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Sendung vom 14.05.2007, 20.15 Uhr

Oliver Storz Schriftsteller und Filmregisseur im Gespräch mit Dr. Sybille Krafft

Krafft: Willkommen beim alpha-forum. Zu Gast haben wir heute Oliver Storz, er ist Schriftsteller, Drehbuchautor, Filmregisseur, kurz einer der renommiertesten Fernsehmacher im deutschen Raum: Er hat über 40 abendfüllende Filme produziert. Grüß Gott, Oliver Storz, wir freuen uns sehr, dass Sie zu uns gekommen sind. Um nur einige Ihrer Filme zu nennen: "Drei Tage im April", dieses NS-Drama, die bayerische Dorfchronik "Sachrang", den Zweiteiler über Willy Brandt "Im Schatten der Macht". Ihr jüngster Film ist "Drei Schwestern – Made in ". Ihre Filme sind vielfach mit Preisen bedacht worden. Aber Sie sind nicht nur Kulturschaffender, sondern inzwischen auch Zeitzeuge. Sie sind am 30. April 1929 geboren. Genau 16 Jahre später hat sich Adolf Hitler umgebracht. Was haben Sie, Oliver Storz, an diesem denkwürdigen Tag, an diesem 30. April 1945 gemacht? Wie haben Sie Ihren Geburtstag gefeiert? Storz: Im Unterschied zu vielen anderen Geburtstagen, die längst verschwunden sind aus dem Gedächtnis, ist mir dieser 30. April 1945 unvergesslich. Ich weiß noch genau, dass wir an diesem Tag am Nachmittag - "wir", das waren Halbwüchsige, fast noch Pimpfe, gerade der Hitlerjugend und dem Volkssturm entronnen - umhergestrolcht sind. Die Tage davor waren nicht ganz ungefährlich gewesen, weil man nicht so genau wusste, wo die Amerikaner schon sind und wo noch SS ist. An diesem Nachmittag war die Situation dann aber doch schon relativ sicher für uns, denn die Amerikaner hatten die Stadt bereits eingenommen. Wir hatten unsere Waffen weggeworfen und waren untergetaucht, bis wir ganz sicher waren. Und dann sind wir an diesem Nachmittag eben durch die Stadt gestromert und haben gestaunt. Der 30. April 1945 war für mich wirklich der Tag des Staunens. Da roch es plötzlich anders, da roch es nach Lucky-Strike- Zigaretten, da roch es nach echtem Kaffee, da roch es nach diesem merkwürdigen Natrongebäck, das die Amerikaner überall in ihren Feldküchen herstellten. Neben diesem völlig neuen Geruch strömte aus allen Lautsprechern Big-Band-Musik und Swing. In unseren Augen rückte diese Armee also mit einem kolossalen Überfluss bei uns ein. Im Rückblick kamen uns daher in diesem Moment die Monate und Jahre davor erst recht schäbig vor. Wir selbst waren zum Schluss wirklich wild hin und her marschiert: Die deutsche Wehrmacht war ja, mindestens in diesem Frontabschnitt, wie ein verkrachter Wanderzirkus umhergezogen. Krafft: In den letzten Kriegswochen versuchte die SS ja auch noch, Sie anzuwerben. Wir haben ja auch die Grass-Diskussion zu diesem Thema von vor einigen Monaten noch im Ohr. Wie war das bei Ihnen? Storz: Als Grass seine "Beichte" ablegte, habe ich mich doch gewundert, auch über das Riesentamtam darum herum. Denn zur Waffen-SS konnte man damals wirklich kommen wie die Jungfer zum Kind. Krafft: Zumindest in den späten Kriegstagen. Storz: Natürlich - am Anfang selbstverständlich nicht. Am Anfang nahmen die nur Freiwillige. Aber das änderte sich dann ganz schnell, als sich vor allem an der Ostfront die großen Verluste einstellten. Und nach der Invasion an der Westfront haben die natürlich permanent versucht, der Wehrmacht den Nachwuchs abspenstig zu machen, weil die SS die größten Verluste hatte. Da wurden dann halt die Jahrgänge zu irgendwelchen komischen Musterungen bestellt. Das wurde größtenteils als Röntgenuntersuchung auf Lungen-TB getarnt. Bei diesen "Untersuchungen" stellte sich dann aber heraus, dass das Anwerbeveranstaltungen der SS waren: Da ging es wirklich nicht zimperlich zu. Krafft: Sie sind wahrlich ein Zeitzeuge, denn Sie haben ja sogar noch die so genannte "Reichskristallnacht" als Kind bewusst miterlebt. Später haben Sie dann auch gesehen, wie KZ-Häftlinge durch Ihren Heimatort getrieben wurden. Storz: Nun ja, wir lebten damals in einer merkwürdigen Schizophrenie. Wir sahen vieles, was eigentlich grauenerregend war. Mindestens als Jugendlicher hat man das alles aber ganz schnell wieder weggeschoben. Man lebte eigentlich in einer Welt des Erschreckens und gleichzeitig noch des völlig normalen Alltags. Es war wirklich eine ganz merkwürdige Gespaltenheit, mit der ich das damals erlebt habe. Ich weiß noch genau, dass mein Vater immer stiller wurde. Ich habe damals allerdings noch nicht gewusst, dass er im Widerstand war, denn das hat er mir zu diesem Zeitpunkt verheimlicht. Er wollte mich einfach nicht in einen Zwiespalt hineintreiben. Aber ich selbst habe natürlich sehr wohl gemerkt, dass zwischen meinem Leben zu Hause und draußen ein großer Unterschied herrschte. Intra muros, also innerhalb unserer vier Wände, wehte ein anderer Geist als draußen. Ich war aber auch begeisterter Jungvolkpimpf und habe all das mitgemacht, was halt dazugehörte. Das heißt, ich habe eigentlich zwei Existenzen gelebt: eine, von der ich wusste, dass das, was bei uns zu Hause gesprochen wurde, nicht nach außen dringen darf, weil das lebensgefährlich wäre, und diese andere, die wohlgemut mitgemacht hat bis zu einem Zeitpunkt, an dem sich das dann geändert hat. Das war so etwa die Zeit, als die SS nach uns griff und wir eigentlich nur sagten: "Da möglichst nicht hin!" Das war also Tabu – aber ich wusste nicht so genau warum. Krafft: Sie kamen ja aus einem ganz besonderen Elternhaus. Ihr Vater war ein angesehener Germanistikprofessor, der dann später nach dem Krieg in Württemberg Kultusminister wurde. Darüber hinaus hat er nach 1945 auch die CDU in seinem Bereich mitgegründet. Das war also schon ein besonderes Elternhaus, das Sie in gewisser Weise auch wappnete gegen gewisse Verführungen. Storz: Ja, und ohne dass eigentlich je darüber gesprochen worden wäre. Das war das Merkwürdige dabei. Aber ein Kind hat ja auch einen Instinkt. Ich merkte plötzlich, dass das, was draußen galt - dieses Laute und Lärmige, dieser ganze Kadavergehorsam - innerhalb unserer Familie nicht galt. Nach außen jedoch habe ich mich damals, wenn Sie so wollen, genauso angepasst wie Millionen andere auch. Bis dann plötzlich im Jahr 1938 diese Novembernacht kam. Mein Vater stand auf dem Küchenbalkon und sah in die Richtung, wo die Synagoge brannte. Das war von unserer Wohngegend vielleicht einen Kilometer entfernt. Unten standen Leute vorm Haus, die darüber sprachen, dass da die "jüdische Kirche" brennt: die Feuerwehr sei da, lösche aber nicht, sondern passe nur auf, dass der Brand nicht übergreift. Ich weiß noch sehr genau, dass ich da meinen Vater gefragt habe: "Was ist das? Darf man das, einfach eine Kirche anzünden?" Und dann sagte er, und das ist mir bis heute unvergesslich: "Ja, das darf man – aber nur in Deutschland." Da gab es bei mir so ein erstes Erschrecken: Was ist da los? Krafft: Die Nazizeit, die Kriegszeit, das Kriegsende, die Nachkriegszeit hat Ihr ganzes Leben, Ihr ganzes Berufsleben geprägt, denn Sie haben immer wieder Themen aus dieser Zeit aufgegriffen. Unter anderem haben Sie auch das Drehbuch zu "Das Tausendunderste Jahr" geschrieben, einem Fernsehspiel, das das Kriegsende aus der Sicht von zwei Sechzehnjährigen schildert. Wie autobiographisch sind eigentlich Ihre Arbeiten? Storz: Ich werde natürlich oft gefragt, ob es die oder die Figur aus einem meiner Filme wirklich gegeben hat. Meistens sind die Figuren, die in diesen Filmen entstanden sind, natürlich eine Mischung aus vielen Figuren, die ich dann zu einer Figur gemacht habe. Ich sage immer so: Der Teig, aus dem diese Figuren geknetet und geformt sind, ist die Realität, aber die Ausformung in einer bestimmten Szene oder einer bestimmten Figur ist natürlich, wenn Sie so wollen, erfunden. Wobei ich diesem Wort "erfunden" sehr skeptisch gegenüberstehe. Denn man kann eigentlich nicht erfinden, ein Schriftsteller oder ein Regisseur kann nur finden – in sich und in der Welt, an der er teilnimmt. Und daraus entsteht dann etwas Drittes, ein Gebilde, wie es z. B. ein Film darstellt. Denn wissen Sie, das Leben, das wir – damit meine ich meine Kollegen und mich – schildern in unseren Filmen, spielt sich ja nicht in dieser Weise in Szenen ab: Die szenische Form muss von uns kommen. Aber das Material ist das Leben, die Realität, so wie sie war. Krafft: Für viele Ihrer Geschichten greifen Sie auf ganz konkrete authentische Geschehnisse zurück. Unter anderem war das auch bei Ihrem Drama "Drei Tage im April" so. Das ist gegen Kriegsende eine wahnwitzige Geschichte in einem schwäbischen Dorf. Davon wollen wir uns zunächst einmal einen Ausschnitt ansehen. (Filmeinblendung: Szenen aus "Drei Tage im April", Regie und Drehbuch Oliver Storz) Krafft: Hunderte von KZ-Häftlingen sind in Viehwaggons gepfercht, die bei einem Dorf abgestellt wurden. Die Dorfbevölkerung ist völlig überfordert mit dieser Situation und zum Schluss werden die Waggons mit den KZ-Häftlingen von ihr außer Seh- und Hörweite ins nächste Dorf geschoben. Ist diese Geschichte wirklich wahr? Storz: Ja, die hat sich damals wirklich so ereignet. Ich habe sie allerdings damals selbst nicht erlebt, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt ganz in der Nähe gewesen bin. Die Einheit, der ich angehörte, ein so genanntes "Panzervernichtungskommando" - ein ungeheuerliches Wort; in Wirklichkeit waren wir eine jämmerliche Truppe aus halbwüchsigen Jungen und alten Männern -, zog nämlich gerade durch diese Gegend. Wir waren nur froh, dass uns die Amis nicht entdeckten. Aber wir nannten uns eben "Panzervernichtungskommando". Wir waren gar nicht weit entfernt von diesem Dorf, in dem sich das ereignet hat. Ich habe damals allerdings kein Wort davon erfahren. Auch Jahre später wusste ich noch nichts davon. Erst sehr, sehr viel später, nämlich in den achtziger Jahren, bin ich bei der Recherche zu einem anderen Thema per Zufall auf diese Geschichte gestoßen. Ich habe dann nachgeforscht und den Realitätsgehalt dieser Geschichte überprüft. Es war tatsächlich so gewesen. Krafft: Wurden Sie eigentlich jemals für all diese zeitkritischen Themen, die Sie bearbeitet haben, öffentlich angefeindet oder gar bedroht? Storz: Nein, bisher nicht. Man denkt natürlich manchmal dran, wenn man liest, was anderen Kollegen oder sonstigen Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, so alles passiert und dass sie konkret bedroht werden. Man fragt sich dann: "Blüht dir das auch noch? Warum ist das bisher gut gegangen?" Ich kann Ihnen darauf keine Antwort geben, denn ich weiß es nicht. Krafft: Die "Drei Tage im April" sind im schwäbischen Dialekt gehalten wie so manch anderer Ihrer Filme, die fast alle in der Provinz spielen. Sind diese Filme sozusagen auch eine widerborstige Liebeserklärung an Ihre schwäbische Heimat? Storz: Ja, so kann man das nennen. Mit der lebte ich nämlich ziemlich auf Kriegsfuss, so lange ich in ihr war und ich dieser Welt sozusagen selbst angehörte. Damals habe ich nicht selten dagegen opponiert und wohl auch so manches Stirnrunzeln in der unglaublich biederen Bürgerlichkeit meiner Heimatstadt verursacht. Aber wenn man dann weg ist, merkt man plötzlich: Das war Heimat – auch einschließlich des Dunklen und Düsteren, das man erlebt hat. So wie dort, wo ich gelebt habe, eine frisch gemähte Wiese gegen Abend roch, so riecht sie nie mehr im Leben. "Algos" ist im Griechischen ja der Schmerz und Nostalgie ist daher im Grunde genommen der Schmerz um die verlorene Heimat, auch um die verlorene Zeit. Ich weiß, dass diese Zeit, in der ich Kind gewesen bin, nie mehr wiederkommt – außer in Träumen. Und Träume sind ja oft auch Ausdruck von Sehnsucht. Krafft: Ist denn der Begriff "Widerborstigkeit" eine Charakterisierung, die Sie auch für Sie persönlich gelten lassen würden? Storz: Das ist zwar ein bisschen pauschal, aber ich glaube schon, dass ich dem zustimmen kann. Ja, doch, ich bin nicht so leicht in eine Schublade hineinzubekommen, das glaube ich schon. Krafft: Sie sind gebürtiger Schwäbisch-Haller … Storz: Nein, gebürtig bin ich eigentlich aus Mannheim. Aber aufgewachsen bin ich komplett in Schwäbisch-Hall. Krafft: Dann hat es Sie aber nach Bayern verschlagen, denn seit vielen Jahren leben Sie in Deining, in der Nähe von Wolfratshausen. Wie kam es dazu? Storz: Das lag einfach an der Zeit damals. Diese Zeit, die fünfziger Jahre, waren nämlich eine "Abwerbezeit". Das kann man sich von heute aus leider gar nicht mehr vorstellen. Denn heute laufen viele, viele begabte Menschen mit ihrer Begabung herum und wissen nicht, wo sie denn endlich unterkommen können. Damals, in meiner Jugend, war es genau andersherum. Es galt nämlich die Parole: "Wo ist der Nachwuchs?" Die Suche nach dem Nachwuchs wurde also ganz groß geschrieben in jenen Tagen. Jeder, der drei Sätze halbwegs vernünftig hintereinander sagen konnte, war eigentlich schon in den Klauen irgendwelcher Medien. Bei mir war das damals die Zeitung. Ich hatte ja ein ganz normales Staatsexamen gemacht und mich darauf eingerichtet, nun den Studienassessor zu machen und dann für mein Leben lang Studienrat an einem Gymnasium für Deutsch, Englisch und Französisch zu sein. Ich hatte auch gar nichts gegen diese Perspektive. Ich habe noch mein Referendariat gemacht und mit viel Vergnügen unterrichtet, denn ich habe mich mit den Jungen und Mädchen an der Schule wunderbar verstanden. Nebenher hatte ich aber während des Studiums bereits für den Hörfunk und für einige Zeitungen gearbeitet. Deswegen kam eines Tages der damals führende deutsche Theaterkritiker Siegfried Melchinger auf mich zu und meinte: "Ich habe Ihre Sachen gelesen. Es kommt gar nicht in Frage, dass Sie im Schuldienst versauern. Sie kommen zu uns!" Und neugierig wie ich war, habe ich das natürlich gemacht und war von da an Feuilletonredakteur einer großen Tageszeitung und Theater- und vor allem Literaturkritiker, was mir als gelerntem Germanisten, Romanisten und Anglisten natürlich schon auch entsprach. Krafft: Dann haben Sie aber doch wieder die Fronten gewechselt. Storz: Ja, ich wurde auch von dort wieder abgeworben. In München etablierte sich damals gerade die " Atelier GmbH". Dort war man inzwischen auf Kritiken von mir aufmerksam geworden und deswegen sagten sie zu mir: "Also, wissen Sie, das ist blöd, dass Sie da bloß Kritiken schreiben. Denn in Ihren Kritiken steckt ja meistens auch etwas Positives drin. Sie müssten das mal selbst machen. Darüber schreiben kann jeder, aber Sie müssten das endlich mal selbst machen. Kommen Sie also zu uns." Und da ich auch diesmal neugierig war – ich war eigentlich immer nur neugierig –, habe ich angenommen. Ich hatte ja keine Ahnung, ob ich in der Lage wäre, ein Drehbuch zu schreiben oder gar Regie zu führen. Ich wusste das nicht, aber die Neugier, ob ich das vielleicht auch könnte oder ob ich möglicherweise eine perfekte Bauchlandung hinlegen würde, war größer. Diese Gefahr des Scheiterns hat mich jedenfalls gereizt. Und so war ich sehr schnell und zum großen Verdruss meines Mentors Siegfried Melchinger, der damals wirklich eine Größe war und der mir das nie verziehen hat, plötzlich Leiter der Dramaturgie in der neugegründeten "Bavaria". Krafft: Damit kamen Sie nach Bayern. Storz: Ja, und dann habe ich mir hier irgendwann ein Haus gebaut und beschlossen, nie wieder von dort weg zu gehen. Von meinen Hügeln mit dieser wunderbaren Gebirgsgegend vor den Augen gehe ich sicherlich nicht mehr weg. Aber wenn Sie so wollen, hatte das alles überhaupt nichts mit Talent und Mission oder gar Sendungsbewusstsein zu tun. Nein, ich habe mich einfach treiben lassen. Ich weiß es nicht, aber vielleicht ist das wirklich ein Charaktermanko bei mir: Ich musste nie um etwas kämpfen, denn mich haben sie immer von irgendwo geholt. Und dann war ich wo, bis ich erneut weggeholt wurde. Und irgendwann kam auch der Ruf an die Stuttgarter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst und so war ich auf einmal auch Professor. Manchmal denke ich mir: "Menschenskind, es hätte dir nicht schlecht getan, wenn du mal um eine Position oder um eine Chance wirklich hättest ringen müssen!" Krafft: Stattdessen haben Sie um Stoffe gerungen und um die Form Ihrer Stoffe. Die Pionierzeit des Fernsehens, in die Sie hineingeraten sind, war ja auch eine ganz andere Zeit als heute. Sie sind später immer wieder sehr stark ins Gericht gegangen mit dem Fernsehen und haderten wegen der Verflachung und Vermüllung dieses Mediums. Angesichts der Tatsache, dass Sie selbst doch eine ganze Reihe von Fernsehproduktionen gemacht haben, scheint der Ruf des Fernsehens manchmal schlechter zu sein als es wirklich ist. Storz: Ach, schön wäre es, wenn Sie recht hätten! Damals in der Pionierzeit hieß der Fernsehfilm ja noch Fernsehspiel, weil er näher am Theater angesiedelt war. Das hatte technische Gründe, denn wir konnten damals mit den Kameras einfach nicht überall hin. Das wurde erst im Laufe der Zeit möglich und heute ist der Fernsehfilm natürlich weitgehend Spielfilm: Er wird genauso hergestellt wie Kinofilm. Damals schwebte uns Pionieren jedenfalls eine Mischform zwischen Theater und Film vor. Wir wollten diese beiden Medien zu einer neuen Gattung vermischen: So stellten wir uns damals das Fernsehspiel vor. Das heißt, das sollte eine Gattung sein, die aktuell, fast in der Art eines Leitartikels in die Zeitkritik eingreift und keine Rücksicht nehmen muss auf das breite Publikum. Das haben wir uns damals tatsächlich so eingebildet. Wir glaubten, uns im Fernsehen an eine speziell interessierte Zuschauerschaft zu wenden, um Zeitkritik mittels szenischer Darstellung üben zu können. Das wäre jedenfalls die Gattung gewesen, die uns interessierte. Wenn uns damals jemand gesagt hätte, dass so etwas im Fernsehen eines Tages nur noch in einer Nische blühen kann, weil dort im Fernsehen Quizshows und meinetwegen Damenringkämpfe permanent und penetrant im Vordergrund stehen, dann hätten wir abgewunken: Das hätte uns nicht interessiert, denn das war für uns nicht wirklich Fernsehen. Wir stellten uns damals unter Fernsehen etwas völlig anderes vor als das, was dann vor allem unter dem Einfluss der kommerziellen Medien daraus geworden ist. Krafft: Sie konnten damals auch noch viel mehr experimentieren. Sie haben damals in den siebziger Jahren auch für das Bayerische Fernsehen gearbeitet und das Drehbuch zu einem Heimatfilm geschrieben, einem Heimatfilm der vielleicht etwas anderen Art. Das war der Film "Sachrang", ein Dreiteiler und eine bittere Chronik über ein Bergbauerndorf im Chiemgau. Sie sind bei diesem Film nicht nur inhaltlich quasi fremdgegangen, sondern auch in zeitlicher Hinsicht, denn dieser Film spielt in der napoleonischen Zeit. Schauen wir uns einen Ausschnitt aus "Sachrang" an. (Filmeinblendung: Szenen aus dem Film "Sachrang", Regie Wolf Dietrich, Drehbuch Oliver Storz nach der Romanvorlage von Carl Oskar Renner) Krafft: Das war ein Ausschnitt aus der Geschichte des legendären Müllner-Peter von Sachrang. Geschichte als Lebensthema, als Lebensaufgabe: Haben Sie eigentlich so etwas wie eine politische oder moralische Mission? Storz: Wenn es so etwas gäbe – das gibt es jedenfalls nicht als Begriff für mich –, wenn ich gezwungen wäre, so etwas auf einen Nenner zu bringen, dann würde ich sagen: Es geht mir um den künstlerisch realistischen Blick auf die Welt, wie sie ist. "Sachrang" ist ein hervorragendes Beispiel dafür. Ich muss mir nämlich nur vorstellen, wie man das heute vermutlich machen müsste, nämlich als dörfliche, bukolische Idylle. Und dann müsste man so eine Geschichte vermutlich auch noch schön "verkaufen" mit den einschlägigen Vanillesaucen-Klängen von Flöten und Geigen. Es ist ja, nebenbei gesagt, schon sehr merkwürdig, dass es heute kaum mehr einen Fernsehfilm gibt, bei dem nicht jeder Meter Film mit einer völlig beliebigen musikalischen Untermalung unterlegt ist. Für uns wäre das früher undenkbar gewesen. Diese Art von so genannter Filmmusik ist jedenfalls bereits eine Versüßlichung und künstliche Verschönerung des Lebens. "Sachrang" hingegen war ein ganz realistischer Blick auf das bittere, kärgliche und z. T. auch dunkle Dasein einer Bauernfamilie im 19. Jahrhundert. Ich weiß gar nicht, ob man so etwas heute noch ohne große Ringkämpfe machen dürfte. Über das Wort "Ringkämpfe" komme ich doch noch einmal auf das Wort "Widerborstigkeit" zurück: Diese Ringkämpfe müssen dann vermutlich auch sein. Und ich will hier auch auf keinen Fall völlig undankbar erscheinen diesem Medium gegenüber, das mir wirklich große Chancen gegeben hat. Es gibt Gott sei Dank, so lange es die öffentlich-rechtlichen Sender gibt, immer noch Menschen, die irgendwann einfach sagen: "Ja, das ist gut! Mach das!" Und die dann auch den Kopf dafür hinhalten, wenn die Zuschauerzahl vielleicht nicht bei sechs bis acht Millionen liegt, sondern wenn so einen Film dann nur vier oder fünf Millionen Menschen sehen. Für diese Nische, die das heute leider geworden ist, muss unsereiner jedenfalls sehr dankbar sein. Und genau das will ich hier keinesfalls verleugnen. Krafft: Für Ihre widerborstigen Themen hatten Sie aber dennoch vergleichsweise hohe Einschaltquoten. Dies galt z. B. auch für Ihren Zweiteiler über Willy Brandt mit dem Titel "Im Schatten der Macht", der sich auf die letzten Tage vor seinem Rücktritt konzentriert, nachdem der Kanzleramtsspion Guillaume enttarnt worden war. Was hat Sie an dieser Geschichte eigentlich interessiert? Storz: Diese Geschichte kam auf mich zu. Das war also kein Stoff, den ich angeboten habe, sondern eines Tages kam die Regina Ziegler zu mir und sagte: "Ich habe Sie ausgeguckt, Sie müssen das machen! Mit Ihnen würde ich dieses Thema wirklich wahnsinnig gerne machen." Ich habe mich dann zuerst einmal eingehend mit diesem großen Thema der Vita des Willy Brandt beschäftigt. Und dann sagte ich: "Ich mache das unter einer Bedingung. Ich mache es, wenn ihr mir erlaubt, dass ich meine Sicht der Dinge auf die letzten 14 Tage seiner Amtszeit raffe." Denn da wurde es ungeheuer dramatisch in Bezug darauf, was in diesem Menschen vorgeht, diesem Menschen, der eigentlich nicht mehr will, aber dann doch noch einmal will und dann endgültig nicht mehr will. Das war ja eine einzige Phase der inneren Verunsicherung, die bei ihm allerdings viele Gründe hatte. Es gab da auch dieses Intrigenspiel rund um den Fall Guillaume, bei dem ihm so langsam klar wurde: "Da sind Leute in meinem Umfeld, die wollen mich ganz konkret nicht mehr!" Und dann will auch er nicht mehr. Als er das merkte, wollte auch er nicht mehr, weil er beleidigt war. Nach einigen Tagen denkt er jedoch, er müsse doch noch einmal wollen. Dieser ungeheure Zwiespalt von Gefühlen und Zwängen, die es da gibt und die ihn dann zum Rücktritt veranlasst haben, war das für mich Interessante. Denn der "Fall Guillaume" alleine wäre ja kein Rücktrittsgrund gewesen. Aber er merkte dann: "Da gibt es ja Leute, die meine Leibwächter vernehmen, weil sie wissen wollten, mit wem ich die Nacht im Schlafwagen verbracht habe." Und das wurde ihm dann so unangenehm, dass das der eigentliche Grund für den Rücktritt war. Aber was steckte eigentlich hinter dieser Intrige? Dem nachzugehen interessierte mich. Dies alles spielte sich ja in der Tat im Laufe von 14 Tagen ab: Das ist unglaublich. Ich habe also gesagt: "Wenn ihr mir erlaubt, dass ich das in diese Klammer packe, dann mache ich das! Denn hier herrscht eine Art von Zwielicht über den Fakten." Das wurde ja auch alles nie so ganz aufgeklärt: Es gibt immer noch ungeheure Widersprüche in den Aussagen z. B. zwischen dem damaligen Innenminister Genscher und Günther Nollau vom Amt für Verfassungsschutz. Diese beiden stellen den entscheidenden Vorgang, der Willy Brandt zum Rücktritt schon fast gezwungen hat, völlig diametral dar. Und mit diesem Zwielicht fühlt sich ein Autor halt wohl, da kann man gut arbeiten, in diesem Zweifel, in diesem Schatten, der über allem liegt. Das ist was Wunderbares. Das hat mich also an dieser Geschichte gereizt. Nicht gereizt hat mich, nun der Welt zu verkünden, was meine Ansicht über Willy Brandt wäre. Dafür gibt es viel bedeutendere Leute als mich. Krafft: Es ging in dieser Geschichte also um Macht und Ohnmacht. Innerhalb der Starbesetzung in diesem Film gab es auch eine wirklich große Überraschung. Willy Brandt jüngster Sohn Matthias spielte nämlich ausgerechnet den Verräter seines Vaters, Günter Guillaume. Das hätte in seiner Wirkung auch schief gehen können. Aber es ist grandios gelungen. Wer hatte eigentlich die Idee dazu? Storz: Der Matthias selbst. Ich kannte ihn nicht damals, ich wusste allerdings, weil ich mich ja mit der Familie Brandt beschäftigt hatte, dass es da einen Sohn gibt, der in Berlin an der "Schaubühne" und anderen vergleichbaren Theatern Schauspieler ist. Aber sonst wusste ich nichts von ihm. Eines Tages rief mich aber die Agentur an und sagte: "Der Matthias Brandt schätzt offenbar Ihre Arbeit sehr und deswegen würde er so wahnsinnig gerne das Drehbuch lesen." Ich habe ihnen gesagt, dass sie ihm das Drehbuch dann halt schicken sollen. Aber das hat eigentlich noch überhaupt nichts bedeutet und ich hatte zu diesem Zeitpunkt auch noch keine Ahnung, was da auf mich zukommen könnte. Matthias Brandt las also das Drehbuch und fragte dann ganz schüchtern an – ich glaube, das war dann sogar das erste persönliche Telefonat, denn davor war alles über die Agentur gelaufen –, ob er nicht mitspielen könne. Er sagte: "Ich finde es toll, wie Sie das aufziehen und wie Sie versuchen, diese Zeit damals in den Griff zu bekommen. Ich würde wahnsinnig gerne mitspielen." Ich antwortete ihm: "Ja, natürlich. Aber welche Rolle möchten Sie denn um Gottes willen übernehmen?" "Halten Sie sich fest, ich möchte den Guillaume spielen." Und da war ich dann tatsächlich erst einmal baff. Ich meinte dann, dass das am Telefon alles keinen Sinn hätte und dass wir uns unbedingt persönlich kennenlernen müssten. Er kam dann angereist und wir saßen einen ganzen Tag draußen im Isartal bei mir zu Hause. Und dabei merkte ich, dass ihn an dieser Figur des Günter Guillaume genau dasselbe interessiert wie mich. Er wollte das also nicht deshalb machen, weil er sich davon irgendwie einen Gag versprochen hätte, dass ausgerechnet er, der Sohn von Willy Brandt, den Mann spielt, der ihn zu Fall bracht. Nein, das wäre billig gewesen. Matthias Brandt ist aber völlig anders gestrickt – und ich auch. Das wäre also für uns beide kein Grund gewesen. Denn so etwas geht ja auch meistens schief. Nein, ich merkte plötzlich: "Der will ja in diese Figur genauso hinein wie ich als Autor und Regisseur! Er will nämlich diese merkwürdige Gespaltenheit von Guillaume erkunden." Denn Günter Guillaume hat den Willy Brandt ja einerseits ganz unverkennbar nicht nur verehrt, sondern sogar geliebt. Andererseits konnte er aber zu den Leuten in Ostberlin nicht einfach sagen: "Servus, lebt wohl, ich mache nicht mehr mit!" Er war also in der Tat eine ungeheure Figur, und genau das hat eben auch den Matthias Brandt interessiert. Und deswegen sagte ich dann zu ihm: "Gut, wir machen das so!" Krafft: Sie haben auch in Ihrem jüngsten Film wieder mit Matthias Brandt zusammengearbeitet, nämlich in dem Film "Drei Schwestern – Made in Germany". Das ist erneut ein Film, der in einer Zeit angesiedelt ist, die Sie bereits sehr oft behandelt haben, denn auch das ist eine Nachkriegsgeschichte. Worum ging es Ihnen in dieser Geschichte? Storz: Dieser Film ist ja eigentlich der dritte Teil einer Trilogie, die mit "Drei Tage im April" anfing. Da ging es ja um die letzten Kriegstage. Dann kam der Film "Gegen Ende der Nacht", den wir hier aber nur streifen können: Da ging es um die ersten Tage im so genannten Frieden, denn eigentlich waren es die ersten Tage nach dem Waffenstillstand. Es taucht da eine Frau aus der Fremde auf und man weiß nicht genau, ob sie selbst Opfer oder Täterin war. War sie in einem KZ tätig? Über dieser Geschichte liegt quasi das Zwielicht dieser ersten Nachkriegszeit, in der eigentlich jeder alles gewesen sein konnte. Auch uns Halbwüchsigen wurde damals klar, wie unglaublich diffus diese Zeit eigentlich war. Jeder, der irgendwo übernachten wollte, jeder, der einen fragte, ob er vielleicht eine warme Suppe bekommen könnte, konnte ein Massenmörder sein. Genauso gut konnte er aber auch ein Verfolgter des Naziregimes sein. Da man nicht hineinsehen kann in die Menschen, ergab das eben dieses Zwielicht der ersten Nachkriegszeit. Der letzte Film aus dieser Trilogie ist nun "Drei Schwestern – Made in Germany". Im Unterschied zu den berühmten "Drei Schwestern" von Tschechow, wo es immer heißt: "Nach Moskau! Wir wollen nach Moskau!", heißt es bei meinen "Drei Schwestern", die aus dieser Enge der Nachkriegszeit in ein neues Leben hinausdrängen, immer: "Nach Amerika! Wir wollen nach Amerika!" Das heißt, es geht um die letzte Phase der so genannten Hunger- und Frierzeit, in der es noch ziemlich ungemütlich und düster und eben recht hungerländisch zuging. Diese jungen Frauen, die damals so voller Lebenslust und Lebensgier waren, trauerten ja auch ihrer Jugend nach, weil sie sie irgendwo beim weiblichen Arbeitsdienst oder meinetwegen in irgendwelchen Flagstellungen verloren hatten. Sie sehnen sich also quasi zurück in ihre Jugend und müssen sich erst umorientieren in eine neue Gegenwart hinein. Krafft: Dennoch werden die Lebensträume dieser drei jungen Frauen eingeholt von der Vergangenheit. Damit sind wir wieder bei der zentralen Nachkriegsthematik angelangt. Ihr eigenes Schaffen war aber letztlich doch viel breiter angelegt. Es fing an mit dramaturgischen Bearbeitungen z. B. von Schillers "Don Carlos" und reichte bis hin zu einer erotischen Komödie. Dazwischen haben Sie aber auch so etwas wie "Der Unschuldsengel" mit Helmut Fischer alias Monaco Franze gemacht. Zu diesem Schauspieler haben Sie ja eine ganz besondere Beziehung entwickelt. Storz: Wir kannten uns gar nicht. Ich wusste natürlich, wer er war, das ist klar, denn er war zu diesem Zeitpunkt ja bereits der "Monaco Franze". Ich wusste also genau, wer er ist und was er gemacht hat, aber wir kannten uns nicht persönlich. Eines Tages kam jedoch ein Anruf: "Hier ist Helmut Fischer. Ich möcht' gern mit Ihnen was machen!" Für mich war das völlig überraschend. Gut, ich weiß das jetzt nicht mehr so genau und ich möchte hier auch nichts Falsches erzählen, ich habe es jedenfalls so in Erinnerung, dass das damals einfach damit zu tun hatte, dass er eigentlich ein Projekt mit dem Helmut Dietl geplant hatte, das dann aber nicht zustande kam, weil Dietl was anderes machen wollte. Ich sagte jedenfalls zu ihm am Telefon: "Wunderbar, ich würde gerne mit Ihnen arbeiten, aber Dietl liegt doch viel näher." Er antwortete mir daraufhin: "Das geht aber zur Zeit nicht." Ich glaube einfach, der Dietl hatte was anderes vor. Krafft: Und so sind dann mit Ihnen beiden zwei Widerborstige aufeinander getroffen. Storz: Ja, das kann man wohl sagen, das ging nicht ohne Probleme ab. Missstimmungen wäre das falsche Wort, es war einfach so, dass da zwei verschiedene Mentalitäten aufeinander getroffen sind. Als ich zugesagt habe, mit ihm einen Film zu machen, war mir nicht klar, was für ein ungeheurer Pedant der Helmut war. Bei all seiner Genialität - er war wirklich ein unglaublicher Pedant. Wenn ich ihm z. B. gesagt habe: "Helmut, in dieser Einstellung sehen wir nur dich in Großaufnahme, sonst nichts!", dann meinte er: "Aber das da auf dem Tisch vor mir, das hat vorhin anders gelegen!" "Bitte, Helmut, das ist doch gar nicht im Bild jetzt!" "Das macht nichts. Ich kann so nicht arbeiten! Das muss genauso liegen wie vorher!" "Helmut, du machst mich wahnsinnig! Das ist eine Großaufnahme, ich sehe nichts außer deinem Gesicht! Und jetzt mach bitte!" So gab es Tausende von Auseinandersetzungen. Um eine Rolle spielen zu können, brauchte der Helmut Fischer eigentlich das Drehbuch – aber das schafft kein Autor der Welt, weil das viel zu kompliziert werden würde – schon drei Monate vor Drehbeginn. Ich jedoch bin einer, der bis zum Schluss noch am Drehbuch herummacht, der sogar noch u. U. über Nacht einen Dialog ändert oder an einer Szene feilt und sie umschreibt. Für mich ist ein Film nie fertig! Aber der Helmut konnte nicht, wenn er nicht wusste, dass alles gusseisern Satz für Satz feststand. Das führte natürlich automatisch zu Krächen, die aber auch wieder ganz schnell vergessen waren. Krafft: Auf ein Werk sind wir bis jetzt noch gar nicht zu sprechen gekommen: Man glaubt es kaum, aber der große Geschichtsdramatiker Oliver Storz hat einstens in grauer Vorzeit auch an so etwas wie "Raumpatrouille Orion" mitgeschrieben. Storz: Jetzt wird es bitter! Krafft: War das eine Geschmacksverirrung? Denn normalerweise sind ja Geschichtsfreunde nicht gerade Science-Fiction-Freaks. Storz: Ich war alles andere als ein Fan dieses Genres. Ich wusste gerade noch vom Hörensagen, dass es eine Literatur- und auch eine Filmsparte gibt, die sich Science-Fiction nennt. Mich hat das nie interessiert, weil ich eigentlich heute noch der Meinung bin, dass dieser eine Planet, auf dem wir wohnen, aufregend genug ist. Ich brauche also nicht noch grüne Männchen auf der Venus oder auf dem Mars, um spannende Geschichten zu erzählen. Aber auch "Spannung" wäre jetzt so eine Sache, über die man ausführlich reden könnte. Wie entsteht eigentlich Spannung? Jedenfalls nicht durch Tausende Verfolgungsjagden und sich überschlagende Motorräder und abstürzende Hubschrauber. Nein, Spannung entsteht langsam und zwar dann, wenn ein Mensch, wenn eine Figur, in die man sich hineindenken kann als Zuschauer und mit der man auch mitempfindet, plötzlich merkt, etwas stimmt nicht mehr, irgendetwas stimmt nicht mehr. Spannung kommt auf, wenn dann so langsam, langsam etwas Bedrohliches auf ihn zukommt. Das ist z. B. Spannung. Aber ich bin jetzt etwas abgedriftet. Was soll ich sagen? Diese "Raumpatrouille" kam auf mich zu, weil ich damals noch Vertragsautor – und Dramaturg und Produzent – der "Bavaria" war. Das heißt, die haben mich damals quasi "gezwungen", das zu machen, weil sie niemand anderen hatten und weil das dringend produziert werden musste. Das war schon ein ziemliches Chaos damals rund um diese Serie. Im Grunde genommen war das auch gar keine echte Science-Fiction: Das war lediglich "Räuber und Gendarm im Weltraum", und damit geradezu lächerlich. Ich habe gesagt, dass ich das nur unter Pseudonym mache. Das war dann trotzdem eine sehr bunte Zeit, eine Zeit, die ich von heute aus betrachtet nicht missen möchte. Aber ich habe mich zur "Raumpatrouille" tatsächlich nie bekannt, denn das war einfach nicht mein Metier. Sie stellen sich ja auch nicht in den Operationssaal und schneiden jemandem den Bauch auf. Aber ich war so frech bzw. wurde gezwungen zu dieser Frechheit. Krafft: Das war also eine Jugendsünde, aber eine, wie ich finde, lässliche Jugendsünde. Wie sieht denn heute mit Ende Siebzig ein ganz normaler Tag im Leben des Oliver Storz aus? Storz: Ich bin das Gegenteil des Inhabers eines regelmäßigen Lebens. Ich muss das leider so sagen, denn ich bedaure das sehr. Aber je nachdem, an welchem Buch ich nachts hängen bleibe – zurzeit ist es merkwürdigerweise "Sein und Zeit" von Martin Heidegger –, wird es halt sehr, sehr spät. So kann es sein, dass es am nächsten Tag bereits Mittag ist, bis ich aufstehe. Aber dann gibt es auch wieder Tage, an denen ich bereits um sechs Uhr morgens wach bin und zuerst die "Süddeutsche" lese – und mich über sie selbstverständlich ärgere, wie sich das gehört. Ich bin also in Bezug auf den Tagesablauf das Gegenteil eines genau planenden Menschen. Ich habe die Leute, die mich als Erste als Regisseur verpflichtet haben, damals auch gewarnt und zu ihnen gesagt: "Ihr könnt mich zu allem kriegen, ich bin zu allem bereit, aber diese Tüftelei nach Fahrplan – da ist das, dann kommt genau das und dann zum absolut exakten Zeitpunkt jenes –, das kann ich nicht!" Aber auch das habe ich dann irgendwie gelernt. Krafft: In diesem Sinne wünschen wir Ihnen noch viele ertragreiche Arbeitsjahre. Wir bedanken uns sehr für das Gespräch, Herr Storz. Das war im alpha- forum unser Gespräch mit dem Schriftsteller, Drehbuchautor und Filmregisseur Oliver Storz. Vielen Dank fürs Zuschauen, auf Wiedersehen.

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