81 Winter 2011

Jüdisches (Über-)Leben in Österreich STIMMLAGE

Minderheiten in der Gegenwart 2

„Und es [Europa] betrachtet sich in seinen Gegenteil des voreiligen Schlusses, das Gruppen ihrerseits weiter festgeschrieben Minderheiten wie in einem Spiegel, bald Konzept Minderheit habe ausgedient. werden. Diese Dialektik ist auch bezüglich verschwörerisch oder selbstgefällig und Die US-amerikanische Politiktheoretikerin der sozialen Funktion zu beobachten: Der selbstverliebt, bald mit wilder, kaum Iris Marion Young legte in ihrem Buch Justice Terminus Minderheit zeigt an, dass es in bezähmbarer Wut, um sich in neuer and the Politics of Difference eine Analyse der Gesellschaft Machtkämpfe gibt, dass Lebendigkeit wahrzunehmen und zugleich der Herrschaftsverhältnisse vor, welche in diese oft unterschwellig stattfinden, dass der großen Male seiner Geschichte innezu- den 1990er Jahren ziemlich breit und heftig sie zumeist auch zur Bildung von Mehrheiten werden.“ Auf diese mitunter sarkastische diskutiert wurde. Im wohl meist gelesenen und Minderheiten führen. Zugleich will uns Weise beschrieb der französische Historiker Kapitel zählt Young darin fünf Seiten der der Terminus aber – in seinen juridischen Maurice Aymard in den 1980er Jahren die Unterdrückung (five faces of oppression) Endformen wie „Volksgruppe“ eingefro- soziale Funktion der Minderheiten. auf, die sich – einander ergänzend – auf In- ren – glauben machen, dass diese Kämpfe Im letzten STIMME-Heft stellte ich, dividuen auswirken. Besonders interessant bereits beendet wurden, dass wir im totalen aus Anlass des 20-Jahre-Jubiläums der und innovativ an der Liste von Young ist sozialen Frieden leben. Initiative Minderheiten, die Frage, ob die Auslassung von landläufig anerkannten An dieser Stelle ist außerdem hervorzu- Minderheit unter den vergleichsweise Formen der Unterdrückung, die gewöhnlich heben, dass der Minderheitenbegriff eine neuen Bedingungen heute noch ein jeweils einer bestimmten Gruppe und einer politische (und nicht bloß numerische) politisch sinnvoller Terminus und ein Differenz zugeordnet werden: Sexismus, Kategorie ist, die nicht auf ethnische bzw. politiktheoretisch relevantes Konzept sei. Rassismus, Homophobie etc. Das Youngsche Sprachminderheiten reduziert werden Hängt der Minderheitenbegriff nicht zu Konzept umgeht somit die – für die „linke“ soll. Folgerichtig kann heute nicht jede sehr jenem historischen Kontext an, der politische Theorie mittlerweile fast schon Minderheit durch Stillstand charakterisiert vom Ende der Vielvölkerstaaten, vom Nati- heilige – Differenz-Trias „Gender, Race and werden – nicht etwa verschiedene Teile der onalstaat und Völkerrecht im angehenden Class“ und eröffnet einen Denkhorizont zum Behindertenbewegung (siehe beispiels- 20. Jahrhundert geprägt war? Dienen Erschließen von Intersektionalität, die in weise das Schwerpunktthema im letzten Forderungen nach Minderheitenrechten den jüngeren politiktheoretischen Debatten STIMME-Heft), nicht viele LesBiSchwul- und heute nicht letztendlich dazu, altbacken eine wichtige Rolle einnimmt. Transgender-Gruppen, nicht die Migran- ethnische, essentialistische Identitäten Die fünf Seiten der Unterdrückung tInnen ... Ihre Allianzen sind zudem eine um jeden Preis aufrechtzuerhalten in benennt Young wie folgt: Ausbeutung, Mar- gelebte Form von Intersektionalität. einer Welt der Hybridität und des Dekon- ginalisierung, Machtlosigkeit, Kulturimperi- Das politische Unbehagen, das diese struktivismus? Ist Minderheit – „Sind wir alismus und Gewalt. Nun, über jede dieser minoritären Gruppen seit Langem im uns doch ehrlich!“ – nicht so out wie der Kategorien kann trefflich diskutiert werden, Auge der Macht verursachen, konnte Differenzfeminismus? was, wie gesagt, auch schon geschah. Was bis jetzt keineswegs durch „Licht ins Es mag schon stimmen, dass Bevölke- aber Iris Marion Young in ihrer Analyse Dunkel“-Vereinnahmungen, bunte und rungsgruppen, die heute unter dem Etikett gelingt, ist eine genaue Beschreibung des schrille „Liebesparade“-Exotisierungen oder Minderheit öffentlich wahrgenommen wer- gesellschaftlich-politischen Rahmens, in „Integration und Sicherheit“-Ablenkungen den, in der Regel politisch marginalisierte dem Minderheiten entstehen – wenn sie ausgeblendet werden. Minderheiten sind und statische Einheiten bilden. Das gilt auch diesen Terminus kaum verwendet. nach wie vor Stachel im Fleisch der Gesell- auch für ihre Vertretungseinrichtungen und Die Gesichter der Unterdrückung (ich schaftsordnung, in der wir leben. Dass ihre deren Politik. Minderheit scheint gegenwär- will das Letztere durch Macht ersetzen, um Forderungen und Kämpfe zeitweilig unter der tig ein Synonym für politischen Stillstand damit auch das Einschließende einfangen Last der „allzumenschlichen“ Anerkennung geworden zu sein. Vor allem hierzulande zu können über die bloß negierende Re- unsichtbar werden, ist nur ein Verweis auf wird dieser Eindruck durch juridisch pression hinaus) bringen eine „Dialektik die Notwendigkeit, den Schauplatz der Tiefgefrorenes verstärkt, welches unter der Minderheit“ zutage: Minoritäre Gruppen Kämpfe zu verschieben und die Politik der dem Titel „Volksgruppe“ feilgeboten wird: entstehen im Zuge der Machtkämpfe, und Symbole (Stichwort: topografische Ortsbe- Volksgruppengesetz, Volksgruppenbeiräte, Individuen, die den Minderheiten angehö- zeichnungen) sowie der Anerkennung nicht Volksgruppenfeststellung ... ren, erleben die verschiedenen Gesichter für die einzig mögliche Politik zu halten. Auch in einem solchen Stillstand durch der Macht aufgrund ihrer Zugehörigkeit Anerkennung erblicke ich jedoch just das zu diesen Gruppen – wodurch minoritäre Hakan Gürses

IMPRESSUM STIMME ist das vierteljährliche Vereinsblatt des Vereins zur Förderung des Zusammenlebens von Minderheiten und Mehrheiten (Initiative ­Minderheiten). Medieninhaber und Verleger: Bürgerinitiative Demokratisch Leben, Schöpfstraße 39/7, A-6020 Innsbruck Herausgeber: Verein zur Förderung des Zusammenlebens von Minderheiten und Mehrheiten (Initiative Minderheiten), Gumpen­dorfer Str. 15/13, 1060 Wien, Tel: 01/966 90 01, E-mail: [email protected]; ­Schöpfstraße 39/7,­ 6020 Innsbruck, Tel. & Fax: 0512/586 783 Redaktion: Gumpendorfer Str. 15/13, 1060 Wien, Tel: 01/966 90 03, Fax: 01/966 90 01, E-mail: [email protected] Chef­redakteurin: Gamze Ongan Redaktio- nelle Mitarbeit: Vida Bakondy, Beate Eder-Jordan, Ursula Hemetek, Cornelia Kogoj, Anita Konrad, Helga Pankratz, Sabine Schwaighofer, Jana Sommeregger, Gerd Valchars, Vladimir Wakounig Ständige AutorInnen: Vlatka Frketić, Hakan Gürses, Kahlauer, Erwin Riess Zeichnungen: Petja Dimitrova, Hakan Gürses ­Grafische Gestaltung: schultz+schultz- Mediengestaltung. Herstellung (Repro & Druck): Drava Verlags- u. Druckgesellschaft m.b.H., Tarviser Str. 16, A-9020 ­Klagenfurt/Celovec, Tel.: 0463/50 566. Verlags- und Erscheinungsort: Innsbruck; Verlagspostamt: 6020 Innsbruck. Namentlich gezeichnete Artikel müssen nicht ­unbedingt die Meinung der Redaktion wiedergeben. Aboverwaltung: Kai Kovrigar (Redaktionsadresse) E-mail: [email protected]; Jahresabo (4 Hefte): € 20,- (Ausland: € 30,-) /für Vereinsmitglieder kostenlos.

2 INHALT

Impressum 2 Wer ist der Supermigrant? Das Bedürfnis nach dem „öffentlichen Juden“ Hanno Loewy 4 Mission Frieden. Juden und Muslime im Dialog Valerie Prassl 7 Die Ethik steht über der Tradition. Or Chadasch – Bewegung für liberales Judentum Theodor Much 9 Die junge Geschichte eines Salons. Ein Raum für unterschiedliche Entwürfe des Jüdisch-Seins Marek Božuk 10 ankunft mit hürden. Jüdische Migration in Relevanz zu Sozialer Arbeit Gerda Netopil 12 Der lange Weg aus dem Trauma. Psychosoziale Arbeit mit NS-Überlebenden Gerda Netopil 14 Krems, die Juden und die Nazis Thomas Mördinger 15 Durch die Schichten des Vergessens. Die Fotoalben der Hakoah-Schwimmerin Fritzi Löwy Vida Bakondy 17 Sephardische Türken in Wien Okşan Svastics 18 Groll: Der Bierstreit zu Gorenje Erwin Riess 19 Nachlese: Und was sagt die StraSSe? Alexandra Siebenhofer und Petra Permesser 20 Geschehen 22 Tipps 28 Kahlauers Tagebuch 30 Fatih Fatih Aydoğdu Bilddesign Themenstrecke © Bilddesign Themenstrecke

Thema: Jüdisches (Über-)Leben in Österreich

Berührungsängste, Fragen die man sich Theodor Much, Präsident der Or Vida Bakondy setzt sich in ihrem Artikel nicht zu stellen traut, Angst die falsche Chadasch – Bewegung für progressives über die Fotoalben der Hakoah-Schwim- Sprache zu benutzen, politisch nicht Judentum weist auf den Pluralismus im merin Fritzi Löwy mit der historischen Spur korrekt zu sein. Der jüdischen Bevölkerung Judentum hin und berichtet, was diese auseinander, die durch das Zusammenwir- Österreichs – eine Gruppe, die durch den liberal-jüdische Gemeinde ausmacht. ken der Fotos und der Bildunterschriften Nationalsozialismus schwere Verluste erlit- „Jüdisch sein ist nicht gleich jüdisch sein“, entsteht. Bakondy stellte uns auch das ten hat – wird zumeist mit einem gewissen so auch Marek Božuk, Gründungmitglied Coverbild aus dem fragmentarischen Exotismus begegnet. Vielleicht auch ein des Salon . Im Artikel von Božuk geht Nachlass von Fritzi Löwy (datiert 1927) Grund für die bisherige Unterrepräsentation es um die Entstehungsgeschichte und die zur Verfügung. der jüdischen Themen in der STIMME. Aktivitäten dieses Salons, der ein junges Auch im Bericht von Thomas Mördinger Mit dem vorliegenden Heft versuchen und modernes Verständnis des Judentums geht es um Erinnerung, genauer um wir fragmentarisch vom heutigen jüdischen prägen will. Rückschläge und Erfolge in der Arbeit Leben in Österreich zu berichten, das Dort, wo im Zweiten Wiener Gemeinde- des Zeithistorikers Robert Streibel, die gleichzeitig ein „Überleben“ bedeutet. Daher bezirk bis 1938 der „Große Leopoldstädter Erinnerung an Kremser Juden und Jüdinnen beziehen sich die Texte immer wieder auch Tempel“ stand, ist heute das psychoso- hochzuhalten. auf Auswirkungen der Shoah auf heute. ziale Zentrum ESRA angesiedelt. ESRA Okşan Svastics schließlich begibt sich in Hanno Loewy, Direktor des Jüdischen bietet Überlebenden der NS-Verfolgung, das Wien des 18. und 19. Jahrhunderts und Museums Hohenems, nimmt eine merk- den child survivors und deren Nach- erzählt vom Leben der großen sephardisch- würdige Einladung des Innenministeriums kommen umfassende psychosoziale türkischen Gemeinde. zum Anlass, um ungewohnte Allianzen zu Unterstützung. Auch erhalten hier die hinterfragen und auf die Konsequenzen der in den vergangenen Jahrzehnten einge- Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der Politisierung der Religionen aufmerksam wanderten jüdischen Migrantinnen und Initiative Minderheiten fand im November zu machen. Migranten umfassende Sozialberatung. unter dem Titel „Sag wie hast du‘s mit der Im Jahr 2010 fand in Wien die erste Gerda Netopil gibt einen Überblick Sprache“ ein Symposium zur Bedeutung von „Muslim Jewish Conference“ statt, die über die Eckdaten jüdischer Migration Sprache und Mehrsprachigkeit statt. Das zweite folgte 2011 in Kiew. Valerie Prassl nach Österreich und thematisiert die Thema Sprache als Politikum wird uns auch geht in ihrem Artikel auf die Notwendigkeit, Konsequenzen des Ineinandergreifens in der nächsten STIMME beschäftigen. Methoden und Ziele dieser von österrei- der individuellen Leidensgeschichte der chischen Studierenden ins Leben gerufenen Überlebenden und MigrantInnen mit den Interessante Lektüre wünscht Konferenz ein. politischen Entwicklungen. Gamze Ongan Chefredakteurin

3 THEMA

Wer ist der Supermigrant? Das Bedürfnis nach dem „öffentlichen Juden‟ Hanno Loewy

Die Vereinnahmung des und Gegenwart beschäftigt, sondern auch tungen, öffentlichen Ritualen, Gedenkorten, „Jüdischen“ als Bestandteil und gerade mit jenen Fragen, die diese Bildungsprogrammen, in Forschung eines angeblichen „christlich- jüdische Geschichte mit den Existenzfragen und Lehre – und in der man zugleich jüdischen Erbes“ – unter der Gegenwart verbindet. Fragen nach den mit rassistischen, antimuslimischen und Ausschluss des Islam – ist zur verschiedenen Formen von Migration und judenfeindlichen Parolen 30 Prozent an der Kampfparole wachsender ihren Widersprüchen, und vor allem: mit Wahlurne für sich mobilisieren kann? Teile eines gut-bürgerlichen einer Dimension, über die heute immer Auch das gehörte zu meiner Mainstreams in Deutschland mehr gesprochen wird, und dies nicht Piefke-Karriere in Österreich dazu: es geworden. Nun beginnt auch immer sehr präzise. Jüdisches Leben war hat gereicht, einem blauen Politiker der politische Mainstream in seit jeher, und schon lange vor dem Ende ein paar unbequeme (in seinen Augen Österreich die „Juden“ als Vorzei- der antiken jüdischen Souveränität im wahrscheinlich „respektlose“) Fragen zu gemigranten zu entdecken. Nahen Osten, also dem Ende des alten seinem migrantenfeindlichen (genauer: jüdischen Königreiches und der Zerstörung antimuslimischen) Wahlkampf zu stellen, des Tempels, ein Leben in der Diaspora. um öffentlich als „Exiljude aus Amerika“ Ob vor dem Vorhang oder dahinter: diffamiert zu werden.1 Das war immerhin das Museum in Hohenems hat sich eine überraschende Wendung mit einer längst zu einer Bühne entwickelt, auf der auch für den Kandidaten überraschenden diese Fragen ausgetragen werden können, Konsequenz. Er flog aus der Regierung Vor ein paar Wochen bekam ich Post vom spielerisch und auch im Streit, visuell und und musste feststellen, dass öffentliche Bundesministerium für Inneres, Büro des gegenständlich, historisch und aktuell, Bekundungen des eigenen antisemitischen Integrationsstaatssekretärs. Als einer von immer aber auf kommunikative Weise. Und Furors inzwischen in der österreichischen 100 besonders gut integrierten Migranten auf eine Weise, die möglichst niemanden Öffentlichkeit schärfer sanktioniert werden, solle ich vor den Vorhang treten, um zu ausschließt, die inklusiv gedacht ist und als die gleich-scharfen Ausbrüche der Ver- zeigen, wie man mit Leistung und gutem nicht exklusiv, die Gemeinsamkeiten nicht achtung gegenüber „Türken und anderen Willen seinen Weg in der österreichischen dadurch herstellt, das andere, die jeweils Muslimen“. Das war in Österreich lange Gesellschaft machen kann. Als Piefke aus „Anderen“, ausgeschlossen werden. Das Zeit keineswegs so. Deutschland kam ich mir etwas deplaziert klingt irgendwie selbstverständlich und Natürlich hat mich diese Konsequenz in der Runde vor. Schließlich gehöre ich scheint es doch nicht zu sein. gefreut – aber sie hat mich zugleich auch auch unter den deutschen Migranten beunruhigt. „Bloß“ gegen „die Türken“ zu nicht zu jenen, die sich im Gastgewerbe Eine überraschende Wendung hetzen ist in Österreich heute offenbar we- oder auf dem Bau von unten nach oben niger verwerflich, als sich über „Saujuden“ arbeiten müssen. Kurz, ich habe den Welche Rolle spielen „öffentliche Juden“ herzumachen. Eindruck, dass ich – mit meinem doch wie ich in dieser Gesellschaft, also Men- In Deutschland hat sich schon seit einiger eher privilegierten Zugang (als Museums- schen, die man eigentlich ständig vor den Zeit eine Plage bemerkbar gemacht, vor direktor ins Land gekommen) – mich nicht Vorhang zerrt, weil es ein großes Bedürfnis der man sich in Österreich bis vor kurzem wirklich als glaubwürdiges „Vorbild“ für nach öffentlichen Juden gibt, aber nicht so noch „sicher“ gefühlt hat. Das Gerede erfolgreiche Integration eigne. Da gibt es viele potentielle Kandidaten und Kandida- vom „christlich-jüdischen Abendland“. In andere, die es schwerer haben, und die tinnen für den Job? Oder die tatsächlich Deutschland hat die Auseinandersetzung mehr davon erzählen können, wie man es diese Rolle selbst gewählt haben (na ja, mit dem Nationalsozialismus, mit Antise- vielleicht dennoch schafft, sich in dieser als Leiter eines jüdischen Museums muss mitismus und Holocaust früher begonnen, Gesellschaft einen Platz zu erarbeiten. In mich ja an dieser Rolle irgendetwas auch als in Österreich, das so lange glaubte, einer Gesellschaft, die es Migranten nicht gereizt haben), sei es aus Eitelkeit oder das „erste Opfer“ der Nazis gewesen zu immer ganz leicht macht. Um es höflich aus Lust am Diskurs? Warum besuchen so sein (viele glauben das bis heute). In zu formulieren. viele Menschen jüdische Museen, warum Deutschland war die Erinnerung an die Nun, vielleicht haben die Kollegen sind diese Museen der öffentlichen Hand NS-Verbrechen freilich auch früher zu im Ministerium bei mir nicht so sehr an etwas wert? Und wie verändern sich die Zu- Routine geworden. Wer hier in Österreich „den Deutschen“, sondern an den Juden mutungen an jüdisches Leben (nicht hinter an der Oberfläche kratzt, stellt bald fest, gedacht? Vielleicht auch einfach an das dem Vorhang, sondern im Alltag, jenseits dass es mit den Routinen hier noch nicht Jüdische Museum in Hohenems, im fernen des „Theaters“) in einer Gesellschaft, die ganz so weit ist. Und in Deutschland hat Westen der Republik, das ab und zu dadurch immer wieder ihre „Verantwortung“ für die sich auch früher als in Österreich so etwas auffällt, dass es sich eben nicht nur mit Lehren aus der Geschichte demonstrativ wie ein Stolz auf die eigene Läuterung, jüdischer Geschichte und Kultur, Tradition vor sich her trägt, in Gedenkveranstal- die Katharsis des Bösen, auf die eigene

4 Gedenkkultur herausgebildet. Ein Stolz, der „Christen“, die sich in den USA genauso Identität sich nicht von anderen diktieren nach 1989, nach der Wiedervereinigung, zu wie in Europa zu Wort melden. zu lassen, nicht von Eindeutigkeiten und so etwas wie einem neuen Nationalgefühl Auf beiden Seiten herrscht Heuchelei: nicht von politischer Macht: Migranten, angeschwollen ist. Und jedenfalls als sol- ob evangelikale Prediger der Apokalypse Minderheiten, und erst recht Menschen, ches inszeniert wird. Als vor zehn Jahren die Siedler in der Westbank und die israe- die es wagen, sich zwischen die Stühle das Jüdische Museum Berlin eröffnet wurde, lischen Rechten gegen die Ungläubigen in zu begeben, die sogar die Enge und Bor- mit einem Galadiner für 800 Ehrengäste, Stellung bringen (und mit Millionenspen- niertheit der jeweils eigenen Minderheit veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine den alimentieren) – oder sich türkische in Frage stellen. Zeitung die vollständige Gästeliste auf oder iranische Muslime zu Fürsprechern einer ganzen Seite, unter der Überschrift: der Palästinenser aufschwingen und jene Die Vereinnahmung des „Jüdischen“ „Die Gründungsversammlung der Berliner Radikalen finanzieren, die mit Raketen- Republik“. Deutlicher ging es nicht mehr. angriffen und Selbstmordattentaten das Rassismus, Ressentiment, Vorurteile Zwei Tage später flogen die von Al ihre tun um jede Hoffung auf Ausgleich zu sind längst keine Frage mehr, die nur das Kaida entführten Flugzeuge in das World torpedieren. Von beiden Seiten wird Öl ins Verhältnis von Mehrheit und Minderheit Trade Center in New York und richteten Feuer gegossen, mit zynischen Parolen und bestimmen, sie gelten auch für Migranten ein Massaker an. In dem Moment, wo der durchsichtigen Machtinteressen. und untereinander, für die Beziehung zwi- „Westen“ die Erinnerung an die eigenen die Juden, so als sei dies dasselbe, werden schen Minderheiten. Wer an einem Ort Verbrechen an den Juden demonstrativ von beiden Seiten zum Pfand dafür, es den zur Mehrheit gehört, gehört an einem zu einem zentralen Bestandteil seiner jeweils eigenen Leuten zu zeigen, wer der anderen Ort zur Minderheit. Auch das eigenen Identität erhoben hatte, sind beste Christ oder der beste Muslim ist. ist eine Erfahrung von Diaspora. Und die nicht nur diese beiden Türme eingestürzt, Ganz gleich ob es Evangelikale in den USA jüdische Diaspora war in dieser Hinsicht für sondern auch alle Begriffe von Identität sind, die mit diesem politischen Spiel um lange Zeit das Modell für eine besonders und Kultur. die Macht im eigenen Land spielen, oder radikale Erfahrung von Diaspora: nämlich Seitdem sind die westlichen Demokratien die Scharfmacher im Iran oder der Türkei, die, überhaupt an keinem Ort der Welt und ihre Werte in einer Schockstarre begrif- die auf der anderen Seite dasselbe Spiel eine Mehrheit zu sein. Der zionistische fen, herausgefordert von einer destruktiven spielen. Die Opfer solcher Politik sind die Traum, diese häufig so fruchtbare – aber Politisierung und Instrumentalisierung der jeweils anderen Amerikaner oder ande- schließlich auch in unfassbarerer Weise Religion, von außen wie von innen, von ren Europäer, anderen Türken, anderen mörderische – Erfahrung endlich einmal selbsternannten Hütern des „wahren Islam“ Muslime, anderen Iraner, und natürlich mit der vermeintlichen Sicherheit vertau- genauso wie von fundamentalistischen all jene, die es sich herausnehmen, ihre schen zu können, in einem eigenen Staat

5 Thema

eine Mehrheit zu sein, ist das eine. Und und dem neuen Antijudaismus mancher FPÖ hat er ein Betätigungsfeld gefunden, das dieser Traum hat möglicherweise in eine politisierter Einwanderer unbehaglich ihm eine gewisse öffentliche Aufmerksam- Sackgasse geführt. Seine Instrumentali- wird. So rüsten sich manche jüdische keit beschert. Und die Möglichkeit, seinen sierung im „Positiven“ wie im „Negativen“ Jugendliche mit zionistischem Stolz auf, politischen Prioritäten nachzugehen. Der ist etwas anderes. Und im Kontext unserer auch wenn sie vielleicht niemals Israelis israelischen Regierung, so rechts, wie sie Einwanderungsgesellschaften in Europa werden wollen, und manche türkische auch sein mag, war H.C. Strache allerdings höchst problematisch. Jugendliche kämpfen für ein fantasiertes nicht geheuer, keiner wollte ihm die Hand Die Vereinnahmung des „Jüdischen“ als „Palästina“ und rüsten sich mit antizionis- geben und ihn empfangen. Österreichische Bestandteil eines angeblichen „christlich- tischem Stolz auf, ohne zu merken, dass Rechtsradikale haben da, im Gegensatz zu jüdischen Erbes“ – unter Ausschluss des sie jeden Juden zum Israeli machen und amerikanischen, wohl noch lange keinen Islam – ist zur Kampfparole wachsender damit aus dem Antizionismus blanken wirklich „guten“ Ruf. Teile eines gut-bürgerlichen Mainstreams Judenhass. Ein Blick ins Internet, in die Mehr Sorgen muss es einem da machen, in Deutschland geworden. Und den tumben entsprechenden Blogs lässt da wenig dass auch der politische Mainstream in Antisemitismus – die Fantasien von der Illusionen aufkommen. Und auch auf Österreich beginnt, die „Juden“ als Vorzei- jüdischen Weltverschwörung, von der Wall den Straßen von Hohenems kann man gemigranten zu entdecken. Und manche Street und der amerikanischen Ost-Küste, ein markiges „Judensau“ inzwischen auch jüdische Zeitgenossen sich tatsächlich darin von den „Heuschrecken“ des Finanzkapitals von türkischen Halbstarken hören. gefallen, für dieses abgeschmackte Spiel bis zu den blutsaugenden Vampiren, den Kin- den nützlichen Idioten zu spielen. Auch dermördern und Gottesmördern – versucht Ungewohnte Allianzen in der angeblich „kritischen“ jüdischen die populistische europäische Rechte (von Zeitschrift „Nu“ konnte man solche Töne Italien bis Frankreich, von Dänemark bis in In Österreich konnte man sich auf die Anti- schon letztes Jahr vernehmen. Martin die Schweiz) derweil an die antiimperialis- semiten bis vor kurzem verlassen, solange Engelberg verteidigte in seiner Kolumne tische Linke, an die „Palästinasolidarität“ sie noch das Exklusivrecht an solchen Paro- das „Judeo-christliche Erbe“ gegen jene und an die islamistischen Gotteskrieger len hatten. Sie haben mit einem markigen „muslimischen Einwanderer“, die sich abzutreten, die ihre eigenen Landsleute (und „Saujud“ hier und einem Paket „Ariel“ dort offenbar nicht genug Mühe geben. Und die Anhänger des jeweils „falschen“ Islams) noch immer dafür sorgen können, dass man nennt eine echte Kandidatin für den Titel terrorisieren. Und leider wird diese Rolle weiß, wen sie am meisten hassen. Doch die des Supermigranten: eine kanadische immer wieder nur zu willig angenommen. Parole vom „amerikanischen Exiljuden“ im Diplomatin, die mit ihrer mittellosen Ab und zu zeigt der neue Rassismus letzten Vorarlberger Wahlkampf ging schon Familie als Jüdin aus Marokko in den 1950er unwillkürlich auch seine hässliche alte, nach hinten los. Auf der Agenda des frei- Jahren nach Frankreich gekommen war. antisemitische Fratze, so wenn Thilo Sar- heitlichen Kampagnechefs Alexander Seger Nun, die Familie dieser Migrantin hatte razin seine Tiraden über „bildungsunfähige“ (einem Hamburger, der als evangelikaler vermutlich schon ein paar Jahrhunderte Muslime damit „genetisch“ zu untermauern Sektenanhänger angefangen und nun in der Bildungskarrieren im ansonsten leichten versucht, dass er als Gegenbeispiel Schweiz lebend die SVP als Dauerkunden Gepäck. Aber wahrscheinlich würde auch ausgerechnet auf das „jüdische Gen“ zu gewonnen hat) hat dieser „Ausrutscher“ sie sich dagegen verwehren, nun als Vor- sprechen kommt, das angeblich ständig vermutlich nicht gestanden. Auf dieser zeigeemigrantin gegen jene ausgespielt zu Genies produziert. Und wenn es stimmt, Agenda standen „Deutsch ist Pflicht“ und werden, die es heute am schwersten haben. dass Popularität im Publikum entschieden „Keine Minarette“. In einer Einwanderungsgesellschaft, die wird, dann ist es eben kein Zufall, dass ein Inzwischen hat sich auch H.C. Strache auf sich selbst als solche offenbar verachtet bekennender Islamhasser wie Henryk M. die Spuren seiner europäischen Kollegen und in ihrer politischen Kultur verächtlich Broder vom Publikum zum „öffentlichen gemacht. Vor einem Jahr überraschte er macht. Wie soll da Wertschätzung entste- Juden“ Deutschlands gewählt wird. Juden die Öffentlichkeit aber auch sein eigenes hen, gegenüber denen, die da kommen. in Deutschland (oder in Europa überhaupt) Fußvolk damit, nach Israel zu reisen. Sein Es bleibt abzuwarten, ob dieses neue können für diese Wahl freilich wenig. Sie Programm war nicht so überraschend, wie intellektuelle Hofjudentum in Österreich haben in solchen Fragen kein relevantes man meinte. Er besuchte gemeinsam mit Schule machen wird. Genug kritische Stimmenpaket. Sie spüren, dass man sie anderen europäischen Rechtspopulisten Geister gibt es schließlich auch. auch heute für irgendetwas benutzen will, eine Veranstaltung rechtsradikaler Siedler, Und ich bin gespannt, wer sich vor dem selbst dann, wenn man sie umarmt und so die sich Gedanken darüber machten, wie Vorhang des Integrationsstaatssekretärs lange an die Brust drückt, bis ihnen Hören die „Islamische Terrorgefahr“ gebannt wer- treffen wird. Vielleicht beginnt damit ja und Sehen vergeht. den kann, sprich, wie das Westjordanland tatsächlich ein neues Kapitel der öster- Israel hängt an ihnen wie ein Ballast und der Osten Jerusalems endgültig unter reichischen Integrationspolitik. Ein paar und ist doch zugleich noch immer der Kontrolle gebracht werden können. Und er Zweifel sind vorerst einmal angebracht. einzige zur Verfügung stehende Mythos besuchte die israelische Gedenkstätte Yad von Souveränität, der „sichere Hafen“ Vashem. Arrangiert hatte das Ganze ein Fußnote: 1 ist zum Albtraum geworden und doch freiheitlicher Gemeinderat in Wien, David Vorarlberger FPÖ-Politiker Dieter Egger im Zuge der Landestagwahl 2009. weiß man nichts Besseres auf der Suche Lasar. Doch für eine Verschwörungstheorie nach einem psychischen Rückzugsraum, taugt das auch nicht. David Lasar, der aus wenn es einem im europäischen Iden- einer Vorliebe für die Israelische Rechte Hanno Loewy titätstheater, zwischen Einwanderung und seiner Verachtung für den Islam kein ist Literatur- und Medienwissen- und Ausgrenzung, zwischen dem alten Geheimnis macht, liegt auch seit Jahren im schaftler und Direktor des Antisemitismus der „Alteingesessenen“ Clinch mit der jüdischen Gemeinde. In der Jüdischen Museums Hohenems.

6 Thema

Mission Frieden Juden und Muslime im Dialog Valerie Prassl

Ein österreichischer Verein bringt beiden Kulturkreisen kommen könnte. aber auch im Berufsleben stehende junge junge Juden und Muslime aus Bisher hatte Tamara keinen persönlichen Menschen aus über 25 Ländern haben daran der ganzen Welt zum Dialog Kontakt mit Muslimen. teilgenommen – die eine Hälfte Juden, die zusammen. Die neue Generation Mohamed und Tamara stehen symbolisch andere Muslime, von streng religiös bis trifft sich bei der „Muslim Jewish für viele junge Muslime und Juden, die den säkular. Die Auswahl der Teilnehmenden Conference“, die nächsten interkulturellen Dialog suchen. Sie sind erfolgte nach rein inhaltlichen Kriterien. Sommer zum dritten Mal seit einigen Monaten im „Global Muslim Bedingung seitens der Organisatoren war, stattfinden soll. Jewish Friendship Forum“ aktiv. Das ist eine dass die Bewerber bereit seien, schlicht Plattform innerhalb des Social-Networks und einfach zuzuhören. Facebook, auf der bereits etwa 400 User In drei thematischen Komiteegruppen beteiligt sind. Dieses Forum bietet jungen diskutierten die jungen Aktivisten über fünf Juden und Muslimen die Möglichkeit in Tage lang. Eines der drei Hauptthemen einen persönlichen Dialog zu treten, egal war der Bereich Antisemitismus und wie weit sie von einander entfernt leben. Islamophobie. „Wir wollen die Begriffe Die friedliche Kommunikation dreht sich oft nicht gleichstellen, aber es gibt hier um hochbrisante Themen: über aktuelle doch, vor allem subjektiv, für Opfer beider politische Geschehnisse und auch über Phänomene einige Ähnlichkeiten“, meint Sichrovsky. Als zweiter großer Punkt wurde Mohamed ist 24 und lebt im pakistanischen aggressive Auseinandersetzungen im die Frage behandelt, wie man mithilfe von Karatschi. An der Universität studiert er Nahen Osten. Doch auch über Filme, Musik Bildung gegen Vorurteile ankämpfen kann. Internationale Beziehungen. Er beschäftigt und Gemeinsamkeiten beim Essen oder bei Die Rolle der Medien und wie man zu einem sich mit der politischen Situation der isla- den beiden religiösen Traditionen tauschen Abbau von gegenseitigen Stereotypen in der mischen Republik und versucht sich aktiv für sich die jungen User aus. öffentlichen Berichterstattung beitragen Veränderungen im Land einzusetzen. Über könne, war ein weiterer wichtiger Themen- das Internet ist er mit der Welt verbunden, Wer bereit ist, zuzuhören schwerpunkt. Die Konferenz konnte nach er ist Teil politischer Initiativen, sucht den Das Online-Netzwerk wurde im Juli 2011 nur fünf Tagen mit einer gemeinsamen Dialog. Mohamed gehört zu der jungen bei der „Muslim Jewish Conference“ wissenschaftlichen Deklaration abge- Generation , die für Weltoffenheit (MJC) in Kiew ins Leben gerufen. Die schlossen werden. und Liberalität steht. Er möchte später jährliche Konferenz ist eine Initiative Eine der schwierigsten Herausfor- seinen Aktivismus beruflich umsetzen, will österreichischer Studierender, deren Ziel derungen ist allerdings den Dialog und einer derjenigen sein, die mithelfen das es ist einer persönlichen Begegnung von die gemeinsamen Initiativen auch nach Land zu modernisieren, es zu öffnen, zu Muslimen und Juden Raum zu verschaffen. Beendigung der Konferenz aufrecht demokratisieren. Er macht sich Sorgen Die Idee stammt von dem 28-jährigen zu erhalten, wenn der Alltag wieder über die angespannte politische Situation jüdischen Studenten Ilja Sichrovsky aus eingekehrt ist und die intensive Begeg- in seiner Heimat. Seine Informationen über Wien. Gemeinsam mit einem engagierten nungsarbeit der Konferenz weiter in die Israel und Juden bezieht er hauptsächlich Team von freiwilligen Helfern organisiert er Vergangenheit rückt. Deshalb haben die aus der antisemitischen Berichterstattung seit 2010 das jährliche Friedenstreffen, das Organisatoren die zweite „Muslim Jewish der nationalen Medien. Mohamed hat viele letzten Juli in Kiew stattgefunden hat. „Es Conference“, die vergangenen August in Fragen, doch nur wenige Antworten. Dem geht darum, gemeinsam Vorurteile zu zer- Kiew stattfand, unter das Motto A Call Bild, das ihm die Medien vermitteln, vertraut stören – einfach schon dadurch, dass man for Action (Aufruf zur Aktion) gestellt. er nicht. Er möchte sich besser informieren, etwas gemeinsam macht“, sagt Sichrovsky. In diesem Jahr gab es fünf thematische an objektive Quellen herankommen. Vorurteile, die man fast schon zwangs- Komitees, in denen die Teilnehmenden Tamara ist 22 und lebt in New York. läufig habe. Damals, als er selbst bei der konkrete Projekte entwickelt haben, die Sie ist Jüdin und neugierig. Seit der „World Model Conference“ nun in ihren Heimatgemeinschaften oder Schulzeit engagiert sie sich in jüdischen teilgenommen hat, habe er zum ersten auch online umgesetzt und das ganze Jahr Organisationen. Religiös ist sie nicht, sagt Mal bewusst Kontakt mit Muslimen gehabt. über weitergeführt werden sollen. Neben sie, aber sie sei Traditionalistin. Über Und dabei habe er festgestellt, dass man dem „Global Muslim Jewish Friendship die Situation im Nahen Osten macht sie eigentlich gar nichts über einander wisse – Forum“ wurden auch andere Projekte im sich Sorgen. Sie würde gerne etwas zum abgesehen von den wenigen Schlagwörtern Netz umgesetzt. JaMGroupTherapy ist eine friedlichen Zusammenleben von Juden aus kurzen Beiträgen im Fernsehen oder Initiative, die zum Abbau von antisemi- und Muslimen beitragen. Die Studentin anderen Medien. tischen und islamophoben Stereotypen überlegt sich schon lange wie es zu einer Die erste „Muslim Jewish Conference“ durch den Einsatz von schriftlichen besseren Verständigung zwischen den fand 2010 in Wien statt. 60 Studierende und Video-Testimonials beiträgt. Jeder

7 über interkulturelle Fragen austauscht. Die Studenten und Studentinnen haben geschafft, was manche offiziellen Vertre- tungen der Religionen bis dato verpasst haben: in einen echten Dialog mit „dem Anderen“ zu treten. Unterstützt wird die Initiative u. a. von der UNAOC (United Nations Alliance of Civilisations), dem österreichischen Außenministerium und dem Bruno Kreisky Forum sowie auch vom österreichischen Bundespräsidenten Heinz Fischer oder dem ehemaligen Vizekanzler .

Jährliche Konferenzen und noch mehr Das Ziel der Organisation ist es die „Muslim Jewish Conference“ weiterhin jährlich abzu- halten. Und noch mehr: „Unsere Vision ist es, eine Muslim Jewish Agency zu werden“, so Sichrovsky. Er will den Kompetenzbe- reich der Organisation ausweiten, das Netzwerk vergrößern und mehrere jährliche Treffen organisieren, um zum wichtigsten Ansprechpartner für muslimisch-jüdische

Generalsekretär Ilja Sichrovsky und Vize-Generalsekretärin Ayşe Cindilkaya Fragen im Jugendbereich zu werden. Illustration nach Fotos von Daniel Shaked Ein wichtiges Thema im Verhältnis zwischen Juden und Muslimen bleibt bei den Konferenzen zwar nicht ausgeklam- mert, wird aber mit besonderer Sorgfalt ist eingeladen mitzumachen und seine des Presse-Ressorts zum Beispiel, welche behandelt – der Nahost-Konflikt ist offiziell persönliche Geschichte zu erzählen. sich um die Außenrepräsentation der Kon- nicht Fokus einer der Fachkomitees. Und In wurde Ende August erneut ferenz kümmern, sind über Wien, Krakau das mit Absicht. Schließlich sei das ein eine Sommerschule abgehalten, in der das New York, Jerusalem und Lahore verteilt. besonders sensibles Thema, bei dem man Wissen und die Erfahrungen, die bei der Alle Helfer und Helferinnen arbeiten erst einmal eine „gemeinsame Sprache“ Konferenz gesammelt wurden, von den auf freiwilliger Basis, verdienen also kein finden müsse, so Sichrovsky. Aus diesem Organisatoren, die bei der MJC teilnah- Geld. Eine der größten Herausforderungen Grund hat man so genannte Social Events men, an die nächste Generation und an für die Organisatoren ist die Finanzierung für die Konferenz geschaffen. Sie geben den Menschen, die nicht die Möglichkeit haben der Projekte. Den Hauptbeitrag hat bis- Teilnehmenden die Möglichkeit, brisante die weite Reise nach Europa anzutreten, her die „Karl Kahane Foundation“, eine Themen in einem geschützten Raum mit- weitergegeben wurde. 50 Kinder und junge Schweizer Stiftung, die sonst Projekte in einander zu besprechen. Hier wird über Erwachsene wurden bezüglich Vorurteile der Entwicklungszusammenarbeit unter- alles gesprochen, und aufgrund der meist gegenüber anderen Kulturen und Religionen stützt, bereitgestellt. „Wir arbeiten sehr bereits erfolgten Zusammenarbeit in den aufgeklärt. Ein großer Schritt in einem Land, limitiert. Wir haben kein Büro. Teilweise Fachgruppen sind diese Gespräche weit das Israel offiziell nicht anerkennt. stimmen wir über Ausgaben mehrheitlich produktiver, als dies zu Beginn erwartet Derzeit ist das ambitionierte Organisa- ab“, so Sichrovsky. Bisher mussten die wurde. tionskomitee, dessen Mitglieder über fünf Teilnehmenden nämlich lediglich An- und 2012 wird die „Muslim Jewish Conference“ Kontinente verstreut arbeiten, schon mit Abreise selbst finanzieren, Unterkunft wieder in einer anderen Stadt abgehalten den Vorbereitungen für die dritte Konferenz und Verpflegung wurde kostenlos von werden. In gemeinsamen Veranstaltungen, im Sommer nächsten Jahres beschäftigt. der Organisation zur Verfügung gestellt. Debatten und Aktionen soll das weiterge- Aufgrund der räumlichen Distanzen organi- „Es ist uns besonders wichtig, auch geben werden, was auf der persönlichen siert man sich über E-Mail, Facebook und sozial schwächeren jungen Menschen die Ebene schon funktioniert: dass die nächste Skype. Wöchentlich gibt es eine Video- Möglichkeit zu geben, diese Erfahrung zu Generation von Juden und Muslimen sich Konferenz, in der die wichtigsten Themen machen“, erklärt Sichrovsky, dessen Ziel es ihre Realität gemeinsam schafft. der Tagesordnung besprochen werden. ist, einen Finanzier für die nächsten Jahre Dass die Organisatoren sich an unter- zu finden. Und er ist optimistisch. schiedlichen Orten mit unterschiedlichen Die Veranstalter haben sich nämlich Valerie Prassl Zeitzonen befinden, erschwert manchmal mittlerweile ein riesiges Netzwerk aus studiert Politikwissenschaft in Wien. die Kommunikation. Vor allem wenn es um internationalen Organisationen und Sie ist als freie Journalistin tätig und wichtige Entscheidungen geht und unter muslimischen und jüdischen Gemein- leitet seit 2009 die Pressestelle der Zeitdruck gearbeitet wird. Die Mitarbeiter schaften aufgebaut, mit denen man sich „Muslim Jewish Conference“.

8 Thema

Die Ethik steht über der Tradition Or Chadasch – Bewegung für liberales Judentum Theodor Much

Was vielen Menschen – sowohl gehören sowohl die Konservativen (eine sitzen sie alle gemeinsam, Frauen sind Christen als auch Juden – bis moderne Strömung, die auch Frauen als am Gottesdienst in sämtlichen Belangen heute nicht bewusst ist, ist Rabbinerinnen anerkennt) als auch das gleichberechtigt aktiv beteiligt und die große Vielfalt, der Reformjudentum (auch als liberales oder Rabbinerinen sind – ähnlich wie im Pluralismus im Judentum. progressives Judentum bezeichnet). Or konservativen Judentum – akzeptiert. Chadasch (auf deutsch: neues Licht) 4. Der Gottesdienst wird stets musikalisch Wien ist Teil der „Weltunion progressiver (meist von einem Klavier) begleitet und Juden“. Diese vertritt rund zwei Millionen neben der hebräischen Sprache wird Menschen in aller Welt, wobei in den USA auch in der Landessprache gebetet. rund 80 Prozent aller jüdischen Gemeinden 5. Liberale Juden sind aktiv am inter- nichtorthodox sind. konfessionellen Dialog beteiligt und Das Reformjudentum nahm seinen Nichtjuden können problemlos an Ausgang vor 200 Jahren in Deutschland liberalen Gottesdiensten teilnehmen. und schon bald gehörten die meisten deutschen Gemeinden dieser Bewegung Or Chadasch Wien ist zwar eine kleine, aber an. In Österreich, einem Land, in dem sehr aktive Gemeinde. Sie wurde 1990 als liberale Ideen es immer schwer hatten, allererste liberal-jüdische Gemeinde in gab es vor dem Zweiten Weltkrieg keine Österreich gegründet, auch um österrei- liberale jüdische Gemeinde. Das änderte chischen Juden und Jüdinnen erstmalig zu sich erst 1990, als Or Chadasch gegründet ermöglichen ein zeitgemäßes Judentum, wurde. in dem auch Frauen ihre Spiritualität in der Synagoge aktiv und gleichberechtigt Wofür ein liberales Judentum steht: ausüben können, zu (er)leben. Neben regelmäßigen Gottesdiensten am 1. Eine antifundamentalistische Theolo- Schabbat und zu allen Festtagen, organisiert gie, die moderne wissenschaftliche Or Chadasch kulturelle Veranstaltungen, Erkenntnisse und Bibelkritik anerkennt ermöglicht gemeinsames Lernen (Kurse und das Dogma von der himmlischen für Religion und Hebräisch für Erwachsene Thora („alles geht auf Moses zurück“) und Kinder), bietet – obwohl das Judentum ablehnt und eine fortwährende göttliche nicht aktiv missioniert – einen Konversions- Offenbarung in allen Generationen an- kurs an, für Mitglieder steht auch eine wohl nimmt. Anders als die Orthodoxie betet sortierte Judaika-Bibliothek zur Verfügung Seit jeher war das Judentum pluralistisch. man in liberalen Synagogen nicht mehr und besitzt einen eigenen Friedhof. Schon zur Zeit von Jesus von Nazareth gab um das Kommen eines Messias (sondern Da die Gemeinde, die nur von Spenden es unzählige jüdische Fraktionen mit unter- um ein messianisches Zeitalter für die und Mitgliedsbeiträgen lebt, sich keine/n schiedlicher Theologie und divergierenden gesamte Menschheit) und auch nicht Fulltime-Rabbinerin oder Rabbiner (son- Traditionen, die sich oftmals heftig und um die Auferstehung der Toten. dern nur einen Gastrabbiner, der einmal im blutig bekämpften. Heute ist die Vielfalt im 2. Die Notwendigkeit, Traditionen und Monat für ein Wochenende Wien besucht) Judentum noch größer geworden. Während Gesetze in Abhängigkeit von sozialen leisten kann, leiten Gemeindemitglieder die Mehrzahl der Juden säkular ist (also und ethischen Notwendigkeiten zu die meisten Feste und Gottesdienste. sich kaum um Religion kümmert), existie- ändern (eine alte jüdische Tradition, Gäste sind bei liberalen Gottesdiensten ren weltweit unterschiedliche religiöse die es auch in biblischen Zeiten den stets willkommen. Gruppierungen, die miteinander nicht im Menschen ermöglichte, selbst biblisch allerbesten Verhältnis stehen. fixierte Gesetze außer Kraft zu setzen). www.orchadasch.at Dabei ist die Orthodoxie (in all ihren Hierbei beruft man sich auf die alten Pro- Varianten, von moderat bis hin zu ultra- pheten, die Gerechtigkeit und ethisches orthodox) die kleinste aller religiösen Verhalten forderten und der Meinung Theodor Much Gruppierungen. Weltweit betrachtet, ist waren, dass die Ethik über dem Ritual ist seit 21 Jahren Präsident die Gruppierung, die sich als religiös, aber steht. der Or Chadasch – Bewegung für nichtorthodox versteht, der Mainstream im 3. Absolute Gleichberechtigung von progressives Judentum und im Judentum. Zum nichtorthodoxen Judentum Männern und Frauen. In der Synagoge interkonfessionellen Dialog aktiv.

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Die junge Geschichte eines Salons Ein Raum für unterschiedliche Entwürfe des Jüdisch-Seins Marek Božuk

Begibt man sich in Wien auf die gemeinsam mit renommierten Partnern bis ment nicht nur auf Unterstützung. Neue, Suche nach zeitgenössischem hin zu Chanukka-Feiern. Im Salon begegnen moderne Konzepte von jüdischer Kunst Verständnis jüdischer Kultur, Menschen einander im Austausch über und Kultur innerhalb der existierenden stößt man bald auf den Salon das Eigene, das Nahe und das Fremde, Aktivitäten der Gemeinde umzusetzen, war Vienna. Er ist Teil des interna- Bestehendes wird dabei gefestigt und ein wichtiger Aspekt, gestaltete sich jedoch tionalen Jewish Salon Network, erweitert, man lernt von und über einander. anfangs mitunter sehr schwierig. ein Projekt welches 2008 in Die soziale Bindekraft des Salons, eine Als die beiden Gesher-Delegierten Judith Tel Aviv gegründet wurde und seiner wesentlichen Stärken, ermöglicht Scheer und Yvonne Feiger im Sommer mittlerweile neben Wien auch in es verhältnismäßig heterogene Gemeinden 2008 bei einem Seminar auf Itay Mautner weiteren Metropolen, darunter zusammenzuführen. Es kommen Menschen, trafen, entstand die Gründungsidee für ein Amsterdam, Mexico City und von denen immer mehr ihre eigene Identität neues Kulturkonzept. Der Israeli Mautner, Prag, vertreten ist. Die Jewish als eine kulturell hybride(!) begreifen und der damals seine Arbeiten bei „Kunst im Salons beabsichtigen, einen die am Judentum von seinen traditionellen öffentlichen Raum“ präsentierte, lenkte Dialog zwischen unterschied- Wurzeln bis zu seinen zeitgenössischen den Blick der beiden Wienerinnen auf die lichen Begriffen von jüdischer Varianten teilhaben wollen. zeitgenössische israelische Kunst und auf Kultur und Identität innerhalb Die zur Zeit ca. 8000 Mitglieder zählende ein Projekt, dessen Kreativdirektor er war, und außerhalb der existierenden Israelitische Kultusgemeinde Wien ist eine das Jewish Salon Network. jüdischen Gemeinden zu kreieren Einheitsgemeinde. Sie verbindet unter Vater des Netzwerks ist der Tel-Aviver und zu fördern, denn jüdisch sein dem Dach der halachischen Auslegung Benny Bailey. Er bereiste Europa und ist nicht gleich jüdisch sein. alle Juden in einer Gemeinde. Vertreten dessen jüdische Gemeinden und stellte werden diese durch einen demokratisch mit Verwunderung fest, dass die dortigen gewählten, nach dem Parteiensystem jungen Gemeindemitglieder nur selten die organisierten Vorstand. Grundlegende Aktivitäten der Gemeinde mitgestalteten. Divergenzen zu überbrücken, fällt nicht Andererseits fand er in allen Städten, die er besuchte, interessierte und gesell- Durch die Diaspora sind Jüdinnen und immer leicht, und es kommt immer wieder schaftspolitisch oder kulturell aktive junge Juden mit multiplen kulturellen Identitäten zu Auseinandersetzungen innerhalb des Juden, die mit ihm in Dialog traten. Nach aufgewachsen. Nicht nur sind die kulturellen Vorstands. Es wird geschätzt, dass in etlichen Gesprächen erkannte er, dass ihre Ausprägungen in verschiedenen Ländern Wien weitere 4000 bis 7000 Juden leben, Verärgerung und Enttäuschung darüber, unterschiedlich, besonders innerhalb von welche nicht der Gemeinde angehören und dass ihre Visionen und Ideen kaum in die Städten wie Wien wird deutlich, auf wie damit natürlich auch nicht im Vorstand repräsentiert sind. Gemeinden einflossen, sie von diesen viele verschiedene Weisen das Judentum distanziert hatte. Das Jewish Salon Network gelebt werden kann. Es gibt orthodoxe, Frischer Wind in die Gemeinde sollte weltweit Räume schaffen, in denen liberale, säkulare Juden, einige die stark die Auseinandersetzung mit dem eigenen in der Gemeinde involviert sind, andere 2007 kam frischer Wind in die politische Zugang zu jüdischer Identität formuliert sind es weniger, wieder andere gar nicht, Landschaft der Kultusgemeinde. Eine werden kann und zeitgenössische jüdische manche verbinden ihre jüdische Identität Gruppe engagierter Menschen diverser Kunst und Kultur einen Platz haben. Genau mit Israel, manche mit der Shoah, andere professioneller und kultureller Herkunft das war es, was Gesher suchte. mit ihrer Familientradition oder ihren gründete eine neue Partei namens Gesher Bald darauf, im September 2008, kamen Freunden, und sie alle bekennen sich zum (auf deutsch: Brücke), die bei der letzten einige junge Menschen in Wien zusammen, Judentum. Vorstandswahl mit zwei Mandaten in den die ihrem persönlichen Bezug zum Juden- Vor diesem Hintergrund arbeitet der Senat der Kultusgemeinde einzog. Ihr tum Ausdruck verleihen wollten und das Salon Vienna daran, ein junges und Engagement erstreckte sich in erster Linie vorwiegend mit künstlerischen Mitteln. Die modernes Verständnis des Judentums zu auf kulturpolitische Themen. Zentral war Idee des entstehenden Salon Vienna wurde prägen, indem er Raum für ein zeitgemäßes auch der Wunsch, eine Plattform für ein deutlicher, bis er sich schließlich im April Miteinander dieser unterschiedlichen Ent- zeitgenössisches Selbstverständnis des 2009 unter dem offiziellen Namen „Salon würfe des Judentums bietet und die Vielfalt Judentums im heutigen Wien zu schaffen, Vienna – ein jüdischer Kulturverein“ als sowie Vielschichtigkeit jüdischen Lebens welche die Auslebung eines modernen Verein konstituierte. Noch im selben Monat einem breiteren Publikum eröffnet. Der und stolzen Judentums nach der Shoah wurde die erste Off-Space-Ausstellung Rahmen, den der Salon dafür bietet, reicht unterstützt. Dieses Anliegen wurde von Bereschit (auf deutsch: am Anfang) lan- von Konzerten, eigenen Ausstellungen einigen Gemeindemitgliedern lobend ciert – eine Auseinandersetzung mit der und Diskussionsveranstaltungen häufig aufgenommen, stieß jedoch im Establish- Schöpfungsgeschichte unter dem Motto

10 „7 Tage, 7 Räume, 7 KünstlerInnen“ und Zusammenarbeit. Weitere Kooperationen möglichen Schattierungen, Nuancen und der Beginn eines Projekts, das inzwischen gab es unter anderem mit der World Zionist Intensitäten einer jüdischen Identität, von zu einer fixen Kulturinstitution in Wien Organisation und der Anti Defamation ihren Wurzeln bis zu ihren zeitgenössischen geworden ist. League. Varianten, gelebt werden können. Darin Aus jedem der fünf Bücher Mose ein The- Obwohl der Salon Vienna noch jung ist, unterscheidet er sich von traditionellen ma herauszugreifen und diesem eine eigene hat er bereits eine bewegte Institutions- Institutionen einer Gemeinde und siedelt, größere Veranstaltung zu widmen, ist eine und Vereinsgeschichte hinter sich. In den soziopolitisch gesehen, in einer Grauzone an der längerfristigen Veranstaltungsreihen ersten eineinhalb Jahren seines Bestehens der Peripherie der kulturellen Identität und des Salon Vienna. Nach dem Auftakt mit wurde er von Künstlerinnen geleitet, die den stellt demgemäß das Bindeglied zwischen Bereschit, dem ersten Buch, wurde das Salon auch als Forum begriffen, um eigene dieser Peripherie und dem traditionellen zweite Buch Schemot mit einem Konzert Arbeiten zu präsentieren. Nachdem sich das Zentrum der Kultur dar. der israelischen Band Funk'n'stein im Ost ursprüngliche Team nach erfolgreichem Der Salon Vienna richtet sich insoweit Klub und interaktiven Installationen zu Abschluss der Teilnahme am SOHO in an all jene Menschen, die zwar eine den zehn Plagen sowie dem goldenen Ottakring-Festival 2010 auflöste, dauerte Zugehörigkeit zum Judentum verspüren, Kalb umgesetzt. Das dritte Buch, Wajikra, es ein gutes Jahr, bis die Arbeit des Salons in aber nicht oder nicht ausschließlich bisher die jüngste Veranstaltung dieser vollem Umfang unter neuer Leitung wieder an den traditionellen Institutionen und Reihe, wurde als Diskussion über „Freiheit aufgenommen werden konnte. ihren Angeboten teilnehmen wollen: ein und Regeln“ im Café Hawelka realisiert. Raum für Pioniere, Forscher, Freigeister An diesem Abend debütierte auch eine Kunst spricht viele Sprachen und Eklektiker, Quereinsteiger, Reisende, im Salon Vienna entwickelte Diskussi- onsmethode, das World Café 2.0. Diese Der derzeitige Vorstand ist der Kunst Migranten oder schlicht Sympathisanten wurde seither immer weiter verfeinert und weiterhin sehr verbunden und erlebt diese einer kulturellen Identität – was vor allem kam bei zahlreichen späteren Veranstal- als ein gemeinsames Identitätsmedium das gegenwärtige Salon-Team selbst unter tungen des Salons zum Einsatz. Zuletzt in zwischen diversen Kulturen, da die Kunst Beweis stellt. Zusammenarbeit mit dem Metroverlag und unzählige Sprachen spricht. Allerdings nä- dem Jüdischen Museum Wien bei einer hert sich der aktuelle Vorstand größtenteils www.jewishsalons.net Diskussion anlässlich des Erscheinens von nun eher von theoretischer Seite der Kunst Marek Božuk Christof Habres Buch „Jüdisches Wien“, in an. Diese Verhältnisumkehrung hat Platz geboren in Trenčin in der ehemaligen dem auch dem Salon Vienna ein Kapitel geschaffen für eine erweiterte Sicht auf Tschechoslowakei, Philosophie- gewidmet ist, und bei einem post-screening die Aufgaben und Funktionen des Salon ausbildung in Medientheorie in Wien Gespräch über den umstrittenen Film De- Vienna: Dieser begreift sich nunmehr als und Lüneburg unter Claus Pias, famation in Kooperation mit dem ORF und Institution und Plattform, die einen sozialen Gründungsmitglied, Vorstand und dem Grazer Komitee für christlich-jüdische Raum zur Verfügung stellt, in welchem alle Kurator des Salon Vienna.

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Ankunft mit hürden Jüdische Migration in Relevanz zu Sozialer Arbeit Gerda Netopil

Vor 1938 lebten über 190.000 deren kulturelle Wurzeln eigentlich auf der Bereich stellt eine zentrale Problematik Menschen jüdischer Herkunft Iberischen Halbinsel liegen. Ihr religiöser für MigrantInnen dar, die sich gravierend in Österreich. 120.000 wurden Ritus gleicht jenem der orientalischen auf alle anderen Lebensbereiche und vertrieben, 60.000 ermordet. JüdInnen aus Aserbaidschan, Usbekistan, -perspektiven auswirken kann. Fremden- 1945 umfasste die Gemeinde um Tadschikistan und Georgien. (vgl. Friedmann und sozialrechtliche Beratung ist daher die 5.000 Menschen, die das et al. 1993:33f) Aschkenasim hingegen ein wesentlicher Teil in der Arbeit mit nationalsozialistische Regime sind deutscher Herkunft, die ursprünglich MigrantInnen. überlebt hatten.1 In der Zweiten nach Osteuropa geflüchtet waren und dort Der sozial-ökologische Bereich betrifft Republik erfolgte seitens der ihren eigenen Ritus entwickelten. Sie zählen Kriterien wie Bildung, Berufstätigkeit, Politik keine Rückholung der zur jüdischen Bevölkerung mittel- oder Wohnort und Infrastruktur. 19 Prozent Vertriebenen aus den Exilländern. osteuropäischer Abstammung. der in ESRA betreuten KlientInnen mit Eine Besonderheit der jüdischen Mi- Migrationshintergrund haben einen mit gration ist die Mehrfachmigration. Eine einer österreichischen Fachschule ver- Stichprobe der ESRA-Sozialberatungsdaten gleichbaren Abschluss, fast 18 Prozent hat ergeben, dass knapp 60 Prozent der haben eine Hochschule im Herkunftsland KlientInnen mindestens zwei Migrationen abgeschlossen. Demgegenüber entspricht durchlebt haben. Zumeist erfolgte die ihre Tätigkeit in Österreich jedoch nicht dem erste Migration aus einem Nachfolgestaat Qualifikationsniveau. Problemfelder sind der ehemaligen Sowjetunion nach Israel die Nichtanerkennung von Ausbildungen Mitte der 1970er Jahre wurde Österreich und nach unterschiedlich langen Aufent- oder langwierige Nostrifizierungsverfah- zur Drehscheibe der jüdischen Auswan- haltszeiten im ersten Einwanderungsland ren. MigrantInnen besetzen zumeist die derung aus der Sowjetunion nach Israel. folgte aufgrund bestehender familiärer „untersten“ Positionen im österreichischen 200 MigrantInnen ließen sich letztlich in Beziehungen oder sonstiger sozialer Beschäftigungssystem und haben ver- Wien nieder und bildeten den Kern der Kontakte oft eine weitere Migration nach gleichsweise geringe Aufstiegschancen. bucharisch-jüdischen Gemeinde. (vgl. Österreich. In Bezug auf die Kriterien Wohnort Embacher 1995) und Infrastruktur suchen viele jüdische Ab 1989/90 erfolgte eine verstärkte Ein Konglomerat an Barrieren MigrantInnen eine Wohnoption im Zweiten Zuwanderung durch Flucht aus den Wiener Gemeindebezirk, dem Bezirk mit der Nachfolgerepubliken der Sowjetunion. Alle migrationsrelevanten Felder bedingen dichtesten jüdischen Infrastruktur an religi- Die Zuwanderung wurde 1993 mit der einander in unterschiedlichem Ausmaß. ösen und institutionellen Einrichtungen und Einführung des Aufenthaltsgesetzes in Besonders Machtstrukturen und rechtliche koscheren Geschäften. Diese Infrastruktur Österreich eingeschränkt und mit Novellie- Rahmenbedingungen haben in der Arbeit und die Nähe zu Bekannten und Verwand- rungen des Fremdenrechtes 2003 und 2005 mit MigrantInnen maßgeblichen Einfluss ten fördert das Sicherheitsgefühl und stellt gestoppt. Im Jahr 2000 lebten ca. 11.000 auf alle anderen Problemfelder. eine wesentliche Ressource dar, besonders Menschen jüdischer Herkunft in Österreich Der Zugang zu und die Verteilung von für ältere MigrantInnen. Grundsätzlich sind (vgl. Halpert 2000), derzeit sind es nach Ressourcen erfolgt für MigrantInnen nicht MigrantInnen durch einen gänzlichen oder Schätzungen 20.000 Menschen. Während aufgrund von Bedürfnissen, sondern zeitlich langen Ausschluss vom sozialen in Deutschland jüdische ZuwanderInnen aufgrund zugewiesener Merkmale, vor Wohnungsangebot auf den teureren freien aus der ehemaligen Sowjetunion als Kon- allem über das Merkmal der Staatsange- Wohnungsmarkt angewiesen. tingentflüchtlinge anerkannt wurden (vgl. hörigkeit bzw. der Aufenthaltsdauer (vgl. Erwerbstätigkeit und Einkommen Weizsäcker 2004), unterliegt in Österreich Staub-Bernasconi 1998). Voraussetzung entscheiden über die Teilhabe an den die jüdische Zuwanderung den allgemeinen für soziale und psychische Sicherheit wäre gesellschaftlichen Ressourcen und fremdenrechtlichen Bestimmungen. eine rechtlich abgesicherte Existenz. Die bestimmen die gesellschaftliche Position. Jüdische MigrantInnen stammen aus Gesetzeslage verursacht jedoch eine hohe Gleichzeitig wird dadurch das soziale den unterschiedlichsten Regionen der Rechtsunsicherheit für MigrantInnen: Sicherheitsniveau (Arbeitslosen-, Pensi- ehemaligen UdSSR und sind durch verschie- Die kontinuierlichen Änderungen in der ons- und Krankenversicherung) definiert denste Lebensweisen, Familienstrukturen, österreichischen Gesetzgebung haben in (vgl. Staub-Bernasconi 1998). KlientInnen Umgebungskulturen und Berufe geprägt der Folge zu einer Situation geführt, in mit Migrationshintergrund leiden oft unter (vgl. Kessler 1996). Die aus kaukasischen der Betroffene nicht mehr wissen, was zu mittel- oder langfristiger Erwerbslosigkeit und asiatischen Regionen stammenden welchem Zeitpunkt Recht ist, und was nicht. und damit an fehlendem Einkommen. MigrantInnen zählen zu den Sephardim, (Gächter 1996:37) Der aufenthaltsrechtliche Grundsätzlich ist die materielle Absi-

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cherung durch öffentliche Leistungen für Quellen: Kessler, Judith (1996): Beispiel Berlin: Jüdische nicht-eingebürgerte MigrantInnen stark Zielgruppenerhebung der ESRA-Sozialberatung Migration aus der ehemaligen Sowjetunion (unveröffentlicht): Quantitative Erhebung seit 1990. Berlin. In: http://berlin-judentum. eingeschränkt, besonders Leistungen der (2001), Stichprobe von 80 KlientInnen (2004), de/gemeinde/migration.html (Zugriff am Bedarfsorientierten Mindestsicherung. Nur Anamnesedaten – über die Stichprobe 07.11.2011) jene MigrantInnen, die Aufenthaltstitel zum hinausgehend (2004). Kürsat-Ahlers, Elcin (1995): Migration als psy- Zweck der Niederlassung besitzen und die chischer Prozess. In: Attia, Iman et al. (Hg.): Sicherheit eines Daueraufenthaltes erlan- Literatur: Multikulturelle Gesellschaft – monokulturelle Adunka, Evelyn (2000): Die vierte Gemeinde. gen konnten, haben nach einigen Jahren Psychologie? Antisemitismus und Rassismus Die Geschichte der Wiener Juden von 1945 bis in der psychosozialen Arbeit. dgvt-Verlag: die Möglichkeit sozialer Absicherung. heute. Philo Verlag: Berlin/Wien. Tübingen: 157-171. Soziale Netzwerke haben für die Bewäl- Embacher, Helga (1995): Neubeginn ohne Staub-Bernasconi, Silvia (1995): Systemtheorie, Illusionen. Juden in Österreich nach 1945. tigung von Migration eine entscheidende soziale Probleme und Soziale Arbeit: lokal, Picus: Wien. Bedeutung und stellen wesentliche Res- national, international. Haupt: Bern/Stuttgart/ Friedmann, Alexander/Hofstätter, Maria et al. Wien. sourcen dar. Einerseits wird Migration oft (1993): Eine neue Heimat? Jüdische Emigran- Staub-Bernasconi, Silvia (1998): Soziale durch familiäre/persönliche Beziehungen tinnen und Emigranten aus der Sowjetunion. Probleme, Soziale Berufe, Soziale Praxis. In: ausgelöst, andererseits sind Familie und Verlag für Gesellschaftskritik: Wien. Heiner, Maja/Meinhold, Marianne et al.: soziale Netzwerke die zentralen Ressourcen Gächter, August (1996): Nutzen und Widersinn des Ausländerrechts. In: Isotopia 6/1996, S. 33-46. Methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit. einer Migration. Familie gilt als identitäts- Grinberg, Leon/Grinberg, Rebecca (1990): Lambertus: Freiburg im Breisgau. stiftend im Spannungsfeld von Fremdheits- Psychoanalyse der Migration und des Exils. Weizsäcker, Esther (2004): Jüdische Migranten und Diskriminierungserfahrungen in der Klett Cotta: München/Wien. im geltenden deutschen Staatsangehörig- Mehrheitsgesellschaft. Familien- und Grulke, Norbert/Bailer, Harald et al. (2004): keits- und Ausländerrecht. In: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik 3/2004, Verwandtschaftsbeziehungen sind in den Migration in die Depression? In: Psychosozial 95/2004, S. 97-106. S. 93-101. jüdischen Gemeinden vor allem durch den Halpert, Marta S. (2000): Von der bitteren Wittig, Ulla/Merbach, Martin et al. (2004): traditionell-religiösen Bezug stark vorhan- Erfahrung zum gesunden Selbstbewusstsein. Migration, Gesundheit und medizinisches den (vgl. Herwatz-Emden 1998). Besonders Jüdisches Leben in Österreich nach 1945. System, in: Psychosozial 95/2004, S. 71-79. ältere MigrantInnen sind durch den oftmals in: Ungar-Klein, Brigitte (Hg.): Jüdische nicht mehr möglichen Spracherwerb und Gemeinden in Europa zwischen Aufbruch und Kontinuität. Picus: Wien: 33-38. Gerda Netopil das isolierte Leben zu Hause auf ihre eth- Herwatz-Emden, Leonie (1998): Migration und ist Politologin und diplomierte nische und/oder religiöse Herkunftsgruppe soziokulturelle Lebenswelten: Konfrontation Sozialarbeiterin und Leiterin des angewiesen. Die verschiedenen ethnischen und Veränderung. In: Büttner, Christian et Fachbereiches Soziale Arbeit im jüdischen Communities mit ihrem vielfäl- al. (Hg.): Brücken und Zäune. Interkulturelle psychosozialen Zentrum ESRA. tigen kulturellen Leben sind dabei wichtige Pädagogik zwischen Fremdem und Eigenem. Psychosozial-Verlag: Gießen. www.esra.at Ressourcen. (vgl. Kessler 1996) Eine Anzahl von Untersuchungen weist auf die starke psychische Belastung durch Migration hin (vgl. Grinberg 1990, Kürsat- Ahlers 1995, Grulke et al. 2004, Wittig et al. 2004). In der Arbeit mit jüdischen KlientInnen mit Migrationshintergrund ist immer darauf zu achten, ob eine traumatische Erfahrung bzw. die Gefahr einer Re-Traumatisierung gegeben ist. Ein erhöhtes Risiko besteht vor allem bei KlientInnen, die gleichzeitig Überlebende der Shoah sind und/oder die eine Zwei- oder Mehrfachmigration durchlebt haben. Die Problemkonstellation von psychischer Vulnerabilität, restriktiver Gesetzeslage und struktureller Benachteiligung bedarf insgesamt eines interdisziplinären und multiprofessionellen psychosozialen Kon- zeptes. Ganz besonders gilt dies für eine jüdische Gemeinde und ihrer Geschichte von Verfolgung, Vernichtung, Migration und Diaspora.

Fußnote: 1 Vgl. Embacher 1995, Adunka 2000.

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mit schmerzhaften Erinnerungen verbun- Der lange Weg aus dem Trauma den und damit sehr belastend sind. Das Psychosoziale Arbeit mit NS-Überlebenden Vermeidungsverhalten als Schutz der/des Überlebenden führt oft zur Nichtgeltend- machung von Rechtsansprüchen bzw. zum Abbruch von langwierigen Verfahren, die als sehr belastend erfahren werden. Unwissenheit und Unverständnis durch Seit 1995 hat das Psychosoziale Das „Danach“, also der Umgang der Personen der rechtsvollziehenden Behörden Zentrum ESRA 3300 Überlebende Gesellschaft mit Überlebenden des haben massiven Einfluss auf die psychische des Nationalsozialismus der Nationalsozialismus in der Zeit nach der Situation von NS-Überlebenden. Ersten Generation betreut. 700 Verfolgung und Vernichtung, entscheidet Vor dem Hintergrund dieser historischen davon sind „child survivors“, also massiv über das Ausmaß einer möglichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingung Überlebende, die zwischen 1929 Re-Traumatisierung. ist der Anspruch an psychosoziale Behand- und 1945 geboren wurden. Viele Auf gesellschaftlich-politischer Ebene von ihnen leiden aufgrund ihrer mussten sich Überlebende nach 1945 mit lung und Beratung von Überlebenden ein Verfolgungsgeschichte an einer einer Politik konfrontiert sehen, die die besonderer. Trauma ist ein komplexes schwerwiegenden Posttrau- österreichische Gesellschaft als kollektives Geschehen. Aufgrund dieser Komplexität matischen Belastungsstörung. Opfer darstellte. Die Erinnerung an das benötigen Überlebende auch komplexe Darüber hinaus werden auch die Schicksal der Opfer der NS-Vernichtungsla- psychosoziale Unterstützung. Nur durch Folgegenerationen betreut, die ger und an die Überlebenden wurde kaum langfristige Vertrauensbildung kann der häufig aufgrund der Traumatisie- thematisiert (vgl. Rathkolb/Heiss 1995). Weg zu medizinischer und psychotherapeu- rung ihrer Eltern und/oder Groß- Materielle Entschädigung für NS-Opfer tischer Unterstützung für diese Klientinnen eltern ebenfalls Symptome einer erfolgte zögernd bis gar nicht, erst in den geöffnet werden. Belastungsstörung aufweisen.1 1990er Jahren wurde seitens der Politik Hier liegt auch der entscheidende von einer Mitverantwortung Österreichs qualitative Vorteil der psychosozialen gesprochen. Bestimmte Opfergruppen wie Institution ESRA, die multiprofessionell Euthanasieopfer und die Gruppe der so und interdisziplinär arbeitet: Die psycho- genannten „Asozialen“, wurden erst ab sozialen Folgen werden aus einer mehr- 1995 anerkannt. dimensionalen Perspektive verstanden Getragen wurde der negative Diskurs und behandelt, womit der lange Weg für durch die Opferthese. Die Gesellschaft traumatisierte KlientInnen gangbarer und wollte vergessen, die Überlebenden kürzer wird. konnten es nicht. „Zwischen den Juden Soziale Arbeit berücksichtigt im Bereich und Nichtjuden in Österreich besteht ein Fußnote: der kollektiven Traumata drei Ebenen: 1 transgenerationelle Traumatisierung, unsichtbarer Vorhang – gebildet von beiden die individuelle Leidensgeschichte, die vgl. Keilson 1979. Seiten. Von den einen, die nicht vergessen gesellschaftlich-politische Ebene und die können, auch wenn sie es möchten; und Literatur: rechtlich-institutionelle Ebene. In allen von den anderen, die nicht erinnert werden Adunka, Evelyn (2000): Die vierte Gemeinde. drei Bereichen besteht das Risiko einer wollen“ (Simon Wiesenthal zit. n. Adunka Die Geschichte der Wiener Juden von 1945 bis Re-Traumatisierung. heute. Philo Verlag: Berlin/Wien. 2000:524). Auf der individuellen Ebene sind auf- Keilson, Hans (1979): Sequentielle Traumatisie- grund der Leidensgeschichte psychische rung bei Kindern. Enke: Stuttgart. Belastende Rechtsverfahren Kessler, Judith (1996): Beispiel Berlin: Jüdische Folgen im Alter wie Angst, Depression Migration aus der ehemaligen Sowjetunion seit und Isolation eine häufige Folge. Durch Auf rechtlich-institutioneller Ebene sind 1990. In: http://berlin-judentum.de/gemeinde/ Chronifizierung kann es zu einer posttrau- Entschädigungen nach 1945 nur gegen migration.html (Zugriff am 07.11.2011) matischen Belastungsstörung kommen. große politische Widerstände erfolgt. Ludewig-Kedmi, Revital (2005): Zwischen Viele NS-Überlebende leiden an einer Entschädigung für erlittene Leiden wird Zerbrechen und Bewältigung. Seelisches Überleben nach dem Trauma. In: Neue Zürcher Erschütterung des Grundvertrauens, das im sogenannten „Fürsorgeverfahren“ Zeitung - Zeitfragen, 15.01.2005. In: http:// zu einem grundsätzlichen Misstrauen in abgehandelt. So hat das entsprechende www.tamach.org/index.php?id=72 (Zugriff am alltäglichen Situationen des Lebens führen Opferfürsorgegesetz inzwischen über 60 07.11.2011) kann. Ein sozialer Desintegrationsprozess (!) Novellierungen. Insgesamt erfolgten Mehari, Fetsum (2002): Trauma im interkultu- durch sozialen Rückzug bzw. psychische Gesetzesänderungen sozialrechtlicher rellen Kontext. In: Schriftenreihe Asylpraxis, Band 9, S. 17-34. In: http://www.bamf.de/ Einsamkeit kann das weitere Leben und staatsbürgerschaftsrechtlicher Re- SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/ beeinträchtigen. Verdrängung und Still- levanz für viele Überlebende zu spät SchriftenreiheAsyl/asyl-reihe-band-09.html schweigen gelten als inadäquate Formen oder trafen sie erst in einem sehr hohen (Zugriff am 07.11.2011) der Verarbeitung von Traumatisierung. Lebensalter. Rathkolb, Oliver/Heiss, Gernot (Hg.) (1995): (vgl. Mehari 2002) Umso schwerer wiegen Oft kommt es zu Problemen, wenn Asylland wider Willen. Flüchtlinge in Österreich im europäischen Kontext seit 1914. jene kollektiven Traumata, die niemals Überlebende mit rechtlichen Verfahren Verlag Jugend und Volk: Wien. eine kollektiv-gesellschaftliche Aufar- konfrontiert sind. Um Rechtsansprüche beitung erfahren haben. (vgl. Ludewig- geltend zu machen, müssen sie sich Kedmi 2005) Fragen von Behörden stellen, die für sie Gerda Netopil

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Söhne des Kantors lasen in der nur spärlich Krems, die Juden und die Nazis besuchten Synagoge statt der Thora lieber Thomas Mördinger Karl Marx. Krems selbst steht dem in nichts nach und gibt sich anders als andere Städte. Hier amtierte bereits in den 1920er-Jahren der erste nationalsozialistische Bürgermeister Österreichs. Hier standen schon 1932 SA- Männer vor jüdischen Geschäften und hier ereignete sich das Handgranaten-Attentat, das 1933 das Verbot der NSDAP nach sich zog. Paradoxerweise rettete das alles zahlreiche Leben. Viele erkannten schon früh, dass die Söhne und Töchter Moses’ in diesem antisemitischen Kernland keine Zukunft hatten. Sie gingen in die Emigration, als es noch problemlos möglich war.

... und später Zurückgekehrt sind nur wenige. Und auch erst, nachdem Robert Streibel sie in den 1980er Jahren in Israel aufgesucht und eingeladen hatte. So wanderten noch einmal alt gewordene ExilantInnen durch die Stätte ihrer Jugend. Fanden sich wieder, Die jüdische Gemeinde in Krems Stahlband mit den Namen und Schicksalen wo sie einst gelebt, gearbeitet und gefeiert ist ausgelöscht. Trotzdem wird der Mitglieder der letzten jüdischen hatten, oder an jener Ecke, wo sie das erste der jüdische Friedhof in der Gemeinde. Auf den Friedhof können nur Mal ihrer ersten Liebe begegnet waren. einstigen nationalsozialistischen jene gelangen, die Hans Kupelwiesers Trotz der späten Versöhnung – geblieben Hochburg gepflegt wie wenige Denkmal wie eine Schwelle überschreiten ist von ihnen niemand mehr. andere in Österreich. Die Grünen oder bewusst umgehen. Ein gedankenloses Jedoch ist auch in der entspannten, weil Bildungswerkstätten Minder- Betreten ist unmöglich. Kaum hat man einen „judenlosen“, Kremser Atmosphäre der la- heiten und Niederösterreich der möglichen Wege gewählt, steht man tente Antisemitismus nicht verschwunden. luden am 2. Oktober gemeinsam vor einem nicht minder eindrucksvollen Noch heute können viele Alte nicht anders mit Bundesrätin Jennifer Kickert Kunstwerk. Das Aktionskünstler-Duo Clegg als die Stimme senken, bevor ihnen das und Nationalratsabgeordnetem & Guttmann schuf drei Glasschränke mit Wort „Jud“ über die Lippen kommt. Mehr Albert Steinhauser zu einer jüdischer Literatur in Deutsch, Englisch gehaucht als tatsächlich gesagt. Als wäre widersprüchlichen Exkursion auf und Hebräisch. Die Bücher können beliebig es etwas Unanständiges, etwas, das man den Spuren des jüdischen Krems mitgenommen und wieder zurückgebracht nicht laut ausspricht. Schon gar nicht, werden. Eine Leihbibliothek auf dem Friedhof. wenn es Fremde hören könnten, oder – Ob denn viel daraus gestohlen werde, will Gott behüte – die Kinder! Aber gerade jemand wissen. Nein, weiß Streibel zu be- die Jungen haben diese Scheu verloren. Keiner kennt die letzten Kremser Jüdinnen richten, es wurden zuletzt sogar mehr Bücher. 2006 entwarf Streibel mit SchülerInnen und Juden besser als Robert Streibel. Der Schenkungen durch Unbekannt. Überhaupt Gedenktafeln, die in den ehemaligen Läden Historiker erforschte die davor im Dunkeln habe es nie Probleme gegeben. Auch als in an die damaligen BesitzerInnen erinnern liegende braune Vergangenheit seiner der Kremser Region in den 1990er-Jahren sollten. Die Gemeinde verweigerte selbst Geburtsstadt. In Büchern und Artikeln Neonazis öffentlich ihr Unwesen trieben, moralische Unterstützung, nicht jedoch die dieser Menschen zu gedenken, ist Streibel wurde der Friedhof nie behelligt. Geschäftsleute. Binnen weniger Monate jedoch zu wenig. Die lebendige Erinnerung hingen in mehr als 20 Schaufenstern wurde zu seinem Lebenswerk. So wird er Einst ... Erinnerungstafeln. Andererseits machte auch nicht müde Geschichten zu erzählen. 1995 der damalige ÖVP-Bürgermeister Erich Geschichten vom jüdischen Alltag. Von Das passt ins Bild der ungewöhnlichen Grabner nicht weniger als 300.000 Schilling den damaligen und den heutigen Nazis. Erzählungen dieses Tages. Die Kremser aus der chronisch blanken Gemeindekasse Von den Rückschlägen und den Erfolgen, Juden und Jüdinnen waren einst bekannt für Kupelwiesers Denkmal am Friedhof wenn er die Erinnerung hochhält. dafür, es mit den religiösen Regeln nicht locker. Trotz der Alten und der Neonazis. Der jüdische Friedhof liegt versteckt ganz so genau zu nehmen. Deshalb zieren Oder etwa vielleicht genau deshalb? inmitten eines Autobahnkleeblatts. Trotzdem die Fotos zahlreicher Verstorbener ihre ist er – anders als so viele andere – frei Grabsteine. Ganz nach der damaligen zugänglich. Das Autohaus vis-à-vis verwahrt Bestattungsmode, aber gegen jede jüdische Thomas Mördinger einen Schlüssel für alle BesucherInnen. Das Tradition. Wie im Tode gab man sich auch ist Redakteur der Grünen einzige Hindernis ist das 48 Meter lange im Leben unorthodox. Ausgerechnet die Bildungswerkstatt Wien.

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Durch die schichten des vergessens Die Fotoalben der Hakoah-Schwimmerin Fritzi Löwy Vida Bakondy

Fritzi Löwy, geboren 1910 in der Stuwerstra- Albums bilden vier Schwarzweißfotos von Ende Oktober 2010 stieß ich in ße 15 im Zweiten Wiener Gemeindebezirk Friedhofsgräbern, die zu unterschiedlichen der Sammlung Frauennachlässe Zeiten im jüdischen Teil des Wiener am Institut für Geschichte der als jüngstes von sieben Kindern, trat Anfang Zentralfriedhofes aufgenommen wurden: Universität Wien erstmals auf der 1920er Jahre der Schwimmsektion des Ein Foto dokumentiert ein frisches Grab, den Namen Friederike „Fritzi“ jüdischen Sportklubs SC Hakoah Wien bei. ein weiteres ein Grab mit Grabstein. Im Löwy. Ich blätterte durch drei Mitte der 1930er Jahre beendete sie ihre Zentrum der Seite stehen jedoch zwei Fotoalben, die Mitte der 1990er aktive Schwimmkarriere. In einem Interview Abbildungen von einem identischen Jahre auf einem Wiener Antik- anlässlich der 80-Jahres-Feier der Wiener Grabstein, auf dem die Namen von Fritzi flohmarkt gefunden und 2008 an Hakoah 1989, bezeichnete Löwy folgende Löwys Eltern und drei Schwestern sowie die Sammlung Frauennachlässe Leistungen als ihre persönlich größten vier ihrer Nichten verzeichnet sind. Auf den übergeben worden waren. Fritzi Erfolge: „Den Europarekord über 200m, folgenden Seiten finden sich Fotografien Löwy wurde als die ursprüngliche wo ich die damalige deutsche Kampfspiel- von einzelnen Familienangehörigen, die von Eigentümerin und Gestalterin der Siegerin Lotte Lehman schlug, und der Fritzi Löwy in Bildunterschriften teilweise Alben ausgewiesen. Sie zählte 3. Platz bei der Europameisterschaft in Bo- mit Ort, Datum, Namen oder Verwandt- in den 1920er und 1930er Jahren logna 1927. Ein einziges Mal ging damals die schaftsbezeichnung ausgewiesen werden. zu einer der erfolgreichsten österreichische Fahne hoch! [...] Zweimal Die Bilder im Familienalbum vermögen – da Schwimmerinnen über die öster- war ich auch bei der Maccabiah Siegerin, 1 nicht mehr Teil des persönlichen Kontextes, reichischen Grenzen hinweg. nämlich 1932 und 1935.“ In einem der drei Alben findet sich ein in dem sie entstanden sind – auf den Hinweis auf Fritzi Löwys Schwimmkarriere ersten Blick nicht viel zu erzählen. Die in Form eines eingeklebten Zeitungs- Informationen liegen hier „im Anderswo“3 ausschnittes aus dem schweizerischen auf der Rückseite einzelner Fotografien Mitteilungsblatt Makkabi von Juli 1944. sowie neben und unter dem Bildrand. Aus diesem geht hervor, dass sich „die ehemalige Meisterschwimmerin der Wiener Familienalbum als Gedenkbuch Hakoah, Frau Fritzi Loewy – aus Italien kom- Der französische Philosoph Roland Barthes mend – in einem Tessiner Flüchtlingslager spricht in seinem vielzitierten Buch „Die [befindet]“. Löwy setzte diese Information, helle Kammer“ über das punctum einer rot unterstrichen, an den Beginn ihres Fotografie als „Stich“ oder „kleines Loch“, „Schweiz“-Albums, in dem sie auf den „jenes Zufällige an ihr, das mich besticht ersten Seiten ihre Flucht aus Mailand in (mich aber auch verwundet, trifft)“4. die Schweiz im Frühjahr 1944 sowie den In Anlehnung daran haben Leo Spitzer Aufenthalt in diversen Flüchtlingslagern und Marianne Hirsch das Konzept der dokumentiert. Für die Darstellung greift Erinnerungspunkte entwickelt, um den Löwy dabei auf das Mittel der Collage (in Zusammenhang zwischen Fotografie und Form einer Montage von Fotos, Zeichnungen, Erinnerung zu fassen: „Ähnlich wie das Karten, Postkarten, Tourismusbroschüren, ,punctum‘ bei Barthes können bestimmte Briefmarken) zurück, um ihre Fluchtpunkte, Erinnerungspunkte die Schichten des ihre Freund_innen und spätere Besuche Vergessens durchdringen und die in der Schweiz zu visualisieren. In seinem Aufmerksamkeit dessen auf sich ziehen, Charakter entspricht das Album klassischen der etwas über die Vergangenheit in Reisealben der 1960er und frühen 1970er Erfahrung bringen will. Zudem ist ein Jahre2, und gibt dadurch erste Hinweise Punkt winzig klein, ein Detail, und kann auf den zeitlichen Entstehungszusammen- somit die Bruchstückhaftigkeit der Spuren hang dieser Erinnerungsarbeit. In einem in der Vergangenheit wiedergeben – etwa in weiteren Album dokumentiert Löwy zwei Form eines winzigen Bildes aus verblasstem, Parisaufenthalte zu Beginn der 1930er Jahre, brüchigem Papier.“5 vermutlich entstanden im Zuge von Reisen Die Gegenwärtigkeit von Erinnerungs- zu internationalen Schwimmwettbewerben. punkten besticht in Fritzi Löwys Alben. Das dritte Album ist ihrer Familie gewidmet. Bei den im Familienalbum versammelten Wie auch das „Schweiz“-Album, beginnt bzw. erhaltenen6 Fotos handelt es sich um es mit einer Setzung. Den Auftakt des Porträtaufnahmen, Einzel- und Gruppenfo-

16 tos von Löwys Eltern, ihren Geschwistern, sowie deren Kindern und Partner_innen. Vereinzelt ist auch Fritzi Löwy selbst im Bild. Wie die jeweilige Rückseite der Bilder verrät, wurden viele zur Erinnerung verschenkt und sollten Grußbotschaften an Familie und Verwandte vermitteln. Verzeichnet sind oft Ort, Datum, Adressat_in und Name des/der Übermittler_in. Zu einzelnen Fotografien hat Fritzi Löwy Kommentare hinzugefügt, die darauf verweisen, dass die Mehrzahl der Fotografien den ursprünglichen Ver- wendungszusammenhang verloren hat und hier anders/neu zum Einsatz kommt. Es sind Löwys Bildunterschriften, die das Nicht-Sichtbare im Bild, die Geschichte von Verlust, Vertreibung und Ermordung als Folgen der nazistischen Gewaltherr- schaft, so augenscheinlich machen. Sie Fritzi Löwy, Milano, 1942. Fritzi Löwy, undatiert. durchbrechen das Schweigen, das von Teilnachlass „Schweden“, im Besitz der Verfasserin. Teilnachlass „Schweden“, im Besitz der Verfasserin. Fotografien potentiell ausgeht, wenn kein persönliches bzw. familiäres Wissen mehr vorhanden ist. Die Bildunterschriften erinnert und sich ihrer versichert – weil sie Darin liegt auch ihre Bedeutung für die unterlaufen somit auch die Konventionalität nicht mehr da ist. Gegenwart. und die „Familiarität“ der Fotos und fügen Die Frage, an wen Fritzi Löwy letztlich diesen eine vielschichtige Bedeutung als ihr „Schweiz“-Album und das Familienal- Fußnoten: historische Spur hinzu. Drei Fotos von bum adressiert hat, muss unbeantwortet 1 Interview mit Fritzi Löwy. In: Achtzig Jahre Hakoah, Wien 1989. Familienmitgliedern wurden ein paar bleiben. Vielmehr jedoch stellt sich die 2 Vgl. Starl, Timm: Knipser (1995): Die Monate vor der Ermordung durch die Nazis Frage, welche gegenwärtige, erinnerungs- Bildgeschichte der privaten Fotografie in aufgenommen und verschickt. So lautet politische Bedeutung den Alben zukommen Deutschland und Österreich von 1880 bis 1980, etwa die Bildunterschrift zu einem Foto kann. Fritzi Löwy verknüpft in den Alben Koehler & Amelang: München/Berlin: 139. von Fritzi Löwys Schwester Olga, die im subjektive Erinnerungen an ihre Familie 3 Hirsch, Marianne/Spitzer, Leo: Erinnerungs- Februar 1941 mit ihren drei Töchtern von und persönliche Fluchtgeschichte mit der punkte. Schoahfotografien in zeitgenössischen Erzählungen. In: Fotogeschichte, Jg.25 (2005), Wien nach Opole/Polen deportiert wurde: kollektiven Geschichte des Nazismus und Nr. 95, 29-44; 37. „Mein gutes armes Schwesterl – letzte Auf- der Shoah. Sind denn die Alben daher nicht 4 Barthes, Roland ([1980]1989): Die helle nahmen aus Opole (Ghetto) 1941“. Neben nur als persönliche Erinnerungsarbeit wider Kammer. Bemerkungen zur Photographie. noch erhaltenen Briefen sind die drei Fotos das Verdrängen und Vergessen zu werten, Suhrkamp: Frankfurt am Main: 36. die letzten Lebenszeichen und Spuren vor sondern auch als marginalisierter Teil des 5 Hirsch/Spitzer (2005): 40. 6 Leere Seiten und Bildunterschriften ohne Bild der Ermordung. In Anlehnung an Marianne (visuellen) Gedächtnisses über die Shoah deuten an, dass ein paar Fotos im Zuge der Hirsch können wir diese Fotografien in Österreich? Einen ersten Schritt in diese Auflösung des Nachlasses verloren gegangen als „stubborn survivors of the intended Richtung – ,die Schichten des Vergessens sind. destruction of an entire culture, its people durchdringend‘ – bedeutet der Eingang der 7 Hirsch, Marianne (1997): Family Frames. as well as all their records, documents and Alben in ein öffentliches Archiv und damit aus Photography, Narrative and Postmemory, 7 Harvard University Press: Cambridge u. a.: 23. cultural artifacts“ verstehen. dem Kreis des privaten Erinnerungsrahmens 8 Auf mögliche weitere Bedeutungen kann an Das Familienalbum versammelt jedoch hinein in einen öffentlichen, kollektiven. dieser Stelle aus Platzgründen nicht näher auch Fotografien von jenen Familienangehö- Fritzi Löwy wird bis heute als erfolgreiche eingegangen werden. rigen und Verwandten, die die NS-Herrschaft Schwimmerin der Hakoah, die „den 9 So lautete der Titel eines Nachrufs auf Fritzi und den Krieg in Wien überlebten, oder es Antisemiten zum Trotz“9 geschwommen Löwy, den die Historikerin Gabriele Anderl 1994 anlässlich Löwys Ableben in Wien im geschafft haben zu flüchten und sich ein ist, erinnert, sie kehrte 1949 – nach zehn „Falter“ verfasste (vgl. Falter, 16/1994, 69). neues Leben in Kanada, England, den USA Jahren im Exil in Italien, der Schweiz und Gabriele Anderl hatte Fritzi Löwy Mitte der und Australien aufzubauen. Australien – nach Wien zurück, wo sie am 13. 1980er Jahre für das Buchprojekt des DÖw Fritzi Löwy dürfte im Gedenken an ihre März 1994 verstarb. Von ihrem Leben nach „Jüdische Schicksale. Berichte von Verfolgten“ Familie auf eine vertraute Praxis bzw. einen ihrer Karriere als Hakoah-Schwimmerin ist interviewt. Es ist meines Wissens das einzig erhaltene, lebensgeschichtliche Interview mit vertrauten Erinnerungsort, das Fotoalbum, wenig bekannt. Der Einblick in den frag- Fritzi Löwy. zurückgegriffen haben. Darauf verweist die mentarischen Nachlass Löwys ermöglicht Existenz der zwei anderen Alben, aber auch jedoch vielschichtigere Perspektiven auf Schrift- und Klebespuren im Familienalbum, ihre Person, nicht zuletzt als Archivarin Vida Bakondy die nahelegen, dass hier ursprünglich und Erinnerungsakteurin. ist Historikerin und arbeitet an einer Abbildungen von Kunstwerken dokumen- Fritzi Löwys Erinnerungsarbeit eröffnet Dissertation zum Nachlass von tiert wurden.8 Das Familienalbum wird zu somit neue Blickwinkel und Erzählungen Fritzi Löwy am Institut für einem Gedenkbuch, das sich einer Familie im Feld österreichischer Erinnerungspolitik. Zeitgeschichte der Universität Wien.

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SEPHARDISCHE TÜRKEN IN WIEN Okşan Svastics

Ob als Tabak-, Teppich- oder profitieren und gleichzeitig dem Druck der nicht gerecht werden. Marcos Rousso, seit Kaffeehändler – vor 300 Jahren einschränkenden antisemitischen Gesetze 1881 religiöser Führer der sephardischen waren türkische Juden, zumeist zu entkommen. Gemeinde, initiierte nach seiner Wieder- Kaufleute spezialisiert Das Leben der sephardischen Gemein- wahl 1885 den Bau einer neuen größeren auf Fernhandel, Teil des de in Wien verlief jedoch nicht immer Synagoge an der gleichen Stelle. kosmopolitischen Wiens. problemlos. Als Kaiserin Maria Theresia Der 16. November 1885 gilt für die se- die Gruppe türkischer Juden aus dem phardischen Juden in Wien als Wendepunkt. Land vertreiben wollte, entsandte Diego An diesem Tag wurde in der Zirkusgasse 22 d’Aguilar, Leiter der Gemeinde, den Rabbi im Zweiten Wiener Bezirk der Grundstein Meir Amigo heimlich nach Istanbul, um den der Synagoge gelegt, die fortan „Türkischer osmanischen Herrscher um Unterstützung Tempel“ genannt werden sollte. Nach zwei zu bitten. Der Portugiese Diego d’Aguilar Jahren Bauzeit wurde die Synagoge, an war über London und Amsterdam nach deren Tür osmanische und österreichische Wien gekommen und hatte das österrei- Fahnen hingen, für den Gottesdienst geöff- chische Tabakmonopol neu organisiert. net. Die Synagoge war von dem Architekten Seine Dienste für Österreich waren von Hugo von Wiedenfeld unter Einfluss der Karl IV. mit der Verleihung des Adeltitels Architektur der Alhambra in Granada im Baron belohnt worden. Obwohl d’Aguilar maurischen Stil entworfen. nie auf osmanischem Boden gelebt hatte, Die beiden großen Porträts von Kaiser galt er als Gründer der sephardischen Franz Joseph und Sultan Abdülhamid II. in Gemeinde Wiens. der Mittelhalle des Tempels wurden nach Rabbi Amigo gelang es über den der Gründung der türkischen Republik im Goldhändler in der Hohen Pforte, Yuda Jahre 1923 entfernt und mit großen Spiegeln Baruh, den Sultan über die Absichten ersetzt. In der Nacht des 9. und 10. No- Maria Theresias zu informieren. Dieser vembers 1938 teilte der Türkische Tempel ließ daraufhin über einen Gesandten die das Schicksal aller anderen Synagogen in Kaiserin wissen, dass er bereit sei, die Österreich und Deutschland. Er wurde im aus Österreich vertriebenen Juden im Zuge der Novemberpogrome zerstört. osmanischen Territorium willkommen zu Die wenigen übergebliebenen Objekte re- heißen. Infolge dieser Geste sprach Maria Jahrhunderte vor der Entstehung des ligiöser Rituale befinden sich im Jüdischen Theresia von einem Missverständnis und die Begriffs „Gastarbeiter“ existierte in Wien Museum in Wien, ein Toravorhang ist im sephardische Gemeinde konnte weiterhin eine türkische Gemeinde. Zu Beginn der Israel Museum in Jerusalem zu sehen. Die in Wien bleiben. 18. Jahrhunderts hatte sich eine Gruppe wichtigste Spur der osmanischen Juden osmanischer Juden spanischer und por- in Wien bilden die Grabsteine im sephar- Der Türkische Tempel tugiesischer Herkunft von ihrer Gemeinde dischen Teil des Wiener Zentralfriedhofs. losgelöst und sich in Wien niedergelassen, Ein Jahrhundert später, im Jahre 1854 stand um hier „ein neues Leben“ zu beginnen.1 ein anderer türkischer Jude, Abraham Fußnote: 1 Als Sephardim (hebräisch „Spanier“) werden Die Friedensverträge von Passarowitz 1718 Salamon Kamondo, der Delegation vor, die die Juden und ihre Nachfahren bezeichnet, (Ende des Venezianisch-Österreichischen in Vertretung der österreichisch-jüdischen die bis zu ihrer Vertreibung 1492 und 1531 in Türkenkriegs) und Belgrad 1739 (Ende Gemeinde in Istanbul zur Hochzeit Kaiser Spanien und Portugal lebten und sich nach des Russisch-Österreichischen Türken- Franz Josephs geladen war. Der Kaiser ihrer Flucht zum größten Teil im Osmanischen kriegs) ermöglichten osmanischen und ernannte Kamondo zum Ritter und zum Reich niederließen. österreichischen Kaufleuten im Territorium Ehrenbürger Wiens. Literatur: der jeweils anderen Handels- und Nie- Die sephardische Gemeinde hielt ihren Güleryüz, Naim: Viyana Türk Yahudi Cemaati ve derlassungsfreiheit. In Folge konnten die Gottesdienst bis zu den 1940er Jahren in Sinagogu. In: Tarih ve Toplum Dergisi, Februar türkischen Juden in Wien ein viel freieres gemieteten Räumlichkeiten. Ihr Bethaus in 2003. Leben führen, als die österreichischen der Oberen Donaustraße fiel im Jahre 1824 Sevilla-Sharon, Moshe(1981): Türkiye Yahudi- leri Tarihsel Bakış. Kudüs İbrani Üniversitesi: Juden, die für die Stadt eine jährlich zu einem Brand unbekannter Ursache zum Yerushalayim. erneuernde spezielle Einreisebewilligung Opfer. Daraufhin siedelte die Gemeinde benötigten. In dieser Zeit bemühten zuerst in die Mohrengasse, dann in die sich zahlreiche österreichische Juden Fuhrmanngasse (heutige Zirkusgasse). Okşan Svastics um die osmanische Staatsbürgerschaft, Die 1868 hier errichtete Synagoge konnte ist Journalistin und Autorin des um einerseits von den durch die Frie- den religiösen Bedürfnissen der stark Buches „Jüdisches Istanbul“, erschienen densverträge entstandenen Vorteilen zu ansteigenden Mitgliederzahl der Gemeinde 2010 im Mandelbaum Verlag.

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Der Bierstreit zu Gorenje Erwin Riess

Der Dozent traf Groll am Mittellauf der Savinja in einer Raststätte in einem kleinen Dorf namens Gorenje, das dem großen Hersteller von Haushaltswaren in der Nachbarstadt den Namen gegeben hatte. „Der Boom, der dieses Land erfasst hat, ist erstaunlich“, sagte der Dozent. „Die vielen neuen Häuser, der moderne PKW-Bestand und Einkaufszentren selbst in Kleinstädten sprechen für sich. Wenn man früher von Kärnten aus die slowenische Grenze überquerte, fuhr man in ein armes Land, jetzt ist es umgekehrt.“ Der Dozent griff nach der kleinen Speisekarte. Groll nahm sie ihm aus der Hand und bestellte beim Wirt eine Auswahl aus Kapi (Teigtaschen), Krajnska Klobasa (fette Räucherwurst), Potica (Zopfkuchen) und einen halben Liter Jeruzalemski-Weißwein. Der Ort sei von Deutschordensrittern, die von einem Kreuzzug heimkehrten, Anfang des 13. Jahrhunderts gegründet worden und gebe einem ebenso leichten wie vollmundigen Wein den Namen, erklärte Groll. „Da Sie, verehrter Dozent, den radelnden Rittern der Landstraße angehören, ist der Jeruzalemski für Sie gerade recht.“ industriellen Unternehmungen zwischen Streit. Mein Freund bevorzugt das hopfige Für sich bestellte Groll einen Krug Pula und Maribor, Ravne und Ljubljana Slasko Pivo, das seit 1851 in Bad Tüffer – so „Cviček“. Einer Frage des Dozenten unter besonderer Berücksichtigung der der Monarchiename des Brauerei- und Ter- zuvorkommend, fügte er hinzu, der Wein Lage der arbeitenden Klassen in Stadt und malbades – gebraut wird, der Ordensmann trage auf Deutsch den schönen Namen Land. Bei den stürmischen Umwälzungen schwört auf das im selben Ort produzierte „Edelzwicker“, weil er den edelsten Teil in den letzten Jahren ist es verständlich, Zlatorog Pivo, welches in seinem Namen des Mannes, die Gurgel, infolge seiner daß sein Werk noch nicht abgeschlossen an einen sagenumwobenen Steinbock mit derben Säure recht ordentlich zwicke. Der ist. Das macht Dušans Projekt ja auch einem goldenen Horn erinnert. Der Streit Dozent wollte ihm nicht glauben. Daraufhin einzigartig: Er strebt nichts weniger als die und die unterschiedlichen Biere feuern die erzählte Groll eine Geschichte. Ein alter vollständige Beschreibung aller industriel- beiden Männer zu Höchstleistungen an. Freund von ihm, Werksportier von Gorenje len Beziehungen Sloweniens in Geschichte Wird ein Großkapitel fertiggestellt, was in Pension und Historiker aus Passion, habe und Gegenwart an. Gegenwärtig hält er bei alle paar Jahre geschieht, werde ich zur sich in das Dorf zurückgezogen, um an Band 14, sieht sich aber immer wieder zu Lektüre eingeladen. Meine Anmerkungen seinem Lebensprojekt zu arbeiten. Der Änderungen in den bereits fertiggestellten und Kommentare werden dann beraten Freund sei alkoholkrank und habe die Sucht Bänden genötigt. und, sofern für gewichtig befunden, in die nicht im Griff, eher sei es umgekehrt, aber Nun fügt es sich, dass nicht weit von Texte eingearbeitet. Goethe hatte recht: er habe gelernt, mit der Behinderung zu Gorenje, im Kloster Nazarje, ein Franziska- ‚Zum Biere drängt, am Biere hängt doch leben. „Wenn er viel arbeitet, geht es ihm ner lebt, der an einem Konkurrenzprojekt alles’“, schloss Groll. besser. Er trinkt dann genauso viel wie sonst, arbeitet – einem Reiseführer, der die „Ich glaube, der Spruch lautet anders“, aber er leidet nicht darunter. Seit dem Tod materiellen Hervorbringungen des Landes meinte der Dozent. „Über Ihren Hang zu Marschall Titos, also seit dreißig Jahren, zwar erwähnt, seinen Schwerpunkt aber Verballhornungen sollten Sie einmal mit schreibt Dušan an einem ungewöhnlichen auf die Geistesgeschichte setzt, dies aber einem Psychotherapeuten sprechen.“ Reiseführer, der die touristischen und von einem areligiösen Standpunkt aus, Er lebe in Floridsdorf, dort konsultiere architektonischen Sehenswürdigkeiten dem einzig wissenschaftlichen, wie der man keine Psychotherapeuten, sondern Sloweniens nur am Rande streift, sich dafür Franziskaner nicht müde wird zu betonen. Heurige, sagte Groll und orderte noch aber auf die für das Gedeihen des Landes Alle sechs Wochen treffen die beiden Wis- einen Krug Edelzwicker. Der Dozent wirklich bedeutenden Fragen konzentriert. senschaftler einander in Slasko bei Celje antwortete nicht, er ließ den Blick in die Mit einem Wort: Er verfasst einen Führer der zu gemeinsamer Arbeit und abendlichem Ferne schweifen.

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Und was sagt die StraSSe? Radio Stimme fragte die Betroffenen, wie es ihnen mit ihren Namen geht Alexandra Siebenhofer und Petra Permesser

Wer ist schon zufrieden mit gereist, um mit den Betroffenen zu spre- Die Vermutung ist daher naheliegend, dem Namen, den sich die chen. So leidet z. B. der Agnes-Miegel-Ring dass nach Antisemit_innen benannte Eltern – im Glücksrausch in Wolfsburg sehr unter seinem Namen: Straßen aus der Zeit des Nationalsozi- offenbar manchmal nicht ganz „Agnes Miegel hat in ihren Gedichten Hitler alismus stammen. Tatsächlich wurden zurechnungsfähig – für einen gehuldigt und zu Blut-und-Boden-Themen aber Straßen, deren Benennung zwischen ausgesucht haben? Auch Straßen geschrieben. Nach dem Krieg hat sie dazu 1938 und 1945 erfolgte, nach 1945 meist haben so ihre Identitätskonflikte, nie Stellung bezogen, weil sie nur Gott wieder umbenannt. Im Austrofaschismus wenn Stadtmütter und -väter gegenüber Rechenschaft ablegen wollte. benannte Straßen behielten hingegen problematische Namen für sie Ich bin zwar nur eine Straße, aber für mich häufig ihre Namen. Prominentestes Beispiel wählen. klingt das eindeutig.“ dafür ist der Dr.-Karl-Lueger-Ring, der 1934 Nicht alle Straßen sehen das so. Im von „Ring des 12. Novembers“ in „Dr.-Karl- Zuge der Recherche haben wir auch Lueger-Ring“ umbenannt wurde. Aber solche getroffen, die sich gegen ihre auch bereits vor 1933 spiegelt sich unter Umbenennung aussprechen. So hält der anderem die antisemitische Grundhaltung Dr.-Karl-Lueger-Ring fest: „Weil, wenn’s der Bevölkerung in der Straßenbenennung dem Herrn Dr. Lueger den Ring wegnehmen, wider. Häufig zitiertes Beispiel dafür ist die was bleibt dann noch zu seinem Andenken? nach einem Antisemiten benannte Arnez- Die Dr.-Karl-Lueger-Kirche, der Dr.-Karl- hoferstraße. Ihren Namen erhielt sie 1906 Lueger-Platz, die Dr.-Karl-Lueger-Brücke, von Bürgermeister Lueger, selbst Antisemit. das Dr.-Karl-Lueger-Denkmal, die Dr.- Im Unterschied dazu haben problematische Karl-Lueger-Säule und die Dr.-Karl-Lueger- Benennungen in der Zweiten Republik Statue. Das soll reichen?“ vor allem zwei Ursachen. Einerseits ver- Einem Platz im niederösterreichischen hinderte der Mythos von Österreich als Mank ist sein Name sogar so unangenehm, erstem Opfer des Nationalsozialismus dass er nur anonym bereit war, mit dem einen geschichtsbewussten Zugang. Die Radio Stimme-Team zu sprechen – trotz nach dem NS-Euthanasiearzt benannte der Tatsache, dass selbst der ÖVP- Dr.-Franz-Palla-Gasse in Klagenfurt ist Parlamentsklub mit einem im Parlament ein typisches Beispiel dafür. Aber auch angebrachten Porträt an den namensge- als mit der Waldheim-Affäre die kritische benden Austrofaschisten erinnert. Auseinandersetzung mit Österreichs Rolle im Nationalsozialismus begann, kam es in Wie kommen Straßen zu Namen? manchen Fällen dennoch zu unreflektierten Benennungen, wie beispielsweise die Ich- Seit 1850 gibt es Straßennamen und Stra- manngasse und die Margret-Dietrich-Gasse ßennummern in Wien in ihrer heutigen Form. in Wien belegen. Beide Namen sind Re- Wir alle kennen sie: Konflikte um die Umbe- Ihre Namen erhielten Straßen ursprünglich sultat einer sehr oberflächigen Recherche nennung von Straßen mit problematischen nach ihrer Lage, Funktion oder Umgebung. rund um die Namensgeber_innen und in Namen, etwa die Auseinandersetzung um Erst im Laufe der Zeit setzte es sich durch, dieser Form am Wiener Stadtplan heute Karl Lueger als Namensgeber der Wiener Straßen auch nach Persönlichkeiten zu nicht mehr zu finden. Die Ichmanngasse Ringstraße. All diesen Diskussionen ist benennen. Heute ist dafür ein Beschluss heißt heute Simon-Wiesenthal-Gasse, die gemein: die Betroffenen selbst kommen des Gemeinderats notwendig. Einzige Margret-Dietrich-Gasse wurde in Helene- nicht zu Wort. Was aber würden diese Voraussetzung: Die Person, nach der die Richter-Gasse umbenannt. Straßen sagen, wenn sie über ihre Na- Straße benannt werden soll, muss bereits Die Strategien im Umgang mit den mensgeber_innen sprechen könnten? mindestens ein Jahr tot sein. Wer dann schwierigen Namen sind vielfältig und Was, wenn auch Straßen dazu Stellung letztendlich Namensgeber_in einer Straße reichen von kreativ bis verbohrt. Eine beziehen könnten, wem sie bis in alle wird, wird wesentlich vom öffentlichen Straßenumbenennung ist in der Praxis Ewigkeit huldigen müssen? Diskurs zum Zeitpunkt des Gemeinderats- eher der zuletzt eingeschlagene Weg. Im Radio Stimme hat keine Kosten und beschlusses bestimmt. Straßennamen sind Fall der Simon-Wiesenthal-Gasse und Mühen gescheut und nicht nur Straßen daher mehr als Erinnerungen an Personen. der Helene-Richter-Gasse war eine Um- in Wien getroffen, sondern ist auch nach Sie erinnern auch an Diskurse und an benennung vor allem deswegen möglich, Langenwang, Klagenfurt und Wolfsburg Machtverhältnisse. weil an betreffenden Orten zu diesem

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Zeitpunkt noch keine Anrainer_innen hat sich die Stadt Wien im Fall der namensgebende Person der Öffentlichkeit lebten. Normalerweise ist eine Umbe- Arnezhoferstraße nach Angaben der Ver- weitgehend verborgen. Die Diskussionen nennung keineswegs einfach, wie vor ca. antwortlichen auch deshalb entschieden, zu Straßenbenennungen werden wohl acht Jahren die Diskussion rund um die um durch die Umbenennung nicht erst auch in Zukunft nicht abreißen, und das Kernstockgasse in Kapfenberg gezeigt hat. recht die Geschichte zu verleugnen oder nicht nur im Fall der Arnezhoferstraße. So In der Radio-Stimme-Straßenbefragung zu beschönigen. Ganz von der Hand wei- beabsichtigt beispielsweise die rot-grüne meint die Kernstockgasse dazu: „Das ist sen lässt sich diese Argumentation nicht. Stadtregierung, sämtliche Straßennamen aufgrund der Bewohner_innen gescheitert. Allerdings kann eine Kontextualisierung Wiens vom Institut für Zeitgeschichte Es war ihnen zu anstrengend, eine andere des Straßennamens immer nur vor Ort überprüfen zu lassen. erfolgen. Bei Adressangaben, auf Briefen Adresse zu bekommen. Ein damals dort Wie werden Straßen durch ihre Namens- und in Stadtplänen fehlt die Erklärung ansässiger Architekt hat sich hier beson- gebung zur Verkörperung eines Diskurses? zwangsläufig. Die Arnezhoferstraße im ders hervorgetan. Deswegen hat sich die Wie werden Diskurse und Erinnerung in den Interview mit Radio Stimme dazu: „Wer SPÖ nicht d‘rüber getraut, den Vorschlag Raum zementiert? Diese Fragen will Radio will denn schon auf seiner Visitenkarte in den Gemeinderat zu bringen.“ Stimme mit dem akustischen Experiment stehen haben ‚Arnezhoferstraße 6 – die „Straßenbefragung“ aufwerfen. Kreative Lösungen ist übrigens nach einem Antisemiten benannt.‘“ Außerdem schließen sich Eines ist klar: Der Druck der Straßen Ein neuer Name ist für die politisch Kontextualisierung und Umbenennung wächst. Ein Beispiel dafür sind die über Verantwortlichen oft mit einem zu hohen durchaus nicht aus. „Was spricht dagegen, 50 Kernstockgassen, -straßen und -plätze, organisatorischen Aufwand verbunden. mit einer Infotafel auf die erfolgte Umbe- die sich bereits in einer Selbsthilfegruppe Weniger aufwändig erscheint oft eine nennung hinzuweisen?“, so die Straße aus zusammengeschlossen haben: „In der Kontextualisierung des problematischen dem 2. Wiener Gemeindebezirk. Selbsthilfegruppe bereiten wir grad ein Straßennamens, beispielsweise mit einer Die bisher kreativste Lösung wurde beim Vernetzungstreffen vor. Mit Aktionen im Zusatztafel. Im Falle der Arnezhoferstraße Schlesingerplatz im 8. Wiener Gemein- Web 2.0 wollen wir dann den Druck der wurde diese Lösung gewählt. Allerdings debezirk umgesetzt. Ursprünglich nach Straßen so erhöhen, dass wir neue Namen ist die Biografie des antisemitischen dem antisemitischen Wissenschafter und bekommen.“ Kommissärs Arnezhofer von öffentlicher Politiker Josef Schlesinger benannt, heißt Seite – obwohl angekündigt – bis dato er seit 2006 zwar nicht anders, aber nun- Die Radio Stimme Straßenbefragung ist eine noch nicht thematisiert. Dies erfüllt mehr nach der Publizistin, Politikerin und Serie von 5-10 minütigen Beiträgen, nachzuhö- zwischenzeitlich eine Kunstinstallation Frauenrechtlerin Therese Schlesinger. ren unter http://tiny.cc/rast_strassenbefragung in der Straße, mit der die von Arnezhofer Weil es häufig an kreativen Einfällen oder angeleitete Vertreibung der jüdischen am Willen zur Kontextualisierung mangelt, Alexandra Siebenhofer Bevölkerung aus dem Wiener Ghetto im 17. werden Straßennamen aber in vielen Fällen und Petra Permesser Jahrhundert thematisiert wird. Für eine weder geändert noch kontextualisiert. sind Redakteurinnen bei Kontextualisierung des Namensgebers Damit bleibt die Problematik rund um die Radio Stimme.

21 Geschehen

Du und ich, das sind Wir Auftakt zur Projektreihe Pimp my Integration

Gruppenbild mit KuratorInnen von „Pimp my Integration“ und DiskutantInnen © daskunst

Abbildung postmigrantischer Zur Auftaktveranstaltung der Projektreihe normativen Strukturen wie Nation, Ehe oder Identitäten in der österreichischen postmigrantischer Positionen Pimp My Familie. Ähnlich Olivera Stajić, Redaktions- Kultur und Gesellschaft: So Integration waren neben Ednan Aslan die leiterin bei dastandard.at, online-Ausgabe komplex der Untertitel zur Kultur- und Sozialanthropologin Sabine der Tageszeitung Der Standard. Stajić hegt Podiumsdiskussion zum Strasser, der Migrationsforscher Erol Yıldız, eine große Abwehr gegen ein fixes „Wir“. österreichischen Nationalfeiertag, die Journalistin Olivera Stajić sowie der Das bringe nur Schwierigkeiten mit sich, „Wer ist wir?“, klang, umso Generaldirektor der RLB NÖ-Wien, Georg sei es doch eng mit Konzepten wie Nation, erfrischender waren die Kraft-Kinz, geladen, um unter der Leitung Herkunft und Religion verknüpft. Ednan Antworten der Gäste auf die von Hikmet Kayahan über die Konstrukte Aslan weist auf die Vielfältigkeit der „Wirs“ erste Frage nach dem jeweiligen „Wir“ und „Ihr“ zu diskutieren. in verschiedenen Lebenssituationen hin. individuellen „Wir“. So erzählte Gemeinsam war den Antworten auf die Zu manchen davon werde er verpflichtet, der Religionspädagoge Ednan einleitende Frage „Wie definieren Sie Ihr etwa „Türke“ oder „Moslem“, andere wähle Aslan, er habe vor der Diskussion persönliches Wir?“ der Verweis auf den er selber. seine Frau gefragt, wer „wir“ sei. prozesshaften Charakter der „Wir“-Bildung, Ihre prompte Antwort: „Du und Stichwort: under construction. Wer oder was ist postmigrantisch? ich, das sind wir.“ Der Kölner Bildungswissenschafter Erol Yıldız, der seit 2008 an der Klagenfurter Postmigrantisches Theater, postmigran- Alpen-Adria-Universität lehrt, setzt sein tische Kulturarbeit oder wie sich die persönliches „Wir“ einer vertrauten Struktur Projektreihe von Garage X und daskunst gleich, die ihm woanders fehlt. Die Frage nennt: Postmigrantische Positionen. Der nach dem „Wir“ sei aber eine ausschließlich Begriff hat seit einigen Jahren vor allem westeuropäische Frage, ja eine Luxusdebat- in Deutschland Hochkonjunktur. Aber te. Das „Wir“ der Universitätsprofessorin was bedeutet postmigrantisch? Erol Yıldız, Sabine Strasser hingegen besteht in einer der diesen Begriff im wissenschaftlichen „parafamiliären Amikalgemeinschaft“, Kontext geprägt hat, versteht darunter vereint durch die vielen Neins gegenüber zunächst eine veränderte Perspektive auf

22 Geschehen

die hegemoniale Geschichtsschreibung. Das nicht gutheißen. Und umgekehrt werden sie schließlich NachwuchsjournalistInnen Potential postmigrantischer Positionen liege von der Mehrheitsgesellschaft ausgegrenzt, mit Migrationsbiografien tätig sind, sei etwa im Neuerzählen von der Geschichte weil die muslimischen Jungs nach dem daher ein bewusster Akt gewesen: „Wenn der „Gastarbeit“, das mit Mythen aufräumt gemeinsamen Fußballspiel nicht mit auf beim Der Standard nur ein paar Leute und bisher unbekannte Aspekte beleuchtet. ein Bier gehen. „Anti-essentialistische mit komischen Namen wie ich schreiben Postmigrantisch beziehe sich aber auch auf Konzepte helfen mir nicht, wenn in der würden, wäre das nicht weiter aufgefallen.“ die Bezeichnung der sogenannten Zweiten Praxis Grenzziehungen gezogen werden.“ Dastandard.at hingegen verfüge über die und Dritten Generation, die – obwohl oft Hierzu sei vielmehr die Veränderung mediale Aufmerksamkeit, die fünf freie selbst ohne Migrationserfahrung – im öf- fentlichen Diskurs zu „Migranten“ gemacht werden. Indem diese Gruppe die äußeren Zuschreibungen ablehnt, oder aber über- nimmt und politisch besetzt, entwickelt sie sich zu einem postmigrantischem „Wir“ – zutiefst politisch, weil herrschaftskritisch und somit eine politische Antwort auf hegemoniale Diskurse.

Grenzziehungen hier und da Die Diskussion um „Wir“-Konstruktionen und nationale Mythen ist nicht nur in Ös- terreich eng verknüpft mit Grenzziehungen gegenüber dem Islam bzw. muslimischen Gesellschaftsgruppen, im Volksmund „die Parallelgesellschaft“. Die immer wieder konstatierte Isolation sei jedoch nicht über Nacht entstanden, so Ednan Aslan, sondern sei eine Notlösung aufgrund der 50-jährigen Ignoranz von Seiten der Mehr- heitsgesellschaft gewesen. „Aber aus dieser Isolation ist ein Geschäft geworden, die nun von einer kleinen Minderheit verteidigt wird. Da steckt nicht nur Ideologie sondern © daskunst auch Wirtschaft dahinter.“ Als Beispiel dazu nennt Aslan u. a. die „Halal“-Geschäfte, die einer Politik unabdingbar, die ständig MitarbeiterInnen in der Printausgabe nie nach islamischen Vorschriften hergestellte diese Grenzziehungen fördere. Ebenso erreicht hätten. Für Stajić ist dastandard.at Produkte anbieten. wichtig sei permanentes Vermitteln als modellhaft auch für ein postmigrantisches Keine Religion sei fertig, so gäbe es auch alltägliche Praxis, wie sie von NGOs und Theater: „Sich zusammenschließen und weder den Islam, noch die muslimische der Sozialarbeit geleistet wird. geballt auftreten um aufzufallen. Nur wenn Einheit. Auch in Wien nicht. So würden Förderung des Dialoges ist für Georg Migrantinnen besser sind als alle anderen, lediglich 15 Prozent der österreichischen Kraft-Kinz ebenso unerlässlich, ja sogar die werden sie es schaffen.“ Muslime die Religion praktizieren. „Eine Lösung. Österreich sei im 20. Jahrhundert Gerade an dieser Frage entwickelte sich Religion wird aus dem Kontext heraus von einer Geschichte des „Wir“-Scheiterns im anschließenden Publikumsgespräch die geprägt, daher ist auch ein europäischer geprägt gewesen, aus dem resultiere auch kontroversiell geführte Debatte um eine Islam möglich.“ Es sei gefährlich für Mus- ein verklärender Blick auf die Vergangen- der Hauptfragen von Pimp My Integration: lime in Europa, wenn sie diese Prägung heit. Hinzu komme eine weit verbreitete Braucht man den Umweg der speziellen nicht selbst gestalten, sondern zu ihr materielle Angst „einer verängstigten Schublade für MigrantInnen, bevor sie die verpflichtet werden würden. Zudem betont Gesellschaft in einem Land, das sicher hegemonialen Räume betreten – ob in den Aslan selbstreflexiv, dass er selbst seine ist“. Dass hinter der Forderung nach Medien oder in einem postmigrantischen Religion täglich neu definieren müsse. Etwa mehr Dialog ein wirtschaftlicher Nutzen Theater? Oder kann nicht der Schritt der wenn sich junge gläubige Homosexuelle steckt, unterstreicht der Obmann des essentialistischen Verortung übersprungen mit Fragen an ihn wenden. Homosexualität 2009 gegründeten Vereins Wirtschaft für und die sofortige Öffnung aller Institutionen und Religion, ein Thema, das auch Aslan Integration: „Der größte wachsende Markt vor dem Hintergrund der veränderten Be- „neu betrachten muss“. ist der migrantische. Für die Wirtschaft ist völkerungszusammensetzung eingefordert Sabine Strasser weiß vom hartnäckigen es eine Überlebensfrage.“ werden? In den folgenden Diskussions- Bestand von Grenzziehungen vor allem im Die österreichische Medienlandschaft veranstaltungen der Projektreihe ist mit ländlichen Raum zu erzählen. Hier grenzen ist eine konservative Parallelgesellschaft, spannenden Antworten zu rechnen. sich MigrantInnen von der Mehrheitsgesell- so Olivera Stajić, und noch lange nicht schaft ab, weil sie etwa den teilweise ex- postmigrantisch. Die Schaffung von zessiven Alkoholkonsum der Jugendlichen dastandard.at, in deren Redaktion aus- Vida Bakondy und Gamze Ongan

23 Geschehen

er Wien vor der Zerstörung retten.“ Wien als erster Wiener Protestwanderweg Ganzes ist also ein Ort, der ohne mutigen Widerstand so nicht existieren würde.

Ein Projekt von Zentrum polis mobile tags angebracht werden. Das Planquadrat (1972-74): Der Planqua- – Politik Lernen in der Schule sind zweidimensionale Strichcodes, die dratgarten in der Margaretenstraße im und Martin Auer, das es schon mit einem Smartphone eingelesen werden vierten Bezirk entstand im Kampf gegen im Planungsstadium zu einer können und so eine Verbindung zum In- eine Welle von Abbruchspekulationen. Er parlamentarischen Anfrage ternet herstellen. Auf diese Weise können steht für Stadtplanung unter Beteiligung gebracht hat. für den Ort relevante Informationen direkt der Bevölkerung. an Ort und Stelle abgerufen werden. Die Codes werden zusammen mit einer kurzen Arena-Besetzung (1976): Aus dem Protest Erklärung auf Tafeln erscheinen, die an gegen den Abbruch des Industriedenkmals Gebäuden oder auf Stehern angebracht Inlandsschlachthof entstand eine kulturelle werden. Die Tafeln sollen permanent und politische Massenbewegung, die drei sein und so die Bedeutung von Protest, Monate lang das Schlachthofgelände Selbstorganisation und Widerstand im besetzt hielt und in Selbstverwaltung öffentlichen Raum sichtbar machen. mit Kulturveranstaltungen und sozialen Das Projekt setzt aber nicht auf reine Einrichtungen belebte. Wissensvermittlung, sondern auf aktivie- Der Erste Wiener Protestwanderweg lässt rende und partizipative Methoden und pro:woman – Ambulatorium für Sexu- niemanden kalt – das Unterrichtsministe- verknüpft diese mit neuen Informations- almedizin und Schwangerenhilfe: Das rium und die Plattform respekt.net finden und Kommunikationstechnologien. Es Ambulatorium am Fleischmarkt existiert als es gut, dass Jugendliche sich auf die fördert auf diese Art und Weise gleichsam Ergebnis des Kampfs gegen den § 144 (Stich- Suche nach den Spuren von Widerstand, nebenbei auch die Methodenkompetenz worte: Gründung der Aktion unabhängiger Protest, Zivilcourage und Solidarität im der Jugendlichen sowie den Umgang mit Frauen, Volksbegehren der Aktion Leben Wiener Stadtbild machen. Und die FPÖ den neuen Medien. gegen die Strafrechtsreform, Fristenlösung macht sich schon, bevor die Realisierung 1975, Eröffnung des Ambulatoriums 1976). sichergestellt ist, Sorgen darüber, dass Die geplanten Stationen die größte Demonstration der Zweiten Ballhausplatz: Der Ballhausplatz wird als Republik Gegenstand der Politischen Das Parlament (Reichsratsgebäude): Das Ort des Protests gegen das Atomkraftwerk Bildung wird und beschäftigt Parlament 1883 eröffnete Parlamentsgebäude existiert Zwentendorf vorgestellt (Stichworte: Der und Unterrichtsministerin. Dabei sind erst als Ergebnis einer Entwicklung, die mit der Kampf gegen die Inbetriebnahme des wenige Prozent des erforderlichen Budgets Märzrevolution 1848 begann. Bei dieser Sta- Atomkraftwerks, Volksabstimmung 1978). von € 29.000 aufgestellt. tion soll der Kampf um die parlamentarische Was hat es nun auf sich mit diesem Demokratie und das allgemeine gleiche Rosa-Lila Villa: Die Rosa-Lila-Villa besteht innovativen Stadterkundungsprojekt, das Wahlrecht thematisiert werden. seit 1982 als Ausdruck des Kampfs gegen manche Gemüter so erhitzt? die Verfolgung von Schwulen und Lesben Das Kooperationsprojekt von Autor Erstes Mädchengymnasium Hegelgasse (Stichwort: Homosexuellen-Gesetzgebung Martin Auer und Zentrum polis – Politik 12: 1892 wurde das erste Österreichische vom Holocaust bis zur Homo-Ehe). Lernen in der Schule will Jugendliche und Mädchengymnasium eröffnet, ein früher politisch Interessierte zu Orten im öffent- Erfolg der Frauenbewegung und für die Besetzung der Hainburger Au 1984: Eine lichen Raum führen, an denen sich die Frauenrechtlerin Marianne Hainisch. Tafel beim Kraftwerk Freudenau soll auf die Themen Widerstand, Protest, Zivilcourage Aubesetzung hinweisen und die Chronologie und Solidarität manifestieren. Karl-Marx-Hof: Der Karl-Marx-Hof stellt von der Pressekonferenz der Tiere im Mai Damit macht der Wiener Protestwan- eine Errungenschaft der Arbeiterbewegung 1984 bis zur Gründung des Nationalparks derweg sicht- und erfahrbar, was in der dar und ist ein Symbol des Widerstands 1996 nachzeichnen. Vergangenheit an Rechten für uns alle gegen ihre Niederwerfung (Februarkämpfe erstritten wurde, wie Menschen sich 1934). Lichtermeer 1993: Am Heldenplatz soll organisiert und gesellschaftliche Ver- über das Lichtermeer informiert werden – änderungen durchgesetzt haben – und O5 am Stephansdom: Nahe dem unter initiiert von SOS Mitmensch gegen das wie diese Kämpfe und Errungenschaften Denkmalschutz gestellten Symbol O5 am „Ausländervolksbegehren“ der FPÖ und die das Wiener Stadtbild bis heute prägen. Wiener Stephansdom soll über den Wider- größte Demonstration in Österreich. Die soziokulturelle Relevanz von Orten stand gegen die NS-Herrschaft in Österreich des Protests im öffentlichen Raum wird informiert werden. „Als Ende des Jahres Radio Orange seit 1998: Hier soll auf die thematisiert und eröffnet einen völlig neuen 1944 der Befehl kam, Wien notfalls durch Entwicklung der freien Radios und den Fall Blick auf Wien. die eigenen Truppen zerstören zu lassen, des ORF-Monopols eingegangen werden – An Orten, die mit solchen Protesten in nahm Major Carl Szokoll Kontakt mit dem von den Arbeiterradios der Ersten Republik Verbindung stehen, vorzugweise an Orten, zivilen Widerstand auf und erarbeitete einen über die PiratInnen-Radio-Bewegung bis zur die es ohne Protestbewegung so heute Plan zur Befreiung Wiens durch die Rote Sendelizenz für das erste nichtkommerzielle nicht geben würde, sollen sogenannte Armee. Durch engagiertes Handeln konnte Radio Österreichs 1995.

24 Die einzelnen Stationen sollen die Teilneh- Wanderbuch drückt. Auch die Lösungen der Zivilcourage lernen und Partizipation merInnen jeweils 15 Minuten bis maximal gestellten Aufgaben können sie hochladen fördern, sind große Herausforderungen eine Stunde beschäftigen. Gesprochene und ihrem Account zuordnen. Sie können für die Politische Bildung. Denn mündige Beiträge erlauben es, sich während des ihre Beiträge auch freischalten, sodass sie BürgerInnen, die sich einmischen und mit- Zuhörens umzusehen. Schrift, Bild und öffentlich eingesehen werden können. mischen in Gesellschaft und Politik, fallen Video sollen nur ergänzend eingesetzt wer- Der Wiener Protestwanderweg kann nicht einfach vom Himmel. Sowohl der den. Wichtig ist, dass bei der Darstellung alleine oder in der Gruppe „erwandert“ schulischen, als auch der außerschulischen der verschiedenen Protestbewegungen werden. Er ist für die schulische wie außer- Bildung kommen große Verantwortung zu. auch die Argumente der GegnerInnen schulische Bildungsarbeit geeignet und er Der Erste Wiener Protestwanderweg sieht entsprechend berücksichtigt werden. Die wird durch entsprechende Materialien für sich dieser Aufgabe verpflichtet – mit einem TeilnehmerInnen sollen zu eigenständigen die Vor- und Nachbereitung im Unterricht Streifzug durch wichtige gesellschaftliche Überlegungen und zur Diskussion angeregt oder in der Jugendgruppe ergänzt. Das Veränderungsprozesse, die von engagierten werden. Projekt schafft eine Verbindung zwischen Menschen vorangetrieben wurden. Bei den einzelnen Stationen können historischer und politischer Bildung und Aber bis es soweit ist und wir alle ge- auch Aufgaben gestellt werden. Einfache ist nicht nur für Fächer wie Geschichte und meinsam protestwandern gehen können, Quizfragen, aber auch Aufträge, wie z. B. Politische Bildung geeignet, sondern auch ist es noch ein weiter Weg. Die Inhalte der PassantInnen zu interviewen; in der Gruppe für Lehrausgänge in allen Fächern, welche Stationen müssen erarbeitet, Verhand- über bestimmte Fragen abzustimmen, (z. B. die Urteils- und Analysefähigkeit und die lungen mit Stadt und HausbesitzerInnen ob öffentliche Stellen Kulturinitiativen politische Mündigkeit der SchülerInnen über das Anbringen der Tafeln geführt finanzieren sollen, ohne sich in die Inhalte fördern wollen. und nicht zuletzt die Finanzen des Projekts einzumischen oder ob ausreichende Auch für „Wienwochen“ stellt das Energieversorgung und Naturerhalt in Projekt eine Bereicherung dar, weil es abgesichert werden. Einklang gebracht werden können) und die einen neuen Blick auf die Stadt Wien Wer dazu einen Beitrag leisten möchte, Abstimmungsergebnisse auf der Webseite als historisch-politischen Raum eröffnet kann das über die Plattform respekt.net einzutragen. und Jugendliche sich die Stadt abseits machen, deren Ziel es ist, in die Zivilge- Das „Dach“ des Protestwanderwegs ist touristischer Klischees ergehen können. sellschaft zu investieren. Der Protestwan- die Website www.protestwanderweg.at. Das Projekt hat das Potenzial, das Gefühl derweg ist derzeit auf der Startseite von Hier können sich einzelne TeilnehmerInnen „Ich als einzelner kann ohnehin nichts www.respekt.net zu finden. und Gruppen für einen Account registrieren erreichen“ zu relativieren bzw. diesen und an den einzelnen Stationen jeweils Ohnmachtsgefühlen konkrete Situationen www.respekt.net/projekte-unterstuetzen/ details/projekt/248/ mit Usernamen und Passwort einloggen. entgegenzustellen, in denen genau dieses www.protestwanderweg.at So können sie den Besuch der einzelnen Gefühl von einer Gruppe von Menschen Stationen belegen – so wie man auf überwunden wurde – indem sie sich organi- traditionellen Wanderwegen Stempel ins siert und für ihre Ziele eingesetzt haben. Patricia Hladschik

25 Die Grüne Bildungswerkstatt Minderheiten, die Grünen – 10. Bundesland und ESRA laden ein: Willkommen in Österreich?

Lesung und Diskussion mit

Susanne Scholl und Alev Korun am 12. Jänner 2012 um 19:30, Psychosoziales Zentrum ESRA 1020 Wien, Tempelgasse Der Eintritt ist frei. Wir bitten um Anmeldung unter der Tel Nr 01/214 90 14 oder per E-Mail an [email protected]. Bitte beachten Sie aufgrund der Sicherheitsbestimmungen einen amtlichen Lichtbildausweis mitzunehmen.

Zum Buch: Sie fl iehen vor Mord und Totschlag, Folter und Sklaverei, Blutrache und Zwangs - ehe – und vor dem ganz alltäglichen Elend. In Österreich aber werden sie mit Misstrauen empfangen, mit der allgegenwärtigen Unterstellung, sich etwas aneignen zu wollen, was ihnen gar nicht zusteht, zu lügen und zu betrügen und „uns“ etwas wegnehmen zu wollen. Susanne Scholl ihrerseits hat einen guten Teil ihres Lebens außerhalb Österreichs ver- bracht. Vor einem Jahr kam sie zurück in ein Land, das sich als unverständlich kalt gegen- über Menschen in Not präsentierte. Davon handelt dieses Buch – und von den Lebens- geschichten der Menschen, die in Österreich Zufl ucht suchen und so oft dafür bestraft werden. Bezahlte Bezahlte Anzeige Bezahlte Bezahlte Anzeige Geschehen

THARA geht weiter! Arbeit für und mit Roma und Romnja in Wien

Seit über sechs Jahren führt die Volkshilfe Journalistin – kein Gegensatz ist“, sagt Österreich mit unterschiedlichen THARA- Projektkoordinatorin Usnija Buligovic. Projekten arbeitsmarktpolitischen Maßnah- Eine wichtige Aufgabe sieht THARA men speziell für Romnja und Roma durch. auch darin, zwischen den verschiedenen Schwerpunkte des neuen THARA- Romani-Gesellschaften und den arbeits- Projektes, das im August 2011 unter dem marktpolitischen Einrichtungen und Bera- Namen „THARA ROMANI BUTJI – Roma tungsstellen in Wien eine Brückenfunktion Arbeit neu“ gestartet ist, sind neben indi- einzunehmen. vidueller Berufs- und Bildungsberatung in Auch wenn THARA erfolgreiche Arbeit Kooperation mit dem Romano Centro, die leistet, bleibt noch viel zu tun. Nicht zuletzt Sensibilisierung bestehender Einrichtungen braucht Österreich – so wie andere euro- im arbeitsmarkpolitischen Bereich für die päische Länder auch – einen nationalen Gruppe der Romnja und Roma, Workshops Aktionsplan zur Integration von Roma und Thara-Team: Marilena Botsi, Verena Fabris, Usnija Buligovic © Klara Krgovic für Gründerinnen sowie Öffentlichkeitsar- Romnja. beit. „Roma und Arbeit – das sind Begriffe, die in der öffentlichen Wahrnehmung selten Kostenlose Berufs- und Bildungsberatung: miteinander in Verbindung gebracht werden. Kontakt: Dienstag und Mittwoch, 9:00–12:00 [email protected] Wir wollen gängige Klischees durchbrechen sowie nach telefonischer Vereinbarung unter +43 676/83 402 220 +43 676 83402 230 und zeigen, dass Romnji/Rom sein und [email protected] Ort: Romano Centro, arbeiten – als Ärztin, als Friseur oder als +43 676/83 402 232 Hofmannsthalgasse 2, 1030 Wien

Fotoschule Wien ein, den Wandel des HERR KARL A. KNIPST ZURÜCK Weltbilds von Menschen mit intellektueller Ausstellung „Menschenbild“ Beeinträchtigung zu dokumentieren. Am Anfang stand eine Ikone der hei- mischen Nachkriegsfotografie – das Bild, das der österreichische Starfotograf Harry Weber (1921–2007) 1962 bei einem Besuch im Psychiatrischen Krankenhaus Am Steinhof gemacht hatte: Da krümmt sich ein Patient im Gitterbett unter einem Kruzifix, das mehr zu drohen als Trost zu spenden scheint. Wenn auch noch nicht alles gut ist in die- sem Bereich, viel besser ist es geworden! Das zeigen die Bilder von Angela Breda, Angelika Löffler, Dagmar Pratsch, Markus Hippmann, Martina Schildendorfer, Michaela Leuthner, Nikki Harris und Sonja Bachmayer, die seit April 2011 den Alltag von Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung in ihrem ak- tuellen Lebensumfeld, den Werkstätten und Wohnhäusern der Lebenshilfe Wien mit der Kamera dokumentierten. Kurze Statements zu den Porträts erläutern die individuelle Situation der jeweiligen KlientInnen – oft © Markus Hippmann genügt allein das Bildmotiv: Lust an Spiel, Vor Jahrzehnten war das Schlössl Kino in 16-18 Uhr, eine bemerkenswerte Ausstellung Arbeit, Freude, Neugier leuchten aus den der Margaretenstraße 127 ein typisches zu besuchen: „Menschenbild“ – gemeinsam Gesichtern. Zur Ausstellung „Menschenbild“ Wiener Bezirkskino in Margareten, in dem veranstaltet von der Fotoschule Wien und ist vom Fotoquartier Wien auch ein Katalog man versäumte Filme nachholen konnte. der Lebenshilfe Wien. Letztere wurde 1961 herausgegeben worden. Nach seiner Schließung stand es oft längere von einer überparteilichen Elterninitiative Zeit leer, nun ist bis 15.12. 2011 (außer am gegründet und lud anlässlich ihres ersten www.fotoschule.at, www.lebenshilfe-wien.at 8.12. ) ebendort von Montag bis Donnerstag, halben Jahrhunderts StudentInnen der ede

27 TIPPS

Eine Sprachbiografie als politisches Statement

Lucijan Busch (Hg.): Neville Alexander im Gespräch. Mit der Macht der Sprachen gegen die Sprache der Macht. Drava: Klagenfurt/Celovec 2011. 198 Seiten; €19,80 ISBN: 978-3-85435-655-4

sie Neville Alexander ständig einbettet, lichen Erfahrungen und damit auch das welche die Perspektive des persönlichen sozio-politische Umfeld. Erzählens sind. So ist Alexanders Sprach- Was Neville Alexander unterstreicht ist, biografie auch ein politisches Statement: dass sich durch das Lernen von Sprachen Mit Mehrsprachigkeit gegen Rassismus. auch neue Wissenshorizonte eröffnen und Für eine emanzipatorische Politik durch zugleich auch ermöglicht wird, sich durch Mehrsprachigkeit. das Sprechen einer Sprache von z. B. einer In der chronologisch zusammenge- anderen Klasse zu unterscheiden. stellten Sprachbiografie erzählt Neville Die Instrumentalisierung von Sprachen Alexander über seine sprach- und bildungs- für eine Apartheidpolitik nimmt bei politische Entwicklung ausgehend von der Alexander einen zentralen Stellenwert ein. Kindheit, Schul- und Studienzeiten, über So ging es bei den sprachpolitischen De- seine Gefängniszeit auf Robben Island batten in den 1970er Jahren nicht für oder hin zu seiner Teilnahme an politischen gegen Englisch bzw. Afrikaans, sondern und sozialen Bildungsbewegungen, um um die Apartheid. Afrikaans sei nur der mit einer Reflexion über die Funktion der Auslöser gewesen, die Apartheid aber das Sprache abzuschließen. wirkliche Problem. Diese Interdependenzen Für Alexander gibt es immer einen Grund, zwischen Sprachen, Sprachpolitiken, Apart- warum wir die eine oder andere Sprache heidregime und Befreiungskämpfen werden sprechen, wenn wir in eine mehrsprachige in dieser Sprachbiografie von Alexander Gesellschaft hineingeboren werden. Es gibt immer wieder hervorgehoben. auch immer einen Grund, warum wir es in Mit seinem Buch One Azania, One verschiedenen Situationen vorziehen die Nation. The National Question in South eine oder die andere Sprache zu sprechen. Africa beeinflusste Neville Alexander viele, Der persönliche Moment des Sprechens, wie er sagt, soziologische Schriften in Süd- das Sich-Wohlfühlen in einer Sprache ist afrika. „Es kamen die ganzen Fragen von Die Sprachwissenschafterin Brigitta Busch eng mit den sprachpolitischen und diskri- Frauenbefreiung, Geschlechterpolitik – im führte Gespräche mit Neville Alexander und minierenden Strukturen verbunden: Es wird Gegensatz zu einfacher Identitätspolitik –, hielt sie mit Audio-Aufzeichnungen fest. davon bestimmt, wie gut wir eine Sprache die ¸Rassenfrage’ und die Klassenfrage So entstand die Sprachbiografie „Neville beherrschen bzw. welches Sprachniveau zusammen.“ Mit dem Zugang, dass Klasse, Alexander im Gespräch. Mit der Macht der von der Umgebung erwartet wird. „Rasse“ und Gender keine unterschiedlichen Sprachen gegen die Sprache der Macht“ Von dieser Position Alexanders kann Gebiete sind, sondern „ontologisch als ein über mehrere Jahre an verschiedenen auch die österreichische Sprachenpolitik Thema behandelt werden müssen“, setzte Orten. einiges lernen. Zu den Forderungen nach der Alexander mit diesem Buch 1979 einen Sprachbiografien sind immer auch Beherrschung des Deutschen als Voraus- Meilenstein, auch in der soziologischen etwas Persönliches, ja fast Intimes. Beim setzung für gesellschaftlichen Erfolg könnte Forschung. Lesen kam immer wieder ein Gefühl der mit Alexander geantwortet werden, dass Die nun vorliegende Sprachbiografie Ehrfurcht auf, fast der Dankbarkeit für es einen riesigen Unterschied macht, ob ermöglicht es den Lesenden einen sehr das offene Reden über das eigene Leben, jemand das so genannte Standarddeutsch persönlichen Lebensweg zu verfolgen, über die Erfahrungen mit Rassismus der Eliten spricht bzw. erlernt oder aber das welcher Teil der politischen Brüche, und der Apartheidpolitik in Südafrika, so genannte Arbeiterrepertoire und welche theoretischen sprachpolitischen Auseinan- die Bildungswege und Kämpfe, über idealtypischen Sprachvorstellungen – dersetzungen, Unterdrückung, Rassismus das politische und soziale Engagement die eigentlich niemand erfüllt – erwartet und Teil der Befreiungskämpfe eingebettet und für die tiefgründige Reflexion der werden. Sprache muss also nicht nur ist. Am Ende bleibt der Wunsch, weitere Sprach- und Bildungspolitiken und deren gekonnt werden. Sie muss auf die richtige Sprachbiografien zu lesen, von Menschen Konsequenzen für die Sprechenden, vor Art und Weise beherrscht werden. Sonst mit Visionen, von Menschen, die die Welt allem in Südafrika. ist sie keine Prestigesprache. Der sprach- ein Stück weiter verändert haben. Das Persönliche in dieser Sprachbi- biografische Ansatz hat jedoch nicht die ografie kann nicht von den politischen Sprachen selbst im Fokus, sondern die Ereignissen getrennt werden, in welche Sprechenden und ihre lebensgeschicht- Vlatka Frketić

28 TIPPS

mit vielen Dialogen wird nun von Briefen Ein homoerotischer Antikriegsroman abgelöst in denen Missverständnisse besei- Bruno Vogel: Alf. Eine Skizze und ausgewählte Kurzprosa. tigt werden. Sie tauschen sich kritisch in Hrsg. von Raimund Wolfert. Bibliothek rosa Winkel Band 59. Bezug auf den Krieg aus – einer beschreibt Männerschwarm Verlag: Hamburg 2011. unverblümt die Situation im Feld, der in der 248 Seiten; € 18 Heimatstadt Verbliebene beklebt Wände ISBN: 978-3-86300-0359-2 mit Antikriegsplakaten. Die Verlogenheit der Erwachsenen wird beschrieben, über die Sexualmoral der Kirche gespottet sowie Nietzsche und Freud thematisiert. Alf soll zu einer Militär-Weiterbildung in die Nähe In der Reihe Bibliothek rosa Winkel des 1931 und 1977 kam es zu einer fehlerhaften von Leipzig fahren und beide freuen sich Männerschwarm Verlags wurde rechtzeitig Neuauflage, obwohl Vogel eine korrigierte auf ein Wiedersehen. Die Briefe enden und zum 25. Todestag Bruno Vogels „Alf. Eine Fassung der Ausgabe aus 1929 vorgelegt das letzte Kapitel beschreibt den Abschied. Skizze” wieder aufgelegt. hatte. Diese erschien erst jetzt mit ausge- Der titelgebende Protagonist Alf ist im Feld Der Schriftsteller wurde 1898 in Leipzig in wählter Kurzprosa und einem Nachwort gefallen und Felix beschließt: „Ich will eine kleinbürgerliche Familie geboren. 1916 von Raimund Wolfert in der Bibliothek mitkämpfen gegen Bosheit und Dummheit, zog er in den Krieg, doch seine Erfahrungen rosa Winkel. mithelfen, dass andere Menschen nicht, wie ließen ihn zum Pazifisten werden. Mit spitzer Felix und Alf, Gymnasiasten im Wilhelmi- wir beide, aus Unwissenheit so Schweres Feder schrieb er z. B. in „Es lebe der Krieg” nischen Deutschland, entdecken ihre Sexu- durchmachen müssen. Das verspreche ich gegen Militarismus an. 1931 emigrierte er alität und ihre Liebe zueinander. Als Felix in dir, Alf.” nach Österreich, anschließend über die einem Antiquariat eine Broschüre über den Ein Meilenstein homosexueller Eman- Schweiz und Frankreich nach Norwegen. § 175 entdeckt, in dem Homosexualität mit zipationsliteratur wurde damit wieder 1937 wanderte er nach Südafrika aus, doch bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft wird, einer breiten Öffentlichkeit zugänglich nach der Machtergreifung der Nationalisten wendet er sich von Alf ab, um diesen zu gemacht. zog er nach London, wo er 1987 starb. schützen. Alf meldet sich daraufhin freiwillig „Alf” wurde 1929 erstmals publiziert, zum Militär und zieht in den Krieg. Beide eine gekürzte zweite Auflage erschien leiden unter der Trennung. Die Erzählung Petra M. Springer

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wenn er sie dafür heiraten hat müssen. Nur ohne Göhöd auf dera Wöhöd ka Gspusi mit Im Dezember 2011 dass der Grillitsch einen deutschen Sozen, da Musi – aa net fian Gusi!“ Dann steht er den Thilo Sarrazin, zu einer Rede nach Graz meistens auf und geht heim. eingeladen hat, sieht der Kommerzienrat Womit wir bei den Liedermachern sind. Schwer hat man es als Vertreter einer Min- als Fehler. Und die Wiener ÖVP macht Der Herr Grünlinger sagt, die sind derzeit derheit heutzutage, wenn einem der Wind ihm weiterhin Sorgen, jetzt, wo sogar der besonders gefährdet. Erst ist der Franz der Entwicklung so kräftig entgegenbläst, Othmar Karas abgewunken hat und lieber Josef Degenhardt gestorben und dann dass man beim Ausspucken ganzkörpernass in Brüssel bleibt. Mittlerweile hofft unser der Georg Kreisler, dann der Reinhard wird. Adventstimmung allerorten! Am Schwarzer bereits darauf, dass eventuell Liebe und dann der Ludwig Hirsch. Und härtesten hat es sicher den Kommerzienrat Karl Habsburg – „der hat wenigstens einen am schlimmsten: Der Helmut Reinberger, Schwarzschanderl getroffen, der sich schon Namen!“ – die Wiener ÖVP übernimmt. der letzte von den 3 Spitzbuam, schon im überlegt, um einen Waffenpass anzusuchen Auch in der schwarzen Bankenlandschaft, Oktober. Der Ambros vergisst derweil nur und eine Kanone zu kaufen. Oder gleich ob Erste oder Raffeisern, kracht es gehö- seine eigenen Texte bei der Hundertjahres- einen Panzer, von dem sich das Bundesheer rig – die bräuchten schon Milliarden (ich feier der Wiener . Da hält sich der trennen will. „Her mit dem Zaster!“, krakeelt übrigens auch). Schaden noch in Grenzen. Ganz stolz war er, „hat diese neue ÖAAB-Chefin gefordert! Den Genossen Rotlauf kann man jetzt der Grünlinger, dass die Grünen schon 25 Ein Bankräuber-Spruch aus dem Munde spielend auf die Palme bringen, wenn man Jahre im Parlament sitzen. Enttäuscht war einer Innenministerin! Dieser schwarze ihn fragt, ob er zur Entacher- oder zur Dara- er aber, dass das Schulvolksbegehren vom angebliche Arbeitnehmerbund ist eindeutig bos-Fraktion innerhalb der SPÖ gehört. Weil Androsch nur Platz 17 erreicht hat und so kommunistisch unterwandert! Gegen di- vor Monaten hat der Verteidigungsminister eher baden gegangen ist. „Gut so“, hat da ese umstürzlerische Prölletin müsste die „Ich bin der Daraboss!“ geplärrt und den der Schwarzschanderl gesagt, „Bildung und Staatspolizei ermitteln! Sieben Milliarden Generalstabschef Edmund Entacher aus gute Jobs nur für unsere Kinder!“ Da ist der Menschen gibt es laut der UNO seit dem 31. dem Amt gejagt. Aber ein echter Mundl geht Kamerad Brauntresch kurz aus dem Rausch Oktober auf der Welt – und ausgerechnet nicht unter, sondern zur Disziplinarkommis- erwacht, hat nicht mehr alles mitgekriegt die Mikl-Leitner sitzt in der Herrengasse sion im Bundeskanzleramt. Und die hat ihm und geschrien: „Jawoi! Und net fia de Inda!“ als Innenministerin! Dann stänkert noch Recht gegeben, so ist er auf seinen Posten Briefe aus Thüringen hat er auch bekommen dieser Gemeindebund-Chef gegen die zurückgekehrt. Die Vakanz im Bundesheer in der letzten Zeit. Parteiführung, dieser Mödlhammer! Ich ist von feindlich gesinnten Staaten nicht Mit dem Trottel hab ich streiten müssen, sag's ja: Hammer und Sichel überall! Da ausgenützt worden und auch sonst nicht wem das Geld vom Gaddafi gehört, wenn hat die Finanzministerin Fekter schon recht aufgefallen. Oder wenn man den Rotlauf es endlich im Kärntner Bärental gefunden gehabt, als sie gesagt hat, dass schon fragt, ob er auch täglich als Huber mit ist – dem BZÖ, wo der Jörgl ja bis zuletzt war, einmal mit fürchterlichen Folgen gegen verschiedenen Vornamen Zustimmung zu oder der FPK mit den Bündnis-Abtrünnigen. eine Minderheit gehetzt worden ist. Und Werner Faymann an verschiedene Zeitungs- Wobei mir auch weh ums Herz geworden davor gewarnt hat, die Betuchten diesmal redaktionen postet. Oder wenn man ihn ist, wie ich bemerkt habe, dass heuer im zum Feindbild zu machen. Aber trotzdem: fragt, wie viel man ihm zahlen müsste, dass Oktober keine würdige Jörgl-Gedenkfeier Meine ÖVP ist das nicht mehr! Opa Julius er zulässt, dass eine Enkelin von ihm den war. Nicht einmal dem Petzner sind die Raab, schau oba!“ Vornamen Laura erhält. Es gibt derzeit viele Tränen termingerecht aus den Augen Schon dass der Bauernbund-Chef Fritz Möglichkeiten, ihn zur Explosion zu bringen. geschossen. Dafür ist der Gorbach wieder Grillitsch zurückgetreten ist, hat dem Manchmal sitzt er eine halbe Stunde stumm verhaltensauffällig geworden, weil er mit Schwarzschanderl zugesetzt. Immer wieder bei seinem Bier und schreit dann plötzlich 1,9 Promille am Steuer erwischt worden ist. hat er den Steirer als Zukunftshoffnung der „Facebook-Trotteln!“ Auch von seinem Gusi Der Karl-Heinz Grasser hat sich in einem ÖVP gesehen und ihn dafür gelobt, dass es ist er mittlerweile enttäuscht. Dann singe Interview darüber beklagt, dass er so viel ihm sogar gelungen ist, eine freiheitliche ich zweistimmig – laut und falsch –: „Jo da für die Anwälte zahlen muss. Na soll er Bankräuber-Wittib zu resozialisieren – auch Guhusi hot a Gspuhusi mit da Muhusi // owa halt wieder am Wochenende mit einem Plastiksackerl nach Liechtenstein fahren. Und was war sonst noch? Ein Schweizer als ÖFB-Teamchef. Wenn das Nationalteam wieder verliert, liegt es am Lagerkoller. Die Gelddrucker der Nationalbank stehen unter Schmiergeldverdacht. Der ÖGB hat sich für schuldenfrei erklärt. Dann das Wort Schuldenbremse, über das jetzt dauernd gestritten wird. Bremse – das ist doch ein blutsaugendes Insekt, das vom Schweiß der Anständigen und Tüchtigen angelockt wird. Oder bezieht sich das auf die Bremse im Auto, die die Grünen schmerzhaft stachelig als Standardmodell einführen wollen, um uns das Autofahren zu verleiden? Irgend- wie kenn ich mich da nicht mehr aus. Eh wurscht!

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