Dieter Kremer (Hg.)

„Fremde“ Namen Protokoll der gleichnamigen Tagung im Herbst 2003 in Leipzig

Herausgegeben von Rosemarie Gläser Onomastica Lipsiensia Leipziger Untersuchungen zur Namenforschung Band 12

Herausgegeben von Karlheinz Hengst, Dietlind Kremer und Dieter Kremer Kathrin Marterior, Norbert Nübler (Hg.)

„Fremde“ Namen Das Problem der slavisch-deutschen Mischtoponyme

Akten der Leipziger Tagung des Arbeitskreises Namenforschung der Deutschen Gesellschaft für Namenforschung am 9. und 10. Oktober 2015

herausgegeben von Dieter Kremer

LEIPZIGER UNIVERSITÄTSVERLAG GMBH 2016 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

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Titelbild: Wappenschild von Zwickau (nach dem frühesten Stadtsiegel, 13. Jh.) und Chemnitz (meißnischer Löwe, 14./15. Jh.). [Quelle: Lexikon Städte und Wappen der .© Leipziger Universitätsverlag GmbH 2016 Redaktion: Dieter Kremer, Leipzig Satz: Gerhild Scholzen-Wiedmann, Trier Umschlag: Volker Hopfner, Radebeul, unter Einbeziehung einer Collage von Dietlind Kremer und Anna Müller, Leipzig Druck: docupoint GmbH, Barleben ISSN 1614-7464 ISBN 978-3-96023-026-7

Inhalt

Begrüßung ...... 7

Karlheinz HENGST Was sind fremde Namen? ...... 15

Rolf BERGMANN Einige Problemfälle römischer Ortsnamen in Bayern ...... 41

Wolf-Armin Frhr.v.REITZENSTEIN Die Latinisierung bayerischer Ortsnamen ...... 63

Albrecht GREULE / Wolfgang JANKA Premberg und Teublitz – zwei nordbairische Fremdnamen ...... 97

Dietlind KREMER Fremde Namen? Ein Blick in das Archiv der Namenberatungsstelle der Universität Leipzig ...... 109

Gabriele RODRÍGUEZ Aktuelle Tendenzen in der Namengebung ausländischer, bi- und multikultureller Familien in Deutschland ...... 149

Ewa MAJEWSKA Fremde Vornamen im Namenschatz der Warschauer im 21. Jahrhundert anhand der Taufregister ...... 159

Firangiz PASHAYEVA Fremde Namen bei den turksprachigen Oghusen: eine vergleichende Studie ...... 173

Karl HOHENSINNER unter Mitarbeit von Julia GRASER Zeitgenossen der „Mutter Courage“ – Durchreisende und ihre Namen in Grein an der Donau 1624 bis 1644 ...... 185

Rosa KOHLHEIM Hair-Force One, Le Coiffeur, La Bellezza: Fremdsprachige Namen für Friseurgeschäfte in Deutschland...... 215 6

Claudia Maria KORSMEIER „Exotische“ Namen: Von Afrika bis Sibirien in Deutschland unterwegs ...... 223

Volker KOHLHEIM Alterität – der fremde Name in der deutschsprachigen Literatur von Goethe bis Treichel ...... 235

Klaus SCHNEIDERHEINZE Zur Ermittlung der Herkunft von Migranten durch die Analyse ihrer Namen ...... 253

Dieter KREMER Romanische Namen in Deutschland ...... 273

Patrick HANKS The Dictionary of American Family Names: German family names in North America ...... 303

Arbeitskreis für Namenforschung ...... 321

Autoren ...... 323

Vorbemerkung Die Akten der Tagung „Fremde“ Namen erscheinen mit leichter Verspätung, doch im Rahmen des Möglichen zeitnah. Sie entsprechen nicht in vollem Umfang den Tagungsbeiträgen: Kurzfristig absa- gen mussten Angela Bergermayer (Wien), Harald Bichlmeier (Halle) und Ewa Majewska (War- schau). Eines der vorgesehenen Referate wird hier abgedruckt, ebenso der Beitrag von Karl Hohen- sinner (Graz), der kurzfristig an der Tagung teilnehmen konnte. Der Text von Wolfgang Haubrichs erscheint im nächsten Band der Namenkundlichen Informationen.

Die Konstituierung des Arbeitskreises für Namenforschung als selbständige Abteilung innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Namenforschung, die von ihrem wichtigsten Initiator Rudolf Schützei- chel und ihrem langjährigen Leiter Heinrich Tiefenbach ausdrücklich gutgeheißen wurde, ermög- licht die Fortführung dieser traditionsreichen Initiative. Die beigefügte Übersicht über die bisherigen Tagungen unterstreicht die Bedeutung dieser namenkundlichen Instituton. Inzwischen läuft die Pla- nung für die 14. Ausgabe. Dieter Kremer

Begrüßung

Sehr verehrte Teilnehmer an der Tagung „Fremde Namen“, liebe Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Namenforschung, lieber Herr Vorsitzender Dieter Kremer, liebe Vertreter des Arbeitskreises für Namenforschung, liebe Stu- dierende.

Eben haben wir den 25. Jahrestag der deutschen Einheit begangen, morgen Abend erinnert in Leipzig, wenige Meter von hier entfernt, das große Lichtfest an die Ereignisse vor einem Vierteljahrhundert. In diesem Kontext freut es mich besonders, die beiden Organisationen der deutschen Namenforschung: den seit 1982 im festen Rhythmus tagenden Arbeitskreis für Namenforschung und die 1990 gegründete Gesellschaft für Namenforschung hier an der Universität Leipzig begrüßen zu können. Ein herzliches Willkommen an alle Referenten, aber auch an alle Interessenten. Ich erinnere mich noch gut daran, wie wir vor 5 Jahren das 20jährige Beste- hen der Gesellschaft für Namenkunde e.V. mit Sitz an der Universität Leipzig gefeiert haben, nach Adam Riese feiert die nunmehr Deutsche Gesellschaft für Namenforschung jetzt ihren 25. Geburtstag, dazu möchte ich ganz herzlich gra- tulieren (das genaue Gründungsdatum war der 22. September 1990, somit ist die Gesellschaft gerade noch eine (späte) DDR Gründung, wobei die Mitglieder von Anfang an aus allen Bundesländern und aus dem Ausland zuströmten). Als Prodekanin der Philologischen Fakultät ist es mir eine große Freude, dass die Leipziger Namenforschung trotz mancher Rückschläge in den letzten Jahren weiter so aktiv und erfolgreich ist, so dass Sie sich jetzt hier im Univer- sitätsarchiv zu dieser Tagung mit einem sehr aktuellen und vielseitigen Thema treffen können. Bereits im Herbst 2003 hatte der Arbeitskreis für Namen- forschung sich zu einer Tagung an der Universität Leipzig getroffen, deren Ak- ten ein Jahr später als Band 2 der Leipziger Reihe „Onomastica Lipsiensia“ er- schienen. Manche von Ihnen erinnern sich vielleicht noch an diese Tagung im alten Hörsaalgebäude unserer Universität. Das damalige Thema lautete „Völkernamen-Ländernamen-Landschaftsna- men“. Im Vorwort zu diesem Band heißt es: Für ein Thema wie das in diesem Band behandelte kann man sich einen passenderen Tagungsort als Leipzig kaum vorstellen. Seit vielen Jahren ist die Namenforschung hier eine besonders intensiv gepflegte Disziplin. An der Universität Leipzig behei- matete Publikationsreihen wie die „Deutsch-Slawischen Forschungen zur Namen- kunde und Siedlungsgeschichte“ und die „Onomastica Slavogermanica“ haben früh 8

die Bedeutung der interdisziplinären Arbeit betont und den fächerübergreifenden Blick nachhaltig gefördert.

Auch wenn die genannten Publikationen inzwischen nicht mehr fortgesetzt werden können, so gibt es doch mit den seit 1964 erscheinenden „Namenkund- lichen Informationen“ und der 2004 begründeten Reihe „Onomastica Lipsi- ensia“ weiterhin gute Möglichkeiten, Tagungs- bzw. Forschungsergebnisse zu veröffentlichen, wofür sich neben der DFG auch die Philologische Fakultät en- gagiert. Bereits im Frühjahr 2016 sollen die Ergebnisse ihrer Tagung in der Rei- he Onomastica Lipsiensia erscheinen, das haben mir die Herausgeber Hengst, Kremer und Kremer verraten. Im Jahr 2010 hat der damalige Dekan der Philologischen Fakultät, Prof. Dr. Wolfgang Lörscher, vieles zur Geschichte der Leipziger Namenforschung zu- sammengetragen, das möchte ich hier nicht wiederholen. Es liegt mir aber am Herzen, an den vor wenigen Wochen, am 9. Juli im Alter von 94 Jahren verstor- benen großen Gelehrten unserer Universität, den Mitbegründer der Gesellschaft für Namenkunde, Henning-Kaufmann-Preisträger, den Germanisten und His- toriker Herrn Prof. Dr. Hans Walther zu erinnern, der sich große Verdienste um die Namenforschung an der Universität Leipzig erworben hat. Trotz langer Krankheit, die ihn in den letzten Lebensjahren begleitete, arbeitete er weiter an einem seiner wichtigsten Vorhaben, dem Historischen Ortsnamenbuch Thürin- gen. Mit diesem längst nicht abgeschlossenen Großprojekt befasst sich auch sein letzter Aufsatz, der soeben im neuesten Heft 103/104 der Namenkundlichen In- formationen erschienen ist Wichtige Skripten, Handreichungen und Lehrmate- rialien wurden von Hans Walther für die namenkundliche Lehre an unserer Universität erstellt: ein Zeichen dafür, dass ihm die akademische Lehre an unse- rer Universität immer sehr am Herzen lag. 1975, vor 40 Jahren, wurde er zum Dozenten, 1978 zum ersten Professor für Namenforschung berufen. Die Uni- versität wird ihm ein dankbares und ehrendes Gedenken bewahren. Dass die namenkundliche Lehre trotz des Verlustes der Professur für Na- menforschung durch Dietlind Kremer fortgesetzt werden konnte, war ihm ein Trost. Als Berater stand er auch ihr bis vor Kurzem zur Verfügung. Und wir freuen uns, dass zum Wintersemester 2015/16 wieder 30 Studenten im Geistes- und sozialgeschichtlichen Wahlbereich das Modul „Einführung in die Namen- forschung“ besuchen werden. Dass die Deutsche Gesellschaft für Namen- forschung diese Module durch Workshops unterstützt ist, soll an dieser Stelle dankbar erwähnt werden. Ein Blick in das Programm der Tagung „Fremde Namen“ verrät mir, dass Ih- nen eine interessante Zeit hier in Leipzig bevorsteht und dass es sich um ein fa- 9 cettenreiches Thema mit ganz unterschiedlichen Fragestellungen je nach Raum und Zeit handelt. Nicht zuletzt werden sicherlich auch Fragen der Sprachkontaktonomastik eine Rolle spielen, für die die Leipziger Deutsch-Slavische Namenforschung bekannt ist. Im 1000. Jahr der Ersterwähnung des altsorbischen Namens libzi darf der Name Thietmar von Merseburg nicht unerwähnt bleiben, dem wir diese Erst- erwähnung des altsorbischen Namens verdanken. Wie gut, dass Sie einen Ausflug nach Merseburg unternehmen und ihm sozusagen einen Besuch abstatten. Mit dem Tagungsthema sind Fragen der Entlehnung bzw. Integration von „Fremdem“ in Sprachen und damit in Gesellschaften angesprochen. Das gibt der Tagung noch einen ganz aktuellen Bezug, der so bei der Planung vor Jahres- frist sicherlich nicht absehbar war.

Ich begrüße Sie nun alle nochmals sehr herzlich an der Universität Leipzig und wünsche der Tagung einen guten Verlauf.

Danuta Rytel-Schwarz Prodekanin der Philologischen Fakultät der Universität Leipzig

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kollegen und Kolleginnen,

Eigentlich sollte Sie jetzt der Vorsitzende des Arbeitskreises für Namenfor- schung, Herr Prof. Heinrich Tiefenbach, begrüßen. Da Heinrich Tiefenbach erkrankt ist, ist es mir eine Ehre und Verpflichtung, die Begrüßung an seiner Stelle vorzunehmen und gleichzeitig den Dank dafür aussprechen zu können, dass die inzwischen 13. Tagung des Arbeitskreises an der Universität Leipzig ‒ organisiert durch die Deutsche Gesellschaft für Na- menforschung – stattfinden kann. Heinrich Tiefenbach hat die heutige Tagung noch vor längerer Zeit mit dem Vorstand der GfN geplant und war mit dem Vorschlag des Tagungsthemas „Fremde Namen“ einverstanden ‒ ohne zu ahnen, wie aktuell die Thematik im Oktober 2015 ist und noch werden wird. Noch am 13. Juni schrieb er mir: „Ob ich nach Leipzig kommen kann, hängt von mancherlei ab. […] Gesundheitlich hoffe ich, bis Oktober schon wieder fit genug zu sein. Aber die Fortschritte in 10 puncto Kraftaufbau und Beweglichkeit sind quälend langsam.“ Diese Hoffnung hat sich leider nicht erfüllt. So darf ich bzw. muss ich Ihnen leider seine Grüße vom Krankenbett aus überbringen. Heinrich Tiefenbach hat die Leitung des Arbeitskreises für Namenforschung anlässlich der Tagung in Regensburg 1994 aus den Händen von Rudolf Schütz- eichel, dem maßgeblichen Mitbegründer des Arbeitskreises, übernommen. Zur gleichen Zeit wurde ich zu seinem Stellvertreter gewählt. Unter der Leitung von Heinrich Tiefenbach sind inzwischen sechs Tagungen veranstaltet worden und sechs entsprechende beachtliche Tagungsbände erschienen. Nach den Tagungsorten Münster, Gießen, Bamberg, München, Kiel, Regens- burg, Basel, Wien, Saarbrücken und Mainz sind wir hier in Leipzig nach 2003 zum zweiten Mal zu Gast. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Leipziger Ta- gung „Völkernamen – Ländernamen – Landschaftsnamen“ mit spannenden Vorträgen und lebhaften Diskussionen und benutze dankbar den von Ernst Eichler und Jürgen Udolph herausgegebenen, in der Reihe „Onomastica Lipsi- ensia“ erschienenen Tagungsband. Dass wir mit der heutigen Tagung von der seit 1982 bestehenden Tradition abweichen, dass die Tagungen des Arbeitskreises für Namenforschung alle drei Jahre in den ersten Tagen des Oktobers stattfinden, ist der Rücksichtnahme auf die Tagung „Namen und Geschichte am Oberrhein“, die am 1. und 2.10. 2015 in Heidelberg stattfand, geschuldet. Unser Tagungsthema, dessen Aktualität ich nicht zu betonen brauche, passt sehr gut in die Reihe der breit angelegten Themen, ein Markenzeichen des Ar- beitskreises, der vorangegangenen Tagungen. Sie waren sowohl den Namen- typen (Familiennamen, Flurnamen, Ortsnamen, Personennamen, Völkerna- men) als auch der besonderen Interdisziplinarität der Onomastik verpflichtet – mit den Themen „Namenüberlieferung, Lexikographie, Siedlungsgeschichte, Nameninterferenz“. Dennoch betritt der Arbeitskreis für Namenforschung mit dem Thema „Fremde Namen“ Neuland, und ich bin gespannt, wie das Thema eingegrenzt und definiert werden wird. So wünsche ich, dass auch den Verhandlungen der 13. Tagung des Arbeits- kreises für Namenforschung ein voller Erfolg beschieden sein wird und uns wis- senschaftlichen Gewinn erbringt, zumal die Referentinnen und Referenten nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus anderen europäischen Ländern kom- men – ein weiteres Markenzeichen des Arbeitskreises für Namenforschung! Darf ich zum Schluss noch eine Bitte äußern. Es wäre wirklich wichtig, dass an der zum Ende der Tagung angesetzten Sitzung des Arbeitskreises für Na- menforschung möglichst viele Kolleginnen und Kollegen teilnehmen. Sie alle sind ja aktive Mitglieder des Arbeitskreises. Es geht bei der Schlussbesprechung 11 um die (unsichere) Zukunft des Arbeitskreises für Namenforschung. Da ein Vorschlag, wie es weitergehen könnte, auf dem Tisch liegt, wird es – das kann ich versprechen – nicht zu langen Diskussionen kommen.

Albrecht Greule stellvertretender Vorsitzender des Arbeitskreises Namenforschung

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kollegen und Kolleginnen,

Auch im Namen der Deutschen Gesellschaft für Namenforschung möchte ich Sie sehr herzlich in Leipzig und im Universitätsarchiv willkommen heißen! Ich danke dem (leider erkrankten, er wäre gerne dabei gewesen) Hausherrn ausdrücklich für sein überaus freundliches Entgegenkommen für eine unkomplizierte Organisa- tion und der Prodekanin der Philologischen Fakultät, in der die Deutsche Gesell- schaft für Namenforschung ihre Heimstatt hat, für Ihre freundliche Begrüßung, die uns an wichtige Daten erinnert! In der Tat feiert die Deutsche Gesellschaft für Namenforschung in diesem Jahr ihren 25. Geburtstag: Sie wurde unmittelbar nach der „Wende“, am 22. September 2015, gegründet. Auf das Thema „Arbeits- kreis Namenforschung“, für den Albrecht Greule gesprochen hat und der nach 2003 bereits zum zweiten Mal in Leipzig tagt, werden wir später zurückkommen. Das Interesse an einer, wie ich meine, überaus interessanten und ergiebigen Thematik war letztlich geringer als erwartet und erhofft, gerade auch als Veran- staltung in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis Namenforschung. Umso inten- siver werden wir uns mit „fremden“ Namen beschäftigen können. Das Thema hat durch die gegenwärtige Situation an unerwarteter Aktualität gewonnen. „Fremd“ steht in Anführungszeichen, da man darunter sehr Unterschiedliches verstehen kann; auch die allgemeine Kategorie „Namen“ ist in diesem Zusam- menhang natürlich zu hinterfragen. Da das Programm ausschließlich auf Vor- schlägen der Referenten beruht, also im Vorfeld kein „roter Faden“ vorgegeben wurde, sind die behandelten Themen natürlich recht heterogen. Doch gehe ich davon aus, dass alle in irgendeiner Weise den Begriff „fremd“ im jeweiligen Zu- sammenhang diskutieren. 12

Wenn ich selbst zum Beispiel mich zu „romanischen“ Namen äußere, so ist die Frage zu stellen, Was heißt eigentlich „deutscher Name“ und auch: was heißt „romanisch“? Hänsel und Müller gelten als typisch deutsche Namen, Martini als typisch italienisch, Hernández als typisch spanisch usw., also als „fremde“ Namen. Je nach Sichtweise stimmt beides nicht, insbesondere wenn man historisch- etymologische Kriterien anlegt. In unserem Kontext steht also die Frage: was emp- finden wir Deutsche als „fremde“ Namen und Wörter? Wann ist die Übernahme und Integration abgeschlossen? Diese Thematik ist uralt und ist in verschiedenen historischen Phasen unterschiedlich zu beantworten. Im Wort- und Rufna- menschatz gibt es „fremdländische“ Moden (Mode heißt zumindest vorüberge- hende Integration), die sich zeitlich oft deutlich eingrenzen lassen (kulturelle oder wirtschaftliche Blütezeit, Literatur usw.). Die Lehnwortschatzforschung hat hier Großes geleistet; wünschenswert wäre eine systematische Untersuchung für den Rufnamenschatz, insbesondere eine möglichst klare Differenzierung in das, was man Lehn- bzw. Fremdnamen nennen könnte. Vielleicht gelingt es, in der jeweiligen Diskussion und der Schlussdiskussion einige Konstanten festzuhalten und diese zu einem späteren Zeitpunkt gezielt zu diskutieren. Dafür steht etwa unsere Zeitschrift Namenkundliche Informationen, die inzwischen einen zeitnahen Rhythmus gefunden hat, allen Interessenten offen. Die Beiträge dieser Tagung werden als eigener Band in unserer Reihe Onomastica Lipsiensia im Prinzip im Frühjahr kommenden Jahres erscheinen. Da ich gerade bei banalen Dingen bin, so möchte ich kurz zum Ablauf unseres Treffens bemerken: Der Rahmen ist der klassische einer derartigen Veranstaltung. Für die Referate sind im Prinzip 20 Minuten Vortrag und 10 Minuten Diskussion vorgesehen. Ohne übermäßig streng zu sein, sollte uns das gelingen. Umso mehr als morgen Vormittag ein thematischer Block (Familiennamen) ansteht, der am Schluss als Ganzes diskutiert werden könnte. Hier wären dann auch weitere Kommentarpunkte zur Thematik „Fremde Namen“ einzubringen. Neben der Buchpräsentation heute Mittag steht dann morgen zum Abschluss die Diskussion zur Rolle und Zukunft des durchaus „abstrakten“ Arbeitskreises für Namenforschung an. Da wir in einem überschaubaren Rahmen tagen, ist das Begleitprogramm un- kompliziert. Da der erste Nachmittagsvortrag (Frau Bergermayer) kurzfristig ent- fällt, bleibt reichlich Zeit für Gespräche. Wegen des besonderen Datums haben wir kein Abendprogramm vorgesehen: Hier findet auf dem Augustusplatz das ge- schichtsträchtige Lichtfest statt. Überhaupt ist in Leipzig eine Menge los, morgen das Fußballländerspiel gegen Georgien, eine Tanzweltmeisterschaft usw. Der morgige Ausflug nach Merseburg, vor 1000 Jahren ein „Nabel der Welt“ und für den Germanisten ein Pilgerort zu den „Zaubersprüchen“, beginnt auf dem Au- 13 gustusplatz, vor dem Augusteum bzw. der Universitätskirche St. Pauli, zu der auch namenkundlich oder namensoziologisch einiges gesagt werden könnte. Die Teilnehmer werden den Tag dann gemeinsam beschließen.

Ich wünsche uns allen eine anregende, weiterführende Diskussion!

Dieter Kremer Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Namenforschung

Karlheinz Hengst Was sind fremde Namen? Versuch einer sprachwissenschaftlichen Eingrenzung für das Deutsche

1. Was verbirgt sich hinter „Fremde Namen“?

Das Programm unserer Tagung gibt eine Antwort zu erkennen: Fremde Namen sind Namen aus fremden Sprachen in einer anderen Sprache. Mit Bezug auf das Deutsche sind dann fremde Namen solche aus anderen Sprachen in unserer Muttersprache. Kurz gesagt ist somit Fremdname aus linguistischer Sicht nur die Ver- kürzung für „Name aus einer anderen, also fremden Sprache“. Hinsichtlich Dia- chronie und Synchronie wird dabei zunächst nicht näher differenziert. Die Onomastik folgt darin der allgemeinen Sprachwissenschaft und auch der Sprachwissenschaft in den Einzelphilologien. In Analogie zu Fremdwort wird entsprechend Fremdname verwendet. Damit wird zugleich ohne weitere Diffe- renzierung ganz allgemein mit Fremdname auf die letztlich aus einer anderen Sprache übernommene Form eines Onyms referiert. Es erfolgt dabei keine weite- re Unterscheidung, worum es sich genau handelt, also um eine vor Jahrhunder- ten vollzogene Übernahme oder eine solche in jüngster Zeit. Fremdname besagt nur, dass es sich um einen etymologisch nur aus einer anderen Sprache erklär- baren Namen handelt. Die Diversität von Onymen in einer Sprache beruht auf zwei Quellen: – Zum einen sind es die als altererbt erwiesenen Onyme. Dabei können zu- grunde liegende Archaismen (vgl. Familiennamen wie Ehni oder Tappert) sowie die innersprachlichen Vorgänge im Verlauf der Geschichte einer Sprache diese Namen durch Abschleifung, Verkürzung, mundartliche Einflüsse bis hin zu Schreibvarianten sowie Schreiberwillkür zuweilen in die Nähe von fremd wirkenden Namen bringen wie z.B. bei dem Famili- ennamen Treichel im Beitrag von Volker KOHLHEIM. – Zum anderen sind Onyme häufig auch fremder Herkunft (exogener Provenienz). Es handelt sich dabei um die Ergebnisse der Übernahme von Namen aus anderen Sprachen. Solche Transsumptionsprozesse können lange zurückliegen, wie das z.B. bei den Ortsnamen Premberg und Teublitz in den Ausführungen von Albrecht GREULE und Wolfgang JANKA in diesem Band thematisiert wird. 16 Karlheinz Hengst

Das weit gefasste Thema erfordert bei einer beabsichtigten genaueren Aussage, von vornherein eine klare Differenzierung vorzunehmen. Es gibt zwei Möglich- keiten, sich dem Thema zu nähern. Das kann einmal die Behandlung aus der Sicht der Diachronie sein. Und es kann eine Herangehensweise unter dem As- pekt der Synchronie erfolgen. Beides zu vermischen dürfte nicht hilfreich sein.

2. Der Fremdname in der Diachronie

Im Kreis von Sprachhistorikern wird das Thema „Fremde Namen“ vorrangig di- achron verstanden. Die Sprachforscher sind zugleich eben auch diejenigen, die vor allem die Bildung von Onymen und ihre weitere Entwicklung als geschicht- lichen Prozess verfolgen. Dabei werden auch Entlehnungswege von Namen aus benachbarten sowie auch aus geographisch entfernteren Sprachen beachtet und aufgedeckt. Es ist dabei gleichgültig, um welche Eigennamenklasse es sich han- delt. Lexika zur Geschichte von geographischen Namen sowie auch solche zu Personennamen fassen von Zeit zu Zeit den Forschungsstand zusammen. Mit einem Blick in solche Nachschlagewerke kann auch der Laie sich informieren, was genuin einheimische, in unserem Fall historisch genuin deutsche Namen sind, oder welche Namen erst sekundär über Entlehnungen bzw. als Reliktna- men zu deutschen Namen wurden. Bei der Ermittlung der Wurzeln von Ony- men kann sich herausstellen, dass der einzelne Name mehrere Vermitt- lungsstadien durchlaufen hat, d.h. mit anderen Worten, dass mehrere Sprachen und damit fremde Sprachen an der Geschichte der heutigen konkreten Namens- form Anteil besitzen.

3. Zur Terminologie in der Diachronie

Analog zu Erbwort im Unterschied zum Fremdwort stehen sich in historischer Sicht folgerichtig Erbname und Fremdname gegenüber. Im Deutschen ist der Gebrauch von Erbname und Fremdname terminologisch möglich, wird aber nur recht sporadisch angewandt.1 Konsequent erfolgte der Gebrauch bei dem Ger- manisten Konrad KUNZE (2000: 32–37). Im Interesse einer international verständlichen Terminologie lassen sich im Anschluss an angloamerikanisch endogenic name sowie exogenic name (z.B. ver- –––––––— 1 In Namenforschung 1995/1996 kommt Erbname einmal vor (1888), Fremdname einmal (1203), fremde Namen und fremde Eigennamen je einmal (410 und 519), fremde Ortsnamen, fremde Rufnamen, fremde Taufnamen auch nur je ein- bis zweimal (711; 1203 und 1278; 714). Was sind fremde Namen? 17 zeichnet bei Adrian ROOM 1996: 41) verwenden endogenes Onym und exogenes Onym bzw. auch in Zusammensetzung Endogenonym und Exogenonym. Die Ad- jektive sind aber sicher zu bevorzugen, allein schon wegen ihrer Kom- binierbarkeit. Auch bei Natalija PODOL’SKAJA (1988: 154) sind ėtnogénnyj ėtnónim und ėksogénnyj ėtnónim ausgewiesen. Aus dem slawischen Sprach- bereich lassen sich noch nennen poln. endogeniczny und kroat. endogeni sowie ukr. ekzogenne im’ja.2 Im Welthandbuch Namenforschung (1995/1996) hat auch Peter WIESINGER den Wortgruppen-Terminus endogene Ortsnamen im Kapitel „Namen im Sprachkontakt“ verwendet (HSK 11.2: 980). Friedhelm DEBUS führt einmal en- dogen und exogen an (DEBUS 2012: 132), verwendet aber nicht Erbname, son- dern nur Fremdname (DEBUS 2012: 113–116). Konsequenter Gebrauch der Termini mit den international gut verständlichen Bauelementen ist in dem Band „Namen. Eine Einführung in die Onomastik“ von Damaris NÜBLING, Fa- bian FAHLBUSCH und Rita HEUSER (Tübingen 2012) praktiziert worden. Auch die deutsche Lexikographie verwendet bereits endogen und exogen. Sie bedient sich z.B. in dem jüngst erschienenen Band „Fremd- und Lehnwort- schatz im sprachhistorischen Wörterbuch“ der Termini exogenes Wortgut und Zeichen endogener Herkunft (LOBENSTEIN-REICHMANN/REICHMANN 2014: 77– 80). In der Toponomastik fand ich bisher nur die Kombination endogener Orts- name. Diese Internationalismen haben sogar den Vorteil, dass sie klar auf den Ent- stehungsraum eines Onyms verweisen, nämlich innerhalb oder aber außerhalb einer jeweils im Blickfeld stehenden bestimmten Sprache. Das ist ein Vorzug gegenüber Erbname. Dieser Terminus hat den Nachteil, dass Erbe inhaltlich in- different ist in Bezug auf die in Rede stehende Sprache (also nichts weiter zur sprachlichen Herkunft aussagt) und zeitlich unscharf markiert ist. Infolgedessen kann unter Erbname durchaus ja auch ein seit einem oder mehreren Jahrhun- derten eingebürgerter Lehnname verstanden werden. In der Diachronie können wir demgegenüber mit international verständ- lichen Termini klar differenzieren und terminologisch trennen:

–––––––— 2 Vgl. zu den slawischen Termini insbesondere das umfangreiche und von einem in- ternationalen Autorenkollegium erarbeitete Fachwörterbuch von F. BEZLAJ et al., Grundsystem und Terminologie der slawischen Onomastik, Skopje: Makedonska aka- demija na naukite i umestnostite. 1983, 412 S., hier 144 mit der Angabe deutsch Fremdname, und 274. 18 Karlheinz Hengst

1. einerseits die endogenen Onyme mit weiterer Unterteilung in endogene Toponyme, endogene Hydronyme, endogene Anthroponyme usw., 2. andererseits die exogenen Onyme mit den exogenen Toponymen, exo- genen Hydronymen und exogenen Anthroponymen usw.

Bei der onymischen Analyse aus diachroner Sicht kann dann jeweils nach Epo- chen differenziert ein synchroner Schnitt vorgenommen werden, um zu ermit- teln, ob bestimmte Onyme mit nachweisbarer Herkunft aus einer anderen Spra- che zu einer bestimmten Zeit noch als fremde Namen galten oder bereits als nicht mehr fremde Namen empfunden wurden. Die Beantwortung dieser Frage muss dann aber an Kriterien gebunden werden, die ein verlässliches Zeichen für erfolgte Integration der Onyme in die Empfängersprache liefern. Bisher sind solche Untersuchungen auf Grund der Schwierigkeit, zu verlässlichen Aussagen zu gelangen, unterblieben. Diachron betrachtet ist ein fremder Name ein irgendwann oder auch zu einer bestimmten Zeit aus einer fremden Sprache übernommener und in der jeweils zur Betrachtung stehenden Sprache überlieferter und verwendeter Name. Es ist dabei unerheblich, ob der jeweilige Name dabei schon vorher in der fremden Ausgangssprache vor der Übernahme selbst schon einen oder mehrere Sprach- wechsel historisch durchlebt hat. Ein solcher fremder Name kann also im Laufe der Zeit in verschiedenen Sprachgemeinschaften zu verschiedenen Zeiten je- weils als Fremdname vertreten und anschließend integriert gewesen sein. Ein Fremdname kann somit auch als Fremdname von Sprache zu Sprache wandern resp. weiter verwendet werden. Die zahlreichen biblischen Namen sind Muster- beispiele dafür.3

4. Einige Beispiele zur Verdeutlichung

Die eben gemachten Ausführungen lassen sich knapp an deutschen Namen im Vergleich zu Fremdnamen mittels weniger Beispiele aus der Onymie erläutern. Der in Mähren entstandene deutsche Gebietsname Kuhländchen für eine Ge- gend oder Landschaft dort beruht auf dem tschechischen Namen Kravařsko und ist als Übersetzungsname für deutsche Sprecher zu keiner Zeit ein Fremdname gewesen. Der tschechische Fremdname (als Bildung zu tschech. kravař ‘Kuh- hirte’) wurde mittels Translation als vielleicht zunächst *Kuh-Hirten-Land zum Klammernamen mit Verkleinerungsform. Dem Namen Kuhländchen liegt zwar –––––––— 3 Vgl. dazu auch die Ausführungen und Hinweise im Betrag von Dieter KREMER in diesem Band. Was sind fremde Namen? 19 letztlich ein fremder Name als Ausgangsform zugrunde, Kuhländchen kann aber sprachlich niemals als ein fremder Name im deutschen Sprachsystem gelten. Es ist ein Lehnname, typologisch ein Übersetzungsname, jedoch eine rein deutsche Bildung. Der in Sachsen entstandene deutsche Ortsname Kuhschnappel ist in seiner uns geläufigen Gestalt ebenfalls kein Fremdname. Die Form mag auffällig sein und zum Nachdenken anregen, weshalb es der Ortsname ja auch in die Belle- tristik und ins Deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm geschafft hat (KOHL- HEIM 2013: 295–297). Aber über Jahrhunderte wurde eben dieser Ortsname als eine rein deutsche Bildung erklärt und z.B. als sprachliches Zeichen für das „Wegschnappen von Kühen“ im 30jährigen Krieg verstanden oder auch als ‘Kuhfütterstelle’, wo also die Kühe (zu)schnappen, gedeutet. Erst bei Heran- ziehung der historisch überlieferten Formen zu diesem ON wie noch 1460 Consnapel ergibt sich, dass der ON ursprünglich auf eine slawische Form zu- rückgeht, die im 11. Jahrhundert altsorbisch *Końčnopol’e oder *Końčne pol’e lautete und semantisch mit wörtlich ‘Endfeld’ auf das Ende des freien und kulti- vierbaren Landes hinweist (HENGST 2003: 64–67). Es handelte sich also um ei- nen Namen für eine Fläche vor dem sich dort dann anschließend erhebenden kleineren Bergmassiv am Hohen Stein mit dichtem Wald, einem Teil des Miriquidi. Zunächst war es also ein slawischer Flurname aus späturslawischer Zeit am Rande des slawischen Siedelgebietes im südlichen Zwickauer Mulden- raum am Nordrand der Erzgebirgsschwelle. Mit der deutschen Eroberung des slawischen Sprach- und Siedlungsraumes wurde der slawische Name auch den neuen Herrschaftsträgern bekannt und schließlich in der Zeit der deutschen Be- siedlung im 12. Jahrhundert zum deutschen ON für eine deutsche bäuerliche Ansiedlung in dieser Randlage. Damals ist der slawisch geprägte Name von den deutschen Sprachträgern sicher als notwendig für die Kommunikation mit den an der Neusiedlung beteiligten Slawen übernommen und verwendet worden. Aber der Name war zugleich ein Fremdname für die Deutschen. Und die zwar spät einsetzende urkundliche Überlieferung zeigt doch erst im 15. und 16. Jahr- hundert die allmähliche Umgestaltung des Namens mit sekundärer neuer se- mantischer Verankerung im Deutschen durch Angleichung an die deutschen vertrauten Lexeme Kuh und Schnappe mit diminutivem -el. Seit der 1547 lokal belegten Form Khueschnappell [mit als Längezeichen für den voran- gehenden Vokal] darf der ON als voll ins Deutsche integriert und damit als deutscher Name gelten. Nur für den Sprachhistoriker gehört er nach wie vor zu den Lehnnamen aus dem Slawischen im Deutschen und ist letztlich fremder Herkunft, beruht auf einem slawischen Flurnamen. Aus dem norddeutschen 20 Karlheinz Hengst

Sprachraum lassen sich auch die Ortsnamen Kuhbier und Kuhblank (FISCHER 2005: 97f.) an dieser Stelle anführen, die diachron ebenfalls Fremdnamen sind Die eben getroffenen Beobachtungen gelten auch für Gewässernamen. Es gibt eine große Anzahl von Hydronymen im Deutschen, die wie die voran- gehenden Namenbeispiele Kuh- als Erstglied besitzen und in Gestalt von Kuh- bach, Kuhbächle, Kuhborn usw. rein deutsche Bildungen sind.4 Anders aber wird das Bild bei Betrachtung des Hydronyms Kuhpanz-See in Brandenburg. Der ganz deutsch wirkende Name mit klarem Anklang an Kuh und Panzen wird erst dann als ursprünglicher Fremdname ersichtlich, wenn das mittelalterliche sprachliche Umfeld berücksichtigt wird. Dann wird der Name durch Beachtung einer altpolabischen Ausgangsform *Kopań mit -c-Suffix für eine ‘Mulde mit Wasser’ diachron als formale Entlehnung im Mittelalter eindeutig diachron zum Fremdnamen.5 Das gilt gleichermaßen für den Kuhwallsee bei Templin in Brandenburg. Der absolut rein deutsch wirkende Name beruht aber auf einer ursprünglich altpo- labischen Namensform, die noch in 1273 Kuwal sowie im Vorkommen von drei weiteren solchen Seenamen mit Kuwal-, Kaul- und Kuwel- im Erstglied in Ver- bindung mit einem Bewohnernamen altpolab. *Kovali ‘die Schmiede’ zu sehen ist (FISCHER 1996: 147). Diachron also alles Fremdnamen im Deutschen, syn- chron werden aber wohl selbst die Formen Kuwal See und Kuwelsee kaum noch als Fremdnamen angesehen. Den Beispielreigen können wir noch mit einem Anthroponym beschließen. Dazu bietet sich an der Familienname Kuhfahl. Der Name beruht auf einer Be- rufsbezeichnung für den Schmied, die aus einem westslawischen Sprachgebiet auch ins Deutsche gelangte, vgl. poln. und niedersorb. koval – als Familienname in der Lausitz Kowal, 1388 Koual [zu lesen als kowal] (WENZEL 1999: 141). Im Deutschen erfuhr der Name allmählich im Laufe der Zeit eine mundartlich be- dingte Angleichung an die deutschen Lexeme Kuh und fahl. Und damit besitzt der Name Kuhfahl keinerlei fremdes Aussehen mehr, wird also folglich nur noch vom Sprachhistoriker als Fremdname erkannt. Es ergibt sich folglich: Diachron ermittelbare Fremdnamen besitzen infolge ih- rer sprachlichen Entwicklung nach Übernahme aus einer fremden Sprache ins Deutsche eine Gestalt in Laut und Schrift, die sie in der Gegenwart nicht mehr als genuin fremd erscheinen bzw. empfinden oder gar erkennen lassen. Es handelt

–––––––— 4 Vgl. die aufgelisteten Beispiele bei Albrecht GREULE, Deutsches Gewässernamenbuch, Berlin/Boston 2014, 289 unter dem Lemma Kuh- sowie unter Kuhfließ. 5 Vgl. ebenda 289 mit weiterer Literatur. Was sind fremde Namen? 21 sich um vollständig ins Deutsche integrierte Namen. Der Sprachforscher bezeich- net sie als Lehnnamen. Ebenso wie die im Alltagsprachgebrauch häufigen Lehn- wörter sind auch die Lehnnamen dem deutschen Muttersprachler völlig vertraute und absolut niemals fremd anmutende Bausteine der eigenen Rede im Kommu- nikationsprozess.

5. Die Lehnnamen als einstige Fremdnamen in unserer Sprache

Bereits vor einigen Jahrzehnten habe ich in einer Studie zur Differenzierung zwischen Fremd- und Lehnnamen das Bemühen um Ermittlung von Kriterien unterstützt, um die Unterscheidung nicht nur dem subjektiven Empfinden des jeweiligen Sprachträgers überlassen zu müssen. In dieser Abhandlung zur Typo- logie der Lehnnamen im Deutschen habe ich 1973 Kriterien und Merkmale für Lehnnamen zur Diskussion gestellt (HENGST 1973). Dabei ließ sich an empiri- sche Untersuchungen zu Fremd- und Lehnwort anknüpfen. Diese hatten die fremde Lautung und die fremde Schreibung sowie auch Geläufigkeit im Zu- sammenhang mit der Häufigkeit des Vorkommens eines Wortes als die wich- tigsten Kriterien benannt. Demgegenüber spielten bei den damals durch- geführten Testen linguistische Gesichtspunkte wie Flexion, Pluralbildung und Derivationsmöglichkeiten eine nur unwesentliche Rolle (HENGST 1999: 41f. mit weiterer Literatur). Es ist aber auch in die Betrachtung eine weitere Reihe von Gesichtspunkten einzubeziehen. Der subjektive Faktor spielt dabei eine wesentliche Rolle. Au- ßerdem sind auch sozioonomastische Faktoren beachtenswert, also Soziolekt, Professiolekt und auch Idiolekt. Ebenso ist der arealonomastische Faktor zu nennen. Ein Siedlungsname wie Tryppehna bei Magdeburg wird in Sachsen als Fremdname eingestuft, ist hier – sicherlich zumeist – völlig unbekannt, wäh- rend in Sachsen-Anhalt ein höherer Bekanntheitsgrad diesen ON wohl eher aus der Grenzzone zu den Fremdnamen weg in den Bereich der Lehnnamen bis hin zu den „eigenen Namen“ führt. Letztere Feststellungen machen deutlich, dass es wohl kaum möglich sein dürfte, eine allgemein verbindliche und zutreffende Definition für den Fremd- namen in Geschichte u n d Gegenwart einer Sprache zu geben. Zu den Lehnnamen hingegen hatte die oben erwähnte vormalige analytische Betrachtung ergeben, dass sie entweder (a) total in die übernehmende Sprache integriert erscheinen, damit also auf allen Sprachebenen ins Sprachsystem inte- griert sind, oder aber (b) phonisch bzw. graphisch partiell nicht integriert sind. Kritisch gegenüber meiner seinerzeitigen Kriterienbezeichnung ist anzumerken, 22 Karlheinz Hengst dass es mir heute günstiger und treffender erscheint, von morphematischer, phonematischer und graphematischer Integration zu sprechen. Als übersichtliche Formel für die Lehnnamen (LN) ergab sich damals somit folgendes Bild (HENGST 1973: 82; HENGST 1999: 47): LN = [(mo ˄ ph ˄ gr)i ˅ [(moi ˄ ph)i ˄ grpni] ˅ [(mo ˄ gr)i ˄ phpni] mo = morphologisch ph = phonisch gr = graphisch i = integriert pni = partiell nicht integriert ˄ = und ˅ = oder Abgrenzend gegenüber den Lehnnamen resultierte daraus für den Fremdnamen als Konsequenz: „Als Fremdname ist demnach eine Name zu bezeichnen, der auf mehr als einer sprachlichen Ebene partiell nicht integriert ist“.6 Das diesjährige Tagungsthema gibt mir nun Gelegenheit, mich hier zu den Fremdnamen noch ausführlicher zu äußern.

6. Der Fremdname in der Synchronie

Im Rückblick auf das bisher Gesagte kann Fremdname durchaus ganz unter- schiedlich zu verstehen sein: Erstens kann es sich bei Fremdname um einen Namen handeln, der etymolo- gisch als aus einer fremden Sprache stammend erklärt wird, aber längst zum Be- stand der deutschen Sprache gehört. Das ist der Fremdname diachron gesehen. Zweitens kann aber Fremdname auch ein Name sein, den wir z.B. im Ver- laufe der jüngeren Vergangenheit oder auch erst neuerdings über Zuwanderung in unser Sprachgebiet ganz neu erfahren. Etwas übersichtlich dargestellt kann es sich also insgesamt bei einem Fremd- namen in einer bestimmten Sprache wie z.B. dem Deutschen folglich handeln um (a) ein Onym nach Übernahme mit Vermittlung über mehrere Sprachen im Verlaufe einer langen geschichtlichen Entwicklung, einschränkend oder präzisierend als Lehnname bezeichnet; (b) ein Onym als Reliktname aus der Sprache der ehemaligen Bewohner ei- nes Territoriums, ebenfalls ein Lehnname; (c) ein Onym als Lehnname infolge von Wohnnachbarschaft aus einer an- deren Sprache; (d) ein Onym mit sekundärer Übertragung/Übersetzung in eine fremde Sprache, also Verfremdung durch z.B. Latinisierung oder Graecisierung;

–––––––— 6 HENGST 1999: 47 mit weiteren Erläuterungen. Was sind fremde Namen? 23

(e) ein Onym für ein Denotat in einem fremden Sprachgebiet; (f) ein Onym für ein Denotat in unserem deutschen Sprachgebiet. In der Sprachforschung haben wir immer zwei Aspekte vor Augen: Diachronie und Synchronie. Die eben unter (a) bis (c) erfassten Onyme ergeben sich aus der Diachronie, wozu auch (d) noch gehören kann7, während (e) und (f) sich aus der Synchronie ergeben. Bei der historischen Betrachtung von Sprachmaterial unterscheiden sowohl Sprachwissenschaft generell als auch die Onomastik speziell in jeder Einzel- untersuchung dann jeweils hierzu genau und vermischen keineswegs.

Im Folgenden möchte ich die Diachronie nun verlassen und mich der Synchro- nie zuwenden. Unser Tagungsband widmet sich ja sehr wohl begründet beiden Aspekten. Das Thema „Fremde Namen“ für diesen Band ist vor Jahren fast se- herisch gewählt worden, gleichsam vorausschauend auf die mit den Asyl- suchenden uns zuwachsenden vielen fremden Namen. Es geht also jetzt im folgenden Teil ausschließlich um den Fremdnamen in der Synchronie. In der Ethnolinguistik ist dafür unter synchronem Aspekt Xenonym üblich. In der Onomastik wird der Terminus auch gebraucht8, allerdings im angloamerikanischen Sprachraum gänzlich abweichend als Synonym für eco- domonym, daher dort xenonym ‘name of a hotel, inn or public house’ (ROOM 1996: 106). Bisher gibt es keine Definition für Xenonym. Es gibt nur zu „Fremdwort“ recht allgemein gehaltene Angaben. Eine neuere sprachwissenschaftliche Aus- sage lautet z.B. so: „Ein Wort ist im gegenwärtigen Deutschen fremd, wenn es Eigenschaften hat, die es von den Wörtern des Kernwortschatzes unterscheiden. Darauf beruht die Unterscheidung von Kern- oder nativem Wort einerseits und fremdem Wort andererseits.“ (EISENBERG 2011: 29). Um welche Eigenschaften es dabei geht, wird etwas deutlicher in einer Beschreibung mit grobem Kriteri- enraster (REDZICH 2014: 118). Sie lautet entsprechend auf die Namen im Deut- schen angewandt:

–––––––— 7 Vgl. für die Universität in Wittenberg die Bildung Leucorea kurz nach 1500 oder für die in DDR-Zeit in Schwarzenberg (Erzgebirge) produzierte Waschmaschine die Bildung Monsator. 8 Den Terminus Xenonym verwendete, wie schon erwähnt, z.B. Volker KOHLHEIM bereits vor zwanzig Jahren in HSK 11.2: 1203 für nicht ins Deutsche integrierte fremde Rufnamen. 24 Karlheinz Hengst

Ein Xenonym ist von fremden Elementen geprägt, d.h. Basis und Wortbildungs- morpheme stammen nicht aus dem Morpheminventar des Deutschen. Mit anderen Worten heißt das: Ein Xenonym lässt sich beschreiben als morphe- matisch auffällig, weil es von seiner Form her eben abweichend erscheint vom einheimischen lexikalischen bzw. onymischen System der deutschen Sprache. Diese grobe Angabe zur Form ist von germanistischer Seite als nicht aus- reichend markiert worden: „Die Form allein wirkt jedoch in aller Regel noch nicht als Fremdheitsindikator. Petersilie und Colloquium werden von der Mehr- heit der Normalsprecher nicht als fremd wahrgenommen.“ (REDZICH 2014: 118). Diese Aussage gilt also ausdrücklich auch für Wörter, deren Basis- und Wortbildungselemente nicht aus dem Morpheminventar des Deutschen stam- men. Es soll daher nachfolgend versucht werden, diese Angaben noch etwas ge- nauer zu bestimmen und nach Indikatoren für Fremdheit Ausschau zu halten. Dazu ist es sicher angebracht, noch einige weitere Überlegungen anzuschließen. „Fremde“ Namen setzt auch in der Synchronie eine Opposition voraus zu „nichtfremde Namen“. Die Zuweisung zur Kategorie fremder Name oder Xeno- nym nehmen wir im Alltag mehr oder weniger gefühlsmäßig vor. Wir unterscheiden dabei einerseits „bekannter resp. vertrauter Name“ und andererseits uns fremd anmutender, also daher eher „fremd wirkender/erschei- nender Name“, kurz „fremder Name“. Dazwischen gibt es sicher eine Grauzone, eine Übergangszone von „gar nicht so fremder Name“ bis „weniger oder kaum bekannter Name“ und somit eher „fremder Name“. Am Beispiel von Anthroponymen stehen sich da gegenüber Schneider (be- kannter Familienname) und Czaplok oder Gawantka (fremde Familiennamen) und als „weniger bekannte Familiennamen“ einerseits solche wie Prinzinger oder Däbritz sowie als „gar nicht so fremde Familiennamen“ Beispiele wie Hambcke oder Schipánski und Türpe. Bei Toponymen zeigt sich die Dialektik in den Oppo- sitionen Leipzig gegenüber Alzey (Name der zumindest in Sachsen unbekannten Nibelungenstadt in Rheinhessen) oder Isny (ehemals Freie Reichsstadt im Allgäu). Mit der eben vorgenommenen Einschränkung nach dem Merkmal von Unbe- kanntheit resp. geringe Bekanntheit eines Namens „in Sachsen“, also hinsichtlich der Bekanntheit/Geläufigkeit oder Fremdheit eines Namens in einer bestimmten Region und damit Sprachgebrauchssphäre, haben wir bereits eine weitere „Grau- zone“ vor uns. Es ist dies eine permanent existente Unsicherheit auf dem Feld der Bestimmung von „fremd“ und „nicht fremd“ aus linguistischer Sicht. Wir benötigen folglich Kriterien, um einigermaßen begründet differenzieren zu können. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht müssen wir diese jedoch unter Was sind fremde Namen? 25

Beachtung der Gebrauchssphäre unserer deutschen Sprache zu bestimmen ver- suchen. Die Sprache zu gebrauchen, heißt immer zugleich auch zu handeln. Wenn wir folglich Namen in einer Äußerungsform verwenden, werden wir immer im Hinblick auf den Adressaten unserer Äußerung auch die Namen ent- sprechend wählen, verwenden, also mit oder ohne weitere Erklärung senden. Wir wollen ja verstanden werden. Empfinden wir es als nötig, eine Erklärung bei Verwendung eines Onyms zu diesem zu geben, so handelt es sich zumindest in unserer Annahme entweder um einen für den Empfänger kaum, wenig oder auch gar nicht bekannten bzw. vertrauten Namen – einen fremden Namen – oder aber bzw. zugleich auch um ein dem Adressaten bisher unbekanntes Deno- tat. In diesem eben geschilderten Kommunikationsvorgang geht es beim Ge- brauch von Onymen um die Referenzleistung, speziell um die Sicherung einer Verbindung zwischen dem Referenten und dem Denotat. Damit wird der kommunikative Akt unter dem Aspekt der Binaritäten bekannter Name für be- kanntes Denotat oder unbekanntes Denotat bzw. fremder Name für auch fremdes Denotat ins Auge gefasst.

7. Wann wirkt „ein Name an sich“ in der Sprachgemeinschaft als „fremd“? Innerhalb der modernen Sprachwissenschaft darf als überholt gelten, Fremdname als in erster Linie nach der etymologischen Herkunft definieren zu wollen (so noch im Internet bei Wikipedia unter „Fremdname“ angegeben am 11.6.2015). Das hilft uns bei synchroner Betrachtung nicht weiter: Berlin, Bonn, Dresden, Köln, Leipzig, Rostock, Schwerin sind zwar etymologisch gesehen dann Fremd- namen (exogene Toponyme), aber als vertraute Lehnnamen werden sie von kei- nem deutschen Sprecher als „fremd“ empfunden und nicht gegenüber Erbnamen (endogenen Toponymen) wie Erfurt, Magdeburg, München, Stuttgart abgegrenzt. Es ergibt sich die folgende Frage: Wann wird ein Name innerhalb einer Kom- munikationsgemeinschaft (a) in einem bestimmten Raum resp. Territorium und (b) zu einer bestimmten Zeit als „fremd“ – also als Xenonym – angesehen oder bewertet? Eine Antwort auf diese Frage ist in enger Verbindung mit der Axiologie in der Linguistik zu sehen. Eine Bewertung eines Onyms als fremd seitens der Sprachbenutzer wird bei Befragung nicht unbedingt übereinstimmend ausfallen. Die Einschätzung eines Namens als fremd hängt von mehreren Faktoren ab. Genannt seien – ohne Vollständigkeit anzustreben – nur – Alter und Erfahrungsbereich einer Person – Regionale Verankerung einer Person 26 Karlheinz Hengst

– Bildungsgrad – Fremdsprachenkenntnisse. Der Familienname Swóboda [schwóboda] ist mir in meiner frühen Kindheit mit vier Jahren aufgefallen, also wohl als fremd erschienen und so bis heute in Erin- nerung geblieben. Meine Frau und ich mussten sich daran gewöhnen, dass die Familie unserer Tochter den Familiennamen Pridik trägt. Deutsche Leser emp- finden den Namen sicher zumeist auch als fremd. Axiologisch gehen wir dabei al- so vom Erscheinungsbild aus, also vom Lautbild oder vom Schriftbild des Onyms. Das Phänomen Pridik ist uns fremd. Wir bewerten den Phänotyp Pridik als „fremd erscheinend“. Das auch mit Recht, denn selbst nach einer Tradition über zumindest anderthalb Jahrhunderte als Familienname von Deutschen kommt dieser Name höchst selten vor, ist also deutschen Sprechern bei Begegnung zu- nächst völlig neu und fremd. Es handelt sich um ein Xenonym. Obwohl etymolo- gisch ein deutscher Rufname zugrunde liegt, was aber niemand zu erkennen ver- mag und was auch für die synchrone Sicht unerheblich ist, muss der Name auf Grund seiner Struktur als Xenonym angesehen werden. Die sprachhistorische Analyse ändert also daran nichts. Die Bildung des Namens erfolgte in einer frem- den Sprache mit einem slawischen Wortbildungsmittel, dem Suffix -ik. Der Fami- lienname entspricht morphotaktisch nicht den Regularitäten des Deutschen.

8. Wann wirkt ein Name als nicht fremd? Eingangs ist es vielleicht hilfreich, gleich zur Abgrenzung uns die Frage zu stel- len, was keine Xenonyme sind. Als Materialgrundlage beschränke ich mich auf Familiennamen, die ja in der Gegenwart von besonderer Aktualität sind. Ein kurzer Blick auf Familiennamen aus dem Tagungs-Programm bzw. das Inhaltsverzeichnis dieses Bandes wie Bergmann, Bergermayer, Kremer, Schnei- derheinze zeigt sofort folgendes: Alle diese Onyme entsprechen den Regularitäten der Kombinierbarkeit von Phonemen und Morphemen sowie Graphemen im deutschen Sprachsystem. Es handelt sich also um phonotaktisch, morphotaktisch und graphotaktisch deutsche Namen. Damit haben wir schon drei Kriterien für die Zuordnung von Onymen zu den nichtfremden Namen ermittelt. Ganz allgemein ausgedrückt lässt sich formulieren: regulär deutsches Onym = M1-n(mo ˄ ph ˄ gr) Hier weiterhin noch einige Familiennamenbeispiele aus den Medien der letzten Monate: Was sind fremde Namen? 27

Aspetsberger, Büsemeyer, Hoheisel, Holzheimer, Irgang, Lappenberg, Moskopp, Riedesel, Schalthöfer, Speitkamp, Stowasser, Thieswald, Waldecker oder aus dem Umfeld der Sprachforscher …Bichlmeier, Haubrichs, Korssmeier … Diese Familiennamen unterscheiden sich von den oben zuerst aufgeführten. Es zeigt sich dabei merkmalhaft folgendes: – Beide onymische Konstituenten erfüllen das Kriterium der Morphotaktik. – Aber sie müssen keinesfalls beide (a) ohne weiteres semantisch durch- sichtig sein oder (b) ein bekanntes Morphem ausweisen. Es genügt schon, wenn eine Konstituente des Onyms im lexikalischen oder ony- mischen System des Deutschen verankert ist. Einfach ausgedrückt heißt das: Ein Morphem des Onyms muss vom Sprach- system her aus Lexik oder Onymie vertraut sein. Zugleich trifft auf die Beispiele weiter zu, dass solche Onyme insgesamt der Phonotaktik und Graphotaktik des Deutschen entsprechen. Das wird an den folgenden Familiennamen recht gut erkennbar:

Sarah Emsel Monica Lierhaus Günter Gemlau Maria Löschnigg Manfred Gerland Karl Löwith Kerstin Girschick Klaus Manger Lothar Grobitzsch Andrea Nahles Wolfgang Hadlich Karl Pörnbacher Manfred Hammes Wolfgang Quaisser Jörg Hausick Ivan Rittschitz Nicolaus Heutger Detlev Schöttker Andreas Höra Barbara Segelken Martina Knichel Holmer Steinfath Kurt Kreiler Dirk Syndram Susanne Kubenz Susanne Wasum-Rainer

Somit dürfen wir konstatieren: Bereits die partielle morphematische Veranke- rung im Deutschen in Einheit mit phonotaktischer sowie graphotaktischer Regu- larität lässt einen Familiennamen als endogenes Onym erkennen und beurtei- len. Demnach ist ein Onym noch ein endogenes Onym und kein fremder Name, wenn es folgender Formel hinsichtlich seiner Verankerung im deutschen Sprachsystem entspricht:

regulär Onymendogen = (M1 ˅ M2)endogen mit Mendogen = (mo˄ph˄gr) 28 Karlheinz Hengst

Dann haben wir schließlich aber auch Familiennamen wie Sigrid Damm, Phi- lipp Heck, Anne Kolb, Wolfgang Meid, Johann Schütt, Bernhard Viel – sie stimmen total oder partiell mit deutschen Lexemen überein. Oder aber sie erin- nern in ihrer Struktur an deutsche Lexeme oder Onyme wie z.B. Adrian Seib, Hermann Broch, Friedrich Schack, Wilhelm Pertsch, Joachim Zirbs…

total ˅ partiell Onymendogen = (Mendogen)

9. Wie weiter mit den fremd wirkenden Namen? Unter Punkt 7. hatte sich bereits ergeben: Ein Name erscheint uns zumeist wohl dann sofort als fremd, wenn wir ihn noch nie zuvor gehört oder gelesen haben. Der uns bisher unbekannte Name wirkt wie eine fremde Vokabel, gehört – bis- her – somit nicht zu unserem Sprachbestand resp. Sprachschatz. Beispiel: Auf einer Rechnung von einer Firma ist mir alles verständlich – nur der für etwaige Rückfragen aufgeführte Name Tamitha ist für mich persönlich absolut neu und fremd, im Unterschied zu dem folgenden Familiennamen Grund. Aus der Kombination beider Namen erkenne ich jedoch zumindest sofort, dass Tha- mitha ein Rufname ist, der in meinem Sprachvorrat noch nicht verankert ist. Das unterscheidet mich aber deutlich von schon einmal all jenen, die mit der Trägerin des Rufnamens Kindergarten, Schule usw. besucht haben bzw. mit ihr in einer Firma arbeiten. Folglich: Was für einen einzelnen ein Fremdname ist bzw. – besser gesagt – als solcher erscheint, ist für andere im sprachlich gleichen Umfeld ein geläufiger und vertrauter Name. Toponymisches Beispiel: der ON Mikošojce und vielleicht sogar die deutsche Form Mixdorf für einen Ort im Landkreis Oder-Spree im Land Brandenburg. In Mittel- und Westsachsen sind diese Namensformen völlig unbekannt und wirken fremd, also nicht nur die sorbische, sondern auch die deutsche. Offensichtlich reicht es also nicht aus, zur Bestimmung von Fremd- name/Xenonym vom Eindruck des einzelnen und seiner Erfahrungswelt aus- zugehen. Vielmehr benötigen wir einigermaßen verlässliche Kriterien. Dazu müssen wir uns einer Frage stellen:

10. Wie ist ein Fremdname, ein Xenonym, linguistisch markiert?

Wir wollen also versuchen, Kriterien zu ermitteln. Als ich in der Zeitung las, als neuer Vorsitzender der FDP in Chemnitz sei Hui Bui gewählt worden, war das für mich ein fremder Name. Das Onym Hui Bui signalisierte jedem Leser der Zeitung an diesem Tag: Es handelt sich nicht um einen seiner Herkunft nach deutschen Landsmann, sondern um einen aus Was sind fremde Namen? 29

Vietnam bzw. Asien stammenden Herrn. Warum aber ist und bleibt Hui Bui – zumindest zunächst – ein „fremder Name“? Die Antwort lautet linguistisch ori- entiert: – Es ist ein dem deutschen onymischen System generell und dem anthro- ponymischen System speziell in keiner Weise zuordenbarer Name. – Der Name ist lexikalisch sowie morphotaktisch insgesamt absolut fremd.

Diese Feststellung ist wichtig, denn die beiden Einzelbestandteile des Gesamt- namens Hui Bui sind im deutschen Sprachsystem durchaus vorhanden: hui ist als Ausdruck von Überraschung oder Staunen bekannt und gebräuchlich. Eben- so ist insbesondere aus der Kindersprache pui – mit mitteldeutscher Konso- nantenschwächung auch bui – als Ausruf zum Erschrecken einer Person geläu- fig. Aber das sind eben Interjektionen, niemals onymisch im Deutschen vor- kommend, obwohl aber auch substantivisch bzw. nominal gebraucht in der Wendung in einem Hui im Sinn von ‘oberflächlich schnell’. Wir dürfen damit konstatieren: Ein Name gilt im Deutschen als fremd, wenn er erstens lexikalisch und zweitens morphotaktisch nicht im deutschen ony- mischen System und damit auch nicht im deutschen Sprachsystem verankert ist. Die morphematische Struktur eines Namens ist also ganz wesentlich. Formel- haft gefasst: FN = Onym (lexik + morphotakt)xen (FN = Fremdname; lexik für lexikalisch; xen hier für fremd, unvertraut).

Nun sind solch eindeutige Fälle recht einfach zu klären. Wie verhält es sich mit einem Namen wie z.B. dem einer im TV-Programm am 8. Juni 2015 erwähnten deutschen Lehrerin namens Elisabeth Tuider – gesprochen [twīdↄr]? Deutsche Familiennamen auf -er sind Legion. Aber einen deutschen Anlaut mit der Pho- nemkombination /tw/ gibt es nicht. Er kommt nur vor in den jungen, aber sel- ten gebrauchten Lehnformen aus dem Englischen und Niederländischen wie Tweed und Twist. Und bezieht man das Schriftbild noch mit ein, so ist gra- phisch dem Deutschen im Anlaut ganz und gar unbekannt. Der Name ist oder erscheint uns damit sofort fremd, denn er entspricht phonotaktisch und graphotaktisch nicht dem deutschen Sprachsystem, obwohl er morphotaktisch mit z.T. passfähig ist. Damit haben wir ein weiteres Kri- terium zur Bestimmung eines fremden Namens gefunden: Ein Name gilt im Deutschen auch dann als fremd, wenn er drittens phonotak- tisch u n d viertens graphotaktisch nicht dem deutschen Sprachsystem entspricht. Formelhaft gefasst: 30 Karlheinz Hengst

FN = Onym (phon + graph)xen oder: Onymxenophon/-graph

Einschränkend ist zu beachten, dass diese Kriterien nicht für sich allein ange- wandt werden dürfen. Ein Name wie Pscherer bzw. Bscherer mit der im Deut- schen sonst gar nicht wiederkehrenden Anlautgruppe /pš/ oder /bš/ wird den- noch nicht als „fremd“ empfunden oder beurteilt, da das Element -scherer fest im deutschen Sprachbestand verankert ist. Phonie und Graphie allein als Krite- rien anzulegen, ist also unzureichend. Außerdem sind sie aber in der hier ge- nannten Abfolge einander durchaus nicht nachgeordnet, denn es hängt davon ab, ob ein Name uns zuerst mit seinem Lautbild oder zuerst mit seinem Schrift- bild wie z.B. Renate Welsh in den Medien bekannt wird. In letzterem Fall genügt die Graphie als eindeutiges Signal für ein Xenonym, während die Phonie allein nicht zwingend zu diesem Schluss führen muss. An dieser Stelle wollen wir auch die beiden schon erwähnten Ortsnamen (ON) Alzey und Isny nochmals ins Visier nehmen. Wir hatten sie eingangs als uns unbekannt und fremd eingestuft. Sind es wirklich fremde Namen? Als To- ponyme sind sie seit vielen Jahrhunderten im Deutschen verankert. Schauen wir uns in der Toponymie um, so sind ON mit dem Auslaut [aḙ] bzw. der Auslaut- graphie durchaus keine Seltenheit, vgl. allein im Osten Deutschlands die ON Garrey, Marieney, Parey, Poley, Sprey, Stöckey, Rattey, Thörey (ZIKMUND 1970: 119f.). Das gilt auch für die ON mit graphisch am Ende für gespro- chen [i], vgl. Barby, Brumby, Gahry, Niesky, Plötzky, Zilly (ZIKMUND 1970: 120). Diese Namen für Orte sind in einem gewissen geographischen Umfeld den Deutschen durchaus vertraut – für Niesky gilt das wahrscheinlich sogar deutsch- landweit. Damit haben wir es hier also mit ins Deutsche integrierten Lehnna- men zu tun. Das trifft auch auf Alzey und Isny zu. Phonematisch und graphema- tisch bereiten diese Namen keine Schwierigkeiten. Sie sind aber im lexikalischen System des Deutschen nicht verankert, d.h. sie haben keine gleichlautenden „Stützen“ in deutschen Lexemen. Daher empfinden wir sie sozusagen aus der Ferne – und nicht von Kindheit an mit ihnen vertraut – durchaus als uns fremd. Diese Onyme zeigen lediglich innerhalb der Onymie, hier innerhalb der Topo- nymie, eine Zusammengehörigkeit und regional begrenzt eine gewisse System- haftigkeit. Diese ist jedoch sekundär, weil erst im Ergebnis der Entlehnung ins Deutsche – mehr oder weniger zufällig – entstanden. Die quantitative Begrenzt- heit sowie die über größere Entfernungen nur vorkommende Vereinzelung die- ser Namen belassen diese Onyme im Hinblick auf die Gesamtsprache und ihre Verbreitung im Bereich der fremden Namen, also der Xenonyme. Wiederum gilt bei den eben betrachteten ON zusätzlich, dass sie phono- taktisch und graphotaktisch nicht dem uns vertrauten deutschen Sprachsystem Was sind fremde Namen? 31 entsprechen. Sie sind auf mehr als einer sprachlichen Ebene partiell nicht inte- griert. Deutsche Wörter wie Spiegelei und andere auf –ei wie Gängelei, Mäkelei usw. bieten da keine Stütze. Eine Ausnahme machen da bestenfalls die ON Ma- rieney und Stöckey auf Grund ihrer Erstglieder Marien- und Stöck-, da beide klar onymisch (und Stöck- zusätzlich auch appellativisch) erscheinen. Hier zeigt sich also die Peripherie von Fremdnamen im Übergangsbereich zu Lehnnamen. Bei Marieney, Poley und Stöckey ist auch die onymische Vertrautheit der Auslaut- elemente – also die phonische Seite – durch die Ländernamen Mongolei, Slowa- kei, Türkei usw. sowie der belasteten Formen Tschechei, Wendei mit integrativ wirksam, was uns die genannten drei ON Marieney, Poley, Stöckey eben eher als nicht fremd einstufen und zuordnen lässt.

11. Was verbirgt sich hinter dem wiederholt verwendeten Begriff der Vertrautheit?

In der Sprache und dem Sprachgebrauch spielt eine ganz wesentliche Rolle das Kriterium der Häufigkeit, in der Onomastik auch als Usualquote bekannt. Die Quantität einer sprachlichen Erscheinung ist Untersuchungsgebiet der sogen. Quantitativen Linguistik. Sie hat mit Recht auf die sich stetig vollziehenden Pro- zesse von Sprachwandel im Sinne von Veränderungen in der Sprache hingewie- sen. Es ist sogar ein Sprachwandelgesetz formuliert worden. Nach seinem Be- gründer wird es auch Piotrowski-Gesetz genannt. „Die Grundidee besteht in der Annahme, dass ein Sprachwandel irgendwo bei einer Einzelperson seinen Aus- gang nimmt und – falls er von anderen übernommen wird – sich zunächst ganz allmählich ausbreitet. Je größer die Zahl der Personen ist, die sich der Neuerung anschließen, desto schneller erfolgt ihre Ausbreitung. Irgendwann wird ein Wendepunkt erreicht, von dem an die Ausbreitung in ihrer Geschwindigkeit nachlässt, bis sie schließlich zum Erliegen kommt. Das Muster für diesen Ver- lauf ist also: Langsamer Beginn – Beschleunigung – Wendepunkt – Abnehmen der Ausbreitungsgeschwindigkeit – Stillstand der Ausbreitung. In manchen Fäl- len wird durch die Ausbreitung einer sprachlichen Neuerung eine alte Form vollständig ersetzt (= vollständiger Sprachwandel); in anderen Fällen kann sich eine sprachlich neue Erscheinung nur bis zu einem gewissen Grad durchsetzen (= unvollständiger Sprachwandel).“ (Internet, 12.6.2015).9 Auf unser Thema angewandt heißt das: Bei zunehmender Verwendung eines zunächst völlig fremden Onyms innerhalb einer Sprachgemeinschaft k a n n diese Neuerung sowohl zur Verdrängung im Bereich der jeweiligen onymischen –––––––— 9 Dort wird auch die Formel des Piotrowski-Gesetzes für den vollständigen Sprach- wandel angeführt. 32 Karlheinz Hengst

Klasse führen als auch die Stelle oder auch Stellen von bisher üblichen Onymen einnehmen, also auch zu einem vertrauten Onym werden. Allen mit den Fragen der täglichen Namenberatung Befassten sind diese Vorgänge bekannt. Der schon erwähnte Rufname Tamitha ist infolge seiner morphologischen Struktur eindeutig als weiblicher Rufname erkennbar, ebenso wirkt Tamitha infolge des Anklangs an Rufnamen wie Tamara und Roswitha phonisch sowie graphisch durchaus nicht als fremd. Doch die weiblichen Ruf- namen mit dem Erstelement Tam- sind sämtlich aus anderen Sprachen über- nommen (DUDEN-VORNAMENLEXIKON 2014: 382f.), sie werden daher also fremd empfunden. Daran ändert auch der Erbname Roswitha nichts, denn die vergleichbaren Rufnamen/Vornamen Editha, Hyacintha, Jacintha, Tabitha, Ta- litha mit Endelement -itha (DUDEN-VORNAMENLEXIKON 2014: 500) sind eben- so fremd. Somit ist uns auch Tamitha als Onym fremd. Als Kriterium können wir zur Bestimmung von Fremdname damit weiterhin formulieren: Ein Fremdname wird fünftens durch seine Einmaligkeit resp. auffällige Sel- tenheit innerhalb einer Sprachgemeinschaft markiert. Formelhaft ausgedrückt: FN = Onym (usualqu)rar

Dieses Kriterium ist aber ein mehr ergänzendes. Es darf nicht einzeln ange- wandt werden. So sind z.B. Familiennamen wie Riedesel und Stowasser selten und auch regional begrenzt10, dennoch sind sie auch in Gegenden, wo sie nicht vorkommen, nach den oben genannten Kriterien und anwendbaren Formeln keine Xenonyme. Andererseits begegnen infolge der weltkriegsbedingten Um- siedlungsprozesse Familiennamen wie Navrat(h) und Navratil oder auch Plat- zek durchaus in beachtlicher Streuung über die Bundesländer im Deutschen, sind aber dennoch – zumindest partiell – xenomorph, xenophon und xeno- graph. Gleiches gilt z.B. auch für Damaschke, Dirschke, Paschke und Peschke. Familiennamen wie Bouffier, Guillaume, Pokorny oder Karusseit oder Milko- reit11 sind im Deutschen zwar Unikate. Sie sind jedoch zuallererst auf Grund ih- rer lexikalisch-morphematischen Struktur sowie ihrer Phonie und Graphie so- fort als Xenonyme erfassbar. Das gilt also nicht nur für so auffällige Namen wie bei türkischer Herkunft, vgl. etwa Arzu Bazman (bekannte deutsche Schauspie- lerin), oder wie bei Mehmet, bekannt durch den Fußballspieler Mehmet Scholl

–––––––— 10 Riedesel ist besonders verbreitet in Nordrhein-Westfalen, Stowasser hingegen kommt besonders in Bayern vor. 11 Rainer Milkoreit – Präsident vom Nordostdeutschen Fußballverband. Der im Dt. seltene Familienname gehört zu lit. Milkeraitis, vgl. LPŽ 1989: 244. Was sind fremde Namen? 33

(DUDEN-VORNAMENLEXIKON 2014: 292) und den Kriminalkommissar von Is- tanbul im TV-Programm der ARD. Es trifft auch zu auf Gerhard Gaidies – trotz deutsch Paradies und einer Reihe von Familiennamen mit auslautend –ies (DU- DEN-FAMILIENNAMEN 2005: 914).

12. Was lässt sich zusammenfassen? Kurz gefasst lassen sich die wohl entscheidenden Merkmale eines Xenonyms auch einfach bezeichnen als 1. xenomorph für lexikalisch bzw. morphotaktisch fremd, 2. xenophon für phonisch bzw. phonotaktisch, also bezüglich Lautbild resp. hinsichtlich einzelner Phonemkombinationen, fremd, und 3. xenograph für vom Schriftbild her fremd, also graphisch resp. graphotaktisch fremd. Das Merkmal Unikalität oder geringe Usualquote eines Namens tritt ja in enger Verbindung mit der xenomorphotaktischen und auch xenophono- taktischen sowie xenographen Erscheinung des Onyms auf und kann infolge- dessen auch bei der Bestimmung eines Xenonyms unerwähnt bleiben.

13. Welches ist das entscheidende Kriterium?

Wesentlich erscheint nach allem, nochmals Folgendes zu betonen: Bei den Krite- rien zur Bestimmung von Xenonymie in synchroner Sicht sind nicht nur die Au- genfälligkeiten von Lautbild und Schriftbild zu beachten, sondern als Kriterium zur Kennzeichnung eines Fremdnamens ist an erster Stelle unbedingt die abwei- chende morphematische Struktur und die damit auch fehlende lexikalische Veran- kerung im Sprachsystem der jeweiligen Sprache zu beachten. Damit gelangen wir zu einer Hierarchie der Kriterien. Das uns begegnende Onym wird auf lexikali- scher Ebene zuerst in seiner Verbindung mit vorhandenen morphotaktischen und lexikalischen Informationen bewertet. Ausdrücklich und ganz klar im Unterschied zu der verbreiteten Ansicht, dass Kriterium für die Fremdheit eines Namens in erster Linie die etymologische Herkunft sei, ist es in synchroner Sicht wichtig festzustellen, dass erstes Krite- rium die lexikalisch-morphematischen Eigenschaften eines Onyms sind und als weitere Kriterien Phonotaktik und Graphotaktik hinzukommen.

14. Lassen sich die entwickelten Kriterien auf Familiennamen im Deutschen ge- nerell anwenden?

An Beispielen von Familiennamen, die in den Medien innerhalb der letzten Monate aufgetreten sind, sollen nun die Kriterien auf ihre Anwendbarkeit und Zuverlässigkeit hin überprüft werden. 34 Karlheinz Hengst

14.1. Eine erste Gruppe bilden Namen von allgemein eindeutiger Fremdheit

Es werden hier nur die Familiennamen kursiv hervorgehoben. Die Vornamen sollen bei den verkürzten Beispielangaben nur dazu dienen, den tatsächlich deutschen Namensträger jeweils deutlich erkennen zu lassen. Es handelt sich al- so nicht um solche Namen wie etwa den des Spielers in der deutschen Fußball- Nationalmannschaft Jérȏme Boateng, sondern ausdrücklich um „einheimische“ Personen, wie z.B. in der Presse erläutert mit der Angabe „Der gebürtige Sachse Tom Wlaschiha“ und der Aussage im Text „der 42-Jährige … wurde im säch- sischen Dohna geboren, er wuchs in der DDR auf“ (Freie Presse Chemnitz: 27.11.2015). Dazu einige Beispiele: Bianca Brissaud Elmar Giemulla Barbara Yurtas Christian Jacq Dirk Nowitzki Conrad Nutschan Loreen Penderok Laura Poitras Matthias Segieth Rolf Strnad Katharina Thehos Uwe Warschkow

Diese Onyme sind als Familiennamen sämtlich dadurch markiert, dass sie keine im deutschen Sprachsystem verankerten Morpheme besitzen oder zu solchen als homophon erscheinen. Diese genannten Familiennamen sind durchweg Xeno- nyme, denn sie sind (a) vor allem morphematisch dem deutschen Sprachsystem fremd; (b) z. T. sind sie auch phonotaktisch sowie graphotaktisch dem deutschen Sprachsystem fremd. (c) Als Xenonyme verstoßen sie quasi gegen die dem deutschen Sprachsys- tem inhärenten Regularitäten der Kombinierbarkeit von Morphemen, Phonemen sowie Graphemen.

Diese Familiennamen gehören damit also zum Phänotyp fremd. Sie wirken xe- nophän („fremd erscheinend“) und sie sind damit Xenonyme. Ganz gleich, wie man sie nach Morphemen gliedert oder individuell segmentiert, ergibt sich letztlich „mühelos“ ihre Einordnung als Xenonyme. Ihre Reihe lässt sich täglich aus den Medien ergänzen. Das Erscheinungsbild mag unterschiedlich und mehr oder weniger auffällig sein wie z.B. bei Johannes Luczak, Stefan Schostok, Günter Wysoglad oder Olaf Zschage. Der Befund lässt sich zusammenfassend mit einer übersichtlichen kurzen xenophän Formel wiedergeben: Xenonym = (M1-n) [M = Morphem], wobei xeno- phän = (morphemat ˄˅ phonotakt ˄˅ graphotakt)irregulär = (xenomorph ˄˅ xe- nophon ˄˅ xenograph). Was sind fremde Namen? 35

Eine solche Formel-Fassung darf aber nicht dazu führen, dass man glauben könn- te, nun ließe sich jeder Familienname ganz einfach beurteilen. Allein bei dem Fa- miliennamen Warschkow lässt sich schon streiten. Das Basiselement Warsch- kann nämlich bei einer entsprechenden Segmentierung des Familiennamens im gegenwärtigen deutschen onymischen System als durchaus vertraut empfunden werden. Es wird gestützt durch das Toponym Warsch-au. Zu beachten ist, dass der Name der polnischen Hauptstadt zwar etymologisch genuin polnisch ist, in Polen daher auch phonisch und graphisch anders erscheint, und zwar als War- szawa, aber im Deutschen besitzt der Name Warschau als deutsches Integrat bzw. Exonym keine vom Deutschen abweichende strukturelle Auffälligkeit. Auch bei einer Segmentierung War-schau ändert sich das Bild nicht, denn Ortsnamen mit dem Endelement -schau sind im ostdeutschen Sprachgebiet geläufig, vgl. Gold- schau, Poderschau, Rotschau usw. (ZIKMUND 1970: 107f.). Und in einem nordost- deutschen Kommunikationsraum käme beim Familiennamen Warschkow zu- gleich noch hinzu, dass dort Toponyme mit Endelement -kow vom Typ Beeskow absolut vertraut und alltäglich sind (ZIKMUND 1970: 113f.), also keineswegs als fremd empfunden oder beurteilt werden. Das Beispiel zeigt, dass in Abhängigkeit vom jeweiligen deutschen Sprachraum durchaus voneinander abweichende bzw. sogar ganz unterschiedliche Bewertungen hinsichtlich fremd getroffen werden können. Diese Unterschiedlichkeit ist erst recht bei weit auseinander liegenden Sprachräumen zu bedenken, also bei Vergleichen zwischen solchen in Deutsch- land gegenüber Österreich oder der Schweiz. Sicherlich erfordert es schon einiges Umdenken oder auch Weiterdenken, um gerade einen solchen ON wie Warschau als einen synchron gesehen deutschen Namen und keineswegs Fremdnamen zu akzeptieren. Dazu noch ein Beispiel zum Vergleich. Die Pianistin Olga Schöps trägt zweifelsohne einen deutschen Famili- ennamen. Das Appellativum Schöps ist im deutschen Sprachraum heute weit ver- breitet und gut bekannt. Die Ausgangsform ist mit höchster Wahrscheinlichkeit eine späturslawische Form *skopьcь gewesen. Diese wurde spätestens zum Aus- gang des 10. Jahrhunderts ins Althochdeutsche übernommen etwa als *ṡkopitsi. Lautgesetzlich machte diese Form die deutsche Entwicklung von ṡk < š [sch] um die Mitte des 11. Jahrhunderts mit (vgl. sconi > schön). Und auch der Umlaut von o > ö ist durch -i- in der Folgesilbe im Lexem Schöps erklärbar. Die weitere Ent- wicklung in mittelhochdeutscher Zeit führte zur Senkung des -i > -e im Auslaut bzw. letztlich zu dessen völligem Verlust. Ebenso schwand der helle Vokal in der nachtonigen Silbe. Historische Belege wie 1371 schepcze (in Görlitz) und 1442 scheps (in Leipzig) bestätigen diese Entwicklung (EICHLER 1965: 121). Sie zeigen zugleich auch die mundartliche Entrundung von ö > e. Sowohl das Appellativum Schöps als auch das Onym Schöps gelten angesichts einer rund 1000jährigen Ge- 36 Karlheinz Hengst schichte im Deutschen verständlicherweise längst als ganz und gar deutsch und keineswegs etwa als fremd. Die Entlehnung und letztlich fremde Herkunft weist einzig und allein erst bzw. nur die diachrone Betrachtung aus. Und folglich ist auch ein ON mit völlig eingedeutschter Sprachform wie Warschau oder Preßburg – synchron betrachtet – eben genauso deutsch wie Schöps. Somit darf in einem Onym wie Warschkow das Basismorphem auch als im deutschen onymischen System bereits vorhanden und damit „stützend“ bei der Beurteilung der Frage, ob fremd, mit in Betracht gezogen werden.

14.2. Familiennamen mit zunächst weniger eindeutiger Fremdheit

Es gibt Familiennamen mit weniger fremd wirkendem Erscheinungsbild und einer nicht so eindeutigen Xenophänie wie in der vorangehenden Gruppe. Hierher gehört der schon genannte Familienname einer deutschen Lehrerin namens Elisabeth Tuider [twīdɔr] (aus dem Fernsehprogramm vom 8. Juni 2015). Die synchrone Betrachtung ergab bereits die hier nur kurz zu wiederho- lende Erkenntnis, dass das Onym zwar als durchaus regulär gebildet erscheint, aber auf Grund (a) der fremden Phonotaktik sowie auch (b) fremden Gra- photaktik ein Xenonym ist. Hierher gehört sicher auch ein Familienname wie Achim Awißus. Das trifft auch zu auf den Familiennamen des Klavierspielers Julian Ptaszek – trotz des Anklangs an Familiennamen wie deutsch Scheck oder solche auf -beck bzw. -eck. Formelhaft lässt sich diese Beobachtung in etwa so fassen:

xenophän endogen irregulär Xenonym = M1 ˄ M2 wobei xenophän = (mo˄ph˄gr) Als eine Variante dazu lassen sich die folgenden Familiennamen ansehen: Christian Mathea, Christian Tomuschat und Marga Wettley. Sie lassen sich im Erstelement an vertraute deutsche Morpheme anschließen, Mathea bei Segmen- tierung Math-ea z.B. an Math- in Mathilde, andererseits bei Ma-thea dann im Zweitelement an Thea. Bezieht man noch weitere mit ein wie Lilli Banasch, An- gela Dölkner, Irene Zucher, wird wieder eine gewisse Unsicherheit spürbar, was am ehesten mit der schon erwähnten Frage von Peripherie und Zentrum zwi- schen fremd und nicht fremd in Verbindung zu sehen ist. Folglich formelhaft:

endogen xenophän Xenonym = [(M1 ˅ M2) ˄ (M2 ˅ M 2) ]

14.3. Eine nähere Betrachtung erfordern noch Familiennamen wie in den Ver- bindungen Elmar Giemulla, Gregor Gysi oder Alexander Kluy und Ulrich Taddy sowie Silvia Bovenschen und Britta Taddiken: Was sind fremde Namen? 37

Sie bieten zunächst einen Anklang – an deutsche Familiennamen–Morpheme wie –a in Thoma – oder -i bzw. -y in Pauli/ -ly – oder -en wie bei Karsten. Dennoch sind diese Familiennamen beim Lesen sofort „augenfällig“. Sie wirken auch „gehört“ als fremd. Sie verfügen nur scheinbar über onymisch vertraute Wortbildungsmorpheme. Dieser Anschein beruht auf zufälliger Homophonie sowie Homographie mit Eigennamen-Elementen. Diese Endelemente in Verbindung mit vorangehenden absolut unbekannten Morphemen als Basiselementen entfernen diese Familiennamen keinesfalls von den Xenonymen. Damit wird erkennbar: Das Basiselement oder Basismorphem besitzt eben doch besonderes Gewicht bei der Beurteilung eines Familiennamens im Deutschen.

xenophän regulär irregulär Xenonym = M1 ˄ M2 wobei xenophän = (mo ˄ gr)

14.4. Betrachten wir noch einige Familiennamen mit vokalischem Auslaut:

Die eben unter 13.3 gemachte Beobachtung trifft auch generell zu auf Fami- liennamen mit vokalischem Auslaut auf -a, -i, -o oder -u nach Konsonant12 wie Kupka, Dohnani, Adorno, Staicu. Sie sind gar nicht so selten, vgl. Gisela Dyrna13, Elias Canetti, Thomas Schwui, (deutscher Sportler) Jan Fordeno, Horstrolf Sto- dola, Katja Streso. Eine Ausnahme machen da nur Familiennamen aus deutschen Rufnamen (Typ Eggli, Petri, Otto). Kurz gefasst ausdrückbar mit der Formel:

Xenonym = MAuslaut Kons ˄˅˅˅ /a/ /i/ /o/ /u/ wenn M = Basiselementkein RufN Diese letzten beiden Gruppen von angeführten Familiennamen machen noch- mals ein Kriterium ganz besonders deutlich und gut ablesbar: Die Morphematik hat besonderes Gewicht, sozusagen das Primat. Das bestätigen auch folgende Beispiele, bei denen sich auf Grund ihrer etymologisch eindeutig fremden Her- kunft die Relevanz der Morphematik gut beobachten lässt:

–––––––— 12 Es gibt aber auch Vokal nach Vokal im Auslaut wie z.B. Ewald Tuscai. 13 Zu beachten sind sicher auch Grenzfälle wie bei Jens Riewa – ein Familienname mit einem Erstelement Rie-, das im onymischen Bereich des Deutschen mehrfach wie- derkehrt. 38 Karlheinz Hengst

– Onyme wie Damaschke, Paschke, Peschke14, Navrath15 und Platzek sind als exogene Onyme in Gestalt von Lehnnamen bereits so weit ins Deut- sche integriert, dass sie nicht mehr als auffallend xenophän erscheinen. – Das gilt auch für Namen wie Martinek und Paulisch als slawische Bil- dungen von einem deutschen Onym. Diese Familiennamen von Damaschke bis Paulisch sind zwar historisch alle zu den Fremdnamen (= exogenen Onymen) gehörig. Aber synchron sind es keine auffallend fremden Namen, keine Xenonyme. Sie stehen aber wohl noch an der Peripherie zu den Xenonymen. Hingegen ist im Unterschied z.B. zu Navrath der Familienname Navratil ein Xenonym – trotz gleicher Etymologie und Herkunft aus dem Tschechischen.

15. Was ist zusammenfassend als Ergebnis zu konstatieren?

Entscheidendes Kriterium zur Bestimmung von Xenonymie ist die Struktur des jeweiligen Onyms im Vergleich zum einheimischen Sprachsystem. – An erster Stelle erfolgt die Zuordnung eines Onyms zu den Xenonymen auf Grund fehlender morphematischer oder lexikalischer Verankerung in der Sprache. – An zweiter Stelle treten phonotaktische Irregularität und an dritter Stelle auch graphotaktische Irregularität als Kriterien hinzu. Die hier an zweiter und dritter Stelle genannten Indikatoren sind austauschbar, je nachdem, ob ein Onym zuerst als Lautbild (gehört) oder zuerst mit dem Schriftbild (geschrieben) in der Kommunikation begegnet. Bei der synchronen Analyse von Onymen spielt also die Frage nach der Etymo- logie des Onyms keine Rolle. Formelhaft lässt sich das erzielte Ergebnis noch weiter verdichten. Xenonyme sind demnach folgendermaßen markiert, wenn man sie in Basiselement(e) und Endelement jeweils gliedert:

–––––––— 14 Das auslautende -ke (historisch < -ka) zeigt bereits die Anpassung an deutsche Fami- liennamen wie Mahnke, Schwanke usw. 15 Die Phonemfolge /fr/ im Wortinneren ist zwar nicht häufig, aber im Deutschen möglich, vgl. dazu im Familiennamen ebenfalls an der Morphemgrenze Schaffrath sowie die appellativische Bildung Scharfrichter. Da das Lautbild primär ist, ist allein die graphematische Abweichung nicht ausreichend für die Einordnung als Xenonym. Was sind fremde Namen? 39

irr 1. [BE ˄ EE](mo ˄˅ ph ˄˅ gr) Brissaud, Strnad irr 2. BE(mo ˄ ph ˄ gr) ˄ EEreg Tuider, Ptaszek irr 3. BE(mo ˄ gr) ˄ EEreg Taddy, Thaddiken

4. BEEndkons ˄ EE/a/ ˅ /i/ ˅ /o/ ˅ /u/ Kupka, Adorno BE = Basiselement(e) reg = regulär irreg = irreguär Endkons = mit Endkonsonant EE = Endelement mo = morphematisch ph / gr = phono- / graphotaktisch ˄ = und ˅ = oder ˄˅ = und bzw. oder auch Die Struktur-Formeln machen die Ergebnisse leichter überschaubar. Es ist ohne Beachtung von Familiengeschichte, Zuwanderung usw. versucht worden, strikt nur die synchrone Sicht walten zu lassen. Sie erfassen die wesentlichen Krite- rien, und sie lassen sich an neuem Material erproben, verifizieren oder präzisie- ren und auch erweitern. Die hier gebotenen Ausführungen sind nur ein erster Versuch und vielleicht zugleich auch ein Anstoß zu weiteren Beobachtungen sowie Untersuchungen in dem Bemühen, Indikatoren zur Unterscheidung von endogenen und exogenen Onymen in den einzelnen Namenklassen innerhalb des Deutschen zu ermitteln. Keinesfalls, und das sei besonders nachdrücklich betont, soll ein Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhoben werden. An mehre- ren Stellen im vorangehenden Text ist schon darauf verwiesen worden, dass die Beurteilung von Xenophänie und folglich auch lokal ganz unterschiedlich aus- fallen kann und immer auch von subjektiven Faktoren abhängig sein wird.

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Rolf Bergmann Einige Problemfälle römischer Ortsnamen in Bayern

1. Einleitung Für die Bewohner der römischen Provinz Raetia waren die von ihnen ver- wendeten Ortsnamen natürlich keine fremden Namen. Erst nach dem Ende der römischen Herrschaft waren für eine dann germanischsprachige Bevölkerung die hier vorgefundenen Namen sprachlich fremd. Welche dieser Namen sie mit welchen sprachlichen Veränderungen übernahm, ist Gegenstand der Frage nach den römischen Ortsnamen in Bayern. Aufgrund der Forschungslage ist es nicht einfach, einen Überblick über diese Namen und ihre historischen Veränderungen zu gewinnen. Eine gründliche und umfassende Monographie fehlt nämlich bisher, und in der umfangreichen Einzelliteratur1 sowie den klein- und großräumigen Namenbüchern2 stößt man auf nicht gerade wenige ungelöste oder strittige Probleme, darunter auch einige, die bisher gar nicht als solche erkannt worden sind. In einer solchen Situation kommt man leicht in die Gefahr, sich in Einzel- problemen zu verzetteln und sie mit einer gewissen Beliebigkeit auszuwählen. Um dieser Gefahr zu entgehen, soll hier versucht werden, die Problematik der römischen Ortsnamen in Bayern etwas zu strukturieren und mit Hilfe einer Reihe von Kriterien eine gewisse Falltypisierung zu erreichen. Im ersten Teil dieses Artikels werden diese Kriterien vorgestellt, im zweiten Teil sollen dann Typen von Problemfällen gebildet und ihnen konkrete Einzelfälle zugeordnet werden. Ich verbinde damit die Hoffnung, dass die weitere Forschung die Krite- rien und Falltypen als Anregung aufnimmt und bestimmte Problematiken nicht weiter ausblendet oder ignoriert.

–––––––— 1 Vgl. etwa SCHWARZ 1970, v.REITZENSTEIN 1999, RETTNER 2002, RETTNER 2004, GREULE 2005, HAUBRICHS 2006, SCHORR 2014. 2 Neben dem DONB sind hier die drei bayerischen Namenbücher von V. REITZEN- STEIN zu nennen: v.REITZENSTEIN 2006, 2009, 2013. Auf die einschlägigen Bände des HONB wird jeweils an den einzelnen Stellen hingewiesen. 42 Rolf Bergmann

2. Kriterienkatalog 2.1. Zusammenhang zwischen antikem und heutigem Namen Ausgangspunkt aller Beschäftigung mit dem Thema der römischen Ortsnamen in Bayern ist der Zusammenhang zwischen einem antiken und einem heutigen Na- men (Kriterium 1). Dabei kann dieser Zusammenhang evident oder verdunkelt sein, in jedem Fall muss er aber sprachlicher Natur sein. Die Namenforschung ist Teil der Sprachwissenschaft und muss mit ihren Methoden diese Namenkon- tinuität beweisen und im Einzelnen erklären. Identifizierungen antiker Namen mit heutigen Orten aufgrund archäologischer oder historiographischer Quellen können als Ausgangspunkt hilfreich sein, die onomastische Analyse aber nicht er- setzen. Dies muss vorab in aller Deutlichkeit gesagt werden, weil in der For- schungsliteratur derartige reine Identifikationsangaben in Einzelform oder als ganze Listen3 verbreitet sind. Wenn kein Zusammenhang eines heutigen Namens mit einem antiken Na- men angenommen wird, ist der Name für das hier behandelte Thema offen- sichtlich irrelevant. Dennoch kann der Fall in einem weiteren Sinne für die Ge- samtthematik von Interesse sein. So gibt es archäologisch nachgewiesene römi- sche Siedlungen, deren heutige Namen nicht in Kontinuität zu antiken Namen stehen. Diesen Fall repräsentiert das Beispiel Weißenburg: Der hier archäologisch breit dokumentierten römischen Siedlung wird der antik überlieferte Name Biri- cianis zugeordnet, mit dem der heutige Name Weißenburg aber offenkundig nicht in sprachlicher Kontinuität steht.4 Ein zweiter Fall lässt sich am Beispiel Böhming (Markt Kipfenberg, Landkreis Eichstätt) veranschaulichen. Dem hier ergrabenen Kastell lässt sich kein antik überlieferter Name zuordnen, und der heutige Name wird auch nicht auf eine erschlossene römische Namenform zurückgeführt.5 Bei- de Fälle sind aber in Kontext einer historischen Fragestellung nach den Ortsna- men der Provinz Raetien sehr wohl von Interesse, und der Fall der Nichtkontinui- tät zwischen einem überlieferten antiken Namen wie Biricianis und dem heutigen Namen Weißenburg ist natürlich für die Thematik der Kontinuität insgesamt re- levant. Im Mittelpunkt des Interesses der Namenforschung stehen aber die Na- men, bei denen ein Zusammenhang eines heutigen Namens mit einem antiken

–––––––— 3 Zum Beispiel RETTNER 2004: 282–285 4 CZYSZ et al. 2005: 534–536. – STRASSNER 1966: Nr. 218; v.REITZENSTEIN 2009: 238f.; GREULE 2007: 418. 5 CZYSZ et al. 2005: 429. Einige Problemfälle römischer Ortsnamen in Bayern 43

Namen angenommen wird. Hier sind aber zwei sehr verschiedene Fälle deutlich zu unterscheiden.

2.2. Antike Namenüberlieferung

Kriterium 2 ist die Frage, ob ein antiker Name überliefert ist. Wenn ein antiker Name überliefert ist, wie im Fall Cambodunum/Kempten (s. unten Abschnitt 3.1.), bildet diese Überlieferung den Ausgangspunkt für die Überprüfung der weiteren Kriterien K 3 bis K 6. Wenn kein antiker Name überliefert ist, wie im Fall Pforzen (s. unten Abschnitt 3.2.), bleibt nur die Möglichkeit der Rekons- truktion einer antiken Vorstufe von der heutigen Form aus. Die Kriterien K 4 und 6 sind dann in diesem Rekonstruktionszusammenhang zu prüfen, K 3 und 5 ergeben sich aus der Rekonstruktion von selbst.

2.3. Geographische Identifizierung

Wenn ein antiker Name überliefert ist, ist zu prüfen, ob der römische Ort eindeu- tig mit dem heutigen identifiziert ist oder ob die Identifizierung strittig ist (Krite- rium K 3). Wenn kein antiker Name überliefert ist und von einem heutigen Na- men aus ein antiker Name rekonstruiert wird, entfällt Kriterium K 3.

2.4. Lautgesetzliche Ableitbarkeit Wenn ein antiker Name überliefert ist, ist zu prüfen, ob die heutige Ortsnamen- form, insbesondere die mundartliche Form, sprachwissenschaftlich einwandfrei von der überlieferten antiken Form ableitbar ist oder nicht (Kriterium K 4). Von besonderer Bedeutung ist bei den lautgesetzlichen Herleitungen die 2. Lautver- schiebung, denn es ist aufgrund der historischen und der sprachlichen Chrono- logie davon auszugehen, dass die vorgermanischen Ortsnamen erst nach ihrer Übernahme durch germanische Sprecher die entsprechenden Veränderungen durch die dann wirkende Lautverschiebung erfuhren. Ausnahmen von der Lautverschiebung im Sinne eines Nichteintretens sind nicht ausgeschlossen, be- dürfen aber in jedem Fall einer plausiblen chronologischen Erklärung. Aber auch sonst sollte alles offengelegt werden, was an der Ableitung des Namens lautgesetzlich unstimmig ist und bleibt. Wenn kein antiker Name überliefert ist, bleibt nur die Möglichkeit der Re- konstruktion einer antiken Vorstufe von der heutigen Form aus. Auch dabei müssen die Lautgesetze beachtet werden, auch in diesem Fall müssen alle Prob- leme oder Unklarheiten offengelegt werden. 44 Rolf Bergmann

2.5. Etymologie und sprachliche Zugehörigkeit

Wenn ein antiker Name überliefert ist, stellt sich weiter die Frage, ob dieser Na- me sprachlich bestimmbar, analysierbar und etymologisierbar sind oder nicht (Kriterium K 5). Ist also der Name eindeutig keltisch oder lateinisch oder muss die Sprache offen bleiben, lässt sich eine Bildungsweise erkennen und der Name als Suffixbildung oder als Kompositum analysieren, sind die erkennbaren Grundmorpheme etymologisch fassbar oder bleibt das alles mehr oder weniger unbestimmbar? Bei der Rekonstruktion eines antiken Namens erfolgt diese oh- nehin im Rahmen einer Vorannahme über die sprachliche Zugehörigkeit.

2.6. Archäologischer Nachweis

Für alle Fälle ist die Frage zu stellen, ob am heutigen Ort eines als römisch ein- geschätzten Namens eine römische Siedlung archäologisch nachgewiesen ist oder nicht (Kriterium K 6). Dabei kann der archäologische Befund keinen sprachlichen Befund ersetzen, wie der Fall Biricianis/Weißenburg gezeigt hat. Im Fall von Na- menkontinuität zwischen antikem und heutigem Namen wie bei Kempten kommt aber zu der sprachwissenschaftlich festgestellten Namenkontinuität der archäolo- gische Befund hinzu, der über Siedlungsart, -dauer und -größe Auskunft geben kann. Es ist aber auch ein Fall denkbar, bei dem antiker und heutiger Name sprachlich sicher zusammenhängen, ohne dass archäologische Befunde gegeben sind. Ihr Fehlen könnte den sprachlichen Zusammenhang natürlich nicht wider- legen, denn es bedeutet ja nur, dass noch nicht gegraben wurde oder auch sonst keine Funde zum Vorschein gekommen sind. Für den Fall eines als Vorstufe re- konstruierten antiken Namens wie Pforzen gilt prinzipiell dasselbe: Das Fehlen ar- chäologischer Funde tangiert die sprachwissenschaftliche Rekonstruktion der la- teinischen Vorstufe des Namens nicht; allerdings stützt das Vorliegen römischer Funde wie im Fall -pfunzen (s. unten Abschnitt 3.3.) die Plausibilität der Rekon- struktion eines römischen Namens durch außersprachliche Argumente, während bei ihrem Fehlen die Möglichkeit einer jüngeren Namenbildung mit einem in den Wortschatz entlehnten Element nicht ausgeschlossen werden kann.

2.7. Kriterienhierarchie

Die Hierarchie der Kriterien lässt sich von oben nach unten in einer Tabelle darstellen:

Einige Problemfälle römischer Ortsnamen in Bayern 45

K 1 heutiger Name in Kontinuität zu antikem heutiger Name einer ar- Namen chäologisch nachgewiese- nen römischen Siedlung nicht in Kontinuität zu überliefertem oder nicht überliefertem antiken Na- men (z.B. Biricianis / Wei- ßenburg, Böhming) K 2 antike Namenüber- antike Namenüberlie- lieferung vorhanden ferung nicht vorhan- den K 3 geographische Iden- tifizierung gesichert oder strittig K 4 lautgesetzliche Ab- lautgesetzliche Rekon- leitbarkeit gesichert struierbarkeit gesichert oder problematisch oder problematisch K 5 Etymologie und sprachliche Zugehö- rigkeit des antiken Namens sicher oder strittig K 6 archäologischer archäologischer Nachweis vorhan- Nachweis vorhanden den oder nicht vor- oder nicht vorhanden handen

2.8. Außeronomastische Herangehensweise Wenn man von den archäologischen oder historiographischen Befunden ausgeht, kommt man nur sekundär in die onomastischen Zusammenhänge. Archäologisch nachgewiesene römische Siedlungen haben nicht zwingend auch einen Namen. Inschriftliche Namenüberlieferung am Ausgrabungsort kommt zwar vor, wie im Fall des Kastells Sablonetum bei Ellingen6, ist aber nicht die Regel. Die in antiken Schriftquellen überlieferten römischen Namen müssen aber auch erst einmal mit heutigen Orten identifiziert werden. Es liegt an der Eigenart der antiken Quellen7, –––––––— 6 CZYSZ et al. 2005: 436–439. 7 Zur Tabula Peutingeriana vgl. WEBER 2005: 260–262, zum Itinerarium Antonini vgl. WOLTERS 2000: 599–601, zur Notitia Dignitatum vgl. SPRINGER 2002: 430–432, jeweils mit weiterer Literatur. 46 Rolf Bergmann insbesondere der Straßenverzeichnisse und Straßenkarten, dass nicht wenige an- tike Ortsnamen nur unsicher identifiziert werden können und dementsprechend manche Identifizierungen auch strittig sind. Auch wenn dann ein antiker Name einem archäologischen Fundort zugewiesen werden kann, besteht nicht not- wendig ein Zusammenhang mit dem heutigen Namen. Es bleiben in jedem Fall namenlose Fundorte, unidentifizierte schriftlich überlieferte Namen und römi- sche Siedlungen mit antiken Namen ohne heutige Fortsetzer. Im Folgenden sollen bestimmte, in der Forschung erkennbare Namen- probleme vor dem Hintergrund dieser Kriterienhierachie besprochen werden. Die Merkmalkombinationen und Falltypen dienen also der Einordnung be- stimmter Problemfälle. Als Ausgangspunkt wählen wir aber den Fall, dass alle angesprochenen Kriterien positiv erfüllt sind; dieser ideale Typ bildet dann ge- wissermaßen die Folie für die Problemfälle.

3. Falltypen 3.1. Unproblematische Fälle: Kempten und Passau K 1 Namenkontinuität + K 2 Antike Namenüberlieferung + K 3 Geographische Identifizierung + K 4 Lautgesetzliche Ableitbarkeit + K 5 Etymologie + K 6 Archäologischer Nachweis +

Erfreulicherweise gibt es trotz aller Probleme auch Fälle, bei denen alle Kriterien positiv erfüllt sind. So sind etwa in Kempten und in Passau römische Siedlungen über Jahrhunderte nachgewiesen8; die antiken Ortsnamen Cambodunum und Batavis sind gut bezeugt und sie sind sicher mit den heutigen Orten identi- fiziert.9 Die heutigen Namenformen lassen sich lautgesetzlich einwandfrei auf die antiken zurückführen, wobei auch die 2. Lautverschiebung erwartungs- gemäß durchgeführt ist, insofern vorgerm. b und d als p und t erscheinen und postvokalisches t zu ss verschoben wurde (Passau, Kempten). Auch für den Um- laut in Kempten wird durch die spätantike und frühmittelalterliche Namenvari- ante Cambidunum der auslösende Faktor des i in der Nebensilbe belegt, und in Passau aus Batava ist nachvollziehbar das deutsche Substantiv Au als Zweitglied –––––––— 8 CZYSZ et al. 2005: 462–468; 494–498. 9 v.REITZENSTEIN 2013: 202f.; v.REITZENSTEIN 2006: 204f. Einige Problemfälle römischer Ortsnamen in Bayern 47 eingedeutet worden. Die antiken Namen sind auch sprachlich problemlos be- stimmbar, so Cambodunum als keltisches Kompositum, während Batavis als la- teinisch flektierter germanischer Stammesname gilt. Diese Herleitung wurde freilich schon von VENNEMANN (1993: 458 Anm. 112) aus sprachwissenschaftlichen Gründen bezweifelt; inzwischen fehlt ihr aber auch die historische Basis: „Der archäologische Befund sowie topographische Überlegungen erlauben es inzwischen kaum mehr, von einer Stationierung der cohors IX Batavorum milliaria equitata in Passau auszugehen.“ (CZYSZ et al. 2005: 495). Gesichert ist lediglich, dass die römische Siedlung im Gebiet der spä- teren Passauer Altstadt in spätrömischer Zeit Batavis hieß, wovon der heutige Name hergeleitet werden kann. Kriterium 5 wäre demnach für Passau proble- matisch. So ist also selbst einer der beiden hier als unproblematisch vorgestell- ten Fälle nicht ohne Probleme, und man wird auch ohne die noch fehlende Ge- samtdarstellung sagen können, dass es überhaupt nicht so sehr viele wirklich problemlose Fälle unter den römischen Ortsnamen in Bayern gibt.

3.2. Fehlende antike Überlieferung: Pforzen K 1 Namenkontinuität + K 2 Antike Namenüberlieferung - K 3 Geographische Identifizierung K 4 Lautgesetzliche Rekonstruierbarkeit + K 5 Etymologie K 6 Archäologischer Nachweis -

Dem Namen der Gemeinde Pforzen im schwäbischen Landkreis Ostallgäu, nördlich von Kaufbeuren an der Wertach gelegen, kann kein antiker Namen- beleg zugeordnet werden. So bleibt als Ansatzpunkt für eine lateinische Etymo- logie nur die mittelalterliche Belegreihe10: 897 Forzheim (or.), ab 12. Jh. Phorzheim, Phorzhaim, 1472 erstmals Pforzen.

Das deutsche Grundwort -heim, das später abgeschwächt wird, verbindet sich mit einem auf lat. port- zurückgeführten Bestimmungswort, das bei v.REITZENSTEIN (2013: 309) zu portus „‘Hafen’, im Sinn von ‘Anlegestelle für eine Fähre’“ gestellt wird und demnach eine Siedlung an einer Überfahrtsstelle über die Wertach be- zeichnen kann. Aus dem Bestimmungswort pforz-, das nach DERTSCH (1960: 64)

–––––––— 10 v.REITZENSTEIN 2013: 309. 48 Rolf Bergmann auch im Dialekt anlautende und postkonsonantische Affrikata hat, wird lautge- setzlich korrekt port- rekonstruiert; in Pforz- sind anlautendes p und postkonso- nantisches t verschoben. Der älteste Beleg irritiert zunächst etwas mit seiner blo- ßen f-Schreibung, die aber im alemannischen Althochdeutsch anlautend domi- niert.11 Insgesamt ist der Name Pforzen ein typisches Beispiel für den nicht ganz seltenen Fall einer korrekten lautgesetzlichen Zurückführung und einleuchten- den etymologischen Identifizierung ohne belegte antike Anknüpfungsmöglich- keit. Es fehlen in diesem Fall auch römische Siedlungsspuren, da nur einerseits bronzezeitliche Gräber12 und andererseits eine silberne Gürtelschnalle mit Ru- neninschrift aus dem späten 6. Jahrhundert gefunden worden sind.13 Aussagen wie „Pforzen liegt an der Altstraße, die bei Schlingen die Römerstraße Augs- burg-Kempten verließ.“ (DERTSCH 1960: 64) bleiben sehr unbestimmt und wer- den nicht durch Quellenangaben gestützt. Für diesen Fall kommt nun noch eine weitere Schwierigkeit hinzu. Wenn kei- ne antike Siedlung nachgewiesen ist und auch kein antiker Name belegt ist, be- weist auch die plausible lateinische Etymologie noch nicht ohne weiteres ein anti- kes Alter des Namens, denn es muss auch mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass ein lateinisches Wort als appellativisches Lehnwort im Alt- und Mittelhoch- deutschen vorhanden war und erst später für die Namengebung benutzt wurde; das klassische Beispiel für diesen Fall sind die Namen auf -weil, -weiler aus lat. vil- la, villare, (DONB 2012: 675f. mit Literatur), ahd. wīlāri (SchG 2004: XI, 138).

3.3. Strittige Zuordnung antiker Überlieferung: -Pfunzen K 1 Namenkontinuität + K 2 Antike Namenüberlieferung ? K 3 Geographische Identifizierung ? K 4 Lautgesetzliche Ableitbarkeit + K 5 Etymologie + K 6 Archäologischer Nachweis +

Das zweimal im Umkreis von Rosenheim vorkommende Ortsnamenele- ment -pfunzen wird mit der antiken Bezeichnung Pons Aeni verbunden; es kann jedoch nicht einfach heutiges -pfunzen mit Pons Aeni verknüpft werden,14 viel- –––––––— 11 BRAUNE / REIFFENSTEIN 2004: § 131 Anm. 4. 12 https://de.wikipedia.org/wiki/Pforzen (28. 12. 2015). 13 BABUCKE / DÜWEL (2003): 114–118. 14 So EICHINGER / HINDERLING 1981: 374. Einige Problemfälle römischer Ortsnamen in Bayern 49 mehr wird der heutige Namenbestandteil -pfunzen lautgeschichtlich korrekt – insbesondere mit Verschiebung von anlautendem p und postkonsonantischem t – auf eine romanische Form pontena ‘Fähre’ als Weiterbildung zu lat. pons, pon- tis zurückgeführt.15 Im nördlichen Umkreis von Rosenheim liegt Langenpfun- zen, heute Teil der Stadt Rosenheim, und ziemlich genau gegenüber liegt rechts vom Inn Leonhardspfunzen, heute ein Ortsteil der Gemeinde Stephanskirchen im Landkreis Rosenheim. Im Süden von Rosenheim sind im heutigen Stadtteil Westerndorf römische Töpfereien und im Norden im heutigen Pfaffenhofen am Inn andere Siedlungen nachgewiesen; auch Spuren einer römischen Innbrücke wurden gefunden. Die Siedlung am Innübergang wird mit Pons Aeni der Peu- tingerschen Tafel und des Itinerarium Antonini identifiziert.16 So könnten demnach alle Kriterien als positiv erfüllt erscheinen, wenn es nicht ein Problem mit Kriterium 3, der Identifizierung des antiken Namens Pons Aeni gäbe. Im Jahre 1976 hat Artur ADAM in den BNF unter dem Titel ‘Römische Rei- sewege und Stationsnamen im südöstlichen Deutschland’ die Bayern betreffen- den Angaben der Peutingerschen Tafel und des Itinerarium Antonini im Zu- sammenhang ausführlich analysiert, wobei die Betonung auf Zusammenhang liegt. Er hat also nicht punktuell einzelne antike Namen dieser Quellen heutigen Orten zugeordnet, sondern er hat jeweils den gesamten Straßenverlauf mit Sta- tionsnamen und Entfernungsangaben betrachtet. Und bei dieser Betrachtungs- weise lokalisiert ADAM die Innbrücke der Straße von Salzburg nach Augsburg, also das antike Pons Aeni, 30 km weiter nördlich bei Wasserburg am Inn. Wenn man dieses Ergebnis ADAMs erst einmal so akzeptiert, können die beiden Pfun- zen-Namen bei Rosenheim nicht mehr in den Zusammenhang mit antikem Pons Aeni gestellt werden; sie können aber natürlich weiter auf rekonstruiertes lat. pontena zurückgeführt werden, was weiterhin durch die archäologischen Gegebenheiten zusätzlich gestützt wird. Es läge derselbe Fall wie bei Pforzen vor, hier jedoch mit zusätzlicher Erfüllung des Kriteriums 6 (archäologischer Nachweis). Der Fall führt aber auf ein grundsätzliches Forschungsdefizit, insofern die einschlägige Literatur zu den Römerstraßen in Bayern (BENDER 1978, WALSER 1983, WINKLER 1985, sowie ‘Mann und Roß und Wagen’ 1986) den Artikel von ADAM 1976 übergeht, so dass die Namenforschung sich hier etwas allein gelas-

–––––––— 15 V. REITZENSTEIN 2006: 154. – Das bei EICHINGER/HINDERLING 1981: 374 genannte ahd. phunzina ist zwar lautgeschichtlich richtig aus pontena abgeleitet, jedoch nicht belegt. 16 CZYSZ et al. 2005: 498 (Pfaffenhofen am Inn). 50 Rolf Bergmann sen sieht: Haben die Archäologen und Historiker den Artikel übersehen oder ignorieren sie ihn als völlig abwegig? Da ADAM durchgehend mit den Gesamt- verläufen der Straßen nach der Tabula und dem Itinerarium argumentiert, ist natürlich nicht nur der Einzelfall Pons Aeni betroffen; vgl. zu weiteren Fällen den folgenden Abschnitt.

3.4. Lautgesetzliche Unstimmigkeiten: Parten (-kirchen), Penzberg, Pretzen K 1 Namenkontinuität + K 2 Antike Namenüberlieferung + K 3 Geographische Identifizierung ? K 4 Lautgesetzliche Ableitbarkeit ? K 5 Etymologie ? K 6 Archäologischer Nachweis -

Das Erstelement Parten- in Partenkirchen wird plausibel mit der im Itinerarium Antonini bezeugten Straßenstation Partano identifiziert, obwohl eindeutige rö- mische archäologische Zeugnisse fehlen. Die Etymologie dieses Namens ist hef- tig umstritten.17 Er wird in diesem Abschnitt aber wegen Kriterium 4, einer Ab- weichung von der lautgesetzlichen Ableitbarkeit durch die Nichtdurchführung der 2. Lautverschiebung besprochen. Sie wird mit einer erst nach dem zeitlichen Abschluss der 2. Lautverschiebung ab dem 8. Jahrhundert erfolgten Übernahme des Namens durch deutsche Sprecher von romanischen Sprechern erklärt. Da- mit das aber keine isolierte ad-hoc-Annahme bleibt, ist der Nachweis der länge- ren Fortexistenz einer romanischen Bevölkerungsinsel in dem betreffenden Ge- biet zu fordern, wie ihn SCHWARZ (1970: 915) mit dem Hinweis auf den Namen des Ortes Wallgau, östlich von Garmisch-Partenkirchen an der Isar, ansatzweise geliefert hat. Im Bestimmungswort dieses Namens steckt das Romanen bezeich- nende Wort walch.18 Es gibt allerdings auch Fälle, in den die lautgesetzlichen Unstimmigkeiten nicht behoben werden können. So schreibt ADAM (1976: 20) in der schon er- wähnten Untersuchung der Straßenverzeichnisse: „Die zutreffende Meilenzahl und die besondere Verkehrslage der Örtlichkeit lassen es als sicher erscheinen, dass die Itinerarstation Ad pontes Tessenios bei Penzberg anzusetzen ist. Es muß –––––––— 17 Vgl. zuletzt STEIN-MEINTKER 2000: 105–111 mit der vorgängigen Literatur; V. REITZENSTEIN 2013: 93. 18 Dazu HAUBRICHS 2006: 435; HAUBRICHS/PFISTER 2014: 238; JOCHUM-GODGLÜCK 2014: 198, 202. Einige Problemfälle römischer Ortsnamen in Bayern 51 dahingestellt bleiben, ob der Name Penzberg darüber hinaus möglicherweise die alte Bezeichnung pontes bewahrt, da urkundliche Belege, die eine entsprechende lautliche Entwicklung des Namens (teilweise unterbliebene Lautverschiebung?) beweisen könnten, noch fehlen.“ Dazu ist zu sagen, dass eine beim p unter- bliebene, beim t aber durchgeführte Lautverschiebung im Bairischen eine äu- ßerst unwahrscheinliche Konstruktion ist. Die Etymologie des Namens ist zwar durchaus umstritten, an lat. pont- denkt aber niemand.19 Die Formulierung von A. ADAM „Es muß dahingestellt bleiben, ob ...“ ist also mit Recht sehr vorsichtig. Das kann man bei einem weiteren Fall leider nicht sagen. Der Name Bratananio der Peutingerschen Tafel wird von ADAM (1976: 13) mit Pretzen, heute Teil von Erding, identifiziert20 und so erklärt: „Das dop- pelte -an- in Bratananio ist als Dittographie anzusehen, so dass sich als ur- sprüngliche Form des Namens *Bratanio ergibt, woraus sich regelrecht – mit Lautverschiebung und Umlaut – der heutige Name Pretzen entwickelte.“ Das trifft allerdings nicht zu, denn aus dem einfachen intervokalischen -t- hätte nicht die Affrikata -tz- entstehen können, sondern nur der Doppelfrikativ -ss-. EICHINGER/HINDERLING (1981: 374) übernehmen Pretzen kommentarlos als Verschiebungsbeleg, während sie bei Penzberg immerhin noch ein ‘eventuell’ hinzufügen. Im Hinblick auf die Untersuchung von Adam ergibt sich nun die missliche Situation, dass er einerseits im Fall der beiden Pfunzen-Orte eine archäologisch und sprachlich in jeder Hinsicht stimmige Zuordnung zu Pons Aeni aufgrund seiner quellenspezifischen Interpretation als fraglich erscheinen lässt, anderer- seits aber aufgrund derselben Interpretation zu sprachlich sehr problematischen Zuordnungen anderer heutiger Namen zu antiken Namen kommt. Immerhin liegen aber in all diesen Fällen wenigstens antike Namen vor. EICHINGER/HIN- DERLING folgen bei Pretzen (und Penzberg) der Identifizierung der Straßenstati- onen durch ADAM, während sie bei -pfunzen an der von ihm abgelehnten Iden- tifizierung festhalten; das ist aber ein unhaltbares Verfahren, weil ja diese Identi- fizierungen innerhalb des ganzen Straßenverlaufs miteinander zusammenhän- gen. Unabhängig von dieser Problematik des Kriteriums 3 ist aber bei diesen

–––––––— 19 VENNEMANN 1993: 478f.; v.REITZENSTEIN 2013: 207. – WALSER 1983: 36 vermutet Ad pontes Tessenios bei Murnau. 20 CZYSZ et al. 2005: 447f. und Mann und Roß und Wagen 100 identifizieren Bratananium mit der römischen Siedlung beim heutigen Gauting, WALSER 1983: 31 mit der römischen Siedlung südlich von Grünwald; vgl. auch REINECKE 1924: 25f. 52 Rolf Bergmann

Namen ein sehr sorgloser Umgang mit der 2. Lautverschiebung festzustellen, so dass Kriterium 4 jedenfalls nicht erfüllt ist. Methodisch muss hier vor der Gefahr der interdisziplinären Zirkularität ge- warnt werden. Die (durchaus strittige) Identifizierung der Straßenstationen kann nicht über die lautlichen Schwierigkeiten bei der Verknüpfung der antiken und der heutigen Namen hinweghelfen; die (als solche auch nicht unproblema- tischen) Namenverknüpfungen können auch nicht umgekehrt die Identifizie- rungen der Straßenstationen stützen.

3.5. Umstrittene Etymologie: Füssen K 1 Namenkontinuität + K 2 Antike Namenüberlieferung + K 3 Geographische Identifizierung + K 4 Lautgesetzliche Ableitbarkeit + K 5 Etymologie ? K 6 Archäologischer Nachweis +

An der Stelle des heutigen Füssen wird laut dem einschlägigen archäologischen Handbuch (CZYSZ et al. 2005: 447) ein Militärposten der frühen Kaiserzeit ver- mutet und eine mittelkaiserzeitliche Ansiedlung für wahrscheinlich gehalten. Durch Grabungen nachgewiesen ist ein spätrömisches Kastell auf dem Schloss- berg, wo auch Keramik des 2. und 4. Jahrhunderts und drei spätrömische Frau- engräber gefunden wurden. Dieser Siedlung wird der in Rom gefundene Grab- stein des Heraclius, des praepositus militum Fotensium21 zugeordnet und sie wird mit der Angabe in der Notitia Dignitatum identifiziert: Praefectus legionis tertiae Italicae transvectioni specierum deputatae, Foetibus22. Die antike Beleg- reihe wird von Th. STEINER (2005: 50f.) mit den mittelalterlichen Belegen fort- gesetzt, wovon hier nur drei zitiert seien:

–––––––— 21 Czysz et al. 2005: 370 Abb. 99. 22 http://www.thelatinlibrary.com/notitia1.html, Abschnitt XXXV (28.12.2015). Einige Problemfälle römischer Ortsnamen in Bayern 53

23 [Zu ca. 895] (10. Jh.) ad locum qui vocatur Fauces Vita Sancti Magni [1146–1147] Chonrat, abbas de Fozen (Die Traditionen des Stiftes Polling) 1188 de F?zin (Originalurkunde)

Es ergibt sich also insgesamt eine gesicherte antike Siedlung mit einem gesicher- ten antiken Namen, dessen vordeutsche Form *fōtin- problemlos durch die zweite Lautverschiebung ( > *fōzin), die althochdeutsche Diphthongierung ( > fuozin) und den Sekundärumlaut zu der mittelhochdeutschen Form füezen wurde, der auch die mundartliche Aussprache [fiɐsә] mit Diphthong (STEINER 2005: 50) entspricht, während die standardsprachliche Aussprache [f̍ ʏsәn] mit Kurzvokal die Lautgeschichte verbirgt. Dass mit diesen Formen auch die lautgeschichtliche Entwicklung des deut- schen Lexems Fuß im Dativ Plural Füßen beschrieben wird, hat wiederholt zu einer zunächst rein assoziativen, volksetymologischen deutschen Etymologie des Ortsnamens geführt (KÜBLER 1898: 151; BAUMANN 1899: 476; GRUBER 1908: 349; KÜBLER 1909: 52, Nr. 330). Seit aber die römischen Namenbelege be- kannt sind, die dieser Deutung widersprechen, versuchen SCHNETZ (1953: 44– 48) und v.REITZENSTEIN (2013: 132) diesen Widerspruch dadurch aufzulösen, dass die römischen Namenformen aus dem Germanischen abgeleitet werden. Das lateinische Adjektiv fotensis sei von dem germanischen Wort *fōt abgeleitet worden. „Der Ort wird vermutlich von dort angesiedelten Alemannen bzw. germanisch-stämmigen Soldaten der Römer benannt worden sein.“ (v.REITZEN- STEIN 2013: 132). Der Name bedeute demnach ‘zu den Füßen der Berge’. Das al- les erscheint mir mehr als unwahrscheinlich, insbesondere dass die Römer dem germanischen Dialekt ihrer Hilfstruppen den Namen einer ihrer Militärstatio- nen an der Via Claudia hätten entlehnen sollen. Es sind auch bei J. SCHNETZ al- lerhand Hilfskonstruktionen erforderlich, um mit Hilfe einer e-Ablautstufe zu fōt auch auf fēt als Grundlage für lat. foetibus zu kommen.

–––––––— 23 Die gelegentlichen fauces-Belege werden einleuchtend als mittelalterliche etymo- logisierende Umdeutung erklärt, die an der Topographie des Austritts des Lech aus der Schlucht anknüpfte. In dem Wikipedia-Artikel Füssen https://de.wikipedia.org /wiki/Füssen (28.12.2015) und auch auf heimatkundlichen Internetseiten (http:// www.lechfall.de/falllech.htm) (28.12.2015) werden diese sprachlichen Verhältnisse auf den Kopf gestellt. Da heißt es dann, der Name stamme aus dem lateinischen Wort „fauces“, was übersetzt „Schlund“ bedeute, die Stadt sei „nach der Schlucht am Lechfall benannt“ worden (nach lat. fauces Schlund). Diese Ableitung ist aber laut- geschichtlich unmöglich und ignoriert die antiken Belege. 54 Rolf Bergmann

Es muss also wohl doch von einer vordeutschen Wurzel fōt- ausgegangen werden, für die bisher jedenfalls keine überzeugende indogermanische Etymo- logie vorgestellt worden ist. STEINERs (2005: 52) Versuch einer Verbindung mit einer sogenannten f-Schicht in Tirol wird von GREULE 2006: 477 abgelehnt. Der von Greule stattdessen erwogene Anschluss an das Partizip fōtus von lat. fōvēre ‘wärmen’ wird von THALMAIR 2008: 41 und STEINER (DONB 2012: 192) aufge- griffen, von SCHORR 2014: 228 aber bezweifelt. Die von VENNEMANN (1993: 455–459) vorgenommene Verbindung mit einem Element *bot ‘Sumpf’ im Rah- men einer vorindogermanischen alteuropäischen Toponymie wurde von STEI- NER 2005: 52 als „von der Sachlage her ganz unwahrscheinlich und sprachlich höchst zweifelhaft“ abgelehnt. Trotz der strittigen Etymologie bleibt der Name aufgrund der römischen Verwendung natürlich Bestandteil der Schicht römi- scher Ortsnamen in Bayern.

3.6. Völliges Versagen aller Kriterien: Pfronten K 1 Namenkontinuität ? K 2 Antike Namenüberlieferung - K 3 Geographische Identifizierung K 4 Lautgesetzliche Ableitbarkeit - K 5 Etymologie ? K 6 Archäologischer Nachweis -

Den Gipfel aller Problemfälle erleben wir bei dem Namen Pfronten, was freilich nicht nur an der negativen Markierung der für die römischen Ortsnamen aufge- stellten Kriterien liegt, sondern auch an anderen für die Ortsnamenforschung nicht ganz seltenen Verhaltensweisen im Umgang mit Quellen und vorgängiger Literatur. Der Name wird schon seit BAUMANN (1875 [1899]: 476), BAUMANN 1881: 65; STEICHELE (1883: 500), GRUBER (1908: 341) und EBERL (1925: 58) und bis heute überwiegend als vorgermanisch aufgefasst, doch sind in älterer Litera- tur auch deutsche Erklärungen vorgeschlagen worden (KÜBLER 1898: 151, MIE- DEL 1906: 63f.). Über eine römische Siedlung im Gebiet des heutigen Pfronten ist bisher nichts bekannt. In dem archäologischen Standardwerk über die Römer in Bay- ern (CZYSZ et al. 2005) gibt es keinen Artikel Pfronten. Worauf die Aussage von STEINER (2005: 130) beruht, Pfronten liege „an einer römerzeitlichen Straßen- route“, ist nicht erkennbar. Auch bei THALMAIR 2008: 41 werden für die ange- nommene römische Verbindungsstraße von Füssen in Richtung Kempten durch das Gebiet von Pfronten keine archäologischen Belege genannt. Mit anti- Einige Problemfälle römischer Ortsnamen in Bayern 55 ken Namenbelegen lässt sich der heutige Name Pfronten ohnehin nicht verbin- den. Die mittelalterliche Belegreihe setzt erst 1289 und 1299 mit den Formen Pfronten und Phronten in Rechnungsbüchern und Urkunden ein, womit so- gleich die heutige Form vorliegt; die dialektale Form ist [pfrontә], älter auch [pfruntә] (STEINER 2005: 129). Für eine historische Erklärung des Namens griff man – wie STEINER (2005: 130) ohne Identifizierung des man formuliert – „sehr früh nach der Deutung aus vordeutschem Sprachgut und nahm den in der >Conversio et passio Afrae< vorkommenden Namen oder Begriff als Grundlage an: iuxta fontem Alpium Juliarum, was man [wieder ohne konkrete Angabe] >ad frontem<... las [MGH Script. Merov. III, 60, Z. 19f.]. Diese Lösung wurde selbst von Adolf Bach in sein Standardwerk übernommen.“ Bei v.REITZENSTEIN (2013: 309f.) heißt es inzwischen zurückhaltender: „Ob man die Angabe von ca. 893 (Kopie des 10. Jahrhunderts) zu 8. Jahrhundert ...fontes Alpium Iuliarum [Walz, Spuren S. 154], was man in *frontes [Steichele, Augsburg 4, S. 500] verändern müsste, auf den Ort beziehen kann, ist unsicher.“ Während STEINER zu Pfronten für die lateinische Grundlage iuxta fontem die Afra-Legende zitiert, führt v.REITZENSTEIN für fontes die Vita des heiligen Mag- nus (nach der Ausgabe von Dorothea WALZ) an. Eine direkte Befassung mit den Texten ist äußerst aufschlussreich. Die Magnus-Vita ist durch WALZ 1989 und 2000 vorbildlich ediert und erschlossen. Sie ist wohl um 895 auf Anregung Bi- schof Adalberos von Augsburg im Kloster Ellwangen entstanden und in zahlrei- chen Handschriften überliefert, deren älteste und beste zu Beginn des 10. Jahr- hunderts entstand. Die bei v.REITZENSTEIN zitierte fragliche Stelle steht in fol- gendem Zusammenhang: Magnoald, der erst später Magnus genannt wird, gelangt (Kap. 17) mit seinen Gefährten ad locum, qui uocatur campidona [Kempten], wo er eine Zelle gründet (Kap. 18). Von dort zieht Magnoald weiter ad locum, qui uocatur eptaticus [Epfach], wo er dem Augsburger Bischof Wikterp begegnet, der ihn nach seinen weiteren Zielen befragt (Kap. 19). „Der heilige Magnoald antwortete: Auf Gottes Fügung bin ich ad locum gesandt, qui uocatur fauces, wo in der Nähe die fontes alpium iuliarum sind und wo der Drache lag, den der Teufel auf Befehl des Bischofs Narcissus getötet hat,...“ Respondens beatus magnus diaconus dixit: Domino disponente directus sum ad locum, qui uocatur fauces, ubi prope sunt fontes alpium iuliarum et ubi draco fuit, qui iubente narcisso episcopo a diabolo interfectus est, ...(WALZ 1989: 154). Magnoald zieht nun weiter ad locum, qui uocatur caput equi [Roßhaupten], danach (Kap. 20) ad locum speciosum, qui non habebat nomen, und schließlich (Kap. 21) ad uicina loca supradicta, quae uocantur fauces. 56 Rolf Bergmann

Für die Erwähnung der Drachentötung auf Befehl des Bischofs Narcissus weist WALZ in ihrer Edition als Quelle die Conversio et passio Afrae nach. In dieser in zahlreichen Handschriften seit dem 8./9. Jh. überlieferten Legende düpiert der Bischof einen Teufel: Er verleiht ihm zwar Macht über die Seele dessen, den er tötet, lässt ihn aber schwören, nur denjenigen zu töten, den der Bischof in seine Gewalt gibt. Nach dem entsprechenden Schwur des Teufels „sagte der Bischof Narcissus zu ihm: Geh zu der Quelle in den Julischen Alpen, wo niemand Was- ser trinken kann, kein Mensch, kein Vieh, keine wilden Tiere, weil ein Drache dort haust und von seinem Atem alle, die zu der Quelle kommen, sterben.“ Dixitque ei Narcissus episcopus: Vade iuxta fontem Alpium Iuliarum, unde nemo potest aquam bibere, non homo, non pecus, non fera aliqua, quia draco ibi habitat, et de flatu eius omnes, qui ad fontem accesserint, moriuntur.24

Der Text steht so in den ältesten Handschriften, die der Edition zugrunde gelegt wurden, nur eine von ihnen hat eine Variante zu fontem, nämlich flumen. Es ist auch weiter im Text davon die Rede, dass nach der Tötung des Drachen libera- tus est fons. Auf die Idee, hier sinnentstellend fontem in frontem zu ändern – so als erster BAUMANN 1875 – konnte man nur kommen, wenn man den Text nicht las. Das gilt aber auch für die Magnus-Legende, die sich ja mit der Erwähnung des Bi- schofs Narcissus explizit auf dieselbe Geschichte bezieht, mit dem einzigen Un- terschied, dass der Akkusativ Singular fontem durch den Plural fontes ersetzt ist, dessen Änderung zu frontes auch hier den Textsinn verkehrt. Der Vita-Text gibt im Übrigen auch deutlich zu erkennen, dass es bei der Erwähnung der Quellen (fontes) nicht um die Nennung einer Siedlung geht. Alle Siedlungen werden als locus, qui uocatur X, bezeichnet; und dass damit tatsächlich der Siedlungsname gemeint ist, wird besonders deutlich bei dem schönen Ort am Lech, der noch keinen Namen hatte. Es gibt also im Text der Vita des heiligen Magnus und im Text der Afra-Legende nicht den geringsten Hinweis auf eine Siedlung an der von einem Drachen blockierten Quelle, also auch nicht auf Pfronten, das 17 km von Füssen entfernt liegt; und für eine Rückführung seines Namens auf lat. fron- tem bzw. frontes bieten beide Texte keine Anhaltspunkte, da die dazu erforderli- che Konjektur beide Textstellen sinnlos macht. Wenn man weiter auch ohne jeden Anhaltspunkt an einer historischen Quelle und ohne archäologische Zeugnisse an einer vorgermanischen Herkunft

–––––––— 24 Conversio et passio Afrae, MGH. Scriptores rerum Merovingicarum, III, 60, 19–22.

Einige Problemfälle römischer Ortsnamen in Bayern 57 des Namens Pfronten festhalten will, so muss dafür der Name selbst sprachliche Anhaltspunkte bieten. Dann kommen aber lateinische Formen wie frontem, frontes oder davon abgeleitetes romanisches frontone schon lautgeschichtlich nicht in Betracht, weil sie nur noch neue Schwierigkeiten erzeugen. Dabei wäre eine Anlautentwicklung zu pf aus ad frontes (analog zu ad fines > Pfyn)25 noch am ehesten vorstellbar; es bleibt aber das Fehlen der Lautverschiebung beim t, das überall mit Stillschweigen übergangen wird, obwohl schon seit KÜBLER (1898: 151) und (MIEDEL 1906: 63) explizit nach einer Erklärung dafür gefragt wurde, wobei es solche Fälle von verschobenem p und unverschobenem t im Wortschatz zumindest auch gibt: Pforte, Pfette (lat. patena). So bleiben nur zwei schwache Anhaltspunkte, einerseits das anlautende pf-, dessen normale voralthochdeutsche Vorstufe p wie in jedem deutschen Namen und Wort entlehnungsverdächtig ist26, andererseits die Endung -ten, die wie in Kempten, Zarten auf vorgermanisches -dunum zurückgehen könnte, wie schon EBERL 1925 vermutet hat.27 Ein so rekonstruiertes *pron-dunum oder *prun- dunum hängt aber sprachhistorisch völlig in der Luft. Den erst ab 1289 bezeugten Namen aus dem Mittelhochdeutschen zu erklä- ren, ist jedoch auch nicht überzeugend gelungen. Herleitungen aus Komposita wie *frōn-tann ‘Herrenwald’ oder *gifrōnti-heim28 hat STEINER mit Recht aus morphologischen und phonologischen Gründen als abwegig zurückgewiesen. Lautlich näher läge ahd. phruonta ‘Lebensmittel, Nahrung, Getreideversorgung, Aufwand’ (SchW 2012: 267), mhd. phrüende, phruonde, ‘Nahrung, Unterhalt, bes. die vertragsmäßig gereichten Lebensmittel, Pfründe’ (http://woerterbuch- netz.de/Lexer/?lemid=LP00943)29; aber weder die historischen Belege noch die mundartliche Aussprache geben einen Hinweis auf den Diphthong uo/üe. Das

–––––––— 25 Vgl. dazu NYFFENEGGER/BANDLE II, 1018. – Freundlicher Hinweis von Erika Waser, Luzern. 26 So auch SCHORR 2014: 228. 27 Vgl. dazu auch LANGENBECK 1966/67: 8. 28 KÜBLER 1898: 151: „Ich halte Pfronten für eine Rodung in dem Wald- und Jagd- gebiete, das der Kaiser 1059 dem Bischof von Augsburg verliehen hatte; deshalb erkläre ich den Namen als eine Zusammensetzung von heim, Ansiedlung, und ahd. (gi)fronti = prosciptio, zu dem Verb frônian, in der Obrigkeit Gewalt setzen.“ 29 MIEDEL 1906: 63: „der Name ist sicher deutsch: mhd. phruonde die »Pfründe« lautet schwäbisch [...] meist Pfrond, Pfrondt, Pfronnd u.ä. und hat außer der gewöhnlichen Bedeutung auch die des Pfründ- oder Ausdinghauses.”

58 Rolf Bergmann

Wort kommt, soweit man sieht, auch sonst offenbar nicht in Ortsnamen vor. Der Name bleibt also aus meiner Sicht derzeit etymologisch ungeklärt.

4. Schluss

Die an einigen ausgewählten Beispielen veranschaulichten Probleme römischer Ortsnamen in Bayern sind zum Teil von der Wissenschaft selbst erzeugt, inso- fern Quellentexte nicht gelesen und Lautgesetze nicht beachtet wurden, wie am Beispiel Pfronten zu beobachten war. Hier ist am einfachsten Abhilfe zu schaf- fen, indem die anerkannten Methoden onomastischer Forschung durchgehend eingehalten werden. Darüber hinaus bleiben aber objektiv gegebene Probleme bestehen. Sie beruhen auf der Lückenhaftigkeit der antiken Namenüberliefe- rung, die beispielsweise für Porzen, Pfronten und -pfunzen keine antiken Belege bietet. Die Eigenart bestimmter Quellen führt zu Schwierigkeiten der geographi- schen Identifizierung, etwa von Pons Aeni, ad pontes Tessenio und Bratananio. Schließlich ergeben sich auch Probleme bei der lautgesetzlichen Ableitung wie bei Parten-, Pensberg, Pretzen und bei der etymologischen Deutung und sprach- lichen Einordnung mancher Befunde wie bei Parten-, Füssen, Pfronten. Darüber hinaus kommen die speziellen Gegebenheiten der Archäologie hinzu. Positive Grabungsbefunde können ebensowenig wie ihr Fehlen onomastische Erkennt- nisse vermitteln. Für die Frage nach den römischen Ortsnamen in Bayern sind vor allem die Zeugnisse des römischen Gebrauchs der Ortsnamen relevant, und sprachwis- senschaftlich ist vor allem ihre lautgesetzliche Umgestaltung durch germano- phone Sprecher nachzuvollziehen. Die Frage der Etymologie der von den Rö- mern verwendeten Namen ist entweder relativ einfach, wenn es sich nämlich um lateinische (wie bei portus, pontena usw.) oder um keltische Bildungen (wie bei Cambodunum) handelt oder sie ist äußerst kompliziert, insofern jede weitere indogermanische (rätische?, alpenindogermanische?, illyrische?) oder vorindo- germanische Erklärung heftigen Widerspruch auslöst und letztlich nicht be- weisbar ist.30 Für die römische Namenverwendung war die Etymologie ebenso irrelevant wie für die heutige. Die Römer passten vorgefundene Namen ebenso in ihre onomastische Morphologie ein wie spätere germanisch-deutsche Spre- cher.

–––––––— 30 Als Beispiel einer besonders umstrittenen Etymologie eines vorgermanischen Namens sei hier noch auf die Diskussion des Namens Pfersee bei ROWLEY 2003: 205–219 hingewiesen. Einige Problemfälle römischer Ortsnamen in Bayern 59

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Wolf-Armin Frhr.v.Reitzenstein Die Latinisierung bayerischer Ortsnamen

Die lateinische Sprache spielte in Bayern eine wichtige Rolle. In der Römerzeit war Latein die Amtssprache und die Kommandosprache im römischen Heer; es ist anzunehmen, dass sich in den betreffenden Provinzen diese Sprache auch dort lebende Kelten und Germanen aneigneten, wobei man über den Umfang solcher Kenntnisse nur spekulieren kann. Im Mittelalter waren die Kirche und ihre Einrichtungen Träger und Vermittler der lateinischen Sprache. Dies führte dazu, dass die meisten Schriftzeugnisse und Urkunden in dieser Sprache verfasst wurden. Nur langsam stieg die Zahl der Personen nichtgeistlichen Standes, wel- che Latein lernten und beherrschten. In der Zeit des Humanismus erlebte diese Sprache eine neue Blüte. Die Gelehrten bemühten sich, wie die antiken Autoren zu schreiben. Staatliche Schulen wurden gegründet, um die Kenntnis der klassi- schen Sprachen weiteren Kreisen der Bevölkerung zu vermitteln. Bayern ist noch heute das Bundesland, das die meisten Lateinschüler hat. Allerdings geht deren absolute Zahl immer mehr zurück. Man muss es als bedauerlich, ja be- schämend ansehen, dass an bayerischen Universitäten das Latinum als Voraus- setzung für das Studium sogar der Geschichte abgeschafft wurde. Die Dominanz der lateinischen Sprache zeigte sich die Jahrhunderte hin- durch auch bei der Behandlung bzw. im Gebrauch der Ortsnamen. Das zeigt sich schon bei der Latinisierung keltischer Toponyme in römerzeitlichen Quel- len. In den lateinisch geschriebenen Texten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit wurden häufig deutsche Namen angeglichen oder übersetzt. Bei Namen kirchlichen bzw. religiösen Ursprungs mag es allerdings durchaus Fälle gegeben haben, dass solche zuerst in lateinischer Form gegeben wurden und erst etwas später in volkssprachlicher Form begegnen, welche aber letztlich durch den muttersprachlichen Ursprung bei den Benennern bedingt ist.

Adaptierung

Bei Kempten (Allgäu) [1] wurde die keltische Endung -on in römischer Zeit zu -um la- tinisiert: 2. Jahrhundert Καμβόδουνον zu 3. Jh. Camboduno, Nominativ *Cambodunum (REITZENSTEIN 2013: 202).

Der möglicherweise *Kel-moniyo ‘Versteckberg’ lautende keltische Name von Kellmünz a.d.Iller [2] wurde von den Römern an den Hügelnamen ihrer Hauptstadt angeglichen: 3. Jahrhundert Celio Monte (REITZENSTEIN 2013: 209). 64 Wolf-Armin Frhr.v.Reitzenstein

Auf lateinisch hilāris ‘heiter’ wurde einst der aus dem Indogermanischen erklärbare Flussname Iller [3] zurückgeführt und in abwegiger Weise interpretiert. So begegnet in einer Heiligenvita von ca. 895 (Kopie des 10. Jh.), die über Geschehnisse des 8. Jahrhun- derts berichtet, folgende Namensdeutung: fluuius uero uocatur Hilara, quod non est … (‘der Fluss aber wird „Hilara“ genannt, weil er es [heiter = angenehm] nicht ist’). Noch deutlicher ist eine Variante des 11. Jahrhunderts: fluvius vero dicitur Hilara, non quod quemquam faciat hilarem, sed per antifrasin, quia multos homines in merorem vertit (‘der Fluss aber wird „Hilara“ genannt, nicht weil er jemanden heiter machen könnte, sondern im Gegenteil, weil er viele Menschen in Trauer versetzt’). Weitere Belege sind 804 (Kopie 1472) Hylar, 853 … in Hilaram, 11. Jahrhundert Ilaris (REITZENSTEIN 2013: 187f.).

In der Renaissance wurde bei Augsburg [4], wie aus den Belegen hervorgeht, die kelti- sche Genitiv-Plural-Endung -um des Völkernamens durch die lateinische -orum ersetzt: 122–ca. 200 L(ucius) Bebius Aug(usta) Crescens Vindelicum, 3. Jahrhundert Augusta Vindelicum, 1493/1494 Augusta Vindelicorum (REITZENSTEIN 2013: 39f.).

Das deutsche Grundwort werde des heute kombinierten Ortsnamens Donauwörth [5] wurde mittels der femininen Endung latinisiert: 1493/1494 in Werdea (Arnpeck: Chro- niken 235).

Entsprechend dem deutschen Genus wurde bei dem Flussnamen Regen [6] die lateinische Maskulinum-Endung -us angefügt: ca. 1579 Duplex est autem Regenus, albus et niger (‘doppelt ist aber der Regen, der Weiße und der Schwarze’) (Apian: Topographie 362f.).

Vielfältig sind die Adaptierungen beim (weiblichen) Flussnamen Ilz [7]. Hier wurde meistens die lateinische Femininum-Endung angefügt: 1493/1494 ultra fluvium Ilciam (Arnpeck: Chroniken 760) oder 1517 trans flumen Ilissam (Aventin 1, 71). Weil aber bei den Römern Flüsse männlich waren, begegnen auch Maskulinum-Formen: 1553 Ilicius (Brusch: De Laureaco 10f.) und 1588 Ilissus seu Ilsus, vulgo Iltz dictus (Apian: Topogra- phie 6).

Bei Benediktbeuern [8] wurde der Hauptvokal gräzisiert und eine lateinische Endung angehängt: 1078 Bvrin, 1594 Ante fui Byrium dictum, sed ab ordine creuit Nomen, et ap- pellor iam Benedictbyrium (‘Vorher war ich „Byrium“ genannt, aber nach dem Orden wuchs der Name, und ich heiße schon „Benedictbyrium“’) (REITZENSTEIN 2006: 35).

Bei Mühldorf a.Inn [9] wurde der Hauptvokal in der Schreibung gräzisiert, der lateini- sche Bindevokal eingefügt und eine lateinische Endung angehängt: 1517 Mylodorphum (REITZENSTEIN 2006: 170). Die Latinisierung bayerischer Ortsnamen 65

Der Ortsname Forchheim [10] wurde 1491, ausgehend von der alten Mundartform forchәm, mittels der lateinischen Feminin-Endung in Vorchemia latinisiert (Germani- sches Nationalmuseum, Cusanus-Karte). Als Herkunftsbezeichnung mit der Maskulin- Endung begegnet 1590 Vorchemius (Matr. Altdorf Nr. 1113).

Erstbeleg des Ortsnamens Haunstetten [11] ist 1087 (Kopie 1281) Hunestat (Tr Geisen- feld Nr. 27). In den Annalen des Geschichtsschreibers Aventinus aus der Zeit 1519−1521 ist zu lesen: Hunnostadium … ab Hunnis … cognomina servant (,bewahren von den Hunnen ihre Namen’) (Aventin 2, 338). Das Grundwort wurde sinnwidrig an lateinisch stadium ‘Stadium, Rennbahn’ angenähert, das Bestimmungswort, dem eigent- lich der Personenname Hūn zugrundeliegt (HILBLE 1983: Nr. 129), irrtümlich mit ver- ändertem Fugenvokal auf das Ethnonym Hunnen bezogen.

Der Zweitname von Inchenhofen [12], der etwa in den Belegen 1308 von sant Leon- harde, 1325 St. Lynhart, 1371 ze sand Lienhartin dem Dorf und 1377 ze Imchenhouen datz Sant Leonhart erscheint, wurde durch Anhängen der lateinischen Maskulin- Endung latinisiert: 1491 Sanct Leonardvs in und ca. 1583 Inchenhoven vicus … templum d. Leonhardo dicatum, unde vulgo vicus etiam Ad d. Leonhardum nominatur (‘das Dorf … die Kirche ist dem heiligen Leonhard geweiht, weswegen im Volksmund auch das Dorf „bei Sankt Leonhard“ genannt wird’) (REITZENSTEIN 2013: 191).

In die althochdeutsche Namensform Foczen von Füssen [13] wurde ca. 895 lateinisch fauces ‘Schlund, Zugang, Engpass’ eingedeutet, was zwar geländemäßig, aber nicht sprachlich nachvollziehbar ist (REITZENSTEIN 2013: 132).

An die Mundartform des Ortsnamens von Nürnberg [14], nämlich nörmberg, anklin- gend, ist als Bestimmungswort der Name des römischen Kaisers Nero Tiberius Claudius eingedeutet: 1488 Neronberg (REITZENSTEIN 2009: 164).

Das lateinische Suffix -ensis wurde an deutschen Namen z.B. bei Forst [15] zur Bildung des Ethnikons angefügt: 1164−1167 (Kopie von 1521) Geroldus, Sifridus Forestenses (Tr Wessobrunn Nr. 52a); es sind also die beiden Brüder Einwohner des Ortes Forst.

Ein Student aus (Bad) Tölz [16] gab1608 bei seiner Immatrikulation in der Universität Ingolstadt eine mit demselben Suffix gebildete Herkunftsbezeichnung Delicensis an (Matr. Ingolstadt 2, Sp. 156). Diese geht von der entrundeten Namensform aus, die etwa 1305 als Tellentz begegnet (Bayer. Hauptstaatsarchiv, HL Freising 7, 125); dazu passt die Mundartform dëits. Möglicherweise stellte der besagte Student auch eine Verbindung zu lateinisch deliciae ‘Kleinodien, Lustbarkeit, Üppigkeit, Luxus’ her. 66 Wolf-Armin Frhr.v.Reitzenstein

Das Grundwort wurde bei Sulzbach [17] in das ähnlich klingende lateinische Wort pa- gus umgeformt: 1103 Solzbac, 1109 Sulcebac, 1112 Sulzbach, 1512 … Sulcipagum (REIT- ZENSTEIN 2006: 268).

Übersetzung

Der (Bayerische) Wald [18] wurde 1254 mittels lateinisch nemus ‘Wald’ als Lokalisie- rung für Klosterbesitz in Nemore bezeichnet (Urb Niederalteich 13).

Dass der Ortsname Linden [19] als Singular zu verstehen ist, geht aus den Belegen ca. 1250 Da ze der Linden (Urb Gars Nr. 93) und des 14. Jahrhunderts Tilia (ebenda Nr. 268) hervor, wobei der Übersetzung lateinisch tilia ‘Linde’ zugrundeliegt.

Ob die Belege 1147−1170 (Kopie von ca. 1210) ab Wisen (Tr Scheyern Nr. 35) und ca. 1150 de Prato (Tr Ebersberg Nr. I 26) zum abgegangenen Ort † Wies [20] gehören, ist nicht ganz sicher. Dem lateinischen Beleg liegt pratum ‘Wiese’ zugrunde.

Der Name des im selben Landkreis bei Holzkirchen abgegangenen Ortes † Winkel [21] wurde im Beleg 1289 predium in Angulo (Urb Tegernsee Nr. 54) mittels lateinisch angu- lus ‘Winkel’ übersetzt.

Bei Au a.Inn [22] liegt eine Übersetzung ins Mittellateinische vor; wegen des gleichen Anlauts besteht auch eine klangliche Ähnlichkeit: 924 ad Augiam (REITZENSTEIN 2006: 23f.).

Der Siedlungsname Weg [23] ist korrekt mittels via ‘Weg’ ins Lateinische übersetzt: 1197 (Kopie des 13. Jh.) Otto in Via, 1482 Martein Wegman von Weg (REITZENSTEIN 2015: 315).

Der lateinische Name des bei Schondorf abgegangenen Ortes † Weingarten [24] aus der Zeit 1362/1363 in Vinea (Urb Dießen Nr. 221) erstreckt sich über eine Mehrzahl von Äckern. Es liegt lateinisch vinea ‘Weinberg, Weingarten’ zugrunde. Wenig später, näm- lich 1365 (Kopie von 1535), begegnet der Beleg in Silua vulgo dicta (‘in dem Wald, der im Volksmund genannt ist’) Weingarten (Bayer. Hauptstaatsarchiv, KL Dießen 5, 198). Vielleicht wurden die dortigen Bäume als „Wald“ bezeichnet.

Im Beleg des Ortsnamens von End [25] aus dem Jahr 1297 ist dieser in beiden Sprachen e genannt: in villa dicta in fine, siue wlgariter nuncupata zumente (‘in dem Dorf, das ge- nannt ist „in fine“ [= an der Grenze/am Ende], oder im Volksmund genannt ist „z mente“ [= zum Ende]’ (FASTNACHT 2007: Nr. 48). Der lateinische Name, dem finis Die Latinisierung bayerischer Ortsnamen 67

‘Grenze, Ende’ zugrunde liegt, müsste eigentlich groß geschrieben werden, im deut- schen sind Präposition und Substantiv verschmolzen.

Bei Schmerlenbach [26] ist der frühere Name belegt als 1218 (Druck von 1747) … ad novellam plantationem, que dicitur (‘bei der neuen Anpflanzung, die genannt wird’) Ha- gen.. Im Beleg 1225 (Kopie des 14.Jh., Druck von 1788) begegnet die lateinische Überset- zung mittels indago ‘Umzäunung, Einhegung’: conventus in Indagine (‘die Klosterge- meinschaft in der Umzäunung’). 1248/1249 kommen gleichzeitig der lateinische, der deutsche und der neue, vom Gewässer übertragene Name vor: … in Indagine … in Ha- gen … Smerlinbach vor (REITZENSTEIN 2009: 199).

Der Ortsname Grub [27] wurde mittels lat. fovea ‘Grube’ übersetzt: 14. Jahrhundert … in Fovea unum predium (Tr Au Nr. 271).

Bei Weiden i.d.OPf. [28] zeigt das zur Übersetzung dienende lateinische Wort die Ab- lativ-Singular-Endung von salix ‘Weide’: 1269 Widen, 1301 in Salice, bald nach 1301 datz der Weiden in der stat, 1362 … zu der Weiden (REITZENSTEIN 2006: 299).

Der Erstbeleg des Siedlungsnamens Moos [29] zeigt die Ablativ-Form von lateinisch palus ‘Sumpf’, was dem bairischen Wort mos ‘Sumpf, Moor’ bedeutungsmäßig ent- spricht, wie auch der Präposition im Zweitbeleg, der noch die Flur bezeichnet: 1207 de Palude, 1298 … avz dem Ms (REITZENSTEIN 2006: 169).

Der Siedlungsname Berg/TÖL [30] wird an gleicher Stelle in deutscher und lateinischer Sprache gebracht: 1354 auf dem Perg … in Monte (Bayer. Hauptstaatsarchiv, KL Beuer- berg 36, fol. 1f.). Es liegt mons ‘Berg’ vor.

Dass es sich bei der Übersetzung in einer anderen Quelle um denselben Ort Berg/EBE [31] handelt, zeigt der gleichlautende Personenname: 1173−ca. 1152 Ortolf de Perge (Tr Schäftlarn Nr. 59), 1173−1180 Ortolfus de Monte (Tr Tegernsee Nr. 339). Es liegt la- teinisch mons ‘Berg’ vor.

Ein ähnliches Grundwort hat der Burgname Lichtenstein [31a]. Dieses ist zunächst mittels des aus dem Griechischen stammenden Fremdworts petra ‘Stein, Fels’ und dann mittels lateinisch lapis ‘Stein’ übersetzt: 1178 de Petra (Bayer. Hauptstaatsarchiv, Urk Würzburg Nr. 6289), 1179 Stein (ebenda Nr. 7055) und 1180 de Lapide (Bayer. Haupt- staatsarchiv, Urk Bamberg Nr. 345). Das Kompositum Lichtenstein begegnet erst im Jahr 1215 (SCHMIEDEL 1973: Nr. 88). 68 Wolf-Armin Frhr.v.Reitzenstein

Der Ortsname Thal/MÜL [32], im 14.Jahrhundert als Tol bezeugt (Urb Gars Nr. 191), wurde in derselben Quelle mit der Ablativform in Valle übersetzt (ebenda Nr. 223), und zwar mittels lateinisch vallis ‘Tal’.

Eine Würzburger Bürgerfamilie nannte sich nach dem Ort Tann (Rhön) [33] (SCHICH 1977: 280), und zwar 1257 de Abiete (Mon Boica 37, 371), wobei das lateinische Sub- stantiv abies ‘Tanne’ durch die Präposition de in den Ablativ gesetzt wurde. 1265 begeg- net der deutsche Name de Tanne (ebenda 428).

Es wird wohl ein Hauszeichen mit einem Widder gewesen sein, das der Würzburger Örtlichkeit Steren [34] den Namen gegeben hat; dem liegt mittelhochdeutsch stër, stëre ‘Widder’ zugrunde. 1241 ist ein Heinricus de Stern genannt (Mon Boica 37, 297), 1265 ein Johannes de Ariete (ebenda 428). Die Übersetzung erfolgte mittels lateinisch aries ‘Widder’.

In Würzburg scheint es auch Örtlichkeiten mit dem Namen Hölle [35] (Mon Boica 60, 250) gegeben haben (SCHICH 1977: 280). 1243 ist jedenfalls ein Cůnradus de Inferno (Mon Boica 37, 304) genannt, wobei dies nicht der einzige Beleg mit diesem Personen- namen ist. 1330 begegnet … Arnoldo de Jnferno (ebenda 39, 389) und 1338 der deutsche Beleg Arnolt von der Helle (Urk Würzburg-Stadt Nr. 167). Ein ausführlicherer Beleg ist 1353 Brun vnd Hane genant von der Roten helle (Mon Boica 42, 566). Es liegt das lateini- sche Substantiv infernus ‘Unterwelt, Hölle’ zugrunde. Dem entspricht mittelhoch- deutsch helle ‘die verbergende und verborgene Unterwelt, Hölle’; versteckte, abgelegene Orte werden in Bayern oft so genannt.

Für Mittenwald [36] findet sich im 12.Jahrhundert die lateinische Ortsbezeichnung in media silua (‘mitten im Wald’), was auf die Lage im ausgedehnten Scharnitzwald zu be- ziehen ist (REITZENSTEIN 2006: 167). Es handelt sich wohl noch nicht um einen Namen.

Bei Hof [37] wurde das Simplex mittels lateinisch curia ‘Hof’ und eine Art Lokalisierung übersetzt, nämlich in den Belegen 1398 Curia Advocatorum und 1596 Curia Voitlandii (BUZÁS/JUNGINGER 1971: 109f.). Die Genitivformen beziehen sich auf das politische Choronym Vogtland.

Der Ortsname Freyung [38] wurde in beiden Sprachen ausgedrückt: 1405 … in Liberta- te alias in Freyung (REITZENSTEIN 2006: 87). Der lateinischen Namensform liegt das Substantiv libertas ‘Freiheit’ zugrunde.

Eine ähnliche Bedeutung hat der Ortsname Freystadt [39]. Den deutschen Original- belegen 1312 … von der Vrienstat und 1331 … von der Frienstat entspricht der lateini- sche Übersetzungsname 1479 … de Liberacivitate (REITZENSTEIN 2006: 87). Bestim- Die Latinisierung bayerischer Ortsnamen 69 mungswort ist das Femininum des Adjektivs liber ‘frei’, Grundwort civitas ‘Bürger- schaft, Stadt’. Auffällig ist die Zusammenschreibung.

Eine interessante Übersetzung bzw. Erklärung des Grundwortes des Siedlungsnamens Landshut [40] verdanken wir dem Geschichtsschreiber Aventin; denn galea ist konkret der Lederhelm und custodia abstrakt die Hut: 1519–1521 Landshuet, galea ac custodia terrae (REITZENSTEIN 2006: 150).

Bei Aichach [41] wurde die Herkunftsbezeichnung aus lateinisch quercētum ‘Eichen- wald’ gewonnen, wobei in beiden Sprachen ein Kollektivsuffix vorliegt: 1131 Aichach, 1561 Quercetanus (REITZENSTEIN 2013: 23), hier abgeleitet durch das Zugehörigkeitssuf- fix -ānus.

Eine lateinische Form des Klosternamens Niederschönenfeld [42] begegnet im Beleg 1241 in Schnnevelt … in Campo Specioso qui uulgariter Schnenvelt dicitur (‘in dem schönen Gefilde, das im Volksmund „Schönenvelt“ heißt’) (REITZENSTEIN 2013: 270). Es liegen das lateinische Substantiv campus ‘Feld’ und das Adjektiv speciosus ‘auffallend schön’ zugrunde. Aus dem Erstbeleg lässt sich wohl erschließen, dass zuerst der lateini- sche Name gegeben wurde und dass der deutsche von der umwohnenden Bevölkerung gebraucht wurde.

Das als Bestimmungswort für den gereihten Ortsnamen Schweinfurt [43] herangezoge- ne, im Singular stehende lateinische Wort porcus ‘zahmes Schwein’ ist wohl eine Kollek- tivbezeichnung, wiewohl das i auch als Fugenvokal zu gelten hat, Grundwort ist vadum ‘Untiefe, Furt’: 1526 Porcivadum (REITZENSTEIN 2009: 205f.).

Eine ähnliche Fügung liegt bei der Übersetzung des Ortsnamens Pfersdorf [44], der 1303−1313 (Kopie von 1358) als Pferdsdorf bezeugt ist (Lehenbuch Würzburg Nr. 554), vor; sie erscheint 1645 als Herkunftsbezeichnung Equivillanus (Matr. Altdorf 268), und zwar mittels des Genitivs von lateinisch equus ‘Pferd’ und von villa ‘Dorf’, das durch das Zugehörigkeitssuffix -ānus abgeleitet ist.

Die aus dem Jahr 1598 stammende Herkunftsbezeichnung Aerimontanus für den Ort Arzberg [45] besteht aus lateinisch aes, aeris ‘Erz’ und mons, montis ‘Berg’, das durch das Zugehörigkeitssuffix -ānus abgeleitet ist (REITZENSTEIN 2009: 26).

Der Ortsname Schlüsselfeld [46] ist seit 1315 (Druck von 1836) als Slüsselfeld belegt. Im Jahr 1519 begegnet die lateinische Übersetzung … de Clavicampo. Die Siedlung ist benannt nach dem Geschlecht der Schlüsselberger, die in ihrem Wappen einen Schlüssel führten. Im Beleg von 1519 sind lateinisch clavis ‘Schlüssel’ und campus ‘Ebene, flaches, ebenes Feld’ enthalten (REITZENSTEIN 2009: 199). 70 Wolf-Armin Frhr.v.Reitzenstein

Bei Altenmarkt a.d.Alz [47] wurden das substantivische Grundwort und das als Be- stimmungswort dienende Adjektiv übersetzt: 1245 in Antiquo foro (REITZENSTEIN 2006: 12), 13.Jahrhundert Hartmannus de Veteri Foro (Tr Au Nr. 203). Bestimmungs- wort ist lateinisch antiquus bzw. vetus ‘alt’, Grundwort forum ‘Markt’.

Ein Art Gegenstück ist Neumarkt i.d.OPf. [48], erstmals belegt ca. 1130–1140 als Niu- wenmarchte, dessen Name 1235 in Nouumforum übersetzt wurde, und zwar mittels la- teinisch novus ‘neu’ und forum ‘Markt’ (REITZENSTEIN 2006: 180).

Für Neustadt a.d.Aisch [49] findet etwa ca. 1309 die Namensübersetzung … iuxta Nouam Ciuitatem apud (‘bei der Neuen Stadt an der’) Eisch. Bestandteile des lateini- schen Namens sind das Adjektiv novus ‘neu’, das Substantiv civitas ‘Bürgerschaft, Stadt’ und die Präposition apud ‘bei’ (REITZENSTEIN 2009: 160).

Der Siedlungsname Neudorf [50], 1274 erstmals bezeugt als Niwendorf (FECHTER 1955: 137f.), wurde 1288 in Nova villa (Urk Ansbach-St.Gumbert Nr. 81) übersetzt; es liegen das lateinische Adjektiv novus ‘neu’ und das mittellateinische Substantiv villa ‘Dorf’ zugrunde.

Dasselbe Bestimmungswort liegt vor bei Neuhof a.d.Zenn [51]. Entsprechend lauten die lateinischen Belege 1249 Novacuria (‘neuer Hof’) und 1309 … in Nova Curia (‘im neuen Hof’) (REITZENSTEIN 2009: 158). Auffällig ist, dass im ersten beide Namensbe- standteile zusammen geschrieben sind. Grundwort ist jeweils mittellateinisch curia ‘Hof’.

Ähnlich ist der Name Neuhöflein [52] gebildet, nur dass das Grundwort als Diminutiv erscheint. Während der Erstbeleg von 1265 Nuwenhovelin lautet (FECHTER 1955: 138), ist der Name 1266 in Noua Curiola übersetzt (Urk Nürnberg Nr. 421). Grundwort ist al- so mittellateinisch curiola ‘kleiner Hof’.

Das ursprünglich aus einem Adjektiv und einem Substantiv bestehende Kompositum Rothenburg ob der Tauber [53] wurde 1491 mittels mittellateinisch rubius ‘rot’ und castrum ‘Burg’ in Rvbivm Castrvm übersetzt (Germanisches Nationalmuseum, Cusanus- Karte); im Beleg ca. 1530 a Rubro castro uulgo Rotenburg … iuxta amnem Tuberam wurde das bedeutungsgleiche lateinische Adjektiv ruber verwendet und zusätzlich die Lokalisierung mittels des Flussnamens Tauber hinzugefügt, welcher mit einer lateini- schen Feminin-Endung versehen wurde (REITZENSTEIN 2009: 193).

Ein ähnlicher Fall ist Weißenburg i.Bay. [54], wo für das Jahr 1491 die Übersetzung Albvm Castrvm (‘Weiße Burg’) vorliegt, und zwar mittels lateinisch albus ‘weiß’ und castrum ‘Burg’. Eine Umstellung von Adjektiv und Substantiv zeigt sich im Beleg 1530 Die Latinisierung bayerischer Ortsnamen 71

… iuxta Burgum Album, nunc (‘bei der Weißen Burg, jetzt’) Weyssenburgam, wobei zu- sätzlich an den deutschen Namen die lateinische Feminin-Endung angefügt wurde (REITZENSTEIN 2009: 238f.).

Der gefügte Name des bei Würzburg abgegangenen Ortes † Dürrenhof [55], der 1268 (Kopie von 1407) als … curie de (‘des Hofes von’) Dorrenhoue (Urk Ebrach Nr. 250) und 1289 als in dem Durrenhofe (ebenda Nr. 376) bezeugt ist, wurde 1293 in die Genitivform … Curie Aridae (ebenda Nr. 427) übersetzt. Es liegen das lateinische Substantiv curia ‘Hof’ und das Adjektiv aridus ‘trocken, dürr’ vor.

Der gereihte Ortsname Schönthal [56] wurde in lateinischen Quellen mit Substantiv und Adjektiv übersetzt: 1260 … heremi Vallis Speciose (REITZENSTEIN 2006: 251) oder 1493/1494 de Valle speciosa (Arnpeck: Chroniken S. 334). Es liegen das lateinische Sub- stantiv vallis ‘Tal’ und das Adjektiv speciosus ‘auffallend schön’ vor.

Bei Neustadt a.d.Donau [57] wurde als früherer Name 1273 Säligenstadt überliefert, dessen Bestimmungswort mittelhochdeutsch saelic ‘glücklich’ ist. Nach 1277 wurde die- ser Name mit … de felici civitate (‘von der seligen Stadt’) übersetzt, und zwar mittels la- teinisch felix ‘glücklich’ und civitas ‘Bürgerschaft, Stadt’ (REITZENSTEIN 2006: 183).

Das gleiche Adjektiv begegnet im lateinischen Beleg des Klosternamens Seligenthal [58] vom Jahr 1260 … monasterio sororum in Valle Felici aput Lantsht (Urk Landshut Nr. 72). Grundwort ist lateinisch vallis ‘Tal’. In den deutschen Belegen findet sich als Bestimmungswort mittelhochdeutsch saelde ‘Segen, Heil, Glück’, so 1298 des chlosters zu Saeldental des ordens von Zitel (ebenda Nr. 171), 1299 den frawen ze Saeldental bei e Lantsht (ebenda Nr. 173), 1400 Saldental (ebenda Nr. 1564) und 1568 Saeldental (Api- an: Landtaflen). Später ändert sich das Bestimmungswort in das Adjektiv selig, das aber auch mit lateinisch felix übersetzt werden kann; Belege sind 16.Jahrhundert Mitte Selingthall bey Lantshut (Bayer. Hauptstaatsarchiv, HL Regensburg 113, fol. 30), 1578 Seligental (Bayer. Hauptstaatsarchiv, Staatsverwaltung 2970, fol. 632) und 1617 dem Closter Sälingthal bey Landtßhuet (Bayer. Hauptstaatsarchiv, Urk Regensburg-St. Em- meram 1617 Juni 8).

In Thal/RO [59] gab es kurze Zeit ein gleichnamiges Kloster, das später dann in den heutigen Ort Fürstenfeldbruck verlegt wurde. Erstbeleg ist 1258 ad nouam structuram in Saeldintal claustri (‘zur neuen Einrichtung eines Klosters in Saeldintal’) (Mon Wittels- bacensia 1, S. 163). Die Übersetzung findet sich im Beleg 1259 Conuentui de Vallesalutis (Bayer. Hauptstaatsarchiv, Urk Fürstenfeld Nr. 2/2). Hier ist das Bestimmungswort mit dem Genitiv des Substantives salus ‘Heil’ wiedergegeben, das Grundwort mit dem Abla- tiv des Substantives vallis ‘Tal’. 72 Wolf-Armin Frhr.v.Reitzenstein

Ein Student aus Schönsee [60] übersetzte 1718 seine Herkunftsbezeichnung mittels la- teinisch bzw. mittellateinisch bellus ‘hübsch, fein, schön’ und lacus ‘See’ in Bellolacensis. Das o in der Kompositionsfuge ist keine Endung, sondern ein Fugenvokal. Endglied ist das Bewohner-Suffix -ensis (REITZENSTEIN 2006: 251).

Der Klostername Gnadenberg [61] wurde grammatikalisch korrekt mit Substantiv und attributivem Genitiv-Singular wiedergegeben: 1426 deutsch Gnadenberg und lateinisch … monasterii Montis gracie, während die Zusammenschreibung in loco Montisgracie 1435 begegnet (REITZENSTEIN 2006: 98). Das lateinische Substantiv gratia bedeutet hier ‘Gnade’, mons ‘Berg’.

Ähnlich ist es bei dem programmatischen Klosternamen Himmelspforten [62]. In der Gründungsurkunde ist der lateinische Name genannt und begründet: 1231 Hermannus … Herbipolensis ecclesie episcopus … in fundo ecclesie nostre ville que dicitur Himelstat adiacenti monasterium fundauimus cui hoc nomen Celiporta dedimus, sperantes tam nos quam omnes eumdem locum consilio et auxilio promouentes, per merita sanctorum et in- tercessionem fidelium ibidem deo famulancium celestis patrie portas feliciter ingressuros (‘Hermannus, Bischof der Kirche von Würzburg… auf dem Grund unserer Kirche, der bei dem „Himelstat“ genannten Dorf liegt, gründeten wir ein Kloster, dem wir den Na- men „Celiporta“ [= Himmelspforte] gegeben haben, in der Hoffnung, dass sowohl wir als insbesondere alle, die wir ebendiesen Ort mit Rat und Hilfe fördern, durch die Ver- dienste der Heiligen und den Beistand derer, die ebenda Gott dienen, selig in die Pfor- ten der himmlischen Heimat eingehen werden’) (Staatsarchiv Würzburg, Urk Würz- burg Nr. 4441). Wenngleich zuletzt die Pluralform begegnet, steht doch das Bezugswort des lateinischen Klosternamens im Singular; die Endung des deutschen ist zwar ambig, denn es kann eine Pluralform vorliegen, aber spätere Belege wie 1311 ze der Himmelpor- te vor Wirzeburg (Urk Himmelspforten Nr. 122) und 1321 zů der Himelpforten bi der stat zů Wirzeburg (ebenda Nr. 137) zeigen eindeutig die Singular-Form.

Dasselbe Bestimmungswort liegt vor bei Himmelkron [63]. Belege sind 1279 (Kopie des 16.Jh.) Prezendorff … Corona Coeli, 1286 Hymelkron, 1361 … des closters zu der Hymelcron, 1375 … gein der Hymelkronen, 1547 Himmelkron vor 300 Jahren Pretzelsdorf geheißen und 1551 Coeli Corona, Germanice (‘auf deutsch’) Himmelkron. 1581 begegnet die lateinische Herkunftsbezeichnung Caelicoronensis. Der Name gehört zu den „mysti- schen Klosternamen, die den Himmel mit der Erde verbinden“ (GUTTENBERG 1952: 271). Er setzt sich zusammen aus dem Grundwort mittelhochdeutsch krône, krôn ‘Krone’ bzw. lateinisch corona und dem Bestimmungswort himel ‘Himmel’ bzw. coelum, caelum. (REITZENSTEIN 2009: 103). Die Latinisierung bayerischer Ortsnamen 73

Der gereihte Ortsname von Engelthal [64] wurde grammatikalisch korrekt mit Sub- stantiv und attributivem Genitiv-Plural wiedergegeben: 1240 Engeltal, ca. 1345 Angelo- rum Vallis (REITZENSTEIN 2009: 64f.). Es liegen lateinisch angelus ‘Engel’ und vallis ‘Tal’ vor.

Der Numerus des Bestimmungsworts lässt sich im deutschen Beleg des Ortsnamens Fürstenzell [65] 1274 Frstencelle nicht mit Sicherheit festlegen. Im lateinischen Beleg 1276 Heinricus … cenobium, dictum Cella principis ordinis Cysterciensium, cuius funda- cionem nobis duximus ascribendam (‘das Kloster, genannt „Cella des Fürsten“, Zisterzi- enserordens, dessen Gründung wir uns zuzuschreiben glaubten’) ist aber der Genitiv- Singular, hier von princeps ‘Fürst’, deutlich erkennbar (REITZENSTEIN 2006: 89f.). Das Substantiv cella ‘Wirtschaftshof’ entspricht dem deutschen Grundwort Celle/Zell(e).

Bei Kühbach [66] liegt eine ähnliche Wortbildung vor, wenngleich in den frühen Belegen auch der Singular vorliegt: 1011 Chpach und Chuibach, 1140 Chuebach, 1268 Chbach, 1397 Kübach. Im Jahr 1551 begegnet eine Namenserklärung: Vaccarum Rivvs uulgo Kie- bachim, à Vaccis (ex quarum pastione uixerunt initio … eius loci Religiosae personae) et à riuo praetereunte … dictus locus (‘Bach der Kühe, im Volksmund „Kiebachim“, nach den Kühen – von deren Fütterung lebten zu Anfang die Ordensmitglieder dieses Ortes – und nach dem vorbeifließenden Bach ist der Ort genanntʻ) (REITZENSTEIN 2013: 217).

Das Grundwort des Ortsnamens Christgarten [67] wurde mittels einer Nebenform von lateinisch hortus ‘Garten’ übersetzt, das Wort des herren durch den auch im Genitiv ste- henden Namen Christus wiedergegeben: 1383/84 dazselb closter ist genant vnsers herren gart, 1387 … cenobio seu domui Orto Christi (REITZENSTEIN 2013: 85).

Nach dem heiligen Petrus ist Petersbrunn [68] genannt. Erstbeleg ist ca. 1450 Peters- prun (Stadtarchiv München, Fremdbestände 21/III Gericht Weilheim fol. 49’), das Patrozinium wird deutlich im Beleg 1513 in dem Kirchelin so ze nagst beym Pronn ligt, darinn Sandt Peter der Heilig Zwelfpot rastend ist (Bayer. Hauptstaatsarchiv, Kurbayern Äußeres Archiv 4146, fol. 36). Im Jahr 1628 schrieb sich der bayerische Theologiestu- dent Georgius Krener à Fonte Divi Petri Boius an der Universität Ingolstadt ein (Matr. Ingolstadt 2, Sp. 514). Bei dieser Übersetzung wurde für das deutsche Grundwort das entsprechende lateinische fons ‘Quelle’ verwendet, für das im Genitiv stehende Bestim- mungswort lateinisch Petrus im gleichen Kasus. Hinzugesetzt wurde das mittellateini- sche Wort divus für ‘heilig’.

Das Grundwort des Ortsnamens Miltenberg [69], 1272 als Miltenberg bezeugt, wird im Beleg 1506 … a Pio Monte mit dem entsprechenden lateinischen Wort mons wiederge- geben. Das mittelhochdeutsche Adjektiv milte, welches das Bestimmungswort bildet, 74 Wolf-Armin Frhr.v.Reitzenstein drückte in der Zeit des Hohen Mittelalters eine geforderte Geisteshaltung aus. Im Lexer- Lexikon begegnen die Bedeutungen ‘freundlich, liebreich, gütig, geduldig, barmherzig, sanft, milde, wohlgesittet, wohltätig, freigebig’ (Lexer: Handwörterbuch 1, Sp. 2139). Dazu passt gut das lateinische Adjektiv pius ‘pflichtmäßig handelnd, fromm, rechtschaf- fen, gottesfürchtig, tugendhaft, gewissenhaft, liebevoll, pflichtgetreu, gütig, gnädig, hold’ (REITZENSTEIN 2009: 148).

Der Ortsname Hollfeld [70] ist erstmals 1017 als Holevelt bezeugt. 1602 begegnet die Herkunftsbezeichnung Cauicampianus; diese ist gebildet aus dem lateinischen Adjektiv cavus ‘hohl’, dem Substantiv campus ‘Feld’ und dem bewohneranzeigenden Zugehörig- keitssuffix -(i)ānus (REITZENSTEIN 2009: 108).

Bei Königswiesen [71] wurde die korrekte Übersetzung im lateinischen Text durch den deutschen Ortsnamen erklärt: 977−981 Regisprata id est Chunigesvuisa (Tr Freising Nr. 1281). Es handelt sich um den Genitiv-Singular von lateinisch rex, regis ‘König’ und den Plural von pratum ‘Wiese’.

Teilübersetzung

Letztlich nur das Grundwort des ursprünglichen Burgnamens Pottenstein [72] wurde übersetzt im Beleg 12. Jahrhundert (Kopie des 15. Jh.) … villa subiacens Lapidi-Botonis (‘die unter dem Stein des Boto liegende Ortschaft’) mittels lateinisch lapis ‘Stein’; an das Bestimmungswort, den Personennamen Boto, wurde die aus derselben Sprache stam- mende Genitivendung angefügt (REITZENSTEIN 2009: 178).

Die Herkunftsbezeichnung Auricronacensis eines Studenten aus Goldkronach [73] vom Jahr 1606 besteht aus der Übersetzung des Erstglieds mittels lateinisch aurum ‘Gold’, dem Stamm des deutschen Ortsnamens und dem wiederum lateinischen Bewohner- Suffix -ensis (REITZENSTEIN 2009: 85).

Das Bestimmungswort des Siedlungsnamens Frauenaurach [74] wurde mit dem Geni- tiv-Plural von domina ‘edle Frau, Nonne’ wiedergegeben, das Grundwort mit einer la- teinischen. Endung adaptiert: 1551 Dominarum Avrachivm, uulgo Frauenaurach (REIT- ZENSTEIN 2009: 73).

Ähnliches geschah bei Herzogenaurach [75]; im Beleg 1710 Auracum Ducis (BUZÁS/JUNGINGER 1971: 74) wurde das Zweitglied mit einem keltisch-lateinischen Suf- fix versehen und das Bestimmungswort mittels des lateinischen, im Genitiv stehenden Wortes dux, ducis ‘Herzog’ wiedergegeben. Die Latinisierung bayerischer Ortsnamen 75

Nur die unterscheidenden Zusätze wurden bei Altötting [76] und Neuötting [77] übersetzt: 1231 vetus Odingen … a porta fori scilicet novi Odingen (‘das alte Odingen … von dem Tor des Marktes nämlich des neuen Odingen’) (REITZENSTEIN: 2006: 16). Die Kleinschreibung der Adjektive deutet wohl darauf hin, dass sie hier noch appellativisch gebraucht wurden.

Der jetzige Stadteil Alterlangen [78] wurde im Beleg 1381 ze Wenigen Erlangen nach der Größe differenziert. Sinngemäß entsprechend ist die lateinische Übersetzung im Be- leg 1400 in Minori Erlangen (FASTNACHT 2015: Nr. 19b). Es liegt der lateinische Kompa- rativ minor ‘kleiner’ zugrunde.

Die Quellflüsse der Traun. die Rote Traun [79] und die Weiße Traun [80], werden nach der Farbe differenziert:, wobei der Name des zweiten im ersten Beleg mittels albus ‘weiß’ ins Lateinische übersetzt wurde: 959 (Fälschung des 11. Jh.) … Rotuntrûna … in Albam Trûnam und 1048 fluvius Wizziutrûna et prefatus fluvius Rotintruna (REITZEN- STEIN 2006: 277).

Ähnlich ist es auch beim Main mit seinen Quellflüssen Roter Main [81] und Weißer Main [82]; allerdings wurde nur der erstgenannte Gewässername mittels lateinisch rufus ‘rot’ übersetzt: 1223 super rufum Mogum (GUTTENBERG 1952: Nr. 385). Da es sich hier offensichtlich um einen Namensbestandteil handelt, müsste das Adjektiv eigentlich groß geschrieben werden.

Mehrere lateinisch übersetzte Zusätze begegnen beim Fluss Regen [83]: 1279 Imber Al- bus (Bayer. Hauptstaatsarchiv, Urk Rott a.Inn Nr. 64), 1356 … fluvii dicti Minor (‘des „der Kleinere“ genannten Flusses’) Regen (Bayer. Hauptstaatsarchiv, Urk Niederalteich Nr. 2007), ca. 1579 Duplex est autem Regenus, albus et niger … De albo … nunc de eo, qui nigri nomen accepit agendum est. Hic vero ex duobus fluviis coniunctus est, quorum alter maior, minor alter Regenus appellatur … Hic vero minor dictus … ad confluentem Regeni minoris (‘Doppelt aber ist der Regen, weiß und schwarz … Vom weißen … nun von dem, der den Namen Niger [=Schwarzer] bekomment hat, ist zu handeln. Dieser aber ist aus zwei Flüssen verbunden, von denen der eine „der größere“, der andere „der kleinere Regen“ genannt wird … Dieser aber ist „der kleinere“ genannt … bei der Mün- dung des kleineren Regens’) (Apian: Topographie S. 362 f.). Die Unterscheidungen be- ziehen sich auf die Wasserfarbe und auf die Größe. Es ist auffällig, dass bei Apian die Adjektive albus ‘weiß’ und niger ‘schwarz’, die Komparative maior ‘größer’ und minor ‘kleiner’ klein geschrieben sind, obwohl es sich um Namen handelt. 76 Wolf-Armin Frhr.v.Reitzenstein

Bei dem Seenamen Chiemsee [84] wurde in folgendem Beleg das Grundwort ausgelöst und gesondert übersetzt: 1493/94 iuxta lacum Chyming (Arnpeck: Chroniken 83). Da- mit wurde auch klargemacht, dass der See nach der Siedlung Chieming genannt ist.

Das Choronym Chiemgau [85] wurde in ähnlicher Weise behandelt: 1493/1494 in pago Chymingen (Arnpeck: Chroniken 82). Das ausgelöste Grundwort wurde mittels latei- nisch pagus ‘Bezirk, Gau’ übersetzt und als Erklärung des Namens ‘Landschaft um Chieming’ festgelegt.

Das Grundwort des Ortsnamens Deggendorf [86] wurde übersetzt in mittellateinisch pagus ‘Pfarrdorf’, das Bestimmungswort angeglichen: 1002 Deggindorf, 1512 Tegipagus (REITZENSTEIN 2006: 16).

Der frühere unterscheidende Zusatz wurde bei Donauwörth [87] ins Lateinische über- setzt: 1493/94 De Werdea Suevica (Arnpeck: Chroniken 16); dies erfolgte mit dem vom Völkernamen abgeleiteten Adjektiv, womit eine Art Lokalisierung erzielt wurde. Auch das Grundwort erfuhr eine Latinisierung mittels einer entsprechenden Endung. In einer Kopie des 16. Jahrhunderts begegnet bei demselben Chronisten die deutsche Namens- form zu Schbäbischen Werd (ebenda 515).

Ein ähnlicher Fall ist Kreuzwertheim [88]; auch hier wurde der unterscheidende Zusatz übersetzt, und zwar ca. 1319 in Crucis Werthei(m) mittels des Genitivs von lateinisch crux ‘Kreuz’, was auf das Patrozinium des Heiligen Kreuzes zurückgeht (REITZENSTEIN 2009: 23).

Während die Lokalisierung mittels des Flusses korrekt übersetzt ist, steht das lateinische Bestimmungswort des gereihten Siedlungsnamens Wasserburg a.Inn [89] im Genitiv und ist das deutsche Grundwort um die lat. Neutrumsendung erweitert: 1512 ad Oenum amnem … Aqueburgum (REITZENSTEIN 2006: 298).

Der unterscheidende Zusatz des Ortsnamens Niederschönenfeld [90] begegnet im Be- leg 1267 Schonenvelt inferior (REITZENSTEIN 2013: 270) mittels der Komparativform zur lateinischen Präposition infra ‘unterhalb’. Die Unterscheidung war erforderlich gegen- über dem Klosternamen Oberschönenfeld [91]. Eine Art Begründung findet sich im Be- leg 1256 in superiori Schonenvelt … predii nostri quod dicebatur Obernhouen nunc au- tem superius Schonenvelt nuncupatur (‘im oberen Schonenvelt … unseres Gutes, das „Obernhouen“ genannt wurde, jetzt aber „das obere Schonenvelt“ genannt wird’) (REIT- ZENSTEIN 2013: 294). Die hier vorliegende Komparativform zur lateinischen Präposition supra ‘oberhalb’ zeigt die höhrere Lage an. Die Latinisierung bayerischer Ortsnamen 77

Ungenaue Übersetzung

Eine der ersten Namensübersetzungen mittels lat. imber ‘Regen’ betrifft den Flussnamen Regen [92], dessen Name auf idg. *reĝ- ‘feucht, bewässern, Regen’ zurückgeführt wurde (KRAHE 1964: 104). Es handelt sich demnach um ein Wasserwort, das nicht konkret mit dem Niederschlag aus den Wolken gleichgesetzt werden darf. Belege sind 772 (Kopie des 10. Jh.) inter confluenta … Imbris (Arbeo: Vita Haimhrammi 92) und 9. Jahrhundert … Danubii Ymbrisque fluminis (Annales Fuldenses 131).

Der ursprüngliche Klostername Münchsmünster [93] hat die deutschen Belege 1307 (Kopie des 17. Jh.) Minichsminsster und 1349 Mnchsmnster. Hier ist Bestimmungs- wort der kollektive (Genitiv-)Singular von mittelhochdeutsch munich ‘Mönch’. Im la- teinischen Beleg 1343 Monasterium monachorum steht nach dem Substantiv monasteri- um ‘Kloster’ der attributive Genitiv-Plural von monachus ‘Mönch’ (REITZENSTEIN 2006: 171).

Der Ortsname Würzburg [94] wurde schon im 10.Jahrhundert mittels lateinisch herba ‘Kraut’ und des als Grundwort vorkommenden griechischen Lehnwortes polis ‘Burg, Stadt’ übersetzt: … ad Herbipolim, quae a rusticis Wirciburg vocatur (‘nach Herbipolis, das von den Landleuten „Wirciburg“ genannt wird’), wobei der deutsche Name als bäu- erisch bezeichnet wurde. Wie der Name im Mittelalter verstanden wurde, zeigt auch ei- ne vor 1057 entstandene Quelle: Nomen ut herbarum tenet hec urbs proficuarum (‘wie diese Stadt den Namen von zuträglichen Kräutern trägt’); ähnlich die Erklärung von 1494-1498: … cur Herbipolim dictam putas …? Credo quod ab herbarum odoriferarum pluralitate (‘warum, meinst du, ist Herbipolis so genannt? Ich glaube, nach der Vielzahl der duftenden Kräuter’) (REITZENSTEIN 2009: 249f.).

In Belegen des Ortsnamens Reit [95] ist eine Person in einem Ort unterschiedlich loka- lisiert: 1312 Magens ab dem Revt (Urk Gars Nr. 39) und 14.Jahrhundert Magenso de No- vali (Urb Gars Nr. 241); lateinisch novalis wird im Wörterbuch etwas abweichend mit ‘Brachfeld, Neubruch, Acker’ übersetzt (GEORGES 1913/1918: Sp. 1197f.), obwohl die zweite Bedeutung dem deutschen Ortsnamen durchaus nahe ist.

Das Kloster Neustift [96] in Freising hat als Namensbelege 1143 … ecclesie sancti Petri de Novo Loco iuxta Frisingensem civitatem (‘der Kirche des Heiligen Petrus vom neuen Ort bei der Stadt Freising’) (Urk Neustift bei Freising Nr. 2), 1143−1158 de Noua Cella (ebenda Nr. 8), 1152 ad ecclesiam sancti Petri Noue Celle (Tr Neustift bei Freising Nr. 4) und ca. 1168 ad Niwenstift (Urk Indersdorf Nr. 18). Offensichtlich waren die lateini- schen Belege primär. Daher ist im Erstbeleg noch kein eigentlicher Name genannt, son- dern nur die Gründung an einem neuen Ort, der bei Freising lokalisiert werden musste. 78 Wolf-Armin Frhr.v.Reitzenstein

Das lateinische Substantiv Cella ‘Zelle’, was eher allgemein für Kloster gebraucht wird, ist durch ‘Stift’ nicht ganz präzise wiedergegeben.

Die frühen Namensbelege von (Bad) Reichenhall [97] enthalten neben der althoch- deutschen Bezeichnung auch die lateinische: 744–747 (Kopie des 12. Jh.) … in oppido suo Halla nuncupato domum et fontem salis (‘… in seiner Stadt, die „Halla“ genannt ist, ein Haus und eine Salzquelle’), 748–788 (Kopie des 9. Jh.) Halle, 790 (Kopie des 12. Jh.) zu ca. 700 … in loco, qui vocatur Salinas (‘… in einem Ort, der „bei den Salzlagern, Sali- nen“ genannt wird’), 790 (Kopie des 12. Jh.) … ad Salinas, quod dicitur Hal (‘… bei den Salinen, was „Hal“ genannt wird’) und … tradidit (Theodbertus) in ipso pago in loco, qui vocatur Hal, ad sal coquendum fornaces VIIII (‘Theodbertus übergab im Gau selbst an dem Ort, der „Hal“ genannt wird, neun Öfen zum Salzsieden’) sowie vor 803–816 (Kopie des 9. Jh.) … in loco qui cognominatur Halle … patenas duas ad sal coquendum (‘… an dem Ort, der „Halle“ genannt wird … zwei Pfannen zum Salzsieden’). In einer Urkunde von 908 (Kopie des 13. Jh.) wird der Ortsangabe in salina et extra salinam (‘in und außerhalb der Saline’) zur Verdeutlichung die Randglosse in Halla et extra Halla beigefügt, in einer von 973 begegnet die volkstümliche Bezeichnung … salinam quod vulgo Hál vocant (‘… die Saline, die man im Volksmund „Hal“ nennt’), in einer von 1275 die Alternative … apud Halle sive in coccione salium (‘bei Halle oder bei der Salz- kochung’). Der Ort mußte von gleichnamigen Orten unterschieden werden, so ca. 980 infra salinam bauuariensem quam vulgo … Hal solent nuncupare (‘unterhalb der bairi- schen Saline, die man im Volksmund „Hal“ zu nennen pflegt’), ähnlich 1147–1152 (Ko- pie des 19. Jh.) Paierhalle. Wie aus den ältesten Formen hervorgeht, ist althochdeutsch *hal, *halla als Fachausdruck für ‘Salzwerk, Saline’ zu erschließen; das Wort halasalz ‘Salz aus der Salzquelle’ ist vorhanden. Das entsprechende lateinische Wort ist das Plura- letantum salinae,-arum ‘Salzwerk, Saline’; erst ab dem Beleg von 908 begegnet die mit- tellateinische Singularform salina (REITZENSTEIN 2006: 29).

Bei Heiligenstadt [98] ist wohl der lateinische Name primär. Als erster Beleg begegnet ca. 1100 De sancto sepulchro (Tr Münchsmünster Nr. 72); dies bezieht sich offensicht- lich auf das Grab eines unbekannten Heiligen. Später wurde das Substantiv sepulchrum ‘Grab’ durch locus ‘Ort’ ersetzt, so etwa 1166−1169 (Kopie von 1189/90) de sancto loco (Tr Biburg Nr. 66). In den Editionen wurden diese Ortsangaben noch als appellativisch aufgefasst. Der deutsche Name ist ca. 1177/78 (Kopie von 1189/1190) in gefügter Form als de Heiligenstete (Tr Biburg Nr. 103) bezeugt, wobei das Grundwort stete ‘Stätte, Platz’ ungefähr dem lateinischen Substantiv entspricht.

Der Flurname † Steinbichl [99] ist 1449 als Stainpchl bezeugt (Urk Weltenburg Nr. 209); darauf bezieht sich der Eintrag in einem Urbar vom Ende des 13. Jahrhunderts vi- nea sub lapide (‘Weinberg unter dem Stein’) (Urb Weltenburg Nr. 4). Letzterer Beleg ist Die Latinisierung bayerischer Ortsnamen 79 wohl primär; die Bezeichnung der Anhöhe entspricht teilweise dem deutschen Grund- wort.

Der bei Mallersdorf abgegangene Ort † Weinberg [100] ist erstmals ca. 1400 in der ad- jektivischen Form Weinperger prun bezeugt (Bayer. Hauptstaatsarchiv, KL Mallersdorf 3, fol. 2). In derselben Quelle begegnet die lateinische Übersetzung In Monte Vinearum (ebenda). Das deutsche Grundwort ist richtig mit mons ‘Berg’ wiedergegeben. Weil la- teinisch vinea neben ‘Weinberg’ auch ‘Weinstock’ bedeuten kann, ist die Pluralform in der Übersetzung durchaus gerechtfertigt. Bei der Erklärung des deutschen Bestim- mungswortes gibt es zwei Möglichkeiten: Einmal könnte man es wörtlich als Singular „des Weins“ auffassen und den Flurnamen als ‘Anhöhe, wo Wein wächst’ erklären, an- dererseit kommt auch die Klammerform *Weinstöcke-Berg infrage.

Das Choronym Böhmerwald [101], dessen Bestimmungswort die Adjektivform des Ethnonyms Böhmen ist, wurde ca. 1285 in nemus Bohemorum übersetzt (Mon Boica 36 a, S. 366). Dem deutschen Grundwort entspricht das lateinische Substantiv nemus ‘Wald’, von dem der Genitiv des Völkernamens abhängt.

Der Name Allerheiligen [102] ist ein ursprünglicher Genitiv-Plural, wobei ein Bezugs- wort wie „Tag“, „Fest“ oder „Kapelle/Kirche“ zu ergänzen wäre. Erstbeleg ist 1476 Zu- kirche Allerheiligen (MAYER/WESTERMAYER 1874/1884: 3, 306f.). Die lateinische Über- setzung von 1543 zeigt den Ablativ De Omnibussanctis (Matr. Ingolstadt 1, Sp. 596), und zwar mittels des Adjektivs omnis ‘all, ganz, jeder’ und dem substantivierten Adjektiv sanctus ‘heilig’. Appellativisch aufzufassen ist ca. 1583 Templ. omnium sanctorum (Api- an: Topographie 73); es ist nur die Bezeichnung der Kirche, nicht des Ortes.

Ein Zahlwort ist Bestimmungswort des Ortsnamens Fünfbronn [103], der 1253 in de Quinque Fontibus (‘von Fünf Quellen’) (Urk Heilsbronn Nr. 85) mittels lateinisch quin- que ‘fünf’ und der Pluralform von fons ‘Quelle’ übersetzt wurde. Die Belege 1295 zu Fvmpbrunne und 1335 Funfbrunne (SCHUH 1979: Nr. 85) zeigen wohl eine Dativ- Singular-Endung.

Der Beleg des Klosternamens Seligenporten [104] 1215 (Kopie von 1813) … monas- terii Felicis Porte (Bayer. Hauptstaatsarchiv, Urk Seligenporten Nr. 15/I) ist wahrschein- lich eine Fälschung. Erstbeleg ist eher 1249 cenobium Felix Porta uocatum (‘das „Felix Porta“ [= Gesegnete Pforte] genannte Kloster’) (ebenda Nr. 1). Das Adjektiv hat im Mit- tellateinischen die Bedeutungen ‘glücklich, vom Glück begünstigt, gesegnet, beglückt’, das Substantiv ‘Besucherempfang in einem Kloster’. Der erste Beleg mit dem deutschen Namen ist 1253 Seldenporte; er hat die substantivischen Bestandteile mittelhochdeutsch saelde ‘Güte, Segen, Heil’ und porte ‘Pforte’. Das im lateinischen Beleg enthaltene Adjek- 80 Wolf-Armin Frhr.v.Reitzenstein tiv wurde später mit mhd. saeled, saelic ‘glücklich, gesegnet, selig’ wiedergegeben; ent- sprechende Beleg sind 1262 Selgenporten (Reg Eichstätt Nr. 807), 1273 in Seligenporten (Urk Nürnberg Nr. 459) und 1302 in Seligenphorten (Mon Zollerana 2, S. 276). Ein an- deres Adjektiv erscheint 1351 als Bestimmungswort, nämlich zu Heiligenpforten (Bayer. Hauptstaatsarchiv, Repert. GU Neumarkt i.O. Nr. 708). Dies passt jedoch nicht zu dem lateinischen Adjektiv der frühen Belege.

Die Herkunftsbezeichnungen aus Bischofsheim a.d.Rhön [105] gehen von einer Art Schwundform *Episcopium aus, bei der das Grundwort ist durch ein Suffix ersetzt ist: 1603 Episcopiensis ad Rönam (Matr. Würzburg 62) und 1623 Episcopius ad Rönam (ebenda 142). Die unterscheidende Lokalisierung kann mittels des Zugehörigkeitssuffi- xes -ānus ausgedrückt werden: 1604 Episcopius Rönanus (ebenda S. 70) oder 1704 Epis- copio-Rönanus (ebenda 468).

Das genitivische Substantiv im Bestimmungswort des gefügten Namens Königsberg i.Bay. [106] 1198 Cuningesberc wurde in den lateinischen Namensformen mit dem Ad- jektiv regius ‘königlich’ wiedergegeben: 1552 a Regiomonte (REITZENSTEIN 2009: 122) und 1607 de Monte Regio (Matr. Altdorf 97). Auffällig ist die Zusammenschreibung im ersten Beleg und die unterschiedliche Reihenfolge.

Das adjektivische Bestimmungswort des gefügten Ortsnamens Hohenwart [107], der sich als ‘bei der hohen Warte’ versteht, wurde bei der lateinischen Übersetzung in den Nominativ gesetzt: 1657 Hochenwart … oder Alta Specula (REITZENSTEIN 2006: 119).

Bei Triefenstein [108] entspricht die Bedeutung des lateinischen als Partizip gebrauch- ten Verbums stillare ‘träufeln, tröpfeln’ nicht genau der des deutchen Wortes: 1136 Trie- fenstein, 1164 De Stillante Petra (REITZENSTEIN 2009: 223f.).

Das bei Kleinochsenfurt [109] im Beleg des 9. Jahrhunderts Ohsonofurt im Plural ste- hende Bestimmungswort begegnet in der Übersetzung des Namens Ochsenfurt [110] als Genitiv Singular: 1512 Vadum Bovis (REITZENSTEIN 2009: 172).

Im Gegensatz zum deutschen Ortsnamen Weyarn [111], der im Normalkasus Dativ- Plural steht, liegt in der lateinischen Namensform der Nominativ-Plural von vivarium ‘Fischteich, Weiher’ vor: 1078–1085 Wiari und Wiara, 1159 Viuaria 1315 Weiaren, 1362 Weyern und 1524 Weyarn (REITZENSTEIN 2006: 303).

Das Erstglied des Ortsnamens Fürstenfeldbruck [112], und zwar der Klostername, wurde ins Lateinische übersetzt: 1493/1494 Furstenfelt. Anno domini 1263. fundatum est monasterium Campiprincipum iuxta Pruck per Ludovicum Bavarie ducem (Arnpeck: Chroniken 236). Weil die Klostergründung durch einen einzigen Herzog erfolgte, ist in Die Latinisierung bayerischer Ortsnamen 81 der deutschen Namensform ein Genitiv Singular im Erstglied anzunehmen, während die lateinische mit einer Pluralform auslautet.

Das Bestimmungswort des gereihten Namens Waldmünchen [112] wird durch ein la- teinisches Adjektiv wiedergegeben, das Grundwort latinisiert: 1404 de Monaco siluestri, 1409 Waltmünichen (REITZENSTEIN 2006: 295).

Ähnlich wird das Bestimmungswort des Siedlungsnamens Steinheim [113] durch das lateinische Adjektiv wiedergegeben, das Grundwort auf das Gebäude reduziert: ca. 1133−1135 Stainheim, 1162−1167 de Lapidea Domo (REITZENSTEIN 2013: 362f.).

Anders als im gereihten deutschen Ortsnamen Kupferberg [114] steht im lateinischen das Bestimmungswort einmal im atrributiven Genitiv und einmal in einer Adjektiv- form: 1320 in monte Cupri, 1508 de Cupreo monte (REITZENSTEIN 1998: 294).

Bei Fürth [115] ist die Übersetzung in der lateinische Quelle nicht ganz genau, weil traiectus im weiteren Sinn ‘das Hinübersetzen, die Überfahrt, der Übergang’ bedeutet: 1502 ... accole Traiectum dicunt (REITZENSTEIN 2009: 76).

Das im Genitiv stehende althochdeutsche Bestimmungswort wurde bei (Bad) Königs- hofen i. Grabfeld [116] korrekt übersetzt, ebenso das Grundwort; die Pluralendung be- gegnet nämlich erst im Beleg des Jahres 1240. Die Lokalisierung mittels lat. arvum ‘Ackerland, Gefilde’ gibt nur das Grundwort des Choronyms wieder, und zwar im Plu- ral: 822 Chuningishaoba, 1505 Regis Curia in Arvis (REITZENSTEIN 2009: 31).

Die lateinische Übersetzung des Ortsnamens Weiden i.d.OPf. [117] erfolgte mittels des Kollektivums salicetum ‘Anzahl von Weiden, Weidenwald’. In Wirklichkeit war es nur ein einziger markanter Weidenbaum: nach 1301 datz der Weiden, 1512 Salicetum (Reitzenstein 2006: 299).

Interessant ist der Fall des Ortsnamens Bach [118], weil nicht der ursprüngliche, aber später zu Siedlungsnamen gewordene Gewässername übersetzt wurde, sondern das feste Ufer, an bzw. auf dem die Häuser standen: 923/924 ad Pache, 1254 apud Ripam, 1264 in loco, qui nominatur Ripa und 1535 zum Pach. Der Name bezieht sich auf die Lage am Gehringer Bach bzw. an dessen Ufer (REITZENSTEIN 1984: 51).

Der Name Landau [119] wurde zu frei übersetzt; denn lateinisch patria bedeutet ‘Hei- matland’ und pratum ‘genutzte Wiese’: 1519−1521 Landau … , patriae pratum (Aventin 2, 23). 82 Wolf-Armin Frhr.v.Reitzenstein

Das Bestimmungswort des gereihten Namens Waldmünchen [120] wird durch ein Syn- tagma, bestehend aus lateinischer Präposition, Oronym bestehend aus Substantiv im Sinn von ‘Wald’ und Genitiv des Völkernamens wiedergegeben, das Grundwort latini- siert: 1298 in Monaco iuxta saltum Bohemorum (REITZENSTEIN 2006: 295).

Falsche Übersetzung

Der Ortsname Haunwang [121] ist 799−811 (Kopie von 824) als Hunesuuanc (Tr Frei- sing Nr. 180), ca. 1030−1040 (Kopie des 11. Jh.) als Hûninuuanc (Bayer. Hauptstaatsar- chiv, KL Ebersberg 2, fol. 14’), 1078−1091 als Hunuuanch (Tr Tegernsee Nr. 104), 1138−1145 (Kopie des 13. Jh.) als Hunenwanc (Tr Moosburg Nr. 67), 1254 als Hauen- wanc (Urb Niederalteich S. 21) und nach 1311 als Havnwang (Mon Boica 36 b, 276) be- zeugt. Als Erklärung ergibt sich somit ‘Wang, leicht geneigte, bewachsene Fläche eines Mannes namens Hūni, Hūno, Hūn’. Der Geschichtsschreiber Aventin brachte 1519−1521 folgende (falsche) Deutung: auxiliares Hunnorum cohortes … Isaram transseunt, locum castris capiunt seque carris et rhedis more Germanorum circumsepiunt. villae ibi aduc Hunnovangiones, hoc est Hunnorum currus nuncupantur (Aventin 2, 339). Eine Art Über- setzung findet sich in der deutschen Chronik desselben Autors aus dem Jahr 1533: Die Haunen, ir helfer … kamen über die Iser … schlugen alda ir geleger, (wie der Teutschen brauch ist) beschlossen ’s mit wägen. Darumb in den alten lateinischen briefen im stift zu Mospurg wirt dasselbig ort genant kurz Haunenwang, das ist der Haunen wagenpurg. Weil aber der Volksname Hunnen mit kurzem u geschrieben wurde, kann dieser Vokal nicht zu au diphthongiert worden sein. Das Grundwort wurde irrtümlich für bairisch wang [mit hellem a], den Plural von Wagen, gehalten.

An den ohne unterscheidenden Zusatz gebildeten Ortsnamen Niederalteich [122] wur- de die lateinische Endung -ium angehängt und der Übersetzung die Baumbezeichnung Eiche zugrundegelegt, obwohl der Beleg des 8. Jahrhunderts Aldaha das Grundwort aha ‘Wasser’ zeigt: 1519–1521 … duae vetustissimae quercus … altera inferior, altera superi- or cognominabatur … Boii … in templa, et inde in Coenobia conmutarunt: … utrumque nomen vetus servat, Aldaechiumque vocari solet, quod lingua Boia veterem quercum sig- nificat (‘zwei uralte Eichen … die eine wurde „die Untere“, die andere „die Obere“ ge- nannt … die Boier wandelten sie in Kirchen, dann in Klöster um: … beide bewahren den alten Namen und werden gewöhnlich „Aldaechium“ genannt, was in bairischer Sprache „alte Eiche“ bedeutet’). (REITZENSTEIN 2006: 185).

Der Ortsname Langweid [123] ist in einer Quelle des Jahres 772 bezeugt: (Kopie 11. Jh.) in solitudinem, quae mutata vulgarica locutione Feronifaidus appellatur (‘in einen abge- legenen Ort, welcher mit geänderter volkstümlicher Bezeichnung „Feronifaidus“ ge- nannt wird’) (Arbeo: Vita Haimhrammi 84) sowie (Kopie 13. Jh.) Feroius fundus (eben- Die Latinisierung bayerischer Ortsnamen 83 da); ein weiterer Beleg ist 1036/1037 zu 8. Jh. Verroniwaida, quod sermo Latinus expri- mit Longinqua pascua (‘Veroniwaida, was die lateinische Sprache mit „Longinqua pas- cua“ [= ferne Weide] ausdrückt’) (MGS 4, 550). Während das Grundwort ahd. weida, weide des Ortsnamens richtig übersetzt wurde, ist das Bestimmungswort eine Eindeu- tung von ahd. ferron ‘fern, weit ab’; in Wirklichkeit ist eher an den römischen Perso- nennamen Ferronius, Ferius (SOLIN/SALOMIES: 1994: 78) zu denken.

Die Herkunftsbezeichnung eines Studenten aus Pottenstein [124] vom Jahr 1612 Nun- cipetraeus hat als Bestimmungswort das lateinische Substantiv nuntius ‘Bote’; es liegt aber nicht das betreffende deutsche Wort zugrunde, sondern der Personenname Boto. Richtig ist im Grundwort lateinisch petra ‘Stein, Fels’ in adjektivischer Form (REITZEN- STEIN 2009: 178).

Aus dem Beleg 1142 Haholdesbrunnen des Siedlungsnamens Heilsbronn [125] geht hervor, dass das Bestimmungswort ein Personenname ist. Dies war aber im Beleg 1263 Hailsbrvnnen nicht mehr ersichtlich, obwohl eine solche Erklärung eigentlich durch das auf die Genitivendung zurückzuführende Fugen-s erkannt werden hätte können. Im Be- leg 1551 Fons Salutis, uulgo Heilsbrunn des Klosternamens wurde das Grundwort mit- tels lateinisch fons ‘Quelle’ übersetzt und in das Bestimmungswort aus religiösen Grün- den lateinisch salus ‘Gesundheit, Wohlbefinden, Heil, Glück, Rettung’ eingedeutet und als attributiver Genitiv geschrieben. Der volkstümliche Name wurde hinzugefügt (REIT- ZENSTEIN 2009: 97f.). Im Beleg des 17. Jahrhunderts zu ca. 1275 in Fontium Salutarium coenobio (Staatsarchiv Bamberg, A 180 l. 599 Nr. 106, Mitteilung von Dorothea Fast- nacht) liegt der Genitiv-Plural des Substantivs fons sowie des Adjektivs salutaris ‘heil- sam’ vor.

Weil bei Edelstetten [126] der Erstbeleg des 11.Jahrhunderts Otelinistetten lautet, ist in der Erklärung von 1551 Edelstetvm quasi nobilis locus, uel nobilium puellarum locus (REITZENSTEIN 2013: 106) das Bestimmungswort mittels des lat. Adjektivs nobilis ‘edel, adelig’ unrichtig übersetzt; in Wirklichkeit liegt der zu erschließende Personenname *Otilin vor.

Die 1585 von Tännesberg [127] ausgehende Herkunftsbezeichnung Abiemontanus mittels lat. abies ‘Tanne’ und mons ‘Berg’ ist unrichtig, weil Bestimmungswort der Per- sonenname Thegan ist; Erstbeleg ist nämlich ca. 1150 de Tegenisperge (REITZENSTEIN 2006: 270).

Die Herkunftsbezeichnung eines Studenten aus Hersbruck [128] Cervipontanus vom Jahr 1654 geht irrtümlich von dem eingedeuteten Bestimmungswort cervus ‘Hirsch’ aus, 84 Wolf-Armin Frhr.v.Reitzenstein wie auch das Stadtsiegel ein solches Tier zeigt. In Wirklichkeit liegt der Personenname Haderich vor (REITZENSTEIN 2009: 101).

Der im Kontext ins Lateinische übersetzte Ortsname Aiterhofen [129] hat in Wirklich- keit einen Gewässernamen als Bestimmungswort, der aus dem Indogermanischen er- klärt wurde: 11. Jh. … curtim, quae vulgo dicitur Eiterhof, id est veneni atrium et curtis (‘den Hof, der allgemein „Eiterhof“ genannt wird, das heißt „Halle und Hof des Gif- tes“’). Während das Grundwort mittels mittellateinisch atrium ‘Vorhof’ und curtis ‘Hof- stelle, Fronhof’ akzeptabel übersetzt ist, passt lateinisch venenum ‘Gift’ nur zu mittel- hochdeutsch eiter ‘Gift’ und nicht zu einem vordeutschen Hydronym (REITZENSTEIN 2006: 10).

Das mittelhochdeutsche Adjektiv niuwe ‘neu’ als Bestimmungswort des Ortsnamens Neunburg vorm Wald [130], wurde in der latinisierten Herkunftsbezeichnung wegen des Gleichklangs irrig mit dem Zahlwort novem ‘neun’ wiedergegeben: 1327 Neunburch, 1700 Novemburgensis Palatinus (REITZENSTEIN 2006: 181).

Die Kontrahierung von mhd. hagen ‘Dornbusch’ im Grundwort des Ortsnamens Ro- tenhan [131] wurde irrig mit der lateinischen Tierbezeichnung gallus ‘Hahn’ wiederge- geben, wie die Herkunftsbezeichnungen 1503 Sebastianus de Rotenhan und 1504 Sebas- tianus de Rubrigallo (REITZENSTEIN 1998: 292) zeigen. Frühere Belege sind nämlich 863 (Kopie 12. Jh.) Rotenhagen, 1299 Rotenhain, 1306 Rothenhan, 1444 Rotenhahn alias Ro- tenhayn (SCHMIEDEL 1973: Nr. E 130).

Bei Wittenberg [132] (ver)führte das Bestimmungswort des Belegs 1175 Wittigenber- gen (Urb Augsburg-St.Ulrich Nr. 76) wegen der Ähnlichkeit mit mhd. witewe, wittib ‘Witwe’ zur Übersetzungsform mittels lateinisch vidua ‘Witwe’: ca. 1279−1284 In Monte viduae (Mon Boica 36 a, 196).

Die nüchterne Erklärung des Bestimmungswortes des Ortsnamens Amorbach [133] mittels amer ‘Sommerdinkel’ wurde ersetzt, aber nicht durch den römischen Liebesgott, sondern den hier verehrten heiligen Amor: Amorbach, quod interpretatur „Rivus amo- ris“ (REITZENSTEIN 2009: 25). Die Kleinschreibung weist freilich auf das lateinische Sub- stantiv amor ‘Liebe’.

Der Namensbestandteil Gold des Personennamens Ingold, der als Bestimmungswort des Siedlungsnamens Ingolstadt [134] anzunehmen ist, wurde ins Lateinische und Griechi- sche übersetzt, das Grundwort wurde gräzisiert: 1533 Ingolstat, welche stat zue latein der nent Auripolis, der ander Chrysipolis (gleichsam’s Goldstat hies) (REITZENSTEIN Die Latinisierung bayerischer Ortsnamen 85

2006: 123). Es liegen also lateinisch aurum ‘Gold’ und gleichbedeutendes griechisch χρυσός zugrunde.

Das Bestimmungswort des Namens Ettal [135], dem mittelhochdeutsch ê ‘Gesetz, Ehe, Bund’ zugrundeliegt, wurde unterschiedlich latinisiert. Während die Übersetzungen von ca. 1342 vallis legis (‘Tal des Gesetzes’) und des 14.Jahrhunderts vallis matrimonii (‘Tal der Ehe’) noch nachvollziehbar sind, wurde im Beleg 1702 Aethal, quasi Vallis Solitaria (‘gleichsam Ödes Tal’) das Adjektiv öde eingedeutet, im Beleg 1797 Etikons Thal (Vallis Eticonis) der im Genitiv stehende Personenname Etico (zu den Nachweisen siehe REIT- ZENSTEIN 2006: 76). Grundwort in den lateinischen Namensformen ist jeweils vallis ‘Tal’, Bestimmungswörter sind lex ‘Gesetz’, matrimonium ‘Ehe’ und das Adjektiv solita- rius ‘alleinstehend, einsam’.

Erfindung

Auf das Kloster bezogen ist die zusätzliche Bezeichnung von Andechs [136]: 1155–1173 Andechs, 1452 … auf dem hailligen perg ze Andechs, 1467 abbas Montis Sancti alias An- dezz nuncupati (REITZENSTEIN 2006: 18). Mit dem Namen, der aus lateinisch mons ‘Berg’ und dem Adjektiv sanctus ‘heilig’ gebildet ist, sollten Pilger und Wallfahrer ange- lockt werden.

Keinen Zusammenhang mit den alten Belegen des Ortsnamens Eichstätt [137] läßt die Form Aureatum erkennen. Sie ist eine Erweiterung des lateinischen Adjektivs aureus ‘golden’ und bedeutet auch ‘geziert, geschmückt’; die Form Areat ist wohl eine Ablaut- bildung dazu. Mit diesen Namen sollte die Entstehung des Ortes in die Antike verlegt werden. Es ist anzunehmen, dass der Bischof solches veranlasst hatte, um den aus römi- scher Zeit stammenden Namen der Bischofsstädte Augsburg, Passau und Salzburg gleichgestellt zu werden: 1068 (Kopie ca. 1300) … Aureatenis ecclesie … , ca. 1488 Areat, das nun Aichstet genant ist, 1536 nouum Aureatum (REITZENSTEIN 2006: 67).

Ebenfalls in die Antike weisen soll der 1494–1498 für Würzburg [138] erfundene Name … urbem Diane (‘die Stadt der Diana’). Dass Würzburg einst die Stadt dieser Göttin ge- wesen sei, sucht die betreffende Quelle von 1494–1498 zu erweisen: … ea in vrbe alieno ritu ac gentilium more deam quandam Dianam appellatam … ab illa ipsa veluti a pat- rona vrbs nomen accepit (‘in dieser Stadt sei nach fremdem Ritus und nach Sitte der Barbaren eine Göttin „Diana“ genannt worden … von jener selbst empfing die Stadt wie von einer Schutzherrin ihren Namen’). Dazu würde die Nachricht von 1601 passen … in eo loco qui olim dictus Lunaw, vbi nunc est vrbs Francorum nomine Wirtzburg (‘in einer Örtlichkeit, die einst „Lunaw“ hieß, wo jetzt eine Stadt der Franken namens „Wirtz- 86 Wolf-Armin Frhr.v.Reitzenstein burg“ liegt’); es wäre dann also ‘die Au der Luna, d.i. der Mondgöttin, der Diana’. Dies ist aber nur eine phantastische Erfindung (REITZENSTEIN 2009: 249f.).

In einer Reimchronik des Jahres 1628 sind für Kempten [139] noch andere Namen ge- nannt: Kempten ein Vralte Reichsstatt / vor Christi geburth mehr Namen hatt / Als: Cre- tika viel hundert Jahr / Von den Römern bewohnet war / … Die Statt ward etlich mal zer- stört / Von den Hunnen in grund verhörgt / Vnd endlich gantz und gar verbrand / Derwe- gen Vertica genannt / Wurd ein wüste Wildnuß darauß / Der Schlangen / Würm und Trachenhauß / Daher geheißen Vermeta / Von etlichen Vermetica / …Die Statt zu ernew- ren vergont / Vnd steht jetzt an dem vierdten Ort / Cambidon ihr Lateinisch Wort / Wird jetzund die Burghald genandt (KAISER 1914: 7). Diese zusätzlichen Namen sind aber reine Erfindung: Als vorrömischer Name wurde das von der Insel Kreta abgeleitete Ad- jektiv Crētica angegeben; es kann vielleicht deshalb gewählt worden sein, weil die kreti- sche Kultur ins zweite Jahrtausend v.Chr. zurückreicht. Weniger wahrscheinlich ist da- gegen die Bedeutung des substantivierten Adjektivs ‘gemeine Waldrebe’. Der zweite Name ist wohl eine Neubildung zu lateinisch vertere ‘wenden, umstürzen, verderben’, der nächste lässt sich mit seiner Variante von lateinisch vermis ‘Wurm’ herleiten, wie es auch im Text zu begründen versucht wurde. Wenn am Schluss der richtige keltische Ortsname genannt ist, so muss jedenfalls korrigiert werden, dass es sich um ein lateini- sches Wort handle (REITZENSTEIN 1998: 121).

Der erfundene Name von Lindau [140], der nur den Anlaut mit dem richtigen teilt, soll möglicherweise an das lat. Adjektiv lentus ‘zäh, lange dauernd’ anklingen. Er wurde dem teilübersetzten Ortsnamen, der zusätzlich als verderbt bezeichnet wurde, gegen- übergestellt.

1758 Lentia Oppidum nunc corruptè Lindaugia (REITZENSTEIN 2013: 234).

Den Anfang mit dem Ortsnamen bzw. Klosternamen Kaisheim [141] gemeinsam haben die erfundenen Namensformen von 1336 Kaisersheim und 1426 Keisersheim. Weil der Kaisertitel im Mittellateinischen caesar lautet, hat man den Klosternamen, wohl im Ein- klang mit dem römischen bzw. biblischen Ortsnamen Caesarea, griechisch Καισάρεια, in folgender Weise latinisiert: 1184 Kayßhaim quod mutato nomine Cesarea nuncupatur (‘das mit geändertem Namen „Cesarea“ genannt wird’), 1185 … locum ipsum qui Cesa- rea dicitur (‘den Ort selbst, der „Cesarea“ genannt wird’) und Kaysheim, quod mutato nomine Cesarea nuncupatur (‘das seinen Namen geändert hat und „Cesarea“ genannt wird’), ca. 1206 … cenobio Cesariensi quod uulgari nomine Cheisheim dicitur (‘dem Kloster Cesarea, das mit volkstümlichem Namen „Cheisheim“ heißt’), 1243 Cesaria und ca. 1295 zu 1133 domus (‘das Haus von’) Cesariensis; 1488 … das closter Cesaream, Kaisheim und 1501 Caesarea germanice Keysersheim, corrupto autem uocabulo Keysheim Die Latinisierung bayerischer Ortsnamen 87

(‘Caesarea zu deutsch „Keysersheim“, mit verderbtem Namen aber „Keysheim“’). Als la- tinisierte Herkunftsbezeichnung begegnet 1632 Caesariensis (REITZENSTEIN 2013: 197). Der Klostername wurde in Cesarea umgeändert, um auch durch den Namen eine stär- kere Beziehung zum deutschen Kaiser herzustellen.

Bei Wittislingen [142] wurde 1555 von Johannes Herold eine seltsame Namensentste- hung angenommen. Dabei ging er von einer römischen Inschrift aus: VITALIS VIGOR SIBI ET VITALIO VIRILI, FRATRI VIVOS FECIT. Hunc autem lapidem ex uico Witeslingen An- gustam deportatum affirmauerim, dubium enim mihi nullum est, addita terminatione Ingen, Vitalisingen loco primùm nomen fuisse: quod usus deinde, una litera I abiecta et transpositis S et L in Vitaslingen siue Vitalslingen conuertit: hanc etenim literarum transpositionem frequentem Germanis, ipsum VLRICI nomen declarat, quod apud multos Vrlich exprimitur. Verisimile quoque est Vitalios istos ueteranos, post exantlatam mili- tiam honestam missionem accepisse, ac ubi iam uicus ille Witeslingen extat, sedes suas lo- casse … (Herold: Commentariolus fol. B 6’) (‘Vitalius Vigor ließ zu seinen Lebzeiten für sich und seinen Bruder Vitalius Virilis [den Stein] herstellen. Dass aber dieser Stein aus dem Dorf Witeslingen nach Augsburg weggebracht wurde, möchte ich behaupten, es gibt nämlich für mich keinen Zweifel, dass nach Hinzufügung der Endung „Ingen” „Vi- talisingen” für den Ort der erste Name gewesen ist, weil sich der Gebrauch dann, nach dem Abwurf eines Buchstabens „I” und nach Umstellung von „S” und „L”, in „Vitaslin- gen“ oder „Vitalslingen“ verändert hat. Denn diese bei den Germanen häufige Umstel- lung der Buchstaben wird von dem Namen „Ulrich“ selbst gezeigt, der bei vielen “Ur- lich” ausgesprochen wird. Es ist auch wahrscheinlich, dass diese Vitalius-Brüder als Ve- teranen nach geleistetem Militärdienst eine ehrenvollle Verabschiedung bekommen und, wo gerade jenes Dorf Witeslingen besteht, ihren Wohnsitz gegründet haben’). Die Erfindung eines angeblich antiken Ortsnamens beruht auf einer willkürlichen Vertau- schung der Buchstaben und ist aus sprachlichen und sachlichen Gründen abzulehnen. In Wirklichkeit liegt der erschlossene Personenname *Witegisilo zugrunde, der durch das Zugehörigkeitssuffix -ing abgeleitet ist (REITZENSTEIN 2013: 426).

Anknüpfend an den Anlaut des Siedlungsnamens Freising [143] wurden Namen erfun- den, die an lat. frux, frugis ‘Frucht, Getreide’ erinnern: ca. 1291 (Kopie 15. Jh.) Frixinia, 1493/1494 Frixivia, 1519−1521 Fruxinum Freising. Dies wurde von dem Historiker Karl Meichelbeck im Jahr 1724 kritisiert: Addunt aliqui, nomen Fruxinii vel Fruxiniae, quòd eundem cum Frisinga significatum habeat, ex nomine cujusdam Romani Praefecti Frus- sinonis ortum trahere: quòd tamen ambitiosiùs utique quàm fortè veriùs excogitatum, fi- dem absque antiquis certísque suffragatoribus aegrè meretur. Neque veriora asserunt, qui Fruxinium dictum volunt à vocula frux, frugis, quod ad significandum soli fertilitatem as- sumptum fuisse opinantur (‘Einige fügen hinzu, der Name „Fruxinium“ oder „Fruxinia“, 88 Wolf-Armin Frhr.v.Reitzenstein der dieselbe Bedeutung wie „Frisinga“ habe, leite seinen Ursprung vom Namen eines römischen Statthalters Frussino her; dies jedoch, durchaus ehrgeiziger als vielleicht ver- nünftig ausgedacht, verdient ohne alte und zuverlässige Fürsprecher kaum Glauben. Und nicht Wahreres behaupten diejenigen, die wollen, dass „Fruxinium“ nach dem Wörtchen „frux, frugis“ genannt sei, was, wie sie glauben, zur Bezeichnung der Frucht- barkeit des Bodens herangezogen worden sei’) (REITZENSTEIN 2006: 86).

Quelleneditionen und Literatur

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Ortsregister

Aichach [41] Stadt, Landkreis Aichach-Friedberg, Schwaben Aiterhofen [129] Pfarrdorf, Landkreis -Bogen, Niederbayern Allerheiligen [102] Weiler, Gemeinde Warngau, Landkreis Miesbach, Oberbayern Altenmarkt a.d.Alz [47] Kirchdorf, Landkreis Traunstein, Oberbayern Alterlangen [78] Stadteil in Erlangen, Landkreis Erlangen-Höchstadt, Mittelfranken Altötting [76] Stadt, Landkreis Altötting, Oberbayern Amorbach [133] Stadt, Landkreis Miltenberg, Unterfranken Andechs [136] Kloster, Gemeinde Andechs, Landkreis Starnberg, Oberbayern Die Latinisierung bayerischer Ortsnamen 93

Arzberg [45] Stadt, Landkreis Wunsiedel i.Fichtelgebirge, Oberfranken Au a.Inn [22] Pfarrdorf, Gemeinde Gars a.Inn, Landkeis Mühldorf a.Inn, Oberbayern Augsburg [4] Kreisfreie Stadt, Schwaben Bach [118] Dorf, Gemeinde Niederbergkirchen, Landkreis Mühldorf a.Inn, Oberbayern Bad Königshofen i. Grabfeld [116] Stadt, Landkreis Rhön-Grabfeld, Unterfranken Bad Reichenhall [97] Große Kreisstadt, Landkreis Berchtesgadener Land, Oberbayern Bad Tölz [16] Stadt, Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen, Oberbayern Bayerischer Wald [18] Gebirge, Niederbayern Benediktbeuern [8] Pfarrdorf, Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen, Oberbayern Berg / TÖL [30] Kirchdorf, Gemeinde Eurasburg, Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen, Oberbayern Berg / EBE [31] Dorf, Gemeinde Steinhöring, Landkreis Ebersberg, Oberbayern Bischofsheim a.d.Rhön [105] Stadt, Landkreis Rhön-Grabfeld, Unterfranken Böhmerwald [101] Gebirge, Niederbayern/Oberpfalz Chiemgau [85] Landschaft, Landkreise Rosenheim und Traunstein, Oberbayern Chiemsee [84] See, Landkreise Rosenheim und Traunstein, Oberbayern Christgarten [66] Kirchdorf, Gemeinde Ederheim, Landkreis Donau-Ries, Schwaben Deggendorf [86] Große Kreisstadt, Landkreis Deggendorf, Niederbayern Donauwörth [5] [87] Stadt, Landkreis Donau-Ries, Schwaben † Dürrenhof [55] Kreisfreie Stadt Würzburg, Unterfranken Edelstetten [126] Pfarrdorf, Gemeinde Neuburg a.d.Kammel, Landkreis Günzburg Eichstätt [137] Große Kreisstadt, Landkreis Eichstätt, Oberbayern End [25] Dorf, Gemeinde Staffelstein, Landkreis Lichtenfels, Oberfranken Engelthal [64] Pfarrdorf, Landkreis Nürnberger Land, Mittelfranken Ettal [135] Pfarrdorf, Landkreis Garmisch-Partenkirchen, Oberbayern Forchheim [10] Große Kreisstadt, Landkreis Forchheim, Oberfranken Forst [15] Einöde, Gemeinde Wessobrunn, Landkreis Weilheim-Schongau, Oberbayern Frauenaurach [74] Pfarrdorf, Kreisfreie Stadt Erlangen, Mittelfranken Freising [143] Große Kreisstadt, Landkreis Freising, Oberbayern Freystadt [39] Stadt, Landkreis Neumarkt i.d.OPf., Oberpfalz Freyung [38] Stadt, Landkreis Freyung-Grafenau, Niederbayern Fünfbronn [103] Pfarrdorf, Gemeinde Spalt, Landkreis Roth, Mittelfranken Fürstenfeldbruck [112] Stadt, Landkreis Fürstenfeldbruck, Oberbayern Fürstenzell [65] Markt, Landkreis Passau, Niederbayern Fürth [115] Kreisfreie Stadt, Mittelfranken Füssen [13] Stadt, Landkreis Ostallgäu, Schwaben Gnadenberg [61] Pfarrdorf, Gemeinde Berg b.Neumarkt i.d.OPf., Landkreis Neumarkt i.d.OPf., Oberpfalz Goldkronach [72] Stadt, Landkreis Bayreuth, Oberfranken Grub [27] Weiler, Gemeinde Unterreit, Landkreis Mühldorf a.Inn, Oberbayern 94 Wolf-Armin Frhr.v.Reitzenstein

Haunstetten [11] Kirchdorf, Gemeinde Reichertshausen, Landkreis Pfaffenhofen a.d.Ilm, Oberbayern Haunwang [121] Kirchdorf, Gemeinde Eching, Landkeis Landshut, Niederbayern Heiligenstadt [98] Kirchdorf, Gemeinde Neustadt a.d.Donau, Landkreis Kelheim, Nie- derbayern Heilsbronn [125] Stadt, Landkreis Ansbach, Mittelfranken Hersbruck [128] Stadt, Landkreis Nürnberger Land, Mittelfranken Herzogenaurach [75] Stadt, Landkreis Erlangen-Höchstadt, Mittelfranken Himmelkron [63] Pfarrdorf, Landkreis Kulmbach, Oberfranken Himmelspforten [62] Kloster in Himmelstadt, Landkreis Main-Spessart, Unterfranken Hölle [35] Örtlichkeit in Würzburg, Unterfranken Hof [37] Kreisfreie Stadt, Oberfranken Hohenwart [107] Markt, Landkreis Pfaffenhofen a. d. Ilm, Oberbayern Hollfeld [70] Stadt, Landkreis Bayreuth, Oberfranken Inchenhofen [12] Markt, Landkreis Aichach-Friedberg, Schwaben Ingolstadt [134] Kreisfreie Stadt, Oberbayern Iller [3] Fluss, rechts zur Donau, Schwaben Ilz [7] Fluss, links zur Donau, Niederbayern Kaisheim [141] Markt, Landkreis Donau-Ries, Schwaben Kellmünz a.d.Iller [2] Markt, Landkreis Neu-Ulm, Schwaben Kempten (Allgäu) [1] Kreisfreie Stadt, Schwaben Kleinochsenfurt [109] Pfarrdorf, Gemeinde Ochsenfurt, Landkreis Würzburg, Unter- franken Königsberg i.Bay. [106] Stadt, Landkreis Haßberge, Unterfranken Königswiesen [71] Siedlung, Gemeinde Gauting, Landkreis Starnberg, Oberbayern Kreuzwertheim [88] Markt, Landkreis Main-Spessart, Unterfranken Kühbach [66] Markt, Landkreis Aichach-Friedberg, Schwaben Kupferberg [114] Stadt, Landkreis Kulmbach, Oberfranken Landau [119] Stadt, Landkreis Dingolfing-Landau, Niederbayern Landshut [40] Kreisfreie Stadt, Niederbayern Langweid [123] Dorf, Gemeinde Neubeuern, Landkreis Rosenheim, Oberbayern Lichtenstein [31] Kirchdorf, Gemeinde Pfarrweisach, Landkreis Haßberge, Unter- franken Lindau [140] Große Kreisstadt, Landkreis Lindau (Bodensee), Schwaben Linden [19] Einöde, Gemeinde Obertaufkirchen, Landkreis Mühldorf a.Inn, Oberbayern Miltenberg [69] Stadt, Landkreis Miltenberg, Unterfranken Mittenwald [36] Markt, Landkreis Garmisch-Partenkirchen, Oberbayern Moos [29] Pfarrdorf, Landkreis Deggendorf, Niederbayern Mühldorf a.Inn [9] Stadt, Landkreis Mühldorf a.Inn, Oberbayern Münchsmünster [93] Pfarrdorf, Landkreis Pfaffenhofen a. d. Ilm, Oberbayern Die Latinisierung bayerischer Ortsnamen 95

Neudorf [50] Dorf, Gemeinde Dietenhofen, Landkreis Ansbach, Mittelfranken Neuhöflein [52] Dorf, Gemeinde Heilsbronn, Landkreis Ansbach, Mittelfranken Neuhof a.d.Zenn [51] Markt, Landkreis Neustadt a.d.Aisch-Bad Windsheim, Mittel- franken Neumarkt i.d.OPf. [48] Große Kreisstadt, Landkreis Neumarkt i.d.OPf., Oberpfalz Neunburg vorm Wald [130] Stadt, Landkreis Schwandorf, Oberpfalz Neuötting [77] Stadt, Landkreis Altötting, Oberbayern Neustadt a.d.Aisch [49] Stadt, Landkreis Neustadt a.d.Aisch-Bad Windsheim, Mittel- franken Neustadt a.d.Donau [57] Stadt, Landkreis Kelheim, Niederbayern Neustift [96] Kloster in Freising, Landkreis Freising, Oberbayern Niederalteich [122] Pfarrdorf, Landkreis Deggendorf, Niederbayern Niederschönenfeld [42] [90] Pfarrdorf, Landkreis Donau-Ries, Schwaben Nürnberg [14] Kreisfreie Stadt, Mittelfranken Oberschönenfeld [91] Kloster, Gemeinde Gessertshausen, Landkreis Augsburg, Schwa- ben Ochsenfurt [110] Stadt, Landkreis Würzburg, Unterfranken † Petersbrunn [68] Gemeinde Starnberg, Landkreis Starnberg, Oberbayern Pfersdorf [44] Pfarrdorf, Gemeinde Poppenhausen, Landkreis Schweinfurt, Unter- franken Pottenstein [71] [124] Stadt, Landkreis Bayreuth, Oberfranken Regen [6] [83] [92] Fluss zur Donau, Niederbayern/Oberpfalz Reit [95] Weiler, Gemeinde Gars a.Inn, Landkreis Mühldorf a.Inn, Oberbayern Rotenhan [131] Dorf, Gemeinde Ebern, Landkreis Haßberge, Unterfranken Roter Main [81] Fluss in Oberfranken Rote Traun [79] Fluss im Landkreis Traunstein, Oberbayern Rothenburg ob der Tauber [53] Große Kreisstadt, Landkreis Ansbach, Mittelfranken Schlüsselfeld [46] Stadt, Landkreis Bamberg, Oberfranken Schmerlenbach [26] Pfarrdorf, Gemeinde Hösbach, Landkreis Aschaffenburg, Unter- franken Schönsee [60] Stadt, Landkreis Schwandorf, Oberpfalz Schönthal [56] Pfarrdorf, Landkreis Cham, Oberpfalz Schweinfurt [43] Kreisfreie Stadt, Unterfranken Seligenporten [104] Pfarrdorf, Gemeinde Pyrbaum, Landkreis Neumarkt i.d.OPf., Ober- pfalz Seligenthal [58] Kloster in Landshut, Niederbayern † Steinbichl [99] Gemeinde Kelheim, Landkreis Kelheim, Niederbayern Steinheim [113] Pfarrdorf, Gemeinde Dillingen a.d.Donau, Landkreis Dillingen a.d.Do- nau, Schwaben Steren [34] Örtlichkeit in Würzburg, Unterfranken 96 Wolf-Armin Frhr.v.Reitzenstein

Sulzbach-Rosenberg [17] Stadt, Landkreis Amberg-Sulzbach, Oberpfalz Tännesberg [127] Hauptort, Landkreis Neustadt a.d.Waldnaab, Oberpfalz Tann (Rhön) [33] Stadt, Hessen Thal [32] Weiler, Gemeinde Aschau a.Inn, Landkreis Mühldorf a.Inn, Oberbayern Thal [59] Dorf, Gemeinde Feldkirchen-Westerham, Landkreis Rosenheim, Oberbayern Triefenstein [108] Markt, Landkreis Main-Spessart, Unterfranken Waldmünchen [112] [120] Stadt, Landkreis Cham, Oberpfalz Wasserburg a.Inn [89] Stadt, Landkreis Rosenheim, Oberbayern Weg [23] Weiler, Gemeinde Taufkirchen (Vils), Landkreis Erding, Oberbayern Weiden i.d.OPf. [28] [117] Kreisfreie Stadt, Oberpfalz † Weinberg [100] Gemeinde Mallersdorf-Pfaffenberg, Landkreis Straubing-Bogen, Nie- derbayern † Weingarten [24] Gemeinde Schondorf a.Ammersee, Landkreis Landsberg a.Lech, Ober- bayern Weißenburg i.Bay. [54] Große Kreisstadt, Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen, Mittel- franken Weißer Main [82] Fluss in Oberfranken Weiße Traun [80] Fluss im Landkreis Traunstein, Oberbayern Weyarn [111] Pfarrdorf, Landkreis Miesbach, Oberbayern † Wies [20] Gemeinde Gmund a.Tegernsee, Landkreis Miesbach, Oberbayern † Winkel [21] Gemeinde Holzkirchen, Landkreis Miesbach, Oberbayern Wittenberg [132] Einöde, Gemeinde Friedberg, Landkeis Aichach-Friedberg, Schwaben Wittislingen [142] Hauptort, Landkreis Dillingen a.d.Donau, Schwaben Würzburg [94] [138] Kreisfreie Stadt, Unterfranken

Albrecht Greule / Wolfgang Janka Premberg und Teublitz – zwei nordbairische Fremdnamen

In Analogie zum Begriff Fremdwort verstehen wir unter einem Fremdnamen einen aus einer Sprache X in die Sprache Y übernommenen Namen; in unserem Fallbeispiel handelt es sich um die beiden geographisch zusammenhängenden Ortsnamen Premberg und Teublitz. Welche historischen Hintergründe die „Übernahme“ der beiden Namen aus der Sprache X in den nordbairischen Dia- lekt hat und von welchen sprachgeschichtlichen Vorgängen sie begleitet ist, sol- len die im Folgenden entworfenen Namengeschichten zeigen. Dadurch kann auch an einem winzigen Ausschnitt erwogen werden, wie sich Geschichte in der Namenetymologie spiegelt.

Premberg ist heute ein Ortsteil der Stadt Teublitz (Lkr. Schwandorf, Reg.-Bez. Oberpfalz). Teublitz liegt unweit von Burglengenfeld am östlichen Ufer der Naab, die bei Regensburg in die Donau mündet. Etwa 2 km nordwestlich von Teublitz liegt am westlichen Ufer der Naab der Kirchort Premberg (mit Mar- tinskirche), „der älteste Ort im Landkreis Schwandorf“1, an der Kreuzung alter Fernstraßen.

A. Premberg

1. Belegte Namengeschichte [ca. 805] (Kop. ca. 830) ad Breemberg(um) (Diedenhofener Kapitular [s. Abb. 1]; vgl. MGH Capitularia I, Nr. 44: „Breemberga“) 961 Priemperch (BayHStA Kl. Regensburg-St.Emmeram Urk. 26) [ca. 980–985] (Kop. Ende 10. Jh.) in loco qui uulgo Priemperc uocitatur (Tr. Regens- burg, Nr. 217) [ca. 994–1000] (Kop. 11. Jh. 2. Hälfte) ad Priemberc (Tr. Regensburg, Nr. 252) 1031 (Kop. 12. Jh. 1. Hälfte, Kop. 1921, Druck 1966) Priemperc (Urb. Regensburg-St. Emmeram, Nr. 85) [ca. 1082/83] Perihart de Primberch ... de Prinberc (Tr. Regensburg, Nr. 651, 653) [nach Juli 1105] Wernher de Brienberc (Tr. Regensburg, Nr. 724) 1135 Werinhere de Briemberch (Tr. Regensburg, Nr. 792) [ca. 1120–1140] (Kop. um 1140) Wernherus de Prinburch (Tr. Prüfening, Nr. 101) –––––––— 1 www.oberpfalz-luftbild.de/teublitz.htm. 98 Albrecht Greule / Wolfgang Janka

1179 Heinricus nomine de Priemberg (Tr. Regensburg, Nr. 928) [1231–1234] ze Prinperc (Herzogsurbar A, Nr. 1778) [um 1285] Prinperch (Herzogsurbar B, fol. 35) 1310 villam Priemperch (StAAm Kl. Waldsassen Urk. 185 [mom]) 1326 Primperch (Herzogsurbar C, fol. 5v) 1568 Brenperg (APIAN 1568: Tafel 6) 1832 Premberg, Priemberg (EISENMANN/HOHN 1831/32, II: 331)

Mundartform: [brêmbɐd]

Abb. 1: Quelle: www.forchheim.com/diedenhofer_kapitular.html Premberg und Teublitz – zwei nordbairische Fremdnamen 99

Entwicklung von Schreibung und Lautung: Den ältesten Beleg 2 (s. Abb. 1) deuten wir, obwohl er aus einer Kopie stammt, als *Brēmberg(um), eine frühahd., vermutlich kontextuell latinisierte Form des Namens. Aufgrund der ältesten Originalschreibung a. 961 Priemperch darf an- genommen werden, dass die Schreibung das so genannte germ. /ē2/ reprä- sentiert, das sich, wie die Lehnwörter ahd. ziagel, ziegel (< lat. tēgula), priester (< galloroman. *prēstre), bieʒa (< lat. bēta ‘rote Rübe’) zeigen, zu ahd. /ia, ie/ ent- wickelte (vgl. Ahd. Gramm.: § 36). Altbair. /ie/ wird in der nordbairischen Mundart der betreffenden Region regulär monophthongiert zu /ē/ (vgl. KRANZMAYER 1956: § 17c), was zur heutigen Mundartform des Namens führte: [brêmbɐd]. Der Name Premberg ist ein Kompositum mit dem ahd. Grundwort -berg, altbair. -perc(h) ‘befestigte Siedlung auf einer Anhöhe’ (DONB: 57). Das Be- stimmungswort frühahd. *Brēm-, ahd. (altbair.) Priem- ist unklar.

2. Deutungsversuche

Die von verschiedenen Forschern als Bestimmungswort vorgeschlagenen Wör- ter mhd. brimme ‘Heide, Ginster’, ahd. brema ‘Dornstrauch’ und ahd. bremo ‘Bremse’ scheiden aus sachlichen und lautlichen Gründen aus. Gleiches gilt für eine erwägenswerte Verbindung mit dem Namen der Stadt Bremen, 787 Bre- mon, der mit Bezug auf asä. bremo ‘Rand’ als ‘Siedlung am Rand, in Randlage’ gedeutet wird (vgl. UDOLPH in DONB: 90).

3. Rekonstruierte Namensgeschichte

Das Bestimmungswort ahd. *Brēm- in der Grundform *Brēm-(berg) ist aus dem Althochdeutschen (bzw. Altbairischen) und Germanischen nicht zu erklären. Seine etymologische Deutung erfolgt auf Grund mehrerer Hypothesen.

3.1. *Brēm- ist ein vorgermanisches lexikalisches Element. Am einfachsten wäre es, einen Zusammenhang mit dem keltischen Verb-Stamm *brem- ‘bleat, bel- low, roar’ herzustellen. Es wird angenommen, dass mehrere Toponyme in Eng- land von kelt. *brem- abgeleitet sind und dass beim Benennungsmotiv vom Rauschen eines Flusses auszugehen ist (vgl. GREULE 2014: 415, s.v. Prims). Aber abgesehen davon, dass die Realprobe (der träge Fluss Naab rauscht bei Prem-

–––––––— 2 Die Tilde über dem kann als Kürzel, dessen Auflösung unsicher ist, gelesen werden. 100 Albrecht Greule / Wolfgang Janka berg keineswegs) nicht greift, lässt sich durch die Bezugnahme auf *brem- auch das lange /ē2/ nicht erklären3. 3.2. Man kann annehmen, dass /-m-/ durch Assimilation von /-n/ an das mit Labial anlautende germ. -berg entstanden ist. Für den Ansatz *Brēn- gibt es aber noch immer keine etymologische Erklärung. 3.3. *Brēn- könnte das Ergebnis einer Kontraktion von /-ege-/ sein, zumal die Herkunft von germ. /ē2/ unter anderem auch durch Kontraktion erklärt wird (vgl. Ahd. Gramm.: § 10, Anm. 2), so dass das Bestimmungswort ursprünglich *Bregen- gelautet haben könnte. Die Kontraktion wurde – erst nach der Bildung des Kompositums mit dem Grundwort -berg – durch Haplologie (?) veranlasst: *Bregenberg > *Brēnberg und nach Assimilation von /n/ an /b/ *Brēmberg.4 Hypothesen zur Etymologie von *Bregen-:

3.4. Frühahd. *Bregen- ist als Ableitung mit n-Suffix von kelt. *brigo- ‘might, power’ (MATASOVIĆ 2009: 77 f.), d. h. als Adjektiv *brigono- (Genus nicht be- stimmbar) erklärbar. Damit würde es sich um eine parallele Bildung zu Bre- gen(-bach) (einer der Quellflüsse der Donau im Schwarzwald), < kelt. *Brigonā (GREULE 2014: 70 f.), handeln. Der Lautwandel stellte sich wie folgt dar: kelt. *Brigono-, entlehnt als germ. *Brigan- (vgl. GewN *Nobhā > Naba, heute Naab; GREULE 2014: 367), mit /i/ > /e/ durch „a-Umlaut“ (vgl. Ahd. Gramm.: § 52) und Assimilation des Mittelvokals /a/ in *Breganberg zu /e/ (Vokalharmonie; vgl. Ahd. Gramm.: § 67) > frühahd. *Bregen-. Vielleicht kann auch mit einer Kontraktion von /-éga-/ zu /ē2/, vergleichbar mit der Entstehung von frühahd. /ē2/ bei ehemals reduplizierenden Verben (z. B. bei germ. *haldan, Prät. *héhald > frühahd. *hēlt [> ahd. hialt > hielt]; vgl. KRAHE/MEID 1969: § 75), gerechnet werden, was direkt zu *Brēn- führen konnte. – Oder:

3.5. Vorgerm.*Bregen- geht auf kelt. *brigánt- ‘herausragend’ (vgl. kelt. *bri- gantīnos ‘chief’) (MATASOVIĆ 2009: 77 f.) zurück: vorahd. *Brégent-(berg) > –––––––— 3 In einigen Lehnwörtern und Lehnnamen wird wegen des Diphthongs allerdings ein /ē2/ angesetzt, das auf etymologisch kurzes /e/ zurückgeht, z. B. briaf, brief < lat. brevis, spiagal, spiegel < lat. speculum, ON Sierentz, 6./7. Jh. Serencia (Elsass) (GREULE 2014: 502, s. v. Sirnitz); Biedebach, [um 300] (Kop. 7. Jh.) Beda (Bitburg, Eifel) (GREULE 2014: 59). 4 Ein (späteres) Beispiel für eine ähnliche Kontraktion ist das mhd. Kompositum tagelanc > tālanc (Mhd. Gramm.: § L 77). Premberg und Teublitz – zwei nordbairische Fremdnamen 101

*Bregenberg usw. Dann läge mit [1. Jh. v. Chr./1. Jh. n. Chr.] Brigántion > Bre- genz (Vorarlberg) (GREULE 2014: 71) ein Parallelname vor.

4. Erkenntnisse der Archäologie

Auf dem „Koppenbühl“, einer Geländeerhebung in der Naabaue bei Teublitz, die heute nur noch schwach zu erkennen ist, wurde erst vor wenigen Jahren ein bis dahin unbekanntes Grabenwerk entdeckt. Zwei Altarme der Naab, darunter der Koppenbühlgraben, geben dem Koppenbühl ein inselartiges Gepräge (s. Abb. 2). Die Gesamtanlage auf dem Koppenbühl gehört in die Gruppe der sogenannten „Herrenhöfe“, ein in Südbayern geläufiger Siedlungstyp der Spät- hallstatt- und Frühlatènezeit (vgl. IRLINGER/RAßHOFER 2002: 150–155) und war eine noch während der Frühlatènezeit befestigte dauerhafte Siedlung. „(…) die besondere topographische Lage macht es wahrscheinlich, dass der Siedlung auf dem ‘Koppenbühl’ eine gewisse Sonderstellung in der Region zukam. Unmittel- bar gegenüber liegt bei einer im Urkataster noch eingetragenen Naabfurt der (…) Ort Premberg an einer (…) frequentierten Altstraße nach Böhmen, die hier von Westen kommend die Naab überquert. Der Herrenhof von Teublitz liegt ebenso wie die Grabhügel im Samsbacher Forst kaum zufällig an dieser von der Natur vorgezeichneten Verbindungs-Trasse. Den inselartig in der Flussaue ge- legenen ‘Koppenbühl’ muss […] auch der Nord-Süd-Verkehr durch das Naabtal passieren, wobei eine Kontrolle der Wasserstraße selbst nicht auszuschließen ist“ (IRLINGER/RAßHOFER 2002: 163f.).5

–––––––— 5 Aus den Grabhügeln am Samsbacher Forst sind zwei etruskische Bronzebecken, die einzigen aus einem frühlatènezeitlichen Grab stammenden Zeugnisse des Fern- handels mit etruskischen Bronzegefäßen in Bayern, geborgen worden (vgl. IRLINGER/RAßHOFER 2002: 144). 102 Albrecht Greule / Wolfgang Janka

Premberg und Teublitz – zwei nordbairische Fremdnamen 103

5. Zusammenfassung: Historische Perioden und Namengeschichte Periode 1: Frühlatènezeitlicher Herrensitz am Naabübergang der Altstraße (Naab < *Nobhā): Name keltisch *Brigono-, *Brigeno-, *Brigant- oder *Brigno-. Zentralort der Frühlatènezeit war der naababwärts am Zusammenfluss von Naab und Vils (< germ. *Felusō; vgl. GREULE 2014: 563) gelegene Schlossberg von Kallmünz, dessen Name auf kelt. *Kalmontia zurückgeführt wird (vgl. GREULE 2010: 24). Periode 2: Im 2. Jahrhundert n.Chr. (?) wird unter dem Einfluss germanischer Siedler (Markomannen?) der keltische Name in der Form *Bregen(t)- oder *Brigen- oder *Bri(g)no- auf die rechte Naabseite (jetzt Premberg) übertragen und das „Mischkompositum“ *Bregen(t)berg > *Brēmberg gebildet. Periode 3: Im Frankenreich ist Premberg (ahd. *Brēmberg oder Priemperc) nach dem Diedenhofener Kapitular (24. Dezember 805) eine Zollstation zu den Sla- wen.6 Periode 4: Im Mittelalter befindet sich der Ort im Besitz des Klosters St. Em- meram in Regensburg: 10. Jh. altbair. (locus) Priemperc.

6. Resümee Premberg ist nur zum Teil ein Fremdname. Durch die Übertragung des kel- tischen Namens auf die andere Naabseite und verdeutlichende Anfügung von -berg wird der ursprüngliche Fremdname kelt. *Brigono-/*Brigant-/ *Brigeno- zum Bestimmungswort eines altbairischen Kompositums. Es handelt sich bei Premberg demnach „nur“ um einen partiellen Fremdnamen. Da an der belegten und an der rekonstruierten Geschichte des Namens bis hin zur heuti- gen Mundartform einige nicht fremdsprachliche lautliche Wandlungen ablesbar sind, sollte man Premberg als adaptierten Fremdnamen (Lehnnamen) kategori- sieren. –––––––— 6 Die slawische Siedlung an der Naab ist sowohl durch die unten angeführten Oberpfälzer SN Teublitz, Köblitz, Wölland usw. als auch indirekt durch den niederbayerischen SN Nabin (Lkr. Deggendorf), 863 Nabauuinida (BayHStA Kl. Niederaltaich Urk. 10 [mom]), 1376 Nabinden (BayHStA Kollegiatstift Vilshofen Urk. 53 [mom]), und den thüringischen SN Nahwinden, [vor 1106] (Vita 1123– 1160) Nabewinden (MGH Scriptorum XXX/2: 919), bezeugt, deren Bedeutung mit ‘bei den Naabwinden’ angegeben werden kann und die auf Umsiedlung von Winden (Slawen), die an der Naab wohnten, hinweisen (vgl. FISCHER 1956: 48f.). 104 Albrecht Greule / Wolfgang Janka

B. Teublitz

1. Belege [um 1210] (Kop. 14. Jh. 2. Hälfte) Rupertus de Teublitz (Tr. Ensdorf, Nr. 166) [1231–1234] Tivbelitz ... ze Tivbelitz (Herzogsurbar A, Nr. 1792) [um 1285] de Tevblitz ... in Tevblitz (Herzogsurbar B, fol. 33v) 1317 diu Dörffer, Teublitz ... (BayHStA Kurbayern Urk. 19916) 1321 ze Taeublitz (BayHStA Pfalz-Neuburg, Klöster u. Pfarreien Urk. 170) 1326 in Tæublitz ... Chtwicz [w über z übergeschrieben] (Herzogsurbar C, fol. 4v) 1372 von Täublitzz (BayHStA Reichsstadt Regensburg Urk. 1900) 1373 ze Tevblicz (BayHStA GU Burglengenfeld 954) 1482 zw Tewblits (StadtA Regensburg Reichsstadt Rbg., Städt. Urk. 212) 1491 zu Teiblitz (BayHStA GU Hohenburg 451) 1505 zu Teublitz ... auf der Ŏstritz (BayHStA Staatsverwaltung 4017) 1506 zu Teyblitz (StadtA Regensburg HV Urk. 452) 1530 zw Deiblitz (BayHStA Nothaft’sches Archiv Urk. 818) 1618 Teublitz (StadtA Regensburg HV O I 6, fol. 333v)

Mundartform: [dąˆewlįtß]

2. Erklärung Dass der SN Teublitz aus dem Slawischen stammt, ist in der Toponomastik seit langem bekannt und gilt als gesicherte Erkenntnis. Ernst Schwarz führte mit ukr. „dupłó ‘Höhlung eines Baumes, hohler Baum’“ ein Appellativ als Grundlage an, wobei er jedoch nicht eine direkte Ableitung hiervon annahm, sondern die Möglichkeit der Verwendung dieses Wortes als Beiname mit der Bedeutung ‘Dummkopf’ erwog. Entsprechend setzte er die Grundform als *Duplici an (vgl. SCHWARZ 1960: 180); er postulierte also einen patronymischen SN mit der Be- deutung ‘(Siedlung der) Leute des D.’. Dagegen wandte Ernst Eichler – mit Recht, wie im Folgenden gezeigt wird – ein, dass der Ansatz *Duplici unwahr- scheinlich sei. Der Name gehört laut Eichler „möglicherweise zu slaw. *dupľa ‘Höhlung’“; eine slawische Grundform wird allerdings nicht explizit genannt (vgl. EICHLER 1962: 280). In der Tat handelt es sich am ehesten um eine suffixale Ableitung von slaw. *dup(ь)ľa ‘Höhlung, Vertiefung, Loch’, vgl. slowen. duplja ‘Vertiefung, Baum- höhle, Höhle, Ofenloch’, poln. dziupla ‘Höhlung’ usw. (neben alttsch. dúpě ‘Höhlung, Loch’), oder von *dup(ь)lo/*dup(ъ)lo ‘dass.’, vgl. slowen. duplo ‘Ver- tiefung, (Baum-)Höhle, Grube’, poln. (alt) dziupło ‘Höhlung, Vertiefung, Gru- Premberg und Teublitz – zwei nordbairische Fremdnamen 105 be’, poln. dial. dupło ‘Höhlung, Höhle’ (ĖSSJ V: 159 f.). Das Suffix lässt sich als das zur Bildung von FlurN und GewN sehr häufig verwendete -ica bestimmen. Die Grundform lautete demnach *Dup-lica. Um ihre Bedeutung möglichst ge- nau zu bestimmen, soll der Fokus auf die naturräumlichen Gegebenheiten von Teublitz gerichtet werden. Zwar sind dort heute keine deutlichen Gruben oder Höhlungen mehr auszumachen, doch findet sich in der Gemarkung Teublitz bezeichnenderweise der FlurN Tiefenloch (a. 1808; StAAm Häuser- und Rusti- kalsteuerkataster Burglengenfeld 96: Fassion Nr. 34). Das Benennungsmotiv kann somit in einer auffälligen Vertiefung im Gelände gesehen werden. Die Existenz des genannten FlurN stützt die Annahme einer Grundform *Dup-lica auf appellativischer Basis. In diesem Zusammenhang sei auch auf drei zu vergleichende FlurN hingewiesen, deren Ausgangsformen ebenfalls als -ica- Ableitungen von slaw. *dup(ь)ľa oder *dup(ь)lo/*dup(ъ)lo rekonstruiert werden können: Duplitz (Thüringen; EICHLER 1962: 280), 1456 ander Tẅblicz im Eger- land (Gemarkung Doubrava/dt. ehem. Doberau; SOA Cheb fond 1, inv. č. 1084, fol. 8) und 1840 in der Deublitz in der Oberpfalz (Gemarkung Trefnitz; StAAm Kataster Nabburg 277, fol. 118v). – Als Stütze für den Ansatz eines Patronymi- kons auf -ici scheint zunächst der polnische SN Duplice in Betracht zu kommen, bei dem vom PN (ÜberN) *Dupla bzw. *Dupel ausgegangen wird (vgl. NMP II: 459 bzw. IX: 306). Man kann jedoch zum einen einwenden, dass bei Duplice ei- ne appellativische Basis (altpoln. dupla, dupel ‘Höhlung’) nicht auszuschließen ist. Zum anderen lassen sich die Ansätze der ÜberN *Dupla und *Dupel zwar mit dem Vorhandensein entsprechender polnischer FamN begründen, doch fehlen gesicherte Parallelen in anderen westslawischen Sprachen. Zudem ist der ON-Typ ‘ÜberN + ici’ als für das Frühmittelalter eher unwahrscheinlich zu be- werten (im Gegensatz zu ‘VollN + ici’ und ‘KurzN + ici’). *Dup-lica ist als *Dūpliz- ins Altbairische integriert worden, wobei die ersten Belege, die aufweisen, auf die Form *Tūpliz- schließen lassen. Dies muss nicht zwingend als Indiz für eine Übernahme des SN vor der ahd. Laut- verschiebung /d/ > /t/ des 8. Jhs. (vgl. Ahd. Gramm.: § 88) angesehen werden, weil /t/ evtl. durch das Notkersche Anlautgesetz des 10./11. Jh.s bedingt sein kann (vgl. WIESINGER 2014: 167). Der Langvokal /ū/ wurde durch /i/ in der Fol- gesilbe zu /ǖ/ ([1231–1234] mit verschriftet) umgelautet. In der Folge trat Diphthongierung /ǖ/ > /oe/ (graphisch , <äv> u. ä.) ein. Die mundartliche Lenisierung /t/ > /d/ wird mit 1530 Deiblitz erst vergleichsweise spät greifbar. Dieser Beleg veranschaulicht – ebenso wie 1491 Teiblitz – die im Nordbairi- schen zu erwartende Entrundung /oe/ > /ae/ (vgl. KRANZMAYER 1956: § 16c), die auch in der Mundartform aufscheint. 106 Albrecht Greule / Wolfgang Janka

Dass Premberg im Diedenhofener Kapitular als Zollstation zu den Slawen genannt wird, steht im Einklang mit dem Vorkommen slawischer Toponyme in der näheren Umgegend. Neben Teublitz und den in obiger Belegreihe im Zu- sammenhang mit diesem Ort genannten FlurN Chtwicz (a. 1326; wohl auf ei- nem slawischen SN *Chotovici oder *Chocovici basierend) und Ŏstritz (a. 1505; < *Ostrica) finden sich hier die SN Köblitz (< *Kobylica), Loisnitz (wohl aus *Lǫžьnica) und Wölland (< *Voľańь). Die SN Mossendorf (mit dem ein- gedeutschten slawischen PN *Mošь im Bestimmungswort) und wahrscheinlich auch Saltendorf (Nachbarort von Teublitz; Bestimmungswort wohl zum PN *Žalъk-) sind als slawisch-deutsche Mischnamen anzusprechen, zu denen je- weils eine rein slawische Vor- oder Nebenform existiert haben kann.

3. Resümee

Der Raum Burglengenfeld/Teublitz ist als frühmittelalterliches deutsch-sla- wisches Kontaktgebiet zu beschreiben. Zum einen liegen alte deutsche SN vor (Premberg [mit vordeutschem Bestimmungswort], Burglengenfeld [mit Primär- umlaut a > e] usw.), zum anderen begegnen slawische Namen, die noch vor dem Hochmittelalter ins Bairische übernommen worden sind. Die slawische Be- völkerung hat sich wohl spätestens im 12. Jh. sprachlich assimiliert; ethnische oder religiöse Konflikte sind für das genannte Gebiet nicht überliefert. – Teub- litz ist ebenso wie Prem- in Premberg seit über einem Jahrtausend ins Bairische integriert und hat seitdem einige lautliche Umgestaltungen durchlaufen. Man sollte daher auch in diesem Fall von einem adaptierten Fremdnamen (Lehn- namen) sprechen. Abkürzungen

BayHStA Bayerisches Hauptstaatsarchiv mom virtuelles Urkundenarchiv Monasterium.net (http://monasterium. net/mom/home) SOA Státní okresní archiv StAAm Staatsarchiv Amberg StadtA Stadtarchiv

Premberg und Teublitz – zwei nordbairische Fremdnamen 107

Quellen und Literatur

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Dietlind Kremer Fremde Namen? Ein Blick in das Archiv der Namenberatungsstelle der Universität Leipzig

0. Vorbemerkung Die Anregung zu diesem Vortrag gab ein eher unerwartetes Ereignis in zeitli- chem Zusammenfall der Auswertung der Podiumsdiskussion „20 Jahre Namen- beratungsstelle der Universität Leipzig“, der Vorbereitung der Tagung „Fremde Namen“ und der Erarbeitung eines Pressebeitrages zur „Rufnamengebung in der DDR anlässlich des 25. Jahrestages der Wiedervereinigung“: Die Rückkehr der verschollen geglaubten Korrespondenz der Namenberatungsstelle der Karl-Marx-Universität aus den Jahren 1970 bis 1984. Mehr als zwanzig Jahre unbeachtet auf einem Leipziger Dachboden liegend, wurden sie nun mit gro- ßem Interesse in die Vorbereitung dieses Beitrages einbezogen. Die Anfragen der Standesämter und der Eltern an die Beratungsstelle zur Eintragungsfähigkeit von Namen liefern uns interessante mentalitäts- und kulturgeschichtliche Rück- schlüsse auf eine Zeit, die allein durch die Listen gegebener Namen schwer re- konstruiert werden kann. Ganz offensichtlich waren die (durch die zurückge- kehrten zwanzig Aktenordner bestens dokumentierten) sich verstärkenden Wünsche nach fremden Rufnamen der Grund für verschiedene Aktivitäten im Umfeld der „Leipziger Namenforschung“. So zum Beispiel die Überarbeitung von Das Kleine Vornamenbuch von Karl Paul, dessen erste Auflage 1966 im VEB Bibliographisches Institut Leipzig erschienen war. Darin heißt es im Vor- wort: Zur Herausgabe des vorliegenden „Kleinen Vornamenbuches“ hat sich der Verlag auf Grund der zahlreichen Anfragen der Standesämter und junger Eltern, in denen häufig der Wunsch nach einem Vornamenverzeichnis zum Ausdruck kam, ent- schlossen. Selbstverständlich konnten nicht alle Namen, nach denen gefragt wurde, aufgenommen werden, weil dadurch das gesteckte Ziel weit überschritten worden wäre und weil sich unter den Anfragen zahlreiche Namen befanden, die nur vereinzelt verlangt wurden, also keinen größeren Kreis interessieren. Viele Namen waren auch so ausgefallen, daß sie nicht in den Rahmen dieses Verzeichnisses paßten. (PAUL 1966: VII)

Zu den uns besonders interessierenden und damals offensichtlich verstärkt an- gefragten fremden Namen schreibt der Autor: 110 Dietlind Kremer

Den Eltern, die sich entschließen, ihrem Kinde einen Vornamen aus einem fremden Sprachbereich zu geben, wird in allen Fällen, wo Schreibungen und Aussprache von- einander abweichen, die Angabe der Aussprache und Betonung in der internati- onalen Lautumschrift in Klammern hinter dem Namen sicher nützlich sein. (ebd.) Liest man derartige Anfragen, wäre ein anderes Verzeichnis nötig gewesen: Wie schreibt man gehörte fremde Namen? Dazu muss man vielleicht für Nachgebo- rene ergänzen, dass die nach dem Mauerbau 1961 abgeschottete DDR Gesell- schaft eher akustische Kontakte zum Westen hatte als graphische. Abschließend dankt Karl Paul nicht nur den namhaften Namenforschern, sondern auch den Assistentinnen und Assistenten der verschiedenen philologischen Institute der Leipziger Universität, die stets zur Erklärung der schwierigen fremden Namen bereit waren. Ein eigenes Kapitel wird dem Thema „Fremde Vornamen“ ge- widmet, es müsste hier eigentlich vollständig zitiert werden, um das Zeit- und Ortskolorit jener Jahre vermitteln zu können. Ein Auszug soll genügen: Eltern, die ihren Kindern solche Vornamen geben, dürfen nicht vergessen, daß diese – besonders die englischen und französischen – meist anders ausgesprochen als sie geschrieben werden. Nach den gültigen Rechtschreibregeln können solche Namen nicht einfach eingedeutscht werden, sondern müssen in der im Ursprungsland üblichen Form geschrieben werden. (PAUL 1973: 23) Hingewiesen wird auch auf die vom Ministerium des Innern der DDR als Wei- sung herausgegebene „Ordnung zur Gewährleistung eines einheitlichen Verfah- rens in Personenstandsangelegenheiten“ vom 7. September 1957. Darin heißt es: Bei Namen fremden Ursprungs sind die der Fremdsprache eigentümlichen Schrift- zeichen (Akzent, Häkchen usw.) zu verwenden. Werden in der Schriftsprache ande- re als lateinische Schriftzeichen verwendet, so ist der Name nach seinem Klang und nach den Lautregeln der deutschen Sprache in die Personenstandsbücher einzu- tragen (zitiert nach PAUL 1966: XXIV).

Kommentierend schreibt Paul dazu in diesem ersten Vornamenbuch der DDR: Wer seinen Sohn Charles oder Mike und seine Tochter Jacqueline nennen will, muss die Namen schon so schreiben, wie sie im Ursprungsland geschrieben werden, und sie auch nach den dortigen Regeln also „ʧa:rlz“ (englisch) oder „ʃarl“ (französisch) und „maik“ oder„ʒaklin“, rufen. Den englischen Frauennamen Caroline kann man nicht einfach Kärolein schreiben, weil das vermeintlich wohlklingender ist, ebenso nicht Maik statt Mike. Ob aber später diese Kinder auch von den Mitschülern in der richtigen Form gerufen oder ob sie zur Zielscheibe von Spott und Hänseleien wer- den können, müssen sich die Eltern bei der Wahl fremdländischer Rufnamen wohl Fremde Namen? Ein Blick in das Archiv der Namenberatungsstelle 111

überlegen, besonders wenn Schreibweise und Aussprache stark von unseren Regeln abweichen. (PAUL 1966: XXIVf.). Auch aus dem weiter Beschriebenen kann abgeleitet werden, dass die Standes- beamten immer häufiger mit fremden Namen konfrontiert wurden und „Na- menberatung“ daher immer dringlicher wurde: Weiter ist bei der Wahl von fremden Namen zu beachten, daß es nicht nur auf den vermeintlichen Wohlklang ankommt, sondern auch darauf, ob der Name zu dem deutschen Familiennamen paßt und ob sich das Kind so entwickeln wird, wie es die Bedeutung des Namens verlangt. Vorsicht mit fremdklingenden Namen, besonders aus Schlagern und Filmen, ist auch deshalb geboten, weil es sich hier häufig um Phantasienamen handelt, die lediglich des Wohlklangs wegen gebildet wurden. (PAUL 1966: XXV).

Im Jahr 1977 erschien die Broschüre Vornamen heute. Fragen und Antworten zur Vornamengebung mit Beiträgen uns gut bekannter Namenforscher: Horst Naumann, Gerhard Schlimpert und Johannes Schultheiß. Dort heißt es: Bei aller Freiheit, die den Eltern in der Namenwahl zusteht, sollten Originalitäts- sucht und Geltungsstreben aus dem Spiele bleiben. Es ist daran zu denken, wie sich das Kind mit seinem Namen abfindet, wenn es heranwächst und sich der Bedeutung seines Namens bewusst wird, denn der Name begleitet es das ganze Leben und soll ihm (nicht nur den Eltern) auch angenehm sein. Ob das mit ausgefallenen, oft weit hergeholten (z.B. Areatha, Chandra, Kasna, Ilongin, Takuana für Mädchen oder Jukka, Ullus, Marinho, Takao für Jungen) zu erreichen ist, bleibt fraglich… (NAUMANN/SCHLIMPERT/SCHULTHEIS 1977: 59) Ein Jahr später, 1978, wurde unter dem schon genannten Titel Das Kleine Vor- namenbuch eine „Neuausgabe in kollektiver Arbeit“ veröffentlicht. Die Autoren sind jetzt Horst NAUMANN, Gerhard SCHLIMPERT und Johannes SCHULTHEIS, letzterer damals tätig in der Namenberatungsstelle (= NBS). Das eigenständige Kapitel „Fremde Namen“ gibt es nicht mehr. Aber unter der Kapitelüberschrift „Zur Schreibung der Vornamen“ wird das Thema wieder aufgegriffen: Die im Großen Duden (im Abschnitt 1.9.) gegebenen Hinweise auf die Schreibung von Vornamen fremder Herkunft und auf sprachgeschichtlich bedingte Lautver- hältnisse sind dabei wichtige Qrientierungshilfen. Mit dem im „Kleinen Vornamen- buch“ enthaltenen Schreibweisen besonders bei Vornamen fremder Herkunft soll den ratsuchenden Eltern geholfen werden, sich über die möglichen und vertretbaren Varianten zu informieren…..besonders bei Vornamen fremder Herkunft wird von den Eltern oft der Wunsch geäußert, daß die Aussprache möglichst deutlich aus der 112 Dietlind Kremer

Schreibung ersichtlich sein soll: Rober, Robere, Robér für frz. Robert, Miccaela, Mikkaela für span. und ital. Micaela usw. (ebd. 20). Schultheis vergab im Jahr 1987 ein Diplomarbeitsthema, das speziell „Probleme bei der Beurkundung von Vornamen englisch- und romanischsprachiger Her- kunft in der DDR“ behandelte.1 Dazu wird weiter unten zu lesen sein. Auch Studenten des Pädagogischen Institutes „Ernst Schneller“ in Zwickau hatten seit 1967 Untersuchungen zur modernen Rufnamengebung (1920–1969) vorgelegt, die von Horst NAUMANN 1973 zusammengefasst und ausgewertet wurden. Dieses wertvolle Material aus Städten und Dörfern des Südens der DDR ermöglicht einen weiteren Einblick in den gesamten Namenbestand auch in den DDR-Jahren. Aus IRMISCH 1988 lassen sich beispielsweise Namen ermit- teln, die in Aue bzw. Karl-Marx Stadt in den DDR Jahren zwischen 1954 und 1984 vergeben wurden und die sich mit den heutigen Kartierungsprogrammen sicher als „DDR-Namen“ bestimmen lassen, darunter auch solche, die noch nie als solche erkannt wurden: Steffen (1954), Gert (1954), Lutz (1964), Mike, Maik (1964), Tino (1964), Ronny (1964), René (1974), Enrico, Rico (1974), Silvio, Sylvio (1974), Falk, Falko (1974), Danny (1984) sowie Regina (1954), Katrin, Kathrin (1964), Steffi (1964), Ines (1964), Annett, Anett (1964), Sylke (1964), Ramona (1964), Jana (1964), Grit (1964), Mandy (1974), Doreen (1974), Manja (1974), Jacqueline (1974), Susann (1974), Jeannette, Jeanetta (1974), Sandy (1974), Madlen (1984), Kathleen, Cathleen (1984) und Janet (1984).2

Nach Naumann nehmen die „Einzelgänger“ von Jahrzehnt zu Jahrzehnt zu und „besonders hier fällt die Tendenz zur Aufnahme und Bildung nordischer, anglo- amerikanischer, französischer und romanisch klingender Rufnamen auf. Sehr auffällig ist der überaus breite Bereich des Jahrgangs 1964“ (NAUMANN 1973: 189). Die nunmehr zur Verfügung stehende Dokumentation einerseits der Na- menanfragen (der Jahre 1970 bis 1984)3 und andererseits der tatsächlich ein-

–––––––— 1 Vgl. JOHANNES 1987 2 Die Jahreszahlen in der Klammer geben an, wann der Name das erste Mal in den Geburtsverzeichnissen auftritt; dabei ist zu bedenken ist, dass nur alle 10 Jahre erho- ben wurde. Hinsichtlich der geographischen Verteilung wurden nur Namen geprüft, die mindestens 10 Mal vergeben wurden. 3 Käme man darauf, dass der 1967 in Naumburg geborene Timo nach einem au- thentischen westdeutschen Mordfall, aufbereitet in einer Krimireihe und in einem TV Spielfilm „Der Fall Timo Rinnelt“ von 1966/1967 benannt wurde? Fremde Namen? Ein Blick in das Archiv der Namenberatungsstelle 113 getragenen Vornamen bietet eine sehr gute Ausgangsbasis, sich neuerlich mit dem in den Medien oft und gern (und oft einseitig) behandelten Thema „Ruf- namen in der DDR“ zu beschäftigen. Schnee von gestern? Nein. Die DDR ist vor 25 Jahren untergegangen, aber nicht spurlos, denn die Menschen, die in ihr geboren wurden, leben weiter, sind zum Teil heute, wie man so schön sagt „in den besten Jahren“, sind zwischen 66 und 26 Jahre alt. Vor allem die Namenmode der jetzt etwa Fünfzigjährigen, also der in den Jahren ab 1965 Geborenen, trifft diese angesprochene Facette des Themas „Fremde Namen“, denn sie ist primär gekennzeichnet durch den Zu- strom fremder bzw. fremdsprachiger Namen oder Namenformen. Der Termi- nus „Fremdname“ wird folgerichtig in allen betrachteten Diplomarbeiten ge- braucht und beispielsweise bei Knorr auch problematisiert: Alle anderen Rufnamen müßten demzufolge als Fremdnamen bezeichnet werden. Dabei sind aber Abstriche zu machen, da wir heute viele dieser Fremdnamen als „deutsche“ Namen empfinden. Diese Namen bezeichnen wir als Lehnnamen. Nun gibt es allerdings noch keine scharfe Abgrenzung zwischen Fremd- und Lehnnamen (KNORR 1976: 12).

In diesem Sinne könnten „Fremdnamen“ verstanden werden als eine Art Durchgangsstadium neuer Rufnamen in einer Sprachgemeinschaft, das beendet ist, wenn der Name sich eingebürgert hat, wenn er häufig vergeben und bekannt ist und in der Folge sogar als „deutscher“ Name empfunden wird.

1. Fremde Rufnamen- mit Blick auf das Namenrepertoire der DDR

In diesem skizzierten Kontext sollte man „fremde“ Namen wohl eher verstehen als Namen, die einer Sprachgemeinschaft oder noch spezieller den Standes- beamten (noch) fremd sind, die also nicht vertraut sind, was sich aus dem elter- lichen Wunsch der Andersartigkeit, des Besonderen, vielleicht auch des Auffal- lenden usw. ergibt. Die Rufnamengebung erfährt hier also eine dichotomische Gegenüberstellung vertraut/bekannt vs. fremd/unbekannt. Ist es eine Sehnsucht der Namengeber nach dem in diesem Sinne ver- standenem Fremden, die auch als Xenophilie bezeichnet wird? Sind die fremden Namen (Xenonyme) Ventilnamen, Sehnsuchtsnamen4 oder einfach nur Spiegel-

–––––––— 4 Zu den Namenwünschen Hannah und Philip im Jahr 1984 schrieb der Vater aus Dresden: „was uns nicht als erzwungene Exzentrik auszulegen ist, aber in diesem muffig-sächsischem Biederraum, in dem nur möglich zu sein scheinen: Philipp und 114 Dietlind Kremer bild einer sich verändernden Gesellschaft, verbunden mit dem „Bedeutungs- verlust der beiden Kulturkreise, des deutschen und des christlichen“, wie der Kul- tursoziologe Jürgen GERHARDS (2003: 31) mit Blick auf das Eindringen fremder Vornamen meint? Für die in der DDR wirkenden Namenforscher, die die Studien als Beitrag zur marxistischen Anthroponomastik kennzeichnen, ist diese auffallende Beliebtheit fremder Namen eher problematisch, wie sollen sie sie erklären? Naumann meint mit Blick auf den Zustrom fremder Namen insbesondere seit 1964: Dabei handelt es sich kaum um eine tatsächliche Zuneigung zu den Ländern, aus denen diese Namen oder die möglichen Namenmodelle stammen, sondern vor allem um die bewusste Individualisierung (NAUMANN 1973: 189).

„Das Eigene und das Fremde“, nach Dietrich BUSSE (1997) möglicherweise eine anthropologische Grundkonstante, andererseits aber ein fortwährender Entleh- nungsprozess, der sich mit Blick auf Namen möglicherweise noch rasanter ent- wickelt als bei Wörtern? Und ist durch die wechselnde Namenmode, den Adap- tierungsprozess einstmals Fremdes auch schneller wieder fremd im Sinne von unbekannt und kann wieder Mode werden? Warum werde ich oft gefragt „Diet- lind – ist das ein Name?“ Ist somit auch der seltene Name als fremd im Sinne von unbekannt zu verstehen? Durs Grünbein, 1962 in Dresden geboren, dürfte diese Frage auch kennen, wobei sein Name so unbekannt bzw. fremd ist, dass selbst SEIBICKE (1996: 547) ihn mit einem Kreuz versieht und ihn als „histori- sche Namensform“ kennzeichnet. Andererseits kann man fragen, ob der Wunsch nach Fremdem/Nicht- alltäglichem in diesem Sinne auch die zum Teil abenteuerlichen Schreibungen, die Eltern an die NBS herantrugen (und herantragen), erklärt? Muss man hier bedauern, keine zuverlässige Basis zu sozioonomastischen Betrachtungen zu haben? Vielleicht sind sich manche Antragsteller dieser „Fehlschreibung“ be- wusst, wollen es aber gerade fremd, mit nicht vorausbedachten Folgen für das Kind oder um sicher zu gehen, dass der Name auch „schön fremd“ klingt? Die Unterlagen der NBS können aufzeigen, dass uns heute völlig vertraute Namen und dabei besonders die Mode gewordenen Kurznamen vor noch rela- tiv kurzer Zeit so fremd waren, dass eine entsprechende Bescheinigung vor- gelegt werden musste. Oder dass Namen aus der Bibel in der DDR Schwie- rigkeiten bringen konnten, wie im Falle Josaphat, den sich Familie S. aus Mag-

–––––––— Hanna – und in der oberen Form kommt zum Ausdruck Sehnsucht nach Welt, von der mehr vergönnt werden möge unseren Kindern.“ Fremde Namen? Ein Blick in das Archiv der Namenberatungsstelle 115 deburg im Februar 1990 wünschte, der aber im Standesamt nicht bekannt war und deshalb nicht eingetragen werden sollte. Natürlich ist unter den angefragten Namen der größere Teil auch sprachlich fremd, also nichtdeutschen Ursprungs, oft auch mit Hinweis auf einen Elternteil (normalerweise der Vater), der aus Syrien, Ungarn, Kuba und anderen Ländern stammt. Bei alledem darf nicht übersehen werden, dass viele dieser Namen in der DDR Einzelgänger blieben, von einigen Ausnahmen abgesehen.

Abb. 1: Die Übersicht zeigt die bunte Mischung von Anfragen, die der Korrespondenz aus den Jahren 1978/1979 entnommen wurde, ohne Kennzeichnung, ob der Name damals genehmigt oder abgelehnt wurde.

Der Zustrom fremder Namen ist natürlich keine Besonderheit der DDR, auch in den alten Bundesländern wurden solche Namen immer beliebter. So wird vor und nach der Wende gern auf nur geringe Unterschiede zwischen der Namengebung in Ost und West hingewiesen, so zum Beispiel von Winfried Seibicke: Zusammenfassend lässt sich sagen, daß es eine scharfe Trennung zwischen der Vor- namengebung im Osten und der im Westen nicht gegeben hat und daß die marxis- tische Ideologie keine spürbaren Auswirkungen auf die Vornamen in der DDR gehabt hat. Nur gelegentlich lassen sich politische Motive bei der Namenwahl indi- rekt erschließen – oder besser vermuten –, etwa (…) von Namen russischer Her- kunft, die nur in geringer Zahl vertreten sind (…). Gewisse Unterschiede werden 116 Dietlind Kremer

stets bleiben, so wie es immer Differenzen in der Namengebung zweier Städte oder zweier Regionen gegeben hat (SEIBICKE 1994: 10f.)

Für Namen in Spitzenpositionen ist dies sicherlich zutreffend, dennoch lassen sich vor allem durch neue Kartierungsprogramme Unterschiede in Ost und West aufzeigen.

Abb. 2: Deutschlandkarte „Ost-West-Vornamen“ von Matthias Stolz. Quelle: Die Zeit (Zeitmagazin), Ausgabe vom 30. September 2010.

Fremde Namen? Ein Blick in das Archiv der Namenberatungsstelle 117

Im Begleittext zu dieser Karte heißt es: Die Karte zeigt die Namensverteilung aus dem Telefonbuch 1998, es geht also um Leute, die heute mindestens 30 Jahre alt sind. Diese Menschen konnten als Volk zusammenwachsen, wie sie wollten, und selbst wenn sie heirateten: Ihren Vornamen wurden sie nicht los. Die Unterschiede sind subtil, keinesfalls heißen Ostdeutsche alle Peggy oder Maik. Einen Hang zum etwas exotischeren Vornamen haben sie schon. Doreen ist eigentlich englisch, Steffen dänisch, Marko ist die deutsche Schreibweise des italienischen Marco. Mark, im Westen sehr beliebt, kam im Osten fast gar nicht vor. Damit haben die Eltern ihrem Kind nach der Wende wenigstens folgenden Spruch erspart: »Schaut mal, da kommt der Ost-Mark.

Das auch für diese Karte genutzte Programm „genevolu“ wurde von dem Leipziger Studenten Mario Fraust auf meinen Wunsch hin entwickelt und hat uns schon eine Reihe überraschender Ergebnisse geliefert, die zuvor nicht mit dieser Leichtigkeit hätten aufspürt werden können. Gezeigt werden kann, dass auch Vornamenformen (z.B. graphische Varianten) Deutschland gliedern, so dass z.B. Steffen- (DDR bzw. neue Bundesländer) und Stefan-Räume (alte Bun- desländer) ausgegliedert werden können.5 Ich komme darauf zurück. Eine 1992 erschienene Studie des Kinderarztes Bernd Kleinteich ist mit Na- men von mehr als 400.000 in der DDR Geborenen die umfänglichste ver- öffentlichte Namensammlung des Zeitraums 1960 bis 1990. Nützlich sind seine tabellarischen Zusammenstellungen hier insbesondere bei der Frage, wann ein „fremder“ Name erstmals auftaucht. Die von KLEINTEICH (1992: 348) erstellte Übersicht über die häufigsten Vornamen jedes Geburtsjahrganges zeigt, dass die Namengebung bei den Mädchen stärker variiert und offener für Fremdes bzw. Neues ist als die Namengebung bei den Jungen: 1960 Petra 1960–1964 Frank 1961–1968 Kerstin 1965 Jens 1969 Katrin 1966–1977 Thomas, 1970 Manuela 1971 Katrin 1972 Daniela

–––––––— 5 Gerhard Müller deutet diese Unterschiede schon an: „Um spezielle Vornamenmerk- male der alten Bundesländer und der DDR bzw. der neuen Länder aufspüren und nachweisen zu können, müsste man allerdings gründliche Detailuntersuchungen vornehmen und auch die regionalen Besonderheiten… eigens in Rechnung stellen (MÜLLER 2001: 65). 118 Dietlind Kremer

1973 Sandra 1974–1976 Anja 1977/1978 Sandra 1978–1985 Christian 1979/1980 Anja 1981–1983 Nicole 1984 Stefanie 1985 Franziska 1986 Julia 1986 Sebastian 1987/1988 Franziska 1987–1989 Christian 1989/1990 Julia 1990 Martin

Von 3.341 Eltern bzw. Müttern erfragte er die Beweggründe für die Auswahl des Vornamens, erst an 13. Stelle steht dezidiert die Vorliebe für „fremdländische Namen“. Betrachtet man alle genannten Gründe genauer, so spielt Fremdheit der Namen aber auch bei anderen Motiven eine Rolle. Schwierig zu beurteilen ist es im Rückblick, welche Namen wann noch und wann nicht mehr als „fremd“ empfunden wurden. Im Prozess der Übernahme fremder Namen bleibt es wohl dem subjektiven Empfinden des jeweiligen Sprachbenutzers überlassen, zu beurteilen, ob ein Name noch Fremd- oder schon Lehnname ist, letzteres ein aus einer fremden Sprache übernommener Name, der nicht mehr als fremd empfunden wird. An dieser Stelle greife ich bewusst auf eine Formulierung von Brigitte Knorr zurück. Sie schreibt: Namen, die erst kürzlich unseren Namenschatz bereicherten, wie Enrico, Mario, Rene, Nancy, Sandy, Angelique werden noch als fremd empfunden. Denn die Definition für Fremdnamen lautet: aus fremder Sprache übernommener Name, der noch als fremd empfunden wird, da seine Aussprache und Schreibung von der Norm abweichen. Weitere Namenbeispiele für das Abweichen von der Norm sind: Doreen, Kathleen, Mandy, Sylvi, Swetlana, Achmed, Andre, Björn, Ferenc, Gordon. …..In jüngster Zeit üben die Fremdnamen einen immer größeren Einfluß auf unseren Namenschatz aus (KNORR 1976: 13).

Im Gegensatz zur Stichprobe von Kleinteich erfassen die zahlreichen Diplom- arbeiten in kleineren Räumen a l l e standesamtlich registrierten Vornamen, meistens in Zehnjahresschritten ab 1924 bis 1964 (zuzüglich 1969). Damals war es offensichtlich noch möglich, persönlich Einblick in die Standesamtsunter- lagen zu nehmen und auch Angaben zum sozialen Status der Familien zu ermit- teln. Aus diesen Standesamtsunterlagen können allerdings nur indirekt Infor- mationen über mögliche Motive der Namenwahl gezogen werden, weshalb die Fremde Namen? Ein Blick in das Archiv der Namenberatungsstelle 119

Auswertung der zurückgekehrten Namenanfragen an die NBS als wichtige komplementäre Information angesehen werden kann, mit der Einschränkung, dass man zurückhaltend war bei der Offenlegung offensichtlich westbezogener Motive! Die Anfragen der Eltern zeigen auch ein breites Spektrum hinsichtlich der Bereitschaft, sich bei der Namengebung behördlich einengen zu lassen: 1976 „darf der Name Ayreen in unserer Republik überhaupt geführt werden?“ 1984 „Anett bitte ich so schreiben zu dürfen“, 1984 (Jena): Ich möchte mich bei Ihnen erkundigen ob der Mädchenname ob „Marysol“ und der Jungenname „Joel“ bei uns zugelassen ist…“ 1984 „Fatima – ist es möglich, diesen Namen bei uns zu geben?“ 1984 „..ob in der DDR der Jungenname Marius besteht und ob es mir erlaubt ist, einen Jungen so zu nennen?“ 1984 (Hoym) „ich beantrage hiermit, daß mein Junge… mit dem Vornamen Sofiane benennen zu dürfen. Ich bin die Verlobte des Staatlich Beauftragten der Algerischen Werktätigen im VEB Gummiwerk Ballenstedt und es ist unser gemeinsamer Wunsch, unserem Jungen den obgen. Vornamen zu geben.“ 1984 (Riesa) „Hiermit richte ich an Sie die Bitte, zu prüfen, ob nachfolgende Namens- schreibungen statthaft sind 1. Denny (männl.), 2. Sendy (weibl.).“ 1984 (Quedlinburg): „und wenn dieser Name (Dustin) bisher noch nicht registriert ist, dann möchten wir eben die Ersten sein, die diesen Vornamen offiziell registrieren lassen. Es soll nun einmal dieser Vorname sein und kein anderer! Und irgendwann taucht jeder Name einmal neu auf.“ 1984 (Lübbenau): „Meine Tochter soll Nena heißen. Ich bitte zu prüfen, ob dieser Name zugelassen ist. Wenn nicht, bitte ich Sie, diesen Namen neu aufzunehmen.“ 1984 (Bruchmühle): „ich hatte mich bei Ihnen als kompetente Stelle nach dem Vornamen Dustin erkundigt. Ihre Antwort beinhaltete eine Ablehnung ohne ausreichende Begründung. Da dieses in Ihr Arbeitsgebiet fällt, muß ich Sie daraufhin aufmerksam machen, daß diese Antwort unqualifiziert und noch dazu falsch ist. Sie schreiben, daß dieser Name in der DDR von der Beurkundung ausgeschlossen ist. Das ist nicht der Fall. Unsere Nachforschungen haben ergeben, daß Kinder mit dem Namen Dustin existieren, die in der DDR geboren wurden und den Namen beurkundet bekamen. Ich erwarte, daß Sie in Zukunft trotz Ihrer akademischen Titel ihre Arbeit genauso gewissenhaft erledigen, wie es auch von jedem Arbeiter verlangt wird.“ 1984 (Wittenberg): „Hiermit bitte ich um Erlaubnis der Namen Samir oder Samira. Da der Vater des Kindes ein Algerischer Bürger ist.“ 1984 (Quedlinburg): „Es geht um die Tatsache, daß unser Sohn am 4. April geboren wurde und den Namen Dustin trägt. Da den Mitarbeitern des Standesamtes Quedlinburg dieser Vorname neu ist, erhielten wir von dort den Auftrag, uns an 120 Dietlind Kremer

ihre Beratungsstelle zu wenden und uns diesen Vornamen bestätigen zu lassen. Die Antwort Ihrer Beratungsstelle: – bisher wurde Dustin von uns nicht zur Bestä- tigung empfohlen –! Uns geht es aber nicht um eine Anfrage des Ursprungs dieses Namens (da er uns bereits bekannt ist) und auch nicht um eine Empfehlung, sondern wir möchten die Bestätigung, daß Dustin ein Vorname ist. Und wenn dieser Name bisher noch nicht registriert ist, dann möchten wir eben die Ersten sein, die diesen Vornamen offiziell registrieren lassen. Es soll nun einmal dieser Vorname sein und kein anderer. Und irgendwann taucht jeder Name einmal neu auf. In dem Artikel der Wochenpost 53/983 heißt es: ‘manches kommt auf die Rechnung von Film und Fernsehen (…) die dänische Filmserie über die Olsen- bande brachte einen Börge nach dem anderen. Fußballbegeisterte Väter bestanden auf Kevin (nach dem britischen Spieler Kevin Keegan). Als der englische Motorradrennfahrer Mike Hailwood auf DDR-Pisten siegte, erschienen die Mikes (…)’. Nun gibt es einen Schauspieler Namens Dustin Hoffmann, der uns in unserem konkreten Fall als Vorbild diente. Deshalb ist es nicht einzusehen, warum unser Sohn nicht Dustin heißen soll. Dann ist es eben der Erste Dustin in der DDR. Laut Wochenpost 53/1983 gibt es in der DDR eine fünfjährige Yoko-Ono! Dieser Name wurde sicher auch nun registriert in der DDR und wir möchten unter allen Umständen den Namen Dustin für unseren Sohn registrieren lassen!!! Falls es nach diesen, ich hoffe doch nun klaren Ausführungen trotzdem noch extreme Schwierigkeiten geben sollte, wären wir auch zu einer persönlichen Vorsprache bereit. Unser Sohn soll Dustin heißen, egal welche Schranken und alten Vorurteile wir beseitigen müssen!“ 1985 (Dresden): „Zu unserem Erstaunen wurde der Name GUNTAR für unseren zweiten Sohn [vom Standesamt Dresden] nicht angenommen und wir haben in diesem Zusammenhang folgende Fragen an Sie: – Welche gesetzlichen Bestim- mungen gibt es, die nur die Vergabe "staatlich registrierter" Namen gestatten? Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie Gesetzestitel und §§ angeben könnten. – Welche namenskundlichen Einwände sind gegen den Namen GUNTAR vorzubringen? Wir stimmen beide zu, wenn gewisse staatliche Vorbehalte und Sanktions- möglichkeiten geschaffen werden, um willkürlichen Namensgebungen vorzubeu- gen. Insbesondere trifft das zu, wenn Entwicklungsschäden psychischer Natur beim Kind durch Hänselei mit dem Namen zu erwarten sind. Eine formal-juris- tische oder bürokratische Verfahrensweise (also auch eine Namenskatalogisierung dogmatischer Natur) lehnen wir jedoch beide ab, weil sie mit dem Statut der SED und der Verfassung der DDR (Art. 30, Abs. 1) unvereinbar ist…“. In der ausführlichen Antwort der NBS heißt es u.a. „bestehen gegen die Beurkundung von Guntar als männlicher Vorname keine Bedenken. Möglich wäre auch die Schreibung Gunthar (…) Es gibt keine gesetzlichen Bestimmungen über "staatlich registrierte" Namen (…) Das betrifft, wie Sie in Ihrem Brief selbst bemerken, die Fremde Namen? Ein Blick in das Archiv der Namenberatungsstelle 121

Vorbeugung gegenüber willkürlichen Namensgebungen. Aus unserer Praxis könn- ten wir Ihnen dazu eine Vielzahl von Beispielen anführen (z.B. Familiennamen als Vornamen /im angloamerikanischen Sprachraum möglich/; eigene Bildungen /z.B. Sioka: am siebten Oktober geboren/ usw.). Dazu gehören auch die sog. Hörformen (z.B. Robér für Robert, da es im Französischen ohne -t gesprochen wird, usw.) (…) Da die Standesämter nicht über die erforderlichen Hilfsmittel verfügen, müssen Sie verstehen, daß die Standesämter an uns verweisen. Wir glauben, an Ihrem eigenen Beispiel gezeigt zu haben, daß wir im Interesse der Bürger und ihrer Kinder richtige Entscheidungen treffen.“

Horst Naumann wertet die Diplomarbeiten akribisch quantitativ bzw. statistisch aus und gibt auch einen Überblick über Veränderungen der Namensbildungs- mittel. Zum hier besonders interessierenden Eindringen fremder Rufnamen schreibt er: Es sind neue Elemente den bereits vorhandenen beigefügt worden, wobei man allerdings nur in bescheidenem Umfang von einem bewußten Einfügen auf Grund einer spürbaren politischen Grundhaltung sprechen kann. Es wäre aber ebenso falsch, wollte man als durchgängige Grundtendenz etwa Extravaganz oder bewusstes Streben nach Isoliertheit, Einmaligkeit usw. ableiten. Es entspricht einfach den Kom- munikations- und Informationsmöglichkeiten, der weltoffenen Einstellung und der veränderten Haltung gegenüber anderen Völkern, wenn heute anglo-amerikanische, romanische, nordische, slawische und andere Rufnamen bei uns für deutsche Kinder gegeben werden (NAUMANN 1973: 187). Aus der umfangreichen Materialsammlung können auch Erstbezeugungen aus- gewählter, beliebt gewordener Fremdnamen in den jeweiligen Dekaden kurz vor bzw. nach Gründung der DDR 1949 bis 1973 ermittelt werden. So etwa Annet((t)e (1944), Sylvia (1944), Andrea (1954), Jana (1954), Mario (1954), André (1954), Mike (Maik) (1964), Ines (1954), Manuela (1964), Silke (1964), Ramona (1964), Carmen (1964), Cornelia (1964), Carola (1964), Beate (1964), Claudia (1964), Jacqueline (1964). Aus der einzigen Dissertation zu diesem Thema (HAUSTEIN 1979), die jeweils sieben Jahrgänge in neun Städten im Süden der DDR mit insgesamt 40.758 Na- menträgern erfasst hat, können weitere neue Namen mit ihrem Erstbezeu- gungsjahr ermittelt werden. Dass ist deshalb interessant, weil damit ihr erstes Auf- scheinen deutlich wird, woraus sich in den Folgejahren richtige Modenamen ent- wickeln konnten. Für die Suche nach möglichen Motiven muss demnach weiter zurückgeschaut werden. So nennt Haustein für den Jahrgang 1944 insgesamt 123 neue Namen, unter ihnen solche wie Jens, Jörg, Mario (Modenamen 1964), Dirk, Heiko (Modenamen 1969), André, Marko, Sven (Modenamen 1974). Für das Jahr 122 Dietlind Kremer

1954 stellt sie als für die spätere Rufnamengebung wichtigste Neuerung den Na- men René6 heraus. Er hat 1954 nur einen Beleg und 1974 ist er mit über 100 Bele- gen ein absoluter Modename geworden. In Das kleine Vornamenbuch ist der Na- me verzeichnet: „René, französische Form von Renatus“ (PAUL 1966: 58). SEIBICKE (2000: 603) hat zwar keine direkte Erklärung für die Beliebtheit des Namens in der DDR, es wird aber der 1959 in Leipzig geborene DDR-Nationaltorwart René Müller angeführt. Dieser spielte seit 1976 in der Oberliga und wurde bekannt, da war der Name aber schon in Mode. Es muss also einen anderen Auslöser gegeben haben, der die jungen Eltern zwischen 1969 und 1978 animierte, ihre Kinder scharenweise René zu nennen.

Abb. 3: Häufigkeit und Verteilung des Vornamens René nach Belegen im Telefonbuch von 1998. Quelle: www.genevolu.de.

Die geographische Verteilung des Namens René bestätigt die Beliebtheit im Süden der DDR. Dort könnte es der 1959 in der DDR eingeführte und bei jungen Eltern beliebte „Lipsi-Tanz“ sein, der von René Dubianski komponiert bzw. erfunden wurde. Oder mochte man René Kollo, der in diesen Jahren noch nicht als Wag- nerinterpret bekannt war, sondern 1961 als Sänger der Lieder Hello, Mary Lou, –––––––— 6 „Nein, nicht alle Kinder in der DDR hießen René und Mandy – auch wenn dies zu den gängigen West-Vorurteilen über die Namen im Osten gehören“. http://www. sueddeutsche.de/leben/jahre-deutsche-einheit-so-tickte-die-ddr-1.1003058-5, Zugriff 4.1.2016 Fremde Namen? Ein Blick in das Archiv der Namenberatungsstelle 123 einer deutschen Version des Originals von Ricky Nelson, Am Ende wird es Liebe sein? Dann wäre der Name aber auch in den alten Bundesländern häufiger zu er- warten.7 Leider finden sich keine Unterlagen dazu in den Heftern, der Name war eben schon nicht mehr „fremd“ und wurde nicht angefragt bzw. begründet. Aus der leider nicht gedruckten Arbeit von HAUSTEIN sollen hier noch die Neulinge unter den Namen für das Jahr für 1964 genannt werden, die mehr als ein Mal vergeben wurden. Männliche Vornamen: Andy, Arne, Benito, Chris, Cliff, Daniel, Danilo, Danny, Eike, Enrico, Hagen, Ivo, Jens-Uwe, Jonas, Kai, Kai-Uwe, Kirsten, Lars, Marcel, Markus, Micha, Mike, Mirko, Nico, Nils, Nino, Ole, Oliver, Patrick, Perry, Pierre, Ramon, Reik, Remo, Renato, Rico, Robby, Roberto, Rocco, Roger, Romeo, Romy, Roy, Sandro, Sandy, Silvio, Sören, Tom, Tim, Timo, Titus, Toralf, Ulf, Vinzens. (105). Weibliche Vornamen: Annekatrin, Anne-Susan, Ariane, Arite, Babett, Barbi, Brit, Carda, Carolin, Conny, Cordula, Daniele, Denise, Dörte, Evi, Gerit, Grit, Jacqueline, Jana, Janka, Katalin, Kathleen, Katy, Kirsten, Maika, Maike, Mandy, Marcella, Margrit, Mary, Mirjam, Nadja, Nicole, Patricia, Peggy, Romy, Silvana, Simone, Sina, Susan, Synnöve, Winnie (111).

In der Auswertung dieses Zustroms schreibt Haustein zu den männlichen Vor- namen: (...) vielmehr treffen wir Rufnamen aus dem Nordischen und Friesischen, die bis zu diesem Zeitpunkt in unserem Untersuchungsgebiet selten waren (z.B. Ulf, Lars, Eike). Dazu gehört auch der bei uns in den 60er und 70er Jahren beliebte Jungen- name Kai, der 1964 zum ersten Mal in unserem Material auftaucht (…) 16 der hier 54 neu aufgeführten haben das Suffix -o; ein Zeichen des starken Einflusses aus dem Italienischen. Bedeutsam ist auch die Übernahme aus dem Englischen. Es sind vor allem Kurzformen von Rufnamen, die im Ursprungsland meist nicht das Bild der offiziellen Vornamengebung prägen, sondern dort durch ihre Vollformen vertreten sind. Mike hat im ersten Jahrgang, in dem er hier auftaucht, gleich mehr als 100 Belege. Das zeigt, daß die neu hinzukommenden Fremdnamen in unserem Material

–––––––— 7 Dasselbe gilt für den Schlagersänger Gerhard Tschierschnitz, der sich René Carol nannte und in den 1950er Jahren Erfolge feierte, 1953 verkaufte er die Platte „Rote Rosen, rote Lippen, roter Wein“ über 500.000 Mal und erhielt dafür die erste deut- sche Goldene Schallplatte. 124 Dietlind Kremer

nicht erst für später, sondern bereits für die Rufnamengebung 1964 relevant sind (HAUSTEIN 1979: 104). Zu den weiblichen Namen schreibt sie: Wie bei den Jungen, so kommen auch in der weiblichen Rufnamengebung des Jahres 1964 viele neue Elemente hinzu. 9 neue Mädchennamen haben das Suffix -i/-ie/-y. Davon wird Mandy zehn Jahre später ein Spitzenreiter in der Rufnamengebung 1974. Auch Nicole und Peggy nehmen seit 1964 ihre Entwicklung zu Modenamen der 70er Jahre (…) Die wichtigsten Neuerungen sind Fremdnamen (…) typisch bleiben aber das Französische, z.B. Jacqueline, und das Englische, z.B. Conny… (HAUSTEIN 1979: 110). Zur Erhellung der Motive dieser fremden Namengebung können unsere Mate- rialsammlungen wenig und nur indirekt beitragen. Es widerspräche wohl auch dem damaligen Zeitgeist und dem als Beitrag zur marxistischen Anthro- ponomastik deklarierten Erhebungen, wenn man eine Westsehnsucht, eine Vor- liebe für westdeutsche, amerikanische, englische, französische, italienische u.a. Namen hätte konstatieren müssen. In den Anfragen an die NBS finden sich gelegentlich Hinweise auf die Motive bzw. Quelle des Namens. Wir haben hier absichtlich Anfragen aus dem Jahr 1984 ausgewählt, da nach dem Erscheinen des Artikels „Mitleid mit Schenewieve“ in der Wochenpost8 53/1983 in den Briefen9 oft darauf Bezug genommen wurde und gleichzeitig der Mut stieg, auch westliche Motive offener zu benennen. Auch im Programm des Berliner Rundfunks, Jugendstudio DT64, wurde am 21. Oktober 1983 ausführlich über die Arbeit der „Vornamenberatungsstelle der KMU“ be- richtet und das Problem der fremden Namen angesprochen.

–––––––— 8 Die Wochenpost (Zeitung für Politik, Kultur, Wirtschaft, Unterhaltung) erschien zwischen Dezember 1953 und Dezember 1996 mit 2.244 Ausgaben und gehörte mit einer Auflage von ca. 1,3 Millionen Exemplaren zu den auflagenstärksten Wochen- zeitungen der DDR. 9 Ein Arzt aus Tweswoos schrieb z.B. am 3.1.1984: „Mit Vergnügen habe ich den Arti- kel ‘Mitleid mit Schenewieve‘ gelesen und hoffe, Ihnen mit meiner Nachricht eine kleine Freude zu bereiten. Als Landarzt kommen einem ja die köstlichsten Namen zu Ohr und so muss ich Sie enttäuschen, die K e ß l i e n (Cathleen) ist tatsächlich in meinem Einzugsbereich angesiedelt!! Ferner verfüge ich noch über einen R i t s c h e r t (!) und einen N o n i o (…) In der Hoffnung, Ihrer Sammlung einen kleinen Baustein beigefügt zu haben, verbleibe ich (…).“ Fremde Namen? Ein Blick in das Archiv der Namenberatungsstelle 125

1984 (Hoyerswerda): „mir ist aber der Name (Lis), nur in veränderter Schreibweise bei der Schauspielerin Liz Taylor bereits begegnet.“ 1984 (Görlitz): „Da es unser Wunsch ist, unseren Sohn ‘Francisco’ zu nennen (nach dem Mann Francisco Xavier, geb. 1506–1552), bitten wir um Ihre Bestätigung dieser spanischen Schreibweise. Die Urkundenstelle Görlitz lehnt diese ab und verwies uns an ihre Universität.“ 1984 (Possenhain): „Wir wurden auf Sie verwiesen und bitten Sie freundlichst uns mitzuteilen, ob der weibliche japanische Vorname ‘Sumiko’ zur Beurkundung zugelassen ist. Vor einiger Zeit lasen wir einen Tatsachenbericht über den Atom- bombenabwurf in Hiroshima und wurden auf das Mädchen ‘Sumiko’ aufmerk- sam, welches durch die Kernstrahlung sehr leiden und sterben musste.“ 1984 (Gera): „Ambrus wurde gewählt als gewisse Referenz an einen fast achtzig Jahre alten, langjährigen väterlichen ungarischen Freund der Familie.“ 1984 (Spitzkunnerdorf): „Macedaiu (Mazedaju), dieser Name wurde kürzlich in der japanischen Fernsehserie ‘Die Rache des Samurai’ genannt.“ 1984 (Berlin): „Assol- so heißt das Mädchen aus dem sowjetischen Märchenfilm ‘Das purpurrote Segel’, der das letzte Mal etwa 1980 im Fernsehen der DDR in der ‘Flimmerstunde’ gesendet wurde.“ 1984 (Hoyerswerda) „Ich möchte meiner Tochter gern den Namen Anait geben. Mir ist bekannt, daß die armenischen Fürstinnen diesen Namen trugen.“ 1984 (Meerane): „Da der männliche Vorname Silas im amtlichen Vornamen- verzeichnis nicht enthalten ist, bitte ich um die Erteilung der notwendigen Ge- nehmigung zur Vergabe des Namens. Der Name Silas ist eine Kurzform des Namens Silvanus und kommt in der Bibel in der Apostelgeschichte 15, 32; 15, 40; 16, 19; und 16, 25 vor.“ 1984 (Lauta): „Wir möchten unsere Tochter Andine nennen….Andine kommt in einem Märchen von Hans-Christian Andresen vor, wir sahen es vor 2 Jahren im Fernsehen als Film. Die Figur der Andine hat uns so gut gefallen, daß wir auf die Idee kamen, auch unsere Tochter so zu rufen. (Vielleicht ist es auch die englisch ausgesprochene Undine?).“ 1984 (Zwickau): „Als Leiterin des Standesamtes III in Zwickau erlaube ich mir hier- mit die Anfrage, ob der weibliche Vorname ‘Romina’10 registriert werden kann. Dieser Vorname wird jetzt wiederholt verlangt und wird mit der Schlagersän- gerin Romina Power im Zusammenhang stehen (…).“ 1984 (Magdeburg): „suchte ich für das Baby den Mädchennamen Lavinia aus (den Namen wählten wir nach dem Gemälde von Tizian, das seine Tochter darstellt).“

–––––––— 10 Der Name wird 1984 sehr häufig angefragt, vorgeschlagen werden auch die (nicht genehmigten) Schreibungen Romiena und Romyna. 126 Dietlind Kremer

Weitere in den Briefen ausdrücklich genannte Namensvorbilder sollen hier nur aufgezählt werden: Sue-Ellen aus der US-amerikanischen Serie „Dallas“, Telly aus der Serie „Einsatz in Manhattan“, Adriano von Adriano Celentano (Sänger und Schauspieler), Cliff von Cliff Richard (Sänger), Costa von Costa Cordalis (Sänger), Jennifer von Jennifer Rush (Sängerin), Kevin von Kevin Keegan (Fußballspieler), Michael von Michael Jackson (Sänger), Simon von Simon and Garfunkel (Sänger), Vicky von Vicky Leandros (Sängerin), Ernesto-Che nach Ernesto-Che Guevara (politischer Revolutionär), Nadia nach Nadia Comaneci (Turnerin), Enzo nach Enzo Ferrari (Rennstallbesitzer Formel 1), Sharon nach Sharon Tate (Schau- spielerin), Endric nach Endric Moll (Musiker), Simone nach Simone Signoret (Schauspielerin) u.a. Als Beweise wurden auch Zeitungsausschnitte, Fotos und exakte Belegstellen bzw. Adressen dieser Namenvorbilder beigelegt.

Abb. 4: Beweise für die Existenz von Namen, die den Anfragen an die NBS beigefügt wurden. In der Zeitschrift Sprachpflege. Zeitschrift für gutes Deutsch erschien seit 1972 die Rubrik „Unsere Namenecke“. Hier wurde einerseits zu interessanten, neuen aber auch zu merkwürdigen bzw. fremden oder unbekannten Namen Stellung bezogen, und es wurde über neue eingetragene Namen des Jahres berichtet. Oftmals waren es gerade die fremden Namen, die von Johannes Schultheis dort behandelt wurden: Medina, Mary-Ann, Colleen, Jeanny, Dexter, Hiskia, Gudrid und Moon waren beispielsweise Thema im Heft 1988/2, 23. Ein interessanter Hinweis in unserem Zusammenhang stammt auch von Horst NAUMANN (1973: 188), der feststellt, dass die Einzelgänger zur Gegenwart Fremde Namen? Ein Blick in das Archiv der Namenberatungsstelle 127 hin zahlenmäßig ständig zunehmen. Die für 1964 genannten Einzelnamen sol- len hier unkommentiert aufgelistet werden: 1964: Finn, Gerrit, Miguel, Ferry, Daisy, Ingild, Manila, Maren, Reila, Mercedes, Roxy, Fausto, Holk, Ariete, Arite, Franka, Inka, Jessica, Kathleen, Loana, Mona, Salka, Toska, Viola, Normann, Göran, Jören, Maye, Gritthelm, Gildo, Derk, Widmar, Arwid, Vulko, Raik, Saadi, Said, Taleyas, Darko, Gunar, Mirell, Naila, Annemon, Frauke, Bergit, Antja, Violor, Jördis, Verma, Ariane, Bogdan, Peer, Raik, Till, Yves, Sylvana, Amona, Brita, Carleen, Karen, Kerrin, Maike, Rica, Syrena, Renita, Marlit, Reina, Ronny, Romy, Ralk, Donald, Mandy, Mary, Wenke, Moureen, Dork, Marino, Ramay, Roger, Sören, Tarik, Thoralf, Kersten, Silvana, Dennies (Denis, Dennis), Aicke, Bill, Chris, Jeff, Pritpal, Peer, Ramon, Ryno, Minka, Doreen, Gundel, Gerrit, Larsen, Micha, Renaldo, Hellgrit, Ilka, Chris, Ferry, Sandy, Adflin, Barbi, Britta, Dörthe, Fatme, Ilka, Katolin, Marcella, Michelle, Mirjam, Olivia, Tabea, Tessy, Maike. Einige dieser Namen haben sich dauerhaft im Rufnamenschatz etabliert, andere sind bis heute „fremd“ bzw. selten geblieben. Zu den „erfolgreichen Namen“ zählt der Vorname Kathleen, der auch in der Stichprobe des Universitätsarchivs Leipzig nach 1964 einen enormen Aufstieg erlebte.

Abb. 5: Die Beliebtheitskurve für den Namen Kathleen nach Belegen des Universitätsarchivs Leipzig.11 –––––––— 11 Diese Datenbank enthält 628.586 Vornameneinträge aller immatrikulierten Studenten (Immatrikulationsjahrgänge von 1818 bis zur Gegenwart) und der ausgeschiedenen Beschäftigten der Universität Leipzig (Abgangsjahre von 1945 bis zur Gegenwart). 128 Dietlind Kremer

Der Name, der insbesondere in der DDR sehr beliebt wurde, brachte auch viele Anfragen an die NBS, weil er in vielerlei Schreibform gewünscht wurde, die bei der Beurkundung Probleme bereiteten. Am häufigsten gewünscht wurden Kes- lin, Ceslyn, Kesslin und Kesslyn. Eingetragen wurden die Varianten Cathleen, Kathlin. Kat(h)len. Letztere Form nennt Winfried Seibicke eine „unzulässige Schreibweise von Kathleen… läßt die Aussprache nicht erkennen, auch die Schreibweisen Katlen (DDR 1960 u. 1964, KL ’92; geb. 1972 Norddeutschld.) u. Katleen (DDR 1964, 1968, 1972, 1975 u. 1979, KL’92) sind abzulehnen.“ (SEIBI- CKE (1998: 666).

Abb. 6: Häufigkeit und Verteilung der Vornamen Kathleen und Katleen nach Belegen im Telefonbuch von 1998. Quelle: www.genevolu.de.

In manchen Briefen berufen sich Eltern darauf, dass der gewünschte Name im Nachbarort, im Kollektiv, in der Zeitung usw. vorkommt und sie nicht einsehen, dass sie nun eine ablehnende Antwort bekommen und andere den Namen erhal- ten durften. Die Briefe sprechen eine zum Teil deutliche Sprache. Für das Jahr 1987 findet sich im Archiv der NBS eine Aktennotiz, die wohl als Folge der Be- harrlichkeit der Eltern zu interpretieren ist bzw. als Indiz für die Vehemenz, mit der sich Eltern nicht mehr in die Namengebung hineineinreden lassen wollen: Fremde Namen? Ein Blick in das Archiv der Namenberatungsstelle 129

Abb. 7: Aktennotiz aus dem Archiv der NBS

2. Probleme der Beurkundung fremder Rufnamen in der DDR

In Anbetracht der seit 1964 offensichtlich rapide ansteigenden Zahl fremder, im Sinne noch nicht bekannter und fremdsprachiger Vornamen, ist das Erscheinen der oben genannten Publikation Vornamen heute im Jahr 1977 und die fol- genden Neuauflagen von 1983 und 1986 nicht verwunderlich („Die Tatsache, daß die gegenwärtige Vornamengebung in beträchtlichem Maße durch Vorna- men fremden Ursprungs mit geprägt wird, macht einige Bemerkungen zu den ‘Fremdnamen’ erforderlich“ hieß es 1977). Speziell sprachliche Probleme bei der nun zunehmenden Beurkundung englischer Vornamen in der DDR beschäf- tigen Rosemarie Gläser im Jahr 1975: Die Vornamengebung der DDR zeigt seit einigen Jahren eine deutliche Tendenz zur Bevorzugung ausländischer, oft exotischer Vornamen. Erhebungen in Form von Stichproben, die bei einigen Standesämtern des Bezirkes Leipzig vorgenommen wur- den, ergaben, daß vor allem skandinavische, englische, romanische und slawische Vornamen begehrt sind, wobei Jens, Torsten, Uwe, Brian, Carry, Lawrence, Keith, Mike, Pamela, Petula, Denise, Yvette, Marcel; Jana, Tamara, Nadja und Sascha zu 130 Dietlind Kremer

den beliebtesten gehören. Bereits die Tagespresse macht ihre Leser in humoristischer Form auf die übertriebene Sucht mancher Eltern aufmerksam (GLÄSER 1975: 14).

Die Schwierigkeit bestand darin, dass diese Fremdnamen in ihrer gehörten Form aufgeschrieben wurden und auch in dieser Form beurkundet werden soll- ten, oder wie Gläser es formulierte: „Bei einer Reihe englischer Vornamen, die den Standesämtern der DDR von Eltern zur Beurkundung vorgelegt wurden, zeigt sich, daß die vorgeschlagene Form des Vornamens wesentlich vom eng- lischen Sprachgebrauch abweicht. Oft versuchen die Eltern eines Kindes einen vagen Klangeindruck mit den orthographischen Mitteln der deutschen Sprache wiederzugeben, wobei sie – offenbar unbewusst – englische Phoneme durch deutsche ersetzen…“ (GLÄSER 1974: 16). Die heimgekehrten Ordner mit Anfragen aus den genannten Jahren ermög- lichen einen Einblick in diesen reichen Fundus von vagen Klangeindrücken zu fremden von Namen. Einige ausgewählte Zitate sollen hier lediglich einen Ein- druck der Problematik vermitteln. Manche Antragsteller berichten auch über ihre Erfahrungen mit einem Namen, der nicht wie gewünscht „fremd“ gespro- chen wird. 1984 (Dresden): „Es stellte sich bedauerlicherweise heraus, daß der Name Anjes Agnez geschrieben werden muss. Da mir an dem Namen etwas liegt, habe ich mich in Dresden auf dem Standesamt erkundigt, ob man die Rufweise auf der Urkunde mit verankern kann, da aus der richtigen Schreibweise nicht der Name Anjes hervorgeht.“ 1984 (Leipzig): „Ob man die Rufweise Anjes (statt Agnes) auf der Urkunde verankern kann, da aus der richtigen Schreibweise nicht der Name Anjes her- vorgeht.“ 1984 (Dresden) „hiermit möchten wir Sie bitten, bei der Namensgebung unserer Tochter behilflich zu sein. Wir möchten sie gern Nadin (Lautumschrift) nennen und hätten gewußt, ob wir den Vornamen in der Form schreiben können. Na- dine (laut Kleinem Namenbuch) soll sie nicht heißen. Oder wird das -e- gar nicht gesprochen?“ 1984 (Schönbach): „Wir haben da ein Problem mit dem wir an Sie herantreten möchten. Am (…) bekamen wir einen Sohn und wir hatten uns als Namen ‘Roběr od. Robeer’ ausgesucht. Als aber dann die Geburtsurkunden geschrieben wurden hatte man Robert als Namen eingesetzt. Wir haben uns dann gleich erkundigt, warum man dies so gemacht habe. Daraufhin erklärte man uns, daß Roběr bei uns Robert geschrieben wird und das es da keine andere Schreibweiße gebe. Wir sind aber der Meinung, wenn man Robert schreibt, daß dann auch der Name so ausgesprochen wird. Besonders im Kindergarten oder in der Schule Fremde Namen? Ein Blick in das Archiv der Namenberatungsstelle 131

wird dies der Fall sein. Diese Erfahrung haben Bekante von uns gemacht. Wir sind mit dem Namen Robert sehr unzufrieden, da der Opa des Kindes schon Robert heißt. Deshalb erscheint uns der Name für ein Kind zu hart. Wir sind also der Meinung das es doch einen Weg geben muß den Namen entweder Roběr oder Robeer zu schreiben. Auch für das Kind wäre es doch leichter seinen Namen schreiben zu lernen, wenn man ihn so schreibt, wie man ihn spricht. Warum sollte dies nicht möglich zu machen sein. Denn es gibt doch sehr viele Namen, die auch so geschrieben werden wie man sie spricht. Warum sollte das nicht bei Roběr gemacht werden können.“ 1984 (Zöllmen): „Wir erwarten im Juli ein Baby und wollten es gern Eileen nennen, sind aber etwas enttäuscht von der schwierigen Schreibweise. Deshalb möchten wir gern von Ihnen wissen, ob man den Namen nicht Eilyn schreiben kann…“ 1984 (Wildetaube): „Unser Sohn sollte auf dem Namen Michel (frz.) benannt werden. Leider mussten wir im Laufe der Zeit die Erfahrung machen, daß er Michel (dt.) angesprochen wird. Deshalb möchten wir, daß in seinem Namen deutlich zu erkennen ist, daß das ‘e’ zu betonen wäre. Ich bitte Sie deshalb höflichst dies als einen Grund anzuerkennen und das Apostroph auf dem ‘e’ seines Vornamens zu genehmigen.“ 1984 (Dresden): „Ich möchte gern wissen, ob es möglich ist, die Schreibweise des Vornamens meiner Tochter ändern zu lassen. Sie heißt Maren, die Betonung soll auf dem ‘e’ liegen. Ist es daher notwendig, die Schreibweise in ‘Mareen’ zu ändern?“ 1984 (Gera): „Ich habe voriges Jahr ein kleines Mädchen zur Welt gebracht. Ihr Na- me ist Daiana. Aber darin liegt mein Problem, denn auf der Geburtsurkunde und in ihrem Ausweis steht Diana. Als Grund hat man mir gesagt, das Daiana nicht im Namensbuch steht, sondern nur Diana. Das also Daiana genau wie Diana geschrieben wird. Nur wenn überall Diana steht, dann sagt ja auch jeder Diana zu ihr und das möchte ich gerade nicht. Denn ich habe sie ja Daiana und nicht Diana genannt.“ 1984 (Königsbrück): „Am 12. Februar 1983 wurde meine Tochter Alice geboren. Im Verlauf des 1. Lebensjahres wurde ich jedoch mit der Aussprache konfrontiert, die mir überhaupt nicht gefällt. Sie sprechen den Namen genauso aus wie man ihn schreibt. Diese Aussprache existierte in meinem Sprachschatz vor der Entbindung nicht. Nun bin ich darüber sehr enttäuscht, denn ich möchte den Namen als Alies ausgesprochen wissen. Ich möchte von Ihnen wissen, ob es eine Möglichkeit gibt, den Namen in seiner Schreibung zu ändern damit es mit der Aussprache keine Zweifel mehr gibt. Ich würde den Namen gern Alies schreiben lassen, Kostenfragen spielen dabei keine Rolle. Besteht keinerlei Möglichkeit 132 Dietlind Kremer

dafür, bitte ich Sie mir wenigstens mitzuteilen wie der Name richtig ausgespro- chen wird.“12 1984 (Großenhain): „wir möchten unsere Tochter gern Poline nennen. Leider steht im Vornamenbuch nur ‘Pauline’. Ich weiß, daß im Französischen ‘au’ wie ‘o’ ge- sprochen wird. Wir möchten dies aber nicht, da wir vermuten, daß man sie vielleicht in der Schule damit ärgern wird. Bitte schreiben sie uns, ob die Schreibung mit ‘o’ ebenfalls möglich ist.“ 1984 (Ilsenburg): „(…) kann Name Andreas als Endru gegeben werden?“ 1984 (Eisenhüttenstadt) „Auf Grund des Artikels in der ‘Wochenpost’ kam es zu einem ernsthaften Streit zwischen unseren Freunden und mir. Ihr erster Sohn trägt den Namen Saymen. Nun vertrat ich die Ansicht, da sei ein ‘Ausrutscher’ auch wenn er standesamtlich beglaubigt ist. Unsere Freunde behaupten nun das diese Auslegung des Namens Simon tatsächlich möglich ist. Bitte helfen sie uns weiter damit der Streit bald ein Ende hat. Vielen Dank und Erfolg im Leben.“

Die Ursache für diese zum Teil hilflosen Schreibungen sehe ich darin, dass Ra- dio gehört und ferngesehen wurde, außerhalb Dresdens bevorzugt westdeutsche Programme. Druckerzeugnisse oder andere Möglichkeiten der graphischen Be- kanntmachung dagegen waren nicht gegeben bzw. regelrecht verboten oder westdeutsche Schallplatten wurden erst später importiert. Wer kann es den jun- gen Eltern, die nicht in die Fremde reisen durften, verübeln, dass sie sich damals Namen wie Saymen, Mischel, Robähr Devid, Frenk, Airin, Brayn und Dajana wünschten?

–––––––— 12 Das ebenfalls abgeheftete Antwortschreiben vom 6.2.1984 lautet: „Leider müssen wir Ihnen mitteilen, daß die Schreibung des Vornamens Alice in welcher Sprache auch immer die gleiche bleibt. In der Schreibung gibt es also keine Variante.“ Fremde Namen? Ein Blick in das Archiv der Namenberatungsstelle 133

Abb. 8: Eine Anfrage an die NBS zu den Vornamen Simon, Angelique, Jacqueline und vermutlich Gina aus dem Jahr 1979. 134 Dietlind Kremer

Betrachtet man die gesetzlichen Bestimmungen dieser Zeit, so wird klar, dass es zu Problemen kommen musste, denn ein aus einer fremden Sprache über- nommener Vorname sollte so beurkundet werden, wie er in der Fremdsprache geschrieben wird, mit allen der entsprechenden Sprache eigentümlichen Schrift- zeichen.13 Einige eingedeutschte Schreibungen fremder Namenformen haben sich dennoch durchgesetzt, so zum Beispiel Annett, Janett und Susett für die französischen Namenformen Annette, Jeanette, Susette.

Abb. 9: Häufigkeit und Verteilung des Vornamens Annett nach Belegen im Telefonbuch von 1998. Quelle: www.genevolu.de.

–––––––— 13 Vgl. die „Ordnung zur Gewährleistung eines einheitlichen Verfahrens in Personen- namenangelegenheiten“ vom 7.9.1957. Fremde Namen? Ein Blick in das Archiv der Namenberatungsstelle 135

Die Kartierung dieser Namen zeigt, dass diese Form der Entlehnung fremder Namen fast ganz auf das Gebiet der DDR beschränkt bleibt und zu der vor allem in den Medien zu findenden Stigmatisierung der Namenträger als „DDRler“ bzw. „Ossi“14 und schnell auch „Unterschichtler“ führen kann. Das wiederum lag daran, dass der weitaus größere Teil der Eltern vehement auf der von ihnen vorgeschlagenen Schreibweise beharrte. „Und gerade dieses Beharren läßt den Ehrgeiz der Eltern erkennen, zu erreichen, daß der Name ih- res Kindes nicht deutsch, sondern englisch oder französisch ausgesprochen wird“ (JOHANNES 1987: 28). Unter den Anfragen gibt es durchaus auch Bitten um Namensänderungen, in denen die Eltern beantragen, den richtig geschrie- benen englischen Namen in einer anderen Schreibweise eintragen zu dürfen, die mit Hilfe der orthographischen Mittel der deutschen Sprache die englische Lau- tung des Namens wiedergibt. Darin drückt sich eine deutliche Enttäuschung der Eltern aus, dass der gewünschte Name nicht so „fremd“ wie gewünscht ausge- sprochen wird: Michael/Maikel, David/Devid, Michel/Mischel u.v.a. In der 1987 verfassten Diplomarbeit von Kerstin Johannes geht es speziell um die hier ange- sprochenen Probleme bei der Beurkundung von Vornamen „englisch- und ro- manischsprachiger Herkunft in der DDR“. Ihre Untersuchungen basieren auf Anfragen aus dem Zeitraum 1980 bis 1982. Einleitend schreibt sie: Diese Tatsache, dass die Vornamengebung gegenwärtig und sicherlich auch noch in den nächsten Jahren entscheidend durch Vornamen fremder Herkunft mitgeprägt wird, erfordert in zunehmenden Maße eine Beratung der Standesämter bei der Beurkundung von Namen. Dabei leisten seit einiger Zeit das Forschungskollektiv Namenkunde an der Sektion Theoretische und Angewandte Sprachwissenschaft der Karl-Marx-Universität und die Arbeitsgruppe Namenforschung der Akademie der Wissenschaften der DDR eine wichtige Öffentlichkeitsarbeit, die von der Bevöl- kerung immer mehr genutzt wird. Erreichten das Forschungskollektiv an der KMU im Jahre 1978 etwa 500 Anfragen, so waren es 1986 bereits etwa 1100. (JOHANNES 1987: 1)

In der Arbeit behandelt Johannes u.a. die ungenaue orthographische Wie- dergabe des Lauteindruckes von englischen und französischen Vornamen, sprachliche Probleme bei der Beurkundung spanischer Vornamen und Aus- spracheregeln anderer gewünschter fremder Namen. Sie hat abgelehnte Namen- wünsche, die zwischen 1980 und 1982 an die Namenberatungsstelle der Uni- versität gerichtet wurden, zusammengestellt und die jeweils richtige Schreibwei- se dazugestellt. Zu diesen Namenwünschen gehörten demnach: –––––––— 14 Ein eigenes Thema ist die Frage, warum die Bezeichnung „Ossi“ negativ wirkt. 136 Dietlind Kremer

Deniell (Daniel), Devid (David), Dennes (Dennis), Edmont (Edmond), Eljed (Eliot), Frenk (Frank), Gorden (Gordon), Jeffrik, Jeffryk, Jefrik (Jeffrey), Cenny (Kenny), Keeven, Keveen, Keven (Kevin), Maikel, Mikel (Michael), Meik (Mike), Nic (Nick), Normen (Norman), Petrick (Patrick), Richy, Ritchie (Richie), Ric (Rick), Caimen, Saimen, Saimon, Saymen, Saymon, Scaiman, Seimein (Simon), Stev, Stiev, Styv (Steve), Alin, Ailyn, Eilin (Aileen, Eileen), Ellis, Ellys (Alice), Angée (Angie), Arlin (Arlene), Cerolin, Cerolyn (Caroline, Carolyn); Karén (Careen, Kareen), Cassy, Cessy, Kessi, Kessy (Cassie, Cathy, Kathy), Cesrin, Cessry (Catherine/Katherine), Cessly, Kathlen, Kesslin (Cathleen/Kathleen), Charlien, Charline, Sharlin (Charleen, Charlene), Cordney, Corthney, Courtne (Courtney), Dajen, Dajenne, Dayan, Dayen, Dayenne (Diana), Eleen (Elaine), Ellaisa (Eliza); Elln (Ellen) (JOHANNES 1987: 28ff).

Mit dem inzwischen gewonnenen Abstand wäre es interessant, Träger solcher Namen, die eigentlich nicht genehmigungsfähig waren, aber dennoch einge- tragen worden, dazu zu befragen, welche Erfahrungen sie mit ihrem (damals oder immer noch fremden Namen, respektive der Namenformen) gemacht ha- ben. Einen Eindruck vermitteln die verschiedenen Internetforen, zum Beispiel auch zum Namen Madlen15, der als vereinfachte Schreibung von Madleen16 seit 1967 auch in der DDR vergeben wurde, so z.B. in elf Fällen in Leipzig 1987 (SEI- BICKE 2000: 148). Eine generelle Beurteilung fremder Namen im Rufnamen- schatz der DDR wird es nicht geben können, sondern nur Einzelfallbetrach- tungen.17

3. Zu ausgewählten Fremdnamen im Rufnamenschatz der DDR

Durchforstet man das Internet zum Thema „Namengebung in der DDR“18 so sind es wiederkehrend insbesondere die auf -y (und die auf -o) auslautenden Namen, die als „DDR-Namen“, „Ost-Namen“ oder „Ossi-Namen“ bezeichnet werden und häufig einer gewissen Lächerlichkeit ausgesetzt sind: Sie wurden zum Teil schon weiter oben genannt. Zu diesen Namen wurden und werden wir

–––––––— 15 Vgl. http://www.vorname.com/name,Madlen.html 16 Englische Schreibung des französischen Namens Madeleine (< Magdalena). Auf- schlussreich die Erklärung „oberdeutsche Kurzform von Magdalena“ (PAUL 1966: 112). 17 Eine Studentin des Wahlbereichs Namenforschung ist ausdrücklich glücklich „die einfache Form des Namens Madlen“ tragen zu dürfen (2014). 18 Auswertend und übergreifend z.B. MÜLLER 2001 Fremde Namen? Ein Blick in das Archiv der Namenberatungsstelle 137 als NBS oft von den Medien („Die Zeit“ bevorzugt das Thema19) befragt und ha- ben das unsrige dazu getan, das Negativimage solcher Namen zu relativieren, zumal die Namengebung eher etwas über die Eltern als über die Namenträger aussagt. Auf das Sozialprestige von Rufnamen wies bereits 1973 Horst Naumann warnend hin: Ein weiteres soziales Problem ist das des Sozialprestiges. Auch darüber findet sich im Bestand der Rufnamen wichtige Hinweise. Sicher hat das Streben nach dem beson- ders Auffälligen, das sich bei der Namenwahl vor allem im abseits Liegenden, Abnormen offenbart und das zunächst fast nur außerhalb der Arbeiterklasse fest- zustellen ist, ehe es dann alle Schichten der Bevölkerung erfaßt, Positives und Negatives zum Inhalt. Positiv ist auf alle Fälle die Bereicherung des Namenbestandes und die zum Teil produktive Weiterentwicklung des potentiellen Systems. Positiv ist sicher auch die bewußte Individualisierung, die ja ohnehin Eigenart des Rufnamen ist. Negativ dagegen wirken sich die zum Teil recht abnormen Namen auf den Na- menträger aus, der dadurch oft zur Zielscheibe des Spottes auf Grund des tatsächlichen, zersprochenen oder verunstalteten Namens wird. (NAUMANN 1973: 188)

Stellvertretend für eine Reihe andere sollen hier Cindy, Mandy und Sandy, Peggy bzw. Ronny, Rocky, Ricky und Andy genannt werden, die ebenso wie Rocco, Ric- co, Rico, aber auch Doreen, Evelin, Kathleen und als ältere Vertreter Frank, Heidrun, Enrico; Kerstin, Ramona, Simone, Ilona ihren Schwerpunkt in der DDR hatten. Auf zwei ausgewählte soll noch näher eingegangen werden.

3.1. Der Vorname Cindy

Der Name Cindy wird als englische Kurzform von Cynthia, Cinderella, Lucinda u.a. Namen erklärt, „use of name began around 1956 and was rapidly boosted by the popularity of a song ‘Cindy lou’, specially in the U.S.“ (zitiert nach SEIBI- CKE 1996: 413). Für die DDR findet sich ein Beleg Cindi im Jahr 1961, die Form Cyndi ab 1979. In Vornamen heute aus dem Jahr 1986 werden Belege für Cin- dy/Sindy in Borna in den Jahren 1978 und 1979 genannt, in letzterem schon an Spitzenposition (1. Nicole (33), 2. Sandra (30), 3. Katja/Susann (27), 4. Mandy –––––––— 19 Am ausführlichsten zuletzt: Anne HÄHNIG, „Ost-Namen. Was soll das heißen? Namen wie Peggy oder Denny verraten mehr, als ihren Trägern lieb ist. Erfolgreich werden kann man damit trotzdem.“ Von (Die Zeit vom 31. Oktober 2012, Nr. 45/2012. 138 Dietlind Kremer

(25), 5. Cindy/Sindy (23), 6. Doreen (21), 7. Anja/An(n)ett (19), 8. Yvon- ne/Ivonne/Peggy (18), 9. Nadine (17), 10. Susan (15). „Der Name Cindy bzw. Sindy, der sich schon einmal vor etwa 20 Jahren durch einen Schlager einer ge- wissen Verbreitung auch bei uns erfreute, ist seit 1977 wieder im Kommen…“ (NAUMANN/SCHLIMPERT/SCHULTHEIS 1986: 54).20

Abb. 10: Häufigkeit und Verteilung des Vornamens Cindy nach Belegen im Telefonbuch von 1998. Quelle: www.genevolu.de.

–––––––— 20 Hier auch: „bei unterschiedlichen Schreibungen eines Namens in der Fremdsprache sollte man grundsätzlich die im Deutschen einfachere bevorzugen, z.B. englisch Eileen und nicht Aileen, Sindi/Sindy und nicht Cindy (…) (NAUMANN/SCHLIM- PERT/SCHULTHEIS 1986: 60). Zu beachten ist die Gleichsetzung der Aussprache ss- (c) und s-. Fremde Namen? Ein Blick in das Archiv der Namenberatungsstelle 139

Leider ist aus der Korrespondenz nicht sicher zu ermitteln, wie es zu der Beliebtheit des Namens kam. War es das Schlagerduo „Cindy und Bert“, das in den 1970er Jahren zum erfolgreichsten Schlagerduo (in der Bundesrepublik) avancierte?21 War es schon die Schauspielerin Cindy Crawford (1978 im Film „Days of our Lives“)? Mehrere Cindys haben inzwischen Namenforschung stu- diert, sie eint, dass sie mit ihrem Namen nicht glücklich waren/sind. Inzwischen ist das Onogramm22 für den Namen Cindy auch nicht mehr so wie vermutlich früher, sondern der Name wird als „weitbekannt“, „gewöhnlich“ und „wohl- klingend“ empfunden. Sicher also anders als 1956, als Margot Eskens „Cindy oh Cindy“ sang. Hier noch ein anderer Kommentar einer Cindy aus einem Chat bei www.beliebte-vornamen.de, zum Thema passend: Schade das ich diese Beiträge erst so spät lese. Also ich bin auch im Osten aufgewachsen & meine Eltern wollten auf keinen Fall den Osten entfliehen;o) Meinen Namen habe ich Cindy & Bert zu verdanken… „Gott sei Dank bin ich kein Junge geworden!“ *lach. Also ich bin mit meinem Namen zufrieden, zumal in meinem Alter (knapp 40 J.) kaum eine Frau so heisst. Wenn ich mich richtig erinnere gibt es im „Osten“ gar nicht so viele mit dem Namen Cindy, zumindest ich kenne aus meine Heimatstadt nur insgesamt 4 Cindy´s & ich war die ERSTE *hihi Anfang der 70ger hatte man (Standesamt) sich noch um die Schreibweise gestritten, dass geht sogar noch aus meiner Geburtsurkunde hervor – die wurde zwei mal geändert bis meine Mutter mich endlich Cindy nennen durfte. Vielmehr kennt man doch die Namen Manuela, Kerstin, Kathrin, Karin oder Sandra aus dem Osten ;o)

Aus der uns dankenswerter Weise vom Amtsleiter des Leipziger Standesamtes zur Verfügung gestellten Komplettliste aller im Jahr 2015 in Leipzig vergebenen Rufnamen ist ersichtlich, dass kein Kind den Namen Cindy bekommen hat und nur ein Mädchen den Namen Sindi.

–––––––— 21 In einer Anfrage an „Cindy“ zu ihrem Künstlernamen teilte Jutta Berger über facebook, wo sie Cindy Berger heißt, folgendes mit: Liebe Frau Kremer! 1969 wählte die Plattenfirma den Namen "Cindy" (Künstlernamen) für das Gesangs-Duo Cindy & Bert aus. Meinen Geburtsnamen -Jutta- fanden die Verantwortlichen zu deutsch/ bieder und für's Ausland zu schwierig. Inspiriert wurden sie von Esther & Abi Ofarim's Titel "Cinderella Rockefella" Liebste Grüße Cindy.“ 22 http://www.onomastik.com/Vornamen-Lexikon/name_2088_Cindy.html 140 Dietlind Kremer

3.2. Der Name Enrico

Den Namen Enrico habe ich ausgewählt, weil er mir schon selbst früh im Leben begegnete: am ersten Schultag 1967 in Dresden. Enrico muss demnach Jahrgang 1960 oder 1961 sein, das trifft sich mit den Angaben von SEIBICKE (1996: 652), der in der DDR für diesen Namen 1960 drei Belege nennt und „ab 1960 anstei- gend“ konstatiert. Die eingedeutschte Schreibung Enriko findet sich seit 1968 in der DDR. Die anderen Schulkameraden hießen Frank (2), Carmen, Till, Anita, Kerstin, Torsten, Wolf-Dieter, Petra, Karla, Christina, Bernd, Rita, Sabine, Sibyl- le, Olaf, Katrin, Michael, Andrea, Michaela, Ramona, Ilona, Steffen Wolfgang. Ich kann mich erinnern, dass mir der Name Enrico noch nie untergekommen war und dass der Junge mir nie ganz geheuer war – mit so einem fremden Na- men! Vermutlich ging es ihm mit mir genauso, so ein fremder unbekannter Name.

Abb. 11: Die Schulanfänger 1967 der 39. Oberschule Dresden-Plauen (Foto: privat) Fremde Namen? Ein Blick in das Archiv der Namenberatungsstelle 141

Abb. 12: Häufigkeit und Verteilung der Vornamens Enrico und Ramona. nach Belegen im Telefonbuch von 1998. Quelle: www.genevolu.de. 142 Dietlind Kremer

Was man damals noch nicht ahnen konnte, ist, dass der Name Enrico, (genauso wie der meiner Klassenkameradin Ramona) sehr auf das Gebiet der DDR be- schränkt bleiben würde und die einstige Aura „italienisch (bzw. spanisch), fremd, modern“ abgelöst wurde durch die banale Einschätzung „Ost-Name“! Mag es Zufall sein oder nicht, beide Schüler hatten Mühe mit der Schule und würden der heute als „bildungsfern“ bezeichneten Schicht zugeordnet werden.

Zu gerne wüsste man, was der Grund für die Vorliebe für beide Namen ausge- rechnet in der DDR war. Bei Ramona dürfte die moderne Fassung des Schlagers „Ramona, zum Abschied sag ich Dir Good bye“23, die 1960 von dem Duo „Blue Diamond“ auf Schallplatte erschien, eine Rolle gespielt haben. Ob Enrico Caru- so, der italienische Opernsänger, der sicherlich der berühmteste Tenor der ers- ten Hälfte des 20. Jahrhunderts war, hier ein Motiv sein könnte?

4. Fazit

Kürzlich hat Damaris Nübling in einem Interview im Deutschlandfunk im Zu- sammenhang mit der Mainzer Tagung „Rufnamen als soziale Marker“ im Herbst 2015 gesagt, dass es keine fundierte Untersuchungen dazu gäbe, dass Träger typischer DDR Namen darunter leiden bzw. Nachteile erleben. „Der Ef- fekt für die sogenannten Unterschichtsnamen oder für Ostnamen wurde bislang nicht nachgewiesen“.24 Das stimmt, ich kenne auch keine, keine fundierte, aber ich werde auch keine anregen. Gemeinsam mit dem ZDF wurde im Mai 2012 mit Unterstützung der Universität Leipzig ein Beitrag zum Thema „Mein Name und ich“ produziert, aus dem hervorgeht, dass der inzwischen nicht mehr frem- de aber ungünstig konnotierte Name kein Schicksal sein muss. Dabei wurden eine Mandy und ein Kevin interviewt. Allerdings kam der Produzentin der Na- me Dietlind „extrem fremd “ vor, weshalb sie mich bat, in dieser Produktion auch etwas zu meinem Namen und mir zu sagen.25 Auch „Die Zeit“ ist Namen- trägern auf die Spur gegangen und hat äußerst erfolgreiche Menschen getroffen, die Mandy, Sandy, Denny, Kevin, Peggy und Jaqueline heißen.26

–––––––— 23 https://de.wikipedia.org/wiki/Ramona_%28Lied%29 24 http://www.deutschlandradiokultur.de/cindy-mandy-und-co-so-viel-macht-haben- vornamen.2156.de.html?dram:article_id=331041 25 http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/1649892/Ich-und-mein-Name- Dietlind#/beitrag/video/1649892/Ich-und-mein-Name-Dietlind 26 http://www.zeit.de/2012/45/Karriere-Erfolg-Namen Fremde Namen? Ein Blick in das Archiv der Namenberatungsstelle 143

Seit der Einrichtung des Nebenfachstudienganges Namenforschung vor 25 Jahren habe ich meine größtenteils aus den Neuen Bundesländern kommenden Studenten in einem Fragebogen zu Ihren Vornamen befragt. So auch, ob sie mit ihrem Namen zufrieden sind. In den seltenen Fällen, in denen zugegeben wur- de, dass man mit dem Namen unzufrieden wäre, wurde zum Beispiel geschrie- ben: „es wäre nicht so einfach, mit einem DDR-Namen ernst genommen zu werden“, oder „es nervt der Kommentar ‘Du bist wohl ein Ossi’“. Zu diesen ge- hören gerade diese von den Eltern gewählten Modenamen fremder Herkunft, die bereits angesprochen wurden. Dass diese (Fremd-)Namen ein Stigma sein können, liest man außerdem in den unterschiedlichsten Internetforen. Dies dort zu Lesende als Geringschätzung zu bezeichnen, wäre euphemistisch. In einem Radiobeitrag vom 14.9.2015 spricht D. Nübling von einer „regelrechten Hetze, die im Internet stattfindet, diese Namen werden stigmatisiert“.27 Wie kommt es zu dieser Geringschätzung der fremden Namen, die so gern in der DDR verge- ben wurden? Der bereits erwähnte Beitrag in „Die Zeit“ soll hier nochmals ge- nutzt werden, in Ermanglung anderer Quellen. Darin heißt es28: Mit dem DDR-Image dieser Namen hat das nicht mehr viel zu tun. Forscherin Astrid Kaiser vermutet, dass hinter dem Kevin-Peggy-Cindy-Robby-Spott eigentlich »Sozialschichten-Arroganz« stecke. Englische Namen, sagt sie, seien mal ein Trend der Mittelschicht gewesen – vor allem im Osten, in Teilen auch in Westdeutschland. »Dann begannen Menschen aus den unteren Schichten, diese Namen zu imitieren.« Kaiser sagt, dass sich beide Phänomene, das Ost- und das Unterschichten-Phäno- men, im öffentlichen Bewusstsein irgendwann vermengten.

Eine interessante Mischung: Die Vorliebe für fremde Namen seit den sechziger Jahren in Ost und West, nun getrübt durch ihnen anhaftende ungünstige Kon- notationen (entstanden durch Sozialschichten-Arroganz?) auf der einen Seite. Auf der anderen Seite eine wohl latent schon immer vorhandene Fremden- feindlichkeit, die jetzt besonders im ostdeutschen Raum aufbricht. Ein ganz ak- tuelles Thema, und vermutlich hängen beide Seiten zusammen: die Arroganz und die Angst vor dem Fremden – in der unmittelbaren Umgebung! Der „Fremdname in Sprache und Gesellschaft“ bietet also ein breites Feld, das weiter bearbeitet werden müsste. Hierbei bieten die zurückgekehrten Anfra-

–––––––— 27 http://www.deutschlandradiokultur.de/cindy-mandy-und-co-so-viel-macht-haben- vornamen.2156.de.html?dram:article_id=331041 28 http://www.zeit.de/2012/45/Karriere-Erfolg-Namen/seite-2 144 Dietlind Kremer gen ein kultur- und mentalitätsgeschichtlich aufschlussreiches Untersuchungs- material. Auch wenn für diesem Beitrag schon konkrete Motive für die (vornehmlich fremde) Vornamengebung ermittelt wurden, auf die man ohne die Akten nie gestoßen wäre, und sicher noch weitere in den Akten gefunden werden können, so fehlt doch eine umfassende Untersuchung,29 durch die man dem Vor- namenschatz der DDR Jahre noch besser beschreiben könnte, als das bisher der Fall ist30. Neue, fremde Namen tauchen nämlich z.B. auch in der DDR-Literatur auf, und dies wurde manchmal skeptisch beäugt, wie im Falle der umstrittenen Schriftstellerin der DDR Irmtraud Morgner31, die skurrile Heldinnen mit Na- men Amanda (1983), Beatriz (1974) und Laura (1974) erfand. Hier können na- türlich auch Anregungen herkommen. Mit Blick auf fremde Namen ist schließlich auch Winfried Seibickes Hinweis aus dem Jahr 1994 von Interesse: Darüber hinaus schwinden die Unterschiede zwischen den Sprachen: Einem Kevin oder einer Vanessa beispielsweise sieht man ihre nationale Herkunft nicht mehr an. In dieser Hinsicht ist die Vornamengebung der europäischen Vereinigung ein gutes Stück voraus (SEIBICKE 1994: 9).

Der fremde Vorname kann also nicht nur ein Stigma sein, sondern auch eine Brücke zu dem sich schon Jahrzehnte vollziehenden internationalen Ausgleich in der Vornamengebung. GUGUTSCHKOW und HENGST haben hierzu bereits 1999 Unterlagen der NBS ausgewertet und im Fazit die Formulierung „Berei- cherung in Kontinuität“ gewählt. Der traditionelle Vornamenbestand wird nicht völlig verdrängt, er wird durch die vielfältigen interkulturellen Kontakte aus po- tentiell allen Sprachen der Welt bereichert. Gerade in den letzten Monaten wird an der NBS verstärkt zu neuen fremden Namen angefragt, Namen, die durch Flüchtlinge zu uns kommen (vgl. den Beitrag von Gabriele Rodriguez in diesem Band). –––––––— 29 Bei einer Vorlesung im Seniorenkolleg der Universität Leipzig habe ich im April 2015 an die ca. 600 Teilnehmer Fragebogen verteilt und sie nach den Namen Ihrer in der DDR geborenen Kinder befragt. 30 Wesentliches dazu schon bei DEBUS 2009. 31 In den 70er Jahren, in denen die rebellisch werdenden Frauen nach Vorbildern suchten und die dominanten Männer in Ost wie West unruhig wurden, erschien ihr „Roman in dreizehn Büchern und sieben Intermezzos“ mit dem vielversprechenden Titel: „Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz de Dia nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura“. Fremde Namen? Ein Blick in das Archiv der Namenberatungsstelle 145

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Gabriele Rodríguez Aktuelle Tendenzen in der Namengebung ausländischer, bi- und multikultureller Familien in Deutschland

Laut Statistischem Bundesamt lebten 2014 in Deutschland 16,5 Millionen Men- schen mit Migrationshintergrund und davon fast 8,2 Millionen Menschen mit ausschließlich ausländischer Staatsangehörigkeit. Die Bevölkerung mit Mig- rationshintergrund besteht aus den seit 1950 zugewanderten Menschen und ih- ren Familien, von denen ca. ein Drittel in Deutschland geboren wurde und von denen mittlerweile 9,7 Millionen einen deutschen Pass haben. Fast 70% der Zu- wanderer stammen aus Europa (vor allem Gastarbeiter aus Italien, Spanien, Portugal, Griechenland und der Türkei; Spätaussiedler und Personen aus Ost- und Südosteuropa sowie Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien). Mehr als 17% stammen aus Asien und mehr als 3% aus Afrika. Die meisten Menschen mit Migrationshintergrund stammen aus der Türkei (12,8%), aus Po- len (11,4%), aus der Russischen Föderation (9%), aus Kasachstan (6,9%), Rumä- nien (4,4%), Italien (4%), Griechenland (2,1%), Kroatien (2%), aus Serbien (1,8%) und aus der Ukraine (1,7%).1 Der größte Teil der Menschen mit Migrationshintergrund lebt in den alten Bundesländern insbesondere in den Ballungszentren Berlin, Hamburg, Mün- chen, Köln und Frankfurt am Main. In den neuen Bundesländern (ohne Berlin) ist der Anteil noch verhältnis- mäßig gering. Dabei ist Leipzig die Stadt mit dem größten Ausländeranteil. In den neuen Bundesländern leben zum großen Teil Menschen aus Polen, aus der Tschechischen Republik, aus der Russischen Föderation, aus der Ukraine, aus Vietnam und China. Jedes vierte in Deutschland geborene Kind hat mittlerweile einen Migrationshintergrund.2 Die Zuwanderung von Menschen aus anderen Ländern und Kontinenten hat die soziale Struktur in Deutschland verändert. Eine ethnische, sprachliche, –––––––— 1 http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2015/01/2015-01-15-faq-zu- wanderung-bevoelkerung.html (21.05.2015); https://www.destatis.de/DE/PresseSer- vice/Presse/Pressemitteilungen/2015/03/PD15_097_12521.html;jsessionid=F3E363F E4FE220CB47EF8B2D2CE32FD8.cae2 (21.5.2015). 2 https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Bevoelkerung/Migrati- onIntegration/AuslaendischeBevolkerung/AuslaendischeBevoelkerung_Info.html (21.5.2015). 150 Gabriele Rodríguez kulturelle, religiöse und auch onymische Vielfalt gehört heute in Deutschland zum Alltag. Mit den neuen Kulturen kamen und kommen neue Vor- und Fami- liennamen sowie fremde Namensysteme nach Deutschland. Einige dieser aus- ländischen Namen findet man heute schon unter den tausend häufigsten Fami- liennamen in Deutschland wie z.B. den vietnamesischen Familiennamen Nguyên auf Platz 815.3 Neue Namen und Namensysteme bringen aber auch Probleme mit sich. In anderen Kulturkreisen gibt es keine Familiennamen, oder es existieren Mittel- namen, Vatersnamen, Zwischennamen usw.. Die Standesämter sind auch bei der Eintragung von fremden Vornamen teilweise überfordert. Die Hilfsmittel wie z.B. das Internationale Handbuch der Vornamen4 sind nicht ausreichend und mittlerweile veraltet. In der Namenberatungsstelle am Namenkundlichen Zentrum der Univer- sität Leipzig haben in den letzten zehn Jahren Anfragen, die in Verbindung mit der Namengebung von Menschen mit Migrationshintergrund (ausländische sowie bi- und multikulturelle Familien) stehen, stark zugenommen. Folgende Beispiele aus den letzten Wochen sollen dies dokumentieren: Eine Familie aus dem Kosovo wünschte für den Sohn den Vornamen Eresti. Asylbewerber aus Nigeria wollten den Sohn Godstime Odigie nennen. Flüchtlinge aus Eritrea möchten die Tochter Mariyamawit nennen. Asylbewerber aus Syrien wünsch- ten für ihre Tochter die Vornamen Boschra Aiman. Es handelt sich bei den ge- wünschten Vornamen um typische Namen in den Ursprungsländern. In Deutschland sind sie dagegen unbekannt. Aiman wurde bisher in Deutschland nur als männlicher Vorname eingetragen, und der transparente englische Name Godstime ʽGottes Zeitʼ wird nicht als Vorname verstanden.5 Die Anzahl der Anfragen zur Eintragungsfähigkeit von Vornamen von aus- ländischen Familien sowie von Familien mit Migrationshintergrund hat sich in den letzten Jahren stark erhöht. Fast die Hälfte aller Anfragen (45% im Jahr 2014), die die Namenberatung erreichen, betreffen fremde bzw. ausländische Personennamen sowie Namensysteme. Im Jahr 2004 betrug dieser Anteil nur 36% aller eingehenden Anfragen. Mit den wachsenden Flüchtlingszahlen wird sich dieser Anteil noch erhöhen.

–––––––— 3 Geogen v3.2.5740 © 2005-2015 Christoph Stöpel. 4 Internationales Handbuch der Vornamen, Verlag für Standesamtswesen Frankfurt am Main, 2008. 5 Diese und alle folgenden Beispiele stammen aus der Arbeit der Namenberatung an der Universität Leipzig sowie aus der Datenbank der Namenberatungsstelle.. Namengebung bei Familien mit Migrationshintergrund 151

2004 2014 deutsche Eltern 64 deutsche Eltern 55 ausländische Eltern 23 ausländische Eltern 23,5 Eltern mit Migrationshinter- Eltern mit Migrationshinter- grund 13 grund 21,5 Spätaussiedler 1 Spätaussiedler 1,5 Abb. 1 Abb. 2 Anfragen der Eltern nach Herkunft im Vergleich 2004 und 2014

Personennamen und Namensysteme aus anderen Kulturen weichen häufig stark vom deutschen Usus ab. Je größer die Unterschiede der Ausgangskulturen zur deutschen Gepflogenheit sind, desto mehr Probleme und Anfragen gibt es bei der Eintragung von ausländischen Namen in Deutschland. Menschen mit ähn- lichen Kulturen (z.B. innerhalb Europas) haben auch ähnliche Namentraditio- nen. Die größte Gruppe ausländischer und Bürger mit Migrationshintergrund sind die türkischen Mitbewohner. Entsprechend hoch ist der Anteil der Anfra- gen dieser Gruppe. Zahlreiche Probleme gibt es bei der Eintragung türkischer, kurdischer sowie arabischer, persischer und Kosovo-albanischer Namen. In den letzten Jahren hat sich auch der Anteil der Anfragen zu afrikanischen, asiatischen, indischen sowie slawischen und baltischen Personennamen vor allem von bikulturellen Familien erheblich erhöht (Abb. 3 und 4). 20% aller eingetragenen Vornamen im Jahr 2014 in Deutschland waren aus- ländische Namen, von denen allein 15% aus dem türkischen, kurdischen, arabi- schen und persischen Raum stammen.5 Der häufigste unter diesen fremden Vornamen ist der arabische männliche Name Mohamed (273 Eintragungen) mit seinen zahlreichen Schreibvarianten Muhammed (430), Mohammed (202), Mo- hammad (116), Muhammad (73), Mohamad (60), Mohammet (1), Mohamd (1), Muhamed (42), Muhammet (31), Muhamet (12), Muhamad (5), Muamet (1), Mehmet (240) u. a. sowie solche Kombinationen wie Memetali, Mohamad-Ali, Mohamed-Ali oder Muhammed-Ali. Er (und seine Schreibvarianten zusam- mengenommen) belegt Platz 25 unter den häufigsten Vornamen des Jahrganges 2014. 152 Gabriele Rodríguez

Abb. 3: Herkunft der ausländischen Eltern im Vergleich 2004 und 2014

Abb. 4: Herkunft der Eltern mit Migrationshintergrund im Vergleich 2004 und 2014 Namengebung bei Familien mit Migrationshintergrund 153

Es folgen die türkisch-arabischen männlichen Vornamen Ali (Platz 57 mit mindestens 745 Eintragungen); Emir (479) und Amir (192) (Platz 79), Emirhan (81); Ahmed, Ahmet, Ahmad, Ahmat (Platz 104); Yusuf, Youssef, Yousef (Platz 106); Can (Platz 109), Emircan, Melihcan, Alican; Karim, Kerem, Kerim (Platz 120); Yasin, Yassin, Jasin, Yassine (Platz 124); Malik, Malek, Melik (Platz 141); Ömer, Ömür, Omar, Omer (Platz 151); Ibrahim, İbrahim (Platz 168); Berat (Platz 172); Efe (Platz 174), Efekan, Afecan, Efehan; Kaan (Platz 176) und Mus- tafa (179) sowie die weiblichen Vornamen Elif (Platz 77 mit mindestens 637 Eintragungen, 2013 noch auf Platz 91); Nur, Nour, Noor (Platz 127), Elanur, Eli- fnur, Edanur, Aynur, Bennur, Hiranur, Livanur, Fatimanur, Nuray; Zeynep, Zeyneb, Zeynab, Zeinab, Zeineb, Zainab, Zaynab, Zayneb, Sainab, Saineb, Say- nab, Seinab, Seynab (Platz 124); Nisa (Platz 130); Leyla, Leila, Laila, Layla (Platz 136); Amira, Emira (Platz 148); Amina, Amine, Emina, Emine (Platz 150); Me- dina, Madina, Elmedina (Platz 162); Azra (Platz 165); Aylin (Platz 167); Tuana (Platz 169); Elin (Platz 174); Meryem (Platz 181); Esma (Platz 199); Melek (Platz 214); Dilara (Platz 221); Fatima, Fatma, Fatme, Fatime (Platz 225) und Yasmin, Yasemin, Asmin (Platz 227).5

Abb. 5: Die häufigsten Vornamen bei Neugeborenen in Berlin 2013 154 Gabriele Rodríguez

Der männliche Vorname Ali gehört heute in größeren Ballungsgebieten mit ei- nem hohen Bevölkerungsanteil mit türkischem Migrationshintergrund zu den beliebtesten Namen. So war Ali z.B. 2013 und 2015 in Berlin-Neukölln der häu- figste Vorname bei männlichen Neugeborenen (Abbildung 5).5 Probleme bereiten in Deutschland zahlreiche neue Vornamen, die das Ge- schlecht nicht eindeutig erkennen lassen oder die in ihrer Schreibform mit in Deutschland gebräuchlichen Vornamen zusammenfallen, aber im Genus ab- weichen. So gehört z.B. Jasmin heute zu den beliebten weiblichen Vornamen in Deutschland. Im südslawischen Raum ist Jasmin dagegen ein männlicher Vor- name und die weibliche Bildung lautet Jasmina. Der weibliche Vorname Isa wird bei deutschen Familien als Kurzform von Isabella, Isolde oder L(o)uisa ver- geben. Im arabischen Raum ist Isa dagegen ein männlicher Vorname. Japani- sche Vornamen auf -ko sind in der Regel weibliche Vornamen (Yoko, Aiko). In Deutschland werden diese Namen dagegen als männliche Vornamen wahrge- nommen (Joko, Eiko, Aiko). Slawische männliche Vornamen auf -a werden wie- derum als weibliche Namen verstanden (Mischa, Kolja, Nikola, Danila). Auch endungslose, meist türkische und kurdische weibliche Vornamen wie z.B. Elif, Nur, Iman, Berfin, Hajar, Nigiar, Zohal, Tbark, Sultan und Melek werden nicht als solche erkannt. Türkische Vornamen sind in der Regel für beide Geschlech- ter möglich. Da die türkische Sprache kein grammatisches Geschlecht kennt, enthalten türkische Vornamen meist keine Genusendung. Zahlreiche Vorna- men, die aus dem Arabischen oder Persischen entlehnt wurden, erkennt man dagegen an ihren weiblichen Endungen -a und -e (Farida, Faride, Samira, Sami- re, Amira, Amire, Nadima, Nadime, Nazima, Nazime, Arifa, Arife, Samiha, Sa- mihe, Aliya, Aliye, Adila, Adile, Tahira, Tahire). Und albanische männliche Vornamen auf -lind (Arlind, Mirlind, Fatlind, Rilind, Erlind, Edolind) versteht man in Anlehnung an die altdeutschen weiblichen Namen auf -lind (Dietlind, Sieglind, Irmlind, Gerlind, Rosalind) als weibliche Vornamen. Die im Folgenden aufgeführten Vornamen verdeutlichen die Unsicherheit bei der Zuordnung zu einem Geschlecht: Jasmin, Junko, Yoko, Aiko, Iman, Seyfulis- lam, Hajar, T(a)bark, Hlat, Nikola, Danila, Deniz, Aleya, Dorrin, Toktam, Ajan, Nigiar, Zohal, Hogey, Nur, Nuri, Elyesa, Zakaria, Elif, Irmak, Can, Selin, Irem, Sila, Sena, Delal, Narin, Selin, Hedi, Schange, Sultan, Arlind, Mirlind, Fatlind, Rilind, Erlind, Edolind, Daorsa, Arbnora, Rana Adil, Idil, Lisa, Thi, Talha, Sefa, Şükrü, Yüșa, Yekta, Yahya, Meltem, Uchenna, Pilar, Pınar, Nagehan, Mehru, Siham, Ül- kü, Tuğra, Tugra, Raoan, Souad, Senem, Vegeta, Inci, Cemre, Nevin, Hibatullah, Fairuz, Farieda, Mindo, Dadho, Is(s)a, Rim, Rumi, Habibullah, Hibabullah, Ab- dulla(h), Buğra, Bugra, Hamza, Hamsa, Mischa, Zakariya und Zimo. Namengebung bei Familien mit Migrationshintergrund 155

Problematisch sind auch Namen, die von der in Deutschland üblichen Schreibweise abweichen, oder ausländische Namen, die ins Deutsche übertragen werden müssen. Namen fremden Ursprungs werden in der Regel mit den der fremden Sprache eigentümlichen Schriftzeichen (Akzent, Häkchen usw.) über- nommen. Wenn für eine Sprache andere als lateinische Schriftzeichen verwen- det werden, so übernimmt man diese Namen nach ihrem Klang und den Laut- regeln der deutschen Rechtschreibung, wenn eine buchstabengetreue Übertra- gung nicht möglich ist. Das dies nicht immer einfach ist, zeigt die Variantenviel- falt zahlreicher Namen: Diin, Din; Damijan, Damiyan, Damian; Julijan, Juliyan, Juljan, Julyan, Julian; Dijana, Diyana, Diana; Suzana, Susana, Su-Zana, Su-Sana; Snježana, Snezhana, Sneshana; Cvetelina, Zvetelina; Ilirjana, Ilirijana, Iliriana; Qendresa, Kendresa; Raoa, Raua, Rava, Raoua; Tilaoa, Tilaua, Tilaoua, Tilava; Romaeisa, Rümeysa, Rumeysa, Rumesa, Rumejsa; Sümeyye, Sumeyye, Sümeje, Su- meje; Tbark, Tabark; Dschihad, Djihad, Jihad, Jehad, Cihat, Cehat, Ğihad, Gjihad; Awasch, Avaš, Avaş; Josipa; Rass, Raz; Naz, Nas; Freschta, Freshta; Ulij, Uli, Ulii, Uliy; Yuly, July, Yuli, Juli; Tamiem, Tamim; Asa’il, Asail; Tuğba, Tuba; Nexhme- din, Neshmedin; Shqipë, Shkipe; Abdulmexhid, Abdulmeshid, Abdulmejid, Abdul- majid; Mehmood, Mehmud, Mahmud, Mahmut; Mamadou, Amadou; Jevgenij, Jewgenij, Jevgeni, Jewgeni, Evgenij, Evgeniy, Evgeni; Vuokko; Angelija, Angeliya, Angelia; Poran, Porã; Margeaux, Margo; DeVante, D’Rell; Lauoand, Lawand; M’mah, N’Kony, D’Angelo; Antuan, Antwon, Antuanett; Devid, Endy; Džana, Džennis; Bintou, Bintu; Eja, Eya, Ea. Zahlreiche Vornamen, die aus anderen Kulturen nach Deutschland kom- men, sind im Deutschen nicht als Vornamen erkennbar. Beispiele dafür sind z.B. Buse, Leiser, Segen, Degen, Assel, Jihad, Dschihad, Muslim, Islam, Irak, Sultan, Ramadan, Juli, Nur, Tuba, Blend(e), Glory, Blue, Sugar, Winner, Summer, Sky, Moon, Diamond, Alfa, Bismarck, Berolina, Love, Ocean, Melodi(e), Cosmo(s), Ni- vea, Fanta, Sunil, Zelig, Princ(e), Princes(s), Queen, King, Junior, Godswill, God- light, Godson, Godsgift, Gondwana, Gonzalez und Naz. Der türkisch-persische weibliche Vorname Naz in der Bedeutung ʽGrazie, Anmut; niedlich, kokett’ wird häufig als weiblicher Einzelvorname und in Kom- bination mit anderen Namen wie z.B. Elifnaz, Sudenaz, Elanaz, Ecenaz, Gülnaz, Elnaz, Sehernaz, Shehnaz, Mervenaz, Zelihanaz, Ariyanaz, Mehrnaz, Iremnaz, In- cinaz, Fatmanaz, Fatimanaz, Zührenaz, Ecemnaz, Esmanaz, Hiranaz, Safinaz, Binnaz, Tannaz, Afranaz, Delnaz, Dilnaz, Ayșenaz, Müșkinaz, Zehranaz, Zümra- Naz, Aleyna-Naz, Eylül-Naz, Zeynep-Naz, Sükriye-Naz, Naz-Melek sowie Ablei- tungen Naze, Nazlı, Nazli, Nazlin, Nazlim, Nazan, Nazar, Nazdar, Nazia, Naziya, Naziye, Naziha, Nazik, Nazila, Nazile, Nazira, Nazliye, Nazmiye eingetragen. Die türkische weibliche Form Nazi wird dagegen in Deutschland nicht empfohlen. 156 Gabriele Rodríguez

Eltern mit bi- und multikulturellem Hintergrund wählen meist Namenkom- binationen für ihre Kinder, die in beide bzw. in mehrere Kulturräume passen. Je größer die kulturellen Unterschiede sind desto schwieriger ist es, einen gemein- samen Namen zu finden. Die Lösung ist in der Regel, einen Namen aus der ei- genen Kultur mit einem in Deutschland üblichen Namen zu kombinieren. Je nach Umfeld und Sprache wird dann der entsprechende Name verwendet. Bei- spiele mit vietnamesischem Hintergrund sind u.a. Noah Nam, Thuc-Anh Silvia, Try Thanh Tong, Alex Heinrich Duc Long, Jenny Ha My, Luis Hoang Quan, Dang Tuan Anh Toni, Tim Hùng, Thu Huong Zoe, Thao Ann, David Linh, Deniz Duy Linh, Ylyn, Lea Duy Uyen, Pauline Mai Ly; mit chinesischem Hintergrund sowie Tibet: Chenxi Anya, Lydia Li En, Mae Yin, Emily Xiaoxiao, Marwin Weilin, Zimo Isabella, Sophie Lok Ying, Lennart De Xi, Châu Linh Jolene, Kevin Long, Marvin Weilin, Jeanette Weiquiang, Femke Wulan, Timao Li, Lena Gia Han, Julian Henry Yazhen, Jigme Kai; mit koreanischem Hintergrund Julia Jin-A Elisabeth; mit Be- zug zu Indonesien: Tjaya Pauline; mit japanischem Hintergrund: Caralie Mit- sou, Daniel Kiyoshi, Saya Berenike, Benjamin Shigeru Gabriel, Oskar Akimasa sowie mit thailändischem Bezug: Lionel Kiragorn und Alina Praepilai. Die Vor- namen aus dem deutschen Sprachraum sind in der Regel ein- oder zweisilbig und geschlechtseindeutig. Ein ähnliches Vorgehen findet man bei deutsch-afrikanischen sowie bei Fa- milien mit afrikanischem Migrationshintergrund. Hier wurden z.B. folgende Kombinationen gewählt: Daniel Adjei Laryea, Natascha Oselunosen, Kevin Ayao- vi, Tanischa Essenam, Leander Mimo Abebi, Noah Ogheneovie Chibuzor, Samuel Nwachukwu, John Espoir, Pepe Davoka, David Kenechukwu, Tyrese-Ngozi, Chris- topher Efosa, Lys-Florine Houèvi Gbédémon, Emma Chidera, Savina Feline Ndidi- amaka, Akoele Cynthia, Akoko Celina, Ayana M’mah, Alicia Lyan Odafe, Vanessa Isioma, Kerstin Osariemen, Lilly Sarfo, Tanisha Osayi, Liemdjoka Lea, Pascal Mamodaly, Tijani Manolo Ayite, Julia Blessing, Mary Favour Nnenna, Chibuzo Mark, Louisa Ajola Sade, David Chukwuemeka, Marvin Ikenna, Amira Ogechi, Cara Ewuarama und Kevin Ayaovi. Bei deutsch-türkischen Familien sowie Familien mit türkischem Hinter- grund, deren Kinder in Deutschland geboren wurden, kann man in der Vorna- mengebung zahlreiche Anpassungen an die deutsche Namengebung beobach- ten. Es werden oft türkische Namen gewählt, die den in Deutschland gebräuch- lichen Namen ähnlich sind, so z.B. Can Luca, Canluca sowie Su Zan, Suzan. Der beliebte türkische Name Can wird als Dschan gesprochen und die Kombination Can Luca, Canluca ähnelt der italienischen Form Gian Luca, Gianluca, die in Deutschland bekannt ist. Der ursprünglich italienische männliche Vorname Luca gehört heute in Deutschland zu den beliebten männlichen Vornamen. Mit Namengebung bei Familien mit Migrationshintergrund 157

Can wurde der Bezug zur türkischen Kultur hergestellt. Der türkische weibliche Name Suzan, Su Zan ähnelt dem in Deutschland gebräuchlichen weiblichen Vornamen Susan/Susann/Susanne geht dagegen auf einen ursprünglich persi- schen Namen Suzan in der Bedeutung ʽbrennendʼ zurück und wird an den tür- kischen Namen Su in der Bedeutung ʽWasserʼ angelehnt. Oft werden türkische Namen mit in Deutschland gebräuchlichen Vornamen kombiniert: z.B. Jamie Tunctan, Jona Can, Liam Can, Kilian Denay, Su-Zan Melodi, Lea Sena, Derin- Su, Ferdinand Beyaz, Anaïs Erendiz Momoko, Tamia Hilay-Nur und Jaz Jasmin. Generell ist bei bikulturellen Familien die Vergabe von mehreren Vornamen zu beobachten, deutsch-albanisch: Kilian Liridon, Arlinda Luise, Shefkije- Lakisha, Leonie Liri, Toni Luan, Liridona Loreen; deutsch-armenisch: Astrik An- gelina Yeva Ophelia Ripsimeh; deutsch-amazigh: Dihia Emilia, Dassin Sophia; deutsch-arabisch: Thorsten Jameel, Anna-Rania, Saphira Amani, Amani Maria, Lara Sheritra, Carola Basma, Jamil Marcus, Jamie Youssef, Yanis Chkirni, Iman(n) Hildburg, Omar Mostafa Eid Saied Abdrabouh Mohamed, Marc Maruan; deutsch- indisch: Jazzy Singh, Nemo Ravi Luca, Louis Sumit, Janak Camillo, Jessica Mindo Gerda, Amenla Nele, Florentin Farrokh, Anjali-Celine, Chandani Isabelle, Aaron Singh, Shaleena Sofie Kaur, Alex Jarnail, Karana-Marie, Noel Sarabjit, Sewa Singh, Sontej Singh, Sukhman Kaur. Bei den Sikhs gibt es keine Familiennamen. Es werden Rufnamen vergeben, die für beide Geschlechter möglich sind. Die Unterscheidung in männlich und weiblich erfolgt durch den männlichen Sikh- Beinamen Singh in der Bedeutung ʽLöweʼ und den weiblichen Beinamen Kaur ʽPrinzessinʼ. Diese geschlechtsspezifischen Namen werden heute zum einen als Folgevornamen und zum anderen als geschlechtsspezifische Familiennamen verwendet. Es gibt Fälle, bei denen eine deutsche Frau bei Heirat mit einem An- gehörigen der Sikhs den Namen Singh als Familiennamen angenommen hat. Die Kinder erhalten dann ebenso diesen Familiennamen. Und einer Tochter wurde noch der Beivorname Kaur gegeben. Dies ist für Angehörige der Sikhs sehr befremdlich, da plötzlich eine Frau den männlichen Namen Singh trägt bzw. die weiblich-männliche Kombination Kaur Singh. Auch bei multikulturellen Familien, die es zunehmend mehr in Deutschland gibt, ist zum Einen eine dominante Namengebung bzw. eine Mehrnamigkeit zu beobachten, so z.B. türkisch-italienisch: Giosuele; spanisch-türkisch: Jermaine Emilio Canay; südslawisch-USA: Cooper William; englisch-afrikanisch: Aleeke- Ibrahima; Sri Lanka-Nigeria: Keethen Osazee; libanesisch-türkisch: Issa; pol- nisch-afrikanisch: Chinomso Francis; polnisch-arabisch: Jaliaah; polnisch-per- sisch: Esmira; slawisch-afrikanisch: Hamssatou; mazedonisch-bulgarisch: Flori- jan und armenisch-finnisch-ungarisch-serbisch: Miro, Milo, Mirko. 158 Gabriele Rodríguez

Beliebte Vornamen für Kinder von Spätaussiedlern stammen zum großen Teil aus Russland. Es werden aber auch gern englischsprachige Namen vergeben, so u.a. Ruslan, Ruslana, Artem, Artjom, Artom, Artëm, Sergej, Sergei, Sergey, Serge, Alexsej, Aleksej, Aleksei, Dmitri, Dimitri, Dimi, Jevgenij, Yevgeni, Vitali, Vitja, Jascha, Yasha, Assol, Nikita, Nikias, Vlad, Wlad, Wladi, Vadim, Wadim, Jessenia, Alonja, Aljona, Palina, Kanstanzia, Devid, Deyvid und Merilin. Die Vornamengebung bei Familien mit Migrationshintergrund wird u.a. von der Herkunft und dem Umfeld, vom Religionsbezug, von der Aufenthaltsdauer in Deutschland und dem Beherrschungsgrad der deutschen Sprache sowie der Integration in die deutsche Gesellschaft beeinflusst. Ausländische Eltern, die erst kurze Zeit in Deutschland leben, wählen die Vornamen aus ihrem Kultur- raum. Bei moslemisch geprägten Familien dominieren in der Regel moslemi- sche Vornamen. Dem ausländischen Elternteil in bikulturellen Familien wird oft der Vorrang bei der Namenwahl für das Kind überlassen. Familien, die schon in zweiter oder dritter Generation in Deutschland leben und kaum noch die Sprache ihrer Vorfahren sprechen, versuchen ihren Kindern einen Teil de- ren Kultur über den Vornamen zu vermitteln. Mit zunehmender Zuwanderung und Erweiterung des Vornamenschatzes mit fremden Namen sind die Standesämter und Behörden oft überfordert. Lei- der gibt es immer noch kein geeignetes Nachschlagewerk. Umso mehr sind Namenberatungsstellen gefordert, die nicht nur bei Problemen in der Namen- gebung helfen, sondern auch die Bevölkerung über neue Namen und Namen- systeme aufklären und damit Ängste vor dem Fremden nehmen können.

Ewa Majewska Fremde Vornamen im Namenschatz der Warschauer im 21. Jahrhundert anhand der Taufregister

Die Popularität der Vornamen ändert sich mit der Zeit. Es gibt nicht viele Na- men, die sich einer durchgehenden Beliebtheit erfreuen. Meistens sind be- stimmte Namen in einer konkreten Periode beliebt, dann sinkt plötzlich ihre Popularität. Zu den Ausnahmen gehören in Polen die Vornamen Anna und Jan. Der Vorname Anna wird beispielsweise seit dem Mittelalter vergeben, und die Häufigkeit dieses Namens ist nie beträchtlich kleiner geworden. Heutzutage gilt Anna als der beliebteste polnische weibliche Vorname (GRZENIA 2002: 17). Ebenso zählt Jan zu den populärsten Namen in Polen. Um die Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert trugen etwa 12% aller Männer diesen Namen, wie etwa den Krakauer Gerichtsbüchern zu entnehmen ist (GRZENIA 2002: 38). Lange im Namenschatz existierende Namen werden meist durch neuere, fremde Namen verdrängt, die auf unterschiedliche Weise in den Namenschatz geraten. Auch im Namengut der Warschauer erscheinen immer häufiger neue, frem- de Namen, die aus anderen Ländern, Sprachräumen und Kulturen stammen und die auch in ihrer Originalform geschrieben werden. Die Motive für die Wahl solcher Namen sind sicher vielschichtig, unterschiedliche Faktoren spie- len dabei eine Rolle. Fremde Namen stehen im Zusammenhang mit Bevöl- kerungsmigration. Ausländer bringen ihre Namen mit, wegen der Globa- lisierung der Kultur kommt es allmählich auch zu einer Internationalisierung der Namengebung. Nach RODRÍGUEZ (1998: 22f.) sind besonders junge Eltern für ausländische Namen aufgeschlossen. Fast die Hälfte lässt sich durch Mas- senmedien (Internet, Fernsehen, Hörfunk, Presse, Film) oder durch Sport, Mu- sik und Literatur inspirieren. Rund 10 Prozent der Eltern nennen ihre Kinder mit dem Vornamen, den sie von Auslandsreisen mitgebracht haben. Zur Inter- nationalisierung der Namengebung tragen sicher auch binationale Ehen bei. Ih- re Zahl und die Zahl der Kinder aus solchen Ehen steigt sowohl in Deutschland als auch in Polen und in ganz Europa. In Deutschland wird jede sechste Ehe zwischen Deutschen und Ausländern bzw. zwischen Ausländern geschlossen, und die Kinder erhalten oft Namen aus anderen Kulturkreisen (RODRÍGUEZ 1998: 22). GUGUTSCHKOW/HENGST (1998/1999: 203) nennen einige Beispiele solcher fremden Namen für Kinder, deren Väter Afrikaner sind, z.B. Benjamin Gabriel Tadele, Wesley Obinna, Eranty Elisabeth, Jessica Nkechi. 160 Ewa Majewska

Auf die Namenwahl haben stets unterschiedliche Faktoren gewirkt. Einfluss auf die Namengebung haben Religion, Kultur, das jeweilige Sprachgebiet, Ge- schichte und Familientradition sowie Mode. In den vergangenen Jahrhunderten war die Familientradition von größerer Bedeutung als heute. Die Motive der Namenwahl durch die Eltern sind weiterhin unterschiedlich, doch ist heut- zutage der Einfluss der Medien vorherrschend. Internetzugang ist für viele selbstverständlich, fast jeder verfügt über einen Fernseher oder einen Computer, was neue Anregungen bei der Namenwahl ermöglicht. Man schöpft also aus diesen sehr reichen Quellen, unzähliche Vornamen stammen aus Filmen oder Serien. Dabei dominieren Namen aus dem anglo-amerikanischen Bereich, z.B. Mia, Pamela, Samanta. Seit den 80er Jahren gab es im ponischen Fernsehen oft südamerikanische TV-Serien, daraus ist etwa der Name Isaura in den polni- schen Namenschatz importiert worden. Auch Namen bekannter Popsänger werden aufgegriffen, so ist Brajan sehr wahrscheinlich die polnische Variante des Namens des populären Popsängers Brian Adams. Gegenwärtig sind wohl Klang und Ästhetik eines Namens für seine Wahl entscheidend. Die traditionelle Nachbenennung oder religiöse Motivation wer- den zurückgedrängt. Die Einschätzung des Klanges und der schriftlichen Form des Namens ist subjektiv. Man kann jedoch die Tendenz beobachten, dass den Polen meistens solche Namen gefallen, in denen stimmhafte Laute überwiegen. Dafür erfreuen sich kleiner Popularität die Namen, die an stimmlosen Lauten reich sind. Auch scheint es, dass die Polen Vornamen bevorzugen, die viele Vo- kale enthalten, während in der polnischen Sprache die Konsonanten überwie- gen: Etwa 60% der Laute in polnischen Texten sind Konsonanten (Grzenia 2002: 11). Vokalreich sind die Namen, die aus anderen Sprachen entlehnt wer- den, vor allem die aus den romanischen Sprachen, insbesondere dem Italieni- schen, Spanischen oder Französischen, z.B. Chiara, Manuela, Jeanette. Die ältesten Vornamen auf dem Gebiet Polens führen auf drei Haupttypen zu- rück. Der erste Typ umfasst Namen aus zwei Bestandteilen, zwischen denen ein syntaktisches und semantisches Verhältnis besteht. Sie drücken ein gutes Vorzei- chen oder einen Wunsch oder eine positive Eigenschaft für das Kind aus, z.B. Bogumił ‘es soll Gott lieb sein’, Mścisław ‘es soll berühmt wegen Rache (an dem Feind) sein’, Dobromiła ‘sie soll gut und nett sein’ (Malec 1996: 8). Dieser Namen- typ erinnert an die altgermanischen Namen, die auch aus zwei Namenwörtern be- standen. Der zweite Namentyp sind Kürzungen bzw. Ableitungen dieser Namen, die meistens mit Hilfe von Deminutivsuffixen gebildet wurden, z.B. Zbyluta. Den dritten Typ machten die Gattungsnamen aus, die die Funktion der Vornamen übernahmen, z.B. Wilk ‘Wolf’ oder Kwiatek ‘Blume’ (Malec 1996: 8). Fremde Vornamen im Namenschatz der Warschauer im 21. Jahrhundert 161

Es gibt in jeder Gesellschaft Namen, die aus anderen Kulturen stammen und meistens nicht an die Schreibung oder Grammatik der Sprache der lokalen Bevöl- kerung angepasst werden. In manchen Fällen wechselt auch das Geschlecht, wozu das Beispiel des italienischen Männernamens Andrea, der in Deutschland als weiblicher Modename vorkommt. Verfolgt man die Geschichte der Namen- gebung, so fällt auf, dass fast jeder europäische Name früher als fremd galt. Ein fremder Name stammt aus einem fremden Sprachraum. Eine bestimmte Zeit lang wird ein importierter Name als fremd empfunden, je öfter er gebraucht wird, des- to schneller verändert der Name seinen Status und gilt schließlich nicht mehr als fremd. Das betrifft die biblischen Vornamen und Heiligennamen, die in ganz Eu- ropa verbreitet sind. Auf deutschem Gebiet herrschten bis zum 12. Jahrhundert germanische Namen vor, und erst nach der Einführung des Christentums began- nen die biblischen Namen und Heiligennamen allmählich Eingang in dieses Na- mengut zu finden. Seit dem späten Mittelalter war die Heiligenverehrung von Be- deutung (Drosdowski 1974: 15). Alle Namen aus der Bibel sind fremder Herkunft, und ein großer Teil der Heiligennamen galt anfangs auch als fremd. Das gilt für das gesamte Europa. Die Heiligen stammten aus verschiedenen Ländern und Sprachräumen, doch haben sich ihre Namen im europäischen Namenschatz fest eingebürgert. Namen wie Maria (lateinisch-griechische Variante des hebräischen Namens Mirjam) oder Johannes betrachtet man heutzutage nicht mehr als fremd, obwohl sie doch einmal fremd waren und fremder Herkunft sind. Der Vorname Maria ist ziemlich spät in den deutschen Namenschatz aufgenommen worden, nämlich erst im 15. Jahrhundert (Drosdowski 1974: 48). Maria wird doch sowohl in Polen als auch in anderen europäischen Ländern seit dem Mittelalter ununter- brochen vergeben. Auf dem Gebiet Polens haben vor allem slavische Völker gelebt, und man kann davon ausgehen, dass das ursprüngliche Namengut slavischer Herkunft war. Inzwischen haben sich aber Namen aus der Bibel und Heiligennamen so stark eingebürgert, dass es heute unmöglich scheint, Vornamen wie Anna, Zo- fia, Teresa oder Helena als fremde Namen anzusehen. Sie sind fremder Her- kunft, doch sie haben den polnischen Namenschatz so stark geprägt, dass sie als typisch polnisch betrachtet werden können. Sie werden von vielen Frauen in Polen getragen.

Ziel dieses Beitrags ist es zu prüfen, in welcher Weise der polnische Vornamen- schatz durch fremde Namen bereichert worden ist, welche Struktur er im 21. Jahrhundert aufweist, und aus welchen Namentypen er besteht. Untersucht werden, aufgrund der Taufregister, die Vornamen der in der Warschauer katho- lischen St. Alexanderkirche getauften Kinder. Diese klassizistische Kirche wurde 162 Ewa Majewska im Jahre 1825 erbaut, sie gehört zu den bekanntesten Kirchen Warschaus. Seit 1918 war sie ein paar Jahre Sitz der Apostolischen Nuntiatur. Im Pfarrhaus der St. Alexanderkirche haben die künftigen Päpste, Achilles Ratti (Papst Pius XI.) und Battista Montini (Papst Paul VI.) als Mitarbeiter der Nuntiatur gelebt. Die Kirche befindet sich an einem der Plätze im Zentrum Warschaus. Interessant ist sicher auch die Tatsache, dass die Entstehung dieser Kirche mit dem feierlichen Besuch des russischen Zaren Alexander I. am 12. November 1815 verbunden ist (Jaroszewski 1975: 8). Die Taufregister der St. Alexanderkirche enthalten Namen der Täuflinge, die in den Jahren 2001, 2003, 2006, 2009 und 2012 getauft wurden. Der Namen- schatz im untersuchten Zeitraum 2001-2012 besteht aus 122 männlichen und 142 weiblichen Vornamen, die als erster oder zweiter Vorname gegeben wur- den. Einmal begegnet der weibliche Vorname Maria als Zweitname eines Jun- gen. In den Namenlisten wird die Frequenz in Klammern angegeben. Die untersuchten Taufnamen lassen sich in verschiedene Kategorien einteilen. Gelegentlich verwischen sich die Grenzen dieser Gruppen, denn derselbe Name kann manchmal zu zwei Kategorien gehören, wenn er zugleich Heiligenname und biblischer Name ist. Das betrifft etwa die Vornamen Maria und Jan, die biblischer Herkunft sind, doch auch von vielen Heiligen getragen wurden. In einem solchem Fall wurde die Kategorie biblischer Name gewählt, denn diese Namen erschienen zum ersten Mal in der Bibel. Folgende Kategorien werden behandelt:  Fremde Namen mit originaler Schreibung  Fremde Namen mit polnischer Schreibung  Biblische Namen aus dem Alten und Neuen Testament  Internationale Heiligennamen  Andere entlehnte Namen  Slavische Namen  Kurznamen, Nebenformen und Ableitungen eingeführter Vollnamen  Weibliche Varianten der Männernamen  Gattungsnamen als Vornamen

Die erste Gruppe umfasst neue fremde Namen, die in ihrer Originalform ge- schrieben werden; diese Namen sind erst seit relativ kurzer Zeit in Polen hei- misch. Die zweite Gruppe besteht aus den Namen, die fremd sind, aber an die polnische Rechtschreibung bereits angepasst wurden. Die folgende Kategorie bilden biblische Namen aus dem Alten und Neuen Testament. Die nächste Gruppe umfasst Namen der Heiligen, die oft auch zu anderen Gruppen gehören Fremde Vornamen im Namenschatz der Warschauer im 21. Jahrhundert 163 können, falls neben einer biblischen Gestalt es auch einen Heiligen mit demsel- ben Vornamen gab oder wenn der Heilige einen slavischen Vornamen trug. Im Namenschatz tauchen auch Namen auf, die Kurzformen, Nebenformen oder Ableitungen bereitsexistierender Namen sind. Die weiblichen Namen werden oft von den entsprechenden Männernamen abgeleitet, z.B. Karolina (von Karol). Bestimmte Namen wurden in der Vergangenheit entlehnt und gelten al- so heutzutage nicht mehr als fremd. Eine Sonderkategorie machen Gattungs- namen (oder sprechende Namen) aus.

Taufnamen 2001

Im Jahre 2001 wurden 56 männliche und 46 weibliche Namen für 102 Täuf- lingen als erster, zweiter oder dritter Taufname vergeben. (a) Jungen: Adam (2), Adrian, Aleksander (2), Andrea, Andrzej, Antoni (2), Bernard, Cezary, Daniel (2), Dariusz (2), Dominik, Edward, Ernest, Eryk, Filip (3), Franciszek, Grzegorz, Hubert (2), Hülya, Igor, Jacek (2), Jakub (4), Jan (4), Jarosław, Jason, Jean, Jeremi, Jerzy, Kacper (2), Kamil (2), Karol, Kazimierz, Klaudiusz, Konrad, Krzysztof (2), Kuba, Ludwik, Łukasz (2), Marcin, Mariusz, Mateusz, Michał (8), Mikołaj (3), Oskar, Patryk, Paweł (3), Piotr (5), Robert (2), Roman, Sebastian, Sławomir, Sławosz, Stanisław, Szymon, Tadeusz, Zbigniew. Kategorien: Neue Namen mit fremder Schreibung: Andrea, Hülya, Jason, Jean Neue Namen mit polnischer Schreibung: ‒ Biblische Namen aus dem Alten und Neuen Testament: Adam, Daniel, Jakub Internationale Heiligennamen: Adrian, Aleksander, Bernard, Dominik, Ernest, Eryk, Edward, Franciszek, Grzegorz, Hubert, Jacek, Jerzy, Kamil, Karol, Kazimierz, Konrad, Krzysztof, Ludwik, Marcin, Mariusz, Michal, Mikołaj, Oskar, Patryk, Roman, Sebastian Polnische Heiligennamen: Stanisław Kurznamen, Nebenformen und Ableitungen: Kuba (von Jakub) Altpolnische und slavische Namen: Jarosław, Sławomir, Sławosz, Zbigniew (b) Mädchen: Aleksandra (3), Alicja (3), Angelika, Aniela, Anita, Anna (4), Blanka (2), Bożenna, Charlotte, Emilia, Ewa (2), Florence, Gabriela (2), Inga, Joanna, Jolanta, Julia (4), 164 Ewa Majewska

Justyna, Kaja (2), Kamila (2), Karolina (4), Katarzyna (3), Kinga, Klara, Krystyna, Magda, Magdalena (3), Maja, Małgorzata (2), Maria (3), Marianna, Marlena, Marta (4), Monika (2), Natalia (3), Nicole, Pamela, Patrycja (3), Paulina, Roma, Sandra, Stefania, Teresa, Viktoria, Weronika (3), Wiktoria (5). Kategorien: Fremde Namen mit originaler Schreibung: Viktoria, Roma, Sandra, Nicole, Pamela, Florence, Charlotte Fremde Namen mit polnischer Schreibung: Inga, Angelika, Blanka Biblische Namen: Ewa, Maria, Magdalena, Marta, Weronika Internationale Heiligennamen: Anna, Emilia, Joanna, Jolanta, Kamila, Katarzyna, Kinga, Klara, Małgorzata, Monika, Natalia, Patrycja, Paulina, Stefania, Teresa, Wiktoria Weibliche Varianten der Männernamen: Aleksandra, Gabriela, Krystyna, Karolina Andere entlehnte Namen: Anita, Alicja Polnische Varianten fremder Namen: Aniela (ital. Angela) Doppelnamen: Marlena, Marianna Kurznamen: Magda (aus Magdalena), Maja (aus Maria), Kaja (aus Katarzyna)

Taufnamen 2003 Für 102 Täuflinge wurden 50 männliche und 53 weibliche Vornamen vergeben.

(a) Jungen: Aleksander (2), Andrzej (4), Antoni, Bartłomiej, Bartosz, Czcibor, Czesław, Daniel, Dominik, Edgar, Filip (2), Franciszek (3), Fryderyk, Henryk, Ignacy, Jacek, Jaksa, Jakub, Jan (6), Jerzy, Julian (2), Juliusz, Kacper, Kamil (2), Karol, Konrad, Krzysztof, Leszek, Łukasz, Maciej (5), Maksymilian, Marcin (2), Marek, Mariusz, Mateusz (5), Michał (5), Mikołaj (3), Nicolas, Olaf, Oskar, Patryk, Paweł (2), Piotr (2), Ryszard, Stanisław (3), Szymon, Tadeusz (2), Tomasz, Wiktor, Wojciech. Kategorien: Fremde Namen mit originaler Schreibung: Edgar, Nicolas Biblische Namen: Andrzej, Bartłomiej, Daniel, Filip, Jakub, Jan, Łukasz, Maciej, Marek, Mateusz, Michał, Paweł, Piotr, Szymon, Tadeusz, Tomasz Internationale Heiligennamen: Aleksander, Antoni, Dominik, Franciszek, Henryk, Ignacy, Jacek, Jerzy, Julian, Kacper, Kamil, Karol, Konrad, Krzysztof, Maksymi- lian, Marcin, Mariusz, Mikołaj, Olaf, Patryk, Ryszard, Wiktor, Wojciech Fremde Vornamen im Namenschatz der Warschauer im 21. Jahrhundert 165

Polnische Heiligennamen: Stanisław Andere entlehnte Namen: Juliusz Altpolnische und slavische Namen: Czcibor, Czesław, Jaksa, Leszek Polnische Varianten fremder Namen: Fryderyk Nebenformen: Bartosz (von Bartłomiej)

(b) Mädchen: Adriana, Agata, Agnieszka (3), Aleksandra (4), Alicja, Anastazja, Aneta, Anna (5), Antonina, Barbara, Daniela, Danuta, Dominika (3), Dorota (2), Elżbieta, Estera, Ewa (2), Gabriela (2), Helena, Ida, Izabela (4), Jagoda, Julia (4), Julietta, Justyna, Kaja (2), Karolina (2), Katarzyna (5), Kinga, Ligia, Magdalena (2), Maja, Małgorzata, Maria (4), Marta (5), Martyna, Michalina, Monika, Nadia, Natalia, Noemi, Olimpia, Paula, Paulina (7), Sandra (2), Stela, Sylwia (2), Tatiana, Wanessa, Weronika (2), Wiktoria (4), Zuzanna (3), Żaneta. Kategorien: Fremde Namen mit originaler Schreibung: Julietta, Olimpia, Sandra, Stela Fremde Namen mit polnischer Schreibung: Wanessa, Wiktoria, Żaneta Biblische Namen: Ewa, Estera, Maria, Marta, Noemi, Weronika, Zuzanna Internationale Heiligennamen: Agata, Agnieszka, Aleksandra, Anastazja, Anna, Antonina, Barbara, Dominika, Dorota, Elżbieta, Helena, Katarzyna, Kinga, Magdalena, Małgorzata, Monika, Natalia, Paulina, Sylwia, Wiktoria Weibliche Varianten männlicher Namen: Adriana, Daniela, Gabriela, Karolina, Michalina, Martyna Andere entlehnte Namen: Alicja, Aneta, Ida, Izabela, Julia, Ligia, Nadia, Tatiana Gattungsname als Vorname: Jagoda ('Blaubeere') Kurznamen: Kaja, Paula

Taufnamen 2006

Der Namenbestand von 94 getauften Kindern setzt sich aus 46 männlichen und 49 weiblichen Vornamen zusammen.

(a) Jungen: Adrian, Aleksander (3), Andrzej, Antoni (3), Arkadiusz, Bartosz, Bernard, Błażej, Cezary, Damian (3), Dawid, Dominik, Franciszek, Gabriel, Grzegorz, Igor, Jakub (2), Jan (2), Janusz, Juliusz, Kacper (3), Kamil, Karol, Krzysztof, Leon (2), Ludwik, 166 Ewa Majewska

Łukasz (2), Maciej (2), Marcin, Mateusz (3), Michał, Oskar, Patryk, Piotr, Samuel, Sebastian, Stanisław, Tadeusz (2) Tomasz (2), Trunh, Tymon, Wacław, Waldemar, Wiktor, Zenon. Kategorien: Fremde Namen mit originaler Schreibung: Nathan, Trunh Andere entlehnte Namen: Juliusz, Waldemar Biblische Namen: Dawid, Gabriel, Jakub, Jan, Mateusz, Michał, Piotr, Samuel, Tadeusz, Tomasz, Tymon Internationale Heiligennamen: Adrian, Aleksander, Andrzej, Antoni, Arkadiusz, Bernard, Błażej, Cezary, Damian, Dominik, Franciszek, Kacper, Kamil, Leon, Marcin, Oskar, Patryk, Stanisław, Wiktor, Wacław, Zenon Polnische Heiligennamen: Stanisław Altpolnische und slavische Namen: Janusz Nebenformen: Bartosz (von Bartłomiej)

(b) Mädchen: Agnieszka (3), Aleksandra (7), Amélie, Anna (5), Antonina (3), Barbara, Brygida, Catherine, Chiara (2), Eleonora, Eliza, Elza, Emilia (3), Gabriela, Hanna, Helena (2), Héléne, Ida (2), Ilona, Ines, Joanna, Julia (3), Justyna, Kamila, Karolina (2), Katarzyna (2), Kinga, Levenez, Łucja, Maja (2), Małgorzata (3), Maria (4), Marianna, Martyna, Matylda, Natalia (2), Nicole, Oliwia (2), Patrycja, Paulina, Sofja, Stella, Weronika (6), Wiktoria (3), Yasmine, Zofia (3), Zsófia, Zuzanna (3), Żaneta. Kategorien: Fremde Namen mit originaler Schreibung: Amélie, Catherine, Chiara, Héléne, Ines, Nicole, Sofja, Stella, Yasmine, Zsófia Fremde Namen mit polnischer Schreibung: Oliwia, Żaneta Biblische Namen aus dem Alten und Neuen Testament: Hanna, Maria, Weronika, Zuzanna Internatiuonale Heiligennamen: Aleksandra, Agnieszka, Anna, Antonina, Brygida, Eleonora, Emilia, Helena, Joanna, Kamila, Katarzyna, Łucja, Małgorzata, Matylda, Natalia, Patrycja, Paulina, Wiktoria, Zofia Varianten der männlichen Vornamen: Gabriela, Justyna, Karolina, Martyna Andere entlehnte Namen: Ilona Kurznamen, Nebenformen, Weiterbildungen der bestehenden Namen: Elza, Eliza, Maja, Marianna. Fremde Vornamen im Namenschatz der Warschauer im 21. Jahrhundert 167

Taufnamen 2009

Insgesamt 140 Taufregister, davon 59 männliche und 66 weibliche Vornamen. (a) Jungen: Adam (3), Aleksander (4), Alexander (2), Allan, Andrzej, Antoni (4), Benedykt, Borys, Bruno, Cezary, Christian, Damian, Daniel (2), Dawid (2) Eryk, Filip (6), Franciszek (3), Hubert (2), Hugo, Igor (2), Ireneusz, Iwo, Jacek (2), Jakub (4), James, Jan (4), Kacper (3), Kamil, Karol (4), Krzysztof (2), Leon, Maciej (2), Maksymilian (3), Marcel, Marcin, Marek, Mariusz, Mateusz (5), Michał (4) Natan, Noah, Patryk, Paweł (3), Philip, Piotr (5), Przemysław, Robert (2), Roch, Stanisław (3), Stefan, Szymon (2), Tadeusz, Toivo, Tomasz (4), Wiesław, Wiktor (2), Witold, Włodzimierz, Wojciech (2). Kategorien: Fremde Namen mit originaler Schreibung: Alexander, Allan, Christian, James, Marcel, Noah, Toivo Biblische Namen: Adam, Andrzej, Daniel, Dawid, Filip, Jakub, Jan, Maciej, Marek, Mateusz, Michał, Natan, Paweł, Piotr, Szymon, Tadeusz, Tomasz Internationale Heiligennamen: Aleksander, Antoni, Benedykt, Bruno,Cezary, Eryk, Hubert, Hugo, Ireneusz, Iwo, Jacek, Kacper, Kamil, Karol, Krzysztof, Leon, Mariusz, Maksymilian, Marcin, Patryk, Robert, Roch, Stefan, Wiktor, Wojciech Polnische Heiligennamen: Stanisław Andere entlehnte Namen: Borys, Igor, Witold Altpolnische und slavische Namen: Przemysław, Włodzimierz, Wiesław

(b) Mädchen: Adrianna, Agnieszka, Aleksandra (6), Amelia (2), Anastazja, Anika, Anna (7), Antonina (4), Barbara, Beata, Bogusława, Daniela, Daria, Dominika, Emilia, Emilie, Emma, Gabriela (3), Hanna (2), Helena, Iwona, Janina, Joanna, Julia, (2), Kamila, Karolina, Katarzyna (3), Kinga, Klara, Klaudia, Larysa, Laura, Lena (4), Lilia, Łucja, Magdalena, Maija, Maja (3), Malwina, Małgorzata, Marcelina, Maria (3), Matylda (2), Mia, Mika, Monika, Natalia (4), Natasza, Nikola (2), Nina, Noelia, Olga, (2), Oliwia (3), Patrycja (3), Paulina, Pola, Rachel, Róża, Sara, Sonia, Stefania, Viktoria (2), Weronika (3), Wiktoria (3), Zofia (5), Zuzanna (4) Kategorien: Fremde Namen mit originaler Schreibung: Emilie, Emma, Lena, Maija, Mia, Mika, Noelia, Viktoria 168 Ewa Majewska

Fremde Namen mit polnischer Schreibung: Anika, Larysa, Nikola Biblische Namen: Magdalena, Maria, Rachel, Sara, Weronika, Zuzanna Internationale Heiligennamen: Agnieszka, Aleksandra, Anastazja, Anna, Antonina, Barbara, Beata, Daria, Dominika, Emilia, Helena, Iwona, Joanna, Kamila, Karo- lina, Katarzyna, Kinga, Klara, Klaudia, Laura, Łucja, Magdalena, Maria, Małgo– rzata, Monika, Matylda, Paulina, Patrycja, Róża, Stefania, Wiktoria, Zofia Weibliche Vormen der männlichen Vornamen: Adrianna, Bogusława, Daniela, Gabriela, Janina, Karolina, Marcelina Andere entlehnte Namen: Lilia, Malwina, Olga, Larysa, Laura, Nina, Sonia

Taufnamen 2012

Das Namengut setzt sich aus 51 männlichen und 55 weiblichen Vornamen zu- sammen, die bei 117 Täuflingen vorkommen.

(a) Jungen: Albert (2), Aleksander, Aurel, Bogumił, Daniel (2), Dariusz, Dawid (2), Dominik, Franciszek (4), Georges, Harley, Hugo, Ignacy, Iwo, Jakub (4), Jan (2), Jeremi, Jerzy (2), Julian, Juliusz, Kacper (5), Kornel, Kuba, Leszek (2), Maciej, Maksymilian (3), Marcel, Marcin, Marek, Maria, Marian, Mariusz, Mateusz, Michał (2), Mikołaj (3), Oskar, Paweł (4), Piotr (3), Radosław, Romain, Sebastian, Sławomir, Stanisław (3), Stefan, Szymon (6), Tomasz, Tymon, Witold, Władysław, Wojciech (2), Zenon Kategorien: Fremde Namen mit originaler Schreibung: Georges, Harley, Romain Biblische Namen: Daniel, Dawid, Jakub, Jan, Kacper, Maciej, Marek, Mateusz, Michał, Szymon, Tomasz, Tymon Internationale Heiligennamen: Albert, Aleksander, Dominik, Hugo, Ignacy, Iwo, Jerzy, Kacper, Maksymilian, Marcin, Mikołaj, Sebastian, Stefan, Witold, Wojciech, Zenon Polnische Heiligennamen: Stanisław Weibliche Vornamen der Jungen: Maria Slavische Namen: Bogumił, Leszek, Radosław, Sławomir, Władysław Kurznamen: Aurel (von Aureliusz), Jeremi (von Jeremiasz) Kuba (von Jakub)

(b) Mädchen: Agata, Agnieszka, Aleksandra (4), Alicja, Amelia (2), Anna (4), Antonina, Barbara (2), Beata (2), Dominika (2), Edyta, Elżbieta, Emilia, Gabriela (2), Grace, Grażyna, Fremde Vornamen im Namenschatz der Warschauer im 21. Jahrhundert 169

Hanna, Helena (2) Ida, Iga (2), Izabela, Jagoda (2), Julia, Julita, Karolina (2), Klara, Laura (2), Lidia, Lien, Lukrécia, Łucja, Maja (3), Malwina, Maria (8), Marianna, Marta (4), Michalina, Mila, Milena, Nadia, Natalia (6), Nikola (3), Nina (3), Noemi, Oliwia, Patrycja, Pola (3), Róża, Sabina, Suzana, Tola, Weronica, Wiktoria (3), Yasmina, Zofia (3) Kategorien: Fremde Namen mit originaler Schreibung: Grace, Lien, Lukrécia, Mila, Suzana, Weronica, Yasmina Fremde Namen mit polnischer Schreibung: Nikola, Oliwia Biblische Namen: Hanna, Maria, Marta, Noemi Internationale Heiligennamen: Agata, Agnieszka, Anna, Aleksandra, Antonina, Barbara, Beata, Dominika, Edyta, Elżbieta, Emilia, Helena, Ida, Klara, Laura, Lidia, Łucja, Natalia, Patrycja, Róża, Sabina, Wiktoria, Zofia Weibliche Varianten der männlichen Namen: Gabriela, Karolina, Michalina Andere entlehnte Namen: Amelia, Alicja, Izabela, Julia, Nadia, Nina Slavische Namen: Milena Kurznamen: Iga, Maja, Pola, Tola Doppelnamen, Ableitungen: Julita, Marianna Gattungsnamen als Vornamen: Jagoda ('Blaubeere')

Die untersuchten Taufregister der St. Alexanderkirche enthalten insgesamt 122 männliche Vornamen: Adam (5), Adrian (2), Albert (2), Aleksander (12), Alexander (2), Allan, Andrea, Andrzej (7), Antoni (10), Arkadiusz, Aurel, Bartłomiej, Bartosz (2), Benedykt, Bernard (2), Błażej, Bogumił, Borys, Bruno, Cezary (3), Christian, Czcibor, Czesław, Damian (4), Daniel (7), Dariusz (3), Dawid (5), Dominik (4), Edgar, Edward, Ernest, Eryk (2), Filip (11), Franciszek (12), Fryderyk, Gabriel, Georges, Grzegorz (2), Harley, Henryk, Hubert (4), Hugo (2), Hülya, Ignacy (2), Igor (4), Ireneusz, Iwo (2), Jacek (5), Jaksa, Jakub (15), James, Jan (18), Janusz, Jarosław, Jason, Jean, Jeremi (2), Jerzy (4), Julian (3), Juliusz (3), Kacper (14), Kamil (6), Karol (7), Kazimierz, Klaudiusz, Konrad (2), Kornel, Krzysztof (6), Kuba (2), Leon (3), Leszek (3), Ludwik (2), Łukasz (5), Maciej (10), Maksymilian (9), Marcel (2), Marcin (6), Marek (3), Maria, Marian, Mariusz (4), Mateusz (15), Michał (20), Mikołaj (9), Natan, Nathan, Nicolas, Noah, Olaf, Oskar (4), Patryk (12), Philip, Piotr (16), Przemysław, Radosław, Robert (4), Roch, Romain, Roman, Ryszard, Samuel, Sebastian (3), Sławomir (2), Sławosz, Stanisław (11), Stefan (2), Szymon (10), Tadeusz (6), Toivo, 170 Ewa Majewska

Tomasz (8), Trunh, Tymon (2), Wacław, Waldemar, Wiesław, Wiktor (4), Witold (2), Władysław, Włodzimierz, Wojciech (5), Zbigniew, Zenon (2).

Der Vornamenschatz der getauften Jungen besteht aus 19 biblischen Namen (15,6%), 51 internationalen Heiligennamen (43%), 19 fremden Namen mit ori- ginaler Schreibung (15,6%), 14 altponischen und slavischen Namen (11%) und 11 anderen Entlehnungen (9%) sowie 2 Kurznamen (1,6%). Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass die Mehrheit der männlichen Vornamen biblische Namen oder Heiligennamen sind. Den ersten Platz belegt Michał (20) gefolgt von Jan (18) und Piotr (16). Den vierten Platz mit jeweils 15 Belegen nehmen Mateusz und Jakub ein. An fünfter Stelle folgt Kacper (14), an sechste Aleksander (12), Patryk (12) und Franciszek (12). Es folgen Stanisław (11) und Filip (11). Die neunte Position belegen Szymon (10), Maciej (10) und Antoni (10), die zehnte Mikołaj (9) und Maksymilian (9). Einmal ist der weibli- che Vorname Maria als zweiter Taufname belegt. Interessant ist der Anteil fremder Namen. Im Namenschatz tauchen neue Namen mit originaler Schreibung auf. Als fremd gilt zweifelsohne der Vorname Harley, der eher mit einer Motormarke assoziert wird. Zu den fremden Namen sollte man vor allem solche rechnen, die durch ihre fremde Schreibweise auffallen. Zu ihnen gehören: Alexander, Allan, Andrea, Christian, Edgar, Georges, Hülya, James, Jason, Jean, Marcel, Nathan, Nicolas, Noah, Philip, Romain, Toivo, Trunh. Den Einfluss des Englischen sieht man am Beispiel der Namen Allan, Edgar, Ja- mes, Jason, Nicolas, Philip. Im Namenschatz begegnen auch englische Formen biblischer Namen wie Noah oder Nathan. Aus dem Französischen wurden Jean, Georges, Marcel und Romain importiert. Christian kommt wahrscheinlich aus dem Deutschen. Der männliche italienische Name Andrea fällt auf. Ganz neu in der polnischen Namengebung sind Hülya, Toivo und Trunh.

Die Zahl der weiblichen Taufnamen aus derselben Periode beträgt 142: Adriana, Adrianna, Agata (2), Agnieszka (21), Aleksandra (3), Alicja (5), Amelia (4), Amélie, Anastazja (2), Aneta, Angelika, Aniela, Anika, Anita, Anna (25), Antonina (9), Barbara (8), Beata (3), Blanka (2), Bogusława, Bożenna, Brygida, Catherine, Charlotte, Chiara (2), Daniela (2), Danuta, Daria, Dominika (6), Dorota (2), Edyta, Eleonora, Eliza, Elza, Elżbieta (2), Emilia (6), Emilie, Emma, Estera, Ewa (4), Florence, Gabriela (10), Grace, Grażyna, Hanna (4), Helena (6), Héléne, Ida (4), Iga (2), Ilona, Ines, Inga, Iwona, Izabela (5), Jagoda (3) Janina, Joanna (3), Jolanta, Julia (14), Julietta, Julita, Justyna (3), Kaja (4), Kamila (4), Karolina (11), Katarzyna (13), Kinga (4), Klara (3), Klaudia, Krystyna, Larysa, Laura (3), Lena (4), Levenez, Lidia, Lien, Ligia, Lilia, Lukrécia, Łucja (3), Magda, Magdalena (6), Maija, Maja (10), Malwina (2), Małgorzata Fremde Vornamen im Namenschatz der Warschauer im 21. Jahrhundert 171

(7), Marcelina, Maria (22), Marianna (3), Marlena, Marta (13), Martyna (2), Matylda (3), Mia, Michalina (2), Mika, Mila, Milena, Monika (4), Nadia (2), Natalia (16), Natasza, Nicole (2), Nikola (5), Nina (4), Noelia, Noemi (2), Olga (2), Olimpia, Oliwia (6) Pamela, Patrycja (8), Paula, Paulina (10), Pola (4), Rachel, Roma, Róża (2), Sabina, Sandra (3), Sara, Sofja, Sonia, Stefania (2), Stela, Stella, Suzana, Sylwia (2), Tatiana, Teresa, Tola, Viktoria (3), Wanessa, Weronica, Weronika (14), Wiktoria (18), Yasmina, Yasmine, Zofia (11), Zsófia, Zuzanna (11), Żaneta (2).

Der Bestand fremder Namen umfasst 40 Namen mit originaler Schreibung (28%), nämlich Anika, Amélie, Angelika, Catherine, Charlotte, Chiara, Emilie, Emma, Florence, Grace, Héléne, Ines, Inga, Julietta, Levenez, Lien, Lukrécia, Maija, Mia, Mika, Mila, Nicole, Noelia, Noemi, Pamela, Rachel, Roma, Sandra, Sofja, Stela, Stella, Suzana, Viktoria (3), Wanessa, Weronica, Yasmina, Yasmine, Zsófia. Fremde Namen werden auch mit polnischer Schreibung gebraucht, etwa Nikola, Oliwia, Blanka oder Żaneta. Die übrigen Vornamen sind entweder biblischer Herkunft (9 Vornamen = 6%) oder 41 Heiligennamen (29%). Zu den Spitzenreitern in unserem Jahrhun- dert gehören Maria (22), Agnieszka (21), Wiktoria (18), Natalia (16), Weronika (14), Julia (14), Weronika (14), Katarzyna (13), Karolina (11), Maja (10), Pauli- na (10), Gabriela (10). Es handelt sich entweder um Heiligennamen oder um biblische Namen. Eine Ausnahme bildet hier Maja, eine Kurzform von Maria. Interessant sind die Entlehnungen aus dem Russischen, nämlich Larysa, Nadia, Natasza, Sonia, Tatiana, Nina, was hochwahrscheinlich mit dem Klang dieser Namen verbunden ist. Wie die obige Erhebung zeigt, sind fremde Vornamen in der polnischen Namengebung häufig zu finden, ihre Zahl nimmt zu. Noch vor 20 Jahren waren Namen wie Harley, Hülya, Toivo oder Trunh in den Taufregistern von War- schau nicht verzeichnet. Sie sind gewiss mit einer immer größeren Zahl von in Warschau lebenden Ausländern zu verbinden. Es ist davon auszugehen, dass der Anteil fremder Namen zunehmen und der Namenschatz der Warschauer Täuflinge durch neue fremde Vornamen bereichert werden wird.

Bibliographie

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Firangiz Pashayeva Fremde Namen bei den turksprachigen Oghusen: eine vergleichende Studie

1. Fremde Namen als namenkundliche Universalie Personennamen sind sehr individuell, gleichzeitig haben sie nationalen Charak- ter. Es verdient Erwähnung, dass in keiner Sprache der Welt die Namen nur aus dem nationalen Wortschatz gebildet werden. Die Entlehnung von Namen ist ei- ne onymische Universalie. Sie werden sehr schnell in der Zielsprache integriert, nehmen dadurch eine besondere Stellung in der Sprache ein. Diese Besonder- heit wird sehr oft dadurch deutlich, mit welcher Leichtigkeit Namen in ver- schiedenen historischen Phasen aus einer Sprache in eine andere Sprache ent- lehnt werden. Es gibt eine große Zahl kultureller Eigennamen, die vielen Volks- gruppen und Sprachen gemeinsam sind, dazu zählen die Repräsentanten der Kunst und Wissenschaft, die Benennung der Staaten und deren geographischer Objekte usw. Die Wörter, die aus der anderen Sprache übernommen werden, werden bestimmten Regeln der Zielsprache untergeordnet und erleben dadurch gewisse Veränderungen. Wichtig ist es zu erwähnen, dass die Namen in der Vergangenheit wesentlich mehr Veränderungen erfahren haben als in der Ge- genwart. Die Verbreitung von Religionen wurde von einer massenhaften Ent- lehnung von Anthroponymen begleitet. Dabei wurden nicht nur die Namen der Heiligen und der Amtsträger entlehnt, sondern auch die öffentliche Meinung und Anmerkung über die bekannten Persönlichkeiten, die Bestandteil der Na- men waren. Heutzutage sind als Quelle für die neuen Personennamen Literatur, Fernsehen, Rock- und Popmusik oder Filme zu nennen. Wenn in der jeweiligen Empfangssprache Lehnnamen verwendet werden, so bleibt in der Quellsprache die Gattungsbezeichnung; das gilt für die meisten entlehnten Personennamen. Doch kann auch die appellativische Bedeutung der Personennamen in die Ziel- sprache übernommen werden, meistens geschieht dies unabhängig von der Ent- lehnung des Wortes.

2. Bedeutung der Volksbezeichnung Oghusen. Aus der Geschichte der Oghusen.

In diesem Beitrag wird der Vergleich der Personennamen nur bei den Volks- gruppen der Oghusen durchgeführt. Die Oghusen haben bei der Ethnogenese der gegenwärtigen Turkvölker Einfluss genommen: Krimtataren, Turkmenen, Baschkiren, Turk-Mescheten, Urumer, Salar usw. Im 6. Jahrhundert hatten sich 174 Firangiz Pashayeva die Oghusen unter der Herrschaft der Khagan und Khan zu einer Konföderati- on zusammengeschlossen und ein Reich gegründet, dessen Fläche sich von Chi- na bis zur Schwarzmeerküste erstreckte. Im 8. Jahrhundert wurden sie von den turksprachigen Uiguren aus Mongolei in Richtung Westen vertrieben. Im 9. Jahrhundert überquerte ein Teil der Oghusen die Wolga und verdräng- te die dort ansässigen Pechenegen. Im 10. Jahrhundert wurde die andere Volks- gruppe der Oghusen in Buchara ansässig. Im 11. Jahrhundert rückte ein Teil der Oghusen nach Süden, nach Persien vor, ein anderer Teil nach Westen, in Rich- tung Mittelmeer, der Rest durchquerte den Süden des Russischen Reiches und ließ sich auf Balkan nieder. Die Oghusen waren die Seldschuken, welche die Dynastie der seldschukischen Sultane im Kalifat der Abbasiden in Bagdad ge- gründet haben, auch sind sie die Ahnen der gegenwärtigen Aserbaidschaner, Gagausen, Türken und Turkmenen. Die Bezeichnung Oghus ist sehr alt: in chinesischen Quellen etwa aus dem 2. Jahrhundert v.Chr. wird vom Stammesbund O-kut berichtet. Zur damaligen Zeit gab es keine Bezeichnung „Turkvolk“, die chinesische Benennung des Stammesbundes, die auf Türkisch Ogur lautet, entstand dadurch, dass einige turksprachige Stämme den Buchstaben -s wie -r aussprachen. Die Bezeichnung oghus geht auf ok ʽPfeilʼ zurück; gleichzeitig bedeutet sie auch „Stamm“. Die Sprachen der Oghusen gehören vor allem zur südwestlichen Untergrup- pe der Turksprachen, deren wichtigste Vertreter das Türkische (60 Mio. Mut- tersprachler und etwa 75 Mio. Personen mit Türkisch als Zweitsprache) und das Aserbaidschanische (35 bis 40 Mio. Muttersprachler) sind.

3. Namenentlehnungen in den Sprachen der Oghusen in unterschiedlichen histo- rischen Epochen und in der Gegenwart

Bei allen Völkern hatten Namen immer die magische Kraft über den Menschen. Die Völker vererben die Namen der Ahnen, und diese Tradition hat uralte Wurzeln. Im aserbaidschanischen Volk wie bei vielen Gemeinschaften der Ge- genwart hat sich diese Namentradition bis in die Gegenwart bewahrt. So gibt es zum Beispiel in der aserbaidschanischen Sprache eine Namenäußerung, welche den sinnlichsten Wunsch darstellt (adi ile böyüsün – es soll mit seinem Namen wachsen) oder auch einen boshaften Fluch beinhaltet (adin batsin – dein Name soll verschwinden). Der Name ist eine wichtige und heilige Erscheinung im Le- ben, er steht über den materiellen und oberflächlichen Dingen des Lebens, ent- sprechend soll das Verhalten derjenigen Person auch sein: adina yarashmaz – dieses Verhalten passt nicht zu deinem Namen. Fremde Namen bei den turksprachigen Oghusen: eine vergleichende Studie 175

In diesen Redewendungen finden wir die „mentale Kodierung“ der Aser- baidschaner, das archetypische Verhältnis der Aserbaidschaner zu ihren Namen (KULIYEV 2002: 100). Der Aserbaidschaner fürchtet, durch sein Verhalten sei- nem Namen nicht zu entsprechen, seinen Namen zu beschmutzen usw. Damit schadet er nicht nur sich selbst, sondern auch den Ahnen und der Nachkom- menschaft, sogar dem ganzen Stammesbund. Die Namenvererbung unterbindet neue Strömungen der Namengebung, trotzdem wird der Namenvorrat durch neue Erscheinungen in der Sprache erweitert, die infolge von kulturellen Ein- flüssen, Kriegen, Migrationswellen usw. verursacht werden. Das turksprachige Namengut wurde oft durch starke interkulturelle Einflüsse bereichert, dadurch enthalten die heutigen türkischen Namen eine große Vielfalt von Namen arabi- scher (Einfluss der Religion), persischer (kulturelle und politische Entwicklung) und europäischer Herkunft (ursprünglich durch russischen Einfluss, dann durch die Entwicklung der Beziehungen mit der europäischen Welt). Außerdem neigen die Turkvölker dazu, dem neugeborenen Kind einen fremdartigen, „exo- tischen“ Namen zu geben. Diese nicht traditionelle Suche nach einem fremdar- tigen Namen für das Kind wird besonders bei der städtischen Bevölkerung be- obachtet. Hier wählt man üblicherweise ausländische Namen (Aida, Marina, El- lada, Elsa, Marx, Rafael, Rosa, Ofelia usw.). Wie ist eine solche Entwicklung zu erklären? Hier spielen verschiedene Ursachen eine Rolle: Bildungsstand, kulturelle Ori- entierung der Familie, Zufallsprinzip, Bewertung der traditionellen Werte in der Familie. Heutzutage steht zunehmend der Wunsch, die Hochschulausbildung des Kindes im Ausland, insbesondere in Europa zu planen. Als ob sie selbst be- troffen wären, fragen sich die Eltern: wie klingt wohl dieser Name in den euro- päischen Sprachen. Der neue, nicht traditionelle Name überwindet damit die Fesseln der Tradition und wird anders eingeschätzt. Der neue „exotische“ Name des Kindes löst eine neue Welle in der Genealogie aus: mit diesem Namen, also „ich“ (nicht die Namen der Vorfahren), hofft man darauf, für lange Zeit im Ge- dächtnis der Generationen verankert zu sein. Paradoxerweise besteht durch den Bruch langer Traditionen keine Gewähr, dass sich die Kinder mit exotischen Namen nach diesen Traditionen verhalten werden, oder anders gesagt: Traditi- onsregeln können nicht eingehalten werden. Die Tradition wird getäuscht, es ist unkorrekt, weiter auf ihr aufzubauen, es besteht die Wahrscheinlichkeit, dass auch bei „exotischen“ Namen dieser Zusammenprall mit der Tradition herrscht. Letztendlich wird die Tradition gewinnen. Aber kann der neue „seltsame“ Na- me solche Prüfung bestehen? (KULIYEV 2002: 104) Die Anfangsperiode der Herausbildung der türkischen Anthroponymie ist die vorislamische Zeit. Es ist bekannt, dass die Namen jedes Stammesverbandes 176 Firangiz Pashayeva in den alten Zeiten unantastbar waren und sie damit ihr wesentliches Merkmal waren, die Zahl der Personennamen war deswegen nicht groß. Mit dem Wach- sen der Gesellschaft vermehrte sich auch die Zahl der Namen. In der vorislami- schen Zeit stand, wie wir den alten türkischen Geschichtsbüchern entnehmen können, unseren Ahnen eine große Zahl an Namen zur Verfügung (ORKUN 1987: 13). In diesen alttürkischen Namen, die durch ihren unbeschreiblichen dichterischen Ausdruck und ihre Vielfalt gekennzeichnet waren, sind verschie- dene soziale Gruppen zu erkennen, die zu den Khaganen und Khanen gehörten. „Dabei symbolisiert jeder archetypische Name semantisch das geistige Leben der Ahnen, und die Namen in ihrer Gesamtheit die umfassende Vergangenheit des Stammesverbandes“ (KULIYEV 2002: 101). In der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts beginnt die Phase, in der bei vielen Turkvölkern der Islam als Religion eingeführt wird. Die Entwicklung und Ver- breitung der Namen wird unter anderem durch die Religion beeinflusst und be- stimmt. Dieser Zeitabschnitt wird bedingt als islamische Entwicklungsperiode genannt. Der Namenschatz der Oghusen (eine Ausnahme bilden die Gagausen) setzt sich aus folgenden etymologischen Bereichen zusammen: 1. Personennamen türkischen Ursprungs 2. Personennamen arabischen Ursprungs 3. Personennamen altjüdischen Ursprungs 4. Personennamen mongolischen Ursprungs 5. Personennamen persischen Ursprungs 6. Personennamen slawischen Ursprungs (GURBANOV 2000: 15–31) Die Personennamen türkischen Ursprungs entstanden in unterschiedlichen his- torischen Perioden und sind Grundlage der Namengebung; gleichzeitig erfüllten sie die Bedürfnisse der Gesellschaft. Es ist bekannt, dass die Bezeichnung Allah auch durch das Wort Tanri ausgedrückt wird, daraus entstanden historisch ge- sehen verschiedene Namen, etwa Tanrigulu – Gottessklave; Tanriverdi – Ge- schenk Gottes. Parallel dazu waren auch Namen mit gleicher Semantik wie Al- lahverdi, Allahgulu, Khudaverdi, Khudagulu im Gebrauch. Im Aserbaidschani- schen werden heutzutage Namen aus den erwähnten drei Variationen (also Tanri-, Allah- und Khuda-) verwendet. Trotz des Einflusses des Islam und der damit verbundenen Entlehnungen aus dem Arabischen im Bereich der Perso- nennamen waren auch sehr viele türkische Namen verbreitet: Ertürk, Togrul, Arslan, Uruz, Bökü, Turan usw. Unter den entlehnten Namen arabischen Ur- sprungs befanden sich die Namen der Kalifen, der religiösen Islamprediger, Imamen und Namen, die mit den religiösen Feiertagen und Bräuchen zusam- Fremde Namen bei den turksprachigen Oghusen: eine vergleichende Studie 177 menhängen. Der Entlehnungsprozess vollzog sich nicht nur durch Übernahme fertiger Namen, sondern teilweise durch Kategorieänderung entlehnter Appella- tive, d.h. zuerst erfolgte die Entlehnung des Gattungsnamens, dieser wurde spä- ter als Eigenname verselbständigt.

Die Personennamen arabischen Ursprungs, die im Aserbaidschanischen verwen- det werden, besitzen eine Reihe von lexikalischen, semantischen und grammati- schen Besonderheiten. In mehreren turksprachigen Gebieten werden diese Na- men den jeweiligen phonetischen Regeln angepasst und unterschiedlich ausge- sprochen: z.B. im Aserbaidschanischen Seyfulla, in tatarischen und usbekischen Sprachen Saydulla. Die arabischen Namen zeigen die Vielfalt der Bestandteile: Abu Nasr Muhammed ibn Tarkhan ibn Uzlaq al Farabi – Philosoph, Mathema- tiker, Musiktheoretiker, Wissenschaftler des Orients, verkürzte Form des Na- mens: Al Farabi, die lateinische Version des Namens: Alpharabias. Abu Ali Hüseyn ibn Abd Allah ibn Sina – der berühmte Gelehrte, Philosoph, Arzt, Dichter, Musiker. Vom 9. bis 12. Jahrhundert waren solche mehrteiligen Namen nach dem arabischen Modell unter den turksprachigen Völkern sehr verbreitet. Hier Beispiele einiger berühmter türkischen Philosophen und Per- sönlichkeiten des öffentlichen Lebens: Shahabeddin Abdülfütüh Yahya ibn Habash Sühraverdi; Eyhalqüzat Abdulmeali Abdulla ibn Mühammed Miyanechi Hamadanin. Die Mehrzahl dieser Namen wurde mit aus dem Arabischen ent- lehnten Appellativen gebildet: Fuad – Herz, Freude; Farah – Freude, Stolz; Va- hid – Solidarität, Zusammenhalt; Adil – Gerechtigkeit; Ilham – Inspiration: Zöhra – Sternbezeichnung. Diese Beispiele zeigen deutlich, dass die damalige Verbreitung von arabischen Namen auf entlehnte Appellative zurückgeht. Der Gebrauch arabischer Namen war für die turksprachige Bevölkerung obligato- risch und wurde mit Gewalt durchgesetzt. In der turkmenischen Bevölkerung mit ihrem tief verwurzelten orthodoxen Islam waren Namen arabischen Ur- sprungs (Sherafuddin, Nureddin, Najmeddin usw.) im Vergleich mit den Nach- barvölkern weniger gebräuchlich und nur in den Familien des Klerus und bei der feudalen Elite verbreitet. Die wichtigsten Namen, die über den Islam vermit- telt und von einer arabischen Grundlage abgeleitet wurden, waren im Turkme- nischen verankert oder wurden gemischt verbreitet. Einer der am meisten ver- breiteten Namen waren die Namen, die mit dem Gründer der muslimischen Re- ligion Muhammed verbunden sind. Einerseits waren sowohl der vollständige Name Muhammed als auch die gekürzte Form sehr verbreitet: Memmet, Ma- med, Mehmet, Met. Andererseits waren auch gemischte arabisch-türkische Formen der Namen beliebt: Akmuhammed, Akmemmet (der weiße Muham- 178 Firangiz Pashayeva med), Muhammedgulu (Sklave von Muhammed), Muhammedberdi (Muham- med hat gegeben), Nurmuhammed, Nurmet (Glanz von Muhammed) usw. Als weibliche Personennamen wurden bei den Turkmenen die Namen der Ehefrauen von Muhammed bevorzugt: Khatija (Khadija), Esha (Aisha), Jennet (Paradies). Unter den männlichen Namen finden sich die Namen der Nachfol- ger von Muhammed, die sog. treuen Kalifen: Omar, Osman, Ali. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass der Name Ali (der vierte Kalif von Muhammed), der ins- besondere im Iran und in Aserbaidschan bei muslimischen Schiiten beliebt ist, auch unter den Turkmenen verbreitet war, obwohl sie mehrheitlich sunnitisch waren. Sogar die religiöse Titulatur fand Eingang in die Namengebung: Molla (Mullah), Imam (Imam – Vorsteher), Imamberdi, Imamgulu, Kazi (geistlicher Richter auf den Grundlagen der Scharia), Hadschi (Pilger), Islam, Islamgulu (Sklave im Islam), Kebe (Tempel Kaabi in Mekka – Heilige Moschee aller Mos- lems). In der Vergangenheit gab es in Turkmenistan insgesamt 6 religiöse Ge- sellschaftsgruppen, die als heilig galten: Hodscha, Schih, Seyit, Ata, Mahdum. Das spiegelte sich in der Anthroponymie der Turkmenen wider: Hodscha, Hod- schak, Hodschaberdi (Hodscha hat gegeben), Hodschagulu (Sklave von Hod- scha), Magtim, Seyit, Atageldi (Ata ist gekommen), Atadurdu usw.

Personennamen aramäischen Ursprungs. In den Turksprachen bilden Personen- namen altjüdischen oder aramäischen Ursprungs eine wesentlich größere Gruppe. Diese Entlehnungen gelangten über das Arabische in die turksprachige Welt, z.B. Avraam – Ibragim, Sebida – Sibeyda, Moisey – Musa, Aaron – Harun, Dauid – David, Isus – Isa, Salamon – Suleyman, Iones – Yunus, Iosif – Yusuf. Zwischen dem 13. und 18. Jahrhundert weist die Namengebung der Turk- völker folgende Besonderheiten auf: Türkische Namen werden durch Entleh- nungen aus dem Arabischen ersetzt, und Namen mongolischen Ursprungs fin- den weite Verbreitung, bedingt durch die mongolische Herrschaft in Zentral- asien und Kasachstan. Ursachen waren hauptsächlich die geographische Nähe oder die Nachbarschaft: Satay, ein Name mongolischen Ursprungs, bedeutet ʽNachbarʼ war z.B. in der kasachischen Sprache sehr verbreitet, aber auch Na- men wie Batu, Bagu, Bayan, Sarman, Saykhan, Sayman, Sabutay usw.

Personennamen persischen Ursprungs. Durch die politische Entwicklung im 14. Jahrhundert wurden viele Wörter aus dem Persischen entlehnt und in die Turk- sprachen aufgenommen. Einerseits handelt es sich um Eigennamen wie Rustam, Niyaz, Leyla, Mardan, Rovshan, Saadet, andererseits um die zugrunde liegenden Gattungswörter, die später durch die Verwendung in den Turksprachen gebil- det wurden, etwa Mardan als spätere Gattungsbezeichnung ʽder Tapfereʼ. Fremde Namen bei den turksprachigen Oghusen: eine vergleichende Studie 179

Nach persischer Tradition werden Neugeborene nach dem Tag oder Monat der Geburt benannt: Ramasan, Safar, Radjab. Das führte dazu, dass nur eine eingeschränkte Zahl von Namen verwendet wurde. Aus persischen Appellativen gebildete Namen wurden von den Turkvölkern unterschiedlich gebraucht. Das gilt auch noch für die Gegenwart: In einigen Turksprachen werden sie wie Ap- pellative, in anderen Sprachen wie Namen verwendet, im Türkischen etwa Ba- har – Frühling, Atesh – Flamme, Name – Brief, Arzu – Traum, Sheyda – Beses- senheit, im Aserbaidschanischen Siba – Schönheit, Shamshir – Dolch, im Turk- menischen Dshomert – der Gütige, Besirgan – Händler, Mayim – mein Mond. Manche turkmenische Namen wurden aus persischen Zahlen gebildet: Cahar – Cari, Pench – Penchi. Die persischen Namen in den Turksprachen fallen durch ihre Ästhetik und ihre weite Verbreitung auf: Namen wie (Name kursiv, Appel- lativ Normalschrift) Jale – Tau, Yadigar – Gedächtnis, Firuz – Sieger, Ayna – Spiegel, Sarvan – Führer. Die Endung -zadeh in ursprünglich persischen Namen wird in den türkischen und aserbaidschanischen Familiennamen oft verwendet, sie bedeutet ʽSohnʼ: Tengis Zadeh – Sohn von Tengis.

Personennamen slawischen Ursprungs. Unter den Turkvölkern gibt es Völker christlichen Glaubens: Jakuten, Gagausen, Chakassen. Die Namen wurden dem orthodoxen Kirchenkalender entnommen. Zuerst erhielten die Neugeborenen turksprachigen Namen, später einen zweiten Namen, für den offiziellen und für den alltäglichen Gebrauch. Mit der Zeit wurden die Namen phonetisch assimi- liert: Trofim im Jakutischen Dropuun – Dooroppuun, Agafia – Alaapia, Gavril – Gabiriila, Anastasia – Nastaachiya, Evdokia – Debdekiya usw. Bei den Jakuten wird wie im Russischen die Formel aus drei Namenbestandteilen verwendet, die Besonderheiten des türkischen Elements wurden nur in den Nachnamen beibe- halten. In der Sprache der Chakassen sind die christlichen Namen slawischen Ursprungs einzigartig, sie unterscheiden sich deutlich von den anderen Spra- chen. In der Gegenwart wurden diese christlichen Namen slawischen Ursprungs in die offiziellen Dokumente in der Aussprache der Chakassen-Sprache einge- tragen: Feda – Pede, Matvey – Matkey, Ignatiy – Ignes, Timofey – Temekey, Alek- sey – Eleske, Elena – Delene, Vagusha – Banush. Im 19. Jahrhundert wurde das Modell der russischen Namengebung – Vor- name, Nachname, Vatersname – von den Turkvölkern mit Ausnahme der Tür- kei vollständig übernommen. Die politischen Ereignisse im 20. Jahrhundert be- einflussten die turksprachige Anthroponymie. Die Oktoberrevolution, der Sozi- alismus und das Leben in einem Großstaat erweiterten den Namenschatz in der Sowjetunion und deren turksprachigen Bevölkerung. Aber manche „politische“ Personennamen wie Narkom – Kino – Traktor – Orden – Samovar – Soldatbek – 180 Firangiz Pashayeva

Kosmosbek – Sovet – Kolchos – Oktyabr – Renat (Abkürzung für: Revolution, Wissenschaft, Arbeit) – Damir (Abkürzung für: Es lebe Frieden) – Wil (Abkür- zung für: Wladimir Iljitsch Lenin) waren nicht langlebig oder negativ konno- tiert. Im 20. Jahrhundert wurden natürlich auch Personennamen aus den euro- päischen Sprachen übernommen, z.B. Albert, Artur, Hamlet, Rafael, Telman, Isolda, Marlen, Edison, Darvin, Raisa, Elmira, Emma, Rimma, Esmira, Diana, Tamilla, Isolda, Ofelia, Rosa, Klara, Semfira, Indira, Tamara, Aida, Ellada. Für diese Zeit sind auch der Rückgang religiös konnotierter Personennamen und das Aufkommen kurzer und wohlklingender Namen charakteristisch. In dieser Zeit entwickelt sich die bis in die Gegenwart fortdauernde Tendenz, die aser- baidschanischen Vollnamen nach russischem Modell zu kürzen und Kurzna- men zu bilden: Muhammed – Mamed, Iskender – Isig, Dschahangir – Dschanik, Fatima – Fatya, Sevindsch – Seva, Firangiz – Fira usw. In den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts begann für die Turkvölker der Sow- jetunion eine neue Epoche. Ein Teil dieser Völker bekam die Möglichkeit, die Unabhängigkeit zu erlangen, damit begann eine neue Ära und eine neue Phase der Namengebung. Jedes Volk lebte in dieser Phase nach eigenen Gesetzen und tausendjährigen Traditionen. Die Beziehungen zwischen den Turkvölkern wur- den wiederhergestellt. Die Besonderheit dieser Zeit bestand darin, auf die alten Traditionen zurückzugreifen und die Sprache von den fremdartigen Namen zu befreien. Die Aserbaidschaner griffen öfter nach alttürkischen Namen, sehr viele Personennamen werden aus den anderen Turksprachen entlehnt, vor allem aus dem Türkischen: Aytaj, Ayshan, Aygul, Aysu, Aytekin, Nuray usw., aus dem Turkmenischen z.B. weibliche Vornamen wie Altin und Tilla (beide in der Be- deutung ʽGoldʼ) oder Gozel, Siba, Dschemila (alle ʽSchönheitʼ). Wie kommt es aber zu verschiedenen Namen mit identischer Bedeutung? Alle diese Wörter sind unterschiedlicher Herkunft, sie gelangten im Laufe der Jahrzehnte auf verschiedenen Wegen in die turkmenische Sprache. Altin und Gozel sind Namen turksprachigen Ursprungs, Tilla und Dschemila stammen aus dem Arabischen, Siba aus dem Persischen. Diese Spracherscheinung wird als Synkretismus bezeichnet, was so viel wie die Vermischung von heterogenen Tei- len in einem System bedeutet. In diesem Fall geht es um den sprachlichen Synkretismus der turkmenischen Namen, um deren unterschiedlichen Ur- sprung. Diese Entwicklung wurde durch die Vielfalt und Komplexität der histo- rischen und ethnischen Prozesse verursacht, die sich auf dem Territorium von Turkmenistan abspielten. Im Laufe der Jahrhunderte vollzog sich die Vermi- schung der einheimischen iranischstämmigen Bevölkerung mit den einzelnen turksprachigen Stämmen. Mit der Zeit wurden die turksprachigen Stämme zur wichtigsten Macht im Lande und damit die iranischstämmige Bevölkerung zur Fremde Namen bei den turksprachigen Oghusen: eine vergleichende Studie 181

Assimilation gezwungen, trotzdem wurden die Kontakte zu den iranischstäm- migen Nachbarn – Persern, Kurden, später Belutschen und Dschemschiden – nicht unterbrochen. Aus diesem Grund begegnet man bis heute unter den turk- menischen Namen auch Namen persischen Ursprungs: Rustem (Held im irani- schen Epos), Merat (altiranisch Mehrdad – fünfter Monat im Sonnenkalender), Didar (buchstäblich: Treffen), Schir (Löwe), Azat (frei), Schirin (süß), Tezegul (die neue Blume oder die neue Rose), Destegul (Blumenstrauß), Guldschan (See- lenrose), Mive (Frucht), Nazik (elegant) usw. Die arabische Vorherrschaft in Zentralasien hatte für die Entwicklung der Bevölkerung nur geringe Folgen, aber sie brachte mit dem Islam eine neue Reli- gion. Die Folge war für die zentralasiatischen Gebiete eine neue Welle religiöser und muslimischer Namen meistens arabischen und semitischen Ursprungs. Es verdient besondere Erwähnung, dass die turkmenische Namentradition eine beneidenswerte Ausdauer zeigte, die vormuslimischen Namen beizubehalten, besonders die weiblichen Namen. Das wird besonders deutlich im Vergleich mit den Namen anderer Völker. Es kann vorkommen, dass nach vielen Jahren der Bekanntschaft mit einem Freund, Arbeitskollegen oder Nachbarn außer dem allgemein bekannten turksprachigen Namen Garyagdi (es schneit) auch ein ara- bischer Name wie Abdulla oder Abdurahman (beide: Sklave von Allah) zum Vorschein kommt. Bei der Geburt wird von einem Geistlichen oder einem gläu- bigen Weisen der arabische, muslimische Name gegeben, später bekommt das Kind im Alltag einen anderen offiziellen Namen, der auch in den Dokumenten registriert wird. In diesem Teil der Arbeit wird die Entlehnung in die Sprache der Gagausen dar- gestellt, die einen besonderen Stellenwert in den Sprachen der Oghusen ein- nimmt. Gagausen gehören auch zu den Turkvölkern mit orthodoxer Glaubens- richtung, die Bevölkerungszahl beträgt etwa 500.000 Menschen. Mehrere Jahr- hunderte lebten die Gagausen auf dem Balkan auf dem Territorium des heuti- gen Bulgarien zusammen mit anderen Völkern, Bulgaren, Rumänen, Griechen, Albanern und auch mit Turkvölkern. Entsprechend beeinflussten unter ande- rem das Christentum und die oben erwähnten Völker die Namengebung bzw. die Entstehung von Personennamen. Vor dem Kontakt mit dem Christentum waren bei den Gagausen die Namen nur turksprachigen Ursprungs. Im Namen- schatz der Gagausen wie auch bei den anderen Turkvölkern christlichen Glau- bens beobachtet man zweiteilige Namen. V.A. Moschkov schreibt: „Der Name, den der Gagause bei der Taufe bekam, wurde in die offiziellen Dokumente ein- getragen. Im Alltag wurde er aber nicht mit seinem echten Namen gerufen, sondern er erhielt einen anderen Namen, mit dem er bis zum Tode im Dorf leb- 182 Firangiz Pashayeva te. Oft haben offizieller und inoffizieller Name keine Gemeinsamkeiten. Entwe- der wird die Person mit einem Spitznamen gerufen, so kann z.B. Nikolai als Pet- ri oder Kosta gerufen werden, oder er bekommt einen neuen Namen, der mit dem offiziellen Namen nichts Gemeinsames hat“ (MOSCHKOV 1901: 27). Der gagausische Geschichtsschreiber, Ethnograph und Kulturforscher S.S. Kuroglo berichtet, dass „im 19.–Anfang des 20. Jahrhunderts nur der Familienvater die Berechtigung hat, dem Kind zum zweiten oder dritten Tag nach der Geburt den Namen zu geben, vor allem den Namen des Großvaters. In den nächsten 2–3 Wochen nach der Geburt wird das Kind getauft. Der Amtsträger tauft ihn mit dem neuen offiziellen Namen, der auch in die Kirchenbücher eingetragen wird. Dieser Name unterscheidet sich wesentlich von dem des Familienvaters, so wird z.B. der Name des Familienvaters Petr vom Amtsträger als Trofim registriert, ei- ner der drei wahlbaren Namen, der mit dem Tag der Geburt zusammenhängt, diese Unstimmigkeiten führten zum ernsthaften Meinungsstreit zwischen dem Amtsträger und dem Bauern“ (MOSCHKOV 1901: 28). Die Personennamen der Gagausen sind unterschiedlichen Ursprungs, die meisten gehen auf das Griechische zurück: Vasiliy, Stepan, Anatoliy, Alexander, Vasilisa, Sofia, Irina, Varvara. Altjüdischen Ursprungs sind Namen wie Maria, Ilia, Semen, Anna, Ivanna, römischer Herkunft Domma, Konstantin, selten sind Namen aus dem Russischen wie Nadejda, Vera, Lubov, Vladimir oder dem Bul- garischen: Marin, Neda. Anfang des 20. Jahrhunderts berichtet V. Moschkov über die Personennamen bulgarischen Ursprungs bei den Gagausen, manche davon waren schon veraltet: Stuyan, Dana, Boyku, Sanet, Stanka, Neda, Rusa. Die Gagausen suchten gagausische Alternativen zu den christlichen Namen, oder sie kürzten die Namen, um die Aussprache zu erleichtern. Auf diese Weise wur- den die offiziellen Namen nur in Dokumente oder Pässe eingetragen, unter den Dorfbewohnern waren aber einfache Varianten der Namen verbreitet. Einige Bei- spiele: Kirill – Kirla – Kirusch, Anna – Anku – Anchi, Agafia – Gafina – Gafi, Aleksandra – Sana – Sanu – Sanda, Dmitriy – Mitika – Mitasch – Miti – Mitisch – Mitischka – Demir, Michail – Mina – Malchu, Panteley – Pani – Panti – Pantika – Pantuscha, Panchu – Panusch, Grigoriy – Giza – Gogu – Gogusch, Georgiy – Yorgi – Joji – Joju..

Die folgenden Namen sind Archaismen, die meisten sind türkischen Ursprungs und haben keinen Bezug zur Religion: Savati, Chimana, Tika, Demir, Dafina, Sultana, Stanka, Mina, Sanet, Safir, Dobri, Dana, Neda, Rusa, Karanfil. V. Moschkov berichtet, dass Anfang des 20. Jahrhunderts folgende Namen unter den Gagausen verbreitet waren: Balik, Vatsak, Deli, Vaschi, Karik, Kurti, Balasa, Parisch, Dudi, Joschchu. (MOSCHLOV 1901: 28). S.S. Kuroglo betont, dass Fremde Namen bei den turksprachigen Oghusen: eine vergleichende Studie 183 diese Namen eine altertümliche Namenschicht der Gagausen darstellen (KUR- OGLU 1977: 188) V. Malchev versuchte, die obengenannten Namen etymologisch zu deuten (MALCHEV 2007: 89). Die meisten dieser Namen finden ihren Nachhall in den gagausischen Nachnamen und in den Spitznamen. Manche gagausische Namen sind nach türkischem Modell gebildet, gelegentlich ist die Geschlechtszuord- nung inkonsequent. Als Beispiel diene der Name des bekannten gagausischen Dichters Mina Küsa: im Aserbaidschanischen Mina ein weiblicher Vorname in der Bedeutung „Edelstein“. Der oben genannte männliche Vorname Karanfil ist im Aserbaidschanischen ein weiblicher Vorname mit der Bedeutung ʽNelkeʼ. Dass Karanfil einst bei den Gagausen ein männlicher Vorname war, wird durch den entsprechenden Familiennamen bestätigt. In den 90er Jahren ist bei den Gagausen wesentlicher Wandel zu beobachten: Moldawien wird als Land unabhängig, die Gagausen erlangen dadurch Souve- ränität, die Grenzen werden geöffnet, zahlreiche Türken und Aserbaidschaner strömen hierher. Die Gagausen erfahren, dass auch andere Völker eine ähnliche Sprache sprechen, man lernt einander kennen, man begreift die Bedeutung der Eigennamen, was vielen gefällt. Diesen Zeitabschnitt bezeichnet man als Wie- dergeburt der gagausischen Namen. Diese Innovation wurde zuerst von der gagausischen Intelligenz eingeleitet. Es entstehen Namen, wie Murat, Oglan, Kamil, Sevda, Sevdana, Oguz, Deniz, man kann bei den Gagausen auch Na- menwechsel beobachten: Valentina Karanfil wird zu Güllü Karanfil. Allerdings ist dieser Prozess sehr langsam. Es gibt eine gewisse Revolution, die neuen türki- schen Namen haben aber keine Bindung zu ihrer Religion, daher wird diese In- novation von der Bevölkerung negativ wahrgenommen: man kann nicht zwi- schen „türkischen“ und „muslimischen“ Namen unterscheiden. Bei der Ge- burtsregistrierung entstehen gewisse Hindernisse. Heute werden für die Gaga- usen separate Listen mit Personennamen türkischen Ursprungs veröffentlicht.

4. Zusammenfassung

In diesem Beitrag wird der Versuch unternommen, die Namengebung in den oghusischen Turksprachen zu vergleichen. Auch wird erklärt, dass die Perso- nennamen dieser Volksgruppen nicht nur durch ihre sprachliche Affinität, son- dern auch durch ihre historische Entwicklung vereint sind. Durch die langjähri- ge Verbindung mit Vertretern verschiedener Sprachgruppen wurden unter- schiedliche Kulturkreise gebildet, in denen die Namen vergleichbar sind, ähnli- che Motivation besitzen und die onymischen Systeme gemeinsame Komponen- ten enthalten. Diese ethnischen Gruppen, welche solche differenzierten histo- 184 Firangiz Pashayeva risch-kulturellen Kreise bilden, sind nicht nur durch ihre Nachbarschaft und durch ihre sprachliche Affinität vereint, sondern weitaus mehr durch Gemein- samkeiten im geistigen Leben, durch die gemeinschaftliche religiöse Denkweise usw. Solche historisch-kulturellen Kreise verschiedener Volksgruppen entstan- den durch verschiedene Glaubensrichtungen, der christlichen mit katholischer oder orthodoxer Ausrichtung, dem Islam in seiner schiitischen und sunniti- schen Ausprägung, durch Menschen mit Nomadenleben: langfristige Traditio- nen haben alle geprägt. Religion und die politische Entwicklung führten dazu, dass die Entlehnung von Personennamen im Aserbaidschanischen, Türkischen und Turkmenischen historisch gesehen sehr intensiv aus dem Arabischen und Persischen, im 20. Jahrhundert aus den europäischen Sprachen erfolgte. Unter den Völkern der Sowjetunion, im Aserbaidschanischen, im Turkmenischen und in der Sprache der Gagausen wurde ein gemeinsames Modell der Namengebung eingeführt. Aber sie waren nicht nur durch die Geschichte vereint, sondern auch durch die gegenwärtige Entwicklung, die mehr mit der wieder erlangten Unabhängigkeit zusammenhängt. Diese Volksgruppen sind wieder zu ihren Ursprüngen zu- rückgekehrt, gemeint sind die Zeiten vor der Einführung überregionaler Religi- onen.

Bibliographie

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Karl Hohensinner unter Mitarbeit von Julia Graser Zeitgenossen der „Mutter Courage“ – Durchreisende und ihre Namen in Grein an der Donau 1624 bis 1644

Einleitung Namen aus der frühen Neuzeit kommen durch schriftliche Überlieferung zu uns. Unter „Früher Neuzeit“ ist jener Zeitraum zu verstehen, der direkt dem Mittelalter nachfolgt und etwa mit dem Beginn der Industrialisierung endet, al- so von ca. 1500 bis ca. 1800. In Kanzleien des österreichischen Donauraumes zeigt sich, dass es einen Zeitpunkt gibt, zu dem die variantenreiche, dialektal ge- prägte Schreibung relativ schnell in eine von deutschem Wörterbuch, deutscher Grammatik und neuen überregionalen Phrasen und Termini geprägte Sprache umschlägt. Dies zur zeitlichen Einordnung. Wir finden in Archiven in Massen Schriftgut vor, welches mehr oder weni- ger häufig Namen enthält. Meist handelt es sich um Namen von Personen. Die- se sind meist Steuerpflichtige oder Grundbesitzer. Namen von Gewässern, Län- dern, Städten, Dörfern und kleinen Siedlungseinheiten begegnen ebenfalls kon- tinuierlich. Diese Namen können wir einem Punkt, einer Linie oder einer Flä- che geografisch zuweisen. Wenngleich Flüsse ihre Namen wechseln, Städte nie- derbrennen und Dörfer zu Wüstungen werden können, so ist uns meist eine Zuweisung der Namennennungen in den Archivalien möglich. Wir können zu geografischen Namen Belegreihen bilden und überlegen, ob eine neu im Archiv aufgefundene und nun zu interpretierende Nennung in eine bereits existierende Belegreihe hineinpasst oder nicht. Wir können Besitzerreihen von Häusern auf- stellen und Lebensspuren von deren Inwohnern erheben. Die Etymologisierung von Namen in der Frühen Neuzeit ist von der Möglichkeit der Zuordnung eines Nameneintrags geografisch oder biografisch abhängig. Eine fremde Person, die nur einmal flüchtig in Erscheinung tritt und deren Name ebenso flüchtig notiert wird, kann kaum weiter interpretiert werden. Dies stellt uns bei der Bearbeitung von nur einmal überlieferten ortsfremden Personen vor ein Problem. Gerne würden wir mit Hilfe einer Namenanalyse wissen, woher die Fremden stamm- ten. Bei großen Migrationsbewegungen, wie zum Beispiel im Dreißigjährigen Krieg, ist das von besonderem Interesse. Aber womit haben wir es bei den über- lieferten Texten zu tun, was kann man mit Sicherheit herauslesen, wo beginnt 186 Karl Hohensinner unter Mitarbeit von Julia Graser die Diskussion, welchen Arbeitsaufwand soll, kann oder möchte man einbrin- gen und was sollte man unkommentiert stehen lassen? Ähnliches begegnet uns gelegentlich bei Namen im Mittelalter. Jemand hat einen Gewässernamen oder Ortsnamen in Zusammenhang mit einem Rechtsge- schäft aufgeschrieben. Irgendwann wurde der Text kopiert und das Original ging verloren. Ob jemals einer der mit der Sache befassten Schreiber einen Be- zug zum aufgeschriebenen Namen hatte? War es für ihn nur ein Ereignis in ei- nem fremden Land in einer fremden Zeit, das er eben abschreibt, weil er ein Schreiber ist? Ein Beispiel: der Autor erinnert sich lebhaft an die Vorlesung „Ös- terreichische Geschichte“ von Wolfgang Häusler an der Universität Wien, in der dieser der Frage nachging, ob die Überlieferung des Flussnamens Nedao bei Jordanes eine tatsächliche Flussbezeichnung sei, oder ob ursprünglich eine Ver- schreibung oder sonstige Verunstaltung des Flussnamens Ledao vorliegen könnte, der nach sprachwissenschaftlichen Gutachten eine Frühform des heuti- gen Gewässernamens Leitha sein könnte. Jedenfalls haben die Kopisten des Jor- danes Nedao überliefert. Ob dem guten Jordanes oder einem seiner frühen Ab- schreiber ein wenig Tinte verronnen ist, möglicherweise auf einer Rasur des Pergamentes, muss für immer dahingestellt bleiben. Was aber bleibt, das sind die kulturellen Konsequenzen. Es mag der Welt vermutlich egal sein, wie ein Bettelweib geheißen hat, das im Jahr 1636 beim Rathaus in Grein drei Kreuzer empfangen hat und dann fortgeschickt wurde. Es war und ist der Welt aber nicht egal, ob die Tinte des Jordanes verronnen ist oder nicht – genauso ist es für die nationalen Geschichtsschreibungen nicht egal, ob eine hochbedeutsame Schlacht am Übergang von Antike zu Frühmittelalter im heutigen Österreich stattgefunden hat oder in Serbien.

Die Spendenlisten aus dem Stadtarchiv Grein

Das Städtchen Grein (Stadtrecht 1491, Bundesland Oberösterreich, Republik Österreich) liegt am Beginn eines sehr felsigen und schlecht passierbaren Do- nauabschnittes, welcher seit Beginn des 20. Jahrhunderts Strudengau genannt wird. In den vergangen Jahrhunderten, als die Donau noch ein wichtiger Reise- weg war, passierten verschiedenste Personen diesen Ort. Es war eine in der Lite- ratur vielfach beschriebene Engstelle. Siehe dazu HOHENSINNER (2011) und HOHENSINNER/WIESINGER (2003). Manche Reisende, bedeutende wie Kaiser und Könige genauso wie aus Sicht der Weltgeschichte unbedeutende, hinterließen Spuren in mehreren Archiven. Auch die Stadt Grein verfügt über ein eigenes Archiv. Die Bestände aus dem Mittelalter und aus der Frühen Neuzeit sind im Oberösterreichischen Landesar- Durchreisende und ihre Namen in Grein an der Donau 1624 bis 1644 187 chiv in Linz deponiert.1 Über das Archiv und die Geschichte von Grein berichtet ausführlich STRAßMAYR (1931). Die Handelsbeziehungen der Stadt zu dieser Zeit werden sehr gut dargestellt bei GLAßER (1967). Die Stadt Grein hatte im 17. Jahrhundert etwa 1000 Einwohner. Die nächst- gelegenen Städte und Märkte im Donauraum waren östlich das ca. 25 km ent- fernte Ybbs an der Donau, westlich der etwa 35 km entfernte Markt Mauthau- sen (ebenfalls an der Donau gelegen) und das etwa 50 km entfernte Linz, Lan- deshauptstadt des Bundeslandes Oberösterreich (damals Erzherzogtum Öster- reich ob der Enns). Grein verfügte durch den Donauhandel über gute Einkom- mensverhältnisse. Eine Handvoll Bürger ist als „sehr reich“ zu bezeichnen (vgl. STRAßMAYR 1929). Der große Stadtbrand von 1642 richtete viel Schaden an, der aber bald wieder durch Strafzahlungen der Verursacher ersetzt werden konnte. Über Kriegshandlungen im Zuge des Dreißigjährigen Krieges in der Gegend von Grein ist bis jetzt nicht viel bekannt. Dazu muss aber gesagt werden, dass die umfangreichen Archivalien des Stadtarchives und des Herrschaftsarchives der Greinburg (welche ebenfalls in der Stadtgemeinde Grein liegt) aus dieser Zeit inhaltlich kaum erschlossen sind. Im Rahmen eines von der Stadtgemeinde Grein unterstützten Forschungs- vorhabens (Technische Universität Wien) zur Baugeschichte des Alten Rathau- ses in Grein (um 1563) und des darin befindlichen historischen Stadttheaters (1791) wurden vom Autor Akten gesichtet. In diesem Zusammenhang fanden sich Listen, welche über Spenden des damaligen Rates und des Stadtrichters an bedürftige durchziehende fremde Personen Auskunft geben. Auch bei genauer Durchsicht der regionalgeschichtlichen und landeskundlichen Literatur fand sich kein Hinweis, dass diese Spendenlisten bis jetzt in einer Publikation beach- tet wurden. Die Quellenlage in diesem Aktenmaterial ist so gut, dass man über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren den hier durchs Donautal ziehenden Perso- nenstrom beobachten kann. Vergleichbare Spendenlisten sind dem Autor nicht bekannt, doch ist zu erwarten, dass weitere Archive in Österreich sowie Archive in Deutschland, Polen, der Slowakei und Tschechien vergleichbares Material enthalten. In den Listen werden „fremde“ Personen verzeichnet, also Personen, welche keinerlei Bezug zur Stadt Grein hatten, außer dass sie als Reisende dorthin ka- men und die Stadt bald wieder verließen. Die Personen wurden meist beim Rat-

–––––––— 1 Archivverzeichnis unter: http://www.landesarchiv-ooe.at/xbcr/SID-4AA34528-7839 04F7/Grein.pdf. 188 Karl Hohensinner unter Mitarbeit von Julia Graser haus mit einer kleinen Geldsumme bedacht. Zeitweise gab es auch Ratsbürger, die bei ihren Häusern Geld verteilten und dies notierten. Die entsprechenden Zettel wurden bei der Stadtkasse (Kammeramt) eingereicht und das Geld refun- diert. Hierzu ein Beispiel aus dem Jahre 1630: Von dato an als beschlossen unnd bevolchen word(en), das man khain Petler nit mehr in die Heüser alte gehen lassen, under dieselbe auch wie ander armbe leüth, bey Gericht abgeferttiget werden sollen (Finanzwesen 40, o.S.) Gelegentlich findet sich auch ein Eintrag, dass jemand zu essen bekam. Dies be- trifft meist durchziehendes Militär. Selten erfährt man davon, dass jemand be- graben (oder verscharrt) wurde oder dass Personen von Greinern in andere Or- te transportiert wurden – dies möglicherweise, um zu verhindern, dass kranke und gehunfähige Personen dauerhaft in Grein verbleiben. Vgl. hierzu folgenden Eintrag: von einem Weib, von wed(er) gehen noch stehen khönnen, von hisig Spithal aus in de(n) Struden zefehren (Finanzwesen 39, o.S.)

Es handelt sich hier also um ein Weib, das weder gehen noch stehen konnte, und aus dem Stadtspital in den ca. 5 km östlich gelegenen Marktort Struden ge- fahren wurde. Von einigen wenigen Personen ist auch bekannt, dass sie Dokumente vor- legten. Vgl. hierzu folgenden Eintrag: 1626 einem Carminiter Minich welcher vermög khaiserliche(n) Patents in die Pfalz zeraisen vorhabens; 1626 ainem armben schadhafften Soldaten, mit habent khay[serliche]. Patent ainem vom Adl auf sein Schreiben. (Finanzwesen 39, o.S.)

Vorgehensweise

Für die vorliegende Darstellung wurde vom Autor ein repräsentativer Teil aus den Gemeinderechnungen gescannt und von Julia Graser transkribiert. Die re- präsentative Auswahl erfolgte nach sprachwissenschaftlichen Kriterien. Es wur- de Wert darauf gelegt, einen längeren Zeitraum abzudecken, das sind hier etwa 20 Jahre, wenngleich nicht völlig durchgehend. Es war notwendig, Jahrgänge zu verwenden, welche eine relativ hohe Frequenz an Namen (Ortsnamen, Länder- Durchreisende und ihre Namen in Grein an der Donau 1624 bis 1644 189 namen, Vornamen, Familiennamen und andere) aufwiesen. Es wurde auch Wert darauf gelegt, mehrere Schreiber („Hände“) im Auswahlcorpus zu reprä- sentieren. Die transkribierten Texte sind also aus sprachwissenschaftlichem Er- kenntnisinteresse ausgewählt. Historiker würden wohl anders auswählen bzw. versuchen, die gesamte Peri- ode des Spendenausgebens darzustellen. Hier wäre dann von Interesse, wann die erste und wann die letzte Spendenliste erstellt wurde und ob es auch in an- deren kriegerischen Epochen und in Friedenszeiten zu solch regelmäßigem Geldverteilen kam. Aus Sicht der Geschichtswissenschaft wäre interessant, wie hoch die jeweiligen Geldzuwendungen waren, individuell und nach Jahren. Man könnte eine umfangreiche Statistik anlegen. In ähnlicher Weise könnte man die Anzahl der Durchreisenden nach Jahren und Jahreszeiten aufgliedern. Man könnte die Angaben über körperliche Leiden und Kriegsverletzungen auswerten und vieles Personenbezogene mehr. Außerdem könnte man gut darstellen, wel- che Beziehungen sich zum allgemeinen oder speziellen Verlauf des Dreißigjäh- rigen Krieges abbilden. Immer wieder sind Gruppen von Soldaten genannt, auch der Name Wallenstein findet sich mehrfach. Oftmals bearbeitet die Sprachwissenschaft bereits von Historikern publi- zierte Texte weiter. Sie folgt so einem Textcorpus, das auf den Textinhalt gerich- tet ausgewählt wurde und nicht aus der Sicht der Sprachwissenschaft. Beim hier dargestellten Material ist es umgekehrt. Die Geschichtswissenschaft ist eingela- den, diese Textquelle aus ihrer Perspektive zu bearbeiten.

Zu den Quellen Bei den ausgewerteten Quellen handelt es sich um vier Aktenbände aus dem Stadtarchiv Grein mit Richteramts-, Kammeramts-, Bauamts- und Forst- amts-Rechnungen sowie den zugehörigen Beilagen (vgl. Finanzwesen 39/40/ 42/43). Da die Akten nur lose gebunden und nicht foliiert sind, können bei den Zitaten keine genauen Seitenangaben gemacht werden. Was die verschiedenen Schreiber betrifft, so lässt sich festhalten: Anhand des Verlaufs der Eintragungen sind hier auffallende Unterschiede festzustellen. Vor allem verändert sich der Aussagegehalt der Namen und sonstigen Angaben der eingetragenen Personen im Laufe der Zeit. Das folgende Beispiel zeigt einen Ausschnitt aus dem Jahr 1628: Den 12. Jenner ainem gefangnen Peter Eberl genant. Den 18. [Jänner] ito ainem Abprändler von Ried auß Bayrn, genant Wolf …. Den 26. [J.] dito zwayen Minichen der brl. Misseri Coindine von Veldt Purg aus Mähren. 190 Karl Hohensinner unter Mitarbeit von Julia Graser

Den 27. [J.] ainem khranckhen Soldaten, nambens Johann Viderleider. Ainem vom Adl Wolf Mitterhofer genant von Linz. Den 8. Febr[uar] vier Soldaten Den 9. [F.] ainem armen Schuelmaister. Den 10. wider ainem Armben vom Adl, Jacob Dietrich genant. (Finanzwesen 40, o.S.)

Wie sich hier herauslesen lässt, haben vor allem persönliche Angaben, wie der Name, Berufsstand beziehungsweise Zustand (arm, krank, Adel etc.) Vorrang. Gelegentlich werden aber auch Ortsnamen verzeichnet. Im Vergleich zum Jahr 1628 hat sich 1643 das Verhalten eines Schreibers stark verändert – er konzentriert sich in diesem Fall vermehrt auf äußere Merk- male der Personen, wie das Geschlecht (Mann, Frau/Weib), deren gesundheit- lichen sowie sozialen Zustand (krank, arm) und deren militärischen/beruflichen Stand (Soldat, Schulmeister, etc.). Deutlich ist zu erkennen, dass die Nennung der Namen stark vernachlässigt wird. Hierzu ein Beispiel von 1643: Den 29. [Augusti] dito ainem Gefangnen von den Türckhen gebe[n]. Den 31. [A.] 4 Soldaten dann and[er] ain Bevelchshaber, von dem Babsten gedient geb[en]. Den 2. [Septem]bris zwen Religiose[n] geben. Den 4. [S.] dito ainem Schuelmaister und Organiste[n] von Pfaffenhofen. Zwen armen Studenten. Ainem armen kays[erlichen] Reitschmidt. Den 9. dito ainem gehörlose[n] und stum[m]en Mann. Dito mehr ainem armen Man[n]. (Finanzwesen 43, o.S.)

Eine kleine, aber doch vorhandene Rolle spielen die Frauen, die anhand einiger nachfolgender Beispiele präsentiert werden. Ganz selten ist hier ein ganzer Na- me nachzulesen, vielmehr werden sie oberflächlich (als „stille“ Begleiterin ihres Ehemannes, oder als Witwe, Nonne, Gefangene) erwähnt.

Der folgende Eintrag stammt aus dem Jahr 1626: Anna Lehrin, ainer Nun, Benedictiner Ordens, welche zu ihrem Closter Riegeberg im Schweizerlant ligent, gesamblet (Finanzwesen 39, o.S.)

Aus dem Jahr 1629 stammt der nächste Eintrag: Durchreisende und ihre Namen in Grein an der Donau 1624 bis 1644 191

Den 8. Feb[ruari] ainem armben Weib v[on] nit gehen Khünden in daß Spithal geschickht. (Finanzwesen 40, o.S.)

Aus dem Jahr 1631 stammen folgende beiden Einträge: Ainem gefangnen Weib Juliane Schmistlhoferin von Budtweiß. Den 5. ainer gefangnen Frauen auß Poln, Anna Reudolffea genant (Finanzwesen 40, o.S.)

Wahrlich an Bertolt Brechts „Mutter Courage und ihre Kinder“ erinnert ein Ein- trag aus 1644: ainem armen Mann, so sein Weib auf ainer Karn herumb gezogn (Finanzwesen 43, o.S.)

Dank des fehlenden gleichen Rhythmus der Schrift ist der Wechsel zwischen den Schreibern relativ leicht zu erkennen. Es wird einerseits oft auf das Ver- halten des Schreibers mit Hilfe seines Schriftzuges hingewiesen, andererseits die Abhängigkeit der Bedeutung der Namen im Laufe der Zeit von diversen amtie- renden Stadtrichtern offenbar. In den Jahren zwischen 1626 und 1630 ist es etwas schwierig zu sagen, wie viele Schreiber beauftragt waren bzw. ob hier ein Wechsel zwischen Schreiber überhaupt stattgefunden hatte. Ab 1631, aber vor allem ab 1640 war jährlich (in diesem Fall bis 1644) je ein Schriftführer am Werk. Amtspersonen geben sich zu Jahresbeginn in den Rechnungsakten nament- lich zu erkennen, beispielsweise im Jahre 1626: Gerichtsraittung Mein Bernharden Pindhamb(er) der derzeit Stattrichters alhie zu Grein Erzherzog- thumbs Ossterreich ob der Enns. Waß ich dises Ambts halber, vom heiligen Weichnachtag des verflossenen 1625ten Jars an, bis auf den 8 februari anno 1627 auch also bey 14 Tagen übers Jar zu handen gemainer Statt. Empfangenn auch dargegen widerumben Ausgöben und bezalt habe. Das alles volgt underschiedlichen hernach zu vernemmen. (Finanzwesen 39, o.S.)

Bernhard Pindhamber schreibt, dass dieses seine (Mein) Gerichtsrechnung (Ge- richtsraittung) sei. Es sei zu daraus vernehmen, was er zu Handen der Stadt Grein empfangen und ausgegeben habe. Danach werden Aktiva und Passiva ge- trennt aufgelistet. 192 Karl Hohensinner unter Mitarbeit von Julia Graser

Im Bereich der Passiva finden sich die Spendenlisten, welche mit einer eige- nen Überschrift versehen sind, beispielsweise 1626: Derentigen volgen die Außgaben und Erstens auf die armben Leüth(en) (Finanzwesen 39, o.S.)

Zum Vergleich hier noch einige weitere Beispiele, zuerst aus dem Jahre 1627: Gerichts Raittung Mein Bernhardten Pindhamber derzeit Stattrichters Alhie zu Grein, was ich dises Amts halber das ob-Stehende Jahr in ain und andern Empfanngen auch dargegen widerumben aufgeben habe zc. [...] Ausgaben. Dargögen ist aber Ausgöben unnd bezalt worden und auch Erstens auff die armb durchraisende Persohnen (Finanzwesen 39, o.S.) Aus dem Jahre 1628: Gerichts Raittung Bernhardten Pindhamber derzeit Stattrichters alhie Zu Grein Erzherzogthumbs Osterreich ob der Enns, [...] Außgaben. Herentgegen ist Ausgöben und bezalt worden wie hernach volgen – Thuet auff die armen Leuth. (Finanzwesen 40, o.S.)

Aus dem Jahre 1629: Gerichts Raittung Mein Bernharden Pindhamber derzeit Stattrichters alhie zu Grein, über das ich dises Ambtshalber das obsteheunde Jahr, empfanen auch dargögen Außgoben habe,das volgt underschiedlichen geenach. zc [...] Ausßgaben. Herentgögen volgen die Außgaben unnd Erstlichen auf die Armmen leuth und dergleichen Personen. (Finanzwesen 40, o.S.)

Ab 1632 tritt Hans Rathuber als Stadtrichter auf: Gerichts Raittung Mein Hannsen Rothueber derzeit Stattrichters alhie zu Grein auff das obstehende ganze Jahr zc. [...] Durchreisende und ihre Namen in Grein an der Donau 1624 bis 1644 193

anfangs auf die armen Leuth unnd gemain durchraisende Soldaten (Finanzwesen 40, o.S.)

Aus dem Jahre 1640: Gerichts Raittung. Mein Hannsen Rathueber stattrichter zu Grein, waß ich uber dieß empfangen und eingenomen unnd … wider außgaben und bezalt habe, das folgt hernach [...] Aussgaben. Derentgegen ist Außgeben uns bezalt worden und Erstlichen auf die durchraisenden Soldaten, Pilgramb unnd andern armen Leuthen (Finanzwesen 42, o.S.)

1644 tritt wieder ein Wechsel ein, Hans Rothuber ist offenbar gestorben und Leonhard Rudolph folgt ihm nach: Gerichts Raittung. Mein Leonhardt Rudolphen, was ich vom 22. Augusti biß letzten decembris deß 1644-iten Jahres, alß mir nach Absterben Herrn Johann Rothueber Stattrichters alhie seligen daß Stattrichter ambt anbevolchen orden, im Namen Gemainer Statt empfangen und eingenommen, derentgegen auch widerumben Außgaben und bezalt habe, wie volgent je…. (Finanzwesen 43, o.S.)

Diese in den Spendenlisten genannten Stadtrichter sowie die genannten Rats- bürger sind gut dokumentierbare Personen, wie man auch bei GLAßER (1967) nachlesen kann. Es existiert aus dieser Zeit umfangreiches Material im Stadtar- chiv Grein, sodass man zu diesen Personen Kurzbiografien erstellen könnte.

Sprachliche Einordnung der Texte

Zur Sprache der Spendenlisten ist folgendes festzustellen: es handelt sich um ty- pische Kanzleisprache des österreichischen Donauraums. Ähnlich schreiben viele Schreiber anderer Orte mit Markt- oder Stadtrecht und viele Klöster (Vgl. HOHENSINNER 2013). Die Texte zeigen ein stark ostmittelbairisch-mund- artliches Gepräge. Viele Schreibvarianten – auch bei gängigen Wörtern und Namen – sind typisch. Die Verwendung von Abkürzungen und die Toleranz von Schlampigkeiten sowie die flüssige (oder flüchtige) Handschrift weist auf geübte Schreiber hin. Es folgen einige Beispiele für sprachliche Merkmale, Zahlenangaben bezie- hen sich auf Häufigkeiten im transkribierten Gesamttext. 194 Karl Hohensinner unter Mitarbeit von Julia Graser

Mönche, graue Kutten: Zu mhd. grâ, grâwes adj. ‘grau’ (LEXER 1872/1878: I, 1063f.) und mhd. münich stm. ‘Mönch’ (LEXER 1872/1878: I, 2229f.), hier mit gerundeten und ungerundeten Varianten. o Dito zwen Minich, in Kräben Khutten geben o Den 23. dito, 2 Minich in Grabn Kutten geben o dito einem Schwarze(n) Münich o zwey Franziscaner Münichen die nach Rom raisen o dito 2 Barmherzigen Minich auß Prag geben o 2. Barmherzigen München geben o 2 schwarzen ….butschen München o zwen wälschen München gebenn o Ainem Minich der Brüeder Missere Cordie Pilger: (Verhältnis Pilg- zu Bilg-: 119 zu 3), z.B. Ain Piligrin; Zwayen Bilgramben; zwen geistlichen Pilgrimen; Ain Piligrin; ainem Piligrim; zwen Pilgeramb; zwen Pilgeramb; ainem Pilgramb; zwenn Pilgramben

Starke Tendenz zu bairischen Schreibvarianten: Tendenz zu p statt b, t statt d, z.B. bei deformiert, abgebrunnen (d.i. angebrannt) u.Ä. Weiters Verwendung von ai statt ei in reisen (Verhältnis -ai- zu -ei-: 33 zu 0); auch interessant: ain versus ein (Verhältnis 486 zu 35): o ain teformirten Leitenant und 2 Soldate(n), o dito ainem geschetigten Leutenambt geben o dito Michaeln Mair von zu Abgeprunnen unnd durch das Khriegsvolckh o Hab und Gueth verprendt worden o dito ainer Abprändlerin o vo(n) Krembs heraus geraisst die durchraisendten Soldathen o zu irem Reg(ement) geraisst Das Numerale Zwei: Basisdialektal in Grein rezent dem Sprachraum entspre- chend – also zwe(n) (Männer), zwo (Weiber), zwei (Kinder) – verteilt sich die- ses Numerale folgendermaßen auf nachstehende Varianten: zwei: 0 / zwein: 1 / zwen: 139 / zwo: 5 / zway: 69 / zwai: 18. Durchreisende und ihre Namen in Grein an der Donau 1624 bis 1644 195

Kriterien der Transkription oder „Was ist überhaupt leserlich?“

Hier muss zunächst etwas ins Kommunikationstheoretische ausgeholt und erör- tert werden, wie die vorliegende Textsorte einzuordnen ist. Im gängigen Kommunikationsmodell, das in den Einführungen in die ger- manistische Sprachwissenschaft präsentiert wird, gibt es stets einen Sender und einen Empfänger. Der Sender codiert eine kurze Angabe zu einer Person in Form einer Lautkette. Der Empfänger nimmt diese Lautkette auf und decodiert sie. Dazwischen gibt es noch eine „Black-Box“, also einen gemeinsamen Geistes- oder Kulturinhalt, welcher die Decodierung überhaupt ermöglicht. Eine andere Form der Kommunikation wäre: Jemand codiert einen Text in eine Folge von Buchstaben und/oder anderen Zeichen. Der Text wird gedruckt und der Leser des Buches decodiert wiederum diese Zeichenfolge. Natürlich braucht es wiederum „ein gemeinsames Tischtuch“, also eine Kenntnis der ent- sprechenden Sprache sowie das Wissen für die Entschlüsselung der Ab- kürzungen und Symbole. Handelt es sich aber um Kommunikation, wenn wir uns mit Texten be- schäftigen, die mehrere Jahrhunderte alt sind – Texte, die nicht wie z.B. liturgi- sche Texte für die Nachwelt geschaffen wurden? Es gibt jedenfalls kein Indiz, dass die Schreiber in irgendeiner Form daran dachten, hier Texte „für die Ewig- keit“ zu produzieren. Es sind Rechnungsbeilagen der Gemeindekasse, wie es sie über die Jahrhunderte bis heute gibt, man denke nur an die umfangreichen Ar- chivbestände in vielen Archiven, welche die Getränkesteuer (Weinkreuzerauf- schlag, Ungelt, Tatz usw.) betreffen. Die Aufbewahrung dient in den ersten Jah- ren dem Zweck der Kassenprüfung und der Kontrolle aller Personen, die ir- gendwie Zugang zur Gemeindekasse haben. Betrug an öffentlichen Geldern ist leicht denkbar und in der Menschheitsgeschichte in unübersehbarer Häufigkeit aufzufinden. Wir aber können uns nur als Menschen des 21. Jahrhunderts den Blättern nähern. Die damals lebenden Menschen und die gesamte Situation sind uns schwer zugänglich. Allenfalls können wir allgemeine Literatur finden, die aus der Auswertung anderer Archive abstrahierend als Hintergrundinformation für die vorliegenden Texte dienen könnte. Wir haben nur beschriebenes Papier vor uns. Eine erste Betrachtung zeigt, dass die einzelnen Buchstaben der Texte soweit identifizierbar sind, dass es mög- lich wird, den Inhalt zu transkribieren und soweit zu erfassen, dass wir ihn in das allgemeine Kulturwissen um den Dreißigjährigen Krieg einordnen können. Der Überblick zeigt: Es werden sich auch eine gewisse Anzahl Namen zu bekannten 196 Karl Hohensinner unter Mitarbeit von Julia Graser

Städten oder Ländern zuordnen lassen. Somit kann der Text zumindest teilweise sinnvoll bearbeitet werden. Wir bringen uns also in eine Kommunikationssituation mit der Vergan- genheit. Wir nehmen den Text, als sei er an uns bzw. an den Leser der Nachwelt gerichtet, als sei er z.B. eine Chronik. Wollte der Textautor jemals mit irgend- jemandem kommunizieren? War die Intention des Schreibers, dass ein Fremder – oder überhaupt jemand außer ihm selbst – diesen Text verstehen oder ihn überhaupt lesen könnte oder sollte? Vielleicht sind es nicht mehr als flüchtige Notizen des Kämmerers für den Fall, dass ihn der Richter und die Räte der Stadt überprüfen sollten. Vielleicht ging es nur darum, Listen anzulegen, um eine all- gemeine Glaubwürdigkeit zu dokumentieren. Dafür würde sprechen, dass die Aufzeichnungen nicht einheitlich sind. Manchmal sind sie sehr erzählend und beschreiben Schicksale, manchmal sind es nur Listen von anonym gezählten Personen. Haben wir es gar mit einer Textgattung zu tun, ähnlich den Einkaufs- zetteln von Privatpersonen, die man oft in Einkaufsmärkten auf dem Boden lie- gend finden kann? Lediglich eine mnemotechnische Stütze jener Person, welche das Papier beschrieb? Niemals dazu gedacht, dass jemand anderer dieses Papier zur Hand nehme und interpretiere? Ein Wort kann handschriftlich mit gut les- baren Buchstaben beginnen und in einer Wellenlinie auslaufen. Man kennt dies auch von Notizzetteln, welche z.B. bei Telefongesprächen entstehen oder gar von der sogenannten „Ärzteschrift“, jener hochindividualistischen Handschrift, welche praktische Ärzte benutzen, um das Rezept für den Apotheker zu schrei- ben, nur lesbar für diesen und sein Personal, nicht für die Überbringer und Er- krankten. Anders als bei einem gedruckten Buch, welches aus den Abdrücken einzelner Lettern besteht, die man beliebig in ein anderes Schriftformat übertragen kann, müssen die Zeichen bei handschriftlichen Texten nicht eindeutig sein. Was nicht eindeutig ist, kann auch nicht verbindlich in einen anderen Schrifttyp übertragen werden, also ohne Interpretation schwer transkribiert werden. Schnell kann die Endung -er nicht mehr von der Endung -en unterschieden werden und vieles mehr. Buchstabengenaue Transkriptionen sollten dies aber beachten und einbe- ziehen. Der Autor hat in seinem wissenschaftlichen Leben schon zigtausende ur- kundliche Belege aus dem späten Mittelalter und aus der frühen Neuzeit gesehen, bewertet und gegebenenfalls abgeschrieben. Meist waren es urkundliche Belege von kleinen Siedlungseinheiten im Bundesland Oberösterreich für das Ortsna- menbuch des Landes Oberösterreich. Immer wieder stellte sich die Frage: Ist der Beleg eindeutig zu lesen oder nicht? Es gibt Schreiber und Federn, die zwei Buch- staben des Alphabets völlig gleich aussehen lassen. Nicht eindeutig lesbare Belege Durchreisende und ihre Namen in Grein an der Donau 1624 bis 1644 197 wurden dabei immer verworfen und nicht ins Manuskript aufgenommen. Eine Diskussion, ob bei der Transkription nicht zuerst in einen Schriftzug etwas hinein interpretiert wurde, was dann bei der sprachlichen Analyse wieder heraus inter- pretiert wurde, ist somit immer vermieden worden. Nun tritt ein weiterer Faktor hinzu: Für geschichtswissenschaftliche Studien in Österreich ist es günstig und üblich, zur Bearbeitung oder zumindest zur Transkription Personen heranzuziehen, welche aus der geografischen Umge- bung jenes Ortes kommen, in dem der Archivtext entstanden ist. Die hand- schriftlichen Texte, z.B. aus kleineren und mittleren Städten oder von Klöstern aus dem 17. Jahrhundert sind meist sehr ortsdialektal abgefasst. Üblicherweise findet man leicht Personen, welche heute einen ähnlichen Dialekt sprechen. Man nimmt sozusagen „Muttersprachler“ und gibt ihnen Texte in ihrer Mutter- sprache zum Transkribieren. Dabei wird im Wesentlichen der Inhalt sehr gut erfasst, Verschreibungen und Unleserliches intuitiv rekonstruiert und so der Text schon ein wenig interpretiert. Dies ist es aber nicht das, was die Sprachwis- senschaft braucht. Wie schon zuvor gesagt, soll man nicht bei der Transkription etwas hinein interpretieren, was bei der sprachwissenschaftlichen Analyse eine Tendenz verstärken oder gar begründen könnte. Im gegenwärtigen Fall hat die Historikerin Julia Graser, welche mit Texten aus dem österreichischen Donauraum vertraut ist, die Transkription durch- geführt. Julia Graser stammt nicht aus der betreffenden Gegend und hat den Text streng buchstabengetreu ohne Interpretation transkribiert. Der Autor ist Sprachwissenschaftler, in Grein geboren und aufgewachsen. Ihm ist die regionale Mundart, die sich von der des 17. Jahrhunderts wenig un- terscheidet, vollkommen vertraut. Er kennt auch die Namen der Höfe und Orte der Gegend in den entsprechenden historischen und dialektalen Varianten aus seiner wissenschaftlichen Tätigkeit. Aus Sicht Grasers wurde in der Arbeitsfassung vieles gelb hinterlegt und so als „unverständlich“ markiert. Ein wesentlicher Teil davon ist für den Autor si- cher als Appellativ oder Name zu erkennen. Eine relativ große Anzahl von Fa- miliennamen, teilweise auch von Ortsnamen und gelegentlich auch von Buch- stabenfolgen, welche wohl als Appellative anzusehen sind, bleibt trotzdem un- klar. In diesem Zusammenhang ist es sinnvoll, sich mit der konkreten Situation zu befassen, aus welcher die Namenverschriftlichungen hervorgegangen sind. Mehrfach legt das Schriftbild nahe, dass die erhaltenen Listen die Reinschrift von vorausgehenden Zettelsammlungen sind. Möglicherweise handelt es sich auch um Niederschriften von lediglich Erinnertem. 198 Karl Hohensinner unter Mitarbeit von Julia Graser

Nun versuche man sich die Kommunikation zwischen den Almosen- empfängern und den Vertretern der Stadtgemeinde Grein bzw. dem Schreiber des Textes vorzustellen. Es handelt sich großteils um Leute, die sehr viel vom Dreißigjähgrigen Krieg gesehen und gehört haben. Literarisch gesprochen: Man hat den Eindruck, die Zeitgenossen der „Mutter Courage“ seien hier aufge- schrieben worden. Wäre eine Frau gekommen und hätte gesagt, sie heiße Cou- rage und die Kinder Eilif und Schweizerkas, so würde man das vermutlich heute auch so oder so ähnlich in der Liste finden, sofern man in diesem Fall überhaupt die Namen notieren hätte wollen. Aus dem Text lässt sich also erschließen, was die Leute ungefähr mitgeteilt haben müssen. Wir haben allerdings kein Wissen darüber, welcher Wahrheits- gehalt den Angaben innewohnt. Wir wissen auch nichts darüber, ob der Schrei- ber Interesse hatte, Näheres zu erfahren. Möglicherweise hat er manchmal auch nur ungefähr Gehörtes irgendwie wiedergegeben, weil die Anweisung bestand, nicht nur Beruf, Herkunft und Reiseziel zu notieren, sondern auch Namen. Wir wissen auch nicht, welche Namen dem Schreiber bekannt waren und was ihm fremd war. Man wird davon ausgehen können, dass Ortsnamen im Donauraum in Grein gut bekannt waren. Auch die Namen von habsburgisch regierten Län- dern werden bekannt gewesen sein. Familiennamen bzw. deren Teile, die im Donauraum üblich sind, können auch relativ glaubhaft überliefert sein. Allerdings ist hier eine Einschränkung zu bedenken: Es kann zu falschen An- schlüssen gekommen sein und ein fremder Name in einen heimischen um- gedeutet worden sein. Genauigkeit bei der Schreibung von Familiennamen ist zu dieser Zeit im österreichischen Donauraum nicht üblich. Pfarrer schreiben die Namen der ihnen bekannten Wohnbevölkerung dermaßen nach Gehör, dass eine Etymologisierung auf der Basis einer einzelnen Schreibung sehr oft völlig in die Irre gehen würde. Zur Illustration in Abbildung 1 einige Beispiele für häufi- ge Schreibvarianten von Familiennamen innerhalb derselben Familie (17. Jahr- hundert) aus regionalen Kirchenbüchern (HEIDER 1984: 4). Wenn also schon bei der ortsansässigen Bevölkerung derartige Schreib- varianten gängig sind, so kann man bei durchziehenden Personen wohl auch keine größere Genauigkeit erwarten. Es würde also nicht wundern, wenn eine Person mit dem örtlich gut bekannten und häufigen Familiennamen Haider verzeichnet worden wäre, obwohl sie möglicherweise den häufigen ungarischen Familiennamen Heiduk angegeben hat. Dies nur als mögliches Beispiel. Denkt man an die vielfältigen beschriebenen Deformationen und Lädierungen der Durchziehenden an den Gliedmaßen, so wird man diesen üblen Zustand wohl auch für die Artikulationsorgane annehmen können. Durchreisende und ihre Namen in Grein an der Donau 1624 bis 1644 199

Weiter ist natürlich noch eines zu bedenken: Wir können die Angaben der Durchreisenden nicht mehr überprüfen. Auch die Beamten der Stadt Grein werden damals wenige Möglichkeiten gehabt haben, etwas zu überprüfen. Die Spendenempfänger werden vermutlich ihr Anliegen so vorgebracht haben, dass sie mit Erfolg, also mit einer Gabe rechnen konnten. Auffällig erscheinen mir die vielen Pilger und Schulmeister. So manche unredliche Erhöhung des Standes durch die Almosenwerber sollte man wohl in Betracht ziehen.

Abbildung 1: Schreibvarianten von Familiennamen im Mühlviertel im 17. Jahrhundert. 200 Karl Hohensinner unter Mitarbeit von Julia Graser

Anhang 1:

Beispiele für Nennungen von Klöstern, Städten, Orten, Ländern, Gegenden und militärischen Einheiten.

Klöster: o Closter Riegeberg im Schweizerlant o ihrem Closter Langenleus o lieben Frauen Closter Rosenbraun, in Grain gelögen o zu ainem Barmherzige(n) Closter in der Pfalz o Item zu dem Closter Blogouna o zu dem abgeprenten St. Margaretha Closster in Khärnten o zwen Religios(en)von Läbach, den ir Closster abgeprennen o vom Closster Wisobach auß Bayrn o Bruederschafft der heiligen Dreifalitgkhait unnd der glorwirdig Junckhfrauen Maria Covent im Stall o zwischen Klagenfurth und St. Veit in Khernten ligent o Dem Minichen welche am Calnperg bey Wienn ein Clostter pauen

Große und größere Städte und Orte, die eindeutig zu identifizieren sind: o Rom (Roma, Hauptstadt Italiens, mehrfach) o Wien (Wien, Hauptstadt Österreichs) o Pressburg (Pozsony, frühere Hauptstadt Ungarns, Prešpurk, heute Bratislava) o von Kilb ausser Mölckh gebe(n) (Kilb, ein Ort in Niederösterreich in der Nähe von Melk, Stadt und bekanntes Kloster an der Donau) o von Pehaimbschen Pudweiß, von Budtweiß (Budweis/České Budějovice, Stadt in Südböhmen, Tschechische Republik) o Leipzig, Leüpzüg (Leipzig, Stadt in Deutschland) o vor Haidelberg (Heidelberg, Stadt in Deutschland) o Hainburg (Hainburg, Stadt in Niederösterreich an der Donau. Östlich von Wien) o von Rab, auß Ungern (Raab/Györ, Stadt in Westungarn) o Passau (Passau, Stadt an der Donau in Niederbayern) Durchreisende und ihre Namen in Grein an der Donau 1624 bis 1644 201

o kranckhheit in Pade(n) willens zu curir(en) (Baden bei Wien, Stadt in Niederös- terreich, südlich von Wien) o Brün (Brünn/Brno, Stadt in der tschech. Republik) o Nigglisspurg (Nikolsburg/Niklšpurk, Mikulov, Stadt in der Tschech. Republik, an der Grenze zu Österreich, nördlich von Wien) o vo(n) Villach auß Kärnte(n) (Villach, Stadt in Kärnten) o zu Welß (Wels, Stadt in Oberösterreich) o Haßlach auf d(er) Mühl (Haslach an der Mühl, Marktort in Oberösterreich) o Neuheüsel (Neuhäusl/Nové Zámky, Érsekújvár, Stadt in der südlichen Slowakei, früher Ungarn) o von Ried auß Bayrn (Ried in Innkreis, Stadt in Oberösterreich, früher Bayern zu- gehörig) o von Feldt purg aus Mähren, von Feldtspurg aus Mähren (Feldsberg/Valtice, Stadt in der Tschechischen Republik an der Grenz zu Österreich, nördlich von Wien) o Linz (Linz, Hauptstadt des Bundeslandes Oberösterreich) o Stain (Stein, Stadt in Niederösterreich, Stadtteil von Krems an der Donau) o St. Andre zu Graz in der Vorstatt (Graz, Hauptstadt des Bundeslandes Steier- mark) o Prag (Prag/Praha, Hauptstadt der Tschechischen Republik)

Länder und Gegenden: o Zwayen Geistlichen Polläggen; ainem Polnischen Geistlichen; ainem Geistlichen auß Poln (Polen) o zwen Geistlichen khrabate(n); zwen Geistlichen Crawaten; drey gefangenen auß Crabate(n) geben (Kroatien) o Wolfen Schmidt, von bei dem Türggen gefangen gewest (Türkei) o aus Hisspanien (Spanien) o aus Behamb; auß Böhme(n) (Böhmen/Čechy, Landesteil der Tschechischen Re- publik) o zu dem Gottshäuß der heilig Dreyfaltigkhait in Schlesien ligent; zwen Frauen vom Adel, auß der Schlössing geben; Adl sambt seinem weib, auß dem Schlesien geben; ainem arme(n) von Adl auß d(em) Schlesien mit zway Khind(er)n (Schle- sien, Gebiet in Deutschland, Österreich, Polen) 202 Karl Hohensinner unter Mitarbeit von Julia Graser

o Spithal bey St. Leonhart in Steyrmarch (Steiermark, Österreichisches Bundes- land, Gebiet in Nordosten von Slowenien) o aus Creinlandt; in Grain (Krain, Kranja, Teil von Slowenien) o aus Bayrn (Bayern, Freistaat in Deutschland, tlw. Oberösterreich) o in Khärnten; in Khernten (Kärnten, Österreichisches Bundesland)

Militärische Einheiten: o under dem Jungwallenstainerischen Regement, under dem von Walnstain ligent o ainem Feldbäbl, von dem Obristen von Walnstain mit 30 Khnechten zuezogen o ainem Bevelchshaber under den Sassaurischen Regement ligent mit etlichen Sol- daten o ainem Leidenant under daß Neu Zelterungische Tegel gehörig, von mit etlichen Soldaten o Soldaten unndterm Haubtman Stäufftl ligent; unnd 6 Soldaten under den Haubt- man Käufftl ligent o ainem fuerer und dem Graumrischen Regement mit 21 Khnechten o 60 Soldaten und etlichen Bevelchshabern, under Haubtman Seeauer und Obris- ten Premer gehörig o Corporaln namens Rupertus Moy under dem oristen Preiner liegent o ainem Bevelchshaber, undter hl. Grafen von Kholoreta ligent o ainem Liechtenstainerischen Gefreiten o Lorenzen Khönig, ainem beim Tille gewest und geschädigten Pixenmaister o ainem geblischen Bevelchshaber o ainem Werber und dem Fürssten von Wechelburg ligent, sambt 30 bey im ge- habten Khnechten

Anhang 2:

Auszug aus der Transkription

Namennennungen wurden kursiv markiert.

Kriterien der Kürzung: Angaben, die Tag und Monat betreffen, wurden gekürzt, ebenso die empfangene Summe. Aus den Einträgen wurden all jene entfernt, die keine Namen enthalten. Durchreisende und ihre Namen in Grein an der Donau 1624 bis 1644 203

Auflösung von Abkürzungen: Übliche, bzw. offizielle Abkürzungen, eckige Klam- mer, wie in Khaiserliche M[ajestät]; welche vermög khaiserl[lichen] Patents Individuelle Abkürzungen, runde Klammer meist für -er und -en: in d(er) Mairhof wissen; von einem Weib; wed(er) gehen noch stehen khönnen, von hisig Spithal aus in de(n) Struden zefehren 1626 (Finanzwesen 39): o ainem armben Soldaten mit ainer Handt, nambens Fridrich Märchl o Anna Lehrin ainer Nun, Benedictiner Ordens, welche zu ihrem Closter Riegeberg im Schweizerlant ligent, gesamblet o Ainem Reiter nambens Hanns Pehr von Trinkhenfelde(n) o Herr(n) Pater Bonventura von Ruping o einem armben khlampffern von Schwaz o Lorenzen Khelner von Freissing aus Bayer o Steffan Hamasrezgi, armb gefangenen Mann o einem Armben khnappen, namens Adamen Statenperg o ainem gefangene(n) Petter Eberl genant o einem Carminiter Minich welcher vermög khaiserliche(n) Patents in die Pfalz zeraisen vorhabens o von einem Weib, von wed(er) gehen noch stehen khönnen, von hisig Spithal aus in de(n) Struden zefehren o zwey armben Adls Persohne(n) von Dorvstetten aus dem Elsas welchen durch das Khrigsvolckh Hab und Gueth verprendt worden o drey gefangenen, genant Georg Creizpihler, Fridrich Haller und Michael Schlaf o ainem Tanzimerten Edlman, namens Christoff Horustazizgy o Wolfen Schmidt, von bei dem Türggen gefangen gewest o Christoffen Jacob, und Stefffan Jeppen, welche vermög khaiserl[lichen] Patents zu dem abgeprent(en) Gottshaus zu gesamblet o Wolfen Paumgartner von Schwanz ainem Abprändtler o ainem Soldaten Elias Haider genant o dem Dienner von ainer am Wasser alher gerunenen Persohn in d(er) Mairhof wissen einzugraben 204 Karl Hohensinner unter Mitarbeit von Julia Graser

o Mehr ainem armben Weib, sambt ainem Khindt, welche alhie herberg begert, aus Muethaissl o einem Franciscaner Munich o zu ihrem Closter Langenleus gesamblet o zwen Soldate(n), v(on) mit zwey Preinerischen Ross 1627 (Finanzwesen 39): o Sechs prenierischen Soldaten o zwen gefangnen, der aine Joann Zolinschgy genant o mehr zwelf Prenierische(n) Soldate(n) o 6 Prenierischen Soldate(n) o ainem Prenierischen Leidenant und 24 Soldaten o ainem Bevelchshaber von Neuheüsl o aber ainem geblischen Bevelchshaber. o ainem Liechtenstainerischen Gefreiten o Ainem Minich der Brüeder Missere Cordie aus Mähren o ainem Franciscäner Minich, von zum Closter Langenleus gesamblet o ainem gefangne(n) namens Jacob Rudensgy o Sebastian Gebhardt von Mäuersterf ainem Abprändtler o ainem der zu unser lieben Frauen Closter Rosenbraun, in Grain gelögen, gesamb- let o ainem, von zur abgeprunnen Statt Wollenfels, in Franckhenlandt gelögen, ge- samblet o ainem armben Weib genant Juliane Centnerin, sambt 2 Khinder o Item Steffan Marchkhorn ainem Gefangnen o Zwelff Soldaten von etlich gefangene nacher Wienn beglait gehabt o Matheusen Herner gwesten Pixenmaister zu Neuheüsl o Lorenzen Stauder ainem Schuelmaister Christoffen Faubinger, bei dem Cardinal von Dietrichstain gwesten Miserius o Lorenzen Khönig, ainem beim Tille gewest und geschädigten Pixenmaister 1628 (Finanzwesen 40): o ainem Abprädnler von Ried auß Bayrn, genant Wolf Otl … Durchreisende und ihre Namen in Grein an der Donau 1624 bis 1644 205 o zwayen Minichen der brl. Misseri Cordime von Valdt Purg aus Mähren o ainem Khranckhen Soldaten, nambens Johann Niderlender o Ainem vom Adl Wolf Mitterhofer genant von Linz o wider ainem armben vom Adl Jacob Dietrich genant o mehr ainem armben vom Adl, namens Walthauser Pedscherling aus dem Wier- tenberger Landt o dito Hannsen Holchopf, ainem Coerber under dem von Walnstain ligent o Hannsen Grueber unnd Adam Seidl zwayen abpräntlern von Pregarten o Den Matheus Marchl von Graz o ainem Armben von Adl nambens Christoff Lidwig von Ulsteth, auch dessen Weib und Khündt o Hanns Adam Kranckhen vom Khreisen aus dem Feuthlandt, Regements o Preuosen, und Herrn Preiner und so bey ihm gehabten Soldaten o ainem gefangnen nambens Jacob Aidchawig o Michaeln Sembler ainem Soldaten auch dessen weib und khündt o ainem gefangnen weib, Margaretha Lindtnerin genant o Aber dem Barmherzigen Brüdern von Feldtpurg aus Mähren o Ainem gefangnen, genant Hannß Zolnitschlehy o Ainem armben Schmidt genant Michael Kholhofer o Christoffen Hailcher ainem Pilgramb o Zwayen Geistlichen Polläggen o zu St. Johann Gattshauß unnd armben Spithal in Passau o ainem Abprändtler genant Peter Johan Rein o drey gefangnen, darund(er) ainer Gregori Gehrissen ander Georg Draschkhansky ainem armben Schuelmaister Johann Wolf genant o ainem vom Adl, Georg Fridrich genant und dessen Weib, auch o Christoffen Preßler von zu der Bruederschafft der heiligen Dreifalitgkhait unnd der glorwirdig Junckhfrauen Maria Covent im Stall zwischen Klagenfurth und St. Veit in Khernten ligent gesamblet o dito dem Gerichtsdienner abermal(s) von ainem todten Man am Penholz zube- grabe(n) o dito aber ainem gefangnen, nambens Martin Trutschkhy genant o Ainem Gerichtsdiener nambens Georg Pollinger 206 Karl Hohensinner unter Mitarbeit von Julia Graser

o ainem Leidenant namens Georg Hofer unnd 60 Soldaten o Hanns Adam Fraubhen von Khreisin, Leidenambt unnd 40 bey ihm gehabten Soldaten o zwayen gefangnen Persohnen, nemblichen Ruprechte(n) Saur und Margaretha Schiesslin

1629 (Finanzwesen 40): o ainem armben gefangnen sambt Weib und Khündt, darundter Sy Ursula Hofne- rin genannt west o ainem armen Schuelmaister, nammen Christianus, Moser o Matheusen Casterin, der zu St. Leopoldts Khürchen, in Cannal gesamblet ainem armen man Adl namens Hannsen Neuhauser von und zu Pruggenegg aufsschrei- be(n) o Ainem gefangnen Paulus Schudingkhi genant o mehr ainem gefangnen nahmens Steffan Juckha gebe(n) o aber zwen Geistlichen khrabate(n) o ainem gefangnen nahmens Gregori Rubanschiz o hab ich auf die Soldate(n) geben, so dem gefangnen, welcher ihr Khaiserliche M[ajestät] in der Schatzkamer gebrochen, nacher Wienn gefiehrt o Den ersten April ainem gefreite(n) Corporaln namens Rupertus Moy under dem oristen Preiner liegent, sambt 13 bey im gehabten Soldaten dardurch ich sie des begerte(n) Quartiers halber abgewisen o ainem gefangnen namens Caspar Reichlender aus Creinlandt o aber zwen Geistlichen Crawaten o den Frätern, Missererorden von Feldt purg aus Mähren o ainem Leidnant unnder dem obristen altringer mit 50 Soldaten o Den zu dem abgeprenten St. Margaretha Closster in Khärnten gesamblet o ainem gefangnen, nahmens Martin Polotewit o ainem gefangnen Weib, Sara Hadella genant o ainem gefangnen Hans Osstermair genant o zwayen Aprandtlern von Haag, der aine Hanß Waltpaur und der ander Hanns Guggenberger genant o zehen Soldaten sambt ainem Bevelchshaber Georg Hager genant Durchreisende und ihre Namen in Grein an der Donau 1624 bis 1644 207

o ainem gefangnen namens Jacob Turbaggo zu dem Gastshauß Schweidhardt under Zwetl o ainem Bevelchshaber Jacob Ungerisch genant von Dascha sambt etlichen bey ihm habenten Soldaten,für begehrts Quartier, in Wein, Broth und Gelt o Joan Painfarius von Niernburg ein Pilgramb o Ainem khaiserl. Soldaten und Bevelchshaber, Ludwig Seltenreich o zwayen gefangnen, der nain Martin Polatawiz und Sara Hadelle genant o ainem gefangnenvom Adl, Jacob Froblawiztkhy. genant 1630 (Finanzwesen 40): o Michaeln Mair von zu Abgeprunnen unnd durch das Khriegsvolckh verderbten Marckht Megern gesamblet o ainem Feldbäbl, von dem Obristen von Walnstain mit 30 Khnechten zuezogen o Klasen Scharn ainem Bevelchshaber under den Sassaurischen Regement ligent mit etlichen Soldaten o ainem gefangnen Gregori Hillagickhy genant o Hanns Georgen Naß von Augpurg, welcher durch die Strassen tauber ist ausge- blindert worde(n) o ainem Werber und dem Fürssten von Wechelburg ligent, sambt 30 bey im gehab- ten Khnechten o Steffan Schumman von Gißpurg ainem armben Schuelmaister o zwen Pilgramben, Matheus und Georg Khunz genant o drey Barmherzigen Minichen von Feldtspurg aus Mähren o Den Franciscaunern von Stain o zu dem Armben Spithal bey St. Leonhart in Steyrmarch o Joannesen Wieth ainem geschedigte(n) gefreiten, von Schrambhausen aus Bayrn o zwen Geistlichen, der aine Joan Fabian Gugkhowiz genant von Pehaimbschen Pudweiß o zu den abgeprenten Spithal zu Welß o ainem von Adl wid(er) geben nambens Georg Fridrich von Haidegg o ainem gefangnen namens Martin Khüemarch o ainem geben von zu ainen Khürchen machent bey Preßpurg gesamblet o Ainem gefangnen nambens Joann Schigidla 208 Karl Hohensinner unter Mitarbeit von Julia Graser

o Georgen Mair von St. Ulrich ainem armben schadhafften Man o ainem Abpräntler nambens Hanns Haußman von Khundtnig o auf etliche Zigeinner, in Wein und Broth o zwen gefangnen Georg und Stadißlaus Zabenzickhus genant o Christoffen Preser, welcherzu unser lieben Fraue Sall, zwischen St. Veit und Khlagenfurth in Khärnte(n) ligent gesamblet o zu Auferpauung aines Gottshaus bey St. Margarethe(n) in Khärnten o aber ainem armben Schuelmaister von obern Neukhürchen o Zeman Tanzer armben Schneid(er) o Michaeln Gauglhofer ainem gefangnen o Aber zwen andern, darundter der ainen Simon Khozkho gehaissen o wider zwen andern gefangnen, der aine Peter Schelimkh genant, o Hanns Christoffen Präutl, ainem vom Adl auf sein Schreiben o Simon Stupea ainem Bevelchshaber o ainem Franciscanner von Stain 1631 (Finanzwesen 40): o zu ainem Barmherzige(n) Closter in der Pfalz ligent o 2 gefangnen, der ain Alberti Blasey genant o ain Polnischen Geistlichen o Christoffen Wolkhabwickhten und Ursula Preuerin, zwo gefangne(n) Persohnen o dem Minichen, welche am Calnperg bey Wienn ein Clostter pauen o auf 15 Soldaten von Hellingman Schwerdtberg durch gefiert o daß ich sie unzt an den Särmingstain hab fiehren müssen lassen o 30 Soldaten unnd etlich darundter gewesten Bevelchshabern, unnd den haubt- man Hauser geherig o Joann Gorger Corporaln, und hl. obristen von Traun ligent, sambt 40 bey ime ge- habten Soldaten o Simon Khartenman, d(er) zum Gottshauß St. Margarethen zu Treflstorf ob St. Veith in Khärnten ligent, gesamblet o auf 18 Soldaten wid(er) obr(isten) von Traun gehörig o Hannsen Stern von Wilbmpurg, einem gar alt außgeplunderten man auf destweg habenden Schein Durchreisende und ihre Namen in Grein an der Donau 1624 bis 1644 209

o zu dem Gottshaus St. Andre zu Graz in der Vorstatt ligent o zu dem Gottshäuß der heilig Dreyfaltigkhait in Schlesien ligent o dito 60 Soldaten und etlichen Bevelchshabern, under Haubtman Seeauer und Obristen Premer gehörig o Den Gregorien Ring, ainem Leidenant under daß Neu Zelterungische Tegel gehö- rig, o zwen Geistlichen von Prag, von zu unser lieben Frauen Khirchen daselbs gesamb- let o Ainem gefangnen Weib Juliane Schmistlhoferin von Budtweiß o ainer gefangnen Frauen auß Poln, Anna Reudolffea genant o ainem Polnischen Geistlichen, o ainem Bevelchshaber, undter hl. Grafen von Kholoreta ligent 1632 (Finanzwesen 40): o ainem gefangenen vom Adl… namens Mathias Militschiky o Anna Fuerin, ainer Pilgrambin o ainem Geistlichen von zu Werzburg gefangenen gewesen Margaretha Schanpa- cherin genant persohn von Neuburg o 36 Soldaten unnder dem jungen Walnstainer ligent o Den 3 etlichen Soldaten under dem von Schäffenberg ligent o Item zu dem Closter Blogouna o Simon Khattermair der zu dem Mattshauß St. Margaretha in Khärnten gesamblet o ainem Corporaln, unnd 6 Soldaten under den Haubtman Käufftl ligent o 5 Soldaten unnder dem von Walnstain ligent o drey abunderlichen abprautlern von Haberskhürchen o ainem Geistlichen, mit ainem Scriba aus Hisspanien o Soldaten unndterm Haubtman Stäufftl ligent o ainem abpräutler von Preßnin aus Behamb, Geörg Pechne genant o Darzur zwen Geistlichen von Weissenberg aus Behamb, von zu unnser lieben Frauen Gottshauß daselbsten gesambt o Item Haubtman Vogl unnd etlichen bey ein gehabten Bevelchshabern o ainem Schuellmaister unnd drey Studenten von nach Passau raisen o ainem fuerer und dem Graumrischen Regement mit 21 Khnechten 210 Karl Hohensinner unter Mitarbeit von Julia Graser

1640 (Finanzwesen 42): o zwayen Brüdern des Ordens Miserinonti von Wienn geben o zwayen Munichen des Ordens Miseriodi v(on) Wienn o ainem Geistlichen auß Poln o zwey Franziscaner Münichen die nach Rom raisen o Sechs Soldaten und einem Corporale(n) von Raab o einem Geistlichen auß Behaimb der zu unser lieben Frauen Kürchen gesamblet gebe(n) o zwen Soldate(n) von Neuheußl o 2 Abprandtlern auß Behaimb o ainem von dem Adl auß Behamb 1641 (Finanzwesen 42): o zwayen abbrandler auß Böhme(n) geben o Soldaten, von Rab, auß Ungern geben o zwen Frauen vom Adel, auß der Schlössing geben o zwein abprändler auß Behamb geben o 2 Geistlichen auß Poln geben o 2 Barmherzigen Minich auß Prag geben o ainem vom Adel von Straspurg, sambt drey Kindern geben o zu unser lieben Frauen am Perg, bey Prag, ainem Pater geben o ainem Rüttmaister under dem Jungwallenstainerischen Regement gefangene ge- ben o ainem abprandler auß Behmben geben o 4 Soldathen von Neuheüsel geben o zwen gefangnen auß Crabathen geben o 3 Soldathen von Raab geben o zwen gefang(enen) auß Crabaten 1643 (Finanzwesen 43): o ainem vom Adl sambt seinem weib, auß dem Schlesien geben o zwen wälschen München gebenn o ainem Schuelmaister auß Mähren Durchreisende und ihre Namen in Grein an der Donau 1624 bis 1644 211

o 9 Soldatenn von vor Leibzig gefangen worde(n) o zwen Barmherzigen Prüdern von Prag o ainem arme(n) Mann sambt seinem Weib und Kindt, von durch daß Kriegs Volkh auß Mahrn verdriben word(en) geben o drey gefangenen auß Crabate(n) geben o von Raab 2 Soldaten geben o zwen Fratern Misercordia von Wienn gebe(n) o 2 Soldaten auß Ungarn geben o 2 Abbrändler auß Mähren o ainem Wälschen Münch geben o ainem armen vom Adl auß der Schlesien geben o ainem armen Weib von Walfahrte(n) nacher alten Eting geraist, geben o 2 Soldaten von Neuheußl o ainem Wälschen Mann geben 1644 (Finanzwesen 43): o ainem kranckhen Organisten (der) vo(n) Krembs heraus geraisst, geben o Item zwen Schuelmaistern, ainer vo(n) Neumarckht, und der and(er) von Diet- furth, geben o ainem kranckh Stattschreiber von Königshof(en) o 6 Bayrische(n) Soldat(en)von zu irem Reg(ement) geraisst o ainer Abprändlerin von Herrland bey Pöchlarn in Nid(er)österreich o ainem Gefangnen von den Türckhen gebe(n) o ainem Schuelmaister und Organiste(n) von Pfaffenhofen o zwen Religios(en)von Läbach, den ir Closster abgeprennen, geben o ainem Schuelmaister von Porreith o ainer v(er)dribn(en) Edlfrauen auß Mähren sambt ihrem Sohn o Ainem Gefangnen von de(n) Türckhen o ainem alten 70-järig Fuehrman auß dem Reitlandt o Ainem Pilgram v(on) nachn Rom graist o 2 von Schwede(n) gefangnen Soldate(n) o ainem Pilgram so von irem obist(en) M. Testimonium vorgeraisten, unnd nach Rom zu raisen licenz 212 Karl Hohensinner unter Mitarbeit von Julia Graser

o ainem Schuelmaister von Kilb ausser Mölckh gebe(n) o mehr 3 Pilgra(men) so von Rom herauß geraisst o ainem Schuelmaister auß dem Franckhlandt o ainem vor Leipzig beschedigten Soldat(en) o zwen Kunststälckn, so in d(as) Re(ich) geraist und irn Passbrief vorgewis(en) o zwen Religiosen von Nigglisspurg o ainem Schreiber vo(n) Krumau, so außgeplindert worde(n) o ainem vor Magdeburg beschedigte(n) Reitter o ainem Gerichtsdienner von Waidtho(ven) o ainem Schreiber vom Closster Wisobach auß Bayrn o ainem Wälschen Religiose(n) o ainem Studenten vo(n) Peurbach o zwen Behaimsche(n) Religiose(n) o ainem Abprändler auß Mähren o ainem kranckh(en) Advocate(n) vo(n) Lünz unnd seinem Weib o zwen Studenten so vo(n) Salzburg(en) nach Wie(n) geraisst o zwen Reiter(n), so willens in Bayrn, zu raisen o ainem armen Schuelmaister von Braunnau o ainem vom Türckhen gefangnen o zwen Pilgramb, so von Rom herauß und nach Pressburg geraisst o ainem arme(n) von Adl auß d(em) Schlesien mit zway Khind(er)n o ainem Schuelmaister, von Mellerstatt auß dem Franckhenlandt o ainem Kürchensambler vo(n) Villach auß Kärnte(n), zu erpauung ainer Neu(en) Kürchen o zwen Barmherzigen München vo(n) Wien o ainem Abprändler auß Mähren bei Zri o ainem Pilgram d(er) von Rom herauß geraist o vo(n) Preisach, sambt 2 Khinder(n) o vier krumpen Soldate(n), so vor Haidelberg geschedigt worden o ainem Pilgramb vo(n) Hainburg auß Ungarn o ainem Soldate(n), d(er) bey der Reichs Armada 144 Monat gedient o ain teformirten Leitenant und 2 Soldate(n), so zu Leüpzüg gefang(en) gewest Durchreisende und ihre Namen in Grein an der Donau 1624 bis 1644 213

o ainem Wälschen Münch o ainem Schuellmaister vo(n) Widtingam o ainem arneb Marckhtschreiber v(on) Haßlach auf d(er) Mühl o 5 Studenten, so nacher Passau geraisst o ainem Fendrichfuehrer so vor Leipzig durch den rechte(n) Armb geschoss(en) werd(en) o Den lessten dito zwen Bevelchshabern, so von Brün, zu d(en) Bayrischen Reichs- armee geraist o ainem Handtwerchsgesöll(e)n, der sein kranckhheit in Pade(n) willens zu cur- ir(en) o ainem Soldate(n) so von Brün herauß geraisst o ainem Fuehrer, so etliche Soldaten mit sich, wegen irer Gsundtheit nach Haag gefuerth o aber vier Soldate(n), so gelt nach Wienn Confoirs habe(n) o zwen Bayrischen Soldate(n) o ainem von Rom herauß geraisst

Literaturverzeichnis

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Handschriftliche Quellen

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Rosa Kohlheim Hair-Force One, Le Coiffeur, La Bellezza: Fremdsprachige Namen für Friseurgeschäfte in Deutschland

1. Einleitung Unterden heutigen Namen für Friseurgeschäfte in Deutschland fallen zwei Ty- pen ins Auge. Bei dem ersten Typ handelt es sich um traditionelle Namen, die neben einem Appellativ, das sich auf das Gewerbe bezieht, den Vornamen, den Familiennamen oder den Gesamtnamen der Inhaberin bzw. des Inhabers ent- halten. Als Beispiele hierfür lassen sich Friseursalon Helga (Regensburg), Blind- zellner Friseurgeschäft (Bayreuth), Friseur Ingeborg Schlegl (Nürnberg), Ludwig Dorn Friseursalon (Bamberg) anführen.1 Bei dem zweiten Typ handelt es sich um in den letzten Jahrzehnten aufgekommene Namen, die durch ihre sprachli- che Kreativität besonders auffallen.2 Sie werden teils mit einheimischem Wort- schatz (z.B. Haubner’s Haarerlebnis und Friseursalon Haar-genau in Bayreuth, Kopfkunst Friseur und Haarwunder in Regensburg, Friseur der kleinen Preise in Bamberg, HAARSCHARF in Nürnberg), teils mit fremdsprachigem Wortschatz (HAIR-FORCE ONE und Salon Hairpoint in Bayreuth, Hair & Beauty in Nürn- berg, Salon Le Coiffeur in Bamberg, La Bellezza Friseur in Bayreuth), teils mit hybridem Wortschatz (Ulli’s Haar-Design in Bayreuth, HAIR TREFF am Treib- berg in Nürnberg) gebildet. Hauptgegenstand dieses Beitrags sind ausgewählte fremdsprachige Namen von Friseurgeschäften, die aus den „Gelben Seiten“ der Telefonbücher von vier süddeutschen Städten (Nürnberg, Bamberg, Bayreuth und Regensburg) ent- nommen wurden.3

–––––––— 1 Über Namen von Friseurgeschäften in der Region Magdeburg, die einen Familien- namen enthalten, siehe BERGIEN/BLACHNEY 2009: 532ff. 2 Vgl. GERDES 2005: 15–17 für Berlin, KOHLHEIM (2015) für Bamberg, Bayreuth und Regensburg. 3 http://www.gelbeseiten.de/friseur (letzter Zugriff für Bamberg, Bayreuth und Regens- burg: 7.4.2014, für Nürnberg: 1.5.2015). Für Bayreuth wurde außerdem der Name des Friseurgeschäftes Cutastrophe berücksichtigt, der in dem herangezogenen Tele- fonbuch noch nicht verzeichnet war. 216 Rosa Kohlheim

2. Fremdsprachige Elemente in den Geschäftsbezeichnungen

Zunächst soll kurz auf die fremdsprachigen Elemente eingegangen werden, die uns in den Bezeichnungen für das Geschäft, wo man sich die Haare herrichten lässt, begegnen. Häufig wird auf ein solches Geschäft mit dem Pseudogallizis- mus Friseur, einer Berufsbezeichnung, die in Deutschland seit dem 18. Jahr- hundert bezeugt ist, referiert. Das im Französischen nicht lexikalisierte Wort Friseur ist eine Weiterentwicklung von frisieren, das im 17. Jahrhundert über ndl. friseren aus frz. friser ʻkräuseln’ entlehnt wurde, ursprünglich das Zurecht- machen der Perücken bezeichnete und später die allgemeine Bedeutung ʻdie Haare herrichtenʼ annahm (KLUGE 1995: 287; DUDEN 2007: 238). Dass die der deutschen Orthographie angepasste Form Frisör im untersuchten Material nur selten vorkommt,4 deutet auf eine Vorliebe für französisches Flair seitens der Geschäftsinhaber hin. Das Kompositum Friseurgeschäft ist eine sachliche Be- zeichnung, die wohl wegen ihrer Nüchternheit eher selten als Namenbestandteil fungiert. Sehr beliebt ist hingegen die Bezeichnung Friseursalon, die durch das Grundwort -salon, eine Entlehnung aus der Prestigesprache Französisch, an- spruchsvolle Ausstattung und Vornehmheit suggeriert. Als Synonym von Fri- seursalon begegnet auch die verkürzte Form Salon (z.B. Salon Anita in Bam- berg).5 Dass die Bezeichnung Damensalon (z.B. Heike’s Damensalon Friseur in Bamberg) nur sehr selten anzutreffen ist, ist nicht verwunderlich, da die früher übliche Trennung in Damen- und Herrenfriseure inzwischen weitgehend auf- gehoben ist. Zusammensetzungen mit dem Lehnwort frisieren als Bestim- mungswort (z.B. Peter’s Frisierstube in Bayreuth, Brigittes Frisierstübchen in Nürnberg, Evi’s Frisiersalon in Regensburg) spielen nur eine sehr bescheidene Rolle. Coiffeur, die französische Entsprechung von dt. Friseur, wurde im 19. Jahrhundert entlehnt (KLUGE 1995: 156). Coiffeur gehört in Deutschland, anders als in der Schweiz, der gehobenen Sprachebene an (DUDEN 2013: 296) und trägt – wie etwa bei Maisel Coiffeure (Bayreuth) – wegen seiner sprachlichen Her- kunft zu einer positiven Konnotation des ganzen Namens (Mode, Eleganz) bei. Das urprünglich aus dem Italienischen stammende Grundwort -studio ʻWerk- statt eines Künstlers’ in der zurzeit beliebten Geschäftsbezeichnung Haarstudio

–––––––— 4 Komposita wie Frisörgeschäft und Frisörsalon sind ebenfalls selten. 5 Das Wort Salon ist auch im Englischen üblich. Ein Beispiel aus Manchester ist The Golden Hair and Beauty Salon (https://www.wahanda.com/places/at-hair-salon/in- city-centre-manchester-uk), Zugriff am 21.6.2015. Fremdsprachige Namen für Friseurgeschäfte in Deutschland 217 deutet an,6 dass manche Friseure ihre Tätigkeit nicht primär als Handwerk, sondern als kreative Kunst betrachten (vgl. GERDES 2005: 15). Damit im Ein- klang steht das gelegentliche Vorkommen von gleichbedeutend frz. -atelier (z.B. Frisurenatelier Ingrid Matt in Regensburg, Haaratelier Dietrich in Nürnberg) und dt. -werkstatt (z.B. Haarwerkstatt Uschi Fröhlich in Regensburg, Haarwerk- statt Frellner in Nürnberg) sowie der Anglizismen Hairstylist / Hairstylistin < engl. hair stylist (z.B. Olga Weber Hairstylist in Regensburg, Hairstylistin Sarah in Nürnberg), die im Deutschen im Sinne von ʻFriseur mit künstlerischem An- spruch’ verwendet werden (DUDEN 2013: 497f.). Geschäftsbezeichnungen wie Friseurteam (z.B. Friseurteam Alexander Meir in Regensburg, Friseurteam Thi- mo Hahne in Bayreuth) wirken modern und effizient. Dem neuerdings in der Friseurbranche begegnenden Anglizismus -lounge (z.B. Haarlounge Robert Ret- tich in Regensburg, Sebastian Haar Lounge, Heiko Betz Hair Lounge und Styling Lounge in Nürnberg, Emelies HairLounge in Bayreuth) haftet ein Hauch von Luxus und Internationalität an, er lässt an weite Flugreisen, an große Hotels und elegante Cocktailbars denken. Der Gallizismus -boutique, im Deutschen im Sin- ne von ʻkleiner Laden für meist modische Artikel’ verwendet (DUDEN 2013: 270), begegnet zweimal in Nürnberg (Carin’s Friseurboutique, Hedi’s Fri- seurboutique), er verleiht den damit gebildeten Komposita ein positives Image (Exklusivität, Modebewusstsein). Ungewöhnlich ist HAIR INN (engl. inn ʻGasthaus’) als Name eines Nürnberger Friseurgeschäfts, doch verzeichnen BERGIEN/BLACHNEY (2009: 530) einen ähnlichen Namen – Beauty-Inn – für ein Kosmetikstudio in der Region Magdeburg.

3. Fremdsprachige Namen von Friseurgeschäften

Firmennamen, darunter auch die Namen von Friseurgeschäften, sind meist selbst gewählte Namen. Sie „widerspiegeln gesellschaftliche Prozesse und Auf- fassungen [...], da sie bewusst zur Erzielung eines bestimmten Effekts“ gebildet worden sind (BERGIEN/BLACHNEY 2009: 527). So zielen die in den letzten Jahren aufgekommenen kreativen Namen von Friseursalons nicht nur darauf, das be- treffende Geschäft zu identifizieren, sondern auch dessen Attraktivität durch suggestive Namenprägungen zu steigern.7 Hierbei spielen so genannte „Attrak- toren“ – der Terminus stammt von Ludger KREMER (2007: 181) – eine wichtige –––––––— 6 Die Geschäftsbezeichnung Friseurstudio (z.B. Friseurstudio Nicole Dobler in Regens- burg) tritt nur vereinzelt auf. 7 Die Funktion persuasiver Namen besteht darin, dass sie positive Vorstellungen bei der potentiellen Kundschaft hervorrufen. Vgl. SJÖBLOM (2007: 304f.). 218 Rosa Kohlheim

Rolle. Zu den „Attraktoren“ zählen neben der Verwendung von fremdsprachi- gem Wortschatz (z.B. Hair & Beauty in Nürnberg) auch Wortspiele (z.B. Fri- seursalon Haar-genau (Bayreuth), Abweichungen von der üblichen Recht- schreibung (Haubner’s Haarerlebnis in Bayreuth, Best4You in Nürnberg),8 be- sondere graphemische Effekte wie Großschreibung des ganzen Namens (z.B. HAIR-FORCE ONE in Bayreuth, HAIR INN in Nürnberg), Binnengroßschrei- bung (z.B. HairSolution in Nürnberg), Kleinschreibung (z.B. hairkiller in Re- gensburg und Nürnberg), Getrenntschreibung von Komposita (z.B. Maxi’s Hair Style < engl. hairstyle ʻFrisur’ in Regensburg) u. a. Fremdsprachige Ausdrücke finden bei den kreativen Namen von Friseur- geschäften gern Verwendung, da sie dazu geeignet sind, „Aufmerksamkeit zu erregen. Außerdem aktivieren sie Vorstellungen und Lebenswelten, welche mit bestimmten Ländern […] fest verknüpft sind“ (FAHLBUSCH 2011: 65). Während Frankreich traditionell „mit dem superben Chic in der Haute Coiffure“ stereo- typisch in Verbindung gebracht wird, wird heute „eher anglophonen Tönen zu- getraut, die hippen Styles und Trends zu transportieren“ (GERDES 2005: 15). Diese Tendenz tritt auch in unserem Material zutage, das am häufigsten Anglizismen aus dem semantischen Umfeld des Haars und dessen Pflege auf- weist.9 Die Namen können ganz schlicht mit engl. hair ʻHaar’ und engl. hairstyle ʻFrisur’ auf das Hauptanliegen des Geschäfts hinweisen, so z.B. Daniel’s Hair (Nürnberg), Hair 12 (Bayreuth, Nürnberg), Hairstyle Tanja Semmler (Regens- burg) und Maxi’s Hair Style (Regensburg). Nicht sicher zu beurteilen ist die in- tendierte Funktion und Bedeutung der englischen Präposition by in Namen wie Hair by Ali Frisör (Bayreuth), Hairstyle by Sabine Scholz Friseur (Bayreuth) und Hairstyle by Giovannella Gordon (Nürnberg). Beabsichtigte man hier eine Art Passivkonstruktion im Sinne von (done) by oder wollte man die deutsche Präpo- sition bei, die in Bildungen wie Friseursalon Living Hair bei Sonia (Nürnberg) gelegentlich auftaucht, durch engl. by wiedergeben? Teils mit englischem, teils auch mit hybridem Wortschatz werden Namen ge- bildet, die positive Assoziationen (Schönheit, Qualität, künstlerischer Anspruch, Modebewusstheit, Originalität) hervorrufen und dadurch eine persuasive Wir-

–––––––— 8 Vgl. FLEISCHER/BARZ (2012: 194): „Die abweichenden Schreibungen stehen vor- nehmlich im Dienst von Werbefunktionen: Aufmerksamkeit hervorrufen, Origi- nalität signalisieren und Einprägsamkeit unterstützen […].“ 9 In der Region Magdeburg wurde zwischen 1991 und 2006 eine deutliche Zunahme von Anglizismen bei der Benennung von Friseursalons festgestellt (s. BER- GIEN/BLACHNEY 2009: 530, Abb. 1). Fremdsprachige Namen für Friseurgeschäfte in Deutschland 219 kung auf die potentielle Kundschaft ausüben sollen. Namen wie Hair Beauty Fri- seursalon (Regensburg), Hair & Beauty (Nürnberg), Beauty Point (Nürnberg), PERFECT HAIR (Nürnberg), HairSolution (Nürnberg), Friseursalon Living Hair bei Sonia (Nürnberg), Friseursalon Haarlife (Nürnberg), Hairdream-Studio Fri- seur (Nürnberg), Haarstudio Magic Hair Friseur (Bayreuth), Friseur Glamour (Bayreuth), Pretty Women Friseur (Nürnberg) verheißen den Kundinnen nicht nur glänzendes Haar und schöne Frisuren, sondern auch ein attraktives Ausse- hen. Eine ganze Reihe von Namen unterstreicht die Qualität des jeweiligen Ge- schäfts und dessen besondere Eigenschaften, etwa Best4You (Nürnberg), STYLE- X-PRESS (Nürnberg), Top Hair (Bamberg, Nürnberg), Hair World (Regensburg), Hair Flair by Jasemin (Nürnberg), Salon Hairpoint (Bayreuth), Salon Hair Finish (Bayreuth), Cut & Color Haarmode (Nürnberg), Zoe – Cutting Club (Nürnberg), Cutting Crew Andreas Nuissl (Bayreuth), Slick cut Friseursalon (zu engl. slick ʻglatt’; Nürnberg), ProCut Friseursalon (Nürnberg), Super Cut im EKZ (Nürn- berg). Eine künstlerische Auffassung des Friseurberufs verraten Namen wie Art of Cut Friseur (Nürnberg), Art of Hair (Nürnberg), Theo’s Hairdesign und Hair De- sign Susanne (Nürnberg), Ulli’s Haar-Design (Bayreuth), Hairconcept by S. Kauf- mann und Hairconcept – Susanne Geiger (Nürnberg), Creative Hair (Nürnberg) sowie die eigenwillige Namenprägung CreaStyle & Nagelstudio (aus engl. creative und engl. style ʻHaarschnitt, Frisur’; Nürnberg). Auf eine Kundschaft, die beson- deren Wert auf eine modische Frisur legt, richten sich Namen wie Trendhair (Nürnberg), Friseur New Hair (Regensburg), New Hair (Nürnberg), Hair Fashion (Nürnberg), Friseursalon Hair Fashion by Tanja (Regensburg). Der Name Free- style de Luxe Friseur (Bayreuth) suggeriert sowohl Originalität und Unkonventio- nalität als auch einen anspruchsvollen, luxuriösen Service. Letzteres gilt auch für Deluxe Haarstudio in Regensburg. Namenbildungen wie hairkiller (Regensburg, Nürnberg) und Head Attack Fri- seur (Regensburg) vermögen wegen ihrer ungewöhnlichen Semantik Aufmerk- samkeit zu erregen. Gelegentlich begegnet man auch Namenprägungen mit engli- schem Wortschatz, die im Englischen nicht möglich sind: z.B. Friseur Care Hair (Nürnberg) statt Friseur Hair Care (vgl. engl. hair care ʻHaarpflege’). Ein weiteres Beispiel ist Wellnesshair Friseurstudio (Nürnberg). Ist damit hair wellness (etwa ʻguter / gesunder Zustand des Haars’) gemeint? Wellness in der in Deutschland geläufigen Bedeutung ʻumfassendes Fitness- und Gesundheitsprogramm, das zu physischem und psychischem Wohlbefinden führt’, ist in englischen Wörterbü- chern nicht belegt (ANGLIZISMEN-WÖRTERBUCH 1996: 1704). Bei dem Namen Miss Coiffeur on Tour – so heißt ein Bayreuther Heimfri- seurservice – treten Englisch und Französisch nebeneinander auf. Kreative Na- menbildungen mit französischem Wortschatz sind selten. Im untersuchten Ma- 220 Rosa Kohlheim terial kommen vor Salon Le Coiffeur – Friseur am Gabelmann und Place du Coiffeur in Bamberg, Flair, En vogue und Intercoiffure in Nürnberg sowie Fri- seur Salon Charmant in Bayreuth. La Gracia (ʻDie Anmut’) in Bayreuth ist das einzige Bespiel für eine Namen- bildung mit spanischem Wortschatz. Englisch und Italienisch begegnen uns in dem Namen des Nürnberger Friseursalons New Hair – Il mondo della bellezza (ʻNeues Haar – Die Welt der Schönheit’). Weitere Bildungen mit italienischem Wortschatz sind Creativo Friseursalon, Antonio Stile Italiano und Estetica Fri- seur in Nürnberg sowie La Bellezza Friseur in Bayreuth. Bemerkenswert sind die im Nürnberger Telefonbuch verzeichneten italianisierenden Namenprägungen mit den Superlativendungen -issimo / -issima: Friseur Stylissimo, Stylissima und Creatissima Haardesign. Ähnlichen Bildungen begegnet man auch bei Produkt- namen und Eventonymen: Unter dem Namen Cremissimo bietet die Fa. Unile- ver Speiseeis in verschiedenen Geschmacksrichtungen an, unter dem Namen Tassimo die Fa. Jacobs eine ganze Palette von Kaffeesorten. Das Kulturfest Canalissimo fand am Alten Kanal in Bamberg (23. bis 26. Juli 2015) bereits zum zehnten Mal statt. Unter den kreativen Namen von Friseursalons sind solche, die ein Wortspiel enthalten, besonders interessant. Kennzeichnend für das Wortspiel ist nach HAUSMANN (1974: 111) die „simultane Präsenz deutlich unterscheidbarer Be- deutungen“, wobei im untersuchten Material ein geistreicher, witziger Bezug zum Tätigkeitsbereich des Friseurs angestrebt wird. Für eine beliebte Technik des Wortspiels, die in einer leichten Änderung der lautlichen Gestalt eines Wortes oder Eigennamens besteht, finden sich einige Beispiele in unserem Material: So ist aus Air Force One, dem Namen des Flug- zeugs des amerikanischen Präsidenten, HAIR-FORCE ONE, der Name eines Bayreuther Friseursalons, enstanden, ähnlich HAIRFORCE – Salomon Rainer (zu engl. air force ʻLuftstreitkräfte’) in Nürnberg. Bei dem Namen des Friseurge- schäftes On Hair (Bayreuth) liegt eine Abwandlung von engl. on air vor, das in der Redewendung to be walking or floating on air ʻwie auf Wolken gehen’ ent- halten ist. O’Haara Friseur (Nürnberg) stellt eine Abwandlung des irischen Fa- miliennamens O’Hara dar. Bei Hair Line (Bamberg) ist neben dem intendierten Bezug auf das Haar (engl. hairline ʻHaaransatz’) noch mit dem gleichzeitigen Aufscheinen von engl. airline ʻFluggesellschaft’ zu rechnen. Außerdem liegt hier Homophonie mit dem deutschen Diminutiv Härlein vor. Homophonie spielt ebenfalls eine Rolle bei dem Namen des Friseursalons Unicut. Bei annähernd englischer Aussprache besteht Homophonie mit dt. Uni- kat, gleichzeitig aber weist der erste Namenbestandteil Uni- auf die Lage des Fri- seurgeschäfts in unmittelbarer Nähe des Bayreuther Universitätsgeländes, der Fremdsprachige Namen für Friseurgeschäfte in Deutschland 221 zweite Namenteil -cut (engl. to cut ʻschneiden’) auf die Haupttätigkeit des Fri- seurs, das Haareschneiden, hin. Letzteres trifft auch für den originellen Friseur- namen Friseur Cutastrophe zu, der bei englischer Aussprache der ersten drei Buchstaben homophon mit dem Appellativ Katastrophe ist. Bei dem Nürnber- ger Namen Friseur Atmosphair kommt die Homophonie mit franz. atmosphère ins Spiel. Die Abwandlung von bekannten Zitaten aus literarischen Werken gehört zu den beliebten Techniken des Wortspiels. Ein Beispiel hierfür ist der Name eines Nürnberger Friseurgeschäfts, der TOUPET OR NOT TOUPET lautet. Das im 18. Jahrhundert aus dem Französischen entlehnte Wort Toupet ʻHaarteil’ (KLUGE 1995: 830) weist eindeutig auf den Friseurberuf hin, gleichzeitig aber ist die An- spielung auf Hamlets Monolog – „to be or not to be“10 – unüberhörbar.

4. Schluss

Namen von Friseurgeschäften, die ganz oder zum Teil mit fremdsprachigem Wortschatz gebildet sind, fallen zwar auf, doch sind sie in den untersuchten Städten (Nürnberg, Bamberg, Bayreuth und Regensburg) keinesfalls dominant. Ihr Anteil macht beispielsweise in Bayreuth ungefähr ein Drittel der im Tele- fonbuch eingetragenen Friseursalons aus.11

Literatur

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Claudia Maria Korsmeier „Exotische“ Namen: Von Afrika bis Sibirien in Deutschland unterwegs

Als exotisch bezeichnet man Fremdes, auch Fremdländisches, geographisch ein- geengt sogar nur die Tropen. So schlägt es jedenfalls Wahrig vor (WAHRIG 1977: 1216). Die Konnotation, die das Wort ‘exotisch’ gegenüber ‘fremd’ hat, zielt jedenfalls auf das sehr bewusst wahrgenommene Fremde. Als „exotisch“ können Ortsnamen in Deutschland – wie Afrika, Sibirien, Cuba oder Ägypten, aber auch Bethlehem, Rom oder Port Arthur – deswegen angesehen werden, weil sie anderswo Länder oder Orte benennen, die zuerst mit diesen Namen verbunden werden. Solange solche Namen zuerst mit den fremden Orten in Verbindung gebracht werden, bleiben sie exotisch, erst recht, wenn es sich um Ländernamen handelt, die hier Orte, oftmals auch nur Ortsteile benennen. Da- bei kann es sich um Namenübertragung handeln,1 aber auch um originäre Orts- namen, die lediglich wie Nachbenennungsnamen erscheinen. Solche „exotische“ Ortsnamen sind vielfach Gegenstand populärwissenschaft- licher und unterhaltsamer Publikationen, insbesondere in den Printmedien. Ihnen mangelt oft der Nachweis von historischen Fakten, der, wenn er auch durch Anekdoten ersetzt wird, eine seriöse wissenschaftliche Untersuchung dieser Namen erschwert, wenn nicht verhindert.2 Zahlreiche für diesen Beitrag in Frage kommende „exotische“ Ortsnamen, die gleichwohl existieren, können deswegen entweder gar nicht berücksichtigt werden oder nur Erwähnung finden. Namenübertragung wurde von Robert Rentenaar unter dem von ihm ge- prägten Terminus der Nachbenennung als Namengebungsprozess beschrieben, in dem „man bewußt ein anderswo existierendes Toponym zur Benennung ei- ner Örtlichkeit gewählt hat“ (RENTENAAR 1996: 1013). Übertragene Namen be- nennen also eigentlich schon einen anderen Ort, der hinreichend weit entfernt und zugleich sehr bekannt ist. Das berührt weitere Bedingungen, die Rentenaar erörtert: Der bewusste (Nach-)Benennungsprozess beruhe auf den „mit dem –––––––— 1 Namenübertragung in deutschen Ortsnamen war noch nicht oft Gegenstand wissen- schaftlicher Untersuchungen. Zu nennen sind LAUR 1964, JOCHUM-GODGLÜCK 2002 und JOCHUM-GODGLÜCK 2004, allerdings mit einem großen Anteil französischer Beispielnamen. 2 Riecke spricht sehr treffend von einer „folkloristische[n] Blütenlese“ (RIECKE 2004: 218). 224 Claudia Maria Korsmeier

Namen verbundenen sekundären Konnotationen oder assoziativen Bedeu- tung(en)“, ohne dass es einen „topographischen Zusammenhang“ zwischen dem Ausgangsort und der Stelle, die mit seinem Namen benannt wird, gibt, weswegen „die Nachbenennung [...] also bei der Namengebung das wesent- liche Moment“ war und übertragene Namen als Nomen proprium „prinzipiell eingliedrig“ sind (RENTENAAR 1996: 1013). Bei „exotischen“ Ortsnamen muss aber nicht unbedingt Namenübertragung vorliegen. „Es gibt daneben auch Ortsnamen, die mit einem Nachbenennungs- namen homonym sind, trotzdem aber auf eine andere Weise entstanden sind. Sie sind das Ergebnis verschiedener Umbildungsprozesse“ (RENTENAAR 1986: 77). Rentenaar spricht von „Pseudonachbenennungsnamen“ (RENTENAAR 1986: 80). Für solche Ortsnamen, die nur scheinbar übertragene Namen sind, gelten wichtige Kriterien für Nachbenennungsnamen nicht, zumindest nicht in vollem Umfang. Denn ein Ortsname, der mit einem anderswo existierenden Namen gleichlautend ist, kann in dieser lautlichen Gestalt anders entstanden sein oder kann die Homonymie erst spät erreicht haben. Sie kann Ergebnis einer lautlichen Entwicklung oder bewusst herbeigeführt worden sein. Solche Namen sind im Sinne der Definition Rentenaars nicht eingliedrig. Die assoziativen Zu- sammenhänge mit dem vermeintlichen Vorbildnamen gelten hier ebenfalls nicht oder spielen nur dann eine Rolle, wenn die letztendliche Homonymie be- wusst herbeigeführt worden ist. Rentenaar spricht hier von „volksetymolo- gischen Umbildungen“ (RENTENAAR 1986: 78ff.). Toponyme, die mit anderen Ortsnamen homonym sind, für die jedoch keine Namenübertragung nach- gewiesen oder angenommen werden kann, unterliegen allen Entstehungs- und Entwicklungskriterien eines Ortsnamens. Es ist auch zu unterscheiden zwischen übertragenen Namen, die eine Stätte erstmals benennen, und solchen, deren ursprünglicher Name durch einen Nachbenennungsnamen ersetzt wurde. Dann liegt außerdem Namenwechsel vor. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass Namenwechsel auch über Bei- namen erfolgen kann, dass der ursprüngliche und der übertragene Name also zeitweise nebeneinander existiert haben (RENTENAAR 1986: 74). Jüngere Nachbenennungsnamen werden als solche ohne weiteres erkannt und sind vielfach Gegenstand populärwissenschaftlicher Publikationen wie zum Beispiel des Atlas der 999 Seltsamen [sic] Ortsnamen. Nachbenennungsnamen älterer Zeit werden mitunter nicht mehr als solche erkannt, weil das Fremde, das in ihnen zum Ausdruck kommt, entweder durch eine fortgeschrittene lautliche Entwicklung nicht mehr ins Auge fällt oder durch die historische Entwicklung keine Relevanz mehr hat. Solche Namen sind dann nicht mehr als „exotisch“ zu bezeichnen. Rentenaar fragt in diesem Zusam- „Exotische“ Namen: Von Afrika bis Sibirien in Deutschland unterwegs 225 menhang danach, ob „das Verschwinden der Homographie gerade ein Hinweis darauf [ist], daß es kein Homonymiebewußtsein mehr gab“ (RENTENAAR 1986: 73, 80f.). Auf den Ortsnamen Montabaur wird dies zutreffen. Nicht immer liegt Namenübertragung vor, auch wenn sich diese Annahme aufzudrängen scheint. Wolfgang Laur hat dies in seiner Untersuchung von Na- menübertragungen im Zuge der angelsächsischen Wanderungen, bei der er nur wenige tatsächliche Namenübertragungen feststellen konnte, deutlich heraus- gearbeitet (LAUR 1964; vgl. auch BLOK 1971: 8f.). Bedingung für Namen- übertragung ist, dass der Name in seiner Bildungsweise nicht so verbreitet ist, dass er ohnehin vielfach vorkommt (BLOK 1971: 15 spricht von „ubiquitäre[n] Namen“; vgl. auch LAUR 164: 292f.). Die Möglichkeit, die Übertragung des Na- mens auch zu erkennen, muss also gegeben sein (vgl. BLOK 1971: 11ff.). Von Bedeutung für die Auffälligkeit eines Ortsnamens als „fremd am Ort“ ist auch der Raum, in dem Namen als solche wahrgenommen werden. So kön- nen auch deutsche Ortsnamen durchaus in Deutschland als fremd oder sogar exotisch auffallen, wenn sie mit einer bestimmten Region eigentlich nicht in Verbindung gebracht werden. So ist der Name einer kleinen Siedlung im nord- rhein-westfälischen Kreis Warendorf homonym mit dem der Universitätsstadt Göttingen (vgl. KORSMEIER 2011: 169f.). Unsicherheit besteht darüber, ob Nachbenennungsnamen in „Namen- feldern“ (JOCHUM-GODGLÜCK 2004: 163), also als „Ortsnamen-Nester“3 auftre- ten. Christa Jochum-Godglück zufolge gibt es „keine auffälligen Verdichtungs- zonen“; sie kämen aber „gelegentlich paarweise“ vor (JOCHUM-GODGLÜCK 2004: 163). Dirk P. Blok untersuchte mehrere Namenfelder mit mehr als zwei möglicherweise übertragenen Namen, ist aber ebenfalls zurückhaltend (BLOK 1971: 13ff.). Paarweise treten zum Beispiel die übertragenen Namen Russland und Amerika (Ortsteile von Friedeburg, Kreis Wittmund), Brasilien und Kali- fornien (Ortsteile von Schönberg, Kreis Plön) oder Port Arthur und Transvaal (Ortsteile der kreisfreien Stadt Emden) auf. Ein mehrfach erwähntes größeres Namenfeld liegt allerdings mit den von Friedrich II. gegründeten Siedlungen an der Warthe im heutigen Polen vor; die Namen, darunter auch ein Ort Philadelphia, existieren bis auf Malta nicht mehr oder sind durch polnische Namen ersetzt worden. Auch zur Gemeinde Stor- kow/Mark im Kreis Oder-Spree gehört ein Ortsteil Philadelphia, dessen Grün- dung ebenfalls mit Friedrich II. in Verbindung gebracht wird. Jörg RIECKE zi- tiert zum brandenburgischen Philadelphia einen Artikel der Wochenzeitung

–––––––— 3 Zum Phänomen paralleler Ortsnamenbildungen vgl. auch KORSMEIER (2014). 226 Claudia Maria Korsmeier

„Die Zeit“ vom 7. August 2003, in dem der Name Philadelphia auf Beschwerden der von Friedrich II. dort angesiedelten Kolonisten zurückgeführt wird, denen der ursprüngliche Name bei dem Hammlstalle nicht gefiel (RIECKE 2004: 216). „Er wollte die neue Welt in sein Land bringen“, wird die Geschäftsführerin eines lokalen Tourismusvereins zitiert (RIECKE 2004: 216). Mit dem Feld von mehr als einem Dutzend übertragener Ortsnamen an der Warthe, das heute in Polen liegt, hängt die Anekdote zusammen, dass Friedrich II. auswanderungswillige Bauern daran hinderte, in die USA zu reisen, und dafür sorgte, dass sie an der Warthe angesiedelt wurden, um das Land urbar zu machen; die dort entste- henden neuen Siedlungen erhielten als eine Art Trost die Namen amerika- nischer und überseeischer Orte und Länder, u.a. Philadelphia, Maryland, Jamai- ka, aber auch Malta und einige deutsche übertragene Ortsnamen (BACH 1981: II, § 638, 406f.; JOCHUM-GODGLÜCK 2004: 163). Diese Siedlungen hat BACH 1981: II, § 638, 407 auf seiner Karte Nr. 53 lokalisiert, so dass sie eindeutig als im heutigen Polen und nicht im brandenburgischen Kreis Oder-Spree bestimmt werden können (irrtümlich anders JOCHUM-GODGLÜCK 2004: 163).4 Die Assoziationen und mithin Motivierungen für Namenübertragung lassen sich trotz ihrer Vielschichtigkeit in wenigen Punkten zusammenfassen. Auffal- lend ist, dass viele der „sekundären Konnotationen“ (RENTENAAR 1996: 1013) nicht (mehr) ermittelbar und noch seltener zitierfähig sind.5 Gründe für Na- menübertragung sind die Herkunft des Namengebers selbst (oder von Nach- barn, die zur Nachbenennung Anlass gaben) aus bestimmten Orten, Regionen oder Ländern, auch wenn diese nur zeitweiliger Aufenthaltsort oder Ziel einer Reise waren (RENTENAAR 1996: 1015f.; BLOK 1971: 7ff.; vgl. mit Bezug auf den Saar-Mosel-Raum JOCHUM-GODGLÜCK 2004: 164ff.). Weiterhin konnten Asso- ziationen über das Erscheinungsbild der nachzubenennenden Stätte als Motive in Frage kommen, etwa Lage6, Form, Bewuchs, Bodenqualität (RENTENAAR 1996: 1016; BLOK 1971: 10; vgl. mit Beispielnamen aus dem Saar-Mosel-Raum JOCHUM-GODGLÜCK 2004: 167f.). Gründe für Namenübertragung im Zusam- menhang mit den Bewohnern können zum Beispiel Verhaltensweisen, politi- sche, wirtschaftliche oder religiöse Gesichtspunkte oder einmalige Ereignisse sein (RENTENAAR 1996: 1016f.; BLOK 1971: 10f.; vgl. wiederum mit Bezug auf den Saar-Mosel-Raum JOCHUM-GODGLÜCK 2004: 166f., 168).

–––––––— 4 Literatur zu Friedrich II. als „Kolonisator“ bei BACH 1981: II, § 540, 254. 5 Vgl. hierzu auch die Überlegungen von RIECKE 2004: 215ff. 6 Vgl. hierzu z.B. auch UDOLPH 2011: 33. „Exotische“ Namen: Von Afrika bis Sibirien in Deutschland unterwegs 227

Unter den „exotischen“ Ortsnamen, die im Folgenden vorgestellt werden, finden Flurnamen keine Berücksichtigung.7 Die Benennungsmotive sollen ge- genüber eher formalen Aspekten in den Hintergrund treten. Die Ortsnamen werden klassifiziert als „echte“ Nachbenennungsnamen, bei denen mithin Na- menübertragung vorliegt, und „Pseudonachbenennungsnamen“, also Namen, für die keine Namenübertragung konstatiert werden kann. Als „echte“ Nachbenennungsnamen sind zunächst Beispiele für Ortsnamen, die einen Ort erstmals benennen, zu erwähnen. Die älteren unter ihnen werden – im Gegensatz zu jüngeren – heute nicht mehr als „exotisch“ erkannt, und auch einige deutsche Ortsnamen, die in ihrer Umgebung „fremdländisch“ sind, fallen nicht unbedingt auf den ersten Blick als übertragene Namen auf. Corvey bei Höxter ist als schon im 9. Jahrhundert übertragener Name Corbeia nova nach Corbie an der Somme allseits bekannt.8 Dies trifft auch auf Herstelle im Kreis Höxter zu, das nach dem belgischen Herstal nordöstlich von Liège benannt wurde.9 Unsicherheit besteht bei Holland, einem heute nur noch in einem Straßennamen erhaltenen früheren Ortsteil von Herford, das im 14. Jahrhundert als ex domo in Hollande erstmals schriftlich erwähnt wurde (DARPE 1892: 90). Für den Namen, der später verschiedentlich als uppe den Hollande, upme Hollande u.ä. belegt ist (vgl. MEINEKE 2011: 139f.) kommen verschiedene Deutungsmöglichkeiten in Betracht. Er kann appellativisch mit einem Grund- wort -land und einem Bestimmungswort gebildet sein, das entweder auf as., mnd. holt ‘Wald’10 oder auf as. hōh, mnd. hō, hōch ‘hoch’ in einer flektierten, syntagmatischen Bildung, die nicht belegt ist, zurückgeht, aber möglicherweise auch auf mnd. holle ‘Landstück’. Trifft eine dieser Deutungen zu, handelt es sich um einen „Pseudonachbenennungsnamen“, der mit dem Namen der Grafschaft Holland lediglich homonym ist. Nicht auszuschließen ist aber auch Namen- übertragung nach dieser Grafschaft.11

–––––––— 7 Sie sind zum Beispiel Gegenstand der Untersuchung von RIECKE 2004: besonders 219ff., von WILL 1939 und werden teils berücksichtigt bei JOCHUM-GODGLÜCK 2002, JOCHUM-GODGLÜCK 2004 und REITZENSTEIN 2004. 8 Vgl. etwa BACH 1981: II, § 638, 405; BLOK 1971: 11; RENTENAAR 1996: 1014; RIECKE 2004: 217. 9 797 als Heristelli, 798 als apud Haristallio-novo erstmals belegt (MGH SS I, 37). Vgl. etwa BACH 1981: II, § 638, 405; BLOK 1971: 11; RENTENAAR 1996: 1014; JOCHUM- GODGLÜCK 2004: 160. 10 Mit Assimilation -tl- > -ll-. 11 Alle vier Deutungsmöglichkeiten werden bei MEINEKE 2011: 139f. diskutiert. 228 Claudia Maria Korsmeier

Beispiele für jüngere Ortsnamen, bei denen Namenübertragung vorliegt, sind die beiden Stadtteile Emdens, Port Arthur und Transvaal, die auf einem 1873–1875 gewonnenen Polder liegen, auf dem ab 1901 mehrere Arbeiter- siedlungen entstanden.12 Sie wurden nach der Schlacht von Port Arthur 1904 bzw. nach dem im 2. Burenkrieg 1899–1902 wichtigen Transvaal benannt. Sibi- rien heißt ein Ortsteil von Welzow im Kreis Spree-Neiße, der Ende des 19. Jh. als Bergarbeitersiedlung entstanden ist und wegen seiner Abgeschiedenheit den Namen erhielt (BISCHOFF 2009). Auf der Karte Atlas der 999 Seltsamen Ortsna- men sind in der Rubrik „Die weite Welt“ unter anderem die Ortsnamen Afrika für den Ortsteil Hessenhagener Mühle13 der Gemeinde Flieth-Stegelitz im Kreis Uckermark, Amerika für den Ortsteil Heselerfeld von Friedeburg im Kreis Wittmund, Brasilien, Ortsteil von Schönberg im Kreis Plön, Jerusalem, Stadtteil der Kreisstadt Meiningen, Kalifornien, ein weiterer Ortsteil von Schönberg (Kreis Plön), Kanada, Ortsteil von Münchenbernsdorf im Kreis Greiz und Wa- terloo, ein Ortsteil von Karstädt-Blüthen im Kreis Prignitz lokalisiert. Der Auricher Stadtteil Pfalzdorf ist als Siedlung von Auswanderern vom Niederrhein 1802 entstanden. Es handelt sich um eine Namenübertragung von Pfalzdorf im Kreis Kleve. Die Dörfer Pfalzdorf, Louisendorf und Neulouisen- dorf entstanden dort um 1741, nachdem pfälzische Auswanderer aus dem Hunsrück wegen Geldmangels und fehlender Papiere nicht nach Amerika aus- wandern konnten, sondern am Niederrhein festsaßen und sich dort ansiedelten. Die drei Dörfer dort bilden noch heute eine pfälzische Sprachinsel, in der der Dialekt, aber auch Brauchtum und Konfession bis heute gepflegt werden (vgl. MOTT 1989). Bei den niederrheinischen Ortsnamen liegt keine Namenübertra- gung vor. Durch Ortsnamenwechsel entstanden ebenfalls übertragene Namen. Galiläa ist ein Ortsteil von Meschede im Hochsauerlandkreis mit einem ehemaligen Domi- nikanerinnen-Kloster, der vormals Huckelheim hieß.14 „Die Benennung des Klos- ters ist zweifellos biblisch motiviert“ (FLÖER 2013: 176). Allerdings ist mit Galiläa hier offensichtlich nicht die Landschaft in Palästina gemeint, sondern eine gleich- namige Stelle auf dem Ölberg bei Jerusalem (HENGST 1992/2002: I, 325). Diese Stelle Galiläa wurde verschiedentlich als Ort der Himmelfahrt angenommen

–––––––— 12 SIEBERT/DEETERS/SCHRÖER 1980: 69ff., 217. 13 Hierzu ENDERS 1986: 427. 14 Erstmals schriftlich belegt 1308 in einer Abschrift des 18. Jahrhunderts: Hermannus de Hvkelhem (WUB XI Nr. 608, 347). Der Name Galylea tritt zuerst 1487 auf (WOLF 1981: G 52, 495). „Exotische“ Namen: Von Afrika bis Sibirien in Deutschland unterwegs 229

(KÜCHLER 2007: 904ff.; FLÖER 2013: 176). Das passt zum vorgängigen Namen des Mescheder Ortsteils, der als Huckelheim mit einem Erstbeleg Hvkelhem eine ‘Sied- lung an einem Hügel’ benennt,15 nämlich wohl am Wolfskopf, direkt bei Galiläa, oder am Hainberg, ca. 500 m weiter südlich (vgl. FLÖER 2013: 176). Verschiedene Belege zeigen, dass der ursprüngliche Name für die Siedlung und der Name des Klosters zeitweise nebeneinander bestanden und der Klostername als Beiname des Siedlungsnamens fungierte, ehe er diesen ersetzte.16 Montabaur im Westerwaldkreis hieß zunächst Humbach.17 Mitte des 13. Jahrhunderts wurde die Burg durch den Trierer Erzbischof Dietrich von Wied nach dem biblischen Berg Tabor (dem Berg der Verklärung Christi) benannt, der beim Kreuzzug von 1217, an dem Dietrich teilgenommen hatte, umkämpft war (vgl. NIEMEYER 2012: 415). Der Name des Essener Stadtteils Werden, bekannt durch die Klostergründung Liudgers, ist zwar durch Namenwechsel, hingegen nicht durch Namenüber- tragung aus dem Westfriesischen entstanden, wie mehrfach postuliert wurde.18 Vielmehr wurde die Stätte Uuerithina, die zuvor auch Diapanbeci hieß, Liudger im Jahr 799 von einem Hludwin geschenkt (LACOMBLET 1840–1857: I, Nr. 11, 7), wie Paul Derks ausführlich dargestellt hat (DERKS 1985: 21ff.). Keine Namenübertragung liegt bei einigen gleichwohl „exotisch“ klingenden Ortsnamen vor, etwa Cuba, einem Stadtteil von Gera, das erstmals 1534 in einem Visitationsprotokoll schriftlich erwähnt wurde, und zwar als Kuba (BRÜCK- NER1870: 423). 1897 wurde Cuba Untermhaus eingemeindet, 1919 dieses dann Gera. Der Name benennt eine Siedlung an der ‘Krümmung der Weißen Elster’.19 Rom liegt im Oberbergischen Kreis und ist Ortsteil des 5 km südlich gelegenen Morsbach. Der Name ist 1429 als Rome überliefert, 1575 als Room (PAMPUS 1998: 193; MOLL/MOLL 1987: 567, 573). Es handelt sich um Besitz der Herren von Die- zenkausen. Zugrunde liegt dem Namen mhd. rām ‘Schmutz, Ruß’ und damit –––––––— 15 Grundwort ist ndt. -hēm (hdt. -heim), Bestimmungswort as. *hukil ‘Hügel’, eine Bildung mit -l-Suffix zu germ. *huk- ‘Hügel’ (idg. *keu- ‘biegen, wölben’); vgl. FLÖER 2013: 176). 16 Z.B. 1498 Hukelhem gen. Galilea (WOLF 1981: G 55, 497). Vgl. auch den umge- kehrten Fall bei WOLF 1981: G 52, 495 zum Jahr 1487: „[...] des Klosters Galylea, früher geheißen Hückelheim (Hukelhem)“. 17 Erster schriftlicher Nachweis ist 959 in Humbacensis castelli (BEYER/ELTES- TER/GOERZ 1974: I, Nr. 204, 264). 18 Etwa von BACH 1981: II, § 638, 405; außerdem JAHN 1957: 31. 19 EICHLER 1987: II, 93 deutet den Namen als Bildung aus aso. *Kub-, das auf vorslaw. *kamb- ‘krumm’ zurückgehe. 230 Claudia Maria Korsmeier nicht ein Wort für „Erz und Metall“ (MOLL/MOLL 1987: 567), gleichwohl aber ein Ausdruck, der im Zusammenhang mit der Bergbautradition der Region steht. Bethlehem ist in Deutschland der Name eines Hofes bei Gütersloh, der im 16. Jh. als Bettelheim überliefert ist (JELLINGHAUS 1930: 78). Weder dieser Name noch der Ortsteil der Gemeinde Lärz im Kreis Mecklenburgische Seenplatte, der Troja heißt, entstanden aufgrund von Namenübertragung. Der 1793 nach- gewiesene Name Troja beruht vielmehr auf dem altslawischen troj ‘drei’.20 Dies gilt auch für den Namen Gethsemane, einen Ortsteil von Philipps- thal/Werra im Kreis Hersfeld-Rotenburg. Die Hugenottengründung aus dem Jahr 1700 wurde nach einem Flurnamen Gözeman, Getzmann benannt, der sich dann lautlich über die mundartliche Form Gethsemich zu Gethsemane wandelte (REIMER 1974: 169). Deutsche Städtenamen wirken, wie oben schon erwähnt, dann „exotisch“, wenn sie kleine Orte in einem geographischen Raum benennen, den man mit ihnen nicht in Verbindung bringt. Neben dem schon erwähnten Bauerschafts- namen Göttingen21 bei Liesborn im Kreis Warendorf trifft dies auch auf den Ortsnamen Bremen22 im Kreis Soest zu, der Ortsteil der Gemeinde Ense ist. Bei beiden Namen liegt keine Namenübertragung vor, es handelt sich aber jeweils um identische Bildungen mit den gleichlautenden Ortsnamen. Namenübertragung ist jederzeit möglich. So ist vorstellbar, dass wegen der Flüchtlinge, die ins Land kommen, Namen aus ihrer Heimat übertragen wer- den, zum Beispiel Aleppo als Namen für ein Stadtviertel, in dem viele syrische Familien wohnen, oder Syrien als Name für ein abgelegenes oder unfruchtbares Flurstück, etwa durch Assoziation mit dem zerstörten Land. Namen sind immer noch produktiv.

–––––––— 20 Vgl. KÜHNEL 1881: 17; HEY 1893: 193; vgl. auch EICHLER 1985: 308. 21 1176 als villa Guthege zum ersten Mal belegt (WUB II, Cod. Nr. 384, 134),1223 dann als in Gutinge (WUB III, Nr. 182, 98). Es handelt sich um eine Suffixbildung mit -ingi- zur Basis germ. *guta ‘Wasserlauf’. Vgl. KORSMEIER 2011: 169f. zum west- fälischen Göttingen, CASEMIR/OHAISNKI/UDOLPH 2003: 167f. zum niedersächsischen Göttingen. 22 Erstmals schriftlich erwähnt um 1085 in villa Bremo (WISPLINGHOFF 1972/1994: II, Nr. 254, 219). Der Name kann mittels mnd. *brem ‘Rand’ gedeutet werden, aber auch auf einen Gewässernamen *Brema ‘die Laute’ zurückgehen, der auf einer as. Entsprechung von ahd. preman, mhd. bremen ‘brüllen’ beruht. Vgl. FLÖER/ KORS- MEIER 2009: 85ff.; vgl. auch TIEFENBACH 1978: 434.

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Volker Kohlheim Alterität – der fremde Name in der deutschsprachigen Literatur von Goethe bis Treichel

1. Einführung Als der griechische Geograph Strabon über die fernen nordspanischen Völker der Kallaeker, Asturer, Kantabrer und Vaskonen berichtet, glaubt er, seine Leser mit folgenden Worten beruhigen zu müssen: „Mir widerstrebt, allzuviele Namen zu nennen, deren hässliche Schreibung ich verabscheue, es sei denn, jemand findet es lustig, Namen zu hören wie Pleutaurer, Bardyeten, Allotriger und andere noch schlimmere und sinnlosere.“1 Das kulturelle Überlegenheitsgefühl des kultivier- ten Griechen gegenüber den „Barbaren“ lässt die von letzteren vergebenen Na- men als unsinnig, hässlich und sinnlos erscheinen. Am besten, man ignoriert sie. Ungefähr 1.900 Jahre später findet Walter BENJAMIN (1972: 39) in einer Re- zension zu einem an sich bedeutungslosen Abenteuerbuch eines peruanischen Autors ganz andere Worte zum Phänomen des fremden Namens. Er spricht hier vom „Rausch der fremden Wörter für Städte, Menschen und Tiere“, vom „Zauber“ der „exotischen Namen“, die allemal „beglückend“ für denjenigen sind, der Zeit und Muße hat, sich ihnen hinzugeben. Diese beiden kontrastie- renden Einstellungen gegenüber dem fremden Namen zeigen wohl deutlich, dass Alterität keine selbstständige, sondern eine „relationale Größe“ ist, eine „Form des In-Beziehung-Setzens“,2 die weniger über die imaginierte Fremde als über den Autor selbst und sein kulturelles Wertegefüge und seine Mentalität Aufschluss gibt. Wenn nun die eingangs zitierten Äußerungen die extremen Po- le der Einstellung gegenüber dem Fremden und insbesondere gegenüber dem fremden Namen darstellen, die von rigoroser Ablehnung bis zu begeisterter Empathie reichen, so wird sich in den im Folgenden zu behandelnden Beispie- len zeigen, dass dem fremden Namen, wie er in der Literatur erscheint, immer etwas von dieser Ambivalenz zwischen Abstoßung und Anziehung erhalten bleibt, in allerdings unterschiedlichem Verhältnis. Freilich kann es sich bei die- sem weiten Gebiet nur um Stichproben handeln, wobei ich mich auf die Namen ausgewählter italienischer Figuren und Orte bei vier deutschen Autoren be-

–––––––— 1 Zit. nach der Übersetzung von UNTERMANN 2009: 377. 2 Vgl. hierzu BARTH 2008, insbesondere S. 7. 236 Volker Kohlheim schränken möchte, nämlich bei Goethe, E.T.A. Hoffmann, Eichendorff und Treichel.

2. Goethe: Mignon

„Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn“ – wohl nirgends sonst artikuliert sich deutsche Italien-Sehnsucht wie in diesem Lied aus Goethes Wilhelm Meis- ters Lehrjahre (GOETHE 91977 [1795/96]: 145). Doch Italien ist in Mignons Lied zunächst genauso wenig genannt wie im ganzen Roman der Name dieses Kin- des. Erst kurze Zeit nach Mignons Vortrag wird unsere Vermutung bestätigt: „[Mignon] sah Wilhelmen scharf an und fragte: ʻKennst du das Land?ʼ – ʻEs muss wohl Italien gemeint seinʼ, versetzte Wilhelm“ (GOETHE 91977 [1795/1796]: 146). Mignons eigentlichen Namen aber erfahren wir nicht.3 Sie selbst hat „einen Schwur getan […], keinem lebendigen Menschen ihre Wohnung und Herkunft näher zu bezeichnen“ (GOETHE 91977 [1795/1796]: 522). Erst nach ihrem Tod werden wir über ihre italienische Herkunft genauer unterrichtet. Fremd wie Mignon selbst4 wirkt auch ihr Name. Eigentlich ist das Wort Mignon ja zunächst gar kein Eigenname, sondern ein substantiviertes französisches Adjektiv, wel- ches übersetzt etwa ʻLieblingʼ bedeutet.5 Da das Wort Mignon im Verlauf der Handlung trotz allem namenähnlichen Charakter erhält, steht es sprachlich ge- nauso im Zeichen der Ambiguität wie auch die Figur selbst, die zunächst als an- drogynes Wesen eingeführt wird.6 Schon das Fremdwort Mignon konnte ja zu Goethes Zeit auf männliche wie weibliche Personen angewandt werden: So hieß es in einer Theaterkritik von 1800 über die Schauspielerin Caroline Jagemann: „Sie wurde in kurzem der Mignon des Publikums“.7 Diese sexusambige Be- zeichnung entspricht also völlig dem androgynen Wesen Mignons; Wilhelm Meister kann, als er sie das erste Mal erblickt, „nicht mit sich einig werden, ob er sie für einen Knaben oder für ein Mädchen erklären sollte.“8 Auch Mignon selbst antwortet „auf Versuche einer Festschreibung ihrer Weiblichkeit beharr- lich: ʻIch bin ein Knabe: ich will kein Mädchen sein!ʼ“ (WETZEL 1989: 329). Als –––––––— 3 Vgl. auch SELBMANN 2013: 99–100. 4 Vgl. TRUNZ im Kommentar zu GOETHE 91977 [1795/1796]: 694: „Mignon ist überall fremd.“ 5 Vgl. Kommentar zu GOETHE 91977 [1795 / 96]: 719; SCHWANKE (1992): 354–359. 6 Vgl. zur Ambiguität literarischer Eigennamen KOHLHEIM 2015. 7 Kommentar zu GOETHE 91977 [1795/1796]: 719. 8 GOETHE 91977 [1795/1796]: 86. Vgl. auch AURNHAMMER 1986: 168, der von einem „Hermaphroditismus Mignons“ spricht. Alterität – der fremde Name in der deutschsprachigen Literatur 237

„Knaben-Mädchen“ wird sie rückblickend in den Wanderjahren bezeichnet (GOETHE 91977 [1821-1829]: 227). Ambig ist Mignons ganzes Wesen, das zwi- schen Lieblichkeit und Härte oszilliert. Schiller sprach gar von Mignons „absto- ßende[r] Fremdartigkeit“, die erst kurz vor ihrem Tod nachlasse,9 wie sie dann ja auch ihren anfänglichen Zwischenzustand verliert und geschlechtlich eindeu- tig weiblich wird (AURNHAMMER 1986: 171). So ist Mignon als Verkörperung der Sehnsucht nach Italien ebenso ambivalent konnotiert wie es wohl auch Goe- thes Verhältnis zu diesem Land war: überkommt Goethe bei seiner ersten Ita- lienreise das Gefühl, dort „doch einmal in der Welt zu Hause [zu sein] und nicht wie geborgt und im Exil“ (GOETHE 91978 [1829]: 26), so beklagt er sich in dem vierten Venetianischen Epigramm über staubige Wege, betrügerische Wir- te und den Charakter der Italiener überhaupt – mag auch die Schärfe des Ge- dichts vorwiegend dem Vorbild Martials geschuldet sein. Mignon wiederum ist oftmals wieder auferstanden, meist unter anderem Namen, in Gerhart Haupt- manns Novelle Mignon (1947) aber auch namentlich. Inzwischen ist Mignon im Deutschen sogar zu einem anerkannten weiblichen Rufnamen avanciert (SEIBI- CKE 2000: 327); es hat also ein Genuswechsel des maskulinen französischen Wortes stattgefunden.

3. E.T.A. Hoffmann: Signor Formica

Zwar war Mignon der Name einer Italienerin, doch kein italienischer Name. In E.T.A. Hoffmanns Texten dagegen finden wir italienische Namen zuhauf, was natürlich daher rührt, dass viele Erzählungen entweder ganz oder zum Teil in Italien spielen. Dabei fällt auf, dass zumindest die männlichen Figuren mit itali- enischen Namen überwiegend unheimliche Gestalten oder ausgemachte Böse- wichter sind. Natürlich beruht diese Darstellungsweise nicht auf persönlichen Erfahrungen Hoffmanns; bekanntlich war es ihm nie gelungen, seinen Jugend- traum zu verwirklichen und das Sehnsuchtsland Italien, das „Land, wo die Kunst gedeiht“,10 zu besuchen. Sein Italienbild speiste sich daher aus vielen Quellen: aus den klassischen Werken der italienischen Literatur von Dante über Boccaccio, Ariost, Boiardo, Petrarca, Tasso, dann vor allem aus Gozzi und Gol- doni, deren Werke er in der Originalsprache in Bamberg aus der Leihbücherei seines ersten Verlegers, des Weinhändlers L.F. Kunz, ausleihen konnte (SEGE- BRECHT 2002: 21), bis zur Reise- und Romanliteratur seiner Zeit. Hier wären vor –––––––— 9 SCHILLER/GOETHE 31987: 222–223 (Brief Schillers an Goethe vom 2. Juli 1796). 10 BALDES 2001: 75. Das Zitat ist Hoffmanns Erzählung Die Jesuiterkirche in G. ent- nommen. 238 Volker Kohlheim allem die viel gelesenen und auch von Hoffmann verschlungenen englischen go- thic novels von Horace Walpole (The Castle of Otranto, 1764) und Ann Radcliffe (The Mysteries of Udolpho, 1794, The Italian, 1797) zu nennen, in denen Hoff- mann den Typus des italienischen Bösewichts vorgeprägt fand (vgl. LOQUAI 2002: 42). Dass zudem reale historische Persönlichkeiten wie Cesare und Lucre- zia Borgia, Casanova und Cagliostro das Stereotyp vom unheimlichen Italiener prägten, worauf Donatella BREMER (2010: 58) hinweist, gewinnt auch dadurch Wahrscheinlichkeit, dass z.B. Hoffmann in seiner Novelle Der Sandmann Cagliostro ausdrücklich erwähnt.11 Nun sollen hier nicht alle italienischen Figuren Hoffmanns aufgezählt werden, vielmehr möge an einem weniger bekannten Text aus der Sammlung Die Serapi- onsbrüder, an der Novelle Signor Formica (HOFFMANN 51995: 766–840), gezeigt werden, wie E.T.A. Hoffmann italienische Namen verwendet. Signor Formica ent- stand 1819 in Berlin. Die Novelle spielt gänzlich in Italien, wie ja auch der Titel als Name des Werks rein italienisch ist.12 Die Hauptfigur ist der Maler, Radierer und Satirendichter Salvator Rosa (1615–1673); als „Signor Formica“, also „Herr Amei- se“, soll der vielseitige Künstler tatsächlich während des Karnevals von 1639 durch Roms Straßen gezogen sein.13 Hoffmann hat sich vor der Niederschrift der Novel- le gründlich über Salvator Rosa informiert, und so entsprechen die topographi- schen Details der in Rom spielenden Szenen auch der historischen Realität.14 In dieser Novelle hilft Salvator Rosa dem jungen Maler-Adepten Antonio Scacciati die schöne Marianna, in die er unsterblich verliebt ist, aus den Fängen ihres On- kels und Vormunds Pasquale Capuzzi zu befreien. Dies gelingt ihm, indem er un- ter dem Namen Signor Formica in Stegreifkomödien als Capuzzis Doppelgänger auftritt und dort Capuzzi mit seinem wahren Wesen konfrontiert. Aus Angst, eine weibliche Zofe könne Marianna bei Liebesintrigen behilflich sein, hat Capuzzi „ein scheußliches Gespenst mit hohlen Augen und bleichen schlotternden Wan- gen“ (HOFFMANN 51995: 791) angestellt, den beständig wimmernden Kastraten –––––––— 11 HOFFMANN 61996: 342. Wie GÖTTING 1992: 82 feststellt, war Alessandro Graf Cagliostro (1743–1795), eigentlich Giuseppe Balsamo, „einerseits ein Modethema der damaligen Zeit, andererseits dürfte Hoffmann das Geheimnisvolle dieser Figur – Verbrecher und Schelm in einer Person – gereizt haben.“ 12 Außer Ombra adorata ist dies Hoffmanns einziger komplett italienischer Titel; vgl. GALLI 2002: 167. 13 HOFFMANN 51995: 1111 (Anmerkung zu S. 839). 14 Wie in den Anmerkungen in HOFFMANN 51995: 1105 vermerkt ist, diente Hoffmann das Werk Reisen eines Deutschen in Italien in den Jahren 1768–1788 von Karl Philipp MORITZ, Berlin 1792/1793 in drei Teilen, als Informationsquelle. Alterität – der fremde Name in der deutschsprachigen Literatur 239

Pitichinaccio. Nicht zu vergessen ist noch ein mit Capuzzi befreundeter Arzt und Giftmischer, der eigentliche Bösewicht dieser Ezählung, der den Namen Splendi- ano Accoramboni trägt: seine Patienten, am liebsten deutsche Künstler, pflegt er mit seinen Mixturen umzubringen, um sich dann ihrer hinterlassenen Bilder zu bemächtigen. Da diese ausländischen Künstler auf dem protestantischen Friedhof an der Cestius-Pyramide beerdigt werden, trägt der Arzt den Spitznamen Pyra- miden-Doktor. Es ist vielleicht bereits jetzt deutlich geworden, dass in dieser Novelle eher als das Unheimliche das Groteske vorherrscht, und zwar nicht nur das Unheim- lich-Groteske, wie es Wolfgang Kayser beschrieben hat,15 sondern auch und ge- rade das Groteske in seinem heiteren und spielerischen Aspekt (vgl. KREMER 1995). Grotesk sind die Figurenbeschreibungen, die Jacques Callots „aus Tier und Mensch geschaffene groteske Gestalten“ (HOFFMANN 61996: 12) der Balli di Sfessania nachzuahmen scheinen (KAYSER 1960: 57; GALLI 2002: 171). Grotesk sind aber auch die Namen, nicht zuletzt bereits der dem Werk den Titel gebende Signor Formica, bei dessen Namen das Callotsche Prinzip der Vermischung von Mensch (Signor) und Tier (Formica) voll zum Ausdruck kommt. Da ist es denn gänzlich unwichtig, ob sich Salvator Rosa im römischen Karneval den Namen Formica tatsächlich deswegen gegeben hat, „weil er eine biegsame, schlanke Fi- gur und behende Bewegungen hatte“ (BALDES 2001: 77). Meist spielen bei Hoffmanns grotesken Namen Semantik und Phonetik inei- nander: Der musikbegeisterte und von seinen Gesangskünsten trotz aller gegen- teiligen Äußerungen seiner Zuhörer überzeugte Capuzzi „hört es [...] gern, wenn man ihn“ – nach dem Beispiel des ersten Sängers des Papstes Odoardo Ceccarelli di Merania16 – „Signor Pasquale Capuzzi di Senigaglia heißt“ (HOFFMANN 51995: 787). In der Hafenstadt Senigaglia ist Capuzzi geboren; „und zwar, wie die Leute sagen, auf einem Fischerkahn“ (HOFFMANN 51995: 787). Man kann Wulf Sege- brechts Kommentar folgen, der meint, man könne den Namen Senigaglia „auch als Kompositum aus den Epitheta ʻsenileʼ (alt) und ʻgagliardoʼ (dreist, frech) le- sen“, womit die typischen Rollenattribute des vecchio pantalone aus der Comme- dia dell’Arte bezeichnet seien (HOFFMANN 51995: 1108). Aus Capuzzi wiederum lässt sich das Wort Kapuze, ital. cappuccio, heraushören, das auf das Verbergen hinweist, das Capuzzi mit seinem Mündel Marianna praktiziert. Eindeutig redend ist der Name des mörderischen „Pyramiden-Doktors“ Splendiano Accoramboni: Reflektiert der Vorname, der auf das Verb splendere

–––––––— 15 KAYSER 1960; zu Hoffmann 53–59. 16 Eigentlich „di Mevania“, s. Kommentar zu S. 787 in HOFFMANN 51995: 1108. 240 Volker Kohlheim

ʻstrahlenʼ, ʻglänzenʼ zurückgeht, ironisch die Selbsteinschätzung des „berühm- te[n] Doktor[s]“ (HOFFMANN 51995: 770), so verweist der Familienname Acco- ramboni auf das Ergebnis seiner Heilkünste, bedeutet doch das Verb accorare ʻjemanden zutiefst betrübenʼ, sodass sich der Name als che accora i buoni ʻder die guten Leute zutiefst betrübtʼ lesen lässt (HOFFMANN 51995: 1106). Ein Hin- weis auf die Dichterin Vittoria Accoramboni (1557–1585), die Ludwig Tieck neunzehn Jahre nach Hoffmanns Signor Formica zur Hauptfigur seines Romans Vittoria Accorombona macht, ist bei Hoffmann nicht zu erkennen. Ebenfalls als redender Name, auch wenn Hoffmann ihn in seinen Salvator Ro- sa betreffenden Quellen gefunden hat,17 lässt sich der Name des verliebten jungen Malers Scacciati verstehen: Ital. scacciare bedeutet u.a. ʻwegjagenʼ, ʻverjagenʼ, und als ein von seiner Liebsten ʻVerjagterʼ muss sich Scacciati zunächst empfinden. Weniger redend als durch seine Phonetik wirkt der Name des „kleinen Scheusals“ Pitichinaccio.18 Es führt wohl nicht sehr weit, wenn man ihn mit dem italienischen Dialektwort piticchia/petecchia zusammenbringt, das einerseits die blutenden Pusteln bei einer bestimmten Art des Typhus und andererseits eine Krankheit, die die Zitronenbäume befällt, bezeichnet, in übertragenem Sinne aber einen Geizi- gen, Knauserigen meinen kann (MURONI 2014: 75). Eher wird man vielleicht franz. petit ʻkleinʼ, vielleicht auch franz. pitié ʻMitleidʼ aus dem Namen heraus- hören, zudem spielt die pejorative Bedeutung der Endung -accio eine Rolle bei der Wirkung dieses Namens, der letztlich, um in Jean Pauls Worten zu sprechen, „mehr mit Klängen als mit Silben rede[t] und viel sag[t], ohne es zu nennen“ (vgl. KOHLHEIM 2006: 448). Schließlich wirkt auch dieser groteske Name nur zusam- men mit der grotesken Gestalt, denn „Namen brauchen eine Geschichte, um ihre ganze Kraft zu entfalten“ (SELBMANN 2013: 33). Dieser Überblick über die italienischen Namen in Signor Formica wäre nicht vollständig ohne einen kurzen Blick auf die Listen realer italienischer (und spa- nischer) Maler: außer Salvator Rosa noch der große Annibal [Caracci] (HOFF- MANN 51995: 777), Preti, Tiarini, Gessi, Sementa, Lanfranco, Dominichino, der Schurke Belisario [Corenzio], Ribera (HOFFMANN 51995: 779–781), Raffael, Ve- lasquez [sic], Tizian, Ritter Josepin [Giuseppe Cesari] (HOFFMANN 51995: 783–

–––––––— 17 GÖTTING 1992: 96: „ʻA. Scacciatiʼ findet man als Stechernamen unter den Werken Rosas.“ 18 HOFFMANN 51995: 808. Pitichinaccio erscheint auch in der Giulietta-Episode in J. OFFENBACHs Oper Hoffmanns Erzählungen, doch ist hier nur der Name über- nommen; die Rolle Pitichinaccios ist in der Oper eine gänzlich andere als bei HOFF- MANN; vgl. OFFENBACH 1987: 35–44. Vgl. auch MURONI 2014: 77. Alterität – der fremde Name in der deutschsprachigen Literatur 241

784); Komponisten: Frescobaldi, Ceccarelli, Francesco Cavalli, Martinelli, Caris- simi (HOFFMANN 51995: 787–788), Dichter und Gelehrte. Nun dienen Namen- kataloge seit Homer der Verherrlichung der erzählten Ereignisse und der Vor- täuschung von Authentizität (vgl. MÜLLER 2003: 12; SELBMANN 2013: 50); bei Hoffmann mag auch die „Freude am klangvollen italienischen Namen“ (SEGE- BRECHT 2002: 21) eine Rolle spielen. Vor allem aber hat man den Eindruck, er wolle mit diesem „fast außer Kontrolle geratenen Rekurs auf Listen“ (GALLI 2002: 168), dieser exzessiven enumeratio, die Reiseliteratur seiner Zeit ironisie- ren, die voll war von trockener Gelehrsamkeit.19 Diesem Eindruck wird man sich kaum verschließen, wenn man liest, wie Hoffmann (51995: 831) Salvator Rosas Leben in Florenz schildert: Da versammelten sich um ihn her die berühmtesten Dichter und Gelehrten seiner Zeit; es ist genug, den Evangelista Toricelli, den Valerio Chimentelli, den Battista Ricciardi, den Andrea Cavalcanti, den Pietro Salvati, den Filippo Apolloni, den Volumnio Bandelli, den Francesco Rovai zu nennen, die sich darunter befanden.

Signor Formica gehört einer relativ späten Schaffensphase E.T.A. Hoffmanns an, in der sich sein Italienbild gewandelt hat: Es treten nun nicht mehr allein die dämonischen, Unheil brütenden Gestalten mit dem immer gleichen, geradezu tödlichen Blick aus tief liegenden Augen auf (LOQUAI 2002: 41), sondern eher positive Figuren wie der Maler Salvator Rosa und sein Schüler Antonio Scacciati. Auch die Bösewichter der Novelle, der Pyramiden-Doktor Splendiano Accoram- boni und sein Helfer Pitichinaccio, reizen eher zum Lachen als zum Schaudern. Letztlich sind aber weder seine italienischen Schurken noch seine italienischen grotesken Gestalten Figuren, deren Urbilder in der Realität vorzufinden gewe- sen wären, sondern es sind Stereopype, „Hetero-Imagines“ (LOQUAI 2002: 37), die Hoffmann der Literatur und der bildenden Kunst entnommen hat; sein Ita- lien ist ein imaginäres „Phantasie-Italien“ (WERNER 1992/93: 133), das sowohl fasziniert wie auch unheimlich ist. Von dieser Ambivalenz sind auch Hoff- manns italienische Namen geprägt.

4. Joseph von Eichendorff: Das Marmorbild

Im selben Jahr 1818, in dem E.T.A. Hoffmann Signor Formica schrieb, entstand Joseph von Eichendorffs Novelle Das Marmorbild. Ebensowenig wie Hoffmann war es dem zwölf Jahre jüngeren Eichendorff vergönnt, Italien zu sehen, und –––––––— 19 SEGEBRECHT 2002: 21 verweist auf Christian Joseph JAGEMANN: Magazin der Italie- nischen Litteratur und Künste, 4 Bde., Weimar 1780–1785; GALLI 2002: 168. 242 Volker Kohlheim ebenso wie für Hoffmann war Italien das Sehnsuchtsland für Eichendorff, aller- dings unter gänzlich anderen Vorzeichen. Das kann kaum besser verdeutlicht werden, als EICHENDORFF (1959 [1819]: 1182–1183) das selbst tut: Von kühnen Wunderbildern Ein großer Trümmerhauf, In reizendem Verwildern Ein blühnder Garten drauf.

Versunknes Reich zu Füßen, Vom Himmel fern und nah Aus andrem Reich ein Grüßen – Das ist Italia!

Diese Anfangsstrophen eines viel längeren Liedes finden sich in der Novelle vom Marmorbild, und sie zeigen, was Italien für Eichendorff bedeutet: Es ist weniger ein realer als ein geistig-geistlicher Schauplatz, der gekennzeichnet ist durch den Antagonismus von antiker und christlicher Welt (vgl. BIANCHI 1937: 75; MÖBUS 1960: 85–86). Dabei macht es die Größe Eichendorffs aus, dass die Figuren, die diese Bereiche verkörpern, ebensowenig wie der Protagonist, der sich zwischen diesen Bereichen entscheiden muss, eindeutig als gut und böse oder, mit Eichendorff zu sprechen, sündig und gerettet, dargestellt werden. Die- se Ambivalenz kommt nicht zuletzt in den Namen der handelnden Figuren zum Ausdruck, die durchweg sprechend und, obwohl italienisch, für einen mit auch nur geringem Sinn für lateinische oder romanische Etymologien ausgestatten Leser semantisch durchsichtig sind. So vollzieht sich für den Leser von Eichen- dorffs Novelle die Erfahrung der Fremdheit wohl weniger aufgrund der italieni- schen Namen als anlässlich der irritierenden und entgrenzenden Erfahrungen, denen der Protagonist ausgesetzt ist (vgl. SCHMITZ-EMANS 22007: 137–138). Der junge Mann, der in Lucca sich selbst zu verlieren droht, indem er einem Marmorbild der Göttin Venus verfällt, trägt den vieldeutigen Namen Florio. Oberflächlich betrachtet, bezeichnet der Name zunächst das „blühende“ Ausse- hen des „schönen Jünglings“ (EICHENDORFF 1959 [1819]: 1147), und wie die Blüte auf die Frucht verweist, charakterisiert ihn sein Name als jemand, „der seiner Zukunft entgegengeht“ (SCHMITZ-EMANS 22007: 134). Doch ist die Vor- stellung des Blühenden natürlich mit dem Frühling verbunden und damit mit dem Bereich des Vegetativen, einem Bereich, der für Eichendorff synonym ist mit Unerlöstheit: „Wesen der Pflanze ist es, daß das Ziel des Vorstoßes immer in der Haft des Anfangs bleibt“ (KUNZ 1967: 95). Erweist sich der Name Florios schon von daher als in sich widersprüchlich zwischen Zielgerichtetheit und Ver- Alterität – der fremde Name in der deutschsprachigen Literatur 243 fallenheit an den Ursprung (KUNZ 1967: 225), so wird diese Ambivalenz im Kontext der Novelle noch dadurch um eine Dimension erweitert, dass der Früh- ling bei Eichendorff gerade die Jahreszeit ist, in der die „Heidengöttin“ im „An- denken an die irdische Lust“ aus ihrem Grab wieder aufsteigt „und durch teufli- sches Blendwerk die alte Verführung [übt] an jungen sorglosen Gemütern“ (EI- CHENDORFF 1959 [1819]: 1184. Vgl. auch SCHMITZ-EMANS 22007: 134). Mittler zwischen dem magischen Reich der Göttin Venus und der hellen Tagwelt ist der Ritter Donati. Sein Äußeres entspricht gänzlich dem Stereotyp des dämonischen italienischen Bösewichts und Verführers, wie er bereits im englischen Schauerroman vorgeprägt wurde. Die „hohe, schlanke“ Gestalt, das „reiche Geschmeide, das grünlich-goldene Scheine zwischen die im Walde fla- ckernden Lichter warf“, vor allem aber der „irre flammende“ Blick „aus tiefen Augenhöhlen“ (EICHENDORFF 1959 [1819]: 1154) kennzeichnen ihn unzwei- deutig als direkten Nachfahren von Gestalten wie Ann Radcliffes Mönch Sche- doni aus dem Roman The Italian von 1797. Den Namen Donati fand Eichen- dorff bereits in seiner Quelle vor, einer Gespenstergeschichte des 17. Jahrhun- derts.20 Er hätte ihn ändern können, so wie er den Alessandro der Vorlage in Florio verwandelte.21 Monika SCHMITZ-EMANS (22007: 134) verweist darauf, dass der Name des dämonischen Ritters das lateinische Wort für Gabe, donum, ent- hält, und möchte ihn daher „nicht eindeutig negativ“ sehen: Donati ist es, so könnte man sagen, gegeben, das Reich der Schönheit und Kunst, das die Göttin Venus verkörpert, zu schätzen. Andererseits kann man seinen Namen auch mit der frühchristlichen schismatischen Bewegung der Donatisten assoziieren, wodurch das „Ketzerische“ seines Wesens betont würde. Vielleicht führt es aber weiter, wenn man berücksichtigt, dass Donati der Einzige in dieser Novelle ist, der mit seinem Familiennamen genannt wird; von allen anderen Personen er- fahren wir nur die Vornamen. Den Vornamen geben die Eltern dem Kind in Voraussicht auf das zukünftige Leben dieses einen Individuums; er drückt nicht selten Hoffnungen und Wünsche aus, er ist zukunftsgerichtet. Der Familienna- me, den man auch als „Geschlechtsnamen“ bezeichnet, ordnet den Einzelnen dagegen in eine Geschlechterkette ein;22 er verweist zurück auf den Ursprung (vgl. WIDMER 2010: 34). Die Verfallenheit an den Ursprung, die „Usurpation

–––––––— 20 Es handelt sich um Happelii Curiositates; vgl. MÖBUS 1960: 78–81. 21 MÖBUS 1960: 81: „[...] mit dem Namenswechsel verbindet sich eine wesenhafte Ver- wandlung der Gestalt.“ 22 Tatsächlich ist Donati der Name eines bis ins 11. Jahrhundert zurückzuverfolgenden Florentiner Geschlechts; vgl. CARDINI 1999. 244 Volker Kohlheim durch die Vergangenheit und den Ursprung“ (KUNZ 1967: 161), aber steht in Ei- chendorffs Symbolik für das Heidnische, während die positive Gegenwelt für ihn dadurch gekennzeichnet ist, dass sie sich loslöst vom Ursprung und zielge- richtet Neues wagt (vgl. KUNZ 1967: 164). So ist es nicht zuletzt sein Name, der Donati zum „heidnischen Widerpart des Christlichen“ (MÖBUS 1960: 98) macht. Die dem Tag zugewandten Personen der Novelle sind zunächst der „Sänger“ Fortunato, sodann die „schöne Ballspielerin“ (EICHENDORFF 1959 [1819]: 1149) Bianka und ihr Onkel Pietro. Allerdings trägt nur letzterer einen unzweideutig positiven Namen: seine Semantik (griech. pétra ʻFelsʼ) und sein Namensvorbild, der Apostelfürst und erste Bischof von Rom, der „Himmelspförtner“ Petrus, las- sen keinen Zweifel an der Festigkeit seines Trägers in Glauben und Charakter aufkommen. Die Farbe Weiß aber, die in Biankas Name enthalten ist, erscheint auch auf Donatis bleichen Wangen, dem verführerischen Marmorbild selbst und den weißen, das Bild der Venus umkreisenden Schwänen – um nur diese Beispiele zu nennen. Sie bedeutet daher, wie Waltraud Wiethölter aufgezeigt hat, im Kontext der Novelle vom Marmorbild nicht nur unschuldige Reinheit. Der Name Bianka, so WIETHÖLTER (1989: 180), deute zwar immer noch auf die wohlbehütete und weitgehend erfahrungslose Nichte Don Pietros, doch [...] ma- che dieser „Signifikant“ „die Gestalt Biankas auf Wesens- und Verhaltensmög- lichkeiten hin transparent, die der Idealvorstellung einer allein nach den Him- melsgütern verlangenden Seele nicht mehr integrierbar sind.“ So steht selbst Bi- anka im Zeichen der Ambivalenz, die die gesamte Novelle charakterisiert. Am positivsten ist außer der Randfigur des Pietro der Dichter Fortunato ge- zeichnet. Er ist wahrlich ʻder Glücklicheʼ, mag er auch letztlich seinen Namen der römischen Schicksalsgöttin Fortuna verdanken (SCHMITZ-EMANS 22007: 134). Eichendorff liebte diesen Namen; er gab ihn auch der positiven Gestalt seines Romans Dichter und ihre Gesellen, und zwar in der eingedeutschten Form Fortunat. Hieran wird deutlich, wie wenig „fremd“ oder gar befremdlich die ita- lienischen Xenonyme für Eichendorff eigentlich waren: So wie im Taugenichts Rom „gleich um die Ecke“ liegt (LAUER 2011: 182), so wenig fremdartig sind auch Eichendorffs italienische Namen. Dies gilt übrigens auch für die Ortsna- men. Am Ende der Novelle, nachdem Florio und Bianka zueinander gefunden haben und beide in Gesellschaft Pietros und Fortunatos „die Stadt Lucca mit ih- ren dunkeln Türmen“ verlassen, ziehen alle „fröhlich durch die überglänzten Auen in das blühende Mailand hinunter“ (EICHENDORFF 1959 [1819]: 1186), wobei offen bleibt, ob die lombardische Stadt oder doch das ʻMaienlandʼ ge- meint ist. Besinnt man sich auf die eingangs erwähnten gegensätzlichen Mög- lichkeiten der Reaktion auf fremde Namen, so eröffnet sich mit Eichendorff eine dritte Option jenseits von Ablehnung und Enthusiasmus: Für Eichendorff, so Alterität – der fremde Name in der deutschsprachigen Literatur 245 scheint es, kann es gar keine echte Fremdheit geben; ihm sind auch die fremden Namen schon von jeher vertraut.

5. Hans-Ulrich Treichel: Mein Sardinien

Wie auch E.T.A. Hoffmann und Eichendorff kannte Hans-Ulrich Treichel die Italiensehnsucht seit seiner Jugend: Sehnsucht nach dem Süden schien ihm im- mer schon „etwas gleichsam Naturgegebenes und Universelles“ (TREICHEL 2000: 48). Die „Magie des Namens“23 spielte dabei keine geringe Rolle: „[...] allein der Klang der italienischen Namen und Worte war ein Versprechen. Was war schon, rein phonetisch gesehen, der ʻTagesspiegelʼ gegen den ʻCorriere della Se- raʼ, was der ʻErnst-Reuter-Platzʼ gegen die ʻPiazza di Spagnaʼ [...]?“ (TREICHEL 2000: 73). Im Gegensatz zu seinen literarischen Vorgängern jedoch konnte der 1952 im westfälischen Versmold geborene Schriftsteller seine Italiensehnsucht schon bald befriedigen: durch einen Studienaufenthalt in Perugia, durch eine zweijährige Lektorentätigkeit in Salerno und Pisa und schließlich als Gast der Villa Massimo (TREICHEL 2000: 82). Aber auch Treichels zwei Sardinienromane, Der irdische Amor aus dem Jahr 2002 und die zehn Jahre später erschienene Liebesgeschichte Mein Sardinien, beruhen offensichtlich auf eigenem Erleben (vgl. TREICHEL 2012: passim). Der Roman ist in der ersten Person erzählt und selbst der Vorname des Ich-Erzählers ist identisch mit dem des Autors (TREI- CHEL 2014: 66–67). Wie früher der Autor, studiert der Hans des Romans in Ber- lin Germanistik und ist, wie einst Treichel selbst, damit beschäftigt, über den Schriftsteller Wolfgang Köppen zu promovieren. Italien spielt auch im Leben der Romanfigur Hans eine wichtige Rolle. „Während meines Studiums“, heißt es im Romantext, „hatte mich die Italien- sehnsucht ergriffen, ganz wie es sich für einen Germanistikstudenten gehörte. Und ich war nicht nur sooft ich konnte nach Italien und vor allem nach Rom gereist, ich hatte Italienisch als zweites Nebenfach belegt und zudem einen Sommer lang an der Ausländeruniversität in Perugia Italienisch gelernt. Mir hatte nur noch eine italienische Freundin gefehlt, die mir aber nicht vergönnt gewesen war“ (TREICHEL 2014: 18). Diese vermisste Freundin tritt nun mit Cris- tina in das Leben des Germanistikstudenten. Sie ist eine junge Sardin, die er in einer Bar kennen lernt. Zum Erstaunen des schüchternen Studenten werden beide bald ein Paar, und Hans, der sich „berlinmüde“ fühlt, überredet Cristina, mit ihm in ihre Heimat zu fahren, zunächst „für ein, zwei Wochen“ (TREICHEL 2014: 39). Auf diesen ersten Aufenthalt folgt, nach kurzer Unterbrechung in –––––––— 23 TREICHEL 2000: 52, ohne Quellenangabe W. BENJAMIN zitierend. 246 Volker Kohlheim

Berlin, ein zweiter, während dessen das Paar eine gemeinsame Rundreise um die Insel unternimmt. Doch was sich schon seit Beginn des Sardinien-Aufenthalts abzeichnete, ist auch durch diese an sich recht geglückte Unternehmung nicht abzuwenden: Umgeben von ihrer Familie wird Cristina Hans immer fremder, und in einer eindrucksvollen Schlussszene, in der Hans Cristina in einem Trau- erzug beobachtet, verschmilzt sie ganz mit ihrer sardischen Umgebung: „[...] noch ehe Cristina ganz an mir vorbeigegangen war“, so der Ich-Erzähler, „wuss- te ich, dass sie jetzt dort angekommen war, wo sie wirklich hingehörte. [...] Ich sah es ihrem Gesicht an, das sehr ernst, aber auch sehr beruhigt wirkte. Und ich wusste ebenfalls, dass ich mich schon bald auf den Weg nach Berlin machen würde“ (TREICHEL 2014: 216). Die italienischen Personennamen dieses Romans scheinen bewusst als ganz alltägliche gewählt zu sein: Cristina, deren Bruder Enrico, dessen Frau Chiara: Namen, denen man auch bei jungen Deutschen ohne weiteres begegnen kann. Wenn es in diesem Buch überhaupt einen „Zauber exotischer Namen“ gibt (vgl. BENJAMIN 1972: 39), dann kann dieser nur in den Ortsnamen zu finden sein. Doch gerade zu den Ortsnamen unterhält Treichels Protagonist ein vertracktes Verhältnis: Sich dem „Zauber“, der „Magie“ der fremden Namen unvor- eingenommen hinzugeben, ist diesem Germanistikstudenten unmöglich: Sie bedeuten ihm wenig, wenn sie nicht bereits literarisch verarbeitet wurden. „Mich hatte es immer getröstet, wenn die Orte, in denen ich lebte oder in die ich reiste, auch in der Literatur vorkamen“ (TREICHEL 2014: 31). Und der Ich- Erzähler erläutert weiter: „Die [literarisch beschriebenen] Orte und Straßen hat- ten eine Schutzhaut bekommen. Sie waren in gewisser Weise durch die Literatur geimpft worden. Geimpft gegen Banalität, Seelenlosigkeit und ʻUnaufgeho- benheitʼ. Orte ohne diese Impfung waren schwerer zu ertragen. Wie mein ost- westfälischer Geburtsort beispielsweise, der in der Literatur keinerlei Spuren hinterlassen hatte“ (TREICHEL 2014: 32). Und so macht sich der Student auf die Suche nach Sardinien-Literatur, um jedoch bald festzustellen: „Sardinien schien insgesamt keine besondere Rolle in der deutschen Literatur zu spielen. Keine Sardinienromane. Keine Sardinienge- dichte. Ich kannte jedenfalls keine. Nur von zwei Texten wusste ich. Der eine stammte von Ernst Jünger und der andere von Wolfgang Koeppen. Wobei der Koeppen-Text weniger von Sardinien als vielmehr von einem schwarzen Hund handelte, der ʻder Sardeʼ hieß“ (TREICHEL 2014: 30). Ist daher Koeppen „der Schriftsteller, der nicht über Sardinien schrieb“ (TREICHEL 2014: 31), so bleibt noch Ernst Jünger: „Die Tatsache, dass sich wenigsten Ernst Jünger mit Sardini- en beschäftigt hatte, tröstete mich“ (TREICHEL 2014: 32). Später entdeckt der Er- zähler noch weitere Sardinien-Literatur, so Sea and Sardinia von D.H. Lawrence Alterität – der fremde Name in der deutschsprachigen Literatur 247

(TREICHEL 2014: 48), Sardegna come un’infanzia von Elio Vittorini und Tutto il miele è finito von Carlo Levi (TREICHEL 2014: 68). Cristina aber stammt aus ei- nem abgelegenen Ort ganz im Südwesten der Insel namens Sant’Antioco, der nur von Ernst Jünger in seinen Subtilen Jagden erwähnt wird. „Einen passio- nierten Käfersammler wie Jünger“, so der Kommentar des Erzählers, „verschlägt es eben in die abgelegensten Winkel. Ansonsten aber: kein Sant’Antioco. Nir- gends. Auch nicht bei D.H. Lawrence [...]“ (TREICHEL 2014: 51). Der Tatsache des Kaum-Vorhanden-Seins von Sant’Antioco in der Literatur korrespondiert die desillusionierende Realität: „Draußen auf der Strecke von Cagliari nach Sant’Antioco war nichts los. Kein Süden. Keine Zypressen. Keine Pinien. Keine Palazzi. Und auch kein Meer“ (TREICHEL 2014: 51). Zunächst aber hält der Bus „in einem Ort namens Carbonia [...]. Der Ortsname Carbonia klang nicht sehr verlockend. [...] Es gab in der Tat nicht viel zu sehen. Eine Bar, eine Bank, einen Kiosk, einen eher bescheidenen Supermarkt [...]. Und dahinter Wohnblocks, grau und verwaschen“ (TREICHEL 2014: 55–56). Hier ist Nomen auch Omen, denn, so erklärt der Ich-Erzähler: „Carbonia heißt Kohle“ (TREICHEL 2014: 56). Und die Lagune vor der Insel Sant’Antioco lässt Hans an die trostlose Land- schaft in Tarkowskis Film Stalker denken (TREICHEL 2014: 57). Schließlich muss sich Hans gestehen, dass seine „Sardiniensehnsucht ent- täuscht worden war.“ Sardinien und speziell Sant’Antioco erwiesen sich als „ödeste Provinz. Das Ostwestfalen Italiens. Wenn überhaupt“ (TREICHEL 2014: 104). Nun ist die „Enttäuschung an der Fremde“, die immer auch eine Enttäu- schung über die fremden Namen ist, beileibe kein neues literarisches Motiv (BI- ANCHI 1937: 94). Nachdem der Topos des schönen Südens offensichtlich ausge- reizt ist, „bietet [...] das Hässliche die letzte Chance zur Originalität beim Thema Italien“ (GERMANESE 2005: 67). Am extremsten hat dies Rolf Dieter Brinkmann in seinem Buch Rom, Blicke vorgeführt (vgl. hierzu TREICHEL 2000: 92–95). Doch Treichel ist nicht Brinkmann; die Diskrepanz zwischen Erwartung und Realität (BASKER 2004: 59) bietet unserem Autor immer wieder Gelegenheit zu lakonischer Komik.24 Auch bleibt es nicht bei diesem Tiefpunkt, denn Hans und Cristina unternehmen, nicht zuletzt, um ihre Beziehung wieder aufzufrischen, eine Rundreise um die gesamte Insel. Die Erzeugung von Raum geschieht hier, wie so oft in der erzählenden Literatur, vorzüglich durch die Erwähnung von Toponymen (vgl. KOHLHEIM 2012/2013: 353–357). Zusätzlich ist dem Buch eine Sardinienkarte beigegeben, mit deren Hilfe die topographischen Relationen zwi-

–––––––— 24 CURRAN 2005: 38: „Treichel’s humor [...] is always gentle, never aggressive.“ Vgl. auch GERMANESE 2005: 66. 248 Volker Kohlheim schen den genannten Orten visualisiert werden können.25 Auch sonst widmet der Ich-Erzähler dieses Buchs den Ortsnamen ungewöhnlich viel Aufmerksam- keit: So werden die Dialektformen des Namens Sant’Antioco erörtert (TREICHEL 2014: 150–151) und die Namen der Neugründungen zur Zeit des Faschismus: „In ganz Italien waren in den Dreißigerjahren mehr als hundert dieser ʻStädte des Führersʼ entstanden. Mehr als ein Dutzend auf Sardinien, darunter neben Carbonia auch Arborea, das damals den Namen Mussolinia trug. Mussolinia di Sardegna. Das ist das Schöne am Diktatorendasein: Man kann Städte nach sich benennen“ (TREICHEL 2014: 171). Cagliari, die Costa Smeralda und Nuoro werden erwähnt, doch findet der Ich-Erzähler, außer dem Geburtshaus der Schriftstellerin Grazia Deledda, hier wenig Erwähnenswertes (TREICHEL 2014: 179–181). Große Hoffnungen setzt er auf die ehemalige Banditenhochburg Orgosolo. Auch diesem Ort nähert er sich durchaus mit, wie er selbst, Thomas Mann zitierend, sagt, „schon gestalteter Empfindung“ (TREICHEL 2014: 182): Der Ich-Erzähler hatte Franco Cagnettas Buch Die Banditen von Orgosolo gelesen und auch De Setas durch dieses Buch inspirierten gleichnamigen Film gesehen. „Abgesehen von Carloforte“, so der Erzähler, „hatte ich mich innerlich auf keinen Ort so eingestimmt wie auf die- sen“ (TREICHEL 2014: 181). Und so ist Orgosolo für Hans der Ort „des Banditen- tums, der grausamen Männer, duldsamen Frauen und der wilden Natur“ (TREI- CHEL 2014: 182). Erwartungsgemäß hält die Realität dieser durch vielfältige Lek- türen vorgeformten Aura des Namens Orgosolo nicht stand: „Orgosolo selbst“, so der Erzähler, „war [...] vollkommen friedlich. Schäfer sahen wir dort keine. Dafür eine Gruppe von englischen Touristen, die sich das Zentrum des Ortes anschauten, welches insofern sehenswert war, als hier zahlreiche Hausfassaden mit Murales versehen waren. À la Diego Rivera. [...] Mir kamen die nicht sehr sardisch vor, diese Murales. Eher touristisch.“ (TREICHEL 2014: 187). Als Schlüsselszene aber hinsichtlich der Bedeutung von Namen in einer im- mer schon medial vermittelten Realität darf die Entdeckung eines Filmplakats durch den Protagonisten gelten, das „Vittorio De Setas Film ankündigt: Banditi a Orgosolo. Film diretto da Vittorio De Seta. Interpretato dai Pastori di Orgosolo. Der Film war hier offenbar ein Dauerbrenner. Immerhin stammte er aus dem Jahr 1960. Erst bei näherem Hinsehen merkten wir, dass es sich gar nicht um ein wirkliches Filmplakat handelte, sondern um eine Wandmalerei. Der Maler hatte das Plakat täuschend echt an die Wand gemalt. Ein trompe-l’œil“ (TREI-

–––––––— 25 Zur Rolle von Landkarten als integraler Bestandteil narrativer Texte vgl. RYAN 2003: passim. Alterität – der fremde Name in der deutschsprachigen Literatur 249

CHEL 2014: 189). War dem Protagonisten dieses Texts schon von vornherein ei- ne unmittelbare Begegnung mit den fremden Namen, eine „Beglückung“ durch den Zauber des Exotischen, wie sie Benjamin beschwört, nicht möglich, so er- fährt die intermediale Vermittlung des Namens Orgosolo hier eine vielfache Po- tenzierung: Der originäre Name des Ortes wird zunächst vermittelt durch Fran- co Cagnettas Buch, sodann intermedial durch den Film und die als Plakat re- produzierte Fotografie, um schließlich als trompe-l’œil, als Kunstwerk also, auf der Hauswand reproduziert zu werden. „Jetzt war das Filmplakat“, kommentiert der Erzähler, „zu einer Art Denkmal geworden. Die Hirtenschicksale und das Banditentum hatten die posthistorische Phase erreicht“ (TREICHEL 2014: 189). Und mit ihnen der Name, lässt sich ergänzen. „Aber schön war es trotzdem“, findet der Erzähler (TREICHEL 2014: 189). Damit freilich hat die Einstellung gegenüber dem fremden Namen eine Qualität erreicht, wie sie in den beiden eingangs zitierten Äußerungen – strikte Ableh- nung einerseits, begeisterte Zustimmung andererseits – noch nicht enthalten war: der fremde Name gewinnt seinen Schrecken oder seinen ästhetischen Reiz nicht aus seiner Unmittelbarkeit, sondern gerade daraus, dass er schon vielfältig vermittelt, bereichert durch die Assoziationen, die sich im jeweiligen Medium an ihn hefteten, durch das postmoderne Subjekt erfahren wird.

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Klaus Schneiderheinze Zur Ermittlung der Herkunft von Migranten durch die Analyse ihrer Namen

1. Stichprobenziehungen für quantitative Erhebungen Für die empirische Sozialforschung ist bei quantitativen Erhebungen unter so- zialen Teilgruppen stets die Frage, wie eine geeignete Auswahlgrundlage gene- riert werden kann, um eine Stichprobenziehung hinreichender Qualität zu ge- währleisten. Die sicherste und formal einfachste Möglichkeit besteht im Scree- ning der Gesamtbevölkerung. Es wird eine ausreichend große Zufallsstichprobe aus der Gesamtbevölkerung gezogen und bei der Befragung dann zunächst das selektierende Merkmal abgefragt. Bei einer positiven Antwort (die Zugehörig- keit zur Zielgruppe ist gegeben) kann dann bei Zustimmung der befragten Per- son das Interview durchgeführt werden. Bei diesem Vorgehen sind zwei prakti- sche Probleme gegeben. Zunächst muss ein Zugang zur Gesamtbevölkerung ge- geben sein. Im Gegensatz zu Staaten wie den Niederlanden oder den skandina- vischen Ländern existiert in Deutschland kein allgemeines zentrales Bevölke- rungsregister.1 Die Melderegister werden von Behörden auf Gemeindeebene ge- führt.2 Eine Stichprobenziehung aus der gesamten gemeldeten Bevölkerung wä- re zwar grundsätzlich möglich, aber mit extrem hohem organisatorischem und finanziellem Aufwand verbunden. Deshalb werden bundesweite Melderegister- stichproben nicht verwendet, sondern der Aufwand stattdessen durch die ge- eignete Vorauswahl einzelner Gemeinden reduziert. Eine Alternative bieten Telefonstichproben auf der Basis von Zufallsnum- mern. Dies bietet sich auch deshalb an, da heute aus Kostengründen häufiger tele- fonische als persönliche Interviews durchgeführt werden. Aus der Gesamtmenge der möglichen Rufnummern wird möglichst unter Berücksichtigung der Vertei-

–––––––— 1 In Frankreich, Großbritannien und den USA existieren gar keine Melderegister. Stichprobenziehungen für Bevölkerungsbefragungen müssen deshalb dort stets auf andere Möglichkeiten, z.B. Wählerverzeichnisse ausweichen. 2 Aktuell 11.116 Gemeinden (31.12.2014, Statistisches Bundesamt), die aber nicht alle eine eigenständige Meldebehörde besitzen. Deren Zahl dürfte etwa bei 5.000 liegen. Zur Zeit werden Zugangsportale auf Länderebene geschaffen, die die Nutzung von Meldedaten erleichtern sollen. Inwieweit dies auch für Zwecke der Stichproben- ziehungen für Befragungen möglich sein wird, ist noch nicht ganz klar. 254 Klaus Schneiderheinze lung vergebener und nicht vergebener Nummern eine Stichprobe gezogen und diese dann abtelefoniert. Die nicht existierenden Nummern werden vorab tech- nisch ausgefiltert. Zufallsnummern werden auch für Mobiltelefonnummern gene- riert, so dass auch Personen, die keinen Festnetzanschluss besitzen, befragt wer- den können. Personen ohne Telefonanschluss bleiben dabei ausgeschlossen, doch gelten diese angesichts ihrer geringen Zahl als vernachlässigbare Größe. Andere, die gesamte oder einen wesentlichen Teil der Bevölkerung umfassende Verzeich- nisse (z.B. Steuerpflichtige, sozialversicherungspflichtig Beschäftigte) sind für die empirische Forschung in der Regel nicht zugänglich oder aber in wichtigen Merk- malen eingeschränkt. Das zweite grundsätzliche Problem besteht in dem für das Screening notwendigen Aufwand. Dabei gilt in der Regel: je kleiner die Ziel- gruppe ist, umso höher ist der Screeningaufwand. Übersteigt der Aufwand die zur Verfügung stehenden Mittel, muss nach Alternativen gesucht werden.

2. Empirische Migrationsforschung Diese Rahmenbedingungen und Einschränkungen quantitativer Erhebungen gelten auch für die empirische Migrationsforschung. Das führte deshalb in der Vergangenheit zu einer weitgehenden Beschränkung auf qualitative Erhebun- gen mit kleinen Befragtenzahlen, deren Repräsentativität aber naturgemäß ein- geschränkt ist. Hinzu kommt, dass seit den Novellierungen der die Staats- angehörigkeit und Einbürgerungen betreffenden Gesetze ab 1993 die Zahl ein- gebürgerter Personen stark zugenommen hat. Diese werden in der Regel eben- falls zur Zielgruppe als Migranten3 gerechnet, sind aber häufig nicht mehr als solche erkennbar. Im Melderegister wird die frühere Staatsangehörigkeit nur am Ort der Einbürgerung gespeichert. Bei einem Umzug in eine andere Gemeinde wird diese im dortigen Register nicht mehr vermerkt. Zwar könnte der Ge- burtsort noch einen Anhaltspunkt auf einen Migranten geben. Doch darf der im Melderegister verzeichnete Geburtsort auch für wissenschaftliche Zwecke nicht mehr mitgeteilt werden.4 Angehörige der dritten Migrantengeneration, deren beide Eltern bereits die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, und die meist auch in Deutschland geboren wurden, sind im Melderegister ebenfalls nicht als Migranten erkennbar. Ein Teil der Migranten ist also nicht mehr als solcher zu –––––––— 3 Migranten im Folgenden stets verstanden als Personen mit Migrationshintergrund nach der Definition des Mikrozensus. Diese siehe unten. 4 § 46 im Bundesmeldegesetz, siehe: http://www.gesetze-im-internet.de/bmg/__46.html. Die Betrachtung des Geburtsortes wäre sonst eine Möglichkeit, Russlanddeutsche mit deutschem Vor- und Nachnamen zu identifizieren. Zur Ermittlung der Herkunft von Migranten durch die Analyse ihrer Namen 255 erkennen. Dies machte die Nutzung von Melderegisterstichproben für die Be- fragung von Migranten zunehmend obsolet.

3. Identifizierung von Migranten anhand ihrer Namen

Eine alternative Möglichkeit zur Identifizierung von Migranten besteht in der Analyse ihrer Namen. Namensanalysen zur Erkennung von Migranten wurden in den USA bereits in den 1960er Jahren eingesetzt (WINNIE 1960, BUECHLEY 1961). Vor allem dort und in anderen angelsächsischen Einwanderungsstaaten wird dieses Instrument bis heute immer wieder genutzt.5 Die Mitte der 90er Jahre erstmals angebotenen Telefon-CDs ermöglichten der empirischen Sozialforschung den Zugriff auf eine Datenbasis von bis dahin ungeahntem Umfang und boten damit die Möglichkeit zu umfangreichen quan- titativen Erhebungen ohne regionale Einschränkungen. Dafür muss die Ein- schränkung auf den notwendigen Telefonbucheintrag in Kauf genommen wer- den. Da zum Beispiel ältere Personen eher eingetragen sind als jüngere und Frauen häufiger als Männer, liegen im Telefonbuch systematische Verzerrungen vor. Diese werden durch Gewichtungen meist anhand der Ergebnisse des Mik- rozensus ausgeglichen. Zur Identifikation von Migranten in den Telefondaten bildet die Suche über die Namen in Ermangelung anderer Merkmale die einzige Möglichkeit. Bereits bei ersten Versuchen mit Listen von türkischen Vor- und Nachnamen ließ sich eine hinreichend große Zahl von Anschlüssen mutmaß- lich türkischer Migranten ermitteln, um eine telefonische Befragung von rund 2.000 Personen türkischer Herkunft durchführen zu können (HUM- PERT/SCHNEIDERHEINZE 1997).6 Die Daten der Telefon-CDs ließen vermuten, dass sich auch Migranten anderer Herkunft am Namen gut erkennen lassen müssten. Da eine Erweiterung auf andere Migrantengruppen im Rahmen einer institutionell verankerten Tätigkeit nicht möglich war, erfolgte dies in Form ei- ner selbständigen Tätigkeit.7

–––––––— 5 Siehe SHIN/YU 1984, HIMMELFARB/LOAR/MOTT 1983, HUEY-HUEY/OLIVER/POWLES/ WAHLQVIST 1990, SHETH/NARGUNDKAR/CHAGANI/ANAND/NAIR/YUSUF 1997. 6 Die Langfassung dieser im Auftrag des Presse- und Informationsamtes der Bundes- regierung erstellten Studie wurde nicht veröffentlicht. 7 Dr. Andreas Humpert und Klaus Schneiderheinze GbR, gegründet 2000: www.stich- proben.de. 256 Klaus Schneiderheinze

4. Methodik

Bereits die Sichtung der Telefondaten hatte gezeigt, dass für den angestrebten Zweck, die Generierung einer Auswahlgrundlage für die Stichprobenziehung für Befragungen von Migranten auf der Basis der Namenanalyse, drei Faktoren wesentlich sind: 1. die Namen selbst beziehungsweise Informationen zu ihrer sprachlichen Zuordnung. 2. die Häufigkeit und Verteilung der Namen. 3. die Migrationsgeschichte und die Demographie. Da Vor- und Nachname allein weniger aussagekräftig sind als die jeweils spezi- fische Kombination von Vor- und Nachnamen, werden grundsätzlich vollstän- dige Namen als Verbindung von Vor- und Nachnamen codiert.8 Der wichtigste Faktor bei der Codierung einer Herkunft ist, nicht direkt von der Sprache auf die Herkunft zu schließen, da die Verbreitung der Sprachen selten mit den Grenzen der Nationalstaaten übereinstimmt. Erst aus der Verbindung der In- formationen zu Sprache, Häufigkeit und Verteilung der Namen mit Migra- tionsgeschichte und Demographie ergeben sich hinreichend plausible Möglich- keiten zur Zuordnung einer Herkunft. 4.1. Namen

Für die Sammlung von Namen und die dazu gehörenden Informationen beste- hen mehrere Möglichkeiten: die Nutzung der Ergebnisse der Namenforschung, die Auszählung von Häufigkeiten, Register- und Zensusdaten sowie Cluster- analysen. Dabei bestehen Unterschiede zwischen Vor- und Nachnamen. Letzte- ren kommt zunächst ein größeres Gewicht zu, da sie in der Regel nicht verän- derbar sind, während der Vorname mehr oder weniger frei von den Eltern ge- wählt werden kann. Zudem ist die Zahl der Nachnamen wesentlich größer als die der Vornamen, so dass hier auch der Aufwand größer ist. Bei den Vor- namen ist die Häufigkeit wichtiger, da manche Vornamen eine sehr weite Ver- breitung in verschiedenen Staaten besitzen, man denke nur an „Maria“ und „Anna“. Außerdem ist die Relation zwischen häufigen und seltenen Namen bei den Vornamen wesentlich extremer als bei den Nachnamen. In den meisten –––––––— 8 Liegt kein Vorname oder nur ein angekürzter Vorname vor, kann die Codierung auch allein auf Basis des Nachnamens erfolgen, ist aber mit einer größeren Unsi- cherheit behaftet. Zur Ermittlung der Herkunft von Migranten durch die Analyse ihrer Namen 257

Staaten trägt die Mehrheit der Bevölkerung einen Vornamen aus wenigen Hun- dert Vornamen, während die große Mehrheit der Vornamen eher selten ist. Durch sich ändernde Vornamenmoden können „fremde“ Vornamen zu häufi- gen Vornamen werden (dazu WOLFFSOHN/BRECHENMACHER 1999 und LIE- BERSON 2000). Zudem ist die frühere Fremdheit von Vornamen vielen Eltern nicht bewusst, sondern sie werden als „eigene“ Namen wahrgenommen. 4.1.1. Namenforschung

Naheliegend ist die Nutzung der Ergebnisse der Namenforschung. Sie besitzt einen klaren Schwerpunkt in den europäischen Sprachen mit einen umfang- reichen Fundus an Namen. Während diese eine große Zahl mehr oder weniger umfangreiche Verzeichnisse und eine Vielzahl von Artikeln und Aufsätzen vor- liegen,9 einige mehrbändige Arbeiten auch einen großen Umfang besitzen,10 gibt es kaum umfangreichere Werke für außereuropäische Namen. Zwar existieren einige sprachübergreifende Namenlexika, doch auch hier stehen europäische Sprachen im Vordergrund (VROONEN 1973, HANKS/HODGES 1988). Gerade für außereuropäische Sprachen, die für die Migrationsforschung relevant sind, exis- tieren fast nur Arbeiten mit einem geringen Umfang von Namen. Dies gilt für arabische und afrikanische Namen ebenso wie für viele asiatische Sprachen.11 Die existierenden Arbeiten12 oder die Versuche spezialisierter onomastischer Periodika13 können mangels Masse für den hier angestrebten Zweck lediglich eine Ausgangsbasis darstellen. Eine der wenigen umfangreicheren Arbeiten, ein indisches Nachnamenlexikon (ROY/RIZVI 2002), enthält immerhin 6850 Na- men, angesichts der Bevölkerung von 1 Milliarde Menschen und Dutzenden von Sprachen ein verdienstvolles Unterfangen, letztlich aber nur ein Anfang. –––––––— 9 Aus der Fülle umfangreicherer Arbeiten seien als Beispiele genannt: GOTTSCHALD 1971, DAUZAT 1994, REANEY 1976, DE FELICE 1978, ILČEV 1969. Weitere Titel finden sich in einer Auswahlbibliographie auf unserer Webseite (siehe Anm. 6). 10 Nederlands Repertorium van Familienamen 1963/1988, Familiennamenbuch der Schweiz 1989, RYMUT 1992/1994. 11 Meist werden nur einige Namen zur Verdeutlichung von Fragestellung und Metho- de genannt. Eine sonst interessante Arbeit zu Vornamenmoden im Iran nennt z.B. leider nur drei Namen: HABIBI 1992. 12 GENÇOSMAN 1975, SCHIMMEL 1992, SCHIMMEL 1993, MARTY 1935. 13 Die in Paris verlegten Cahiers d’Onomastique Arabe sind nur in wenigen Nummern unregelmäßig zwischen 1979 und 1993 erschienen; die in Pretoria seit 1987 erschei- nende Zeitschrift Nomina Africana wird nur an einer einzigen deutschen Bibliothek geführt. 258 Klaus Schneiderheinze

Ein praktisches Problem kann zudem die Sprache darstellen: die Nutzung etwa einer arabisch verfassten onomastischen Arbeit setzt entsprechende Sprach- kenntnisse voraus. Außerdem sind viele in Afrika oder Asien erschienenen Ar- beiten in Deutschland an keiner Bibliothek vorhanden. Für diese Namen müs- sen andere Wege beschritten werden. 4.1.2. Häufigkeiten

Eine Möglichkeit besteht in der Auszählung von Häufigkeiten von Namen in grö- ßeren Datenbeständen. Am leichtesten zugänglich sind digitale Telefonbücher aus verschiedenen Staaten. Diese können teilweise vollständig exportiert und an- schließend beliebig ausgewertet werden.14 Ist kein vollständiger Export möglich oder existiert keine Telefon-CD für das betreffende Land, bieten Online-Tele- fonbücher eine Alternative. Allerdings muss dann für jeden Namen eine separate Suche durchgeführt werden. Eine weitere Datenbasis für Häufigkeitsauszählun- gen sind Zensusergebnisse und Registerdaten, die über das Internet zugänglich sind. Dies gilt beispielsweise für die Ergebnisse der US-Zensen und die Register mancher skandinavischer Staaten, die über die nationalen Statistikbehörden zu- gänglich sind. Auch hier ist aber oft nur die manuelle Abfrage einzelner Namen möglich. Für unbekannte Namen, die von der Namenforschung bislang nicht erfasst wurden, stellt das Internet eine weitere gute, sehr umfangreiche, allerdings stets mit Vorsicht zu gebrauchende Informationsquelle dar. Lange nicht jede Suche nach einem Namen führt zu brauchbaren Ergebnissen. Oft ergeben sich nur we- nige, manchmal gar keine Treffer. Auch existieren Webseiten, die Häufigkeiten von Namen in einem Land angeben, oft verbunden mit einer kartographischen Aufbereitung, die sich wiederum oft auf Telefondaten stützen.15 Des Weiteren bieten einige Webseiten die Auszählung von Treffern für Personen im Internet nach ihrem Namen und Staaten.16 Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass

–––––––— 14 Unter Umständen müssen vorab alle Einträge, die nicht auf Privatpersonen bzw. -haushalte verweisen, ermittelt werden, um diese nicht fälschlicherweise mit auszuzählen. Die einfache Abfrage eines Namens über die Benutzeroberfläche der Telefon-CDs zählt Firmen oft mit, wenn ein Personenname Bestandteil des Firmen- namens ist. 15 Beispielhaft sei hier genannt www.moikrewni.pl. Die Ergebnisse werden sowohl als absolute Zahlen angegeben wie auch graphisch nach Provinzen in einer Karte dargestellt. 16 So zum Beispiel: www.locatemyname.com, www.namespedia.com. Zur Ermittlung der Herkunft von Migranten durch die Analyse ihrer Namen 259 diese Seiten nur einen Teil der länderspezifischen Domains durchsuchen, also ein Teil der Staaten fehlt. Außerdem wird die Methode der Suche nicht dokumentiert, es lässt sich also nicht nachvollziehen, warum genau ein Treffer als solcher gezählt wird. Werden allerdings beispielsweise für den Namen Chirhart 166 von 166 und für den Namen Silloway 179 von 179 Treffern für die USA gezählt17, so kann da- von ausgegangen werden, dass es sich bei einem Träger dieses Namens um einen US-Amerikaner handelt, wenn man gleichzeitig weiß, dass alle anderen angel- sächsischen Staaten ebenfalls durchsucht werden und der Vorname dieser Zu- ordnung nicht widerspricht. In so eindeutigen Fällen sind diese Webseiten trotz anderweitiger Einschränkungen nutzbar.

4.1.3. Clusteranalyse Die Clusteranalyse beruht auf der Bildung von Teilmengen mit vorab sinnvoll ausgewählten Merkmalen ähnlicher Strukturen. Im vorliegenden Zusammen- hang kann dies zum Beispiel eine bestimmte Sprache von Vor- und/oder Nach- name sein. Auch bestimmte Buchstabenkombinationen (Teilstrings), für die ei- ne sinnvoll selektierende Eigenschaft angenommen wird, kommen in Frage. So ist „xh“ typisch für albanische Namen, „wicz“, „Prz“, „nski“ sind es für polni- sche Namen. So können Teilmengen gebildet werden, die einen hohen Anteil an Namen einer gesuchten Sprache aufweisen. Bezieht man bereits bekannte und codierte Namen ein, lassen sich hinreichend einfach und genau die gesuchten Namen erkennen. Auch Häufigkeiten lassen sich nutzen. Wesentlich ist dabei, dass die Ergebnisse der Clusteranalyse nicht ohne Prüfung übernommen wer- den. Eine weitere Methode besteht im Abgleich unbekannter Nachnamen mit bekannten Vornamen. Bestätigen die Vornamen die vermutete Sprache der Nachnamen und widersprechen die Nachnamen in ihrer Struktur nicht der vermuteten Sprache, so ist davon auszugehen, dass es sich mit hinreichend ho- her Wahrscheinlichkeit um die gesuchte Sprache handelt. Meist lassen sich zur Bestätigung Häufigkeiten hinzuziehen. Analog lassen sich auch unbekannte Vornamen mit bekannten Nachnamen abgleichen.

4.2. Migrationsgeschichte und Demographie Da Namen sprachliche Gebilde sind, aber die (nationale) Herkunft gesucht wird und Sprachräume und Nationalstaaten kaum übereinstimmen, kann vom Na- men nicht direkt auf die Herkunft geschlossen werden. Menschen haben stets –––––––— 17 Beide vorab genannten Webseiten geben im Dezember 2015 diese selben Ergebnisse an. 260 Klaus Schneiderheinze freiwillig oder gezwungen die alte Heimat verlassen und sich andernorts nieder- gelassen. Ihre Namen haben sie dabei meist mitgenommen.18 Es ist deshalb notwendig, historische und aktuelle Migrationsbewegungen und die daraus re- sultierende demographische Struktur der Staaten zu berücksichtigen. Dies heißt vor allem, die Nachfahren der vor längerer Zeit eingewanderten Personen nicht fälschlicherweise als Migranten zu codieren. Relevant sind deshalb Informa- tionen sowohl zur sprachlichen Zuordnung der Namen, als auch zur Häufigkeit und zur geographischen Verteilung von Namen und zur Wanderung von Na- men mit ihren Trägern durch die Zeit. So weist ein englischer Nachname nicht immer auf einen Briten hin. Abgesehen von der Tatsache, dass auch eine große Zahl von Personen in anderen englischsprachigen Staaten englische (oder schot- tische, walisische etc.) Namen trägt, sind manche englische Nachnamen heute beispielsweise in den USA wesentlich häufiger als in Großbritannien. Eine Per- son mit einem solchen Namen ist dementsprechend mit höherer Wahr- scheinlichkeit US-Amerikaner als Brite. Das der Definition der amtlichen Statistik für die Ermittlung des Migrations- hintergrundes im Mikrozensus zugrundeliegende Jahr ist 1949. Damit gelten al- le Zuwanderer seit Gründung der Bundesrepublik als Personen mit Migra- tionshintergrund. Die Wanderungen der direkten Nachkriegszeit wollte man ausschließen. Die Aussiedler oder Spätaussiedler seit 1949 aus den ost- und südosteuropäischen Staaten des Warschauer Paktes und seiner Nachfolgestaaten lassen sich aber mit gewissen Einschränkungen berechnen (Statistisches Bun- desamt 2015: 572). Man kann durchaus auch andere Definition bevorzugen, et- wa 1955 als Jahr des ersten Abkommens über die Anwerbung ausländischer Ar- beitnehmer mit Italien. Sich an die amtliche Definition zu halten, hat aber den Vorteil, Befragungsergebnisse mit den Resultaten des Mikrozensus abgleichen und gewichten zu können. Personen mit „fremden“ Namen, die vor 1949 nach Deutschland eingewan- dert sind, sind in dem genannten Sinne keine Migranten. Deshalb sollten vor diesem Jahr liegende Wanderungsbewegungen von Menschen und ihren Na- men soweit wie möglich erkannt werden, um diese aus der aktuell definierten Gruppe von Migranten ausschließen zu können. Stellvertretend seien hier ge-

–––––––— 18 Bis zur Entwicklung eines funktionierenden und umfassenden Behördenwesens haben Einzelne allerdings immer wieder die Verlagerung ihres Wohnortes genutzt, um einen ungeliebten oder pejorativen Nachnamen loszuwerden. Auch erhielten in der frühen Neuzeit, als die Verbindung von Person und Nachname noch nicht strikt festgelegt war, manche Menschen am neuen Wohnort auch einen neuen Nachnamen. Zur Ermittlung der Herkunft von Migranten durch die Analyse ihrer Namen 261 nannt die Nachkommen der im 17. und 18. Jahrhundert eingewanderten Huge- notten19 und der um 1900 in die industriellen Zentren des Deutschen Reiches eingewanderten polnischen Arbeiter.20 Diese Gruppen können an ihren Namen zu einem großen Teil identifiziert werden. Daneben sind auch die Namen weite- rer früherer Immigranten zu berücksichtigen, etwa von Niederländern und Italie- nern. Auch müssen die Namen in den Sprachen nationaler Minderheiten berück- sichtigt werden. In Deutschland betrifft dies neben friesischen sorbische21 und dänische Namen22. Beide Gruppen sind heute mit etwa 60.000 Personen vertreten, ihre Namen allerdings wesentlich weiter verbreitet.

5. Codierung 5.1. Methode Anfangs wurde die Herkunft gruppenweise anhand der Sprachen codiert, für die Belege vorlagen. Dabei wurden Vor- und Nachnamen jeweils zu Gruppen zu- sammengefasst, für die dieselben Sprachnachweise vorlagen, also beispielsweise alle Namen, die nur als „deutsch“ oder nur als „türkisch“ bekannt waren. Andere Gruppen bilden alle Namen, für die nur Nachweise für „deutsch und englisch“ oder nur für „spanisch und italienisch“ vorlagen. Die Kombination „Nachname deutsch“ mit „Vorname deutsch“ führte zur Codierung „deutsch“. Die Kombi- nationen „Nachname deutsch und englisch“ oder „Nachname deutsch und fran-

–––––––— 19 Zu den Namen der Hugenotten in Deutschland (aber auch anderer Länder) existieren sowohl Fachliteratur wie auch Verzeichnisse im Internet. Einen neueren Überblick bietet HEUSER 2011, die umfangreichste Arbeit ZAMORA 1992. Die größte, aber bis auf eine Angabe zur Häufigkeit unkommentierte Sammlung von Hugenot- tennamen bietet: www.hugenotten.de/genealogie/2015-03-namensliste-pro-gen.pdf. Dieses Verzeichnis umfasst auch nach der Auswanderung veränderte Nachnamen, die Häufigkeit der meisten Namen ist allerdings gering (< 3). 20 Zu den Namen polnischer Immigranten sind in den vergangenen Jahren einige Arbeiten erschienen: CZOPEK-KOPCIUCH 2004 und CZOPEK-KOPCIUCH 2011 sowie ein Namenlexikon: RYMUT/HOFFMANN 2006/2010. Für die Geschichte der Polen im Ruhrgebiet seien hier beispielhaft genannt: MURZYNOWSKA 1979 und MURPHY 1982. 21 Mit sorbischen Namen hat sich Walter Wenzel ausführlich befasst; siehe hierzu WENZEL 2011. 22 Ein Verzeichnis mit rund 10.000 dänischen Namen bietet SØNDERGAARD 2000. Eine Einführung zu dänischen und anderen skandinavischen Namen (auch in Deutsch- land): NÜBLING 2011. 262 Klaus Schneiderheinze zösisch“ mit „Vorname deutsch“ ebenso.23 Zwar ließen sich so hinreichend ge- naue Auswahlgrundlagen erzeugen, die sinnvolle Stichprobenziehungen ermög- lichten. Die Zahl der Fehler war aber, vor allem was Übereinstimmungen deut- scher Namen mit Namen anderer west- und nordeuropäischer Sprachen betraf, zu groß. Diese Fehler resultierten einerseits aus der genannten Übereinstimmung (derselbe Name kommt in verschiedenen Sprachen oder verschiedenen Staaten vor, oft in wechselnden Häufigkeiten), andererseits aber auch aus der fehlenden Kenntnis über das Vorkommen eines Namens in weiteren Sprachen. Deshalb wurde die gruppenweise Codierung der Namen 2003 ersetzt durch die Analyse und Codierung des einzelnen Namens und zwar – wie bereits erwähnt – immer verstanden als jeweils spezifische Kombination von Vor- und Nachname. Bis heu- te wurden 2,1 Millionen verschiedene Nachnamen und 700.000 verschiedene Vornamen erfasst. Darin sind Doppelnamen bei den Nachnamen und mehrfache Vornamen enthalten. Von den 2,1 Millionen Nachnamen sind rund 500.000 durch die Namenforschung verifiziert. Weitere 650.000 Nachnamen sind durch Häufigkeitsauszählungen aus digitalen Telefonverzeichnissen verschiedener Staa- ten ermittelt worden. Rund 520.000 Nachnamen sind – überwiegend deutsche ‒ Doppelnamen. Die übrigen 430.000 Namen entstammen öffentlich zugänglichen Registern und anderen Verzeichnissen, zum Beispiel Zensusdaten und verschie- denen Wegen der Recherche im Internet. Die konkrete Arbeit besteht im fortlaufenden Aufbau einer zentralen Datei mit vollständigen Namen (Kombinationen von Vor- und Nachnamen), die – soweit ermittelt – einen Code für die plausibel wahrscheinliche Herkunft ent- halten. Die verwendeten Codes entsprechen den Staatsangehörigkeits- und Ge- bietsschlüsseln der amtlichen deutschen Statistik.24 Lediglich für „deutsch/ Deutschland“ wird statt der „000“ die „100“ verwendet, um einen numerischen Code zu erhalten.25 Außerdem werden manche Staaten in Gruppen zusammen- gefasst. Deren Codes werden von Ziffern ab „600“ gebildet, die von der amtli- chen Statistik nicht verwendet werden. Jeder Name als Kombination von Vor- und Nachname ist in der Zentraldatei nur einmal enthalten. Diese Datei enthält zur Zeit 33,7 Millionen Namen, von denen 29,0 Millionen einen Herkunftscode

–––––––— 23 Dieses Vorgehen ist ausführlich beschrieben in: HUMPERT/SCHNEIDERHEINZE 2000 und HUMPERT/SCHNEIDERHEINZE 2002. 24 Download als PDF oder Excel-Tabelle: https://www.destatis.de/DE/Methoden/Klas- sifikationen/Bevoelkerung/ StaatsangehoerigkeitGebietsschluessel.html. 25 Die Null steht für „kein Code vorhanden/nicht bearbeitet“, wodurch die „000“ des amtlichen Schlüssels für „deutsch/Deutschland“ nicht verwendet werden kann. Zur Ermittlung der Herkunft von Migranten durch die Analyse ihrer Namen 263 besitzen. Sie wird laufend erweitert, sowohl um neue Vor-/Nachnamens- kombinationen als auch um fehlende Herkunftscodes, die ermittelt und nachge- tragen werden. Ist keine Codierung plausibel möglich, wird entweder ein über- nationaler Code vergeben26 oder lediglich „Migrant“ codiert. Ist auch das nicht möglich, bleibt der Name ohne Code oder wird, wenn eine Entscheidung zwi- schen „deutsch“ und „Migrant“ nicht plausibel möglich ist, als „nicht entscheid- bar“ gekennzeichnet. Zusätzlich zum Herkunftscode wird eine Angabe zur Tref- ferwahrscheinlichkeit vergeben. Da es nicht möglich ist, Prozentwerte anzugeben, wird eine formale Einordnung in drei Stufen vorgenommen: hohe, mittlere und niedrige Trefferwahrscheinlichkeit. Das formale Kriterium ist dabei, ob nur eine Herkunft plausibel angenommen werden kann (hoch), zwei (mittel) oder mehr als zwei Möglichkeiten (niedrig) bestehen. Die Zentraldatei kann nicht nur zur Generierung einer Auswahlgrundlage für Stichprobenziehungen, sondern zur Codierung beliebiger Namensbestände automatisiert verwendet werden. Einzige Voraussetzung ist, dass es sich um Daten aus Deutschland handelt.27 Der konkrete Aufwand für die Codierung wird durch verschiedene Faktoren positiv oder negativ beeinflusst. Die geringe Häufigkeit, mit der dieselben Na- men in verschiedenen Sprachen vorkommen, verringert den tatsächlichen Auf- wand. So liegen uns für den weitaus überwiegenden Teil sowohl der Vor- wie der Nachnamen Nachweise nur für jeweils eine Sprache vor:

Nachnamen Vornamen

insgesamt 2.099.037 100,00% insgesamt 700.683 100,00% 1 Sprache 2.012.936 95,90% 1 Sprache 669.426 95,54% 2 Sprachen 56.460 2,69% 2 Sprachen 16.140 2,30% 3 Sprachen 10.489 0,50% 3 Sprachen 3.427 0,49% 4 Sprachen 3.307 0,16% 4 Sprachen 1.461 0,21% 5 Sprachen 1.372 0,07% 5 Sprachen 809 0,12% mehr als 5 1.504 0,07% mehr als 5 1.182 0,17%

Tabelle: Anzahl der Nachweise für Nachnamen und Vornamen

–––––––— 26 Übernationale Codes sind beispielsweise „Afrika südlich der Sahara“, „Mittlerer Osten“ (Iran, Afghanistan, Bangladesch, indische Muslime), „Maghreb“ (Marokko, Algerien, Tunesien) oder „frühere Sowjetunion“ (einschließlich der Nachfolgestaaten). 27 Analoge Zentraldateien geringeren Umfangs existieren auch für andere Staaten (z.B. Frankreich, Italien, Spanien, Schweiz, Benelux), bei denen die entsprechend andere Migrationsgeschichte und Demographie berücksichtigt wird. 264 Klaus Schneiderheinze

Darin enthalten sind sowohl Doppelnamen bei den Nachnamen wie mehrfache Vornamen. Der Eindruck einer fast immer eindeutigen leichten Codierung der Herkunft wird allerdings relativiert durch die Tatsache, dass in allen Sprachen wenige Nachnamen viele Träger besitzen und viele Nachnamen von wenigen Menschen getragen werden.28 Der erste Fall ist besonders ausgeprägt auf der iberischen Halbinsel.29 Relativiert wird es dort wiederum durch die Tradition von zwei Familiennamen in Spanien und bis zu vier Familiennamen in Portugal, die zu einer Vielzahl von Kombinationen führen. In der Praxis ist in Verzeich- nissen aber oft nicht mehr zu erkennen, ob ein einzelner spanischer oder portu- giesischer Familienname aus der Verkürzung eines Namens resultiert oder ob es sich etwa um Lateinamerikaner mit nur einem Familiennamen handelt. In Ost- und Südostasien ist der Namenbestand häufig noch wesentlich begrenzter, so in China, Korea und Vietnam. Dementsprechend sind wenige Familiennamen dort sehr häufig.30 Bei der Anwendung auf gegebene Daten sind zwei Fälle zu unterscheiden: die Suche nach einer oder mehreren Zielgruppen bestimmter Herkunft oder die vollständige Codierung einer Datei. Nach der Bereinigung und eventuellen Kor- rektur der Daten folgt die eigentliche Codierung der Herkunft in drei Stufen. Zunächst wird ein automatischer Codierungslauf durch Abgleich mit der Zentraldatei durchgeführt. Je nach Art und Herkunft der Daten werden dabei zwischen 50 und 85 Prozent der Namen mit einem Herkunftscode versehen. In der zweiten Phase werden in einer Folge von Programmläufen gruppenweise Namen nach bestimmten Kriterien ausgewählt, die mit hoher Wahrscheinlich- keit einer bestimmten Herkunft zugeordnet werden können. Diese werden dann durch Inaugenscheinnahme auf solche Namen überprüft, die nicht mit der ge- –––––––— 28 Auszählungen verschiedener deutscher Telefon-CDs ergaben, dass auf die vollständigen Namen (Kombinationen Vor- und Nachname) bezogen ein Name im Schnitt zwei Träger besitzt. Bei einer Bevölkerung von 81,3 Millionen Personen in Deutschland (31.3.2015, Statistisches Bundesamt) ist also von gut 40 Millionen verschiedenen vollständigen Namen auszugehen. In der Praxis dürften sich aber mehr vollständige Namen sammeln lassen, da derselbe Name in unterschiedlichen Schreibungen, Fehlern und unter Umständen verschiedenen Transkriptionsvarian- ten, mit allen Vornamen oder nur dem Rufnamen auftauchen kann. 29 Siehe dazu: KREMER 1992, KOHLHEIM 2011, STRAUCH 2006 und SCHMUCK/STRAUCH 2011. 30 Von den rund 700 chinesischen Familiennamen sind 20 sehr häufig. Allein der vermutlich häufigste Familienname weltweit – Wang – wird von etwa 100 Millionen Menschen getragen. Siehe auch: BAUER 1960/1961, VITTINGHOFF 1985, LIE 2007. Zur Ermittlung der Herkunft von Migranten durch die Analyse ihrer Namen 265 suchten Herkunft übereinstimmen. Auf diese Weise können weitere 15 bis 35 Prozent codiert werden. Der Rest, der vor allem aus Namen besteht, bei denen Vor- oder Nachname oder beide unbekannt sind, wird dann unter Zuhilfenah- me verschiedener Varianten der Clusteranalyse begutachtet und nach positiver Prüfung codiert. Aus den oben genannten Aufgabenstellungen ergibt sich, dass der Aufwand für die vollständige Codierung wesentlich größer ist als die Suche nach einer bestimmten Gruppe. Erleichtert wird dieser letzte Arbeitsschritt aber durch die Tatsache, dass meist nur bei 1–2 % der vollständigen Namen Vor- und Nachname unbekannt sind, während bei 80–85 % Vor- und Nachname be- reits erfasst worden sind. Ist nur der Vor- oder der Nachname unbekannt, gibt der bekannte Teil des Namens meist schon einen Hinweis auf den unbekannten Teil. Verschiedene Faktoren beeinflussen den Codierungsaufwand der letzten Phase positiv oder negativ. Erschwert wird die Codierung durch eine hohe Feh- lerzahl, einen hohen Migrantenanteil (weil dieser meist zu einem größeren An- teil unbekannter Namen führt) und die vollständige Auflistung aller Vornamen. Auch ein niedriges Durchschnittsalter der Namensträger führt zu geringeren Codierungsraten, da in Deutschland wie auch in vielen anderen Staaten mitt- lerweile durch die Liberalisierung der Vornamensgesetzgebung sowohl die An- zahl der Vornamen insgesamt wie auch deren Heterogenität in Bezug auf ihre Herkunft deutlich gestiegen sind. Daraus ergibt sich logisch, dass die Codie- rungsrate demgegenüber steigt bei einer geringen Fehlerzahl, einem geringen Migrantenanteil, der Reduzierung auf Rufnamen und einem hohen Durch- schnittsalter der Namensträger.

5.2. Praktische Anforderungen

Verzeichnisse mit Namen haben weder eine einheitliche Form in Bezug auf die Schreibung der Namen, noch sind sie frei von Fehlern. Akademische Titel, Ge- burtsnamen oder andere Zusätze können in denselben Feldern mit Vor- oder Nachnamen gespeichert sein, manchmal sind Vor- und Nachname vertauscht oder Vor- und Nachname stehen zusammen in einem Feld. Daher muss die Struktur jeder Datei, in der Namen codiert werden sollen, analysiert und gege- benenfalls korrigiert werden. Die Beschäftigung mit diesem Problemkreis ist ebenso alt wie die digitale Speicherung von Daten selbst (siehe bereits BOR- KOWSKI 1977). Systematisch kann etwa der Zeichenbestand nur die Grundbuch- staben enthalten. Dies war in den Anfangstagen der digitalen Datenverarbeitung 266 Klaus Schneiderheinze der Standard, findet sich aber auch noch heute.31 Im Extremfall kann der Zei- chenbestand sogar nur auf Großbuchstaben reduziert sein. Neben dieser Infor- mationsreduzierung durch Entscheidungen über das Datenformat gibt es ver- schiedene weitere Fehler. Die Reduzierung um diakritische Zeichen ist beson- ders häufig. Im Deutschen nicht vorkommende abgewandelte lateinische Buch- staben anderer Sprachen fallen so gut wie immer weg und werden durch den Grundbuchstaben ersetzt. Dies ist vor allem bei slawischen Sprachen der Fall. Zwar erlaubt der Unicode-Zeichensatz (dazu DEITSCH/CZARNECKI 2001: 145– 162) bereits seit 1991 die Speicherung prinzipiell aller Alphabete einschließlich des Chinesischen durch die Verdopplung der Datenlänge für ein Zeichen auf 16 Bit. Damit soll die von DOS und Windows bekannte Verwendung verschiede- ner Zeichensätze für dieselben Codetabellen ASCII und ANSI vermieden wer- den, die nur einen beschränkten Trick zur Lösung des Problems von nur 8 Bit Speicherplatz für maximal 256 Zeichen darstellen. Er wird aber für Personen- verzeichnisse (noch) nicht als Standard genutzt.32 Wird Unicode verwendet, was vor allem im Internet oft der Fall ist, tauchen häufig Probleme bei der Konver- tierung von Unicode-Zeichen in die gebräuchlichen Zeichensätze ASCII und ANSI hinzu. Dadurch entfallen alle Buchstaben, die in der gewählten Zeichen- tabelle nicht enthalten sind und werden entweder durch den Grundbuchstaben oder irgendein anderes, aber stets falsches Zeichen ersetzt. Daher ist die Fehler- häufigkeit bei nicht-deutschen Namen deutlich größer. Wurde der Name aus einem fremden Alphabet transkribiert, ist die Fehlerzahl nochmals größer. Die Zahl von Schreibvarianten wird dann nochmals durch konkurrierende Tran- skriptionssysteme erhöht. Für griechische, russische, indische oder chinesische Namen finden sich so teilweise bis zu einem Dutzend Schreib- und Fehlervari- anten. Angesichts des teilweise sehr hohen Anteils solcher Fälle werden deshalb fehlerhafte und vereinfachte Schreibungen sowie Transkriptionsvarianten der Namen einbezogen. Dabei wird so weit wie möglich sichergestellt, dass es sich bei als fehlerhaft geschriebenen erkannten Namen nicht um korrekte Schrei- –––––––— 31 Dies gilt z.B. für die französischen Telefon-CDs des Anbieters Infobel, die bis zum Jahr 2007 keine Akzente oder andere diakritische Zeichen enthielten, was bei französischen Namen eigentlich nicht zu erwarten ist. Die spanischen Telefon-CDs desselben Anbieters enthalten sowohl Namen in Normalschreibung als auch solche in reiner Großschreibung. 32 Unicode erlaubte in der ersten Version (1991) die Speicherung von 63.448 Zeichen, seit 1996 zusätzlich noch einmal von 1.048.576 weiteren Zeichen. Er entspricht der internationalen Norm ISO 10646, dort als Universal Coded Character Set (UCS) bezeichnet. Zur Ermittlung der Herkunft von Migranten durch die Analyse ihrer Namen 267 bungen von Namen in anderen Sprachen handelt. Dies ist umso wahrscheinli- cher, je kürzer der Name ist.33 Bestehen Zweifel, wird auf die Korrektur bezie- hungsweise die Aufnahme des Namens in den Namensbestand verzichtet.

6. Fazit

Das vorgestellte Verfahren erlaubt die Codierung der mutmaßlichen Herkunft von Personen in beliebigen Datenbeständen, die Namen enthalten. Grund- sätzlich handelt es sich jeweils um eine Aussage zu Namen und ihren Trägern, die lediglich eine gewisse Wahrscheinlichkeit besitzt. Um für diese Wahrschein- lichkeit möglichst hohe Werte zu erreichen, wird versucht, die maximal mögli- chen Informationen für Vornamen und Nachnamen, deren Häufigkeiten und Verteilung unter Berücksichtigung von Migrationsgeschichte und Demographie zu nutzen. Dazu gehört auch die Überprüfung und Kontrolle der vergebenen Codes und die Korrektur beim Erkennen von Fehlern. An seine Grenzen stößt das Verfahren bei fehlenden Informationen und bei der Gleichheit der Sprache. Österreicher und Schweizer lassen sich in deutschen Verzeichnissen nur dann als solche erkennen, wenn sie einen spezifisch österreichischen oder deutsch- schweizerischen Namen tragen, was auf die Mehrheit nicht zutrifft. Der immer wieder erfolgte praktische Einsatz der vorgestellten Methode seit 15 Jahren darf als Bestätigung ihrer Eignung gewertet werden. Ein Test wäre trotzdem wünschenswert, erfordert aber Voraussetzungen, die nur wenige Da- tenbestände erfüllen. Neben einer hinreichenden Anzahl von Datensätzen muss der Migrationshintergrund genau genug erfasst werden, also auch die zweite und dritte Generation der Migranten. Der Mikrozensus erfüllt diese Vorausset- zungen, ist aber nicht zugänglich. Eine Alternative bot das vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) geführte Sozioökonomische Panel (SOEP), für das zur Ermittlung des Migrationshintergrundes die gleichen An- gaben verwendet werden und das eine genügende Anzahl von Migranten ent- hält. Ein Test des Verfahrens mit Daten des SOEP wurde dankenswerterweise 2015 möglich.34 –––––––— 33 Die durchschnittliche Länge der Namen in deutschen Verzeichnissen (einschließlich der fremden Namen) liegt je nach Datenquelle zwischen 6 und 8. Namen mit nur 5 oder weniger Buchstaben sind überdurchschnittlich häufig in mehr als einer Sprache vertreten. Zum Vergleich: für Großbritannien wurde eine Durchschnittslänge von 6,47 ermittelt (HEALY 1968). 34 Die genauen Ergebnisse werden voraussichtlich 2016 in einer Publikationsreihe des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) veröffentlicht werden. 268 Klaus Schneiderheinze

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Dieter Kremer Romanische Namen in Deutschland

1. Das Thema unserer Tagung: „Fremde“ Namen ist, das bedarf eigentlich nicht der Wiederholung, außerordentlich komplex. Denn es müsste ja im Vorfeld ge- klärt werden, was heißt „fremd“? In meinem Fall, der ich „romanische“ Namen in Deutschland behandle, wäre zu klären, was heißt eigentlich „deutscher Na- me“, und auch: was heißt „romanisch“? Hänsel und Müller gelten als typisch deutsche Namen, Martini als typisch italienisch, Hernández als typisch spanisch usw.. Je nach Sichtweise stimmt beides nicht, insbesondere wenn man histo- risch-etymologische Kriterien anlegt. Doch will ich mich auf diese Diskussion hier nicht oder nur am Rande einlassen, da ich eher von der Gegenwart ausgehe. Auch beschränke ich mich auf Familiennamen. Vor- oder Rufnamen klammere ich weitgehend aus, da diese in einem völlig anderen Kontext zu sehen sind o- der, überspritzt formuliert: im deutschen Vornamenschatz gibt es nur relativ wenige „deutsche“ Namen, und doch sind sie deutsch. Auch auf die Ortsnamen in endonymer und exonymer Form (Lisboa-Lissabon, Mailand-Milano usw.) gehe ich hier nicht weiter ein. Was heißt also „deutsch“, „französisch“, „spanisch“, „italienisch“ usw.? Ein Blick in entsprechende Arbeiten, die auf Deutschland bezogen vielleicht besser „ausländische“ (und nicht „fremde“) Namen behandeln, zeigt das Dilemma. So sagt etwa Rosa Kohlheim: „Als span. FN werden solche FN aufgefasst, die in Spanien entstanden sind“ (KOHLHEIM 2001: 383). Vielleicht präziser formuliert Andrea Brendler: „Italienische FN sind im Italienischen gebildete oder ins Italie- nische entlehnte Familiennamen“ (BRENDLER 2009: 439). Dagegen meinen Wolfgang Dahmen und Johannes Kramer in der Behandlung von „[Familien- namen] bei denen es sich tatsächlich um rumänische im linguistischen Sinne Namen handelt. Namen aus Rumänien, die anderen Sprachen entstammen (z.B. ungarisch, deutsch, bulgarisch, serbisch), sollen ausgeschlossen werden“, um gleich darauf einzuschränken: „wenn die rumänischen Orthographieregeln bei einem FN beachtet werden, kann der Name als rumänisch gelten“ (DAHMEN/ KRAMER 2011: 373). Usw. Es wäre durchaus interessant, derartige Aussagen zu sammeln und sie auf das Sprachempfinden insgesamt auszudehnen: Die Bildung Weinkeller ist ge- wiss deutsch, Keller und Wein wiederum sind aus dem Lateinischen entlehnte Wörter, doch ist das dem durchschnittlichen Sprachbenutzer nicht bewusst. Nur der Spezialist bzw. Sprachhistoriker und der sprachlich Interessierte wer- 274 Dieter Kremer den hier „denken“. Aber die Frage stellt sich immer wieder auch bei Namen- erklärungen: bis wohin geht man zurück? Reicht die unmittelbare Ausgangs- sprache einer Entlehnung oder die Identifizierung mit einem konkreten Ort? Oder ist auch die Fernetymologie etwa von Zucker oder Limonade oder Lissabon oder Augustusburg für die Namen- bzw. Worterklärung nötig? Dem normalen Sprachbenutzer wird das nicht viel bringen, er fragt ja auch kaum nach der Etymologie ihm vertrauter Wörter und Namen wie eben Keller oder Müller. Hier scheiden sich die Geister oft. In unserem Kontext steht also die Frage: was empfinden wir Deutsche als „fremde“ Namen und Wörter? Wann ist die Übernahme und Integration abge- schlossen? Diese Thematik ist uralt und ist in verschiedenen historischen Pha- sen unterschiedlich zu beantworten. Im Wort- und Rufnamenschatz gibt es „fremdländische“ Moden (Mode heißt zumindest vorübergehende Integration), die sich zeitlich oft deutlich eingrenzen lassen (kulturelle oder wirtschaftliche Blütezeit, Literatur usw.). Die Lehnwortschatzforschung hat hier Großes ge- leistet; wünschenswert wäre eine systematische Untersuchung für den Ruf- namenschatz, insbesondere eine möglichst klare Differenzierung in das, was man Lehn- bzw. Fremdnamen nennen könnte. Ein „nichtdeutscher“ Familienname ist (zumindest auf den ersten Blick) aber als solcher zu erkennen, da er sich auf Personen und nicht unbedingt auf das Sprachmaterial bezieht. Allerdings werden auch Familiennamen mit den sie tra- genden Personen sprachlich und gesellschaftlich integriert: Die Frage ist, ab wann kann man, wenn überhaupt, einen Namen wie Fontane oder Chamisso oder Collet oder Brentano als deutsch empfinden, da sie doch von Deutschen getragen werden? Ein Zuccalmaglio wird gewiss stets als „Fremdnamen“ ver- standen, ein Brogiato aber vielleicht nur in der Schriftform, da sich seine Träger selbst auf deutsche Weise nach der Schreibung aussprechen… Die Schreibung des bekannten Philosophennamens Spinoza kann in die Irre führen (alter- tümliche Schreibung für port. Espinòsa), sie ist etymologisch identisch mit dem 1 in Deutschland für 12 Telefonanschlüsse nachgewiesenen ital. FN Spinosa0F usw. –––––––— 1 Ableitung von SPĪNA "Stachel". Mit topograhischem Bezug die Familiennamen spa- nisch Espinosa (jeweils an erster oder zweiter Stelle bzw. identische FN) 41.560+41.026+403, Espinoza 6.390+6.258+105, dazu vermutlich auch italienisch Espinosa 98 bzw. D’Espinosa 20, Degli Espinosa 9. Ähnlich zu interpretieren sind gewiss auch die italienischen Namen Spinosa 3.014 (Puglia 943, Campania 817, Lazio 608, Abruzzo 264, Sicilia 110) neben De Spinosa 20. Die Form Spinosi 729 kann sowohl auf Spinosa als auch auf Spinoso (905, auch sardisch Spinosu 20) zurück- gehen, hier könnte es sich auch um einen ursprünglichen Beinamen handeln. In Romanische Namen in Deutschland 275

2. Wir haben also in allen, zumindest europäischen Sprachen (oder Staaten) ei- ne komplexe Namenlandschaft, in der es von „fremden“ Namen nur so wim- melt; es passt der geflügelte Ausdruck „Wir sind alle Ausländer“. In Frankreich, nur zum Beispiel, gibt es neben „französischen“ ebenso korsische (d.h. toskani- sche), elsässische (d.h. „deutsche“), flämische, bretonische, katalanische, baski- sche, italienische Namen. Hinzu kommen heutzutage zahlreiche Namen aus ehemaligen Kolonien (Maghreb, Indochina, Überseeterritorien: Guadeloupe, La Réunion) oder sehr viele Namen, die auf Migration zurückgehen und oft durch Namenänderung (phonetische oder orthographische Anpassung, Namenwech- sel) integriert wurden: Für uns sind das alle französische Namen, in unserem Kontext besser Namen aus Frankreich. In Italien herrscht eine außerordentlich komplexe sprachliche Situation, aber alles gilt als „italienisch“; dabei gibt es so wie im Fall Deutschland erst seit 1866 einen Staat Italien. Im Königreich Spani- en herrschen vier offizielle Sprachen, in jüngster Zeit wurden die Namen sehr oft „regionalisiert“ (insbesondere Ortsnamen und Rufnamen), aber für uns sind katalanische, galicische oder baskische Namen einfach „spanisch“. Aber auch Belgien (flämisch bzw. wallonisch) oder England (mit einem sehr bedeutenden französischen Anteil, von Butcher bis Chamberlain, von Forster bis Purcell) ha- ben eine komplexe Namensituation. Sprachlich vergleichsweise weniger kom- pliziert ist die Situation in Portugal (mit Brasilien und den afrikanischen Staaten portugiesischer Sprache). Sobald man historisch-etymologisch vorgeht, also Namenerklärungen sucht, wird die Sache kompliziert. Daher ist es auf den ers- ten Blick gewiss besser zu formulieren: Namen aus Frankreich, Spanien, Italien usw., also die Staatszugehörigkeit zu betonen; oder, mit KUNZE (2003: 171), von „fremdsprachlichen“ Namen zu sprechen. Doch hier begänne wieder eine Dis- kussion, denn er zählt zu diesen die Familiennamen aus „nichtdeutschen“ Ruf- namen (Typ Valentin) oder Ortsnamen (Typ Bölkow) oder aus alten Lehnwör- tern (Typ Pfister oder Suter), auch die sog. Humanistennamen rechnet er zu den 2 fremdsprachlichen FN.1F Sprachlich und historisch gesehen ist die europäische Namenlandschaft ein buntes Gemisch sprachlich verschiedenster Ausgangsfor- men, die schwerlich einer Sprache wie „deutsch“ usw. zugeordnet werden kön- nen. Das ist historisch gewachsen. Im Zeitraffer lässt sich das in den USA be- obachten, „amerikanisch“, genauer „nordamerikanisch“, ist eine politische, kei- ne sprachliche Realität.

–––––––— Frankreich gibt es nur 8 Épineuse; „fremde“ Namen sind hier offensichtlich Spinosa 198 und Spinoza 12. 2 Nur knapp geht Adolf Bach auf unsere Thematik ein (BACH 1978: 123–124). 276 Dieter Kremer

Im Folgenden werde ich mich auf „ausländische“ Familiennamen beschränken, d.h. Namen die mit Zuwanderern nach Deutschland gekommen sind. Nur im Nebensatz sei jedoch auf die Mehrdeutigkeit von fremd in der Bedeutung „aus- ländisch“ und „fremdartig“ und damit die schwierige Übersetzung von “fremd“ hingewiesen. In den romanischen Sprachen wird keineswegs immer eindeutig zwischen beiden Bedeutungen unterschieden. Doch wird im Englischen foreign gegenüber strange präzisiert, ähnlich im Spanischen extranjero gegenüber extraño, italienisch forastiero bzw. staniero. Im Französischen ist étranger (Aus- gangspunkt für engl. strange) doppeldeutig „ausländisch“ bzw. „fremd“. Usw. Dieses Problem ergab sich aus der Übersetzung der Thematik unserer Tagung „Fremde Namen“. Auch den (historischen) Begriff „Romania“ werde ich nicht weiter hinter- fragen, sondern mich auf die Nationen Frankreich, Italien, Spanien usw. be- schränken, ohne deren eigene komplexe Namenstruktur zu hinterfragen. Nicht ganz übersehen sollte man allerdings, dass die Begriffe „Romania“ bzw. „roma- nisch“ mehrdeutig sind und der „Durchschnittsbürger“ spontan nicht unbe- dingt etwas damit anfangen kann. Neulich fragte mich ein junger Student, als er hörte, ich beschäftigte mich mit romanischen Sprachen, ob damit Sinti und Roma gemeint sei…

3. In der deutschen Sprache finden sich zahllose Wörter „fremden“, hier kon- kret lateinischen und romanischen Ursprungs, Anglizismen gehen wiederum sehr häufig auf das Französische zurück. Gerade bei traditionellen Wörtern aus dem Lateinischen empfinden wir keine „Fremdheit“, sie sind als Lehnwörter in den deutschen Wortschatz integriert. Dabei sind lautliche Erscheinungen von großer Bedeutung, Insbesondere ist zwischen „klassischem“ und späterem La- tein, dem sog. Vulgärlatein, zu differenzieren. Der gewiss als deutsch, nicht als fremd empfundene FN Pfister geht auf eine ältere oberdeutsche Bezeichnung für den „Bäcker“ zurück, diese wiederum entspricht dem klassischen PĬSTOR, mit kurzem -i- (afrz. pestre, pesteur). Im Kluge (23. Auflage 1999) findet sich eigent- lich eine Fehlinterpretation, wenn pfister als „früh entlehnt aus gleichbedeuten- dem l. pīstor“ (ausdrücklich mit langem -i-) erklärt wird, das Ergebnis müsste in diesem Fall dann wohl *Pfeister sein. Ebenfalls „früh entlehnt“ soll Pfeffer sein, doch ist der Lautwandel von kurzem -i- zu geschlossenem -e- ein vulgärlateini- sches Phänomen, Pfeffer geht zurück auf lat. PĬPER, mit kurzem -i- (frz. poivre, it. pepe, kat. pebre). In einem Beispiel wie Kirsche wird auf die Qualifizierung „früh“ oder „spät“ verzichtet, doch muss es sich um eine alte Entlehnung von lat. CERAS(I)UM) handeln, die Palatalisierung hat noch nicht stattgefunden. Wie etwa auch im Falle von Kiste (lat. CĬSTA), gegenüber Zisterne (< CISTERNA), oder Romanische Namen in Deutschland 277

3 Kichererbse (< CĬCER2F , aber it. cece) oder Kaiser (lat. CAESAR) gegenüber dem 4 jüngerem, eigentümlich geschriebenen Cäsar.3F Der klassische lateinische Voka- lismus der Vokallänge (Quantität) erfährt mit dem Übergang zum Öffnungs- grad als Unterscheidungsmerkmal (Qualität) eine wesentliche Veränderung mit weitreichenden Konsequenzen auch im Konsonantismus und ist Grundlage für die meisten romanischen Sprachen. Bei Namenerklärungen, insbesondere auch der sog. Humanistennamen, ist bei Schreibung und Aussprache darauf zu ach- ten: Auch in der Gebersprache hat es lautliche Veränderungen gegeben Das mag kleinlich oder anmaßend klingen, ist aber etymologisch-lauthistorisch von Wichtigkeit.

Bei der Erklärung romanischer Namen ist auf ihre Verbreitung oder Ver- breitungswege zu achten. Bereits angedeutet habe ich, dass über das Englische sehr zahlreiche ursprünglich französische Namen Verbreitung gefunden haben; es wäre daher nicht uninteressant, England bei der Suche nach romanischen FN ein- 5 zubeziehen.4F Solche Wandernamen haben natürlich im allgemeinen Wortschatz ihre Entsprechungen, wie etwa (nur als zufälliges Beispiel) money, das natürlich auf frz. monnaie zurückgeht, dieses wiederum auf lat. MONĒTA, aus dem dt. Mün- ze entstanden ist, money und Münze sind also Dubletten, d.h. unterschiedliche Ergebnisse desselben Etymons. Dieser Kreislauf gilt auch für Namen, ich nenne lediglich Alice (in englischer oder französischer Aussprache), das letztlich auf Adelheid zurückgeht. Die italienische „Dublette“ Ricardo/Ricciardo wird in Deutschland gerne ignoriert: auch Ricciardo spricht man trotz der doch recht un- 6 terschiedlichen Schreibung überwiegend Ricardo.5F Es wäre interessant, die Me- chanismen derartiger Fehlaussprachen zu hinterfragen, zu denen auch etwa Guido zählt. Hier stehen Orthographie und Sprachempfinden im Widerspruch. „Typisch italienisch“ ist eben, zum Beispiel, der Laut /ž/ oder /č/, also spricht man Karman-Gia statt Ghia oder latte mac(c)iato statt macchiato, vielleicht auch fungi anstelle von funghi und schreibt, da typisch für das Schriftbild, pizza Margharita, für Margherita, was natürlich keinen Sinn macht. Umgekehrt fällt durchaus auf, dass insbesondere bei französischen Namen und Wörtern die Aussprache mehr oder weniger korrekt ist, obwohl sie in keiner Weise der fremdartigen Schreibung –––––––— 3 Dazu CICERŌ (CICERONE) mit der personifizierenden konsonantischen Deklination. 4 Korrekter die Erklärung s.v. Zelle: „mit dem Christentum entlehnt aus l. cella (die Ableitung l. cellārium n. ist schon früher, noch mit der alten Aussprache k als Keller entlehnt).“ 5 Vgl. den Sprachraum „GR-6“ im PatRom-Namenbuch. 6 Dazu im Blog (www.onomastikblog.de) vom 27.7.2014. 278 Dieter Kremer entspricht, ein Musterbeispiel ist Croissant. Oder, umgekehrt, die (phonetische) Schreibung Karacho für spanisch carajo. Auch bei Internationalismen wie Telefón (neben Télefon) ist auf die Verbreitungswege zu achten: hier ist deutlich das Fran- zösische der Vermittler, wie auch etwa im Portugiesischen (telefóne), während im Spanischen und Italienischen die etymologisch korrekte Aussprache telèfo- no/teléfono zu finden ist. Allgemein wird im Deutschen anlautendes s- falsch, d.h. stimmhaft, gesprochen: in allen romanischen Sprachen ist dieses s- stimmlos. Usw. Das ist alles banal, ist aber bei einer Betrachtung von „fremden“ Namen in Deutschland oder im Deutschen zu beachten.

4. Gerne wird gerade auch bei Fremdnamen mit Frequenzlisten gearbeitet, ge- wöhnlich um ein Bild der jeweiligen Namengebung zu vermitteln. Abgesehen von technischen Details (insbesondere Basis und umfasster Zeitraum dieser Lis- ten), die eine europäische Vergleichbarkeit kaum erlauben, gilt es ebenso wie für Deutschland einige grundsätzliche Dinge zu diskutieren. Hier steht die Frage, ob jede Namenform als Individuum zu betrachten ist oder vielleicht nicht besser alle sprachlich-formalen Varianten desselben Namens zusammengefasst werden müssten, um den absoluten „Rang“ eines Namens zu dokumentieren. Bei der sprachlichen Vielfalt insbesondere Italiens und Frankreichs scheint mir das an- gebracht. Wie im Deutschen die Varianten etwa für die Bezeichnung Schmied zusammengefasst werden müssten, so sind in Italien die Namen mit ferraro „Schmied“ oder rosso „rot“ mit ihren dialektalen und regionalen Varianten, in Frankreich etwa die Ableitungen eines Patronyms wie Jacques (bzw. Iacó- 7 bus/Iácobus) zusammenzuführen.6F Hier können sich deutliche Verschiebungen in der Rangfolge ergeben. Andererseits, und das scheint mir viel wichtiger und interessanter zu sein, ist für einen Vergleich die onomasiologische Fragestel- lung, also die Frage nach dem Begriff „wie sage ich für“, etwa rot oder den Schmied, gewiss ergiebiger. Die Ergebnisse ermöglichen einen viel genaueren Blick in die charakteristische Namenwelt eines Landes oder einer „Kultur“. Na- türlich wird die klassische Frequenzfolge individueller Varianten ziemlich durcheinander gewirbelt, diese sind allerdings für sprachliche Fragestellungen von großer Bedeutung. Nur rasch zeige ich Ihnen zur Übersicht ein Beispiel für italienische Famili- ennamen, das ich aber hier nicht im Einzelnen kommentieren kann. Einerseits kontrastiere ich die üblichen Zählungen nach Telefonanschlüssen und die in- terne Materialbasis des PatRom-Projekts, eine vom italienischen Finanzministe- rium zur Verfügung gestellte Liste der Steuerpflichtigen um 1987. Es ergeben –––––––— 7 Zu diesem Beispiel eine provisorische Übersicht in KREMER 1991: 138–145. Romanische Namen in Deutschland 279 sich leichte Verschiebungen, vor allem zahlreiche neue Namen bzw. Varianten, der Gesamttrend ist natürlich identisch. In unserem Kontext wichtig ist die ent- sprechende Frequenz italienischer Familiennamen in Deutschland. Die Fre- quenzen stimmen keineswegs immer überein, wie der vorletzten Spalte zu ent- nehmen ist. Das ist natürlich zu hinterfragen und wäre systematisch zu untersu- chen. Beachten Sie in dieser Liste insbesondere das letzte Beispiel: Die Frequenz von Martini in Deutschland weist ganz eindeutig auf einen in der Hauptsache deutschen Namen (genitivischer Humanistenname), wie scheinbar natürlich auch Mártin. Zu beachten ist allerdings, dass identisch geschriebenes Martin /Martẽ/ immerhin für fast 230.000 (228.857) zwischen 1891 und 1990 geborene Franzosen gilt. Und in Spanien ist Martín knapp 500.000 Mal (491.701) jeweils als erstes bzw. als zweites (489.670) Patronym präsent, also eine sehr große Zahl 8 Spanier trägt diesen Namen.7F Der Martin geschriebene (und in Deutschland wohl auch so ausgesprochene) Familienname gilt sehr wahrscheinlich auch für hier lebende Spanier oder Franzosen, so wie sich unter den Martini sicher auch einige Italiener befinden.

Die häufigsten Familiennamen Italiens I Vergleichende Übersicht nach Dräger (Telefon) und Finanzministerium/ PatRom (Steuerpflichtige). Die Namen jeweils nur in der genannten Form, ohne Varianten; vgl. die Übersicht II. Die Frequenzen in Deutschland nach DFD (2005)/Geogen (Telefon).

PA = Patronym, ÜN = Übername, ON = Herkunftsname/Ethnikon, BN = Berufs-/Standesbezeichnung.

Folge Dräger MinFin BRD Folge Kategorie

1. Rossi 86.892 203.654 436/472 3. ÜN Rosso Ø 16.473 /61 2. Russo 56.822 170.607 851/914 1. ÜN 3. Ferrari 49.321 116.911 204/195 11. BN Ferraro Ø 38.901 208/209 4. Esposito 38.814 130.705 449/460 4. ÜN Innocenti Ø 15.976 /17 ÜN Trovato Ø 13.839 /133 ÜN

–––––––— 8 Hinzu kommen noch 21.823 Personen mit dem Familiennamen Martín Martín. 280 Dieter Kremer

Folge Dräger MinFin BRD Folge Kategorie 5. Bianchi 35.660 83.127 170/162 12. ÜN Bianco Ø 30.976 /217 ÜN 6. Romano 32.812 92.627 428/447 5. PA/ON Romani Ø 12.956 /32 7. Colombo 32.232 76.783 113/114 14. PA(ÜN) 8. Bruno 28.730 68.217 417/413 8. PA(ÜN) Bruni Ø 23.047 /56 9. Ricci 27.633 67.990 119/110 16. ÜN/PA Riccio Ø 17.449 /68 Rizzo 21.681 62.885 402/410 9. Rizzi Ø 30.866 /97 10. Marino 26.322 70.898 410/428 6. PA/ON Marini Ø 36.462 /78 Marin Ø 7.655 /375 11. Costa 25.388 58.616 493/580 *2. ON 12. Conti 24.615 57.434 126/129 13. BN/ÜN Conte Ø 41.833 /206

13. Greco 24.400 69.683 419/425 7. ON Grechi Ø 1.893 /3 Greci Ø 1.691 /4 14. Gallo 24.309 66.373 445/457 *5. ÜN Galli Ø 40.213 /329 15. Giordano 22.267 64.799 221/237 10. PA Giordani Ø 9.431 /14 16. De Luca 21.711 65.333 22/Ø PA Deluca Ø 1.536 /32 Di Luca Ø 4.353 Ø Diluca Ø 148 /3 Luca Ø 4.286 /152 17. Mancini 21.177 56.257 100/94 ÜN Mancino Ø 8.086 /62 18. Villa 20.040 34.931 88/96 *18. ON 19. Lombardi 19.907 54.520 176/178 12. ON/PA Lombardo Ø 41.995 /253 Lombardini Ø 2.988 /1 Lombardino Ø 366 /10

Romanische Namen in Deutschland 281

Folge Dräger MinFin BRD Folge Kategorie (…)

Martini Ø 40.569 /2.216 PA Martino Ø 33.296 /176 Martin Ø 7.331 /21.335 usw.

Die häufigsten Familiennamen Italiens II Gemischte Übersicht zur Häufigkeit von ausgewählten Namentypen und Namenformen.

1. "rot", nur Typ rosso BRD (geogen) Rossi 208.154 472 Rosso 16.473 61 Ross- + Ableitungen ca. 80.000 304.627 Russo 172.214 914 Russi 2.980 41 Russ- + Ableitungen 2.158 177.352

Insgesamt ca. 481.979

2. "Schmied", nur die Typen ferraro und fabbro Ferrari 127.725 195 Ferraro 39.993 209 Ferrario 12.773 6 Ferraioli 4.496 5 Ferraiuolo 4.268 6 Ferrero 18.504 32 Ferreri 1.383 209.142 29 Fab(b)ri 49.937 *28 Fab(b)ro 9.877 59.814 49

Insgesamt ca. 268.956

282 Dieter Kremer

3. "Findelkind" (u.ä.), nur die Typen Esposito, Innocenti und Trovato. Esposito 145.845 460 Espositi 200 146.045 1 Innocenti 26.982 18 Innocente 2.659 29.641 20 Trovato 18.544 157 Trovati 639 19.183

Insgesamt ca. 194.869

Die zweite Übersicht versucht die Brücke zu schlagen von der rein numerischen Erfassung von bestimmten Namenformen zu einer differenzierten, insbesondere onomasiologisch und dialektal bestimmten Quantifizierung. Wird bei „rot“ mit rosso die überwältigende Mehrzahl der Familiennamen erfasst, so sind für den Begriff „Schmied“ sehr zahlreiche Namen zu ergänzen; auch für den Begriff „Findelkind“ dürfte sich bei einer eingehenderen Untersuchung eine bedeutend 9 breitere Basis ergeben.8F Wenn derartige Frequenzlisten als Muster für typische Namenlandschaften herangezogen werden sollten, die einen Vergleich zumin- dest auf nationaler bzw. internationaler Ebene ermöglichen könnte, so ist für 10 Italien (wie auch etwa für Frankreich9F ) festzuhalten: auch hier steht ein Beruf neben der Qualifikation „rot(haarig)“ an erster Stelle. Für eine korrekte Namen- erklärung sind sprachliche Varianten zu beachten. Rossi und Russo sind iden- tische, nur regional unterschiedliche Ergebnisse desselben Familiennamens, der Unterschied ist geringer als etwa der zwischen Maria/Marie/Mia, wo Marie die eigentlich „fremde“ (d.h. hier französische) Form ist. Die Formen mit ross- sind norditalienisch, die mit russ- gelten für den Süden. Hinzu kommt das formale Element: -i-Namen sind dem Norden zuzurechnen, der Nominativ auf -o dem Süden. Wenn Sie nun auf der Übersicht die Frequenz von Rossi bzw. Russo in Deutschland ansehen, die den gesamtitalienischen Daten widersprechen, so las- sen sich daraus leicht Rückschlüsse auf die regionale Provenienz ziehen. Glei- ches gilt für den „Schmied“, Ferraro gegenüber Ferrari spricht für sich. Auf der Basis von Namen böten sich interessante soziologische Studien an. Schließlich ist das Beispiel Fabbri interessant. Die in Italien sekundäre Form mit einfachem -b- ist in Deutschland gleich 243 Mal vertreten, in der Mehrzahl der Fälle muss –––––––— 9 Dazu, zum Beispiel, zuletzt die überaus reiche Sammlung von Enzo CAFFARELLI, Gli esposti dell’Istituto Madonna dell’Annunziata di Napoli. Nomi i cognomi tra il 1830 e il 1860, in: RIOn 21 (21015) 529–590. 10 Dazu KREMER 1996: 1264–1265. Romanische Namen in Deutschland 283 es sich daher bei Fabri als Genitiv von Faber um einen deutschen, Martini ver- gleichbaren, Namen handeln. 5. Ein zentrales, wenn auch eher formales, Problem ist die Registrierung von Familiennamen aus romanischen Sprachen in Deutschland. Die französischen Familiennamen bieten in der Regel keine Probleme. Aus historischer Sicht ist die phonetisch-lautliche Anpassung an deutsche Aussprache- und Schreibge- wohnheiten allerdings von großem Interesse, eine systematische Untersuchung böte sich an. Theodor Fontane schrieb, bei der Aussprache seines Namens käme „»alles« vor: meist Vónnthan, aber auch Fontané.“ (zitiert nach KUNZE 2004: 171). Vor allem die letztgenannte, falsch akzentuierte Form auf -é gibt ei- nem Namen einen gewünschten französischen „touch“. Das bekannteste Bei- spiel ist gewiss Nestlé: Heinrich Nestle änderte die Graphie seines Namens nach seiner Auswanderung in die französischsprachige Schweiz 1839 in Henri Nestlé um. Nach diesem Muster gibt es zahlreiche Namen oder „falsche Freunde“, de- ren Erfassung und Interpretation gewiss von kulturhistorischem Interesse wäre. In einem Fall wie (geschrieben) Tauché könnte man an eine französierende Schreibweise des FN Tauche denken, der gewiss dem ON Tauche an der Spree in Brandenburg entspricht; zu sprechen wäre also /tauche/. Doch gibt es in Frankreich den lokalisierten FN Tauché (Alpes de Haute-Provence, 10 Geburten zwischen 1891 und 1965). Denkbar wäre daher auch ein Hugenottenname. Die- ser französische FN wiederum entspricht wohl kaum direkt dem Ort Tauché (im Département Deux-Sèvres, commune de Sainte-Blandine). Jedenfalls ist die spontane Aussprache problematisch, da die Schreibung nicht eindeutig scheint. Die Liste derartiger, oft nur lokaler und nur schwer interpretierbarer Namen 11 12 dürfte lang sein, aus unserem Raum z.B. Credé10F , Buhe/Buhé, Bufe/Bufé1F , Gra- 13 14 15 16 matté12F , Dittombée13F , Proquitté14F oder (geschrieben) Auch15F . –––––––— 11 Weder in Frankreich noch in Namenbüchern nachgewiesen. Zu lat. CREDERE? Nur in „gelehrten“ Wörtern ist cred- enthalten (crédule „leichtgläubig“ usw.). 12 Diese beiden Namenpaare könnten einem deutschen Namen entsprechen, doch wäre eine Herleitung aus dem Französischen möglich. 13 In Frankreich nicht nachgewiesen, nach FamilySearch ausschließlich aus Deutsch- land. Vielleicht im Zusammenhang mit dem alten westpreußischen Gramattenbrück (Provinz Pommern)? 14 Weder in Frankreich noch in Namenbüchern nachgewiesen. *dit tombée (Einbruch der Nacht)? 15 Dito. Die korrekte Schreibung scheint Proquitté zu sein, doch finden sich zahlreiche Proquitte. 284 Dieter Kremer

Bei den Namen aus Frankreich, die wohl an erster Stelle der romanischen Fremdnamen stehen, sind insbesondere zwei Spezifika zu beachten. Es gibt kei- ne besonderen formal-sprachlichen Merkmale (Patronyme sind einfach beige- ordnet und formal nicht als solche zu erkennen), aber Schriftbild und Ausspra- 17 che machen dem Deutschen zu schaffen.16F Die empfundene Endbetonung (die historisch wie in allen romanischen Sprachen eigentlich eine auf die vorletzte Silbe ist) entspricht der mehr oder weniger automatischen, allerdings nicht ein- heitlichen Betonung auf der Anfangssilbe im Deutschen. Zu beachten ist, dass natürlich auch der Franzose Fremdnamen seinen sprachlichen Gegebenheiten anpasst: Ein spanischer FN wie Toledano /Toledáno/ lautet im Französischen Tolédano /Toledanó/. Fremde Laute sind die Nasale und das (graphisch für uns nicht markierte) -u- /ü/. Hier ist vor allem bei eingebürgerten Namen der Trend zur orthographischen Anpassung deutlich (Dupont → Düpont), dazu etwa die 18 unterschiedlichen Schreibungen für Dupré17F : Dupré, Dupre, Düpre, Dupree und die der deutschen Aussprache voll angepasste Form Düpree. Bei den im Franzö- sischen inzwischen auf praktisch die drei Qualitäten ã, õ und ẽ reduzierten Na- salen hilft sich der Deutsche mit der implosiven Aussprache nach dem Muster restaurant /restorang/, balcon /balkong/ (neben eingedeutschtem Balkon) und main /mäng/. Weitere Beachtung verdient die Tatsache, dass viele französische Namen in Wirklichkeit „deutsche“ Namen sind. Das betrifft insbesondere das Elsass, aber natürlich auch Lothringen. Namen wie Klein, Gross, Muller, Schuster, Weiss, Braun, Roth, Wolf usw. können französisch sein, was bei Namenerklärungen oft übersehen wird, da die Namen nicht „fremd“ aussehen; es ist daher nützlich, sich die entsprechende Kartographierung auch in Frankreich anzusehen. Umgekehrt ist in unserem Zusammenhang die Frage zu stellen, ob diese Namen in Frank- reich als „fremd“ angesehen werden, zumindest ist die Konnotation mit „deutsch“ gegeben. Ein besonderer Fall ist das Namenverhalten (nicht nur) in Frankreich je 19 nach politischer Situation, mit Namenanpassung oder Namenänderung.18F Die folgende Übersicht möchte lediglich einen Eindruck vermitteln und zu einge- –––––––— 16 Jeannette Auch, vermutlich zu Auch /ôsch/ ON Südwestfrankreich (Aquitanien) < CIVITAS AUSCIUS „der Auscii“ (wie Eusk-ara „Baskenland“). 17 Vgl. dazu auch HARTIG/SCHWANKE 2009: 466–471. 18 Heute in Frankreich praktisch immer zusammengeschrieben < du pré (Varianten pret, prez), zu pré "Wiese", französische Entsprechung zu okzitanisch prat (FN Delprat, Duprat) < lat. PRĀTUM. 19 Ein oft vorgeführtes Beispiel die Serie Lagarde (1870) → Wache → Vache → Kuh → Cul (Elsass). Romanische Namen in Deutschland 285 henderen Untersuchungen anregen. Es scheint mir selbstverständlich, diese „aus- ländische“ Namenlandschaft bei der Betrachtung „deutscher“ Familiennamen einzubeziehen, hierbei werden sich Spezifika im Namenschatz, Frequenzen oder Orthographie (Schwartz und Hanns sind etwa typisch „französisch“) ergeben.

20 Name Frequenz F BRD (geogen) Relation F-D pro Namengruppe19F

21 Muller20F 58.811 267.588 22 Schmitt21F 54.136 277.364 23 Kremer2F 7.570 47.856 24 Kohler23F 5.515 41.052 25 Schuster24F 4.435 46.587 130.467 – 680.447 1:5,2 (14,0)

26 Weiss25F 13.001 44.548 27 Schwartz26F 11.933 48.919 28 Roth27F 9.045 26.237 Braun 6.712 43.511 29 Grün28F 1.043 3.432 49.064 – 166.637 1:3,4 (9,2)

–––––––— 20 Die deutschen Daten nach geogen (Telefonanschlüsse), das bedeutet, die Relationen in der letzten Spalte sind unstimmig, in Klammern daher die Multiplikation mit 2,7. 21 Da -u- wie /ü/ gesprochen wird, ist diese Schreibweise korrekt. Die Betonung liegt natürlich, wie bei allen hier aufgeführten mehrsilbigen Namen, auf der letzten Silbe. 22 Hier zusammengefasst die Varianten Schmitt (38.608, in Deutschland 41.034), Schmidt (10.495/197.200), Schmit (3.422/-), Schmid (1.477/37.294) und Schmied (124/1.836). 23 Hier zusammengefasst Kremer (4.361/7.597), Kremers (9/643), Kramer (wohl ein- schließlich Krämer: 877, geogen Krämer 21.044/Kramer 15.762), Kraemer (2.121/ 1.700) und Kromer (292/1.110). 24 Kohler und Köhler sind in geopatronyme.com identisch (4.171) und Koehler (1.344/700), da der Umlaut nicht markiert wird (geogen: Köhler 35.305, Kohler 5.047). 25 Zusammengefasst die Varianten Schuster (2.025), Schumacher (1.940) und Schuh- macher (470). 26 Weiss (12.222/38.544, einschließlich Weiß) und Weis (779/6.004), die letztere Variante strahlt über weitere Gebiete aus. 27 Hier zusammengefasst die Varianten Schwartz (9.909/3.424) und Schwarz (2.024/ 45.495). 28 In der Graphie Rot (geogen: 113) offensichtlich in anderer Bedeutung. 29 Grun (1.043/3.385), Gruen (5/47). 286 Dieter Kremer

20 Name Frequenz F BRD (geogen) Relation F-D pro Namengruppe19F 30 Klein29F 27.410 55.193 31 Lang30F 9.78030.744 32 Gross31F 7.197 20.590 Dick 1.079 4.893 Hoch 656 2.980 46.122 – 120.011 1:2,6 (7,0)

33 Wolf32F 13.489 69.316 Fuchs 7.133 32.073 34 Kalb3F 197 1.529 30.819 – 102.918 1:4,9 (13,2)

35 Kuntz34F 5.313 26.138 36 Hans35F 2.165 3.216 7.4778 – 29.354 1:3,9 (10,5)

37 Eine kleine Auswahl „deutscher“ Namen in Frankreich36F

38 6. Namen aus Italien37F werden in der Schreibung übernommen, die Aussprache 39 kann hier aber erheblich variieren,38F so wie man das etwa aus der Küchentermi- nologie kennt (bruschetta /bruscheta/ anstelle von /brusketta/ usw.), bereits ge- nannt hatte ich Beispiele wie Brogiato, Ricciardo /Ritchardo/ oder Guido /Guído/. Besondere Probleme bereitet die ungewohnte Graphie Konsonant + h, die vor

–––––––— 30 Hinzu kommen zahlreiche Zusammensetzungen mit Klein- (Kleinhans, Kleinmann, Kleinbrod, Kleindienst u.a.). 31 Die Variante Lange ist in Elsass/Lothringen gut belegt, doch geht die Mehrzahl der Namen wahrscheinlich auf afrz. lange "Windel" zurück; hier nicht berücksichtigt. 32 Zuzüglich Grohs (50/830). 33 Wolf (4.484/53.037) und Wolff (9.005/16.279). 34 Dazu auch Kalbfleisch (29). 35 Zusammengefasst Kuntz (4.458/1.516), Kunz (638/11.837), Kunze (199/11.438), Kuntze (18/1.247). 36 Hans (1.866/2.432), Hanns (221/158), Hannes (78/635). Hinzu kommen verschie- dene Ableitungen und Zusammensetzungen. 37 Daten nach geopatronyme.com. Hier werden alle, mit Ausnahme der während der deutschen Besatzung registrierten, Geburten zwischen 1891 und 1990 erfasst. 38 Einen Überblick über die Geschichte der italienischen Einwanderung gibt BRENDLER 2009: 451–455. 39 Vgl. dazu auch BRENDLER 2009: 451–455. Romanische Namen in Deutschland 287 hellen Vokalen den Verschlusslaut markiert (Gherardo gegenüber Gerardo, Chìrico gegenüber Cirillo), was nicht dasselbe ist wie die Entwicklung von Konso- nant + l (Chiara < CLARA, vgl. piano < PLĀNU). In anderen romanischen Sprachen steht hier das Graphem Gu- (französisch Guérard vs. Gérard, spanisch und portu- giesisch Guerra bzw. General); diese Folge -gu- wird im Italienischen dagegen immer gesprochen (Guerra, Gualtiero). Ebenfalls ungewohnt sind die Grapheme - gl(i)- und -gn- für palatalisierte l und n (Mèglio, Gnòcchi). Kennte man einige we- nige „typische“ Ausspracheregeln, wäre das Durcheinander leicht zu vermeiden, aber umgekehrt werden ja auch Namen aus Deutschland den jeweiligen Ausspra- chegewohnheiten angepasst (Bach /Bak/, Mozart /Mosár/), Vornamen oft über- setzt (Jean-Sebastien Bach, Ricardo Wagner). Morphologisch gelten -i-Namen als typisch italienisch. Doch ist diese Sicht deutlich zu präzisieren. Derartige Bildungen, in diesem Fall genitivische Namen, sind auch für den deutschen Humanismus charakteristisch (Martini, Pistoris 40 usw.). In Italien strahlt diese Bildungsweise (nicht Ableitungen!39F ) von der Tos- cana vor allem nach Norden aus. Im Zentrum, Süden und Oberitalien ist wie in Frankreich die unmarkierte Beiordnung (Martino, Russo) die Regel, oder der Bezug zu einer Familie wird mit einer Präposition ausgedrückt (De Martino, Degli Agostini usw.). Die Erklärung der -i-Namen wird kontrovers diskutiert. In Frage kommt der (lateinische) Genitiv oder ein Plural; die Problematik ent- spricht der deutschen -s-Endung (Genitiv vs. Plural). Einerseits ist der latei- nische Genitiv früh untergegangen (zur Entstehungszeit der Familiennamen ist die lateinische Deklination auf einen „Generalkasus“ reduziert), doch sprechen zahlreiche historische Muster und andere Ableitungen deutlich für den Bezug auf eine Einzelperson. Allerdings ist die Erklärung aus dem Plural als Zuge- hörigkeit zu einer Familiengruppe in vielen Fällen nachweisbar, vor allem na- türlich in eindeutigen Pluralformen (Dei Medici, Ferraris). Besonderes Merkmal der italienischen Namen gegenüber den patronymischen Ableitungen der Iberi- schen Halbinsel ist, dass jeder Namentyp (Rufname, Beiname usw.) in patro- nymischer Funktion erscheinen kann. Formal eher ungewohnt ist die italienische Behandlung der Präposition „von“ (Di, De, Da, D‘, Dei, Degli, Dal, Dalli, Dalla, Dalle, Del, Dello, Delli, Della, Delle), die keine Adelsprädikate sind sondern meist auf die Zugehörigkeit zu ei- ner Familie verweisen (Di Stefano, Dei Medici), im Falle von De, Da auch auf die Herkunft (Da Vinci, De Prato). Diese Namenbestandteile werden in Italien als selbständige Elemente des Gesamtnamens aufgefasst, also groß geschrieben und

–––––––— 40 Im DFD ist bei Deklinationsendungen durchgehend von „Ableitung“ die Rede. 288 Dieter Kremer entsprechend alphabetisiert (De Felice also unter D- nicht F-). Sehr häufig wach- sen sie mit dem „eigentlichen“ Namen zusammen (D’Acchille/D’Achille vs. Dac- chillle/Dachille, Del Giudice vs. Delgiudice, Da Pozzo vs. Dappozzo usw,). Ein Blick in ein italienisches Namenverzeichnis, am besten natürlich in das DCI, wird jeden davon überzeugen, welche Probleme beim Eintrag in ein deutsches Namenregister entstehen können. Hierbei, ich nehme das Leipziger Adressbuch als Beispiel, kennt der Standesbeamte offensichtlich das italienische System, überträgt es dann aber auch auf andere Nationalitäten. Ein D’Amato oder Di Fi- lipo, Della Santa usw. sind korrekt, die zahlreichen, in diesem Fall, portu- giesischen Da Silva, De Oliveira, Das Neves usw. falsch eingetragen. Da die Na- menträger selbst oft unsicher sind, und der Standesbeamte möglicherweise von sich selbst überzeugt ist, können hier wirkliche Fehler entstehen. Es lohnte, in Einzelfällen persönlich nachzufragen, vor allem auch zu überprüfen, bis zu wel- chem Punkt die Namenträger den „falschen“ Namen adoptieren. 7. Für Namen aus Spanien und Portugal – die, von wenigen Ausnahmen abge- sehen, hauptsächlich mit der „Gastarbeiterbewegung“ der ausgehenden 50er Jahre und derzeit wieder verstärkt in Deutschland begegnen – gilt neben der Orthogra- 41 phie (keine oder unrichtige Akzentsetzung) das Problem der (normalerweise40F ) zweigliedrigen Namenstruktur. Erschwert wird die Eintragung durch die für Spa- nien und Portugal unterschiedliche Reihenfolge des zu alphabetisierenden Na- mens und der lockere Umgang der Namenträger selbst mit ihrem Namen bzw. Unkenntnis des eigenen Systems oder Beeinflussung durch den deutschen Kon- text. Für den deutschen Standesbeamten ist das, wenn er sich nicht gründlich kundig macht, ein schwieriges Unterfangen. Ein Spanier namens Juan Gómez Pé- rez muss unter dem ersten FN, dem des Vaters, eingetragen werden, also Gómez Pérez, Juan; um den Doppelnamen zu erhalten, wird oft der Bindestrich gesetzt: Juan Gómez-Pérez. Ein Portugiese mit entsprechendem Namen, João Gomes Pires, muss hingegen unter Pires eingetragen werden, da der Name des Vaters immer am Ende steht, also: Pires, João Gomes, eine Bindestrichlösung ist nicht möglich, eher entfällt der erste Familiennamen. In beiden Sprachen werden Präpositionen klein geschrieben und untergeordnet, de ist kein Adelsprädikat. Das betrifft insbe- sondere Referenznamen des Typs da Silva, da Costa usw. und zusammengesetzte 42 Namen des Typs del Castillo oder de Sousa41F und besonders den Typ dos Santos,

–––––––— 41 Bis zu vier Namen sind möglich (beide Elternnamen), oft reduziert auf einen Namen. 42 In der Datenbank des INE werden allerdings diese Syntagmen als Einheit gesehen und unter der Präposition registriert; auch in Online-Telefonverzeichnissen ist einen Romanische Namen in Deutschland 289 dos Prazeres, da Cruz usw., die ursprünglich Vornamenzusatz sind und dann zu Patronymen werden können. Morphologisch ist für spanische und portugiesische Familiennamen die Markierung des Patronyms überaus charakteristisch. Die etymologische Her- kunft des immer unbetonten und ausschließlich mit Personennamen verbun- denen Suffixes ist nicht definitiv geklärt, aber gewiss vorrömisch. Nach spani- schen Ausspracheregeln muss auf der dem Suffix -ez vorausgehenden Silbe ein Akzent stehen (Hernández); im Portugiesischen kann die Entsprechung -es nicht betont werden, weshalb diese Markierung entfällt (Fernandes). Bei einer Reihe von Namen stehen markierte und nicht markierte Namen nebeneinander 43 44 (Martín-Martínez, Miguel-Miguélez. Diego-Diéguez42F , García-Garcés43F ), bei we- nigen anderen fehlen Ableitungen gänzlich. Hier dürften euphonische Gründe 45 (Alfonso, Alonso4F /Afonso, Tomás) eine Rolle spielen, oder die Namenpaare deu- 46 ten auf eine späte Namenmode.45F Für die Aussprache dieser fremden Namen gilt das bereits Gesagte: In der Regel werden sie nach deutschen Aussprachegewohnheiten gesprochen, insbe- sondere Erstbetonung und Nichtbeachtung spezifischer spanischer bzw. por- tugiesischer Laute sind das Normale. Oft übernehmen die im deutschen Kontext lebenden Namenträger nach und nach diese Aussprache, was zu einer völligen Verfremdung ursprünglich „fremder“ Namen führen kann. Nicht umgesetzt werden bei „spanischen“ Namen das interdentale /th/ (Zamora, González), was häufig zur Fehlschreibung des spanischen patronymischen Suffixes führt –––––––— genaue Unterscheidung nicht immer möglich. Im Zusammenhang müssen diese Präpositionen aber klein geschrieben werden. 43 Im Falle von Diego (portugiesisch Diogo) gibt es neben Diego/Diéguez die Hauptserie Diego/Díaz, Díez (u.a.), portugiesisch Dias, d.h, eine formale Trennung des Ruf- namens vom dazugehörigen Patronym. Der Fall ist kompliziert, doch setzt Díaz offensichtlich den alten Genitiv von Didacus fort. Die Identifizierung mit Santiago (Sanctus Iacobus > Sant’Iago) ist abwegig. Siehe jetzt auch RODRÍGUEZ DÍAZ 2015. Díaz zählt zu den sehr häufigen spanischen und portugiesischen FN: Spanien 688.822 (339.604/340.645/8.573, Deutschland: 261), Díez 129.570 (63.609/64.600/ 1.361, D: *906, hier fallen dt. Diez und span. Díez zusammen), Portugal Dias (D: 224). 44 Die vorherrschende, auffallende Schreibung Garcés (10.356/10.452) anstelle von *Garcíaz (Ø) bedarf der Erklärung. 45 Dieser Name got. Herkunft mit Ausstrahlung nach Europa ist als Patronym sehr häufig: span. Alonso 401.144 (198.882/197.218/5.044, D: 133), Alfonso 32.769 (16.378/16.332/176; D: 59), port. Afonso (D: 58). 46 Vgl. auch KREMER 2004. 290 Dieter Kremer

(„Mischform“ Gonzáles); wie weit hier hispanoamerikanische Aussprache- gewohnheiten hineinspielen („seseo“), bliebe zu überprüfen. Sekundär ist die Aussprache des einfachen -r- (Pérez), allerdings entfällt meist die phonologisch bedeutsame Aussprache des langen /r/ (Ramón, Carreras); hier ähnelt die por- tugiesische Aussprache der deutschen (Rodrigues). Oft bereitet auch das gra- phisch irritierende -ll- Probleme (Castillo), es sei denn Namen sind inter- national bekannt (Typ Sevilla). Bei -j-/-ge,i- (Ach-Laut) hat man oft die spezi- fische Aussprache „im Ohr“ (José, Juan), auch ist der Laut als solcher uns ver- traut. Feinheiten wie unterschiedliche Aussprache des im Spanischen immer stimmlosen -s- (Suárez, de las Casas) oder der artikulatorische Zusammenfall von graphisch -b- und -v- gehen selbstverständlich unter. Für das Portugie- sische charakteristisch ist die /sch/-Aussprache des silbenschließenden -s (Soares, Lisboa) und die stark ausgeprägte Nasalierung: jedem Vokal entspricht ein Nasal (Olhão, Belém, Martins, Camarões, atum u.a.), wie überhaupt das por- tugiesische Vokalsystem phonetisch und phonologisch recht komplex ist. Dem Normaldeutschen ist die sprachlich-kulturelle und auch politische Si- tuation der Iberischen Halbinsel nur wenig vertraut, daran ändern auch die be- liebten Touristenziele wenig. Für die Namenherkunft und Nameninterpretation sind aber die iberoromanischen Sprachlandschaften unbedingt zu unterschei- den: Kastilisch (spanische Nationalsprache neben Katalanisch, Galicisch und Baskisch als weiteren ko-offiziellen Regionalsprachen) und Portugiesisch sind, neben weiteren Regionalsprachen, keineswegs dasselbe; hinzu kommen die au- ßereuropäischen Staaten spanischer (Mittel- und Südamerika) und portugiesi- scher Sprache (Brasilien). Für die Familiennamen gibt es praktisch keine Unter- schiede, anders verhält es sich mit den Vornamen.

Romanische Namen in Deutschland 291

47

46F

d

Ety- mo- logie bask. lat. got. got. got. got.

got. lat. lat.

Rodrigo, , baskisch:

Pedro

– aare.

p

3.050.390 (1.476.378/1.493.056/80.956) 4.198 (2.051/2.147/-) 47.525 (23.550/23.598/377) 88 (62/26/-) 16.529 (8.317/8.105/107) 1.645 (850/777/18) 35.830 (17.787/17.710/333) 23.749 (11.890/11.661/198) 1.920 (935/966/19) 1.514 (1.119/390/5) 1.003.194 (491.701/489.670/21.823) 2.453 (1.279/1.118/56) 343 (190/153)

mischen Namen mischen

4.189.035 nicht markierte Patronyme markierte Patronyme 4.189.035 nicht a

y – (Spanien). Von diesen neun Rufnamen sin neun Von diesen (Spanien). Garcí RN als RN als Patronym Spani- nur en Pedro Rodrigo Rui, Ruy Álvaro Fernando Fernando Hernando

Gonzalo Lope Lopo Martín Martín Martino Martiño atron

p

apellidos

ischer, präziser hispano-gotischer Herkunft ( Herkunft präziser hispano-gotischer ischer, 47

[887] Deutschland Deutschland ES/P 486/52+101 388/307 847/532 215 320/427 749/463 292 501/290 711/263 720/712 iesischen

g

ortu

p [überwiegend importiert aus dem Frankenreich], dem Frankenreich], aus importiert [überwiegend Garcês Gomes Entspre- chung Por- tugal Alves Rodrigues Fernandes

Lopes Gonçalves Martins Peres, Pires

anisch- p ). ).

Lope, Martín sten s g

Die häufi 20.925 (10.356/10.452/117) Frequenzen Frequenzen (jeweils an erster/zweiter Stelle) 1.003.916 (493.212/496.537/14.167 1.907.623 (928.305/935.644/43.674) 750.485 (368.589/373.005/8.891) 576.002 (282.834/282.828/10.340) 1.906.111 (922.007/931.341/52.763) 737.985 (359.657/363.045/15.283) 1.790.983 (874.610/880.959/35.414) 1.909.174 (929.938/937.124/42.112) 1.718.124 (836.877/841.703/39.544) 1.601.412 (781.906/793.736/25.770)

) und fünf ursprünglich „fremder“, d.h. german und fünf ursprünglich „fremder“, )

13.922.740 markierte Patronyme Patronyme markierte 13.922.740

Garcés Patronym Patronym Spanien insgesamt 18.111.775 sind die Grundlage für 9 Rufnamen vier „einheimisch“ (lateinisch: García Gómez, Álvaro Gonzalo, Fernando, Rodríguez Ruiz Gómez Álvarez Fernández Fernández Hernández González López Martínez Pérez 292 Dieter Kremer

8. Um „fremde“ Namen in Deutschland zu identifizieren, gibt es verschiedene Suchmethoden. Spontan ist die Suche nach typischen Endungen gewiss die effizi- enteste, etwa nach der eher undeutschen Endung -ez. Wie problematisch das oft sein kann, zeigt Ihnen die entsprechende Liste auf Basis der DFD-Materialien. Neben eindeutigen spanischen (gelegentlich auch orthographisch problemati- schen portugiesischen) Namen gibt es sehr zahlreiche Namen, die unmittelbar anderen Sprachen zugeordnet werden können oder aber „dunkel“ sind. Hier of- fenbaren sich einige Probleme, die bei einer Nameninterpretation zu Schwie- rigkeiten führen können. Ich greife, absolut zufällig, das Beispiel Blifernez (Aus- sprache?) heraus. Nach Geogen sind in Deutschland 8 Telefonanschlüsse in Kas- sel, im Hunsrück und in der Eifel erfasst. Nach verwandt.de bzw. myheritage.de soll es in den Gesamtmaterialien über 90.000 Namenträger geben, hier werden al- lerdings alle, auch entfernt anklingenden Schreibvarianten gezählt, ein Problem, das auch bei der wichtigsten Datenbank familysearch im Raume steht. Geht man die Liste durch, so entsprechen nur wenige Namen dem unsrigen, es finden sich offensichtliche Varianten wie Bliferniz, Bliverniz, Bliefernis (deutsch, 18. Jh.), viel- leicht auch Plofernes (USA, 1940). Sucht man in verwandt.de gezielt nach diesen Varianten, so ist nur ein einziger Namenträger Blifernez zu finden. Die übergroße Mehrzahl sind aber andere Namen, etwa Bolívar Nuez usw. Unser Name Blifernez ist weder bei den Mormonen (Family Names) noch in der aktuellen US- amerikanischen Dokumentation des DAFN nachgewiesen. In Google finden sich mehrere deutsche Blieferniz. Geogen erfasst diese Variante nicht, dafür aber nicht weniger als 13 Bliferniz, die wiederum in Kassel und der Eifel lokalisiert sind. Of- fenbar gibt es also ein Namenpaar Blifernez und Bli(e)ferniz. Spanisch ist der Na- me gewiss nicht, doch er klingt „fremd“, einige Rufnamen deuten auf einen slavi- schen Kontext. Sucht man nach weiteren Varianten, so werden bei den Mormo- nen Blievernicht (USA oft, ØDAFN, ØNL, ØGeogen), Bliefernicht (USA oft, ØDAFN, ØNL, Geogen 33 / Bliefernich 63, NWDeutschland), Bliewernitz (USA oft, ØDAFN), Bliwernitz (USA oft, Geogen 10, Baden-Baden) usw. gelistet. Da die Vornamen der Namenträger unseres Ausgangsnamens Blifernez auf einen russi- schen Kontext deuten, habe ich Christiane SCHILLER um Hilfe gebeten. Ihre spon- tane Recherche ergibt folgendes Bild (in Zusammenfassung):

(…) die Vornamen der Namenträger deuten auf eine russische Vermittlung des FamN. Auf der Seite der Opfer des politischen Terrors in der Sowjetunion Жертвы политического террора в СССР (http://lists.memo.ru/) erscheinen eine Reihe von –––––––— 47 Garcia (García) 887, Garces (Garcés) 6 bzw. Garcez 3 Fälle in Geogen, darunter kön- nen sich auch Portugiesen befinden. Romanische Namen in Deutschland 293

Namenträgern. Als Grund für die Repressionen wird die ethnische Zugehörigkeit genannt, die Vornamen weisen auf deutsche Herkunft. Insofern ist davon auszugehen, dass es sich hierbei um ursprünglich deutsche FamN handelt, die in russischsprachiger Umgebung eine Adaption erfahren haben. Der FamN Bliewernitz findet sich auch in Ostpreußen (möglicherweise haben Sie mich deshalb kontaktiert). Diese Namenvorkommen können möglicherweise mit mennonitischer Siedlung in Zusammenhang gebracht werden. Nathaniel ist häufig für die Mennoniten, und die Auswanderung von Westpreußen nach Russland bezeugt. (Bliwernitz wird auch unter den kanadischen Mennoniten genannt: http://www. mennonitechurch.ca/programs/archives/holdings/organizations/CMBoC_Forms/1947 -60index.htm). In Mecklenburg in der Nähe von Wismar, eine Gegend, die ebenfalls als mennonitisches Siedlungsgebiet bekannt ist, lassen sich historisch die FamN Bliever- nicht und Bliefernicht nachweisen, die als Ausgangsformen für die o.g. FamN in Frage kommen. Ob der FamN Blievernicht/Bliefernicht niederdeutschen oder aber niederländischen Ursprungs ist, müsste noch geklärt werden. Die Aufforderung gebe ich weiter, besonders interessant ist das offensichtliche phonetische Variantenspiel dieses Namens. Dieser kleine Exkurs möchte ledig- lich verdeutlichen, wie komplex eine rein formale Betrachtungsweise, in diesem Fall der auf -ez endenden „deutschen“ oder besser in Deutschland nachgewie- senen Familiennamen, sein kann.

Abdel-Hafez-5 Benez-7 Cerkez-35 Acikgoez-22 Bengez-9 Cetrez-6 Akyuez-15 Benitez-47 Chavez-41 Alagoez-6 Berglez-11 Cingoez-6 Albiez-451 Bermudez-12 Civez-5 Al-Hafez-5 Bez-329 Claviez-12 Alvarez-299 [Álvarez] Bilmez-32 Cökmez-7 Antunez-5 [Antúnez] Blazquez-22 Coknez-5

Arez-7 Blifernez-10 Cömez-24 Arnez-7 Botez-6 Cortez-24 Atasönmez-7 Brabez-5 Dehez-9 Baez-17 Brglez-6 Dejosez-13 Balyemez-9 Bucsenez-7 Delhez-6 Barez-24 Bükülmez-5 Demarez-6 Basegmez-12 Cadez-5 Demez-10 Beez-365 Calmez-9 Demirez-9 Bekmez-16 Canitez-8 Deprez-32 Benavidez-5 Cerchez-5 Derrez-35 294 Dieter Kremer

Detrez-5 Gez-44 Karez-10 Giez-20 Karolewiez-7 Dieguez-8 Diez-875 Gimenez-24 [s. Jiménez] Kaymakyemez-5

Doenmez-13 Glaubez-7 Kekez-20

Dominguez-147 Göcmez-12 Kenez-5 Dominquez-8 Goez-23 Kepez-7 Donez-8 Golez-16 Kerkez-12 Donmez-7 Gomez-367 [s. Gómez] Kesmez-15 Dönmez-363 Gómez-5 Kez-19 Drobez-6 Gonzalez-520 [s. Klez-8 Droszez-10 González] Knez-82 Duez-6 González-8 Kökez-5 Duprez- Görmez-32 Kolomiez-13 9 Düsmez-5 Görünmez-5 Kopiez-6

Egilmez-35 Grabez-11 Koschwanez-6 Elez-10 Graez-7 Krampez-21 Elitez-8 Grez-17 Krawez-20 Enriquez-20 [s. Henrí- Guenduez-5 Krez-115 quez] Guerbuez-14 Kubez-10 Erdönmez-29 Gülmez-93 Kuez-6 Erez-26 Günez-6 Leez-13 Lez-6 Ersoez-6 Gutierrez-149 L'herminez-5 Estevez-27 Hafeez-9 Estévez *Hafez-35 Liez-18 -5 Etyemez-5 Hakyemez-5 Ligniez-7

Fernandez-687 Henriquez-12 Ljubez-5

Fernandez-Lopez-6 Hernandez-291 Lodomez-16 Fisser-Jourez-7 Hez-7 Lopez-681 [s. López] Freninez-5 Hudez-10 López-6 Galvez-15 Ibanez-33 Lopez-Sanchez-5 Gamez-6 Iniguez-7 Magez-7 Garcia-Fernandez-8 Janez-20 Malez-7 *Marinez-9 Garcia-Perez-5 Jaschowez-8 Markez-5 Garcia-Rodriguez-6 Jez-58 Jimenez-201 Marquez-56 Gavez-9 Geinez-7 Juarez-13 [s. Suárez] Martinez-732

Gelmez-11 *Judez-7 Martinez-Lopez-5

Genez-6 Juntez-7 Martynez-5 Gerassimez-5 Kadlez-6 Melemez-10 Gerez-5 Karagoez-8 Melendez-17 [Meléndez]

Gerlez-5 Karagülmez-17 Membrez-5 Romanische Namen in Deutschland 295

Mendez-88 [Méndez] Prez-5 Tellez-10 Menendez-27 [Menéndez] Pypez-5 Terlemez-19 Meyer-Tiez-6 Quinez-14 Tez-14 Mez-24 Ramirez-142 [Ramírez] Tiez-12 Miez-35 Reez-53 Tükenmez-13 Miguelez-6 [Miguélez] Rendez-7 Türkdönmez-10 Morawez-12 Rez-12 Turowez-8 Morez-14 Riez-24 Uez-10 Napowanez-6 Rodriguez-812 Ürkmez-26 Narvaez-8 Rodriquez-39 Üsenmez-10 Nehez-11 Rudez-10 Üzmez-8 Nemez-15 Ruez-28 Üzülmez-8 Nidinez-5 Rumez-12 Valdez-17 Nunez-58 Saez-15 [Sáez] Vasquez-40 [s. Vázquez] Obrez-5 Samiez-5 Vazguez-6 Oelmez-10 Sanchez-549 [s. Sánchez] Vazquez-131 [Vázquez] Oez-17 Sánchez-7 Velasquez-15 [Velázquez] Oistrez-6 Schledowez-13 Velazquez-17 [Velázquez] Ölmez-123 Schleidowez-8 Velez-19 Ordonez-23 [Ordóñez] Schlez-21 Vetter-Diez-6 [s. Díez] Paez-10 Schnez-33 Viez-8 Papez-35 Schwez-36 Vilchez-10 Parvez-10 Seez-55 Vitez-20 Parwez-5 Seidlez-10 von Villiez-7 Peez-63 Serez-6 Wiez-8 Pekez-11 Soenmez-19 Witez-14 Pekmez-6 Sögünmez-8 Wolniewiez-6 Perez-483 [s. Pérez] Sökülmez-6 Wolynez-6 Pérez-14 Sömmez-6 Wrschez-5 Perez-Lopez-7 Sonmez-13 Yanez-15 [Yáñez] Perez-Rodriguez-5 Sönmez-547 Yenilmez-28 *Pervez-15 Sönnez-8 Yenmez-5 *Pez-20 Soyez-65 Yetmez-5 Piez-12 Söylemez-68 Yildez-5 Plez-19 Sprez-12 Yürümez-13 Pottiez-28 Suarez-74 Zwez-10 Praez-8 Suicmez-9 Pravez-5 Sünmez-7

Familiennamen in Deutschland, die auf -ez enden.48 296 Dieter Kremer

9. Vor allem zwei besondere Gruppen der „deutschen“ FN möchte ich aus die- sem kleinen Beitrag ausklammern: die Namen aus jüdischem Kontext (hierzu zählen natürlich auch die Namen der aus Spanien und Portugal vertriebenen 49 Juden)47F und die sog. Hugenottennamen. Beide sind gut (allerdings nicht bes- tens) bekannt, und aus meiner Sicht bedürften insbesondere die unter der Sammelbezeichnung Hugenotten, unter der üblicherweise alle protestantischen Glaubensflüchtlinge aus Frankreich zusammengefasst werden, einer systema- tischen namenkundlich-sprachlichen Untersuchung. Juan Zamora, der die ent- sprechenden Familiennamen aus Niedersachsen erfasst und untersucht, betont ausdrücklich: „In den einschlägigen Namenbüchern des Deutschen und in eini- gen wenigen Einzelbeiträgen werden französische Namen von Hugenotten hin und wieder erwähnt.“ (ZAMORA 1992: 46). Hierbei ist zu unterscheiden zwi- schen Familiengeschichte und Namenerklärung. Diese betrifft sowohl die ety- mologische Erklärung der aus dem mehrsprachigen Frankreich (einschließlich Piemont und Savoyen) stammenden, also keineswegs nur „französischen“ Na- 50 men48F wie auch ihre mögliche Anpassung im deutschen Kontext. Hier muss man insbesondere unterscheiden zwischen Calvinisten (den „ei- gentlichen“ Hugenotten) und z.B. den älteren Waldensern. Für die Hugenot- 51 ten49F sind insbesondere die beiden Hauptwellen des ausgehenden 16. und aus- –––––––— 48 Freundlicherweise wurde mir der Zugriff auf die DFD-Datenbank (Mainz) ermög- licht; die Frequenzen laut geogen liegen oft leicht höher. Sicher spanische (und portugiesische) Namen in fett. Pauschal entfällt die Akzentsetzung, die Betonung ist daher nicht immer eindeutig. Auffallend ist die Schreibung -qu- anstelle von korrek- tem -gu- (Dominquez, Rodriquez), es dürfte sich um einen „technischen“ Fehler handeln. Bemerkenswert sind die Bindestrichnamen, die den vollen spanischen FN als Einheit zusammenhalten (Garcia-Fernandez, Garcia-Perez, Garcia-Rodriguez), allerdings wäre bei einer Namenstatistik auf derartige Fälle zu achten. 49 Die hier nach KUNZE (2003: 169) zitierte Aussage von Wilhelm VON HUMBOLDT: „…landesübliche Namen anzunehmen, damit „ungewiß bleibe, ob Jemand Jude sey oder nicht“ trifft in vielleicht noch größerem Maße für die Iberische Halbinsel zu. Mit der Auswanderung wurde in der Regel der neue portugiesische (spanische) Familienname beibehalten, die Vornamen aber hebraisiert, etwa Bento de Espinosa → Baruch de Spinoza (Despinosa, D’Espinosa); das -z- steht für stimmhaftes -s-. 50 Französisch (ursprünglich franzisch, die Sprache der Île-de-France) wurde letztlich erst in Folge der Französischen Revolution allgemein verbreitete Nationalsprache. Gerade bei der Namenerklärung muss die komplexe sprachliche Situation im älteren Frankreich berücksichtigt werden. 51 Vgl. dazu auch HARTIG/SCHWANKE 2009: 460–463. Romanische Namen in Deutschland 297 gehenden 17. Jahrhunderts von Bedeutung (vor dem Edikt von Nantes 1598 und nach seiner Aufhebung 1685). Die erste Welle führte schwerpunktmäßig in die Schweiz. Hier sind die (edierten) Genfer Bürgerlisten der Jahre 1549/1560, 52 1572/1574, 1585/1587 von außerordentlicher Bedeutung.50F Sie geben in aller Re- gel Herkunft, Verwandtschaftsbeziehung und Beruf der Neubürger an nach dem Muster: Les noms de ceux qui ont esté receuz et jurez le 22 d’octobre 1554: Jaques Silvestre, tysserand de toylles, natifz de Dienville sur Aube, naguères demeurant à Dijon, André Dymanet, natifz de Lyon, Jehan Marcolrelle, imprimeur, natifs de Millau en Rouergue, Arnaud Du Feu, natifz de la ville de Tarbe au diocèse dudt lieu (…) Les noms des habitans receuz le 17e d’aoust 1556: Nycolas Le Mire, natifz de Villers Sainct Pol près Cleremont, diocèse de Beauvais, Estienne et Giraud Aguyton Freies, de Roussillion, diocèse d’Apt en Provence (…) Les noms des habitans receuz le xiije de septembre 1556: Fauste Jaques, filz de feu Me Jehan Jaques, natifz du païs de Vandosmoys, diocèse de Chartres, pays de France (...) Du XXIIIe de septembre 1572: Claude Roqua, apothicaire, d’Avillane en Piedmont, apotihicaire [sic] – Boniface Morne, bourgs, Ant. These et Bernardin Serralonga, tesm., Fran. Galliepan, de Vyu en Salla, masson; - Ant. Darcena, cit., et Jaes Bastian, tesm., Guille Queneule, serrurier, de Gamache en Pic- cardie… Me Hugues Doneau, docteur aux droitz et lectr à Bourges… Philemon de Hus, de Fraisne en Tartenois, compositeur en l’Imprimerie (usw.)

Vor allem die zweite Welle führte viele Protestanten nach „Deutschland“, nicht nur in die Pfalz und nach Preußen. Bei uns ist es heute durchaus Mode, sich auf hugenottische Vorfahren zu berufen, doch ist ohne Rückgriff auf die umfangrei- che historische Dokumentation weder ein Beweis noch eine immer eindeutige Namenerklärung möglich. Diese Dokumentation liegt im großen Umfang vor. Neben der Datenbank der Hugenotten, die aber nicht allgemein zugänglich ist, gibt es zahlreiche Archive mit entsprechenden Materialien, so etwa in Leipzig 53 im Stadtarchiv und im Archiv der Reformierten Kirche.51F

–––––––— 52 Paul-F. GEISENDORF (éd.), Livre des habitants de Genève, 2 tomes [1549–1560, 1572– 1574 et 1585–1587], Genève 1957/1963; PERRENOUD, Alfred / PERRET, Geneviève (éd.), Livre des habitants de Genève 1684–1792, Genève/Paris 1985. 53 Im Stadtarchiv befinden sich „ca. 15 m Bücher aus Frankreich, nach Orten, mit Listen der Eigentümer“. Das Arvhiv der Reformierten Kirche bewahrt „Taufbücher ab 1701, Eintragungen über Trauungen ab 1751 und Konfirmationen ab 1890, Bestattungen ab 1900 (vorher im Stadtarchiv)“ (Mitteilung von Frau Edith Markert, ehrenamtliche Betreuerin des Archivs). 298 Dieter Kremer

Ich möchte nur kurz zwei zufällige Beispiele nennen, die FN Reclam und Quinque. Sie finden sich nicht in den Namenbüchern, selbst nicht in den ameri- kanischen DAFN-Materialien, sind aber in der Mormonendatenbank gut nach- gewiesen. Die Erklärung von deutscher Seite ist schwierig. Zwar ist im Falle von Quinque (so in deutscher Aussprache) das relativ eng lokalisiert ist, eine Latinisie- rung von "fünf" nicht absolut ausgeschlossen, doch weisen Namenträger selbst auf ihre hugenottische Herkunft hin. Der entsprechende FN Quinque ist in Italien nachgewiesen, kommt aber für Migration kaum in Frage und ist nur schwer er- 54 klärbar.52F In Frankreich ist der Name Quinque /kẽk/ charakteristisch für das Dé- 55 56 partement de la Haute Vienne53F und mit MORLET (1991: 82454F ) möglicherweise zu (kaum belegten) afr. quinque s.f., etwa "Schlagstock, Billardstock" als Beiname für den Spieler zu stellen. Doch ist damit keineswegs ausgeschlossen, dass es sich um die Kürzung eines längeren Namens mit der latinisierten Form von cinq „fünf“ 57 handeln könnte.5F Reclam ist in Frankreich nicht als NF nachgewiesen, gehört aber gewiss zu südfranzösisch/occitanisch reclam „Protest, Schrei, Echo“ usw., das wir aus reklamieren kennen. Vermutlich ist die Familie aus Savoyen mit diesem seltenem Namen ausgewandert, der sich nur in Deutschland gehalten hat. In bei- den Fällen könnte Archivarbeit vielleicht weiterhelfen.

10. Ich komme zum Schluss. Meine kurzen Bemerkungen zu einem sehr weiten Arbeitsgebiet möchten nur den „deutschen“ Namenforscher sensibilisieren und den Blick vom theoretischen, aus unterschiedlichen Informationen zusammen- –––––––— 54 47 Personen, davon 29 in Aquila/Abruzzen und 13 in Milano. 55 214 Geburten zwischen 1891 und 1990, davon 90 im Dép. Haute Vienne. Ein gutes Beispiel für die Bedeutung älterer Zählungen bzw. jüngerer Bevölkerungsverschie- bungen: 1891/1915: 64 Geburten, davon 43 in der Haute Vienne gegenüber 1966/1990: 35 Geburten, davon nur 3 in der Haute Vienne. 56 Morlet fasst auch Quinquet (wohl zwei verschiedene Bedeutungen, Schwerpunkte in Pas de Calais/Meuse und Südostfranbkreich), Quinquaud (Creuse), Quinquetet (Ø), Quinqueton (Haute Loire), Quinquereau (Ø) und Quinquette (Dordogne) als Varian- ten zusammen; die letztere Form ist nicht unbedingt Matronym (Morlet), eher Deminutiv. Anders zu erklären sind vermutlich die katalanischen FN Quinqué (20, Barcelona (9+10), bzw. Quinquer (21+22, mit der auffallenden Verteilung Albacete 13/-, Barcelona 8/17). 57 Vgl. etwa Philippo de Quinque Arboribus (mercator) a.1463 PaixAurillac 361/364 oder Ramundus Quinque Alnas (macellarius de Albate) a.1322 (Toulouse), Robertus Quinque Panes a.1198 (Normandie) oder ON Arnulfo de Quinque Altaribus a.1195 (Normandie). Romanische Namen in Deutschland 299 getragenen Oberflächenwissen lenken auf die konkrete Praxis der Namen- erklärung. Für den romanistisch nicht vorbelasteten Namenerklärer (üblicher- weise einen Germanisten) kann es durchaus Interpretationsprobleme geben. Aber auch ein native speaker ist nicht automatisch ein Namenexperte. Im Idealfall greift man auf ein französisches, italienisches, spanisches oder portugiesisches Namen- 58 buch zurück,56F doch muss man die fremdsprachlichen Erklärungen auch verste- hen oder richtig einordnen können, auch sind diese oft nur mehr oder weniger zuverlässig. Gerade bei Importnamen ist die Kenntnis einiger grundlegender sprachhistorischer und sozialhistorischer Fakten und ein Blick in die historische Überlieferung von Bedeutung. Und natürlich ist es wichtig, sich ein Bild von der jeweiligen Verbreitung und den Namenlandschaften zu machen und mit dem entsprechenden Namensystemen vertraut zu sein. Keineswegs selten begegnen in Deutschland „fremde“ Familiennamen, die von Namenbüchern nicht erfasst sind; romanistische Spezialisten, von denen es letztlich nicht viele gibt, werden sich aber eher nicht mit Namen in Deutschland beschäftigen. Umso wichtiger sind, zumindest als Erstinformation und falls gut gemacht, große internationale Reper- torien wie das Digitale Familiennamenbuch Deutschlands (DFD) oder das gleich vorgestellte neue American Dictionary of Family Names (DAFN). Die Namener- klärungen im neuen digitalen Namenbuch wird man mit Interesse verfolgen; die 59 wenigen bisherigen Beispiele sind eher enttäuschend.57F Inzwischen gibt es eine Reihe von Diensten, die Namen statistisch erfassen und oft eine kartographische 60 Darstellung bieten. Doch ist die jeweilige Grundlage recht unterschiedlich.58F Ne- –––––––— 58 Standardwerke sind die von MORLET, GERMAIN/HERBILLON, DCI, FAURE/RIBES/ GARCÍA und MACHADO, neben wichtigen regionalsprachlichen oder historischen Namenbüchern. Eine erste Annäherung ist auch über das DAFN möglich, die Neu- bearbeitung (in Vorbereitung) ist erheblich umfangreicher. 59 Die Kommentare sind sehr knapp und schematisch gehalten (etwa der genannte Fabri), die Erkenntnis für den Benutzer ist gering. Man scheint wenig vertraut mit den jeweiligen, hier italienischen Namenlandschaften. Als Basis der Namenverbrei- tung wird eine Internetseite wie www.alfemminile.com herangezogen. Zu den auffallenden Relationen: Der eindeutig italienische FN Benedetto erscheint nach DFD in Deutschland in 34 Fällen, gilt in Italien laut alfemminile für 1.913 Personen, das Steuerverzeichnis zählt 7.734 Personen. Für mehrdeutiges Bertoldi (vermutlich nur italienisch, die deutsche Humanistenvariante lautet Bart(h)oldi) nennt DFD 28 Fälle bei einer italienischen Frequenz von 2.020 (Finanzministerium: 5.574). Siehe dazu auch die obigen Übersichten zu den häufigsten italienischen Familiennamen. 60 Eine einheitliche europäische statistische Basis existiert nicht, was z.B. für das PatRom-Projekt problematisch war. Vgl. dazu auch KREMER 2010. 300 Dieter Kremer ben nationalen Unternehmen wie z.B. in Belgien oder Spanien, welche die Ge- 61 samtbevölkerung erfassen – eine Sonderstellung nimmt Frankreich ein59F – ist für andere Länder die Basis der (stark abnehmenden) Telefonanschlüsse brauchbar, aber natürlich keineswegs vollständig, am Fall Italien lässt sich das schön doku- 62 mentieren.60F Dies vor allem angesichts der Tatsache, dass die Mehrzahl der Na- men nur wenige Male überhaupt belegt ist und das Namensterben unter sprach- 63 historischem Gesichtspunkt einen enormen Verlust bedeutet;61F einen Ausgleich bilden eben die zahlreichen neuen „fremden“ Namen.

Literaturangaben

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–––––––— 61 www.geopatronyme.com. Geburten zwischen 1891 und 1990 mit automatischer Kar- tographierung nach Zeitabschnitten: 1891/1915, 1916/1940, 1941/1965, 1966/1990. Erfasst sind 1.329.359 Namen; vgl. auch FONDANT 1999. 62 Dazu weiter oben (Finanzministerium vs. Telefonanschlüsse). 63 Eine Vorstellung der Dimension vermittelt das Kapitel «Noms en voie de dispa- rution» bei FONDANT 1999: 955–1420 (rund 400 Namen pro Seite…). Romanische Namen in Deutschland 301

GOTTSCHALD, Max (1971): Deutsche Namenkunde. Unsere Familiennamen nach ihrer Entstehung und Bedeutung, vierte Auflage mit einem Nachwort und einem biblio- graphischen Nachtrag von Rudolf SCHÜTZEICHEL, Berlin. HARTIG, Margit / SCHWANKE, Judith (2009): Französische Familiennamen im deutschen Sprachgebieter, in: HENGST/KRÜGER 2009, 459–473. HENGST, Karlheinz / KRÜGER, Dietlind (Hg.) (2009/2011): Familiennamen im Deutschen. Erforschung und Nachschlagewerke, 1. Halbband: Deutsche Familiennamen im deut- schen Sprachraum; 2. Halbband: Familiennamen aus fremden Sprachen im deutschen Sprachraum (= Onomastica Lipsiensia 6.1./6.2), Leipzig. HEUSER, Rita (2011): Französische Familiennamen in Deutschland, in: HENGST/ KRÜGER 2011, 349–372. KOHLHEIM, Rosa (2011): Spanische Familiennamen in Deutschland, in: HENGST/ KRÜGER 2011, 383–396. KREMER, Dieter (1991): Quelques impressions de statistique onomastique médiévale, in: A.M. Badia i Margarit (éd.): Actes del III Col·loqui PatRom (Barcelona, 19–21 juny 1989), Tübingen (= Patronymica Romanica 5), 175–211. – (1996): Morphologie und Wortbildung bei Familiennamen II: Romanisch, in: Na- menforschung. Ein internationales Handbuch zur allgemeinen und europäischen Onomastik, 2. Teilband, Berlin/New York, 1263–1275 (Art. 162). – (2004): Sobre los apellidos españoles, in: RIOn 10 (2004) 9-32. – (2006): Autor de la formation historique des noms de famille italiens, in: Alda ROS- SEBASTIANO (ed.): Da Torino a Pisa. (Atti delle giornate di studio di Onomastica, To- rino, 7–9 aprile 2005, Atti delle giornati di studio di Onomastica, Pisa, 24–25 feb- braio 2006), Alessandria (= Onomastica 1), 3–29. – (2010): Familiennamengeographie im romanischsprachigen Kontext, insbesondere am Beispiel Portugal, in: NI 98 (2010), 9–52. – (2014): Berufe und Namen, in: NI 103/104, 413–479. KUNZE, Konrad (2004): dtv-Atlas Namenkunde. Vor- und Familiennamen im deutschen Sprachgebiet, 5. Auflage, München. MACHADO, José Pedro ([1984]): Dicionário onomástico etimológico da língua portu- guesa, 3 vols., Lisboa. MORLET, Marie-Thérèse (1991): Dictionnaire étymologique des noms de famille, Paris. RODRÍGUEZ DÍAZ, Elena E. (2015): El proceso de imposición de modelos lingüísticos en la Edad Moderna: el caso del patronímico Díaz/Díez en Sayambre, in: Lletres Asturi- anes 113, 45–63. SCHMUCK, Mirjam / STRAUCH, Melanie (2011): Familiennamen aus dem Portugie- sischen in Deutschland, in: HENGST/KRÜGER 2011, 397–418.

Patrick Hanks The Dictionary of American Family Names: German family names in North America

Introduction: The Dictionary This paper presents the Dictionary of American Family Names (DAFN) with particular reference to family names of German origin in North America. DAFN is an ambitious undertaking, involving collaboration among more thirty than scholars and expert contributors from all over the world. The first edition was published in 2003; work on a second edition started in 2014 and is due to be completed in 2018. The aim in the first edition was to explain the origins of 70,000 American family names, selected according to three criteria: • Frequency • Historical interest • Philological interest

As regards the criterion of frequency, our colleague Ken Tucker of Concordia University in Canada obtained a machine-readable American telephone direc- tory, listing over 70 million subscribers, and selected all surnames1 with more than one hundred listed subscribers. This constituted the core headword list for the first edition. Names of philological interest include the many American altered forms of European family names. These include many French examples (mostly Hugue- not) such as Shumate and Delashmit, both of which are from the French topo- graphic surname de la Chaumette. Bean is a translation of French Fave, which became a French Canadian surname because it was mistaken for French Fevre ‘smith’ (a derivative of Latin Faber) after fevre dropped out of use as a vocabu- lary word and was replaced by forgeron. A German example is Cashdollar, which is an Americanization of the German family name Kirchthaler, denoting some- one from a place called Kirchthal. Examples of names selected for their historical interest include Brattle and Stuyvesant. Brattle was the surname of an important family in seven- teenth-century Massachusetts. By origin it is a habitational name from the vil- –––––––— 1 In this paper, the terms ‘surname’ and ‘family name’ are used interchangeably, without distinction in meaning. 304 Patrick Hanks lage of Brattle in Kent, England. The 2011 British census records 112 bearers of this surname, nearly all of whom are still found in southeast England. When work started on the first edition of DAFN in 1990 there were still a few surviv- ing members of the American Brattle family in North America, but it seems that the name has since died out. This family name yielded at lest one historic street names in New England, namely Brattle Street in Cambridge, Massachusetts. Peter Stuyvesant was the first and only governor of New Netherland, the Dutch colony on the eastern seaboard of North America that included the fledg- ling city of New Amsterdam. The Dutch colony was taken over by the British in 1664 and renamed New York. Stuyvesant is an American family name of great historical importance. At the time of publication of the first edition of DAFN, the etymology was unexplained, but since then the Dutch scholar Leendert Brouwer has explained it, as from a Dutch topographical term, stuifzand ‘drift- ing sand’ or ‘sand dune’ (a term derived from stuiven ‘to flow or drift’ + zand ‘sand’). This term is found as a minor place name in several coastal places in the Netherlands, notably one near Ruinen in Drenthe, which is where Governor Stuyvesant’s family probably came from. There are many previously unex- plained American family names the origin of which is now known, which is one of the reasons why a second edition of DAFN is needed. According to the 2000 census, there are only 185 modern bearers of the sur- name Stuyvesant in the USA. It is not clear how many of them are descendants of Governor Peter Stuyvesant, who died in 1681, and how many, if any, come from people who have adopted the surname more recently. There are many ex- amples of famous surnames being adopted by genetically unrelated people. The surname Washington, for example, is now borne by many more Americans of African descent than descendants of the first president or his family. Dana is another example of an American family name of great historical in- terest. The earliest records of this name in colonial North America data back to 1640. It was never a common name in England; the 1881 census records only 28 bearers. The available evidence suggests that it is a Huguenot name, a variant of French D’Aunay, from any of several places in France called Aunay. However, there has been much confusion about it. The name acquired an Irish flavor, be- ing associated erroneously with a Gaelic forename likewise spelled Dana. Rich- ard Dana came from England in 1640 to Cambridge, Massachusetts, where he died in 1690. His most famous descendant was Richard Henry Dana (1815– 1882), author of Two Years before the Mast. This author’s fame, coupled perhaps with the Irish myth, contributed to the transferred use of the surname as a en- duringly popular given name for boys, which is still quite frequent, despite the -a ending, which is normally characteristic of female given names. Richard German family names in North America 305

Henry Dana’s autobiographical tale of a young man serving as a merchant sea- man caught the imagination of generations of Americans. The 2000 U.S. census records 5335 people bearing the family name Dana. Probably, not all of these are descendants of the 17th-century immigrant to Mas- sachusetts, for the family name is also found in Hungary and Slovakia. Thus, it may well also be a surname borne by descendants of more recent (19th- and 20th-century) immigrants. The 2000 census records the total population of USA in that year as 282 mil- lion. (It is estimated that by 2014 the population had risen to 319 million.) Over 50 million Americans identified themselves in 2000 as being of German ances- try. This figure includes German speakers from the Austro-Hungarian Empire, Switzerland, Alsace, and elsewhere, not to mention so-called ‘Volga Germans’ from Russia, many of whom, after several generations in Russia, uprooted them- selves and re-located to North America in the late 19th and early 20th centuries, as political unrest, xenophobia, and intolerance mounted in their homeland. Fi- nally, we must not forget the large numbers of German- and Yiddish-speaking Ashkenazic Jewish immigrants, some of whom before the Holocaust identified themselves as ‘German’ or ‘Austrian’, although others – the majority, it seems – were more insistent on being identified with their ethnic and religious heritage as ‘Jewish’. The examples of Stuyvesant, Washington, and Dana mentioned in the preceding paragraphs illustrate some the difficulties faced by a lexicographer who seeks to explain the origins of American family names. Ideally, every entry would be supported by massive genealogical data, tracing the family history back to the earliest recorded immigrants who brought the name to North America, record- ing the country, city, or village from which they came, identifying variations in spelling, and then delving further back into the origins of the name in medieval Europe or wherever else in the world it may have originated. This, at the present time, is an impossible dream. It would be a vast undertaking, fraught with diffi- culties. Nevertheless, a great deal can be achieved by comparative lexicograph- ical studies of names in source languages. DAFN is above all a linguistic refer- ence work. It traces the linguistic origins and histories of surnames, with only occasional references to genealogical sources, usually when it has been found that these shed light on particular linguistic puzzles. The structure and content of DAFN is very simple: each entry starts, wherev- er possible, with an identification of the source language in which the name originated. The etymons from which each name is derived are stated (if known), along with a gloss. The general aim is to trace each surname back to its original 306 Patrick Hanks form and meaning in a source language, almost always in a language that was spoken somewhere in the world outside North America. Where reliable genealogical or other research has been found to shed light on the origins of a name, a historical note is included. That, however, is not the primary aim of the work. During research for the first edition in the 1990s, it was found at first that nearly one third of the American family names selected had to be recorded as “origin unidentified” – that is to say, their origin was not obvious and they could not be found any of the dictionaries of surnames in any of the world’s languages. This proportion was substantially reduced by systematic comparison of surnames with forenames. Many Americans exhibit residual cultural loyalty to the forefa- thers when choosing a given name for a child, even if they can no longer speak the language in which the name originated. The etymology of a surname borne by people christened Tibor, Gabor, Laszlo and Istvan must clearly be sought in Hungarian sources, while Ernst, Hans, and Kurt equally clearly point to German origin. A sharp distinction was made between ‘diagnostic’ and ‘non-diagnostic’ forenames. Non-diagnostic forenames are name like Peter and Paul, which are found in many cultures. Ken Tucker then wrote a computer program compar- ing unidentified family names with their diagnostic forenames. This procedure identified the probable source language of a very large percentage of the puz- zling surnames. It also identified some errors and oversights in the researchers’ tentative linguistic speculations and the work of previous researchers. For ex- ample, the program shows very clearly that in America the surname Abe is strongly associated with forenames such as Hiroshi, Ayako, Kaoru, Masahiro, Masumi, and Toshio. This leads to the conclusion that, in most if not all cases, the American surname must be of Japanese origin and it is unlikely to have any- thing to do with the English and Jewish familiar short form of the forename Abraham. Refinements of the program are clearly feasible, although not yet put into practice due to constraints of time and resources. For example, the sharp distinction between ‘diagnostic’ and ‘non-diagnostic’ forenames could be im- proved by reformulating the program to take account of probabilities. Thus, the forenames Patrick and Bridget are at present classified as non-diagnostic, but it would be interesting to explore whether their distribution across surnames con- firms or disconfirms the intuitive speculation that they are associated with sur- names of Irish origin. The forename Stanley is etymologically English (a trans- ferred use of a surname, borne by an influential and powerful aristocratic fami- ly). However, as a given name in the United States, Stanley is favoured by Polish Americans, no doubt because it is taken to be an English form of the popular German family names in North America 307

Polish given name Stanisław. Another possible computational procedure would compare the recorded forenames and surnames of contemporary Americans with the location of bearers recorded in social media such as LinkedIn, yielding another set of probable source locations for etymological and historical investi- gation. At present, such procedures can only be carried out impressionistically by human researchers, with all the fallibility that that implies. Computational refinements of this sort are for the future. It must be emphasized that computa- tional procedures can nly complement, not replace, essential historical and philo- logical research, which is the bedrock of onomastic studies.

A New Edition of DAFN

In 2014, Oxford University Press (New York office) decided, despite the general downturn in the market for reference books, to commission a second edition of DAFN. This is due for completion in 2018. The aims of the second edition in- clude: • Explain the etymology of all family names borne by more than 200 Americans in the 2010 census. Using census data as a source for the headword list is more satisfactory than telephone subscribers. It is esti- mated that this will add at least 10,000 new entries to the entry list, bringing the total number of entries to around 80,000. • Make further efforts to explain some of the names in the first edition that were categorized as “unexplained”. • Include more notes on early immigrants, especially in the 17th and 18th centuries. The general form of the question asked here is: “Do we know who first brought this name to North America?” This worthy goal only occasionally yields a reliable answer. Much fundamental research is fea- sible, but remains to be done. OUP’s budget does not extend to system- atic surveys of early passenger lists, and up to now funding agencies have not displayed any interest in historical research of this kind.

German American Family Names

The remainder of this article will focus on the historical circumstances of Ger- man settlement in North America and the etymologies of distinctively Ameri- can names that are of German origin. Over 20,000 family names in DAFN2 (around one quarter of all the entries) have a German etymology. The project is lucky to have the indefatigable Dr Ed- 308 Patrick Hanks da Gentry as contributor for names of German etymology. Her efforts, it is hoped, will be supported by the expertise of members of the Deutsche Gesell- schaft für Namenforschung. Another useful ally is Professor Marc Picard of Concordia University in Canada, who has an unrivalled understanding of on-line genealogical sources.

The Historical Background

Throughout the 17th century many of the nations of Europe engaged in a com- petitive scramble for territory in the New World. The process started as early as 1535, when Spain established a viceroyalty called Nueva España (New Spain) covering vast areas in what is now central America and the southern USA. New France (Nouvelle-France) followed a few years later, covering not only what is now Canada but also a vast area stretching down the Mississippi basin to the Gulf of Mexico. The English followed soon after, founding the Colony of Virginia, named for Elizabeth I of England, “the Virgin Queen”, although the colony was not incor- porated officially until 1607, by which time Elizabeth had been dead for four years. The colony of Virginia was first settled by merchant adventurers, planters, many of whom rapidly turned into slave owners. Despite a miserable few early years, due to sickness, death, and hostilities with the native American popula- tion, the colony eventually thrived and the population swelled, due not least to the large number of convicts sentenced to transportation from England, Scot- land, and Ireland, many of whom were able to make remarkably successful and respectable careers in the colony in later life. In 1620 a very different group of settlers from England began laying the foundation of colonies in what became known as New England. These were the “Pilgrim Fathers”, Puritan dissenters from the established Church of England, in search of a new home where they could follow their own religious conscience while remaining English subjects in law and in culture. Their religious faith can be gauged from some of the given names that they chose for their children. Pu- ritans favoured given names taken from the Old Testament: Abraham, Isaac, Jabez, Caleb, Obadiah, Ezekiel; Abigail, Deborah, Rebecca, Ruth, Zillah. Old Tes- tament given names were (are) shunned by Roman Catholics, except in a few cases such as David, where an Old Testament name happens to coincide with that of an early Christian saint. Even more distinctive, as Puritan given names, are 17th-century coinages taken from vocabulary words, for example Praisegod and Wrestling for boys; Mercy, Patience, and Prudence for girls. German family names in North America 309

At about the same time, settlers from Holland founded a colony on the east- ern seaboard of North America. This was populated comparatively thickly in particular all the way up the Hudson Valley to Albany and beyond. Founded in 1611, New Netherland was settled by Dutch Protestants and French Huguenots – farmers and traders, mostly. Colonial settlements emerged in different parts of the New World called New Spain, New France, New England, and New Netherland. There was also, briefly, a New Sweden, which was sited along the banks of the Delaware River, before it was swallowed up in 1655 by New Netherland. New England and New Nether- land in particular were colonized by religious zealots of fundamentalist tenden- cies, who (among other things), laid the foundations for religious and territorial wars with French-speaking Roman Catholics in the north and Spanish-speaking Roman Catholics to the south. Given all these newly named “new” European colonies, at first sight it may seem strange that there was no “New ”. Why not? Two obvious an- swers suggest themselves: in the first place, there were almost no Ger- man-speaking settlers in North America before the 18th century, and in the se- cond place, the concept of Germany as a nation did not exist in Europe, so there was no unified German-speaking state in Europe in whose name colonist could go out and found an empire. Let us look at each of these two phenomena in a little more detail, starting with the status of German speakers in Europe in the 17th and 18th centuries – and indeed the 19th up to 1871, Being “German” in 17th- and 18th-century Europe was a matter of language and culture rather than citizenship of a political entity. Before Bismarck’s unifi- cation in 1871, Germany was a politically and religiously disparate collection of unrelated principalities, dukedoms, statelets, and other administrative entities, some very small. For much of the 17th century, German-speaking Europe was engulfed in the horrors of the Thirty Years’ War. The Thirty Years’ War eventually came to an end in 1648, after much death and destruction and atrocities committed by both sides in the name of Chris- tianity. The principle that brought the war to an end was Cuius regio, eius religio (which can be roughly translated as “Your religion is determined by where you live”). This principle had been devised at the Peace of Augsburg in 1555 but was only intermittently observed until the Peace of Westphalia almost one hundred years later. German-speaking Protestants were thereafter found in places where the local ruler was a Protestant, a fact that also attracted refugees from other German-speaking territories where the local ruler was a Catholic, as well as Hu- guenots from France. In the ensuing century and a half many descendants of these people went to British colonial North America, either was settler or as sol- 310 Patrick Hanks diers. Successive Protestant landgraves of Hesse-Kassel, for example, hired out their subjects as mercenaries to the British and other powers. The colonial British deployed Hessian mercenaries in North America to fight against, first, the French and, later, the rebellious colonists in the American revolution of 1775–1783). Ac- cording to orally preserved family histories and legends, several American fami- ly names, including Kice, Kious and Linkous, are corruptions of German family names which can no longer be reconstructed with any confidence, borne by Hessian mercenaries in the 18th century. More confidence can be given to the derivation of some other American families name brought to North America by Hessian mercenaries, for example Moff (a nickname from a Hessian dialect word meaning ‘grumpy’) and Nazelrod (from a German topographic name, Nes- selrodt or Nesselroth, meaning ’nettle clearing’).

German settlements in North America

Another reason why there was no “New Germany” in North America is that there was comparatively little migration of German speakers to North America before the mid 18th century. Thereafter, however, there was a substantial influx, especially to Pennsylvania and Maryland. In most of the colonies, only Protestants were admitted by the British authorities, while immigration of Hes- sian and other mercenary soldiers was positively encouraged, at first to fight in colonial wars against the French, subsequently in the failed attempt to maintain British rule over the rebellious colonists. Several American family histories record descent from Hessian mercenaries, What appears at first sight to be the earliest German settlement in North America – New Paltz, NY, on the Hudson River, founded in 1678 – is not really German at all. It was founded by a group of French Huguenots from Mann- heim. Nevertheless, the place-name is distinctively German (from the word meaning ‘Palatinate’, the Mannheim dialect pronunciation of Pfalz). Five year later, in 1683, the first true German settlements in North America are recorded: in that year thirteen German Mennonites families arrived in Pennsylvania. Led by Franz Pastorius, they founded Germantown, near Philadelphia. As the 18th century wore on, immigration to North America from Ger- man-speaking lands gradually increased. In 1741 two groups of Moravian Brethren founded the cities of Bethlehem and Nazareth in Pennsylvania. By the 1880s, the area of the cities of Cincinnati, Milwaukee, Saint Louis had come to be known as ‘the German triangle’. The influx of German-speaking settlers to the newly independent nation continued throughout the 19th and 20th centuries, German family names in North America 311 especially following political upheavals in Europe such as those of 1848 and 1933.

Patterns of Americanization

Many but by no means all of the etymologies and examples discussed in this sec- tion are mentioned in HANKS (2003). Thanks are due to Dr. Edda Gentry and Dr. Juergen Eichhoff of State College, Pennsylvania, for their contributions. Ref- erences to numbers of bearers are based on data for 2007, kindly provided by Professor Richard Webber of King’s College, London. Almost all of the many Anglicized – or more precisely, Americanized – forms of German family names recorded in DAFN had their origin in the 18th and early 19th centuries (not at Ellis Island in the late 19th century, as is some- times asserted). Typically, a German immigrant to North America in those days bore two forms of his/her surname: one – the original German form – was used in the family circle, among neighbours, and with other German speakers. The other – a form adapted to the sound pattern of English – was at first reserved for official purposes, i.e. for dealings with the English-speaking bureaucracy. This duality was normal up to the mid of 19th century. It would be a crude generaliza- tion, but nevertheless one with some truth in it, to say that German immigrants to America before about 1800 tended to develop an Americanized form of their German family name, while German immigrants to America after about 1850 tended to keep the German spelling of their family name, Thus, German Ehr- hardt was altered to American Earhart, Klein became Cline, and Wege became Waggy except in Virginia, where the name is usually spelled with only one -g-. American English does not use diacritics, so if a German name contained an umlaut, it was lost or altered to something else. Thus, German Böhringer was changed to Boehringer and Baringer (where it overlaps with derivatives of Beh- ringer, denoting someone from either of two places called Behringen). Böhm be- came American Beam (overlapping with a pre-existing English name). In many cases, family history research has confirmed details of name chang- es. For example, Eisenhauer ‘iron cutter’, is a German occupational name that is apparently peculiar to the Palatinate. It is found, unaltered, in the United States with 2191 bearers, but there are also several variant and Americanized spellings, notably Eisenhour (450 bearers), Isenhour (1388 bearers), Icenhour (609 bear- ers), Isenhower (578 bearers), and Eisenhower (794 bearers). Genealogical re- search has established that a certain Hans Nikolaus Eisenhauer, ancestor of President Dwight D. Eisenhower, was born in 1691 in Eiterbach im Odenwald, formerly part of the Palatinate, in what is now Hesse. In 1741, at the age of 50, 312 Patrick Hanks he sailed with his wife and children from Rotterdam to America and settled in Lebanon County, Pennsylvania. Underlying such variations are patterns of linguistic change, which are some- times merely orthographic and sometimes more complicated. In this section, I can do more than mention just a few examples. An exhaustive study would re- quire more time and resources than is practical without the constraints of a con- ference paper. The change just mentioned, from German -hauer to American -hower and -hour, is not an isoloated phenomenon, for it is also found in the following names, among several others: Boomhower, from Baumhauer ‘tree cutter’ Spainhour and Spainhower, from Spanhauer ‘lath cutter’ Downhour, from Daunhauer or Daugenhauer ‘stave cutter’ and, with a very different etymon: Freshour and Frushour, from Froschauer or Fröschauer ‘frog meadow dweller’.

A more common Americanization has as its source the element bach ‘stream’, which is very common in habitational and topographic names of German origin. In North America, it regularly became baugh. DAFN records 118 Ameri- can family names ending in -baugh and a further ten ending in -paugh. In most cases the German source name is also found, unaltered, in North America, usu- ally reflecting differences in the date of immigration, the Americanized forms generally reflecting an earlier advent. Examples include: Alpaugh (589 bearers) and Albaugh (244 bearers), from Albach (a river name, most probably the one in in Hesse) Allenbaugh (487 bearers) and Alumbaugh (947 bearers), from Allenbach Aughenbaugh (544 bearers), from Achenbach Balsbaugh (228 bearers), from Pfalzbach Bedenbaugh (832 bearers), from Biedenbach Butterbaugh (665 bearers), from Puderbach Highbaugh (350 bearers), from Heibach Hixenbaugh (866 bearers), from Höchstenbach Kishbaugh (616 bearers) and Kishpaugh (277 bearers), from Heibach Mothersbaugh (191 bearers), probably from Mutterbach, a stream name found in the Saarland and in the Palatinate Peckenpaugh (306 bearers), Peckinpaugh (378 bearers), and Peckinpa. all from German Bickenbach. German family names in North America 313

German long -a- was often respelled as -au-. Thus: German Achenbach yielded U.S. Aughenbaugh (544 bearers) German Slabach yielded U.S. Slaubauch (295 bearers).

German final -us is sometimes found in America as -ous, typically as an altered form of Latin personal names favoured by Humanists in the 16th century, though this is not the only source of American family names ending in -ous. Brocious (645 bearers) and Brosious (373 bearers) are from the Latin name Am- brosius. Clous (213 bearers) is from German Klaus or Dutch Klaas, short forms of Nicholas. Junious (424 bearers) is from Junius, a Latin name adopted by Hu- manists in allusion to the Roman family whose members included founder of the Roman Republic a tribute known as a defender of liberty and democracy, and one of the assassins of Julius Caesar. Some other examples of regular sound changes and spelling changes may be mentioned.

German -sch- was regularly respelled in America as -sh-. Thus, German Schönemann became American Shanaman Drescher became Dresher.

German -ch often became -ck, as American English does not have a guttural fricative speech sound: Reich became Rike Barichmann became Barickman

South German and Alsatian Pf was simplified to P or F: Pfaffenberger became Poffenberger Pfanzler became Fansler The Alsatian name Pfoersching became U.S. Pershing Pfannebecker became U.S. Pennypacker.

South German P and B were interchangeable in certain phonetic contexts, for example: In both Austria and America, Papst (‘pope’) alternates with Babst. In southern German-speaking regions, Bach alternate with Pach, and both names are found in America. German Bürkel became U.S. Percle. 314 Patrick Hanks

German Bäsinger became U.S. Paysinger (229 bearers), with an element of folk etymology.

German -ein was often Anglicized as -ine. Thus, German Klein ‘little’ was re-spelled in the U.S. as Cline, and Amrhein ‘on the Rhine’ was re-spelled as Amerine.

Folk etymology The American family name Teachman (195 bearers) looks English, but it is not. It a partial translation of German Lehrmann, which was construed as deriving from lehren ‘to teach’, although in fact it is a habitational name for someone from a place called Lehre in Lower Saxony.

There are several names in which the German habitation ending -thaler became U.S. -dollar. German Helmenthaler became U.S. Helmandollar German Reichenthaler became U.S. Richendollar German Kirchthaler became U.S. Cashdollar.

The American family name Creviston has been identified as a folk-etymological alteration of German Gravenstein, but -stein → -ston is not a common pattern. Other examples of folk etymology are not uncommon.

Creation of pseudo-English forms

The American family name Wegley may look like an English habitational name, but you would search the U.K. Atlas for it in vain. In fact, it derives from Wegli, a south German diminutive of Wege, a topographic name from a word meaning ‘road’, cognate with English way. Assimilation of the south German -li (or -le) diminutive ending to the Eng- lish place-name ending -ley , a frequent element of English habitational names, was very common. Some other examples are: U.S. Balsley is from Swabian Bälzle or Swiss Balzli >Balthasar U.S. Cagley is from Kägli U.S. Coberly is from Köberle U.S. Deatley is from Dietl, a south German pet form of Dietrich U.S. Eisley is from Eisele U.S. Gramley is from Swabian Grämmle. German family names in North America 315

Over 200 similar examples are recorded in DAFN.

Adoption of a similar-sounding pre-existing English name As immigrants from Germany came flooding to the United States in the 19th century, some of them encountered English surnames that sounded similar to their own German surnames, although it must be acknowledged that there was rarely any etymological relationship between them. In such circumstances, the new immigrant would occasionally adopt the English name as if it were a bo- na-fide equivalent. Thus: Griesheim was assimilated to English Grisham, a variant of Gresham Kuhn was assimilated to English Keene Eschler was assimilated to English Ashley Bächle and Bächli were assimilated to English Beckley Kohli was assimilated to English Coley.

These examples are just a few of the many that serve as a reminder to the ono- mastic etymologist that there is sometimes more than meets the eye to the ety- mology of an English names in America. In cases of assimilation, there is rarely a direct semantic equivalence between the source name in German and the Eng- lish name that it was assimilated to. However, a few examples do exist. Two ex- ample will suffice: German Stahl was assimilated to English Steel(e). German Gutkind was assimilated to English Goodchild.

In both of these cases, the meaning of the English and the German etymon is similar.

Sorbian family names

Over one quarter of the entries in DAFN have a German etymology. However, it is important to note that not all American family names that came from Ger- man-speaking lands are of German etymology. So, for example, some entries in DAFN are of Sorbian etymology, including the following: Barnick ‘ram’ Blaske = Blasius Chuba and Schuba ‘fur’; Schubach and Chubbuck ‘furrier’ Fandrich and Handrick = Andreas Gaubatz ‘braggart’ 316 Patrick Hanks

Groetsch ‘castle’ Grubich ‘big’ Gude ‘poor’ Jentzsch = Johannes Jugan ‘southerner’ Kieschnick ‘cottager’ Noffke ‘newcomer’ Perschke (type of fish) Saupe ‘steward’ Seba ‘finch’ Tkac ‘weaver’.

Puzzles In this section, we give some examples of German American family names (with initial A-K) that are partly or wholly unexplained. The American family name Flythe is recorded by family historians as an al- tered form of German Fleith, However, the German name has not been satisfac- torily explained. Kious (301 bearers) is said by family historians to be from a German family name, Kiausch, variant Kowes, which in the 1780s was borne by Johann Kowes, a Hessian mercenary fighting for the British during the Revolutionary War, who changed sides and fought against the British. However, the etymology of this family name remains unexplained. Some other American family names which, at the time of writing (February 2016) are believed to be of German-language origin, but unexplained etymolo- gy, include the following: Altermatt (232 U.S. bearers in 2007), Swiss German Barie (236 U.S. bearers) – from Stuttgart and Karlsruhe Baumunk (221 U.S. bearers) Blehm (567 U.S. bearers) Blend (284 U.S. bearers) Blauch (308 U.S. bearers) and Blouch (356 U.S. bearers), Swiss German Brockner (191 U.S. bearers): variant of Bruckner? Bueltel (220 U.S. bearers) Bulen (279 U.S. bearers) – are we sure it’s German? Dalsing (204 U.S. bearers) Deja (322 U.S. bearers) – Sorbian? Demmy (176 U.S. bearers) – are we sure it’s German? German family names in North America 317

Dinda (194 U.S. bearers) – from around Dormagen, Köln, Bochum, Bocholt Durian (195 U.S. bearers) – South German? Swiss German? Dreith (207 U.S. bearers) Durtschi (261 U.S. bearers), Swiss German Eichten (270 U.S. bearers) Eigsti (190 U.S. bearers), Swiss German Elzroth (331 U.S. bearers) Esse (262 U.S. bearers) Etzkorn (431 U.S. bearers) Eversman (382 U.S. bearers) Farin (244 U.S. bearers) Fetterhoff (636 U.S. bearers), Fetterolf (782), Fetherolf (487) Feuling (248 U.S. bearers) Gadient (224 U.S. bearers), Swiss German Gartzke (276 U.S. bearers), perhaps Sorbian Gause (3679 U.S. bearers) Gefroh (205 U.S. bearers), from Odessa Geitz (262 U.S. bearers) Gillitzer (253 U.S. bearers) Gitschel (276 U.S. bearers) Gnall (230 U.S. bearers) Gottula (200 U.S. bearers), from Elpersheim in Wuerttemberg Griest (609 U.S. bearers) Grunst (200 U.S. bearers) Guman(n) (209 U.S. bearers), Swiss German Haby (336 U.S. bearers) Harpring (201 U.S. bearers) Hashman (428 U.S. bearers), from German Haschmann, unexplained Heltemes (205 U.S. bearers) Hestand (625), from German Hiestand, unexplained Hiemenz (264 U.S. bearers) Holdener (280), Swiss German Jasman (271 U.S. bearers) Jasmer (348 U.S. bearers) Jevne (204 U.S. bearers) Jokerst (395 U.S. bearers) Kathol (326 U.S. bearers) Kaufenberg (221 U.S. bearers) Kiplinger (317 U.S. bearers) Koy (292 U.S. bearers) 318 Patrick Hanks

Kult (191 US. bearers), Swiss German Kultgen (254 U.S. bearers), Rhineland Kutach (205 U.S. bearers)

Conclusions

The study of family names is not only of interest to genealogists and family his- torians, but also has an important role to play in shedding light on linguistic (philological) patterns and historical puzzles. The present article has presented a framework and a few case studies and themes, with a focus on American names of German-language origin. Over one third of the entries in DAFN have a Ger- man origin. Some of them cannot (yet) be explained. New techniques of analysis of large data files using computers are only now beginning to become available. Large digitized files such as early tax records, wills, court proceedings, and passenger lists were rare in 2003, when the first edition of DAFN was published. Only now are such resources beginning to be available becoming available in significant quantities. This augurs well for the future of faily-name research. The first edition of DAFN was the first serious attempt to bring to bear in- ternational scholarly cooperation on the etymological analysis of family nams, supported by corpus-linguistic techniques, which at that time were in their in- fancy. The result was more successful than many of us dared hope whehn the project began in 1990. However, in the absence of detailed primary studies of individual family names, which are still all too rare, as well as comparative on- omastic and historical studies, DAFN could do little more than scratch the sur- face. It did, however, succeed in putting together a framework of basic facts, within which future research could be carried out. DAFN presented a succinct account of the source and etymology of the most frequent names in America. Now, thanks to the New York office of Oxford University Press, a second edi- tion is under way, and the surface can be scratched a little more deeply. Family names of German origin form an important component of the ono- mastic word stock of American English. The present article has drawn attention to the following facts among others: • In many cases, the German original spelling of a surname and one or more Americanized spellings continue to coexist in the USA today. • In many cases, these differences are the result of different immigration events at different times, although in other cases they are from diver- gent descendants of a single immigrant ancestor. German family names in North America 319

• Such questions can only be decided by detailed, painstaking genealogi- cal research, which is beyond the scope of DAFN at the present time. A huge, academically well funded research project is called for. In the eman time, we must be content with what DAFN can do, within its lim- ited resouces. • Before etymologizing can start, we have to know the language and culture (and dialect, where possible) in which the name originated. To do this, we get the computer to correlate ‘diagnostic’ given names with unexplained surnames. Forenames display enduring cultural loyalty, even among peo- ple who no longer speak the source language. Examples of diagnostically German forenames include Karlheinz, Wolfgang, Wolf-Armin, Dietlind, Volker. Examples of non-diagnostic forenames include Peter, Patrick, An- gela, Rosa, Claudia.

Reference

HANKS, Patrick (ed.) (2003): Dictionary of American Family Names, 3 vols., Oxford.

Arbeitskreis für Namenforschung

Der Arbeitskreis für Namenforschung (AKNf) ist eine Vereinigung namen- kundlich interessierter Philologen, Landeshistoriker und Angehöriger sonstiger wissenschaftlicher Disziplinen, die sich mit Namen befassen. Der Arbeitskreis strebt an, interdisziplinäre Kontakte unter den namenkundlich Arbeitenden und wissenschaftlichen Austausch über die Fachgebiete hinaus zu fördern und zu pflegen. Eine feste Mitgliedschaft besteht nicht. Alle namenkundlich Interes- sierten sind zur Mitarbeit eingeladen. Das geschieht über thematisch gebundene Symposien, die der Arbeitskreis gegenwärtig alle drei Jahre veranstaltet und die bisher auf Einladung von Universitäten und Institutionen stattfinden konnten, an denen namenkundliche Forschung betrieben wird. Die Vorträge dieser Sym- posien sind in Sammelbänden publiziert. Die Anfänge des Arbeitskreises gehen bis in die 1950er Jahre zurück und standen zunächst hauptsächlich in Zusammenhang mit der Schaffung einer Neubearbeitung des Altdeutschen Namenbuchs von Ernst Förstemann. Mit die- sen Anfängen verbunden sind Persönlichkeiten wie Adolf Bach, Ernst Schwarz, Bruno Boesch. Ein Neuansatz der Aktivitäten des Arbeitskreises wurde dann durch Rudolf Schützeichel initiiert. Unter seiner Leitung standen die folgenden Tagungen: Familiennamen 1. bis 3. Oktober 1982, Münster/Westf. Flurnamen 1. bis 4. Oktober 1984, Gießen Ortsnamenwechsel 1. bis 4. Oktober 1986, Bamberg Ortsname und Urkunde. Frühmittelalterliche Namenüberlieferung 10. bis 12. Oktober 1988, München Philologie der ältesten Ortsnamenüberlieferung 1. bis 3. Oktober 1991, Kiel

Ab 1993 lag bis 2015 die Leitung des Arbeitskreises in den Händen von Hein- rich Tiefenbach (Stellvertreter Albrecht Greule). In deren Zeit fallen die folgen- den Symposien:

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Historisch-philologische Ortsnamenbücher 4. bis 5. Oktober 1994, Regensburg Personenname und Ortsname 6. bis 7. Oktober 1997, Basel Ortsnamen und Siedlungsgeschichte 28. bis 30. September 2000, Wien Völkernamen, Ländernamen, Landschaftsnamen 1. bis 2. Oktober 2003, Leipzig Interferenz-Onomastik. Namen in Grenz- und Begegnungsräumen in Geschichte und Gegenwart 5. bis 7. Oktober 2006, Saarbrücken Mikrotoponymie 1. bis 2. Oktober 2009, Jena Linguistik der Familiennamen 1. bis 2. Oktober 2012, Mainz Fremde Namen 9. bis 10. Oktober 2015

Die jeweiligen Tagungsbände werden auf der Homepage der GfN genannt. Auf der 13. Tagung des Arbeitskreises, die gemeinsam mit der Deutschen Ge- sellschaft für Namenforschung als Symposion „Fremde“ Namen am 9. und 10. Oktober 2015 in Leipzig stattfand, wurde von den Anwesenden einstimmig be- schlossen, den AKNf als selbständigen und unabhängigen Arbeitsbereich in die Deutsche Gesellschaft für Namenforschung e.V. zu integrieren; dieser Beschluss wurde von den Mitgliedern der GfN bestätigt. Seitdem obliegt die Leitung des Arbeitskreises Albrecht Greule (Stellvertreter Wolfgang Janka). Die nächste Tagung (Anfang Oktober 2018) ist in Planung. Die Zusammen- stellung einer informellen „Mitgliederliste“ ist vorgesehen, Interessenten wer- den gebeten, sich formlos bei der GfN zu melden.

Autoren dieses Bandes

Prof. Dr. Rolf Bergmann [email protected]

Julia Graser Getreidegasse 4/6/16 A-2620 Neunkirchen

Prof. Dr. Albrecht Greule Universität Regensburg Institut für Germanistik D-93040 Regensburg [email protected]

Prof. Dr. Patrick Hanks Editor in Chief, Dictionary of American Family Names (DAFN) Professor and Lead Researcher (Family Names Project) University of the West of England, Bristol, UK Professor in Lexicography, University of Wolverhampton, UK [email protected]

Prof. Dr. Karlheinz Hengst Dreiserstraße 32a D-09127 Chemnitz [email protected]

Karl Hohensinner Kreuznerstraße 8 A-4360 Grein [email protected] 324

Dr. Wolfgang Janka Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Alfons-Goppel-Str. 11 D-80539 München [email protected]

Dr. Rosa Kohlheim [email protected]

OStR Dr. Volker Kohlheim [email protected]

Dr. Claudia Maria Korsmeier Stolbergstraße 2 D-48147 Münster [email protected]

Prof. Dr. Dieter Kremer [email protected]

Dr. Dietlind Kremer Universität Leipzig, Namenkundliches Zentrum Beethovenstr. 15 D-04107 Leipzig [email protected]

Dr. Ewa Majewska Universität von Warschau, Institut für Germanistik Ul. Dobra 55 PL-00-312 Warszawa [email protected] 325

Dr. Firangiz Pashayeva Kafkas Üniversitesi 36100 Fen-Edebiyat Fakültesi Slav Dilleri ve Edebiyatları Bölümü, 2.kat, Kars 36100, Türkiye [email protected]

Dr. Wolf-Arnim Frhr.v.Reitzenstein Universität München Lachnerstr. 27 D-80639 München [email protected]

Gabriele Rodríguez Universität Leipzig, Namenkundliches Zentrum Beethovenstr. 15 D-04107 Leipzig [email protected]

Klaus Schneiderheinze Humpert & Schneiderheinze GbR Sozial- und Umfrageforschung Kortumstr. 117 D-47057 Duisburg [email protected]