Oliver Storz Schriftsteller Und Filmregisseur Im Gespräch Mit Dr
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BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks http://www.br-online.de/alpha/forum/vor0705/20070514.shtml Sendung vom 14.05.2007, 20.15 Uhr Oliver Storz Schriftsteller und Filmregisseur im Gespräch mit Dr. Sybille Krafft Krafft: Willkommen beim alpha-forum. Zu Gast haben wir heute Oliver Storz, er ist Schriftsteller, Drehbuchautor, Filmregisseur, kurz einer der renommiertesten Fernsehmacher im deutschen Raum: Er hat über 40 abendfüllende Filme produziert. Grüß Gott, Oliver Storz, wir freuen uns sehr, dass Sie zu uns gekommen sind. Um nur einige Ihrer Filme zu nennen: "Drei Tage im April", dieses NS-Drama, die bayerische Dorfchronik "Sachrang", den Zweiteiler über Willy Brandt "Im Schatten der Macht". Ihr jüngster Film ist "Drei Schwestern – Made in Germany". Ihre Filme sind vielfach mit Preisen bedacht worden. Aber Sie sind nicht nur Kulturschaffender, sondern inzwischen auch Zeitzeuge. Sie sind am 30. April 1929 geboren. Genau 16 Jahre später hat sich Adolf Hitler umgebracht. Was haben Sie, Oliver Storz, an diesem denkwürdigen Tag, an diesem 30. April 1945 gemacht? Wie haben Sie Ihren Geburtstag gefeiert? Storz: Im Unterschied zu vielen anderen Geburtstagen, die längst verschwunden sind aus dem Gedächtnis, ist mir dieser 30. April 1945 unvergesslich. Ich weiß noch genau, dass wir an diesem Tag am Nachmittag - "wir", das waren Halbwüchsige, fast noch Pimpfe, gerade der Hitlerjugend und dem Volkssturm entronnen - umhergestrolcht sind. Die Tage davor waren nicht ganz ungefährlich gewesen, weil man nicht so genau wusste, wo die Amerikaner schon sind und wo noch SS ist. An diesem Nachmittag war die Situation dann aber doch schon relativ sicher für uns, denn die Amerikaner hatten die Stadt bereits eingenommen. Wir hatten unsere Waffen weggeworfen und waren untergetaucht, bis wir ganz sicher waren. Und dann sind wir an diesem Nachmittag eben durch die Stadt gestromert und haben gestaunt. Der 30. April 1945 war für mich wirklich der Tag des Staunens. Da roch es plötzlich anders, da roch es nach Lucky-Strike- Zigaretten, da roch es nach echtem Kaffee, da roch es nach diesem merkwürdigen Natrongebäck, das die Amerikaner überall in ihren Feldküchen herstellten. Neben diesem völlig neuen Geruch strömte aus allen Lautsprechern Big-Band-Musik und Swing. In unseren Augen rückte diese Armee also mit einem kolossalen Überfluss bei uns ein. Im Rückblick kamen uns daher in diesem Moment die Monate und Jahre davor erst recht schäbig vor. Wir selbst waren zum Schluss wirklich wild hin und her marschiert: Die deutsche Wehrmacht war ja, mindestens in diesem Frontabschnitt, wie ein verkrachter Wanderzirkus umhergezogen. Krafft: In den letzten Kriegswochen versuchte die SS ja auch noch, Sie anzuwerben. Wir haben ja auch die Grass-Diskussion zu diesem Thema von vor einigen Monaten noch im Ohr. Wie war das bei Ihnen? Storz: Als Grass seine "Beichte" ablegte, habe ich mich doch gewundert, auch über das Riesentamtam darum herum. Denn zur Waffen-SS konnte man damals wirklich kommen wie die Jungfer zum Kind. Krafft: Zumindest in den späten Kriegstagen. Storz: Natürlich - am Anfang selbstverständlich nicht. Am Anfang nahmen die nur Freiwillige. Aber das änderte sich dann ganz schnell, als sich vor allem an der Ostfront die großen Verluste einstellten. Und nach der Invasion an der Westfront haben die natürlich permanent versucht, der Wehrmacht den Nachwuchs abspenstig zu machen, weil die SS die größten Verluste hatte. Da wurden dann halt die Jahrgänge zu irgendwelchen komischen Musterungen bestellt. Das wurde größtenteils als Röntgenuntersuchung auf Lungen-TB getarnt. Bei diesen "Untersuchungen" stellte sich dann aber heraus, dass das Anwerbeveranstaltungen der SS waren: Da ging es wirklich nicht zimperlich zu. Krafft: Sie sind wahrlich ein Zeitzeuge, denn Sie haben ja sogar noch die so genannte "Reichskristallnacht" als Kind bewusst miterlebt. Später haben Sie dann auch gesehen, wie KZ-Häftlinge durch Ihren Heimatort getrieben wurden. Storz: Nun ja, wir lebten damals in einer merkwürdigen Schizophrenie. Wir sahen vieles, was eigentlich grauenerregend war. Mindestens als Jugendlicher hat man das alles aber ganz schnell wieder weggeschoben. Man lebte eigentlich in einer Welt des Erschreckens und gleichzeitig noch des völlig normalen Alltags. Es war wirklich eine ganz merkwürdige Gespaltenheit, mit der ich das damals erlebt habe. Ich weiß noch genau, dass mein Vater immer stiller wurde. Ich habe damals allerdings noch nicht gewusst, dass er im Widerstand war, denn das hat er mir zu diesem Zeitpunkt verheimlicht. Er wollte mich einfach nicht in einen Zwiespalt hineintreiben. Aber ich selbst habe natürlich sehr wohl gemerkt, dass zwischen meinem Leben zu Hause und draußen ein großer Unterschied herrschte. Intra muros, also innerhalb unserer vier Wände, wehte ein anderer Geist als draußen. Ich war aber auch begeisterter Jungvolkpimpf und habe all das mitgemacht, was halt dazugehörte. Das heißt, ich habe eigentlich zwei Existenzen gelebt: eine, von der ich wusste, dass das, was bei uns zu Hause gesprochen wurde, nicht nach außen dringen darf, weil das lebensgefährlich wäre, und diese andere, die wohlgemut mitgemacht hat bis zu einem Zeitpunkt, an dem sich das dann geändert hat. Das war so etwa die Zeit, als die SS nach uns griff und wir eigentlich nur sagten: "Da möglichst nicht hin!" Das war also Tabu – aber ich wusste nicht so genau warum. Krafft: Sie kamen ja aus einem ganz besonderen Elternhaus. Ihr Vater war ein angesehener Germanistikprofessor, der dann später nach dem Krieg in Württemberg Kultusminister wurde. Darüber hinaus hat er nach 1945 auch die CDU in seinem Bereich mitgegründet. Das war also schon ein besonderes Elternhaus, das Sie in gewisser Weise auch wappnete gegen gewisse Verführungen. Storz: Ja, und ohne dass eigentlich je darüber gesprochen worden wäre. Das war das Merkwürdige dabei. Aber ein Kind hat ja auch einen Instinkt. Ich merkte plötzlich, dass das, was draußen galt - dieses Laute und Lärmige, dieser ganze Kadavergehorsam - innerhalb unserer Familie nicht galt. Nach außen jedoch habe ich mich damals, wenn Sie so wollen, genauso angepasst wie Millionen andere auch. Bis dann plötzlich im Jahr 1938 diese Novembernacht kam. Mein Vater stand auf dem Küchenbalkon und sah in die Richtung, wo die Synagoge brannte. Das war von unserer Wohngegend vielleicht einen Kilometer entfernt. Unten standen Leute vorm Haus, die darüber sprachen, dass da die "jüdische Kirche" brennt: die Feuerwehr sei da, lösche aber nicht, sondern passe nur auf, dass der Brand nicht übergreift. Ich weiß noch sehr genau, dass ich da meinen Vater gefragt habe: "Was ist das? Darf man das, einfach eine Kirche anzünden?" Und dann sagte er, und das ist mir bis heute unvergesslich: "Ja, das darf man – aber nur in Deutschland." Da gab es bei mir so ein erstes Erschrecken: Was ist da los? Krafft: Die Nazizeit, die Kriegszeit, das Kriegsende, die Nachkriegszeit hat Ihr ganzes Leben, Ihr ganzes Berufsleben geprägt, denn Sie haben immer wieder Themen aus dieser Zeit aufgegriffen. Unter anderem haben Sie auch das Drehbuch zu "Das Tausendunderste Jahr" geschrieben, einem Fernsehspiel, das das Kriegsende aus der Sicht von zwei Sechzehnjährigen schildert. Wie autobiographisch sind eigentlich Ihre Arbeiten? Storz: Ich werde natürlich oft gefragt, ob es die oder die Figur aus einem meiner Filme wirklich gegeben hat. Meistens sind die Figuren, die in diesen Filmen entstanden sind, natürlich eine Mischung aus vielen Figuren, die ich dann zu einer Figur gemacht habe. Ich sage immer so: Der Teig, aus dem diese Figuren geknetet und geformt sind, ist die Realität, aber die Ausformung in einer bestimmten Szene oder einer bestimmten Figur ist natürlich, wenn Sie so wollen, erfunden. Wobei ich diesem Wort "erfunden" sehr skeptisch gegenüberstehe. Denn man kann eigentlich nicht erfinden, ein Schriftsteller oder ein Regisseur kann nur finden – in sich und in der Welt, an der er teilnimmt. Und daraus entsteht dann etwas Drittes, ein Gebilde, wie es z. B. ein Film darstellt. Denn wissen Sie, das Leben, das wir – damit meine ich meine Kollegen und mich – schildern in unseren Filmen, spielt sich ja nicht in dieser Weise in Szenen ab: Die szenische Form muss von uns kommen. Aber das Material ist das Leben, die Realität, so wie sie war. Krafft: Für viele Ihrer Geschichten greifen Sie auf ganz konkrete authentische Geschehnisse zurück. Unter anderem war das auch bei Ihrem Drama "Drei Tage im April" so. Das ist gegen Kriegsende eine wahnwitzige Geschichte in einem schwäbischen Dorf. Davon wollen wir uns zunächst einmal einen Ausschnitt ansehen. (Filmeinblendung: Szenen aus "Drei Tage im April", Regie und Drehbuch Oliver Storz) Krafft: Hunderte von KZ-Häftlingen sind in Viehwaggons gepfercht, die bei einem Dorf abgestellt wurden. Die Dorfbevölkerung ist völlig überfordert mit dieser Situation und zum Schluss werden die Waggons mit den KZ-Häftlingen von ihr außer Seh- und Hörweite ins nächste Dorf geschoben. Ist diese Geschichte wirklich wahr? Storz: Ja, die hat sich damals wirklich so ereignet. Ich habe sie allerdings damals selbst nicht erlebt, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt ganz in der Nähe gewesen bin. Die Einheit, der ich angehörte, ein so genanntes "Panzervernichtungskommando" - ein ungeheuerliches Wort; in Wirklichkeit waren wir eine jämmerliche Truppe aus halbwüchsigen Jungen und alten Männern -, zog nämlich gerade durch diese Gegend. Wir waren nur froh, dass uns die Amis nicht entdeckten. Aber wir nannten uns eben "Panzervernichtungskommando". Wir waren gar nicht weit entfernt von diesem