Gesellschaft Die 68er (V): Sie tranken Jasmintee, diskutierten nonstop und hielten Sex vor allem für ein Problem – die Mitglieder der Kommune 1 wurden zu Popstars der Studentenrevolte und veränderten den deutschen Alltag. Von Thomas Hüetlin Die Tage der Kommune

atürlich gibt es Erfindungen, die sel schuld sei, weshalb über den „Trans- prall gefüllten Fleischtheken zwischen 25 braucht kein Mensch, wie zum missionsriemen“ Dritte Welt die „Revolu- Sorten Wurst wählen zu können oder NBeispiel fertiggemixten Whiskey- tion“ in die Erste Welt getragen werden Weihnachtsbäume an die GIs in Vietnam Cola in der Dose, UV-durchlässige Bade- sollte, und alles würde gut werden. zu schicken, wo in einem makaberen Krieg anzüge oder Duftbäume am Autorück- Tolles Programm, aber natürlich hatten angeblich die Freiheit West- vertei- spiegel – aber gibt es wirklich Leute, die 16 Leute, die im Sommer 1966 in einer digt wurde. die den Sinn von Toilettentüren bezwei- Großbürgervilla am Kochelsee ein paar Ta- Und diese Leute trafen sich nicht wie feln? ge herumsaßen, sich vom Hausmeisterehe- heute in Cafés, Diskotheken und im Inter- Gab es – die Leute von der K 1 und spä- paar Schweinebraten auftischen ließen, auf net, sondern sie hatten das Gefühl, daß ter in den Siebzigern viele junge Men- den vor der Tür aufragenden Bergen her- sich in der Gesellschaft etwas ganz Großes schen, die wie ihre Helden Kommunar- umkletterten und Fußballweltmeisterschaft ändern müsse und gingen in den Soziali- den wurden und die Toilettentüren ein- schauten, noch keine Ahnung, daß ein paar stischen Deutschen Studentenbund (SDS). traten, zersägten oder einfach aushängten von ihnen damit später zu den Popstars der Auch dort waren sie bald unzufrieden. und auf den Speicher trugen. Studentenrevolte werden sollten. Es nervte sie, daß ihr privates Leben, ihr Was ist so schlecht an Angstschweiß vor den Re- Toilettentüren? „Sie er- feraten, ihre erstarrten El- möglichen, daß sich einer ternhäuser, ihr Liebeskum- zurückziehen kann, sie mer keine Rolle spielen schaffen Privatsphäre. Wir durften in den Diskussio- wollten die Privatsphäre nen über die Akkumulati- vernichten“, sagt Rainer on des Kapitals und die an- Langhans, damals Deutsch- deren theoretischen Musts, lands schönster Kommu- die damals für einen mo- narde, heute einziger Mann dernen jungen Menschen in einem Münchner Harem so wichtig waren wie heu- von fünf Frauen. te die Wahl der richtigen Die Kommune 1 gab es Turnschuhmarke. „Was nicht lang, nicht mal 35 Mo- geht mich der Vietnam- nate dauerte sie, von An- krieg an“, sagte Kunzel- fang ’67 bis November ’69, mann, „solange ich Orgas- aber ihr Einfluß auf den musschwierigkeiten habe.“ Alltag der Bundesrepublik Die Erlösung sollte die war groß. Hier wurde wie Kommune bringen. Leben in einem Schaufenster dem und Arbeiten und Revolu-

Rest-Deutschland vorge- SÜDD. VERLAG tion in einem. Pauschal- spielt, was modernes Leben Politaktionisten Kommune 1 (1967): „Ihr müßt euch entwurzeln“ ticket in die neue Freiheit, Ende der sechziger Jahre Rückweg ausgeschlossen. sein sollte: alle auf einer Matratze schlafen, Der bayerische Sommer war blau und „Ihr müßt euch entwurzeln“, rief Dieter nicht arbeiten, die Spießer ärgern, Weltre- wunderbar, aber er konnte nichts daran Kunzelmann, der Einpeitscher für die Idee volution machen, Spaß haben, ein neuer, ändern, daß die 16 jungen Leute litten. Sie der revolutionären Gemeinschaft.Weg mit besserer Mensch werden und niemals im waren großgeworden in einem Land, in euren Stipendien. Weg mit eurer Sicher- Leben mit Stolz eine Krawatte tragen. dem Alt-Nazis als Richter und Lehrer be- heit. Weg mit eurer alten Persönlichkeit. Und wie es sich für ein neues Lifestyle- schäftigt waren und die Deutschen wieder Weg mit der Liebe – alles bürgerliche Programm gehört, verkaufte es die K 1 den ihren zwei Lieblingsbeschäftigungen nach- Wahnvorstellungen. Später im Kommune- Leuten in einer neuen Sprache – der Psy- gingen: stur arbeiten und sich selbst be- jargon hieß das: „Revolutionierung des All- cho-Soziosprache, einem aufgeblasenen mitleiden. tags, Abschaffung des Privateigentums, Akademikerdeutsch, mit dessen Resten Gut 20 Jahre nach Kriegsende sah die Brechung des Leistungsprinzips, Prokla- heute Gefühlsspezialisten wie Hans Meiser deutsche Vergangenheit ungefähr so aus: mation des Lustprinzips“. und Jürgen Fliege in ihren Nachmittags- Verführt worden, dann alles verloren, dann Von Anfang an war Dieter Kunzelmann talkshows herumhantieren: Von „Zweier- alles wieder aufgebaut, und jetzt kommen das, was der Apo-Theoretiker Bernd Ra- beziehungen“ war die Rede, von „Frustra- die Langhaarigen und wollen alles wieder behl als den „Patriarchen der Kommune“ tionen“, von „Arbeitsschwierigkeiten“, kaputtmachen. bezeichnete. Er entschied, was gemacht vom „autoritären Charakter“ und „Ge- Nicht wirklich erstaunlich also, daß es wurde, wie es gemacht wurde und wann es fühlspanzerungen“ und vom „US-Impe- ein paar junge Leute gab, die mehr vom Le- gemacht wurde. „Kunzelmann“, sagt Rai- rialismus“, der an dem ganzen Schlamas- ben wollten, als in einem Polizeistaat vor ner Langhans heute, „stand ganz oben in

100 der spiegel 27/1997 BOKELBERG Psychogruppe Kommune 1 (1968)*: Haschisch rauchen war revolutionär, Bier konterrevolutionär der Nahrungskette, und wenn einer viel Anfang der sechziger Jahre wechselte ten. Die Gruppe verachtete das normale weiter unten stand als er, dann wurde es Kunzelmann nach München und sorgte so- Leben als ein Reich der Wiederholung, der für den schnell ungemütlich.“ fort für Ärger, manchmal im Dienste der Belanglosigkeit, der Depression und der Kunzelmann war nicht gerade das, was Wahrheit, manchmal nur aus Spaß am Är- Langeweile. Arbeit galt als das letzte, erst man einen schönen Menschen nennt. Sei- ger. Er hatte sich inzwischen den Situatio- nach der sozialen Revolution sollte ein gu- ne roten, wollenen Haare fielen ihm vorne nisten angeschlossen, einer kleinen, super- tes Leben möglich sein. Bis dahin gab es schon früh aus, ein dichter Vollbart umgab elitären Künstlerbewegung, die als Nach- nur ein Ziel: das leere Gerede und die Tra- sein Gesicht, in dem eine Nase groß wie fahren der Dadaisten den Umsturz plan- ditionen der Bürger zur Explosion bringen eine Maurerkelle thronte. Dazu ging er ge- und darüber laut lachen. Ohne beugt wie ein Schrat, dabei voller Energie. Rücksicht auf Stil, Rhythmus und Wenn er redete, wirbelten seine Arme her- andere bourgeoise Einschränkun- um wie Windmühlenflügel. gen reimte Kunzelmann deshalb Sein Vater hatte eine Sparkasse im ka- Verse wie: „Kuba, Kongo, Vietnam tholischen Bamberg geleitet, und seine – die Blutspur des Imperialismus ist Schulzeit hatte Kunzelmann eigentlich nur lang“. dazu gedient herauszufinden, daß er ein Dazu ließ er sich von zwei Frau- geborener Umstürzler sei. Am 14. Juli 1939, en aushalten. Die eine arbeitete in genau 150 Jahre nach der Erstürmung der einem Animierlokal; die andere, Bastille, geboren zu sein genügte ihm als Dagmar Seehuber, jobbte tagsüber Indiz. Bald darauf warf er einen brennen- als Sekretärin, abends gehörte ihre den Adventskranz aus dem Fenster in den Schreibkraft und der Rest dem Schulhof. Chefideologen. Wenn die Frauen Eine Banklehre brach er ab, Ende der schon nichts zu melden hatten – fünfziger Jahre zog er nach Paris, wo er mit wenigstens das Pinkeln war unisex. dem späteren Modephilosophen Jean Frauen wie Männer, erinnert sich Baudrillard unter den Brücken lebte. „Wir Lothar Menne, heute Geschäfts- haben ihm immer Geld vom Pflastermalen führer bei Hoffmann und Campe, gegeben“, erinnert sich Kunzelmann, „da- mußten zum Pinkeln das Wasch- mit er ein Baguette holen soll, und er ist in becken in der Ecke der Kellerwoh- die Rue St. Denis gegangen und für dieses nung benutzen.

Geld in den Puff.“ KOHN W. Am Kochelsee hatte der Situa- Apo-Playboy Teufel (1968) tionist Kunzelmann dazu gedrängt, * Links: Langhans, Obermaier. „Alle zwei Tage eine andere Schülerin“ so bald wie möglich eine Kommune

der spiegel 27/1997 101 Gesellschaft ULLSTEIN K-1-Patriarch Kunzelmann*: „Wenn einer in der Nahrungskette weiter unten stand als er, wurde es für den schnell ungemütlich“ zu bilden, aber es dauerte doch bis Anfang In Johnsons kleiner Wohnung hatten die hier hatte Kunzelmann im Frühjahr ’67 die Februar 1967, ehe ein paar Leute bereit wa- Kommunarden Matratzen ausgebreitet, rettende Idee: eine Aktion gegen den US- ren, sich wirklich unter dem Kommando und sonst gab es nicht viel, was sie von der Vizepräsidenten Humphrey während sei- des Psychoterroristen zu neuen Menschen Zertrümmerung ihrer bürgerlichen Reste nes -Besuchs am 6. April. formen zu lassen. Die meisten aus der Ko- hätte ablenken können. Warum gerade Humphrey? Zuerst ein- chelseegesellschaft fanden Gründe, sich zu Jeder beobachtete jeden, man durfte mal saß er natürlich ziemlich weit oben im drücken. durfte nicht ein- nicht raus, und wenn morgens einer in den verhaßten amerikanischen Machtapparat, ziehen, weil seine Frau Gretchen Sexorgi- Milchladen mußte, dann wurde ihm ein zudem sah er völlig bescheuert aus, fanden en witterte; Bernd Rabehl wollte nicht ein- zweiter als Wächter mitgeschickt. Anson- wenigstens die Kommunarden. „Wie eine ziehen, weil er fürchtete, daß alle auf seine sten kannte die Totaltherapie keine Uhr- Witzfigur aus einem amerikanischen Slap- Frau scharf seien; und Lothar Menne flüch- stickfilm“, sagte Dieter Kunzelmann. „So tete nach Mexiko, wo er als Guerrillero ar- In SDS-Kreisen hieß einer braucht eine Torte ins Gesicht.“ beiten wollte. „Immer noch besser als in ei- das Kollektiv bald nur noch die Die Aktion fand nicht statt, und wahr- nem Zimmer mit Kunzelmann“, dachte sich scheinlich wäre die K 1 bestenfalls ein zei- Menne. „Horrorkommune“ gefingerschwingender Haufen von Hinter- Die Menschen, die sich dann Anfang Fe- hofkabarettisten geworden, hätten nicht bruar in die leere Dachwohnung des zeiten. „Wenn man umfiel vor Müdigkeit“, ein paar Polizisten die Kommunarden er- Schriftstellers Uwe Johnson einsperrten, sagt Rainer Langhans, „wurde man wieder wischt, als sie mit Farbstoff, Pudding und waren die, die den Absprung nicht recht- hochgerissen.“ Einschlafen war bürgerlich. Mehl gefüllte Tüten im Berliner Grunewald zeitig geschafft hatten und dazu minde- Besitz in jeder Form war noch schlim- herumwarfen. Danach wurden die Mäch- stens ein existentielles Problem hatten. mer. Deshalb zog Kunzelmann gern einfach tigen und die Presse der Mauerstadt so hy- Der Student Ulrich Enzensberger war die Kleider anderer Kommunemitglieder sterisch, als marschierten die Rote Armee, der kleine Bruder des großen Dichters an, deshalb beschimpfte er Dagmar von die Rolling Stones und King Kong ge- Hans Magnus; der Student Rainer Lang- Doetinchem de Rande, nur weil sie die meinsam auf dem Kurfürstendamm her- hans litt an großen Liebesdepressionen; Freundin von Enzensberger war, als Klette. um. der Student fand keine Freun- In SDS-Kreisen hieß das Patientenkollektiv Die Kommunarden, stand im Polizei- din; die Sekretärin Seehuber war Kunzel- bald nur noch „die Horrorkommune“. Für bericht, hätten „Anschläge mittels Bom- mann verfallen; die Studentin Dorothea die Patienten ein Kompliment. Noch heute ben, mit unbekannten Chemikalien ge- Ridder fühlte sich einsam und wollte „ein- schwärmt ein Mann wie Rainer Langhans füllten Plastikbeuteln oder mit anderen fach Menschen anfassen“. vom „Dreiklang der totalen Kontrolle, der gefährlichen Tatwerkzeugen wie Steinen totalen Intensität und der totalen Zer- geplant“. Die Zeitung der abend melde- * 1967 im Sarg anläßlich einer Gedenkfeier für den ehe- störung“. Politisch wurde die Kommune te: „Maos Botschaft in Ost-Berlin lieferte maligen Reichstagspräsidenten Paul Löbe in Berlin. als kleine Psychosekte isoliert – aber auch die Bomben gegen Vizepräsident Hum-

der spiegel 27/1997 103 Gesellschaft phrey.“ Elf Kommunarden mußten ins Ge- Ein Interview kostete ein Abendessen ihnen nur noch die richtigen Leichen un- fängnis. beim Chinesen oder ein Honorar von 1000 terjubeln: Albertz, Büsch, Duensing, den Die Bombe, die nie gezündet wurde, er- Mark aufwärts. Auf diese Weise konnten Senat mit seiner Polizei und Justiz, sie alle wies sich als Volltreffer. Vorher waren De- sie es verkraften, daß manche ihrer Eltern werden wir am Mittwoch feierlich in ge- monstrationen Umzüge gewesen, mit keine Lust mehr hatten, die Streiche der bührendem Rahmen begraben.“ „ernsthaften, traurigen, ohnmächtigen neuen Staatsfeinde zu finanzieren. „Letzt- Außer Emigrationsaufforderungen Schilderwäldern (Langhans)“. Jetzt gelang mals einige Zeilen von mir. Dein Denken (Macht doch rüber), erprobten deutschen es ein paar Ausgeflippten, den Staat aus- ist derart irreal, daß ich mich frage, ob Du Lösungsvorschlägen (Vergast sie) waren sehen zu lassen als das, was er war: eine nicht ein Fall für den Psychiater bist. Der das Ergebnis dieser Aktionen natürlich Bande von Frühvergreisten mit Panik im von mir geleistete Zuschuß entfällt mit so- Haft- und Geldstrafen.Wenn sie davon er- Genick. fortiger Wirkung“, schrieb zum Beispiel zählen, bekommen die Kommunarden Die Kommunarden stiegen auf zu noch heute vor Aufregung feuchte Augen: Medienstars. Schnell hatten die bekannte- „Es macht mir Spaß, Beweis erbracht, so ist er, der deutsche sten ein Image: Rainer Langhans, der schö- Richter anzubrüllen oder die Spießer. So ist er, der deutsche Staat. So ist ne Held, Fritz Teufel, der seelenvolle er, der Kapitalismus. Clown, Dieter Kunzelmann, der An- Justizdiener zu ärgern“ Sie genossen es, gehaßt zu werden. „Mir tichrist, das schlimmste Monster, seit zum Beispiel macht es Spaß, wenn sich Ge- Chruschtschow mit seinem Schuh in der Kunzelmanns Vater. Der Brief wurde wie richte mit mir beschäftigen“, sagte Rainer Uno-Versammlung auf dem Tisch herum- alle Briefe in der Kommune erst gemein- Langhans. „Es macht mir Spaß, Richter an- geklopft hatte. The Good, the Bad and the sam verlesen, dann verhöhnt, dann veröf- zubrüllen oder die Justizdiener und den Ugly – die Italo-Western, mit denen sie fentlicht. Staatsanwalt zu ärgern, einfach durch die oft ihre Abende verbracht hatten, waren Die Kommunarden machten ihren Art, wie wir uns kleiden. Ihnen Fallen zu nun Wirklichkeit. Schlagzeilenjob mehr als gut.Wo immer sie stellen, in die sie reinlaufen.“ Jeden Morgen besorgten sich die noto- ein Tabu ahnten, traten sie zu, und wenn Auf einmal waren aus einem Haufen rischen Bürgerschrecks jetzt Zeitungen, die Bürger schrien vor Wut und Empörung, verklemmter Anarchisten mit einem Sex- schnitten eitel die Artikel ihrer Heldenta- dann klang das in ihren Ohren wie Musik. problem die Helden der deutschen Ge- ten aus, klebten sie in Aktenordner ein und Als eine Gedenkfeier für den ehemali- genkultur geworden. Der Dichter Peter überlegten, was sie anstellen mußten, um gen Reichtstagspräsidenten Paul Löbe Handke schrieb: „Die Kommune in Berlin, in der nächsten Ausgabe wieder die Schlag- stattfand, tauchte zum Beispiel ein Sarg im mit Fritz Teufel als Oberhelden, ist die ein- zeilen zu liefern. „Erst blechen, dann spre- Getümmel auf. Der Deckel ging auf, heraus zige Nachfolgerin Brechts.“ Kunzelmann chen“, stand groß im Flur ihrer neuen stieg Dieter Kunzelmann und warf mit und Co. regierten die Straßen, sie hielten Wohnung im Rotlichtviertel Stuttgarter Flugblättern um sich. „Das von uns lang er- die Universität in Schach, sie verhöhnten Platz geschrieben. sehnte Staatsbegräbnis ist da! Wir müssen den SDS als „kleinkarierte Karriereorga- getrunken und, wenn etwas unklar war, im Theorieregal (die Belletristik war längst mit den Kommunekindern Grischa und Nasser in eine Rumpelkammer verbannt worden) bei Wilhelm Reich nachgeschla- gen. Jetzt war der Sex da. Und es gab sofort Probleme. „Der Fritz“, erinnert sich Rai- ner Langhans, „hat sich mit den Mädchen ins Zimmer eingeschlossen, und zwar alle zwei Tage mit einer anderen Schülerin. Er hatte viel nachzuholen. Aber er wollte sei- ne Erfahrungen nicht mit uns diskutieren. Er ließ uns nicht teilhaben. Das ging natür- lich nicht.Außerdem mußten wir dann im- mer die verheulten, abgelegten Schülerin- nen trösten, die auf dem Sofa saßen.“ Kla- re Sache: Fritz Teufel flog raus aus der Kommune. Langhans hatte jetzt nur noch Kunzel- mann neben sich, aber was den Starkult

M. RUETZ / ZWEITAUSENDEINS auf den Demonstrationen anging, war Provokateure Kommune 1*: Wenn die Bürger schrien vor Wut, klang das wie Musik Kunzelmann, den sie nur „Opa“ nannten, kein Gegner. Zwei Maoistinnen aus der nisation“, die Arbeit als „Schande“, die sich kistenweise Mao-Bibeln schenken, die Provinz schrieben an die K 1: „Kommu- Arbeiter als „Blödmänner mit ihren Kühl- sie im Westen an die außerparlamentari- narde Kunzelmann! Du bist das parasitä- schränken“ und die DDR als „bürgerlichen schen Nachzügler verhökerten. re Element der Kommune 1. Du wirkst wie Idiotenhaufen“. Trotzdem fuhren sie gern Vor ihrer Haustür saßen nun 14jährige ein Rentner und trägst auch dementspre- rüber in die chinesische Botschaft, ließen Mädchen herum, und Fritz Teufel lief zur chende Kleidung (bei uns sehr populär, Bestform auf – er entwickelte sich zum er- Kunzelmann-Look). Als asozialer Anal- * Pressekonferenz zu Teufels Entlassung im Republika- sten Playboy der Apo. phabet fällst Du den anderen Kommunar- nischen Club 1967. Das von Michael Ruetz ist dem Buch „1968“ entnommen, das im November 1997 bei Bis dahin hatten die Kommunarden vor den zur Last. Solltest Du und Baby En- 2001 erscheint. allem über Sex diskutiert, dazu Jasmintee zensberger aus der Kommune austreten, kämen wir sofort nach Berlin und tre- begegnet. Ich meine, ich kam aus Berlin, da ten bei.“ laufen alle im Kampfanzug rum.“ Der En- Überhaupt war der Briefkasten der K 1 gel hatte einen Namen: , jetzt immer sehr voll mit Post von Leuten Fotomodell aus München, 21 Jahre alt. auf der Suche nach Gerechtigkeit. Rent- In den Augen von Kunzelmann kam der ner, die die U-Bahn-Preiserhöhung uner- Engel eher aus der Spießerhölle, und die hört fanden. Hausfrauen, die Streit hatten Affäre, die Uschi Obermaier mit Langhans mit den Nachbarn. Schüler, die dachten, sie begann, war der Anfang vom Ende der hätten zu Unrecht schlechtere Noten be- Kommune. Was Richtern, Polizisten, Poli- kommen als ihre Mitschüler. „Wir waren tikern und Zeitungsschreibern, den ganzen auf einmal die Anlaufstelle für alle Unzu- alten berechenbaren Autoritäten, nicht ge- friedenen“, sagt Rainer Langhans, „wir wa- lang, das schaffte ein Mädchen: Ihre völlig ren überlastet und haben nur noch mit ei- unreflektierte Lebenslust, ihr absolutes nem Kinderpoststempel ‚Weiter so’ auf Desinteresse an allem Politischen – das war Postkarten gestempelt.“ mehr, als die Kommunarden, allen voran Im Winter ’68 wurde Langhans das Kunzelmann, verkraften konnten. Ihr He- große Straßentheater zu anstrengend. Er donismus machte aus dem Provokateur wollte sich wieder mehr um sein Ego küm- endgültig einen alten, häßlichen Spinner. mern, er wollte sich noch mehr befreien, „Der war am Ende völlig unerträglich“, der Kampf gegen den Kleinbürger in sich sagt . „Den ganzen Tag selbst und den Kleinbürger im jeweils an- hat er nur noch rumgekräht mit dieser ex- deren war noch lange nicht abgeschlossen. tremen Nervensägenstimme. Jeder sollte Und in diesem langen Krieg war er zum nur noch Schwarzer Krauser rauchen.“ Gefangenen seines eigenen Ruhms gewor- Außerdem begann Kunzelmann, Heroin zu den. spritzen. Statt der Sprung auf den Wasser- Die neue radikale Reise nach innen soll- werfer lieferte ihm jetzt der Drogenblitz te in neuen Räumen stattfinden, weshalb den Rausch. Langhans in für 800 Mark im Mo- Der kränkelnde Patriarch zog in seine nat eine ehemalige Schreinerwerkstatt an- vorerst letzte Schlacht, und sein Gegner mietete. Oben wurde ein Matratzenlager war diese Frau. „Du hast Coca-Cola ein- rund um einen Tisch gebildet, unten wur- gekauft“, hieß es, „und den Imperialisten den die Fenster für einen weiteren Ge- das Geld in den Rachen geworfen.“ Oft meinschaftsraum zugemauert. Die Nach- machte er sich nicht einmal mehr die barn sollten nichts mitbekommen, wenn Mühe, seinen Haß zu begründen: „Du bist die Kommune mit LSD und psychedeli- so blöd. Hau endlich ab.“ scher Musik die Tages- und Nachtzeiten Aber Uschi, von der Langhans sagte, sie ebenso abschaffte wie die Druckmaschine sei das „tollste Körperprogramm“ gewe- und das Archiv, von dem keiner mehr et- sen, das er je erlebt habe, blieb und lehnte was wissen wollte. Alles wurde nun mit- die kunzelmannsche Weltordnung ab. „Der einander geteilt, das Stöhnen auf den Ma- Unterschied zwischen Kapitalismus und tratzen ebenso wie der Mundgeruch und Kommunismus ist mir scheißegal“, sagte die miese Laune sowieso. Alles wurde dis- sie. Und wenn jemand auf die Idee kam, ihr kutiert und auf Kommunenorm gebracht. den Tip zu geben, das alles einmal nach- Haschisch rauchen war revolutionär. Bier zulesen, gähnte sie nur mit ihrem bezau- konterrevolutionär. Schwarzer Krauser re- bernden Mund: „Buchstaben sind mir zu volutionär. Reyno konterrevolutionär. unattraktiv.“ Demonstrationen waren definitiv nicht Ihre Arbeit bestand darin, schön zu sein. mehr revolutionär. Denn allmählich ahnten Wenn die anderen ihre Räusche ausschlie- sie, daß die Revolte vielleicht einem Hau- fen, weil Kunzelmann wieder nächtelang fen Lehrern, Journalisten und anderen auf Heroin deliriert hatte, was er alles mit Pädagogen später einmal helfen könne, welcher Bombe in die Luft sprengen woll- Karriere zu machen, aber daß der Aufstand te, stand Uschi auf und putzte sich im Ba- längst aufgehört hatte, mehr zu sein als dezimmer der Kommune – einem drecki- eine Art Evangelischer Kirchentag mit Was- gen Waschbecken ohne Spiegel, mit einem serwerfern. Wann immer sich noch poli- Wasserhahn, aus dem nur eiskaltes Wasser tisch Aufgeregte in die Kommune verirrten kam. Dann legte sie sich wieder neben und riefen, „Mensch, auf dem Ku’damm ihren Rainer, für den sie gut aussehen woll- ist wieder was los, kommt mit“, dann blie- te. „Mein Vater“, sagt Uschi Obermaier, ben die Kommunarden liegen. „Wir haben „hatte sich immer darüber beklagt, daß er denen gesagt: Kommt Jungs, da hinten ste- mit schönen Frauen schlafen ging und ne- hen noch ein paar rote Mao-Bibeln. Mit ben bleichen, verschmierten Hexen er- denen könnt ihr rumwerfen.“ wachte; das hatte ich mir gut gemerkt.“ Auf den „Essener Songtagen“ im Som- Das genügte Langhans natürlich nicht, mer hatte Rainer Langhans dann eine Er- und er mußte aus seiner schönen Gelieb- scheinung. Er schaute auf die Bühne und ten auch noch eine Zukunftstheorie for- sah eine wunderschöne Frau, die ein Paar mulieren: „Seht her“, sagte Langhans, „sie

Rasseln schüttelte und einen LSD-Trip G. MANGOLD FOTOS: ist gesund, anmutig und völlig eins mit sich lutschte. „Sie sah aus wie ein Engel“, er- K-1-Starlet Obermaier (1968) selbst. Das ist der unentfremdete Mensch innert er sich. „So etwas war mir noch nie „Buchstaben sind mir zu unattraktiv“ der Zukunft. Sie ist lebendige Politik.“ Und

108 der spiegel 27/1997 Gesellschaft wenn Kunzelmann schimpfte, das sei der wie überall: Wer hat die Macht, und wer die Rocker jetzt nicht mehr, denn sie wa- größte Mist, den er je gehört habe, fügte muß abends den Müll heruntertragen? ren der Meinung, der stern habe Ober- Langhans hinzu: „Die Revolution für eine Wahrscheinlich ist auch daran, wie an al- maier und Langhans 50000 Mark für eine Frau zu verraten ist immer gerechtfertigt.“ lem, die Gesellschaft schuld. „Kommunar- Titelgeschichte über die Kommune gezahlt. Es lebte sich auch gut mit dem Verrat. den“, sagt die Veteranin Dagmar von Doe- „Wir holen unseren Teil von den Koh- Denn mittlerweile füllte die Instinktfrau tinchem de Rande, „verhalten sich oft wie len ab“, sagte der Anführer Rudi. „20 die Kommunekasse im Alleingang mit der Angeklagte, der seine Mutter und sei- Riesen sind für uns.“ Als Langhans anfing ihren Fotomodell-Honoraren, die ihr Ma- nen Vater umgebracht hat und im Ge- zu erklären, sie hätten insgesamt nur nager und Geliebter Langhans aushandel- richtssaal aufsteht und sagt: ‚Ich möchte 20 000 Mark bekommen, rissen die zwei te. Unter 1000 Mark am Tag stand Uschi das Gericht zu meiner Verteidigung darauf anderen die Matratzen hoch, zerfetzten die nicht mehr auf, wenn Rainer es so wollte. hinweisen, daß ich Vollwaise bin.‘“ Decken und trampelten auf den Schall- „Vor der Kommune war sie ein Mädchen Am Ende hat die Kommune sogar den platten herum. Es kam zur Schlägerei, bei mit einem schönen Busen“, begründete Kapitalismus modernisiert: Ein „unmögli- der sich Langhans ein blaues Auge einfing. Langhans die plötzliche Kostenexplosion. ches Möbelhaus aus Schweden“ hatte es Als sich die Nachricht herumsprach, freu- „Danach war sie das Mädchen. Die Kom- ten sich die linksradikalen Kampfgenossen mune hat sie zum Star gemacht.“ Rocker zerfetzten die von einst: „Jetzt haun se ab.“ Während Kunzelmann den bewaffneten Decken und trampelten auf Langhans und Obermaier fanden eine Kampf wollte, hatten sich Langhans und Nacht Asyl bei Hans Magnus Enzensber- Obermaier längst mit dem Kapitalismus Schallplatten herum ger. Am nächsten Tag trug Langhans eine ausgesöhnt. Sie planten den Aufbau eines Sonnenbrille und flog mit Uschi im Pan- Popkonzerns, wollten Straßenkrieger als danach leicht mit dem Verkauf von Fich- Am-Jet Nummer 741 nach München, wo er Stars vermarkten und dazu Popvideos dre- tenholzwohnzimmern, und eine Genera- bis heute seine Suche nach dem weibli- hen. Die Subversionsstrategien der sechzi- tion von Kindern moderner Eltern hatte chen Prinzip fortsetzt. ger Jahre waren für beide nur noch alter es schwer, weil Papa auszog und wieder Uschi Obermaier sagt: „Wir müssen den Quatsch, sie träumten vom genußvollen einzog und wieder auszog und sie dazu Rockern dankbar sein. Unsere Fabrik war Gleiten am Rande des Kapitalismus – eine Sauerkrautsaft trinken mußten und die immer mehr zu einer Pennerherberge ge- neue Boheme-Idee, die in New York zur „offene Beziehung“ schon im Kinderladen worden.“ Sie heiratete später den Rocker gleichen Zeit Andy Warhol zu großem diskutiert wurde. Viele Leser von Stadt- Dieter Bockhorn und wohnt heute verwit- Wohlstand verhalf und später die hedoni- zeitschriften halten diese Art des Auf- wet als Schmuckdesignerin in Los Angeles. stisch-dekadenten siebziger Jahre prägen wachsens bis heute für das Nonplusultra. Beide, Langhans und Obermaier, haben sollte. „Kommerzialisierung“, schrieb Rai- Das Abrißunternehmen der Urkommu- zu Kunzelmann keinen Kontakt mehr. Nach ner Langhans über das neue künstliche ne, der K 1, kam an einem Novembermor- Jahren im Untergrund war Kunzelmann für Subkultur-Paradies, „ist die positive Bedin- gen in Form von Rudi, Krawallo und Huka kurze Zeit AL-Abgeordneter. Anfang des gung einer neuen Gesellschaft. Popkultur ist – drei Rockern aus dem Märkischen Vier- Jahres wurde er zu sechs Monaten Haft die erstrebenswerteste Existenz auf Erden, tel. Langhans hatte sie Wochen zuvor an- verurteilt, weil er auf dem Kopf von Berlins da weitgehend von Repressionen befreit.“ gesprochen, in der Hoffnung, sie könnten Bürgermeister Eberhard Diepgen ein Ei Im Sommer 1969 war es dann soweit. ihm ein paar der zerlumpten Gestalten zerschlagen hatte mit den Worten „Frohe Rainer Langhans und ein paar Kommu- vom Hals schaffen, aber das interessierte Ostern, du Weihnachtsmann“. ™ narden nahmen Kunzelmann an Händen und Füßen und trugen ihn vor die Eisentür. „Unfaßbar, was der Mann anhatte, als wir ihn rauswarfen“, sagt Baumann. Er trug eine lange Männerunterhose, freien Ober- körper, eine Frackjacke und dazu einen Schlips mit Paisley-Mustern.“ Es war das Ende der Kommune. Lang- hans, Uschi Obermaier und ein paar na- menlose Gestalten, von denen Baumann nur noch weiß, daß sie Felle trugen, auf Haufen saßen und trommelten, hielten noch ein paar Monate aus, und weil Lang- hans eben Langhans ist und nicht Andy Warhol oder Mick Jagger, blieb die Sache mit dem Popkonzern eine mühsam zu- sammengebogene Theorie ohne Bilder, ohne Mode, ohne Musik – eben eine Idee, die nicht wirklich poppte. Die 35 Monate Ruhm liefen für Langhans ab. Die Arbeit der Kommune war sowieso getan.Wie im Zeitraffer hatte sie zwei Jahr- zehnte deutschen Zeitgeist – vom politi- schen Aufbruch direkt in die Psychogrup- pe – gelebt und in rasantem Tempo das Dasein jenseits der bürgerlichen Kleinfa- milie vorgeführt. Nur im Grunde ging es zu

* Am Flughafen Berlin-Tempelhof im November 1969 vor ihrem Flug nach München mit Adelheid Schuster- K. MEHNER Opfermann (l.). K-1-Flüchtlinge Langhans, Obermaier*: „Jetzt haun se ab“

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