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Der Zwerg-Rohrkolben (Typha Minima) in Vorarlberg. Situation 2017

Der Zwerg-Rohrkolben (Typha Minima) in Vorarlberg. Situation 2017

Grabher, M. & Aschauer, M. (2017): Der Zwerg-Rohrkolben (Typha minima) in . Situation 2017. inatura – Forschung online, 43: 9 S.

Der Zwerg-Rohrkolben (Typha minima) in Vorarlberg. Nr. 43 - 2017 Situation 2017 Markus Grabher1 & Maria Aschauer1

1 Mag. Markus Grabher, Mag. Maria Aschauer UMG Umweltbüro Grabher, Meinradgasse 3, A-6900 Bregenz E-Mail: [email protected]

Abstract

The dwarf bulrush (Typha minima) in Vorarlberg, . Situation 2017 The dwarf bulrush or miniature cattail (Typha minima) is a pioneer species of dynamic floodplains, which today, however, has disappeared from many waters due to river regulation. This species is therefore considered to be threated across Europe. In Vorarlberg significant occurrences are found at the mouths of the rivers Alpine (New Rhine) and in ; a small occurrence has also been rediscovered at the . The future survival of this indicator species of alpine fluvial topography is uncertain at the Dornbirner Ach due to very limited overflow dynamics. The largest occurrence is found in the , and its preservation at the moment is substantially de- pendent on regular interventions to maintain flood protection; planned renaturation measures, however, have enormous poten- tial for development. The Bregenzer Ach, on the other hand, is already showing the natural development of a river mouth with all its stages of succession in which pioneer sites occur time and again as suitable habitats for the dwarf bulrush. With the populations at the mouths of the New Rhine and the Bregenzer Ach, Vorarlberg has great responsibility for the preserva- tion of the dwarf bulrush in Central Europe. Key words: Alpenrhein, Bregenzerach, Dornbirnerach, dwarf bulrush, Gewässerdynamik, Typha minima, Vorarlberg, Zwerg- Rohrkolben

Zusammenfassung 1 Ausgangslage

Der Zwerg-Rohrkolben (Typha mini- tung dieser Vorkommen ist derzeit we- Der Zwerg-Rohrkolben oder Kleine ma) ist eine Pionierart dynamischer sentlich von regelmäßigen Eingriffen Rohrkolben (Typha minima) ist eine Flussauen, heute aufgrund von Fluss- für den Hochwasserschutz abhängig; licht­bedürftige Pionierart dynami- regulierungen allerdings an vielen geplante Renaturierungsmaßnahmen scher Standorte in alpinen Flussauen, Gewässern verschwunden. Die Art gilt haben aber ein enormes Entwick- die aufgrund ihrer Konkurrenzschwä- daher europaweit als bedroht. lungspotenzial. Die Bregenzerach da- che durch die natürliche Auensuk- In Vorarlberg sind bedeutende Vor- gegen zeigt bereits jetzt die natürliche zession rasch von höherwüchsigen kommen an den Mündungen von Entwicklung einer Flussmündung mit Pflanzen verdrängt wird (Müller 2007). Alpenrhein (Neuer Rhein) und Bre- allen Sukzessionsstadien, in der auch Typischer Lebensraum sind sandige bis genzerach in den Bodensee erhalten; immer wieder Pionierstandorte als ge- schlickige Ufer – optimal kalkhaltige, ein kleines Vorkommen konnte an der eignete Lebensräume für den Zwerg- feinkörnige, ständig feuchte, dicht ge- Dornbirnerach wiederentdeckt wer- Rohrkolben entstehen. lagerte und schlecht durchlüftete Bö- den. Vorarlberg hat mit den Populationen den an langsam fließenden Gewässer- An der Dornbirnerach ist der Fortbe- an den Mündungen von Neuem Rhein abschnitten, z.B. in ruhigen Buchten, stand dieser Zeigerart alpiner Fluss- und Bregenzerach große Verantwor- Neben- oder Altarmen. Sporadische landschaften aufgrund der hier sehr tung für die Erhaltung des Zwerg- Hochwässer halten diese Standorte of- begrenzten Überschwemmungsdyna- Rohrkolbens in Mitteleuropa. fen und überdecken sie mit neuen Se- mik unsicher. Am Alpenrhein finden dimenten. Die natürlichen Geschiebe­ sich die größten Bestände. Die Erhal- umlagerungen bringen es mit sich,

Eingegangen: 25.07.2017; Publiziert: 31.07.2017 1 Abb. 1: Die Karte zeigt die Verbreitungs- situation im Jahr 2017 und ist gewisser- maßen eine Momentaufnahme: Starke Hochwässer oder Maßnahmen zum Hoch- wasserschutz (Erhaltung des Abflussquer- schnitts) wirken sich kurzfristig auf den Lebensraum des Zwerg-Rohrkolbens aus.

Roten ­Listen für Vorarlberg als stark gefährdet (»endangered«). In den ver- gangenen Jahren beschränkten sich rezente Vorkommen in Österreich auf die Bundesländer Tirol und Vorarlberg (Niklfeld & Schratt-Ehrendorfer 1999; Fischer et al. 2008), bis die Art an der Drau in Kärnten erfolgreich wieder an- gesiedelt wurde (Baur et al. 2015). Im »Übereinkommen über die Erhaltung der europäischen wild lebenden Pflan- zen und Tiere und ihrer natürlichen Le- bensräume« (Berner Konvention) aus dass die Wuchsorte des Zwerg-Rohr- Zwerg-Rohrkolben infolge von Fluss- dem Jahr 1979 wird der Kleine Rohrkol- kolbens immer wieder wechseln – Teil- regulierungen europaweit gefährdet ben in Anhang I als streng geschützte populationen verschwinden an einer (Csencsics & Müller 2015). Es existieren Art geführt. Vorkommen von Typha Stelle und entstehen an einer anderen nur mehr wenige kleine und isolierte minima der submontanen Stufe ent- neu. Große, intakte Lebensräume sind Restpopulationen (Müller 1991; 2007). sprechen gemäß Prunier et al. (2010b) daher wichtig. Kleine isolierte Vor- In den Nord- und Zentralalpen hat die dem Equiseto-Typhetum minimae, kommen können, z. B. infolge eines Art seit dem 19. Jahrhundert 98 % der eine Pflanzengesellschaft des prioritä- extremen Hochwassers, rasch zur Gän- Verbreitung eingebüßt (Prunier et al. ren Lebensraums »Alpines Schwemm- ze verschwinden (Käsermann & Moser 2010a). Gemäß der Roten Liste gefähr- land« (7240* Alpine Pionierformatio- 1999; Csencsics et al. 2008). deter Pflanzen Österreichs (Niklfeld nen des Caricion bicoloris-atrofuscae) Noch im 18. Jahrhundert war die & Schratt-Ehrendorfer 1999) ist der der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der Art an den größeren Alpenflüssen, Zwerg-Rohrkolben in Österreich vom Europäischen Union (Ellmauer 2005). auf der italienischen Halbinsel, im Aussterben bedroht. Amann (2016) und Nach Prunier et al. (2010b) sind die Donau­gebiet und auf dem Balkan Beiser (2016) bewerten die Art bzw. die Bestände der Tief­lagen jedoch der verbreitet (Müller 1991). Heute ist der Pflanzengesellschaft in den aktuellen Uferreitgrasflur ­(Calamagrostietum

Abb. 2: Zwerg-Rohrkolben blühend. Der Zwerg-Rohrkolben wird 30 bis 80 cm hoch und bleibt damit deutlich kleiner und zierlicher als die anderen heimischen Rohrkolbenarten. Über unterirdische Ausläufer bildet die Art an optimalen Standorten rasch dichte Bestände, in de- nen nur wenige andere Pflanzen vorkom- men. Die Blühtriebe tragen an der Spitze den männlichen Blütenstand, darunter befindet sich – durch eine kleine Lücke von 0,5 bis 3 cm getrennt – der weibliche Blütenstand, der sich zu einem dunkel- braunen, kugeligen bis eiförmigen, etwa

4 cm langen Kolben entwickelt (Käsermann

& Moser 1999). inatura – Forschung online 43 (2017) 2 ­pseudophragmitis) und damit dem FFH-Lebensraumtyp 3220 »Alpine Flüsse mit krautiger Ufervegetation« zuzuordnen (Ellmauer 2005).

2 Einstige Verbreitung in Vorarlberg

Einst war vor allem der Alpenrhein ein bedeutender Lebensraum für den Zwerg-Rohrkolben: So erwähnt Custer (1821) große Vorkommen auf Sand- flächen, Sauter (1837) das »lehmige Ufer des Rheins bei Höchst«, und Höfle (1850) weist auf Vorkommen »an der Mündung des Rheines in den Boden- see bei Höchst und Rheineck«. Nach Abb. 3: Fruchtende Zwerg-Rohrkolben. Die unzähligen feinen Flugsamen, die sowohl Wartmann & Schlatter (1881/1888) kam durch den Wind als auch über das Wasser verfrachtet werden, reifen im Juli – der ideale Typha minima »an feuchtsandigen Zeitpunkt, um durch die Frühjahreshochwässer der Flüsse neu geschaffene Standorte Stellen der Rietwiesen des Rheintales zu besiedeln. Reife Samen keimen an geeigneten Standorten sehr rasch, bleiben aber … bis zum Bodensee, stellenweise nur für sehr kurze Zeit keimfähig und treiben bereits nach vier Wochen nicht mehr aus. massenhaft« vor. Auch Richen (1897) Das bedeutet, dass die Art keine Samenbank im Boden aufbauen kann. Hinzu kommt, weist auf die Häufigkeit des Zwerg- dass die Zahl ausgereifter Samen durch die Witterungsverhältnisse beeinflusst wird Rohrkolbens im unteren Rheintal. Wei- und von Jahr zu Jahr stark schwankt. Die Ausbreitung flussabwärts erfolgt nicht nur tere Vorkommen fanden sich zudem durch Samen, sondern auch über verdriftete Rhizomstücke (Csencsics et al. 2008). einst an (Murr 1924) und Bregenzer­ ach (Bohle 1987). und Ill waren in den 1980er-Jahren bekannten Vorkommen auf Grundlage Nach der Rheinregulierung mit dem erloschen, das Vorkommen in der von Orthofotos im Gelände nochmals Fußacher Durchstich im Jahre 1900, Frastanzer Au wurde wahrscheinlich erhoben und potenzielle Lebensräu- durch den der ursprüngliche Unter- durch den Bau des Autobahnzubrin- me an Dornbirnerach, Bregenzerach lauf zum Alten Rhein wurde (vgl. Berg­ gers in den 1970er-Jahren zerstört und Alpenrhein abgesucht. meister & Leipold-Schneider 2000), etab- (Bohle 1987). Allerdings war die Art in lierte sich an der Mündung des Neuen einem Weiher in Frastanz Anfang der Dornbirnerach Rheins in den Bodensee ein neues 1990er-Jahre vorübergehend noch 2012 wurde oberhalb der Mäander- Vorkommen, das 1940 eine Fläche von einmal zu beobachten (Beiser mündl., strecke, rund 500 m flussaufwärts der über 3 ha einnahm (Lauterborn 1940). zit. in Broggi 2013). Die Vorkommen im Furt, an einem temporären Seitenarm In den 1970er-Jahren wurde dieses Teich am Alten Rhein (eigene Beob.) ein rund 200 m² großer Bestand von Vorkommen als »von europäischer und an der Dornbirnerach (Staudinger Typha minima ohne blühende bzw. Bedeutung« bewertet (Klötzli & Wildi 2008) konnten dagegen nicht mehr fruchtende Pflanzen entdeckt. Der 1973). bestätigt werden. Standort entspricht in etwa einem der Bohle (1987) erhob detailliert die Ver- Somit war Typha minima zu Beginn der oberen von Bohle (1987) beschriebe- breitung in den 1980er-Jahren: Am 2000er-Jahre in Vorarlberg nur noch nen Vorkommen an der Dornbirner­ Alpenrhein waren damals neben dem von der Mündung des Alpenrheins ach. 2013 konnte dann ein fruchten- großen Vorkommen an der Mündung bekannt. des Exemplar beobachtet werden. noch kleine Vorkommen bei Koblach, 2017 schließlich umfasste der Bestand Mäder und Lustenau erhalten (Broggi beidseitig eines temporären Seiten- 1986; Bohle 1987), die zumindest bis 3 Die aktuelle Situation in arms noch rund 80 m² mit etwa 50 1992 überdauerten (eigene Beob.). Vorarlberg fruchtenden Pflanzen; die Randberei- Weitere Nachweise existieren für einen che waren bereits mit jungem Weiden- sehr kleinen Bestand in einem Teich In den vergangenen Jahren wurde die auwald (vor allem Salix triandra, Salix am Alten Rhein bei Lustenau und ein Art dann an der Mündung der Bre- daphnoides, Salix purpurea, Salix vimi- Vorkommen an der Dornbirnerach. genzerach und an der Dornbirnerach nalis), teilweise auch mit Schilf (Phrag- Die Vorkommen an der Bregenzerach wieder beobachtet. 2017 wurden die mites australis) bewachsen. Durch inatura – Forschung online 43 (2017) 3 Abb. 4: Im Jahr 2012 wieder entdeckter Bestand des Zwerg-Rohrkolbens an ei- nem temporären Seitenarm der Dornbir- nerach.

Abb. 5: Derselbe Standort wie in Abb. 4, Aufnahme aus dem Jahr 2017: Die natür- liche Sukzession verdrängt ­Typha minima allmählich, wenn keine neuen Pionier­ standorte entstehen.

Abb. 6: Durch Ablagerung von Rhein­ sedimenten im Bereich der Rheinmün- dung etablieren sich Zwerg-Rohrkolben auf Trockenstandorten, wo sie sich für einige Jahre halten könnten.

inatura – Forschung online 43 (2017) 4 natürliche Sukzession ist das weitere Flussmündung entwickeln konnte. Die großen Vorkommen liegen Schrumpfen dieses kleinen Vorkom- Hier hat der Zwerg-Rohrkolben ein beidseits des Rheinkanals in den mens zu erwarten, sofern nicht durch enormes Entwicklungspotenzial. Rheinvorländern zwischen den starke Hochwässer wieder geeignete Die Vorkommen befinden sich der- Hoch­wasserdämmen und den Mittel- Pionierstandorte entstehen. zeit noch zum Großteil im Natura- gerinnewuhren, die den Flusskanal 2000-Gebiet Mehrerauer Seeufer- bei Normalwasserführung begrenzen. Bregenzerach Bregenzerachmündung, ein kleiner Bei Hochwasser werden die Vorländer Nachdem die Art an der Mündung Teil liegt jedoch bereits seewärts der überschwemmt; der Fluss, der jährlich der Bregenzerach seit 1980 verschol- Schutzgebietsgrenze. drei Millionen m³ Sedimente in den len war (Bohle 1987), wurde 2009 im Beispielhafte Vegetationsaufnahme Bodensee schwemmt (Lambert 1989), Mündungsgebiet linksseitig wieder nach Braun-Blanquet (1964) eines Pio- lagert hier mehr oder weniger große ein Vorkommen gefunden (eigene nierauwalds mit Typha minima an der Mengen an Feinsedimenten ab, die Le- Beob.). Im Herbst 2010 entdeckte Mündung der Bregenzerach, Aufnah- bensraum für diese Pionierart schaffen. dann Luise Ehrendorfer-Schratt bei megröße rund 80 m²: Die aufkommende Vegetation wird einer Exkursion im Rahmen des 14. Gesamtdeckung: 60 % einmal jährlich im Herbst gemäht, um Österreichischen BotanikertreffensSalix daphnoides juvenil (3), Salix trian- den Hochwasserabfluss zu gewährleis- auch rechtsufrig ein kleines Vorkom- dra juvenil (3), Typha minima (3), Jun- ten. Mit der Zeit wird die Vegetation men. Schließlich wurden 2011 große cus articulates (1), Phragmites australis allmählich dichter und die Standorte Bestände im Mündungsdelta der Bre- (1), Salix alba juvenil (1), Salix purpurea werden für Zwerg-Rohrkolben zuneh- genzerach auf Standorten beobach- juvenil (1), Typha latifolia (+), Carex mend ungeeigneter. Aus Gründen des tet, die sich bereits zu Auwald entwi- acuta (+), Equisetum arvense (+), Phala- Hochwasserschutzes wird die Vegeta- ckelten (eigene Beob.). 2017 waren in ris arundinacea (+). tion mit der oberen Sedimentschicht diesen Pionierauwäldern noch immer in unregelmäßigen Abständen ent- Exemplare von Typha minima einge- Alpenrhein fernt, um den ursprünglichen Abfluss- streut, die vor allem in weniger dicht Die kleinen Vorkommen am Rhein­ querschnitt wieder herzustellen. Auf bestockten Bereichen auch blühten, kanal oberhalb der Mündung konnten diese Weise entstehen zugleich wieder wobei deren Verschwinden jedoch bei einer Begehung der Gesamtstre- Pionierstandorte. durch die natürliche Sukzession in cke 2017 nicht mehr bestätigt werden. Auf den Rheindämmen im Bereich wenigen Jahren zu erwarten ist. Klein- Somit beherbergt die Mündung des der Rheinvorstreckung in den Boden- flächige Röhrichte mit Zwerg-Rohrkol- Rheins das einzige durchgehend do- see wurden an mehreren Standorten ben sind jedoch auch im Randbereich kumentierte Vorkommen von Typha Rheinsedimente deponiert. Offen- des Jungauwalds erhalten. An der Bre- minima in Vorarlberg, das aufgrund sichtlich enthalten diese Sedimente genzerachmündung profitiert die Art seiner Größe zu den bedeutendsten die Samen oder Rhizomteile von Ty- offensichtlich von der Einstellung der im Alpenraum zählt und als größter pha minima, so dass sich die Art auf Baggerungen seit Ende der 1980er- Bestand Mitteleuropas gilt (Käsermann künstlichen, nicht überschwemmten Jahre, wodurch sich eine naturnahe & Moser 1999). Trockenstandorten für einige Jahre etablieren kann, bis die Sukkzession allmählich zum Verschwinden führt. Im unmittelbaren Mündungsbereich entwickelt sich Typha minima lokal auf neuen Sedimentablagerungen; hier bilden vor allem Schilfröhrichte, teilweise auch Pionierauwälder die Konkurrenzvegetation. Aber auch hier entstehen nach Baggerungen, die zur Erhaltung des Abflussquerschnitts er- folgen, wieder Pionierstandorte. Somit

Abb. 7: Großflächiger Bestand im Rhein- vorland: Die obere Sedimentschicht wird in unregelmäßigen Abständen abgebag- gert, wodurch Pionierstandorte entste- hen. inatura – Forschung online 43 (2017) 5 verdeutlichen jedoch das Potenzial geplanter Renaturierungsmaßnah- men (Stichwort »Rhesi«, www.rhesi. org). Dabei sind großzügige Maßnah- men wichtig: Im Experiment war die Keimfähigkeit von Samen aus kleinen Populationen deutlich herabgesetzt (Csenscics & Müller 2015). Lebensraum- vernetzung fördert die Metapopula- tionsdynamik und damit den natür- lichen Genfluss (Till-Bottraud et al. 2010). Aus genetischer Sicht sehr kritisch zu sehen sind Wiederansiedlungsver- suche mit Pflanzen aus dem Garten- handel, wie dies auch schon versucht wurde; der Zwerg-Rohrkolben ist eine Abb. 8: Uferfläche am Neuen Rhein, auf dem die Vegetation vor kurzem abgeschoben beliebte Pflanze an Gartenteichen und wurde: Pionierstandorte begünstigen die Keimung von Typha minima, was hier eine im Handel leicht zu beziehen. Wenn große genetische Diversität fördert (Galeuchet & Holderegger 2005). eine Wiederansiedlung an Gewässern erfolgt, an denen Typha minima aus- sind die großen Vorkommen an der lerorts verschwunden. In seiner Be- gestorben ist und keine autochthonen Mündung des Neuen Rheins in den schreibung der Vorkommen an der Gentypen mehr verfügbar sind, emp- Bodensee, die zum überwiegenden Rheinmündung vor über 70 Jahren be- fehlen Galeuchet & Holderegger (2005), Teil im Natura-2000-Gebiet Rheindelta klagt Lauterborn (1940), dass »es heute Pflanzen von der Rheinmündung zu liegen, derzeit von regelmäßigen Ein- in Mitteleuropa wohl kaum noch eine verwenden, da hier noch eine große griffen abhängig. zweite Pflanzengesellschaft gibt, wel- genetische Diversität erhalten ist. Beispielhafte Vegetationsaufnahme che in ihren natürlichen Beständen Somit wird die Zukunft von Typha mi- nach Braun-Blanquet (1964) mit Typha derart bedroht ist. … Der Grund hier- nima am Alpenrhein einerseits durch minima an der Rheinmündung (Vor- für liegt vor allem in der fortschreiten- die Instandhaltungsmaßnahmen, an- land), Aufnahmegröße 25 m²: den Korrektion der Ströme, Flüsse und dererseits aber vor allem durch die Gesamtdeckung: 80 % Bäche.« Die zweite Zielart alpiner Wild- geplante ökologische Aufwertung Carex acuta (2), Equisetum palustre flusslandschaften, die Deutsche Tama- des Flusskanals und durch die Ent- (2), Phragmites australis (2), Potentil- riske (Myricaria germanica) (Csencsics & wicklung der Mündungslandschaft la reptans (2), Typha minima (2), Salix Müller 2015), konnte sich zwar für ei- bestimmt: Bereits jetzt deutet sich see- alba juvenil (2), Salix triandra juvenil nige Jahre in wenigen Exemplaren auf wärts der in den Bodensee verlänger- (2), Agrostis gigantea (1), Equisetum einer Kiesbank im Alpenrhein etablie- ten Dämme die Entstehung eines neu- arvense (1), Lythrum salicaria (1), Men- ren (Amann 2016; Broggi 2013), kommt en Schwemmfächers ab, der – sofern tha aquatica (1), Rhinanthus alectorolo- hier nach dem Rhein-Hochwasser vom dieser erhalten werden kann – künftig phus (1), Salix purpurea juvenil (1), Tri- Juni 2016 aber nicht mehr vor und ist enormes Lebensraumpotenzial für folium repens (1), Centaurium erythraea aktuell in Vorarlberg wohl wieder aus- diese Art aufweisen wird. (+), Galium palustre (+), Lycopus euro- gestorben (eigene Beob.). Der Fortbestand des Zwerg-Rohrkol- paeus (+), Lysimachia nummularia (+), Typha minima an der Rheinmündung bens an der Dornbirnerach ist auf- Phalaris arundinacea (+), Plantago ma- ist genetisch eng mit Populationen grund der hier stark begrenzten Dy- jor (+), Populus sp. juvenil (+), Ranuncu- flussaufwärts (St. Gallen, Graubün- namik unsicher, ein langfristiger Erhalt lus nemorosus (+), Scirpus sylvaticus (+), den) verwandt (Galeuchet et al. 2002), ist vermutlich nur durch gezielte Ar- Solidago gigantea (+). auf Grund der großen räumlichen tenhilfsmaßnahmen möglich (Schaf- Distanz, in der geeignete Habitate fung von Pionierlebensräumen). Auch fehlen, heute allerdings nicht mehr starke Hochwässer, die wieder offene 4 Diskussion mit diesen vernetzt. Temporäre Vor- Pionierstandorte schaffen, könnten kommen am kanalisierten Alpenrhein den Bestand wohl zumindest vorüber- Der Kleine Rohrkolben ist eine Zielart und die Verhältnisse an der Mündung, gehend sichern. von Wildflüssen im Alpenraum und wo geeignete Pionier­lebensräume An der Mündung der Bregenzerach aufgrund der Flussregulierungen vie- durch künstliche Eingriffe entstehen, dagegen zeichnet sich derzeit zwar inatura – Forschung online 43 (2017) 6 Abb. 9: Typha minima an der Bregenzer­ ach: Die Pflanzen können sich eine Zeit lang auch im Jungauwald halten. Die Verdrängung durch die natürliche Suk- zession ist aber abzusehen. Ohne Über- schwemmung durch Hochwässer werden Zwergrohrkolbenröhrichte etwa in zehn bis 15 Jahren von Weidengebüschen ab-

gelöst (Käsermann & Moser 1999) und ent- wickeln sich im Tiefland schließlich zur

Silberweidenau (Prunier et al. 2010b).

Abb. 10: Durch die natürliche Land- schaftsdynamik entstehen an der na- turnahen Mündung der Bregenzerach fortlaufend neue Pionierstandorte als po- tenzielle Lebensräume für Typha minima.

Abb. 11: Gewässerdynamik ist Voraus- setzung für den Erhalt des Zwerg-Rohr- kolbens. Dies kann auch einmal Verlust durch Ufererosion bedeuten (hier an der Bregenzerach).

inatura – Forschung online 43 (2017) 7 auf einem Großteil der Standorte mit Bergmeister, U. & Leipold-Schneider, G. (2000): Fischer, M. A., Oswald, K. & Adler, W. (2008): Vorkommen von Typha minima die Umstritten und freudig begrüßt – 100 Exkursionsflora für Österreich, Liechten- Sukzession zu Auwäldern ab: In den Jahre Fußacher Durchstich 1900-2000. stein und Südtirol. Bestimmungsbuch vergangenen drei Jahrzehnten hat Die Menschen und die Rheinregulie­ für alle in der Republik Österreich, im sich die Auwaldfläche hier jährlich im rung (Sonderausstellung im Museum Fürstentum Liechtenstein und in der Mittel um über 0,2 ha ausgeweitet. Rheinschauen ab 1. Mai 2000). – Mont- Autonomen Provinz Bozen / Südtirol Allerdings schwemmt der Fluss durch- fort, 52 (1): 49-80. (Italien) wildwachsenden sowie die schnittlich etwa 7.000 m³ Geschiebe Bohle, K. (1987): Verbreitung und Häufig- wichtigsten kultivierten Gefäßpflanzen und 250.000 m³ Schwebstoffe pro Jahr keit seltener Pflanzengesellschaften (Farnpflanzen und Samenpflanzen) in den Bodensee und in Hochwasser- in Vorarlberg. Teil 2. Zwergrohrkol- mit Angaben über ihre Ökologie und jahren auch deutlich mehr (Rudhardt + benröhrichte (Equiseto-Typhetum Verbreitung. – 3., verbesserte Auflage: Gasser Ziviltechniker & Hunziker, Zarn + minimae) und Myrtengebüsche (Salici- 1392 S.; (Land Oberösterreich – OÖ Partner AG 2005), wodurch in dieser Myricarietum) – unveröff. Diplomarbeit Landesmuseen). für mitteleuropäische Verhältnisse be- Universität Innsbruck: 126 S. Galeuchet, D. J. & Holderegger, R. (2005): Er- merkenswert naturnahen Mündungs- Braun-Blanquet, J. (1964): Pflanzensoziologie: haltung und Wiederansiedlung des landschaft fortlaufend neue Pionier­- Grundzüge der Vegetationskunde. – 3. Kleinen Rohrkolbens (Typha minima) - standorte als potenzielle Lebensräu- Aufl.: 865 S.; Wien / New York (Springer). Vegetationsaufnahmen, Monitoring me für Zwerg-Rohrkolben entstehen. Broggi, M. F. (1986): Biotopinventar Vorarl- und genetische Herkunftsanalysen. – Mit den zwei Populationen an den berg. Talgemeinden des Bezirks Feld- Botanica Helvetica, 115 (1): 15–32. Mündungen von Bregenzerach und kirch. – 264 S.; (Vorarlberger Land- Galeuchet, D. J., Holderegger, R., Rutishauser, R. Alpenrhein – letztere ist das bedeu- schaftspflegefonds). & Schneller, J. J. (2002): Isozyme diver- tendste Vorkommen in Mitteleuropa Broggi, M. F. (2013): Verbreitung und Vorkom- sity and reproduction of Typha minima (Käsermann & Moser 1999) – trägt Vor- men des Zwergrohrkolbens (Typha min- populations on the upper River Rhine. – arlberg große Verantwortung für den ima Hoppe) und der Deutschen Tama- Aquatic Botany, 74 (1): 19-32. Erhalt des Zwerg-Rohrkolbens. riske (Myricaria germanica (L.) Desv.) im Höfle, M. A. (1850): Die Flora der Bodensee­ Alpenrheintal – einst und jetzt. – Be­ gegend mit vergleichender Betrach- rich­te der Botanisch-Zoologischen Ge- tung der Nachbarfloren. – 175 S.; Erlan- 5 Literatur sellschaft Liechtenstein-Sarganserland- gen (Ferdinand Enke). Werdenberg, 27: 145-158. Käsermann, C. & Moser, D. M. (1999): Merkblät-

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inatura – Forschung online 43 (2017) 9