Orangeriekultur in Rheinland-Pfalz

Orangeriekultur in Rheinland-Pfalz

Orangeriekultur Schriftenreihe des Arbeitskreises Orangerien in Deutschland e. V. Lukas Verlag Band 11 Beiträge der 34. Jahrestagung des Arbeitskreises Orangerien in Deutschland e. V., 13. bis 15. September 2013, Schloss Herrnsheim, Worms: »Orangeriekultur in Rheinland-Pfalz« In Kooperation mit der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz – Landesamt für Denkmalpflege – herausgegeben vom Arbeitskreis Orangerien in Deutschland e. V. Vorsitzender: Prof. Dr. Helmut-Eberhard Paulus Adresse: Friedrichstraße 6 b, 99867 Gotha Email: [email protected] Internet: www.orangeriekultur.de

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung von

Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz – Landesamt für Denkmalpflege,

Stadt Worms

DGGL-Landesverband Baden-Pfalz e. V. DGGL-Landesverband Rheinland e. V. DGGL-Landesverband Saar-Mosel e. V. DGGL-Bundesverband

Böttcherei Götze, Dresden

Fresand Wintergarten GmbH, Rostock-Kritzmow

© by Lukas Verlag Erstausgabe, 1. Auflage 2014 Alle Rechte vorbehalten Lukas Verlag für Kunst- und Geistesgeschichte Kollwitzstraße 57 D–10405 Berlin www.lukasverlag.com Konzeption: Prof. Dr. H.-E. Paulus, Rudolstadt Redaktion: Dr. Simone Balsam, Dresden Lektorat: Dr. Simone Balsam Layout: Dr. Simone Balsam und Prof. Dr. H.-E. Paulus Reprographie, Satz und Umschlag: Lukas Verlag Druck: Elbe-Druckerei Wittenberg Printed in ISSN 1617-884X ISBN 978-3-86732-192-1 Inhalt

Helmut-Eberhard Paulus Vorwort des Herausgebers 7

Vorwort der Mitherausgeber 9

Orangerien in Rheinland-Pfalz

Georg Peter Karn »Luxus und Geschmack vereinigt« 11 Orangerien und Gewächshäuser in Rheinland-Pfalz

Maria Wenzel Die Orangerien in Eisenberg und Kirchheimbolanden in Rheinland-Pfalz 35

Stella Junker-Mielke Ausgewählte Orangerien in Rheinland-Pfalz 48

Orangeriepflanzen – Kultivierung und Pflanzenschutz

Barbara Jäckel Pflanzenschutz im Zeichen der Globalisierung 57 Neue Krankheiten und Schädlinge an Zitrus und anderen Kübelpflanzen

Ulrich Büsing Möglichkeiten des Einsatzes von Nützlingen bei der Kultivierung von Zitrus und anderen Orangeriepflanzen 67

Sabine Swientek Der lange Weg zu einem neuen Zitrusbestand im Neuen Garten von Potsdam 72

Oliver Laufer Das Orangerieparterre Schloss Seehof – Pflege und Unterhalt 78 Die ersten zwei Jahre aus Gärtnersicht

Manuel Bechtold Gärtnerische Pflege in der Orangerie und im Küchengarten des Hofgartens der Residenz Würzburg 87 Aktuelle Forschung und Berichte

Katja Pawlak Die Wiederherstellung der Orangerie im groß­herzoglichen Ludwigsluster Küchengarten 94

Dagmar Fetterová Bedeutsame Schlossorangerien in Westböhmen 106

Simone Balsam Die Orangeriekultur in der Residenz Nassau-Weilburg 112

Simone Balsam Zwanzig Jahre Veranstaltungen des Arbeitskreises Orangerien in Deutschland e.V. 126 Die Ära des Vorsitzenden Heinrich Hamann 1989–2008

Helmut-Eberhard Paulus Die Zitrusblätter 150 Mitteilungsorgan des Arbeitskreises Orangerien in Deutschland e.V. und Korrespondenzblatt zur Orangeriekultur

Anhang

Programm der 34. Jahrestagung 153 Bildnachweis 154 Autorenverzeichnis 155 | 7

Vorwort des Herausgebers

Unter dem Titel »Orangeriekultur in Wandel von der Agrarstruktur zur Indus- Rheinland-Pfalz« widmet sich dieser Band trialisierung. Die zentrale Lage innerhalb der einem Land, das politisch nach 1945 ent- jungen Bundesrepublik bedingte den Aus- stand und streng genommen kein historisch bau zu einer der wichtigsten verkehrlichen gewachsenes und konstituiertes Territorium und unternehmerischen Kernregionen. Die darstellt. Vor diesem historischen Hinter- sichtbaren Zeichen des Wirtschaftswunders grund greift der Band nach Bedarf auch über forderten ihren Tribut in der Überlieferung die Grenzen des heutigen Bundeslandes auf historischer Substanz. die Region an Mittel- und Oberrhein aus. Diese Entwicklung blieb nicht ohne Trotz dieses historischen Hintergrunds bildet Folgen für den Bestand und die Pflege der das heutige Rheinland-Pfalz eine höchst Orangeriekultur. Der Mangel an jüngeren interessante Orangerie-Landschaft. Dies höfischen Zentren, konkret an weiter unter­ resultiert aus dem Verbund alter traditions- haltenen fürstlichen Residenzen nach der reicher Territorien und Dynastien im Hei- Französischen Revolution, ermöglichte kaum ligen Römischen Reich Deutscher Nation. die Herausbildung von Standorten kon- Neben den vielen geistlichen Herrschaften, tinuierlich gepflegter Orangeriekultur. Das wie den Kurfürstentümern Mainz und Trier, Schicksal der Mainzer Favorita, einer der den Hochstiften Worms und Speyer, sind es bedeutendsten Orangerieanlagen des alten die Kurpfalz mit einer ganzen Reihe wittels- Reiches überhaupt, ist dafür ein treffliches Bei- bachischer Seitenlinien und Nebenresidenzen, spiel. Der Wegfall vieler Kleinresidenzen führ- die traditionsreichen Häuser Nassau und te zur Konversion älterer Orangerieanlagen Hessen, die Grafschaften Leiningen, Warten- oft bis zur Unkenntlichkeit. Andererseits för- berg und von der Leyen sowie das Haus derte die aufkommende Industrialisierung Österreich. Kaum ein anderer Landstrich die Entstehung interessanter, teilweise auch Deutschlands hat in den letzten beiden sehr früher Beispiele einer Übernahme der Jahrhunderten einen solchen territorialen Orangeriekultur durch bürgerliche, vorwie­ und strukturellen Wandel durchgemacht gend großbürgerliche und industrielle Kreise. wie Rheinland-Pfalz. Dies hatte erhebliche Auch hierfür gibt es markante Beispiele in Auswirkungen auch auf den Bestand der diesem Band. Orangerien und die Erhaltung ihrer Bauten. Mit Bedauern gilt es zur Kenntnis zu So folgte den Zerstörungen und Umstruk- nehmen, dass sich im heutigen Rheinland- turierungen in Folge der Französischen Re- Pfalz keine Beispiele praktizierter Orangerie- volution und ihrer Kriege der Sonderstatus kultur erhalten haben und es bislang auch der linksrheinischen Gebiete bis 1815 und nicht zu einer Wiederbelebung kommen schließlich eine jahrzehntelange militärische konnte, wie in anderen deutschen Bundes- Sonderlage an der Grenze zu Frankreich. Der ländern. Ebenso zeigt das Schicksal der Anfang des 20. Jahrhunderts brachte den Mainzer Favorita, dass es kaum befriedigt, 8 | Vorwort des Herausgebers

wenn hochwertige Orangeriekultur auf einen gegebenen »Zitrusblättern« gewidmet, also Gedenkstein und ein Erinnerungsgrün re- dem Mitteilungs- und Korrespondenzblatt, duziert wird. Für die Zukunft bleibt der das zukünftig wohl zunehmende Bedeutung Wunsch, dass Kommunen und Kulturein- beanspruchen wird. richtungen sich bietende Gelegenheiten im Unser Dank für die organisatorische Rahmen von Sanierungen nutzen, um die Unterstützung bei der Durchführung der alten Anlagen zumindest mit einer Reminis­ Tagung in Worms gilt Frau Stella Junker- zenz an die einstige Pflanzenkultivierung Mielke und dem Stadtarchiv der Stadt Worms, erlebbar aufzuwerten. besonders aber der Stadt Worms, namentlich Die Beiträge dieses Bandes sind aus der Herrn Oberbürgermeister Michael Kissel. Für 34. Jahrestagung des Arbeitskreises Oran- fachliche und organisatorische Unterstützung gerien in Deutschland e. V. vom 13. bis 15. sowie die Kooperation in der Herausgabe des September 2013 in Worms hervorgegangen. Bandes danken wir der Generaldirektion Kul- Tagungsort war das ehrwürdige Schloss turelles Erbe Rheinland-Pfalz – Landesamt Herrnsheim als Sitz der Familie Dalberg, für Denkmalpflege (GDKE). Für die Er- Kämmerer von Worms, mit seinem gefäl- möglichung des Exkursionsangebotes gilt ein ligen Orangeriegebäude von 1812, gelegen herzlicher Dank allen Eigentümern und Ge- in einem beeindruckenden Landschafts- sprächspartnern in Kirchheimbolanden und garten von Friedrich Ludwig von Sckell. Die im Landschaftspark Friedrich von Gienanth Stadt Worms hat als heutige Eigentümerin in Eisenberg/Pfalz. der Anlage in Rechtsnachfolge der 1833 aus- Für die freundliche finanzielle Förderung gestorbenen Familie Dalberg die dortigen mit Druckkostenzuschüssen, ohne die dieses Räumlichkeiten in großzügiger Weise für Buchprojekt nicht realisierbar gewesen wäre, die Tagung bereitgestellt. Die Anlage selbst danken wir namentlich der Generaldirektion bildete als Gartenkunstwerk ersten Ranges Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz – Landes- ebenfalls einen Schwerpunkt der Tagung, amt für Denkmalpflege – in Mainz, der auch über die Thematik der Orangerie hinaus. Stadt Worms, dem DGGL-Bundesverband Daneben stellten Pflege und Unterhaltung der sowie den DGGL-Landesverbänden Baden- Orangeriepflanzen eine wesentliche Sektion Pfalz e. V., Rheinland e. V. und Saar-Mosel der Tagung dar. e. V., darüber hinaus der Böttcherei Götze Einen Schwerpunkt dieses Bandes bilden in Dresden und der Fresand Wintergarten neben der regionalen Ausrichtung auf das GmbH in Rostock-Kritzmow. obere Rheinland, die Rheinpfalz und Hessen Nicht zuletzt gilt der Dank allen Autoren und neben der Bearbeitung des dortigen für die Bereitstellung Ihrer Beiträge, Frau Orangeriebestandes auch Rückblick und Aus- Dr. Simone Balsam für die redaktionelle blick auf die mediale Arbeit unseres Arbeits- Betreuung und Lektorierung dieses Bandes kreises Orangerien. Erstmals seit 1992 er- und dem Lukas Verlag für die Betreuung der scheint eine zusammenfassende Übersicht Publikation. über die Jahrestagungen und Exkursionen, so dass sich die umfangreiche Tätigkeit des Prof. Dr. Helmut-Eberhard Paulus Arbeitskreises nach 1998 erschließen lässt. Vorsitzender des Arbeitskreises Orangerien Ein weiterer Beitrag ist den seit 2010 heraus- in Deutschland e. V. | 9

Vorwort der Mitherausgeber

Rheinland-Pfalz gilt nicht als ein Land der trotz der Verluste eine Reihe überwiegend großen Gärten. Auf den zweiten Blick zeigt kleinerer Anlagen aus dem 18. und 19. Jahr- sich jedoch, dass hier eine reiche höfische hundert erhalten hat. Einige von ihnen sind Gartenkultur existierte, auch wenn von ihr Gegenstand hier dargestellter Maßnahmen nach den Zerstörungen durch Kriege und der Denkmalpflege. Revolutionen nicht mehr viel geblieben ist. Das als Veranstaltungsort ausgewählte Mit den Gärten gingen auch die meisten Schloss Herrnsheim bei Worms fügt sich mit Orangerien unter, zu denen bedeutende An- seinem klassizistischen Orangeriegebäude lagen gehörten wie die in der kurfürstlichen nicht nur hervorragend zum Thema der Favorite in Mainz von Maximilian von Tagung, sondern beansprucht darüber hinaus Welsch oder in den pfälzischen Schlossgärten in der rheinland-pfälzischen Gartendenkmal- von Zweibrücken und Oggersheim. Ebenso pflege einen herausgehobenen Platz. So wurde sind manche bemerkenswerten Bauten des hier 1988 für den von Friedrich Ludwig Sckell 19. Jahrhunderts längst verschwunden, unter im Auftrag des Freiherren von Dalberg ge- ihnen der für Erzherzog Stephan von Ös- schaffenen Landschaftsgarten das erste Park- terreich errichtete Wintergarten von Schloss pflegewerk innerhalb unseres Bundeslandes Schaumburg bei Balduinstein an der Lahn. erarbeitet. Mittlerweile sind diesem mehr Angesichts dieser Umstände war es uns als 60 weitere Untersuchungen und Projekte eine besondere Freude, dass sich der Arbeits- gefolgt. kreis Orangerien e. V. anlässlich seiner Unser Dank gilt insbesondere Herrn 34. Jahrestagung für Worms entschieden Prof. Dr. Helmut-Eberhard Paulus als Vor- und dabei Rheinland-Pfalz zum Haupt- sitzendem des Arbeitskreises für die Leitung thema gemacht hat. Daraus ergab sich die der Veranstaltung und die Herausgabe des gute Gelegenheit, das Material über die – Tagungsbandes, an denen sich die Direktion zerstörten wie noch bestehenden – histo­ Landesdenkmalpflege der Generaldirektion ri­schen Orangerien und Gewächshäuser Kulturelles Erbe inhaltlich und finanziell einmal zu sichten und zusammenzustellen. gerne beteiligt hat. Darüber hinaus danken Hierbei überraschte die Fülle der zum Teil wir den mitwirkenden Kollegen für ihre wenig erforschten Beispiele, in denen sich die Beiträge sowie besonders Frau Dipl.-Ing. Stella territoriale Vielfalt in der Historie des in seiner Junker-Mielke, die als rheinland-pfälzisches heutigen Gestalt noch jungen Bundeslandes Mitglied des Arbeitskreises maßgeblichen An- spiegelt. Ebenso wurde erkennbar, dass sich teil an der Vorbereitung der Tagung hatte.

Thomas Metz Dr. Joachim Glatz Dr. Georg Peter Karn Generaldirektor der General­ Landeskonservator Direktion Landesdenkmal- direktion Kulturel­­les Erbe pflege Rheinland-Pfalz Rheinland-Pfalz Limonier à Fruit cannelé Citrus Limonum striatum, Limone incannelato »Foliis ovatis, utrinque attenuatis aut ovato-subrotundis: fructibus subglobosis aut ovatis, sulcatis, apice ma- millatis ; cortice tenui, lutescente, pulpa grate acida.« (Mit ovalen Blättern, entweder unten schmal oder oval gerundet; mit runden oder oval-rundlichen Früchten, gefurcht, mit warzenförmiger Spitze ; Schale dünn, hell- gelb, Fruchfleisch angenehm sauer.) Aus: Risso, Antoine und Poiteau, Pierre Antoine: Histoire naturelle des orangers, 1818, S. 151, Taf. 72.

Citrus limon (L.) Burm. f. ›Canaliculata‹ – Gefurchte oder kannelierte Zitrone Die Blätter der gefurchten Zitrone sind groß, manche stumpf an beiden Enden, fein gezähnt und ihre einzeln stehenden Blüten als Knospen rötlich gefärbt. Sie trägt charakteristische, dekorative Früchte, die eher größer als gemeine Zitronen und länglich birnenartig oder rundlich geformt sind. Die hellgelbe, im Unterschied zur Beschreibung bei Risso eher dicke Schale hat kräftige Furchen und Erhebungen, in der Ausbildung sehr unter- schiedlich. Zunächst färben sich die Vertiefungen gelb, dann die Erhöhungen. Das Fruchtfleisch ist leinengrau mit ergiebigem, saurem Fruchtsaft. Georg Peter Karn | 11

»Luxus und Geschmack vereinigt«

Orangerien und Gewächshäuser in Rheinland-Pfalz

»Die allhiesige Favoritte ist dem vernehmen im Westen, nahe an Frankreich, stets im nach auch gahr schön, ich aber bin leider Brennpunkt von Kriegen und politischen wegen meines nuhn 6 wochen dauernden Umbrüchen befand. Blickt man heute auf kindbetts der vergnügung, solche zu sehen den Bestand historischer Gärten und Garten- beraubet, ich mache anjetzo darin le petit gebäude, so stellt man ernüchtert fest, wie Marly, das ist 6 pavillions, nemblich 3 auff wenig vom einstigen Reichtum geblieben ist. jeder seithen in das perspective, doch von- Man darf diese eher spärlichen Reste jedoch einander jeder durch eine besondere terasse nicht als repräsentativ für die Gartenkultur undt oben zum beschluß in der mitten eine des 18. und 19. Jahrhunderts im Lande ansehen. orangerie von 120 schuch. Ich bin wohl curios Daher muss hier weiter ausgeholt und eine des h.r.v. canzlers sentiments darüber zu ver- größere Anzahl von Orangerien einbezogen nehmen.«1 Als der Mainzer Kurfürst Lothar werden, die längst nicht mehr existieren. Franz von Schönborn (1655, reg. 1697–1729) Bereits der Vorgänger der Favorite, der vom am 12. Juni 1717 an seinen Lieblingsneffen, Mainzer Dompropst Christoph Rudolf von den Wiener Reichsvizekanzler und künftigen Stadion (1638–1700) angelegte Stadion’sche Würzburger Fürstbischof Friedrich Karl (1674, Garten, besaß laut einer Aufstellung unter reg. 1729–46), diese Worte schrieb, war er anderem 119 Pomeranzenbäume, fünf Zy- bereits mehr als 15 Jahre mit dem Ausbau pressen, 21 Lorbeer- sowie 24 Granatbäume.3 der Favorite, seines Mainzer Lustgartens, Der auf einem Festungsplan von 1676 wieder- beschäftigt. Bis zur Fertigstellung sollten gegebene, 1692 erweiterte Garten bestand weitere Jahre vergehen. Das »Petit Marly« anfangs aus einem rechtwinkligen Parterre mit der Orangerie bildete durch seinen mit Wasserbecken und Broderiebeeten, das architektonischen Anspruch ebenso wie durch sich in den Hang hinein halbrund erweiterte. seine beherrschende Lage über dem Rhein Der exedraförmige Abschluss erinnerte dabei den Höhepunkt der mehrgliedrigen Anlage. vor allem an holländische Gärten des 17. Jahr- Nicht einmal 70 Jahre später fiel diese den hunderts, wie etwa die Anlage an dem ab 1621 Revolutionskriegen zum Opfer und wurde für Prinz Friedrich Heinrich von Oranien bei der Belagerung der damals französisch erbauten Schloss Honselaarsdijk. Auf den besetzten Stadt 1793 durch deutsche Truppen konzentrischen, theaterartig ansteigenden dem Erdboden gleichgemacht. Heute ist der Hangstufen im mittleren Bereich fanden ver- Garten nur noch in den Stichen des Wiener mutlich die Orangenbäumchen Platz.4 Vedutenzeichners Salomon Kleiner (1700–61) Die Hanglage nutzte auch Lothar Franz überliefert.2 von Schönborn für seine Favorite, die aus Die Favorite und mit ihr das Petit Marly drei zueinander parallelen, auf den Rhein teilten das Schicksal mit vielen der re- ausgerichteten Abschnitten bestand. Wurde präsentativen Gartenanlagen im heutigen die in der Mitte verlaufende Wasserachse Rheinland-Pfalz, das sich durch seine Lage zum Fluss hin durch die sogenannte Grotte 12 | Georg Peter Karn

abgeriegelt, öffnete sich der linke Abschnitt Flussgöttern des Rheins und Mains, während in ganzer Breite zum Fluss. Über der unteren auf der Giebelspitze über dem Wappensymbol Terrasse mit dem eigentlichen, seitlich an- des Mainzer Rades die Reiterstatue des Bis- schließenden Wohnschlösschen, einem tumspatrons St. Martin aufragte. Zutritt ins Broderieparterre und dem Wasserbecken vor Innere gewährte ein aufwendiges Säulenportal der Thetis-Grotte breitete sich wirkungsvoll über einer hohen Freitreppe. Mit den dabei die Bautengruppe des Petit Marly mit der anstehenden praktischen Problemen hatte Orangerie und den Kavaliershäusern aus.5 sich der Kurfürst wohl noch nicht genügend Wie bereits der Name verrät, orientierte sich auseinandergesetzt, wie ein Schreiben des Lothar Franz dabei an dem für Ludwig XIV. Würzburger Fürstbischofs Johann Philipp seit 1676 errichteten Lustschloss von Marly- Franz von Schönborn (1673, reg. 1719–24) vom le-Roi. Während dort jedoch die Kavaliers- 27.8.1718 an seinen Onkel verrät: »Sonsten häuser in streng paralleler Anordnung auf kann E. chfl. Gn. ich nicht verhalten, daß den Pavillon des Königs ausgerichtet waren, bei der beabsichtigung der neuen orangerie nahm in Mainz die Orangerie das Zentrum in der Favorite mir die haupttür allzu klein ein, zu dem die Pavillons kulissenartig zu- geschienen, allermaßen ich versichern kann, sammen- und zugleich hinaufrückten. Aus daß kaum meine gröste bäume ohne verlet- dieser Staffelung ergab sich eine großartige zung der cron dardurch würden gebracht szenographische Wirkung sowohl für die werden können.«7 Ansicht vom Rhein aus auf die Anlage wie Wie man dem Grundriss des Stich- von oben für den Ausblick auf den Fluss mit werks entnehmen kann, bestand das Innere der Mündung des Mains. der Orangerie aus einem einzigen, nicht Die schrittweise Steigerung zur Orangerie unterteilten Saal, der von zwei Öfen an der hin wurde auch durch den zunehmenden Rückwand beheizt wurde. Er diente zugleich Aufwand der architektonischen Behandlung als Festsaal und sollte eine Ausmalung unterstützt. Da die anderthalbgeschossigen durch den Maler Rudolf Byss (1660–1738) Bauten mit ihren Mansarddächern vermutlich erhalten, der auch das Programm entwarf in Fachwerk konstruiert waren, erhielten die und zusammen mit Marchini für Lothar Fassaden anstelle der Hausteingliederung Franz bereits im Treppenhaus von Schloss 1724/25 eine illusionistische Bemalung durch Pommersfelden gearbeitet hatte. 1721 verlor den italienischen Maler Giovanni Francesco er jedoch noch vor Beginn der Ausführung Marchini (1672–1745).6 Von den nur ein den Auftrag und seine Stellung als Kabinett- Geschoss hohen dorischen Säulen an den maler beim Kurfürsten.8 Ob der Saal auch das untersten Kavaliershäusern über ionische Mezzaningeschoss einbezog, bleibt unklar; Rustikapilaster und Kolossalsäulen an den dessen Erschließung durch ein bescheidenes Zwischenpavillons bis zu den korinthischen Treppentürmchen an der Schmalseite scheint Kolossalpilastern an der Orangerie folgte jedenfalls repräsentative Räume auf der die Instrumentierung der vitruvianischen oberen Ebene auszuschließen.9 Hierarchie der Säulenordnungen. Auf den Für das Vorfeld der Orangerie liefert Brüstungsfeldern der Erdgeschossfenster das Stichwerk Salomon Kleiners zwei Ver- waren Monatsallegorien und Tierkreiszeichen sionen. In der älteren Fassung, die nicht in wiedergegeben. Im reliefartig bemalten das gebundene Album übernommen wurde, Schweifgiebel des Mittelrisalits erschienen führt eine Wassertreppe zur tieferen Ebene, auf Wolken Flora und Pomona zwischen den begleitet von zwei Treppenläufen, auf denen Orangerien und Gewächshäuser in Rheinland-Pfalz | 13

1 Mainz, Favorite, Petit Marly mit Orangerie, Stich von S. Kleiner, 1. Zustand, 1723/24

2 Mainz, Favorite, Petit Marly mit Orangerie, Stich von S. Kleiner, 2. Zustand, nach 1724 14 | Georg Peter Karn

Wasserscherze das höfische Publikum über- flügeln, dessen Funktion jedoch nicht näher raschen. (Abb. 1) Auf der großen Terrasse spezifiziert wird.12 Leider ist es nur im Um- besetzen die Orangenbäumchen in akkuraten riss auf dem Gesamtplan überliefert. Mit Blöcken eine als »mosaique« ausgebildete den gebogenen Nebenflügeln entspricht der Fläche. In der Neuen Garten-Lust, seinem Bau einem geläufigen Typus, wie ein Blick 1720 erschienenen Kupferstichwerk, bildet auf die um 1693 ebenfalls für Lothar Franz der hauptsächlich in Wiesentheid tätige von Schönborn errichtete Orangerie im schönbornische Hofgärtner Johann David fränkischen Gaibach belegt. Als Architekt Fülck entsprechende Parterregrundrisse kommt vielleicht Maximilian von Welsch ab.10 (1671–1745) in Frage, der im Belvedere des Die zweite Stichversion (Abb. 2) zeigt Tiergartens von Schrattenhofen (1713) – hier anstelle der kleinteiligen Flächengliederung mit offener Mitte – sowie in seinem Mar- ein gewaltiges Wasserbecken, das an den stall im Schönborn-Schloss von Pommers- Terrassenstufen eine bewegte, von Spring- felden (1714) – mit dem ovalen Mittelsaal – strahlen belebte Kaskade ausbildet. Die Oran- vergleichbare Motive angeschlagen hat.13 genbäumchen reihen sich hier entlang der Orangerien gehörten gleichsam selbst- Wege und der Terrassenkanten. Die gegen- verständlich auch zum Bestand der kurtrie­ über der früheren Variante großzügigere rischen Residenzen, doch hat sich wiederum und modernere Lösung ging auf einen keiner der Bauten erhalten. Spätestens seit Entwurf des Pariser Architekten Germain dem 17. Jahrhundert hatten die Kurfürsten Boffrand (1667–1754) zurück, der 1724 die wegen der unsicheren Lage Triers an der Favorite besucht und dabei den Auftrag zu Westgrenze des Reiches ihren Hauptsitz auf einer Alternativplanung erhalten hatte. Zwar den Ehrenbreitstein gegenüber Koblenz ver- beeilte sich der Kurfürst, Boffrands Entwurf legt. Zwischen 1626 und 1629 wurde unter umgehend in sein Kupferstichalbum auf- Philipp Christoph von Soetern (1567, reg. zunehmen, doch scheint die Ausführung 1623–52) zu Füßen des mittlerweile als be- nie zustande gekommen zu sein, wie spätere schwerlich empfundenen Burgbergs die Planaufnahmen und Ansichten belegen. Philippsburg errichtet, der sich entlang des Auf diesen wird rückseits der Orangerie der Rheins und im Vorfeld des späteren Di- Küchengarten mit dem Wasserreservoir und kasterialbaus von ein den Wirtschaftsgebäuden sichtbar, zu denen Lustgarten anschloss. Einen Eindruck des ein Gewächshaus mit einem »Schwanenhals« Gartens vermittelt die zwischen 1720 und 1722 gehörte.11 verfasste Reisebeschreibung des niederlän- Ob auch der Garten des kurfürstlichen dischen Gesandtschaftssekretärs de Blain- Residenzschlosses innerhalb der Stadt mit ville: »Er wird aber wohl erhalten, und hat einer Orangerie ausgestattet war, lässt sich schöne Bildsäulen, gute Springwasser und nicht eindeutig beantworten. Die 1734 erst- eine herrliche Orangerie. Eine überaus große mals abgebildete Gartenanlage entstand Sommerlaube, welche längs dem Flusse über vermutlich noch unter der Regierung von dreyhundert Fuß lang hergehet, ist eine große Lothar Franz von Schönborn. (Abb. 3) Am Zierde des Gartens. Aus derselben siehet man Abschluss der beiden konvergierenden Seiten- durch die Oefnungen, welche wohl angelegt alleen und im Hintergrund einer Kaskade sind, den Rhein, die Mosel, die Carthause erhob sich ein Gartengebäude mit ovalem und eine sehr schöne Gegend auf drey bis Mittelpavillon und vorschwingenden Seiten- vier Stunden weit.«14 Die 1671 von Wolfgang Orangerien und Gewächshäuser in Rheinland-Pfalz | 15

3 Mainz, Schlossgarten, Ausschnitt aus dem Schick’schen Stadtplan, 1753

4 Koblenz-Ehrenbreitstein, Hofgarten, Grundriss, ohne Datierung 16 | Georg Peter Karn

5 Trier, Kurfürstliches Palais, Entwurf zur Orangerie im Palastgarten von J. V. Thomann, um 1740

6 Trier, Kurfürstliches Palais, Entwurf der Gartenfassade von Johannes Seiz mit seitlicher Orangerie, 1756

Etter (Lebensdaten unbekannt) errichtete des Renaissanceschlosses aus, das in der ersten Orangerie war quer zum Fluss angeordnet Hälfte des 17. Jahrhunderts erbaut worden und bildete das Pendant zur Philippsburg. war und die Reste der römischen Palastaula Der winkelförmige, anderthalbgeschossige Kaiser Konstantins einbezogen hatte. In der Bau mit seinem hohen Satteldach wurde zum aufwendigsten Variante bildet die Oran- Rhein hin durch übergiebelte Rechteckfenster gerie den Abschluss des Gartenparterres. Im und einen steilen Schweifgiebel geschmückt. Zentrum der mehrgliedrigen Anlage steht Am gegenüberliegenden Ende des Parterres das eigentliche Orangeriegebäude, das als fanden die Orangenbäumchen Aufstellung querrechteckiger eingeschossiger Bau mit auf exedraförmig ansteigenden Rasenstufen, Mansarddach ausgebildet ist und durch wie aus einem Grundriss im Fürstlich-Wie- pilastergerahmte Rundbogenfenster sowie dischen Hausarchiv in Neuwied hervorgeht.15 einen übergiebelten Mittelrisalit gegliedert (Abb. 4) wird. Konkav vorschwingende Berceaux, vor Im Zusammenhang mit den Bemühungen denen sich aufgesockelte Statuen erheben, um eine Wiederbelebung der seit langem ver- verbinden es mit zweigeschossigen Pavillons nachlässigten Residenz wurde im 18. Jahr- an den Seiten, die Durchgänge zum an- hundert auch in der Hauptstadt Trier eine schließenden Potager enthalten. Im Inneren Orangerie errichtet. Um 1740 entstanden wird der der Saal durch korinthische Pilaster unter Kurfürst Franz Georg von Schönborn instrumentiert. Der bewegte Grundriss und (1682, reg. 1729–56) mehrere Entwürfe des die gemessene Fassadengliederung lassen Mainzer Architekten Johann Valentin Tho­ an einen Einfluss Maximilian von Welschs man (1695–1777) für den sogenannten Palast- denken, dem Thoman seine Ausbildung ver- garten.16 (Abb. 5) Dieser breitete sich südlich dankte.17