Carlo Maria Pozzi (1676–Nach 1736)
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Carlo Maria Pozzi (1676–nach 1736) Stuckateur der Régence in Deutschland Herkunft Carlo Maria wird am 12. Februar 1676 in Lugano als Sohn des «Drogisten» Francesco Pozzi und der Maria Caterina Splendore geboren.1 Sein Vater stammt aus Castel San Pietro, einem Dorf nahe der italienischen Grenze bei Como.2 Mitglieder der hier beheimateten Familie Pozzi sind im 17. und 18. Jahrhundert während sechs Generationen als Bau- und Maurermeister, Stuckateure, Bildhauer und Maler tätig. Bekannt ist die im 18. Jahrhundert in Süddeutschland wirkende Familie des 1704 geborenen Francesco Pozzi, eines Neffen zweiten Grades von Carlo Maria.3 Um 1688/89 beginnt Carlo Maria die Lehre als Stuckateur, sicher im Trupp eines Meisters aus der näheren Verwandtschaft. Zwar bestehen durch seinen Onkel mütterlicherseits Verbindungen nach Passau und Wien,4 als wahrscheinlicher Lehrmeister wird aber der spätere Würzburger Hofstuckateur Giovanni Pietro Magni genannt, der aus Bruzella bei Castel San Pietro stammt und dessen ältere Schwester Margarita die Grosstante von Carlo Maria ist.5 Auch wenn die Lehre bei Magni nicht gesichert ist, dürfte er eher in Franken bei einem Tessiner Stuckateur als in Passau bei der ebenfalls genannten Carlone-Allio Werkstatt seine Lehrzeit verbracht haben.6 Mit seinen 1 Francesco Pozzi (*1647) ist eigentlich nicht Drogist oder Apotheker im heutigen Sinn. Er ist «speziale», also Händler für Farbpigmente und Bindemittel, die wie in Apotheken in Gläsern aufbewahrt werden. 1673 heiratet er Maria Caterina Splendore aus der Valle Calanca, einem bei Roveredo abzweigenden Seitental des Misox. Carlo Maria ist ihr zweiter Sohn. Das Ehepaar hat 1673–1688 sechs Söhne und drei Töchter (Quelle: Forschungen Anastasia Gilardi). 2 Zu Castel San Pietro siehe die Webseite von Ursula Stevens unter http://www.tessinerkuenstler-ineuropa.ch/deu/castelsanpietro-deu.html. 3 Francesco Pozzi ist ein Neffe zweiten Grades von Carlo Maria. Er ist bevorzugter Stuckateur des Ordensbaumeisters Johann Caspar Bagnato. Seine Söhne schaffen den Übergang zum Klassizismus. Joseph Anton Pozzi wirkt in Mannheim, Carlo Luca Pozzi in Süddeutschland, Italien und in der Schweiz, während Domenico Pozzi als Maler bekannt wird. Der 1734 geborene zweite Sohn wird mit dem Namen Carlo Maria Luca getauft, vielleicht zu Ehren des älteren Verwandten. Zu den erwähnten Mitgliedern der Künstlerfamilie Pozzi sind in dieser Webseite die Biografien abrufbar. 4 Giovanni Francesco Splendore ist Maler. Seine Lebensdaten sind unbekannt. Ihm werden die Fresken der Servitenkirche in der Wiener Rossau zugeschrieben. Stuckateur ist dort 1669/70 Giovanni Battista Barberini (1625–1692) aus Laino im Val d'Intelvi. 5 Giovanni Pietro Magni (1655–1722/24) aus Bruzella und Castel San Pietro. Sein Hauptwerk ist das (zerstörte) Stuckkleid im Kiliansdom von Würzburg. Sein Name wird in Deutschland wie üblich mit der Endung «o» (Magno) verfälscht. Seine Schwester Margarita heiratet Domenico Antonio Pozzi (1644–1678), einen Grossonkel zweiten Grades von Carlo Maria Pozzi. Zu Magni siehe die Biografie von Ursula Stevens unter http://www.artistiticinesi-ineuropa.ch/deu/magni-gp-deu.html. Die Arbeitsorte von Magni bis zu seiner Anstellung 1699 in Würzburg sind bisher unbekannt. Vermutet wird eine Mitarbeit bei Giovanni Battista Brenni (1649–1712) aus Salorino, tätig in Thüringen und ab 1690 in Franken. Zu Brenni siehe die Biografie in dieser Webseite. 6 Während der Lehrzeit von Carlo Maria um 1688/89–1682/93 in Franken tätige Stuckateure sind: Bernardo Quadri (1650–1713) aus Lugano, Hofstuckateur in Bayreuth; Donato Polli (1663–1738) aus Muzzano bei Lugano, seit 1690 mit Werkstatt in Nürnberg; Giovanni Battista II Brenni (1649–1712) aus Salorino, tätig ab 1690 in Franken. Giovanni Battista Carloni und Paolo d'Allio kommen erst 1695 aus dem Passauischen nach Waldsassen, ihre Werkstatt ist nie in Franken tätig. Carlo Maria Pozzi (1676–1741/47) Ausgabe 17.06.20 Seite 1 von 11 Lehrmeistern kehrt Carlo Maria während der Ausbildungsjahre jeden Winter wieder in die Heimat zurück. Nicht nur der Lehrmeister, auch seine Wege während der sechs Jahre nach Beendigung der Lehre sind nicht dokumentiert. Die «Welschen», wie die italienischsprechenden Stuckateure damals genannt werden, sind im deutschsprachigen Norden bis 1700 derart dominierend, dass die bekanntesten unter ihnen mit Leichtigkeit Arbeit finden und ihre Trupps auftragsabhängig immer wieder mit besten Fachkräften vervollständigen können. Die Wege Carlo Marias in das Mittelrheingebiet, wo er vor 1700 anzutreffen ist, lassen eine spätere Mitarbeit im Trupp des Giovanni da Paerni7 vermuten. Aus dieser Zeit kennt er auch die um 10 Jahre älteren Stuckateure Eugenio Castelli,8 Giovanni Battista Artari9 und Giovanni Battista Genone10, die im Rheinland tätig sind und mit denen er später wieder zusammenarbeitet. Erste Werke 1700 erhält der 24-jährige Carlo Maria Pozzi den Auftrag für Arbeiten im Jesuitenkolleg Koblenz. Er kann die Decken des Treppenhauses und der Gymnasiums–Aula stuckieren.11 Kurfürst Johann Hugo von Orsbeck überträgt den Neubau seinem Hofbaumeister Johann Christoph Sebastiani. Die Berufung Pozzis liesse sich aus einer Tätigkeit im Trupp von Giovanni da Paerni im Schloss Montabaur erklären, das Sebastiani kurz vorher umbaut. Der Maler der Fresken in Koblenz ist unbekannt. In Montabaur ist es Lazaro Maria Sanguinetti,12 in Koblenz wird, eher abwegig, Luca Antonio Colomba13 vermutet. 7 Giovanni da Paerni, auch Pahernius, wird in Deutschland Paerna, Baerna, Bajerna oder Bojerna genannt. Die Familie stammt aus Balerna im Süden des Tessins. Hier wird er am 5. Dezember 1648 als Sohn von Marco Paerni geboren. Der Kanonikus von Balerna, Victor Pahernius, ist am 2. Mai 1655 Taufpate von Giovanni Pietro Magni in Bruzella. 1698 ist ein Cosma Pahernius aus Balerna Taufpate der Tochter von Magni. Die Verbindung der Familie Paerni mit Giovanni Pietro Magni ist damit offensichtlich (Quellen: Ursula Stevens). Giovanni da Paerni signiert 1686 in der Burgkapelle Greifenstein im Lahntal die hochbarocke Stuckatur mit «IOVANNI DE PAERNI FECIT». Seine Wege führen dann (Quelle: Döry) über Schloss Montabaur in Kurtrier (1693, mit Johann Christian Sebastiani als Baumeister) ins Nassauische, wo er 1695/96 in den Residenzschlössern Idstein und Wiesbaden arbeitet. Ein Stuckateur gleichen Namens ist 1707 als «Arbeiter» von Eugenio Castelli und Giovanni Battista Genone im Schloss Philippsruhe zu Hanau tätig. Dieser wird in der Folge als Stuckateur der Régence bis 1733 erwähnt (1716 Wiesentheid, 1722 Münsterschwarzach, 1722/23 Obertheres, 1724/25 Maria Hilf ob Neumarkt in der Oberpfalz). Es könnte die gleiche Person, wohl aber eher ein Familienangehöriger des 1686 selbstbewusst signierenden Meisters sein. 8 Eugenio Flaminio Castelli (1669–1761) aus Melide bei Lugano. Stuckateur der Régence im Rheinland. Zu ihm siehe den PDF-Beitrag in dieser Webseite. 9 Giovanni Battista Artari (1664–um 1730) aus Arogno im Tessin. Zu ihm siehe die Kurzbiografie in dieser Webseite. 10 Giovanni Battista Genone (1656–nach 1715) aus Arogno im Tessin. Zusammenarbeit mit Artari 1701–1706, dann mit Castelli 1706–1715. 11 Das Jesuitenkolleg ist heute Rathaus der Stadt Koblenz. Baumeister des Gymnasiums ist der kurtrierische Hofbaumeister Johann Christoph Sebastiani. Die Treppenhausdecke ist erhalten, während die grössere Aula schon im 19. Jahrhundert bei einem Rathausumbau zerstört wird. 12 Lazaro Maria Sanguinetti (um 1660–um 1740) aus Genua. Der Maler wird 1692 als Begleiter von Domenico Egidio Rossi bei einem Raufhandel mit dem Stuckateur Pietro Palliardi in Prag erwähnt. Er erstellt 1693 in Montabaur sein erstes Werk im Westen Deutschlands. Mit Carlo Maria Pozzi ist er 1709 in Weilburg wieder nachgewiesen. 13 Luca Antonio Colomba (1674–1737) aus Arogno wird vermutet, weil der Maler «Lucaes» genannt wird. Colomba ist allerdings zu dieser Zeit vorwiegend in Österreich und Ungarn tätig. Die Deckenbilder in Koblenz sind in schlechtem Zustand, stark übermalt und wahrscheinlich darunter auch stark zerstört. Ein Vergleich mit den zeitgleichen Fresken Carlo Maria Pozzi (1676–1741/47) Ausgabe 17.06.20 Seite 2 von 11 Das noch immer erhaltene Erstlingswerk Carlo Marias im Treppenhaus überrascht mit der frühen Meisterschaft, mit der er die drei grösseren Bildfelder in Szene setzt. Beidseitig der Rundgemälde sind paarweise angeordnete Putti die eigentlichen Bildträger. Weitere Putti versinnbildlichen mit ihren Attributen Tugenden. Seitliche Kartuschen mit äusserst sparsam angewendetem Akanthus beinhalten gemalte oder plastisch geformte Allegorien. In die freien Felder sind Blumengirlanden geschickt verteilt. Interessant ist der leinwandähnliche Untergrund, der durch tausende dichter kleiner Einstiche erreicht wird und zur Erhöhung des Reliefs der modellierten Form und zur Unterscheidung zwischen Figur und Grund dient. Das Erstlingswerk von Carlo Maria Pozzi braucht den Vergleich mit den führenden Stuckateuren der Zeit, den Carlone oder den Schmuzer, nicht zu scheuen. 1702 ist Pozzi in Kassel, wo er für das im Bau befindliche Oktogon Stuckentwürfe anfertigt, dann aber vom römischen «Architekten» Giovanni Francesco Guernieri14 hintergangen wird und ohne Aufträge bleibt. 1704 kann er für den Grafen Johann-Ernst von Nassau-Weilburg den Neubau der Oberen Orangerie in Schloss Weilburg stuckieren. Baumeister ist Julius Ludwig Rothweil.15 Im festlich repräsentativen, konkav vorgebogenen Bau befindet sich im Mittelpavillon ein zweigeschossig geöffneter Saal mit umlaufenden Seitengalerien. Pozzi stuckiert Wände, Muldendecke