Gesellschaft Die 68er (V): Sie tranken Jasmintee, diskutierten nonstop und hielten Sex vor allem für ein Problem – die Mitglieder der Kommune 1 wurden zu Popstars der Studentenrevolte und veränderten den deutschen Alltag. Von Thomas Hüetlin Die Tage der Kommune atürlich gibt es Erfindungen, die sel schuld sei, weshalb über den „Trans- prall gefüllten Fleischtheken zwischen 25 braucht kein Mensch, wie zum missionsriemen“ Dritte Welt die „Revolu- Sorten Wurst wählen zu können oder NBeispiel fertiggemixten Whiskey- tion“ in die Erste Welt getragen werden Weihnachtsbäume an die GIs in Vietnam Cola in der Dose, UV-durchlässige Bade- sollte, und alles würde gut werden. zu schicken, wo in einem makaberen Krieg anzüge oder Duftbäume am Autorück- Tolles Programm, aber natürlich hatten angeblich die Freiheit West-Berlins vertei- spiegel – aber gibt es wirklich Leute, die 16 Leute, die im Sommer 1966 in einer digt wurde. die den Sinn von Toilettentüren bezwei- Großbürgervilla am Kochelsee ein paar Ta- Und diese Leute trafen sich nicht wie feln? ge herumsaßen, sich vom Hausmeisterehe- heute in Cafés, Diskotheken und im Inter- Gab es – die Leute von der K 1 und spä- paar Schweinebraten auftischen ließen, auf net, sondern sie hatten das Gefühl, daß ter in den Siebzigern viele junge Men- den vor der Tür aufragenden Bergen her- sich in der Gesellschaft etwas ganz Großes schen, die wie ihre Helden Kommunar- umkletterten und Fußballweltmeisterschaft ändern müsse und gingen in den Soziali- den wurden und die Toilettentüren ein- schauten, noch keine Ahnung, daß ein paar stischen Deutschen Studentenbund (SDS). traten, zersägten oder einfach aushängten von ihnen damit später zu den Popstars der Auch dort waren sie bald unzufrieden. und auf den Speicher trugen. Studentenrevolte werden sollten. Es nervte sie, daß ihr privates Leben, ihr Was ist so schlecht an Angstschweiß vor den Re- Toilettentüren? „Sie er- feraten, ihre erstarrten El- möglichen, daß sich einer ternhäuser, ihr Liebeskum- zurückziehen kann, sie mer keine Rolle spielen schaffen Privatsphäre. Wir durften in den Diskussio- wollten die Privatsphäre nen über die Akkumulati- vernichten“, sagt Rainer on des Kapitals und die an- Langhans, damals Deutsch- deren theoretischen Musts, lands schönster Kommu- die damals für einen mo- narde, heute einziger Mann dernen jungen Menschen in einem Münchner Harem so wichtig waren wie heu- von fünf Frauen. te die Wahl der richtigen Die Kommune 1 gab es Turnschuhmarke. „Was nicht lang, nicht mal 35 Mo- geht mich der Vietnam- nate dauerte sie, von An- krieg an“, sagte Kunzel- fang ’67 bis November ’69, mann, „solange ich Orgas- aber ihr Einfluß auf den musschwierigkeiten habe.“ Alltag der Bundesrepublik Die Erlösung sollte die war groß. Hier wurde wie Kommune bringen. Leben in einem Schaufenster dem und Arbeiten und Revolu- Rest-Deutschland vorge- SÜDD. VERLAG tion in einem. Pauschal- spielt, was modernes Leben Politaktionisten Kommune 1 (1967): „Ihr müßt euch entwurzeln“ ticket in die neue Freiheit, Ende der sechziger Jahre Rückweg ausgeschlossen. sein sollte: alle auf einer Matratze schlafen, Der bayerische Sommer war blau und „Ihr müßt euch entwurzeln“, rief Dieter nicht arbeiten, die Spießer ärgern, Weltre- wunderbar, aber er konnte nichts daran Kunzelmann, der Einpeitscher für die Idee volution machen, Spaß haben, ein neuer, ändern, daß die 16 jungen Leute litten. Sie der revolutionären Gemeinschaft.Weg mit besserer Mensch werden und niemals im waren großgeworden in einem Land, in euren Stipendien. Weg mit eurer Sicher- Leben mit Stolz eine Krawatte tragen. dem Alt-Nazis als Richter und Lehrer be- heit. Weg mit eurer alten Persönlichkeit. Und wie es sich für ein neues Lifestyle- schäftigt waren und die Deutschen wieder Weg mit der Liebe – alles bürgerliche Programm gehört, verkaufte es die K 1 den ihren zwei Lieblingsbeschäftigungen nach- Wahnvorstellungen. Später im Kommune- Leuten in einer neuen Sprache – der Psy- gingen: stur arbeiten und sich selbst be- jargon hieß das: „Revolutionierung des All- cho-Soziosprache, einem aufgeblasenen mitleiden. tags, Abschaffung des Privateigentums, Akademikerdeutsch, mit dessen Resten Gut 20 Jahre nach Kriegsende sah die Brechung des Leistungsprinzips, Prokla- heute Gefühlsspezialisten wie Hans Meiser deutsche Vergangenheit ungefähr so aus: mation des Lustprinzips“. und Jürgen Fliege in ihren Nachmittags- Verführt worden, dann alles verloren, dann Von Anfang an war Dieter Kunzelmann talkshows herumhantieren: Von „Zweier- alles wieder aufgebaut, und jetzt kommen das, was der Apo-Theoretiker Bernd Ra- beziehungen“ war die Rede, von „Frustra- die Langhaarigen und wollen alles wieder behl als den „Patriarchen der Kommune“ tionen“, von „Arbeitsschwierigkeiten“, kaputtmachen. bezeichnete. Er entschied, was gemacht vom „autoritären Charakter“ und „Ge- Nicht wirklich erstaunlich also, daß es wurde, wie es gemacht wurde und wann es fühlspanzerungen“ und vom „US-Impe- ein paar junge Leute gab, die mehr vom Le- gemacht wurde. „Kunzelmann“, sagt Rai- rialismus“, der an dem ganzen Schlamas- ben wollten, als in einem Polizeistaat vor ner Langhans heute, „stand ganz oben in 100 der spiegel 27/1997 BOKELBERG Psychogruppe Kommune 1 (1968)*: Haschisch rauchen war revolutionär, Bier konterrevolutionär der Nahrungskette, und wenn einer viel Anfang der sechziger Jahre wechselte ten. Die Gruppe verachtete das normale weiter unten stand als er, dann wurde es Kunzelmann nach München und sorgte so- Leben als ein Reich der Wiederholung, der für den schnell ungemütlich.“ fort für Ärger, manchmal im Dienste der Belanglosigkeit, der Depression und der Kunzelmann war nicht gerade das, was Wahrheit, manchmal nur aus Spaß am Är- Langeweile. Arbeit galt als das letzte, erst man einen schönen Menschen nennt. Sei- ger. Er hatte sich inzwischen den Situatio- nach der sozialen Revolution sollte ein gu- ne roten, wollenen Haare fielen ihm vorne nisten angeschlossen, einer kleinen, super- tes Leben möglich sein. Bis dahin gab es schon früh aus, ein dichter Vollbart umgab elitären Künstlerbewegung, die als Nach- nur ein Ziel: das leere Gerede und die Tra- sein Gesicht, in dem eine Nase groß wie fahren der Dadaisten den Umsturz plan- ditionen der Bürger zur Explosion bringen eine Maurerkelle thronte. Dazu ging er ge- und darüber laut lachen. Ohne beugt wie ein Schrat, dabei voller Energie. Rücksicht auf Stil, Rhythmus und Wenn er redete, wirbelten seine Arme her- andere bourgeoise Einschränkun- um wie Windmühlenflügel. gen reimte Kunzelmann deshalb Sein Vater hatte eine Sparkasse im ka- Verse wie: „Kuba, Kongo, Vietnam tholischen Bamberg geleitet, und seine – die Blutspur des Imperialismus ist Schulzeit hatte Kunzelmann eigentlich nur lang“. dazu gedient herauszufinden, daß er ein Dazu ließ er sich von zwei Frau- geborener Umstürzler sei. Am 14. Juli 1939, en aushalten. Die eine arbeitete in genau 150 Jahre nach der Erstürmung der einem Animierlokal; die andere, Bastille, geboren zu sein genügte ihm als Dagmar Seehuber, jobbte tagsüber Indiz. Bald darauf warf er einen brennen- als Sekretärin, abends gehörte ihre den Adventskranz aus dem Fenster in den Schreibkraft und der Rest dem Schulhof. Chefideologen. Wenn die Frauen Eine Banklehre brach er ab, Ende der schon nichts zu melden hatten – fünfziger Jahre zog er nach Paris, wo er mit wenigstens das Pinkeln war unisex. dem späteren Modephilosophen Jean Frauen wie Männer, erinnert sich Baudrillard unter den Brücken lebte. „Wir Lothar Menne, heute Geschäfts- haben ihm immer Geld vom Pflastermalen führer bei Hoffmann und Campe, gegeben“, erinnert sich Kunzelmann, „da- mußten zum Pinkeln das Wasch- mit er ein Baguette holen soll, und er ist in becken in der Ecke der Kellerwoh- die Rue St. Denis gegangen und für dieses nung benutzen. Geld in den Puff.“ KOHN W. Am Kochelsee hatte der Situa- Apo-Playboy Teufel (1968) tionist Kunzelmann dazu gedrängt, * Links: Langhans, Obermaier. „Alle zwei Tage eine andere Schülerin“ so bald wie möglich eine Kommune der spiegel 27/1997 101 Gesellschaft ULLSTEIN K-1-Patriarch Kunzelmann*: „Wenn einer in der Nahrungskette weiter unten stand als er, wurde es für den schnell ungemütlich“ zu bilden, aber es dauerte doch bis Anfang In Johnsons kleiner Wohnung hatten die hier hatte Kunzelmann im Frühjahr ’67 die Februar 1967, ehe ein paar Leute bereit wa- Kommunarden Matratzen ausgebreitet, rettende Idee: eine Aktion gegen den US- ren, sich wirklich unter dem Kommando und sonst gab es nicht viel, was sie von der Vizepräsidenten Humphrey während sei- des Psychoterroristen zu neuen Menschen Zertrümmerung ihrer bürgerlichen Reste nes Berlin-Besuchs am 6. April. formen zu lassen. Die meisten aus der Ko- hätte ablenken können. Warum gerade Humphrey? Zuerst ein- chelseegesellschaft fanden Gründe, sich zu Jeder beobachtete jeden, man durfte mal saß er natürlich ziemlich weit oben im drücken. Rudi Dutschke durfte nicht ein- nicht raus, und wenn morgens einer in den verhaßten amerikanischen Machtapparat, ziehen, weil seine Frau Gretchen Sexorgi- Milchladen mußte, dann wurde ihm ein zudem sah er völlig bescheuert aus, fanden en witterte; Bernd Rabehl wollte nicht ein- zweiter als Wächter mitgeschickt. Anson- wenigstens die Kommunarden. „Wie eine ziehen, weil er fürchtete, daß alle auf seine sten kannte die Totaltherapie keine Uhr- Witzfigur aus einem amerikanischen Slap- Frau scharf seien; und Lothar Menne flüch- stickfilm“, sagte Dieter Kunzelmann. „So tete nach Mexiko, wo er als Guerrillero ar- In SDS-Kreisen hieß einer braucht eine Torte ins Gesicht.“ beiten wollte. „Immer noch besser
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