Paradise, Lost
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PARADISE, LOST 6. SKULPTUREN-BIENNALE WEIERTAL 25.5. – 8.9.2019 PARADISE, LOST KURATIERT UND HERAUSGEGEBEN VON CHRISTOPH DOSWALD MIT ESSAYS VON PAOLO BIANCHI, CHRISTOPH DOSWALD, PETER STAMM UND DOROTHEA STRAUSS MIT WERKEN VON GEORG AERNI, CRISTIAN ANDERSEN, MIRKO BASELGIA, VANESSA BILLY, BENI BISCHOF, TINA BRAEGGER, OLAF BREUNING, DANIELE BUETTI, CLAUDIA DI GALLO, FRANZISKA FURTER, GLASER / KUNZ, HANSPETER HOFMANN, CHRISTOPHER T. HUNZIKER, MAJA HÜRST, MELLI INK, MAUREEN KAEGI, PETER KAMM, SANDRA KNECHT, MARKUS KUMMER, KESANG LAMDARK, ESTHER MATHIS, KATJA SCHENKER, KERIM SEILER, MARTIN SENN, UNA SZEEMANN FOTOGRAFIERT VON VANESSA PÜNTENER Inhaltsverzeichnis GEORG AERNI, BREAK 2 CHRISTOPH DOSWALD, PARADISE LOST 38 PAOLO BIANCHI, LOST IN PARADISE 46 DOROTHEA STRAUSS, ESPACE FUTUR 54 PETER STAMM, IM WALD 58 GEORG AERNI 62 CRISTIAN ANDERSEN 66 MIRKO BASELGIA 72 VANESSA BILLY 78 BENI BISCHOF 84 TINA BRAEGER 90 OLAF BREUNING 96 DANIELE BUETTI 102 CLAUDIA DI GALLO 106 FRANZISKA FURTER 112 GLASER / KUNZ 116 HANSPETER HOFMANN 122 CHRISTOPHER T. HUNZIKER 128 MAJA HÜRST 134 MELLI INK 140 MAUREEN KAEGI 146 PETER KAMM 150 SANDRA KNECHT 156 MARKUS KUMMER 162 KESANG LAMDARK 166 ESTHER MATHIS 172 KATJA SCHENKER 178 KERIM SEILER 182 MARTIN SENN 188 UNA SZEEMANN 192 STANDORTE, PLAN 200 DANK, SPONSOREN 202 IMPRESSUM 204 Kunst braucht Kontext. Kunst braucht einen Möglichkeitsformen. Machbarkeit und Markt Rahmen. Kunst entsteht nicht im luftleeren lassen kaum subtile oder unbequeme Positi- Raum, sondern steht in vielfältigen Bezügen onen zu. Desillusionierung statt Utopie war zu ihrer Umgebung. Unter dieser Prämisse und ist die Folge. PARADISE, wurde die Ausstellung mit dem Titel Paradi- se, lost konzipiert. Im Zentrum dieses Projekts Zum andern hat sich auch die Welt ent- steht die Frage, wie Kunst auf den Verlust von scheidend verändert. Die Sorglosigkeit der TERTHUR 2019 Utopien reagiert – und ob sie besser imstande Globalisierungseuphorie ist einer kritischen DIE NEUE HOFFNUNGLOST AUF ROMANTIK, IDEALISMUS, ist, neue Utopien zu entwickeln, wenn sie den Perspektive auf die Zukunft gewichen. Das gesicherten Rahmen ihrer üblichen Präsen- hedonistische Modell der Konsumgesellschaft, Pathos UND MÖGLICHKEITSFORMEN IN DER KUNST tation verlässt. Die Auflösung bzw. Verschie- die Prädominanz abendländischen Denkens CHRISTOPH DOSWALD bung von Kontexten ist eines der prägenden und heteronormativer Wertvorstellungen ste- Themen in der jüngeren Kunstgeschichte. Ne- hen zur Debatte. Aus Schweizer Sicht lässt sich / WIN WEIERTAL ben dem neutralen Raum oder «White cube» zudem der lange kultivierte und auch beque- (seit der Erfindung der Minimal Art die ab- me «Sonderfall» gegenüber den europäischen solut gültige Referenz) hat sich eine Vielzahl Nachbarn immer weniger argumentieren. von differenzierten Spielformen künstleri- Kurz: Das Bild des irdischen Paradieses, das scher Arbeits- und Präsentationskontexte gerade in der Kunst der Jahre nach 1989 - als entwickelt, die stets neu verhandelt werden. Folge der Digitalisierung und des Verschwin- dens des Eisernen Vorhangs - herrschte, hat Mehr Pathos, bitte Kratzer bekommen. Diese Überlegungen bil- Bei Paradise, lost geht es um das dringend nö- den den Hintergrund zum vorliegenden Kata- tige Comeback von gesellschaftlicher Haltung log und zu dem Ausstellungsprojekt im Wei- in der Kunst. Eine massgebliche kuratorische ertal, einem idyllischen Weiler vor den Toren Setzung war, auf Nähe, Freundschaft und von Winterthur. Paradise, lost handelt im ei- Vertrauen zu setzen, d. h. keine Künstler ein- gentlichen wie im übertragenen Sinn von der UREN-BIENNALE zuladen, nur weil sie in den internationalen Auseinandersetzung mit Wirklichkeiten und Top-100-Ratings figurieren. Dass sich Freund- Kontexten, die sich verschoben und verändert schaft und Qualität keineswegs ausschliessen, haben. Wie gehen Künstlerinnen und Künst- versteht sich von selbst. Eine weitere wichti- ler heute mit diesen veränderten Rahmenbe- 6. SKULPT ge Entscheidung lautete: Das Geld sollte für dingungen um? Wie behaupten sie sich einer Ideen und für Kunst, nicht für Flugtickets und Branche, die modisch und globalisiert und Kunsttransporte verwendet werden. Mögli- damit auch kompetitiver geworden ist? Wie cherweise braucht es auch wieder mehr Pa- entwickelt sich die Kunst, wenn das Ego-Mar- thos in der Kunst. Denn die inhaltliche Auf- keting immer wichtiger wird? ladung mit Pathos wäre eine Absage an die etwas blutleere Coolness und Nonchalance, Geografischer Ausgangspunkt vonParadi - welche die Kunst der letzten Jahrzehnte ge- se, lost ist der Garten von Maja und Rick von prägt hat. Pathos war über Jahre ein konta- Meiss, der als «Hortus conclusus» bislang miniertes Gefühl, aber vielleicht ist es jetzt an Zentrum und Standort von fünf Vorgänger- der Zeit, darauf zurückzukommen. Biennalen im Weiertal bildete. 2019 ist nun erstmals eine ganze Reihe von Projekten in Der gesellschaftliche und systemische Kon- der weiteren Peripherie des Gartens entstan- LOST PARADISE, text, in dem Kunst entsteht und präsentiert den. Diese kontextuelle Verschiebung und Er- wird, hat sich in der letzten Dekade entschei- weiterung des Perimeters soll andere Themen dend verändert, und zwar in vielerlei Hin- berühren und Ansätze sichtbar machen, die sicht. Zum einen ist aus der hoch spezialisier- auch territorial den Rahmen sprengen. Die ten Nische Kunst eine Mainstream-Branche Ausstellung thematisiert letztlich die andau- entstanden, die Milliardenumsätze generiert ernde Ambiguität des Künstlerdaseins ange- und grosses öffentliches Interesse weckt. Der sichts immer komplexerer Kontexte. Preis für diese augenfällige Verbreiterung, Kommerzialisierung und Professionalisierung Im Sinne einer Grundlagenforschung hat der des Arbeitsfelds ist ein Verlust an romanti- Fotograf Georg Aerni eine mehrere Monate scher Energie, ein Verdrängen idealistischer dauernde Feldstudie durchgeführt. Ausge- 39 rüstet mit Kamera und wärmender Mütze ist Fürsten, ein eigenes Wappen entworfen, das suchen, Dinge zu tun, aber wir wissen auch, Ureinwohner, thailändischer Mönche und er durchs herbstlich-winterliche Tal gestreift auf einer Fahne und auf einer Uniform ins dass die großen Ideen, die in den letzten Jahr- nordamerikanischer Indianer, animiert Ba- und hat eine Serie von Bildern geschaffen, die Weiertal getragen wird. Zu festgelegten Zei- zehnten sehr motivierend waren, weitgehend selgia die Ausstellungsbesucherinnen zur ge- eindringlich die blossen Strukturen der Natur ten marschiert ein derart Uniformierter zum dahin sind. So etwas wie die erste Besteigung danklichen Grenzüberschreitung: ein Zweig sichtbar machen: Bäume ohne Blätter, Felder Hochsitz im Feld, bläst dort eine Tonfolge des Mount Everest, das Woodstock-Festival oder ein Stein, ausgelegt irgendwo auf dem ohne Pflanzen, Wiesen ohne Blumen. Der aus Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band und oder den ersten Mann auf dem Mond wird es Boden als mentale Schwelle, soll übertreten TERTHUR 2019 Kontrast zur Ausstellung im Sommer ist gross, hisst die Hofmann-Fahne, die den Affen im nicht mehr geben. Natürlich werden wir zum werden, danach geht es barfuss weiter, mal TERTHUR 2019 und doch bildet dieses von Aerni dokumen- Wappen führt. Kunst und Künstler werden Mars fliegen, aber wenn es so weit ist, schät- auf Kies, mal auf Gras, mal auf Laub, «in dem tierte Territorium die Auslegeordnung für die eins, spielen mit der Hofnarren-Attitüde und ze ich, wird sich niemand einen Dreck darum Bewusstsein, dass dahinter eine andere Welt spätere künstlerische Auseinandersetzung mit entziehen sich mit der performativ-vergäng- scheren. Es wird nur eine weitere aufregende als die gewohnte beginnt», wie Baselgia in der Landschaft. lichen Aktion der Forderung des Marktes, ein Stimulation sein.» seiner künstlerischen Handlungsanweisung kommerzialisierbares, langlebiges Produkt zu schreibt. WEIERTAL / WIN WEIERTAL Outside Weiertal: Invasive Tiere, Ego- kreieren. Grenzsetzungen, Abschreckungsstragien, / WIN WEIERTAL Shooter, Spektakel und Hofnarren Überwachungssysteme, Eindringlinge Von einer unmittelbaren Grenzüberschreitung Es ist keine aufgeräumte Bilderbuch-Schweiz, Der terrassierte Hang oberhalb der Rumstal- Tierische Eindringlinge sind eine permanente erzählt die Intervention Kesang Lamdarks. In die sich im Weiertal zeigt, keine Postkarteni- strasse steht sinnbildlich für landschaftliche Gefahr für jeden kultivierten Garten: Marder einem halboffenen Unterstand aus Holz, nur dylle. Hier wird gelebt und gearbeitet. Es gibt Transformationen aus wirtschaftlichen Grün- räubern in den Hühnergehegen, Schnecken notdürftig geschützt vor Wind und Wetter, jede Menge Durchgangsverkehr, eine werk- den: Einst ein blühender Weinberg, weidet machen sich über den Kopfsalat her, Biber liegt eine weisse, bereits leicht verschmutz- tägliche Rushhour, zwei Jagdreviere und un- dort heute eine Rinderherde, weil sich mit fällen sorgsam gepflanzte Bäume, Feldmäuse te Matratze. Wie bei vielen Werken von überhörbare Flugzeuge am Himmel. Herrscht Wein eben nicht mehr genug Geld verdienen untergraben den gepflegten Rasen. Da helfen Lamdark handelt es sich auch bei diesem um Wahlkampf, stehen Plakatwände in der Wie- liess. Während der Ausstellungsdauer fliesst nur Gift, Abschreckung, der Kammerjäger den Plastik-Abguss eines Alltagsgegenstan- se. Seit Kurzem ist der Biber wieder im Land ein breites, silbern glänzendes Stoffband den oder systematische Überwachung. Darauf des. Die echte Matratze lag einst als temporä- und fällt die Bäume entlang des Bachs. An- Berghang hinunter, flattert