maße für chen, sprich nach den vergangenen, gegenwärtigen Zeit? Warum entwickeln wir als Wissenschaftler_in- und zukünftigen Gegenwarten in der Prähistorie zu nen Chronologiesysteme zur Beschreibung von Zeit, fragen (siehe Graf 2011). Durch die Thematisierung die letztlich meist aber nur uns sinnvoll erscheinen- von Memoria, Erinnerung und Gedächtnis sowie der für kollektive Identitätskonstruktionen so wich- tigen gemeinsamen Vergangenheit wird „The Past 1 Etwas anders sieht die Lage im anglophonen Raum in the Past“ (Bradley und Williams 1998) – derzeit aus; siehe Bradley 1991, 2002; Thomas 1996; Lucas vergleichsweise ausführlich behandelt (Veit 2005; 2005; Bailey 2007; Gardner 2012.

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Brather 2009; Furholt 2012). Die vergangene Ge- in welchen Zeitstilen – z. B. encapsulated oder evo- genwart und ihre Erfahrung, z. B. in Form von Brü- lutionist time – wir als Prähistoriker_innen schreiben chen und Krisen, kann hingegen im Vergleich zur und was dies über das stets relational gedachte Ver- Historie von der Archäologie nur schwer untersucht hältnis von Vergangenheit und Gegenwart aussagt, werden. Neben der Analyse von Einzelereignissen, das durch Konstruktion von Kontinuitäten und Dis- wie dem Vesuv-Ausbruch, der Varus-Schlacht oder kontinuitäten sowie Distanz und Nähe bestimmt und dem zeitgleichen Tod mehrerer Menschen dokumen- durch othering und Nostrifizierung immer wieder tiert durch Massengräber (Wahl u. a. 2008; Burmeis- neu ausgehandelt wird. So könnte man diskutieren, ter 2009; Muhl u. a. 2010), böte hier die Anwendung ob wir nicht wie zwischen Natur und Kultur zwi- des performance approach bei der Interpretation von schen Vergangenheit und Moderne beständig „Reini- Deponierungen und Bestattungen eventuell einen gungsarbeit“ leisten (Latour 2008), gleichzeitig aber Ansatz (s. Müller-Scheeßel 2009). Auch die vergan- die so selbst erwirkte Entfernung bzw. den Bruch mit gene Zukunft wird – sieht man von vereinzelten Ver- Hilfe von Sinnkonstruktionen wie der Chronologie suchen ab, Prognosen und Simulationen zu erstellen und dem ihr innewohnenden Entwicklungsgedanken – bisher kaum thematisiert, obwohl zu Utopien, Pro- unidirektional zu überbrücken suchen. Wir sind also gnosen und Planungen durchaus Quellen, z. B. durch aktiv an der Konstruktion der sozialen Zeit beteiligt, längerfristige Bauprojekte in der Prähistorie, vorhan- und dies nicht nur zu der sich im 19. Jh. ausbilden- den wären. Die longue durée wird oft beschworen, den „Tiefenzeit“, die von Seiten der Wissenschaften jedoch kaum wirklich zur Analyse von Zeit einge- die biblisch-historischen Zeitkonzeptionen ablöste setzt und im Sinne Fernand Braudels (1949) als die (Gould 1990). Die Diskrepanz zwischen dem Er- Epochen verbindendes Moment gewertet. Dies mag schaffen und dem Überbrücken der Fremdheit ver- daran liegen, dass wir ‚professionelle Vergangen- gangener Epochen (Lowenthal 1985) wird besonders heitsdeuter_innen‘ sind und uns selten für Vorhersa- deutlich, wenn wir uns vor dem Hintergrund des auch gen und Zukunftsprognosen zuständig fühlen (vgl. in unserem Fach herrschenden Zeitgeistes ansehen, Hinz 2012). wie wir unsere Erkenntnisse in Museen, Ausstellun- gen, bei Öffentlichkeitstagen, in Filmbeiträgen oder Letztlich gilt es aber auch, aktiv an der Historisie- populärwissenschaftlichen Büchern vermittelt haben rung der in der sozialwissenschaftlichen Forschung und vermitteln (vgl. Pannhorst 2011). Nach einer lan- entwickelten Modelle (z. B. Rammstedt 1975; Luh- gen Epoche belehrender und erziehender Narrative‚ mann 1991) mitzuarbeiten, statt diese immer nur ‚allwissender‘ Spezialist_innen mit ihren abstrak- passiv durch Funde zu bebildern. Die Frage nach ten und leitenden Darstellungsformen vom Ältesten time-space-compressions (Harvey 2004) kann z. B. zum Jüngsten, ist in den letzten Jahren neben die auch für die Prähistorie interessant sein. So werden grand narratives die Vermittlung von ‚alltäglichen‘ derzeit z. B. die epochalen Auswirkungen zuneh- Einzelereignissen und -erlebnissen getreten (Graffe mender Geschwindigkeit bzw. abnehmender Distan- 2012). Hier stellt sich die Frage, ob die Hinwendung zen, die in gleicher Zeit zurückzulegen waren, an- zur Mikrogeschichte und zum reenactment nicht hand der Innovationen im Transportwesen diskutiert vielleicht auch dadurch motiviert ist, dass mit Hilfe (Burmeister 2004). fiktiver Personalisierungen und eigener Erfahrungen bei den Besucher_innen ein direkterer, emotionale- Nicht weniger bedeutsam ist aber die Auseinan- rer Zugang erzeugt werden kann (Vištica 2010; siehe dersetzung mit der Zeit in der archäologischen Pra- Beitrag Samida in diesem Band). xis. Wie kam man etwa dazu, Zeit in Form von Strati- grafie räumlich zu denken? Welches Geistesgebäude Fragen wie diese bewegten uns, anlässlich des verbirgt sich hinter einem relativ-chronologischen zwanzigjährigen Jubiläums der Theorie-AG auf dem System und der Methode der Typologie? Welche in- 7. Deutschen Archäologiekongress in Bremen am terdisziplinären und transdisziplinären Zeit-Arbeits- 3./4. Oktober 2011 in einer Sektion unter dem Mot- felder gibt es neben der inzwischen in aller Munde to ‚As times goes by‘ Zeitkonzepte, Zeiterfahrung, befindlichen Chronobiologie? Die Vergangenheit und Zeitgeist näher zu beleuchten2. Wir danken allen trägt als Bestandteil unseres Ursprungsdenkens zur Seinsstabilisierung bei. Wie stark determiniert diese Tatsache unsere Zeitkonzepte und unser methodi- 2 Eine vollständige Übersicht der Sektionsbeiträge in- sches Vorgehen? Und wie reproduzieren umgekehrt klusive der Abstracts ist online zugänglich (http:// www.agtida.de/sektion-am-7-deutschen-archogenkon- Archäolog_innen in ihren wissenschaftlichen Prakti- gress-vorliges-programm-mit-abstracts-juli-2011-4/). ken die bestehenden Zeitkonzepte? In Anlehnung an Einige der Vorträge wurden bereits andernorts publi- Johannes Fabian (1983) könnte man die Frage stellen, ziert: Eggert 2011; Pannhorst 2011; Hinz 2012; Sieg- mund 2012; Schier 2013.

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Teilnehmer_innen für die interessanten Beiträge und logie“, publiziert in Prähistorische Zeit- die lebhafte, mitunter äußerst kontroverse Diskussi- schrift 88, 2013. on. Inzwischen liegen viele der Vorträge in schrift- licher Form vor, entweder in dem hier vorliegenden Stefanie Samida „Moderne Zeitreisen oder Die per- Themenheft, oder in anderen Publikationsorganen formative Aneignung vergangener Lebens- (siehe untenstehende Liste der Tagungsbeiträge). welten“, publiziert in diesem Themenheft. Für die Möglichkeit, die hier abgedruckten Beiträge zusammenhängend mit Peer Review-Verfahren im Kerstin Pannhorst „Jenseits der Chronologie – Zeit Internet frei zugänglich anzubieten, bedanken wir im Museum“, publiziert in Ethnographisch- uns herzlich beim Herausgeber_innenkollektiv des Archäologische Zeitschrift 52(2), 2011. „Forum Kritische Archäologie“. Namentlich seien hier hervorgehoben: Carolin Jauss, die die Heraus- Frank Siegmund „Schnelle Zeiten – langsame Zei- gabe des Themenheft betreute, sowie Aydin Abar ten: archäologische Chronologiesysteme und Christoph Forster, die Satz und Layout der Ma- als Geschichtsquelle“, publiziert in Archäo- nuskripte übernahmen. Unser herzlicher Dank gilt logische Informationen 35, 2012. ferner allen Gutachter_Innen, die die Publikation al- ler Tagungsbeiträge in den verschiedensten Stadien Katja Roesler „Typologie und Zeitlichkeit. Zum Be- durch ihre Reviews begleitet und qualitativ verbes- griff des Typs“. sert haben3. Danken möchten wir aber auch all unse- ren Autor_innen, die die z. T. verschlungenen Wege Thomas Knopf „Die Form der Zeit? ,Kontinuität’ mit uns gegangen sind. Wir hoffen, dass wir mit die- und der Wandel materieller Kultur“. sem Themenheft nun möglichst viele Leser_innen erreichen, die sich für eine kritische Auseinanderset- Ulf Ickerodt „Gleichzeitiges und ungleichzeitiges, zung mit im archäologischen Diskurs existierenden Lebensrhythmen und Eigenzeiten in Ver- Interpretationen, dahinterstehenden Verfahren und gangenheit und Gegenwart – Bemerkungen Fragestellungen zum Thema Zeit interessieren. zur Unbestimmtheitsrelation von archäolo- gischen Zeitbeobachtungen“, publiziert in diesem Themenheft.

Tagungsbeiträge Martin Furholt „Von der Wiederholung zur Perma- nenz – Von der Zeitlichkeit Neolithischer Sabine Reinhold „Zeitkonzepte – Zeiterfahrung – Monumente in Südskandinavien“. Zeitgeist“ – Zur Einführung, publiziert in diesem Themenheft als Einleitung mit Kers- Martin Hinz „Vergangenheit bewahren, Zukunft er- tin P. Hofmann. bauen? Monumente, Megalithen und Zeit- konzepte“, publiziert in Englisch in Martin Antje Theel „Zwischen Nähe und Distanz – Zeit in Furholt, Martin, Hinz und Doris Mischka, der Archäologie“. Hrsg_in.: „As time goes by?“: Monumenta- lity, Landscapes and the Temporal Perspec- Ulrike Sommer „Zeit und Erinnerung“, publiziert in tive, 2012. diesem Themenheft. Eva Rosenstock „Siedlungsstratigrafien als materi- Manfred K.H. Eggert „Zeitsprünge oder Die Zeit der alisierte zyklische und lineare Zeit“, publi- Archäologie“, publiziert in Ethnographisch- ziert in diesem Themenheft. Archäologische Zeitschrift 52(2), 2011. Undine Stabrey „Ungleichzeitige Gegenwarten – Wolfram Schier „Zeitbegriffe und chronologische Argumentationen in die Archäologie“, als Konzepte in der Prähistorischen Archäo- Vortrag ausgefallen, publiziert in diesem Themenheft.

3 In Absprache mit dem Herausgeber der Ethnogra- phisch-Archäologischen Zeitschrift, in welcher zu- nächst die Tagungspublikation erfolgen sollte, konnten wir alle dafür bereits eingeholten Reviews verwenden. Wir waren sehr erfreut, dass alle Gutachter_innen der Übernahme ihrer Kommentare ins Review-Verfahren des Forum Kritische Archäologie zugestimmt haben.

20 Forum Kritische Archäologie 3 (2014) Themenheft: Zeit

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24 Forum Kritische Archäologie 3 (2014) Themenheft: Zeit

Zeit, Erinnerung und Geschichte

Ulrike Sommer

Zitiervorschlag Ulrike Sommer. 2014. Zeit, Erinnerung und Geschichte. In Sabine Reinhold und Kerstin P. Hofmann, Hrsgin.: Zeichen der Zeit. Archäologische Perspektiven auf Zeiterfahrung, Zeitpraktiken und Zeitkonzepte (Themenheft). Forum Kritische Archäologie 3: 25–59.

URI http://www.kritischearchaeologie.de/repositorium/fka/2014_3_6_Sommer.pdf

DOI 10.6105/journal.fka.2014.3.6

ISSN 2194-346X

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Zeit, Erinnerung und Geschichte

Ulrike Sommer

Institute of Archaeology, University College London, 31–34 Gordon Square, London WC1H 0PY, United Kingdom. u.sommer[AT]ucl.ac.uk

Zusammenfassung

Zeitmessung beruht auf kosmischen Ereignissen, Zeitwahrnehmung kann auch über biologische Verände- rungen erfolgen. Die Kontrolle der Zeitmessung ist mit politischer und wirtschaftlicher Macht verbunden. Ob und inwieweit Zeitwahrnehmung gesellschaftlich bedingt ist (lineare vs. zyklische Zeit), ist umstritten. Zeitmes- sung und Zeitverlaufsvorstellungen sollten hier auseinandergehalten werden. In bestimmten Gesellschaften wird die Erinnerung an die Vergangenheit organisiert und institutionalisiert, zum Beispiel als Geschichtsschreibung. Im zweiten Teil des Artikels diskutiere ich die Verbindung von Artefakten/Monumenten, kollektiver Erinnerung und Geschichtsbewußtsein, sowie die diesbezüglichen Erkenntnismöglichkeit der Archäologie auf verschiedene Zeitskalen.

Abstract

The measurement of time is based on cosmic events. The perception of passing time can also be based on bio- logical changes. The control of time–keeping is connected to political and economic power-structures. The nature and degree of the social determination of the perception of time (linear vs. cyclical time) has been hotly contested, but it is important to keep time–measurement and ideas about the nature and passing of time separate. In certain societies, the recollection of the past is becoming organised, for example as historiography.

In the second part of the article I discuss the connection between artefacts, monuments, collective memory and historical consciousness, as well as the chances of elucidating these concepts archaeologically on different levels of chronological resolution.

Schlüsselwörter

Zeit, Erinnerung, Geschichte, Geschichtsbewußtsein, kollektive Erinnerung, Wiederbenutzung

Keywords

Spirit of times, Time, memory, history, historical consciousness, collective memory, re-use

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Einleitung1 culturally specific but as automatically applicable to the entirety of humanity, past or present“ (Shanks Zeit ist eines der Kernkonzepte der Archäologie, und Tilley 1987: 32f.). Diese Aussage markiert eine sind Archäolog_innen doch vor allem damit be- diskursive Grenze: zwei theoretische Systeme pral- schäftigt, Funde und Befunde zu datieren, ihnen also len aufeinander – oder rutschen vielmehr aneinan- einen Entstehungs- und Nutzungszeitraum zuzuwei- der vorbei. Für die Diskursant_innen diesseits der sen. Über das Thema Zeit selbst wird jedoch nur sel- postmodernen Wasserscheide ist die Behauptung ten reflektiert (Leone 1978; Bailey 1987; Shanks und unsinning, für diejenigen jenseits derselben selbst- Tilley 1987; Gosden 1994; Murray 1999; Karlsson verständlich. Denn Shanks und Tilley behaupten, die 2001; Lucas 2005; Holdaway/Wandsnider 2008), bisher gängige Definition und Erfahrung von Zeit sei besonders deutsche Beiträge zum Thema fehlen nicht universell gültig, sondern historisch kontigent. weitgehend. Handelt es sich dabei um den klassi- schen blinden Fleck im Zentrum einer Disziplin? Um die nicht beantwortbare ontologische Frage Auch über seine zentrale Methode, die Ausgrabung, „was ist Zeit“ zu umgehen und das Problem bes- reflektiert das Fach schließlich erstaunlich selten – ser einzugrenzen, soll hier zunächst mit den Fragen man tut es eben. Oder sind Archäolog_innen weniger „wie wird Zeit wahrgenommen“ und „was macht/ an der Zeit an sich interessiert, als an Abfolgen – die bewirkt Zeit“ gearbeitet werden (vgl. Durkheim Gleichzeitigkeit oder das Nacheinander von Verzie- 1912). Im folgenden werde ich daher zunächst ver- rungs- und Baustilen oder archäologischen Kultu- suchen, die Ebenen der Zeitwahrnehmung genauer ren? zu gliedern, soweit dies für die Archäologie relevant ist. Das führt zu der Frage, wie Zeit unterteilt wird, Bis 1960 – wegen der langsamen Anerkennung der und wie natürwüchsig ‚unsere‘ Zeitwahrnehmung 14C-Datierungsmethode teilweise sogar noch we- von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist. Dies sentlich länger – war in der Vorgeschichtsforschung leitet über zum dritten Thema dieses Artikels: die keine absolute Datierung möglich. Man datierte über Wahrnehmung von Vergangenheit, Gegenwart und formale Ähnlichkeiten. Wie in der Kunstgeschichte Zukunft und der Umgang mit dieser Vergangenheit, seit langem anerkannt, müssen gleiche Stilphasen je- insbesondere die Verbindung von Zeitwahrnehmung doch nicht synchron sein (Kubler 1962: 120), so ist mit dem Bewußtsein von Zeiträumen, die über die eine Zeitverschiebung zwischen Zentrum und Peri- Erfahrung des Einzelnen hinausgehen. Die Weiter- pherie wahrscheinlich, aber auch das Ausmaß sozia- gabe von Wissen über Generationen hinweg ist die ler Kontrolle (Frirdich 1994; Mattheußer 1994) oder Basis menschlicher Kultur überhaupt, und eine Aus- der Kommunikationsintensität kann Innovationsaus- einandersetzung mit ‚der‘ ‚Vergangenheit‘ scheint breitung (Eisenhauer 2002) und damit den Zeitpunkt in allen Kulturen stattzufinden. Geschichtswissen- eines Stilwechsels determinieren. Solche Ungleich- schaft und Archäologie sind aber in der Tat für den zeitigkeiten (Bloch 1935) und mit ihr die Dynamik Hoch- und Spätkapitalismus spezifisch. Ob und wie und eventuell auch die Auslöser von Kulturwechsel Vergangenheit in der schriftlosen ‚Vorzeit‘ wahrge- lassen sich jedoch nur durch den Vergleich stilisti- nommen wurde oder werden konnte, soll am Ende scher und absoluter Daten, Kublers (1962: 98) „sys- dieses Beitrages kurz diskutiert werden und ist The- tematic“‚ und „calendrical age”, erkennen (vgl. z. B. ma weiterer Artikel in diesem Band. Kerig und Shennan 2010). Hat sich aber das Fach den durch absolute Datierungsmethoden veränderten Interpretationsmöglichkeiten wirklich angepaßt? Zeit Die Behauptung, es gebe mehrere Arten von Zeit, in der Ethnographie seit langem diskutiert (z. Zeitdauer und Zeitmessung B. Leach 1961; Bloch 1977), wurde seit den späten 1980er Jahren in der postprozessualen/kritischen Seit 1967 wird die Zeitdauer über die Atomschwin- Archäologie beliebt und begleitete auch die post- gungen von Caesium definiert. In einer Sekunde koloniale Wende. Michael Shanks und Christopher schwingt ein 133Caesium-Atom 9.192.631.770 mal. Tilley behaupteten 1987, vielleicht durch Louis Al- Diese Atomzeit ist kontextunabhängig, auf der Erde thusser (1968) beeinflußt, dass in der Archäologie und überall im Weltall ist die Periodizität dieselbe, „Capitalism’s chronometric time is regarded not as und sie ändert sich auch im Zeitverlauf nicht.

1 Ich danke den Herausgeberinnen und den anonymen Traditionell war das Zeitmaß jedoch bestimmt Gutachter_innen für zahlreiche weiterführende Hin- durch astonomische Perioden, wie die Erdrotation weise und hilfreiche Kritik.

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(Tag bzw. Kombination aus Tag/Nacht), die Rotation Planeten ganz ohne oder im Gegenteil mit mehreren des Mondes um die Erde (Monat) sowie der Erde um Trabanten oder einem beständig bewölkten Himmel, die Sonne (Jahr, Jahreszeiten), die Rotation der Pla- der die Beobachtung des Firmaments unmöglich neten, besonders der Venus um die Sonne, und das macht. kosmische Jahr, die Rotation des Sonnensystems um das Zentrum der Milchstrasse. Dies alles sind lokale, Die Bewegungen von Himmelskörpern lassen für die Erde spezifische Gegebenheiten. Die Erdro- sich auf einer Intervallskala darstellen, die daraus tation ändert sich zudem mit der Massenverteilung abgeleiteten Zeiteinheiten jedoch nicht immer, was (Gebirge, Gletscher etc.), auch die Topographie, Ge- durch die Unvereinbarkeit verschiedener Skalen zeiten und klimatische Gegebenheiten (Jetstream) (z. B. Monate und Jahre) oder die unterschiedliche haben einen Einfluß. Die natürliche Tageslänge va- Länge von Tag und Nacht im Jahresverlauf in den riiert so zum Beispiel mit den Jahreszeiten (Abb. 1). höheren Breiten bedingt ist. Wurden Tag und Nacht Zudem wird die Erdrotation durch Atmosphäre und in jeweils 12 Stunden eingeteilt, wie in der Antike, Gezeiten gebremst, die natürlichen Stunden und Se- im Mittelalter und den meisten nicht-industriellen kunden werden damit zunehmend länger. Gesellschaften, führte das zu einer unterschiedlichen Stundenlänge in Sommer und Winter. Damit mußten Zeit-Einheiten wie z. B. Stunden im sumerischen mechanische Zeitmesser an diese jahreszeitlichen Hexadezimalsystem und Wochen (Mondphasen) Veränderungen angepaßt werden (Allen 1996: 163; sind von der astronomischen Zeitskala abgeleitet, Armstrong und McK. Camp II 1977: 159–161; Sau- aber nicht zwingend vorgegeben. Auch Änderungen ter 2007: 691f.). der Vegetation oder Phänomene wie Gezeiten, die einen zeitlichen Rhythmus vorgeben, werden durch Die Periodizität der verschiedenen Himmels- die Bewegung von Erde, Sonne und Mond hervorge- körper ist ebenfalls nicht gleichartig. Tage, also die rufen. In den feuchten Tropen ist beispielsweise aber Erdrotation gegenüber der Sonne (Sonnenzeit) oder Ackerbau nicht an den Jahresrhythmus gebunden, in dem Firmament (Sternzeit), Monate (Mondzyklus) Indonesien gibt es momentan etwa drei Reisernten und Jahre (Rotation der Erde um die Sonne) sind in zwei Jahren, Bäume und andere Lebewesen bil- nicht deckungsgleich. Zwölf Monate sind etwa elf den keine Jahresringe aus. Auf einem Planeten ohne Tage kürzer als ein tropisches Sonnenjahr (Hannah Achsneigung hätten sich vermutlich auch andere 2009: 38). Nach 34 Jahren ist das Mondjahr dem- Zeiteinteilungen entwickelt, gleiches gilt für einen nach einmal durch das Sonnenjahr gewandert. Aber

Abb. 1 Änderung der natürlichen Tageslänge im Jahresverlauf (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Abweichung_der_ Tagesl%C3%A4nge_vom_SI–Tag_.svg, zuletzt geöffnet am 20.3.2013).

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auch ohne den Mond als Störfaktor ist keine ein- logischen, biologischen (Knochenwachstum, Fort- fache Übereinstimmung herbeizuführen2. Im Jahr pflanzungsfähigkeit) oder wahrgenommenem Alter 2000 dauerte ein tropisches Jahr z. B. 365 Tage, 5 (Aussehen, Selbstwahrnehmung) übergeordnet. Stunden, 48‘, 45‘‘, ein siderisches Jahr (Sternenjahr) dagegen 365 Tage, 6 Stunden, 9‘ 10‘‘. Damit sind für Die individuelle Wahrnehmung von Zeitdauer jeden Kalender regelmäßige Eingriffe, z. B. Schalt- ist nicht zwingend an das Verstreichen fester und stunden und Tage nötig, um die anhand der Him- gleichartiger Zeiteinheiten gebunden (vgl. Gardner melskörper gezählte Zeit mit den über die Vegetation 2012, 151-152), umgekehrt entspricht die abstrakte wahrgenommenen Jahreszeiten und Fixpunkten, wie und meßbare Zeit nicht unbedingt der persönlichen Tag- und Nachtgleichen, über längere Zeiträume zu Wahrnehmung – Zeit vergeht ‚wie im Fluge‘ oder ist synchronisieren. ‚wie Blei‘. Edmund Leach (1961: 133) weist darauf hin, dass in nicht-industriellen Gesellschaften oft Nicht alle Sprachen haben jedoch Wörter für die im Jahresverlauf anfallende Arbeit die Zeitwahr- ‚Jahr‘ oder ‚Monat‘ (z. B. Schieffelin 2002: 10), die nehmung bestimmt, weniger die absolut verstriche- Bedeutung und Verbreitung von Zeitmessung über ne Zeit. Ohne künstliche Beleuchtung und äußere die Bewegung von Himmelskörpern sollte also nicht Zwänge scheinen Menschen z. B. im Winter länger überschätzt werden. Zudem können kürzere Zeitein- zu schlafen als im Sommer (Kohsaka u. a. 1992); für heiten auch über Prozesse definiert werden, die von die Nuer vergeht die Zeit in der Regenzeit langsamer der Bewegung der Himmelskörper nicht direkt ab- als in der Trockenzeit (Evans-Pritchard 1939: 204). hängig sind, wie z. B. die Gärung und die Reifung Auch das Ausmaß gesellschaftlicher Veränderungen von (gutem) Bier in sieben Tagen bei den Tiv in Ni- und persönlicher Aktivitäten kann für die Zeitwahr- geria (Bohannan 1953: 257). nehmung eine Rolle spielen (Flaherty u. a. 2005).

Auf Ellis McTaggart (1908) geht die Unterschei- dung der Beschreibung von Zeit in die A- und B- Zeitwahrnehmung Serie zurück. Die A-Serie (Präsentismus) beschreibt den Zeitverlauf mit den Konzepten Vergangenheit, Körperliche Rhythmen und Veränderungen zeigen Gegenwart und Zukunft. Die B-Serie (Eternalis- ebenfalls das Verstreichen der Zeit an.3 Erstere sind je- mus) beschreibt den Zeitverlauf dagegen als Abfolge doch unterschiedlich stark standardisiert (zirkadischer von Ereignissen (McTaggart 2008: 22). McTaggart Rhythmus, Menstruation) und zudem ungleich über kommt zu dem Schluß, daß Zeit nicht real ist. den Lebenszeitraum verteilt. Körperliche Veränderun- gen sind in der Jugend am stärksten (Größenwachstum etc.) und scheinen dann im Erwachsenenalter eine Zeit- lang stillzustehen, bis die Alterung einsetzt4. Die unter- Zeitverlauf 1 schiedlich wahrgenommene Zeit in den verschiedenen Lebensaltern – in der Kindheit vergeht die Zeit langsa- Ereignisse werden durch die Begriffe vorher und mer – kann sogar biologische Grundlagen haben (Leach nachher geordnet. Inwieweit die Unterscheidung 1961: 133). Kulturelle Klassifizierungen, wie der von Vergangenheit–Gegenwart–Zukunft (John Mc- Status als Kind, Erwachsene(r), Vater/Mutter eines Taggarts A-Serie, perdurantistische Sichtweise, vgl. Kindes, Alte(r) und Greis(in) oder nach Altersklas- z. B. McLure 2005: 139–164) universell (Gell 1992: sen und Familienstand sind jedoch oft dem chrono- 149–174) und nicht durch die grammatische Struk- tur bestimmter Sprachen bedingt ist (vgl. Le Goff 2 Wobei die unterschiedliche Mondperiode nur dann zum Störfaktor wird, wenn eine exakte Zählung der 1999 [1977]: 29–32; Kasabova 2008: 333f.), bleibt Perioden durchgeführt wird. Die Nuer etwa passen die zu klären. Sprachen wie Deutsch, Englisch und Fran- Mondperioden einfach dem phänologisch erkannten zösisch kennen zudem mehrere grammatikalische ‚richtigen’ Monat im Jahr an (Evans-Pritchard 1939: Formen für die Vergangenheit, im Deutschen etwa 201). Auf Bali, wo exakte Tageszählung wichtig ist, Perfekt (vollendete Gegenwart), (Präteritum (unvoll- weil bestimmte Tage unter guten oder schlechten Vorzeichen fallen, ist dagegen der Vollmond nicht endete Vergangenheit), Imperfekt (Vergangenheit) unbedingt rund, aber „…they do not … seem to be und Plusquamperfekt (vollendete Vergangenheit), unduly worried about this.“ (Howe 1981: 227). Auch Sprachen wie das Türkische können zeitliche Be- die Athener unterschieden zwischen dem wirklichen ziehung und Verhältnisse der Dauer grammatika- und dem ‚bügerlichen’ Neumond (Allen 1991: 161). lisch noch wesentlich feiner abbilden. Dies bezieht 3 Sie können auch als zeitliche Fixpunkte dienen (Bird sich zunächst auf die persönliche Vergangenheit und David 2004: 415). und deren Bezug zur Gegenwart. Wie Jan Vansina 4 Vgl. Evans-Pritchard 1935: 211.

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(1985: 21–24) und Jan Assmann (1992: 66–86) her- schen vier Jahreszeiten in den gemäßigten Breiten, in ausgestellt haben, unterscheiden viele traditionelle Ägypten die Nilflut, welche die drei Jahreszeiten von Gesellschaften aber außerdem zwischen der selbst Überschwemmung, Hervortreten und Trockenheit oder durch Zeitgenossen erinnerten Vergangenheit vorgab (Hannah 2009: 44), Regenzeit und Trocken- und einer mythischen Urzeit, der Zeit der heroischen zeit im Sudan (Evans-Pritchard 1939: 190) und vor- Ahnen, Traumzeit oder goldenem Zeitalter. Auch in herrschende Winde wie der Monsum in Indien, die unserer eigenen Erfahrung besteht ein Unterschied griechischen Anemoi oder der Harmattan in Westaf- vor allem zwischen der selbst erlebten Vergangen- rika (Bohannan 1953: 254) gliedern den Jahresver- heit, der Vergangenheit, die von Zeitgenoss_innen lauf, geben aber nicht unbedingt einen Jahresbeginn beschrieben wird, der schriftlich fixierten Geschich- vor. Auch die Migrationen bestimmter Tierarten kön- te und der Vorgeschichte. nen als Fixpunkte dienen, wie Ankunft oder Abflug von Störchen, Schwalben oder Schnepfen in Mittel- Zeitverlauf wird in Metaphern der Bewegung be- europa, das Schwärmen des Herings auf Sachalin schrieben, wie ‚Fluß der Zeit‘ und ‚Fortschritt‘ (vgl. (Ohnuki-Tierney 1973: 288) oder des Paiolo-Wurms Gold 1965), und ist damit von der axialen Symmetrie auf den Torres-Inseln (Mondragón 1994: 291). Die- des Wirbeltierkörpers und den nach vorne gerichte- se Vorgänge sind zwar periodisch, aber nicht exakt ten Augen bestimmt, die eine klare räumliche Un- zeitlich fixiert. Auch der Beginn des Monsums oder terscheidung zwischen ‚vorwärts‘ und ‚rückwärts‘ die Nilflut liefern einen klaren Fixpunkt innerhalb vorgeben. Intelligente Seesterne oder Oktopoden des Jahres, der freilich nicht immer auf das gleiche würden vermutlich mit anderen Zeitbegriffen arbei- siderische Datum fällt. In Mitteleuropa fehlt ein ver- ten. Zeitbegriffe, also die Art, wie Zeit beschrieben gleichbar deutliches und räumlich weit verbreitetes wird, haben einen unmittelbaren Einfluß darauf, wie Signal, etwa für den Beginn des Frühlings. geschichtliche Narrative konstruiert werden, in de- nen Zeit als kausativer Faktor dient. Sonnenauf- und -untergang geben Tag und Nacht klare Grenzen. Kosmische zeitliche Fixpunkte, wie In der Moderne wird Zeit gewöhnlich als linear Sonnenwende und Equinox, können aber nur durch und unumkehrbar erfahren. Dagegen ist der Zeit- eine systematische Himmelsbeobachtung unter pfeil der Newtonschen Physik prinzipiell umkehrbar Nutzung von Fixpunkten erkannt werden, das gleiche (Price 2011). Ob die Zeit Anfang und Ende hat, ist gilt für die Bewegung von Planeten und Sternen wie sowohl in der Physik (Urknall) als auch vielen Re- dem Sirius (Hannah 2009, Kapitel 2). Mit Ausnahme ligionen umstritten. Manche Religionen nehmen zu- von Sonnenauf- und -untergang und der Mondphasen dem Wesen an, die ganz oder teilweise außerhalb der sind für die Bestimmung der meisten kosmischen Zeit stehen (Götter, Buddhas, Engel bei Thomas von Rhythmen Instrumente notwendig – Sonnenuhren, Aquin) bzw. einen zeitlosen/überzeitlichen Zustand, Markierungen des Sonnenstandes, Astrolabien usw.5 an dem auch Menschen bzw. deren Seelen teilhaben Die Existenz von Kalendern und Kalenderbauten seit können (Ewigkeit, Nirwana). dem Paläolithikum wird immer wieder behauptet (z.B. Marshak 1972; Schmidt-Kaler 2008; Coolidge und Overmann 2012: 207, für die Bronzezeit s. etwa Thom u. a. 1988; Menghin 2008), ist jedoch Zeitmessung umstritten (Rosenstock in diesem Band).

Zeitmessung beruht auf periodisch wiederkehren- Zeitmessung kann aber auch für sehr unterschied- den Ereignissen (vgl. Leach 1961: 125), mit denen liche Zeiträume durchgeführt werden. Menstrua- Zeiteinheiten – Tag und Nacht, Monate, Jahreszeiten, tionskalender etwa beweisen nicht unbedingt die Jahre, Bewegungen von Planeten – definiert werden. Existenz von (historischer) Chronologie oder Ka- Die verstrichene Zeit kann so als die Zahl von Ereig- lenderwesen; symbolische Zählsysteme sind, wie nissen nach einem willkürlich festgesetzten Fixpunkt das Beispiel des Kerbholzes zeigt, nicht unbedingt angegeben werden (Stunde der Nacht, Olympiaden, an Schriftlichkeit gebunden, sie können aber am ab urbe condita, Regierungsjahre eines Herrschers/ Anfang der abstrakten Schriftentwicklung stehen Herrscherin, Seleukidische Ära, Indiktion, Jahre nach (Schmandt-Besserat 1992). der Passion Christi etc.).

Außerhalb der Tropen ist der Jahresverlauf durch die Witterung und die dadurch bedingte Vegetations- 5 Auch Reiskörner, Hüte (Isler 1991: 156), Stäbe und der änderungen fast immer klar zu erkennen. Die klassi- eigene Körper (Allen 1991: 165) konnten zur Messung eingesetzt werden.

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Zeiteinheiten werden oft nicht gezählt, sondern Wie Shanks und Tilley (1987) betont haben, ist benannt: Monatsnamen bezeichnen ackerbauliche ‚Zeitmessung‘ gewöhnlich mit Herrschaft verbun- Gegebenheiten (Johnston 1963), ‚Wochen‘tage hei- den. Selten waren Kalender vor der Moderne über ßen z. B. nach dem Ort, an dem an diesem Tag ein die oft kleinräumigen politischen Grenzen hinaus Markt stattfindet (Bohannan 1953: 255), Jahre wur- synchronisiert (z.B. Mosshammer 2008: 23f.; Salt den entweder nach eponymen Beamten wie z. B. und Boutsikas 2005; Bohannan 1953: 255f.; Evans- in Aššur (Millard 1994), Griechenland und Rom Pritchard 1939: 201f.).Eine solche Synchronisation (Mosshammer 2008: 11–113), oder nach aus der war teilweise sogar politisch unerwünscht (Allen Sicht des Herrschers oder der Herrscherin herausra- 1996: 161–162) und auch nur bedingt notwendig. In genden Ereignissen benannt („…7. Jahr: Der König einigen Ökotopen mag Zeitmesssung notwendig sein, dDamiq–ilišu hat den ‚dDamiq–ilišu–Kanal‘ graben um erfolgreich Ackerbau zu betreiben (vgl. Nilflut)7, lassen.“, Prang 1975: 153), wie in Neusumerischer in den meisten Klimazonen reichen aber einfache und Kassitenzeit in Mesopotamien (Schmidtke 1952; Umweltbeobachtungen (Bauernregeln etc.) aus, um Horsnell 2004 etc.). zum Beispiel den Zeitpunkt der Aussaat oder Ernte zu wählen8; diese ackerbaulichen Aktivitäten werden ih- Die Zählung der verstrichenen Zeiteinheiten ver- rerseits zur Zeitbestimmung genutzt (z. B. Bohannan langt bei einem solchen System Aufzeichnungen. 1953: 254f.). Dagegen trägt die Synchronisation von Um eine Chronologie aus Jahresnamen zu erstel- Feiern über große Entfernungen zur Aufrechterhal- len, waren Listen und Annalen notwendig. Manch- tung ethnischer oder religiöser Identität bei, erinnert mal wurden solche Nominal- und Intervallskalen sei nur an die großen griechischen Feste, dem Ende auch kombiniert – „die 99. Olympiade, also diese, des Ramadan oder die Bedeutung des Osterdatums in in der Dikon von Syrakus das Wettrennen gewann“ den christlichen Kirchen (Mosshammer 2008; Zeru- (Plutarch, Aristeides 19.7, nach Feeney 2007: 10) –, bavel 1982). was anzeigt, dass alleine die abstrakten Nummern für den/die Leser_innen/Hörer_innen kaum Orien- Staatlich organisierte Gesellschaften hingegen tierung boten. Erscheint es uns kaum möglich, sich benötigen eine homogenisierte Zeitmessung, um die Abfolge von Eponymen oder Konsuln zu mer- in festgesetzen Abständen Abgaben zu erheben, ken, verbanden diese sich für die Zeitgenoss_innen Zwangsarbeiter einzuziehen und den Masseneinsatz mit der Erinnerung an ganz bestimmte politische von Arbeitern und Soldaten zu koordinieren. Die Konstellationen und Ereignisse. Die Abfolge neu- Kontrolle über die Zeit konnte durch ‚öffentliche‘ assyrischer Eponymen folgte weitgehend festen Re- Uhren wie die Klepsydra auf der Athener Agora (Al- geln (Millard 1994). Denis Feeney (2007: 16) weist len 1996) oder die Sonnenuhr des Augustus (Buch- darauf hin, dass auch die römische Oberklasse der re- ner 1982) sichtbar gemacht werden. publikanischen Zeit sich und ihre Zeitgenossen über den honorum sehr genau einordnen konnten, Zeitmessung zeigt Herrschaft an (Greenhouse und dass der Name bestimmter Konsuln ein exaktes 1996: 22). Politischen Umstürzen wie der Franzö- stratifiziertes Beziehungsnetzwerk ins Gedächtnis sische Revolution (Zerubavel 1977), der Oktoberre- rief. Jahresnamen und Eponymen beinhalten also volution oder der Gründung der türkischen Republik bereits eine Zeitdeutung und geben eine bestimmte folgen oft Kalenderreformen. Zinsen sind seit spätes- Struktur des kollektiven Gedächtnisses vor; die Erin- tens der Ur III-Zeit bekannt (Steinkeller 1981: 140; nerungen der herrschenden Klasse wurden systema- Hudson 2000: 133), ihre Berechnung setzt ebenfalls tisch privilegiert, genauso wie eine Zeitzählung nach die Existenz einer genauen und allgemein akzeptier- Altersklassen ein Geschlecht privilegiert. ten Zeitzählung voraus.

Nicht immer werden aus solchen Jahresnamen Mit dem Beginn der kapitalistischen Wirtschafts- jedoch chronologische Systeme erstellt. Die Nuer weise wurde die Arbeitszeit zur Basis der Entloh- bezeichneten Jahre nach wichtigen Ereignissen oder nung, und eine immer feinere Zeitmessung setzte dem Ort des Sommerlagers und konnten meist auch eine Reihenfolge herstellen, übersetzten dies aber 7 Gerade im Alten Ägypten allerdings wichen Kalen- nicht oder nur auf Drängen des Ethnographen in eine derdaten und siderisches Jahr deutlich voneinander ab (Isler 1991). ‚Zählung‘ von Jahren (Evans-Pritchard 1939)6. 8 Evans-Pritchard (1939: 193; 196) berichtet etwa, dass die Nuer den Zusammenhang zwischen dem Er- 6 In anderen Gesellschaften kann dagegen die Reihen- scheinen bestimmter Sternbilder und den Jahreszeiten folge solcher Jahre von den Stammesältesten erinnert durchaus kenne, sich in der Anbau-Praxis aber sinn- und zur absoluten Zeitbestimmung genutzt werden, vollerweise nach dem Regenfall und nicht nach dem z.B. bei den Arapaho (Anderson 2011: 340). Nachthimmel richten.

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ein. Kosmische Zeitgeber wurden zunehmend durch dingt, dies trifft aber auch auf alle anderen Formen der mechanische Uhren ersetzt, die mit einem willkür- Zeitwahrnehmung zu. In der athenischen Demokratie lichen Standard synchronisiert werden konnten z. B. stand vor Gericht auch jedem Redner die selbe (meist die Zeit der Hauptstadt – gesetzliche Zeit, ‚demokratische‘ Zeitspanne zur Verfügung, gemessen Ortszeit); vergegenständlichte Arbeitszeit wird zu durch eine Wasseruhr (Allen 1996). Geld (Marx 1859: 105; Thompson 1967). In der Disziplinierung des Arbeiters/der Arbeiterin (Elias Oft wird behauptet, schriftlose Gesellschaften, in 1976 [1939]; Foucault 1994) spielte die Fabrikuhr denen das Leben durch den Jahresablauf gegliedert oder -sirene eine hervorragende Rolle (Engels 1845: wird, hätten im Gegensatz zu der linearen Zeitkon- 398–401; Beuthner 1999: 173–180). Kleinste Ver- zeption der Moderne eine zirkuläre oder statische spätungen wurden mit Aussperrung und Lohnverlust Zeitvorstellung (Meillassoux 1967; Bloch 1977: 282; bestraft, während der/die FabrikbesitzerIn die Zeit- vgl. Rosenstock in diesem Band). Hier werden jedoch messung kontrollierte und zu seinen/ihren Gunsten oft Zeitmessung und Geschichtskonzeption (s.u.) manipulierte (Engels 1845: 400).9 Genauso wurden verwechselt. Die Rhythmen des landwirtschaftlichen europäische Zeitkonzepte im kolonialen Kontext Jahres konnten analogisch auf den Lebenszyklus von eingesetzt, um disziplinierte Untertanen bzw. Arbei- Göttern und Menschen übertragen werden, worauf ter_innen heranzuziehen (Munn 1992; Schieffelin – unter anderen – schon James Frazer (1907–1915) 2002; Pickering 2004, Anderson 2011: 233). hinwies (s.a. Howe 1981: 228). An diesem Punkt, wie auch bei anderen Zeitbegriffen, besteht jedoch die Ge- fahr, Metaphern mit tatsächlichen Glaubensinhalten zu verwechseln (vgl. Greenhouse 1996: 5). Es scheint Zeitverlauf 2 kaum zulässig, von Johannes 12, 24 „Es sey denn / das das Weitzenkorn in die erden falle / vnd ersterbe / so Shanks und Tilley (1987) wollen substantielle bleibts alleine. Wo es aber erstirbet / so bringets viel menschliche Zeit, also die persönlich wahrgenommene Früchte“ auf ein zyklisches Weltbild der christlichen Zeit, von der abstrakten chronologischen Zeit unter- Religion insgesamt zu schließen. Auch in der Moderne scheiden. Ihr binärer Merkmalskatalog (Abb. 2) ver- wird die lineare und richtungslose Zeit mit runden Uh- mischt allerdings Elemente der Zeitwahrnehmung mit ren, einer mittelalterliche Erfindung mit antiken Vorläu- denen von Geschichtsbewußtsein (s. u.). Zudem besteht fern10 gemessen (Jentzen 1989). bei einer solchen Klassifikation die Gefahr, koloniale und rassistische Stereotype, wenn auch mit umgekehr- In den meisten angeblich zirkulären Zeitvorstel- ten Vorzeichen ungeprüft weiterzuführen (Dietler und lungen wird zudem keine Wiederkehr früherer Zu- Herbich 2010; Anderson 2011). Die Definition einer stände erwartet, das Bild einer Spirale wäre also abstrakten Zeit ist einer bestimmten gesellschaftlichen angemessener. Auch im ‚ewigen‘ Kreislauf von Le- Formation zuzuweisen. Sie ist gesellschaftlich be- ben, Tod und Wiedergeburt der buddhistischen und

Substantial or time Abstract or chronological time marked time measured time submission to the passage of time managed time self-enclosed recurrent moments repetitive segments of regular succession the forthcoming exalted by tradition the future: an open void imitation of the past; conformity with an ancestral model design of a projected future concrete horizons of the present; single context of meaning mutually exclusive possibility reading signs to which tradition provides the key ‚rational’ calculation deferred consumption (hoarding) abstract accumulation gift credit social imperative ‚rational’ choice

Abb. 2 Substantielle, menschliche Zeit und abstrakte chronologischer Zeit nach Shanks und Tilley (1987).

10 In der anaphorischen Wasseruhr des Hipparchos drehte 9 Schieffelin (2002) für die Veränderung von sich die Scheibe, nicht der Zeiger (Noble und Price 1968: einheimischen Zeitbegriffen im kolonialen Kontext. 351f.).

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hinduistischen Religionen wird eine Reinkarnation sellschaften zur Verfügung stellen (Durkheim 1912; als ‚höheres‘ Wesen oder ein Ende des Kreislaufs im Halbwachs 1985 [1939]). Nirwana angestrebt, hier ist also ebenfalls eine dritte Dimension im Spiel. Insgesamt scheint jede genaue- Zeit wird in der individuellen Gegenwart durch re Untersuchung (z. B. Howe 1981) zu zeigen, dass Erinnerung und Antizipation erfahren und Zeiter- die Nutzung zyklischer Vorgänge zur Zeitmessung fahrung wird innerhalb der individuellen Gegenwart nicht mit einer zyklischen Zeitvorstellung verwech- über Begriffe und Mechanismen, die gesellschaftlich selt werden darf. vorgegeben sind, mit anderen geteilt.

Die Idee einer tatsächlich zirkulären Zeit mit ei- ner identischen Wiedergeburt im nächsten Zyklus des Zeitverlaufes wurde unter Umständen von den Erinnerung Pythagoräern und dem Stoiker Chrysippos vertreten (Drozdek 2002: 409). Beides sind hochabstrakte phi- Erinnerung holt ausgewählte Elemente der Ver- losophische Spekulationen, die kosmische Vorgänge gangenheit in die Gegenwart zurück. Sie heftet sich zum Vorbild haben. Von Vico über Nietzsche bis zu an als wichtig empfundene Ereignisse12 und regis- Eliade waren zyklische Zeitmodelle mit konservati- triert zeitliche Abstände relational im Sinne von ver und reaktionärer Ideologie verbunden. Ein Beleg vorher/gleichzeitig/nachher (James MacTaggarts für ihre Existenz in nicht-industriellen Gesellschaf- B- Serie). Der Erinnerungsprozeß im Sinne von ‚Re- ten steht m. E. jedoch aus. collection‘ wird durch Ereignisse in der Gegenwart in Gang gesetzt, und die Verknüpfung von Ereignis- Wie weiter oben bereits angedeutet, kann Zeit sen erfolgt nicht unbedingt über eine chronologische aus der Außensicht als Abfolge von Ereignissen be- Abfolge, sondern durch Assoziationen, die diversen schrieben werden. Eine Innensicht schließt den Be- persönlichen Erfahrungen folgen. Die Zeit der Er- obachter_innenstandpunkt ein. Ob die uns geläufige innerung ist also nicht notwendig linear, und sie ist Dreiteilung in Vergangenheit, Gegenwart und Zu- definitiv nicht intervallskaliert; wichtige Ereignisse kunft universal gilt, ist umstritten, auch die scheinbar können durch lange ‚leere‘ Zeitabschnitte getrennt selbstverständliche Lokalisierung ‚der‘ Vergangen- sein, die nicht erinnert oder zumindest nicht berich- heit ‚vor‘ der Gegenwart und ‚der‘ Zukunft ist nicht tet werden. Chris Gosden (1994: 2) unterscheidet universell. Die Beschreibung von Zeitverlauf in daher gemessene versus erfahrene Zeit. Zudem ist Raummetaphern ist kulturell und sprachlich geprägt, Erinnerung kontextabhängig, unterschiedliche As- wobei die sprachlichen Mittel zur Zeitbeschrei- soziationen und Kontexte rufen die Erinnerung an bung für den Benutzer weitgehend unsichtbar, weil unterschiedliche Ereignisse hervor und bestimmen selbstverständlich und nicht vermeidbar sind. Casad auch die Art ihrer Verkettung. (1977: 227) beschreibt, dass für die mexikanischen Cora die Zukunft nach vorn und bergauf liegt.11 Ihr Erinnerung – und alle Berichte über Erinnerung räumliches (und grammatikalisches) Koordinations- wie Geschichte und Geschichtsschreibung beruhen system ist durch die Achsen der persönlichen Sicht auf Auswahlprozessen. Aus der potentiell unendli- nach vorne, einer rechtwinklig dazu verlaufenden chen Zahl von Ereignissen werden bestimmte Er- Grenze, und dem Flußtal bestimmt. Das klingt exo- eignisse als relevant ausgewählt und aneinanderge- tisch, aber vielleicht exotischer, als es in der Praxis reiht. Die zeitliche Abfolge gliedert diese Ereignisse, und bei einer weniger genauen linguistischen Ana- wird aber nicht immer strikt beachtet. Jürgen Straub lyse wäre. (1998) hat herausgearbeitet, wie eine klare narrative Struktur berichteten individuelle Erinnerungen Sinn Zeit mag, wie Immanuel Kant (1781) behauptete, gibt. Orale Tradition stellen erinnerbare und narra- eine vorgegebene Kategorie sein, mit der wir unse- tiv befriedigende Abfolgen her, sie sind aber wenig re Wahrnehmung organisieren, persönliche Wahr- geeignet, Zeitdauer zu registrieren. „Die Erinnerung nehmung ist aber nur in den sehr unterschiedlichen haftet eben nicht an der Zeit selbst, sondern an den Begriffen beschreibbar, welche die jeweiligen Ge- Ereignissen.“ (Hartmann 1950: 207).

11 „…the Coras view time as marching uphill: the present time is at the foot of the hill looking upwards while the remote past is at the foot of the hill as seen from up on 12 Die Beurteilung solcher Ereignisse kann sich top. Finally, the relation of one completed event to a durchaus durch die Zeit ändern, und die Erinnerung an prior one is seen as taking place somewhere along the bestimmte Ereignisse unterdrücken beziehungsweise slope up the hill.“ (Casal 1977: 227). wiederbeleben, vgl. z.B. Dolff-Bonekämper 2011.

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Wie Maurice Halbwachs (1985 [1939]) betonte, den hier Namen ausgelassen oder an Handlungsträ- ist persönliche Erinnerung grundsätzlich in einen ger_innen des Ursprungsmythos beziehungsweise an sozialen Kontext eingebunden. Erinnerung wird mit Personen aus der „Zwischenzeit“ assimiliert („tele- einer Gruppe geteilt, in einer Gruppe erzählt und ver- scoping“). Ebenso kann ‚kanonischen‘ Namensträ- ändert, die Gruppe stellt die ‚Rahmen‘ der Erinne- ger_innen, deren Geschichte vergessen wurde, im rung zur Verfügung, von Sprache (Kategorien) über Zuge politischer Umwälzungen eine neue Geschich- Denk- und Erzählmuster bis zur Sinngebung. „… te zugewiesen werden. Erinnerung, auch institutio- sobald ein Mitglied einer Gruppe einen Gegenstand nalisierte Erinnerung, ist also immer plastisch. Sol- wahrnimmt, gibt er ihm einen Namen und ordnet ihn che Genealogien dienen der Rechtfertigung jeweils in eine Kategorie ein, d.h., er unterwirft sich den gegenwärtiger Herrschaftsansprüche von Einzelper- Konventionen der Gruppe, die sein Denken wie das sonen, Familien oder Stammesgruppen (vgl. Mil- der anderen ausfüllen.“ (Halbwachs 1985 [1939]: ler 1979: 82–88). Seniorität oder im Gegenteil die 363). Verschiedene Gruppen wie Familien, Religi- Gründe, warum diese Seniorität keine Bedeutung onen oder Klassen stellen unterschiedliche Rahmen hat/haben sollte, wie etwa die Geschichte von Jakob zur Verfügung; jedes Individuum ist aber gleichzei- und Esau (Genesis 25), bestimmen die Stellung die- tig Mitglied mehrer Gruppen, und damit auch Teil ser Gruppen innerhalb der Gesellschaft und erklären verschiedener „kollektiver Erinnerungen“ (Halb- die seitherige politische Geschichte – in diesem Fall wachs 1985 [1939]: 81). Kollektive Erinnerung ist das Verhältnis von Israeliten und Edomitern. Ass- also gruppenspezifisch, kontextabhängig, multipel mann (1992: 85) spricht hier von „verdichtete[r] und veränderlich, obwohl der Begriff „kollektive Vergangenheit“, während für Jack Goody (1968: 39) Erinnerung“ manchmal als reifiziertes „Gruppenbe- die Vergangenheit so unvermeidlich von der Gegen- wußtsein“ (Forty 1999: 2) mißverstanden oder gar wart ‚aufgefressen‘ wird: „it represents a mythical mit dem Nationalbewußtsein auf der Grundlage ko- projection of contemporary values and social relat- härenter Symbole und eines kanonischen Ursprungs- ionships“ (Bailey 1983: 179). mythos oder einer Nationalgeschichte gleichgesetzt wird. Entscheidende Ereignisse – Henri Bergson In manchen nicht-schriftlichen Gesellschaften gibt (1964) nennt sie „dominante Erinnerungen“, Halb- es Erinnerungsspezialist_innen, die erstaunlich lan- wachs „Anhaltspunkte“ (1985 [1939]: 372) – liefern ge Genealogien und komplexe Gedichte überliefern den Rahmen, in dem Individuen ihre Erinnerungen können, z. B. im mittelalterlichen und frühneuzeitli- zusammenführen können (vgl. Birth 2006 für eine chen Irland (Nagy 1986; Ross 1998), in Westafrika empirische Untersuchung). Gleichzeitig liefern sie (Miller 1979; Vansina 1985), in Australien oder im aber auch eine Deutung der Ereignisse, „…eine Ket- archaischen Griechenland (Rhapsoden). Diese ste- te von Urteilen…“ (Halbwachs 1985 [1939]: 372). hen meist im Dienste politischer Machthaber_innen und überliefern – extrem selektiv – die wechselnden Für Erinnerungen, die mündlich innerhalb einer Genealogien und Geschichten der Oberschicht. Gruppe weitergegeben werden, unterscheidet Vansina (1985: 12f.; 147) „orale Geschichte“, Für Assmann (1992: 98) sind solche mündlich persönliche Erinnerung bzw. aus anderen Quellen überlieferten Berichte über die Vergangenheit – er geschöpfte Kenntnisse über Ereignisse während spricht von Mythen – weitgehend unveränderlich der eigenen Lebenszeit, von „oraler Tradition“, die und innovationsresistent. Dies ändere sich mit dem über viele Generationen reicht. Beide sind Teil der Übergang zur Schriftlichkeit. Texte geben nach Ass- kollektiven Erinnerung. mann die Möglichkeit, der überlieferten Vergangen- heit kritisch gegenüber zu treten und neue Formen Auch in der kollektiven Erinnerung nehmen wich- der Erzählung zu erproben. Erst mit der Schrift erge- tige Ereignisse einen großen Raum ein, während die be sich so ein Gegensatz zwischen alt und neu (Ass- ereignislose Zeit zunehmend zusammengeschoben mann 1992: 100). Dabei übersieht Assmann, dass wird. Zwischen den Ereignissen, die aus eigener Er- auch viele in feste Form gebrachte Überlieferungen fahrung und der Erzählung von Augenzeugen bzw. in zahlreichen Fassungen vorliegen, beispielsweise den Berichten von Zeitgenossen bekannt sind, und der epische Zyklus um den Fall Trojas, aber auch an- der mythischen Vergangenheit des jeweiligen Ur- dere griechische Mythenzyklen. Vermutlich wurde sprungsmythos entsteht eine Lücke („floating gap“, nur ein geringer Bruchteil dieser verschiedenen Fas- Vansina 1985: 24), ein Zeitabschnitt, aus dem meist sungen überhaupt schriftlich fixiert und überliefert. nur Genealogien und einzelne wichtige Ereignisse Je nach politischer Situation und nach der Stellung ohne weitere Details überliefert sind. Wenn Erin- des Akteurs/der Akteurin in der Genealogie – auch nerungskapazität und Interesse erschöpft sind, wer- diese ist, wie Vansina (1985) gezeigt hat, keines-

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wegs immer fixiert – können unterschiedliche Fas- Sowohl Erinnerung als auch Geschichte sind also sungen desselben Mythos‘ aktiviert werden und in formbar und passen sich neuen Umständen an. Zeit- Konkurrenz zu der bisher etablierten Fassung treten. liche Abfolgen wirken aber als Kitt, der eine Rei- Intertextualität, also die Einbeziehung von Elemen- he von Ereignissen zusammenhält. Zwar werden ten aus anderen Symbol- und Diskurssystemen (Erll manchmal Abfolgen umgedreht, das scheint aber 2005: 67) und Intermedialität sind damit auch in der insgesamt schwieriger, als Abschnitte wegzulassen mündlichen Überlieferung möglich, genauso wie (Cooper 2010) oder Ereignissen einen anderen Sinn Re-Semiotisierung, das Aufladen überlieferter In- zu geben. halte mit neuer Bedeutung (Erll 2005: 65–74). Mo- derne Forschungen zur Oralität haben zum Beispiel gezeigt, dass verschiedene Kohorten, Personen mit gleichartigem Erfahrungshintergrund, sich in ihren Rituale Selbsterzählungen auf unterschiedliche kulturel- le Hintergründe beziehen (Chandler 2005; Nelson Wie besonders Paul Connerton (1989) hervorge- 2003). Dies kann Teil einer bewußten Abgrenzung hoben hat, bestehen kollektive Erinnerungen nicht dieser Gruppen sein, die zusätzlich auch nach Außen nur aus Worten. Wissen im weitesten Sinne wird sichtbare Elemente materieller Kultur wie Kleidung nicht nur (mit)geteilt, sondern auch inszeniert (Wulf und Waffen nutzen können (z.B. Larick 1986). und Zirfas 2004). Rituale gehören zu den wirksam- sten Mechanismen, um Gemeinschaft herzustellen Die Idee einer einzig gültigen, kanonischen Fas- (Durkheim 1912). Sie stützen sich nicht nur auf er- sung schriftlicher Überlieferung scheint zudem, von innerte Berichte, sondern vor allem auf Körpertech- religiösen Schriften wie der Bibel oder dem Koran niken. Durch habituelles Gedächtnis, die Erinnerung abgesehen, erst in der Moderne entstanden zu sein. an körperliche Praktiken, wird die Vergangenheit in Zynisch gesprochen funktioniert Geschichte als die den Körper „einsedimentiert“ (Connerton 1989: 72). gelebte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit Connerton wählt als Beispiel Nazionalsozialistische viel besser ohne Schrift, welche die veraltete Fas- Rituale, in denen nicht Gedenken, sondern Perfor- sungen der Geschichte quasi fossilisiert. Letztere manz im Mittelpunkt steht. Die Teilnehmer_innen müssen dann den gegenwärtigen Verhältnissen ent- des Rituals werden zu Zeitgenoss_innen des my- sprechend umgedeutet werden, statt einfach dem thischen Ereignisses, die normale Zeit wird ausge- Vergessen anheimzufallen. Wie die berühmte „Kon- setzt, der Zeitverlauf negiert (Connerton 1989: 44). stantinische Fälschung“ und andere Dokumente zei- Auch bei anderen jährlichen Ritualen verbinden sich gen, ist eine Anpassung der Geschichte an die zeit- die institutionalisierte kollektive Erinnerung an ein genössische Realität aber auch im Mittelalter immer wichtiges Ereignis mit der persönlichen Erinnerung noch möglich und gängig – Urkunden, die es nach an die Teilnahme an diesem Ritual und damit dem den Vorstellungen der Zeit eindeutig gegeben haben Ereignis selbst; die scheinbar unveränderte Wieder- müßte, werden eben nachempfunden. holung und der Zeitpunkt im Jahresverlauf selber negieren das Verstreichen der Zeit und stellen eine Die Regeln, die der Historismus seit dem frü- scheinbar ewige, unveränderliche Gegenwart her. hen 19. Jahrhundert für den Umgang mit bzw. der Beschreibung von Geschichte entwickelte, machen Archäolog_innen sind mit Bewegungsabfolgen eine solche Anpassung der ‚Geschichte‘ an die Be- innerhalb von Herstellungstechniken vertraut (Leroi- dürfnisse der Gegenwart deutlich schwieriger. Dass Gourhan 1987 [1964/65]; Ingold 2001), aber auch sich die Regeln wirklich geändert haben, wie die die Erinnerung an bedeutsame Ereignisse, wie das Vertreter des Historismus behaupten, darf jedoch Abendmahl in der christlichen Religion (Halbwachs füglich bezweifelt werden. Auch in der schriftlich 1985 [1939]) können durch Performanz Teil einer überlieferten Geschichte können mehrere Fassungen permanenten Gegenwart werden. Wie Halbwachs gegeneinander stehen, und dasselbe Faktoid kann zeigt, sind solche Rituale jedoch durchaus plastisch auf unterschiedlichste Weise in eine Erzählung ein- und veränderbar – ihr Ablauf oder, häufiger, ihre gebunden werden. Selbst heute haben Leser_innen Deutung können aktuellen Interessen angepaßt wer- keine Schwierigkeiten, mehrere, unter Umständen den, wie zum Beispiel die häufigen Auseinanderset- widersprüchliche Versionen eines Textes zu rezipie- zungen um das Abendmahl und andere Teile des Ri- ren, hingewiesen sei nur auf die endlosen Variatio- tus in den christlichen Kirchen zeigen. Gleichzeitig nen des ‚Ursprungsmythos‘ von Comic-Helden wie markiert das Ritual einen konkreten Zeitpunkt und Batman oder Spider-Man. dient damit als Zeitzähler. Auch die Erinnerungen an vergangene Rituale zeigen kann das Verstreichen der

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Zeit anzeigen (Altern der Teilnehmer_innen, Verän- wurde, was ich bin), oder, als Teil der kollektiven derungen der Umgebung etc.). Rituale verbinden so Erinnerung, die Erhaltung der Gruppenidentität. persönliche und kollektive Erinnerung. Sie binden Wie Halbwachs am Beispiel der Familie hervorhebt, sie in eine gemessene Zeit ein, aber negieren gleich- ist es der „ständige Austausch von Meinungen und zeitig das lineare Verstreichen der Zeit. Eindrücken“ (Halbwachs 1985 [1939]: 203), der die Gruppe zusammenhält und eine Kommunikationsge- Im Gegensatz zu ‚Zeit‘ hat das Thema Erinnerung meinschaft herstellt. Deren Unterhaltungen können Konjunktur in Archäologie und Vorgeschichtsfor- für Außenstehende fast unverständlich sein, weil sich schung (etwa Edmonds 1999; Eckart/Williams 2003; die Mitglieder beständig auf bekannte Ereignisse, van Dyke/Alcock 2003; Williams 2003; Williams Phrasen etc. berufen, die nicht allgemein verständ- 2006; Devlin 2007; Jones 2007; Yoffee 2007; Olivier lich sind bzw. zum Verständnis eben die relationa- 2008; Lillios 2008; Mills/Walker 2008; Themenband len Abfolgen und Zusammenhänge des kollektiven von World Archaeology 20/2, 2008; Barbiera u. a. Gedächtnisses als Vorwissen benötigen. Gleichzei- 2009; Georgiadis/Gallou 2009; Borić 2010; Lillios/ tig sind familiäre Erinnerungen aber auch Modelle, Tsamis 2010; Porr 2010). Im deutschsprachigen Be- Beispiele und Lehrstücke (Halbwachs 1985 [1939]: reich ist hier vor allem Ulrich Veit (2003) zu nennen, 209). sowie zahlreiche Beiträge, die den Zusammenhang zwischen Bestattung und Erinnerung beleuchten Auch moderne Geschichtsschreibung produziert (Jarnut und Wemhoff 2003; Brather 2009). Die ar- allerdings Geschichte für ganz bestimmte Gruppen. chäologische Diskussion stützt sich dabei vor allem Für den Historiker Ernst Bernheim beschäftigt sich auf das grundlegende Werk von Halbwachs (1985 die Geschichtswissenschaft mit dem „…Werden [1939]) über die „mémoire collective“. Im englisch- und Wesen jener größeren socialen Gemeinschaften sprachigen Bereich wurde vor allem Paul Connerton und Gemeingüter, jener Gemeinschaften, zu denen (1989) und sein Konzept der ‚Körperpraktiken‘ re- die Menschen sich zusammenschließen, um auf der zipiert, in Deutschland dagegen hauptsächlich die Erde existieren und sich menschlich ausbilden zu Werke der ‚Heidelberger Schule‘ um Assmann (Ass- können, jener Gemeingüter, welche durch die Arbeit mann 1992; Assmann 1999; Assmann und Harth der Menschen errungen werden und die menschliche 1991). Kultur ausmachen.“ (Bernheim 1903: 3f.). Der Be- trachtungskreis kann dabei „die Welt oder ein Volk oder eine Gemeinde bedeutenden Individuen“ sein (Bernheim 1903: 4). Die Geschichtsschreiber_in- Geschichte nen produzieren also Ursprungsmythen, den Bericht darüber, wie die jeweiligen Gruppen so geworden Geschichte und Erinnerung sind, wie sie jetzt sind, und Vorbilder für zukünftiges Handeln, unter der Auswahl der für diese spezielle Was ist der Unterschied zwischen Geschichte und Geschichte als relevant betrachteten Faktoren etwa Erinnerung? Oft wird angenommen, dass Geschichte als Meistererzählungen oder „Antworten auf Fragen fixiert und in eine Form gebunden sei, Erinnerung nach kultureller Identität“ (Rüsen 1998: 23). dagegen nicht. Der/Die ErinnerungsspezialistIn sammelt Berichte über vergangene Ereignisse, also Sowohl erzählte Erinnerung als auch der Bericht verschiedene Erzählungen über persönliche Erin- der Erinnerungsspezialist_innen enthalten jedoch nerungen, verbindet sie und bringt sie in eine feste viel Material, das auf den ersten Blick wenig identi- Form, um sie einer spezifischen Gruppe zu berich- tätsstiftend wirkt. Weder die Geschichte der zerbro- ten, mündlich oder in Schriftform. Der Übergang chenen Kaffeetasse noch die zahlreichen „Haupt- und ist jedoch fließend: die Großmutter, die den Enkeln Staatsaktionen“ vergessener Herrscher des Mittelal- über die Familiengeschichte berichtet, wird oft eben- ters und der frühen Neuzeit beinhalten eine Lehre falls feste Erzählformen ausgebildet haben, und wie für die Zukunft oder sind besonders interessant. Sie jeder von Familienfeiern weiß, bleiben Berichte über sind reine Füllsel. „What these sounds mean… is: I familiäre Vorfälle („wie Tante Hilda die Kaffeetasse am alive and so are you“ (Pratchett 1991: 134). Eine aus dem guten Service zerbrach“) über Jahrzehnte Kommunikationsgemeinschaft stellt damit jedoch hinweg identisch, ausgelöst vom Anblick eben jenes Gruppenidentität her; zu dem Ritual der Familienfei- guten Services mit der nun fehlenden Tasse. er gehört neben dem gemeinsamen Essen eben auch die Erzählung uninteressanter Anekdoten aus der un- Die erzählte Erinnerung bezweckt die Herstellung mittelbaren Vergangenheit. Nicht alle leben über die bzw. Bekräftigung der personalen Identität (wie ich Generationen hinweg, sie verbinden so auch Alters-

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gruppen. Gleichzeitig stellen sie einen Fundus von denkmäler, Grab des unbekannten Soldaten etc.) an Begebenheiten zur Verfügung, die mit Bedeutung denen Gedenken durch Repräsentant_innen der Re- aufgeladen werden können, wenn eine geeignete Si- gierung stattfindet (‚Kranzabwurfstellen‘) oder jede tuation eintritt. Sollte sich die Familie spalten, kann größere Siedlung mit einem Denkmal ausgestattet die zerbrochene Kaffeetasse als Bosheit, Ungeschick werden. Sie schaffen Erinnerungsorte, die über Bil- oder Mißachtung gedeutet werden. der, Inschriften und Rituale mit dem zu erinnernden Ereignis, nicht jedoch mit dessen Lokalisation ver- Der überwiegenden Teil kollektiver Erinnerun- bunden sind. Institutionalisierte Erinnerung ersetzt gen und kodifizerter Geschichte besteht aus solchem persönliches Angedenken (vgl. Nora 1984–1992). blind code. In der Geschichtsschreibung können Im Gegensatz dazu findet entortete Erinnerung über Ereignisse über längere Zeit mitgeschleppt werden, Rituale, Erzählung oder Abbildung statt, wobei Ab- bis ihnen ein narrativ befriedigender Sinn verliehen bildungen Ereignisse oft zusätzlich entzeitigen, was wird. In einer Untersuchung von Motiven in sächsi- hier jedoch nicht weiter verfolgt werden kann. schen Schulbüchern (Friedrich u. a. 2002) konnten die Autor_innen zeigen, wie aus der unverbundenen In einem Bericht über das, was geschehen ist, kann Abfolge – Teilung der Wettiner Ländereien zwischen grundsätzlich jedes beliebige Ereignis mit einer ande- Ernst und Albrecht von Sachsen 1485, Sturz Ernsts ren verbunden werden; Raum und zeitliche Abfolge vom Pferde nahe Colditz 1486, Bestattung im Dom liefern dabei sowohl Verbindung als auch Sinnge- von Meißen – die anrührende Geschichte darüber bung; in der Geschichtsschreibung wie in der indivi- wurde, wie Ernst von Sachsen an gebrochenem Her- duellen Erinnerung. Aus ‚erst… dann’ wird so ‚weil’ zen starb, weil er in der Leipziger Teilung Meißen (vgl. Schmidt 2003: 86–88; Kasabova 2008: 350): verloren hatte, und im Dom von Meißen bestattet „The order of the narrated event is essentially a func- wurde, das er zu Lebzeiten nicht hatte besitzen kön- tion of the narration and not of the order of the event nen. Den Ereignissen wird aus der Sicht späterer Zeit itself, since narrations aim at constructing coherent eine Bedeutung zugewiesen, die sie für die Zeitge- stories which are accepted by the audience.“ (Schmidt noss_innen nicht hatten (Danto 1962: 154; 1965: 2008: 193). 143–181). Seit dem Linguistic turn in der Geschichtswissen- schaft (White 1973) wird den narrativen Mitteln, mit denen Geschichtsschreibung arbeitet, verstärkt Auf- Geschichte und Sinngebung merksamkeit geschenkt (vgl. Hanisch 1996). Dies zerstörte den sorgsam aufgebauten historistischen Erinnerung ist oft mit konkreten Orten und Ge- Mythos einer objektiven Geschichtsschreibung sine genständen verbunden. Der Besuch dieser Orte kann ira et studio und stellt den Zusammenhang zu Erin- die Aktivierung und Weitergabe von Erinnerungen nerung wieder her. auslösen und Teil eines Rituals werden (Wallfahrten, Gedenkfeiern, Initiationsriten). Der Verlust von Ter- Es gibt also verschiedene Arten, Vergangenheit und ritorien kann so auch zum Verlust der entsprechen- Zukunft in die gemeinsame Gegenwart zu holen (vgl. den Erinnerungen und des mit diesen Orten verbun- Faubion 1993). Geschichtsschreibung oder die Wei- denen Wissens führen (vgl. Anderson 2011: 241 für tergabe mündlicher narrativer Überlieferung durch die Arapaho). Die kollektive Erinnerung ist weniger Erinnerungsspezialist_innen wie westafrikanische durch die zeitliche Abfolge von Ereignissen, als den Griots, irische Barden, skandinavische Skalden, bal- zugrunde liegenden Ort geprägt (Anderson 2011; kanische Guslari oder griechische Rhapsoden ist nur Myers 1986). Dieser kann, aber muß nicht besonders einer dieser Mechanismen (vgl. Rüsen 1998: 63). Die- gekennzeichnet werden, etwa durch Steinsetzungen se sind, wie die Behauptung zahlreicher Autor_innen (Anderson 2011: 241), Petroglyphen, Inschriften seit Hegel, diese oder jene Gruppe habe/kenne keine oder Denkmale. Geschichte, seien es die Inder (Hegel 1837, 84), die „asiatischen Reiche“, „die Völker des ewigen Still- Dagegen wird nationale Geschichte zunehmend standes” insgesamt (von Ranke 1886 I/1, v), Jäger entortet, da durch die Größe des Territoriums und und Sammler (Meillassoux 1973: 194; Bloch 1977: das vergrößerte Publikum (potentiell alle Bürger_in- 288) oder Jäger_innen und Sammler_innen ohne Vor- nen oder Einwohner_innen) Gedenkrituale ortsun- ratshaltung (Woodburn 1980: 106), belegen, jedoch abhängig stattfinden müssen. Alternativ können nicht universal verbreitet. Jede/r ist ein geschichtli- entweder einige wenige zentrale Gedenkorte ein- ches Subjekt, aber nicht jede/r begreift sein/ihr histo- gerichtet werden (Held_innen- und Krieger_innen- risches Wesen als sein/ihr existentielles Wesen (Sartre

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1980: 235). Den als Jäger_innen und Sammler_innen seien sie positiv oder negativ. Dagegen leugnen „kal- lebenden Nayaka in Süd-Indien begegnen Figuren aus te“ Gesellschaften nicht, dass sich Dinge verändern, ihrer Vergangenheit nicht in den Helden_innenlieder aber sie sprechen dem einen tieferen Sinn ab (Lévi- der Spielleute, den Erzählungen älterer Familienmit- Strauss 1966 [1962]: 235). Lévi-Strauss bezeichnet glieder, Historienschinken oder der Lektüre eines „kalte“ Gesellschaften als primitiv. Aber auch bei Geschichtsbuches, sondern innerhalb von Bessessen- weitem nicht alle „Zivilisationen“ – staatlich orga- heitsritualen im persönlichen Gespräch (Bird-David nisierte Gesellschaften mit schriftlich fixierter Ge- 2004). Vergangenheit ist hier immer die Vergangen- schichte – sind in diesem Sinne „heiß“. Assmann heit von Personen und von persönlichen Beziehungen. (1992: 69) führt hier das alte Ägypten und das mittel- alterliche Judentum als Beispiele von Gesellschaften Entsprechend kann die Zukunft entweder offen an, die aktiven Widerstand gegen das „Eindringen oder ganz oder teilweise in der Gegenwart angelegt der Geschichte“ leisteten. sein. Mesopotamische Orakelpriester_innen oder rö- mische Auguren konnten die Zukunft mit einem fes- Auch für die altorientalischen Gesellschaften ten Regelsatz aus Beobachtungen in der Gegenwart brachte die verstreichende Zeit Zerfall, der durch (Leber des Opfertieres, Vogelflug etc.) bestimmen. den konstanten Eingriff des Herrschers behoben Dagegen waren griechische Orakel bekanntlich eine werden musste. „When Ehursakurkurra – the tem- sehr unzuverlässige Entscheidungshilfe. Auch die in- ple of Assur my Lord, which Ushpiya, vice–regent of dividuelle Zukunft kann als vorherbestimmt (Kalvi- Assur, my forefather, had previously built – became nisten) oder als beeinflußbar (Katholiken) gelten. dilapidated, Erishum my forefather, vice–regent of Assur rebuilt [it]. From the reign of Erishu 159 years passed and the temple [again] became dilapi- dated and Shamshi–Adad, vice–regent of Assur re- Heiße und kalte Gesellschaften built [it]. 580 years passed and that temple which Shamshi–Adad, vice–regent of Assur, had rebuilt Auf Claude Lévi-Strauss (1966 [1962]) geht die became extremely old. Fire broke out in it. The tem- bekannte Unterscheidung zwischen heissen und ple … [and] all the property of the temple of Assur, kalten Gesellschaften zurück. Damit wollte er die my Lord, was consumed in the fire.” (Grayson 1987: „plumpe“ Unterscheidung zwischen Völkern mit 185, 112). Šulmanu–ašaredu I. berichtet dann, wie und ohne Geschichte vermeiden (Lévi-Strauss 1966 er die Ruinen abräumte, die Gründungsinschriften [1962]: 233). „kalten“ Gesellschaften fehlt nicht seiner Vorgänger fand, ein Fundament legte, „…like unbedingt eine Erinnerung an die Vergangenheit the root of a mountain…“ und den Tempel besser und sie leben auch nicht in einer ereignislosen Ge- denn zuvor wieder aufbaute (Grayson 1987: 185, genwart, aber sie versuchen aktiv, Veränderungen 129). Diese in Aššur gefundene Inschrift Šulmanu– ihrer Institutionen zu vermeiden (Lévi-Strauss 1966 ašaredus belegt eindrucksvoll eine genaue und ex- [1962]: 234). Sie mögen damit nicht immer erfolg- trem lange historische Überlieferung – sie dient der reich sein, aber dies ist die Zielvorstellung. Assmann modernen Geschichtswissenschaft immer noch als (1992: 68) konkretisiert hier: „Mit dem, was Lévi- Quelle für die Chronologie des assyrischen Reiches. Strauss ‚Kälte‘ nennt, ist nicht ein Fehlen von etwas Gleichzeitig belegt sie aber auch den Glauben, dass gemeint, sondern eine positive Leistung… ‚Kälte‘ sich die Effekte der verstreichenden Zeit aufhalten ist nicht der Nullzustand der Kultur, sie muß erzeugt ließen, Gebäude ohne Veränderung wieder aufge- werden.“ baut werden könnten. Die traditionellen altorientali- sche Fluchformeln für den, der „meine … Inschriften Dagegen glauben „heisse“ Gesellschaften angeb- auslöscht und meinen eingeschriebenen Namen weg- lich an eine quasi autark wirkende Geschichte und wirft“ (oder gar mit seinem eigenen Namen ersetzt, eine konstante Veränderung, also die oben erwähnte Grayson 1987: 163), zeigen einerseits das Bewusst- Geschichte mit dem „großen H“. Dies manifestiert sein dafür, dass schriftliche Überlieferung und damit sich am plakativsten im 19. Jahrhunderts im Glau- Geschichte manipulierbar sind, andererseits aber die ben an die konstante Verbesserung des Menschenge- Überzeugung, dass die Zukunft sein wird wie die schlechts, „…history [as] … a moral sucess story“ Vergangenheit: dass es weiterhin Herrscher_innen (Wolf 1982: 5). Allerdings ist eine Gesellschaft, die geben wird, die Tempel wieder herstellen und so die sich als im Niedergang befindlich wahrnimmt, eben- Zeit zum Stillstand bringen. so als „heiß“ zu klassifizieren. Der Begriff kenn- zeichnet den Glauben, dass Ereignisse und Verän- Ähnlich kennt das antike Griechenland zwar Be- derungen etwas bedeuten, Veränderungen bewirken, richte über die Vergangenheit und ständigen Wechsel

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in Regierungsformen und politischer Vorherrschaft, sellschaften (Terray 1972), die Veränderungen oder aber formulierte keine Erwartung von Veränderung. zumindest den Wunsch nach Veränderungen hervor- Wie im Fall der australischen Aranda bei Lévi- rufen könnten, wurden nie besonders intensiv disku- Strauss entspricht die Welt der Mythen der zeitge- tiert, und viele Forscher_innen streiten ihre Existenz nössischen Welt. Die mythische Vorzeit, der Kampf ab, vielleicht auch deshalb, weil die Informationen der um Troja, wiederholt sich in den Kriegen zwischen kolonialen Ethnologen vorzugsweise von den Stam- den griechischen Stadtstaaten. Die Ahnen können mesältesten stammten und solche Konflikte daher un- freilich von den heutigen Menschen nur nachge- sichtbar bleiben. Vereinzelte Untersuchungen zeigen ahmt, ihre Größe aber nicht erreicht werden. jedoch, dass z. B. Frauen (Hodder 1982) und junge Männer (Larick 1986) der herrschenden Ideologie zu Im Gegensatz dazu steht das alte Israel, das sich widersprechen suchen, wenn auch nicht offen. Inwie- seiner Geschichte stets bewusst ist, und dessen Pro- weit sich dies in alternativen Erzählungen über die pheten mit großer Sprachgewalt und sichtbarem Ge- Vergangenheit widerspiegelt, wäre zu untersuchen. nuss Zerstörung und den Fall aller ihnen bekannten Großreiche vorhersagen. „Alle deine feste Stedte / sind wie Feigenbewme mit reiffen Feigen / wenn man sie schüttelt / das sie dem ins maul fallen / der sie es- Geschichte sen wil. Sihe dein Volck sol zu Weibern werden in dir / vnd die thor deines Landes sollen deinen Feinden Verspätet ist in diesem Kontext zu fragen, wie geöffent werden / vnd das Fewer sol deine Rigel ver- sich denn nun ‚Geschichte‘ von anderen Mecha- z ehren.“ (Nahum 3, 12–13 in der Weissagung über nismen der Vergangenheitsrezeption unterscheidet? Niniveh). Wie werden die Ereignisse ausgewählt, die in die überlieferte Geschichte eingehen, und wie werden Lévi-Strauss‘ Begrifflichkeit wurde überwiegend sie berichtet? In seinem „Grammatisch–kritischen als wertend verstanden, „kalte“ Gesellschaften mit Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart“ definiert Leopold von Rankes (1886: viii) „Völker[n] des Johann Christoph Adelung (1793) Geschichte als ewigen Stillstandes“ gleichgesetzt. Eric Wolf (1982: „…eine jede … von verschiedenen mit einander 385) betont daher programmatisch, dass es keine verbundenen Veränderungen, welche zusammen ge- „kalten“ Gesellschaften gebe. An der Bezeichnung nommen ein gewisses Ganze (!) ausmachen…“, eine ist aber vor allem problematisch, dass sie grob gene- Definition, die das narrative Element jeder histori- ralisiert. Ganze ‚Gesellschaften‘ werden mit einem schen Darstellung betont. Auch Bernheim (1903: 2) Begriff gekennzeichnet, ohne auf Veränderungen definiert Geschichte als „…das, was geschieht, bzw. durch die Zeit, unterschiedliche Sinnzusammenhän- geschehen ist ... Demnächst bedeutet es auch die Er- ge (Bloch 1977: 284f.) oder innergesellschaftliche zählung, bzw. Kunde von dem, was geschehen ist‘“. Unterschiede und Konflikte zu achten. Ethnologen Diese Definitionen zielen also auf der Form des Be- der Kolonialzeit versuchten beispielsweise oft, Ver- richts ab. änderungen oder das Streben nach Veränderungen zu ignorieren, da sie diese als ‚Verunreinigung‘ einer Dagegen ist für Georg Friedrich Hegel Geschichts- ‚ursprünglichen‘, von ihnen aus ‚Resten‘ erschlos- schreibung der Bericht über nationale Vergangenheit, senen Gesellschaftsstruktur verstanden. Alternativ und kann nur durch selbstbewußte Individuen erfol- wäre aber auch vorstellbar, dass angesichts der Be- gen. „Die Geschichte ist aber immer für ein Volk von drohung durch Kolonialismus, Imperialismus und großer Wichtigkeit, denn dadurch kommt es zum Be- Globalisierung als Gegenreaktion ein verstärkter wußtsein des Ganges seines Geistes, der sich in Ge- Konservativismus entstanden ist. setzen, Sitten und Taten ausspricht. … die Geschichte gibt dem Volke sein Bild in einem Zustande, der ihm Zudem ist das Verhältnis zur Vergangenheit und dadurch objektiv wird. Ohne Geschichte ist sein zeit- zur ‚Geschichte‘ immer eine Machtfrage. Die Un- liches Dasein nur in sich blind und ein sich wiederho- veränderlichkeit des status quo und idealerweise lendes Spiel der Willkür in mannigfaltigen Formen. auch der Glaube an dessen Unveränderlichkeit liegt Die Geschichte fixiert diese Zufälligkeit, sie macht naturgemäß im Interesse der momentanen Machtha- sie stehend, gibt ihr die Form der Allgemeinheit und ber_innen. Dass ‚primitive‘ Gesellschaften in sich stellt eben damit die Regel für und gegen sie auf. Sie stabil seien und Veränderungen nur von Außen be- ist ein wesentliches Mittelglied in der Entwicklung wirkt würden, entsprach damit den Ansichten und und Bestimmung der Verfassung, d. h. eines vernünf- Interessen der Kolonialmächte des 19. Jahrhunderts. tigen, politischen Zustandes; denn sie ist die empiri- Innergesellschaftliche Widersprüche in akephalen Ge- sche Weise, das Allgemeine hervorzubringen, da sie

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ein Dauerndes für die Vorstellung aufstellt.“ (Hegel Reifizierte Geschichte 1837: 203). Neben der Bedeutung von Geschichte als Mit anderen Worten, Geschichtsschreibung pro- Bericht über ausgewählte vergangene Ereignisse duziert Gruppenidentität, indem sie vergangene wird Geschichte auch als reifizierte eigenständige Ereignisse auswählt, die dem gegenwärtigen (oder Kraft verstanden (vgl. Shanks und Tilley 1987: 38); antizipierten, gewollten) Zustand eines Volkes ent- Bestimmung, Weltgeist, Fortschritt, eine autonome sprechen. Hegels idealistische Darstellung läßt sich treibende Macht, die gerichtete Veränderungen hier problemlos in eine konstruktivistische Analyse bewirkt. Im Englischen wird diese reifizierte Sicht überführen. Auch für Jörn Rüsen ist Geschichte „… gerne als „History with a big ‚H‘“ bezeichnet. Im ein mit den Erfahrungstatbeständen der Vergangen- Deutschen ist es schwerer, beide zu unterscheiden, heit konkretisierter Zusammenhang von Vergangen- zu sehr sind wir von Hegels „Geschichte als Gang heit, Gegenwart und Zukunft.“ (Rüsen 1994: 8). Im Gottes durch die Welt“ (Hegel 1820: §258, Zusatz), Gegensatz zu Adelung und Bernheim verwendet er „Weltgeschichte als der Fortschritt im Bewußtsein als Bezugsgröße also nicht die A, sondern die B-Se- der Freiheit“ (Hegel 1837: 21) und Friedrich rie McTaggarts: nicht die Abfolge im Block-Univer- Schillers „Weltgeschichte als Weltgericht“ geprägt. sum (Hoefer 2011: 73f.), sondern ein vom Betrach- ter_innenstandpunkt aus definiertes absolutes Vorher und Nachher (Abb. 3). Beide Definitionen beziehen sich auf den Bericht über ausgewählte vergangene Zeitverlaufsvorstellungen Ereignisse, also einen ‚emischen‘ Geschichtsbericht, und in diesem Sinne soll der Begriff auch im wei- Für die Historiker des Historismus war Ge- teren verwendet werden. ‚Ereignis‘ bezeichnet hier schichtsschreibung nur mit geschriebener Geschich- dagegen jede Aktion, die eine Veränderung bewirkt, te und dem modernen Staat verbunden. In einer wei- gleich, ob sie beobachtet oder berichtet wurde oder ter gefaßten Definition kann man Historik (um das nicht. Die Menge von Ereignissen ist potentiell un- präjudizierende Verb ‚schreiben‘ zu vermeiden) als endlich, nur durch Beobachtung, Auswahl, Aufla- formalen, narrativen Bericht über die Vergangenheit dung mit Bedeutung und Überlieferung werden diese verstehen, der an eine spezifische Gruppe gerichtet zu Geschichte. ist. Auch dies ist jedoch, wie oben ausgeführt, nicht universell. Um die Wahrnehmung des Verstreichens der Zeit und eine wie auch immer geartete Ausein- andersetzung mit vergangenen Ereignissen zu be- schreiben, sind andere Termini nötig.

Jörn Rüsen verwendet die Begriffe „Zeiterfah- rung“ und „Zeitverlaufsvorstellungen“ als „Knoten- punkt zwischen gegenwärtiger Lebenspraxis, Erfah- rung der Vergangenheit und Erwartung der Zukunft“ (2009, 2003: 26). Mit dem sperrigen Begriff „Zeit- verlaufsvorstellung“ beschreibt Rüsen (2003: 26f.) das teleologische Einpassen geschichtlicher Ereig- nisse in die gegenwärtige Lebenspraxis bzw. die Zu- kunftsperspektiven einer Gesellschaft. Rüsens „his- torische Sinngebung“, als „... kulturelle Bewältigung von Zeit als Wandel der menschlichen Welt“ (Rüsen 2001b: 22) scheint ebenfalls verwandt. Abbildung 4 zeigt die traditionale, genetische, telische und orga- nische Arten der Sinngebung nach Tobias Schröder (2008). In dieser Darstellung ist auf der x-Achse die Abb. 3 A- und B-Serie (Hoefer 2011, fig. 3.2). Zeit und der y-Achse die Zukunftsantizipation ab- getragen. Die Faktoren, mit denen die Zukunftsan- tizipation oder die Qualität der Zukunft gemessen werden, hängen von der ideologischen Ausrichtung des Autors ab, sie wurden (unter anderem) definiert als: Bevölkerung (Vere Gordon Childe), gute Sitten

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sein generell oder bestimmte Arten des Geschichts- bewußtseins werden hier als per se erstrebenswert angesehen, da im Lehrplan gefordert und Teil der spezifisch deutschen Idee der Erziehung zum/zur ‚mündigen StaatsbürgerIn‘. Eine interkulturelle An- wendung des Begriffes ist zwar erfolgt (z. B. Rüsen u. a. 1998), aber inhärent problematisch, da der Begriff oft, vielleicht unabsichtlich, wertend verwendet wird, für eine Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung, die von allen Gesellschaften notwendig zu erreichen ist. Geschichtsbewußtsein ist damit eine Eigenschaft, die eine bestimmte Gruppe in einem bestimmten Ausmaß aufweist und eine andere weniger, nicht ein Oberbe- griff für verschiedene Ausprägungen von Geschichts- bewußtsein in allen Gruppen. Zudem wird oft mit einem engen Geschichtsbegriff (geschriebene, narra- tive Geschichte) gearbeitet. Rüsen definiert daher Ge- schichtsbewußtsein als „Sinnbildung über Zeiterfah- Abb. 4 Typen der historischen Sinnbildung nach rung im Medium der Erinnerung …“ (Rüsen 1994: 8) Schröder (2008). und als „… Inbegriff der mentalen (emotionalen und kognitiven, unbewußten und bewußten) Operationen, durch die die Erfahrung von Zeit im Medium der Erin- (Marcus Porcius Cato d.Ä), ein gottgefälliges Le- nerung zur Orientierung der Lebenspraxis verarbeitet ben, Achtung vor den Ahnen, Bildung, Glück und wird“ (Rüsen 1994: 6). „Geschichtsbewußtsein als Ort Zufriedenheit (Jeremy Bentham), oder das Brutto- und Gestaltung des historischen Erzählens, seine Aus- sozialprodukt. Dies sind offensichtlich emische Ka- prägung, seine Dimensionierung, seine Funktionen und, tegorien, die durchaus unterschiedlich definiert und in Ansätzen, seine Entwicklung“ (Rüsen 2001: 1) kann bewertet werden können und meist nicht objektiv zu offensichtlich auch den Umgang „kalter“ Gesellschaf- messen sind. ten im Sinne Lévi-Strauss‘ mit ihrer Vergangenheit einschließen. Rüsen (1994) unterscheidet folgende Für die lineare Zeit geben Zukunftsantizipation Arten der „Sinnbildung“: bzw. die Bewertung von Vergangenheit und Zu- kunft eine Entwicklungsrichtung vor. So ergeben 1. traditionale historische Sinnbildung sich die Deutungsmuster von Evolution, Dekadenz Die traditionale historische Sinnbildung erinnert und Stagnation (oder Stabilität). Selten werden die- an die Ursprünge der gegenwärtigen Lebensformen. se Entwicklungen als geradlinig erfahren/antizipiert, Diese Ursprünge werden gleichzeitig als eine Ver- woduch Abweichungen von der geraden Linie entste- pflichtung für die Zukunft angesehen. Dies geht mit hen. Sie können zyklisch sein, und in verschiedenen der Vorstellung langdauernder, unveränderter Zu- Zyklen können sich verschiedene Frequenzen und stände einher, „Zeit wird als Sinn verewigt“. Die Amplituden überlagern (Abb. 5). Das Vorzeichen auf traditionale Sinnbildung erzeugt Einverständnis über der y-Achse hängt vom Beobachtungsstandpunkt ab: Normen und sorgt damit in der Praxis für die Bewah- schwindende Achtung vor den Ahnen z.B. kann aus rung „überkommener Lebensordnungen“ und Identi- der Sicht der Stammesältesten negativ, aus der Sicht tät durch „affirmative Anpassung und nachahmende eines/einer Missionars/Missionarin, Lehrers/Leh- Wiederholung“ (Rüsen 1994: 17). Als Beispiele nennt rerin oder Geschäftsmannes/Geschäftsfrau als sehr er Ursprungsmythen, aber auch Festreden bei Jubilä- positiv (‚Fortschritt‘) zu werten sein. en. Diese Definition erinnert an die zuvor genannten „kalten Gesellschaften“.

2. exemplarische historische Sinnbildung Geschichtsbewußtsein Die exemplarische historische Sinnbildung sieht die Vergangenheit als einen Vorrat von Beispielen, Der Begriff Geschichtsbewußtsein wurde ent- die allgemeine Handlungsregeln demonstrieren, und wickelt, um die Bedeutung der Vergangenheit in der sie behauptet die universelle Gültigkeit solcher Re- Gegenwart zu charakterisieren. Er stammt ursprüng- geln in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Man lich aus der Geschichtsdidaktik. Geschichtsbewußt- beschäftigt sich mit der Geschichte, um aus dieser zu

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Abb. 5 Typen der Zukunftsantizipation. lernen und Klugheitsregeln zu erarbeiten. Historische für Rüsen die westliche Geschichtsschreibung Identität wird dabei nach Rüsen über Regelkompetenz seit dem Historismus, also in klassisch erworben. Beispiele hierfür sind die antiken Griechen, „heißen“ Gesellschaften. Dieses genetische die mittelalterliche arabische Geschichtsschreibung Geschichtsbewußtsein bezeichnet Rüsen als „höchste und die mitteleuropäische Geschichtsschreibung bis Stufe“ des Geschichtsbewußtseins. zum Anfang des 18. Jahrhunderts. Während die Beispiele andeuten, dass bestimmte 3. kritische historische Sinnbildung Formen des Geschichtsbewußtseins nicht unbedingt Die kritische Sinnbildung will die vorherrschen- über die gesamte Gesellschaft verbreitet sind, und den historischen Deutungsmuster widerlegen und keine stereotypen Zuordnungen nicht-schriftlicher Platz für neue schaffen. Sie versteht Geschichte als Gesellschaften vorgenommen wird, sind einige Gegengeschichte und ist auf der Suche nach Brüchen Zuordnungen doch sehr summarisch (‚antike Grie- und Umbrüchen. Identität erscheint als als „Fähig- chen‘ etc.). Die Klassifizierung ist auf die neuzeit- keit des Neinsagenkönnens“. Die feministische Ge- liche europäische Geschichtsschreibung abgestimmt schichtsschreibung wird als Beispiel angeführt. und inhärent eurozentrisch13. Der Kriterienkatalog für die verschiedenen Kategorien ist relativ grob – 4. genetische historische Sinnbildung Beschreibungskriterien, Zeitverlaufsvorstellungen, Sie beschreibt Veränderung, Prozesse und Grundlagen historischer Identität und gesellschaftli- Entwicklungen und beinhaltet die Anerkennung che Verortung – bietet aber eine mögliche Grundlage des Andersseins und die Idee der Bildung. Das oder zumindest ein Vorbild für genauere Studien so- Verstreichen von Zeit wird mit Wandel, Veränderung wohl zeitgenössischer als auch historischer Gruppen und Fortschritt assoziiert. Historische Identität und Gesellschaften. bildet sich über die Fortdauer des eigenen Selbst durch Wandlung. Diese Konzeption kennzeichnet 13 Wesentlich differenzierter hier Rüsen (1989).

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Karl Ernst Jeismann (1985: 40) definierte Ge- Die Hoffnung auf ein Pompeii-Ereignis als schichtsbewußtsein neutraler als einen „innerer Momentaufnahme der Vergangenheit, die uns quasi Zusammenhang von Vergangenheitsdeutung, Ge- zum AugenzeugInn der Vergangenheit macht – der genwartsverständnis und Zukunftsperspektive“. versteinerte Moment, die Hoffnung, dass nichts Bodo von Bories spricht von der Verknüpfung von wirklich verloren ist und dass sich letztlich alles, wie Zeitebenen als Vergangenheitsdeutung, Gegenwarts- Siegmund Freuds Unterbewußtes, wieder ausgraben verständnis und Zukunftserwartung (Rüsen 2001: läßt (Olivier 2008) gehört zu den tiefen Faszinationen 2).14 Damit läßt sich der Begriff des Geschichtsbe- der Archäologie: Ausgrabung als Erlösung (Benjamin wußtseins auf alle Gesellschaften anwenden, auch 1991; Siegmund Freud, vgl. Zintzen 2000), Zeugnis solche, die keine narrativen Berichte über die Grup- und Zeitmaschine. Die meisten Überreste von penvergangenheit kennen, wie zum Beispiel die Siedlungen, wie auch Pompeii selbst, sind jedoch Nayaka. Für die Erforschung prähistorischen (und Mischungen und „Verschmierungen“ (Ascher 1960), ethnograpischen) Geschichtsbewußtseins ist jedoch die aus einer großen Zahl kurzfristiger Ereignisse die Berücksichtigung von Ritualen, ortsgebundenen resultieren. Childe war der Ansicht, dass gerade diese oder auf Artefakte fokussierten Erzählungen und „Verschmierung“ das Untypische auslöscht und episodischen/dialogischen, nicht unbedingt chrono- nur das Typische zurückläßt. Depositionsprozesse logisch gegliederten Berichten über die Vergangen- werden so zu einem statistisch ausgleichenden heit notwendig. Die Erstellung von Kausalität über Vorgang: nur ausreichend oft wiederholte Aktivitäten Chronologie ist ein narratives Konstrukt, und weder schlagen sich archäologisch nieder. Das ist schlecht die einzige noch zwangsläufig die beste Art, um für Forscher_innen, die ‚Agency‘ beobachten über Vergangenheit(en) zu berichten. Homogene, in wollen, aber es vereinfacht das Leben derer, die sich logische Darstellungen sind modernen Vorstel- Strukturen suchen. lungen über Individualität und Wissenschaftlichkeit geschuldet und nicht notwendigerweise die einzig Francois Audouze und Boris Valentin (2010: fig. gültige Art der Geschichtsdarstellung. Der Begriff 2) haben versucht, das Modell der drei Zeitebe- ‚Geschichte‘ ist zwar so eng mit Schriftlichkeit, nen des französischen Historikers Fernand Braudel Herrschaft und dem Historismus und Evolutionis- (1958, s. a. Bintliff 1995) auf die Vorgeschichte, mus des 19. Jahrhunderts verbunden, dass es schwie- insbesondere das Paläolithikum zu übertragen. Es rig ist, sich von den dahinter stehenden Paradigmen illustriert die Zeitskalen, mit denen Prähistoriker_in- zu lösen. Aber er ist zu wichtig, um ihn den Histori- nen agieren und die unterschiedlichen Methoden und ker_innen zu überlassen. Deutungsansätze, die sich aus der Wahl einer Zeitska- la ergeben. Die Paläoethnographie untersucht danach Braudels „Ereignisse kurzer Dauer“ (Temps court), angelehnt an Leroi-Gourhans (1950) Konzept der Zeit in der Vorgeschichte „Ethnographischen Ausgrabung“ von Siedlungsober- flächen, die eine Momentaufnahme prähistorischer Prähistorische Zeitskalen Aktivitäten liefern sollte. Paläoethnographie und Pa- läohistorik widmen sich Braudels „Konjunkturen“ Bei der Untersuchung vorgeschichtlicher Zeit (Conjuncture), Vorgänge mittlerer Dauer, während soll zunächst gefragt werden, welche Arten von die Chronographie mit den „Zeiträumen langer Dau- Zeitabfolgen und Geschichte in der Prähistorie von er“ (longue durée) befaßt ist. Interesse sind. Verstehen wir uns als Anthropolog_ innen, welche die Tätigkeit von Individuen verfolgen Für die Untersuchung von Zeiträumen mittlerer (Foxhall 2000), Historiker_innen, die Übersichten Dauer, innerhalb der maximalen chronologischen verfassen (Kent Flannerys (1976) „Great Auflösung die unsere Methoden gemeinhin zulassen, Synthesizer“), oder nähern wir uns anthropogenen hat die Archäologie bisher wenig Verfahren entwi- Schichten auf einer geologischen Zeitskala? ckelt. Mag auch die Dendrochronologie jahrgenaue oder manchmal sogar jahreszeitengenaue Datierun- gen ermöglichen, entsprechen dem meist keine ähn- 14 Michael Bentleys von John Bender und David Wellbery lich kurzfristigen Befunde. Das Hauses mit einem (1989) übernommener Begriff „Chronotypen“, defi niert exakt bestimmten Baujahr gehört zu einem Befund, als „a temporal regime that validates judgments about der über Jahrzehnte in Nutzung und den entspre- the relationship between past, present, and future“ (Bentley 2006: 350), scheint in etwa dasselbe zu chenden „Verschmierungen“ unterworfen war. Die bezeichnen, ist aber wesentlich feiner auf konkrete zu Tode gerittene Metapher der „Archäologischen Epochen der (westlichen) Geschichtsdeutung des 19. Überlieferung als Palimpsest“ illustriert das sehr und 20. Jahrhunderts bezogen.

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gut: Prähistoriker_innen versuchen, die verwischten erklären. Diese wurden oft als quasi naturgegeben Schriftzüge einzelner Vorgänge wieder herzustellen hingenommen. Andreas Zimmermann (2007) und ihre Stratigraphie zu klären, haben aber kaum erklärte die Herausbildung von Grenzen zwischen Methoden entwickelt, um das Artefakt „Manuskript- Gebieten verschiedenen keramischen Stils und seite“ zu deuten: sein Rohmaterial, Tintenreste, verschiedener lithischer Rohmaterialspektren Kratzspuren, Schimmel und Frasslöcher und all die beispielsweise mit „Kommunikationsintensität“, anderen Zeitspuren, die sich darauf niedergeschla- dies verschiebt die Frage aber nur zu den Ursachen gen haben. letzterer. Lediglich die evolutionary Archaeology untersucht systematisch Verlauf und Gründe von Neben vereinzelten Momentaufnahmen versucht Stilwandel (z. B. Hurt und Rakita 2001; Shennan und die Prähistorische Archäologie also vor allem, Vor- Wilkinson 2001; Bentley und Shennan 2002; Tehrani gänge „langer Dauer“ zu interpretieren. Verände- und Collard 2002; Bentley u. a. 2004, Cochrane rungen von Werkzeug- und Waffentypen oder von 2009, Cochrane und Gardner 2010). Sie hat aber eine Keramikform und Verzierungen werden über große so spezialisierte Sprache und Methodik entwickelt, Zeiträume und große Entfernungen verfolgt. dass sie für Außenstehende kaum verständlich ist; zudem sind ihre Grundannahmen umstritten.

Die klassische typologische Methode funktioniert Stilwechsel – Datierung und Deutung nur, wenn in der Entwicklung eines Gerätetyps keine Sprünge stattfinden, also wenn die Entwicklung kei- Absolute Datierungsmethoden wie Dendrochro- ne Lücken hat und keine völlig neuen Gegenstände nologie und radiometrische Methoden haben die eingeführt werden. Axt und Kettensäge lassen sich Archäologie seit Beginn der 1960er Jahren grundle- nicht in eine typologische Reihe bringen, auch wenn gend verändert, besonders die Kenntnis der Steinzei- sie (teilweise) dem selben Zweck dienen. In der Me- ten. Im Grabungs- und Museumsalltag ist die typolo- thodik der Typologie ist eine allmähliche Evolution gische Datierung von Artefakten und Befunden aber unvermeidlich angelegt. immer noch die wichtigste Methode. Naturwissen- schaftliche Analysen sind langwierig und teuer, eine Für Oscar Montelius (1903) hatte, im Gegen- typologische Einordnung verlangt dagegen lediglich satz zu Hans Hildebrand (1866), eine typologische gute Materialkenntnis. Reihe zudem keine vorgegebene oder notwendige Richtung. Nur typologische Relikte zeigten die Ent- Die Faktoren, die hinter typologischen Abfolgen wicklungsrichtung an, sowohl Weiterentwicklung und Stilwechsel stehen, sind grundlegend für unser als auch Dekadenz waren möglich. Damit hatte die Verständnis von Zeit und von Veränderungen in der Geschichtskonzeption eines/einer Archäologen/ Ar- vorgeschichtlichen Vergangenheit und wurden seit chäologin oder eines Historikers/einer Historikerin der Entstehung des Faches diskutiert. Das Thema (Al-Azmeh 1999) einen entscheidenen Einfluß auf kann hier nur kurz angerissen werden, soweit es Zeit- seine/ihre Deutungen. Kossinna (1935 [1912]) ließ wahrnehmung und Geschichtsbewußtsein berührt. das Neolithikum mit der Schnurkeramik beginnen, weil ihre Gefäße am primitivsten wirkten. Im Gegen- Die Charakterisierung der Vorgeschichte satz dazu stellte Glyn Daniel (1963: 71–74), Stuart als Geschichte mit Völkern als Handelnden Piggott folgend, die ‚degenerierten‘ Stalled anstelle großer Personen (u. a. Wahle 1932) oder mit ihrem ‚einfachen‘ Grundriß an das Ende der Ent- „Volksgeschichtsschreibung mit archäologischen wicklungsreihe der orkadischen Megalithgräber, die Mitteln“ (Gildhoff 2007) ist nach 1945 aus gutem er mit dem perfekt symmetrischen kreuzförmigen Grund in Verruf geraten. Nachdem wandernde Ganggrab von Maes Howe beginnen ließ. Entspre- Völker im Stil Gustaf Kossinnas als die Ursachen chend konnten die Keramikstile des Alt- und Mittel- von Stilwandel weitgehend ausfielen15 und die neolithikums in vielfältigen Varianten geordnet wer- Gleichsetzung archäologischer Kulturen mit den (Schliz 1901; Kossinna 1935 [1912]; Reinerth Völkern oder Stämmen insgesamt suspekt geworden 1923), je nachdem, ob Evolution oder Dekadenz als war, tat sich das Fach schwer damit, die Verteilung Ordnungsprinzip herangezogen wurde. Die letzte und die Veränderungen unterschiedlicher Stile zu Umkehr der Abfolge erfolgte erst 1979 (Zápotocká 1979; Meier-Arendt 1979). 15 Wenn sie auch inzwischen durch die scheinbar objektiven paläogenetischen Untersuchungen durch Die Typologie von Montelius bzw. deren weite- die Hintertür wieder weitgehend unrefl ektierten re Anwendungen folgte den Prinzipien der biologi- Eingang zu fi nden scheinen.

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schen Evolution, wie sie Charles Darwin entwickelt auf Siedlungsfunde und andere Fundgattungen hatte – weniger funktionale Geräte wurden von effi- übertragen. Eine Unterscheidung zwischen zienteren Formen abgelöst (Åberg 1929). Dies ließ Innovation und Migration ist damit unmöglich. Zum sich mit Beilen und Fibeln überzeugend demonst- anderen kann, wie Christian Strahm (1977: Abb. rieren, bei keramischen Gefäßen und deren Verzie- 2) gezeigt hat, der Eindruck eines Bruchs in der rung versagte das evolutionistische Prinzip jedoch Stilentwicklung allein durch die Lückenhaftigkeit weitgehend. Forscher wie Schuchhart (1909) argu- der Überlieferung entstehen. Da der Stilwechsel mentierten dahingegen mit ästhetischen Kriterien, in von unterschiedlichen Bestandteilen der materiellen anderen Zusammenhängen wurde technische Kom- Kultur mit unterschiedlichem Tempo stattfindet, was petenz angeführt (Skibo u. a. 1989). In der mittel- durch die Lebensdauer der entsprechenden Elemente, europäische Vorgeschichte läßt sich jedoch vor der aber auch ihre soziale Bedeutung bedingt sein kann Einführung der Töpferscheibe weder eine durchge- (Sommer 2001), und die Geschwindigkeit des hende technologische noch eine wie auch immer de- Stilwechsels im Einzelnen nicht notwendigerweise finerte ästhetische Entwicklungsreihe der Keramik gleichbleibt, kann sowohl der Eindruck eines definieren. Generische Ähnlichkeiten in Form und ‚Kulturbruches‘ wie der der Kontinuität irreführend Verzierung erlaubten eine Anordnung innerhalb von sein. ‚Kulturkomplexen‘ wie z. B. dem Altneolithikum und dem Jungneolithikum oder der älteren und mitt- Erst über absolute Datierung ist es möglich, Aus- leren Bronzezeit. Dazwischen liegen jedoch Brüche, sagen über die Geschwindigkeit von Stilwechsel in die typologisch nicht oder kaum zu überbrücken wa- den jeweiligen Medien zu treffen. Mathematische ren.16 Verfahren, die auf der typologischen Methode be- ruhen, wie Seriation, Kombinationsstatistik, Haupt- Typologie arbeitet nach dem Prinzip der Entwick- komponentenanalyse etc. arbeiten auf derselben lung (auf- oder absteigend) durch die Zeit. Dem stand Grundlage. Sie können daher genausowenigt mit ein Paradigma entgegen, das von unveränderlichen plötzlichen (und gezielten?) Veränderungen umge- mentalen Charakteriska ethnischer Gruppen aus- hen.Als Beispiel mögen die Schwierigkeit, die Ke- ging. Für Kossinna (1935 [1912]) war die Vorliebe ramik des Mittelneolithikums zu seriieren, und der für bestimmte Formen rassisch bedingt, Formprinzi- ‚Knick‘ in der Seriations-Kurve (Spatz 1999; Eisen- pien änderten sich nur, wenn ein Volk „unterging“ hauer 2002; Dammers 2003) dienen. oder sich „vermischte“. Für ihn konnte der Germane gar nicht anders, als tektonische Töpfe herzustellen, Die zeitliche Ordnung, die Methoden wie Typologie in der Jungsteinzeit wie in der Eisenzeit. Ebenso sei oder Seriation erzeugen, hat Ordinalskalenniveau. ihm eine „Schöpferkraft“ angeboren, die zu bestän- Es besteht also kein Grund anzunehmen, dass digem Fortschritt führe, anderen „Rassen“ jedoch die Abstände zwischen verschiedenen, durch fehle. In diesem Gedankengebäude sind plötzliche Archäolog_innen definierte Merkmalsausprägungen Veränderungen innerhalb des Systems also ebenfalls gleich sind, obwohl Alfred Kroeber (1944) eine unmöglich, sie müssen als Anzeichen von Invasio- Normalverteilung von Innovationen annahm (vgl. nen/Migrationen gedeutet werden. Lyman und Harpole 2002). Wie Laurent Olivier (2008) herausgestellt hat, muss das jedoch nicht Brüche in der typologischen Reihe wurden unbedingt der Fall sein. somit bislang entweder durch Erfindungen und den generellen Fortschritt oder durch Migration und James Sackett (1977), Margaret Conkey (1978) Eroberung erklärt. Prinzipiell ist es einfach, zwischen und Ian Hodder (1982) haben darauf hingewiesen, beiden zu unterscheiden: Bei einer Erfindung dass materielle Kultur aktiv zu den verschiedensten sollten die anderen Bestandteile der materiellen Zwecken benutzt wird, etwa zur Abgrenzung von an- Kultur unverändert weiterlaufen, wurde eine deren ethnischen Gruppen, aber auch in innerkultu- Bevölkerungsgruppe durch eine andere verdrängt, rellen Konflikten. Laut Hodder (1982: 69) versuchen ist dagegen der Wechsel aller Kulturelemente zu Njemps-Frauen in Kenia mit der Verzierung von Ka- erwarten. In der Praxis erfolgt die chronologische lebassen der männlichen Vormacht insgeheim entge- Gliederung des Fundmaterials insgesamt allerdings genzutreten. Roy Larick (1986) hat herausgearbeitet, meist nur über eine Fundgattung, und eine anhand wie jede Altersklasse von Loikop-Kriegern andere von Metallgegenständen aus Gräbern und Horten Speerformen verwendet, um ihre Identität anzuzei- definierte Kulturentwicklung lässt sich oft nicht gen und ihre Opposition gegenüber der jeweils älte- ren Altersklasse auszudrücken. Veränderung ist kann 16 Vgl. z. B. das Problem des Beginns des Michelsberger also nicht allein durch das Verstreichen von Zeit er- Komplexes (Lüning 1967).

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klärt werden (vgl. Shanks und Tilley 1987: 33); ganz dungsstücke tragen, und die spezielle Bedeutung sicher besteht zwischen beiden keine einfache line- einer bestimmten Farbe kann verschwinden oder are Beziehung. vergessen werden, ohne dass deshalb die entspre- chenden Kleidungsstücke verschwinden. Analog Materielle Kultur kann also Unterschiede zwi- könnte eine prähistorische Keramikverzierung hoch- schen wie auch immer gearteten Gruppen anzeigen. signifikant und politisch aufgeladen, aber 100 Jahre Handelt es sich um Kommunikationsräume, sind die später nur noch „‚traditionell‘ sein. Die Verzierung Änderungen langwierig (chronographisch im Sinne auf hessischer Bauernkeramik ahmte im 18. Jahr- von Audouze und Valentin 2010), quasi naturwüch- hundert herrschaftliche Waren nach und deutet das sig und für die Beteiligten vermutlich weitgehend Bemühen um sozialen Aufstieg an, im 20. Jahrhun- unsichtbar. Handelt es sich um Interessengruppen, dert, mit zunehmender Reduzierung der Produktion werden Unterschiede bewußt eingesetzt und erzeugt, hatten sich die Blumenmuster zu drei Punkten redu- und entstehen extrem kurzfristig. Politische Grup- ziert, deren Ableitung meist weder Hersteller_innen pen, wie Rundköpfe und Kavaliere der Englischen noch Nutzer_innen bekannt war. Revolution oder Aristokraten und Sansculotten 150 Jahre später in Frankreich, unterschieden sich nicht Damit ist materielle Kultur weder grundsätzlich nur durch Ideologie, sondern auch durch Frisur und ein Bedeutungsträger gleichbleibender Relevanz, Kleidung, wie die jeweiligen Benennungen andeu- noch ein sicheres Indiz für ‚normale‘ chronologische ten. In der gescheiterten Grünen Revolution im Iran Veränderung, sondern die Bedeutung eines Artefak- im Jahre 2009 zeigten grüne Kleidungsstücke den tes oder einer Artefaktkategorie muß in jedem ein- Protest gegen die Regierung, ähnlich wie die Red- zelnen Fall separat erschlossen und durch die Zeit Shirts in Thailand 2010. Diese Kleidungsstücke hat- verfolgt werden. Das ist nur möglich, wenn absolute ten einen spezifischen und komplexen Bedeutungs- Datierungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, mit inhalt, der jedoch kontext- und zeitabhängig ist. Man denen die Geschwindigkeit des typologischen Wan- kann ihn mit Rüsens Ultrakurzgeschichten verglei- dels und dessen Verbreitung im Raum untersucht chen, sie „dienen der schnellen Verständigung über werden kann. Geschieht dies nicht, kommt es nicht historische Voraussetzungen, Hintergründe, Erklä- nur zu falschen Datierungen, sondern die aktive rungen und Implikationen einer Aussage. Sie sind ideologische Nutzung materieller Kultur wird igno- in Sprache eingelagerte Geschichten, die nicht als riert und fällt damit als Geschichtsquelle aus. solche erzählt werden, sondern als schon erzählte aufgerufen und kommunikativ verwendet werden.“ (Rüsen 1994: 10). Solche Gegenstände mit Signal- wirkung verbreiten sich nicht langsam, wie bedeu- Geschichte in der Vorgeschichte tungslose Gegenstände, über Kontakt und Nachah- mung, und sie verändern sich während ihrer rapiden Archäolog_innen schreiben eine Geschichte der räumlichen Ausbreitung nicht, eben da sie Bedeu- Vorgeschichte, auf welcher Zeitskala auch immer, tungsträger sind. Aus dem selben Grund werden sie aber gab es in der Vorgeschichte ein Geschichtsbe- nicht von der gesamten Population übernommen. wußtsein? Wurden Veränderungen in nicht-schrift- lichen Gesellschaften als ‚Geschichte‘ wahrgenom- Während dies bei historischen Gruppen und ihren men, und wenn ja, wie? Symbolen offenkundig ist, verschleiert die geringe chronologische Auflösung prähistorischer Chro- In Rüsens (1994, 1998) Typologie ist die ein- nologien ein solches Phänomen weitgehend. Wird fachste Stufe des Geschichtsbewußtseins das tra- das Modell ungerichteten, stochastischen Wandels ditionale. Ich nehme an, dass viele Forscher_innen (‚Mode‘) auf die Verbreitung ideologisch aufgela- vorgeschichtliche Gesellschaften, vielleicht auch dener Gegenstände oder Trachten übertragen, wird traditionelle, nicht-industrielle Gesellschaften die- nicht nur der Grund, sondern auch die Dauer des sem traditionalen Geschichtsverständnis zuordnen. Wandels völlig falsch beurteilt werden. Dies würde jedoch die Unterscheidung zwischen primitiven „kalten“ und zivilisierten „heißen“ Ge- Da solche Bedeutungsträger im Alltag genutzt sellschaften, also zwischen ahistorischen oralen und werden (im Gegensatz etwa zu einem Kultgegen- historisch bewußten schriftlichen Gesellschaften stand oder einer Standarte), was einen Teil ihrer fortsetzen, die ich weiter oben zu kritisieren suchte. Wirksamkeit ausmacht, müssen sie nicht unter allen Umständen überall und immer die selbe Bedeutung Wie neuere 14C-Daten zeigen, gibt es durchaus haben. Ein Mensch kann rein zufällig grüne Klei- Abschnitte der Vorgeschichte, in denen sehr rasche

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Veränderungen stattfanden, die auch für die Zeitge- Körpergedächtnis kann über Lernen durch Nach- noss_innen deutlich sichtbar waren, bzw. von diesen ahmung (vgl. Ingold 2011) extrem lange Zeiträume gezielt herbeigeführt wurden. Dem stehen andere Pe- und sogar den Wechsel der Wirtschaftsweise überdau- rioden gegenüber, in denen so wenig (archäologisch ern. Das beste Beispiel ist immer noch Hartwig Löhrs sichtbare) Veränderung stattfand, dass man Mecha- (1994) Untersuchung der Lateralisierung Mesolithi- nismen annehmen kann, die Wandel sanktionieren scher und Bandkeramischer Pfeilspitzen. und weitgehend unterbinden, wie Hexereianklagen, soziale Isolation (Reina 1953) und innerfamiliärer Altsachen, hier verstanden als Gegenstände aus Druck (Kerig 2008). Wie wurden Veränderungen einer Zeit, die nicht mehr der eigenen zugerechnet definiert und wahrgenommen, und wie wurde dem- wird (jenseits der oralen Geschichten), finden sich entsprechend persönliche Erinnerung in ‚Vergangen- hin und wieder im archäologischen Befund, wie eine heit‘ oder gar ‚Geschichte‘ verwandelt? Weiterge- bronzezeitliche Nadel in einem Merowingischen hend gefragt, wie wurden Veränderungen begründet Grab (Kubach 1977) und die vielfältige Nutzung rö- und legitimiert? Um Lévi-Strauss‘ Konzept zu über- mischer Fibeln im angelsächsischen England (Eck- winden und zu historisieren, ist eine Untersuchung art und Williams 2003). Aus schriftlichen Quellen prähistorischen Geschichtsbewußtseins notwendig, ist bekannt, dass die Griech_innen Fossilien als die die nicht unreflektiert evolutionistische Typologien Knochen von Heroen interpretierten (Mayor 2000). übernimmt. Rüsens Typologie muß hier deutlich er- Der durchbohrte Breitkeil aus dem Grab von Leu- weitert und vor allem verfeinert werden. bingen wurde für Strahm (2010: 175), der auf wei- tere Funde aus reichen Aunjetitzer Gräbern verweist, Als Quelle steht hier vor allem der Umgang wegen seines Alters ausgewählt; „…man hat ihnen mit ‚langlebigen‘ Funden und Befunden – meist meines Erachtens die Bedeutung eines uralten Herr- monumentaler Art – die über einen längeren schaftszeichens gegeben, um zu zeigen, dass die neue Zeitraum oder mit Unterbrechungen mehrfach Institution der Verfügungsgewalt ihren Anspruch von verwendet wurden und der Umgang mit Altstücken alten Urahnen ableiten kann, d. h. man hat damit sei- zur Verfügung. Dabei erfolgt die Bezeichnung ne Position legitimiert.“ Es zeigt sich hier also eine als ‚langlebig‘ natürlich ex-post. Ein Mahlstein große Spannweite der Interpretationen, von Kuriosa wird als langlebig antizipiert, kann aber schon am über Recycling zur symbolischen Nutzung. Nur der nächsten Tag mit seinem/seiner toten BesitzerIn Kontext kann hier bei der Deutung weiterhelfen. begraben werden. Töpfe sind eher kurzlebig, eine kleine Auswahl ‚überlebender‘ Exemplare kann Für die Vorgeschichte wurde die bewußte Nut- aber zu Erbstücken werden. Wie Michael Thompson zung materieller Kultur als Erinnerungsträger bis- (1979) betont, kann es gerade diese Auslese sein, her wenig untersucht, da die Typologie immer noch die Stücken besonderen Wert verleiht. Andererseits die Krücke ist, über die Chronologie hergestellt ist nicht auszuschließen, dass Gegenstände, die an wird (s. o.). Solche Studien wären vor allem anhand besondere Vorgänge erinnen, bewußt aufbewahrt dendrodatierter Befunde wie Brunnen und Siedlun- werden. Die vielfachen Flickungen der Gefäße gen möglich. Aber auch mit einem engen Netz von aus den bandkeramischen Brunnen des Leipziger 14C-Daten lassen sich unterschiedliche Entwick- Landes (Smolnik 2010) warnen zudem davor, die lungsgeschwindigkeiten aufzeigen, wie etwa in der Lebensdauer (und den Wert) keramischer Gefäße Linearbandkeramik. Nicht nur stilistische Änderun- zu unterschätzen. Der Gebrauchs-Charakter von gen, sondern auch ‚technischer Wandel‘ kann aktiv Gegenständen kann ebenfalls dazu verleiten, ideologisch eingesetzt worden sein, auch bei letzte- ihre Bedeutung als Erinnerungsträger_innen rem müssen nicht, oder nicht immer, Nützlichkeits- zu ignorieren. Alice Choyke (2009) hat auf die erwägungen und Fortschritt im modernen Sinne im Knochenlöffel der ungarischen Körös-Kultur Vordergrund stehen. hingewiesen – aus dem harten Stirnbein von Rindern gefertigt und oft bis auf den Griff abgenutzt. Die Alastair Whittle und seine Koautor_innen (2008, Lebensdauer dieser Gegenstände dürfte die der 2011) betonen, dass 14C-Daten allein durch ihren entsprechenden Siedlungen deutlich übertroffen statistischen Charakter eine zu lange Nutzungsdauer haben, und den unscheinbaren Löffel so zu einem von Befunden (und analog Laufzeit von Artefakten) generationenübergreifenden Erinnerungsobjekt vorspiegeln können. Sie fordern daher eine Korrektur gemacht haben. Andrew Gardner (2012) hat aller Daten über die Bayes‘sche Statistik, die Infor- versucht, die Geschwindigkeit historischer mationen wie die Stratigraphie eines Befundes mit Veränderungen anhand der Anzahl von Artefakttypen einbezieht. Allerdings sind genügend stratigraphisch nachzuvollziehen. exakt zuzuweisendende 14C-Daten nur selten vor-

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handen und im Siedlungskontext auch kaum zu er- sondern auch der Toten, oder nutzten sie einfach nur warten. Eine verkürzte Nutzungsdauer, wie etwa für vorhandene Erhebungen, ohne deren anthropogenen einige britische Langbetten nachgewiesen (Whittle Charakter zu bemerken oder für wichtig zu halten? u. a. 2008, 2011; Bayliss u. a. 2007) verändert jedoch Das Verhältnis kann noch komplexer sein: der angel- unsere Perspektive auf die Stilentwicklung. Langsa- sächsische Heilige Guthlac richtete seine Wohnstatt mer Stilwechsel kann durch Übertragungsfehler und in einem beorgseƿel, einem Grabhügel (unbekannter weitgehend zufällige Auswahlprozesse bedingt sein Zeitstellung) ein (Colgrave 1956). Hier waren Dämo- und wird von den Zeitgenoss_innen nicht als solcher nen wohnhaft, deren Austreibung zu den klassischen wahrgenommen, im Gegensatz zu schnellem Stil- Aufgaben von Heiligen gehört. wechsel, bei dem vermutlich eine Absicht zu unter- stellen ist, die vielleicht eine „heiße“ Entwicklungs- Auch Megalithgräber können sehr lange genutzt phase kennzeichnet. werden. Das Cotswold-Severn-Grab von West Kennet in Wiltshire enthält frühneolithische Bestattungen Auch ist die Umnutzung von Befunden häufiger mit Keramik von Typ Western Carinated, die Füllung und komplexer als oft vermutet. Gräber gelten ge- Scherben vom britischen Frühneolithikum über wöhnlich als geschlossene Funde, dies ist jedoch verschiedene Stile der Peterborough Ware, Grooved nicht immer der Fall. Die Ertebölle-Gräber von Skate- Ware und Glockenbecherscherben (Piggott 1958; holm etwa wurden nachträglich geöffnet, um einzelne Thomas und Whittle 1986). Damit ergibt sich eine Knochen zu entnehmen (Sturtz 2003). Der Umgang Nutzung über mindestens 500 Jahre, ob diese aber mit Knochen und Schädeln im Präkeramischen Neo- kontinuierlich war, läßt sich nicht sagen. Die Art lithikum B der südlichen Levante (Kujit 2008) zeigt der Nutzung scheint sich jedoch geändert zu haben ebenfalls, wie langwierig und vielstufig der Bestat- (Bestattung vs. Deponierung von ‚Siedlungsmaterial‘). tungsprozeß sein kann, in dessen Verlauf der/die Tote Bedeutet eine solche Nutzung eines Bauwerkes über vermutlich zum/zur Ahnen/Ahnin wurde, um schließ- mehrere keramische Phasen nun aber einen bewußten lich der Vergessenheit anheim zu fallen. Bezug zur Vergangenheit oder ist diese Interpretation lediglich ein Produkt unserer Klassifikation bzw. Grabhügel und Großsteingräber wurden häufig des archäologischen Kulturbegriffs (Lüning 1972; weiter- und wiedergenutzt. Hügelgräberbronzezeitli- Sommer 2007)? che Hügel sind oft um eine Zentralbestattung ange- legt, weitere konzentrisch angeordnete Gräber können Alain Gallay (1979) brachte die Ausräumung und zu später verstorbenen Familienangehörigen gehören Neubelegung der Gräber von Sion Petit Chasseur mit (Weber 1992: Abb. 96). Viele Bestattete waren also dem – gewaltsamen – Kulturwandel von Schnurkera- vermutlich in der kollektiven Erinnerung der Familie mik zu Glockenbecherkultur in Verbindung. Ausräu- oder der Siedlung präsent. Für dieArchäo-log_innen mungen und die Einbringung von Füllmaterial bzw. die gehören sie gewöhnlich zur selben ‚Kultur‘. Blockierung der Eingänge von Megalithgräbern finden sich jedoch auch innerhalb der selben keramischen Tra- Reichen die Bestattungen über zwei aufeinander- dition (vgl. z. B. Lynch 1969 für die walisischen Cots- folgende Kulturen, wird manchmal für eine ideologi- wold-Severn-Gräber). Manche dieser Gräber, zum Bei- sche Kontinuität argumentiert. Der Aunjetitzer Grab- spiel Hazleton North (Saville 1990; Whittle u. a. 2011) hügel von Helmsdorf mit seinen reichen Beigaben oder Ascott-under-Wychwood (Benson and Whittle überlagert einen schnurkeramischen Hügel. Strahm 2007) wurden dagegen bald nach ihrem Bau, innerhalb (2010: 168) und andere halten dies für eine bewuß- derselben keramischen Tradition, verschlossen. te Anknüpfung an schnurkeramische Traditionen, und in der Tat weist die Aunjetitzer Kultur zahlreiche Anknüpfungspunkte zum Endneolithikum auf. Eine Weiternutzung muss jedoch nicht immer eine pie- Zusammenfassung tätvolle Aneignung der Vergangenheit bedeuten, sie kann auch deren Überwindung anzeigen, wie im Fal- Sind verschiedene Formen prähistorischen le der christlichen Kirchen auf/in heidnischen Tem- Geschichtsbewußtseins, ungeachtet des Oxymorons, peln. Dies wird zum Beispiel für die angelsächsische das diese Frage zu beinhalten scheint, also Nachnutzung prähistorischer bzw. romano-britischer archäologisch faßbar? Ich denke ja. Prinzipiell stehen Grabhügel diskutiert. Stellten die Eroberer_innen eine uns die methodischen Werkzeuge – detaillierte Verbindung zum Land und dessen vorherigen Bewoh- Ausgrabung und detaillierte Datierung – auch zur ner_innen her (Williams 1998, 2006), zeigten sie im Verfügung. Dem stehen allerdings unsere fachlichen Gegenteil die Unterwerfung nicht nur der Lebenden, Traditionen und Begrifflichkeiten entgegen. Solange

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nur Komplexe, aber nicht Einzelfunde datiert Allen, Danielle. 1996. A Schedule of Boundaries: werden, und ein Befund damit als Momentaufnahme An Exploration, launched from the Water– wahrgenommen wird, fällt es schwer, den Clock, of Athenian Time. Greece & Rome, Lebensgeschichten von Artefakten (Kopytoff 1986) Second Series 43(2): 157–168. zu folgen. Die unkritische Gleichsetzung von Stilentwicklung und Datierung verhindert, dass der Althusser, Louis. 1968. Les défauts de l’économie aktive Gebrauch materieller Kultur sichtbar wird classique. Esquisse du concept de temps his- oder werden kann. Der archäologische Kulturbegriff torique. In Louis Althusser und Etienne Ba- schließlich führt zu der Erwartung gleichlaufender libar, Hrsg.: Lire Le Capital. Paris: Maspero. Entwicklungen für verschiedene Artefaktkategorien, http://multitudes.samizdat.net/Temps-et- und Lebensbereiche, wie z. B. Funerärpraktiken. concept-chez-Louis. Zuletzt geöffnet am Außerdem werden Befunde als ‚Klasse‘ oder 10.03.2014. Typ wahrgenommen (Cotswold-Severn Tombs, Stader Kammer etc.), was von der individuellen Anderson, Jeffrey D. 2011. The History of Time in Geschichte einzelner Bauwerke ablenkt. Bauwerke the Northern Arapaho Tribe. Ethnohistory mögen ursprünglich zum gleichen Zweck und mit 58(2): 229–261. ähnlichem Plan errichtet worden sein, das heißt aber nicht, dass sie die gleiche Geschichte teilen müssen. Armstrong, Joe E. und John McK. Camp II. 1977. ‚Kulturgebiete‘ können sich ändern, und vor allem Notes on a Water Clock in the Athenian können sich starke lokale oder örtliche Traditionen Agora. Hesperia: Journal American School ausbilden, die an einem einzelnen Bauwerk ansetzen. Classical Studies Athens 46(2): 147–161. Damit sind insgesamt auch sehr verschiedene Arten des prähistorischen Geschichtsbewußtseins zu Ascher, Robert. 1986. Time’s and the Ar- erwarten. Der Erfolg von Forschungen zu diesem chaeology of a contemporary Community. Thema hängt weniger von den Methoden ab, diese In Kwang-chih Chang, Hrsg.: Settlement sind weitgehend bereits entwickelt, sondern eher von Archaeology, S.43–52. Palo Alto: National geeigneten Fragestellungen. Press.

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Gleichzeitiges und Ungleichzeitiges, Lebensrhythmen und Eigenzeiten in Vergangen- heit und Gegenwart – Bemerkungen zur Unbestimmtheitsrelation von archäologischen Zeitbeobachtungen

Ulf Ickerodt

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DOI 10.6105/journal.fka.2014.3.7

ISSN 2194-346X

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Gleichzeitiges und Ungleichzeitiges, Lebensrhythmen und Eigenzeiten in Vergangen- heit und Gegenwart – Bemerkungen zur Unbestimmtheitsrelation von archäologischen Zeitbeobachtungen

Ulf Ickerodt

Archäologisches Landesamt Schleswig-Holstein, Schleswig. Brockdorff-Rantzau-Straße 70, 24837 Schleswig. Ulf.Ickerodt[AT]alsh.landsh.de

Zusammenfassung

Die chronologische Bewertung des archäologischen Untersuchungsmaterials sowie dessen Deutung gehen eine enge Symbiose ein. Ihr Bindeglied ist das europäische Entwicklungsdenken. Dessen verbreitete Akzeptanz macht archäologische Forschung in seiner heutigen Ausprägung erst möglich. Wegbereiter dieser Form des Zeit- verstehens waren geologische, paläontologische und ethnografische Feldbeobachtungen. Insbesondere das eth- nografische Präsens wurde auf die menschliche Vor- und Frühgeschichte ausgedehnt. So entstand das Bild der kulturellen Statik der Steinzeit und der sich zur Gegenwart hin beschleunigenden Geschichte. Dieser Gegensatz resultiert letztlich aus der Verschmelzung der Plausibilitäten ‚unserer‘ kulturellen Eigenzeit mit der der wissen- schaftlichen Beobachtungssituation. Die eigenen Zeitkonventionen wirken sich auf den fachlichen Umgang mit kultur- und naturwissenschaftlichen Datierungen und Chronologiesystemen aus. Sie führen zu der hier untersuch- ten inhaltlichen Unbestimmtheit des archäologischen Deutens.

Vergleichbares gilt auch für den Umgang mit dem archäologischen Quellenmaterial. Hier ist auf zwei Ebenen eine wissenschaftliche Unbestimmtheit zu konstatieren. Einerseits ist es die chronologische Unschärfe, anderer- seits beinhaltet das Untersuchungsobjekt (Befunde und Funde) selbst in sich verschiedene Zeitdimensionen. Die- se werden im Rahmen der archäologischen Forschung als objektcharakterisierende Eigenschaften erfasst. Hinzu kommen noch weitere Einflussfaktoren, die ebenfalls zur Unbestimmtheit wissenschaftlicher Aussagen beitragen. Im Rahmen dieses Beitrags werden die Auswirkungen dieser Einflussfaktoren auf den archäologischen Umgang mit Zeit hinterfragt.

Abstract

The chronological assessment of archaeological material as well as its cultural and historical interpretation incurs a close symbiosis. Their tie is the European development thinking, whose widespread scientific and social acceptance made archaeological research in its contemporaneous shape possible. Trailblazers of this form of time comprehension were geological, paleontological and ethnographic field observations. Especially the so-called eth- nographic present was generalised in terms of stages of human pre- and proto-history and created pictures of pha- ses of long-term cultural stasis: The past was perceived as static and unprogressively. It was opposed antithetically to an accelerating modernity. This opposition was an out-put the fusion of “our” proper time with the scientific situation of watching. Our commonly agreed time conventions have an effect on the scientific handling of cultural and scientific age determination and chronological systems. They cause in respect of content indeterminacy in archaeological interpretation.

60 Forum Kritische Archäologie 3 (2014) Themenheft: Zeit

A comparable indetermination can be stated while dealing with archaeological source material itself. On the one hand archaeological research has to deal with chronological blur or lack of definition. One the other hand the archaeological source material incorporates different time dimensions. These have to be detected in the realm of archaeological research as object characterizing attribute or quality. Further influencing factors contribute to the indeterminacy of scientific conclusion. This contribution questions the effects of these mentioned influencing fac- tors on archaeological practice and its relation to “time” and “time observations”.

Schlüsselwörter

Zeitgeist, Reaktivität, metaphysische Deduktion, wissenschaftliche Gebundenheit, Lückenphänomen, Unvollen- detheit archäologischer Beobachtungen, Zeitbeobachtung, Zeitbestimmung, Zeitrechnung, Zeitangabe, Zeitkont- rolle, Zeiterfassung, Zeitnahme

Keywords

Spirit of times, reactivity, metaphysical deduction, scientific fixedness, gap phenomena, incompleteness of archae- ological observations, time reckoning, time keeping

61 Forum Kritische Archäologie 3 (2014) Themenheft: Zeit

„Aber welche Veränderungen auch der Auseinandersetzung mit der historisch-anthropolo- Mensch verursachen mag, stets bleibt doch der gischen Fragestellung nach den biologisch-kulturel- ewige Wechsel der Jahreszeiten gleich Som- len Grundlagen des menschlichen Verstehens von mer und Winter, die Zeit der Saat und Ernte Raum-Zeit-Zusammenhängen. Ihr untergeordnet ist kehren in ihrer bestimmten Ordnung wider.“ die Analyse der kulturellen Wurzeln unseres eige- James F. Cooper 1841 nen, europäischen Zeitverstehens (Hohn 1984; s. a. Gebser 1973a [1949]: 106; Cramer 1996: 15–65). Wie die Paläontologie der Biologie die eigentlich kaum fassbare zeitliche Dimension irdischen Lebens Beides sind Teile eines sich aus Bio- und Tradi- vermittelt hat, so verdeutlicht insbesondere die ar- genese zusammensetzenden evolutionären Prozes- chäologische Forschung den historischen Wissen- ses (z. B. Vogel 1986). Der Soziologe Norbert Elias schaften den ebenfalls kaum vorstellbaren Zeitraum (1988: 191) nutzt für diese homologe Entwicklung der menschlichen kulturellen und biologischen Evo- alternativ den Begriff des Wandlungskontinuums lution (z. B. Gould 1992; Cartier 2010). Sie hat unse- (1.4, 1.5). Bereits daraus ergibt sich auf einer in- re Vorstellung von Zeit und Dauer des Menschseins haltlichen Ebene eine das archäologische Erkennt- in nicht einmal 150 Jahren grundlegend geändert. nisstreben charakterisierende Unschärferelation2: Dabei greift die archäologische Forschung im Kern Die archäologische Forschung versucht als gegen- auf Befunde und Funde als Quellenmaterial zurück. wärtiges Produkt eines evolutionären Prozesses in Dieses sucht sie einerseits zeitlich zu verorten, an- Rückkopplung mit und aus dem eigenen Zeitver- dererseits kulturhistorisch zu deuten. Dieses Deuten ständnis heraus ein anderes als das eigene Verstehen umfasst auch die Auseinandersetzung mit den Zeit- von Raum-Zeit-Zusammenhängen zu (re)konstruie- konzepten der untersuchten Kulturen vornehmlich ren, welches seinerseits ein früheres Ergebnis dessel- aus einer wirtschaftlich-systemaren oder einer kul- ben evolutionären Prozesses ist. tisch-rituellen Perspektive. Beide Verständnissysteme sind jeweils durch Hierzu wurden ausgehend von der stratigrafischen Kontinuitäten und Diskontinuitäten, Gleichzeitiges und später von der typologischen Methode chronolo- und Ungleichzeitiges, durch Lebensrhythmen und gische Konzepte entwickelt, die zunächst über das Eigenzeiten geprägt. Sie besitzen ein darauf abge- zunehmende Verständnis historischer Kalendersys- stimmtes Wirtschaftsverhalten in Wechselbeziehung teme und Genealogien, dann über unterschiedliche zu den unterschiedlichen kulturellen, biologischen archäometrische Datierungs- und Analysemethoden oder naturräumlichen, z. T. miteinander interagieren- verfeinert wurden. Indes handelt es sich hierbei um den oder gar widerstreitenden Umwelten. Dennoch keinen rein wissenschaftlichen Prozess. Vielmehr oder gerade deswegen sollten sie als getrennte Ver- ist diese Entwicklung durch die Wechselbeziehung ständnissphären bewertet werden. von Wissenschaft und ihrem jeweiligen gesellschaft- lichen Umfeld geprägt1 (z. B. Bailey 2008: 17–21). In diese Richtung hat bereits der deutsche Phi- losoph und Hermeneutiker Wilhelm Dilthey (1923: Der dieser Untersuchung zur Bedeutung von Zeit 278) argumentiert und diese Interferenz als Lebens- für die archäologische Forschung zu Grunde geleg- bezug von Forschung bezeichnet. Der französische te Ansatz beinhaltet zwei über die Fragestellung der Soziologe Pierre Bourdieu (1976) konkretisiert diese Aporie von Gesellschaft und Wissenschaft hinaus- Dichotomie in seinem Beitrag Ökonomische Praxis gehende Aspekte. Da Zeitwahrnehmung immer ein und Zeitdisposition auf den Gegensatz der Zukunfts- kulturelles Produkt ist, das mit sozialem Verhalten gerichtetheit kapitalistischer zur zyklischen Erwar- verbunden ist, kommt es zu einem unauflöslichen tungshaltung vor-kapitalistischer Gesellschaften Widerspruch von Forscher und Forschungsobjekt. innerhalb eines Produktionszeitraums: „Die ökono- Das Verständnis dieses Bezugssystems ist aber not- mische Entscheidung wird dabei nicht durch die Be- wendig, um die Qualität und Reichweite archäolo- rücksichtigung eines explizit als Zukünftiges gesetz- gischer Deutungen und Rekonstruktionen bemessen ten Ziels [...] bestimmt; das ökonomische Handeln zu können. Im Mittelpunkt steht dabei die inhaltliche 2 Der Begriff der Unschärferelation oder Unbestimmt- 1 Diese Analyse knüpft an meine mentalitätsgeschicht- heitsrelation entstammt der Quantenphysik und wurde liche Untersuchungen zur Geschichte der Archäologie 1927 von Werner Heisenberg im Rahmen der Quanten- (Ickerodt 2004) sowie an die Frage nach der Kanonisie- mechanik formuliert. Er beschreibt den Umstand, dass rung von archäologischem Wissen in ihrem jeweiligen zwei komplementäre Eigenschaften eines Teilchens gesellschaftlichen Umfeld (Ickerodt 2008) sowie zur nicht gleichzeitig beliebig genau messbar sind. Diese archäologischen Erkenntnisfähigkeit (Ickerodt 2010, Eigenschaft resultiert nicht aus der Begrenztheit des 2011, 2013) an. Messvorgangs selbst, sondern sie ist systemimmanent.

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orientiert sich vielmehr an einem in der Erfahrung Weise muss sich die archäologische Forschung mit direkt fassbaren oder durch die eine Tradition aus- dem Thema Zeit beschäftigen? Benötigt die tägliche machenden akkumulierten Erfahrungen begründeten Praxis der archäologischen Forschung überhaupt ‚Zukünftigen‘“ (Bourdieu 1976: 378). Dabei stellt eine wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung diese Aussage nicht die grundsätzliche Notwendig- mit dieser Thematik? Ist archäologisches Arbeiten keit des vorausschauenden menschlichen Handelns nicht selbstevident? Welchen Einfluss hat die Ver- infrage, sondern sie fokussiert auf den Gegensatz mittlung archäologischer Inhalte auf das jeweilige der prospektiven Zielsetzungen vor-kapitalistischer gesellschaftliche Umfeld? Welche ethische Verant- Gesellschaften zum ökonomisch-rationalen Kalkül wortung resultiert daraus? kapitalistischer Gesellschaften, der im ersten Fall unabhängig von und im zweiten Fall nach bewusst Um diese und vergleichbare Fragen beantworten quantifizierbaren Rentabilitätsgesichtspunkten funk- zu können, müssen die in einer Wechselbeziehung tioniert (s. a. Hohn 1984). zueinander stehenden Untersuchungs- und wissens- theoretischen Erkenntnisebenen des Themas Zeit und ihre Relevanz für die archäologische Forschung herausgearbeitet werden. Zeitwahrnehmung und Zeitverstehen als durch die Unschärferelation gekoppeltes Problem der archäologischen Forschung Analyse der archäologischen Erkenntnisfähig- Den von Bourdieu herausgearbeiteten Gegensatz keit in Bezug auf menschliche Zeitkonzepte von prospektiven Zielsetzungen vor-kapitalistischer Gesellschaften und ökonomisch-rationalem Kalkül In dieser Studie bilden vier Untersuchungsfelder kapitalistischer Gesellschaften stellen die beiden den inhaltlichen Bezugsrahmen dieser historisch- britischen Archäologen Michael Shanks und Chris- anthropologisch ausgerichteten Untersuchung zur topher Tilley (1987) in ihrem seinerzeit sehr stark menschlichen Zeitwahrnehmung und deren Bedeu- rezipierten Werk Social Theory and Archaeology als tung für die archäologische Praxis. Ausgangspunkt einen aus ihrer Sicht grundlegenden Aspekt des ar- ist die Frage nach dem (1) Sein in der Zeit und dem chäologischen Umgangs mit Zeit heraus. Ihre The- Messen von Zeit als Grundlage wissenschaftlicher sen, die hier nicht in ganzer Breite zu diskutieren und damit auch archäologischer Ordnungssysteme. sind, können wie folgt zusammengefasst werden: Dieses umfasst die archäologische Analyse von kla- Vergangenheit wird durch archäologisches Arbeiten3 distischen Einheiten, Kulturtechniken als Ausdruck in der Gegenwart erschlossen. Dieser Vorgang ist eines Wandlungskontinuums, Zeiterfahrung als Pro- nicht wertfrei. Er ist vielmehr an die eigene kulturel- dukt menschlicher Kulturfähigkeit sowie mögliche le Praxis, d. h. die heute vorherrschende ‘kapitalis- Fehlerquellen bei der Untersuchung menschlicher tische Zeitkonzeption‘ bzw. an eine ‘kapitalistische Zeitkonzepte. Daran schließt sich (2) die narrative Form der Zeitgliederung‘ gekoppelt (Shanks und Gebundenheit von empirisch-archäologischer For- Tilley 1987: 13f., 118–136, 211f.). schung an. Im Mittelpunkt dieser Betrachtung stehen der ungerichtete Zeitpfeil als Grundlage einer tele- Ihre Analyse bleibt inhaltlich in ihrem Verhältnis onomen und der gerichtete Zeitpfeil als Grundlage zur archäologischen Praxis jedoch recht vage, fand einer teleologen Geschichtskonzeption. Das dritte aber dennoch Ende der 1990er Jahre Eingang in die Untersuchungsfeld (3) beinhaltet die Auseinander- deutsche Theoriedebatte (Wolfram und Sommer setzung mit den wissenstheoretischen Eigenschaf- 1996) und führte zu einer Diskussion insbesondere ten von archäologischen Zeitbeobachtungen. Ab- zwischen Heinrich Härke (1996: 3), Ulrike Sommer schließend wird (4) das Aktualismusprinzip in der (1996: 13) und Frank Fetten (1996: 19). Auch wenn archäologischen Forschung untersucht. Da es einige damals viele Themen andiskutiert wurden, so blie- inhaltliche Unschärfen in sich birgt, werden die (4.1) ben auch viele Fragen seinerzeit offen. Auf welche methodischen und die (4.2) inhaltlichen Grundlagen sowie die (4.3) mentalitätsbildenden Eigenschaften 3 Shanks und Tilley (1987) heben hier besonders auf jeweils für sich betrachtet. Da diese vier Untersu- Ausgrabungen ab, zu nennen wären allerdings auch chungsfelder interdependent und zudem das Produkt alle anderen Formen der archäologischen primären ein und desselben evolutionären, d. h. historischen Datenerhebung und sekundären Datenverarbeitung; vgl. z. B. Murray 1999. Mit Hilfe des Sonderheftes Prozesses sind, wurde die hier genutzte Einteilung Time and Change in Archaeological Interpretation lediglich aus analytischen Gründen gewählt. (Robb 2008) kann die weitergehende Literatur er- schlossen werden.

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1 Sein und Zeit Friedrich Cramer (1996: 24–29) beinhaltet diese Fä- higkeit mehrere historische Emanzipationsprozesse. Wie jedes Dinghafte besitzt alles Lebendige be- Ausgangspunkt ist eine kosmische Zeit, an der sich reits aufgrund seiner Körperlichkeit eine spezifische die irdischen Kalendersysteme als verbindliche Sys- Zeitstelle. Es unterscheidet sich von der toten Mate- temzeiten orientieren. Dieses führte seit der klassi- rie durch die Zeithaftigkeit der eigenen Existenz als schen Antike zu Abkopplung von einer ewigen Zeit. Werden und Vergehen. Das bedeutet nicht, dass tote Ein zweiter Aspekt ist die Anerkennung der Irrever- Materie nicht Teil der Zeit ist, sondern dass sich bei- sibilität von Ereignissen und die Zweckbestimmung de hinsichtlich ihrer Beziehung zum Jetzt und ihrer innerhalb von Selbstorganisationsprozessen sowie zukünftigen Möglichkeiten auf Basis eines Damals von systemimmanenten Eigenzeiten (1.4.1). unterscheiden (Plessner 1975: 178f.). Die Verlaufs- richtung wird vom thermodynamischen Zeitpfeil Die chronologische Zuweisung erfolgt über die (2.1) als Form des Nacheinanders in nicht umkehr- Synchronisation einzelner Daten oder Zeiträume barer Reihe vorgegeben (Plessner 1975: 175), wobei über die Skala eines progressiv-linear fortschreiten- die Vergangenheit des Lebendigen als Gewesen-sein den Zeitpfeils (innerhalb eines Raum-Zeit-Kontinu- jeweils die Gegenwart determiniert und über ein vor- ums) (s. a. Einstein und Infeld 1956: 135). Dieser handenes Möglichkeitsfeld die Zukunft prägt. Dabei Bezugsrahmen findet seine Wurzel neben der Astro- unterscheidet sich gemäß Helmuth Plessner (1975: nomie insbesondere in der Newtonschen Physik und 174f.) die tote Materie vom Lebendigen durch, wie deren Umsetzung in der Pendeluhr (Cramer 1996: er schreibt, den erfüllten Bezug der toten Materie 38–40) und erweist sich seit der Entdeckung der En- zur Gegenwart, die wiederum im Gegensatz zum tropie als obsolet (Cramer 1996: 42–51). Möglichkeitsfeld des Lebendigen steht. Dabei ha- ben beide zwar das gleiche Verhältnis zur Zukunft. Da sich die irdischen, historischen und derzeit Die tote Materie weist aber bereits einen erfüllten gültigen Kalendersystem an einer kosmischen, d. h. Bezug zum Gegenwarts- und Zukunftsmodus auf, circannual-circadianischen Zeit (= irdisches Jahr mit während Plessner (1975: 173f.) das Lebendige mit Tag und Nacht) orientieren, spielt für die archäolo- dem aporischen Bezug des „im Jetzt stehendem gische Praxis die Relativierung der physikalischen Nochnicht“ und des „im Nochnicht stehendem Jetzt“ Zeit in Bezug auf andere, extraterrestrische Bezugs- charakterisiert (2.1). Mit dieser etwas sperrigen Aus- systeme allerdings derzeit keine Rolle, zumal weder drucksweise beschreibt Plessner die Möglichkeit des das räumliche noch zeitliche naturwissenschaftliche Lebendigen mit Verhaltensprädispositionen auf Ver- oder kalendarische Bezugssystem gewechselt wird änderungen in Raum und Zeit zu reagieren, die wis- (Einstein und Infeld 1956: 140; s. a. Gebser 1973b senschaftlich gemessen werden können (1.1). [1949]: 474f.).

Dieses hat als historisch-anthropologische und historische Fragestellung zweierlei Konsequen- zen für die archäologische Auseinandersetzung mit 1.1.1 Zeitbezeichnungen des archäologischen dem Thema Zeit. Sie betreffen jeweils die bio- und Bezugssystems tradigenetische Ebene und sind Teil einer kontinu- ierlichen Entwicklung, deren Spuren über die Palä- Den wissenstheoretischen Hintergrund bildet ontologie, Paläoanthropologie und die Archäologie als relativer Bezugsrahmen der (irdische) thermo- gemessen werden können. dynamische Zeitpfeil (2.1). Damit entspricht das archäologische Zeitkonzept grundsätzlich den in physikalischen und anderen naturwissenschaftlichen Ordnungssystemen wie Astronomie, Biologie, Che- 1.1 Das Messen von Zeit als Grundlage wis- mie, Geologie usw. gebräuchlichen Messskalen (s. a. senschaftlicher Ordnungssysteme Störig 1965; Cramer 1996) und orientiert sich an den jeweils gültigen DIN ISO-Normierungen. Das Messen von Aktivitäten oder Ereignissen pro Zeit ist die Grundlage des wissenschaftlichen und Das archäologische Bezugssystem basiert im Kern damit auch des archäologischen Arbeitens. Hierzu auf dem am 15. Oktober 1582 eingeführten gregori- werden die relative Lage im Raum (Koordinate), die anischen Kalender und sieht die Zeit zwischen dem Höhe (Ordinate) und die Datierung (Zeitpunkt/Zeit- ersten vor- und nach-christlichen Jahr als Nullpunkt raum) innerhalb eines vierdimensionalen Kontinu- an. Im Allgemeinen erfolgt daher eine Trennung in ums ermittelt (Einstein und Infeld 1956: 140). Nach vor- (v. Chr.) und nach Christus (n. Chr.). Im Zuge

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unkalibriert Bezeichnung kalibriert deutsch englisch

Naturwissenschaftlich vor heute before present (BP) calBC/AD

v. Chr./n. Chr. oder before Christ (bc)/anno Historisch BC/AD v. d. Z./n. d. Z. domini (ad)

Tab. 1: In der Archäologie zur chronologischen Verortung genutztes Bezeichnungssystem. der Säkularisierung wurde im deutschen Sprachraum 1.2 Relative und absolute Chronologie als die Abkürzungen vor unserer Zeit (v. u. Z.) und un- Grundlage archäologischer Ordnungssyste- sere Zeit (u. Z.) sowie vor der Zeit (v. d. Z.) oder me nach der Zeit (n. d. Z.) eingeführt, um die deutliche Trennung von wissenschaftlichen und religiösen Die archäologische Forschung kennt zwei unter- Zeitrechnungen zu betonen. Mit der Einführung der schiedliche Ordnungssysteme zur Untergliederung 14-C-Methode ist eine weitere Ebene mit den Be- der Vor- und Frühgeschichte (1.1.1). Es sind die zeichnungen vor Heute bzw. before present (BP) mit relative und die absolute Chronologie. Bis zu Ein- dem Jahr 1950 als Bezugspunkt hinzugekommen, führung von naturwissenschaftlichen Datierungs- wobei diese naturwissenschaftliche Datierung die verfahren war die relative Chronologie der alleinige, Schwierigkeit der Umrechnung in historische Kalen- verbindliche Bezugsrahmen (Eggers 1986 [1959]: derzeitpunkte oder -räume mit sich bringt (Tab. 1). 53–121). Methodische Grundlage sind ausgehend von der Geologie (Charles Lyell [1797–1875]) die Entwicklung der archäologisch-bodenkundlichen Feldmethoden4. Neben der der Geologie entlehnten 1.1.2 Sprachliche Erschließung der Vor- und stratigrafischen Methode (z. B. durch Jacques Bou- Frühgeschichte und fachliche Ausdifferen- cher de Perthes [1788–1868], Édouard Armand Lar- zierung tet [1801–1871]) und deren methodischen Ableger der Belegungschronologie (= horizontal Stratigrafie) Auf einer sprachlichen Ebene wurde der Zeitraum (z. B. durch Emil Vedel [1824–1909]) sind insbe- vor den schriftlichen Überlieferungen als Bezeich- sondere der geschlossenen Fund als Wegbereiter der nung epochaler Anfangszustände zunächst über Be- Befundarchäologie sowie die typologischen Metho- griffe wie Vorzeit, Vorwelt, Urzeit, vor der Sintflut de (durch Oscar Montelius [1843–1921]) zu nennen. oder Antediluvial erschlossen (Cartier 2010; Hakel- Sie ermöglichten die Etablierung des Drei-Perioden- berg und Wiwjorra 2010), bevor die ante diluvialen Systems (durch Christian Jürgensen Thomsen [1788– Reliquien im Sog der entstehenden Nationalstaaten 1865]) sowie dessen weitere Ausdifferenzierung zu im 19. Jahrhundert politisch instrumentalisiert zu einem einheitlichen, aber relativen Ordnungssystem vaterländischen Altertümer wurden und sich die auf Basis des gregorianischen Kalenders (1.1.1). Die gegenwärtige verwaltungstechnisch-juristische No- Binnenstruktur wurde durch die Entwicklung der menklatur des archäologischen Denkmals oder des Archäozoologie sowie der Paläobotanik zunehmend Bodendenkmals sowie die Ergänzung der Altertums- erweitert und immer wieder von wissenschaftlichen wissenschaften um die Untersuchungsfelder Vor-/ Fehldeutungen bereinigt. Ein Prozess, der bis heute Ur- und Frühgeschichte etablierten (Behrens 1997; fortgeführt wird. Müller-Karpe 1981). Inzwischen ist eine Abwen- dung von der chronologischen mit dem Begriff des Parallel hierzu wird insbesondere seit dem 19. archäologischen Erbes hin zur methodischen An- Jahrhundert versucht, die relative Chronologie zu- sprache zu verzeichnen, die zeitstufenübergreifend nächst über die astronomisch begründeten Kalen- die Vorgeschichte mit der Archäologie der Gegen- dersysteme der klassischen Antike, später über die wart verbindet. der asiatischen Hochkulturen oder Altamerikas mit 4 Z. B. durch Heinrich Schliemann (1822–1890), Ge- neral Augustus Henry Lane Fox Pitt-Rivers (1827– 1900), Sir William Matthew Flinders Petrie (1853– 1942), Carl Schuchhardt (1859–1943), Sir Mortimer Wheeler (1890–1976).

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absoluten Kalenderdaten zu versehen, um die rela- In methodischer Hinsicht schwieriger sind dann tive Chronologie der europäischen Vor- und Frühge- solche Aspekte vor- und frühgeschichtlichen Kultur- schichte oder der Menschheitsgeschichte mit der ab- schaffens, die über materielle Kultur als Inbegriff der soluten Chronologie des gregorianischen Kalenders jeweils kulturspezifischen Mittel erschlossen werden zu verbinden (Eggers 1986 [1959]: 122–198). Basis sollen. Dieses umfasst Themen wie Machbarkeit und sind hier u. a. Münzfunde oder Importbeziehungen. die dazu nötigen Ressourcen, um Realitätsbezug/- Später kamen die archäometrischen Datierungsver- erfahrung als Bestandteile einer kulturellen Eigen- fahren (14C-Datierung, Dendrochronologie usw.) perspektive wissenschaftlich erschließen zu können. hinzu. Hier werden schnell die z. T. engen Grenzen des methodenorientierten Wissens überschritten und es Der Vorgang der diesem Bezugssystem zugrun- kommt aus der Beobachtungssituation heraus zu der deliegenden Primärdatenerhebung wird zunächst bereits erwähnten Interferenz des eigenen kulturel- einmal als grundsätzlich wertfrei angesehen, da er len „Ichs“ mit dem Untersuchungssubjekts. sich im Bereich des methodenorientierten Wissens bewegt. Der jeweilige Stand der Technik begrenzt Daneben steht die Gestaltung der materiellen Kul- allerdings diese Erkenntnisfähigkeit und damit die tur selbst. Fragestellungen sind hier Wirtschaftlich- Genauigkeit sowie Qualität der erhobenen Daten. keit, Funktionalität oder beispielsweise die Auswahl der zur Verfügung stehenden Kulturtechniken. Mate- Da es sich bei der relativen Chronologie als wis- rielle Kultur wird hier zum Denkmittel und erfordert senschaftlichem Ordnungssystem um das Produkt beispielsweise die Beschäftigung mit Stichworten eines simplen kladistischen Prozesses handelt, der wie Kreativität, Optimierung oder Anpassung (Tab. auch ohne eine wissenstheoretische Fundierung als 2). einfaches Zuordnen auf Basis von Vergleichen von geschlossenen Befundeinheiten funktioniert (s. a. Noch abstrakter und methodisch schwieriger zu Ziegert 1991; Stahl 1993), kann die chronologische fassen ist die Ebene der materiellen Kultur als spezifi- Zuordnung aus reinem Selbstzweck heraus durch- schem Mittel der Welterschließung. Untersuchungs- geführt werden. Daher hat der britische Archäologe bereiche sind hier etwa Erwartungsräume/-horizonte Sir Mortimer Wheeler (1960: 45) diese Form ar- (1.5.2), das Verstehen von Kausalzusammenhängen chäologischer Forschung am Beispiel der Analyse (z. B. von biotischen und abiotischen Umweltrhyth- von Keramik einmal als eine der Philatelie naheste- men), Entwicklungslogiken und Umweltqualitäten. hende Beschäftigung charakterisiert. Dieser Aussa- Diese Untersuchungsebenen zielen auf das Verständ- ge ist nach wie vor zuzustimmen. Archäologische nis der Raum-Zeit-Zusammenhänge der zu untersu- Forschung produziert dann auf Basis der genannten chenden Einheit ab. Sie basieren auf der Überlegung, Methoden einerseits immer feinere chronologische dass menschliche Kultur auf Umwelt bestehend aus Aussagen. Andererseits sind aber unter Umständen Habitat und Biom mit ihren Rhythmen abgestimmt auch die getroffenen kulturhistorischen Aussagen sein muss. Dieses kann mit archäologischen Metho- von einer geringen Reichweite. den erschlossen werden. Damit zielt die archäologi- sche Forschung auf die Ermittlung einer kulturellen Eigenperspektive. Da solche Betrachtungen inhalt- lich ebenfalls mit einem Wechsel des Bezugssystems 1.3 Untersuchungsziele innerhalb einer kla- verbunden sind, ist auch hier mit der Überschreitung distischen Einheit der besagten engen Grenzen des methodenorientier- ten Wissens zu rechnen (Tab. 2). Innerhalb von kladistischen Einheiten, seien es Kulturen, Kulturstufen, Regionalgruppen usw., wis- Dieses gilt auch für den Aspekt der Umweltbe- sen archäologische Studien immer dort gut zu über- einflussung. Archäologie relevante Themen sind hier zeugen, wo sie auf einer konkreten technologischen Anpassungsprozesse, Technikfolgen, Rückkopp- oder ergologischen Ebene arbeiten. Dabei konzen- lungseffekte auf die eigene Kultur, andere Kulturen triert sich die Forschung gerne auf den Aspekt des und die jeweilige Umwelt (Biom, Habitat). Diese Werkzeugs als technischem Artefakt und unter- Teilaspekte lassen sich als Kontinuitäten/Konstanz sucht beispielsweise deren Konstruktionsprinzipien, oder Diskontinuitäten/Wandel am Untersuchungs- Funktionsfähigkeit/-weise oder Wirksamkeit. Der- material fassen und stehen einerseits für Phasen eines artige Untersuchungen bewegen sich hauptsächlich kulturell-naturräumlichen Gleichgewichts (1.4.2). im Bereich einer empirischen Überprüfbarkeit und Dieser Stasesituation stehen andererseits Verände- damit innerhalb des methodenorientierten Wissens. rung in den unterschiedlichen Ebenen der untersuch-

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Technikgeschichte  Technikphilosophie

 Technik als Inbegriff spezifi - scher Mittel (Realitätsbezug, Technik als Mittel der Welterschließung (Erwar- -erfahrung, Machbarkeit, tungsraum, -horizont, Kausalzusammenhänge, Natur und natürliche Ressour- Entwicklungslogik, Umweltqualität usw.) Technik als Operation und cen usw.) Handlung (Leibesnähe, Senso- motorik usw.)

Werkzeug als Denkmittel Technik als Mittel der Umweltbeeinfl ussung (Kreativität, Optimierung, (Anpassung, Technikfolgen, Rückkopplungsef- Anpassung, Sicherheit usw.) fekte, Gleichgewicht/Stase, Veränderung usw.)

Werkzeug als technisches Gestaltung des Technischen Werkzeug als Symbol (kulturelle Identität, Ver-  Artefakt (Konstruktionsprin- (Wirtschaftlichkeit, Funktio- hältnis zur Außenwelt, Auswirkung auf Gesamt- zipien, Funktionsfähigkeit, nalität, Auswahl der zur Ver- kultur und Umwelt, soziale Anerkennung, Ord- Funktionsweisen, Wirksam- fügung stehenden Methoden nung, Stabilität usw.) keit, Brauchbarkeit usw.) usw.)

Tab. 2: Verortung der archäologischen Erkenntnisfähigkeit zwischen technikgeschichtlichen und technikphilosophischen/his- torisch-anthropologischen Fragestellungen ergänzt nach Peter Fischer (2004). ten Kultur, deren benachbarten Kulturen sowie der kognitiver Prozesse wird materielle Kultur aus der biotischen und abiotischen Umwelt gegenüber. situativen Funktionalität gelöst und erhält eine dia- chrone Perspektive. Peter Fischer (2004: 84) betont Der mit archäologischen Methoden am schwie- in diesem Zusammenhang, dass über die Aufbewah- rigsten zu erfassende Bereich ist der der symboli- rung, den Gebrauch, die Instandhaltung und die wie- schen Ebene der materiellen Kultur. Wie kann eine derholte Herstellung Wissen objektiviert und tradiert spezifische, implizit vorausgesetzte kulturelle Iden- wird. Denken und Erkennen, Wissen und Können tität ermittelt werden? Ist sie über Bilderwelten zu werden über ihre kulturelle Vergesellschaftung sta- erschließen? Welche Bedeutung haben ggf. nachzu- bilisiert. Materielle Kultur wird zum Denkmittel und weisende Rituale, Sitten und Bräuche? Wie sind sie Kontinuitätsanker oder Innovationswerkzeug. auf die damaligen Umweltrhythmen abgestimmt? Finden diese Eingang in die materielle Kultur? In welchem Verhältnis steht die implizit vorausgesetzte kulturelle Identität zur Außenwelt? Welche (Aus-) 1.4 Kladistische Einheiten als Abschnitte wirkung(en) haben einzelne Objekte, Orte oder Regi- eines Wandlungskontinuums onen auf die Gesamtkultur und deren Umwelt? Kön- nen Reliquien, Erinnerungsorte und Landschaften in In der archäologischen Praxis können kladistische ihrer mythischen Bedeutung erschlossen werden? Einheiten nur aus analytischen Gründen als Zeit- Wie spiegelt materielle Kultur beispielsweise soziale scheiben betrachtet werden: Jede dieser Einheiten Anerkennung, Ordnung oder Stabilität wider? Und hat ein Davor und ein Danach und ist Produkt und nicht zuletzt, welche Bedeutung kommt der Kultur- Teil eines Anpassungsprozesses. Gemäß des hier technik „Zeit“ als Raum-Zeit-Zusammenhänge glie- gewählten Bezugssystems sind diese kladistischen dernder Bezugspunkt zu? Einheiten daher per se Ergebnis und Bestandteil eines Wandlungskontinuums, das von Raum-Zeit- Diese und vergleichbare Fragestellungen sind in spezifischen kulturellen Praktiken getragen wird und einem Forschungsfeld zu verorten, das zwischen Bestandteil eines historischen Prozesses ist, dessen Technikgeschichte und Technikphilosophie als Teil Wurzeln im Mensch-Tier-Übergangsfeld zu suchen der historischen Anthropologie schwankt (Tab. sind und der gemeinhin als evolutionär bezeichnet 2). Werkzeuge bilden hier – ähnlich wie die Spra- wird. che und vielleicht noch vor der Sprache – Erkennt- nis- und Denkprozesse ab. Als materialisierte Form

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Die zu erforschenden Kulturpraktiken spiegeln biotischen Welt können sich mit ihrem Variantenre- daher jeweils eine immanente Handlungsfähigkeit pertoire daran ausrichten. Auf Basis dieser Spielräu- wieder, die sich aus Erfahrungen – Plessners Gewe- me kann das Lebendige eine rhythmisch gestaltete sensein – und Erwartungen – Plessners Potenzialität Systemzeit etablieren. Das Gesamtsystem muss als des Noch-nicht – zusammensetzt, deren funktionaler wiederholtes Durchlaufen von Ähnlichem aber nicht Maßstab wiederum Realitätsbezug und -erfahrung von Gleichem verstanden werden. Das heißt, dass sowie praktische Klugheit und erfolgreiches Pro- das Durchlaufen von Wiederholungen immer durch blemlösen (Fried und Süßmann 2001: 8f.) in ihrer Varianten gekennzeichnet sein muss und individuel- historischen Dimension sind. Die hier inhärente Un- le Unterschiede immer an die Wiederkehr des Ähnli- schärferelation wird später noch einmal aufzugreifen chen gebunden sind (Held und Geißler 1995; Geißler sein. 1995).

Das Konzept des Wandlungskontinuums steht Beim Menschen wird diese Fähigkeit einerseits hier also für die diachrone Perspektive der archäolo- als Ausdruck von Individualität und Subjektivität gischen Forschung und zielt dabei auf zwei jeweils verstanden. Andererseits bieten Umweltrhythmen homologe Bezugssysteme ab. Auf der einen Seite Orientierungspunkte im Fluss der Zeit, auf die die steht die Geschichte des Menschen selbst. Auf der jeweiligen gesellschaftlichen Rhythmen abgestellt anderen Seite umschreibt der Term Wandlungskon- sind und so soziale Kohäsion erzeugen. Allerdings tinuum die genannten, mit archäologischen Me- sind die in einem Bezugssystem vorhandenen indi- thoden zu untersuchenden Raum-Zeit-spezifischen viduellen und gesellschaftlichen temporalen Frei- Anpassungsprozesse menschlicher Kulturen an ihre heitsgrade beschränkt und eine Missachtung führt jeweiligen naturräumlichen und gesellschaftlichen zur Destabilisierung von Teilsystemen oder des Umwelten mit ihren Rhythmen und Eigenzeiten, Gesamtsystems (Held und Geißler 1995; Geißler deren Gesamtheit wiederum erst zur Geschichte der 1995: 9). Aus archäologischer Sicht können daher Menschheit wird. Diese aufeinanderfolgenden kla- Teil- oder Gesamtsysteme als kladistische Einheiten distischen Einheiten bilden in Form von mehr oder mit stabilen Regelkreisläufen verstanden werden, die weniger abgeschlossenen Phasen oder Epochen die eine temporäre Gleichgewichtssituation darstellen menschliche Kulturgeschichte. Diese wird wieder- (1.4.2). um aufgrund der technologisch-ergologischen As- pekte des archäologischen Untersuchungsmaterials retrospektiv mehrheitlich als zunehmender Grad der menschlichen Umweltbeherrschung und des techni- 1.4.2 Zustand eines eingeschränkten Gleich- schen Fortschritts bei gleichzeitiger Zunahme von gewichts gesellschaftlicher Komplexität verstanden (Ickerodt 2008). Dieses Verständnis basiert auf dem zu unter- Der Paläontologe Niles Eldredge (1997: 159f.) suchenden Geschichtsverständnis (2). hat dieses als „Zustand eines eingeschränkten Gleichgewichts“ verstanden. Mit Blick auf den ar- chäologischen Forschungsgegenstand müssten da- her innerhalb kladistischer Einheiten die einzelnen 1.4.1 Eigenzeit Komponenten Mensch – Gesellschaft – biotische und abiotische Umwelt untersucht werden, da sie Mit Eigenzeit werden in der biologischen Rhyth- in einem Wirkungsverhältnis zueinanderstehen und musforschung die durch die abiotischen und bioti- miteinander rückgekoppelt sind. Eine Rückkopplung schen Prozesse miteinander kausal verbundenen beinhaltet die Wirkung einer variablen Größe auf Wechselbeziehungen eines instantanen, zukunftsge- sich selbst. In der Kybernetik wird diese als positiv richteten Bezugssystems bezeichnet. Diese Ganzheit bezeichnet, wenn die Wirkung die eigene Ursache kann auch als Systemzeit verstanden werden. Dabei verstärkt und als negativ, wenn sie die eigene Ursa- sind die kosmischen Rhythmen als exogene Zeitge- che schwächt bzw. dämpft und sich in der Folge ein ber der übergeordnete Bezugsrahmen für endogene stationärer Zustand einstellt. Ein solcher stationärer Anpassungsprozesse auf der Erde. Diese exogenen Zustand wird auch als Homöostase bezeichnet. Zeitgeber bieten mit ihren circannualen (Jahres- zeiten, Saisonalität) und circadianischen (Tag und Die abiotische Umwelt determiniert mit ihren Nacht, Ebbe und Flut usw.) Rhythmen allem Leben- Rhythmen die biotische Umwelt und damit auch den digen Orientierungspunkte im Fluss der Zeit. Die Menschen. Über das historische Umweltverstehen sich daran orientierenden endogenen Rhythmen der wird das menschliche Verhalten strukturiert und über

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dieses Verhalten wirkt der Mensch auf seine bioti- ses ist die biologische Bezeichnung für Analogien sche und abiotische Umwelt zurück. Die Triebfeder auf homologer Basis. Auf den archäologischen Ver- hierbei ist jeweils die individuelle Auseinanderset- gleich bezogen, können so regionale Innovationsli- zung mit den Herausforderungen des täglichen Le- nien bezeichnet werden, die aus einem gemeinsamen bens auf Basis der in der Sozialisation erworbenen Ursprung heraus zu lokalen Anpassungsprozessen Fähigkeiten und deren jeweiligen kulturellen Ein- führen. Kulturhistorische Zäsuren, die als Homoloig bettung. Diese individuelle Auseinandersetzung ist bezeichnet werden können und die zur Ausbildung allerdings situations- und wahrnehmungsgebunden analoger Strukturen führten, sind zumeist Einwande- und damit immer auch durch die Relativität des psy- rung in neue Habitate bei folgender Abtrennung der chologischen Moments gekennzeichnet (1.3). Die- kulturellen Beziehungen. Beispiele hierfür sind die se unterschiedlichen Facetten, der die menschliche Einwanderung des Menschen in Nordamerika, Aust- Handlung steuernden Impulse werden in einer kon- ralien oder Tasmanien. kreten Tätigkeit gebündelt. Deren Resultate können einerseits durch die archäologische Forschung un- tersucht werden. Andererseits ist die archäologische Forschung als Produkt der menschlichen Kulturfä- 1.5 Das archäologische Erfassen von Kultur- higkeit selbst auch durch diese Aspekte charakteri- techniken als Ausdruck eines Wandlungs- siert. kontinuums

Geht man davon aus, dass archäologische Zeit- scheiben einen temporären eingeschränkten Gleich- 1.4.3 Homolog, Homoloig und Analog als gewichtszustand darstellen (1.4.2), der auf kanoni- analytische Werkzeuge zur Beschreibung sierten Verhaltensrepertoires (1.4) basiert, so können historischer Bezüge mit aller Vorsicht die untergeordneten Analysee- inheiten je nach gewähltem Ansatz und bei aller In der archäologischen Forschung ist eine Viel- terminologischen Schwierigkeit als Kultur, Grup- zahl an Begriffen geprägt worden, um das Verhältnis pe, Technokomplex usw. bezeichnet werden. Eine kladistischer Einheiten zueinander zu bezeichnen. grundlegende Interpretationsstruktur bietet hier das An anderer Stelle wurden von mir, um dieses sich bewusst artikulierte oder unterschwellig genutzte ausdifferenzierende Begriffsfeld wieder zu konkre- Typ-Konzept und die darauf aufbauenden Untersu- tisieren (Tab. 6), die aus der Biologie entlehnten Be- chungsmethoden. Diese reichen von der Auswertung griffe Homolog, Homoloig und Analog vorgeschla- von Befund-/Fund-Gruppen, Fundvergesellschaftun- gen (Ickerodt 2010). gen oder Befunden mittels Verbreitungskarten oder Kombinationsstatistik und führen zu übergeordneten Der Begriff der Homologie bezeichnet histori- Analyseeinheiten. Dabei geht die archäologische sche Abstammungslinien. Wie in der Biologie wird Forschung nach wie vor davon aus, dass bestimm- der Begriff für diachrone Strukturähnlichkeiten ge- te Leittypen (Eggers 1986 [1959]: 54) für bestimmte nutzt, von denen ausgegangen wird, dass sie sich im Zeitstellungen und Nutzungsphasen stehen. Einen Sinne einer gemeinsamen Abstammung aus einem weitergehenden Interpretationsansatz stellt die sog. gemeinsamen Ursprung heraus entwickelt haben. chaîne opératoire (Karlin u. a. 1986; Pelegrin u. a. Ein wichtiges Kriterium für den Nachweis von Ver- 1988) dar, mittels derer die komplexen Handlungs- wandtschaft sind Übergangsformen. Der Homologie- abfolgen der Werkzeugherstellung als Produkt einer Begriff kann antonymisch zum Begriff der Analogie spezifischen kulturellen Praxis in vor- und frühge- genutzt werden. schichtlicher Zeit herausgestellt werden. Im Rahmen dieses Ansatzes werden Handlungsabläufe als Gan- Als Analog können Strukturen bezeichnet wer- zes zu chronologischen Markern und divergierende den, die historisch nicht miteinander verbunden sind. oder konvergente Merkmale bei der chronologischen Insgesamt bezeichnet der Begriff der Analogie den Zuordnung als Indizien für kulturelle Entfernung Vergleich von Teilen, Aspekten, Zusammenhängen oder Nähe gedeutet. des menschlichen Kulturschaffens von zumindest zwei räumlich-zeitlich getrennten kulturhistorischen Beide, Leittyp und chaîne opératoire, wären Entwicklungskontinua. demnach Produkt einer spezifischen historischen Entwicklung und damit je nach wissenschaftstheo- Der historische Moment einer kulturellen Bifur- retischer Perspektive Teil einer chronologischen Ein- kation kann als Homoloig bezeichnet werden. Die- heit, d. h. einer kladistische Einheit innerhalb eines

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Wandlungskontinuums, und würden eine evolutionä- von Claude Lévi-Strauss (1967: 313) entwickelten, re Reihe repräsentieren. Jeder einzelne Befund oder analytischen Begriffe des sozialen Raums und der Fund in einer solchen Reihe ist in diesem Kontinu- sozialen Zeit zusammen. um als Übergangsform anzusehen und weist daher progressive (Innovation) oder regressive (Tradition, Kontinuität) bzw. Kombinationen dieser Merkmale sowie Brüche (Diskontinuität) auf. Dahinter stehen 1.6.1 Der psychologische Zeitpfeil Erfahrungsräume und Erwartungshorizonte als Sta- bilisatoren eines Anpassungsprozesses, die einerseits Der psychologische Zeitpfeil steht für die mensch- einen homöostatischen Zustand anstreben, anderer- liche Alltagserfahrung und entspricht unserem sub- seits durch technisch-wirtschaftlich-gesellschaftli- jektiven Empfinden: Das menschliche Gehirn muss che Innovationen die anderen Eigenzeiten eines Be- sich in der Reihenfolge an Ereignisse erinnern, in der zugssystems zur Veränderung, d. h. zur Anpassung diese tatsächlich stattgefunden haben (Mainzer 1995: zwingen, an deren Folgen sie sich wiederum selber 73–79; s. a. Davies 2003). Der psychologische wird anpassen müssen. vom thermodynamischen Zeitpfeil (2.1) determiniert und steht prinzipiell für die Irreversibilität der line- ar fortschreitenden Zeit (Einstein und Infeld 1956: 194, Hawking 1991: 186). Dabei geht die Gegenwart 1.6 Zeiterfahrung als Produkt menschlicher auf Basis der Vergangenheit eine enge Symbiose mit Kulturfähigkeit der Zukunft ein. Plessner (1975: 176) umschreibt dies mit, dass sich „im Können des Seins [...] letzt- Jean Gebser (1973b [1949]: 379) stellt in seiner lich nichts anderes als ein Vorwegverhältnis statuiert kulturhistorischen Studie Ursprung und Gegenwart [wird/U. I.], in welchem die Abhängigkeitsrichtung ein explizites Zeitverständnis, sei es bewusst wahr- von der Zukunft zur Gegenwart läuft.“ genommen oder unterbewusst erfahren, als Grundbe- dingung für ein effektives Handeln heraus. Dies gilt Dies hat für das menschliche Zeitverstehen zwei nicht nur für die Industrie- und Dienstleistungsge- Konsequenzen. Auf einer konkreten Ebene gehen sellschaften, sondern für alle menschlichen Kulturen vergangene Erfahrungen – Plessners Gewesensein – und wird seit langem untersucht (z. B. Nilsson 1920; und prospektive Erwartungen – Plessners Potenziali- Fortes 1970; Bourdieu 1976; Kramer 1978, 1987, tät des Noch-nicht – in Form von Erfahrungen oder 2005 [1998]; Elias 1988; Dux 1989; Müller 1997, Erwartungen (1.5.2) eine enge Verbindung ein und 1999). Denn erst die differenzierte Wahrnehmung werden in zyklische oder linear-progressive Zeitkon- räumlicher und zeitlicher Strukturen und der sie ver- zepte und Geschichtsmodelle eingebunden. bindenden Kausalitäten erlaubt es dem Menschen, sich in dem multiinteragierenden System ‚Umwelt‘ Die kulturhistorisch und gegenwärtig weltweit zurechtzufinden. Gemeint sind hier Eigenzeiten dominierende Form der Zeitwahrnehmung basiert (1.4.1) als organisatorische Bezugspunkte für wirt- naturgemäß nach Mircea Eliade (1966) auf den schaftliche, soziale/politische oder religiöse Hand- sich an den Umweltrhythmen orientierenden zyk- lungen und deren Interaktionen in den menschlichen lischen Weltbildern. Diese lassen, abgestimmt auf Lebenswelten der Vergangenheit und Gegenwart. In ihre jeweiligen systemischen Eigenzeiten, die Zu- diesem Zusammenhang betont Barbara Adam (1995: kunft im Strom einer immerwährenden Wiederkehr 20) die Mannigfaltigkeit von Zeit innerhalb von Ge- vorhersagbarer erscheinen und bilden wohl einen sellschaften als quantitative Größe und qualitative eingeschränkten Gleichgewichtszustand ab (1.4.2). Erfahrung (Tab. 3). Damit versucht die archäolo- Bourdieu (1976: 378) hatte hier, wie angeführt, auf gische Forschung den Bereich einer kulturellen Ei- die Fremdheit dieser Zeitwahrnehmungsform ver- genperspektive zu erschließen, der von Rolf Peter wiesen. Nach Meinung des Paläontologen Stephen Sieferle (1990) unter dem Begriff der oeconomia J. Gould (1992 [1987]: 29) soll die zyklische Zeit naturae subsummiert wird. Er bezeichnet damit ein nicht so furchteinflößend wie der progressive Zeit- symbolisches Feld, das über den Paradigma-Begriff pfeil sein, den Eliade (1966: 114ff.) wiederum sogar hinausgeht und in modernen Gesellschaften einen als „Schrecken der Geschichte“ bezeichnet. Wissensgebiete übergreifenden vagen Verdichtungs- raum von Grundplausibilitäten zur Funktionsweise der Natur bildet. Dieser Verdichtungsraum bildet die Grundlage für zu fällende Entscheidungen und die damit ausgelösten Handlungen. Damit fasst er die

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Zeitebene Rhythmen kulturelle Eigenzeit quantitative qualitative Größe Erfahrung

kosmische Sonne, Mond, Tag und Rhythmen Nacht, Sternenhimmel usw.

irdische Jahreszeiten, Erwartungs-horizont Rhythmen Saisonalität, Ebbe und - Dauer Zeitmessung, -nahme Flut usw. - Geschwindigkeit (Zukunft) ↨ - Intensität tierische und saisonale Migration, Zeitbestimmung/- - Kontinuität pflanzliche Reproduktionszyklen, ↨ kontrolle - Diskontinuität Rhythmen usw. ↨ - Tradition Erfahrungsraum Zeitbeobachtung/- - Innovation soziale Feste, Rituale, erfassung - usw. Rhythmen Wirtschaftszyklen (Vergangenheit) usw.

somatische Schlafen, Wachen u. a. Rhythmen circadianische Zyklen des Körpers

Tab. 3: Die menschliche Zeiterfahrung führt auf Basis des psychologischen Zeitpfeils (1.5.1) die beiden Richtungen Zukunft und Vergangenheit zusammen. Dies geschieht in der Gegenwart, die vor dem Hintergrund der jeweils spezifischen kulturhisto- rischen Tradition durchaus anders erlebt wird.

1.6.2 Zeitbeobachtung, Zeitbestimmung und 1.6.3 Die Aporie von kulturellen Eigenzeiten Zeitangabe und sozialen Zeiten

Der menschliche Umgang mit Zeit kann über Um die Aporie von wissenschaftlicher Beobach- die Aspekte Zeitbeobachtung, Zeitbestimmung und tung und zu untersuchendem Zeitverständnis aufzu- Zeitangabe erfasst werden. Diese Fähigkeit wird in lösen, wurde ausgehend von der naturwissenschaft- der angelsächsischen Literatur zumeist unter den lichen Diskussion insbesondere in der Ökologie an Begriffen time reckoning (z. B. Nilsson 1920: Zeit- anderer Stelle der Begriff der kulturellen Eigenzeit5 bestimmung, Zeitrechnung) oder time keeping (z. B. umrissen (Ickerodt 2004: 75f.). Implizit spiegelt die- Gingrich u. a. 2002: Zeitkontrolle, Zeitnahme, Zeit- ser Terminus den Systemwechsel wider, der stattfin- erfassung) zusammengefasst (Tab. 3). Als Kultur- det, wenn eine soziale Zeit im Sinne Hans Süssmuths technik spiegelt der Mensch damit Erfahrungsräume (1980: 150) eine andere prähistorische, historische oder Erwartungshorizonten. Die Termini wurden oder zeitgenössische soziale Zeit erforscht und be- von Reinhard Koselleck (1979: 349–375 zitiert nach wertet. Taktgeber einer kulturellen Eigenzeit/sozi- Bernbeck 1996: 82–83) im Rahmen seiner begriffs- alen Zeit für ein mit archäologischen Methoden zu geschichtlichen Untersuchungen entwickelt. Sie untersuchendes kulturspezifisches Verhalten sind spiegeln die menschliche Fähigkeit, Erfahrung zu die in der Folge ausführlich anzugebenden, in einem tradieren sowie daraus Verhaltensprädispositionen hierarchischen Verhältnis stehenden Umweltrhyth- auszulösen. Beides vollzieht sich im Jetzt, in dem men und deren Rückkopplungsmöglichkeiten. Von Vergangenheit und Zukunft zusammenlaufen. Sie besonderer Relevanz für das menschliche Zeitbeob- sind, wie Reinhard Bernbeck (1996: 82f.) schreibt, achten sind wiederkehrende Himmels- oder Naturer- von sprachlichen Konventionen und Kulturspezifi- eignisse (Tab. 3). Sie bilden in den Zeiträumen vor ka unabhängig. Sie implizieren per se vorhandenes der Erfindung der mechanischen Uhr in den urpro- Wissen. Als hoch abstrahierende Termini helfen sie, duktiven Gesellschaften (zur Definition: Bargatz- das Problem der wissenschaftlichen Gebundenheit ky 1997) bis heute den Maßstab für Realitätsbezug zu überwinden und die unterschiedlichen, im Rah- und -erfahrung. Solche Zeitbeobachtungen, sowie men der menschlichen Tradigenese entstandenen Zeitkonzepte als jeweils kulturspezifische Konstruk- 5 Dieser Ansatz der kulturellen Eigenzeit fi ndet eine an- te herauszustellen. nähernde Entsprechung in dem von Bailey (1983: 186; 2008: 15) entwickelten Konzept der subjective defi ni- tion of time perspectivism.

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die sich darauf beziehenden Zeitbestimmungen und naturräumliche Eigenschaften mit Tätigkeit und ein- Zeitangaben, können mit Bezug auf die beobachte- gesetzter Technologie (Tab. 4). ten Himmels- oder Naturereignisse über Erzählun- gen, Lieder, Sagen, Mythen oder Legenden tradiert Während die archäologische Forschung die Aus- werden und aus diesem Prozess heraus ihren Nieder- einandersetzung der wildbeutenden Gesellschaften schlag in der materiellen Kultur einer jeweiligen Ge- mit den Umweltrhythmen sicherlich zumeist nur in- sellschaft finden. Auf diese Weise kann eine ehemals direkt anhand der nachweisbaren Spuren und manch- vorhandene Zeitbeobachtung in Form von Befunden mal anhand der hinterlassenen Bilder erschließen und Funden archäologisch erschlossen werden (siehe kann6, versucht die sog. Paläoastronomie den sich Beitrag Rosenstock in diesem Band). Dabei ist hin- an astronomischen Beobachtungen manifestieren- sichtlich der erkenntnistheoretischen Möglichkeiten den Bestandteil der Zeitkonzepte komplexerer Ge- der archäologischen Forschung mit einer massiven sellschaftsformen zu erschließen (z. B. Müller 1970; Reduktion zwischen der ursprünglichen kulturellen Michell 1977, 1982). Diese Beobachtungen werden Praxis als theoretisch zu erfassender Gesamtheit als kulturhistorische Vorformen oder Vorläufer der und dem archäologischen Untersuchungsgegenstand eigenen astronomisch-mathematischen Fähigkeiten auszugehen (Brather 2011). angesehen. Beispiele für diese sog. vorgeschichtli- chen Kalender sind insbesondere oder Avebury. Im deutschsprachigen Raum rückten in den letzten Jahren insbesondere die jungsteinzeitli- 1.6.4 Kulturelle Eigenzeiten/soziale Zeiten chen Kreisgrabenanlagen, die Sternenscheibe von als archäologische Forschungsfelder Nebra oder die bronzezeitlichen Goldkegelhelme in das öffentliche Interesse (siehe Beitrag Rosenstock Zeitbeobachtung als allgemeine und Zeitrech- in diesem Band). nung als spezielle Form der Umweltbeobachtung sind nötig, um das jeweilige soziale, religiöse und Den nächsten Zwischenschritt auf dem Weg zur wirtschaftliche Verhalten in Form von Festen, Riten, Astrophysik bilden dann die mathematisch-astrono- Zusammenkünften, Aussaat/Ernte, saisonalen Wan- mischen Fähigkeiten der klassischen Hochkulturen derbewegungen usw. auf die unterschiedlichen Um- Afrikas, Asiens und Amerikas. Dieser sich im ar- welten abzustimmen (Z. B. Nilsson 1920: 355–362). chäologischen Befund manifestierende, zunehmen- Ein wichtiger, die prähistorisch-archäologische For- de Grad der Umweltbeherrschung, der auch als vor- schung (z. B. Meldgaard 1995: 364, 367 Abb. 4, 9; wissenschaftliche Kompetenz zu verstehen ist, kann Uthmeier 2006: 271) bis heute prägender Grundstein als Fähigkeit zur Zeitrechnung bezeichnet werden. ist die Studie zur sozialen Morphologie der Inuit Diese basiert ganz offensichtlich auf einer astrono- -Gesellschaften des französischen Ethnologen und misch-mathematisch quantifizierten Umweltbeob- Soziologen Marcel Mauss (1989 [1904]). Er versteht achtung, die mittels heutiger Methoden nachvollzo- die sich in Rhythmus der Jahreszeiten verändernde gen werden kann, und diente der Erschließung und Struktur der Inuit-Gesellschaften als Perioden hoher Präzisierung komplexer Zeithorizonte. Im Gegen- sozialer Kohäsion und gezielter Individualisation. satz zu den unscharfen Zeithorizonten der urproduk- Taktgeber sind die auszubeutenden Ressourcen und tiven Gesellschaften wird bei zunehmend komplexe- die sich daraus ergebenden Zwänge zur Kooperati- ren Gesellschaften eine gleichermaßen zunehmende on in größeren, Familien übergreifenden Verbänden Synchronisations- und Sequenzierungsleistung er- bzw. zur Auflösung in kleinere familiäre Einheiten. forderlich, um die kulturellen, sozialen, wirtschaft- Taktgeber dieser kulturellen Eigenzeiten sind die lichen und naturräumlichen Interdependenzketten Zeitbeobachtungen und das Verständnis der kosmi- zu steuern (Hohn 1984: 83 [mit Blick auf Europa]): schen, irdischen, tierischen und pflanzlichen Rhyth- „Historisch wird die zeitliche Dimension erst dann men. 6 Einen solchen Versuch unternimmt die französische Ethnologin und Astronomin Chantal Jègues-Wolkie- Ein sehr gutes Beispiel stellt in dieser Hinsicht die wiez (s. a. 2011) in der Dokumentation Die Astrono- Arbeit der US-amerikanischen Anthropologin Jean men von (Frankreich 2007) von St. Bégoin, Aigner (1989: 27) dar. Sie untersucht u. a. exemp- V. Tardieu und P. Lima (Regie), die am 03.11.2007 um larisch das winterliche Subsistenzsystem der vor ca. 20.45 Uhr auf ARTE F gezeigt wurde. Hier stellte sie 1600 n. Chr. auslaufenden sog. Thule-Kultur, einer ihre Theorie zu den Malereien von Lascaux vor. Sie sieht in den Bildern einen Beleg dafür, dass sich die Proto-Inuit-Kultur, im Hinblick auf die eingesetzte Menschen des Magdalénien mit Astronomie beschäf- Widerhakenspitzentechnologien. Dabei korreliert sie tigten und die Bewegungen von Sonne, Mond und wichtigen Gestirnen als Tierdarstellungen dokumen- tiert haben.

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Habitat Eigenschaft Tätigkeit Beute Technologie Nahrung Rohmaterial Meer Eisdecke Robbenjagt am Ringelrobbe, Winterhapune, Fleisch, Speck, Haut, Speck, Eisloch Bartrobbe Sonde, Blut Knochen, Atemanzeiger, Elfenbein, Öl, Schneemesser, Innereien Halterungen, Wundpflöcke, Nadelstecker, Zuggriff, Knebel, Leine, Messer Meer Eisrand Jagd auf Robben, Winterharpune, Fleisch, Speck, Haut, Speck, Meeressäuger Walross, Speer, Kajak Unterhautfett, Knochen, am Eisrand Weißwal Blut Elfenbein, Öl, Innereien Flüsse/ Eisschicht auf Fischen Saibling Fischspeer, Fleisch Haut Seen Seen Haken, Leine, Blinker, Pfosten, Netz, Eispickel Tundra Küste / Karibujagd Karibu Pfeil, Bogen, Fleisch, Blut, Haut, Knochen, Binnenland Köcher, Speer, Knochenmark, Sehnen, Schneegrubenfalle Fett Geweih

Tab. 4: Eingesetztes Widerhakenspitzentechnologie im winterlichen Subsistenzsystem der Thule-Kultur nach Aigner (1989: 27). sozialstrukturell ausdifferenziert, thematisiert und eindeutig ist, da beide zum Zeitpunkt der Beobach- zum Selektionsinstrument, wenn im Hinblick auf tung durch eine Unschärferelation verbunden sind die Steigerung von Interdependenzen, zunehmende (Tab. 5). Arbeitsteilung und der dominanten Orientierung an der Ökonomie höhere Ordnungsleistungen notwen- Dem Gegenüber steht die implizit oder explizit dig werden.“ vorausgesetzte kulturelle Eigensicht. Sie kann mit archäologischen Methoden untersucht werden und bildet den inhaltlichen Bezugspunkt einer emischen Perspektive (Tab. 4). Ihre innere Logik, die als sub- 1.6.5 Die Gefahr der Überinterpretation von jektiv-funktionale Realitätserfahrung charakterisiert vor- und frühgeschichtlicher Zeiterfahrung werden kann, motiviert innerhalb einer Zeitscheibe spezifische Entscheidungsprozesse. Sie löst Hand- Aus archäologischer Perspektive sind lungen als konkreten Ausdruck eines kulturellen Realitätsbezug/-erfahrung als allgemein anthropolo- Potenzials aus. Dieses führt dann zur Entstehung gische Grundlage bzw. menschliche Universalie die von Fundstellen mit ihren spezifischen Befund- und Basis für das Aktualismusprinzip (4). Erfahrungs- Fundstrukturen. Aus einer analytischen Sicht setzt räume oder Erwartungshorizonte (1.5.2) determinie- sich diese Gesamtstruktur aus immateriellen Dis- ren das spezifische Verhalten, also die kulturelle Ei- positionen und ihrem Ausdruck in der materiellen genzeit (1.5.4) einer mit archäologischen Methoden Kultur sowie spezifischen Nutzungsstrukturen zu- zu untersuchenden Gesellschaft und können anhand sammen, deren Kausalität wiederum zwischen De- des benutzbaren Quellenmaterials auf Basis einer terminierung und Kontingenz anzusiedeln ist (s. a. etischen (wissenschaftlichen Außensicht) oder einer 1.3; s. a. Brather 2011: 210 Abb. 2). emischen Perspektive (kulturelle Eigensicht) unter- sucht werden. Hier kann es zur Aporie der verwen- Den anderen Pol bildet die archäologische Au- deten Perspektiven kommen (1.5.3). ßensicht mit ihren Untersuchungsebenen vom Fund und Befund (Schlafplatz, Wohnstelle, Haus, Weiler, Diese postulierte Polarität unterstellt aus analyti- Siedlung usw.). Sie ist ebenfalls Ausdruck eines schen Gründen zwei voneinander getrennte Positio- Wandlungskontinuums und strebt danach, mit ar- nen, wobei bereits die Trennung zwischen wissen- chäologischen Methoden quantifizierbare Aussagen schaftlicher und kultureller Außensicht nicht immer zu vor- und frühgeschichtlichen bzw. historischen

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Perspektive wissenschaftliche kulturelle Außensicht kulturelle Eigensicht Außensicht

Bezeichnung etische Perspektive emische Perspektive emische Perspektive

Zeitebene Gegenwart Gegenwart oder Vergangenheit Vergangenheit

Qualität objektivierend-verstehend subjektiv-vergleichend subjektiv-funktional

Bindeglied Realitätsbezug/-erfahrung

Tab. 5: Schematische Zusammenstellung der Betrachtungsmöglichkeiten von Zeitkonzepten.

Zeitkonzepten bzw. kulturellen Eigenzeiten und these, dass weniger die beobachteten Plejaden selbst den darauf beruhenden sozio-kulturellen Epiphäno- die Indikatoren sind, sondern dass Zirruswolken ein menen zu erarbeiten. Dieser Interpretationsvorgang El-Niño-Phänomen ankündigen: Wenn also im Juni wird gerne – weil wissenschaftlich – als objektiv eines Jahres Zirruswolken über den Anden aufzie- wahrgenommen. Ungeachtet dieser Selbstwahrneh- hen, dann trüben sie den Blick auf die Plejaden und mung schwankt er tatsächlich zwischen wissen- deuten den Ausfall der Regenfälle im Oktober an. schaftlich quantifizierbaren Aussagen und der Mög- Das Verständnis dieses natürlichen Zyklus beruht lichkeit der Überinterpretation. Diese droht immer auf einer einfachen Beobachtung der naturräumli- dann, wenn die wissenschaftliche Außensicht den chen Zusammenhänge, ohne die dahinter stehenden Bereich des methodenorientierten Wissens verlässt Kausalitäten verstehen zu können, und weniger auf und mit der emischen Perspektive des Untersuchen- einer einfachen Form der „Paläoastronomie“ wie in den verschmilzt. Von archäologischer Seite aus kann der Ausgangshypothese von den Autoren angenom- dann nicht mehr genau bestimmt werden, was an- men wurde. hand des Untersuchungsmaterials gemessen wurde. Diese Interferenz von wissenschaftlicher Beobach- Eine gewisse Triebfeder für eine Überinterpreta- tungssituation und dem eigenen kulturellen Verste- tion wie in dem hier gewählten ethnohistorisch aus- hen wird gemeinhin als Zeitgeist bezeichnet, kann gerichteten Beispiel ist das aitiologische Potenzial aber besser über die Begriffe der Reaktivität oder der der archäologischen Forschung, das sich aus zwei metaphysischen Deduktion verstanden werden. Sie interagierenden Motiven zusammensetzt. Zum einen soll an einem Beispiel verdeutlicht werden. ist es die gezielte Suche nach Vorformen der eige- nen wissenschaftlichen in diesem Fall astronomisch- mathematischen Fähigkeiten. Zum anderen ist es die Hierarchisierung des menschlichen Kulturschaffens 1.6.6 Zwischen Paläoastronomie und Zah- in aufsteigende Entwicklungslinien (2.2), die die ein- lenmystik fache Fähigkeit der Himmelsbeobachtung schlechter als die astronomische Erforschung des Weltalls ta- Gemäß einer These von Benjamin S. Orlove u. a. xiert. (2000) beobachten die quechua- und aymarasprachi- gen heutigen Nachfahren der Inka offenbar schon seit mindestens 400 Jahren im Juni den Sternenhimmel, um zu erfahren, wie das Wetter einige Monate spä- 1.6.7 Zwischen Koinzidenz und Korrelation ter zur Zeit der Kartoffelpflanzung sein wird. Dabei scheinen sie sich auf die Plejaden zu konzentrieren, Der Versuch des Nachweises von paläoastronomi- die dann zwei Stunden vor der Morgendämmerung schen Eigenschaften an archäologischen Fundstellen am nordöstlichen Horizont zu sehen sind. In man- beruht immer auf einer aus heutiger Sicht logischen chen Jahren ist dieses nicht der Fall, dann verschie- und rationalen, d. h. mathematisch-astronomischen ben sie die Aussaat der Kartoffeln auf einen späteren Begründung. Er unterschlägt dabei die gesellschaft- Zeitpunkt. liche Logik und Ratio der zu untersuchenden vor- und frühgeschichtlichen Gesellschaft. Auch wird Eine Analyse von Wetteraufzeichnungen und Sa- häufig der Umstand vertuscht, dass die betrachteten tellitendaten ergab ungeachtet der Ausgangshypo- Befunde nicht zwangsläufig die Kenntnisse oder Fä-

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higkeiten als Stand der Technik der zu untersuchen- wickelt. Das forschungsgeschichtlich zusammenge- den Gesellschaften widerspiegeln, sondern lediglich tragene methodenorientierte Wissen muss allerdings, mit eigenen, bevorzugten Annahmen und Daten, die um kommuniziert und verstanden werden zu können, zunehmend mathematisch quantifiziert und damit in präexistente Narrative eingebettet werden. Diese scheinbar besser überprüfbar werden, sozusagen Narrative dienen unabhängig ihrer wissenschaftli- „spielt“. Diese Vorgehensweise ermöglicht per se chen Richtigkeit in Form von Erfahrungsräumen eine in sich schlüssige und lückenlose „Beweisfüh- oder Erwartungshorizonten (1.5.2) der sinnbilden- rung“. Eine fehlende oder mangelhafte archäolo- den Orientierung, der gesellschaftlichen Integration gische Datenbasis kann bequem durch das eigene, und der Legitimation von Gesellschaftsstrukturen. In vermeintlich höherrangige Vorwissen ersetzt werden dieser Hinsicht sind sie in ihrem Funktionsspektrum und von den weniger mathematisch-astronomisch mit Ursprungsmythen gleichzusetzen und haben als gebildeten Leserinnen/Lesern als ausreichend ak- Erkenntnisziel das Verstehen der natürlichen und zeptiert werden. Allerdings begeht eine solche Vor- kulturellen Zusammenhänge als Teil einer systema- gehensweise den Fehler, Korrelation mit Koinzidenz ren Eigenzeit (1.3.1) sowie die Vermittlung dieser zu verwechseln. Erkenntnisse zum Ziel. Dieses Verstehen muss in ei- ner Wechselbeziehung zu den jeweils vorherrschen- Die Herausforderung für alle Forscherinnen/For- den sozialen, religiösen, politischen und/oder wirt- scher ist dabei das Problem der Aporie von Kausalität schaftlichen Strukturen stehen, deren Funktionalität und Handlung. Diesem Problem stellt sich der nie- Wir-Gruppen abhängig und jeweils über den Reali- derländische Astrophysiker Cornelis de Jager (1994: tätsbezug gewährleistet ist oder an sich verändernde 25) in seinem Beitrag „Was ist Radosophie?“. Hier Umweltbedingungen angepasst werden kann (4.3). korreliert er auf amüsante Weise die mathematisch- Daher können solche Narrative wie im Dritten Reich astronomischen Besonderheiten der Cheops-Pyrami- oder im Marxismus zur gesellschaftlichen Manipula- de mit den Größen- und Längenverhältnissen seines tion auch bewusst instrumentalisiert werden. Im Mit- Hollandrades. Mit einem vergleichbaren Beispiel telpunkt dieser Instrumentalisierung stehen teleolo- wartete der italienische Semiotiker und Literat Um- ge Geschichtskonzepte, die in einem inhaltlichen berto Eco (1989: 335–339) in seinem Roman „Das Widerspruch zur Teleonomie des Natürlichen stehen. Foucaultsche Pendel“ auf.

Hier exerziert er die ägyptische Zahlenmystik an einem Lotteriekiosk durch. Diese Form der Überin- 2.1 Der ungerichtete Zeitpfeil als Grundlage terpretation von (zufälligen) Koinzidenzen bezieht einer teleonomen Geschichtskonzeption seit der Renaissance ihren Reiz aus der Verbindung von Hermetik und Naturwissenschaften sowie aus Alle historischen, also evolutionären Prozesse dem späteren Gegensatz von hermetischen Theori- sind Bestandteil eines sich auf eine Anfangskausa- en und dem modernen wissenschaftlichen Rationa- lität reflexiv beziehenden, in einem zur Umwelt in lismus (Eco 1995: 66f.). Sie belegt den Spagat zwi- einem Rückkopplungsverhältnis stehenden dissipati- schen Wissenschaft und Fortschrittsgläubigkeit bei ven Systems. Dieses ist von Natur aus ungerichtet. gleichzeitiger Überbetonung der Überwindung von Hierfür wurde von dem US-amerikanischen Biolo- rückständigen Welterklärungsmodellen wie Aber- gen Colin S. Pittendrigh (1958) mit Blick auf zel- glaube, Mythen oder Alchemie. lulare Regelmechanismen der Term der Teleonomie geprägt, der sich bereits kurze Zeit nach seiner Ein- führung einer hohen wissenschaftlichen Akzeptanz erfreute, auch wenn er sich insbesondere in der Phi- 2 Die narrative Gebundenheit empirischer losophie nicht durchgesetzt hat (Mahner und Bunge Forschung 2000: 350). Die Richtung teleonomer Prozesse ent- spricht der der Entropie (1.1.1). Diese Erkenntnis hat Die archäologische Praxis ist als historische Wis- direkte Auswirkung auf die archäologische Praxis. senschaft in gesellschaftliche Sinnsuche eingebun- Sie legt auf einer Handlungsebene die Irreversibilität den. Es sind die großen Fragen des Werdens und Ver- von Prozessen und damit deren Einmaligkeit nahe. gehens oder des Gewordenseins. Aus den Relikten der Vorzeit werden die vaterländischen Altertümer Bei der Messung der sich im archäologischen und dann das archäologische Erbe (1.1.2). Um die Befund manifestierenden Handlung (1.1) wird al- damit verbundenen Fragen zu beantworten, wur- lerdings die sich aus einer nicht weiter spezifizier- den die genannten archäologischen Methoden ent- baren Wechselbeziehung der kulturspezifischen

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Erfahrungsräume und Erwartungshorizonte (1.6.2) Über- oder Unterordnung möglich. Mit Beginn der ergebende Unschärferelation zumeist unterschlagen, Aufklärung wird diese theistische Sicht durch wis- d. h. das wissenstheoretische Problem der Kontin- senschaftlichen Positivismus und Fortschrittsdenken genz (1.6.5) wird übersehen. Hinzu kommen auch ersetzt und bildet so die geschichtsphilosophische noch Einflussmöglichkeiten der unterschiedlichen Grundlage des Evolutionismus, der wiederum selbst ehemaligen Umwelten, die als externe Faktoren sukzessive seit dem 2. Weltkrieg kritisch hinterfragt ebenfalls zur prinzipiellen Ungerichtetheit kulturel- wird. len Handelns beitragen, auch wenn sie potenziell in den jeweiligen Erfahrungsräumen und Erwartungs- Dessen ungeachtet bleiben in der außerwissen- horizonten erschlossen sind. schaftlichen Wahrnehmung jedoch die in der Zeit davor entwickelten Deutungen zur Genese des Men- Mit Blick auf das menschliche Handeln an sich schen wirksam. In formaler Hinsicht ist die bereits geht es dabei nicht um die Fähigkeit zum zielorien- in (1.1.2) angeführte Nutzung des archäologischen tierten oder zweckrationalen Handeln. Es geht viel- Untersuchungsmaterials als Bestätigung des gesell- mehr um die – langfristig gesehen – tagtäglichen schaftlich-technischen Fortschritts mit dem Ziel, Unwägbarkeiten des Lebens und den daraus resul- eine gesellschaftlich-technische Vervollkommnung tierenden Ungewissheiten hinsichtlich des Erfolges zu bestätigen, nicht allzu weit von der teleologen Es- von Handlungen in Wechselwirkung zu allen Ebenen chatologie entfernt. Als Adaption an die Säkularge- der abiotischen und biotischen wie der kulturellen sellschaft ist dies nicht ohne Auswirkungen auf das Umwelten. Gesellschaften können die Zukunft zwar archäologische Deuten geblieben (These 3.3; siehe nicht vorhersehen, sie lässt sich jedoch aufgrund Beitrag Sommer in diesem Band). der Erfahrungen der Vergangenheit in Teilen planen (1.4.2) und damit auch gestalten. Archäologische Befunde und Funde sind das Ergebnis dieses Prozes- ses und stellen unseren Versuch dar, sich der Entro- 3 Wissenstheoretische Eigenschaften pie entgegen zu stemmen. archäologischer Zeitbeobachtungen

Das archäologische Erfassen und Messen von Zeit sowie das Verstehen von historischen Kalender- 2.2 Der gerichtete Zeitpfeil als Grundlage systemen und anderen absoluten und relativen Zeit- einer teleologen Geschichtskonzeption konzepten sind nicht absolut, sondern mit Unschär- fen verbunden. Dieses hat Auswirkungen auf die Im Gegensatz zu dem postulierten ungerichteten archäologische Praxis. Zu nennen sind hier neben thermodynamischen Zeitpfeil (2.1) ist die Vorstel- den genannten Unschärferelationen insbesondere die lung eines gerichteten Zeitpfeils eine weithin ak- Unbestimmtheit von Beobachtungssituationen und zeptierte Geschichtskonzeption, die als Teleologie die Begrenztheit von Forschungsmethoden. Daraus bezeichnet werden kann. Der Begriff stammt aus der ergibt sich die Kontingenz von Geschichtsforschung Scholastik und steht vereinfacht für die Lehre von in einem wissenschaftstheoretischen Sinne, d. h. der Zielgerichtetheit des Seins, des menschlichen nicht jede Erkenntnis oder Aussage kann archäolo- Handelns und damit des Geschichtsverlaufs im Sin- gisch belegt (Tautologie) oder widerlegt (Kontradik- ne einer causa finalis. tion) werden.

Sie basiert auf der Annahme der Vervollkomm- Hinzu kommt die narrative Gebundenheit von Ge- nung der materiellen Welt auf dem Weg zum Heil schichtsforschung, die die Probleme der Reaktivität sowie auf der Auffassung, einer von Gott für den und der metaphysischen Deduktion beinhaltet. Dabei Menschen geschaffenen Umwelt. Ein solches te- gilt es zu berücksichtigen, dass die Bindung des Ge- leologisches Geschichtsverständnis basiert auf der schichtsverstehens nicht als zu einem Zeitpunkt ab- Annahme eines zu erreichenden Ziels. Damit ermög- geschlossen, sondern als Bestandteil eines individu- licht es die Einordnung von Ereignissen und Ursa- ellen und gesellschaftlichen Wandlungskontinuums chen, die im Hinblick auf das zu erreichende Ziel als zu verstehen ist. Sie ist als Teil der Erfahrungsräume ‚sinnvoll‘ klassifiziert werden können (Blumenberg und Erwartungshorizonte also nicht statisch, sondern 1965: 67–76). Diese Klassifizierung wird auch auf dynamisch an individuellen und gesellschaftlichen menschliche Gesellschaften ausgedehnt und unter Wandel gekoppelt. Der Zeitrahmen dieses Verständ- Verweis auf eine gottgewollte Ordnung so die Legiti- nisprozesses entspricht im Grunde dem des von mierung sozialer Normen im Sinne einer kulturellen Geoff Bailey (2007: 216; 2008: 16) als durational

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present bezeichneten Konzeptes und kann darüber und einer idiographischen8, also ureigenen hinaus auch dazu genutzt werden – wie am Beispiel geisteswissenschaftlichen Ausrichtung debattiert der zeitlichen Mehrdimensionalität von Befunden (z. B. Bailey 2008: 17–21). Allerdings sind solche und Funden zu zeigen sein wird –, menschliches Ver- Debatten fruchtlos, da hier über unterschiedliche, halten im Allgemeinen zu charakterisieren. sich größtenteils ausschließende Erkenntnisformen und nicht über Erkenntnisgegenstand oder -inhalt gestritten wird. In diesem Sinn kann konstatiert werden, dass die Bruchlinie dieses Diskurses im 4 Das Aktualismusprinzip in der außerwissenschaftlichen Bereich liegt und durch archäologischen Forschung unterschiedliche Ausgangsprämissen geprägt wird.

Das Aktualismus- oder Uniformitätsprinzip ist so- wohl in der archäologischen als auch in der geologi- schen Forschung ein unscharfes Konzept, das einer- 4.2 Inhaltliche Grundlagen des Aktualis- seits methodische (4.1) und andererseits inhaltliche musprinzips (4.2) Aussagen umfasst (Gould 1992; Fetten 1993), die aporisch mit mentalitätsbildenden Eigenschaften Die inhaltlichen Grundlagen des Aktualismus- der archäologischen Zeitkonzeption (4.3) verbunden prinzips, die Uniformität des Tempos oder des Gra- sind. dualismus, wurden im 19. Jahrhundert als Prinzi- pien des Kulturwandels auf Basis einer teleologen Geschichtskonzeption (2.2) entwickelt und spiegeln in diesem Sinne die gesellschaftliche Gebunden- 4.1 Methodischen Grundlagen des Aktualis- heit der archäologischen Forschung (1.2.2 und 2) musprinzips wider. Auch wenn sie durch die ethnologische und die archäologische Forschung im Zuge von Selbst- Ausgangspunkt des Aktualismusprinzips ist auf reflexion und Revision als gesellschaftspolitisch Basis einer teleonomen Geschichtskonzeption (2.2) instrumentalisierte Selbstlegitimierungsversuche die Prämisse der Gleichförmigkeit der Naturgesetze, entlarvt wurden, so prägen sie auch heute noch auf der natürlichen und damit auch der historischen Pro- Basis ihrer mentalitätsbildenden Eigenschaften (4.3) zesse für die Gesamtheit der Menschen aller Räume die Konzeptualisierung von gesellschaftlichen Sein- und Zeiten. Die sich hieraus ergebende Invarianz ist zuständen: Homöostase/Innovation, Kontinuität/ ein notwendiger Ausgangspunkt, um das wissen- Diskontinuität, Entwicklung/kulturelle Regression, schaftliche Erschließen der Vergangenheit überhaupt Evolution/Devolution, Aufbau/Zerfall oder linear zu ermöglichen und gilt für alle historischen Wissen- progressiv/linear zyklisch/zyklisch. schaften. Sie zielt auf die biologischen Grundlagen des Menschseins mit seinem Realitätsbezug und sei- ner Realitätserfahrung sowie auf die gesetzmäßige Strukturierung der Wahrnehmung (1.6) ab. 4.3 Die mentalitätsbildenden Eigenschaften des Aktualismusprinzips Diesen Ansatz bricht Lewis Binford (1984: 14f.) in seinem Die Vorzeit war ganz anders auf die Phrase Die in (2.2) angeführte Zeitkonzeption auf Basis herunter „Ich bin genauso ein Mensch, wie jene, eines gerichteten, linear-progressiven Zeitpfeils ist die am Herd saßen!“ Damit nimmt er Bezug auf das Produkt einer kulturhistorischen Entwicklung, einen altbekannten Topos der Geschichtsforschung die letztendlich zur gesellschaftlichen Akzeptanz des (Dilthey 1923: 278): „Die erste Bedingung für die hohen geologischen Alters der Erde und damit auch Möglichkeit der Geschichtswissenschaft liegt darin zu erkennen, dass ich selbst ein geschichtliches eine Forschungsrichtung, deren Ziel die Aufdeckung Wesen bin, dass der, welcher Geschichte erforscht, allgemeingültiger Gesetze ist, die wiederum auf einer derselbe ist, der die Geschichte macht“. Über die gewissen Abstraktion beruhen. Die hier gewählten inhaltliche Ausdeutung dieser Prämisse wird in Methoden umfassen Experimente und Feldbeobach- tungen. Die erhobenen Daten werden quantitativ er- der archäologischen Forschung in Form eines fasst. grundsätzlichen Richtungsstreits hinsichtlich einer 7 8 ‘Idiographisch‘, das sich aus dem griechischen idios nomothetischen , quasi naturwissenschaftlichen, ‚eigen‘ und graphein ‚beschreiben‘ zusammensetzt, umschreibt einen Forschungsansatz, der auf eine um- 7 ‚Nomothetisch‘, das sich vom griechischen nomos fassende Analyse konkreter, also zeitlich und räumlich ‚Gesetz‘ und thesis ‚aufbauen‘ ableitet, bezeichnet einzigartiger Gegenstände abzielt.

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der Tier- und Pflanzenwelt, sowie 1859 zu der des Henry Huxley [1825–1895]) und Marxismus (Karl Urmenschen geführt hat. Der Paläontologe Steven Marx [1818–1883]) stellen wohl die konsequenteste Jay Gould (1992) greift für diese Entdeckung den gesellschaftspolitische Umsetzung der darwinschen Begriff der Tiefenzeit auf. Sie ist der Motor für einen Theorien zur Evolution dar. Ikonoklasmus, in dessen Zuge die damals in Europa vorherrschende biblisch-historischen Zeitkonzeption In der Archäologie wird das Konzept der (vertika- von einer wissenschaftlich begründeten Zeitkon- len) Stratigrafie auf eine sich räumlich abzeichnende zeption abgelöst wurde. Dieser Prozess ist vor dem chronologische Entwicklung übertragen und unter Hintergrund der sich parallel zur archäologischen der Bezeichnung horizontal Stratigraphie benutzt. In Forschung entwickelnden wissenschaftlichen, ge- der Ethnologie entstehen auf Basis eines vergleich- sellschaftlichen und wirtschaftlichen Zeitstrukturen baren Konzeptes der Diffusionismus (Vertreten z. B. zu sehen (Hohn 1984). durch Franz Boas [1858–1942], Robert Baron von Heine-Geldern [1885–1965], Alfred Louis Kroeber [1876–1960]) sowie die Kulturkreislehre (vertreten z. B. durch Ankermann, Willy Foy [1873–1929], 4.3.1 Die Stratigraphie als gesellschaftswirk- Graebner, Wilhelm Koppers [1886–1961]) als Be- sames Leitbild zeichnung für eine sich räumlich abzeichnende chro- nologische Entwicklung. Kristallisationspunkt dieser Veränderung ist die Schlüsselerfahrung der Stratigrafie als erkanntes Resultat einer historischen Entwicklung9. Sie wird im 19. Jahrhundert zu einem übergeordneten 4.3.2 Das Konzept der ungleichzeitigen geisteswissenschaftlichen Modell. Es prägt Gleichzeitigkeit sprachlich und inhaltlich nicht nur die archäologisch- ethnologische Forschung (siehe Beitrag Stabrey Dahinter steht das Konzept der ungleichzeitigen in diesem Band): Die Stratigrafie als Methode der Gleichzeitigkeit des französischen Aufklärers Anne Geologie, Paläontologie und Archäologie findet Robert Jacques Turgot (gen. Turgot, 1727–1781). sich auch in dem ethnologischen Konzept der Es basiert ebenfalls auf dem Entwicklungsdenken Kulturschichten z. B. bei Bernhard Ankermann und steht für ein Nebeneinander unterschiedlicher (1859–1943), Fritz Graebner (1877–1934), dem zivilisatorischer Entwicklungsstadien in den unter- soziologischen Ansatz der sozialen Schichtung z. B. schiedlichen Erdräumen und für deren hierarchische bei Theodor Julius Geiger (1891–1952) und dem Gliederungen. Sein Konzept führte – verkürzt gesagt psychologischen Konzept der Bewusstseinsschichten – zur Ausgrenzung anderer Gesellschaften auf Ba- bei Sigmund Freud (1856–1939). Die Stratigrafie sis der genannten Antonyme ‚zivilisiert/fortschritt- als Metapher für Geschichte und damit für lich‘ und ‚primitiv/rückständig‘ (Fabian 1983; s. a. technischen Fortschritt und die Zunahme von Ickerodt 2004). Damit spiegelt es das sich aus dem gesellschaftlicher Komplexität wird ebenfalls als Über- und Unterordnungsverhältnis der Stratigrafie Modell für den Prozess der Zivilisation von Elias (4.3.1) ergebende historische Bild eines technischen genutzt und findet seine wissenschaftstheoretische und gesellschaftlichen Fortschritts auf Basis eines Umsetzung im 19. und frühen 20. Jahrhundert im gerichteten Zeitpfeils (2.2). Evolutionismus (z. B. bei Sir James Georg Frazer [1854–1941], Pitt Rivers, John Lubbock, 1st Baron Auf einer formalen Ebene wird in einem gesamt- Avebury [1834–1913], Sir Henry James Summer gesellschaftlichen, die unterschiedlichen genannten Maine [1822–1888]) mit der als aufstrebender Konzepte und Denkmodelle vereinigenden Pro- Entwicklungsreihe konzipierten Trias von Wildheit zess ein der christlichen Teleologie vergleichba- – Barbarei – Zivilisation. Sozialdarwinismus (z. B. res unilinear-progressives Zeitkonzept entwickelt, Francis Galton [1822–1911], Ludwig Gumplowicz das die angestrebte Heilserwartung lediglich durch [1838–1909], Ernst Haeckel [1834–1940], Thomas Fortschrittsdenken oder -gläubigkeit ersetzt und gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und techni- 9 Eine weitergehende Untersuchung wurde im Rah- schen Fortschritt propagiert. Gesellschaftspolitische men des am Winckelmann-Institut der Humboldt- Beispiele sind hier die politische Religiosität der fa- Universität zu Berlin angesiedelten, transdiszi- schistischen oder die der marxistischen Regime. Die plinären Projektes „Archive der Vergangenheit. Wissenstransfers zwischen Archäologie, Philoso- Wirkung dieser Zeit- und Geschichtskonzeptionen phie und Künste“ durchgeführt (http://www.archive- auf das archäologische Deuten im Sinne der narra- der-vergangenheit.de/index_ie_1024.html (Stand tiven Gebundenheit von Forschung (2.2; s. a. Engler 06.04.2012).

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2010) wurde an anderer Stelle ausführlich untersucht und erklärt so den Über- als auch den Unterlegenen (s. a. Fußnote 1). Erst die Verfeinerung der archäo- das Zustandekommen des jeweiligen Status quo. logischen Datierungsmöglichkeiten sowie die Verän- derungen der ethnologischen wissenstheoretischen Grundlage und Feldpraxis führten zu einem Aufbre- chen der bis dahin gültigen unilinearen Geschichts- 4.3.4 Das ethnografische Präsens konzeption und zu einem zunehmenden Erkennen des ungerichteten Zeitpfeils (2.1). Das ‚Lost Worlds‘-Motiv des späten 19. Jahrhun- derts blieb nicht ohne Auswirkungen auf die ethnolo- gische und archäologische Forschung insbesondere des frühen 20. Jahrhunderts. Ihr Effekt wurde spä- 4.3.3 Lost Worlds ter unter dem Begriff des ethnografischen Präsens bekannt und steht für die Detemporalisierung der Das literarische Motiv der sog. ‚Lost Worlds‘ urproduktiven Gesellschaften (Fortes 1970) sowie (Ickerodt 2004: 65–69) spiegelt insbesondere im die Relativierung bzw. Negation der Bedeutung der viktorianischen England die hierarchische Verortung Zeitkonzepte oder Zeitlogiken anderer Gesellschaf- anderer Gesellschaften auf Basis einer in Entwick- ten. lungsstufen (4.3.1) verlaufenden Kulturgeschichte (2.2) wider. Die dahinter stehende wissenschaftliche Die praktischen Konsequenzen dieses atempo- Logik ist das Turgot‘sche Konzept der ungleich- ralen Zeitbegriffs können beispielhaft an dem eng- zeitigen Gleichzeitigkeit (4.3.2). Die ‚Lost Worlds‘ lischen Ethnologen Sir Edward E. Evans-Pritchard werden von historischen und prähistorischen Gesell- (1940: 103 zitiert nach Kramer 1978: 23) verdeut- schaften bevölkert, die isoliert und von der westli- licht werden. Als Vertreter des Strukturfunktiona- chen Ökumene unerkannt außerhalb und manchmal lismus und der ethnografischen Empirie unterstellte auch innerhalb derselben ihr verborgenes Leben le- er den ostafrikanischen Nuer, dass diese kein Wort ben. Die Analyse dieses literarischen Topos ergibt, für Zeit kennen würden, das einem im englischen dass neben fiktiven Gruppen, zumeist frühe Hoch- Sprachgebrauch befindlichen entspräche. Daraus hat kulturen sowie mittelalterliche und neuzeitliche eu- die frühe ethnologische Forschung auf den naiven, ropäische Gemeinschaften in abgeschieden Orten, in kindlichen oder primitiven, immer als prälogisch einer Art Raum-Zeit-Kapseln eingefroren, in einem verstandenen Charakter der außereuropäischen Ge- ursprünglichen Entwicklungsstadium beharren, be- sellschaften geschlossen. vor sie jeweils durch Forscherinnen/Forscher und Entdeckerinnen/Entdecker in die Gegenwart geholt Ein vergleichbares Grundverständnis wird von werden. prähistorisch-archäologischer Seite auch heute noch – wenn auch im geringeren Maße als noch im spä- Ein besonderer Ausdruck des europäischen Ras- ten 19./frühen 20. Jahrhundert – kolportiert. Dabei sismus und der dahinter stehenden Hegemonial- unterschlägt dieser Ansatz bereits die Bedeutung bestrebungen sind die eher unspezifisch als ‚weiße der Aussage Plessners zum Verhältnis des Jetzt zu Rasse‘ bezeichneten Gruppen. Sie kamen in 2/5 der zukünftigen Möglichkeiten auf Basis des Damals, untersuchten Texte vor. Die Bewohnerinnen/Be- bzw. Kosellecks Konzept der Erfahrungsräume oder wohner der ‚Lost Worlds‘ transportieren als litera- Erwartungshorizonte (1.5.2) als Teil kultureller Ei- risches Motiv das Bild des westlichen Fortschritts. genzeiten (1.5.4) und deren Auswirkungen auf spezi- Sie stehen allerdings auch für die Anwendung des fisches Verhalten. Vielmehr erfolgt hier eine seman- Entwicklungsgedankens (2.2) und des Turgot‘schen tische Kategorisierung von Zeit in Form verbaler Konzeptes (4.3.2) auf einen innergesellschaftlichen Ausdrücke. Daher bemerkt Fritz Kramer (1978: 11) Wettbewerb. Die in den ‚Lost Worlds‘ angetroffenen im Falle von Evans-Pritchard und den Nuer zurecht, Gruppen bestätigen als historische Anschauungsstü- dass „sich unser Interesse gerade auf das Ausbleiben cke die menschliche biologische und kulturelle Evo- von Zählungen und Verdinglichung der Zeit“ richte- lution. Sie haben ihre Entsprechung in dem Konzept te. Linear-progressive Kalenderstrukturen (1.1) bil- des lebenden Fossils. Modellhaft verdeutlichen sie den zwar den thermodynamischen Zeitpfeil (1.6.1) ein Nebeneinander von Fortschritt und Rückstän- besser ab, bleiben dessen ungeachtet immer auch nur digkeit und stehen so explizit für die Unterteilung in das, was sie sind: Maßstab einer gesellschaftlichen Gewinner und Verlierer eines außer- und innergesell- Organisationsstruktur bzw. einer kulturellen Eigen- schaftlichen Wettbewerbs. Soziale Ungerechtigkeit zeit. Auch unterschlägt der Ansatz das apogetische wird zur wissenschaftlich erforschbaren Tatsache Verhalten zweier verschiedener Zeitkonstitutionen,

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die miteinander interferieren (Tab. 5). Vielmehr kann pointiert Elias (1988: 191) in seinem bereits mehr- hier, wie Bourdieu (1976: 378) richtig bemerkt hat, fach angeführten Konzept des Wandlungskontinu- der Gegensatz von prospektiven Zielsetzungen nicht- ums, das sowohl auf die Ebene der Entwicklung von kapitalistischer Gesellschaften zum ökonomisch-ra- Gesellschaften als auch auf die Ebene des individu- tionalen Kalkül kapitalistischer Gesellschaften beob- ellen Alterns abhebt. Lévi-Strauss (1967: 87) zufolge achtet werden. wird dieses Wandlungskontinuum, das von ihm als genealogisches Kontinuum10 bezeichnet wird, trotz Ursächlich verantwortlich war die Überinter- einer möglichen andersgearteten z. B. zyklischen pretation von Einmalbeobachtungen im Rahmen Zeitkonzeption entsprechend dem thermodyna- von ethnografischen Feldbeobachtungen, die in der misch-psychologischen Zeitpfeil als chronologisch, Gründungsphase der modernen ethnologischen For- progressiv und kontinuierlich erlebt. Dieses Zeitbe- schung zunächst im Evolutionismus Eingang fanden wusstsein, sei es nun zyklisch, zyklisch-progressiv und in dem sich anschließenden Funktionalismus oder linear-progressiv, unterscheidet sich allerdings und Strukturalismus tradiert wurden. Erst ethno- grundlegend vom historischen Bewusstsein von Ge- logische Langzeitstudien, die sog. restudies sowie sellschaften mit Staaten und erst recht von modernen die Erfahrung des Kolonialalltags führten zur sog. Industriegesellschaften und man wird ihm nicht ge- Revisionismusdebatte. In deren Zentrum stand die recht, wenn es als immer gleichbleibender Zustand Erkenntnis, dass die gesellschaftlichen Verhältnis- der Zeitlosigkeit gedeutet wird (Kramer 1987: 10). se in urproduktiven Gesellschaften nicht stabil sind und sich ebenfalls durch die Zeit verändern. Diese Erkenntnis half den anti-historischen Pathos des Strukturalismus zu durchbrechen (Kramer 1978; 20), Zeitwahrnehmung und Zeitverstehen als histo- der als theoretisches Konzept seinerzeit auch die ar- risch-anthropologische Fragestellung chäologische Forschung stark beeinflusst hatte, und erlaubten eine Verzeitlichung des Strukturbegriffs Auch nach nahezu 200 Jahren Forschungsge- (z. B. Fortes 1970). Dieses fasst Kramer (1987: 261) schichte stellt sich die hier behandelte Thematik des in einem lexikalischen Beitrag wie folgt zusammen: archäologischen Umgangs mit Zeit als ein schwer zu „Jede kulturelle Überlieferung vermittelt ein Wissen verstehendes „Gestrüpp von Unklarheiten“ (Pöppel von der vergangenen Zeit; jede Arbeit setzt Planung 1998: 67) dar. Gerade aus diesem Grund erweist sich voraus, so rudimentär sie sein mag, und damit Verfü- die Frage nach dem fachlichen Umgang mit Zeit als gung über zukünftige Zeit, und oft erfordert sie eine ein nach wie vor spannendes Betätigungsfeld. Es Koordinierung räumlich getrennter Personen und weist unterschiedliche Analyseebenen auf, die von Handlungen, wie sie nur unter Bedingungen einer der Zeitmessung (Tab. 2, 3) bis hin zur Auswirkun- sozial akzeptierten Messung von Zeit möglich ist“. gen der Archäologie auf unser eigenes Zeitverstehen reichen. In der archäologischen Praxis verschwim- men diese Analyseebenen allerdings oftmals mitei- nander. Daher wurde hier die Fragestellung in den 4.3.5 Detemporalisierung und das Paradox Fokus gerückt, inwieweit die archäologische Praxis der scheinbaren Zeitlosigkeit in ein intersubjektives Beziehungsgeflecht einge- bunden ist, das sich aus subjektiven Wahrnehmun- Im Gegensatz zu modernen urbanen Industrie- gen, gesellschaftlichen Wertvorstellungen und der und Dienstleistungsgesellschaften haben urprodukti- eigenen kulturellen bzw. wissenschaftlichen Praxis ve Gesellschaften nicht zwangsläufig das Bedürfnis, sowie aus den methodischen Grenzen der zu bear- den thermodynamischen Zeitpfeil (2.1) metrisch zu beitenden Fragestellungen zusammensetzt. erfassen. Ihre Kultur orientiert sich an den unter- schiedlichen Ebenen der natürlichen Rhythmen und ihre darauf hin abgestimmten jahreszeitlichen Feste oder Produktionszyklen reichen durchaus aus, um Zeitverstehen, Kausalitätsdenken und Zeit qualitativ erfahrbar zu machen (Tab. 4). Den- Spurensuche noch sind alle Gesellschaften dem Diktum der na- türlichen Teleonomie unterworfen und schwanken Im Verlauf seiner Phylogenese hat der Mensch bei der Verarbeitung dieses Diktums zwischen der die ihn auszeichnende Fähigkeit des Verstehens Unwiderruflichkeit des Vergangenem und der Unge- wissheit der Zukunft, die beide vor dem Hintergrund 10 In diese Richtung argumentierte auch Kramer (1978: des eigenen Alterns zu sehen sind. Diese Erfahrung 25), wenn er Evan-Pritchards Begriff der ‚structural time‛ durch „genealogische Zeit“ übersetzt.

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von Raum-Zeit-Zusammenhängen hervorgebracht. Dienstleistungsgesellschaften auch an unterschiedli- Sie kann in Form einer Allegorie am Beispiel des che Stadtmilieus mit ihren sich jeweils ausdifferen- sog. Spurensuche-Paradigmas verdeutlicht werden zierenden Subkulturen. (Ginzburg 1988). Irgendwann, vielleicht bereits im Mensch-Tier-Übergangsfeld, entwickelten sich Dabei ist die Raum-Zeit-Wahrnehmung das Pro- unsere Vorfahren zu Wildbeutern, deren Erfolg bei der dukt eines ungerichteten kulturhistorischen Pro- Subsistenzsicherung vor allem auf ihren kognitiven zesses (2.1), der auf einer individuellen und einer Fähigkeiten beruht. Konkret bietet das Lesen von gesellschaftlichen Ebene als subjektive Sinnzu- Tierfährten die Gelegenheit, bewusst in Vergangenheit weisung einer täglichen Überprüfung hinsichtlich und Zukunft zu unterscheiden. Das Feld zukünftiger seiner Funktionalität, d. h. einem lebensweltlichen Möglichkeiten kann auf Basis des Erkennens von Praxistest unterworfen ist. Dieses gilt sowohl für Ereignissen und Kausalitäten in Verbindung mit dem das Erlernen von Raumstrukturen als auch für das Verständnis von Raumstrukturen auf zielorientierte Verstehen von Raum-Zeit-Zusammenhängen als Handlungen herunter gebrochen werden (Müller sozialer Raum und soziale Zeit (Lévi-Strauss 1967: 1997, 1999). In Erweiterung dieser Fähigkeit des 313). Dieses ermöglicht dem Menschen, sich zweck- Tierspurenlesens lernte der Mensch auch die Spuren rational in seiner Lebenswelt zu verhalten. Dabei ist der Umwelt zu verstehen und in Deutungssysteme konkrete Handlung immer auch situations- (psychi- einzupassen, die über Realitätsbezug und scher Aspekt) und nutzungsgebunden (spezifischer -erfahrung als Erwartungshorizonte und -räume der Situationskontext) (s. a. 1.4.2). Diese situative und Alltagsbewältigung dienten11. nutzungsorientierte Gebundenheit gilt auch für die archäologische Praxis und führt außerhalb des me- Das Erfassen von – abstrakt gesprochen – histo- thodenorientierten Wissens zu den genannten Inter- rischen Spuren bzw. Informationen der Vergangen- ferenzen. heit in der Gegenwart erscheint als eine konsequente Weiterentwicklung dieser Fähigkeit des Spurenle- sens. Es wird dazu genutzt, menschliches Verhalten auf Zukünftiges hin auszurichten. Diese Fähigkeit, Archäologische Beobachtungen von Eigenzei- die den Menschen als homo historicus charakteri- ten siert, ist gemeint, wenn auf einer abstrakteren Ebene „der Historiker als rückwärts gekehrter Prophet“12 Die archäologische Forschung versucht auf Ba- bezeichnet wird. Andererseits ist auch die moderne sis der ihr zur Verfügung stehenden Methoden und archäologische Forschung ein Produkt dieser kultur- Quellen das Zeitverstehen von Gesellschaften zu historischen Entwicklung. erfassen, die einen völlig anderen Erfahrungshinter- grund aufweisen als unseren heutigen13. Die Kunst Im Kern steht also die als allgemein menschliche der Archäologinnen/ Archäologen ist es, die im Rah- Eigenschaft zu konstatierende und kulturgeschicht- men der Primär- und Sekundärdatenerhebung ge- lich erworbene Fähigkeit, in unterschiedliche Raum- sammelten Fakten zunächst in eine ‚richtige‘ oder Zeit-Kategorien planend zu unterscheiden. Diese als ‚plausible‘ chronologische Abfolge und damit kul- menschliche Universalie zu bezeichnende Anlage, turhistorische Entwicklung zu bringen. Eine solche ist auf regional-spezifische Systemzeiten hin ausge- Rekonstruktion bezieht sich zumeist auf die Um- richtet. Sie entspringt als historisches Verstehen wie- schreibung eines kulturellen Umfelds der Vergan- derkehrender Umweltrhythmen der anthropogenen genheit in der Gegenwart und kann daher als herme- Fähigkeit zur kulturellen Anpassung an spezifische neutisches Verfahren bezeichnet werden. Biome und Habitate oder in urbanen Industrie- und Dem gegenüber steht die inhaltliche Auseinan- 11 Einen vergleichbaren aitiologischen Ansatz wählte dersetzung mit den zu untersuchenden kulturellen Elias (1988: VIII–IX). Er verortet die Entwicklung Systemen oder Subsystemen der Vergangenheit als des Zeitbestimmens anhand von naturräumlichen in sich geschlossene kladistische Einheiten mit ihren Rhythmen in den frühen Entwicklungsstufen (sic) des spezifischen Eigenzeiten. Sie haben keinen direkten Menschen und betont deren Bedeutung für die Ab- Bezug zur Realität der/des jeweiligen Bearbeiterin/ stimmung menschlicher Aktivitäten, wie sie in unse- rer heutigen Massengesellschaft der Takt der Atomuhr Bearbeiters der Gegenwart. Vielmehr verschmelzen übernommen hat. unterschiedliche Wahrnehmungsebenen miteinander 12 Nach dem Zitat von Friedrich Schlegel aus dem Jahre (Tab. 5), die jeweils durch ein aporisches Verhältnis 1798 betitelte Marion Marquardt (1991) die von ihr herausgegebene Sammlung von Vorlesungen und Auf- 13 Z. B. Bailey 1983, 2007, 2008; Ziegert 1991; Ickerodt sätzen Friedrich Schlegels. 2004; Robb 2008.

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zueinander gekennzeichnet sind. Daher birgt jeder selbeziehungen als Zustand eines eingeschränkten Rekonstruktionsversuch die Gefahren einer herme- Gleichgewichts verstanden werden kann (1.4.2), das neutischen Falle. Die/Der jeweilige Bearbeiterin/ über Erwartungsräume/-horizonte (1.5.2) gesteuert Bearbeiter kann in eine interpretatorische Sackgas- wird (Tab. 2, 3). Dieses System ist ungerichtet (2.2). se geraten und muss daher die genannten Unschär- Eine Richtung erhält es erst a posteriori im Zuge ferelationen (Zeitgeist, Reaktivität, metaphysische der wissenschaftlichen Bearbeitung, wobei die un- Deduktion) vor dem Hintergrund der mentalitätsbil- terschiedlichen Bezugssysteme (1.4.3) forschungs- denden Eigenschaften des Aktualismusprinzips (4.3) geschichtlich nicht immer eindeutig erkannt waren methodisch lösen. Dabei nimmt diese Gefahr ab, je (Tab. 6). Dieses führt zum hegemonial-politischen näher man in den Bereich literater Gesellschaften Missbrauch der Archäologie, wie z. B. im späten 19. kommt und der zu untersuchende Erfahrungshinter- und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (1.1.2, grund einer Gesellschaft der Vergangenheit oder Ge- 4.3.1), als politische Legitimationswissenschaft im genwart über andere Quellen ergänzend erschlossen Sinne Niklas Luhmanns. werden kann. Aus einer wissenstheoretischen Perspektive ist Um diesen Gefahren zu begegnen, ist es zunächst es daher erforderlich, sich das Verhältnis zum unter- notwendig, sich im Hinblick auf die zu interpretie- suchten Kultursystem zu vergegenwärtigen (1.4.3). renden Fakten das dazugehörige Referenzsystem Das eigene Kultursystem wird zumeist als Referenz- bewusst zumachen. Es ist eine emische Perspek- system genutzt und pauschal als etische Perspektive tive der Vergangenheit, die auf damalige Raum- postuliert (Tab. 5). In der Realität ist aber mit einer Zeit-Zusammenhänge abgestimmt war, wobei das Gemengelage aus objektiven Fakten und subjekti- Gesamtsystem mit seinen unterschiedlichen Wech- ven präexistenten Narrativen zurechnen (1.6.5, 2,

1) Homologie 2) Analogie 3) Funktionsanalogie

1. Gruppe analogische innere Deutung, analogische äußere Deutung, allgemein-strukturelle Analogie, contrasting type-analogy, analogisierende Parallelisierung, allgemeine komparative diachrone analogische innere Ethno-Analogy/Ethno- Analogie, allgemeine- Deutung, ethnische Analogie, Analogie, ethnographic analogy, vergleichende Analogie, formale genetische Analogie, grading ethnographische Analogie, Analogie, komplexe Analogie, type-analogy, historische ethnologische Analogie, freie materielle (äußere) Analogie, Analogie, horizoning type- Analogie, general analogy, phaseologischer Vergleich analogy, Kontinuitätsanalogie, general comparative analogy, relationale Analogie, specific historische Analogie, materielle historical analogy, synchrone (äußere) Analogie, new analogy, analogische innere Deutung strukturelle Analogie

2. Gruppe direct historical approach, Ethnoarchäologie, direkte innere Deutung, direkte innere Deutung, direkte ethnographische Parallele, Ferninterpretation, funktional Parallelisierung, direkter ethnologisch-archäologischer gebundene Parallelisierung, historischer Einstieg, ethnische Vergleich, ethnologisch- gebundene Parallelisierung, Deutung, ethnologische prähistorischer Vergleich, komparative Methode Urgeschichtsforschung, ethnologische Parallele, Ferninterpretation, folk freie Parallelisierung, culture approach, folk usage, generalisierender historischer gebundene Parallelisierung, Vergleich, innere Deutung, historical archaeology, historisch komparative Methode, Parallele, gebundene Parallelisierung, Parallelerscheinungen, Methode der Regression, prähistorisch-ethnographische siedlungsarchäologische Parallele, vergleichend Methode ethnologisch-archäologische Methode, völkerkundliche Analogie, völkerkundlichen Parallele

Tab. 6: Von der archäologischen Forschung entwickelte Nomenklatur für die Richtungen des archäologischen Vergleichs (1.4.3); nach Ickerodt (2010a) in alphabetischer Reihe.

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4.3). Die Auflösung dieser Aporie basiert auf dem Die kulturelle Eigenzeit bildet ein a priori vorhan- Erkennen der unterschiedlichen, zugrunde liegenden denes symbolisches Konzept. Es wurde im Rahmen Erfahrungen sowie der eigenen kulturellen Eigen- der menschlichen zu gewissen Teilen biologischen perspektive (1.3). und sicher kulturellen Evolution als Bezugsrahmen für Handlung immer weiter differenziert. Als Teil Dieser Erfahrung steht das Erkennen und Aner- einer oeconomia naturae (1.6) muss es in der indi- kennen anderer kultureller Eigenperspektive gegen- viduellen Sozialisation erlernt, angewendet und an- über. Dieser native‘s point of view der Ethnologie gepasst werden. Diese menschliche Fähigkeit muss strukturiert im Hinblick auf Werte, Normen und also einerseits als homologe Struktur, d. h. als Homo- Handlung das Sozialverhalten und ist ein eigen- logie verstanden werden (1.4.3). Andererseits ist sie ständiges Wertesystem. Beide Perspektiven stellen im Sinne ihrer Eigenschaft als Wandlungskontinuum folglich historisch von einander getrennte emische auch als Veränderungsprozess zu begreifen, der zu Perspektiven dar, wobei die wissenschaftliche Pers- kulturhistorischen Zäsuren führen kann. Eine solche pektive über methodenorientiertes Wissen zu objek- Phase ist als Homoloig zu bezeichnen. Die Triebfe- tivieren sucht (Tab. 5). der der stetig weiteren Anpassung an die jeweiligen naturräumlichen und kulturräumlichen Gegebenhei- Als archäologisches Untersuchungsfeld beinhal- ten kann dann zu ähnlichen Strukturen führen, de- ten derartige Analysen von Zeit die Identifikation der ren Verhältnis zueinander als Analog zu bezeichnen unterschiedlichen Taktgeber und Rückkopplungsebe- ist. Dieses gilt im Prinzip auch für solche Phasen nen. Außerhalb des menschlichen Einflusses stehen der menschlichen Kulturgeschichte, die anhand des dabei extraterrestrische Rhythmen, die die terrestri- archäologischen Befundes als stabil und nahezu un- schen Rhythmen der abiotischen und der biotischen verändert erscheinen. Von archäologischer Seite ist Welt einschließlich der physiologischen Rhythmen davon auszugehen, dass die Bewertung solcher vor- determinieren (Tab. 3). Betrachtet man die Rhythmen und frühgeschichtlichen Phasen mangels auswertba- der biotischen Welt, so stehen aus Sicht eines kultu- rer Informationsquellen zu weiten Teilen außerhalb rellen Systems insbesondere drei Einflussfaktoren der Grenzen des methodenorientierten Wissens liegt, in einem Rückkopplungsverhältnis: Taktgeber sind also mit dem archäologischen Quellenmaterial selbst hier die Rhythmen des spezifischen Bioms, die auf nicht eindeutig beantwortet werden kann. das jeweilige Habitat abgestimmt sind. Diese Rhyth- men werden in der oeconomia naturae (1.6) im Sinne Der Grund hierfür ist die Reduktion der einer zu erforschenden emischen Perspektive gesell- immateriellen Kultur (Tab. 2) mit ihren schaftlich erfasst und verarbeitet. Die konkrete Verar- Raumnutzungskonzepten (Tab. 4) und kulturellen beitung erfolgt letztendlich auf der Individualebene, Eigenzeiten (Tab. 3) auf materialisierte Spuren d. h., jedes Mitglied einer Gesellschaft muss im Sinne in Form von Befunden, Funden und anderen des Wandlungskontinuums die erlernten Erfahrungen archäologischen Informationsträgern, die dann auch der Vergangenheit prüfen und an ggf. auftretende noch taphonomischen Prozessen unterliegen. Die Veränderungen anpassen. Die materielle Kultur bil- Schwierigkeit für die archäologische Forschung ist det daher Tradition und Erwartungen zugleich ab, es, Gesetzmäßigkeiten im Sinne einer allgemeinen die in der Unschärferelation des Miteinanders von anthropologischen und speziellen kulturspezifischen Erwartungsräumen/-horizonten (1.5.2) verbunden Nomothetik zu suchen, wobei dies in einem sind und dabei immer auch die gesamte Bandbreite dissipativen, selbstreferenziellen System geschehen des damals kulturell Möglichen umfassen (1.4) und muss (2.1). als Kontingenz verstanden werden müssen (1.6.5). Dieses Analyseschema gilt auch für die Akteurinnen/ Dabei unterteilt die archäologische Forschung Akteure und ihr jeweiliges soziales Umfeld innerhalb diesen historischen Anpassungsprozess anhand von komplexen Gesellschaften sowie für inter- oder seiner ‚fossilierten Relikte‘ in Phasen kultureller transkulturelle Wirkungsgefüge. Stase oder Innovation. Die frühe archäologische Forschung konzipiert die unterschiedlichen Wand- lungskontinua im Sinne der ethnischen Deutung (z. B. durch Montelius, Gustaf Kossinna [1858–1931]). Kulturelle Eigenzeiten in Vergangenheit und Eingeschränkte Gleichgewichtsphasen werden als Gegenwart und das archäologische Zeitverste- geschlossene kulturelle Einheit aufgefasst (1.4). Sie hen spiegeln die nationalstaatlichen Erfahrungen des 19. Jahrhunderts hinsichtlich einer sprachlich-kulturel- len und im Sozialdarwinismus dann auch noch einer

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genetischen Einheit wider. Diese eingeschränkten forschung zur Geschichtsschreibung bereits an ande- Gleichgewichtsphasen wurden – je nach Perspek- rer Stelle verwiesen (Ickerodt 2011: 272). Darüber tive – wiederum über Kontinuitäten zusammenge- hinaus ist bei der Untersuchung von kulturellen Ei- fasst oder Diskontinuitäten getrennt. Dieser Vorgang genzeiten noch ein weiterer Aspekt zu berücksich- wurde als technischer ‚Fortschritt‘ im Sinne einer tigen: Innerhalb einer Kultur und hier insbesondere Verbesserung der technologischen Fähigkeiten und bei stratifizierten oder komplexen Gesellschaften, einer Zunahme von gesellschaftlicher Komplexität den sog. Hochkulturen oder Zivilisationen, können verstanden, wobei a posteriori Beobachtung mit a durchaus unterschiedliche kulturelle Eigenzeiten ne- priori Deutung verwechselt wurde. Die archäologi- beneinander vorkommen, da sie auf unterschiedliche sche Kladistik, gemeint ist hier der Prozess der Or- Verhaltensdispositionen hin ausgerichtet sind. Der ganisation archäologischer ‚Kulturen‘ in Chronolo- Grund hierfür ist, dass nebeneinander existierende gietabellen (4.3.1), orientiert sich dabei formal am kulturelle Eigenzeiten wiederum in Relation zu spe- Schichtenmodell der stratigrafischen Methode und zifischen Subsistenzsystemen stehen und damit als bildet daher per se eine kulturhistorische Entwick- parallele und/oder interagierende Wirtschaftsstruktur lung ab, ohne der angeführten massiven Reduktion funktionieren (z. B. Hohn 1984: 69–144). Diese Er- der ursprünglichen kulturellen Praktiken der unter- weiterung bewirkt insgesamt gesehen ebenfalls eine schiedlichen Kulturen und Zeiten gerecht werden zu Unschärfe sowie eine Vielzahl an sich gleichsam da- können. Hinzu kommen archäologisch schwer fass- raus ergebenden wissenstheoretischen Fallstricken. bare Aspekte wie kulturelle Variabilität, Mehrfacher- findungen, Kulturwandel, Kulturkontakt usw. sowie wissenschaftstheoretische Unschärfen, wie Lücken- phänomen oder die Unvollendetheit archäologischer Bibliographie Beobachtungen, die ebenfalls zur Unbestimmtheit wissenschaftlich-archäologischer Aussagen beitra- Adam, Barbara. 1995. Von Urzeiten und Uhrzeiten. gen (3). Eine Symphonie der Rhythmen des tägli- chen Lebens. In Martin Held und Karlheinz Im Gegenzug entwickelt eine sich inter- oder A. Geißler , Hrsg.: Von Rhythmen und Ei- transdisziplinär orientierende archäologische For- genzeiten. Perspektiven einer Ökologie der schung insbesondere im archäometrischen Bereich Zeit, S. 19–29. Stuttgart: Hirzel. einschließlich der Paläozoologie, Paläobotanik, Pa- läogenetik usw. immer neue Methoden, um einem Aigner, Jean S. 1986. Frühe Siedlungen im arkti- solchen Reduktionismus entgegenzuwirken. schen Nordamerika. Spektrum der Wissen- schaft 1986(1): 112–125. Aus einer wissenstheoretischen Sicht muss dieser Punkt um einen Aspekt ergänzt werden, auf den be- Bailey, Geoff N. 1983. Concepts of Time in Quater- reits an anderer Stelle hingewiesen wurde (Ickerodt nary Prehistory. Annual Review of Anthro- 2011) und der mit dem Prozess der Umwandlung pology 12: 165–192. von wissenschaftlichen Fakten in historisches Ver- stehen, bzw. mit der Polarität von denotativen und Bailey, Geoff N. 2007. Time perspectives, palimp- konnotativen Bewertungsebenen des archäologi- sests and the archaeology of time. Journal schen Untersuchungsmaterials zusammenhängt, of Anthropological Archaeology 26(2): denn der konnotative Bewertungsrahmen wirkt sich 198–223. genauso auf die archäologische Feldpraxis, wie auf die archäometrische Datenerhebung sowie auf dar- Bailey, Geoff N. 2008. Time perspectivism: Origins auf aufbauende sekundäre Datenauswertung aus. and consequences. In: Simon Holdaway and Lu Ann Wandsnider, Hrsg_in.: Time in ar- Die denotative Ebene umfasst die archäologisch chaeology: Time perspectivism revisited, S. messbaren Raum-Zeit-Ereignisse wie Herstellungs- 13–30. Salt Lake City: University of Utah ort und -zeitpunkt bzw. -zeitraum (1.1). Sie steht in Press. einem Spannungsverhältnis zur konnotativen Ebene, dem historischen Verstehen bzw. der oder den a pri- Bargatzky, Thomas. 1997. Ethnologie. Eine Wissen- ori vorhandenen Geschichtskonzeption(en) (2.1 vs. schaft von den urproduktiven Gesellschaf- 2.2). Auf die sich hieraus ergebende Diskrepanz ten Hamburg: Buske. für die archäologische Erkenntnisfähigkeit wurde unter Hinweis auf die Dichotomie von Geschichts-

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Archäologie als Zeitmaschine: Zur Temporalisierung von Dingen

Undine Stabrey

Zitiervorschlag Undine Stabrey. 2014. Archäologie als Zeitmaschine: Zur Temporalisierung von Dingen. In Sabine Reinhold und Kerstin P. Hofmann, Hrsgin.: Zeichen der Zeit. Archäologische Perspektiven auf Zeiterfahrung, Zeitpraktiken und Zeitkonzepte (Themenheft). Forum Kritische Archäologie 3: 90–109.

URI http://www.kritischearchaeologie.de/repositorium/fka/2014_3_8_Stabrey.pdf

DOI 10.6105/journal.fka.2014.3.8

ISSN 2194-346X

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Archäologie als Zeitmaschine: Zur Temporalisierung von Dingen

Undine Stabrey

Universität Bern, Center for Global Studies, Antike Kulturen und Antikekonstruktionen, Länggassstrasse 49, 3000 Bern 9 Schweiz und Pädagogische Hochschule, Benzburgweg 30, 4410 Liestal, Schweiz. popellabrian[AT]yahoo.com

Zusammenfassung

Wissenschaftlich Neues und gesellschaftlicher Wandel wechselwirken. Die Gegenwart um 1800 verändert Temporalstrukturen ebenso spezifisch wie sie als neue Zeitstruktur selbst die Bildung wissenschaftlicher Erkennt- nis erst hervorbringt. Die Zeitgestaltung der sich industrialisierenden Jahrzehnte um 1800 verzeitlicht alle Da- seinsbereiche auf neue Weise. Gerade mehr Materialität, die Vervielfältigung und Beschleunigung von Dingen, bringt dabei neue Zeitstrukturen hervor. Das hat auch Auswirkungen auf die archäologische Forschung: Denn in diesen temporalen Konstellationen bildet die Archäologie methodologische Grundmuster, mit denen sie fortan ihre Logik systemisch formen sollte, ausgehend von ihrem nun zeitorientierten Gegenstand, dem Materialen – der dinglichen Welt vergangener Kulturen.

Der vorliegende Essay untersucht genau diese zeitgeistbedingte Archäologisierung. Denn gerade die allge- meine temporale Spezifik dieses neuen, stets wachsenden Mehr an Dingen markiert eine der massivsten (im Wort- sinne) Veränderungen der Archäologie überhaupt, indem sie die Herausbildung einer ihrer ersten kanonischen Methoden bewirkte, welche systemisch die Archäologie verfachlichte. Dabei entstanden Vorstellungen wie ‚die Bronzezeit’, die als Imaginationen die älteste Geschichte rationalisierten, denn: Der neue Umgang mit den rasant mehr werdenden Objekten des Altertums bedingt nach 1800 die Zeitlichkeit des neuen dingorientierten Arguments und die Anfänge Archäologischer Zeit in dieser weltbildwandelnden Gegenwart – auch sie wechselwirken. Das zeige ich entlang des Konzeptes Steinzeit–Bronzezeit–Eisenzeit auf, einem Resultat der archäologischen Verzeit- lichung der neuen temporalen Möglichkeiten der Jahrzehnte um 1800 und dinglicher Ausdruck neuen Denkens gleichwie Fundierung der ‚Archäologik’.

Abstract

Advances in science as well as changes in society interact by internal and external dynamics: The presence of temporal structure changed in 1800 as specific as it produced a new temporal structure acting as an impetus for the formation of scientific knowledge. The design of time of the industrializing decades around 1800 temporalized all realms in a new way, especially with and by the duplication and acceleration. This has an impact on archaeological

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research. These new temporal constellations are the commencement of methodological basic pattern by which archaeology would henceforth shape their systemic logic, based on their now time–oriented subject matter, the materials – the object world of ancient cultures.

The very general temporal specificity of a new, ever increasing “more of material” marks one of the most massive (literally) changes in archaeology and brought about the emergence of one of the first methods that would define archaeology as a discipline. It emerged notions such as “the Bronze Age”, rationalized as imaginations of the deep human history.

The new way of dealing with the increasing number of ancient objects caused the temporality of the new ob- ject–oriented argument(ation) after 1800 and the beginnings of Archaeological Time in this world view changing present – and also here again: both interact. Its causes and forms of presentation I will unfold along the concept of – Bronze Age – Iron Age, a result of the archaeological temporalization of the new temporal possibili- ties in the zeitgeist of the decades around 1800, material expression of the new way of thinking and a foundation of archaeological logic.

Schlüsselwörter

Wissensphilosophie und -geschichte, Zeitlichkeit, Dreiperiodensystem, Materialität, Althertümer, Jahrzehnte um 1800

Keywords philosophy of knowledge, history of science, temporality, three-age system, materiality, antiquities, decades around 1800

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„Alle Menschen sind Praktiker und Theoreti- Menschen: Jahrtausende entfernte Menschen mit ker der Zeit“ denjenigen, die deren Geschichte zu erforschen be- Nowotny 1989, 7 gannen und wieder denjenigen, die diese Forschun- gen untersuchen. Die Vielfalt an Temporalstruktu- ren, die in einer solchen ‚imaginären uchronischen cloud’ Jahrtausende von Subjekten und Objekten des Archäologische Ermöglichungsbedingungen Lebens und der Forschung zusammenzubringen ver- – Zeit sehen und anfassen: Eine Einleitung1 mag, durchkreuzt in der nichtvirtuellen Realität die Nachträglichkeit archäologischer Forschung: Zeit- Zeit und Archäologie2 eint der schöne Satz, den konzepte strukturieren in der Archäologie das Ver- ich dieser Untersuchung als Zitat voranstelle. Denn hältnis von Vergangenheit und Gegenwart, indem er verbindet als ‚metaphorische Zeitmaschine’ alle sie methodologisch vergangene Kulturen in der Ge- genwart der Archäologie erschließbar machen. In je- 1 Mein großer Dank, die teils steilen Thesen in diesem dem Moment, in dem eine Gegenwart Vergangenheit überarbeiteten Essay von 2011 kritisch und produktiv zu Geschichte macht, wandelt sich Gegenwart und diskutieren zu können, gilt vielen, insbesondere: den beiden Herausgeberinnen und drei anonymen Gutach- Vergangenheit um das neugewonnene Bild der Zeit. ter_innen, Alain Schnapp, Thomas Späth, Hans-Jörg Das Wissen der Gegenwart strukturiert die künftige Rheinberger und gerade nicht zuletzt Luise Menzi und Forschung und die Gegenwart der Zukunft formiert Christian Lau. Das zeitgemäße Gendering haben die nachträglich ihr Bild der Vergangenheit in neue Ge- Herausgeberinnen übernommen. schichte – Vergangenheit und Zukunft spielen sich 2 Um das Wesen der Archäologie phänomenologisch immer in einer Gegenwart ab. Jede Zeit sucht sich besser zu verstehen, wird ein weiter Archäologie- dabei eine jeweilige Zeit als Maßstab und lotet für begriff verwendet, der vom Tätigkeitsbereich des zu Bezeichnenden ausgeht. Archäologie ist damit als Er- diese und mit dieser, die Beziehungen zwischen Ver- forschung vergangener Kulturen aus deren dinglichen gangenheit, Gegenwart und Zukunft für sich jeweils Überresten defi niert, gerade ohne topographische Räu- neu aus – zumindest kann man das verallgemeinernd me, Schriftlichkeit etc. einzufassen, die innerarchäo- für das westliche und nicht vormoderne Denken sa- logische Subdisziplinen defi nitorisch charakterisieren. gen.3 Doch auch generell scheint ein Archäologiebegriff sinnvoll, der prioritär grundsätzliche archäologische Praktiken fasst: Er wäre stabiler gegen zeitgebundene Archäologie ist nicht Philosophie; Archäologie Konnotationen, die bisweilen begriffl iche Grauzonen macht Geschichte und damit Gegenwart und Zu- bilden: So ist es quasi in der gesamten Archäologie- kunft durch Dinge. Als Teile vergangener Kulturen geschichte möglich, dass etwa Gelehrte archäologi- sind die materialen Überreste Zeitkonserven. Aus sche Funde machen, Antiquare archäologische Aus- grabungen und die Altertumskunde archäologisch ist diesem Blickwinkel möchte ich meine Überlegun- – während die nominale Form ‚Archäologie’ oft die gen zu Zeit und Archäologie vor den Hintergrund disziplinäre Archäologie meint und also im Rahmen einer Bedingung der Möglichkeit stellen, überhaupt der modernen Wissenschaften eingrenzt. Der themen- archäologische Forschung betreiben zu können; übergreifende Ansatz des Tagungsbandes verleitet be- nämlich dass Archäologie sehr weit entfernte Zeiten stimmt Forschende diverser Wissenschaften zur Lek- türe; daher plädiert noch ein weiterer Grund für eine sinnlich wahrnimmt. So betrachtet veranschaulicht tätigkeitsbezogene Konnotation von Archäologie. Er die Astronomie diese archäologische Voraussetzung hängt direkt mit dem ersten zusammen: Die von der besonders eindrücklich, wenn auch viele Wissen- Archäologie betriebene Archäologiegeschichte, die der schaften ähnlich funktionieren – etwa die damalige Wissenschaftsgeschichte, Germanistik, Philosophie, Naturgeschichte mit Geologie, Botanik und Zoo- Neuzeitgeschichte, Kulturwissenschaften etc. hätten bei aller Verschiedenheit in Voraussetzungen, Ansatz, Fragen und Wissenschaftsprosa einen grundlegenden gemeinsamen Nenner, der folgendes Beispiel für einen 3 Solche Vorstellungen der Beziehungen zwischen Ver- stabilen Archäologiebegriff unnötig machte: Die häu- gangenheit, Gegenwart und Zukunft beruhen auf line- fi ge Trennung der Rezeption nord- und südalpiner For- aren Zeitvorstellungen und zwar auf derartigen, die schungen, die bis zu den universitären Archäologien insbesondere die Moderne durch die Rationalisierung so nicht existierte, seitens der Ur- und Frühgeschichte des Himmels kennzeichnen. Ganz anders etwa als die und der Klassischen Archäologie aber häufi g gezogen Gleichzeitigkeitsvorstellungen („Traumzeit“) der Ab- wird, könnte ein weit gefasster Archäologiebegriff auf- origines oder das altägyptische transpersonale Zeit- heben. Damit würde auch fach- und ansatzbedingten kontinuum („Ewigkeit“). Beiden ist bei extremer Un- Verwirrungen vorgebeugt, da die Forschung zeitlich terschiedlichkeit gemeinsam, dass sie Zeit, durch das, nach hinten inhaltlich nicht durch die Brille institutio- was wir als mythisch und schöpfungsgeschichtlich neller Horizonte orientiert wäre. Siehe auch Hakelberg auffassen, dimensionieren. Siehe u.a. Assmann 1993; und Wiwjorra 2010. Zur Archäologie der Archäologie Havecker 2003. Zur Entstehung der Rationalisierung von der Antike bis Jetzt v.a.: Schnapp (2009, 2010 des Himmels, siehe Blumenberg 1975 und Kittsteiner [1993]). 1991 mit je weiterführender Literatur.

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logie. Sie alle arbeiten mit Materialem4; sie alle um versucht solche und andere Wege zum Wissen schaffen Zeitvorstellungen durch Objektrelationen zu verstehen. Nur einen einzigen davon will ich vor in der jeweiligen Gegenwart ihrer Forschung, das dem Hintergrund des noch aufzuspannenden Rah- ist klar. Doch diese Voraussetzung ist es nicht im- mens archäologischer Ermöglichungsbedingungen mer: die enorme Distanz des Blickes in den Himmel skizzieren. Dabei mündet diese Stoßrichtung trotz verdeutlicht vielleicht am besten, worauf der Blick ihres archäologiehistorischen Gegenstandes – das in und auf die Erde abzielt, da die Astronomie mit Thomsen’sche Dreiperiodensystem – weniger in größtmöglicher zeitlicher Distanz zur sinnlich wahr- eine Historisierung der Archäologie, sondern kommt nehmbarer Vergangenheit arbeitet: und doch schaut vielmehr den Bedingungen der Zeitgeistverwirkli- man in die Vergangenheit – die Archäologie hat das chung in der archäologischen Zeitlogik phänomeno- Glück, sie zudem noch anfassen zu können. Denn logisch auf die Schliche: Denn, welche temporalen die archäologisch interessante Zeit ist konkret hap- Strukturen werden überhaupt methodologisch in der tisch und visuell vorhanden, indem sie in der Ma- Archäologie aufgegriffen? Wie überhaupt werden sie terialität steckt bzw. sie durch sie erfahrbar wird. zunächst möglich oder anders gefragt, worauf basie- Für Archäolog_innen ist das heute ebenso selbstver- ren denn archäologische Zeitstrukturen? Und dann: ständlich wie der konstruktive Charakter zeitlicher Wie kann Zeit überhaupt systemisch in Dingen ge- Vorstellungen, doch (auch) archäologische Zeitkon- sehen werden? zeptionen und ihr Umgang damit zeigen, dass das mitnichten selbstverständlich ist. Hans Blumenberg Zu diesen Fragen führt zunächst ein Panorama des trifft es nicht nur für die Astronomie auf den Punkt: allgemeinen Zeitgeistes hin, welches überblickshal- ber die Zeitstrukturen um 1800 beschreibt und somit „Es ist eine erstaunliche Unwahrscheinlich- das Umfeld der Ermöglichungsbedingungen der Ar- keit, daß wir auf der Erde leben u n d Ster- chäologik in Ansätzen ausleuchtet (I.). Anschließend ne sehen können, daß die Bedingungen des wird erst die Voraussetzung zur Bestimmung von Lebens nicht die des Sehens ausschließen und Zeit im genannten Dreiperiodensystem analysiert umgekehrt. Denn dieses Medium, in dem wir (II.), das konstitutiv für das Wesen archäologischer leben, ist einerseits gerade dicht genug, um uns Zeitlogik war, dann das System selbst (III.): Denn ar- Atem holen zu lassen und nicht in Strahlung chäologische Forschung und ihr Verständnis von Zeit aus dem All verbrennen zu lassen. Anderer- formuliert als System6, als übergreifend anwendbare seits ist dieses Medium nicht so trübe, dass das Methode also, kennzeichnet insbesondere das Drei- Licht der Sterne vollends verschluckt und jeder periodensystem in der „Kurzgefaßten Übersicht über Ausblick auf das Universum versperrt wäre“ Denkmäler und Alterthümer der nordischen Vorzeit“ Blumenberg 1975: 5 – im Folgenden: Kurzgefaßte Übersicht – des däni- schen Archäologen Christian J. Thomsen (1836 dä- Die Archäologie hat verschiedene Wege gefun- nisch, 1837 deutsch, 1848 englisch). Darin ist eine den, mit der erstaunlichen Unwahrscheinlichkeit Zeitfolge der Zeitalter Steinzeit, Bronzezeit und Ei- umzugehen, dass Fragmente Jahrtausende entfernter senzeit dargelegt, die Thomsen im Kopenhagen der Lebenswelten in unserer Gegenwart präsent und mit 1810er bis 1830er Jahren entwickelte. Da innerhalb einem selbstredenden zeitgenössischen Ausdruck der Archäologie einzig der Text Thema ist, schließen des 19. Jahrhunderts ‚versinnlicht’ sind (u. a. Unger schungsgeschichte und Wissenschaftsgeschichte der 1858). Mit den materialen Zeitzeugen machte und Archäologie bezeichnet, wobei letztere meist Diszipli- macht Archäologie auf ganz unterschiedliche Weise nengeschichte bedeutet. Es scheint sinnvoll, die Erfor- Geschichte, wobei z. B. Ausgrabung und Ausstel- schung der Archäologie begriffl ich zu öffnen, weshalb lung gerade auf das Machen archäologischen Wis- ich den Begriff Archäologieforschung vorschlage. Ge- sens verweisen. Die Archäologieforschung5 wieder- rade die Frage nach der Zeit, die historische Dimen- sionen durchbricht, ist hierfür ein wunderbares Bei- spiel. Archäologieforschung fasst epistemologische/ 4 In der deutschsprachigen Archäologie wird gerne von philosophische Forschungen ebenso wie historische, „materieller Kultur“ gesprochen, wenn auf das Ding- statistische, bildwissenschaftliche etc., um Strukturen, liche abgezielt wird – aber auch, wenn Dingliches als Repräsentationen, Funktionsweisen, Soziologien etc. solches benannt ist. Dabei verschwindet die Differenz der Archäologie zu untersuchen. zwischen Sichtweise auf und Bezeichnung des Ge- 6 System ist hier im damaligen wie im heutigen Sinne genstandes. Materiell heißt immer in Bezug auf etwas gemeint. Thomsen schreibt: „Nach dieser Ansicht ist Materiales. Anders gesagt: es geht hier mehr um das unser System eingerichtet ... unsere heidnischen Sa- Reale als um das Reelle. Daher auch das später einzu- chen fallen in drei Haupt-Epochen oder Abteilungen.“ führende ‚Materiale Mehr’. Thomsen an Büsching am 23.11.1824, zitiert aus: Se- 5 Archäologie wird oft in historischer Perspektive er- ger 1930: 3. Alle markierten Hervorhebung in Zitaten forscht und daher als Archäologiegeschichte, For- sind von mir.

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einige Überlegungen über die bildlichen Argumente lichsten Formen und damit einhergehend wandelte (IV.) in der Kurzgefaßten Übersicht diesen Essay ab. sich das wissenschaftliche Weltbild ebenso deutlich wie die Alltagsstrukturen des Lebens. Doch zunächst zur Archäologie, danach allgemeiner zur Zeitgestal- tung um 18008 und dann wieder zurück zur Archäo- I. Aktualität und Neues: Von der Verzeitli- logie. chung der Zeit zur temporalen Spezifik der Archäologie Besonders die Aktualität zeitorientierter For- schung zeigte um 1800, wie stark wissenschaftlich „Teile einer fernen Vergangenheit tauchen zu- Neues und gesellschaftlicher Wandel sich bedingen: weilen auf und werden überraschend aktuell.“ Man wollte die Zeit vor der Zeit, die ‚Vorzeit’ ent- Gould 1995: 93 nebeln und „das besondere Talent des 19. Jahrhun- dert, alles sehen zu wollen“ (Flaig 1987: 188) woll- In der Konstellation, und man kann besser sa- te Nebel und ‚düstere‘ oder ‘unermessliche Zeiten gen, in der Realisierung von Zeit um 1800 und ihrer oder die Trübe der Zeitentiefe’, so geläufige Meta- konzeptuellen Fassung als archäologisches System phern damals, klären und sichtbar machen (Cartier liegen wichtige Entstehungsbedingungen tempora- 2000; Safranski 2009). Dabei bedingten sich die ler Archäologik, so meine These. Die in der Kurz- Verschränkung von Verzeitlichung als gesellschaft- gefaßten Übersicht begründeten archäologischen licher Wandel und Archäologie als zeitorientierte Zeitstrukturen sind ein Schlüssel dazu, das Verhält- Methodologisierung in spezifischer Weise während nis von Archäologie und Zeit besser zu verstehen. sich das Weltbild änderte: „Mit der Erschließung des Um diese Temporalkonstruktionen und vor allem die Globus traten räumlich die unterschiedlichsten, ne- damit zusammenhängenden Verschränkungen von beneinander lebenden Kulturstufen in den Blick, die Zeitgeist und Zeitkonzept in der Archäologie und durch den synchronen Vergleich diachron geordnet als Archäologie aufzeigen, gilt es nun einen Sprung wurden.“ (Koselleck 1989: 323). Mit dieser Neu- zurück zu machen zu Zeitgeist und Zeitkonzept der vermessung der Welt ist ein Phänomen formuliert, Jahrzehnte um 1800. Darüber wird deutlich wie die das ich von anderer Seite in Augenschein nehme: Vorstellung vom Alter der Zeit (nicht der Dinge) nämlich als Prozess, der in den ersten Jahrzehnten entstehen konnte und wodurch die Argumentation des 19. Jahrhunderts den neuen Umgang mit Zeit Thomsens diejenige Temporalstruktur archäologi- in der Archäologie und vor allem als Archäologie scher Forschung etablierte, die eine archäologische charakterisierte. In der Archäologie traten die un- Tiefenzeit ermöglichte und auf diese Weise die Vor- terschiedlichsten nicht mehr existierenden Kulturen aussetzungen der Vorstellung beispielsweise einer nebeneinander in den Blick, die durch synchrone Bronzezeit schuf. Vergleiche diachron geordnet wurden. In dieser Zeit wird ein Modell für Erklärungen von Verschieden- Die temporalstrukturellen markanten Neuerungen heiten „in den ältesten Zeitaltern und bei den wil- um 1800, oft als Verzeitlichung7 begriffen, wirkten desten Völkern“ (Thomsen 1837: 27) entwickelt, ebenso massiv in die Archäologie wie in alle Wis- das lange aktuell bleiben sollte. Darin wird ein kul- sensbereiche. Denn die Zeitrealisierungen in den tureller ‚Entwicklungsstand’ einem anderen bewer- Jahrzehnten um 1800 änderten sich in den erdenk- tend und erklärend gegenübergestellt: „Blickt man vom zivilen Europa auf das barbarische Amerika, so 7 Die Verzeitlichungen um 1800 sind sehr unterschied- war das auch ein Blick zurück ...“ (Koselleck 1989: lich beleuchtet worden, wichtige übergreifende Studi- en sind: Koselleck 1989, Toulim und Goodfi eld 1970, 323). Dieser Vergleich von gleichzeitigen Kulturen Foucault 2008 [1966], Lepenies 1976, siehe auch Rosa – hier Amerika, dort Europa – ordnet durch die ihm 2005. Für Foucault und Lepenies ist diese Verzeitli- zu Grunde liegende Idee von prozessual gedachter chung zwischen 1775–1825 besonders augenschein- Geschichtlichkeit zeitlich. Zugleich führt das sich lich. Gar nicht und wenn überhaupt früher, ist diese darin abzeichnende Muster der Ungleichzeitigkeit Verzeitlichung für Seifert (1983) zu fassen: In konge- nialer Kritik argumentiert er die wissenschaftstheoreti- zeitgleich lebender Kulturen dazu, auch vergangene schen Grundlagen von Auswertungen ‚falsch gewähl- Kulturen mit Leben zu füllen. Sie stellen den Beginn ter Beobachtungen’ zur Verzeitlichung weg, besonders einer Entwicklung von Imaginationen dar, in der die die von Lepenies und Koselleck. Im Ansatz hat Seifert ‚Wilden’ Amerikas illustrieren, wie es ‚anfangs’, in recht, nur klammert er die konkreten Erscheinungen der Zeit vor der Zeit, aussah. Der Philosoph Joseph- um 1800 aus, z. B. das ‚Materiale Mehr’ und vor allem anderen: die Selbstzeugnisse der Zeitgenossen. In ih- Marie Degérando (1989 [1970]: 221) stellt im Jahr nen zeigen sich als Resultat eben gerade die Zeitstruk- turen, die sich während mindestens anderthalb Jahr- 8 Wunderschön in einem anderem Kontext dazu: Serres hunderten herausbildeten als verzeitlicht. 1994 [1989].

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1800 fest: „Der philosophische Reisende, der ans Dingen und Wissen schneller. Kommunikation, Mo- äußerste Ende der Erde fährt, durchläuft nämlich bilität und Materialität wechselwirken dabei und in die Folge der Menschenalter, er reist in die Vergan- Folge gibt es nicht nur neue, sondern auch weit mehr genheit; mit jedem Schritt lässt er ein Jahrhundert antike Dinge: die Beschleunigung von Transport, der hinter sich.“ Ausbau des Nachrichtenwesens und der physischen Welt – beispielsweise durch Land- und Meeres- Hinzu kam eine weitere gänzlich anders gela- straßen, Städtebau, Rohstoffabbau etc. – führten zu gerte Veränderung der Temporalstrukturen, die die mehr und mehr alten Objekten durch die Industria- Gegenwart und damit auch die Wissensbereiche im lisierung des Bodens. Die neue Mobilität dehnt also Übergang vom 18. zum 19. Jh. dynamisierte und neu nicht nur die Welt in die Ferne aus, sondern auch die definierte: Eine bisher völlig unbekannte Masse an unter den Füssen. Zusammen mit der bis dato unbe- Dingen, die ich ‚Materiales Mehr’9 nenne, um die kannten materialen Explosion, bildeten sich in Folge bisher unbekannt gewesene Dimension von Din- von Mobilität und Transport jene neuen Zeitstruktu- gen durch die Neuvermessung der Welt zu erfassen ren, die äußerst nachhaltig (auch) die Grundstruk- als eine enorme Masse von mehr Dingen durch die turen archäotemporaler Logik präfigurierten. Das neuen, maschinenbedingten, Vervielfältigungen und ist zentral und wird deshalb im Kern dieses Essays Produktionen. Bereits nur schon die Möglichkeit zur untersucht, denn: in diesen Präfigurationen tempo- Erfindung von ‚Beschleunigungsmaschinen’ und in raler Argumentationsstrukturen archäologischer For- Folge ihre Erfindungen selbst, wie die der Eisen- schung sind – und das ist das Entscheidende – die bahn, der Dampfmaschine oder der Elektrizität bei- Erklärungsmuster für die expliziten Interpretationen spielsweise, ließen die Welt schneller werden, denn angelegt. Besonders evident zeigt dies m. E. die Menschen und Dinge wurden schneller als jemals publizierte, also die schriftliche und bildliche, Dar- zuvor bewegt. Künstliches Licht verlängerte den legung des Dreiperiodensystems. Doch so wenig Tag, Zeitabstände zwischen zu erledigenden Dingen, einfach heute eine temporaltheoretische Freilegung Arbeitsorten etc. wurden kürzer, Nachrichten schnel- zeitlicher Grundstrukturen ist, so wenig war es auch ler übermittelbar, Handlungen und Informationen damals: (dadurch) schneller möglich. Das Wissen vermehrte und verteilte sich rasant. Zwischen 1600 und 1700 Die temporalen Argumentationsstrukturen be- wurden 250 000 Bücher gedruckt, um 1800 waren es dingt ‚die Zeit’ um 1800 selbst als eine der großen 2 Millionen; 1740 kannte man in der Zoologie 600 Lebenswirklichkeiten, die als wissenschaftliche Tierarten, knapp 100 Jahre später waren es bereits Thematik ihre Gegenwartsgestaltung ausmachte viermal so viele Schlupfwespen: durch die „Ver- und stark mitbestimmte. Immanuel Kants Himmels- zeitlichung komplexer Informationsbestände“ traten körper und des Comte de Buffon’s Naturgeschich- neue Wissensordnungen an die Stelle zuvor räumlich te sind vielleicht die bekanntesten Beispiele dafür, konzipierter Klassifikationssysteme (Lepenies 1976: aber die Geologie demonstriert ein spezifisches 17, Zitat: 18). Merkmal dieses Zeitgeistes besonders eindrücklich: die Zerrissenheit im Wandel der Weltzeit durch das Ob ihres a priori zeitorientierten Gegenstandes Aufbrechen der biblischen Chronologie. Während verzeitlichte auch die Archäologie wechselwirkend die Wissenswelten auf der Suche nach der Tiefe mit den temporalen Neuformierungen der dama- der Zeit unglaubliche Entdeckungen machen (vgl. ligen Gegenwart das Materiale, dessen exzessive Gould 1990 [1987]), müssen sie die neue Tiefe der Erscheinung den Zeitgeist auf jeder Ebene prägte, Zeit zugleich zurückhalten, denn das Alter der Welt da Beschleunigung und Materiales Mehr sich be- und darin insbesondere das des Menschen ist durch dingten und, wie auszuführen ist, präfigurierten sie Gott festgelegt. Wissenschaftliche Jahrmillionen und (auch) die Argumentationsstrukturen in der archäo- biblische Schöpfungschronologie gerieten zart oder logischen Forschung, die sich mit mehr und mehr zäh aneinander, je nachdem was oder wen man in der ‘vorzeitlichen’ Funden auseinandersetzen musste. Geschichte der Wissenschaften heranzieht, oder man Massierte Museumsgründungen waren eine Folge brachte beide mittels eleganter Argumentation zu- davon und auch Thomsens Untersuchungsgegen- sammen, wie der Geologe William Buckland es tat. stand folgte diesem Zeitgeist, wir werden es sehen. Er nahm ein weit älteres Erdalter an, als es bis kurz Denn die genannten Informationsträger, ob Buch, vor seiner Zeit denkbar war – im Einklang mit der Gebäude, Eisenbahn oder andere, die auf neue Wei- biblischen Chronologie: „[Denn] es wird nirgends se und eben in neuer Quantität produziert wurden, gesagt, daß Gott Himmel und Erde am ersten Tag machten Bewegung und damit die Verbreitung von schuf, sondern im Anfang. Dieser Anfang kann ein Zeitpunkt in einer unermesslichen Entfernung sein, 9 Ausführlich dazu Stabrey 2013.

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auf den die Zeitperioden von unbestimmter Dauer des sich selbst verjüngenden wissenschaftlich-tech- folgten, während welchen alle von der Geologie phy- nischen Fortschritts.“10 sisch beleuchteten Ereignisse sich zutrugen“ (Buck- land 1838 [1823]: 20). Kurz gesagt: „Millionen Jah- Es lag in der Luft, dass die Neuentdeckung der re können diesen unbestimmten Zeitraum ausgefüllt Zeit auch die Archäologie entdeckte und die Archäo- haben, zwischen dem Anfang, in welchem Gott Him- logie wiederum die Zeit, indem Zeit nun als Maßstab mel und Erde schuf, und dem Abend oder Anfang und Auslöser von Veränderungen angesehen werden des ersten Tags der mosaischen Erzählung [also der konnte. Unter den spezifischen Bedingungen des Beginn der Geschichte des Menschen]“ (Buckland Weltzeitalterwandels bedeutete dies die enorme Ver- 1838 [1823]: 22). änderung der Archäologie hin zu derjenigen Wissen- schaft, die, wie alle Wissenschaften in den Jahrzehn- In diese temporalen Strömungen eingebettet, ver- ten um 1800, in das neue Weltbild hinein verzeitlicht zeitlichte die Archäologie ihre Argumentationsstruk- wurden, mit dem wir jetzt gerade noch in einer11 Zeit tur und, nachträglich betrachtet, methodologisierte sind. das Dingliche längst verschwundener Kulturen im Dreiperiodensystem, mit dem Ziel herauszufinden, Mit dem ‚In-der-Luft-Liegen’ zeitlichen Denkens „was man [...] zu einem gewissen Zeitraume wird in der Archäologie gingen allerdings eine Menge hinführen können“ (Thomsen 1837: 62). Das gro- Dreiperiodenideen einher; auch sie lagen in der Luft, ße Problem hierbei war, dass man es dabei mit der wurden en passant in Handbüchern verbreitet, waren ältesten Geschichte der Menschen zu tun hatte und aktuell: Johan Gustav Büsching (1824: 11), um nur die war in den 1820er und 30er Jahren (noch) im bi- ein Bespiel zu nennen, findet, man müsse schauen, blischen Bann – kein Wunder, dieses Buch war auf welche Zeichen noch für das eine oder andere Zeit- Menschen, nicht auf Gesteine und Pflanzen ange- alter der Funde sprächen, „als die nur allzu oft trüg- legt, Bereiche in denen man einfacher argumentieren lichen sind, welche wir jetzt immer ausstellen, näm- konnte, wie Buckland exemplarisch zeigt. Das ist lich die Folge von Stein, Kupfer und Eisen ...“.12 Mit wichtig hervorzuheben, denn auch aus dieser Kon- dieser Latenz befürchtet denn auch Thomsen, dass stellation heraus wurde die Menschheitsgeschichte a man denken könne, er habe abgeschrieben.13 priori langsamer in ihrer zeitlichen Ausdehnung ver- zeitlicht als die Naturgeschichte. Vor dem geschilderten Panorama allgemeiner temporaler Konstellationen der Jahrzehnte um 1800 Der allgemeinen Beschleunigung der Zeit in seien zwei Aspekte genauer betrachtet: das ‚Materi- Wechselwirkung mit dem ‚Materialen Mehr’ entkam ale Mehr’ in der Archäologie und als Archäologie. also auch die Archäologie nicht. Wahrscheinlich tat Denn die Charakteristika der archäologischen Eigen- sie auch deshalb gut daran, ihre ersten Zeitkonzep- zeit und ihrer Logik, mit der das Dreiperiodensystem te nicht mit menschlichen Knochen zu begründen, archäologische Forschung massiv prägte, können sondern mit Artefakten – verursacht durch dem zeit- über diese temporalen Grundstrukturen herauspräpa- geistgeleiteten Blick auf artifizielle Objekte und der riert werden. Unmöglichkeit die Schöpfungsgeschichte außen vor zu lassen. 10 Werner von Siemens Vortrag Das Naturwissenschaft- Gegen Ende des 19. Jh. blickte Werner von Siemens liche Zeitalter, wurde an der 59. Versammlung Deut- scher Naturforscher und Ärzte AM 18.9.1886 gehal- auf die allgemeinen Entwicklungen seiner Zeit zurück ten, zitiert nach Koselleck, 2003: 178. und schloss aus der Serie der bisherigen Erfindungen 11 ‚Eine Zeit‘ im Sinne eines profunden Weltbildes. ‚Gra- auf ein dahinter liegendes Gesetz: „Dies klar erkenn- de noch’, weil wir uns derzeit in einem Weltbildwan- bare Gesetz ist das der stetigen Beschleunigung un- del durch das Internet und den damit einhergehenden serer jetzigen Kulturentwicklung. Entwicklungspe- Veränderungen auf allen Ebenen befi nden. Auch der rioden, die in früheren Zeiten erst in Jahrhunderten aktuelle Wissenschaftswandel in seiner die Grund- durchlaufen wurden, die im Beginne unserer Zeitpe- strukturen der Forschung radikal ändernden Form ist vergleichbar mit dem um 1800. riode noch der Jahrzehnte bedurften, vollenden sich heute in Jahren und treten häufig schon in voller 12 Zu Thomsen und der Aktualität verschiedener Dreipe- riodenideen bemerkt Paul Hans Stemmermann (1943: Ausbildung ins Dasein. Es ist dies einerseits die na- 123): „Wie bei vielen Entdeckungen, so war es auch türliche Folge einer Erscheinungsform unseres Kul- hier. Längst bekannte, aber kaum beachtete Dinge turfortschritts (...) selbst, andererseits die Wirkung werden plötzlich in ihrer grundlegenden Bedeutung herausgestellt und hierdurch eine völlig veränderte Lage geschaffen.“ 13 Thomsen 1825 nach: Seger 1930: 4.

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II. Zeitstrukturen und ‚Materiales Mehr’ der Erforschung des Gräberfeldes von Birka blickte man z. B. in den 1820ern nicht nur auf Untersuchun- „So wie der wissenschaftliche Geist nicht im- gen der 1680er Jahre zurück, sondern auch auf meh- mer schon fertig dasteht, so sind auch die Ge- rere tausend Funde: Es galt nun, Vorhandenes zeitge- genstände des Wissens nicht unmittelbar gege- mäß aufzuarbeiten. So wurden Kuriositätenkabinette ben oder direkt anzufassen. Beide nehmen in zu systematisierten Sammlungen, Großmuseen ent- einem langen mühsamen historischen Prozess standen und Sammlungen ordneten ihre stetig an- allmählich erst und vorzugsweise kontraevi- wachsenden Bestände neu. Archäolog_innen passten dentiäre Gestalt an.“ sich dem ‚Materialen Mehr‘ an, so auch Thomsen: Rheinberger nach Bachelard, Umfasste beispielsweise der Bestand ‚nordischer in: Rheinberger 2005b: 76 Alterthümer’ im königlichen Museum Kopenhagen um 1816 geschätzte 1.000 Inventarnummern (u.a. Einhergehend mit der Verzeitlichung ist am Ende Hansen 2001: 11), waren es 20 Jahre später bereits des 18. Jh. eine der Hauptaufgaben der Wissenschaf- rund 5.000 Inventarnummern15 , wobei eine Nummer ten, das neue Mehr an Dingen aus Natur und Kultur auch mehrere Stücke umfassen konnte. War diese über Beobachtungsdaten zu ordnen. Charles Dar- Sammlung 1819 noch auf einem Dachboden unter- wins Reisen (1831–1835) und seine Forschungen zubringen, so war sie 1832 bereits zu groß und der beispielsweise, die in den 1830er Jahren allgemein Umzug wiederholte sich keine zwanzig Jahre später, bekannt waren, zeigen eine strukturelle Ähnlichkeit dann in den großen Bau des jetzigen Dänischen Na- zwischen Geschichte der Natur und Archäologie: tionalmuseums. Darwin, auf der Beagle unterwegs, füllte diese mit Finken, Pflanzen, Steinen, Knochen, kurz mit al- Die Merkmale solcher Entwürfe der Forschung lem Erdenklichen und Unerdenklichem – alles war um 1800 sind strukturell gesehen überall ähnlich: interessant. Aber was geschah dabei? Forscher und ungekannt große und damit komplexe Materialbe- Schiff bewegten sich mitreisend durch Raum und stände werden verzeitlicht (ausführlich: Lepenies Zeit; Darwin und seine Gefährten sammelten evo- 1976), indem sich die Ordnungssysteme in ihren lutionsperspektivisch und führten Reisetagebuch. Strukturen dadurch auszeichnen, dass sie, wie ein- Die wissenschaftliche Bearbeitung, die Ordnung des gangs dargestellt, musterhaft ein Nebeneinander Sammelsuriums, die synoptische Erkenntnis fand in ein Nacheinander verzahnen (Koselleck 1989, Großteils nach der Reise statt – zu Hause. So ent- 2003). In der Archäologie lenkt die Idee des Nach- stand die These der geographischen Isolation, Stich- einander den Blick auf Dinge, die hauptsächlich aus wort Darwin-Finken, nicht während der Fahrt von Grabungen und Sammlungen kommen oder auf ab- einer zur anderen Galapagos-Insel, sondern später gegebene Fundstücke, die massenhaft u. a. von den theoriegeleitet durch Merkmalsanalyse: Kontinu- zahlreichen Erst- oder Neubebauungen der industria- ierliche Veränderungen im Verlauf der Zeit wurden lisierenden Zeit stammen. Dabei ist der Blick auf zunächst räumlich erfasst.14 die Dinge von Beobachtungen16 geleitet, basierend auf den geschilderten zeitstrukturierenden Ansätzen Hier, bei Darwin, geschah dies durch die mitge- des verzeitlichenden Zeitgeistes der Jahrzehnte um brachten Lebewesen und Dinge der sich etablieren- 1800. Demzufolge enthält das ‚Materiale Mehr’ den den Forschungsreisen, aus denen eine immer größe- Ansatz und das Interpretament dessen, was diese re Menge an zu erforschendem Material resultierte. Veränderungen in der Archäologie kennzeichnen, Dort, in der Archäologie, kam eine immer größere die als Beginn ihrer Disziplinierung durch die Me- Anzahl an Dingen und Orten nicht nur durch die thodologisierung der Arbeitsweisen gelten können: oben anskizzierte Industrialisierung des Bodens zu ein neuer Umgang mit ihrem genuinen Leitinteresse, Tage, sondern damit einhergehend durch vermehrte den stets mehr werdenden Objekten des Altertums. Ausgrabungen aller Art zu Tage – etwa Pompeji und Schon so betrachtet, liegt es nahe, dass Archäologi- Herculaneum, die seit den 1740er Jahren in Großgra- sche Zeit, wie sie in den 1810er bis 1830er Jahren bungen erkundet wurden. Ein Beispiel für die damals konzeptualisiert wurde, eine Objektzeit ist. Der star- größten Produzentinnen archäologischer Dinge sind die Untersuchungen von Gräbern (siehe Schnapp 15 Morten Axboe, Nationalmuseum Kopenhagen, Mail- korrespondenz, 22.1.2010. 2009 in archäologiehistorischer Perspektive). Bei 16 Beobachtung als Kennzeichen neuzeitlicher Denkfor- 14 Auf die Ähnlichkeit zwischen damaliger archäologi- mation in deren Ableitungen der Moderne als Theo- scher und evolutionstheoretischer Forschungspraxis rie, die sie sich vor den (archäologischen) Gegenstand kam ich durch die Ausführungen von Philipp Sara- stellt und ihn rationalisiert ersetzt: siehe Stabrey 2013; sin zu Darwin, „Darwin, historisch“, Vortrag Basel, ferner übergreifend: Blumenberg 1975 und Einstein 23.02.2009. 1986 [1918]: 79.

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ke Fokus auf Objekte, auch bei der Erforschung der ten Sammlung in Kopenhagen befasste, die schnell Bodenkontexte, macht im Resultat, wie nachfolgend wuchs und zweimal umzog. Das stumme Wissen von gezeigt wird, die Zeitlogik des Dreiperiodensystem Thomsen war groß: Er schrieb wenig und zitierte in der Kurzgefaßten Übersicht aus. nie in der Darlegung seines Systems. Sein Grund- gedanke war nicht neu: er basierte auf der „alte[n] Nachträglich betrachtet, hatte diese Zeitlogik eine Idee von „erst Stein, dann Kupfer und endlich Ei- enorme Rezeptionskapazität festgelegt, die schließ- sen“ (Thomsen, zitiert nach: Seger 1930: 4), die seit lich auch gut zweihundert Jahre später das materi- der Antike immer wieder aufgegriffen wurde und albasierte Grundkonzept einer Steinzeit, Bronzezeit deren Geschichte fast jedes archäologische Hand- und Eisenzeit als Vorstellung vergangener Zeiten buch in Variationen schmückt.18 Die Jahrtausende begrifflich weiterträgt. Die bisher dargestellten Zeit- alte Idee markiert aber mit Thomsen etwas Neues, vorstellungen präfigurieren die Argumentations- denn: „Wie bei vielen Entdeckungen, so war es auch struktur dieses Zeitkonzeptes, und diese wiederum hier. Längst bekannte, aber kaum beachtete Dinge die Erklärungsmuster. Wie sieht das genauer aus? werden plötzlich in ihrer grundlegenden Bedeutung herausgestellt und hierdurch eine völlig veränderte Lage geschaffen“ – so Paul Hans Stemmermann zu Thomsens System in seiner Geistesgeschichte der III. Überlegungen zur Logik Archäologi- Dreiperiodenideen (Stemmermann 1934: 128). scher Zeit ausgehend von C.J. Thomsen’s schriftlicher Darlegung des Dreiperioden- systems Vor dem Hintergrund des Panoramas zeitgeistlen- „Forschung beruht auf wildem Denken, und kender Grundstrukturen möchte ich nun von Thom- wildes Denken setzt stummes Wissen voraus.“ sens Essay ausgehend danach fragen, was archäo- Rheinberger, 2005a: 62 logische Zeitlogik, nach dem wie sie in der frühen Methodik sichtbar wird und Zeitkonzepte fortan deut- Die archäologische ‘Entnebelung der Vorzeit’ lich kennzeichnet, eigentlich sein kann. Wie machten durch die Beschäftigung mit Materialität und Zeit als die gerade geschilderten Zeitrealisierungen um 1800 solche ist keine Idee des 19. Jahrhunderts. Von einer Archäologie? Welche gingen in die archäologische langen Entwicklung sind Stationen aus dem Altertum Methodik ein und welche nicht? Welchen Zeitvor- bis in die Neuzeit bekannt (siehe Schnapp 2009). So stellungen zufolge schrieb man den alten Dingen eine sprach der Comte de Caylus17 Mitte des 18. Jahrhun- bestimmte Zeit in der Vergangenheit zu? derts vom Fortschreiten des Geschmacks und den Veränderungen der Dinge im Laufe der Jahrhunderte In der Kurzgefaßten Übersicht tragen zwei Heran- (dazu Schnapp 2009 [1993]: 263), und Caylus ist bei gehensweisen die darauf aufbauende Argumentation weitem keine Ausnahme. Die archäologische ‚Ent- des verzeitlichenden Konzeptes Steinzeit – Bronze- nebelung der Vorzeit’ durch die Verbindung von Ma- zeit – Eisenzeit maßgeblich: die von Thomsen ver- terialität und Zeit in Form eines Systems hingegen ist tretene Geschichtstheorie und die methodologische eine Idee des 19. Jahrhunderts und die systemische Unterscheidung zwischen Denkmälern und Alterthü- Begründung entfaltet maßgeblich Thomsens Kurz- mern. gefaßte Übersicht mit derjenigen archäologischen Zeitlogik, die Stein-, Bronze- und Eisenzeit als ar- Vor seiner Darlegung der Systematisierung der chäologische Zeitvorstellung etablieren sollte und Zeit durch Denkmäler und Alterthümer lotete Thom- damit den Vorstellungsraum für die älteste europä- sen in einer Art Einleitung die Denkmäler und Al- ische Kulturgeschichte rationalisierte. terthümer und die schriftlichen Quellen bezüglich

Thomsen war zugleich auch derjenige, der sich – 18 Siehe die interessante Darlegung der Dreiperioden- geschichte: Stemmermann 1934: 123. Ebenda zu ver- äußerst erfolgreich – mit der oben knapp geschilder- schiedenen Dreiperiodenideen und ihrer Rezeption. Dazu sind besonders lesenswert die Gedanken von 17 Mit Schnapp war Caylus Vorbote „einer neuen Ära der Hans-Georg Bandi (1994). Wichtige Studien zum Archäologie“, indem er Grundlagen für eine deskrip- Dreiperiodensystem sind m. E. Hansen 2001 – zu tive Typologie schuf (Schnapp 2009 [1993]: 265). Ca- ‚Zeit, Verzeitlichung und Thomsen’ einige der inter- ylus beobachtete Mitte des 18. Jh. den Fortschritt des essantesten Arbeiten sind: Eggert 2001; Gräslund Geschmacks in den Veränderungen der Dinge. Indem 1974, 1981, 1987, Jakobsen 2004, 2007; Jensen 1987; er alle Objekte zeichnete, entwickelte er eine Theorie Klindt-Jensen 1975; Street-Jensen 1985, Rodden der Typen, die visuell den Fortschritt der Zeit als Ver- 1981; siehe insbesondere die Literaturliste bei Hansen änderung des Geschmacks formulierte. 2001.

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ihrer jeweiligen spezifischen Aussagemöglichkeiten Fremdwort prähistorisch‘ und trat für ‚urgeschicht- aus. In einer Gegenüberstellung textlicher und ding- lich‘ ein, jedoch ohne Erfolg.“ Gummels These zu licher Quellen diskutiert er das Erkenntnisinteresse dieser früh bemerkten Paradoxie ist: „daß damals die und -potential beider Kategorien. Damit sind jene beiden Begriffe nicht nur gleichzeitig nebeneinander Grundansätze zur Altertumswissenschaft ausgeführt, verwendet wurden sondern außerdem auch noch in die das Dreiperiodensystem und mit ihm die archäo- verschiedener zeitlicher Bedeutung. Dabei wurde logische Argumentation prägen und formen sollten. die Vernunft noch weiter vergewaltigt, indem nicht Aufschlussreich ist die Gegenüberstellung bezüglich etwa im Sinne der Geschichtsschreiber während der des jeweiligen Erkenntnispotentials der antiken Zeit- Romantik die unmittelbar der eigentlichen Geschich- zeugen, denn in dieser Kontrastierung wird zugleich te vorausgehende Zeit als Urgeschichte und eine die Erkenntnismöglichkeit der damaligen Archäo- noch ‚grauere Vorzeit‘ als Vorgeschichte bezeichnet, logie verdeutlicht. Die Abhandlung beginnt so: „So sondern gerade umgekehrt verfahren, also die Ur- ausgemacht es ißt, daß eines Volkes oder Landes Ge- geschichte v o r die Vorgeschichte gesetzt wurde“ schichte, das ist eine zusammenhängende, nach der (siehe Gummel 1938: 214f.). Dieser Disziplinbegriff Zeitenfolge geordnete Erzählung von Begebenheiten zeigte das allgemeine Verhältnis von Zeitverständnis und Personen, nicht wohl bedacht werden kann, ohne und Geschichte durch archäologische Forschung an. auf geschriebenen historischen Hülfsmitteln, oder Thomsen verwendet ihn nicht. wie sie genannt werden, auf unmittelbaren Quellen gegründet sein kann, so gewiß ist es zugleich, daß Zugleich können Denkmäler und Alterthümer als auch Denkmäler und Alterthümer aus der Vorzeit, „mittelbare geschichtliche“ Quellen in ihrer neuen, sowohl stumme als auch redende, mit Fug Anspruch temporalen Entgrenzung des historischen Blickes, machen können für mittelbare geschichtliche Quel- dadurch dass sie nun als älteste Zeitzeugen mensch- len angesehen zu werden“ (Thomsen 1837: 24). licher Kultur angesehen werden, keine „chronolo- gischen Bestimmungen fest[zu]setzen“ (Thomsen Demnach ist Geschichte eine solche Erzählung, 1837: 25), denn sie sind älter als die für die Ge- die nach der Folge von Zeiten geordnet ist; eine Er- schichtsschreibung grundlegende Schrift. Und darin zählung die auf mittelbaren wie unmittelbaren Quel- besteht kein Widerspruch, ganz im Gegenteil. Genau len aufbaut, auf archäologischen und schriftlichen dieser Umstand beschreibt die Eigenzeit19 zu Beginn Überlieferungen. Anschließend wird die Aussage- der Archäologie: Erstens sind Denkmäler und Altert- kraft beider Kategorien diskutiert: „ ... sind sie [die hümer die ältesten Zeitzeugen menschlichen Lebens Denkmäler und Alterthümer] doch, gesammelt und in der Vergangenheit und zweitens sind sie eben so zusammengehalten, im Stande, uns eine anschau- alt, dass ihnen keine Zahl im chronologischen Sinne lichere Vorstellung von der Stammväter Religion, zugewiesen wird. Denn diese Frage war für die Vor- Kultur, äußerem Leben und Anderem zu geben, als zeit nicht grundlegend präsent, da sie ihre Antwort die schriftlichen Quellen, denen nie ein solch hohes in einem archäologischen Zeithorizont fand, der im Alter beigelegt werden kann, in denen alte Sagen mit Großen und Ganzen und gerade noch in die biblische neueren Überlieferungen vermischt sind und von de- Weltzeit eingepasst wurde. nen man, da sie in späterer Zeit niedergeschrieben sind, annehmen muß, daß sie oft bedeutende Entstel- Das Neue in Thomsen Ausführungen liegt also lungen erlitten haben“ (Thomsen 1837: 25). Diese auch darin, dingliche Funde als die ältesten Zeitzeu- ältesten, geschichtlichen und mittelbaren Quellen gen der Geschichte des Menschen anzusehen und vor sind immer Denkmäler und Alterthümer aus Zeital- diesem Hintergrund eine Methode zu entwickeln, tern der Vorzeit, niemals aber der Vorgeschichte. Vor- die älteste menschliche Geschichte durch ein über- geschichte oder Prähistorie, „jener Terminus, der eo greifend anwendbares System erschließbar macht ipso außerhalb des epistemologischen Feldes steht, – durch die Ordnung der Zeit. Die Entstellung, wie das als Geschichte bezeichnet wird“ (Cartier 2000: Thomsen die Veränderungen der schriftlicher Funde 148), wird ab den 1830er Jahren in Skandinavien ge- nennt, der ohnehin späteren Texte durch noch spätere läufig (siehe Rowley-Conwy 2006) und ironischer- Abschriften entspricht der Herangehensweise Thom- weise später zum Disziplinbegriff. Als Einschub ist sens, mit der er Denkmäler und Alterthümer als „mit- hier eine Reflexion dazu interessant: Hans Gummel telbare geschichtliche Quellen“ auffasst. schreibt, meiner Meinung nach sehr treffend in Be- zug auf diese nicht ganz unwesentliche Auslegungs- 19 Der hier gebrauchte Begriff ‚Eigenzeit’ ist nicht kon- gruent zur ‚kulturellen Eigenzeit‘ im Beitrag Ickerodt frage: „Schon 1886 wandte sich K. Jansen gegen das in diesem Band. Die ‚archäologischen Eigenzeiten’ unlogische ‚gangbar gewordene, halb aus Barba- wären allerdings durchaus ‚kulturelle Eigenzeiten’, je- renlatein, halb dem Griechischen zusammengesetzte doch in epistemologischer Hinsicht. Anm. d. Heraus- geberinnen.

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Das Wahrnehmen, dass Alterthümer und Denk- (Thomsen 1837: 25). Denn: „Ein Grabhügel, ..., ein mäler der Vorzeit die ältesten Informanten für eine metallener Schmuck, aus der verdeckten Grabkam- Geschichte des Menschen überhaupt sind, gepaart mer ausgegraben, gibt uns ein lebendigeres Bild von mit der Ansicht, dass sie „eine anschaulichere Vor- dem Alterthume als Saro oder Snorre ...“ (Thomsen stellung von der Stammväter Religion, Kultur, äuße- 1837: 25). Die Gegenüberstellung der mittelbaren rem Leben und Anderem“ (Thomsen 1837: 25) ge- und unmittelbaren historischen Quellen argumen- ben können, charakterisieren die neue Möglichkeit tiert, dass archäologische Objekte „ein lebendigeres im Umgang mit der archäologisch erkundbaren Al- Bild von dem Alterthume“ geben und bilanziert glei- ten Welt: nämlich, dass die „Überbleibsel der Vor- chermaßen die damals gegenwärtige Situation, die zeit“ dazu beitragen, „die schriftlichen Quellen zu für die Neuformulierung der im wissenschaftlichen ergänzen, die Gränze unsrer Kenntniß über die Pe- Zeitgeist um 1800 aktuellen Idee von Stein–Bronze– riode auszudehnen, wo jene erst anfangen Glauben Eisen und anschließend für die Etablierung der Drei- zu verdienen ...“ (Thomsen 1837: 25). periodenargumentation ausschlaggebend war: Denn, zum einen wäre es bedauernswert, dass die Denkmä- Dieser Ansatz bildet das Grundverständnis von ler oft „auf geschmacklose unwissenschaftliche Art“ Geschichte, auf dem die Dreiperiodensystematik (Thomsen 1837: 26) behandelt worden seien und aufbaut: Die Dinge vermögen die Grenze dessen das Wissen der letzten zweihundert Jahre, selbst das auszudehnen, bis wohin Geschichte zu Thomsens der großen skandinavischen Archäologen wie „Olof Zeit reichte, da sie von allem Erhaltenen aus der Rudbecks und Ole Worms“ (Thomsen 1837: 26), ver- Vergangenheit das Älteste sind. Getragen durch loren gegangen bzw. in den Forschungen zum Alter- diese Erkenntnis erweitern sie den archäologischen tum nicht präsent gewesen sei, zum anderen konsta- Blick in eine neue „Tiefenzeit“ (Gould 1995) als tiert Thomsen das neue zeitgenössische Interesse am Geschichte der Menschen. Damit sind die Erkennt- archäologischen Altertum: „Kaum ist zu irgendeiner nismöglichkeiten der darauf folgenden Darlegung Zeit das Interesse für das Studium der Nordischen der Zeitalter klar präfiguriert. Die Zeit ohne Zahl Vorzeit ... mehr verbreitet und wirksamer gewesen, birgt einen großen, unermesslichen Raum. Durch die als in der gegenwärtigen.“ (Thomsen 1837: 26). Er- zeitliche Offenheit ist die Argumentation in diesem neutes Interesse der Wissenschaft und „allgemeine neuen Erkenntnisfeld weitmaschig. Der Verlauf der Theilnahme“ (Thomsen 1837: 26) bei archäologi- Argumentation von Thomsen zeigt, auf welche Wei- schen Entdeckungen charakterisieren auch den ge- se Denkmäler und Alterthümer aus der Vorzeit den genwärtigen Stand der Altertumsforschung in ihrer Zeithorizont ausdehnen konnten. Neutemporalisierung, die nun Materialität und Zeit systemisch ineinander binden kann. Nichts konnte in So sehr die gerade geschilderte Problematik durch der industrialisierenden Gegenwart des ‚Materialen die dinglichen Quellen radikal einschränkend scheint Mehr’ aktueller werden als die materialbasierte Tem- „Vermögen solche [Denkmäler und Alterthümer] poralidee von Stein, Bronze und Eisen. nicht, uns mit neuen Tathsachen bekannt zu machen“ (Thomsen 1837: 25), so sehr wird damit Neues ge- In dieser neuen und folglich unvorwegnehmbaren dacht, nämlich: dass die ältesten „Überbleibsel[n] ei- Weltzeitbildung war die Verwirklichung der Zeitalter ner verschwundenen Zeit“ (Thomsen 1837: 26) den Stein-, Bronze-, Eisenzeitalter als System eingebet- Zeithorizont der Geschichte mit der Vorgeschichte tet. Diese neuen Zeitrealisierungen legen den Fokus mit „mittelbaren geschichtlichen Quellen“ deutlich auf die Materialität, deren Deutung aus Beobachtung ausdehnen. Die implizite Gleichwertigkeit dingli- und – damals gängig – ‚Vergleichung’ (heute: Analo- cher und schriftlicher Alterthümer als historische gie) hergeleitet wird. Von diesen beiden Zeitermög- Quellen, die jeweils verschiedene Aussagen ermög- lichungen, die mir geeignet scheinen, Grundprinzi- lichen, fundiert die Argumentation der drei Zeital- pien der temporalen Logik des Dreiperiodensystems ter zum System und steht zugleich nicht im Wider- und der Archäologie zu veranschaulichen, möchte spruch mit der Vorstellung, dass über archäologische ich einige Aspekte genauer besprechen: In ihrer Erkenntnisse keine neuen historischen Tatsachen ge- Zeithaltigkeit unterscheidet Thomsen Denkmäler schaffen werden können: Solche sind zu Thomsens und Alterthümer. Beiden werden völlig verschiede- Zeit immer lesbar – im wörtlichsten Sinne. ne Zeitstrukturen zugeschrieben, welche wiederum über Denkmäler festgestellt werden. Diese behan- Mit dem gerade skizzierten Interpretationsraum deln die Abteilungen „Grabhügel und Grabstelen“ steckte Thomsen Erkenntnismöglichkeiten ‚ar- und „Steinsetzungen“ (Thomsen 1837: 27–35). Da- chäologischer Zeit-Forschung’ ab und betonte ihre rin basiert die Konstitution der Zeitalter nicht nur, Bedeutung für die Geschichte „unseres Nordens“ doch hauptsächlich auf Gräberanalysen, zumeist

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Gräber und Grabfunde Skandinaviens, insbesondere Thomsen relativiert seine Aussage entscheidend Dänemarks. Thomsen konstatiert: „Etwas Bestimm- und präzisiert sie dabei, wie die gleich zitierte Stelle tes über die innere Einrichtung der Grabhügel zu verdeutlichen wird. Doch die temporalen Deutungs- sagen, ißt sehr schwierig, weil das verschiedene möglichkeiten für das Innen und das Außen einer Zeitalter und verschiedene Bestimmungen, die sich Grabanlage als verschiedene zeitliche Zuweisun- nicht von außen unterscheiden lassen, eine bedeu- gen verweisen bereits darauf, woran zur Zeit der tende Veränderung in der Einrichtung bewirkt ha- Entwicklung der ersten archäologischen Methodik, ben“ (Thomsen 1837: 30). Zeitalter ‚abzulesen’ möglich sein können – an den Alterthümern. Das Deutungsdilemma des Innen und Thomsen (er)kannte einerseits den Wandel der Außen, ganz gleich wie man hier interpretiert, zeigt “von Zeit zu Zeit veränderten Begräbnißart“ schon an dieser Stelle in der Kurzgefaßten Übersicht (Thomsen 1837: 27), insbesondere im Umgang mit die Denkrichtungen aus den temporalen Möglichkei- den Leichen (also im Grab), und differenzierte die ten an, die in Vorstellungen von Materialzeiten resul- Architektur des Äußeren der Grabanlagen typologi- tieren werden. sierend, ohne ihnen dabei Zeithaltigkeit zuzuweisen. In diesem Kontext ist wichtig zu betonen, dass vie- Thomsen präzisiert also seine Beobachtung an le der Megalithgräber zugänglich und zahlreich in runden (!) Hügeln wie folgt: „daß man in den runden Land- und Küstenregionen stehen; oft sind Steingän- Hügeln die mehrsten steinernen Grabkammern ge- ge und Kammern gut begehbar, oft fehlt zudem ein funden hat, daß der Gang (die Steinröhre), welcher Hügel. Das war in Thomsens Gegenwart prinzipiell nach denselben hineinführt, gewöhnlich in glei- ebenso wie es heute ist: einige Megalithgräber sind cher Ebene mit dem umlegenden Lande, gegen Os- sichtbar und zugänglich, andere mussten ausgegra- ten, zuweilen gegen Süden sich angelegt findet, und ben werden. Thomsen kannte beide Möglichkeiten, daß dieser zuweilen auch zum begraben benutzt wor- weshalb seine methodologisch wichtige Aussage den ist; ferner, daß man in e i n e m Hügel mehrere folgende zwei Lesarten ermöglicht. Die eine besagt, Grabkammern nebeneinander gefunden hat. Die Er- dass die verschiedenen Zeitalter und Bestimmungen, fahrung hat überdieß gelehrt, daß in den steinernen hier sind es die Bestattungsbräuche, nicht über Grab- Grabkammern die Leichen, oft unverbrannt, sind form, Grabgröße und Struktur der Anlage erkennbar entweder in den Sand gelegt oder auf Steine gesetzt, sind. Denn äußerlich sichtbare Unterschiede können und daß in dieser Art Grabkammern, welche zu den nicht verschiedene Zeitalter bezeichnen. Es sind die ältesten Zeiträumen gehören, die meisten Sachen Einrichtungen der Gräber, d. h. die Grabbeigaben von Stein gefunden werden, selten etwas von Bron- oder in Thomsens Worten eben die Alterthümer, die ze und Gold, noch weniger von Eisen und Silber“ zeitbestimmend und daher erkenntnistragend sind. (Thomsen 1837: 30). Sie aber fehlen meistens. Der Hügel und die Stein- konstruktionen, also das sichtbare Monument mit Während also die einleitenden Worte Möglichkei- unterscheidbarer, sich in Variationen wiederholender ten und Grenzen der Erforschung der Vorzeit auslo- Architektur, sind allein gesehen nicht aussagekräftig ten und mit der Entgrenzung des historischen Blickes für eine zeitliche Bestimmung. die Erkenntnis stark machen, dass Denkmäler und Alterthümer die ältesten Zeitzeugen sind, werden mit Es ist folglich zu fragen: Was also kann mit Zeit den Abteilungen „Grabhügel und Grabstelen“ und aufgeladen werden? Die Grabstruktur als solche „Steinsetzungen“, Beobachtungen und Erfahrungen kann es nicht, die Einrichtung der Gräber ist leichter mit den Gräbern und „Dingstätten“ (Versammlungs- zeitlich zu verstehen. plätze, Thomsen 1837: 31f.) verschiedener „Zeiträu- me“ behandelt. Diese Zeiträume oder Zeiten – Thom- Die andere Lesart wäre: Die verschiedenen Zeital- sen benutzt beide Begriffe oft synonym – bleiben ter mit ihren spezifischen, jeweils zeitgemäßen „Be- dabei unspezifisch: fern(est)e, ältere, verschiedene, stimmungen“ (heute: Bestattungsbräuche, Thomsen verschwundene, längst verschwundene, spätere, etc. 1837, vielfach u. a.: 33) lassen sich manchmal von Zeiten oder Zeiträume, weil verschiedene Zeitalter außen (Grabbau und -form), aber oft ausschließlich nicht von außen am Denkmal erkennbar sind. Sie anhand der inneren Grabausstattung, der Beisetzung sind es an der vorgefundenen Verbindung verschie- in Form von Brand- oder Körperbestattung erken- dener Alterthümer zueinander. Dabei steht weniger nen. Denn die Form des Grabes, der Hügel oder die bis gar nicht die Beobachtung des Bodens selbst, hügellose Steinanordnung bleibt unverändert, wäh- also des Fundortes, im Vordergrund als vielmehr die rend sich die Bestattungsart darin, also das Innere Beobachtung, welche Dinge zusammen an einem des Grabes, wandelt. Ort gefunden wurden. Damit wird der Blick mehr

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und mehr auf die Objekte geleitet. Sie sind es, die dieser Zeitvorstellung – man könnte auch sagen, Zeiträume in Zeitalter zu präzisieren vermögen. Die die Zeiträume sind die temporalen Grundlagen der Beobachtung dessen, was oft zusammen, manchmal Ausformulierung archäologischer Zeit – baut in ei- zusammen oder nie zusammen in einem Grab anzu- nem zweiten Schritt die zeitliche Spezifizierung treffen ist, sollte später u.a. als ‚Fundkombination’ der Zeiträume durch Althertümer auf. Sie spe- oder ‚Fundvergesellschaftung’ eines der Hauptkrite- zifizieren die temporalen Argumente: durch die rien temporaler Ordnung in der Archäologie werden. Zeitlichkeit(szuschreibungen), die durch die Dinge Thomsen schuf mit der wiederholten Herausstellung ermöglicht werden, entstehen Zeitalter, die für das dieser Beobachtungsstrukturen, wie in den zitierten System Stein-, Bronze-, Eisenzeit stehen. Passagen, die methodologische Grundlage für einen solchen Objektkontext. Diese Form der Zeitvorstellung tritt erneut hervor, jetzt bei den „Urnen und andere Grabgefäßen: Kein Auf die so zusammengeführten Bestandteile für Material wurde so allgemein und so lange Zeit hin- eine Theorie „was man zu einem gewissen Zeitrau- durch angewandt; man findet daher diese von den ro- me wird hinführen können“ (Thomsen 1837: 62), hesten und einfachsten bis zu den aufs Vollkommenste über die Beobachtung an Denkmälern vor Ort, folgt ausgearbeiteten, mit wenigen Ausnahmen alle aus die Abteilung zu „Sachen aus der heidnischen Zeit“ freier Hand ohne Töpferscheibe verfertigt ...“ (Thom- (Thomsen 1837: 35–57). Sie verweist auf eine deut- sen 1837: 39). Es ist die lange Zeit, in der Keramik lich anders gelagerte Temporalität durch die Sachen genutzt wurde, die erneut betont wird: obwohl man (Alterthümer), als diejenige, die über Denkmäler Urnen aus Keramik zwar von den ältesten Zeiten möglich ist. Beide zusammen, Orte und Sachen oder an benutzte (Thomsen 1837: 39), wurden sie durch Denkmäler und Alterthümer, sind der Schlüssel zur einen viel längeren Zeitraum als Steinsachen ge- Konstitution archäotemporaler Logik. Die Sachen, braucht. Eine andere zeitliche Differenzierung findet in Abteilungen untergegliedert, sind nach Arten ein- an dieser Stelle nicht statt. Aber, kein Material wur- geteilt. Auf die „Steinsachen“ folgen „Urnen und de auch so allgemein und so lange verwendet wie andere Grabgefäße“; sie „gehören einem bei Weitem Keramik. Folglich beginnt die Gliederung mit den längeren Zeitraume an, als die Steinsachen, und Steinsachen – „1. Stein, 2. Von gebranntem Thon“ sind von den ältesten Zeiten des Heidenthums an (Thomsen 1837: 39). Zum einen dienen Steinsachen bis zu dessen allerletzten, ..., gebraucht worden.“ also als zeitlicher Marker für einen langen, vor al- (Thomsen 1837: 39). lem aber begrenzbaren, Zeitraum. Dieser wird von Ton nicht erfasst, denn Keramik geht durch die ver- Zeitangaben wie diese – die Zugehörigkeit zu ei- schiedenen Zeitalter bis jetzt hindurch. Zum ande- nem Zeitraum bestimmter Länge und die Reihenfol- ren sind es „die steinernen Sachen, ..., welche dem ge der Zeiten z.B. die allerletzten etc. Zeiten – bezie- fernesten Zeitalter angehören“ (Thomsen 1837: 35). hen sich in der gesamten Untersuchung der Sachen Das ist wichtig, denn die Kurzgefaßte Übersicht hat nie auf ein Wann. Nicht wann ein Zeitraum war, zum Ziel, „das ungefähre Alter von Alterthümern zu sondern wie die Folge und Länge von Zeiträumen bestimmen“ oder, so fährt Thomsen fort „wenigstens durch die Materialität der Dinge bestimmt ist, das ist [zu bestimmen] zu welchem Zeitraume sie gehören“ es, was die archäologische Tiefenzeit schafft – hier, (Thomsen 1837: 62). ganz im Sinne der Zeitrealisierung durch Urnen. Die zeitliche Dauer archäologischer Tiefenzeit steht und Das Alter der Dinge ist das Alter der Zeit: die entsteht immer in temporalen Relationen, die durch Zeitalter, charakterisiert als „Stein=Zeitalter“, andere Dinge anderer Materialität vorgegeben sind. „Bronze=Zeitalter“ und „Eisen=Zeitalter“ (Thom- Hier sind die Urnen in einem längeren Zeitraum ein- sen 1837: 58–62), werden grundsätzlich durch Ma- gebettet, der durch die Steinsachen bestimmt ist. Die terialien festgelegt. Sie werden in ein Davor und Dauer eines Zeitraumes ist also durch Materialrela- ein Danach geschieden: die ältesten, die spätesten, tionen begrenzbar. Aus dem Wie, dem dinglichem fernsten, kürzeren oder längeren Zeitalter, die immer Aussehen der Zeiträume – Wie ist ein Zeitraum be- spezifischer bleiben als die ähnlich angelegten Zeit- schaffen? Welche Kombinationen von Sachen gibt es räume. Dies zeigt etwa die argumentative Gegen- in einem Denkmal, an einem Ort? – sollte die Logik überstellung von Bronze und Eisen: „Äxte, entweder Archäologischer Zeit resultieren. von Kupfer oder von Kupfer mit eiserner Schärfe, welche wahrscheinlich nur der Zeit angehören Beobachtet man diesen Aspekt, fällt auf, dass können, da das Eisen theurer als das Kupfer war, er auch bei allen folgenden Zeitüberlegungen in oder auch von Eisen, welche die jüngsten sind.“ der Kurzgefaßten Übersicht hervortritt. Genau auf (Thomsen 1837: 45).

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Zeitalter werden damit in eine Zeitfolge gesetzt, zwar angegeben durch das Material, gesucht wird aber die dazu angelegt ist, einen größtmöglichen (und das Alter der Zeit, das Alter der ‚Vorzeit’ und nicht das zudem einen verschwundenen, längst verschwun- der Dinge oder der Denkmäler; dies halte ich für ent- denen, fernsten etc.) Zeitraum, wie die ‚heidnische scheidend. Der Zeitraum strukturiert die Vergangenheit Zeit’, in seiner zeitlichen Folge als Zeitalter mit ihren in weitmaschige Räume der Zeit, meistens eines Da- verschiedenen „Culturschritten“ zu erfassen (Thom- vor und Danach: entferntere, spätere, älteste, allererste sen 1837: 59). Diese Zeitalter beschreibt Thomsen etc. Zeiträume oder Zeiten. Durch die Zeiträume der im Kapitel „Die verschiedenen Perioden, in welche Denkmäler werden die Zeitalter möglich, in denen die die heidnischen Alterthümer gesetzt werden können“ Dinge das Alter einer bestimmten Zeit (Stein-, Bronze-, (Thomsen 1837: 57–64) am Ende seines konzisen Eisenzeit) oder eines unbestimmteren Zeitraumes (z. B. Essays, dessen Schluss eine weitere Methode vor- der späteste Zeitraum oder die späteste Zeit) haben. stellt: „Um das ungefähre Alter von Alterthümern Die Zeiträume werden durch die Funktion oder die Be- zu bestimmen, oder wenigstens, zu welchem Zeit- stimmung der Denkmäler (wie war die Zeit?) erkannt. raume sie gehören, giebt es noch eine Anleitung, Erst die Zeiträume ermöglichen also die darin stattfin- welche bis jetzt noch wenig mit Rücksicht auf die denden Zeitalter: Zeitalter sind die Alter der Zeit. So nordischen angewandt worden ist, nämlich diese, ist die Übergangsperiode, markiert durch die Quantität die angewandten Formen und Zierarthen zu unter- des Gebrauchs von Bronze und Eisen, die „allerersten suchen, um durch Vergleichung und Bemerkung, Zeiten“ des „Eisen=Zeitalters“ (Thomsen 1837: 61), welche Arten in Verbindung gefunden werden, da- ein Zeitraum also, der klar in einem Zeitalter stattfindet. hinter zu kommen, in welcher Ordnung hiemit Ver- Das Eisenzeitalter insgesamt ist die letzte Periode (also änderungen vor sich gegangen sind, und was man, eine genaue Zuweisung) der heidnischen Zeit (der ge- schon den Zierathen nach, zu einem gewissen Zeit- samte Zeitraum der Vorzeit). Diese Zuweisungen zeigen raume wird hinführen können“ (Thomsen 1837: 62). die Möglichkeit dessen an, was zur damaligen Zeit eine Das funktioniert in den Grundzügen so: „Alles, was weiter gefasste Zeitangabe und was eine genaue Zeitan- künstlicher und zusammengesetzter ist, kommt uns- gabe war. Die Möglichkeiten der Zeithaltigkeit werden rer Zeit näher. Nach dieser Ansicht ist unser System methodologisch auf diese Art differenziert. eingerichtet ... unsere heidnischen Sachen fallen in drei Haupt–Epochen oder Abteilungen“ (Thomsen In der Kurzgefaßten Übersicht liegt das Hauptaugen- brieflich, 1824, aus: Seger 1930: 3). merk der Argumentation auf dem „Denkmal“ Grab; in ihm liegt die Priorität für die Verbindung von Althertü- Thomsen entwickelte die zwei spezifischen Zeit- mern am selben Ort. Thomsens Augenmerk ist nicht ver- erkennungen, die Zeiträume und die Zeitalter, die er wunderlich, denn es waren Gräber, die sichtbar waren dann miteinander verzahnte. Denn die Zeithaltigkeit und das archäologische Interesse im Skandinavien von der Dinge und der Gräber ist grundverschieden. Vo- Thomsens Zeitgenossenschaft weckten. Das lag wiede- raussetzung dafür ist die Beobachtung an den Denk- rum daran, dass archäologische Grabungen ins Nicht- mälern in situ. Daneben „giebt es noch eine Anlei- sehbare des Bodeninneren kaum soweit etabliert waren tung“ (Thomsen 1837: 62): Das Erkennen der Zeit – im Gegensatz zu den Dingen, die topographisch oder an der Form der Dinge, an ihren „Zierathen“. Diese durch sichtbare Sammlungen hervortraten – als hätten Methode baut Thomsen auf die vorgefundene Ver- sie in methodenbildender Weise forschungsleitend sein bindung der Dinge (heute: Fundkontext; bisweilen können. Und schließlich sind Gräber ihrem Wesen nach auch: Befund), also einer Verbindung mit ihrem to- Zeittresore, die Assemblagen von Dingen zusammen pographischen Ort im Altertum, auf, um damit den konservieren, die in einer Zeitgenossenschaft präsent Verlauf der Zeit zu präzisieren: „... die angewandten sind. Dies hat Thomsen temporalorientiert methodolo- Formen und Zierathen zu untersuchen, um durch gisiert, oder anders gesagt: verzeitlicht. Vergleichung und durch Bemerkung, welche Arten in Verbindung gefunden werden, dahinter zu kom- Materialität als Zeit und Lebensform, und beides men, in welcher Ordnung hiemit Veränderungen vor- zusammen als evidente Gegebenheiten, spiegeln die gegangen sind, und was man, schon den Zierathen Methodologisierung der Archäologie im Zeitgeist des nach, zu einem gewissen Zeiträume wird hinführen ‚Materialen Mehr‘. Die Zeitlichkeit des dingorientierten können.“ (Thomsen 1837: 62) Arguments ist präfiguriert durch die starken allgemei- nen temporalen und materialtemporalen Veränderungen Halten wir fest: Thomsen spricht oft von Zeitaltern der damaligen Gegenwart, wie weiter oben geschildert. und Zeiträumen. Der Unterschied zwischen beiden ist In seiner archäotemporalen Logik beinhaltet das dingo- bereits im Wortsinne greifbar: das Zeitalter ist das Alter rientierte Argument Thomsens ‚eine Zeit in Zwei’, das der Zeit, eine doppelte Temporalität, denn die Zeit ist die Erklärungsmuster für die explizite Interpretation der

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Denkmäler und der Alterthümer anlegt. Thomsen eta- blierte auf diese Weise eine Archäologische Eigenzeit – eine Objektzeit –, die seine direkten Nachfolger und später auch Nachfolgerinnen verfeinern werden und deren Prägnanz doch besonders offensichtlich ist. Aber Abb. 1: ‚Schiffsetzung‘ aus Thomsen 1837: 34. Es handelt nicht nur auf diese Weise wird die Objektzeit evident. sich um das einzige Bild, das in Thomsens Terminologie keine ‚Sache‘, sondern ein Denkmal (‚Steinsetzungen‘) zeigt.

IV. Forschungsformen und Archäologische diesem Einschluss immer auch das, was der Gegen- Zeit: Die Unsichtbarmachung des Sehbaren wart erst einmal entzogen ist. Sei es, weil die Jahr- tausende entfernte Zeit unsehbar im Boden schlum- „Wir können niemals ein Bild verstehen, solange wir mert oder fragmenthaft an Objekten – vereinzelt und nicht erfassen, wie es zeigt, was nicht zu sehen ist.“ verteilt über die Museen der Welt – haftet. Welche Mitchell 1990: 50 Reste sind zu welcher Zeit interessant, erforschbar, gegenwärtig? Jede Gegenwart sieht, indem sie sicht- Mit seinem Ziel, zu untersuchen, was man zu bar macht, was sie wissen will und kann. Das bedingt einem gewissen Zeitraume wird hinführen können, ihre Sehmöglichkeiten. begründete Thomsen sein System von dem verschie- denen Alter der Zeit zweistufig über Denkmäler und Die Bilder der Kurzgefaßten Übersicht zeigen damit über Alterthümer. Dabei zeigt sich nun aber einzig Alterthümer. Sie visualisieren damit ganz all- eine deutliche Diskrepanz: Während er über Bezie- gemein, dass die Zeit im Objekt und nicht etwa am/ hungen zwischen Boden und Objekt, über Ausgra- im Boden ist. Zeiträume sind kein Zeitbild, Zeitalter bungen, Interpretationen von ‚Fundkontexten’ etc. schon. Mir scheint dieser Bildbefund wichtig für die argumentierte und betonte, dass jemand der Alter- gesamte Zeitthematik der Archäologie, weshalb ich thümer spürt (findet, U.S.), sich an einen Fachkun- diesen Essay mit einigen Überlegungen zum archäo- digen wenden solle, „der die Verbindung derselben logischen Bild abschließen möchte. beobachten; und aufzeichnen kann, was zu wissen wünschenswert ist“ (Thomsen 1837: 93), argumen- Archäologische Sichtbarkeiten20 sind immer auch tierten Thomsens Sichtbarkeiten ausschließlich über Verwirklichungen. Visualisierungen dieser Art – wie Funde. In der gesamten Publikation ist kein einzi- Thomsens Alterthümer – bilden ab, was nicht zuge- ger Grabhügel, keine steinerne Grabkammer, kein gen ist: (entfernte) Orte, Gebäude, Museumsstücke Bild zusammengefundener Sachen zu sehen, keine Leichen oder Urnen in den oft beschriebenen Po- sitionen. Bis auf eine Steinsetzung (Abb. 1), sind einzig und viele Altherthümer dargestellt (Abb. 2). Ausschließlich vereinzelte Dinge, keine „Urnen und andre Alterthümer oben in dem Hügel, oder am Ran- de“ ... werden gezeigt, auch „bestimmtere und deut- lichere Überbleibsel von Holz und Leder, ja selbst merkwürdige Leichen und Kleidungsstücke ...“ etc. etc. werden nicht als Bild veranschaulicht (Thomsen 1837: 91).

Wir wissen: die Zeit steckt in den Dingen. Sie konservieren fragmenthaft Zeiträume und Zeitalter. Abb. 2 Stellvertretend für die Visualisierungen des Sys- Die Archäologie kann wie die Astronomie in die Ver- tems der Zeitalter ein Ausschnitt einer Seite aus Thomsen gangenheit, besser in die Zeit, schauen und zudem sie 1837: 44. anfassen. Dass sie die erstaunliche Unwahrschein- lichkeit, dass wir auf der Erde leben u n d sehr weit entfernte Zeiten sinnlich als solche wahrnehmen können, zur Voraussetzung hat, erklärt die Strategien 20 Als derzeitig vielfaches Forschungsinteresse, wird Sichtbarmachung häufi g in ihrem bildlichen Charakter archäologischer Vergegenwärtigung: Archäologie gedacht; pars pro toto: Heßler 2006. Einleitend: Heinz schließt die Spuren Jahrtausende entfernter, geleb- und Huber 2001. Über Schriftbildlichkeit sehende Er- ter Zeiten ins (jeweilige) Jetzt ein und erkundet mit kenntnis buchstäblich verstehen: Krämer 2001: 347– 365.

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etc. Dabei sind sie nicht ausschließlich unabdingba- indem sie beispielsweise einen Erkenntnisstand res Medium der Forschungskommunikation, sie sind – hier Thomsens Priorität der Alterthümer in sei- auch immer Argument der Genese und Kommunika- ner Zeitargumentation – veranschaulichen. Dabei tion von Fragen, Erkenntnis, Wissen und Nichtwis- macht das, was nicht zu sehen ist, die Bilder umso sen; und vor allem sind archäologische Bilder immer verständlicher: Denn die Möglichkeit der Gegen- ein Artefakt des Forschungsprozesses selbst. Da- überstellung von sehbar und sichtbar aus demselben durch sind diese Veranschaulichungen zugleich stets materiell Vorhandenem, erhellt durch den nachträgli- Interpretationen, sie geben eine bestimmte Sicht chen Blick auf die Genese archäologischen Wissens, wieder – damit sind archäologische Bilder (auch) ar- die Bedingungen unserer Vorstellung von der Alten chäologische Argumente. Welt. Das Sichtbargemachte entspricht nicht dem sinnlich Wahrgenommenen. Es wird eine bestimmte Sichtbarkeiten sind nicht mit Bildern gleich zu Sicht wiedergegeben, wie die Diskrepanz der visu- setzten, alles sinnlich Wahrnehmbare evoziert Bilder ellen und textuellen Argumentation zum Dreiperi- wie verbale Metaphern es beispielsweise tun – könn- odensystem veranschaulicht oder wie beim Prinzip te man einwenden. Doch Archäologie ist durch ihren der Grabung ins Bodeninnere, bei dem auch erst dinglichen Forschungsgegenstand a priori haptisch aus der Unsichtbarmachung des sehbar Vorhande- wie visuell angelegt. Diejenigen Sichtbarkeiten, die nen archäologische Sichtbarkeiten pro(ze)du(alisi)- immer auch ersetzen, was nicht zugegen ist – ferne ziert werden. Bis zum Moment der Ausgrabung Topographien, Museumsstücke etc. – werden aus schlummert die menschliche Vergangenheit in der sehbar Vorhandenem erzeugt. Sie sind visuelle Stell- ‚Erdballhaut’21, von der wir nur als solche wissen. vertreter eines Argumentes. Die Objektbilder Thom- Erst ab dem Moment der Geschichte, in dem wir in sens fassen Erkenntnisziel und Ergebnis in visueller und auf die sogenannte Kulturschicht, die oberste, Darstellung zusammen: weniger wird als Bild ge- abschließende Erdschicht, schauen und sehbar ma- zeigt, was (im Museum beispielsweise) an Funden chen, was sichtbar sein soll, zeigt sich, was Augen- vorhanden ist, vielmehr wird die archäologische merk oder Erkenntnis der Archäologie ist. Forschung und ihr Kerngegenstand abgebildet: Die Objektbilder zeigen nicht die alte Idee von drei Pe- Die Archäologische Eigenzeit, gesehen über rioden; sie zeigen die Zeitalter in den Alterthümern, Denkmäler und Altertümer, zeigt sich im Objektbild die sie darstellen. Dabei visualisiert das Objektbild – als ein visuelles Resultat der Thomsenschen Un- die Idee, aus Dingen Geschichte zu machen. Es zeigt tersuchung, da die Zeit in den Dingen steckt und das damit auch, was in der archäologischen Kommuni- sind die Alterthümer, die das Alter der Zeit zu be- kation unsehbar gemacht wurde: das Denkmal (die stimmen vermögen. Mit der Objektzeit schuf Thom- Steingräber), der Boden und die Begräbnisarten, die sen zugleich ein Leitbild archäologischer Forschung: Dinge, die zusammen gefunden wurden bzw. die das quasi ‚schon immer’ existierende archäologische Verbindung der Alterthümer – Kernargumente in Objektbild wird mit dem Dreiperiodensystem eben- Thomsens Systemdarlegung. so kanonisch, wie die darin begründeten Zeitalter; es wird auch Sinnbild für die später epocheanzeigenden Die sinnliche Wahrnehmung der Vergangenheit ‚Leitfunde’ – doch das ist ein eigenes Thema. bedeutet konkret archäologisch also auch, dass erst die Unsichtbarmachung des Sehbaren archäologi- Die prognostischen Strukturen, die in der darge- sche Sichtbarkeiten bilden: nicht nur Archäolog_in- stellten Entwicklung früh angelegt sind wie die Er- nen kennen das von der Ausgrabung. Jeder Blick auf kenntnis der Jahrmillionen von Erdgeschichte Mit- und in die Erde ist Auswahl, und es bleibt das, was te des 18. Jahrhunderts und die Verzeitlichung der sichtbar sein soll und kann, alles andere verschwin- Dingwelt etwas später, binden in der Archäologie als det wieder ins Unsehbare der Erde und wird nicht neue Form der Forschung relational Zeiterfahrung, dokumentiert. Für Thomsen sind sowohl Denkmäler Zeitgeist und Zeitkonzept als Logik ihrer Methodo- als auch Altertümer sehbar vorhanden, sichtbar ge- logie ineinander. Mit Thomsens System wurde dann macht werden ausschließlich Altertümer. Folgt man eine Zeitstruktur stabilisiert, deren grundsätzliche einer bildlichen Argumentation, so sind die Denkmä- Aktualität, Wissen über die Alte Welt zu schaffen, ler aus der visuellen Deutung gefallen. sich bis etwa Jetzt (um 2000) hält/hielt. In ihrem Weltbild verändernden Charakter ähneln die extre- Archäologische Sichtbarkeiten sind immer auch men temporalen Veränderungen der Jahrzehnte um Resultate, sei es die visuelle Dokumentation auf 1800 den jetzigen durch das Internet sehr. Die in Grabungen oder seien es die Objektbilder, die For- diesem angelegten Zeitstrukturen verkürzen (algo- schungs- und Erkenntnisprozesse dokumentieren, 21 Dazu: Stabrey in Vorbereitung.

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rithmisch) die Zukunft in die Gegenwart – und präfi- sich über die innere Struktur, also über die Einrich- gurieren (auch damit) neue nonlineare Zeitstrukturen tung der Gräber, die Zeit präzisieren. für die Erklärungsmuster der ebenfalls immer prä- senteren Vergangenheit. Meine Untersuchungen hoffen zu zeigen, dass und wie Archäologische Zeit zu einer ‚Objektzeit’ Sie werden simulierbar gewesen sein werden oder methodologisiert wurde – eine Zeit, die in den Din- von anderer Seite betrachtet: selbst vergangen, wenn gen steckt; eine Zeit, die vor allem in den einzelnen Geschichte geworden, werden sie auch Teil einer archäologischen Objekten steckt, die das Alter der vergangenen Zukunft sein, die jetzt noch gegenwär- Zeit am Anfang einer Geschichte durch Dinge zu be- tige Zukunft ist. stimmen vermögen.

Das Weltbild um 1800, durch den Wandel einer Weltzeit biblischer Schöpfung in Zeitgefügen ratio- Zusammengefasst naler Erkundungen charakterisiert, bildet neue tem- porale Relationen, die sich – wie in allen anderen Im industrialisierenden ‚Zeitgeist’ dieser zweiten Daseinsbereichen auch – als Bildwelt manifestieren. Eisenzeit werden Metall und Stein neu verzeitlicht, Auch im Dreiperiodensystem gibt es Bilder. Damit indem Materialkombinationen und Oberflächenge- ist das Bild Archäologischer Zeit immer auch als staltungen von Dingen eine Archäologische Zeit im Bildwelt des Weltbildes (im Wortbild) zu verstehen Dreiperiodensystem konstituieren, die bis heute die und in ihrer archäologischen Form im Dreiperioden- Grundstrukturen Archäologischer Zeit mitgestaltet. system präsent – als Objektbild einer Objektzeit, ent- Diese Verzeitlichung um 1800 setzt sich vor allem standen in der ‘zweiten Eisenzeit’ der Jahrzehnte um durch das Dreiperiodensystem von Thomsen durch. 1800. Darin erfasst das neue Mehr an Dingen eine Tie- fenzeit menschlicher Vergangenheit systemisch und macht damit erstmals ein Zeitkonzept für archäo- logische Untersuchungen übergreifend anwendbar. Bibliographie Die Analyse der Konstitution Archäologischer Zeit der Thomsen’schen Theorie in seiner Kurzgefaßten Assmann, Jan. 1993. Das Doppelgesicht der Zeit im Übersicht ergibt: altägyptischen Denken. In Heinz Gumin und Heinrich Meier, Hrsg.: Die Zeit. Dau- Thomsen kartiert den Vorstellungsraum ältester er und Augenblick, S. 189–223. München: Geschichte und spannt damit den temporalen Argu- Oldenbourg. mentationshorizont für das folgende Zeitsystem auf. Geschichte durch Dinge bedeutet ‘am weitesten ent- Bachelard, Gaston. 1987. Die Bildung des wissen- fernte’ menschliche Geschichte. Diese Geschichte ist schaftlichen Geistes. Beitrag zur Psycho- durch schriftliche Quellen nicht erfassbar, da Dinge analyse der objektiven Erkenntnis. Frankfurt eben älter als Schrift sind. Das ist nicht neu um 1800, a. M.: Suhrkamp. [Erstveröff.: La formation doch Thomsen grundiert mit diesem Ansatz seine de l’esprit scientifique. Paris : Vrin 1938]. Forschung. Er will wissen, in welchen „Zeitraum“ die ältesten „Überbleibsel“ der Menschen gehören. Bandi, Hans-Georg. 1994. Vom Dreiperiodensystem Seine Antwort ist neu: Passend zum Titel seiner knap- in der prähistorischen Forschung über den pen Abhandlung „Kurzgefaßte Übersicht über Denk- „Topfknick“ zum Vierperiodensystem. Son- mäler und Alterthümer aus der Vorzeit“ legt Thom- derdruck aus dem Jahrbuch des Vorarlber- sen die Entwicklung des Zeitsystems über Denkmäler ger Landesmuseumsvereins – Freunde der und Alterthümer dar. In diesen beiden archäologi- Landeskunde [„Abtrittsvorlesung“]. Bre- schen Quellen erkennt er eine je andere Zeitstruktur. genz: Selbstverlag. Während Denkmäler einen weit gefassten Zeitraum angeben, präzisieren Alterthümer die Zeitangabe. Sie Blumenberg, Hans. 1975. Die Genesis der koper- schaffen das Alter der Zeit. nikanischen Welt. Die Zweideutigkeit des Himmels. Eröffnung der Möglichkeit eines Die temporale Differenz dieser unterschiedlich Kopernikus, Bd. 1. Frankfurt a. M.: Suhr- methodologisch erfassbaren archäologischen Quel- kamp. len liegt darin, dass an der äußeren Struktur der Grä- ber keine genauere Zeit ablesbar ist. Hingegen lässt

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Zyklische Abläufe als Hilfsmittel zur Deutung von Zeit in der Archäologie

Eva Rosenstock

Zitiervorschlag Eva Rosenstock . 2014. Zyklische Abläufe als Hilfsmittel zur Deutung von Zeit in der Archäologie. In Sabine Reinhold und Kerstin P. Hofmann, Hrsgin.: Zeichen der Zeit. Archäologische Perspektiven auf Zeiterfahrung, Zeitpraktiken und Zeitkonzepte (Themenheft). Forum Kritische Archäologie 3: 110–135.

URI http://www.kritischearchaeologie.de/repositorium/fka/2014_3_9_Rosenstock.pdf

DOI 10.6105/journal.fka.2014.3.9

ISSN 2194-346X

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Zyklische Abläufe als Hilfsmittel zur Deutung von Zeit in der Archäologie

Eva Rosenstock

Institut für Prähistorische Archäologie der Freien Universität Berlin, Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe „LiVES“, Altensteinstraße 2-4, 14195 Berlin. e.rosenstock[AT]fu-berlin.de

Zusammenfassung

Natürliche zyklische Vorgänge, d.h. astronomische Zyklen wie der Sonnentag, der Mondmonat oder das Son- nenjahr oder physiologische Zyklen wie der circadiane Rhythmus oder der Menstruationszyklus, werden oft ver- wendet, um in archäologischen Funden und Befunden eingebettete Zeitinformation aufzudecken. Die Deutung bestimmter prähistorischer Artefakte als Kalendarien stellt hierfür ein wichtiges Beispiel dar. Neben einer Bevor- zugung physiologischer Rhythmen als Analogien für das Paläo- und Neolithikum und astronomischer Rhythmen für die Bronzezeit fällt auf, daß in der Archäologie oft nur nach auffallenden Zahlen wie 29 oder 30 gesucht wird, ohne Hinweise für die Wiederkehr dieser Zählungen in den Artefakten zu liefern. Siedlungsstratigraphien, das zweite Beispiel, können ebenfalls als Resultate zugrundeliegender natürlicher Zyklen wie dem Jahr, Generationen- wechseln oder Regenerationszyklen von Bauholz gedeutet werden. Während Ansätze, die nur die reine Tiefe der Ablagerungen heranziehen, sehr unzuverlässig sind, erlauben wiederholte Ablagerungen ähnlicher Befunde wie Fußböden oder Häuser mit bekannter Zeitdauer die Interpretation von Stratigraphien in Analogie zu natürlichen Rhythmit-Sedimenten wie den Warven. In beiden Beispielen muß jedoch beachtet werden, daß alle Zeiteinheiten wie der Monat oder das Landwirtschaftsjahr menschliche Konstrukte sind, die an die natürlichen Zyklen nur ange- lehnt sind, und daß auch völlig künstliche Zyklen wie die Woche existieren.

Abstract

Natural cyclical processes of either astronomical or physiological character, like the solar day, the lunar month or the solar year as well as circadian rhythms or the menstrual cycle, are often used to uncover information on time encrypted in the archaeological record. The interpretation of certain prehistoric artifacts as calendars is one promi- nent example. Besides a bias towards the use of physiological rhythms as analogies for the Palaeo- and Neolithic and astronomical rhythms for the Bronze Age, archaeologists often seem to simply look for conspicuous numbers like 29 or 30 and fail to demonstrate evidence for the repetition of these countings on the artifacts. Settlement stratigraphies, the second example, can also be interpreted as the result of underlying natural cycles like the year, changing generations of inhabitants or regrowth cycles of timber used in construction. While approaches using the sheer depth of deposit are highly unreliable, the repeated deposition of similar features like house floors or houses with a known time span allow the interpretation of stratigraphies in analogy to natural rhytmite sediments like warves. In both examples, however, the fact that all time units like the month or the agricultural year are human constructs that are only derived from natural cycles and the existence of completely artificial time rhythms like the week has to be kept in mind.

Schlüsselwörter: Prähistorische Archäologie; Zeitzyklen; Kalendarien, Siedlungsstratigraphien

Keywords: Prehistoric Archaeology; temporal cycles; calendars; settlement stratigraphies

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Ein Geschlecht geht, und ein Geschlecht kommt, ihrer Bildung benötigten, haben solche Überlegun- und die Erde bleibt ewig bestehen. gen auch Bedeutung für die archäologische Chrono- Und die Sonne geht auf, und die Sonne geht unter logie. Des Weiteren vernachlässigen allerdings die und strebt nach dem Ort, wo sie aufgeht. Kalenderdeutungen die mögliche Existenz komplett Es weht nach Süden und dreht nach Norden, vom Menschen definierter Zeit, so dass als Aus- dreht, dreht, weht, der Wind [...] gangspunkt verschiedene Arten von Zeit nach ihrer Alle Flüsse fließen zum Meer, Richtung und Qualität unterschieden werden sollen. und das Meer wird nicht voll. Zum Ort, dahin die Flüsse fließen, fließen sie und fließen [...] Was einmal geschah, wird wieder geschehen, Zyklische und lineare, natürliche und künst- und was einmal getan wurde, wieder getan, liche Zeit und nichts ist wirklich neu unter der Sonne. Kohelet 1, 3–9 Auch wenn im modernen westlichen Kulturkreis, geprägt durch die jüdisch-christliche Heilserwartung, Einleitung das Geschichtsbewusstsein und die Grundsätze der Thermodynamik, die lineare Vorstellung eines vor- In fast allen archäologischen Funden und Befun- wärts gerichteten Zeitpfeils (Bierhalter 1990: 345f.) den ist Zeit eingebettet: sie benötigten eine gewisse vorherrscht, spiegeln unsere Zeit- und Datums- Herstellungszeit, wurden über bestimmte Zeiträu- angaben parallel dazu auch die zyklische Zeitvorstel- me hinweg genutzt und unter Umständen in länger lung wider: Sekunden und Minuten kehren nach 60, dauernden Prozessen außer Betrieb genommen. Die und Stunden nach zwölf oder 24 Zählschritten wie- in ihnen gespeicherte Zeitinformation kann jedoch der zum Ausgangspunkt zurück. Nach sieben Tagen meist nur indirekt erschlossen werden: man nimmt beginnt die Woche von neuem, und nach 28 bis 31 hierzu entweder eher vage Plausibilitätserwägungen Tagen ein neuer Monat. Nach zwölf Monaten ist ein vor oder bestimmt – etwas genauer – die zur Herstel- Jahr vergangen, und erst dann setzt eine lineare Zäh- lung eines ähnlichen Artefakts heute benötigte Zeit lung ein. Eine komplett lineare Zeitangabe, wie sie auf ethnoarchäologischem oder experimentalarchäo- hinter der ‚Sternzeit‘ der Science-Fiction-Serie ‚Star logischem Weg. Natürlichen zyklischen Abläufen, Trek‘ zu vermuten ist, wäre durchaus möglich, hat wie sie in der vorangestellten Bibelstelle geschildert sich aber bisher – mit Ausnahme von wissenschaft- werden, kommt hier als weitere Deutungshilfe be- lichen Anwendungen wie den fortlaufend gezählten sondere Bedeutung zu. Sie können vom Menschen Julianischen Daten, denen zufolge der Neujahrstag gar nicht, wie z. B. der Wechsel von Tag und Nacht 2012 dem JD 2455928 entspricht, in der Astronomie oder der der Jahreszeiten, oder nur begrenzt, wie bei- oder den ANSI-Daten in der Informatik – nicht all- spielsweise die Reifungsperioden von Feldfrüchten gemein durchgesetzt. Dass sich das zyklische Zeit- oder die Laktationsperiode von Haustieren, beein- konzept im Alltagsgebrauch so erfolgreich gegen das flusst werden und stellen somit eine vom kulturellen lineare halten konnte, dürfte zum einen daran liegen, Kontext weitgehend unabhängige Größe dar. Wie dass beide Zeitvorstellungen nicht im Widerspruch vorsichtig man dennoch mit ihnen umgehen muss, il- zueinander stehen. Da man sich die zyklische Zeit als lustriert dieser Aufsatz anhand zweier Anwendungs- eine einsinnige Bewegung eines Punktes auf einem beispiele. Kalenderdeutungen in der Prähistorischen Kreis, und die gerichtete Zeit als einseitiges Fort- Archäologie wurden als erstes Beispiel gewählt, da schreiten eines Punktes auf einer Strecke bzw. einer sie den Versuch darstellen, Anzahlen von Markierun- Geraden, wenn man von einer unendlichen Zeit aus- gen oder Symbolen auf prähistorischen Artefakten gehen will, vorstellen kann (Bierhalter 1990: 346), als intendierte Aufzeichnungen von Zeiteinheiten zu ist es nämlich möglich, diese harmonische Kreisbe- deuten, indem diese Anzahlen mit Quantitäten von wegung als zugehörige Sinusschwingung nach der natürlichen Zyklen in Verbindung gebracht werden. Zeit aufzutragen (Abb. 1): der Jahreskreis ‚rollt‘ so Da auffälligerweise gerade jene natürlichen Abläu- gleichsam am Zeitpfeil entlang. Zum anderen haben fe, die für den prähistorischen Menschen mutmaß- etliche unserer zyklischen Zeiteinheiten Rückhalt in lich hohe wirtschaftliche Bedeutung hatten, nur natürlichen Abläufen. So bildet der Tag eine von der selten in den Deutungen vorkommen, werden die- Erdrotation verursachte Oszillation der Helligkeit se im zweiten Teil am Beispiel von prähistorischen oder auch unsere durch innere sekretorische Zeit- Siedlungsresten, in denen sie sich erwartungsgemäß geber erzeugte circadiane Rhythmik ab, der Monat niederschlagen können, betrachtet. Gerade bei der ungefähr das Ab- und Zunehmen des Mondes durch Abschätzung der Dauer, die Schichtenabfolgen zu seinen Umlauf um die Erde oder auch circatrigintane

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Einheit und damit nach dem Sexagesimalsystem festgelegt. Würde man den Ursprung des Sexagesi- malsystems in der Tatsache verorten, dass ein Jahr ungefähr zwölf Mondzyklen entspricht, wären Se- kunde, Minute und Stunde letztlich doch wieder, wenn auch nur sehr indirekte, Produkte kosmischer Abb. 1 Harmonische Kreisbewegung und zugehörige Vorgänge (Vogel 1959). Hierdurch würde jedoch Sinusschwingung, aufgetragen nach der Zeit (t) als nicht die zur Bildung der Zahl 60 nötige Zahl 5 er- Bild für die Vereinbarkeit der zyklischen und linearen klärt. Plausibler erscheint daher die Verknüpfung mit Zeitvorstellung (Grafik Jan Müller-Edzards, Institut für einer heute in Teilen des Vorderen Orients gebräuch- Prähistorische Archäologie der FU Berlin). lichen Zählweise, bei der mit dem Daumen die je- weils drei Glieder der vier Finger derselben Hand abgegriffen werden. Da währenddessen die Anzahl Rhythmen wie die Dauer eines weiblichen Menstru- der Durchgänge mit den Fingern der anderen Hand ationszyklus, und das Jahr die Kreisbahn der Erde memoriert werden, ergibt sich als größtmögliche um die Sonne. Diese Zyklen können wir, unabhän- Einheit 5 ∙ 12 = 60 (Ifrah 1981: 73). Auch die Woche gig davon, ob astronomische oder physiologische – ethnographisch und historisch sind alle Varianten Vorgänge (Halberg 1969) vorliegen, als Taktgeber von Drei-Tage-Wochen wie z. B. in Kolumbien und der natürlichen Zeit bezeichnen. Sie stehen jedoch Neuguinea bis zur Zwölf-Tage-Woche Südchinas be- in ausgesprochen ungeraden Zahlenverhältnissen kannt (Zerubavel 1989: 45) – hat wohl keine direkte zueinander: so dauert das tropische Sonnenjahr ca. Entsprechung in natürlichen Vorgängen, auch wenn 365,24 Tage und enthält ca. 12,37 synodische oder ebenso wie beim Sexagesimalsystem an die Astro- ca. 13,37 siderische Monate (für die wichtigsten Pe- nomie indirekt angelehnte Begründungen existieren, rioden Schmidt-Kaler 2008: 20; Hansen und Rink bei denen v.a. die Beliebigkeit der herangezogenen 2008: 114-123). Diese Verhältnisse konnten zwar astronomischen Grundgröße auffällt. Die bis in die von den Eingeweihten aller Epochen berechnet oder moderne Zeit reichende Erklärung der Sieben-Tage- zumindest verstanden werden, haben jedoch mit dem Woche mit den sieben antik bekannten Wandelsternen Alltagsverstand und den Alltagsbedürfnissen wenig Sonne (z. B. Sonntag), Mond (z. B. Montag), Mars zu tun. Es müssen also durch Übereinkunft Näherun- (z. B. mardi), Merkur (z. B. mercredi), Jupiter (z. B. gen wie das durch Schaltjahre korrigierte 365-Tage- jeudi), Venus (z. B. vendredi) und Saturn (z. B. Sa- Jahr gebildet werden, um auf praktikable, ganze turday) (Colson 1926; Zerubavel 1989: 16) können Zahlenverhältnisse zu kommen. Die Unvereinbar- wir in den Bereich der Astrologie verweisen (Rüpke keit des Sonnenjahrs mit den Mondzyklen wurde 2006: 183 - 190). Hier steht nicht die Quantifizie- teilweise gar nicht gelöst, wie dies noch heute im rung, sondern die Qualifizierung von Zeit im Vor- jüdischen und christlichen Kalender mit der im Son- dergrund (von Stuckrad 2003a: 16). Astronomischer nenjahr variierenden Lage des Pessach- bzw. Oster- wirkt ihre Erklärung als vier Viertel der annähernd festes anhand des ersten Frühlingsvollmondes nach 28 Tage dauernden Sichtbarkeitsperiode des Mondes der Frühjahrs tagundnachtgleiche oder dem durch (Schmidt-Kaler 2008: 13; Hansen und Rink 2008: das Sonnenjahr rotierenden Festmonat Ramadan im 94). Für Neun-Tage-Wochen wie in Teilen Afrikas islamischen Kalender der Fall ist. Alternativ fügte (Zerubavel 1989: 46) wird eine Dreiteilung eines an- man in den Kalendern des alten Vorderasiens seit nähernd siderischen Monats von ca. 27 Tagen ange- der Ur-III-Zeit Schaltmonate ein oder entkoppelte nommen (Schmidt-Kaler 2008: 13; Hansen und Rink die Kalendermonate durch in der Länge festgelegte 2008: 94), für Fünf- oder Sechs-Tage-Wochen wie in Monate komplett von den Lunationen wie im juli- Mittelamerika und Westafrika ein annähernd syno- anischen bis gregorianischen Kalendersystem (Frey- discher Monat von 30 Tagen (Schmidt-Kaler 2008: dank 1999: 158; Schlosser 2003: 45f.). Dies zeigt, 13). Nun ist nicht nur augenfällig, dass jeder starre dass die kalendarischen Tages-, Monats- und Jahres- Wochendurchlauf innerhalb kurzer Zeit keinen Be- begriffe nicht wirklich mit der natürlichen Zeit iden- zug mehr zum astronomischen Geschehen aufweist; tisch sind, sondern nur an sie angelehnte (Schlosser der alte jüdische Kalender, wie er in Dokumenten 2003: 46), künstliche Zeiteinheiten darstellen. aus Qumran überliefert ist, entschied sich daher für ein nur 364 Tage dauerndes und damit glatt in 52 Ohne jede Anlehnung an die natürliche Zeit wur- Wochen teilbares Jahr, um den Jahresanfang und be- den hingegen Einheiten wie die Sekunde, Minute stimmte Feste stets auf denselben Wochentag fallen und Stunde definiert: sie wurden jeweils als Zwölf- zu lassen (Schmidt-Kaler 2008: 14; Schmidt-Kaler tel (bzw. Vierundzwanzigstel) der nächsthöheren und Koneckis 2008: 75; Rüpke 1999: 160). Auch die

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Abb. 2 Natürliche und künstliche Zeitzyklen. alte römische Acht-Tage-Woche, die erst spät mittels eine Zwischenform der Zeit. Aussaat- und Ernteter- der Einschaltung von fünf bzw. gelegentlich sieben mine sowie die Setz-, Laktations- und Trockenzei- Schalttagen ungefähr an die synodische Mondperio- ten stellen vom Menschen in Abhängigkeit von den de angeglichen wurde (Zerubavel 1989: 45f.; Rüpke jeweiligen klimatischen und geographischen Gege- 1996; 1999: 162), entzieht sich mit Vielfachen von benheiten und den Eigenschaften der Nutzpflanzen 24 bzw. 32 jeglicher Annäherung an astronomische und -tiere vorgenommene Eingriffe in die natürli- Vorgänge und ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass che Entwicklung dar, die über die Jahreszeiten nur es sich bei den angeführten Begründungen zumin- locker mit astronomischen Zyklen verknüpft sind: dest teilweise um Nachrationalisierungen handeln ebenso wie bei den Gezeiten werden die Wirkungen könnte. Sollte Zerubavels (1989: 45-48) Annahme der astronomischen Vorgänge stark von den jewei- zutreffen, dass die Erfindung der Woche mit der ligen topographischen Gegebenheiten modifiziert. Einführung von regelmäßig wiederkehrend stattfin- Landwirtschaftliche Arbeiten sind jedoch nicht die denden Märkten einherging und damit Marktwoche einzigen saisonal determinierten Aktivitäten: min- und Wochenmarkt untrennbar miteinander verknüpft destens ebenso arbeitsintensiv wie die Ernte ist im sind, wäre die Woche eine in der Menschheitsge- Siedlungs- und Wirtschaftssystem der Alten Welt der schichte sogar relativ junge Erscheinung. Ab wann Hausbau. Wie ein Vergleich des neolithischen land- in der Vorgeschichte eine derartige einfache Form wirtschaftlichen Jahres im Vorderen Orient und Mit- der Marktwirtschaft angenommen werden kann, teleuropa (Abb. 3) zeigt, ruht in Vorderasien in der wäre eine interessante wirtschaftsarchäologische spätsommerlichen Dürreperiode die Feldarbeit bis Fragestellung, zumal die altorientalischen Kalender zur Getreidesaat im Herbst weitgehend; nach dem die Woche nicht kennen (Freydank 1999: 158). Der Einbringen der Ernte im Hochsommer fallen bis auf in seiner Herkunft ungeklärte jüdische šabbat als die stetigen Verrichtungen in der Viehzucht und das Vorbild auch des christlichen und mohammedani- Dreschen kaum Arbeiten an (Watson 1979: 74 - 85; schen Ruhetages könnte sich etymologisch aber ur- Kramer 1982: 30f.; Moore u. a. 2001: Fig. 14.4.; sprünglich aus dem akkadischen šapattu ‚Vollmond- Fairbairn u. a. 2005; vgl. jedoch Clark und Haswell tag‘ herleiten (Ego 2001). Als Tag, an dem nicht in 1966: 130, Tab. XXVIII), so dass gerade in der für der landwirtschaftlichen Produktion gearbeitet wird, den Lehmbau idealen Jahreszeit auch entsprechende ist der Markttag auch Ruhe- und damit Festtag. Das Arbeitskraft verfügbar ist. In Mitteleuropa hingegen, Konstrukt der Woche illustriert, dass zyklische Zeit wo sich die Ernte des Getreides bis in den August hi- nicht automatisch natürliche Zeit sein muß – eine neinzieht, fällt in den Spätsommer die betriebsamste Verknüpfung, wegen der die zyklische Zeitvorstel- Zeit des Jahres, denn noch vor Einsetzen der Fröste lung gemeinhin als die ursprünglichere gilt. Es er- muss das Wintergetreide eingesät sein, so dass erst in scheinen im Gegenteil alle Kombinationen der vier den Wintermonaten die Arbeitsbelastung nachlässt. Zeitkonzepte vorstellbar, wobei unter den zyklischen Die Zeit, in der für den Hausbau die meisten Arbeits- Konzepten zwischen natürlichen und künstlichen kräfte zur Verfügung stehen, liegt somit in Mitteleu- Zeitzyklen unterschieden werden kann. Letztere ropa in der für den Holzeinschlag günstigsten Zeit, wiederum können entweder an natürliche Zyklen was auch der eventuell nötigen schlagfrischen Ver- angelehnte oder komplett künstliche Zeit darstellen wendung von Holz im Bau entgegenkommt. Jähr- (Abb. 2). Jede menschlich konstruierte Zeiteinheit ist liche Ausbesserungsarbeiten an Dach, Ausfachung also „a cultural that rests on social conventi- und Verputz dürften in beiden Regionen jeweils nach on alone“ (Zerubavel 1989: 4). den Winterschäden im Frühjahr durchgeführt worden sein (Peters 1976; Andraschko 1995), wenn zwischen Dies gilt auch für die saisonalen Aktivitäten des der Saat von Hülsenfrüchten sowie evtl. Sommerge- Menschen: sie sind weder astronomische noch phy- treide und Ernte die Feldarbeit etwas nachließ. Über siologische Zyklen, sondern gehören dem mensch- diese jährlichen Rhythmen hinaus existieren aber lich überformten Wirtschaftsjahr an und bilden daher auch Zyklen längerer Dauer, darunter die zwei- bis

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Natürliche Zyklen und kalendarische Deu- tungen in der Archäologie1

Das Wort Kalender, abgeleitet von lat. kalendarium, einem Verzeichnis von Darlehen, die meist am Monatsersten (kalendae, wohl von calare „ausrufen“) und damit dem Tag der öffentlichen Bekanntgabe von Markttagen, Festen und anderen Ereignissen fällig wurden, selbst verweist bereits auf die in Kalendern verwaltete künstliche Zeit (Rüpke 1999: 156; 2006: 12; von Stuckrad 2003b). Zwar kann terminologisch zwischen dem Kalender als dem System und seiner Aufzeichnung, dem Kalendarium, unterschieden werden, doch werden im heutigen allgemeinen und auch wissenschaftlichen Sprachgebrauch meist beide Begriffe synonym verwendet. Gerade für die Archäologie erscheint hier jedoch ein trennscharfer Gebrauch sinnvoll, da Artefakte zunächst als Aufzeichnungen, also Kalendarien, plausibel gemacht werden müssen, um auf den zugrundeliegenden Kalender schließen zu können. Der Kalender ist – anders als Jens May und Reiner Zumpe (2003: 254) annehmen – von der Uhr, die kürzere Zeiteinheiten als den Tag und damit nur künstliche Zeiteinheiten erfasst, abzugrenzen, denn er dient dazu, komplett künstliche Zyklen, an natürliche Zyklen angelehnte künstliche Zyklen oder natürliche Zyklen in ihrer Interaktion auf dem Zeitpfeil darzustellen.

Abb. 3 Das Landwirtschaftsjahr im Vorderen Orient (oben) Die zur Erstellung eines Kalenders erforderli- und in Mitteleuropa (unten). chen Zählungen natürlicher sequentieller oder peri- odischer Vorgänge müssen – ganz ähnlich wie der dreijährigen Frucht- und Brachwechsel (zur Diskus- Romanheld Robinson Crusoe für jeden Tag seines sion ihres evtl. bereits prähistorischen Alters Lüning (linear aufgefaßten) Aufenthaltes auf der Insel Ker- 2000; Bogaard 2004), die Ackerruhe des jüdischen ben in ein Holzkreuz schlug und jeden siebten Tag – in Analogie zum Wochenrhythmus – alle sieben als (zyklisch wiederkehrend aufgefassten) Sonntag Jahre gehaltenen Schmittah oder Sabbatjahrs und die markierte, um die Zeit nicht zu ‚verlieren‘ – aufge- teilweise über Jahrzehnte bis Generationen hinweg- zeichnet werden. George Ifrah (1981: 21) schildert reichenden Zyklen in Arborikulturen wie dem Wein-, das hypothetische Beispiel eines mit 30 Kerben ver- Obst- und Olivenbau ab dem 4. Jt. v. Chr. (Neef sehenen menschlichen Femurs, auf dem mittels Ein- 1990: 297), in der Waldwirtschaft oder gar der Land- knüpfen von Schnüren die Tage des Monats festge- wechselwirtschaft. halten werden, während in einer weiteren Strichliste für die Anzahl der Durchgänge geführt wird (Abb. 4). Schon in diesen zwei sehr einfachen Beispielen wird klar, daß entweder mehrere Zyklen nacheinan- der oder zwei Zählungen nebeneinander abgebildet sein müssen: nur so kann eine periodische Wieder- kehr von Sequenzen erkennbar und damit ein wich- tiges Kriterium bei der Ansprache eines Artefakts

1 Ohne teilweise schon sehr lange zurückliegende Ge- spräche über archäologische Kalenderdeutungen mit Wilfried Menghin † und Mark Schmidt wäre mir nie die Idee zu diesem Teil des Essays gekommen; dem Andenken des einen sei dieser Beitrag gewidmet, dem anderen sei an dieser Stelle herzlich gedankt.

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Archäologie, Biologie und Astronomie die Beurtei- lung der Güte der Argumentation oft schwierig ist (Nikolova 1991: 17; Schlosser 2003: 45; Hayden und Villeneuve 2011: 331), erschwert den Um- gang mit ihnen zusätzlich. Eine Trennung zwischen Pseudowissenschaft und dem, was als fundierte Forschung angesehen werden kann, wird auch v. a. dann schwierig, wenn erstmals in der sog. Grauen Literatur auftauchende Ansätze offenbar zumin- dest gelegentlich als Anregung für Abhandlungen in Fachorganen dienten: während Wilfried Meng- hin (2000: 68f. Anm. 91) die Deutungen der bron- Abb. 4 Zählung der Tage in einem siderischem Monat nach zezeitlichen Goldhüte als Kalender (s. u.) von Kurt Ifrah (1981: 21 Fig. 4). E. Kocher (1979: 27-31; 1983: 25-27) in souveräner Weise erwähnt, fehlt ein solcher Hinweis bei Jens als Kalendarium (Robinson 1992: 14) erfüllt wer- May und Reiner Zumpe (1998), Rahlf Hansen und den. Erst nach etlichen dokumentierten Durchgän- Christine Rink (2008), Theodor Schmidt-Kaler und gen ist eine Mittelwertbildung (Schlosser 2003: 46; Ralf Koneckis (2008), obwohl bereits Kocher (1979, Schmidt-Kaler 2008: 34) und eine ungefähre Vorher- 1983) Überlegungen zur kalendarischen Deutung sage von Periodizitäten möglich. Ohne jede vorhe- italischer spätbronze- bis früheisenzeitlicher Schil- rige Beobachtungen hingegen kommen nur Kalen- de, des Sonnenwagens von Trundholm und der Äxte der aus, die künstliche Zyklen zueinander in Bezug der Salzmünder Kultur angestellt hatte.2 setzen. Französische Kaufleute könnten sich bereits am Tag der Einführung des Revolutionskalenders Dem o. g. Kalendarium Robinsons vergleich- beispielsweise die Frage gestellt haben, ob in Mün- bar anmutende Strichlisten fallen immer wieder chen am nächsten Duoidi gearbeitet würde. Dass im paläolithischen Fundgut auf, und werden, wenn dieser Tag in Bayern ein Montag und damit Werktag ihre Anzahlen ganzzahligen Näherungen an natür- war, konnte einfach aus den Angaben, dass der 24. liche Zyklen entsprechen, als Kalendarien gedeu- November 1793 oder 4 Frímaire II in Frankreich ein tet. Die meisten Versuche wurden bislang für das Quartidi und in Bayern ein Sonntag ist, erschlossen Jungpaläolithikum und damit die Zeit des Homo s. werden, denn mit der traditionellen Sieben-Tage- sapiens (s. u.) unternommen, doch Klaus Schößler Woche und der neueingeführten Zehn-Tage-Woche (2003) und Theodor-Schmidt-Kaler (2012) gehen mussten lediglich zwei völlig künstliche definierte schon beim von Mondbeobachtungen Zyklen synchronisiert werden. aus. Sie nehmen an, dass man die erhaltenen sieben und 14 sicher intentionellen (Steguweit 2003: 125f.) Kalendarien und Kalender können – als „Element Ritzlinien auf dem Artefakt 208,33 (Abb. 5) aus der der Zeitrechnung einer Kultur, das jährliche Perio- mittelpaläolithischen Fundstelle Bilzingsleben sym- dizitäten zu beschreiben oder regulieren versucht“ metrisch um weitere sieben Linien ergänzen kann. (Rüpke 1999: 156) – sowohl dokumentarische als Man kommt so auf 28 Linien, die 27 Lücken und auch normative Funktion haben. Der zweite Aspekt, damit die maximale Zahl der Sichtbarkeitstage des und damit die soziale Konstruktion der Zeit, wird Mondes umschließen (Schößler 2003: 32); alternativ allerdings häufig mittels Metaphern des „Messens“ könnte die Anordnung der Linien auch einen Wech- verschleiert (Elias 1984; Albrecht 2005: 8). In vielen sel zwischen den beiden Näherungen für die Tages- Ansätzen kalendarischer Deutungen vorgeschicht- anzahl im siderischen Monat ermöglichen (Schmidt- licher Funde und Befunde, die sich zudem auffälli- Kaler 2012: 22), wobei jeder Tag – ähnlich wie im gerweise in Europa konzentrieren, und damit gerade o.g. Beispiel von Ifrah - jeweils mit Rötel oder Koh- nicht im Vorderen Orient, wo in historischer Zeit le abgestrichen werden kann (Schößler 2003: 33). eine Fülle von Quellen zur Zeitrechnung überliefert Solche Aufzeichnungen können aber bestenfalls als ist, wird dieser Konstruktcharakter nicht klar: so Dokumentationskalendarium oder mit Gaffney u.a. spricht z. B. Martin Kerner (2005: 7) ausdrücklich 2013 als „time reckoner“ bezeichnet werden. Eine von der „gemessenen Zeit“, und auch eine Definition Erklärung, wie mit dem Artefakt eine periodische dessen, was die jeweiligen Autoren unter einem Ka- lender verstehen, fehlt meistens (Rohde 2012: 11). 2 Darüber, ob dies aus Unkenntnis oder aus dem Wunsch Dass auf dem Gebiet der Kalenderdeutungen auf- heraus geschah, sich von als ‚unwissenschaftlich‘ an- grund der interdisziplinären Fragestellung zwischen gesehenen Gedanken zu distanzieren, kann nur gemut- maßt werden.

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Abb. 5 Knochenartefakt 208,33 aus Bilzingsleben (nach Abb. 6 Plakette von Abri Blanchard (nach Jègues-Wolkie- Steguweit 2003: Taf. 37). wiez 2005: 44, Fig. 1).

Wiederkehr der beobachteten Phänomene dokumen- Analemma von Mondzenithen (Jègues-Wolkiewiez tiert werden kann, bleiben jedoch sowohl Schößler 2005). als auch Schmidt-Kaler in Ermangelung z. B. einer zweiten Strichliste schuldig. Abgesehen von der Damit läge ein Beobachtungsprotokoll vor, wobei Frage, ob H. erectus intellektuell in der Lage war, sich die Anzahl der Markierungen und ihre räumli- derartige Beobachtungen zu machen und aufzu- che Anordnung zueinander stützen. Dies steigert die zeichnen (Schmidt-Kaler 2012: 18), ist festzuhalten, Plausibilität gegenüber der Deutung anhand reiner dass selbst einfache moderne Jäger-und-Sammler- Anzahlen, wie sie Alexander Marshack nicht nur Gesellschaften3, wie sie für das Alt- und Mittelpaläo- für dasselbe Artefakt, sondern auch für zahlreiche lithikum als Analogie dienen, zwar über Kenntnisse andere jungpaläolithische Ritzungen auf mobilen der Sonnenwenden, Mondzyklen oder Jahreszeiten Materialien von Ishango in Afrika bis Mezhirich in verfügen, aber dazu keine Aufzeichnungen oder gar Eurasien (Marshack 1971, 1972, 1991; Elkins 1996) Vorhersagen machen. Für den Großteil der komple- vorschlug, deutlich, denn mit reinen Strichlisten xen modernen Jäger und Sammler4 hingegen sind können nicht nur astronomische Vorgänge erfasst, Sonnwend-, Mond- und Konstellationsbeobachtun- sondern auch viele andere Dinge gezählt worden gen belegt, die oft von besonderen Personenkreisen sein (Schmandt-Besserat 1992: 160; Robinson 1992: mittels einfacher Observatorien aus Pfosten, Bäu- 3; Hayden und Villeneuve 2011: 332). Gegen Mar- men oder Felsformationen vorgenommen werden shacks Interpretationen spricht ferner, dass etliche (Hayden und Villeneuve 2011: 336–344). Eine sol- der Strichansammlungen innerhalb einer sehr kurzen che Funktion als Stätte der Mondphasenbeoachtung Zeitspanne und nicht über Monate hinweg geritzt wurde zur Deutung einer mesolithischen Gruben- wurden (d’Errico 1989). Auch dass aus den Darstel- reihe des 8. Jt. v. Chr. in Schottland vorgeschlagen lungen bestimmter jahreszeitlicher Zustände in der (Gaffney u.a. 2013). Da vieles dafür spricht, dass jungpaläolithischen Kunst, wie z. B. in Lorthet Ren- die jungpaläolithischen bis mesolithischen Gesell- tiere mit voll ausgebildetem Geweih in Gesellschaft schaften Mitteleuropas komplexe Jäger und Samm- von Lachsen als Hinweis auf den Herbst, ein Be- ler5 waren (Hayden und Villeneuve 2011: 334f.), er- wusstsein von Saisonalität spricht, ist nicht strittig; scheint es nicht unplausibel, dass, wie von Chantal dass sich darin nach Michael A. Rappenglück (2008: Jègues-Wolkiewiez vorgeschlagen, vor allem solche 180) eine „saisonal[e] Periodik“ niederschlägt, je- Höhlen und Abris ausgemalt wurden, deren Eingän- doch sehr, da auch hier wieder jegliche, die Wahr- ge zu den Sonnenaufgängen an den Sonnenwenden nehmung der Wiederkehr des Phänomens belegende und Tagundnachtgleichen zeigten (Hayden und Vil- Aufzeichnungen fehlen. Eine Ausnahme bilden je- leneuve 2011: 347). Ebenso denkbar erscheint ihre doch die 13 und die als 2 x 13 aufgefassten 26 Punkte Deutung der Plakette von Blanchard (Abb. 6) als ein unter einem herbstlich-brünftigen Hirsch und einem Pferd im Winterfell in Lascaux. Interessant ist, dass 3 „Einfache“ und „komplexe Jäger und Sammler“ sind die Zahl 13, die der Autor bei den Kerben am Horn feststehende Übertragungen aus dem Englischen. Ich der Venus von Laussel als die Anzahl siderischen sehe mich außerstande, um der von den Herausgebern Monate im Sonnenjahr deutet (Rappenglück 2008: des „Forums Kritische Archäologie“ gutmeinend, aber 185f.; vgl. Schmidt-Kaler 2008: 30, der zusätzlich leider unkritisch eingeforderten sogenannten „ge- den Haken am zwölften Strich als Zahl der synodi- schlechtsneutralen Sprache“ willen zu recherchieren, ob in allen von Hayden und Villeneuve 2011 herange- schen Monate versteht), in diesem Kontext völlig an- zogenen Gesellschaften auch jeweils mindestens eine ders, nämlich als die Hälfte einer 26 Tage dauernden (biologische) Frau jagt und mindestens auch ein (bio- Sichtbarkeitsperiode des Mondes aufgefasst wird; logischer) Mann sammelt und ob sich diese Personen sie könne je nach Sichtbedingungen und geographi- dann auch sozial wirklich als Frau oder Mann begrei- scher Lage zwischen 25 und 28 betragen. Rappen- fen. glück (2008: 182–185) favorisiert jedoch eine Deu- 4 s. Anm. 3. tung als 13 und 26 Wochen, d h. 91 und 182 Tage, 5 s. Anm. 3.

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entsprechend dem Zeitraum zwischen Sommerson- beim Menschen nur 267 Tage, wobei die Dauer im nenwende und Herbsttagundnachtgleiche bzw. Win- Einzelfall neben der Zahl der vorangegangenen Ge- tersonnenwende. Die zugrunde gelegte Sieben-Tage- burten und Umweltfaktoren evtl. auch von der gene- Woche, die insbesondere unter der Annahme eines tischen Ausstattung beeinflusst sein kann (Patel u. a. 26 Tage dauernden Monats nur sehr schwer herzulei- 2004). Es ist zudem auch unklar, ob Blutungszyklen ten erscheint, begründet er nicht weiter. bei Frauen in traditionellen und vorgeschichtlichen Gesellschaften überhaupt so häufig vorkommen wie Die 13 Kerben am Horn der Venus von Laussel bei uns. Im Lebenslauf früher einsetzende Schwan- werden alternativ häufig als Anzahl der Menstru- gerschaften sowie längere und v. a. intensivere Still- ationszyklen im Sonnenjahr gedeutet (Bahn 2007: zeiten (nur ein häufiges Anlegen des Säuglings hält 106). Derartige physiologische Rhythmen bieten den Prolaktinspiegel hoch genug, um den Eisprung aufgrund der gegenüber astronomischen Rhythmen zu unterdrücken) dürften die Anzahl der Menstrua- größeren Streubreite mannigfaltige Möglichkeiten, tionszyklen, die eine Frau erlebte, deutlich reduziert Anzahlen mutmaßlicher Zählmarken zu interpretie- haben (Strassmann 1997). Damit wäre es fraglich, ren. So repräsentiert nach Rappenglück (2008: 183) ob diesem natürlichen Zyklus eine so wichtige Be- die mit den oben geschilderten Punktreihen aus Las- deutung zukam, wie ihm oft zugemessen wird. Die caux vergesellschaftete Auerochsendarstellung den großen Abweichungen von der in der medizinischen Umstand, dass 91 und 182 zusammen 283 Tage und Literatur angegebenen mittleren Dauer eines Zyklus damit die Tragzeit des Auerochsen ergeben. Ob man von ca. 29 Tagen eröffnen zudem auch hier einen allerdings wie der Autor, der auch die entweder als großen Spielraum von 22 bis 36 Tagen (Chiazze u. 12, 13, oder 14 aufzufassende Anzahl der Zeichen a. 1968), der schon theoretisch den oft vermuteten auf einer Pferderitzung aus Le Troi Frères als in side- Synchronismus mit dem synodischen Monat (z. B. rischen Monaten ausgedrückte Tragzeit eines Wild- Schmidt-Kaler 2008: 13) ausschließen lässt. Ein sol- pferdes von 322 bis 387 Tagen deutet, die Tragzeiten cher findet sich besonders häufig in der anthroposo- domestizierter Rinder und Pferde bzw. nur weitläu- phischen Literatur, wie sie z. B. von Rappenglück fig verwandter moderner wilder Equiden auf bereits (2008) zitiert wird, und hält einer ethnomedizini- ausgestorbene Rassen bzw. Arten übertragen kann, schen Überprüfung nicht stand (Strassmann 1998). ist fraglich.6 Da Tragzeiten bei Tieren ab dem Östrus, Auch für das Neolithikum finden sich Deutungen d.h. post conceptionem, angegeben werden, ist zu- von Artefakten und Artefaktensembles als Frucht- dem eine Gleichsetzung der Dauer der Trächtigkeit barkeitskalendarien. Interessant ist an Romeo Du- von Rindern mit der menschlichen Schwangerschaft mitrescus (2006) Deutung der precucutenizeitlichen von 280 Tagen post menstruationem weniger einfach Ensembles von weiblichen Figurinen aus Isaiia und möglich, als Rappenglück (2008: 183) und Schmidt- Poduri-Dealul Ghindaru (5. Jt. v. Chr., Abb. 7) als Kaler (2008: 13) annehmen (s. a. Rohde 2012: 20f. Wiedergabe eines Menstruationszyklus nicht nur die für weitere Deutungen paläolithischer Artefakte als Frage, warum der Autor von einem mit 21 Tagen Schwangerschaftskalender). Die durchschnittliche deutlich gegenüber heutigen Werten (s. o.) verkürz- Schwangerschaftsdauer post conceptionem beträgt ten Zyklus ausgeht, sondern auch, dass er die frucht- baren Tage trotz der nur 12 bis 24 Stunden dauernden 6 Bei Haus- und Przewalskipferden werden Werte zwi- Befruchtungsfähigkeit der gesprungenen Eizelle als schen 310 und 376 Tagen angenommen (Pusch und drei Tage nach (statt vor) der Ovulation einsetzend Hansen 1919: 236; Loeffl er 1987: 302). Die Tragzeit darstellt.7 Die Deutung der neun Striche auf dem Rü- von Hausrindern unterliegt je nach Rasse Schwan- cken einer weiblichen Figurine aus Hagar Qīm (4./3. kungen im Bereich von 269 bis 311 Tagen (Pusch und Hansen 1919: 236; Loeffl er 1987: 302; Schwark 1989: Jt. v. Chr.) als in Monaten ausgedrückte Schwan- 116f.). Bemerkenswert ist zudem, dass in Gehegen gerschaftsdauer durch Marija Gimbutas ist nicht so freilebende Heckrinder, also optisch rückgezüchtete einfach aus den Angeln zu heben, wie Timothy Tay- und verwilderte Hausrinder, eher Tragzeiten im un- lor (1996: 159–161) dies glauben machen möchte. teren Bereich der domestizierten Rassen aufweisen. Wenn er sagt, eine Schwangerschaft dauere ca. zehn Während man mit der Annahme, eine längere Tragzeit sei ein Zuchtziel gewesen, für eine eher kürzere Trag- Monate, so trifft dies sowohl bei einer mittleren Dau- zeit beim Auerochsen argumentieren könnte, ist aber er von 280 als auch 267 Tagen unter Annahme eines auch zu bedenken, daß die Tragzeit eine Funktion der ungefähr siderischen Monats (280 : 27 = 10,4 bzw. Größe des Tieres ist; Heckrinder mit ihrem gegenüber 280 : 28 = 10 und 267 : 27 = 9,9 bzw. 267 : 28 = 9,5) dem Auerochsen geringen Stockmaß könnten damit zu niedrige Werte liefern, weswegen dann eher großrah- mige Hausrassen mit ihren Tragzeiten im oberen Be- 7 Da der 13. bis 15. Zyklustag als fruchtbares Fenster reich herangezogen werden sollten. Ich danke Walter eines ca. 28-tägigen Zyklus korrekt wäre, könnte hier Frisch, Astrid Masson und Rolf Minhorst für ihren Rat evtl. ein Fehler in der digitalen Umarbeitung einer den in dieser Frage. Normalzyklus darstellenden Grafi k vorliegen.

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Abb. 7 Figurinendepot von Isaiia als Menstruationskalender (Dumitrescu 2006, 232 Abb. 1).

sowie eines ca. synodischen Monats von 29 Tagen Kalendarium, herrscht Uneinigkeit: so zählte Vese- (280 : 29 = 9,7) zu. Etwa neun Monate können je- lina Koleva (1986) 31 bzw. 28, 22 und 35 bzw. 37 doch ebenfalls korrekt sein, wenn ein annähernd sy- Ritzlinien, Vassil Nikolov (1998) jedoch 31 bzw. 28, nodischer Monat von 30 Tagen unterstellt wird (280 : 42 und 35 bzw. 37. Sie werden von Koleva (1986: 30 = 9,3 bzw. 267 : 29 = 9,2; 267 : 30 = 8,9). 144; Bailey 1993: 210) kompliziert zu 365 aufsum- miert und damit als ein 365 Tage dauerndes Jahr ge- Weitere Beispiele von Kalenderdeutungen aus deutet. Die Teilsummen 281 bzw. 84 weichen zwar dem Neolithikum umfassen Ritzungen auf einem deutlich von den Abständen zwischen den Tagund- Gradeshnitsa-zeitlichen (5. Jt. v. Chr.) Ofenmodell nachtgleichen und Sonnenwenden (s. o.) ab, werden aus Slatino (Abb. 8). Stefan Čochadžiev (1984; jedoch als zwei Jahreszeiten, Vegetationsperiode und Bailey 1993: 209) geht davon aus, dass die zwölf Winter, gedeutet. Nikolov (1998) hingegen sieht in ockerfarbenen der insgesamt 60 Felder die zwölf den Strichen lediglich die Anzahl der Tage zwischen (wohl synodischen) Monate des Jahres repräsentie- Frühjahrstagundnachtgleiche und Anfang Juli, d. h. ren, wobei die verschiedenen Kombinationen mit die Wachstums- und Reifezeit des Getreides. Mit ritzverzierten und leeren Feldern für die drei Jah- derselben Willkürlichkeit könnte man jedoch statt- reszeiten Winter, Sommer und Herbst stünden. Die dessen nicht saisonale Wirtschaftszyklen, wie sie Ritzlinien würden zudem die Tage im Monat bzw. in oben geschildert wurden, Renovierungszyklen von den Mondphasen wiedergeben. Bereits über die An- Gebäuden oder auch die Wiederkehr von Schäd- zahl der Ritzlinien auf den Vorder- und Rückseiten lingsplagen als mögliche Deutungen vorschlagen. der drei Altäre der sog. ‚Kultszene‘ aus Ovčarovo (5. Jt. v. Chr.) (Abb. 9), einem weiteren vermuteten

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Abb. 8 Ritzungen auf einem Ofenmodell aus Slatino Abb. 9 Altarmodelle aus Ovčarovo (Nikolov 1998, 404 (Chokhadzhiev 1984). Abb. 1).

Es fällt auf, dass paläolithisch bis neolithisch da- man in der Archäologie für die mittelneolithischen tierende Objekte wie Darstellungen von Tieren, Frau- Kreisgrabenanlagen als die frühesten Anlagen, die en und Backöfen durchweg als Jahreszeiten-, Mond-, auf zyklisch auftretende astronomische Ereignisse oder Biorhythmenkalender gedeutet werden, mithin ausgerichtet sind (Zotti und Neubauer 2010), den Interpretationen, die eher in die klischeehafte Sphäre neutralen Begriff des Observatoriums, d. h. einer des Primitiven, Naiven, Triebhaften und Weiblichen Beobachtungsanlage, vermeidet. Stattdessen wird gehören. Es verwundert daher nicht, dass es sich bei mit Hermann Kern (1976) der für astronomisch aus- denjenigen neolithischen Objekten, die als Hinweise gerichtete Anlagen Indiens und Amerikas eingeführ- auf komplexes astronomisches Wissen wie lunisola- te Begriff des ‚Kalenderbaus‘ benutzt (Becker 1989; re Schaltungen oder Planetenumlaufzeiten gedeutet Schier 2005; Zotti 2005). Er impliziert die relativ werden, um Großbauwerke wie mittelneolithische exakte Vorhersage von zyklischen natürlichen Ereig- Kreisgrabenanlagen (1. H. 5. Jt. v. Chr.), eine jung- nissen mit Hilfe eines zugrundeliegenden Kalender- neolithische Stele oder Äxte der Salzmünder Kultur systems (Bertemes 2008: 42; Schmidt-Kaler 2008: (2. H. 4. Jt. v. Chr.) handelt (Rohde 2012: 21–23), 16). Im Grunde wäre aber durchaus denkbar, dass die damit der Klischeesphäre des Komplexen, Re- z. B. der Sonnenaufgang zur Sommersonnenwende flektierten, Planerischen und Männlichen (relativ ex- einfach nur jedes Jahr aufs Neue abgewartet wurde plizit hierzu Schmidt-Kaler und Koneckis 2008: 72) (Schier und Schmidt-Kaler 2008: 53). Auf diese Wei- zuzuordnen sind. Gleiches gilt für Metallobjekte aus se wurden noch in Rom erst nach Beobachtung jeden der jüngeren Vorgeschichte, für die noch nie Deutun- Monat das erste Mondviertel und damit die calendae gen als Menstruationskalender u. a. vorgeschlagen (s. o.) ausgerufen (Rüpke 2006: 19). Immerhin sind wurden. Aufgrund der Komplexität der zugrunde- – sieht man von den ungefähr gleichzeitigen Funden liegenden natürlichen Periodizitäten (Erdrotation, vom Ostbalkan (s. o.) ab – aus dem direkten kulturel- Erdumlaufbahn und Mondumlaufbahn) ist die Syn- len Umfeld dieser Anlagen bisher keinerlei Artefakte chronisation von Mondzyklen mit dem Sonnenjahr, bekannt, die als Aufzeichnungen eines Kalender- z. B. für die die Vorhersage des Auftretens von Son- systems in Form eines Dokumentations- oder auch nenfinsternissen, auf besonders lange Vorbeobach- Vorhersagekalendariums gedeutet werden können. tungen angewiesen. Dafür müssen Observatorien in Die Prunkäxte der Salzmünder Kultur, deren Ver- Form von Peillinien vorausgesetzt werden. Aus dem zierungen von Schmidt-Kaler und Koneckis (2008) Fehlen entsprechender gebauter Anlagen darf aber als Wiedergabe der Synchronisation des lunisolaren auf keinen Fall auf ein Fehlen von Beobachtungen Jahres nach einer Oktaëteris mit der synodischen Pe- geschlossen werden, können doch auch natürliche riode der Venus gedeutet werden, datieren über ein Fixpunkte verwendet worden sein (s. o.). Umge- Jahrtausend später. Dass die sechs Striche am Na- kehrt sollte jedoch auch nicht aus dem Nachweis von cken einer anderen Axt aus Wegwitz einerseits als Observatorien auf die Existenz eines Kalenders ge- Angabe einer einmalig beobachteten sechstägigen schlossen werden. Es ist nicht verständlich, warum Abweichung vom Näherungswert der Venusperiode

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von 584 Tagen, andererseits jedoch als regelmäßig also gerade eine Zahl, die aufgrund ihrer Überlän- zu beobachtende Abweichung zwischen Näherungs- ge gegenüber allen Auffassungen des Mondmonats wert und exaktem Wert für die Zahl der Tage in einer nicht als astronomisch bedeutsam ins Auge springt, doppelten Oktaëteris von 16 Jahren (Schmidt-Kaler bedeutsam ist, mahnt daher zur Vorsicht bei der all- und Koneckis 2008: 74) gedeutet wurden, schmälert zu schnellen Suche und Erkennung von in unserem die Stringenz der Argumentation, dass es sich um ein heutigen Verständnis bedeutsamen astronomischen Beobachtungsprotokoll des Venuszyklus handele. Es Zahlen, wie sie oben geschildert und von Kerner ist zudem inakzeptabel, dass ein Mittelwert einmal (2007) auch für das frühbronzezeitliche Beil von durch zwei geradzahlige Alternativen, ein anderes Thun-Renzenbühl vorgeschlagen wurde. Gleiches Mal durch halbe Symbole repräsentiert sein soll gilt für die Zählungen von Symbolen auf mittel- und (Schmidt-Kaler und Koneckis 2008: 77; 79). spätbronzezeitliche Metallartefakte des 2. Jt. v. Chr. durch May und Zumpe (1998), Menghin (2000) so- Geht man davon aus, dass ebenso wie die mittel- wie Hansen und Rink (2008). Dennoch wäre es reiz- neolithischen Beispiele auch die endneolithischen voll, eine Annahme Menghins, die Hügelgräber- und bis frühbronzezeitlichen (um 3000 v. Chr.) Kreisgra- Urnenfelderzeit habe noch keine in der Länge festge- benanlagen wie Pömmelte oder Stonehenge astrono- fügten Monate gekannt, mit dem Umstand zu bele- misch orientiert waren (Bertemes und Spazier 2008, gen, dass die von Tobias Springer (2003: 248f.) ver- 10f.), so könnte die erste Phase der Scheibe von Ne- mutete Niederlegung der Goldkegel in der Periode bra eine Konsequenz des aus den in diesen Observa- Hallstatt C mit dem von Garrett Olmsted errechneten torien erzielten Wissens sein. Nach der – aufgrund Einführungszeitpunkt des keltischen Kalenders im 7. ihres gegenüber anderen Ansätzen wie z. B. Wolf- Jh. v. Chr. (Gschaid 2003: 269f.; Rohde 2012: 31) hard Schlosser (2010), Burkard Steinrücken (2010) koinzidiert. Wurden die Kegel ausrangiert, weil man oder gar Martin Kerner (2004: 140–179) plausibels- fixierte Monatslängen, wie sie im Coligny-Kalender ten – Deutung von Rahlf Hansen (Hansen und Rink belegt sind, oder gar nun von der Astronomie hin zur 2008; Hansen 2010) ist hier eine relativ einfache Astrologie (s. o.) führende Beobachtungen anhand Schaltregel aufgezeichnet. Sie stellt eine Anweisung von Sternbildern, wie sie von Allard Mees (2010; für den Fall dar, dass Sonnen- und Mondjahr außer s.a. Rohde 2012: 30–31 auch für weitere eisenzeit- Takt geraten: sollte man im Frühjahrsmonat eine wie liche Beispiele) für den Magdalenenberg vermutet dargestellt vier Tage alte Mondsichel bei den Pleja- werden, einführte? Eine Parallele böte die vermut- den sehen, ist in diesem Jahr ein Schaltmonat einzu- liche Schaltregel auf der Scheibe von Nebra (s. o.), fügen. Es stellt sich daher die Frage, ob die Scheibe die nach einiger Zeit nicht mehr angewendet wurde, nicht vielleicht gerade ein Hinweis darauf ist, dass weswegen die Scheibe mit Horizontbögen zu einem das Kalenderwissen in der mitteleuropäischen Früh- Peilgerät umgebaut und letztendlich am Anfang des bronzezeit nicht weit genug entwickelt war, luniso- 16. Jh. v. Chr. aus dem Verkehr gezogen wurde (Mel- lare Abweichungen von vornherein zu verhindern. ler 2010b: 69), also vor der Herstellung des Wagens Dass Schaltungen einfach situativ durchgeführt von Trundholm, der Goldkegel, der ‚Kalenderam- werden können, zeigt das Beispiel der afrikanischen phoren‘ (May 2008) und Schilde als Manifestationen Nuer, die im Falle, dass der aktuelle Monatsname anderer Kalendersysteme. nicht mehr zur Jahreszeit passte, den laufenden Mo- nat in den vorhergehenden umbenannten und ihn da- Die Schlüssigkeit der Kalenderinterpretation al- mit faktisch verdoppelten, was der Einfügung eines ler mittel- bis spätbronzezeitlichen Objekte (Rohde Schaltmonats gleichkommt (Evans-Pritchard 1939; 2012: 24–29, auch für weitere bronzezeitliche Bei- Rüpke 2006: 39). Vielleicht verlieh die Scheibe nicht spiele) bleibt in jedem Fall fraglich. Es würde zu weit unbedingt „Macht über die Zeit“ (Meller 2010b: 61), führen, hier sämtliche Zählungen (Menghin 2000), sondern ersparte lediglich die in einem solchen halb- nachgewiesenen Zählfehler (Schmidt 2002; 2003) bewussten Schaltprozess geführten oft endlosen Dis- und berechtigte Bemerkungen zur hohen Varianz der kussionen. Anzahlen auf verschiedenen Objekten des gleichen Typs (Schmidt 2002; Uckelmann 2005: 184) sowie An Hansens Deutung der Scheibe ist darüber hi- Zählungskorrekturen (Menghin 2003, 2008) zu re- naus bemerkenswert, dass die Anzahl der auf der ferieren. Die Hilflosigkeit, die Kalenderdeutungen Scheibe eintauschierten Sterne von 32 die Schalt- bezweifelnde Personen fühlen, wenn ihre Argumente regel in anderer Formulierung wiederholt: sind seit hartnäckig und mit teils überzeugend professionel- dem letzten Neulicht 32 – statt 28 – Tage vergan- len Grafiken untermauert (Abb. 10) in einem ganz gen und sieht man den Mond bei den Plejaden, ist in eigenen Diskursstil (Rohde 2012: 43–53) abgelehnt diesem Jahr ein Schaltmonat einzufügen. Daß hier

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Abb. 10 Der sog. Berliner Goldhut als lunisolares Kalendarium (Menghin 2008, 158 Abb. 1) werden, hat bereits James Elkins (1996) am Beispiel Schlosser 2003: 50). Der allein in diesem Aufsatz Andrew Marshacks geschildert. vorkommende Zahlenraum reicht von 1 bis weit über 366; mit nur wenigen Dutzend Zählungen ist bei ei- Da – anders als Denise Schmandt-Besserat (1992: nem Test auf Zufälligkeit, d. h. bei der Prüfung der 160) hofft – Kalenderdeutungen wie alle archäolo- Hypothese, dass die Anzahlen in einem Zahlenraum gische Deutungen nicht bewiesen, sondern besten- gleichverteilt sind, keine statistische Signifikanz zu falls plausibel gemacht werden können, erscheint erwarten: um die Faustregel zu erfüllen, nach der da- es sinnvoll, die Wahrscheinlichkeiten zu betrachten, für pro Klasse fünf Beobachtungen vorhanden sein mit denen astronomisch bedeutsame Zahlen auch müssen, bräuchte man allein im Zahlenraum von 1 rein zufällig auftauchen können (Schmidt 2002: 517;

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bis 30 bereits ca. 150 Zählungen.8 Der vorliegende kaum überzeugen kann, da subrezente Jäger- und Aufsatz kann dies nicht leisten, doch können wir im Sammlergesellschaften auch ohne ‚Naturkalender‘ Zahlenraum von 1 bis 30 hier die im bisherigen Text (Rappenglück 2008: 181) Beute machen und auch genannten Zahlen anführen (Tab. 1) und stellen fest, in Zeiten vor der „neolithischen Kalenderrevoluti- dass 20 davon astronomisch bedeutsam besetzt sind. on“ (Schmidt-Kaler 2008: 14) erfolgreich Feldbau Hinzu kämen strenggenommen noch die in den be- betrieben wurde. Eine Bestimmung wichtiger Zeit- handelten Kalenderdeutungen nicht explizit genann- punkte im Wirtschaftsjahr wie „Aussaat, Pflanzung ten zweiten und dritten Monatsviertel, die je nach und Ernte“ anhand astronomischer Kriterien „in grundgelegter Näherung für den Monat auch noch orakelhaft-geheimnisvoller Weise“ (Menghin 2000: die Zahlen 14, 15, 21, 22 und 23 besetzen würden. 101) erscheint zudem sehr unwahrscheinlich, da Bei Hinzunahme der teilweise astronomisch be- kleinräumige mikroklimatische Unterschiede so- gründeten Vielfachen der Fünf-, Sechs-, Neun- und wie jährliche Schwankungen es geraten erscheinen Zehntage-Wochen würden auch noch die Zahlen 10, lassen, den günstigen Zeitpunkt für Jagd, Aussaat, 12, 15, 18, 20, 24 und 25 besetzt werden. Die Wahr- Ernte und andere wirtschaftliche Aktivitäten stets scheinlichkeit, wie z. B. auf dem Artefakt Bilzings- neu phänologisch zu bestimmen: Zeigerpflanzen wie leben 208,33 (Schößler 2003) irgendeine bedeutsam das Schneeglöckchen (Galanthus nivalis) oder das erscheinende Zahl zu entdecken, beträgt daher deut- Aufwachen des kälteempfindlichen Regenwurms lich mehr als 2/3. Die Wahrscheinlichkeit hingegen, (Lumbricus terrestris) aus seiner Winterstarre (hier- dass astronomisch sinnvolle Kombinationen von zu detaillierter Rohde 2012: 56–58) sind in unseren drei Zahlen, wie z. B. die von Schmidt-Kaler (2008: Breiten weit bessere Indikatoren zur Einsaat des 19) als grundlegend für die paläolithische Monats- Sommergetreides als die Beobachtung von Sonne auffassung betrachtete Kombination von 3, 9 und 27, und Mond oder Plejaden und können von jedermann zufällig auftreten, ist mit (1/30)3 in der Tat sehr ge- ohne Konsultation eines „Herrn der Zeit“ (Menghin ring: so „äußerst unwahrscheinlich“ (Schmidt-Kaler 2008: 101) beobachtet werden. 2008: 19), dass auch er kein Artefakt kennt, das diese Kombination tatsächlich aufweist. Es scheint, dass uns unsere sehr stark auf die Erkennung von Mus- tern geprägte Wahrnehmung an dieser Stelle einen Natürliche Zyklen und archäologische Sied- Streich spielt: dies wiederfuhr mir zunächst, als ich lungsstratigraphien las, dass der Tag 1 der o. g. astronomischen Julia- nischen Daten der 1. Januar 4713 v. Chr. war, ent- Es ist jedoch zu erwarten, dass sich derartige pe- standen doch die astronomisch orientierten mittel- riodisch anfallende Arbeiten im Wirtschaftsjahr auch neolithischen Kreisgrabenanlagen am Beginn des 5. periodisch in den Ablagerungen der Siedlungen nie- Jt. v. Chr.! Genaueres Nachlesen ergab jedoch, dass derschlagen und damit einen Einblick in mögliche dieses Anfangsdatum im 16. Jh. von Joseph Justus zyklische Zeiteinheiten ihrer Bewohner ermögli- Scaliger als kleinstes gemeinsames Vielfaches der chen. Es wäre daher reizvoll, gezielt im selben kul- Goldenen Zahl 19 der christlichen Osterrechnung, turellen Umfeld insbesondere der oben angeführten des 28-jährigen Sonnenzyklus des Julianischen Landwirtschaftskalender nach Hinweisen auf ent- Kalenders (an dem Datum und Wochentag wieder sprechende Anbauzyklen zu suchen. Auf deutlich zusammenfallen) sowie der Indiktion, einem spät- stratifizierten Siedlungen oder Tells wandeln sich römischen 15-jährigen Steuerberechnungszyklus, aufgrund des hohen Grades an Überlagerung der willkürlich konstruiert wurde. Hinterlassenschaften (Rosenstock 2009: 187–197) zyklisch wiederkehrende Reste von Aktivitäten in In fast allen hier geschilderten Kalenderdeutun- eine materielle und nach Douglass Bailey (1993) als gen fehlt eine detaillierte Beschreibung, wie der (re-) Schuttansammlung direkt erfahrbare lineare Zeit- konstruierte Kalender im Rahmen der jeweiligen achse um. Zwar warnte Heinrich Schliemann bereits sozio-ökonomischen Gegebenheiten eingesetzt wor- ganz am Anfang der Erforschung von Tellsiedlungen den sein könnte – ein nach Brian Hayden und Su- mit dem Blick auf die wechselnden Bewohner Tro- zanne Villeneuve (2011: 332) wichtiges Plausibili- ias davor, aus dieser Linearität auf eine Stetigkeit der tätskriterium jeder Kalenderdeutung. Nur vage wird Akkumulationsrate zu schließen: „Es muß heillos auf eine Bedeutung in der Bestimmung von Jagd- bei ihnen zugegangen sein, denn sonst könnte man oder Aussaatterminen hingewiesen, was jedoch nicht in beständiger unregelmäßiger Reihenfolge auf den verschütteten Resten des einen Hauses die 8 Ich danke Amit Ghosh und Marcus Groß, Statistische Wände eines andern finden; und eben weil wir uns Beratungseinheit fu:stat der Freien Universität Berlin, keinen Begriff machen können, wie diese Nationen für Hilfe bei dieser Frage.

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gewirtschaftet und welche Kalamitäten sie zu er- Nicht alle Versuche, biologische wiederkehrende tragen gehabt haben, können wir unmöglich nach Strukturen mit astronomischen Zyklen zu verknüp- der Dicke ihrer Trümmer die Dauer ihrer Existenz fen verliefen aber so glücklich wie die Baumring- auch nur annähernd berechnen.“ (Schliemann 1874: und Warvenchronologie; es gibt auch in den Natur- VIIf.) wissenschaften Beispiele von „Zahlenklauberei“. Der Paläontologe Peter G. Kahn und der Physiker Dennoch war die Verführung, Tellstratigraphien Stephen M. Pompea beobachteten 1978, dass im als Zeitmaßstab zu nutzen, groß: William Matthew Mittel 30±2 Wachstumslinien zwischen zwei Kam- Flinders Petrie (1891: 14f.; Echt 1984: 26) schätz- mersepten in den Gehäusen des rezenten Perlbootes te die Gründungszeit von Tell el-Hesi, indem er die Nautilis pompilius liegen (Abb. 11). Da Perlboote Akkumulationsrate zwischen den griechischen und nachts in flaches Wasser migrieren und sich tagsüber phönizischen Schichten auf den gesamten Tell über- in tiefere Meereszonen zurückziehen, schlossen die trug: wenn zur Anhäufung von durchschnittlich 32,5 Autoren auf einen circadianen Rhythmus der Wachs- Fuß ca. 650 Jahre nötig waren, musste der insgesamt tumslinien, und aufgrund der Näherung der Zahl der ca. 84 Fuß hohe Hügel erstmals gegen 1670 v.Chr. Wachstumslinien an den synodischen Monat auf ei- besiedelt worden sein. Es erscheint kein Zufall, dass nen circatrigintanen Rhythmus der Kammerbildung Flinders Petrie und in Folge auch Arthur Evans und – formal drängt sich geradezu ein Verweis auf die Raphael Pumpelly (Rosenstock 2009: 34f.) diesen oft schneckenförmig dargestellte Zeitachse auf. An Schritt zu einer Zeit wagten, als in den Naturwis- fossilen Nautiliden zeigte sich, dass sich mit rück- senschaften ähnliche Ansätze – im Vergleich etwas schreitender Zeit die Zahl der Wachstumslinien pro hinkend gern als Baumring- und Warven“kalender“ Kammer verringert: 420 Millionen Jahre alte Nau- (z. B. Boshof u. a. 1973: 72 Anm. 2; Voßmerbäumer tiliden weisen lediglich neun Linien pro Kammer 2002: 21) bezeichnet - handfeste Erfolge erzielen auf. Indem Kahn und Pompea dies als Hinweis da- konnten. rauf werteten, dass im Paläozoikum ein synodischer Monat nur neun Tage hatte, konnten sie daraus einen Die bereits von Theophrast von Eresus (ca. unabhängigen Beleg für die aus den Beobachtungen 372–287 v. Chr.) erkannten Baumringe waren zwar von Sonnenfinsternissen in den letzten 3000 Jahren erstmals von Leonardo da Vinci im 15. Jh. als Ma- gefolgerte Annahme ableiten, dass der Mond sich nifestationen jährlichen Zuwachses gedeutet wor- seit der Entstehung des Erde-Mond-Systems stetig den, doch war diese Auffassung erst Mitte des 19. von der Erde entfernt. Diese atemberaubend schöne Jh. allgemein anerkannt. 1881 legte dann Arthur von Argumentation löste sich kurz darauf in Luft auf, als Seckendorff-Gudent ähnliche Sequenzen verschie- Peter D. Ward (1985) durch radiologische Untersu- dener Bäume aneinander und bewies so die über chungen zeigte, dass die Septenbildung bei rezenten den individuellen Baum hinausgehende Bedeutung Nautiliden keineswegs circatrigintan erfolgt, son- der Ausprägung der Ringe (Wimmer 2001). Gerard dern zeitlich zwischen zwei bis drei Wochen bei klei- Jakob De Geer 1878 assoziierte die im zweischichti- nen Exemplaren und 13 bis 15 Wochen bei adulten gen Sedimentwechsel aufgebauten Gesteine des Bal- Tieren variiert. tikums und Skandinaviens in Analogie mit Baumrin- gen als jährliche Ablagerungen, bis er 1904 und 1905 wie von Seckendorff-Gudent durch Aneinanderlegen ähnlicher Sequenzen eine mehrere 1000 Schicht- pakete umfassende Stratigraphie erstellen konnte. Diese deckte geologisch die gesamte postglaziale Periode der Region ab, was den jährlichen Charak- ter der als „Warven“ (von schwed. varv „Runde, Umdrehung, Schicht“) bezeichneten Ablagerungen belegte. Ein erster Versuch der absoluten Datierung dieser Sequenzen scheiterte zwar daran, dass sich die im 1779 entwässerten Ragundasee angetroffenen Warven nicht als bis 1779 kontinuierlich gebildet he- rausstellten. Doch inspirierte er Andrew E. Douglass 1929 zur Entwicklung der Dendrochronologie (Bai- ley 1943; Wimmer 2001) anhand absolut datierter Hölzer. Abb. 11 Wachstumslinien und Kammersepten bei Nautilus pompilius (nach Kahn und Pompea 1978: 607 Fig. 3).

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komparativstratigraphisch miteinander verbunden werden. Mögliche Inseln besser eingrenzbarer Zeit innerhalb der Tellmatrix stellen Befunde wie Gru- benfüllungen dar, die meist rasch nach dem Aushub der Grube eingebracht worden sein dürften, Brand- schichten, die sich relativ schnell bilden, und Bau- horizonte (Abb. 13), die bei gleicher Konstruktions- technik eine ähnliche Dauer zur Bildung benötigt haben dürften (Schier 2001: 371). Sie sind damit, wie auch die Klei- und Mistschichten der Wurten (Uerkvitz 1997), u. U. geeignete Schichtungen, mit deren Hilfe Sedimente auf Siedlungshügeln im Sinne von Rhythmiten ausgedeutet werden können; tapho- nomische und grabungstechnische Schwierigkeiten machen jedoch die Fälle, bei denen die Präzision der Angaben über das Niveau von „im Bereich von Stunden“, „nicht länger als ein paar Tage“ „maximal einige Jahre“ oder „mehrere Jahrzehnte“ hinausgeht, zu einer absoluten Rarität.

Rückstände auf Fußböden oder Schichten in Ab- Abb. 12 Schematische Schnitte durch einen idealtypischen fallhaufen wie in Çatalhöyük Ost (8. und 7. Jt. v. und einen realistischen Siedlungshügel (nach Jablonka Chr.) sind möglicherweise ein Beispiel für taggenau 2000: 105 Abb. 4). eingrenzbare Aktivitäten, die erst sichtbar werden, Der entscheidende Unterschied in den Ansätzen wenn bisher nur auf wenigen Fundplätzen eingesetz- von Flinders Petries Tellstratigraphie als Zeitproxy te mikrostratigraphische Verfahren (Matthews 2005: und De Geers Warvenchronologie bestand darin, dass 138; Shillito u. a. 2011) angewandt werden. Hunder- Flinders Petrie die Ablagerungen von Tell el-Hesi te von dünneren und über 70 dickere alternierende nicht als laminiertes Sediment wie die Warven – die Ruß- und Putzschichten an den Hausinnenwänden Geologie hat für derartige durch periodische Abläu- können als vielleicht monatliche und jährliche Reno- fen wie Gezeiten, Jahreszeiten oder Eiszeiten ent- vierungen in Çatalhöyük gedeutet werden (Matthews standene Gesteine den Begriff ‚Rhythmit‘ geprägt – 1998). Auch für die bis zu 50 Fußbodenschichten sondern als homogenes Schuttpaket betrachtete. im frühneolithischen (1. H. 6. Jt. v. Chr.) Haus von Ohne eine Binnengliederung der Ablagerungen nach Sofia-Slatina (Nikolov 1989: 40–43) ist eine jährli- bekannten eingrenzbaren Zeiteinheiten fehlt der Tell- che Erneuerung denkbar, wenn auch Carl Blegens stratigraphie jedoch der Maßstab (Schier 2001: 371): (1963: 3235) Vorstellung vom Tellwachstum durch die Akkumulationsraten, die für Siedlungsplätze von eine ohne Kehrbesen auskommende Art des Früh- Jericho bis Manhattan kalkuliert wurden, schwanken jahrsputzes eine Fehlinterpretation darstellt (Blum zwar um einen Mittelwert von ca. 0,5 m pro Jahrhun- 2002): „Everything discarded – bones, unwanted dert, doch verbietet die breite Spannbreite zwischen 0,1 m und 4 m pro Jahrhundert (Gunnerson 1973; Rosenstock 2009: 49; 118) jede Verallgemeinerung. Auch das scheinbar so klare Nacheinander sich überlagernder Schichten auf einem Tell wird diffus, wenn man einen zweiten Schnitt öffnet: ohne direk- ten Anschluss durch durchgehend verfolgte Schich- ten (Jablonka 2000: 104) zerfällt auch ein Tell, der letztlich als fraktale Struktur schichtbildender Vor- gänge von der Aufgabe ganzer Siedlungsstellen über die Planierung von Häusern bis zur Neuanlage eines Fußbodens aufgefasst werden kann (Rosen- stock 2009: 187), in Teilstratigraphien (Abb. 12). Sie können nicht anders als getrennte Siedlungsplätze nur über die in ihnen eingeschlossenen datierbaren Abb. 13 Hausgenerationen in Aşıklı Höyük (nach Esin und Funde einschließlich absolut datierbarerer Reste Harmankaya 1999: 93 Abb. 9).

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food, broken dishes – was dropped on the floor in- Generationenwechsel definierten Spanne von ca. 25 doors or thrown out through the doorway into the Jahren und einer durch die Haltbarkeit der Materi- street. Sooner or later there must have come a time alien bedingten Lebensdauer von deutlich über 100 when the floor became so filled with animal bones Jahren. Sie liegen damit weit jenseits der für die For- and litter that even the least squeamish household schung besonders attraktiven jahreszeitlich gebunde- felt that something had to be done in the way of a nen Abläufe (z. B. Jacomet u. a. 1989: 222 Abb. 74; thorough spring cleaning. It was normally accom- Moore u. a. 2001: Fig. 14.4; Fairbairn u. a. 2005: plished in a practical, effective way: not by sweeping 97 Fig. 7.1.), wie sie in Grafiken zur Saisonalität out the offensive accumulation on the floor, but by (Abb. 3, Abb. 14) oft abgebildet werden. Was hier bringing in a good supply of fresh clean clay and dargestellt ist, gibt jedoch oft nur eine anhand der spreading it out thickly to cover the noxious deposit.” archäologischen Funde getroffene Auswahl aus den (Blegen 1963: 34f.). verfügbaren naturräumlichen und ethnographischen Beobachtungen wieder: jede dieser Grafiken wäre zu Ethnographisch sind auch Ereignisse im Leben einem großen Teil ohne jedes Ausgrabungsergebnis der Bewohner wie Geburt, Heirat und Tod als Anläs- zu erstellen. Oft besteht hier zudem die Gefahr, dass se für Fußbodenerneuerungen zu bedenken (Boivin ohne ausreichende Beachtung der zeitlichen Tiefe 2000). Diese Zyklen liegen im Bereich der Instand- diachrone Unterschiede nivelliert werden, wenn ein haltung eines Gebäudes; meist sind jedoch die Perio- und dasselbe rezente Fallbeispiel neolithische und dizitäten, in denen Häuser komplett erneuert wurden bronzezeitliche Verhältnisse gleichermaßen erklären (Matthews 2005: 144f.) die feinsten archäologisch soll (z. B. Kramer 1982; Boivin 2000). erfassbaren Zyklen. Ihre Länge ist nur sehr schwer zu bestimmen; Schätzungen der Standfestigkeit für Das „ethnographische Präsens“ (Bargatzki Lehmziegelhäuser liegen mit 50 Jahren bis mehreren 1997: 225) saugt damit nicht nur die Vorgeschich- Jahrhunderten (Peters 1976: 19; Kramer 1982: 143; te in sich ein, sondern sorgt durch die in der For- Brochier 1994: 625-628) höher als für Pfostenbau- schungsstruktur begründeten oft nur ein oder zwei ten. Deren durchschnittliche Nutzungszeit bewegt Jahre dauernden Beobachtungszeiträume auch dafür, sich – wie die Diskussion um das Hofplatzmodell dass langjährige oder gar Jahrzehnte umspannende (Rück 2007: 142-144) zeigt – zwischen den beiden Wirtschaftszyklen vom Beobachter gar nicht regis- Extremen einer eher humanbiologisch-sozial durch triert werden, wenn sie nicht so auffällig sind wie

Abb. 14 Saisonale Aktivitäten in Çatalhöyük Ost (nach Fairbairn et al. 2005: 97 Fig. 7.1).

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der subtropische Wanderfeldbau. Dieser stellte lange Bogaard 2004) und die Befunde von der Aldenho- Zeit hindurch ein Deutungsparadigma für die mittel- vener Platte ab den 1970er Jahren die Vorstellung und südosteuropäische Neolithikumsforschung dar ortsfester bandkeramischer Siedlungen durchsetzte und fand in jüngerer Zeit Eingang in die Vorderasia- (Lüning 2000: 15), während gleichzeitig allerdings tische Archäologie (Butzer 1971: 314; Naveh 1990: für die zirkumalpinen Seeufersiedlungen teilweise 47; Wilkinson 1990: 96–99; Harris 2002: 72). Die die Wanderfeldbauhypothese aufkam (Lambert u. großen Abstände zwischen den Hausresten der Line- a. 1983), bleibt doch die Frage offen, wie der Bau- arbandkeramik (6. Jt. v. Chr.) Mitteleuropas wurden holzbedarf einer mehrere Jahrhunderte hindurch zu Beginn ihrer Erforschung nicht als Verlagerungen bestehenden Siedlung gedeckt werden konnte. Da einzelner Gebäude, sondern als Verlagerungen der ge- aus Pfostengruben weder auf die Holzart noch auf samten Siedlung und damit als Ausdruck zyklischer die Dicke der Bauhölzer geschlossen werden kann, wirtschaftlicher Vorgänge interpretiert: Werner Butt- bleiben die sich im Verlauf der Besiedlung von Eiche ler und Waldemar Haberey unterschieden für Köln- Richtung Kernobstgehölzen verschiebenden Holz- Lindenthal verschiedene Besiedlungsphasen, die kohlereste wie in Langweiler 8 der derzeit einzige sie als Hinweise darauf werteten, dass die Siedlung Hinweis auf eine mögliche Bauholzverknappung wegen der Auslaugung der Böden von Zeit zu Zeit aus der Bandkeramik (Castelletti 1988). Vermutet verlegt wurde und dann wieder zurückkehrte (Buttler wird dies von André Billamboz (1991) auch für das und Haberey 1936: 163; Buttler 1938: 55). Edward jungneolithische (4. Jt. v. Chr.) Hornstaad-Hörnle Sangmeister (1950) verband dies mit dem landnam- IA: sowohl erhaltene Holzreste als auch Pollenfun- Modell Johannes Iversens und ethnographischen Be- de weisen hier auf einen Eichenrückgang und damit obachtungen an Wanderfeldbauern explizit zu einem wohl auf eine Verknappung qualitativ hochwertiger ‚zyklischen Rotationssystem‘. Holzarten durch selektiven Einschlag hin. Manfred Rösch (1991, 1994) hingegen beziffert für das Jung- Es bot den Vorteil, dass in den vermuteten Auflas- neolithikum den Holzverbrauch auf nur ca. 14 % des sungsphasen wieder ausreichend starke Bäume zum Zuwachses, so dass er die pollenanalytische Evidenz Neubau von Häusern heranwachsen konnten (Sang- als Folge eines mit den 15- bis 25-jährigen Rodungs- meister 1950: 106; Soudský 1962: 198–200; Souds- zyklen einer Niederwaldwirtschaft einhergehen- ký und Pavlů 1972: 325). Denn auch wenn sich durch den Brandfeldbaus (Ehrmann u. a. 2009) ansieht. archäobotanische Forschung (Lüning 2000: 187f.; Damit in Einklang stehen die gleichen Alters- und

Abb. 15 Hausgenerationen in Ovčarovo (nach Bailey 1990: 37 Abb. 2.7–2.10).

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Wuchsmerkmale gleichzeitig geschlagener Bäume in Zyklen unabhängigem Wege nachgewiesen wurde. Hornstaad-Hörnle IA, die als ca. 30 Jahre alte Stock- Dies bedeutet, dass wir erst dann mit einiger Sicher- ausschläge angesprochen werden können (Billam- heit davon ausgehen dürfen, dass z. B. die Fußböden boz 1991, 201). Es erscheint nicht unwahrschein- in Sofia-Slatina jährlich aufgetragen wurden, wenn lich, dass auch die kupferzeitlichen (5. Jt. v. Chr.) die Lebensdauer des Hauses noch auf mindestens Tellsiedlungen Südosteuropas Niederwaldwirtschaft einem anderen Wege als der Auszählung der Fußbo- betrieben: die in Holz-Lehm-Mischbauweise errich- denschichten bestimmt werden kann. Auch wenn der teten Häuser weisen wie die Lehmbauten des akera- in den jungneolithischen Seeufersiedlungen vorlie- misch-neolithischen (8. Jt. v. Chr.) Aşıklı Höyük in gende Idealfall der Auszählung der Baumringe der Zentralanatolien (Abb. 13) oder in Ovčarovo (Abb. verwendeten Bauhölzer nicht überall gegeben ist, 15) eine über etliche Hausgenerationen hinwegrei- können doch Reihen stratifizierter 14C-Daten wie chende Parzellenkonstanz auf, die nur ohne Hiatus in Çatalhöyük oder Ovčarovo und Goljamo Delčevo vorstellbar ist (Todorova 1982; Bailey 1990; Esin die Lebensdauer von Häusern zumindest eingrenzen. und Harmankaya 2007). Mit einer durchschnittli- Erst wenn für einen kulturellen Kontext ein solches chen Stärke von nur ca. 15 cm dürfte die Haltbarkeit Zusammenschwingen als Regel bestätigt werden der verwendeten Hölzer im Bereich von ca. 25 bis 50 kann, wird das Auszählen von periodisch wieder- Jahren gelegen haben (Andraschko 1995), was den kehrenden Schichten ein nutzbares Deutungsmittel. Schätzungen der Dauer eines Besiedlungshorizon- Gleichermaßen gewinnen Kalenderdeutungen erst tes anhand der für Ovčarovo und Goljamo Delčevo dann an Belastbarkeit, wenn die Rolle der vermute- verfügbaren 14C-Daten (Rosenstock 2009: 193), aber ten in den Kalendarien dokumentierten Rhythmen auch der Umtriebsdauer eines Niederwaldes in mit- auch auf anderem Wege bestätigt werden konnte. Im telproduktiven Regionen entspricht (Kramer 1988; Falle der Darstellung astronomischer Zyklen kann BRD 2004; Schütt u. a. 2004). Gerade in Regionen dies z. B. die bildliche Wiedergabe von Himmels- geringer Bioproduktivität und daher stets drohenden körpern wie bei der Scheibe von Nebra, ihren schein- Holzmangels wie im Mittelmeerraum und in Vorder- baren Bewegungen am Himmel wie bei der Plakette asien ist auch für die vorgeschichtliche Zeit mit der von Abri Planchard oder die Ausrichtung von ande- Niederwaldwirtschaft als einem wichtigen Rhyth- ren Befunden auf astronomische Ereignisse wie im musgeber in der Siedlungsarchäologie zu rechnen, Falle frühbronzezeitlicher Kreisgrabenanlagen und wenn auch bisher kaum gezielte Untersuchungen in der Scheibe von Nebra sein. Im Falle von Land- dieser Richtung erfolgten. Die für bandkeramische wirtschaftskalendern wären hingegen z. B. archäo- Häuser benötigten ca. 4 m langen Firstpfosten je- botanische Belege als Hinweise auf das Vorliegen doch bedingen einen Durchmesser von mindestens bestimmter Anbauweisen hilfreich zur Untermau- 0,25 m, den Eichen in Mitteleuropa erst innerhalb erung von Annahmen zu Anbauzyklen. Ansonsten von 60 bis 80 Jahren erreichen (Kramer 1988: Tab. und darüber hinaus muss stets die Warnung gelten, 44). Wenn man nicht von Einzelstammentnahme im dass nicht jede Gleichheit in der Anzahl auch kausal Rahmen einer kontinuierlichen Plenterwaldbewirt- zusammenhängen muss. schaftung, sondern von periodischem Hochwaldein- schlag oder Niederwaldwirtschaft mit langem Zyk- lus ausgehen möchte, böte sich hier ein natürlicher Zyklus zur Eingrenzung der geringsten möglichen Zeitspanne von mindestens 60 Jahren zwischen zwei Hauserneuerungen an.

Schluß

Wirklich belastbar können Argumente für ein periodisches Zusammenschwingen natürlicher oder menschlich modifizierter natürlicher Zyklen mit Anzahlen von gleichartigen Zeichen auf als Kalen- darien gedeuteten Artefakten und in wiederkehren- den Befundtypen im archäologischen Befund nur sein, wenn die den Befunden inhärente Periodizität und Periodenlänge auf einem von den natürlichen

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Zahl Mögliche Bedeutung und Quelle 1 Schaltmonate/Triëteris (Schmidt-Kaler 2008, 20) 2 3 Schaltmonate/Oktaëteris (Schmidt-Kaler 2008, 15), Wochen/Monat (Schmidt-Kaler 2008, 15, 19), Jahre/Triëteris (Schmidt-Kaler 2008, 20) 4 Wochen/Monat (Schmidt-Kaler 2008, 20) 5 Tage/Woche=Monatssechstel (Schmidt-Kaler 2008, 13), Schalttage/Jahr (Schmidt-Kaler 2008, 15) 6 Tage/Woche=Monatsfünftel, Schaltmonate/Doppeloktaëteris (Schmidt-Kaler 2008, 13), Schalttage/Jahr (Schmidt-Kaler 2008, 15) 7 Tage/Woche=Monatsviertel (Schmidt-Kaler 2008, 13), Schaltmonate/Metonzyklus (Schmidt-Kaler 2008, 20; Hansen/Rink 2008, 109) 8 Jahre/Oktaëteris (Schmidt-Kaler 2008, 15), Jahre/Venusperiode (Schmidt-Kaler 2008, 34) 9 Tage/Woche=Monatsdrittel (Schmidt-Kaler 2008, 13) 10 Tage/Woche=Monatsdrittel (Schmidt-Kaler 2008, 13) 11 Schalttage/Saroszyklus (Hansen/Rink 2008, 109) 12 Monate/Jahr (Schmidt-Kaler 2008, 12), Jahre/Jupiterperiode (Schmidt-Kaler 2008, 34) 13 Monate/Jahr (Schmidt-Kaler 2008, 12) 14 15 16 Jahre/Doppeloktaëteris 17 18 Jahre/Saroszyklus (Hansen/Rink 2008, 109), (2. Monatsdrittel ?) 19 Jahre/Metonzyklus (Schmidt-Kaler 2008, 20) 20 Jahre/Merkurperiode (Schmidt-Kaler 2008, 34), (2. Monatsdrittel ?) 21 22 23 24 25 26 27 Tage/Monat (Schmidt-Kaler 2008, 12) 28 Tage/Monat (Schmidt-Kaler 2008, 13) 29 Tage/Monat (Schmidt-Kaler 2008, 13) 30 Tage/Monat (Schmidt-Kaler 2008, 13) Tab. 1 In der in diesem Aufsatz ausgewerteten Literatur erwähnte ganzzahlige Näherungen an kalendarisch bedeutsame Zahlen im Zahlenraum 1 bis 30.

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Moderne Zeitreisen oder Die performative Aneignung vergangener Lebenswelten

Stefanie Samida

Zitiervorschlag Stefanie Samida. 2014. Moderne Zeitreisen oder Die performative Aneignung vergangener Lebenswelten. In Sabine Reinhold und Kerstin P. Hofmann, Hrsgin.: Zeichen der Zeit. Archäologische Perspektiven auf Zeiterfahrung, Zeitpraktiken und Zeitkonzepte (Themenheft). Forum Kritische Archäologie 3: 136–150.

URI http://www.kritischearchaeologie.de/repositorium/fka/2014_3_10_Samida.pdf

DOI 10.6105/journal.fka.2014.3.10

ISSN 2194-346X

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Moderne Zeitreisen oder Die performative Aneignung vergangener Lebenswelten*

Stefanie Samida

Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam, Am Neuen Markt 1, 14467 Potsdam. samida[AT]zzf-pdm.de

Zusammenfassung

Der Begriff ‚Living History‘, im Deutschen oft als lebendige/wiederbelebte/erlebte Geschichte übersetzt, steht sowohl für populäre Geschichtsrepräsentationen als auch für den Versuch einer emotionalen Aneignung von Vergangenheit. Im Zentrum des Beitrages stehen die ‚Zeitreisenden‘ und ihr Eintauchen in fremde Welten. Nach einer knappen Skizzierung des fachübergreifenden Forschungsfelds schließen sich einige terminologische Bemer- kungen bezüglich des Begriffs ‚Living History‘ an. In einem dritten Teil wird dann die Frage verfolgt, mit welchen Mitteln die Akteure meinen, den ‚Zeitsprung‘ herstellen zu können und was sie motiviert, sich aus unserer Zeit in eine andere zu begeben. Die Analyse verdeutlicht, dass die Zeitreise ein kulturelles Konstrukt ist und als karneva- leskes Abenteuer verstanden werden kann. Zuletzt wird das Potential der ‚Living History‘ als Forschungsgegen- stand der Prähistorischen Archäologie beleuchtet.

Abstract

‘Living history’, in Germany usually translated as lebendige/wiederbelebte/erlebte Geschichte, stands both for a specific form of popular representation of history and the attempt of an affective acquirement of the past. This article is devoted to the so called ‘time travelers‘ and their immersion into unknown worlds. The article’s first two paragraphs deal with the field of research and some terminological remarks. Subsequently, the focus will be on the instruments of time traveling and on the performers’ motives to engage in ‘living history’ activities. The analysis shows, that time traveling is not more than a cultural construction that can be understood as a carnival-like adven- ture (karnevaleskes Abenteuer). At least, the significance of ‚living history‘ as a field of research of Prehistoric Archaeology will be highlighted.

Schlüsselwörter: Prähistorische Archäologie; Living History/Re-Enactment; Gesellschaft; Public History/Public Archaeology; Erleben

Keywords: Prehistoric Archaeology; Living History/Re-Enactment; Society; Public History/Public Archaeology; Experience

* Das Manuskript entstand im Rahmen meines Fellowships am Berliner Exzellenzcluster Topoi. The Formation and Trans- formation of Space and Knowledge in Ancient Civilizations und integriert erste Ergebnisse eines von der Universität Tü- bingen 2011 geförderten Projektes zum Thema „Living History. Wohin führt der Weg populärer Geschichtsvermittlung?“; in diesen Kontext gehört auch ein kürzlich erschienener Beitrag mit einem anders gelagerten Schwerpunkt, siehe Samida 2012b. Das Manuskript wurde zu Beginn des Jahres 2012 verfasst und im Juli 2013 geringfügig aktualisiert. – Manfred K. H. Eggert, Kerstin P. Hofmann, Georg Koch und Sabine Reinhold danke sehr ich für ihre Anregungen und Hinweise.

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Einleitung ‚Zeit‘ wird in unserem Zusammenhang nicht als physikalische Größe begriffen – eine Reise durch die Die erlebnisorientierte Vermittlung historischer Zeit ist bekanntlich nicht möglich. ‚Zeit‘ in diesem Themen hat seit den neunziger Jahren des 20. Jahr- Kontext meint vielmehr eine relative Größe, die die hunderts stetig zugenommen. Darunter fallen auch Akteure in einem ganz konkreten Handlungsraum jene geschichtskulturellen Ausprägungen, die unter durch verschiedene Mittel, wie zu zeigen sein wird, dem Label ‚Living History‘ firmieren. Es geht da- herzustellen suchen. Die Immersion spielt dabei die bei um den Nachvollzug vergangener Lebensver- zentrale Rolle, wenn es darum geht, sich aus unserer hältnisse. Diese Art der Geschichtsdarstellung und Zeit zu lösen und sich Vorstellungen von einer ande- Geschichtsaneignung findet vornehmlich – aber ren zu machen. nicht nur – in Freilichtmuseen statt. Sie ist beim Pu- blikum aufgrund des ‚Mitmach‘-Charakters beliebt: Im Zentrum des in fünf Abschnitte gegliederten visuelles, akustisches und haptisches Erleben stehen Beitrages stehen die ‚Zeitreisenden‘ und ihr vorgeb- im Vordergrund. In den letzten Jahren haben solche liches ‚Eintauchen‘ in vergangene, fremde Welten. Darstellungen vermehrt auch in archäologische Fern- In einem ersten Abschnitt wird das fachübergreifen- sehdokumentationen und sogenannte ‚Doku-Soaps‘ de Forschungsfeld zunächst knapp skizziert. Daran (z. B. Steinzeit – Das Experiment) Einzug gehalten. schließen sich einige terminologische Bemerkungen Bei den ‚Doku-Soaps‘ werden ausgesuchte oder bes- an, gibt es neben ‚Living History‘ doch noch zahl- ser ‚gecastete‘ Zeitgenossen in einen konstruierten reiche andere Begriffe, die ähnlich konnotiert sind. historischen Raum versetzt und müssen sich – immer In einem dritten Teil wird dann die Frage verfolgt, begleitet von der Filmkamera – in der inszenierten mit welchen Mitteln die Akteure meinen, den ‚Zeit- ‚Fremde‘ einer vermeintlich historischen Lebens- sprung‘ herstellen zu können und was sie motiviert, welt stellen. Laien ‚reisen‘ so für kurze Zeit ins 19. sich aus unserer Zeit in eine andere zu begeben. Die Jahrhundert oder in die Steinzeit und ‚kämpfen‘ vor Analyse stützt sich auf bereits veröffentlichte sowie der Kamera mit Schwierigkeiten, die den „histori- eigene Untersuchungen und Beobachtungen (s. u.)2 schen Zeitgenossen so wohl fremd gewesen wären“ und verdeutlicht, dass die Zeitreise ein kulturelles (Krug-Richter 2009: 65).1 Konstrukt ist, ja – so die weiterführende These – als karnevaleskes Abenteuer verstanden werden kann. Bei beiden hier beschriebenen Formen unterneh- Den Abschluss bildet ein kurzer Ausblick, der die men die Darsteller und Darstellerinnen den Versuch, Bedeutung der ‚Living History‘ als Forschungsge- in die Vergangenheit ‚einzutauchen‘ – oder richtiger: genstand der Prähistorischen Archäologie hervor- ‚Vergangenheit‘ in die Gegenwart zu holen – und sie hebt. körperlich und sinnlich erfahrbar zu machen. Gesine Krüger (2010: 155) hat das kürzlich folgendermaßen ausgedrückt: „damals ist heute – heute ist damals“. Living History: Ein fachübergreifendes Phänomen

Die Beschäftigung mit dem Thema ‚Living His- 1 ‚Doku-Soaps‘ sind hybride Fernsehformate, die die tory‘ mag auf den ersten Blick für die Archäologie klassische Fernsehdokumentation mit Elementen marginal erscheinen. Ein Blick in die Forschungs- des Reality-TV und des Spielfi lms verbindet. – Die literatur bestätigt das. Von archäologischer Seite ist ‚Doku-Soap‘ Steinzeit – Das Experiment lockte 2007 über 11 Millionen Zuschauer und Zuschauerinnen bislang nur wenig Fundierendes erschienen, meist vor den Fernseher. Andere ‚Doku-Soaps‘ wie etwa handelt es sich um kürzere Abhandlungen (z. B. Schwarzwaldhaus 1902, Abenteuer 1900 – Leben im Junkelmann 2002; Holtorf 2007, 2010, 2012; Möl- Gutshaus, Windstärke 8 sowie Bräuteschule 1958, die ders 2008; Schöbel 2008a, b sowie die Aufsätze in alle das Leben im 19./20. Jahrhundert thematisierten, Keefer 2006; DASV 2011). Das interdisziplinäre sowie Abenteuer Mittelalter. Leben im 15. Jahrhundert waren ähnlich populär. Im Zusammenhang mit dem Steinzeit-Projekt wird auch von ‚Living Science‘ ge- sprochen. Die Initiatoren sahen das Projekt also nicht 2 Eine Beschäftigung mit dem Thema unter Hinzu- in der Tradition des Big Brother-Formats verhaftet, ziehung von Meinungen und Stellungnahmen von sondern betrachteten es als Experiment, das imstan- Archäotechnikern und -technikerinnen, Experimen- de sei, der Wissenschaft Erkenntnisse zu liefern; dazu talarchäologen und -archäologinnen, Re-Enactors/Li- etwa Schöbel 2008a, b. Zum Steinzeit-Projekt siehe ving-Historians und anderen mehr ist wünschenswert; auch das zugehörige Buch von Schlenker/Bick 2007 da es bislang nur wenige empirische Untersuchungen sowie die kritische Auseinandersetzung von Jung (in hierzu speziell aus archäologischer Perspektive gibt, Vorb.). bleibt dies zukünftigen Studien vorbehalten.

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Feld der ‚Living History‘ ist Forschungsgegenstand Terminologisches: ‚Living History‘, ‚Re- besonders der Europäischen Ethnologie/Volkskunde Enactment‘, Zeitreise (z. B. Bendix 2000; Drieschner 2005; Fenske 2007, 2009; Krug-Richter 2009; Groschwitz 2010), der Die ‚Living History‘ hat ihre Wurzeln in den USA Geschichtswissenschaft (z. B. Etges 2009; Krüger und breitete sich während der 1990er Jahre über 2010), der Anglistik/Amerikanistik (z. B. Schind- die skandinavischen Länder nach Deutschland aus. ler 2003; Schwarz 2007, 2010; die Arbeiten von Unter diesem Begriff ist eine Präsentation von Ge- Hochbruck, zuletzt 2011) und der Museumspäd- schichte zu fassen, die im Deutschen in der Regel agogik (z. B. die Artikel in Carstensen u. a. 2008; mit ‚lebendige/wiederbelebte/belebte Geschichte‘ Duisberg 2008). Besonders die englischsprachige oder ‚Geschichte erleben‘ umschrieben wird.4 Debatte wird seit Jay Andersons (1982, 1984) grund- legenden Arbeiten intensiv geführt (z. B. Criticism Einer der Pioniere bei der Erforschung der ‚Li- 2004; Magelssen 2007; McCalman und Pickering ving History‘ ist der Amerikaner Jay Anderson. Er 2010). Eine Auseinandersetzung mit der ‚Living definierte sie wegweisend als „an attempt by peop- History‘ aus archäologischer Perspektive ist loh- le to simulate life in another time“ (Anderson 1982: nend, da dieser Form der Geschichtsdarstellung bei 291) und unterschied drei Formen bzw. Dimensio- der Frage nach der Wechselbeziehung von Archäo- nen und damit auch Funktionen: 1. ‚Living Histo- logie und Gesellschaft eine zunehmend wichtigere ry‘ als Experimentelle Archäologie („research“); 2. Aufgabe zukommt – ganz besonders dann, wenn es ‚Living History‘ als ‚Werkzeug‘ der Wissensver- um Fragen der Deutung, Vermittlung und Aneignung mittlung bzw. der historischen Sinnbildung (z. B. im vergangener Lebenswelten geht. Und die ‚Reise in Museum) („interpretation“) sowie 3. ‚Living Histo- die Vergangenheit‘ gehört, wie Michaela Fenske ry‘ als Spiel bzw. Hobby („play“) (Anderson 1982: (2009: 80) festgestellt hat, zum „allgemeinen Ge- 290–291, 1984: 12–13). Die von ihm vorgenomme- schichtsboom, der die spätmodernen Zeitgenossen ne Unterteilung hat zu einer gewissen Verwässerung erfasst hat“. Während sich in der deutschsprachigen des Begriffs geführt. So wird etwa der ebenfalls Geschichtswissenschaft das aus den USA kommen- gebräuchliche Begriff ‚Re-Enactment‘ zumeist sy- de Forschungsfeld ‚Public History‘ mehr und mehr nonym zu ‚Living History‘ verwendet. Er bezeich- (auch institutionell) zu etablieren beginnt – und da- net ursprünglich jedoch das Nachspielen konkre- mit die Beschäftigung mit den vielfältigen Formen ter geschichtlicher Ereignisse – in der Regel von der Geschichtskultur sowie der Beziehung zwischen Schlachten wie etwa diejenigen von Hastings (1066) akademischer und öffentlicher Geschichte –, gehen oder von Gettysburg (1863) – an Originalschauplät- die innerhalb der ‚Public History‘ geführten Dis- zen, in historisch exakten Gefechtsformationen und kussionen an den archäologischen Fächern vorbei;3 originalgetreu nachgebildeten Ausrüstungen (zum auch die im anglophonen Raum intensiv geführten ‚gespielten Krieg‘ z. B. Bendix 2000; Hart 2007). Diskussionen um eine ‚Public Archaeology‘ (z. B. Darüber hinaus hat Andersons Gliederung dazu ge- Merriman 2004; Shanks 2005), die sich mit der Ver- führt, dass die Experimentelle Archäologie mit ‚Li- mittlung und Wahrnehmung von Archäologie bzw. ving History‘ gleichgesetzt wird. Die Experimentelle der von ihr erforschten Vergangenheit sowie ethi- Archäologie ist jedoch ein Spezialgebiet der Archäo- schen Aspekten beschäftigt, werden im deutschspra- logie, das mit Hilfe von wissenschaftlichen Experi- chigen Raum immer noch stiefmütterlich behandelt. menten zu Einsichten über bestimmte ur- und früh- Nur langsam beginnt sich hier etwas zu ändern (bei- geschichtliche Gegebenheiten zu kommen versucht. spielsweise Gehrke und Sénéchaeu 2010) – von ei- Sie stellt daher keine Form der ‚Living History‘ dar nem Studiengang ‚Public Archaeology‘, wie wir ihn etwa am University College in London finden, sind wird aber noch weit entfernt.

4 Das ‚Live Action Role Playing‘ (LARP) wird im Fol- genden nicht einbezogen, auch wenn gewisse Ähn- 3 ‚Public History‘ kann mittlerweile auch in Deutsch- lichkeiten zur Living History bestehen. In der Regel land studiert werden, etwa an der FU Berlin; in Hei- haben LARPs jedoch fi ktiven Charakter und sind dem delberg wird ein Masterstudiengang mit gleichem Na- Fantasy-Genre zuzurechnen. – Der Kunstbegriff ‚Re- men eingerichtet; in Mannheim kann man den Master Enlarpment‘ (auch ‚reenlarpment‘) ist hingegen mehr „Geschichte – Wissenschaft und Öffentlichkeit“ und Re-Enactment denn LARP; er bezeichnet das „freie in Gießen den Bachelor „Fachjournalistik Geschich- Spiel im Setting vergangener Ereignisse“, in dem das te“ erwerben. Zum Begriff und zum Forschungsge- Lebensgefühl einer vergangenen Epoche ‚erspielt‘ genstand der Public History siehe Zündorf (2010) mit wird (Herchert 2007: 109); Fantasy-Elemente sind da- weiterer Literatur. bei nicht erlaubt.

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(siehe z. B. Eggert und Samida 2013: 56–57; ähnlich beschränkt. Gewöhnlich subsumiert man darunter auch Outram 2008; Weller 2010).5 auch das Eintauchen des Lesers in einen historischen Roman, das passive Zuschauen von sogenannten In den vergangenen Jahren hat sich vor allem der ‚Doku-Soaps‘ vor dem Fernseher sowie die Fahrt Freiburger Amerikanist Wolfgang Hochbruck (z. B. mit einer Postkutsche aus dem 18. Jahrhundert wäh- 2008, 2009a, b, zuletzt 2011) in seinen Arbeiten im- rend eines Ausstellungsbesuchs. mer wieder mit der unklaren Terminologie beschäf- tigt. Er hat darauf aufmerksam gemacht, dass der Es dürfte deutlich geworden sein, dass über die Begriff ‚Living History‘ semantisch unklar sei und Terminologie in der Forschung bislang keine Klar- einen oxymoronischen Charakter habe (Hochbruck heit herrscht, allerdings zeigt sich, dass der Versuch 2009a: 216–217). Stattdessen führte er den Oberbe- der Immersion eine entscheidende Rolle spielt. In griff ‚Geschichtstheater‘ in die Diskussion ein, der in dieser Hinsicht lassen sich dann auch gewisse Ähn- die Modi ,Re-Enactment‘ und ,Museumstheater‘ zu lichkeiten zwischen der ‚Living History‘ und der trennen sei. Während er das erstere als kostümiertes Phänomenologischen Archäologie, wie sie vor al- Spiel zum Zeitvertreib definiert, versteht er letzteres lem in Großbritannien seit den 1990er Jahren betrie- als eine spezielle Form von ‚Living History‘ bzw. ben wird, erkennen. Als einer der ersten hat Chris- ‚Geschichtstheater‘ – eine Form, die im musealen topher Tilley (1994) eine grundlegende Arbeit zu Kontext angesiedelt ist und einem konkreten didakti- phänomenologischen Ansätzen in der Archäologie schen Konzept folgt (Hochbruck 2009a: 217–218).6 geliefert. Es war dann besonders Julian Thomas, einer ihrer bekanntesten Protagonisten, der diese Der Begriff ,Zeitreise‘ wird ebenfalls immer wie- Ansätze aufgenommen und fortgeführt hat (siehe der in dem uns interessierenden Zusammenhang etwa Thomas 1996, 2006). Das Augenmerk der Phä- benutzt (z. B. Holtorf 2007, 2010; Fenske 2009). nomenologischen Archäologie liegt auf ‚sinnlichen‘ Anders als bei H. G. berühmten Science Fic- Erfahrungen speziell von Landschaften, Plätzen und tion-Klassiker Time Machine (1895), bei dem die Monumenten. Dazu ist es notwendig, solche Plätze Hauptperson in eine ihr unbekannte Zukunft kata- aufzusuchen und sie zu studieren, indem alle Sinne pultiert wurde, reisen die Protagonisten von heute in (Sehen, Riechen, Hören, ggf. auch Tasten) eingesetzt eine ihnen scheinbar bekannte Vergangenheit. Der werden, um damit vergangene menschliche Erfah- Terminus ‚Zeitreise‘ impliziert somit – anders als die rungen und ihre Deutungen besser zu verstehen.7 anderen bislang vorgestellten Begriffe – immer auch Während es dem Archäologen jedoch darum geht, eine ‚Reise‘ in die Zukunft. Cornelius Holtorf (2010: die an den Orten gemachten Erfahrungen in wissen- 33) hat es folgendermaßen ausgedrückt: „Time tra- schaftliche Erkenntnisse zu überführen, sind die Mo- vel is an experience and social practice in the present tive der Re-Enactors – wie noch zu zeigen sein wird that evokes a past (or future) reality“. Es liegt meines – völlig anders gelagert. Erachtens aber strukturell ein gehöriger Unterschied darin, ob man eine ‚Reise‘ in eine – wenn auch nur Im Folgenden verwende ich die Begriffe ‚Re- bruchstückhaft bekannte – Vergangenheit unter- Enactment‘ und ‚Zeitreise‘ – hier ausschließlich als nimmt oder in eine völlig unbekannte Zukunft. Bei ‚Reise in die Vergangenheit‘ – synonym im Sinne ersterer kann man auf Bekanntes zurückgreifen, bei des kostümierten Spiels, während ich ‚Living Histo- letzterer fehlen jegliche Anhaltspunkte, auf die man ry‘ ganz generell als Versuch der aktiven Aneignung rekurrieren könnte. Auch in methodologischer Hin- von Vergangenheit und somit als praktisches/emotio- sicht gibt es Unterschiede; Geschichtsdarstellungen/- nales/körperliches Erleben von Vergangenheit in der erfahrungen müssen anders als Zukunftsdarstellun- Gegenwart fasse. Damit entwerfe ich zwar einen re- gen analysiert und gewertet werden. Beziehen wir lativ weiten Begriff von ‚Living History‘, der jedoch den Begriff auf die uns interessierende ‚Reise in klar vom Lesen von Historienromanen oder dem die Vergangenheit‘, so fällt auf, dass er ebenfalls Zuschauen von TV-Dokumentationen zu trennen ist. mehrdeutig verwendet wird und sich nicht allein auf die bereits genannten ‚Living History‘-Formen 7 Die Kritik an dieser Art der Archäologie blieb nicht aus. Der Ansatz wird nicht selten, auch aufgrund einer mangelnden verbindlichen Methodik, als unwissen- 5 Die gewiss wichtige Frage, ob sich auch aus der ‚Li- schaftlich und subjektiv bezeichnet (Versuche, eine ving History‘ Erkenntnisse für die Wissenschaft ablei- solche zu entwickeln, fi nden sich bei Hamilton u. a. ten lassen, kann hier nicht beantwortet werden, da es 2006). Wie Brück (2005) halte ich den Ansatz für pro- dazu keine fundierten Studien gibt. blematisch und das Ziel für unerreichbar; allerdings 6 Markus Walz (2008) geht in eine ähnliche Richtung; er mag der phänomenologische Zugriff durchaus neue bevorzugt den Begriff ‚historisches Spiel‘. Denkanstöße liefern.

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Die Differenzierung resultiert aus dem Gegensatz Die Zeitreise: Mittel und Motive der Akteure von aktivem Tun und ‚passivem‘ Rezipieren, also zuschauen, lesen. Bei den verschiedenen Formen von ‚Living His- tory‘ steht also das körperliche Erleben von Ver- Dieses aktive Tun wiederum lässt verschiedene gangenheit im Vordergrund. Das trifft auf Akteure Formen und Praktiken zu. Ein so verstandener Be- in ‚Doku-Soaps‘ ebenso zu wie auf Re-Enactors in griff erfasst nicht nur das klassische ‚Re-Enactment‘ Museen. Was sie unter anderem unterscheidet, sind und damit das kostümierte Nachempfinden/-spielen ihre epochenspezifischen Vorkenntnisse. Während von Vergangenheit, sondern etwa auch sogenannte die Darsteller und Darstellerinnen in den ‚Doku- ‚themed walks‘. Darunter fallen Stadtrundgänge, Soaps‘ nicht selten danach ausgewählt werden, dass historische Pilgerwege bis hin zu anspruchsvollen sie möglichst „wenig Kenntnis über die historische Wandertouren entlang prähistorischer und Weltkul- Lebenswelt haben, in die sie reisen“ (Fenske 2007: turerbe-Stätten (z. B. Limeswanderweg; auf ‚Ötzis‘ 89), sind Re-Enactors, die in Museen auftreten, häu- Spuren über die Alpen); auch solche Formen, bei de- fig schon Jahre in der ‚Szene‘ aktiv und besitzen ein nen die körperliche und sinnliche Erfahrung in Raum ausgesprochen gutes Fachwissen über die von ihnen und Zeit ebenfalls eine wichtige Rolle spielen, gehö- dargestellte Zeit. Unabhängig von der Form – live ren mittlerweile zur weit verbreiteten Praxis, wenn es vor der Kamera oder live vor dem Publikum – sind um partizipatives Erleben von Vergangenheit geht.8 die Mittel, mit denen sie eine Zeitreise zu bewerk- stelligen suchen, jedoch ähnlich. ‚Living History‘ fungiert also als Oberbegriff für die verschiedenen Formen körperlichen Erlebens Die folgende Analyse stützt sich auf einige we- von Vergangenheit. Ihr zeitliches Spektrum reicht nige bislang publizierte empirische Untersuchungen von der Urgeschichte bis in die Nachkriegszeit;9 sie und Beobachtungen11 sowie auf eine im Sommer knüpft in der Regel an wissenschaftliche Erkenntnis- 2011 erhobene Umfrage unter ‚Living History‘- se an, schafft aber zugleich im öffentlichen Vollzug Darstellern und Darstellerinnen sowie einen Be- ganz eigene, neue Bedeutungen, über deren Verhält- such des ‚Römerfests‘ in Rottenburg a. N. Ende nis zur wissenschaftlichen Forschung bislang wenig August 2011.12 Im Rahmen der Umfrage wurden 19 bekannt ist.10 Das kostümierte ‚Re-Enactment‘ bzw. Re-Enactment-Gruppen bzw. Einzelpersonen per die kostümierte Zeitreise stellt dabei nur einen Mo- E-Mail angeschrieben, die den Schwerpunkt ihrer dus von ‚Living History‘ dar – er steht im Zentrum Darstellung auf ur- und frühgeschichtliche Epochen der folgenden Betrachtung. haben; es wurde darauf geachtet, Gruppen mit un- terschiedlichen zeitlichen wie räumlichen Charakter einzubeziehen (z. B. Alamannen, Germanen, Kelten, Römer, Steinzeit-Gruppen). Von den damit ca. 200– 250 erreichten Einzelpersonen haben 47 geantwor- tet.13 Aufgrund der geringen Zahl der auswertbaren Fragebögen ist klar, dass diese Umfrage selbstver- ständlich keinen repräsentativen Charakter besitzt. 8 Allgemein spricht man von „themed environments“ Sie kann aber durchaus – in Kombination mit ande- (Schlehe u. a. 2010). Den bislang wenig beachte- ren, vor allem qualitativen Untersuchungen – Ten- ten ‚themed walks‘ geht ein Teilprojekt des von der denzen aufzeigen. Die Umfrage zielte besonders auf VolkswagenStiftung geförderten Vorhabens „Living den Aspekt der Motivation der Befragten; darüber History: Reenacted Prehistory between Research and hinaus wurde unter anderem die Gruppenzugehö- Popular Performance“ (siehe Anm. 10) nach. rigkeit, Motive für den Beitritt in eine Gruppe und 9 Die „Historiale“ in Berlin – ein Geschichtsfestival, das demographische Daten erfragt. „Geschichte live erlebbar macht“ – thematisierte 2011 unter dem Titel „Hauptstadt der Spione“ die Zeit zwi- schen 1945 und dem Mauerbau. Zur Historiale siehe auch [Stand: 5.7.2013]. 11 Besonders Drieschner 2005; Fenske 2007, 2009; Krug-Richter 2009; Groschwitz 2010. 10 Diesem Desiderat ist das von der VolkswagenStif- tung geförderte Projekt „Living History: Reenacted 12 Sophie Reinlaßöder, Valeria Schäfer und Dirk Seiden- Prehistory between Research and Popular Perfor- sticker danke ich sehr für ihre Hilfe bei der Vorberei- mance“ gewidmet, das am Zentrum für Zeithistorische tung, Durchführung und Nachbereitung der Umfrage Forschung (ZZF) in Potsdam und an der Universität sowie für ihre Beobachtungen auf dem Rottenburger Tübingen durchgeführt wird. Für einen Überblick ‚Römerfest‘. zum Forschungsprojekt siehe Samida 2012a sowie 13 Es antworteten 15 Frauen und 32 Männer; von den 47 [Stand: Befragten hatten 27 (also rund 57 %) studiert, davon 5.7.2013]. wiederum 11 mit einem Schwerpunkt auf Archäologie.

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Kriterium, wenn es um die Glaubwürdigkeit der Re-Eactors und ihrer Darstellung beim Publikum geht; nicht selten gilt sie als Qualitätsmerkmal. Ne- ben dieser objektbehafteten Authentizität spielt auch die im Rahmen des emotionalen Nachempfindens von Vergangenheit subjektzentrierte Authentizität bzw. authentische Selbstdarstellung eine bedeuten- de Rolle. Letztlich handelt es sich aber um „Au- thentizitätsfiktionen“ (Pirker und Rüdiger 2010).

Die Kleidung ist also ein wichtiger Aspekt, ein weiterer ist die Art und Weise der Darstellung bzw. des Eintauchens in die Vergangenheit. Gewöhnlich unterscheidet man zwischen ‚first-‘, ‚second-‘15 und ‚third-person-interpretation‘. Während Darsteller oder Darstellerinnen in der ersten Person versuchen, wie eine historische Person – sei sie historisch be- kannt oder nur fiktiv – zu agieren, sucht der Akteur in der dritten Person eine gewisse Distanz zwischen sich und der von ihm dargestellten Vergangenheit herzustellen (Hochbruck 2009a: 218). Die Re- Enactors, die als ‚first-person-interpreters‘ auftre- ten, versuchen also ganz bewusst die Gegenwart in ihrer Darstellung auszublenden. Der zeitliche Be- Abb. 1: Akteure auf dem ‚Römerfest‘ in Rottenburg a. N. zugspunkt beim ‚third-person-interpreter‘ bleibt hin- 2011 (Foto: S. Samida). gegen stets die Gegenwart (Klein 2010: 125–126), wodurch der Konstruktionscharakter der Zeitreise Zum wichtigsten Mittel zählt die Verkleidung bloßgelegt wird.16 (Abb. 1). Mit dem Ablegen der zeitgenössischen bzw. Alltagskleidung und dem Anlegen eines Kostüms Nicht selten ist die Zeitreise auch an einen wird einerseits „Geschichte am eigenen Leib erfah- historischen Ort gebunden. Die Vergangenheit wird ren“ (Fenske 2009: 83). Andererseits wird auch rein also nicht nur im Museum oder vor der Kamera optisch ein Rollen- und damit in gewisser Hinsicht ‚zum Leben erweckt‘, sondern auch an sogenannten auch ein Identitätswechsel vorgenommen, nach dem ‚historic sites‘. Der authentische Ort vermag dabei Motto ‚Bankangestellter war ich vorhin, jetzt bin ich „auratische Erfahrung“ (Pirker und Rüdiger 2010: ein römischer Legionär des 1. Jahrhunderts n. Chr.‘. 19) hervorzubringen, wie es andernorts nicht für Die Kleidung und weitere Ausrüstungsgegenstände möglich gehalten wird. – in diesem Falle z. B. Tunika, Helm (galea), Ketten- hemd (lorica hamata), Sandalen (caligae) und Kurz- Die hier aufgeführten Authentifizierungsstra- schwert (gladius) – markieren nicht nur für den Dar- tegien laufen gleichwohl nicht selten gegenein- steller selbst, sondern auch für das Publikum eine Art ander, etwa dann, wenn sich die Akteure einer ‚Zeitsprung‘ – der materiellen Kultur kommt also eine entscheidende Rolle bei der Zeitwahrnehmung zu. Gleiches gilt auch für weiblichen Rollentausch. 15 Die Darstellung in der zweiten Person, die in der Regel Die materielle Kultur ist es, die bei Akteuren und weit weniger praktiziert wird, versucht Zuschauer und Zuschauerinnen einzubinden: Sie sollen in eine ihm Zuschauern das ‚Eintauchen‘ in eine andere Epoche zugewiesene Rolle schlüpfen (ausführlich dazu etwa und die Vorstellung von ‚einst‘ und ‚jetzt‘ erleich- Magelssen 2006). Sie ist in unserem Zusammenhang tert. Durch die zumeist originalgetreu hergestellte nachrangig. Kleidung und Ausrüstung soll zugleich Authentizi- 16 Klein (2010) hat gezeigt, dass auch in den ‚Doku- tät hergestellt werden.14 Sie ist ein entscheidendes Soaps‘ der Konstruktionscharakter deutlich wird, in- dem die Akteure in den Sendungen immer wieder auch über ihr ‚Dasein‘ in der ihnen zugewiesenen vergan- 14 Der Begriff ‚Authentizität‘ ist durch semantische Un- genen Lebenswelt und den von ihnen übernommenen bestimmtheit gekennzeichnet. Auf eine ausführliche Aufgaben sprechen und refl ektieren. Es handele sich Darstellung der Begriffsgeschichte muss im Folgen- also nicht um Darstellungen der Vergangenheit, son- den verzichtet werden; siehe aber etwa Saupe 2012 mit dern um gegenwärtige Auseinandersetzungen mit ge- weiterführender Literatur. wissen Aspekten der Vergangenheit (Klein 2010: 141).

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„historisierenden Kunstsprache“ (Groschwitz 2010: Qualm, der sich grundsätzlich dann die Leute aus- 150) bemächtigen. Grundsätzlich ist anzumerken, sucht, die direkt am Feuer sitzen [...]“ (Drieschner dass die Zeitreisenden ihrem eigenen hohen An- 2005: 46) zeigen, dass das sinnliche, körperliche Er- spruch an Authentizität kaum gerecht werden kön- fahren von elementarer Bedeutung für die Akteure nen. Denn neben der Sprache, die wir in der Regel ist. Dies bestätigt auch die im Sommer 2011 von uns – je weiter wir in die Vergangenheit gehen – nicht durchgeführte Umfrage; auf die Frage, wie wichtig rekonstruieren können, wissen wir auch kaum etwas das Motiv sei, Geschichte/Vergangenheit selbst zu über Gestik und Mimik historischer Menschen bei- ‚erleben‘/‚erfahren‘, antwortete die Mehrheit (24 spielsweise von Kelten, Römern oder der Menschen Personen) auf einer Skala von 1 (unwichtig) bis 6 in der Frühen Neuzeit. Die alltäglichen kulturellen (wichtig) mit 5 und 6 (Abb. 2). Praktiken sind uns unbekannt und somit auch kör- perlich und emotional nicht erfahrbar. Neben der Selbsterfahrung wird von den Re- Enactors immer wieder auch das soziale Miteinander Sind die Mittel zur Bewerkstelligung einer Zeit- (Fenske 2009: 81) bzw. die „Suche nach partieller reise in der Regel – ganz egal, ob man in die Stein- Gemeinschaft“ (Krug-Richter 2009: 71) hervorgeho- zeit oder ins Hochmittelalter reist – stets die glei- ben; Helmut Groschwitz (2010: 154) bezeichnet sie chen, sind die Motive, warum sich Personen für gar als „konstitutives Element“. Auf dem ‚Römer- das Re-Enactment entscheiden, indivuell verschie- fest‘ in Rottenburg a. N. im Sommer 2011 machten den.17 Trotz der Heterogenität lassen sich Gemein- wir ähnliche Erfahrungen. So sagte beispielsweise samkeiten aufzeigen, die sich in folgende Motive ein Akteur einer Alamannengruppe, dass für ihn das zusammenfassen lassen: a) Selbsterleben; b) Ge- Gemeinschaftserlebnis ganz besonders wichtig sei meinschaftserfahrung/soziales Miteinander; c) Na- und er fügte hinzu, dass der lustige Teil des ‚Lager- turfahrung/Exotismus d) Gegenwartsflucht/Eskapis- lebens‘ erst dann beginne, wenn das Publikum am mus; e) Grenzerfahrung; f) Rollenwechsel; g) Spaß Abend das Fest verlassen hätte. und Spiel sowie h) Vermittlung von Wissen. Dabei ist selbstverständlich zu beachten, dass einige Moti- Nicht selten geht das Motiv der ‚Selbsterfahrung‘ ve mehr auf die Zeitreisenden in ‚Doku-Soaps‘, an- mit der ‚Natur-‘ und der ‚Grenzerfahrung‘ einher. dere mehr auf solche in Museen zutreffen. Man möchte Fremdheit und die Nähe zur Natur erle- ben sowie körperlich-sinnliche Erfahrungen machen Carsten Drieschner (2005) hat die bislang ausführ- wie etwa kratzende Kleidung spüren, Kälte empfin- lichste Analyse vorgestellt. Sie basiert auf einer Feld- den, körperliche Arbeit erfahren, auf unbequemen studie, die im Sommer 2003 unter der Mitwirkung Schlafstätten nächtigen und vieles mehr (Fenske des Schleswiger Wikingervereins ‚Opinn Skjold 2009: 83). Einerseits findet man immer wieder eine e.V.‘ durchgeführt wurde. In Gesprächen mit Mit- gewisse Sehnsucht bzw. Faszination nach Mystik gliedern des Vereins wurde unter anderem deutlich, und Exotik als „Kontrapunkt zur Selbstverständlich- dass für die Darsteller und Darstellerinnen nicht keit und Komplexität der reflektierten Gegenwart“ nur die öffentliche Präsentation von Bedeutung ist, (Drieschner 2005: 55). Das ,Einfache‘/,Natürliche‘ sondern dass sie Geschichte physisch ‚leben‘, also als Problemlösung des zeitgenössischen Alltags erfahren, möchten (Drieschner 2005: 34–35). Die- ses Selbsterleben ist für sie zentral. Äußerungen wie „Lesen kann jeder, aber wenn man ... Etwas auszuprobieren, wie hat man jetzt zum Beispiel ... Wie haben die tatsächlich jetzt ihre Fladen gebacken oder so was. Ich kann mir da’n Rezept durchlesen [...] Super! [...] Aber wie is’ es denn wirklich, ne?! Wenn die da wirklich am Feuer saßen und – der

17 Da es bisher kaum eingehende sowie publizierte Ana- lysen zu Re-Enactors gibt, können im Folgenden nur Tendenzen eingefangen und aufgezeigt werden. Eine Ausnahme bildet die Arbeit von Drieschner (2005); andere Arbeiten, in Form von Magisterarbeiten, exis- tieren, liegen aber nicht veröffentlicht vor; siehe die Abb. 2: Umfrage unter Re-Enactors im Sommer 2011; Hinweise bei Fenske 2009: 87, Anm. 10 [mittlerweile Frage nach der Bedeutung des Motivs ‚Zeitreise‘ auf einer teilweise veröffentlicht, siehe Schwellenbach 2010]; 88 Anm. 13. Skala von 1 (unwichtig) bis 6 (wichtig); (n = 47).

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wird gesucht und man glaubt, es in der Vergangen- – Hobby betreiben,19 vor allem die Vermittlung von heit gefunden zu haben – der Übergang zur Gegen- Wissen über die Vergangenheit und die Lust am Ex- wartsflucht ist dabei fließend.18 Andererseits geht perimentieren, also die Aneignung und Vermittlung es um Extremsituationen: Gerade die Akteure der technischer Fertigkeiten, im Vordergrund steht (Abb. ‚Doku-Soaps‘ betrachten ihre Zeitreise nicht selten 3). Sie sehen sich als Vermittler vergangener Le- als Erlebnis, bei dem es darum geht, ob man unter benswelten und dringen damit in ein Feld vor, das anderen, implizit schwierigeren Lebensbedingun- bis vor kurzem Wissenschaftlern und Museumspä- gen leben könnte (dazu Fenske 2007: 95–97). Auch dagogen vorbehalten war. Diesem Aspekt kann hier wenn andere soziale Stukturen – sei es im Mittelalter nicht weiter nachgegangen werden. Es sei jedoch oder im 19. Jahrhundert – als gewöhnungsbedürftig darauf hingewiesen, dass die Gefahr besteht, dass hingenommen werden, so bieten sie doch zugleich Vorstellungen über die Vergangenheit geschaffen eine „klare soziale Ordnung“ und werden nicht sel- werden, die den archäologischen Fächern und an- ten als erleichternd empfunden (Klug-Richter 2009: deren historischen Wissenschaften mehr schaden als 71–72). Jeder hat seinen Platz und seine Aufgabe. Es nützen. Zu denken ist an Klischees und Stereotype, verwundert daher auch nicht, wenn Zeitreisende von wie z. B. den Misteln schneidenden keltischen Dru- ‚Doku-Soaps‘ erklären: „Unterordnen kann auch iden oder die Vereinnahmung durch esoterische und sehr schön sein, Du brauchst nicht selbst zu denken“ neuheidnische Gruppen sowie die Instrumentalisie- (Fenske 2007: 99). rung durch rechtsextremistische Kreise (siehe hier- zu z. B. Mölders und Hoppadietz 2007; Banghard Die Zeitreise ist darüber hinaus mit einem Rol- 2009). Hinzu kommt, wie Sven Kommer (2011: 199) lenwechsel verbunden, der mit einer „temporären kürzlich in seiner Studie über Akteure auf Mittelal- Statusveränderung“ (Groschwitz 2010: 148) und der termärkten hervorgehoben hat, dass viele Darsteller Suche nach einer Identität einhergeht, die sich durch- und Darstellerinnen ein „eher frühmodernes Bild von aus – worauf oben aufmerksam gemacht wurde – an Wissenschaft“ besitzen, das von einddeutigen Wahr- „traditionellen Ordnungen orientiert“ (Krug-Richter heiten, einem gesicherten Wissensstand und klaren 2009: 71). Inwieweit diese Deutungen tatsächlich Handlungsanleitungen geprägt ist: Hinterfragung zutreffen, muss derzeit allerdings offenbleiben. und Reflexion suche man bei ihnen vergeblich.20 Die im Sommer 2011 durchgeführte Umfrage un- ter Re-Enactors zeigt, dass der Rollenwechsel für die große Mehrheit der von uns Befragten offenbar kein zentrales Motiv darstellt und – jedenfalls auf den ersten Blick – ein solcher nicht bewusst ange- strebt wird. Schon eher scheint der Spaß und das Spiel bei der Zeitreise eine große Rolle zu spielen (Abb. 3). Wie Gesine Krüger (2010: 158) anmerkt, könnten Erwachsene während einer Zeitreise end- lich mal das machen, was sie sonst nicht machen können: „Verkleiden, Spielen, Basteln, Rumbrül- len, Toben“. Damit beschreibt sie einen Aspekt des ‚Re-Enactments‘, der eng mit der Schaffung neuer Handlungs- und Erfahrungsräume zusammenhängt und starke Ähnlichkeiten mit dem Fasching/Karne- val aufweist (s. u.). Beides wurde in der Forschung bislang – wenn überhaupt – nur nebenei erwähnt, Abb. 3: Umfrage unter Re-Enactors im Sommer 2011; Fra- sollte meiner Ansicht nach in Zukunft aber verstärkt ge nach Motiven (Mehrfachnennung war möglich). bei der Analyse berücksichtigt werden. Dazu gehört auch, wie die Umfrage eindrücklich zeigt, dass gera- de bei den Akteuren, die im musealen Kontext auf- treten und die Zeitreise als – zumeist zeitintensives 19 In unserer Umfrage zeigte sich, dass die Mehrheit der Befragten (n=47) durchaus viel Zeit auf ihr Hobby verwendet; 8 Personen betreiben es weniger als eine 18 Herchert (2007: 110) weist auch auf den Aspekt der Stunde, 14 Personen etwa 1–2 Stunden, 13 Personen „kontinuierlichen Fortführung der Selbstinszenierung“ im Durchschnitt einen halben Tag, 7 einen ganzen Tag hin, mit der ein „Gegenentwurf zur Realität als Flucht- und 5 Personen mehr als zwei Tage wöchentlich. raum“, also eine Art Gegenwelt, etabliert würde; siehe 20 Das von der VolkswagenStiftung geförderte Projekt auch Anm. 26. (Anm. 10) widmet sich auch diesen Aspekten.

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Die Zeitreise: Kulturelles Konstrukt und/ etwa 1500 kostümierte Darsteller den Triumphzug oder karnevaleskes Abenteuer eines pergamenischen Königs – wohl Attalos I. – nach (Abb. 4).23 Der Festumzug, der siegreiche Hel- Wir haben gesehen, dass die Mittel zur Durch- len und besiegte Galater darstellte, war zugleich als führung einer Zeitreise und die Motive der Zeitrei- Metapher der deutschen Vergangenheit zu verstehen, senden recht vielfältig sind. Dennoch zeichnen sich als Frankreich im Deutsch-Französischen Krieg Tendenzen ab, die man – auch vor dem Hintergrund 1870/71 besiegt und kurz darauf das Deutsche Reich unterschiedlicher Medien (Fernsehen – Museum) gegründet wurde. In der Schweiz feierte man zur sel- – generalisieren darf. Die aufgeführten Punkte ver- ben Zeit in historischen Umzügen die sogenannten weisen darüber hinaus auf zentrale Aspekte, wenn ‚Pfahlbauern‘ (Abb. 5). Die ersten Pfahlbauten hatte es darum geht, den Stellenwert von Geschichtsan- Ferdinand Keller 1854 am Zürichsee entdeckt; ihre eignungen wie dem Re-Enactment in der heutigen Bewohner und Bewohnerinnen betrachtete man als Gesellschaft zu bewerten und zu erklären. ‚Kulturbringer‘ und ‚Pioniere der Zivilisation‘, die als Urahnen am Beginn der Schweizer Geschichte Die Wurzel der ‚Living History‘ und damit der gestanden hätten (dazu ausführlich Gramsch 2009). Zeitreise und des ‚Re-Enactments‘ speist sich aus verschiedenen Quellen. Eine ist gewiss das Theater, Als drittes ist der Karneval anzuführen, verstan- auch wenn regelmäßig betont wird, dass Zeitreisen den als „Maskierung und Rollenwechsel“, „Spiel mit und ‚Re-Enactments‘ – anders als das klassische der verkehrten Welt“ sowie als offener Raum „für das Theater – ohne Drehbuch und Regieanweisungen Ausleben von Geselligkeit“ (Braun 2002: 7). Auch auskämen (dazu etwa Magelssen 2007: 103–119). die kostümierte Zeitreise evoziert, wie wir gesehen Inwieweit das immer zutrifft, muss jeweils für den Einzelfall geklärt werden. Inszenatorische und per- formative Anleihen aus der Theaterwelt sind jeden- falls nicht von der Hand zu weisen.21

Ein anderer wichtiger Strang sind die historischen Festzüge, die sich im 19. Jahrhundert herausgebildet und als „Medium einer öffentlichen Symbolsprache“ (Schweizer 2007: 33) durchgesetzt haben. Die Kör- perlichkeit stellte dabei den „Kern des performati- ven Aktes“ dar, durch die bei den Zuschauern eine Form von „Identität und Gemeinschaft“ erzielt und Geschichte – vermittelt durch Kostümierung, Musik, rituelle und zeremonielle Handlungen – versinnlicht werden sollte (Schweizer 2007: 35).22 Die Festzüge zielten einerseits darauf, den Herrschaftsanspruch von Potentaten zu erneuern und zu festigen (Schwei- zer 2007: 39); andererseits dienten sie der Selbstdar- stellung beispielsweise einer Nation, einer Stadt, ei- nes Dorfes oder einer Zunft. Die Umzüge hatten also identifikatorische Funktion. 1886 stellten in Berlin

21 Kaum beachtet werden in der Diskussion die Ähnlich- keiten zu der als ‚Naumachie‘ (Nachstellen von his- torischen Seeschlachten, ‚gespielt‘ von Gladiatoren oder zum Tode Verurteilten) bezeichneten Darbietung u. a. in eigens dafür gebauten ‚Kunstseen‘ und im Am- Abb. 4: ‚Griechisches Fest‘ auf der Jubiläums-Kunstaus- phitheater, wie wir sie vor allem aus der Römischen stellung in Berlin 1886 (Illustrirte Zeitung, 10. Juli 1886, Kaiserzeit kennen. Am berühmtesten ist wohl die unter Nr. 2245). Kaiser Augustus 2 v. Chr. nachgespielte Seeschlacht von Salamis (480 v. Chr.). Das Beispiel Schloss St. Georgen in Bayreuth verdeutlicht, dass in der Barock- 23 Siehe dazu z. B. die zeitgenössischen Berichte in der zeit ähnliche Spektakel sehr beliebt waren; zur Nau- Gartenlaube Jg. 1886, Nr. 31, 540–544; Illustrirte machie siehe Cariou 2009. Zeitung (Leipzig), 10. Juli 1886. Bei den Teilnehmern 22 Schweizers Hinweis auf die Körperlichkeit gilt prinzi- handelt es sich in der Tat fast ausschließlich um männ- piell auch für die heutigen ‚Living History‘-Formen. liche Darsteller.

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Abb. 5: ‚Pfahlbauern‘ anlässlich des Neuenburger Schützenfestes 1882 (© Latènium, Archäologiepark und -museum, Neuchâtel). haben, einen Rollenwechsel, ein Spiel mit einer an- den Volkskundler Karl Braun (2002) zulässig, die deren – wenn auch nicht verkehrten, so doch ver- Zeitreise in den Kontext des Karnevals zu stellen gangenen – Welt und bietet einen Raum für soziale und mit dem Terminus „Karnevaleske“ zu belegen.25 Interaktionen. Dass der Karneval ursprünglich apo- Sie ist somit als ein Phänomen zu beschreiben, das tropäischen Charakter hatte, soll nicht verschwiegen kurzzeitig gegenwärtige soziale Ordnungen und Hi- werden; er spielt heute aber kaum noch eine Rolle, erarchisierungen aufhebt – zugleich allerdings neue denn es geht vielfach nur noch um das ‚Event‘ bzw. Hierarchisierungen schafft – sowie deutlich offenere um das Verkleiden und den damit einhergehenden Handlungsmöglichkeiten zulässt als sie im alltägli- Rollenwechsel. Die enge Verknüpfung von Karne- chen Geschehen möglich sind (Braun 2002: 10). val/Fasching mit ‚Living History‘ zeigt auch der Do- kumentarfilm Die Stämme von Köln (2010) der Eth- Jede Form der Zeitreise ist zugleich ein „kultu- nologin Anja Dreschke. Zu den ‚Kölner Stämmen‘ relles Konstrukt der Jetztzeit“ (Fenske 2009: 84), in gehören rund 80 Vereine aus Köln, deren Mitglieder der sich lediglich unsere zeitgenössische Lebenswelt sich u.a. als Hunnen, Mongolen, Tataren, Germanen, widerspiegelt. Zeitreisen erzählen in erster Linie Ritter oder Indianer beiderlei Geschlechts verkleiden davon, wie unsere Zeitgenossen in historischer Ku- und einen Großteil ihrer Freizeit mit der Herstellung lisse agieren; sie offenbaren Bedürfnisse, Erfahrun- von Kostümen, Waffen etc. verbringen. Sie agieren gen, Erkenntnisse, Fragen und Probleme des Heute eben nicht nur während des Karnevals, sondern auch (Fenske 2007: 87).26 Es fragt sich also, welche Art in den Sommermonaten (zum Film siehe auch Hol- torf 2012).24 Es scheint mir daher in Anlehnung an Trennendes, fi ndet Karneval/Fasching/Fasnacht doch immer in einem ganz bestimmten Zeitraum statt, näm- lich in der Vorfastenzeit; er verfügt darüber hinaus 24 Die Ähnlichkeit zwischen beiden Phänomenen wird lokal/regional über einen festen Ablauf und hat ur- auch an folgendem Zitat Brauns (2002: 8) deutlich: sprünglich – worauf schon hingewiesen wurde – apo- „Die Karnevalisten lassen ihre Identität hinter der tropäischen Charakter. Maske verschwinden, wechseln in andere Rollen, pro- bieren andere Existenzen. Schlüpft nur eine genügend 25 Darauf hat in einem Nebensatz auch schon Groschwitz große Zahl von Personen in die Maske, tut sich etwas (2010: 148) hingewiesen. wie eine ephemere Gegenwelt zum Alltag auf, in die 26 Nicht selten hat die Zeitreise kompensatorische Funk- auch Nicht-Maskierte miteinbezogen sind“. Neben tion, ist sie eine Flucht vor dem Jetzt – den Sorgen und diesen Ähnlichkeiten gibt es selbstverständlich auch dem Alltag. Je moderner und technisierter unsere Welt

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von Erkenntnis wir daraus für unser Wissen von der Gefahr, dass eine zunehmend ,medialisierte Archäo- Vergangenheit ziehen können. Individuell mag der logie‘ – das Phänomen der ‚Living History‘ steht eine oder die andere seine oder ihre durch Schule hier lediglich stellvertretend für viele andere Ausprä- und Medien geprägte Vorstellung bestimmter As- gungen einer solchen medial geprägten Archäologie pekte der Vergangenheit nach einer Zeitreise revi- – Klischees und Stereotype befördert. Andererseits dieren bzw. mit anderen Augen bewerten. Gottfried wäre es vermessen zu glauben, Archäologen gehe Korff (2002: 65) hat in diesem Zusammenhang von die Beschäftigung mit solchen Aspekten nichts an. „historischen Aha-Effekten“ gesprochen. Die Ver- gangenheit ‚erlebt‘ bzw. ‚nachempfunden‘ hat man allerdings nicht, sondern im besten Fall die Vorstel- lung einer von Archäologen und Archäologinnen Bibliographie bzw. Historikern oder Historikerinnen anhand der Quellen konstruierten Vergangenheit; im schlechtes- Anderson, Jay. 1982. Living History: Simulating ten Fall ist man einer populärkulturellen und medial Everyday Life in Living Museums. Ameri- inszenierten Vergangenheit aufgesessen. can Quarterly 34(3): 290–306.

Als karnevaleskes Ereignis markiert die Zeitreise Anderson, Jay. 1984. Time Machines. The World of ein zeitgenössisches Phänomen, das uns von anderen Living History. Nashville: American Asso- Formen unserer Erlebnisgesellschaft – z. B. Street- ciation for State and Local History. und Mottopartys – bekannt ist. Das Interesse an die- sen Formen lässt sich in erster Linie aus den für die Banghard, Karl. 2009. „Unterm Häkelkreuz“. Ger- Akteure neu eröffnenden Handlungsräumen erklären manische Living History und rechte Affek- – Handlungsräume, in denen das Erleben in den Vor- te. Ein historischer Überblick in drei Schlag- dergrund rückt. Dies trifft auch für die performative lichtern. In Hans-Peter Kilguss, Hrsg.: Die Aneignung von Vergangenheit zu, wie sie uns in der Erfindung der Deutschen. Rezeption der Zeitreise gegenübertritt. Varusschlacht und die Mystifizierung der Germanen. Dokumentation zur Fachtagung vom 03. Juli 2009, S. 29–35. Köln: NS-Do- kumentationszentrum der Stadt Köln. Ausblick: ‚Living History‘ als Forschungs- gegenstand Bendix, Regina. 2000. Der gespielte Krieg. Zur Leidenschaft des Historic Reenactment. Die Beschäftigung mit den materiellen Hinter- In Institut für Europäische Ethnologie der lassenschaften der Vergangenheit gilt als ureigenste Universität Wien, Hrsg_in.: Volkskultur und Aufgabe aller archäologischen Wissenschaften. Ne- Moderne. Europäische Ethnologie zur Jahr- ben der Entwicklung einer jeweils fachspezifischen tausendwende. Festschrift für Konrad Köst- Methodik gehört dazu auch die der unterschiedlichen lin zum 60. Geburtstag am 8. Mai 2000, S. Quellenlage geschuldete Auseinandersetzung mit 253–268. Veröffentlichungen des Instituts den verschiedenen Deutungsansätzen und der Ver- für Europäische Ethnologie der Universität mittlung des aktuellen Wissens. Wien 21. Wien: Selbstverlag des Instituts für Europäische Ethnologie. Im Zentrum dieses Beitrages steht hingegen ein bislang weitgehend ausgeblendetes Forschungsfeld, Braun, Karl. 2002. Karneval? Karnevaleske! Zur das sich der Wechselbeziehung von Archäologie und volkskundlich-ethnologischen Erforschung Öffentlichkeit und damit der Vermittlung, Wirkungs- karnevalesker Ereignisse. Zeitschrift für weise und Rezeption einerseits der Archäologie und Volkskunde 98: 1–15. andererseits der von ihr erforschten Vergangenheit in der Gesellschaft widmet. Das mangelnde Interesse Brück, Joanna. 2005. Experiencing the Past? The an diesem Forschungszweig, den man dem weiten Development of a Phenomenological Ar- Feld der ‚Public History‘ zurechnen darf, stellt ein chaeology in the British Prehistory. Archae- doppeltes Dilemma dar: Es besteht einerseits die ological Dialogues 12(1): 45–72.

Cariou, Gerald. 2009. La naumachie: moritori te sa- wird, desto mehr, so hat man den Eindruck, versuchen lutant. Paris: Presses de l’Université Paris- wir, uns die Vergangenheit zurückzuholen oder richti- Sorbonne. ger: desto mehr suchen wir ihre Nähe.

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150 Forum Kritische Archäologie 3 (2014) Streitraum: Entanglement

Entangled Discussions: Talking with Ian Hodder About His Book Entangled

Berlin, 14. December 2013

Synthesis compiled by: Susan Pollock, Reinhard Bernbeck, Carolin Jauß, Johannes Greger, Constance von Rüden, Stefan Schreiber

Zitiervorschlag Susan Pollock, Reinhard Bernbeck, Carolin Jauß, Johannes Greger, Constance von Rüden, Stefan Schreiber. 2014. Entangled Discussions: Talking with Ian Hodder About His Book Entangled, Berlin, 14. December 2013. Forum Kritische Archäologie 3: 151-161.

URI http://www.kritischearchaeologie.de/repositorium/fka/2014_11_Hodder.pdf

DOI 10.6105/journal.fka.2014.3.11

ISSN 2194-346X

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Through a series of fortuitous events, Ian Hod- In this commentary we explore seven main themes der agreed to visit the Institut für Vorderasiatische that derive from our readings and discussions of the Archäologie (Institute of Western Asian Archaeol- book. These are 1) the concept of entanglement and ogy), Freie Universität Berlin in early December its use in archaeology, 2) multitemporality and the 2013 to discuss his recent book, Entangled: An Ar- diachronic dimension of entanglement, 3) disentan- chaeology of the Relationships between and glement, 4) the notion of care in connection with Things. A group of interested students and scholars things, 5) relations among people, 6) the politics of assembled for this occasion. As organizers of this entanglement, and 7) issues of universality with re- event, we are pleased to acknowledge the sponsor- spect to entanglement. ship of the Excellence Cluster Topoi and the Institut für Vorderasiastische Archäologie, both of the Freie Universität Berlin, and Forum Kritische Archäolo- gie. Above all we wish to express our thanks to Ian Entanglement as a way to enlarge our per- Hodder for his willingness to engage over the course spectives on the past of a long afternoon with our comments and ques- tions. One of the overriding positive elements of Hod- der’s presentation of the concept of entanglement is The discussion took place in two successive meet- the way it encourages us to extend and expand our ings. We first met without the author, trying to stake perspectives on the past, as seen through the lens of out some of the important themes of the book that we archaeological research. Instead of constructing ar- wished to explore in more detail. The second meeting guments analytically and typologically, a focus on a week later, this time with Ian Hodder, was devoted entanglements challenges us to think in an associa- to commenting on and questioning specific elements tive fashion similar to the approach of a symmetri- of the theoretical arguments presented in the book. cal archaeology (e.g. Shanks 2007; Witmore 2007; We felt that the discussions helped us to understand Olsen 2012). The approach works against tendencies the positive sides of his theory of entanglement but to focus on single categories of artifacts; instead, we that they also highlighted a number of problems. In find ourselves engaged in different ways of arrang- this commentary we summarize our thoughts on the ing things in relation to each other. Tracing entan- positions laid out in Entangled in light of our vari- glements means making our way through a strongly ous readings and these two sets of discussions. As heterogeneous world and following links and chains will become clear the turns taken in this discussion in a fashion that is rhizomatic1 rather than linear or as well as some of the arguments reflect German ar- dendritic. chaeological discourse and its specific cultural and historical background. These multidirectional and multifaceted explora- tions have important consequences for the strict dis- ciplining of academic boundaries that is character- istic for continental Europe. Rather than upholding A very brief summary the traditional units, we might read Entangled as a manifesto to “tear down this wall!” A simple exam- Entangled was published in 2012. It sets out to ple: through the insistence on the material qualities turn our typically anthropocentric view of the world of things, we find ourselves turning to archaeome- on its head and examine the relationship between try both for analytical help and as a source that can people and material things from the point of view enrich archaeological discussions but without suc- of things. Hodder identifies four key sets of rela- cumbing to archaeometry’s epistemological restric- tions – things depending on humans (T-H), humans tions. A question we did not explore in our discus- depending on things (H-T), things depending on sions was what happens when we take seriously the other things (T-T), and humans depending on other call to step regularly and decidedly across academic humans (H-H) – which he discusses in terms of the boundaries. What might the results be of such new entanglements they produce. Crucially, he envisions forms of knowledge production and dissemination? entanglements as involving all of these relationships How would they differ across the global world of and as occurring both synchronically and diachroni- academics, given the varied ways of carving up ar- cally. Although three of these four sets of relations chaeological knowledge production in, for example, involve humans as distinct from things, he also con- the United States and Germany? siders humans to be to some extent things. 1 See Gilles Deleuze and Félix Guattari’s well-known introduction to Thousand Plateaus (1987).

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Diachronic entanglement and matters of the emphasis is on a diachronic and especially on a multitemporality long-term perspective that goes far beyond the tem- poral dimensions envisioned by Giddens. Although When we examine the entanglement of things and his view in Entangled opens new realms for exami- people synchronically, we come quickly to a recogni- nation, he simultaneously narrows the range of unin- tion of the complexity of the links that connect them. tended consequences by contending that they always In addition, strands of entanglement are built on lead in the direction of greater entanglement: we are preconditions that must be identified, and entangle- inevitably “digging ourselves into a hole” (p. 104) ments often produce diverging sets of consequences. even as, and perhaps especially when, we make ef- Entanglements are always in flux, whether today, forts to alleviate the problems brought about by en- in the past or in the future. Therefore, exploring the tanglement. Despite his claims to the contrary, we threads of an entanglement brings us immediately to consider this stance to be reductionist, as it insists the importance of diachrony. Relationships over long that historical change has a particular direction, even periods of time, together with those between multi- if the specific forms of change may vary. ple categories, can and should be thematized. This specification of a rather strict directionality In his opening remarks Hodder noted the connec- makes Hodder’s diachronic understanding of entan- tion between the of cattle in the Neo- glement tend toward determinism. While he claims lithic in western Asia and global warming spurred that his approach is not teleological, it seems to de- by today’s industrial-scale farming and the methane pend on the level at which one examines entangle- gases thereby produced. This is, of course, a process ment. Specific kinds of entanglement may be unpre- that will affect us well into the foreseeable future. An- dictable, but at a more general level the assertion is other unintended longue durée consequence of cattle that there has been and will continue to be increasing domestication can also be mentioned: in his Barbed entanglement. Thus, on a specific level his theory Wire: A Political History (2002) Olivier Razac ob- may not be teleological, but on a general or world serves that barbed wire was first used in 19th century history scale it is. This is a remarkable return to a North America to fence off private property in order way of thinking that minimizes historical contingen- to protect cattle from wild animals. This same barbed cy and is much closer to social evolutionary ideas wire was then used in World War I trench warfare than Hodder’s other writings since the early 1980s. where it viciously entangled soldiers; its later electri- We are alleged to have become increasingly com- fied version compartmentalized people in Nazi con- plex throughout history, although how that growing centration camps. Such diachronic entanglements complexity has manifested itself may be more or less have been highlighted in some historical writing and variable and is in the end judged negatively. in science studies but rarely in archaeology.2 Here Hodder’s approach challenges us to explore previ- Many of us might agree that from the perspective ously uncharted territories in archaeology. of the broad sweep of human history people have be- come more and more entangled in a material world One of the corollaries of Hodder’s notion of en- they have created. However, by making this into a tanglement is that connections between things, peo- central argument of his theory of entanglement, Hod- ple, and people and things are productive of change, der risks writing human history from the perspective bringing about different kinds of consequences. of those who are considered in the public sphere as The notion that actions produce unintended conse- the “most successful”, because they have been able quences is not a new one; it plays a central role in to impose their specific materiality on their contem- the scholarship of Anthony Giddens who considers poraries as well as on things that endure, something them to be the main source for the contingent nature that may be termed “political taphonomy” (Bernbeck of history (Giddens 1979). But in Hodder’s approach 2005). Alternative directions that might have been chosen for some period of time but that did not last 2 An excellent example for a culture history that exposes over the long term would potentially be written out entanglements (without use of the term) is Wolfgang of history if we follow Hodder’s approach, because Schivelbusch’s The Railway Journey: The Industriali- they do not fit the progression of growing entangle- zation of Time and Space in the 19th Century. A host ment that leads us to where we find ourselves today. of “things” such as new types of literature and “new” diseases including trauma resulted from the practi- ce of travelling by train. For an archaeologically in- A final element of diachronic entanglement that formed study in this vein see Michael Schiffer, Tama- seems to us of particular relevance is connected ra C. Butts, and Kimberly K. Grimm (1994) Taking to Hodder’s remark that entanglement forces us to Charge: The Electric Automobile in America.

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think of relationships that have neither beginning nor their effect does not count as much as the historical end. One can therefore enter and exit a piece of re- junctures through which entanglement processes are search at any point, as there is no validity in search- accelerated, of which the is the ing for origins or for some sort of final collapse. This one with which he is most concerned. We imagine a point is not a new one (e.g. Conkey with Williams comparative study of entanglement in, for example, 1991), but it has remained underexplored in archaeo- an Old Babylonian city in Mesopotamia such as Ur, logical (and historical) research. A lingering question the Inka center of Cuzco, and the medieval town of is whether there is a logic to where one begins or Cairo. Can we find an increase in entanglements in ends in examining a temporal slice of entanglement, the various human-thing matrices of dependences? or perhaps more importantly, what difference does We doubt it, but it would mean a rigorous quanti- the choice of temporal limits make to the results fied analysis, an endeavor that seems impossible be- of a piece of research? Is it really the case that any cause of the heterogeneity of entanglements as well point is as suitable as any other at which to begin, as their diachronic dimension, as Hodder himself or is there something special about, for example, the admits (p. 108). A methodological point not raised Neolithic as a time when entanglements underwent a in our discussions but noted by some of the partic- major change, with the consequence that the speed of ipants afterwards is the question of where one be- further entanglement processes was faster than ever gins a “tanglegram”, and, perhaps more importantly, before? how tanglegrams can be compared. This would be of particular relevance if we wished to examine the question of whether and how there are changes in the relative weight accorded to different kinds of de- Is disentanglement possible? pendencies between people and things or amongst people or things. Can, in fact, the degree of entan- A striking element of Ian Hodder’s presentation gledness at different moments or over specific trajec- of his book and his motivations for writing it was tories be measured? what he himself described as his pessimism with re- spect to the potentials of disentanglement. Put sim- If anything, we would think that a world history ply, he argues that disentanglement is not possible: conceptualized under the notion of entanglement any attempt in that direction results in being caught is characterized by a stage-like movement, per- in other, even more entangled kinds of nets. We take haps similar to “punctuated equilibria” (Gould and a different position, contending that the problem re- Eldridge 1977) in biological evolution. The mod- sides in Hodder’s tendency to see entanglement as an ern age, with its horrendous onslaught of material all-or-nothing status rather than a process that pro- products and their continuous growth in numbers ceeds in degrees that can be enhanced or reduced, and kinds, certainly gives the impression of rapidly sped up or slowed down. It may also help to specify increasing entanglement, indeed that it speeds up the context(s) in which disentanglement may oc- at a yearly if not monthly rate. But this may be a cur: we suggest that it is more likely to do so in the historically specific and even aberrant case. What if realms of depencies of humans on things, rather than we turn to archaeological methods: has there ever in “inter-thing relations” (T-T) or the dependence of been a systematic comparison of densities of object things on humans. categories (“things”) through time and space? The productivity of terra sigillata in La Graufesenque in We also see Hodder’s credo regarding the irrevers- southern France was certainly way beyond that of ibility of entanglement (called “directionality” in his later medieval production output, for example. De- book [pp. 169-171]) and path dependence as falling spite our own situations in which we are drowning prey to the capitalist dogma of growth. Whether in in things, we claim that the world can still be steered material production, the educational sector, scientific in different directions. The increasing interest in the “output”, or at the individual level of a CV, growth commons (Hardt and Negri 2009), involving sharing has become such an unquestioned and unquestion- rather than possessing things, is only one potential able background to our reality that entanglement is way out of the impasse of entrapment in a world of also enveloped by it. But on the historical plane of things. H-T relations, aren’t the many asceticisms of Eastern religions, the millenarian movements at the time of Positionality or the place from which one exam- Jesus, or the decroissance and altermondialist ideas ines entanglements also plays an important role that of people like Jacques Ellul (1954) a sign of such re- is insufficiently addressed in the book. What happens versibilities? Hodder intimates that, in the long term, when entanglements are observed from an internal

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vs. an external perspective? Hodder’s perspective persistence and durability of things (e.g. Figure 9.8, on entangled worlds is a decidedly external, rational p. 194), but he evaluates them as a largely positive one. But must we not assume that there was also an element: they provide stability for “transient and awareness in the past of entanglement and a desire uncertain lives” (p. 5). He uses a logic that corre- on the part of some to disentangle? Overall, what sponds to Siegmund Freud’s widely cited story of are the potential responses to the awareness of being his grandson who symbolically replaced his mother entangled? Must disentanglement be envisioned as with a spool while she was absent (Freud 1998). something that happens only by force of necessity But might the scarcity of material objects not imply – for example, in contexts of “collapse” (Yoffee and an intention toward disentanglement (or avoidance Cowgill 1988; McAnany and Yoffee 2009) – or can of entanglement), rather than a status of being less it occur as a matter of choice? We suggest by way of “civilized” or less complex? Would John Chapman’s a few examples that partial disentanglement can in- (2000) fragmentation theory not also fit such a gen- deed take place and may be the product of intentional eral scenario of durability as a threatening temporal choices on the parts of actors. surplus?

In a recent discussion of settlement and demogra- A rather different view was also raised during phy in the Ur III period (c. 2100-2000 BCE) in our discussions: could historical changes in entan- the city-state of Umma in southern Mesopotamia, glement be a kind of zero-sum game in which vari- Robert McC. Adams argues that there was a steady ability lies in the extent to which different kinds of stream of people who freed themselves, at least par- human-thing relations are entangled? In one specific tially, from the demands of the state by leaving cities example it was argued that the complexity of the en- (Adams 2008). In doing so, they chose to pursue a tanglement embodied in human-human relationships more mobile lifestyle or one that was located on the is much greater in hunter-gather than in capitalist so- edges of the densely settled belt of . In oth- cieties where relationships involving things are the er words, these were people who disentangled them- primary locus of complex entanglements. While we selves from a particular kind of settled life and many do not necessarily propose that the sum of entangle- of the demands it placed upon them. If we silence ments is the same in all cultural contexts, in all times them, one reason is our own preference for writing and places, the point is that a hunter-gatherer world history from the perspective of material heritage pro- in the of Eurasia may have been ducers similar to ourselves. And in doing so we seem as entangled as that of Stanford, California today. conveniently to forget that such groups leave fewer Whereas the former may have been characterized by traces than those who actively pursue human - thing complex entanglements between people, non-mate- entanglements. rial forces, animals and a few things that were based on an entirely different ontology than ours, in the lat- Another example are the Anishnabeg of Upper ter entanglements are denser and more complex only Michigan who were employed in the 1920s-1930s in the realms that imply things. by the Bay de Noquet Lumber Company. They at- tempted to avoid becoming entrapped in capitalist This argument can be linked to a more complex relations that would have forced them to purchase issue. Hodder depicts his matrix of relations as being food from a company-owned store. Instead they en- so fundamental that as relations they remain inde- gaged heavily in canning and hunting in order to pro- pendent of each other. But what if this independence vide for themselves in ways that sidestepped the use is not taken as given? Might it not be that differ- of money (http://www.fs.usda.gov/detail/hiawatha/ ent historical instances exhibit situation-specific learning/history-culture/?cid=stelprdb5106493). “relations of relations”? So when human interrela- tions predominate over those that connect people Yet another example is the small Late Neolithic to things, then human-thing relations will be con- site of Tol-e Bashi in the Zagros mountains of south- ceptualized against a background of those between ern Iran. Here, the minimal quantities of durable ob- humans. On the other hand, when things take center jects have been interpreted as a refusal to become stage, relations between people can metamorphose caught in a life surrounded and channeled by things into relations patterned after those involving things. (Pollock and Bernbeck 2010: 283-287). Things often This is exactly György Lukács’ (1971 [1923]) reifi- have a temporal surplus; they easily survive a human cation thesis: the contention that in modern societies lifetime. People not only display an attitude of con- things have had such an enormous impact that so- cern and care for things - they may often experience cial relations have taken on the character of human- the world of things as a threat. Hodder considers the thing relations. Lukács insisted on a difference in the

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material world that is at the core of Marx’s writings, keep people and things in a situation of mutual de- and which curiously disappears entirely in Entan- pendency. In the discussion he explained that he uses gled: that between the use value and the exchange them interchangeably, although entrapment appears value of things. Hodder’s book as well as much of in several places in his book as the more negative the materiality literature in general seems to assume alternative. We think that he misses an important po- the dominance of the use value of objects, from pre- tential of his concept by making little or no distinc- history to postmodern times, as if we did not live in tion between these terms. Whereas we are convinced, a world that is saturated with exchange values and based on some of the examples given above, that it associated ways of thinking (e.g. Sohn-Rethel 1985). is possible to observe and to take part in disentan- gling, understood as processes that occur by differ- Nowadays we see the growing entanglements in- ent degrees and kinds, entrapment can be understood volving things as a part of the way in which people as a state in which entanglement can no longer be are increasingly disciplined and thereby entrapped reversed without a more or less complete collapse. in situations in which the variety of relations among Thus, at Çatalhöyük things – from decorated houses humans is comparatively small, largely as a result to beautifully shaped stone and multifarious of the fact that they are dominated by commodifica- figurines – entrapped people, whereas in the afore- tion. In the long term, one could even insert Norbert mentioned Tol-e Bashi such effects were prevented Elias’s arguments about the process of civilization by a world of material scarcity, so that people domi- into such a history (Elias 1977). nated rather than succumbed to a specific level of material entanglement. André Gorz (1989) has offered a possible way out. He argues that an important step away from com- Ultimately, we argue on epistemological grounds modified relations (the dominant form that deter- that a theory of entanglement that sees no possibil- mines intersubjective relations in contemporary so- ity for disentanglement, other than the collapse of an cieties) is, to take a simple example, to avoid taking existing system, turns into a self-fulfilling prophecy. a taxi and instead hitchhiking or at least agreeing on mutual, non-monetary exchanges in which anyone driving a car from point A to point B takes whom- ever wishes to travel in the same direction, in a kind Caring for things of delayed-return system. The idea can, of course, be extended to fit a wide range of other contexts such as An important element of Hodder’s ideas about en- community gardens in which people work together, tanglement is the notion that people are drawn into harvesting what they can use as well as expanding the care of and for things. This concept of care en- and cementing social ties. This arrangement offers a courages us as archaeologists to think in new ways largely non-commodified alternative to having one’s about the objects we excavate and study, to focus own garden and hiring a service to take care of it. on efforts at maintenance and repair and not just on their original production or use. At the same time this Such changes would, however, also impinge on perspective assumes that people always and every- time and an issue best termed “temporal justice”. where attempt to maximally extend the temporality According to Hodder, things all have their own of things, trying to care for them so that they do not temporal rhythms to which people have to adapt disintegrate, break or become otherwise useless. The (pp. 84-85). Therefore, the more things we arrange universality of this postulate seems to us to be mis- around ourselves, the less we master our own time. placed. We become slaves of “altertemporality”, a form of temporality that is objectified in material things. The In drawing attention to the much more difficult loss of “time sovereignty” (Münkler 2007) plays a issue of disinterest and disregard for the survival of major role in present conditions of entanglement and things, one might think about the common practice imparts a historically highly specific character to it. of depositing hoards in Bronze Age central Europe. Time sovereignty, and an emerging notion of tempo- In these cases things were removed from the realm ral injustice, was likely of much less import before of care and concern by turning them into offerings modernity, despite dependency on a yearly cycle or- (cf. Hansen et al. 2012; Hansen et al. in press). The ganized around climate and weather. argument that the large quantities of luxury goods deposited in the Royal Tombs at Ur involved the In Entangled Hodder uses two notions, entangle- public “disposal” of major amounts of wealth on the ment and entrapment, to describe the conditions that part of public households (Pollock 2007) could also

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be understood as a way to remove some of the op- and (more or less planned) obsolescence (Reuß and pressiveness of material wealth by burying it with Dannoritzer 2013). the dead. In some cases, are not sup- posed to “live” on after the death of their owners. A further concern is whether one can use a sin- Another example is the abandonment and deliberate gle concept to encompass care for things and care burning of houses or whole settlements, as has been for people. In the realm of intersubjective relations, argued for Neolithic structures in southeastern Eu- Axel Honneth distinguishes between Anerkennung, (Tringham 2005) and the Burnt Village in Sabi recognition or acknowledgment as a process that oc- Abyad (Verhoeven 2000). These are acts that may curs between people, and Kennen, to know, involv- serve to deliberately separate people from things ing objectification and complete reification of the they took care of. other (Honneth 2005). People may attempt to dis- solve these boundaries by ritually animating things, Care for single items is archaeologically attested, as is the case in the mouth-opening rituals practiced for example in the multiple mending holes in pottery in both Mesopotamia and Egypt to bring statues to from the Iranian Late Neolithic sites of Chagha Sefid life (Walker and Dick 2001). Here, one sees a kind of and Ali Kosh. We can identify more or less care used Auskennensvergessenheit, or deliberate forgetting of in production processes, for example in the making skilled production knowledge, in that through ritual of a stone relief, the writing of a cuneiform tablet, one was encouraged to forget the human practices etc. Once produced, things also require care – but that are at the origin of animated things (Bernbeck perhaps do not get it. A simple drive through parts of 2009). the United States reveals a large number of slowly decaying houses, garages, and other buildings, a ne- glect of structures that is astonishing to the eye of a visiting European. Abandonment cultures and pro- The neglect of human relationships duction processes are clearly related. What charac- terizes the threshold at which an item is discarded? Many of us who took part in the discussion re- And what is the relation between specific production main decidedly anthropocentric, in contrast to Hod- processes as more or less skilled labor (artistic, hand- der’s avowed aim to take a thing-centered perspec- icraft, industrialized) and the willingness to dispose tive on the world (“This book aims to look at the of things? Do we not live in a world of garbage heaps relationships between humans and things from the and landfills more than in one characterized by care point of view of things” [p. 10]). There are numerous for things? reasons why we insist on the importance of people and of “human-human” dependency relationships, Hodder only briefly points out the possibilities of not to the neglect but also not to the privileging of elaborating distinctions between the production of relationships with and between things. longevity by caring for things and another kind of temporal production, that of brevity. Things may re- The first of these is that in a thing-centered per- quire care, without getting it: the German word “ent- spective on the world, people can be easily marginal- sorgen” – to “dis-care” – meaning to throw away, ap- ized. When people are objectified by placing things propriately expresses an intrasubjective positioning at center stage, or at least on the same level, it is all towards a thing and an external practice, denoting too easy to end up treating (other) people as lesser neither simple carelessness nor socially sanctioned than members of one’s own group. mechanisms for removing things but rather a fun- damental and conscious shift in attitude away from We argue that only by dissolving the human-thing care. Recognizing these tensions encourages the boundary is it possible to dehumanize and objectify investigation of distinct chrono-spatially anchored people. Critique of the subject - object divide, the practices of care and dis-caring, rather than seeing mantra of current anthropology and archaeology, care as quasi-universal. At the same time we must meets its political counterpart in early 20th century be attentive to the diachronic dimensions of these writings on critical theory: instead of elevating things examples: a glance at a hyper-consumerist society, to a level equal to people, the concern was then - and such as the contemporary United States reveals that we claim that it should be today as well - to fight the rapid discard of objects may be directly related to against the objectification of people. The obfusca- the desire to acquire new things, itself an essential el- tion of the boundaries between people and things, ement of advanced capitalism which only thrives by initially advanced in Appadurai’s (1986) introduc- promoting constant growth accompanied by waste tion to The Social Life of Things where he declares

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that people and things both can turn into commodi- lies an intersubjective relation. One engages in en- ties and exit such a status, opens the philosophical vironmental activism to try to slow climate change door not only to the recognition of animal rights, but because of concern about the world to be left to one’s also to the legitimization of slavery, the annihilation grandchildren and their children. Things are always of whole groups of people, and the glorification of a means for intersubjective relations, except when it war. Ideas about a world history are always them- is a question of a single person and her/his wellbe- selves situated in historically specific discourses. In ing (as in the example of playing music) or when a German intellectual environment, any preoccupa- one becomes so mired in a concern for things (in tion with the past has to take into consideration the the above example, the environment) that one los- fundamental historical and cultural rupture of the es sight of why one is engaged. The latter could be “Third Reich”. This rupture includes the impossibil- understood as a sort of forgetting of intersubjective ity of any adequate historical representation of the relationships, along the lines of Honneth’s Anerken- Holocaust (Lang 2000) and stands in the way or at nensvergessenheit that results in an overemphasis on least leads to hesitations in considering non-anthro- people’s relations to their material world. Nonethe- pocentric conceptualizations of world history. And less this does not amount to the disappearance of so it should. Theoretical considerations must be his- dependencies between people or of their centrality; torically situated, and the German context may well rather, one might draw here on Hodder’s own notion be fundamentally different in this regard from a U.S. of “hidden entanglement”. (or other anglophone) academic and intellectual en- vironment. A third issue is how we should understand the important concepts of dependence and dependen- Second, we are of the opinion that Hodder’s dis- cy in the case of relationships between people. We cussion of entanglement works on the basis of a contend that these are qualitatively different when normative or generic image of being human, al- inter-human relations are involved than in either “H- though he explicitly denied this in our discussion. By T” or “T-H” connections. As already discussed, the generic or normative human we refer to the elision of notion of Anerkennung, or recognition, is the con- gender, age, (dis)abilities, etc. that results in Tring- dition of possibility for dependence in human-to- ham’s critique of a past peopled by “faceless blobs” human relationships. However, this is not the case (Tringham 1991). If we wish to write histories of en- when it comes to things: if they stand in a relation tanglement, we must insist on the specificity of the of recognition with us, we have turned into the fet- people whose social and material worlds became, in ishists that symmetrical archaeology wants us to be. different ways, entangled and how those entangle- Dependency, described as “reliance on things [that] ments differed at one time and place for different can become compulsive, even addictive” (p. 18), is kinds of people. Many of the concrete examples used thought by some of us not to be qualitatively differ- in Entangled are chosen so as to minimize the roles ent whether it is a matter of a dependency on things played by relationships among people; rather, they or on humans. Others claim that dependency of hu- often tend to consider single individuals and their mans on other humans is a quintessential necessity material environment, most poignantly in the exam- for the mutuality that turns us into (human) subjects ples of the author and his boat or piano. Interactions in the first place. between one person and one thing are situations and practices in which means and ends coincide: the act Finally, as already noted, Hodder’s examples of- of playing music does not gesture to anything beyond ten revolve around individual people and things. If, itself. However, over the long term such practices are however, one begins with a collective, one more eas- not central to Hodder’s ideas, as for example in his ily arrives at the idea that people can indeed make diachronic account of the growth of entanglement or changes in the world, including in the direction of the sequence of changes documented at Çatalhöyük. disentanglement. Here we think of the hippie move- Interestingly, this statement of position in Entangled ment of the late 1960s, which included a strong anti- seems to be quite different from his own positioning consumerist element, a “back-to-the-roots” effort to a decade or so ago, when he wrote, “There is too lit- disentangle; or the founding of the Green Party in tle emphasis on subjectivity and self as constructed Germany at the beginning of the 1980s, which laid by individual agents” (Hodder 2000: 25). the essential groundwork for changing to more re- newable sources of energy and today to efforts to Let’s formulate Hodder’s argument the other way substitute small, local energy providers for large, around and contend that behind every dependency of centralized monopolies; or the above-mentioned ur- humans on things as well as things on humans there ban gardening, which allows people to disentangle

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themselves to a modest degree from industrial agri- things - but not against a museum or train travel per culture. Such efforts may seem ridiculously minor. se. However, changes in entanglement by necessity start somewhere on the margins. Once again, we see here a problem that derives from the focus on human-thing/thing-human rela- tionships. It brings with it a privileging of technolog- ical change rather than an equal focus on the human- The politics of entanglement human dimensions. The forces of entanglement may not have the degree of time depth that Hodder wishes A significant point of concern for at least some of to see in them; rather, entanglement without any way those participating in the discussion was Hodder’s of return apart from complete collapse – what we lack of an explicitly political position on the sub- would refer to as entrapment – may be a product of ject matter at hand. One of the principal problems capitalism. It is capitalism that has been able to turn is that he thereby takes a position, albeit perhaps an intersubjective relationships into forms characteris- unwanted one. tic of relationships with things. This line of think- ing implies that the irreversibility and universality To a significant extent, Hodder’s book is inspired of (high degrees of) entanglement is in fact a quite by a concern with global warming and late capital- recent product. It is exactly the reification (Verdingli- ist technology. As such, it has inevitably a political chung) resulting from capitalism that leads Hodder stance. However, the retreat to the position of an ex- to give relations among humans such short shrift. ternal observer of a world history with apocalyptic tendencies implies an attempt at de-politicization. His pessimism with regard to the (im)possibil- What is more, his pessimistic attitude toward the ity of disentanglement has a fatalistic side to it, one (im)possibilities of disentanglement disavows any that carries with it a conservative, things-cannot- attempt to construct a utopian future, however un- be-changed-so-why-try message. This is even more realizable that may seem under present conditions. striking in the long term, as it results in a picture of Spenglerian decline and reminds us of the figure of According to Hodder, such a utopia would in- Walter Benjamin’s Angelus Novus in the reverse, clude the recognition that we indeed become more as recently described by Giorgio Agamben (2009): and more entangled even as we attempt to disentan- Hodder’s archaeologists walk into the past back- gle. Yet this should provoke us to rethink the ways wards, not knowing and seeing that past, but rather in which we try to extricate ourselves from webs of perceiving the wreckage of the future. dependency. Although developing new may seem like a possible way out and one that is Günther Anders, one of the most outspoken philo- regularly touted as a solution, they do not resolve the sophers of technology of the 20th century, is in some problem either. Instead, they may entangle us still respects a precursor of Hodder’s pessimism. Anders further. describes in great detail the discrepancy between human abilities to produce all kinds of machines of An alternative approach might start from the fact destruction and our inabilities to imagine these po- that entanglements exist at different scales and are tentials. Instead, humans feel a need to become as due to specific perspectives. Over the past few years perfect as their creations but remain “antiquated” we have been accustomed to hearing about banks – for Anders, a terrible danger for the entirety of that are “too big to fail”, energy giants that are too humanity (Anders 1956). Anders took practical con- big to decentralize, and the size of the automobile sequences from his philosophical reflections. He re- that is too large to allow it to change to the sisted the university apparatus, was one of the first production of ecologically more responsible cars. In post-WW II activists in anti-nuclear campaigns, and each case we are confronted with the large-scale of later wrote a controversial “call to arms” against an phenomena that ostensibly prevent change. We con- increasingly violent technologized world (Anders tend as a counterpoint that reduction of the scale of 1987). entanglement is one main issue, rather than disentan- glement per se. New movements such as Gezi Park Here it is relevant to mention the notion of the in Istanbul or “Stuttgart 21”, the protest against a Anthropocene, a new geological age in which hu- huge project involving the construction of a train sta- mans have so severely impacted the world that the tion in southern Germany, work against the scales of background for global processes are human crea- entanglements and a whole network of humans and tions, rather than the other way around (Crutzen and

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Stoermer 2000). How can one bring a thing-centered Is this a return to a kind of positivism, in which the perspective on the world together with one in which scientist can survey the world objectively? In adopt- human agency has come to occupy such a central ing this viewpoint the effects of one’s own entangle- place that people have replaced geological processes ments are not taken into consideration. What hap- at center stage? In answer to this question, Hodder pens when someone with a quite different position argued that the Anthropocene can be seen as a quin- and her/his own entanglements describes the world? tessential entanglement, in which even the globe In the introduction to The Phenomenology of Spirit, needs to be managed and cared for. However, this Georg Hegel claims that a valid theory needs to be confronts us with the aporia of decentered subjects in applicable to itself: in this regard, how is entangle- an anthropocentric world. Somehow people remain ment decisive for its own recognition? at the core, yet at the same time the theoretical rug is pulled out from under humanity: people are respon- As the above comments show, the participants sible for the state of the world, yet this responsibility found much to engage with in Entangled. Although can no longer be shouldered. This seems to us both many of us are in disagreement with parts of the ar- epistemologically and politically problematic. gument, we found the discussion with Ian Hodder enormously fruitful and continue to learn from the efforts to position ourselves with respect to the new challenges he has set out for us. A theory with claims to universalism leaves little space for future research

In response to the question of whether he sees his Participants in the discussion theory of entanglement as one with global applica- bility, Hodder’s answer was a definitive and, to us, Aydin Abar, Christoph Bachhuber, Reinhard astonishing “yes”. But here we must ask ourselves, Bernbeck, Eva Cancik-Kirschbaum, Maria Bianca what then is left to research, and why? After all, the D’Anna, Christine Gerbich, Johannes Greger, Al- results are seemingly already known, and all we can exander Herrera, Kerstin Hofmann, Carolin Jauß, do is fill in some illustrative details. Following this Johannes Jungfleisch, Florian Klimscha, Arnica reasoning, we would be back in a situation similar Keßeler, Thomas Meier, Leila Papoli Yazdi, Susan to the heyday of neoevolutionary archaeology, where Pollock, Sabine Reinhold, Constance von Rüden, the direction of change was clear to all and the pri- Stefan Schreiber, Peter Sturm, Milena Vasić. mary work of archaeologists was to identify when the next stage was reached as well as the precise steps involved in reaching it. To take a more concrete example, what happens if we accept the idea that all Bibliographie late Neolithic societies in Western Asia were on a path toward entanglement? Do we learn anything Adams, Robert McC. 2008. An Interdisciplinary from our study of them? Shouldn’t we rather con- Overview of a Mesopotamian City and its sider the possibility of different kinds of entangle- Hinterlands. Cuneiform Digital Library ments in different places or even different directions, Journal 2008:1: 23 pages http://cdli.ucla. not all of which involved a growth in the degree of edu/pubs/cdlj/2008/cdlj2008_001.html (last entanglement? accessed 27.01.2014) Agamben, Giorgio. 2009. The Signature of All In addition, the global ambitions of Hodder’s Things. On Method. Translated by Luca theoretical outlook is too eclectic in its derivation. d’Isanto with Kevin Atell. New York: Zone Can elements of human behavioral ecology really Books. be used alongside those of metaphor, mimesis and Latourian actor-network theory? At least some of us Anders, Günther. 1956. Die Antiquiertheit des Men- see a need to begin with a coherent ontology from schen. Vol. I. Munich: C.H. Beck. which to build a convincing argument and theoreti- cal position. Anders, Günther. 1987. Reicht der gewaltlose Pro- test? taz, 9 May 1987. Overall, an engagement with positionality is miss- Bernbeck, Reinhard. 2005. The Past as Fact and ing. Hodder takes a neutral, outsider perspective, ap- Fiction: From Historical Novels to Novel parently without reflections on the consequences. Histories. In Susan Pollock and Reinhard

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Dis-entangling Entanglement: A Response to my Critics

Ian Hodder

Department of Anthropology - Stanford University

Zitiervorschlag Ian Hodder: Dis-entangling entanglement: a response to my critics. Forum Kritische Archäologie 3: 162-170.

URI http://www.kritischearchaeologie.de/repositorium/fka/2014_12_Hodder.pdf

DOI 10.6105/journal.fka.2014.3.12

ISSN 2194-346X

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I very much enjoyed my recent visit to the Institut entangled differs from the earlier focus on individual für Vorderasiatische Archäologie in the Freie Uni- agency. That is not the way I see it at all. I still believe versität Berlin, and am very grateful for the time and in the centrality of agency to social theory, but have thought that had gone into preparing for my visit. shifted my attention to the effects and conditions of The resulting discussion was very productive and agency. If we are to focus on how individual agents in-depth, and I found the written commentary very transform their social worlds in the making or using helpful in thinking through my ideas about entangle- of a , or in the negotiation of space or pot design, ment and in developing them further. In answering we also need to understand how those or built the discussion points fully I would end up writing environments are themselves not isolated as things. another book! I do not feel I can do justice to all the Around each thing there are filaments, often largely points raised in this relatively brief response. Rather invisible, that spread outwards to other things. These I would like to react to some of the issues selectively, threads of connection are themselves entangled in and to make some general points that deal with broad each other. And these entanglements have effects groups of comments, for example those that deal in in the world that then channel or constrain agency. some way with directionality and the possibility for I have tried to avoid reverting to some form of envi- dis-entanglement. ronmental determinism in understanding this wider frame of action, and to avoid a determinism based in the forces or relations of production. Instead I argue Directionality for a heterogeneous entanglement that frames and makes possible forms of agency that can transform In their commentary the authors state that “many and create change. of us might agree that from the perspective of the broad sweep of human history people have become The argument that entanglements have increased more and more entangled in a material world they overall is at first solely an empirical statement. And have created”. This statement summarizes succinctly it seems that the commentators mostly agree on the and effectively one of the main arguments of Entan- empirical evidence that we have as a species become gled. And yet the authors spend the largest part of more entangled. The question of why entanglement their commentary arguing the opposite, preferring has relentlessly increased is a different matter. I do to focus on contextual diversity and the human po- not feel at all certain that I have given the right an- tential to disentangle. Regarding the notion that en- swer. For the moment, it seems to me possible to tanglements seem to have increased over the long argue for a certain logic of increasing entanglement term, the authors say “we consider this stance to be that focuses on the instability and multi-temporality reductionist, as it insists that historical change has of things and their relations. Things and their inter- a particular direction”. Why do archaeologists so actions are unruly because things tend to fall apart, quickly retreat from, even hide from, their own evi- die out, transform so that they cannot be relied upon. dence for long-term change? Why do archaeologists Of course on the day to day we manage to stabilize retreat from their own observation that in the “broad things, often with a lot of work. But the stone wall sweep of human history people have become more is gradually eroding at its base and will one day col- and more entangled in a material world they have lapse, the coal will one day run out, as will North created”? We are all aware of the dangers of social Sea gas. Over time bacteria become resistant to anti- evolutionism. But is it not irresponsible to draw at- biotics, and climate is slowly changing as the result tention away from the one conclusion that archaeolo- of impact over millennia. All these complex interac- gists can readily agree on and provide evidence for, tions and temporalities mean that humans are forever especially when the direction of that broad sweep of seeking new solutions. These solutions nearly always increasing entanglement is leading us as a species involve using new materials, new technologies, new into difficulties? restrictions and regulations, new forms of represen- tation. They are additive. Sometimes, the things that I have spent most of my career arguing for contex- are added may be simpler, replacing more complex tual variation and for the potential of human agency forms. As I will agree below, it is certainly possi- to transform. I have always argued that long-term ble to achieve dis-entanglement. But in most cases history is best understood in terms of small-scale most of the time, something new is added – and since change and the manipulation of small things such as all things are embedded in a web of filaments, new pots, calabashes, houses, and ash from the fire. And strands are added to entanglements. On the whole I still argue that agency has transformative poten- it makes most sense to fix things as they are in an tial. The commentators suggest that my position in additive process. This is what I have discussed as

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path dependency. It becomes very difficult, costly in room for mistake. Things are always going wrong in economic, social and cultural terms, to disentangle unexpected ways in human-thing entanglements. In things and go back to the beginning. At some point the past, collapse in one system would often allow humans become so invested in particular entangle- another to regenerate (see below in the discussion of ments that going back can no longer be a preferred “hubs”). But today and in the future, the interconnec- option. So while local disentanglements are possi- tions are such that if something goes wrong there are ble, in the end the tendency is towards increases in no alternative places to go. entanglement. The hypothesis is that entanglements tend to increase over the long term because of the A good example of socio-material gridlock in instability of things and because of path dependency. the contemporary globalized world is that despite massive global hunger, including the appearance This hypothesis about why entanglement tends to of food banks in developed countries, up to half increase over the long-term may or may not be shown the food produced in the world is thrown away. In to be justified by evidence. But whatever the answer 2013 a series of reports by, for example, the Insti- to the “why” question, it seems more important to tution of Mechanical Engineers in the UK and the consider the implications of the empirical evidence Natural Resources Defense Council in the USA, pro- for increased entanglement for modern predicaments. vided data showing massive discard of food both at It is certainly possible to argue on a case by case ba- the production end of the food chain and in storage sis that technological solutions to resource depletion and consumption. While these data were vigorously have their environmental dangers. Many will agree, countered by super-markets, and quantification of for example, that “fracking” in order to access oil the scale of the waste of food is undoubtedly diffi- and gas has numerous environmental risks, including cult, the problem seems real. The causes of the waste contamination of ground water, that lead to greater are complex and contested by the different players entanglements. But it is a different and broader argu- in the food chain, but they include the globalization ment to point out as an archaeologist that humans of food, the great distances between producers and have always sought to deal with problems by finding consumers, the mechanization of storage, the control additive technological solutions. Some in the post- of food by large super-market conglomerates, and environmental movement (Nordhaus and Shellen- new consumer life-styles that depend on the avail- berger 2007; Latour 2008, 2009) indeed argue that ability of fast food. Whatever the specific causes of we should focus not on restraint in our relations with food waste, it is clear that complex socio-material in- the environment but on an increased rate of techno- teractions have entrapped us as a species into forms logical innovation. It seems important that archae- of food procurement that are harmful, unjust and ir- ologists use their evidence for the directionality of rational. This is a classic example of entanglement long-term increased entanglement to contribute to where our dependence on food has led to harmful these contemporary debates. and destructive dependency.

One of my motivations in writing Entangled was I would be the first to applaud community gar- to draw attention to the dangers of the idea of the dens, the production of one’s own food, recycling, Anthropocene. We now live in a world in which all advocacy of fuel-efficient transport and so on. While things are effectively human-made, even the weath- such grass-roots movements in the 1960s onwards er, climate, soil and air we breathe. This means that often seemed exciting and transformative, many in humans are having to find solutions on an enormous the environmental movement have become disillu- global scale, and yet the institutions that are needed sioned. The calls for restraint and “small is beauti- to find and implement such solutions do not exist, or ful” do not seem to have been effective in denting the they do not function effectively: most are in various directionality of increased global warming and so- forms of “gridlock” (Hale et al. 2013). Presumably cial inequality (Nordhaus and Shellenberger 2007). at some point, solutions will be found and the politi- Indeed, it is this sense of inadequacy that has fueled cal road-blocks will be resolved. But the entangle- the post-environmentalist concern with new techno- ment view is that managing the Anthropocene will logical, large-scale intervention (Latour 2008). In be very costly and difficult to reverse. Investing in the terms of the Entangled book, these small-scale new technologies will drag us down yet further in the actions have not been effective because they are not direction of entrapment, constraint and regulation. “fitting” – or rather they are fitting in relation to the And there are further dangers. The singularity of aspirations of the participants, but they are not fitting the Anthropocene, that fact that we are now all con- in that they have not turned the tide. In my view the nected in one global system, means that there is little reason they are not effective is that they deal only

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with the proximate problems, not with the deeper is- the material thingness of the commons, even though sues which have to do with the directionality of hu- the new forms of biopolitical power they describe man-thing entanglement. We need to move beyond seem very technology-based. agency to understand the socio-material entangle- ments within which agency takes place. Over the long-term, dis-entanglement is often temporary and ineffectual in relation to the larger Whether I car share rather than take a taxi, or plant juggernauts of entanglement. Why is it so difficult a community garden, or recycle or otherwise take to change entanglements? I have already outlined active steps to decrease human-thing entanglements above a theory of why entanglements tend to in- depends itself on those entanglements. Whether crease, and further discussion takes us to the ques- there are cars, or space to plant gardens, or recycling tion of what entanglement is really about and how it systems all depends on entanglements. Take the ex- differs from related terms like network, behavioral or treme example of one essential personal human ac- operational chain analyses, or symmetrical archaeol- tion – taking a breath. Is this an example of individu- ogy. Ultimately the problem is that going “to” things al agency, to fill one’s lungs when and as one wishes is more difficult than getting away “from” them. with fresh air? As a child in the London smog it was difficult to breathe. Recently in Beijing and Xian I had to retreat to the pharmacy as my breath and What is entanglement? health suffered in the pollution. To be able to breathe clean “free” air depends on governments and laws, The commentators say that like symmetrical ar- degrees of industrialization, police that enforce laws, chaeology, “tracing entanglements means making technologies that decrease carbon emissions and so our way through a strongly heterogeneous world and on. All agency is embedded, then, in entanglements following links and chains in a fashion that is rhizo- that both facilitate and constrain. To recognize the matic rather than linear or dendritic”. This focus on complex entanglements of even taking a breath, is relationality is also seen in (social) network analy- to recognize the forces against which agency arrays ses although here the relations are between humans itself in order to achieve change. rather than between humans and things or between things themselves. Even in archaeological applica- So yes, of course, there is local disentanglement. tions of network analyses (Knappett 2013; Barbara The commentators ask “might the scarcity of materi- Mills et al. 2013), studies use material relations in al objects not imply an intention toward disentangle- order to construct human social networks. It is true ment (or avoidance of entanglement)”. Of course. As that entanglement involves taking the thing seri- I argued in the book, to be human is to be one with ously, and it is right that it focuses on the invisible but also separate from things. We depend on things filaments that spread out from things in behavioral to think, work, be, but we also see ourselves as sepa- chains, operational chains, commodity chains and rate from, free of things. We have an ambivalence many other forms of relation. But entanglements are towards things, a to-ing and a fro-ing. There have not just networks or rhizomic flows. They are more always been movements that eschew materiality, the than that. This “more” is captured by the ideas of de- market, or new technologies. The commentators talk pendence and dependency – that rather than the flat- of care and dis-care. And I recognize the excitement ness of many network analyses, there is asymmetry of new ideas about the collaborative commons, pro- and hierarchy within the networks and flows. To put sumers (Rifkin 2014) and the common wealth of the it another way, the chains, networks and flows are multitude (Hardt and Negri 2009), involving shar- tangled up in each other. As the invisible filaments ing rather than possessing things. The commentators spread out from things, they get caught up in other argue that Hardt and Negri offer “only one potential filaments that connect other things and humans. So way out of the impasse of entrapment in a world of there is a fundamental difference between chains, things”. Perhaps we can, in our more sophisticated networks, flows and entanglements. The former are modern utopic imaginings, stem and even reverse often seen as flat and symmetrical. The focus on en- millions of years of increasing entanglement. But at tanglement, however, sees the operational sequences present it is not at all clear that the commons will and flows as caught up, tangled up in each other in lead to a lesser entanglement with things. After all, asymmetrical ways. there is the possibility of the “internet of things” (Rifkin 2014), and I have discussed elsewhere the This point can be made very directly in archaeol- notion that “the cloud begins with coal” (Hodder ogy. We have become used to the idea of the life- 2014). Hardt and Negrihave very little to say about histories or biographies of objects (Appadurai 1988;

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Gosden and Marshall 1999; Meskell 2004). Lithic Of course one can also argue that hunter-gatherers technologists have examined the operational se- are entrapped in very thingly ways in the sense that quences of tool production (Leroi-Gourhan 1993). they have to fit into the natural cycles and rhythms Behavioral archaeology has explored the sequences of the environment around them. It might be argued of procurement, manufacture, use and discard that being entrapped in a natural world is no dif- through which artifacts pass. There has been inter- ferent from our own entrapment in a human-made esting research on cross-craft interactions (e.g. Brys- world. This takes us close to the blurred boundaries baert 2007), and there is much potential for moving between entanglement and ecology, as illustrated beyond single behavioral or operational chains to by Darwin’s entangled bank. For some the material the ways in which they are entangled or intersect. world is just another niche – providing a particular For example, the top line in Figure 1 shows the op- selective environment. But my argument is that en- erational chain for making and using clay balls as tanglement is fundamentally different – that gather- pot-boilers for meat in the lower levels of ing and harvesting wild resources at a low and small occupation at Çatalhöyük. But each one of the steps scale, do not necessarily entrap humans into particu- in this operation involves other steps in other oper- lar forms of care. Of course, as soon as densities rise ational sequences. In Figure 1 I have attempted to and the scale of resource use increases, humans get map out these cross-cutting dependencies. The end drawn into management and care. But even at the result is a tracing of an entanglement, if in a rather earliest stage, humans are already transforming their different way to that provided in Figure 9.2 in Entan- environments and getting drawn into the double bind gled. We can, then, move from the study of opera- that is distinctive of entanglement as I have defined tional sequences to the study of the grids that lock it – that is humans depending on things, but also hav- them together. Because each operational sequence ing to produce or care for the things on which they has its own processes, needs and temporal or sea- depend. sonal rhythms, it is in a dependence and dependency relationship with the other sequences. For example, events in one sequence have to “wait for” events to Shifting hubs happen in other sequences. There is thus continual tension and asymmetry. The notion that there is good empirical evidence for the increase in entanglement over the long term The question of what is entanglement is also leads to the justified criticism that “alternative di- raised by the interesting question of whether entan- rections that might have been chosen for some pe- glement might be a zero-sum game: however much riod of time but that did not last over the long term entanglements may change and differ, the degree would potentially be written out of history if we fol- of entrapment remains the same. It is suggested low Hodder’s approach, because they do not fit the that “the complexity of the entanglement embodied progression of growing entanglement that leads us to in human-human relationships is much greater in where we find ourselves today”. hunter-gather than in capitalist societies where rela- tionships involving things are the primary locus of However entanglement is not something like complex entanglements”. It is of course the case that “higher civilization” or “greater complexity in the there are many forms of entanglement, and that hu- management of resources, social and economic rela- man-human relations, and human-spirit relations are tions” that are handed down from society to society often extremely complex and entangled. Emotional, in a linear flow towards ever more sophisticated and religious, spiritual, intellectual ties bind humans to- complex systems. As a student of European prehisto- gether in numerous complex ways that involve de- ry I was always struck by the way that the “centers” pendence and dependency. But in fact it is very dif- of things would never seem to stay in the same place. ficult for humans to separate emotional and spiritual As one studied the development and growth of the worlds from things. As the vast panoply of material Neolithic, the “hot spots” of change and innovation culture studies have shown, in a great variety of so- seemed to start in the southern Levant, then move cial forms things come to have agency within human to upper Mesopotamia, and then to central Turkey. worlds, however different the ontologies. Humans For the later prehistory of Europe, Andrew Sherratt thus get drawn into things and they get entangled in (1998) mapped the changing centers north of the Alps the way that I have described. It is this thingly na- through the late Bronze Age and into the Iron Age. ture of human-human interactions which creates the The centers shifted between central Europe, Austria movement towards long-term greater entanglement. and central France through the phases of the Hallstatt and La Tène cultures, partly in response to changing

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trade relations with the Mediterranean, and partly as entanglements. Whether Britain became less entan- a result of the affordances of river systems and the gled would be a matter of empirical analysis (see be- distribution of ores. On a larger scale, Ian Morris has low), but it is not at all obvious that it did; in many charted the shifting centers of power within East and ways it became increasingly part of global networks West since the end of the Ice Age (Morris 2010: 160, and processes. It is not obviously the case that “col- Figure 3.2). lapse” means less entanglement; it may just mean a different entanglement and one with different cores. In my view these shifts should not be seen in terms of the linear flow of culture from high to low, from place to place. Of course these various cen- The politics of entanglement: entanglement ters were often in contact with and reacting to each and power other. But an alternative view to the “flow of culture” idea is that the hubs, centers of power, cores were “His pessimism with regard to the (im)possibil- embedded within larger entanglements. Those wider ity of disentanglement has a fatalistic side to it, one entanglements were continually changing because of that carries with it a conservative, things-cannot-be- the instabilities of things and of human relations with changed-so-why-try message”. I hope it is clear by things. These changes resulted from small-scale lo- now why I absolutely reject this claim and indeed cal problem-solving. As these wider entanglements find it a strange reading of the book. By way of con- changed, certain areas afforded a centrality for a trast, in a recent discussion of entanglement, Graham time. The shifts of cores occurred as the potentials Harman (2014) talks of “Hodder on the Dark Side” of particular times and places became realized. Thus because of the focus on asymmetry and the con- in the rise of industrial capitalism Britain came to straints and entrapments produced by human-thing play a core role for a number of reasons, including dependencies. For Harman, entanglement has an “ut- supplies of coal and iron, a Protestant work ethic and terly radical character” (p. 46) because it asks us to a long tradition of mercantile investment. Thus cer- “truly rethink what it means to be human” (p. 47). tain areas, regions, institutions, social systems, indi- According to Harman “Hodder’s essay is nothing if viduals become hubs at certain moments in time not not political” (p. 44). At the end of Entangled there because of some innate superiority, and not because is a call to arms that focuses on the need for change advanced culture has been handed down to them on at a fundamental level in human relations with the some evolutionary path towards a better society, but world. The Anthropocene is the logical result of the just because they afforded something at a particular long-term increase in entanglement such that now place and time. So it is not that specific alternative everything, including the climate and the air we directions are “written out of history”, but that all breathe, is a human product, needing our manage- directions are brought into play relationally. Whether ment and intervention. In my view it is important for an entity is a hub depends on place and time within archaeologists to give their long-term view on this entanglements. There is no determinacy here. It all state of affairs, how it has come about, how deeply depends. it is engrained, how much it is a logical result of our humanity. Similarly with “collapse”, discussed by the com- mentators with reference to Patricia Ann McAnany In my account, the problem of our entrapment is and Norman Yoffee’s (2009) important contribution. not just capitalism, even if industrialization and capi- From the perspective of entanglement, and indeed talism have of course markedly exacerbated human- following McAnany and Yoffee, “collapse” does not thing entrapment. But most of the things and pro- equate to decline. Rather, we need to understand the cesses that entrap us started well before capitalism, reasons for shifts in the location of hubs as entangle- including cattle, , fire, iron. We had passed ments transform. Certainly we can talk of the decline the point where we could return to a pre- tech- of Britain in the mid 20th century, and that is the nology well before capitalism. Our dependence on way it was perceived from the inside. The decline fire long preceded the internal combustion engine. was often experienced as a dis-entanglement from Metals had become essential for agriculture and tool- Empire and the world. But from an entanglement making long before steel factories. To understand the perspective, it would be more appropriate to say particular entanglements of capitalism and colonial- that the resources and systems of government and ism is important, but the entanglements that entrap management that had previously afforded a core role us go far deeper and are far more pervasive. Entan- came to be less relevant in the late-industrial age and gled does not offer a way out, but it does argue for as larger economies became more central to global fundamental rethinking and for grasping the issues at

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a deeper and broader level. most used to think of non-elites as entrapped and powerless, the entanglement perspective allows us to I do, however, recognize that Entangled should explore the ways in which elites too are entrapped. have engaged more with the question of power, and They may have more resources at their disposal, how entrapment and power compare. Indeed what but these very resources create entanglements and separates entanglement from operational chains, so- entrapments. For example, elites may depend on ac- cial networks and symmetrical archaeology is pre- cess to prestigious or rare goods, they may take on cisely a focus on asymmetry. By the latter I mean loans and debts, they may depend on their control of initially the asymmetries of dependence and depen- armies. In all these ways they have a lot to lose and it dency between humans and things, but it is often the is in their interests to maintain their entanglements. case that such asymmetries are the basis for or are On the other hand, they are more likely to have the entangled up with human-human relationships of resources to find their way out of trouble, to relocate, power. or re-negotiate terms.

What is the relationship between entanglement Non-elites seem more circumscribed. Indeed I and power? Since entanglement includes dialectical would argue that they are often doubly entrapped. and asymmetrical relations, it seems reasonable to The first type of entrapment is the practical and every- propose that such a link exists. Certainly both entan- day process of being caught up in human-thing de- glement and power describe situations of limitation pendencies. These are the strategic decisions of need- and constraint – both describe a situation of entrap- ing to buy a car in order to get to work because hous- ment, the “Iron Cage” of Max Weber and Talcott es near the workplace are too expensive or because Parsons (Baehr 2001). So, is entanglement a form there is no viable public transport system. Dealt a of, or the same as, power? As an example, are we en- certain set of cards, we are positioned and situated, trapped in our dependence on cars because of vested and we work within these parameters as best we can. interest, or because we have got caught up in a set of practical entanglements? Of course there are pow- And yet on top of this there is a second type of erful interests that get profits from cars and control entrapment experienced by non-elites, that is the petrol supply. But at least superficially, the entrap- “power over” wielded by elites. To varying degrees ment produced by dominant groups and their control in different societies and contexts, elites can manipu- of the car industry seems to differ in some respects late the entrapments of entanglement, add to them, from our broader entanglements in wheels and cars. exploit them, to exacerbate entrapment. The chains We need cars to get to work and the whole economy of slavery, of abject poverty, of ignorance, of lack of and social system of, say, California is entirely car- rights can be imposed by elites, causing new realms dependent. We seem entrapped in our need for cars and levels of entrapment. This human to human whether elites are involved or not. entrapment is often based on the control of things, resources and labour. But the human to human en- I do not want to deny that in many situations trapment is often possible because the two types of people get caught by despots into appalling entrap- entrapment reinforce each other. It becomes possible ments. But I do want to argue that there is a dimen- for elites to exploit non-elites precisely because non- sion of entrapment that is not reducible to control elites are entrapped in entanglements which afford by dominant groups. I want to argue that there are them very little and give them little room to manoeu- practical entanglements in which people find them- vre. selves and which it may be in their best interests to sustain. This is perhaps a slightly different argument Ultimately this is why it seems to me to be impor- from Bourdieu’s account of the dispositions of habi- tant to separate entanglement from power. It is not tus. I am not arguing that people get entrapped in enough to deal with power if one does not deal with social groups or classes because they have become the deprivation, lack of education, lack of resources disposed to act in a certain way. Rather, I argue that that people find themselves caught within. It is im- they get entrapped because they have little choice portant to recognize and address the double bind of in terms of their material and knowledge resources, dominated groups and classes, to understand why and it makes strategic sense to work within a system non-elites are so unable to resist or overturn except rather than to try to break out of it. at specific historical conjunctures. It is important too to recognize that elites may hold on to power at least It might be helpful to ask the question, who is partly because of the entanglements they find them- most entangled, elites or commoners? While we are selves within – they have too much to lose. It is from

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these entrapments that their brutality may emerge. It operational sequences and their interactions. In ex- seems to me to be wrong or at least unhelpful to say ploring and comparing the use of clay balls with the that humans have a basic “will to power” that sur- later use of cooking pottery, comparisons of these faces wherever and whenever it can. Rather, power operational tanglegrams allow understanding of over other humans is produced in particular entan- change through time. glements; it is the study of those entanglements that leads to a deeper understanding of the intractability I do not argue that tanglegrams are any more “ob- of power. jective” than other forms of analysis. An entangle- ment produced in relation to clay (as in Figure 9.2) will be different from one produced with a focus on Measuring entanglements obsidian. In Chapter 5 in Entangled I argued that a sail boat had different entanglements depending on Another area of concern raised by the commenta- the perspectives of sailing, entertaining, or protect- tors is whether entanglement can be measured. Is “a ing the marine ecosystem. This leads to the question rigorous quantified analysis, an endeavor that seems of “positionality” discussed by the commentators. impossible because of the heterogeneity of entangle- Figure 9.2 produces the house as a central node in ments as well as their diachronic dimension”? Cer- Neolithic entanglements in the Middle East. One tainly, there are logical and practical difficulties here. could argue that my long-term interest in the house If one could disentangle an entanglement it wouldn’t and domus have led me to produce a biased descrip- be an entanglement! At one level I think it is impor- tion of Neolithic entanglements that favor the house tant to avoid the simplification and reductionism that as central node. But at least the laying out of all the numerical analysis brings (even in complexity theory links around houses allows others to critique and ar- analyses). Narrative forms and thick description may gue for alternatives. In addition, the entanglement be best able to draw out the specific historical inter- network allows us to measure how the betweenness twinings of entanglements. centrality of the house changes over time.

At another level, however, some degree of re- Another issue related to the measurement of en- ductionism and simplification is an important ana- tanglement concerns where the entanglement begins lytical tool and there would clearly be advantages and ends. If everything is entangled with everything in being able to compare tanglegrams and in being else then how can one draw the entanglement of, able to measure degrees and intensities of entangle- say, clay or the house and differentiate it from other ments over time, especially if the empirical claim entanglements? I have tried to argue that entangle- is made that entanglements have a tendency to in- ments are often heterogeneous and partial, more or crease. I admit that the Entangled book paid little less connected to other entanglements. Certainly attention to these issues. The tanglegram in Fig- network analysis demonstrates that some nodes are ure 9.2 in the book was very much a first attempt more linked than others (Knappett 2013). For exam- and I have since received many suggestions about ple, at Çatalhöyük, the earliest tanglegrams around ways in which tanglegrams might be measured and pottery are very sparse. In the network analyses, pot- quantified. Several people have suggested that vari- tery has a low connectivity score. But through time ous aspects of complexity theory could be applied, pottery becomes more connected. The affordances that agent-based modeling or various forms of cost- of pottery are gradually exploited until it is fully benefit analysis would be useful. My own focus has entangled with a wide range of processes. It seems been more recently on adapting graph theory, and in one can measure degrees of entanglement of nodes particular network analysis to entanglements and I within the overall unbounded matrix of dependences hope to publish on this shortly. It clearly is possible and dependencies. to produce matrices of dependences and dependen- cies and from them derive networks of relations be- tween nodes in a more formal way than Figure 9.2 Conclusion in Entangled. Such network analyses allow measures of centrality, or betweenness centrality, as well as a Other accounts of directionality in human af- host of other measures that might be seen as prox- fairs have often argued for a progress toward higher ies for entanglement. A further approach is shown in civilization, or increases in the ability of humans to Figure 1. Here the archaeological evidence as well as harness energy from the environment, or increases experimental research on tool production and heat- towards greater complexity. These are all directions ing technologies allow a description of numerous that have positive connotations, and such approaches

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have been criticized for stacking societies in relation also needing not to “be” things. It seems to me to to more and less advanced forms, ultimately justify- be important to move beyond our fears of the reduc- ing the expansive reach of empires. While there are tionism of social evolutionism so that we can recog- positive aspects of entanglement linked to flows of nize and deal with our contemporary entrapments in energy and information, and to innovation and prob- thingness. lem solving, there is also a focus on a “darker” or more negative entrapment. This is because the net- Most social evolutionary theory has the direction- works and flows also get caught up in each other’s ality of development going towards something bet- temporalities and in their thingness. There are the ter. Progress is towards higher civilization, more just grids and dependencies that entrap and constrain. So states, greater democracy. Or there is movement to- it is not at all clear that the “hubs” at any one place wards more complex systems in which societies are and time are “better” in some sense. better able to harness energy or manage information, be more resilient, more sustainable. Increased entan- There is of course an understandable fear of the glement has its positive sides, affording greater use dangers of social evolutionism and of thinking of of energy, providing longer and better lives, but it humans as things. And with these dangers and fears also has the darker side of increased constraint and I of course thoroughly concur. But in contrast to entrapment. Increased entanglement is not automati- ANT, one of the distinctive aspects of entanglement cally something better, something to be strived for. as I have defined it is that humans and things differ. To discuss entanglement is to talk critique. While The focus is on how humans are drawn or dragged other commentators such as Harman have under- along by things and their needs and entanglements. stood this, and while in many ways I learned much The theory starts with the ways in which humanity is from the debate in Berlin, I am disappointed that I thingly, but it does not argue that humans are things. was not able to persuade my critics of this key point. Rather it sees humans and things in dialectical ten- sion; humans needing things in order to “be”, but

Figure 1. The interaction between operational chains linked to the process of using clay balls to cook meat in the lower occupation levels at Çatalhöyük.

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